241 73 9MB
German Pages 1471 [1472] Year 2019
Großkommentare der Praxis
I
II
UWG
Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Großkommentar 3., neu bearbeitete Auflage begründet von Rainer Jacobs, Walter F. Lindacher, Otto Teplitzky herausgegeben von Karl-Nikolaus Peifer Zweiter Band §§ 3a–7 Bearbeiter: § 3a: Jan Eichelberger § 4 Nr. 1, 2: Guido Toussaint § 4 Nr. 3, 4: Tim Dornis §§ 4a, 7: Louis Pahlow Vor §§ 5, 5a, §§ 5, 5a: Karl-Nikolaus Peifer § 6: Jochen Glöckner
III
Stand der Bearbeitung: Juni 2019 Zitiervorschlag: z.B.: GK-UWG/Toussaint § 4 Nr. 2 Rn. 15
ISBN 978-3-11-054554-8 e-ISBN (E-Book) 978-3-11-054594-4 e-ISBN (E-Pub) 978-3-11-054577-7 Library of Congress Control Number: 2019945469 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Datenkonvertierung und Satz: jürgen ullrich typosatz, Nördlingen Druck und Bindung: Beltz Bad Langensalza GmbH, Bad Langensalza www.degruyter.com
IV
Inhaltsübersicht
Inhaltsübersicht Inhaltsübersicht Inhaltsübersicht https://doi.org/10.1515/9783110545944-202 Abkürzungsverzeichnis | XIII Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur | XXV
§ 3a Rechtsbruch | 1 Schrifttum | 1 Systematische Übersicht | 3 Alphabetische Übersicht | 6 A. Grundlagen | 12 I. Die Entwicklung des Rechtsbruchtatbestandes | 12 II. Einfluss des Unionsrechts, insbesondere der UGP-RL | 16 III. Normzweck | 22 IV. Verhältnis zu anderen Vorschriften | 23 V. Ökonomische Analyse | 32 B. Tatbestand | 35 I. Geschäftliche Handlung | 35 II. Gesetzliche Vorschrift | 36 III. Marktverhaltensregelung | 39 IV. Zuwiderhandlung | 46 V. Eignung zur spürbaren Interessenbeeinträchtigung | 51 C. Marktverhaltensregelungen | 56 I. Berufsrecht | 57 II. Produktbezogene Vorschriften | 92 III. Vertriebsbezogene Vorschriften | 117 IV. Geschäftsbezogene Vorschriften | 124 V. Sonstige Vorschriften | 131 D. Rechtsvergleichung | 139 I. Österreich | 139 II. Frankreich | 140 III. England | 141 IV. Fazit, weitere Rechtsordnungen | 142
§ 4 Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen Nr. 1 | 142 Schrifttum | 142 Systematische Übersicht | 143 Alphabetische Übersicht | 144 A. Einführung | 145 I. Entstehungsgeschichte | 145 II. Inhalt und Zweck der Regelung | 148 III. Verhältnis zu Art. 5 Abs. 1 GG | 149 IV. Verhältnis zum EU-Recht | 152 V. Abgrenzung zu anderen Tatbeständen | 153 B. Einzelheiten | 162 I. Allgemeine Voraussetzungen unlauterer Handlungen | 162 II. Mitbewerber | 167 V
Inhaltsübersicht
C.
III. Herabsetzung oder Verunglimpfung | 168 IV. Gegenstand der Äußerung | 181 Prozessuales | 182 I. Darlegungs- und Beweislast | 182 II. Revisionsrechtliche Nachprüfbarkeit | 182
§ 4 Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen Nr. 2 | 183 Schrifttum | 183 Systematische Übersicht | 183 Alphabetische Übersicht | 184 A. Einführung | 184 I. Entstehungsgeschichte | 184 II. Inhalt und Zweck der Regelung | 186 III. Abgrenzung zu anderen Tatbeständen | 187 B. Einzelheiten | 188 I. Allgemeine Voraussetzungen unlauterer Handlungen | 188 II. Mitbewerber | 189 III. Anschwärzung | 190 C. Prozessuales | 206 I. Darlegungs- und Beweislast | 206 II. Revisionsrechtliche Nachprüfbarkeit | 210
§ 4 Mitbewerberschutz Nr. 3 | 211 Schrifttum | 211 Systematische Übersicht | 217 A. Einführung | 220 I. Entstehungsgeschichte | 220 II. Völkervertragsrecht und Europarecht | 223 III. Rechtsvergleich | 226 IV. Ökonomische Analyse | 237 V. Geschützte Interessen und Normzwecke | 259 VI. Anwendungsbereich und Konkurrenzen | 261 B. Tatbestand und Rechtsfolgen | 290 I. Systematik | 290 II. Allgemeine Tatbestandsmerkmale | 290 III. Besondere Tatbestandsmerkmale | 306 IV. Rechtsfolgen | 338 C. Beweislast, Klageantrag und Vollstreckung | 344 I. Beweislast | 344 II. Klageantrag | 345 III. Vollstreckung | 346
VI
Inhaltsübersicht
§ 4 Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen Nr. 4 | 346 Schrifttum | 346 Systematische Übersicht | 356 A. Einführung | 359 I. Entstehung und Entwicklung des Tatbestands | 359 II. Völker- und Europarecht | 364 III. Systematik, Ratio und Anspruchsberechtigung | 366 IV. Anwendungsbereich und Abgrenzungen | 373 B. Tatbestand | 383 I. Struktur und Systematik | 383 II. Allgemeine Tatbestandsvoraussetzungen | 384 III. Behinderung | 386 IV. Zielgerichtetheit | 387 V. Fallgruppen | 392
§ 4a Aggressive geschäftliche Handlungen | 488 Schrifttum | 489 Gesetzgebungsmaterialien | 494 Systematische Übersicht | 494 Alphabetische Übersicht | 497 A. Entstehungsgeschichte | 498 B. Schutzzweck | 499 C. Systematik | 499 I. Überblick | 499 II. Verhältnis zu anderen Bestimmungen des UWG | 500 D. Auslegungsfragen | 503 I. Umsetzung der UGPRL | 503 II. Anwendbarkeit der älteren Rechtsprechung | 505 E. Tatbestandsvoraussetzungen | 508 I. Geschäftliche Handlung | 508 II. Aggressives Mittel | 509 III. Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit und Erheblichkeit | 510 F. Belästigung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 1) | 512 I. Begriff | 512 II. Anwendungsbereiche | 512 G. Nötigung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 2) | 513 I. Begriff | 513 II. Physischer Zwang | 514 III. Drohung | 515 IV. Psychische Zwangssituation | 516 H. Unzulässige Beeinflussung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3) | 522 I. Voraussetzungen | 522 II. Verkaufsförderungsmaßnahmen | 525 III. Werbung mit emotionalen Faktoren | 529 IV. Werbung mit Autoritäten | 541 V. Werbung gegenüber drittverantwortlichen Personen (sog. Dreieckskopplung) | 546 VII
Inhaltsübersicht
I.
VI. Laienwerbung | 550 VII. Appelle an die Solidarität | 556 VIII. Versteigerungen | 558 Feststellung der Aggressivität (§ 4a Abs. 2) | 561 I. Normzweck und Systematik | 561 II. Handlungsbezogene Umstände (Nr. 1) | 562 III. Drohungen oder Beleidigungen (Nr. 2) | 562 IV. Unglücksituation und Umstände von solcher Schwere (Nr. 3) | 563 V. Hindernisse (Nr. 4) | 590 VI. Drohung mit rechtlich unzulässigen Handlungen (Nr. 5) | 592 VII. Sonstige Umstände | 593
Vorbemerkungen zu §§ 5, 5a | 593 Schrifttum | 593 Systematische Übersicht | 594 Alphabetische Übersicht | 596 A. Rechtsentwicklung: vom Irreführungsverbot als reinem Desinformationsverbot zum dualen lauterkeitsrechtlichen Schutz via Anerkennung eines gemäßigten Informationsgebots | 597 B. Schutzzweckfrage | 600 I. Der Ausgangspunkt: das Konzept des Nur-Mitbewerberschutzes | 600 II. Die In-Frage-Stellung des Konzepts des Nur-Mitbewerberschutzes durch Rechtsprechung und Lehre | 600 III. Die Etablierung der Lehre von der Schutzzwecktrias | 601 IV. Individual-, Kollektiv- und Institutionenschutz | 601 V. Praktische Relevanz der Entscheidung zugunsten der Lehre von der Schutzzwecktrias | 602 C. Erkenntnisse der Informationsökonomik sowie der Marketingtheorie und der Kognitionspsychologie | 603 D. EU-Recht: Grundfreiheiten und unionsrechtliches Sekundärrecht | 605 I. Überblick | 605 II. Die Periode der Negativintegration: Marktfreiheiten als Beschränkungsverbote | 605 III. Fortschreitende Positivharmonisierung | 610 IV. Konsequenz: Aufwertung des Sekundärrechts als Kontrollmaßstab | 614 V. Richtlinienangelehntes Recht kraft überschießender Richtlinienumsetzung | 615 VI. Relevanz EU-rechtlicher Bezeichnungsvorschriften | 615 E. EU-Recht: Grundrechte | 616 F. Nationales Verfassungsrecht | 617 G. Verbraucherleitbild/Unternehmerleitbild | 618 I. Verbraucherleitbild | 619 II. Unternehmerleitbild | 628 H. Dogmatik und System | 629 I. Deliktstatbestandstypologie | 629 II. Binnensystemfragen | 629 III. Irreführungsverbote außerhalb des UWG | 641 IV. Informationsgebote außerhalb des UWG | 642 VIII
Inhaltsübersicht
I.
V. Irreführungsverbot und Kennzeichenrecht | 642 VI. Geographische Herkunftsangaben | 644 VII. Preisangabenverordnung | 646 VIII. Allgemeines Deliktsrecht | 646 IX. Vertragsrecht | 646 Irreführungsverbot und Bezeichnungsrecht | 648 I. Verkehrsauffassungsprägung durch Bezeichnungsrecht | 648 II. Verkehrserwartungskonträre gesetzliche Bezeichnungen | 648 III. Bezeichnung und Obliegenheit zu ihrer Kenntnisnahme | 651
§ 5 Irreführende geschäftliche Handlungen | 651 Schrifttum | 653 Systematische Übersicht | 654 Alphabetische Übersicht | 666 A. Einleitung | 674 I. Gesetzesgeschichte | 674 II. Inhalt und Zweck der Regelung | 675 III. Anwendungsbereich | 676 B. Allgemeine Voraussetzungen | 682 I. Angaben | 682 II. Irreführung | 692 III. Geschäftliche Relevanz | 752 IV. Irreführungsquote | 760 V. Interessenabwägung | 761 C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2 | 775 I. Produktbezogene Angaben, Abs. 1 S. 2 Nr. 1 | 776 II. Preis, Preisberechnung und besondere Preisvorteile, Vertragsbedingungen, Abs. 1 S. 2 Nr. 2 | 864 III. Unternehmer- und unternehmensbezogene Angaben, Abs. 1 S. 2 Nr. 3 | 912 IV. Sponsoring und Zulassung, Abs. 1 S. 2 Nr. 4 | 979 V. Notwendigkeit einer Leistung, eines Ersatzteils, eines Austausches oder einer Reparatur, Abs. 1 S. 2 Nr. 5 | 983 VI. Einhaltung eines Verhaltenskodexes, Abs. 1 S. 2 Nr. 6 | 984 VII. Rechte des Verbrauchers, Abs. 1 S. 2 Nr. 7 | 987 VIII. Irreführende Geschäftspraktiken außerhalb des Katalogs von Abs. 1 S. 2 | 990 D. Irreführung im Zusammenhang mit der Produktvermarktung (§ 5 Abs. 2) | 991 I. Entwicklung und Abgrenzungen | 992 II. Norminhalt | 992 E. Vergleichende Werbung und Bildwerbung (§ 5 Abs. 3) | 994 F. Besondere Beweislastregel bei Werbung mit Preisherabsetzung (§ 5 Abs. 4) | 995 G. Verfahrensfragen | 995 I. Die Rechtsfolgenseite | 995 II. Antragswahl und -fassung bei Unterlassungsbegehren: konkrete Verletzungsform – zulässige Verallgemeinerung | 997 III. Beweis, Beweismittel, Beweislast | 999
IX
Inhaltsübersicht
§ 5a Irreführung durch Unterlassen | 1010 Schrifttum | 1012 Systematische Übersicht | 1015 Alphabetische Übersicht | 1018 A. Einleitung | 1020 I. Gesetzesgeschichte | 1020 II. Inhalt und Zweck der Vorschrift | 1021 III. Dogmatik und System | 1024 B. Informationspflichten im beiderseitigen Unternehmensverkehr, Abs. 1 | 1027 I. Grundaussagen | 1027 II. Einzelfragen | 1029 C. Informationspflichten gegenüber Verbrauchern, Abs. 2–5 | 1030 I. Originäre Informationspflichten, Abs. 2/3 | 1030 II. Inkorporierte Informationspflichten, Abs. 4 | 1050 III. Zeitlich und räumlich beschränkte Kommunikationsmittel (§ 5a Abs. 5) | 1054 D. Vorenthaltung des kommerziellen Zwecks einer geschäftlichen Handlung (Abs. 6) | 1057 I. Einleitung | 1057 II. Voraussetzungen | 1077 III. Verfahrensfragen | 1125
§ 6 Vergleichende Werbung | 1128 Schrifttum | 1131 Gesetzgebungsmaterialien | 1134 Systematische Übersicht | 1134 Alphabetische Übersicht | 1140 A. Vergleichende Werbung in der Wirtschaftswirklichkeit und wettbewerbliche Probleme | 1146 I. Erscheinungsformen vergleichender Werbung und praktische Bedeutung | 1146 II. Chancen und funktionsbedingte Grenzen des Einsatzes vergleichender Werbung | 1148 III. Wettbewerbsrechtliche Bedenken gegenüber vergleichender Werbung | 1150 B. Historische Entwicklung | 1151 I. Im autonomen deutschen Lauterkeitsrecht | 1151 II. Harmonisierungsbedarf und Harmonisierung | 1152 C. Bedeutung der europarechtlichen Vorgaben | 1166 I. Totalharmonisierung der vergleichenden Werbung | 1166 II. Binnenkonflikte des Europarechts | 1171 D. Stellung der Regelung vergleichender Werbung innerhalb des nationalen Rechtssystems | 1189 I. Im UWG | 1189 II. Außerhalb des UWG | 1192 E. Anwendungsbereich, § 6 Abs. 1 | 1203 I. Werbung | 1203 II. Identifikation des Mitbewerbers | 1222 X
Inhaltsübersicht
III. Vergleichende Werbung und Werbevergleich | 1232 Zulässigkeitsvoraussetzungen, § 6 Abs. 2 | 1244 I. Zulässigkeits- oder Verbotskatalog in Art. 4 IrreführungsRL | 1244 II. Nicht-Umsetzung von Art. 4 lit. a, e Irreführungsrichtlinie | 1249 III. Produkte für den gleichen Bedarf oder dieselbe Zweckbestimmung, § 6 Abs. 2 Nr. 1 | 1261 IV. Sachlichkeit des Vergleichs, § 6 Abs. 2 Nr. 2 | 1276 V. Verwechslungsgefahr, § 6 Abs. 2 Nr. 3 | 1290 VI. Ausnutzung oder Beeinträchtigung des Rufes eines Kennzeichens in unlauterer Weise, § 6 Abs. 2 Nr. 4 | 1300 VII. Herabsetzung, § 6 Abs. 2 Nr. 5 | 1314 VIII. Imitationsvergleich, § 6 Abs. 2 Nr. 6 | 1327 G. Unlauterkeit und Geschäftsentscheidungsrelevanz bei vergleichender Werbung | 1337 I. Verhältnis von §§ 6 Abs. 2 und 3 Abs. 1 | 1337 II. Reichweite des Geschäftsentscheidungsrelevanzerfordernisses der UGP-Richtlinie | 1339 III. Anwendung des deutschen Rechts | 1343 H. Vergleich mit Sonderpreisen | 1343 I. Durchführung von und Werbung mit Vergleichstests | 1343 I. Durchführung bzw. Veröffentlichung der Ergebnisse von Vergleichstests | 1343 II. Werbung mit Vergleichstests | 1353 J. Beweislast | 1356 F.
§ 7 Unzumutbare Belästigungen | 1358 Schrifttum | 1359 Gesetzgebungsmaterialien | 1361 Systematische Übersicht | 1362 Alphabetische Übersicht | 1364 A. Grundlagen | 1365 I. Normzweck | 1365 II. Entstehungsgeschichte | 1367 III. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen | 1368 IV. Systematik und Konkurrenzen | 1372 B. Tatbestandsvoraussetzungen | 1376 I. Überblick | 1376 II. Geschäftliche Handlung | 1377 III. Belästigung | 1378 IV. Unzumutbarkeit | 1378 V. Der Einwilligungsvorbehalt des § 7 Abs. 1 Satz 2 | 1381 C. Sonderfälle des § 7 Abs. 1 | 1383 I. Haustürwerbung | 1383 II. Ansprechen in der Öffentlichkeit | 1391 III. Unbestellte Produkte | 1395 D. Die Verbotstatbestände des § 7 Abs. 2 und Abs. 3 | 1400 I. Grundlagen | 1400 II. Brief- und Briefkastenwerbung nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 | 1401 XI
Inhaltsübersicht
III. Telefonwerbung nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 | 1406 IV. Automatische Anrufmaschinen, Telefax- und E-Mail-Werbung (§ 7 Abs. 2 Nr. 3) | 1429 V. Verbot anonymer elektronischer Direktwerbung (§ 7 Abs. 2 Nr. 4) | 1440
XII
Abkürzungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis https://doi.org/10.1515/9783110545944-203 a.A./A.A. a.F. a.E. aaO Am. Econ. Rev. a.M. Abk. abl. ABl. (EG-ABl./ EU-ABl.) Abs. abw. AcP AEUV
AfP AG
AGB AGG AGS AktG Az. allg. allg.M. AMG Amtl.Anz. Amtl.Begr. Amtsbl. AnfG Anh. Anl. Anm. AO AöR AP App. ArchBürgR Ark. L. Rev. Art. AT Aufl. AV AVMD-RL
AWG Az.
anderer Ansicht alte Fassung am Ende am angegebenen Ort American Economic Review anderer Meinung Abkommen ablehnend Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft Absatz abweichend Archiv für die civilistische Praxis Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, konsolidierte Fassung aufgrund des am 1.12.2009 in Kraft getretenen Vertrages von Lissabon, EU-ABl. C 83/1 vom 30.3.2010 Zeitschrift für Medien- und Kommunikationsrecht (vormals: Archiv für Presserecht) 1. Aktiengesellschaft 2. Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift) 3. Amtsgericht Allgemeine Geschäftsbedingungen Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Anwaltsgebühren-Spezial Aktiengesetz Aktenzeichen allgemein allgemeine Meinung Arzneimittelgesetz Amtlicher Anzeiger Amtliche Begründung Amtsblatt Anfechtungsgesetz Anhang 1. Anlage 2. Anleitung Anmerkung 1. Abgabenordnung 2. Amtsordnung (Schleswig-Holstein) Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitsrechtliche Praxis Appendix Archiv für Bürgerliches Recht Arkansas Law Review Artikel Allgemeiner Teil Auflage Ausführungsverordnung Richtlinie 89/552/EWG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3.10.1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste, EG-ABl. L 298/23 (i.d.F. der RL 2007/65/EG vom 11.12.2007, EU-ABl. L 332/27 Außenwirtschaftsgesetz Aktenzeichen
XIII https://doi.org/10.1515/9783110545944-203
Abkürzungsverzeichnis
Baden-Württ. BAnz BAO BayObLG BayPrG BayZ BB BbgPG Bd. Bearb. BeckRS Begr. Beil. Bek. v. Bekl. ber. BerHG
BTDrucks. BVerfG BVerfGE BVerwG bzgl. bzw.
Baden-Württemberg Bundesanzeiger Bundesabgabenordnung Bayerisches Oberlandesgericht Bayerisches Pressegesetz vom 19.4.2000 Bayerische Zeitung Betriebs-Berater Pressegesetz des Landes Brandenburg vom 13.5.1993 Band Bearbeitung Beck-Rechtsprechung Begründung Beilage Bekanntmachung vom Beklagter Berichtigt Gesetz über Rechtsberatung und Vertretung für Bürger mit geringem Einkommen (Beratungshilfegesetz) Beschluss Besprechung betreffend Beurkundungsgesetz Bürgerliches Gesetzbuch vom 18.8.1896 Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof BGH-Rechtsprechung, hrsg. von den Richtern des Bundesgerichtshofes Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Bundeskartellamt Blatt Bundesministeriums der Justiz Bundespatentgericht Entscheidungen des Bundespatentgerichts Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte Mitteilungen der Bundesrechtsanwaltskammer Bundesrechtsanwaltsordnung Bundesratsdrucksache Bundessozialgericht Beispiel beispielsweise Bundessteuerblatt 1. Bundestag 2. Besonderer Teil Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht bezüglich beziehungsweise
c.i.c c.p. CD-ROM Cornell L. Rev. CR
culpa in contrahendo ceteris paribus Compact Disc – Read-Only Memory Cornell Law Review Computer und Recht
Beschl. Bespr. betr. BeurkG BGB BGBl. BGH BGHR BGHSt BGHZ BKartA Bl. BMJ BPatG BPatGE BRAGO BRAK-Mitt BRAO BRDrucks. BSG Bsp. bspw. BStBl BT
XIV
Abkürzungsverzeichnis
d.h. DatenschutzRL
DatenschutzRL-EK
DAV DB DBW ders. dies. Dipl. Diss. DJT DM DÖV DR DRiG DRiZ Drucks. DS DStR DSWR dto. DurchsetzungsRL DZWIR e.V. ebd. EBE/BGH E-CommerceRL
EDV EG EG-ABl. EGBGB EGMR EGStGB EGV EGVP ehem. Einf. einh. EinigungsstellenVO/EStVO Einl. EK-DatenschutzRL
EKMR
XV
das heißt Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.10.1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, EG-ABl. L 281/31 Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.7.2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation), EG-ABl. L 201/37 Deutscher Anwaltsverein Der Betrieb Die Betriebswirtschaft (Zeitschrift) derselbe dieselbe(n) Diplom Dissertation Deutscher Juristentag Deutsche Mark Die öffentliche Verwaltung Deutsches Recht Deutsches Richtergesetz Deutsche Richterzeitung Drucksache Der Sachverständige Deutsches Strafecht Datenverarbeitung – Steuern – Wirtschaft – Recht (Zeitschrift) dito/gleichfalls/ebenso Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 zur Durchsetzung der Rechte des Geistigen Eigentums, EU-ABl. L 157/45 Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht eingetragener Verein ebenda Eildienst Bundesgerichtliche Entscheidungen Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8.6.2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs im Binnenmarkt, EG-ABl. L 178/1 Elektronische Datenverarbeitung Europäische Gemeinschaft Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft. Konsolidierte Fassung aufgrund des Vertrags von Nizza, EG-ABl. C 325 vom 24.12.2002 Elektronisches Gerichts- und Verwaltungspostfach ehemalige Einführung Einheitlich Einigungsstellenverordnung Einleitung Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.7.2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation, EG-ABl. L 201/37 Europäische Kommission für Menschenrechte
Abkürzungsverzeichnis
EMRK endg. Entsch. EPÜ E-Register Erg. Erl. Erwgr. et al. etc. EU EU-Abl. EuBVO
EuG EuGFVO
EuGH EuGHE EuGrCh EuGVO/EuGVVO
EuGVÜ
EuInsVO EuLF EuMVVO
EuR EUV EuVTVO
EuZVO
EuZW EWiR EWR EWS exkl. f. FernabsatzRL
Europäische Konvention für Menschenrechte endgültig Entscheidung Europäisches Patentübereinkommen elektronisches Register Ergebnis Erläuterung Erwägungsgrund et alii (und andere(n)) et cetera Europäische Union Amtsblatt der Europäischen Union Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen, ABl. 2001 L 174/1 Europäisches Gericht Erster Instanz Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen, ABl. 2007, L 199/1 Europäischer Gerichtshof Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs Europäische Grundrechtecharta Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivilund Handelssachen, ABl. 2001 L 12/1 Brüsseler Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, BGBl. 1972 II 774 Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren, ABl. 2000 L 160/1 European Law Forum Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens, ABl. 2006 L 399/1 Europarecht Vertrag über die Europäische Union. Konsolidierte Fassung aufgrund des Vertrags von Amsterdam, EG-ABl. C 340 vom 10.11.1997 Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen, ABl. 2004 L 143/15. Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten („Zustellung von Schriftstücken“) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates, ABl. 2007 L 324/79 Europäische Zeitung für Wirtschaftsrecht Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäischer Wirtschaftsraum Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht exklusive folgende (Seite) Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.5.1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, EG-ABl. L 144/19 (i.d.F. der RL 2007/64/EG vom 13.11.2007, EU-ABl. L 319/1)
XVI
Abkürzungsverzeichnis
FernsehRL 1989
FernsehRL 2007
ff. Fn. FPStatG FS G GA GATT GBl. GbR GebrMG gem. Geo L.J. GeschMG GewA GewO GewStG GG ggf. GK GKG GmbH GmbHG GmbHR GmS-OGB GoA GPR Grds; grds GRUR GRUR Int. GRUR-Prax GRUR-RR GrZS GS GSZ GVBl GVG GVOBl. GWB Halbbd. HandelsR Harv. L. Rev. HBÜ Hdb.
XVII
Richtlinie 89/552/EWG des Rates vom 3.10.1989 zur Koordinierung bestimmter Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, EG-ABl. L 298 Richtlinie 2007/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.12.2007 zur Änderung der Richtlinie 1989/552/EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, EU-ABl. L 332/27 folgende (Seiten) Fußnote Finanz- und Personalstatistikgesetz Festschrift Gesetz Goltdamnmer’s Archiv für Strafrecht General Agreement on Tariffs and Trade Gesetzblatt Gesellschaft bürgerlichen Rechts Gebrauchsmustergesetz vom 28.8.1986 gemäß Georgetown Law Journal Gesetz über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen vom 12.3.2004 Gewerbearchiv Gewerbeordnung Gewerbesteuergesetz Grundgesetz gegebenenfalls Großkommentar Gerichtskostengesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes Geschäftsführung ohne Auftrag Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht Grundsatz; grundsätzlich Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht/Internationaler Teil Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht/Praxis im Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht/Rechtsprechungsreport Großer Zivilsenat des RG oder des BGH Gedächtnisschrift Großer Senat für Zivilsachen Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz- und Verordnungsblatt Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Halbband Handelsrecht Harvard Law Review Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- und Handelssachen vom 18.3.1970 (Haager Beweisaufnahmeübereinkommen) Handbuch
Abkürzungsverzeichnis
Health-Claims-VO
HGB HGrG hL h.M. HPresseG HRR HRRS hrsg. v. Hrsg. Hs./Hs HTML http HWG HWiG HZPÜ HZÜ
i.d.F. i.d.R. i.e. i.E. i.e.S. i.S.d. i.S.v. i.V.m. i.w.S. ICANN ICC IHK IHKG IHKVO insbes. IPR IrreführungsRL
IrreführungsRL 1984
IrreführungsRL 1997
IrreführungsRL 2006 IT IZVR
Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.12.2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel, EU-ABl. L 12/3 vom 18.1.2007 (i.d.F. der VO vom 30.7.2009, EU-ABl. L 198/87) Handelsgesetzbuch Haushaltsgrundsätzegesetz herrschende Lehre herrschende Meinung Hessisches Pressegesetz vom 12.12.2003 Höchstrichterliche Rechtsprechung Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht herausgegeben von Herausgeber Halbsatz Hypertext Markup Language hypertext transfer protocol Heilmittelwerbegesetz Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften Haager Übereinkommen über den Zivilprozess vom 1.3.1954 Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 15.11.1965 in der Fassung in der Regel id est (das heißt) im Ergebnis im engeren Sinne im Sinne des im Sinne von in Verbindung mit im weiteren Sinne Internet Corporation for Assigned Names and Numbers Intergovernmental Copyright Committee Industrie- und Handelskammer Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern Verordnung über die Industrie- und Handelskammern der DDR insbesondere Internationales Privatrecht Richtlinie 2006/114/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 über irreführende und vergleichende Werbung (kodifizierte Fassung), EU-ABl. L 376/21 Richtlinie 84/450/EWG des Rates vom 10.9.1984 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung, EG-ABl. L 250/17 Richtlinie 84/450/EWG des Rates vom 10.9.1984 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung, i.d.F. der Änderung durch die Richtlinie 97/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6.10.1997 zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der vergleichenden Werbung, EG-ABl. L 290/18 Richtlinie 2006/114/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 über irreführende und vergleichende Werbung (kodifizierte Fassung), EU-ABl. L 376/21 Informations- und Telekommunikationstechnologie Internationales Zivilverfahrensrecht
XVIII
Abkürzungsverzeichnis
J. Competition L. & Econ JEP J.L. & Econ. J.L. Econ. & Org. JA JBl. JMBl. JMStV JNSt JR JurA JURA JuS JVEG JW JZ K&R Kap. Kart Kfm. Kfz KG KGaA KOM (2003) 356 endg.
KOM (2005) 646
KosmetikRL
krit. LFBG LG lit. LM LMG RheinlandPfalz LPrG M-V LS Ltd. LugÜ
LZ
XIX
Journal of competition Law and Economics Journal of Economic Perspectives Journal of Law & Economics Journal of Law, Economics & Organization Juristische Arbeitsblätter Justizblatt Justizministerialblatt Jugendmedienschutzstaatsvertrag Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik Juristische Rundschau Juristische Analysen Juristische Ausbildung Juristische Schulung Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Kommunikation und Recht Kapitel Kartellsenat Kaufmann Kraftfahrzeug 1. Kammergericht 2. Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien KOM (2003) 356 endgültig: Vorschlag für eine Richtline des Europäischen Parlaments und des Rates über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinien 84/450/EWG, 97/7/EG und 98/27/EG (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken), SEC (2003) 724 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 89/552/EWG des Rates zur Koordinierung über die Ausübung der Fernsehtätigkeit Richtlinie 76/768/EWG des Rates vom 27.7.1976 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über kosmetische Mittel, EG-ABl. L 262/169 (i.d.F. der RL 2000/129 und 130 vom 9./12.10.2009, EU-ABl. L 268/5) kritisch Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch Landgericht littera Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofes, hrsg. v. Lindemaier, Möhring u.a. Landesmediengesetz Rheinland-Pfalz vom 4.2.2005 Landespressegesetz für das Land Mecklenburg-Vorpommern vom 6.6.1993 1. Landessatzung 2. Leitsatz Private Company Limited by Shares Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30. Oktober 2007 (Lugano-Übereinkommen), ABl. 2009 L 147/5 Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht
Abkürzungsverzeichnis
M. m. M&A MA m. Anm. MarkenG MarkenR MarkenrechtsRL
MarkenrechtsRL 1989
Meinung mit Mergers & Acquisitions Der Markenartikel mit Anmerkung Markengesetz Markenrecht Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.10.2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (kodifizierte Fassung), EU-ABl. L 299/25
m.a.W. m. Bespr. MBl. MD MDR MdSt MediationsG MitbestG Mitt. MittdtschPatAnw MiZi MMR Mod. MuW m.w.N. m.W.v.
Erste Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21.12.1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken, EG-ABl. L 40/1 vom 11.2.1989 mit anderen Worten mit Besprechung Ministerialblatt Magazindienst des Verbandes Sozialer Wettbewerb Monatsschrift für Deutsches Recht Mediendienstestaatsvertrag Mediationsgesetz Mitbestimmungsgesetz Mitteilungen Mitteilungen der deutschen Patentanwälte Mitteilungen in Zivilsachen Multimedia und Recht (Tatbestands-)Modalität Markenschutz und Wettbewerb mit weiteren Nachweisen mit Wirkung vom
n.F. n.v. Nachw. NJ NJOZ NJW NJW-CoR NJWE-WettbR NJW-RR Nr. NRW NStZ NVwZ NVwZ-RR NZG
neue Fassung nicht veröffentlicht Nachweise Neue Justiz Neue Juristische Online Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift Computerreport NJW-Entscheidungsdienst Wettbewerbsrecht Neue Juristische Wochenschrift, Rechtssprechungsreport Nummer Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Rechtsprechungssammlung der Neuen Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht
o. o.ä. OHG ÖJZ OLG OLGR ÖOGH Öst./öst. ÖUWG
oben oder ähnliches Offene Handelsgesellschaft Österreichische Juristenzeitung Oberlandesgericht OLG-Report: Zivilrechtsprechung der Oberlandesgerichte Österreichischer Oberster Gerichtshof Österreich/österreichisch Österreichisches Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb
XX
Abkürzungsverzeichnis
OVG OWiG ÖZW
Oberverwaltungsgericht Ordnungswidrigkeitengesetz Österreichische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
PAngV PatG PDF PKH PreisangabenRL
Verordnung zur Regelung der Preisangaben Patentgesetz portable document format (Dateiformat) Prozesskostenhilfe Richtlinie 98/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.2.1998 über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise der ihm angebotenen Erzeugnisse, EG-ABl. L 80/27
ProduktsicherheitsRL ProdHaftG PrPG PublG PucheltsZ RabattG RabelsZ RBerG RDG Rdsch. RefE RegBegr RegE RegTP RfÄStV RfStV RG RGBl RGSt RGZ RiStBV RIW RL RL Vergleichende Werbung 1997 Rn. Rom I-VO
Rom II-VO
RpflG Rs. Rspr. RStV RVG Rz.
XXI
Richtlinie 2001/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3.12.2001 über die allgemeine Produktsicherheit, EG-ABl. L 11/4 vom 15.1.2002 Produkthaftungsgesetz Gesetz zur Stärkung des Schutzes geistigen Eigentums und zur Bekämpfung der Produktpiraterie Publizitätsgesetz Zeitschrift für französisches Zivilrecht Rabattgesetz Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Rechtsberatungsgesetz Rechtsdienstleistungsgesetz Rundschau Referentenentwurf Regierungsbegründung Regierungsentwurf Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post Rundfunkänderungsstaatsvertrag Rundfunkstaatsvertrag 1. Reichgericht 2. Reichsgesetz Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren Recht der Internationalen Wirtschaft Richtlinie Richtlinie 97/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6.10.1997 zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der vergleichenden Werbung, EG-ABl. L 290/18 Randnummer Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom I“), ABl. 2008 L 177/6 Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.7.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), ABl. 2007 L 199/40 Rechtspflegergesetz Rechtssache Rechtsprechung Rundfunkstaatsvertrag Rechtsanwaltsvergütungsgesetz Randziffer/Randzahl
Abkürzungsverzeichnis
S. s. s.a. SchwUWG sc. S.Ct. SE Slg. SMG sog. Sp. StabG StGB StPO Str. stRspr StV s.u. TabakwerbeRL
TB-Merkmale TDG Teilbd. teilw. TKG TRIPS Tul. L. Rev. Tz. u. u.ä. u.a. U. Chi. L. Rev. UG UGPRL
UKlaG UmwG unstr. Unterabs. UrhG Urt. URV US usf.
1. Satz 2. Seite(n) siehe siehe auch Schweizerisches Bundesgesetz über den unlauteren Wettbewerb scilicet (das heißt, ergänze) Supreme Court Societas Europaea – Europäische Gesellschaft Sammlung Saarländisches Mediengesetz vom 27.2.2002 sogenannte Spalte(n) Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft Strafgesetzbuch Strafprozessordnung strittig ständige Rechtsprechung Staatsvertrag siehe unten Richtlinie 2003/33/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.5.2003 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen, EU-ABl. L 152/16, berichtigt im EU-ABl. L 67/34 vom 5.3.2004 Tatbestandsmerkmale Gesetz über die Nutzung von Telediensten – Teledienstegesetz Teilband teilweise Telekommunikationsgesetz Trade related aspects of intellectual property rights (Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums) Tulane Law Review Teilziffer und und ähnliches unter anderem University of Chicago Law Review Unternehmergesellschaft Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.5.2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken), EU-ABl. L 149/22 Unterlassungsklagengesetz Umwandlungsgesetz unstrittig Unterabsatz Urheberrechtsgesetz Urteil Verordnung über das Unternehmensregister United States und so fort
XXII
Abkürzungsverzeichnis
u.U. UWG UWG 1896 UWG 1909 UWG 1932 UWG 1940 UWG 1957
UWG 1969 UWG 1986
UWG 1994 UWG 2000 UWG 2004
v. Var. VerbrKrG Verf. VersR Vertikal-GVO VertriebsR vgl. v.H. VO VWGmbHÜG Voraufl. Vorb. VStS VuR VwGO VwVfG VwZG WappenVO weit. WettbR WHO WiKG WIPO WIR WiSachvRG WiStG
XXIII
unter Umständen Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb in der Fassung der Bekanntmachung vom 3.3.2010, BGBl. I 254 Gesetz zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs vom 27.5.1896, RGBl I 145 = GRUR 1896, 178 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom 7.6.1909, RGBl I 499 UWG in der Fassung der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze der Wirtschaft vom 9.3.1932, RGBl I 121 UWG in der Fassung der Verordnung zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 8.3.1940, RGBl I S. 480 UWG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, des Gesetzes über das Zugabewesen und des Rabattgesetzes vom 11.3.1957, BGBl. I 172 UWG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 26.6.1969, BGBl. I 633 UWG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung wirtschafts-, verbraucher- arbeitsund sozialrechtlicher Vorschriften vom 25.7.1986, BGBl. I 1169, berichtigt 1987 BGBl. I 565 UWG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 25.7.1994, BGBl. I 1738 („kleine UWG-Novelle“) UWG in der Fassung des Gesetzes zur vergleichenden Werbung und zur Änderung wettbewerblicher Vorschriften vom 1.9.2000, BGBl. I 1374 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb in der Fassung der Bekanntmachung vom 3.7.2004, BGBl. I 1414 („UWG-Modernisierung“) von/vom Variante Verbraucherkreditgesetz Verfasser Zeitschrift für Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen Vertriebsrecht vergleiche von Hundert Verordnung Gesetz über die Überführung der Anteilsrechte an der Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung in private Hand Vorauflage Vorbemerkung Vereinigte Strafsenate Verbraucher und Recht Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Verwaltungszustellungsgesetz Wappenverordnung weitere(n) Wettbewerbsrecht Weltgesundheitsorganisation Das zweite Gesetz zur Bekämpfung der Wirschaftskriminalität vom 15.5.1986 World Intellectual Property Organization Wirtschaftsrecht Gesetz über die Bildung eines Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Wirtschaftsstrafgesetz
Abkürzungsverzeichnis
wistra WiVerw WM WpAIV WpHG WpÜG WRP WRV WTO WuW www WZG
Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Wirtschaft und Verwaltung – Vierteljahresbeilage zum Gewerbearchiv Wertpapier-Mitteilungen Wertpapierhandelsanzeige- und Insiderverzeichnisverordnung Wertpapierhandelsgesetz Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz Wettbewerb in Recht und Praxis Weimarer Reichsverfassung World Trade Organization Wirtschaft und Wettbewerb world wide web Warenzeichengesetz
Yale L.J.
Yale Law Journal
Z z.B. ZAW ZBH ZEuP ZfB ZfbF ZfRV ZGE ZGR ZHR Ziff. ZIP ZIS zit. ZPO ZR ZRP ZS ZStW z.T. ZugabeVO ZUM ZUM-RD zust. ZVglRWiss ZVP ZZP ZZP Int.
(in Zusammenhängen) Zeitschrift, Zeitung, Zentralblatt zum Beispiel Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft e.V. Zentralblatt für Handelsrecht Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Betriebswirtschaft Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung Zeitschrift für Rechtsvergleichung, Internationales Privatrecht und Europarecht Zeitschrift für Geistiges Eigentum Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für internationale Strafrechtsdogmatik zitiert Zivilprozessordnung Zivilrecht Zeitschrift für Rechtspolitik Zivilsenat Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft zum Teil Zugabeverordnung Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht/Film und Recht Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht – Rechtsprechungsdienst Zustimmend Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Verbraucherpolitik Zeitschrift für Zivilprozess Zeitschrift für Zivilprozess International
XXIV
Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur
Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur https://doi.org/10.1515/9783110545944-204
Achenbach/Ransiek/ Bearbeiter Ackermann Ahrens, Wettbewerbsrecht Ahrens, Wettbewerbsverfahren Ahrens/Bearbeiter
Achenbach/Ransiek (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, Heidelberg, München, Landsberg, Berlin, 5. Aufl. 2019 Ackermann, Wettbewerbsrecht, Heidelberg, 1997 Ahrens, Cl., Wettbewerbsrecht, Berlin, 2006 Ahrens, Wettbewerbsverfahrensrecht, Köln, Berlin, Bonn, München, 1983
Ahrens (Hrsg.), Der Wettbewerbsprozess, Köln, 8. Aufl. 2017 (bis zur 3. Auflage Pastor) Ahrens/Spätgens Ahrens/Spätgens, Einstweiliger Rechtsschutz und Vollstreckung in UWG-Sachen, Köln, 4. Aufl. 2001 Ann/Loschelder/Grosch Ann/Loschelder/Grosch, Praxishandbuch Know-how-Schutz, Köln, 2010 Anweiler Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, Frankfurt, 1997 AnwKommStGB/Bearbeiter Leipold/Tsambikakis/Zöller (Hrsg.), Anwaltkommentar StGB, Bonn, 2. Aufl. 2015 Bamberger/Roth/Hau/Poseck/ Bamberger/Roth/Hau/Poseck, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bearbeiter München, 4. Aufl. 2019 (bis zur 3. Aufl. Bamberger/Roth) Baudenbacher Baudenbacher, Lauterkeitsrecht, Basel, 2001 Baumbach/Hefermehl Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 20. Aufl. 2001 Baumbach/Lauterbach/ Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung: ZPO, Albers/Hartmann München, 77. Aufl. 2019 Beater Beater, Unlauterer Wettbewerb, Tübingen, 2011 Bechtold/Bosch, GWB Bechtold/Bosch, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen: GWB, München, 9. Aufl. 2018 (bis zur 7. Aufl. Bechtold) Bechtold/Bosch/Brinker Bechtold/Bosch/Brinker, EU-Kartellrecht, München, 3. Aufl. 2014 BeckOK-BGB/Bearbeiter Bamberger/Roth/Hau/Poseck (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar BGB, Stand: 1.2.2019 BeckOK-UWG Fritzsche/Münker/Stollwerck (Hsg.), Beck’scher Online-Kommentar UWG, Stand: 1.1.2019 Bender, Europ. MarkenR Bender, Europäisches Markenrecht, Köln, 2008 Benkard/Bearbeiter Benkard, Patentgesetz, München, 11. Aufl. 2015 Berlit, Wettbewerbsrecht Berlit, Wettbewerbsrecht, München, 10. Aufl. 2017 Berneke/Schüttpelz Berneke/Schüttpelz, Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, München, 4. Aufl. 2018 (bis zur 2. Aufl. Berneke) Beucher/Leyendecker/ Beucher/Leyendecker/von Rosenberg, Mediengesetze – Rundfunk, von Rosenberg Mediendienste, Teledienste. Kommentar, München, 1999 Binder/Vesting/Bearbeiter Binder/Vesting, Beck’scher Kommentar zum Rundfunkrecht, München, 4. Aufl. 2018 (bis zur 3. Aufl. Hahn/Vesting) Boesche Boesche, Wettbewerbsrecht, Heidelberg, 5. Aufl. 2016 Borck, Wettbewerbssachen Borck, Die anwaltliche Praxis in Wettbewerbssachen, Stuttgart, 1992 Brömmelmeyer Brömmelmeyer, Internetwettbewerbsrecht, Tübingen, 2007 Internetwettbewerbsrecht Büchting/Heussen S. Heussen/Hamm/Bearbeiter Buck Buck, Über die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft, Frankfurt, 1997 Bühring Bühring, Gebrauchsmustergesetz, Köln, 8. Aufl. 2011 Bunte/Stancke Bunte/Stancke, Kartellrecht, München, 3. Aufl. 2016 (bis zur 2. Aufl. Bunte) Büscher/Bearbeiter Büscher, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, Köln, 2019 Büscher/Dittmer/Schiwy Büscher/Dittmer/Schiwy (Hrsg.), Gewerblicher Rechtsschutz, Urheberrecht, Medienrecht, Köln, 4. Aufl. 2019 Buschle Buschle, Kommunikationsfreiheiten in den Grundrechten und Grundfreiheiten des EG-Vertrages, Köln, 2004 Busse/Bearbeiter Busse/Keukenschrijver (Hrsg.), Patentgesetz, Berlin, 8. Aufl. 2016
XXV https://doi.org/10.1515/9783110545944-204
Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur
Calliess/Ruffert Callmann Canaris, Handelsrecht Cendon Dederichs Dreier/Schulze, UrhR Dethloff Drexl Ehlers Ehmann/Selmayr/Bearbeiter DSGVO Eichmann/v. Falckenstein/ Kühne Ekey, Grundriss Ekey/Bender/FuchsWissemann, MarkenR Ekey/Klippel/Kotthoff/ Meckel/Plaß Emmerich, Kartellrecht Emmerich, Unlauterer Wettbewerb Erbs/Kohlhaas/Bearbeiter Erman/Bearbeiter Fezer/Büscher/Obergfell/ Bearbeiter Fezer, Markenrecht Fischer FK-GWB Fritzsche, Unterlassungsanspruch Geiger/Khan/Kotzur, EUV, AEUV Glöckner, Europäisches Lauterkeitsrecht Gloy/Loschelder/Danckwerts/ Bearbeiter Groß/Rohrer, Lizenzgebühren Götting/Kaiser, Wettbewerbsrecht Götting, Gewerblicher Rechtsschutz Götting/Nordemann/ Bearbeiter Grabenwarter/Pabel Graf Lambsdorff Groeben/Schwarze/Hatje
Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV Kommentar, München, 5. Aufl. 2016 Callmann, Der Unlautere Wettbewerb. Kommentar, Mannheim/Berlin/ Leipzig, 2. Aufl. 1932 Canaris, Handelsrecht, München 24. Aufl. 2006 Cendon/Pasquinelli (Hrsg.), Commentario al Codice civile, Band 5, 2, Mailand, 2011 Dederichs, Die Methodik des EuGH, Baden-Baden, 2004 Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, München, 6. Aufl. 2018 Dethloff, Die Europäisierung des Wettbewerbsrechts, Tübingen, 2001 Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, Tübingen, 1998 Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, Berlin, 4. Aufl. 2015 Ehmann/ Selmayr (Hrsg.), Datenschutz- Grundverordnung, München, 2. Aufl. 2018 Eichmann/v. Falckenstein/Kühne, Geschmacksmustergesetz, München, 5. Aufl. 2015 (bis zur 4. Aufl. Eichmann/v. Falckenstein) Ekey, Grundriss des Wettbewerbs- und Kartellrechts, Heidelberg, 5. Aufl. 2016 Ekey/Bender/Fuchs-Wissemann, Markenrecht, Band 1, Markengesetz und Markenrecht ausgewählter ausländischer Staaten (Heidelberger Kommentar), Heidelberg, 3. Aufl. 2015 (bis zur 2. Aufl. Ekey/Klippel/Bender) Ekey/Klippel/Kotthoff/Meckel/Plaß (Hrsg.), Heidelberger Kommentar zum Wettbewerbsrecht, Heidelberg, 2. Aufl. 2005 Emmerich, Kartellrecht, München, 14. Aufl. 2018 Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, München, 10. Aufl. 2016 Erbs/Kohlhaas (Hrsg.), Strafrechtliche Nebengesetze, Kommentar, München, 221. Lieferung, Stand: August 2018 Erman, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, Köln, 15. Aufl. 2017 Fezer/Büscher/Obergfell (Hrsg.), Lauterkeitsrecht: UWG, Kommentar zum Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, München, 3. Aufl. 2016 (bis zur 2. Aufl. Fezer) Fezer, Markenrecht, München, 5. Aufl. 2019 Fischer, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, München, 66. Aufl. 2019 Jaeger u.a. (Hrsg.), Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, Frankfurt, 92. Ergänzungslieferung 2019 Fritzsche, Unterlassungsanspruch und Unterlassungsklage, Berlin, Heidelberg, 2000 Geiger/Khan/Kotzur (Hrsg.), EUV, AEUV (Kommentar), München, 6. Aufl. 2017 Glöckner, Europäisches Lauterkeitsrecht, 2006 Gloy/Loschelder/Danckwerts (Hrsg.), Handbuch des Wettbewerbsrechts, München, 5. Aufl. 2019 (bis zur 4. Aufl. Gloy/Loschelder/Erdmann) Groß/ Rohrer, Lizenzgebühren, Frankfurt, 3. Aufl. 2012 Götting/Kaiser, Wettbewerbsrecht, München, 2. Aufl. 2016 Götting, Gewerblicher Rechtsschutz, München, 10. Aufl. 2014 Götting/Nordemann, UWG, Handkommentar, Baden-Baden, 3. Aufl. 2016 Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, München, 6. Aufl. 2016 (bis zur 4. Aufl. Grabenwarter) Graf Lambsdorff, Handbuch des Wettbewerbsverfahrensrechts, Köln, 2000 von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die
XXVI
Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur
Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Baden-Baden, 7. Aufl. 2015 Hacker Hacker, Markenrecht, Köln, 4. Aufl. 2016 Hahn/Vesting/Bearbeiter S. Binder/Vesting/Bearbeiter Haratsch/Koenig/Pechstein Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Tübingen, 11. Aufl. 2018 Harte/Henning/Bearbeiter Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), Kommentar, München, 4. Aufl. 2016 Härting Härting, Internetrecht, Köln, 6. Aufl. 2017 Hartstein/Ring/Kreile/ Rundfunkstaatsvertrag – Kommentar zum Staatsvertrag Rundfunk und Herdegen, Europarecht Herdegen, Europarecht, München, 20. Aufl. 2018 Dörr/Stettner/Cole Telemedien (RStV) und zum Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV), München, 77. Ergänzungslieferung, Stand: Januar 2019 Hasselblatt, AnwHandbuch Hasselblatt (Hrsg.), Münchener Anwaltshandbuch Gewerblicher Rechtsschutz, München, 5. Aufl. 2017 Hatje Hatje, Wirtschaftswerbung und Meinungsfreiheit, Baden-Baden, 1993 Hecker, Strafbare Hecker, Strafbare Produktwerbung im Lichte des Gemeinschaftsrechts: Produktwerbung Europäisierung des deutschen Täuschungsschutzstrafrechts am Beispiel des Lebensmittel-, Wettbewerbs- und Betrugsstrafrechts, Tübingen, 2001 Henning-Bodewig Henning-Bodewig, Unfair Competition Law, European Union and Member Unfair Competition States, The Hague, 2006 Heussen/Hamm/Bearbeiter Heussen/Hamm, Beck’sches Rechtsanwalts-Handbuch, München, 11. Aufl. 2016 (bis zur 10. Aufl. Büchting/Heussen) Hilty/Henning-Bodewig, Hilty/Henning-Bodewig (Hrsg.), Lauterkeitsrecht und Acquis CommunauLauterkeitsrecht taire, 2009 Himmelsbach Himmelsbach (Hrsg.), Beck’sches Mandatshandbuch Wettbewerbsrecht, München, 4. Aufl. 2014 HK-BGB/Bearbeiter Schulze u.a., Handkommentar Bürgerliches Gesetzbuch, Baden-Baden, 10. Auflage 2019 Hoeren/Sieber/Holznagel/ Hoeren/Sieber/Holznagel (Hrsg.), Handbuch Multimedia-Recht, München, Bearbeiter 47. Aufl., Oktober 2018 (bis zur 32. Aufl. Hoeren/Sieber) Immenga/Mestmäcker Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 1 und 2, München, 6. Aufl. 2019 Ingerl/Rohnke Ingerl/Rohnke, Markengesetz, München, 3. Aufl. 2010 Jauernig/Bearbeiter Jauernig (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, München, 17. Aufl. 2018 Jestaedt Jestaedt, Wettbewerbsrecht, Köln, 2008 Jochum, Europarecht Jochum, Europarecht, Stuttgart, 3. Aufl. 2018 Joller Joller, Verwechslungsgefahr im Kennzeichenrecht, Bern, 2000 juris-PK/Bearbeiter Ullmann, juris-Praxiskommentar UWG, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, Saarbrücken, 4. Aufl. 2016 Kehl Kehl, Wettbewerbsrecht, 1990 Kilian/Wendt, Europäisches Kilian/Wendt, Europäisches Wirtschaftsrecht, München, 6. Aufl. 2017 Wirtschaftsrecht (bis zur 4. Aufl. Kilian) Kling/Thomas Kling/Thomas, Grundkurs Wettbewerbs- und Kartellrecht, München, 2004 Kling/Thomas, Kartellrecht Kling/Thomas, Kartellrecht, München, 2. Aufl. 2016 Koenig/Schreiber Koenig/Schreiber, Europäisches Wettbewerbsrecht, Stuttgart, 2010 Kohler Kohler, Der unlautere Wettbewerb. Darstellung des Wettbewerbsrechts, Berlin, 1914. Köhler/Bornkamm/Feddersen Köhler/Bornkamm/Feddersen, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb: UWG – PAngV – UKlaG, München, 37. Aufl. 2019 Köhler/Piper S. Ohly/Sosnitza Koos/Menke/Ring Koos/Menke/Ring (Hrsg.), Praxis des Wettbewerbsrechts, Köln, 2009 Koppensteiner, Koppensteiner, Österreichisches und Europäisches Wettbewerbsrecht, Wettbewerbsrecht Wien, 4. Aufl. 2012 Kraft, Interessenabwägung Kraft, Interessenabwägung und gute Sitten im Wettbewerbsrecht, 1963 XXVII
Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur
Kraßer/Ann, PatR Kühnen Patentverletzung Lange Lange/Schiemann, Schadensersatz Lange/Spätgens Langen/Bunte Larenz/Canaris, SchR II/2 Lehmler Lehr LeipzigerKommStGB/ Bearbeiter Leistner, Richtiger Vertrag Lettl Lettl, Das neue UWG Lettl, Der lauterkeitsrechtliche Schutz Lobe (Bd.)
Loewenheim/Meessen/ Riesenkampff/Kersting Meyer-Lindemann Löffler/Bearbeiter Löffler/Ricker Matutis Maunz/Dürig/Bearbeiter Melullis Mes, PatG Mestmäcker/Schweitzer Möschel, Pressekonzentration Möschel/Wagner-v. Papp Wettbewerbsbeschränkungen MünchKommBGB/Bearbeiter MünchKommKartR/Bearbeiter MünchKommStGB/Bearbeiter MünchKommUWG/Bearbeiter MünchKommZPO/Bearbeiter Musielak/Bearbeiter NomosKommentarBGB/ Bearbeiter
Kraßer/Ann, Patentrecht, München 7. Aufl. 2016 Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, Köln 11. Aufl. 2019 Lange, Marken- und Kennzeichenrecht, München, 2. Aufl. 2012 Schadensersatz, Tübingen 3. Aufl. 2003 Lange/Spätgens, Rabatte und Zugaben im Wettbewerb, München, 2001 Langen/Bunte, Kartellrecht, Band 1: Deutsches Kartellrecht, Band 2: Europäisches Kartellrecht, Köln, 13. Aufl. 2018 Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Band II, Halbband 2, München 13. Aufl. 1994 Lehmler, Kommentar zum Wettbewerbsrecht – UWG, Köln, 2007 Lehr, Wettbewerbsrecht, Heidelberg, 3. Aufl. 2007 Laufhütte/Rissing-van Saan/Tiedemann (Hrsg.), Leipziger Kommentar StGB, Berlin, 12. Aufl., Band 1, 2007; Band 2, 2006; Band 6, 2010; Band 10, 2008 Leistner, Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb, Tübingen, 2007 Lettl, Wettbewerbsrecht, München, 3. Aufl. 2016 Lettl, Das neue UWG, München, 2004 Lettl, Der lauterkeitsrechtliche Schutz vor irreführender Werbung in Europa, München, 2004 Lobe, Die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs, Bd. I, Der unlautere Wettbewerb als Rechtsverletzung (1907), Bd. III, Materialien des Gesetzes zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs, 1907 Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann (Hrsg.), Kartellrecht, München, 3. Aufl. 2016 (bis zur 2. Aufl. Loewenheim/ Meessen/Riesenkampff) Löffler, Presserecht, Kommentar, fortgeführt von Wenzel und Sedlmaier, München, 6. Aufl. 2015 Löffler/Ricker, Handbuch des Presserechts, München, 6. Aufl. 2012 Matutis, UWG Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, Berlin, 2. Aufl. 2009 Maunz/Dürig (Begr.) Grundgesetz Kommentar, München, 84. Ergänzungslieferung, August 2018 Melullis, Handbuch des Wettbewerbsprozesses, Köln, 3. Aufl. 2000 Mes, Patentgesetz, Gebrauchsmustergesetz, München 4. Aufl. 2015 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, München, 3. Aufl. 2014 Möschel, Pressekonzentration und Wettbewerbsgesetz, Tübingen, 1978 Möschel/Wagner-v. Papp, Kartellrecht: Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, Köln, 2. Aufl. 2019 (1. Aufl. Möschel) Rebmann/Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, München, 8. Aufl. 2018 ff. Hirsch/Montag/Säcker (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Europäischen und Deutschen Wettbewerbsrecht (Kartellrecht), München, 2. Aufl. 2015 ff. Joecks/Miebach (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Nebenstrafrecht II, München, 3. Aufl. 2016 ff. Heermann/Hirsch (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Lauterkeitsrecht (UWG), München, 2. Aufl. 2014 Rauscher/Wax/Wenzel (Hrsg.), Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, München, 5. Aufl. 2016 ff. Musielak (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung: ZPO, München, 16. Aufl. 2019 Dauner-Lieb/Heidel/Ring (Hrsg.), Nomos Kommentar BGB, 6 Bde., Baden-Baden, 2016 ff.
XXVIII
Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur
Nirk/Kurtze Nordemann Oetker/Bearbeiter HGB Ohly, Richterrecht und Generalklausel Ohly/Sosnitza Oppermann/Classen/ Nettesheim Palandt/Bearbeiter Pastor Pastor, Wettbewerbsprozess Prütting/Gehrlein Prütting/Wegen/Weinreich/ Bearbeiter (PWW) Reimer Rescigno RGRK/Bearbeiter
Rickert Riesenhuber Rittner/Dreher Rittner/Dreher/Kulka Rosenthal Rosenthal, 8. Aufl. Roxin, AT I Sambuc S/S/W, StGB Säcker/Wolf, Fallbuch Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht Schenk Schlesinger Schmidt-Kessel/Schubmehl/ Bearbeiter Scholz/Bearbeiter, GmbHG Schotthöfer Schönke/Schröder/ Bearbeiter Schünemann, Wettbewerbsrecht
XXIX
Nirk/Kurtze, Wettbewerbsstreitigkeiten, München, 2. Aufl. 1992 Nordemann, Wettbewerbsrecht, Markenrecht, Baden-Baden, 11. Aufl. 2012 Oetker (Hrsg.), Handelsgesetzbuch, München 5. Aufl. 2017 Ohly, Richterrecht und Generalklausel im Recht des unlauteren Wettbewerbs, Köln, 1997 Ohly/Sosnitza, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, München, 7. Auflage 2016 (bis zur 3. Aufl. Köhler/Piper) Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, München, 8. Aufl. 2018 Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch: BGB, München, 78. Aufl. 2019 Pastor, Die Unterlassungsvollstreckung nach § 890 ZPO, Die Zwangsvollstreckung von Unterlassungstiteln, 3. Aufl. 1982 S. Ahrens/Bearbeiter Prütting/Gehrlein (Hrsg.), ZPO-Kommentar, Köln, 11. Aufl. 2019 Prütting/Wegen/Weinreich (Hrsg.), BGB Kommentar, München, 14. Aufl. 2019 Reimer, Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht, Köln, 4. Aufl. 1972 Rescigno (Hrsg.), Codice civile, Mailand, 9. Aufl. 2014 BGB – RGRK Das Bürgerliche Gesetzbuch mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofes, Kommentar, Hrsg.: Mitglieder des Bundesgerichtshofes, Berlin/New York, 12. Aufl. 1974 Rickert, Grundrechtsgeltung bei der Umsetzung europäischer Richtlinien in innerstaatliches Recht, Berlin, 1997 Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, Berlin, 3. Aufl. 2015 Rittner/Dreher, Europäisches und deutsches Wirtschaftsrecht, Heidelberg, 3. Aufl. 2007 Rittner/Dreher/Kulka, Wettbewerbs- und Kartellrecht, Heidelberg, 8. Aufl. 2014 Rosenthal, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (bearb. von Leffmann), Berlin/Frankfurt/M., 9. Aufl. 1969 Rosenthal, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, Berlin, 8. Aufl. 1930 Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teilband I, München, 4. Aufl. 2006 Sambuc, Der UWG-Nachahmungsschutz, München, 1996 Satzger/Schluckebier/Widmaier (Hrsg.), Strafgesetzbuch: StGB, Kommentar, Köln, 4. Aufl. 2019 Säcker/Wolf, Kartellrecht in Fällen, München, 2. Aufl. 2019 Schack, Urheber und Urhebervertragsrecht, Tübingen 8. Aufl. 2017 Schenk, Die markenrechtliche Schutzfähigkeit von Zeichen aus empirischer und sprachwissenschaftlicher Sicht, Köln, 2006 Schlesinger (Hrsg.), Il foro italiano/Codice civile, Bologna/Rom, 3. Aufl. 2010 Schmidt-Kessel/Schubmehl (Hrsg.), Lauterkeitsrecht in Europa. Eine Sammlung von Länderberichten zum Recht gegen unlauteren Wettbewerb, München, 2011 Scholz (Hrsg.), Kommentar zum GmbH-Gesetz, Band 3, Köln, 12. Aufl. 2019 Schotthöfer, Handbuch des Werberechts in den EU-Staaten, Köln, 2. Aufl. 1997 Schönke/Schröder (Hrsg.), Strafgesetzbuch Kommentar, München, 30. Aufl. 2019 Schünemann, Wettbewerbsrecht, München/Wien, 1989
Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur
Schricker Schricker/Henning-Bodewig Schricker/Loewenheim/ Bearbeiter Schröter
Schricker, Gesetzesverletzung und Sittenverstoß, München, 1970 Schricker/Henning-Bodewig (Hrsg.), Neuordnung des Wettbewerbsrechts, Baden-Baden, 1999 Schricker/Loewenheim (Hrsg.), Urheberrecht, München, 5. Aufl. 2017
Schröter/Jakob/Klotz/Mederer (Hrsg.), Europäisches Wettbewerbsrecht, Baden-Baden, 2. Aufl. 2014 Schulte/Bearbeiter Schulte, Patentgesetz mit EPÜ, Köln, 10. Aufl. 2017 Schuschke/Walker/Kessen/ Schuschke/Walker/Kessen/Thole (Hrsg.), Vollstreckung und vorläufiger Thole Rechtsschutz, Köln, 7. Aufl. 2019 (bis zur 6. Aufl. Schuschke/Walker) Schwarze/Becker/Hatje/Schoo Schwarze/Becker/Hatje/Schoo (Hrsg.), EU-Kommentar, Baden-Baden, 4. Aufl. 2019 (bis zur 3. Aufl. Schwarze) Schwintowski Schwintowski, Wettbewerbs- und Kartellrecht, München, 5. Aufl. 2012 SK-StGB Wolter(Hrsg.), Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, Köln, 9. Aufl. 2017 Soergel/Bearbeiter Soergel/Siebert (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Stuttgart, 13. Aufl. 2001 ff. Sosnitza, Fälle Sosnitza, Fälle zum Wettbewerbs- und Kartellrecht, München, 6. Aufl. 2011 Speckmann Speckmann, Wettbewerbsrecht. UWG – Markenrechtsverletzung, Wettbewerbsverfahrensrecht, Köln, 3. Aufl. 2001 Spindler/Schuster/Bearbeiter Spindler/Schuster (Hrsg.), Recht der elektronischen Medien, Kommentar, München, 3. Aufl. 2015 Staudinger/Bearbeiter J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, 13.ff. Bearbeitung, Berlin, 1993 ff. Stein/Jonas/Bearbeiter Stein/Jonas (Hrsg.), Kommentar zur Zivilprozessordnung: ZPO, Tübingen, 23. Aufl. 2014 ff. Steinmetz Steinmetz, Der „kleine“ Wettbewerbsprozeß, München, 1993 Stiess Stiess, Schutz der Wirtschaftswerbung durch Verfassungsrecht und Gemeinschaftsrecht, München, 2000 Stober/Korte Stober/Korte, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, Stuttgart, 19. Aufl. 2018 (bis zur 18. Aufl. Stober) Streinz Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV Kommentar, München, 3. Aufl. 2018 Streinz/Kraus, Streinz/Kraus (Hrsg.), Lebensmittelrechts-Handbuch, München, 39. Lebensmittelrechts-Handbuch Ergänzungslieferung, Stand: Mai 2018 Ströbele/Hacker/Thiering Ströbele/Hacker/Thiering (Hrsg.), Markengesetz, Köln, 12. Aufl. 2018 (bis zur 11. Aufl. Ströbele/Hacker) Teplitzky Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, Unterlassung – Beseitigung – Auskunft-Schadensersatz, Köln, 12. Aufl. 2019 Thomas/Putzo/Bearbeiter Thomas/Putzo, Zivilprozessordnung: ZPO, München, 40. Aufl. 2019 Ulmer/Reimer/Bearbeiter Ulmer/Reimer, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs in den Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Bd. III – Deutschland, 1968 v. Gamm von Gamm, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, Köln, 3. Aufl. 1993 v. Gamm von Gamm, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 1998 v. Schultz von Schultz (Hrsg.), Markenrecht, Frankfurt/M., 3. Aufl. 2012 v. Oppermann von Oppermann, Unterlassungsanspruch und materielle Gerechtigkeit, Tübingen, 1993 Vorauflage/Bearbeiter Jacobs/Lindacher/Teplitzky (Hrsg.), UWG, Großkommentar, Berlin, 1991 ff. Walter/Grüber Walter/Grüber (Hrsg.), Anwaltshandbuch Wettbewerbspraxis, Köln, 1998 Wandtke/Ohst, Medienrecht Wandtke/Ohst (Hrsg.), Medienrecht Praxishandbuch, Berlin, 3. Aufl. 2014 Wieczorek/Schütze/ Wieczorek/Schütze (Hrsg.), Zivilprozessordnung, Großkommentar, Berlin, Bearbeiter 4. Aufl. 2013 ff. Wolters, Das UnterWolters, Das Unternehmensdelikt, Baden-Baden, 2001 nehmensdelikt Zöller/Bearbeiter Zöller Zivilprozessordnung: ZPO, Kommentar, Köln, 32. Aufl. 2018
XXX
Schrifttum
§ 3a
§ 3a Rechtsbruch § 3a Rechtsbruch Schrifttum Metzger/Eichelberger
Unlauter handelt, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, und der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen. https://doi.org/10.1515/9783110545944-001
Schrifttum Ackermann Der Rückzug des Zivilrechts von der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung des Handels der öffentlichen Hand – Ende eines „zivilgerichtlichen Dilettierens“ oder Ende der Freiheit der privaten Marktteilnehmer?, FS Tilmann (2003); Alexander Öffentliche Auftragsvergabe und unlauterer Wettbewerb, WRP 2004, 700; ders. BGH: Verstoß gegen Vergaberecht als Wettbewerbsverstoß – Kommunalversicherer, LMK 2008, 267427; ders. Vertragsrecht und Lauterkeitsrecht unter dem Einfluss der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken, WRP 2012, 515; ders. Die Informationspflichten gemäß § 40 Abs. 1 und 2 EnWG und ihre Durchsetzung nach Energiewirtschafts-, Lauterkeits- und Vertragsrecht (§ 40 Abs. 1 und 2 EnWG), WRP 2012, 660; ders. Grundstrukturen des Schutzes von Geschäftsgeheimnissen durch das neue GeschGehG, WRP 2019, 673; Alexander/Knauff Per App ans Ziel? Internetbasierte Mobilitätsdienste aus personenbeförderungs- und wettbewerbsrechtlicher Perspektive, GewArch 2015, 200; Barth Wettbewerbsrechtliche Abmahnung von Verstößen gegen das neue Datenschutzrecht. Wer darf Verstöße gegen die DSGVO und die E-Privacy-Verordnung privatrechtlich durchsetzen?, WRP 2018, 790; Baumgartner/Sitte Abmahnungen von DS-GVO-Verstößen, ZD 2018, 555; Beater Rechtsvergleichende und europarechtliche Bemerkungen zum neuen § 4 Nr. 11 UWG, FS Schricker (2005) 629; ders. Unlauterer Wettbewerb, 2010; Becker Crime and Punishment: An Economic Approach, 76 Journal of Political Economy 169 (1968); Beier/Schricker Stellungnahme des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht zur Novellierung des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb (1993), GRUR 1993, 880; Bieber Die Kontrolle des Berufsrechts der Freiberufler – insbesondere der Rechtsanwälte – mit Hilfe von § 4 Nr. 11 UWG, WRP 2008, 723; Bodewig Das Recht des unlauteren Wettbewerbs in Großbritannien: Ein Dreiklang von Fallrecht, Gesetzesrecht und Selbstkontrolle, GRUR Int. 2004, 543; Bohne Die Datenschutzverletzung als Wettbewerbsverstoß (2014); Buxbaum Private Enforcement of Competition Law in the United States – Of Optimal Deterrence and Social Costs, in: Basedow (Hrsg.), Private Enforcement of EC Competition Law, (2007) 41; Dettmar Unlauterer Wettbewerb durch Rechtsbruch nach Maßgabe des § 4 Nr. 11 UWG n.F. (2007); Doepner Unlauterer Wettbewerb durch Verletzung von Marktzutrittsregelungen?, WRP 2003, 1292; ders. Unlauterer Wettbewerb durch Rechtsbruch – Quo vadis?, GRUR 2003, 825; Eichelberger Media Bias im Spannungsfeld von Wettbewerbs- und Medienrecht – Zur Tarnung kommerzieller Interessen im Internet, in: Stern/Peifer/Hain (Hrsg.), Media Bias im Internet – Tendenzfreiheit und Vielfalt von Medien(inhalten), 2016, S. 161; Elskamp Gesetzesverstoß und Wettbewerbsrecht (2008); Erbs/Kohlhaas Strafrechtliche Nebengesetze, 222. Ergänzungslieferung, Dezember 2018; Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 19. Aufl. 2019; Ernst Abmahnungen auf Grund von Normen außerhalb des UWG, WRP 2004, 1133; Fechner/Kocher Mindestlohngesetz und Lauterkeitsrecht, NZA 2017, 755; Festl-Wietek § 3a UWG: Marktverhaltensregelungen zum Schutz Minderjähriger (2019); Gärtner/Heil Kodifizierter Rechtsbruchtatbestand und Generalklausel, WRP 2005, 20; Ferrier Concurrence déloyale et concurrence illégale, in: Serra (Hrsg.) La concurrence déloyale (2001) 50; Frenz Kommunalwirtschaft außerhalb des Wettbewerbsrechts?, WRP 2002, 1367; Frey-Gruber Der Rechtsbruchtatbestand im UWG (2010); Fritzsche Wettbewerbsrechtliche Fragen von Vergütungsvereinbarungen und Kooperationsmodellen zwischen Krankenhäusern und externen Laborfachärzten, WRP 2019, 565; Fritzsche/Frahm Zahlen schon fürs Bieten – Internetauktionen mit kostenpflichtigen Gebotsrechten, WRP 2008, 22; Galetzka Datenschutz und unlauterer Wettbewerb, K&R 2015, 77; Glöckner Wettbewerbsbezogenes Verständnis der Unlauterkeit und Vorsprungserlangung durch Rechtsbruch, GRUR 2008, 960; ders. Über die Schwierigkeit, Proteus zu beschreiben – die Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken in Deutschland, GRUR 2013, 224; Goldmann Abgaswerte und Kraftstoffverbrauch als Gegenstand des Wettbewerbsrechts, WRP 2007, 38; Gumpoldsberger/Baumann UWG, Ergänzungsband zum UWG-Kommentar (2010); Günes Produktsicherheitsrecht und UWG, WRP 2008, 731; Hagenmeyer Kurze Beleuchtung der ersten Rechtsprechung zur VO (EG) Nr. 1924/2006 über 1 https://doi.org/10.1515/9783110545944-001
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben, WRP 2009, 554; ders. Zweite Beleuchtung der Rechtsprechung zur VO (EG) Nr. 1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben, WRP 2010, 492; Hamborg Abfallrechtliche Produktverantwortung für Elektro- und Elektronikgeräte (2018); Haslinger Wettbewerbswidriger Missbrauch steuerlicher Gestaltungsmittel zur Umgehung chancengerechter Ausschreibungsverfahren, WRP 2007, 1412; Hayek The Use of Knowledge in Society, 35 American Economic Review 519 (1945); Helm Die Bagatellklausel im neuen UWG, FS Bechtold (2006) 155; Hennigs Unlauterer Wettbewerb durch Verwendung unwirksamer Vertragsklauseln (2016); Hetmank Der Rechtsbruchtatbestand und die Suche nach den Grenzen des Lauterkeitsrechts, JZ 2014, 120; Hoene Negative Feststellungsklage, WRP 2008, 44; Hoeren/Pfaff Pflichtangaben im elektronischen Geschäftsverkehr aus juristischer und technischer Sicht, MMR 2007, 207; Holtz Die AGB-Kontrolle im Wettbewerbsrecht. Zugleich ein Beitrag zum Verhältnis von UWG und dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (2010); Keck Wettbewerbsverstöße durch Rechtsbruch (2005); Klaus Berufs- und lauterkeitsrechtliche Grenzen der Anwaltswerbung (2019); Kloub White Paper on Damage Actions for Breach of the EC Antitrust Rules: Plea for a More Holistic Approach to Antitrust Enforcement, 5 European Competition Journal 515 (2009); Koch, Th. GOOD NEWS aus Luxemburg? Förderung fremden Wettbewerbs ist keine Geschäftspraktik, FS Köhler (2014), 359; ders. Von „Anwaltswerbung I“ zu „Anwaltswerbung II“, FS Erdmann (2002), 613; Köhler Wettbewerbsverstoß durch rechtswidrigen Marktzutritt?, GRUR 2001, 777; ders. Wettbewerbsrecht im Wandel: Die neue Rechtsprechung zum Tatbestand des Rechtsbruchs, NJW 2002, 2761; ders. Die „Bagatellklausel“ in § 3 UWG, GRUR 2005, 1; ders. Zur Konkurrenz lauterkeitsrechtlicher und kartellrechtlicher Normen, WRP 2005, 645; ders. Die Unlauterkeitstatbestände des § 4 UWG und ihre Auslegung im Lichte der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, GRUR 2008, 841; ders. Konkurrentenklage gegen die Verwendung unwirksamer Allgemeiner Geschäftsbedingungen?, NJW 2008, 177; ders. Was müssen Wertpapierdienstleistungsunternehmen bei der Werbung beachten? WM 2009, 385; ders. Die Verwendung unwirksamer Vertragsklauseln: ein Fall für das UWG, GRUR 2010, 1047; ders. Grenzen zulässiger Steuerberaterwerbung, DStR 2011, 428; ders. Dogmatik des Beispielkatalogs des § 4 UWG, WRP 2012, 638; ders. Die „Citroën“-Entscheidung des EuGH und ihre Folgen, GRUR 2016, 891; ders. UWG 2015: Neue Maßstäbe für Informationspflichten der Unternehmer, WRP 2017, 1; ders. Die DS-GVO – eine neue Einnahmequelle für gewerbsmäßige Abmahner?, ZD 2018, 337; Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig Vorschlag für eine Richtlinie zum Lauterkeitsrecht und eine UWG-Reform, WRP 2002, 1317; Kroitzsch Die Gesetzesflut öffentlich-rechtlicher Normen als wettbewerbsrechtliche Nebengesetze zu § 1 UWG, GRUR 1982, 389; ders. Große UWG-Novelle und Rechtseinheit, GRUR 1995, 322; Krüger Öffentliche und private Durchsetzung des Kartellverbots von Art. 81 EG (2007); Kügel/Müller/Hofmann (Hrsg.) Arzneimittelgesetz, 2. Aufl. 2016; Landes/Posner The Private Enforcement of Law, 4 Journal of Legal Studies 1 (1975); Mainguy/Respaud/Depincé Droit de la concurrence (2010); Mankowski Ist die Bagatellklausel des § 3 UWG bei belästigender Werbung (§ 7 UWG) zu beachten?, WRP 2008, 15; Mees Normwidrigkeit und § 1 UWG, WRP 1985, 373; Meisterernst Ein Lernprozess? Drei Jahre VO (EG) 1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben, WRP 2010, 481; Meisterernst/Haber Die VO (EG) 1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben, WRP 2007, 363; A.H. Meyer BGH „Glucosamin“ & Co., WRP 2011, 419; S. Meyer Cookies & Co. – Datenschutz und Wettbewerbsrecht, WRP 2002, 1028; Nordmann Die negative Konkurrentenklage im EG-Beihilferecht vor europäischen und deutschen Gerichten (2002); Piper Warenproduktion und Lauterkeitsrecht, WRP 2002, 1197; Poppen Der Wettbewerb der öffentlichen Hand (2007); Pütz Das Beihilfeverbot des Art. 88 Abs. 3 Satz 3 EG-Vertrag (2003); Oetker Tarifvertragliche Mindestentgelte im Lichte des Lauterkeitsrechts, FS Bepler (2012), 467; Ohly Bausteine eines europäischen Lauterkeitsrechts, WRP 2008, 177; ders. UWG-Rechtsschutz bei Verstößen gegen die Datenschutz-Grundverordnung?, GRUR 2019, 686; Peifer „Good News“ und die Medien – Die lauterkeitsrechtliche Kontrolle publizistischer Belange am Scheideweg?, FS Köhler (2014), 519; Schäfer/Ott Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 5. Aufl. (2012); Quack Vom Beitrag des unlauteren Wettbewerbs zur Entwicklung des Wirtschaftsverwaltungsrechts, FS Trinkner (1995), 265; Reese Neue Regelungen für die Publikumswerbung nach § 11 HWG, WRP 2013, 283; Rumetsch Ärztliche und zahnärztliche Werbung mit Gebiets- oder Zusatzbezeichnungen, WRP 2010, 691; Sack Die lückenfüllende Funktion der Sittenwidrigkeitsklauseln, WRP 1985, 1; ders. Die wettbewerbsrechtliche Durchsetzung arbeitsrechtlicher Normen, WRP 1998, 682; ders. Gesetzwidrige Wettbewerbshandlungen nach der UWG-Novelle, WRP 2004, 1307; Schaffert Ist die Einhaltung datenschutzrechtlicher Bestimmungen mit wettbewerbsrechtlichen Mitteln durchsetzbar? FS Bornkamm (2014), 463; ders. Der durch § 4 Nr. 11 UWG bewirkte Schutz der Mitbewerber, FS Ullmann (2006), 845; v. Schall-Riaucour Wettbewerbsverstöße durch Verletzung außerwettbewerbsrechtlicher Normen, Diss. München 1968; Schlagelambers Die Verwendung unwirksamer Metzger/Eichelberger
2
Systematische Übersicht
§ 3a
Allgemeiner Geschäftsbedingungen als unlautere Geschäftspraktik im europäischen und deutschen Recht (2011); Seichter Der Umsetzungsbedarf der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, WRP 2005, 1087; Scherer Marktverhaltensregeln im Interesse der Marktbeteiligten – Funktionsorientierte Ausrichtung des neuen Rechtsbruchtatbestandes in § 4 Nr. 11 UWG, WRP 2006, 401; Schmitt Datenschutzverletzungen als Wettbewerbsverstöße? WRP 2019, 27; Schricker Gesetzesverletzung und Sittenverstoß (1970); Schwarz Die strafrechtliche Erfassung irreführender Werbung (2001); Seehafer Von der Missbrauchskontrolle zum generellen Verbot: Übergangsregelungen der VO (EG) 1924/2006 über gesundheitsbezogene Angaben für Lebensmittel und ihre wettbewerbsrechtliche Bedeutung (2012); Segal/ Whinston Public vs. Private Enforcement of Antitrust Law: A Survey (December 15, 2006), Stanford Law and Economics Olin Working Paper No. 335, abrufbar bei SSRN: http://ssrn.com/abstract=952067; Shavell The Social versus the Private Incentive to Bring Suit in a Costly Legal System, 11 Journal of Legal Studies 333 (1982); ders. Foundations of Economic Analysis of Law, 2004; Sonnenberger/Dammann Französisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. (2008); Sosnitza Die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken – Voll- oder Teilharmonisierung?, WRP 2006, 1; Spätgens Wettbewerbsrechtsprechung im Wandel, FS Tilmann (2003), 239; Spickhoff Gesetzesverstoß und Haftung (1998); Spickhoff (Hrsg.) Medizinrecht – Kommentar, 3. Aufl. 2018; Tilmann/Schreibauer Rechtsfolgen rechtswidriger nationaler Beihilfen, GRUR 2002, 212; Torka Die PKW-Energieverbrauchskennzeichnungsverordnung: Rechtsprechung und Reform, WRP 2012, 419; Uebele Datenschutzrecht vor Zivilgerichten. Die Durchsetzung des Datenschutzrechts über UWG und UKlaG auf dem Prüfstand von Rechtsprechung und Gesetzgeber, GRUR 2019, 694; Ullmann Das Koordinatensystem des Rechts des unlauteren Wettbewerbs im Spannungsfeld von Europa und Deutschland, GRUR 2003, 817; Vogel Französisches Wettbewerbs- und Kartellrecht (2003); von Walter Rechtsbruch als unlauteres Marktverhalten: Tatbestand und Anwendungsbereich des § 4 Nr. 11 UWG in Abgrenzung zur Fallgruppe „Vorsprung durch Rechtsbruch“ (2007); ders. Datenschutz-Rechtsbruch als unlauteres Marktverhalten? Zum Verhältnis des Lauterkeitsrechts zum Datenschutzrecht, FS Köhler (2014), 771; Weber Unlauterer Wettbewerb durch Rechtsbruch und Vertrauensschutz – causa finita?, FS Doepner (2008) 69; Wiebe/Kodek UWG Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (2009); Wolff UWG und DS-GVO: Zwei separate Kreise? Qualifizierung von Datenschutzbestimmungen der DS-GVO als Marktverhaltensregelungen i.S.v. § 3a UWG, ZD 2018, 248; Wüstenberg Der Rechtsbruchtatbestand im Wandel und als Herausforderung, NJ 2016, 485; ders. Zur Zweckbestimmung der Marktverhaltensregeln, WRP 2017, 396; Wuttke Die Bedeutung der Schutzzwecke für ein liberales Wettbewerbsrecht (UWG), WRP 2007, 119; Zech Durchsetzung von Datenschutz mittels Wettbewerbsrecht?, WRP 2013, 1434; v. Ungern-Sternberg Wettbewerbsbezogene Anwendung des § 1 UWG und normzweckgerechte Auslegung der Sittenwidrigkeit, FS Erdmann (2002).
Systematische Übersicht A.
3
Systematische Übersicht Grundlagen | 1 I. Die Entwicklung des Rechtsbruchtatbestandes | 1 1. Die Zeit bis 1945 | 1 2. Entwicklung von 1945 bis zur Neufassung des UWG 2004 | 2 3. Änderungen des UWG 2008 und 2015 | 6 II. Einfluss des Unionsrechts, insbesondere der UGP-RL | 7 1. Anwendungsbereich der UGP-RL | 10 2. Marktverhaltensregelungen im Anwendungsbereich der UGP-RL | 18 III. Normzweck | 20 IV. Verhältnis zu anderen Vorschriften | 22 1. Verhältnis zur Generalklausel des § 3 Abs. 1 | 22
2.
B.
Konkurrenzen mit speziellen Sanktionsregelungen | 24 a) Grundsatz | 24 b) Beispiele für abschließende Regelungen | 26 c) Beispiele für nicht abschließende Regelungen | 34 3. Auslegung der Primärnorm durch Behörden oder Fachgerichte; Vollzugsdefizite | 38 V. Ökonomische Analyse | 41 Tatbestand | 48 I. Geschäftliche Handlung | 48 II. Gesetzliche Vorschrift | 49 III. Marktverhaltensregelung | 58 1. Regelung des Marktverhaltens | 59 a) Grundsatz | 59 b) Produktionsvorschriften | 60
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
c)
C.
Vorschriften zum Schutz des geistigen Eigentums und sonstiger absoluter Rechte | 61 2. Regelung des Marktverhaltens „im Interesse der Marktteilnehmer“ | 62 3. Marktzutrittsregelungen | 65 4. Doppelfunktionale Vorschriften | 69 IV. Zuwiderhandlung | 70 1. Grundsatz | 70 2. Wirksamkeit und Anwendbarkeit der gesetzlichen Vorschrift | 71 3. Einfluss von Verwaltungsakten | 73 4. Kenntnis und Irrtum, weitere subjektive Voraussetzungen | 74 5. Darlegungs- und Beweislast | 78 6. Täterschaft und Teilnahme | 79 V. Eignung zur spürbaren Interessenbeeinträchtigung | 80 1. Normzweck und Entwicklung | 81 a) Normzweck | 81 b) Entwicklung | 83 2. Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern | 84 3. Eignung zur Interessenbeeinträchtigung | 86 4. Spürbarkeit | 87 Marktverhaltensregelungen | 96 I. Berufsrecht | 98 1. Rechtsanwälte und Rechtsberatung | 99 a) Erbringung von Rechtsdienstleistungen | 99 aa) Verbot mit Erlaubnisvorbehalt | 99 bb) Rechtsdienstleistung | 101 cc) Inkassodienstleistung (§ 2 Abs. 2 RDG) | 104 dd) Erlaubnisfrei als Nebenleistung zulässige Rechtsdienstleistungen (§ 5 RDG) | 106 ee) Erlaubnisfrei zulässige unentgeltliche Rechtsdienstleistungen (§ 6 RDG) | 108
Metzger/Eichelberger
ff)
2. 3.
4.
5.
Weitere erlaubnisfrei zulässige Rechtsdienstleistungen (§§ 7, 8 RDG) | 109 b) Berufsrecht der Rechtsanwälte | 111 c) Werberecht der Anwälte | 115 aa) Liberalisierung des Werberechts | 115 bb) Marktverhaltensregelungen | 118 cc) Zulässige Werbung gem. § 43b BRAO | 119 dd) Führen von Fachanwaltsbezeichnungen, Benennung von Teilbereichen (§§ 43c BRAO, 7 BORA) | 125 ee) Weitere Werbebeschränkungen gem. §§ 6–10 BORA | 127 Notare | 128 Steuerberater | 129 a) Berufszugang | 129 b) Berufsausübung | 131 c) Werberecht | 134 Ärzte, Zahnärzte, Heilpraktiker, Kliniken | 136 a) Berufszulassungs- und -ausübungsregeln | 136 aa) Ärzte | 136 bb) Zahnärzte | 139 cc) Heilpraktiker | 142 dd) Weitere Heil- und Heilhilfsberufe | 144 b) Werberecht | 145 aa) Entwicklung und Rechtsquellen | 145 bb) Marktverhaltensregelungen | 147 cc) Berufsbezogene Informationen | 148 dd) Sachlichkeitsgebot | 150 ee) Irreführungsverbot | 151 ff) Umgehungsverbot | 152 gg) Kliniken etc. | 153 Apotheker | 155 a) Berufszugang | 156 b) Berufsausübung | 157 c) Werbebeschränkungen | 163
4
Systematische Übersicht
Weiteres Berufsrecht | 166 a) Architekten | 166 b) Fahrlehrer | 167 c) Gaststätten | 168 d) Gewerbe | 169 e) Handwerk | 170 f) Notfallrettung und Krankentransporte | 171 g) Personenbeförderung | 172 h) Spielvermittlung | 173 i) Versicherung | 174 j) Wohnungsvermittlung | 175 Produktbezogene Vorschriften | 176 1. Vermarktungsverbote und -beschränkungen | 177 a) AMG | 177 b) Lebensmittelrecht | 180 c) Öko-VO | 184 d) PflSchG/Pflanzenschutz-VO | 185 e) Weitere Regelungen. Bauordnungen | 186 2. Produktspezifische Informationsund Kennzeichnungspflichten | 196 a) Spezialgesetzliche Regelungen | 196 b) Deliktsrechtliche Informationspflichten | 216 3. Produktspezifische Werbebeschränkungen | 217 a) HWG | 218 aa) Allgemeines | 218 bb) Einzelne Vorschriften | 222 b) Lebensmittelrecht | 237 c) Glücksspielstaatsvertrag | 246 Vertriebsbezogene Vorschriften | 250 1. Preisvorschriften | 251 a) Preisbindung für Arzneimittel | 252 b) Preisvorschriften bei den freien Berufen | 253 c) Buchpreisbindung | 255 d) Weitere Preisvorschriften | 256 2. Preisangabenrecht | 257 a) PAngV | 257 b) Spezielle Preisangabenregelungen | 259 6.
II.
III.
5
§ 3a
3.
IV.
V.
Medienrechtliche Trennungsgebote | 260 4. Vorschriften über Geschäfts- bzw. Arbeitszeiten | 261 5. Weitere | 264 Geschäftsbezogene Vorschriften | 267 1. Allgemeine Geschäftsbedingungen | 268 2. AGG | 272 3. Informationspflichten | 273 a) Unternehmensbezogene Informationspflichten | 275 b) Vertragsbezogene Informationspflichten. Garantieerklärungen (§ 479 Abs. 1 BGB) | 280 Sonstige Vorschriften | 285 1. Datenschutzrecht | 286 2. Jugendschutz | 289 3. Vergaberecht | 290 4. Beihilfenrecht | 291 5. Betätigungsgrenzen von Presse und Rundfunk | 292 6. Strafrecht | 295 a) Straftatbestände im UWG | 295 b) Straftaten gegen den Wettbewerb (§§ 298, 299 StGB) | 297 c) Vorteilsnahme, Bestechlichkeit, Gebührenüberhebung (§§ 331–334, 352 StGB) | 298 d) Unerlaubtes Veranstalten von Glücksspielen und Lotterien (§§ 284, 287 StGB) | 299 e) Pornographie (§§ 184–184e StGB), Prostitution (§§ 184g, 184f StGB, § 120 OWiG) und Werbung etc. für sexuelle Handlungen etc. (§ 119 OWiG) | 300 f) Sonstige Straftatbestände | 302 7. Ordnungswidrigkeitenrecht | 304 8. Weitere | 305 a) FahrzeugemissionenVO | 305 b) MindestlohnG | 306
Metzger/Eichelberger
§ 3a
D.
Rechtsbruch
Rechtsvergleichung | 307 I. Österreich | 307 II. Frankreich | 308
III. IV.
England | 309 Fazit, weitere Rechtsordnungen | 310
Alphabetische Übersicht Alphabetische Übersicht Absolute Rechte 33, 61 AEUV 291 AGB 55, 268 AGG 37, 272 AktG 276 AktG 67 Allgemeine Geschäftsbedingungen s. AGB Allgemeines GleichbehandlungsG s. AGG Allgemeines Persönlichkeitsrecht 33, 61 AltölV 197 – Informations- und Kennzeichnungspflichten 197 – Vertriebsvorschriften 264 Altölverordnung s. AltölV AMG 177 – Abgabe von Arzneimittelmustern 179 – Apothekenpflicht 179 – homöopathische Arzneimittel 178 – Informations- und Kennzeichnungspflichten 198, 279 – Preisvorschriften 252 – Verbot der Abgabe ohne Rezept 179 – Verbringungsverbot 179 – Vermarktungsverbote/-beschränkungen 177 – Zulassungspflicht 178 – Zweck 177 AMPreisV 252 Anstifter s. Täterschaft und Teilnahme ApBetrO 155 ApoG 155 Apothekenbetriebsordnung s. ApBetrO ApothekenG s. ApoG Apothekenpflicht 157, 158, 178, 179 Apothekenübliche Waren 161 Approbation 42, 136, 140 Arbeitnehmerschutz 60 Arbeitnehmerüberlassung s. AÜG ArbeitnehmerüberlassungsG s. AÜG Arbeitszeiten 261 ArbeitszeitG s. ArbZG ArbZG 263 ArzneimittelG s. AMG Arzneimittelpreisverordnung s. AMPreisV Arzneimittelrecht s. AMG Aufmerksamkeitswerbung 119, 220, 246 Aufstellen von Spielgeräten mit Gewinnmöglichkeit 169 AÜG 31, 68
Metzger/Eichelberger
Ausländisches Recht 52 Außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge 259, 284 BÄO 136 Bagatellverstöße 81 Bau- und Immobilienbetreuung 169 Bauordnungen 186 Bauprodukte 186 BDSG 286 Beihilfenrecht 291 Berufsordnung der Ärzte/Ärztekammer s. BO-Ä Berufsordnung der Bundessteuerberaterkammer s. BOStB Berufsordnung der Zahnärzte/Zahnärztekammer s. BO-ZÄ Berufsordnung für Rechtsanwälte s. BORA Berufsrecht der Apotheker 155 – Apothekenbetriebsräume 157 – Arzneimittelbevorzugungsverbot 159 – Ärztebevorzugungsverbot 159 – Berufsausübung 157 – Berufszugang 156 – Herstellung von Arzneimitteln 162 – Krankenhausapotheken 160 – Mehrapothekenverbot 158 – Rezeptsammelstellen 158 – Verpachtungsverbot 158 – Versand apothekenpflichtiger Arzneimittel 157 Berufsrecht der Architekten 166 Berufsrecht der Ärzte 136 – Approbation 136 – Berufsordnungen 137 – Berufszugang und Berufsausübung 136 – Marktverhaltensregelung 138 – Verbot unerlaubter Zuweisung 137 – Verbot unerlaubter Zuwendungen 137 Berufsrecht der Fahrlehrer 167 Berufsrecht der Heilpraktiker 142 – Ausübung der Heilkunde 143 – Berufszugang und Berufsausübung 142 Berufsrecht der Notare 128 Berufsrecht der Rechtsanwälte 111 – Abtretung von Honorarforderungen 113 – direkte Kontaktaufnahme mit der Gegenpartei 113 – Erfolgshonorar 113 – Kanzleipflicht 112 – Mindestvergütung 113
6
Alphabetische Übersicht
§ 3a
– – – – –
Dienstleistungsfreiheit 71, 98, 116 Dienstleistungs-InformationspflichtenVerordnung s. DL-InfoV Dienstleistungs-RL 2006/123/EG 116 Dienstleistungsverträge 284 DIN-Vorschriften 57 DL-InfoV 259, 279, 284 Doppelfunktionale Vorschriften 69 doppelter Teilnehmervorsatz s. Täterschaft und Teilnahme DS-GVO (EU) 2016/679 27, 286 Durchführungsverbot 291 EGBGB 259 EGBGB 273 Eigentum 33, 61 Eingerichteter und ausgeübter Gewerbebetrieb 61 Einheiten- und ZeitG s. EinhZeitG Einheitenverordnung s. EinhV EinhV 206 EinhZeitG 206 Elektrizitätsbinnenmarkt-RL 2009/72/EG 202 Elektro- und ElektronikgeräteG s. ElektroG Elektro- und Elektronikgeräte-Stoff-Verordnung s. ElektroStoffV ElektroG – Informations- und Kennzeichnungspflichten 201 – Vermarktungsverbote/-beschränkungen 188 ElektroG 188 ElektroStoffV 189 Energieeffizienzangaben 203 Energieeinsparverordnung s. EnEV Energieverbrauchskennzeichnungsverordnung s. EnVKV Energiewirtschaftsgesetz s. EnWG EnEV 205 EnVKV 204 EnWG 32, 35 – Informations- und Kennzeichnungspflichten 202 Erlaubnisfrei zulässige Rechtsdienstleistungen 108 EU-Beihilfenrecht 34 Euro-Zahlungsverkehr-VO (EU) 260/2012 s. SEPA-VO Fahrlässigkeit 70 FahrlehrerG s. FahrlG FahrlG 167 Fahrschulverträge 259 Fahrzeugemissionen-VO (EG) 715/2007 26, 305 Feiertagsgesetze 262 Fernabsatzverträge 259, 284 Fertigpackungsverordnung s. FertigPackV FertigPackV 208
7
Metzger/Eichelberger
Rechtsanwaltsgesellschaften 114 Verbot der Vorbefassung 112 Vermittlung von Aufträgen 113 Verschwiegenheitspflicht 112 Wahrnehmung widerstreitender Interessen 112 – Zusammenarbeitsbeschränkungen 114 – Zweigstelle 112 Berufsrecht der Steuerberater 129 – Berufsbezeichnung 132 – Berufszugang 129 – Mindesthonorare 133 – Niederlassung 131 – Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit 133 – Zweigstellen 131 Berufsrecht der Zahnärzte 139 – Approbation 140 – Ausübung der Zahnheilkunde 140 – Berufsordnungen 139 – Berufszugang und Berufsausübung 139 – Gebot der Kollegialität 141 – Unabhängigkeit 141 Berufsrecht weiterer Heil- und Heilhilfsberufe 144 Bestimmtheitsgebot 72 BGB 67, 259, 268, 273, 280, 283 Bindungswirkung 38 Biozid-VO (EU) 528/2012 – Informations- und Kennzeichnungspflichten 199 – Vermarktungsverbote/-beschränkungen 187 BO-Ä 137 BO-ZÄ 141 BORA 111 BOStB 131 BRAO 111, 253 Buchpreisbindung 255 BuchpreisbindungsG s. BuchPrG BuchPrG 29, 255 Bundesärzteordnung s. BÄO BundesdatenschutzG s. BDSG Bundesgesetze 49 Bundesrechtsanwaltsordnung s. BRAO ChemG 200 ChemikalienG s. ChemG Darlegungs- und Beweislast 78 Darlehensvermittlung 169 Datenschutz-Grundverordnung s. DS-GVO Datenschutzrecht 27, 286 DCGK s. Verhaltenskodizes Deliktsrechtliche Informationspflichten 216 Deutscher Corporate Governance Kodex s. DCGK DiätV 181 Diätverordnung s. DiätV
§ 3a
Rechtsbruch
Finanzdienstleistungen 259 Flugreise 259 Freiwillige Selbstkontrolle Film s. FSK FSA-Kodizes s. Verhaltenskodizes FSK s. Verhaltenskodizes Garantieerklärungen 280 GastG 168 GaststättenG s. GastG Gaststättenrecht 168 Gebot der Staatsferne der Medien 292 Gebührenordnung für Ärzte s. GOÄ Gebührenordnung für Zahnärzte s. GOZ Gebührenüberhebung 254, 298 Gehilfe s. Täterschaft und Teilnahme Geistiges Eigentum 33, 61 Gemeinsame Marktorganisations-VO (EU) 1308/2013 s. GMO-VO Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel 219 GenG 276 Gen-Nahrungsmittel-VO (EG) 1829/2003 180 Gerichtsentscheidungen 38, 53 Geschäftliche Handlung 48 Geschäftsbezogene Vorschriften 267 Geschäftszeiten 261 GeschGehG 33 Gesetzliche Krankenversicherung s. GKV Gesetzliche Vorschrift 49 Gewerbeordnung s. GewO Gewerberecht 169 GewO 169 Gewohnheitsrecht 49 GG 292 GKV 28 Glücksspielstaatsvertrag s. GlüStV Glücksspielvermittler 284 GlüStV 173, 284 – Vermarktungsverbote/-beschränkungen 190 – Werbebeschränkungen 246 GmbHG 276 GMO-VO 208 GOÄ 253 GOZ 253 Gründungsverträge (EU) s. Unionsrecht GWB 290 Handelsbräuche 55 Handwerk 170 Handwerksordnung s. HwO Health-Claims-VO (EG) 1924/2006 241 HeilmittelwerbeG s. HWG Heilmittelwerberecht s. HWG HeilpraktikerG s. HeilprG HeilprG 142 HGB 67, 276 HOAI 253
Metzger/Eichelberger
Höchstpreisvorschriften s. Preisvorschriften Honorarordnung für Architekten und Ingenieure s. HOAI HWG 218 – Homöopathische Arzneimittel 226 – Irreführende Werbung 222 – Packungsbeilage 225 – Pflichtangaben 224 – Publikumswerbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel 232 – Teleshopping und Versandhandel 230 – Werbung außerhalb der Fachkreise 233 – Werbung eines Unternehmens mit Sitz im Ausland 236 – Werbung für Fernbehandlung 231 – Werbung für Heilmittel gegen meldepflichtige Krankheiten 235 – Werbung für zulassungspflichtige Arzneimittel 223 – Werbung mit Gutachten oder Zeugnissen 227 – Zuwendungen und sonstige Werbegaben 228 HwO 170 Imagewerbung 119, 150, 220, 246 Impressumspflicht 277 Informations- und Kennzeichnungspflichten 196, 216, 273 Inkassodienstleistung 104 Irrtum 74 JMStV 289 Jugendmedienschutz-Staatsvertrag s. JMStV Jugendschutz 289 JugendschutzG s. JuSchG JuSchG 289 KakaoV 208 Kakaoverordnung s. KakaoV Kartellrecht – EU 26 – national (GWB) 26 Kartellvergaberecht 26, 34 Kenntnis 74 Kommunen, wirtschaftliche Betätigung 66 KosmetikV 207, 279 Kosmetikverordnung s. KosmetikV Kosmetik-VO (EU) 1223/2009 207, 279 Krankentransporte 171 Ladenöffnungszeiten 261 LadenSchlG 60 LadenschlussG s. LadenSchlG Landesgesetze 49 Landesschulgesetze 289 Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch s. LFGB
8
Alphabetische Übersicht
Lebensmittel-Basis-VO (EG) 178/2002 180 – Vermarktungsverbote/-beschränkungen 180 – Produktspezifische Werbebeschränkungen 238 Lebensmittelinformations-VO (EU) 1169/2011 s. LMIV Lebensmittelrecht 180, 208, 237 LFGB 180 – Vermarktungsverbote/-beschränkungen 180 – Irreführungsverbote 238 LMIV – Kennzeichnungspflichten 208 – Irreführungsverbote 238 Lohnsteuerhilfeverein 130, 135 Markenrecht 33, 61 Marktverhaltensregelungen – allgemein 58 – Berufsrecht 98 – einzelne Regelungen 96 – Geschäftsbezogene Vorschriften – Produktbezogene Vorschriften 176 – Sonstige Vorschriften – Vertriebsbezogene Vorschriften Marktzutrittsregelungen 65 MBO-Ä 137 MBO-ZÄ 139 Mediengesetze 260 Medienrechtliche Trennungsgebote 260 MedizinprodukteG s. MPG Mess- und EichG s. MessEG MessEG 209 MiLoG 60, 306 MindestlohnG 60 Mindestlohnregelungen 60 Mindestpreisvorschriften s. Preisvorschriften – Freie Berufe 253 Mineral- und Tafelwasserverordnung s. MTVO Mogelpackung 209 MPG 210 MTVO 208 – Kennzeichnungspflichten 208 – Irreführungsverbot 240 Musterberufsordnung der Bundesärztekammer s. MBO-Ä Musterberufsordnung der Zahnärzte s. MBO-ZÄ Nachahmungsgefahr 94 Nebenleistung (RDG) 106 Normen (z.B. DIN) 57 Normzweck 20 Notfallrettung 171 Novel-Food-VO (EU) 2015/2283 182 Objektiv rechtswidriges Verhalten 70 ODR-VO (EU) 524/2013 282
9
§ 3a
ÖkoKennzG 211 – Kennzeichnungspflichten 211 – Irreführungsverbot 239 ÖkoKennzV 211 Ökonomische Analyse 41 Öko-VO (EG) 834/2007 184 – Kennzeichnungspflichten 211 – Vermarktungsverbote/-beschränkungen 184 Online Dispute Resolution s. ODR-VO Online-Streitbeilegung 282 Ordnungswidrigkeitenrecht 301, 304 PAngV 257 Patentrecht 33, 61 PBefG 172 Personenbeförderung 172 PersonenbeförderungsG s. PBefG PflanzenschutzG s. PflSchG Pflanzenschutz-VO (EG) 1107/2009 185 – Informations- und Kennzeichnungspflichten 212 – Vermarktungsverbote/-beschränkungen 185 PflSchG 185 – Informations- und Kennzeichnungspflichten 212 – Vermarktungsverbote/-beschränkungen 185 Pkw-Energieverbrauchskennzeichnungsverordnung s. Pkw-EnVKV Pkw-EnVKV 205 Planmäßigkeit 76 PostG 191 Preisangabenrecht 257 Preisangabenverordnung s. PAngV Preisbindung – Arzneimittel 252 – Bücher 255 Preisvorschriften 251 Preiswahrheit 257 Presse 66 Pressegesetze 260, 277 Primärnorm – Auslegung durch Behörden oder Fachgerichte 38 – Vollzugsdefizit 38 ProdSG 192 – Informationspflichten 279 – Vermarktungsverbote/-beschränkungen 192 Produktionsvorschriften 60 ProduktsicherheitsG s. ProdSG Produktspezifische Informations- und Kennzeichnungspflichten 196 Produktspezifische Werbebeschränkungen 217
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
RBerG 99 RechtsanwaltsvergütungsG s. RVG RechtsberatungsG s. RBerG Rechtsdienstleistung 101 Rechtsentwicklung 1 Rechtsirrtum s. Irrtum Rechtsvergleichung 307 Rechtsverordnungen 49 Reiseverträge 259 Richtlinien (EU) – als gesetzliche Vorschrift s. Unionsrecht – RL 1999/94/EG s. Pkw-EnVKV – RL 2001/83/EG s. Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel – RL 2005/29/EG s. UGP-RL – RL 2006/123/EG s. Dienstleistungs-RL – RL 2009/72/EG s. Elektrizitätsbinnenmarkt-RL – RL über unlautere Geschäftspraktiken s. UGP-RL RStV 293 – Werbung und Teleshopping für alkoholische Getränke 244 Rundfunk 66 Rundfunkstaatsvertrag s. RStV RVG 113, 253, 254 SaatG 193 SaatgutverkehrsG s. SaatG Satzungen 49 SchfHwG 170 Schornsteinfeger-Handwerksgesetz s. SchfHwG Schutznormtheorie 3, 64 SEPA-VO (EU) 260/2012 265 SGB V 28 sittlich fundierte Normen 1 Sonn- und Feiertagsruhe 262 Sozialrecht 28, 68 Spielvermittlung 173 Spürbarkeitsklausel 80 Staatsverträge 49 Standesregeln 55 StBerG 129 SteuerberatungsG s. StBerG Steuerrecht 60 Steuerrecht 60 StGB 254 Strafrecht 295 – Pornographie, Prostitution und Werbung etc. für sexuelle Handlungen etc. 300 – Sonstige Straftatbestände 302 – Straftaten gegen den Wettbewerb 297 – Unerlaubte Veranstaltung von Glücksspielen und Lotterien 299
Metzger/Eichelberger
– –
UWG 295 Vorteilsnahme, Bestechlichkeit, Gebührenüberhebung 298 Straßenrecht 60 Straßenverkehrsrecht 60, 194 Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung s. StVZO StVZO 194 Subjektive Voraussetzungen 74 Sympathiewerbung 149 TabakerzeugnisG s. TabakerzG Tabakerzeugnisverordnung s. TabakerzV TabakerzG – Informations- und Kennzeichnungspflichten 214 – Irreführungsverbot 243 – Vermarktungsverbote/-beschränkungen 183 – Werbebeschränkungen 242 TabakerzV 214 TabaksteuerG s. TabStG TabStG 256 Tarifverträge 49, 60 Täter s. Täterschaft und Teilnahme Täterschaft und Teilnahme 79 Tatsachenirrtum s. Irrtum Tatsachenkenntnis 75 Telekommunikationsrecht s. TKG TelekomunikationsG s. TKG Telemediengesetz s. TMG Textilerzeugnis-Kennzeichnungs-VO (EU) 1007/2011 s. TextilKennz-VO (EU) TextilkennzeichnungsG s. TextilKennzG TextilKennzG 213 TextilKennz-VO (EU) 1007/2011 213 Tierschutz 60 TKG 30 TMG 260, 278 Transformationsfunktion 21 UGP-RL – Anwendungsbereich 10 – Einfluss 7 – Umsetzung 6 – Vollharmonisierung 7 UKlaG 36 Umweltschutz 60 Unionsrecht 50 Unkenntnis von Tatsachen s. Tatsachenkenntnis UnterlassungsklagenG s. UKlaG Urheberrecht 33, 61 VAG 174 Veranstaltung von Spielen mit Gewinnmöglichkeit 169 Verbraucherdarlehensverträge 284 Verbraucherverträge 259 Verbringungsverbot 179
10
Alphabetische Übersicht
Vereins-/Verbandssatzungen 55 Vereinsrecht 67 Vergaberecht 290 Verhaltenskodizes 56 Verhältnis zu anderen Vorschriften – zur Generalklausel 22 – zu speziellen Sanktionsregelungen 24 Verkehrssitte 55 Vermarktungsverbote/-beschränkungen 177 Verordnungen (EU) – als gesetzliche Vorschrift s. Unionsrecht – VO (EG) 178/2002 180 s. LebensmittelBasis-VO – VO (EG) 715/2007 s. Fahrzeugemissionen-VO – VO (EG) 834/2007 s. Öko-VO – VO (EG) 1107/2009 s. Pflanzenschutz-VO – VO (EG) 1829/2003 s. Gen-Nahrungsmittel-VO – VO (EG) 1924/2006 s. Health-Claims-VO – VO (EU) 65/2014 s. EnVKV – VO (EU) 260/2012 s. SEPA-VO – VO (EU) 524/2013 s. ODR-VO – VO (EU) 528/2012 s. Biozid-VO – VO (EU) 626/2011 s. EnVKV – VO (EU) 1007/2011 s. TextilKennz-VO – VO (EU) 1059/2010 s. EnVKV – VO (EU) 1060/2010 s. EnVKV – VO (EU) 1061/2010 s. EnVKV – VO (EU) 1062/2010 s. EnVKV – VO (EU) 1169/2011 s. LMIV – VO (EU) 1223/2009 s. Kosmetik-VO – VO (EU) 1308/2013 s. GMO-VO – VO (EU) 2015/2283 s. Novel-Food-VO – VO (EU) 2016/679 s. DS-GVO VerpackG 266 VerpackungsG s. VerpackG Verpackungsverordnung s. VerpackV VerpackV 266 VersicherungsaufsichtsG s. VAG Versicherungsvermittlung 169, 174 Versicherungsvermittlungsverordnung s. VersVermV VersVermV 174 Verträge 55 Vertrauensschutz 39 Vertriebsbezogene Vorschriften 250 Verwaltungsakte 38, 54, 73 Verwaltungsrichtlinien 54 Verwaltungsvorschriften 54 Völkerrecht 51 Vorläufiges TabakG s. VTabakG Vorsatz 70 Vorsprungserzielungsabsicht 77
11
§ 3a
Vorsprungsgedanke 2 VTabakG 214, 242, 243 Warenverkehrsfreiheit 71 WeinG 245 Werberecht der Apotheker 163 – Warenproben und Werbegeschenke 165 Werberecht der Ärzte 145 – Belegarzt 152 – Beruflicher Werdegang 148 – Berufsbezogene Informationen 148 – Gewinnspiel 148 – Irreführungsverbot 151 – Liberalisierung 145 – Marktverhaltensregelung 147 – Mitgliedschaften 148 – Praxiserfahrungen 148 – Sachlichkeitsgebot 150 – Sympathiewerbung 149, 150 – Tätigkeitsschwerpunkte 148 – Umgehungsverbot 152 – Verbot berufswidriger Werbung 145 Werberecht der Kliniken etc. 153 Werberecht der Notare 128 Werberecht der Rechtsanwälte 115 – Benennung von Teilbereichen 126 – Berufsbezogenheit 120 – Fachanwaltsbezeichnung 125 – Liberalisierung 115 – Marktverhaltensregelung 118 – Sachlichkeitsgebot 120 – Umgehungsverbot 127 – Werbung 119 – Werturteile Werberecht der Steuerberater 134 Werberecht der Zahnärzte s. Werberecht der Ärzte Wertbezogene Normen 2 Wertneutrale Normen 2 Wertpapierhandelsgesetz s. WpHG Wettbewerbsregeln 56 Wettbewerbsverbote 67 Widerrufsrecht 281 Wohnungsvermittlung 175 WohnungsvermittlungsG s. WoVermittG WoVermittG 175 WpHG 215 Zahlungsdienstrahmenverträge 284 „Zahlungspflichtig bestellen“ 283 Zahnheilkundegesetz s. ZHG ZHG 253 ZKDSG 195 ZPO 110 ZugangskontrolldiensteschutzG s. ZKDSG Zuwiderhandlung 70
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
A. Grundlagen A. Grundlagen
I. Die Entwicklung des Rechtsbruchtatbestandes 1
1. Die Zeit bis 1945. Die ersten Ansätze, Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften als unlautere Handlungen im Wettbewerb zu betrachten, finden sich in der Rechtsprechung des Reichsgerichts und der Obergerichte aus der Zeit nach Inkrafttreten des UWG vom 7.6.1909.1 Das Gesetz vom 27.5.1896 enthielt keinen Einzeltatbestand im Hinblick auf Rechtsverstöße von Wettbewerbern. Erst die Generalklausel in § 1 des UWG 1909 eröffnete der Rechtsprechung die Gelegenheit, sich mit der lauterkeitsrechtlichen Beurteilung von Gesetzesverstößen auseinanderzusetzen. Dabei übten sich die Gerichte zunächst in Zurückhaltung. In einer Entscheidung aus dem Jahr 1910 lehnte es das OLG Hamburg ab, den gesetzlich verbotenen Arzneimittelverkauf durch einen Drogisten als sittenwidrig i.S.d. § 1 UWG 1909 einzuordnen, weil es sich um eine bloße Ordnungswidrigkeit handele.2 Noch zurückhaltender äußerte sich das Reichsgericht in einem obiter dictum aus dem Jahr 1912, wonach der Verstoß gegen die guten Sitten nicht davon abhängen soll, „ob derjenige, der die Handlung vornimmt, dieses überhaupt und zu der betreffenden Zeit oder an dem betreffenden Ort nicht soll und ob er sich, wenn er es dennoch tut, strafbar macht, sondern vielmehr davon, ob die vorgenommene Handlung als Wettbewerbshandlung den guten Sitten zuwider läuft.“3 Die vollständige Trennung der Gesetzesverletzung von der Sittenwidrigkeit wurde vom Reichsgericht erst 1927 in der Entscheidung „Tariflohn/Berliner Wach- und Schließgesellschaft“ überwunden. Das Reichsgericht zog nunmehr doch die gesetzwidrige Handlung eines Mitbewerbers – die untertarifliche Bezahlung von Arbeitnehmern – für die Begründung der Sittenwidrigkeit heran und begründete dies mit dem „Vorsprung im gewerblichen Wettkampf“, den die untertarifliche Bezahlung mit sich bringe. 4 In der Entscheidung „MaklerFachgruppe“ aus dem Jahr 1941 erkannte das Reichsgericht die von der folgenden Rechtsprechung über 50 Jahre lang befolgte Differenzierung zwischen sittlich fundierten und lediglich auf Zweckmäßigkeitserwägungen beruhenden Vorschriften an:5 Danach liege in einem Gesetzesverstoß zugleich eine sittenwidrige Handlung, wenn das gesetzliche Verbot selbst „einer sittlichen Auffassung Ausdruck verleiht.“ Ein Wettbewerbsverstoß sei dagegen abzulehnen, wenn die gesetzlichen Verbote „auf Erwägungen beruhen, die mit dem allgemeinen sittlichen Empfinden nichts zu tun haben und das Gebiet geschäftlichen Anstandes nicht berühren.“
2
2. Entwicklung von 1945 bis zur Neufassung des UWG 2004. Der Bundesgerichtshof knüpfte nach 1945 an die ältere Rechtsprechung an und entwickelte die Unterscheidung von sittlich fundierten und auf Zweckmäßigkeitserwägungen beruhenden Vorschriften schrittweise fort.6 Dabei wurden die „sittlich fundierten Normen“ schon bald als eine von zwei Fallgruppen der übergreifenden Kategorie der „wertbezogenen Normen“ zugeordnet. Verstößen gegen sittlich fundierte Normen oder dem Schutz wichtiger Allgemeingüter dienender Vorschriften (insb. Gesundheitsschutz nach AMG, BtMG,
_____
1 Dazu P. Schmid S. 250 f.; Schwarz S. 22 ff. 2 OLG Hamburg Recht 1910, Nr. 3175. 3 RG JW 1912, 254, 255. 4 RG 12.4.1927 – II 425/26 – RGZ 117, 16, 21 ff. 5 RG 7.4.1941 – II 121/40 – RGZ 166, 315, 319. 6 Beispielhaft BGH 16.11.1956 – I ZR 150/54 – BGHZ 22, 167 = GRUR 1957, 131 – Apothekenpflichtige Arzneimittel; BGH 29.1.1957 – I ZR 53/55 – BGHZ 23, 184 = GRUR 1957, 355 – Spalttabletten.
Metzger/Eichelberger
12
A. Grundlagen
§ 3a
HWG etc.; Schutz der Rechtspflege nach RBerG, BRAO, StBerG; Schutz verfassungsrechtlich geschützter Güter; Schutz des Wettbewerbs als Institution), zusammengefasst als „wertbezogene Normen“,7 wurden nunmehr Verstöße gegen „wertneutrale Normen“ gegenübergestellt, bei denen die Gesetzeswidrigkeit als solche noch keinen Wettbewerbsverstoß bedeutete.8 Bei einem Verstoß gegen wertneutrale Vorschriften bedurfte es zusätzlicher Umstände, die das gesetzeswidrige Verhalten aus wettbewerbsrechtlicher Sicht als anstößig erscheinen lassen, wobei die Rechtsprechung hierfür regelmäßig das bewusste und planmäßige Vorgehen des Verletzers forderte, der sich in Kenntnis der Rechtsverletzung einen Vorsprung im Wettbewerb vor gesetzestreuen Mitbewerbern zu verschaffen sucht.9 Der Gedanke des Vorsprungs durch Rechtsbruch kam dadurch weiterhin zum Tragen, allerdings nur bei der Verletzung von wertneutralen Vorschriften. In der Literatur wurde die von der Rechtsprechung vorgenommene Unterscheidung 3 zunehmend kritisch beurteilt. Während einzelne Stimmen eine Ausweitung des Rechtsbruchtatbestands auf alle Gesetzesverstöße10 oder eine Einengung und insbesondere die Ausklammerung von verwaltungsrechtlichen Vorschriften11 forderten, erwies sich vor allem die von v. Schall-Riaucour und Schricker entwickelte Schutznormtheorie in der Folge als einflussreich.12 Nach dieser Ansicht sollte in Analogie zu § 823 Abs. 2 BGB nach dem Schutzzweck der verletzten Norm gefragt werden. Nur wenn der Schutzzweck der fraglichen Norm mit dem Schutzzweck des UWG jedenfalls teilweise übereinstimme, komme eine Sittenwidrigkeit gem. § 1 UWG 1909 in Betracht.13 Daneben sei aber weiterhin der Vorsprungsgedanke heranzuziehen.14 Die Schutznormtheorie hat in der Folge zahlreiche Anhänger gefunden, wenn auch mit verschiedenen Modifikationen in Einzelfragen.15 Die wachsende Kritik im Schrifttum hat seit den späten 1990er Jahren Widerhall 4 in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gefunden. In der Entscheidung „Hormonpräparate“ aus dem Jahr 1998 wurde erstmals klargestellt, dass ein Verstoß gegen wertbezogene Normen nicht per se als Verstoß gegen § 1 UWG 1909 zu werten sei.16 Die besonderen Umstände des Einzelfalls könnten ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen. Hierbei sei auch auf den Schutzzweck der verletzten Norm abzustellen.17 Den Wendepunkt in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bildete allerdings erst die Entscheidung „Abgasemissionen“ aus dem Jahr 2000.18 Der Gerichtshof stellte nunmehr, unter Bezugnahme auf die Grundlagenarbeiten Schrickers und weiterer Ver-
_____
7 Beispielhaft BGH 12.2.1965 – Ib ZR 42/63 – GRUR 1965, 373, 375 – Blockeis II; BGH 26.6.1970 – I ZR 14/69 – GRUR 1970, 558, 559 – Sanatorium I. 8 Beispielhaft BGH 9.11.1973 – I ZR 126/72 – GRUR 1974, 281, 282 – Clipper; BGH 2.5.1991 – I ZR 227/89 – GRUR 1991, 769, 771 – Honoraranfrage. 9 Grundlegend BGH 21.5.1957 – I ZR 19/56 – GRUR 1957, 558, 559 – Bayern-Expreß; BGH 2.5.1991 – I ZR 227/89 – GRUR 1991, 769, 771 – Honoraranfrage. 10 So insb. Sack WRP 1985, 1, 11. 11 So insb. Quack FS Trinkner, 1995, S. 265, 276 f. 12 v. Schall-Riaucour S. 76 ff.; Schricker S. 250 ff. 13 S. insbesondere Schricker S. 252 ff. 14 Schricker S. 260 ff. 15 Vgl. die Nachweise bei GK-UWG1/Teplitzky § 1 Rn. G 261. 16 BGH 3.12.1998 – I ZR 119/96 – BGHZ 140, 134, 138 = GRUR 1999, 1128, 1129 – Hormonpräparate; bestätigt durch BGH 6.10.1999 – I ZR 46/97 – GRUR 2000, 237, 238 – Giftnotruf-Box. 17 BGH 3.12.1998 – I ZR 119/96 – BGHZ 140, 134, 138 = GRUR 1999, 1128, 1129 – Hormonpräparate, unter Verweis auf Beier/Schricker GRUR 1993, 880, 883 und Sack WRP 1998, 683, 684. 18 BGH 11.5.2000 – I ZR 28/98 – BGHZ 144, 255 = GRUR 2000, 1076 – Abgasemissionen. Zur Fortentwicklung des neuen Ansatzes s. BGH 5.10.2000 – I ZR 224/98 – GRUR 2001, 354 – Verbandsklage gegen Vielfachabmahner; BGH 11.10.2001 – I ZR 172/99 – GRUR 2002, 269 – Sportwetten-Genehmigung.
13
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
treter der Schutznormlehre, fest, dass der in § 1 UWG (a.F.) enthaltene Begriff der Sittenwidrigkeit „wettbewerbsbezogen auszulegen“ sei. Demgemäß sei ein Marktverhalten „grundsätzlich nicht schon dann wettbewerbsrechtlich unlauter, wenn es Vorteile aus einem Verstoß gegen ein Gesetz ausnutzt, das – selbst wenn es wertbezogen ist – keinen auch nur sekundären Marktbezug aufweist.“ (Leitsatz 1). Eine solche jedenfalls sekundäre wettbewerbsbezogene Schutzfunktion sei für Immissionsschutzvorschriften der 13. BImSchV abzulehnen. Auch reiche es für die Sittenwidrigkeit eines Verhaltens nicht ohne Weiteres aus, wenn der Verletzer sich einen Vorsprung durch den begangenen Rechtsbruch verschaffen wolle. Die fraglichen Normen würden auch dadurch nicht den erforderlichen Wettbewerbsbezug erhalten.19 Einen weiteren Meilenstein brachte die Entscheidung „Elektroarbeiten“ aus dem Jahr 2002.20 Der Bundesgerichtshof hatte sich hier mit der lauterkeitsrechtlichen Beurteilung kommunalrechtlicher Grenzen der Wirtschaftstätigkeit von Gemeinden zu befassen und lehnte ein Vorgehen von Mitbewerbern auf Grundlage von § 1 UWG 1909 bei Rechtsverstößen von Gemeinden ab: „Es ist nicht Sinn des § 1 UWG, den Anspruchsberechtigten zu ermöglichen, Wettbewerber unter Berufung darauf, dass ein Gesetz ihren Marktzutritt verbiete, vom Markt fernzuhalten, wenn das betreffende Gesetz den Marktzutritt nur aus Gründen verhindern will, die den Schutz des lauteren Wettbewerbs nicht berühren.“21 Damit war die Unterscheidung zwischen lauterkeitsrechtlich relevanten Marktverhaltensregeln und lauterkeitsrechtlich nicht zu sanktionierenden Marktzutrittsregeln anerkannt,22 die mit der UWGNovelle 2004 auch im Wortlaut des Rechtsbruchtatbestandes Niederschlag gefunden hat. Die noch zum alten UWG 1909 ergangene Rechtsprechung der späten 1990er und 5 frühen 2000er Jahre ist weiterhin von Bedeutung, weil es das Anliegen der gesetzgebenden Institutionen war, die neue Rechtsprechungslinie in § 4 Nr. 11 UWG (a.F., nunmehr § 3a) zu kodifizieren. Bereits der Entwurf von Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig aus dem Jahr 2002 enthielt in § 5 Nr. 4 eine an die aktuelle BGH-Rechtsprechung angelehnte Formulierung: „Unlauter handelt insbesondere, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die zumindest auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln“.23 Hieran lehnte sich der Referentenentwurf vom 23.1.2003 an, der allerdings ausdrücklich auch die Verletzung von reinen Marktzutrittsregelungen als unlauter einstufte.24 Der Entwurf der Bundesregierung aus dem Jahr 200325 begrenzte die Vorschrift jedoch wieder auf Verstöße gegen Marktverhaltensregelungen. Der Begründung des Regierungsentwurfs ist zu entnehmen, dass es mit Blick auf den Schutzzweck des Wettbewerbsrechts nicht Aufgabe der Vorschrift sei, Gesetzesverstöße generell zu sanktionieren: „Daher ist die Vorschrift so gefasst, dass nicht jede
_____
19 BGH 11.5.2000 – I ZR 28/98 – BGHZ 144, 255, 265 = GRUR 2000, 1076, 1079 – Abgasemissionen. 20 BGH 25.4.2002 – I ZR 250/00 – BGHZ 150, 343 = GRUR 2002, 825 – Elektroarbeiten; bestätigt durch BGH 26.9.2002 – I ZR 293/99 – GRUR 2003, 164, 165 – Altautoverwertung; BGH 15.5.2003 – I ZR 292/00 – GRUR 2003, 969, 970 – Ausschreibung von Vermessungsleistungen; BGH 4.11.2003 – KZR 38/02 – GRUR 2004, 259, 262 – Strom und Telefon II. 21 BGH 25.4.2002 – I ZR 250/00 – BGHZ 150, 343, 347 = GRUR 2002, 825, 826 – Elektroarbeiten. 22 Kritisch zur neuen Rechtsprechungslinie Ackermann FS Tilmann, 2003, 73, 82 ff.; Doepner WRP 2003, 1292, 1298 ff.; Piper WRP 2002, 1197 ff.; Spätgens FS Tilmann, 2003, S. 239, 252 ff.; zustimmend dagegen Köhler NJW 2002, 2761 ff.; GK-UWG1/Teplitzky § 1 Rn. 275; v. Ungern-Sternberg FS Erdmann, 2002, 741 ff. 23 Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig WRP 2002, 1317, 1319. 24 Referentenentwurf: Entwurf eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 23.1.2003, GRUR 2003, 298. 25 Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) vom 9.5.2003, BRDrucks. 301/03 = BTDrucks. 15/1487.
Metzger/Eichelberger
14
A. Grundlagen
§ 3a
Wettbewerbshandlung, die auf dem Verstoß gegen eine gesetzliche Vorschrift beruht, wettbewerbswidrig ist. Vielmehr wurde eine Beschränkung dadurch vorgenommen, dass der verletzten Norm zumindest eine sekundäre Schutzfunktion zu Gunsten des Wettbewerbs zukommen muss. Es wird dementsprechend nur ein Verstoß gegen solche Normen erfasst, die zumindest auch das Marktverhalten im Interesse der Marktbeteiligten regeln. Dies entspricht der neueren Rechtsprechung zu § 1 UWG a.F. (vgl. BGH GRUR 2002, 825).“26 Weiter heißt es: „Die vorgenommene Einschränkung schließt nicht aus, dass auch Verstöße gegen Marktzutrittsregelungen vom Tatbestand erfasst sein können. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Marktzutrittsregelung eine auf die Lauterkeit des Wettbewerbs bezogene Schutzfunktion hat und somit auch zugleich das Marktverhalten regelt. Hiervon ist insbesondere bei Vorschriften auszugehen, die als Voraussetzung für die Ausübung bestimmter Tätigkeiten den Nachweis besonderer fachlicher Qualifikation fordern.“27 Es entsprach damit der Intention der Bundesregierung, die durch die Entscheidung „Abgasemissionen“ vollzogene Anerkennung der Schutznormlehre gesetzlich festzuschreiben. Zugleich wurde unter ausdrücklichem Verweis auf die Entscheidung „Elektroarbeiten“ die Unterscheidung zwischen Markverhaltens- und Marktzutrittsregelungen in den Gesetzeswortlaut übernommen, wenngleich die Gesetzesbegründung deutlich macht, dass auch Marktzutrittsregelungen mit gleichzeitig auf das Marktverhalten bezogener Funktion nicht von der Anwendung der Vorschrift ausgeschlossen sein sollen. Gegen den Ausschluss reiner Marktzutrittsregeln wendeten sich im Gesetzgebungsverfahren der Rechts-, der Agrar- und der Wirtschaftsausschuss des Bundesrates. In einer gemeinsamen Empfehlung an den Bundesrat wurde hervorgehoben, dass auch Markzutrittsregelungen jedenfalls eine sekundäre wettbewerbsbezogene Funktion erfüllen könnten. Gerade die in den Gemeindeordnungen der Länder geregelten Verbote der wirtschaftlichen Betätigung von Gemeinden sollten künftig entgegen der jüngeren Rechtsprechung mit den Mitteln des Wettbewerbsrechts sanktioniert werden können.28 Der Bundesrat schloss sich dieser Empfehlung in seiner Sitzung vom 20.6.2003 mehrheitlich an.29 Die Bundesregierung verwies dagegen in ihrer Gegenäußerung auf die Bedenken, die von kommunaler Seite vorgebracht worden seien. Das UWG habe „keine strukturpolitische Zielsetzung“. Das vom Bundesrat angesprochene Rechtsschutzdefizit solle durch eine Klarstellung in den Gemeindeordnungen der Länder beseitigt werden.30 Dieser Linie schloss sich auch die Mehrheit des Bundestags-Rechtsausschusses31 und des Bundestags32 an. Im nachfolgenden Vermittlungsverfahren spielte die Frage der Marktzutrittsregeln keine Rolle mehr. Das Gesetz wurde nach Abschluss des Vermittlungsverfahrens durch den Bundestag beschlossen, am 7.7.2004 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht33 und ist am darauffolgenden Tag in Kraft getreten. 3. Änderungen des UWG 2008 und 2015. Die Neufassung des UWG im Jahr 2008, 6 die der Umsetzung der RL 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken (UGP-RL) in
_____
26 Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) vom 9.5.2003, BRDrucks. 301/03, S. 37 = BTDrucks. 15/1487, S. 19. 27 Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) vom 9.5.2003, BRDrucks. 301/03, S. 37 = BTDrucks. 15/1487, S. 19. 28 Empfehlungen der Ausschüsse zum Entwurf eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 10.6.2003, BRDrucks. 301/1/03 S. 6 f. 29 S. BR-Plenarprotokoll zur 789. Sitzung vom 20.6.2003 S. 204; BTDrucks. 15/1487, S. 31. 30 Gegenäußerung der Bundesregierung, BTDrucks 15/1487, S. 41. 31 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks. 15/2795, S. 19 f. 32 S. BT-Plenarprotokoll 15/102 vom 1.4.2004, S. 9292. 33 BGBl. I 2004, S. 1414.
15
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
das deutsche Recht diente, hatte keine Änderungen an § 4 Nr. 11 UWG 2004 zur Folge.34 – Durch die UWG-Novelle 2015 wurde schließlich der zuvor als Beispiel für unlautere geschäftliche Handlungen im Sinne des § 3 UWG 2004/2008 ausgestaltete Rechtsbruchtatbestand zu einem selbstständigen Unlauterkeitstatbestand umgestaltet und zusammen mit der zuvor in § 3 UWG 2008 enthaltenen Spürbarkeitsklausel35 als § 3a kodifiziert. Eine inhaltliche Änderung ist damit nicht verbunden.36 Die Neufassung soll allein der einfacheren Rechtsanwendung dienen und durch den Wegfall der Bezugnahme auf § 3 Abs. 1 zudem verdeutlichen, dass es sich beim Rechtsbruchtatbestand um eine eigenständige Regelung außerhalb des Anwendungsbereichs der UGP-RL handelt.37 Es kann deshalb ohne Einschränkung auf die Rechtsprechung und Literatur zu § 4 Nr. 11 UWG a.F. sowie zur in § 3 UWG 2008 enthaltenen Spürbarkeitsklausel zurückgegriffen werden. II. Einfluss des Unionsrechts, insbesondere der UGP-RL Der Einfluss des Unionsrechts auf das nationale Lauterkeitsrecht und insbesondere auf den Rechtsbruchtatbestand ist noch nicht in allen Details abschließend geklärt. Von zentraler Bedeutung für das Lauterkeitsrecht ist dabei die RL 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern (UGP-RL).38 Diese verfolgt innerhalb ihres Anwendungsbereichs das Ziel einer Vollharmonisierung des Rechts über unlautere Geschäftspraktiken.39 Das nationale Recht darf deshalb nicht nur hinter dem Schutzniveau der UGP-RL zurückbleiben, sondern es darf auch nicht darüber hinausgehen, das heißt, keine strengeren Vorschriften machen, als dies die UGP-RL zulässt.40 Inhaltlich betrifft diese Vollharmonisierung das gesamte Recht der unlauteren Geschäftspraktiken von Unternehmern gegenüber Verbrauchern.41 8 Weil nun die UGP-RL keinen dem § 3a vergleichbaren allgemeinen Rechtsbruchtatbestand kennt,42 zugleich aber das Verbot unlauterer Geschäftspraktiken von Unterneh7
_____
34 S. den Regierungsentwurf mit Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Bundesregierung BTDrucks. 16/10145. 35 Umgestellt wurde dabei die Reihenfolge der Nennung derer, deren Interessen relevant sind: von „Mitbewerbern, Verbrauchern oder sonstigen Marktteilnehmern“ zu „Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern“. 36 BGH 18.5.2017 – I ZR 100/16 – GRUR 2017, 1278 Tz. 9 – Märchensuppe; BGH 18.5.2017 – I ZR 3/16 – GRUR 2017, 743 Tz. 13 – Uber Black; BGH 14.1.2016 – I ZR 61/14 – GRUR 2016, 516 Tz. 11 – Wir helfen im Trauerfall. 37 So BGH 4.2.2016 – I ZR 181/14 – GRUR 2016, 954 Tz. 11 – Energieeffizienzklasse. 38 Zum Einfluss auf den Rechtsbruchtatbestand s. insb. Glöckner GRUR 2013, 568; Metzger GRUR Int. 2015, 687 ff. 39 EuGH 23.4.2009 – C-261/07 u. C-299/07 – Slg. 2009, I-2949 = GRUR 2009, 599 Tz. 52 – VTB-VAB NV/Total Belgium NV und Galatea BVBA/Sanoma Magazines Belgium NV; BGH 13.12.2018 – I ZR 3/16 – GRUR 2019, 298 Tz. 28 – Uber Black II; BGH 8.10.2015 – I ZR 225/13 – GRUR 2016, 513 Tz. 19 – Eizellspende; BGH 5.6.2008 – I ZR 4/06 – GRUR 2008, 807 Tz. 17 – Millionen-Chance; a.A. Sosnitza WRP 2006, 1, 6, unter Verweis auf die in Erwägungsgrund 7 enthaltene Ausnahme für die „guten Sitten“ und „den Anstand“. 40 EuGH 23.4.2009 – C-261/07 u. C-299/07 – Slg. 2009, I-2949 = GRUR 2009, 599 Tz. 52 – VTB-VAB NV/Total Belgium NV und Galatea BVBA/Sanoma Magazines Belgium NV; BGH 9.6.2011 – I ZR 17/10 – GRUR 2012, 188 Tz. 46 – Computer-Bild; Die Übergangsregelung in Art. 3 Abs. 5 ist infolge Zeitablaufs (zum 12.6.2013) obsolet. Dazu GK-UWG2/Metzger § 4 Nr. 11 Rn. 12. 41 S. EuGH 23.4.2009 – C-261/07 u. C-299/07 – Slg. 2009, I-2949 = GRUR 2009, 599 Tz. 51 ff. – VTB-VAB NV/Total Belgium NV und Galatea BVBA/Sanoma Magazines Belgium NV; BGH 12.1.2017 – I ZR 258/15 – GRUR 2017, 409 Tz. 25 – Motivkontaktlinsen; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.8. 42 BGH 29.11.2018 – I ZR 237/16 – GRUR 2019, 203 Tz. 17 – Versandapotheke; BGH 8.10.2015 – I ZR 225/13 – GRUR 2016, 513 Tz. 19 – Eizellspende; BGH 12.2.2015 – I ZR 213/13 – GRUR 2015, 813 Tz. 11 – Fahrdienst zur Augenklinik (zu § 4 Nr. 11 a.F.).
Metzger/Eichelberger
16
A. Grundlagen
§ 3a
mern gegenüber Verbrauchern insgesamt vollharmonisiert, kann in ihrem Anwendungsbereich die Zuwiderhandlung gegen eine Marktverhaltensregelung nur dann als nach § 3a lauterkeitswidriges Verhalten angesehen werden, wenn sich dieses Verhalten auch nach Maßgabe der UGP-RL als unlautere Geschäftspraktik darstellt. Das ist es, was die verbreitete Formulierung, im Anwendungsbereich der UGP-RL könne ein Verstoß gegen eine nationale Marktverhaltensregel die Unlauterkeit nach § 3a grundsätzlich nur begründen, wenn diese nationale Bestimmung eine unionsrechtliche Grundlage hat,43 meint. Von der UGP-RL gewährte Umsetzungsspielräume, insbesondere ihre Generalklauseln, können die Mitgliedstaaten allerdings autonom auszufüllen.44 Außerhalb ihres Anwendungsbereichs steht die UGP-RL hingegen nationalen 9 Marktverhaltensregelungen nicht entgegen, so dass Zuwiderhandlungen gegen solche Regelungen mittels des Rechtsbruchtatbestandes ohne Rücksicht auf die UGP-RL untersagt werden können. Eine Grundlage im Unionsrecht im Sinne einer positiven Ermächtigung zum Erlass einer nationalen Vorschrift ist hier nicht notwendig, sondern es genügt, dass die Marktverhaltensregelung mit dem primären Unionsrecht, wie namentlich den Grundfreiheiten des AEUV und der Grundrechte-Charta, sowie – soweit vorhanden – mit dem sonstigen sekundären Unionsrecht vereinbar ist.45 1. Anwendungsbereich der UGP-RL. Die Vorgaben der UGP-RL können überall 10 dort außer Betracht bleiben, wo deren Anwendungsbereich ausdrücklich eingeschränkt ist. Dies betrifft zunächst den persönlichen Anwendungsbereich. Nach ihrem Art. 3 Abs. 1 gilt die UGP-RL (nur) „für unlautere Geschäftspraktiken im Sinne des Artikels 5 von Unternehmen gegenüber Verbrauchern vor, während und nach Abschluss eines auf ein Produkt bezogenen Handelsgeschäfts“. Steht keine Geschäftspraktik gegenüber einem Verbraucher in Rede, ist die UGP-RL nicht anwendbar.46 So lag es beispielsweise in der Sache „Rechtsberatung durch Lebensmittelchemiker“, in der über die Wettbewerbswidrigkeit von Rechtsberatungsleistungen zu entscheiden war, die die Beklagte ausschließlich gegenüber Unternehmern erbracht hat,47 sowie in der Sache „Uber Black“, in der allein der Wettbewerb der Mietwagenunternehmer untereinander sowie der Wettbewerb zwischen Mietwagen- und Taxiunternehmen betroffen war.48 Dies darf freilich nicht dahin missverstanden werden, dass Handlungen zwischen Unternehmern generell aus dem Anwendungsbereich der UGP-RL herausfielen. Sobald eine Geschäftspraktik zu-
_____
43 S. nur BGH 25.2.2016 – I ZR 238/14 – GRUR 2016, 957 Tz. 11 – Mehrwertdienstenummer; BGH 29.4.2010 – I ZR 23/08 – GRUR 2010, 652 Tz. 11 – Costa del Sol. 44 BGH 11.3.2009 – I ZR 194/06 – GRUR 2009, 1064 Tz. 19 – Geld-zurück-Garantie II; BGH 5.6.2008 – I ZR 4/06 – GRUR 2008, 807 Tz. 20 – Millionen-Chance; Glöckner GRUR 2013, 224, 232 f.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.11; GK2-UWG/Heinze Einl C Rn. 237. 45 Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.9, 1.15; im Ergebnis auch BGH 12.2.2015 – I ZR 213/13 – GRUR 2015, 813 Tz. 11 – Fahrdienst zur Augenklinik. – So hätte beispielsweise in den zu den AGB- bzw. verbrauchsgüterkaufrechtlichen Regelungen als Marktverhaltensregelungen ergangenen Entscheidungen nicht auf die unionsrechtliche Grundlage dieser nationalen Vorschriften in der Klausel-RL bzw. der Verbrauchsgüterkauf-RL abgestellt werden müssen (so aber BGH 31.5.2012 – I ZR 45/11 – GRUR 2012, 949 Tz. 47 – Missbräuchliche Vertragsstrafe und BGH 14.4.2011 – I ZR 133/09 – GRUR 2011, 638 Tz. 20 – Werbung mit Garantie), vielmehr war, da es sich um „vertragsrechtliche Regelungen“ i.S.d. Art. 3 Abs. 2 UGP-RL handelt, schon der Anwendungsbereich der UGP-RL nicht eröffnet und damit § 3a uneingeschränkt anwendbar, s. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.15. 46 S. BGH 13.12.2018 – I ZR 3/16 – GRUR 2019, 298 Tz. 28 – Uber Black II; BGH 27.4.2017 – I ZR 215/15 – GRUR 2017, 819 Tz. 28 – Aufzeichnungspflicht; BGH 2.3.2017 – I ZR 194/15 – GRUR 2017, 537 Tz. 25 – Konsumgetreide; BGH 2.12.2009 – I ZR 152/07 – GRUR 2010, 654 Tz. 15 – Zweckbetrieb. 47 BGH 4.11.2010 – I ZR 118/09 – GRUR 2011, 539 Tz. 23 – Rechtsberatung durch Lebensmittelchemiker. 48 S. BGH 13.12.2018 – I ZR 3/16 – GRUR 2019, 298 Tz. 28 – Uber Black II.
17
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
mindest auch Verbraucher betrifft, ist der persönliche Anwendungsbereich der UGP-RL eröffnet.49 Hinsichtlich des sachlichen Anwendungsbereichs sind die verschiedenen explizi11 ten Ausnahmen und Öffnungsklauseln in Art. 3 Abs. 2–5 und Abs. 8–10 UGP-RL sowie in den Erwägungsgründen 6, 7, 9, 10 und 14 von Bedeutung. Ausgenommen vom Anwendungsbereich der UGP-RL sind danach zunächst das „Vertragsrecht und insbesondere die Bestimmungen über die Wirksamkeit, das Zustandekommen oder die Wirkungen eines Vertrags“ (Art. 3 Abs. 2 UGP-RL). Das umfasst auch vorvertragliche und vertragliche Informationspflichten des Unternehmers gegenüber dem Verbraucher (z.B. § 312 a Abs. 1 BGB, § 312a Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 246 EGBGB und § 312d BGB i.V.m. Art. 246a EGBGB).50 Davon abgesehen werden auf den Vertrag eines Unternehmers mit einem Verbraucher bezogene Vorschriften häufig überdies eine unionsrechtliche Grundlage haben.51 Ausgenommen sind sodann Vorschriften über Gesundheits- und Sicherheitsaspek12 te von Produkten (Art. 3 Abs. 3 UGP-RL). Dies schließt Vorschriften, die die Werbemöglichkeiten für solche Produkte beschränken, ein.52 Sofern also eine nationale Vorschrift zumindest auch dem Schutz der Gesundheit und Sicherheit von Verbrauchern dient, steht ihrer Durchsetzung mittels § 3a die UGP-RL nicht im Wege.53 Zu nennen sind hier beispielhaft Regelungen aus dem Apothekengesetz (ApoG),54 dem Arzneimittelgesetz (AMG),55 der Health-Claims-VO (EG) 1924/2006,56 dem Heilmittelwerbegesetz (HWG),57 dem Glücks-
_____
49 Zu der gebotenen Abgrenzung nach dem Schutzzweck s. EuGH 14.1.2010 – C-304/08 – Slg. 2010, I-217 = GRUR 2010, 244 Tz. 40 – Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs eV/Plus Warenhandelsgesellschaft mbH. 50 BGH 19.4.2018 – I ZR 244/16 – GRUR 2018, 950 Tz. 12 – Namensangabe (zu § 312a Abs. 1 BGB; diese Norm hat zudem, worauf der Senat ergänzend abstellt, eine Grundlage im Unionsrecht, nämlich in der Verbraucherrechte-RL); s. auch Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.24. 51 S. zu vorvertraglichen und vertraglichen Informationspflichten: BGH 19.4.2018 – I ZR 244/16 – GRUR 2018, 950 Tz. 12 – Namensangabe; zum AGB-Recht (§§ 307 ff. BGB): BGH 31.5.2012 – I ZR 45/11 – GRUR 2012, 949 Tz. 47 – Missbräuchliche Vertragsstrafe; zum Verbrauchsgüterkaufrecht (§§ 474 ff. BGB): BGH 31.3.2010 – I ZR 34/08 – GRUR 2010, 1117 Tz. 16 – Gewährleistungsausschluss im Internet (zu § 475 Abs. 1 S. 1 BGB a.F. [= § 476 Abs. 1 S. 1 BGB – Verbot nachteilig abweichender Vereinbarungen]); BGH 14.4.2011 – I ZR 133/09 – GRUR 2011, 638 Tz. 20 – Werbung mit Garantie (zu § 477 Abs. 1 BGB a.F. [= § 479 BGB – Sonderbestimmungen für Garantien]). 52 BGH 5.10.2017 – I ZR 117/16 – GRUR 2017, 1273 Tz. 15 – Tabakwerbung im Internet (zu § 19 Abs. 2 und Abs. 3 TabakerzG und § 21a Abs. 2–4, § 22 VTabakG a.F.); BGH 1.12.2016 – I ZR 143/15 – GRUR 2017, 641 Tz. 18 – Zuzahlungsverzicht bei Hilfsmitteln (zu § 7 Abs. 1 S. 1 HWG); s. auch EuGH 4.5.2017 – C-339/15 – GRUR 2017, 627 Tz. 30 – Luc Vanderborght. 53 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.24. 54 BGH 18.6.2015 – I ZR 26/14 – GRUR 2016, 213 Tz. 20 – Zuweisung von Verschreibungen (zu § 11 ApoG [Ärztebevorzugungsverbot]). 55 BGH 31.10.2018 – I ZR 235/16 – GRUR 2019, 97 Tz. 11 – Apothekenmuster (zu § 47 Abs. 3 AMG [Abgabe von Arzneimittelmustern]); BGH 8.1.2015 – I ZR 123/13 – GRUR 2015, 916 Tz. 15 – Abgabe ohne Rezept (zu § 48 AMG [Verschreibungspflicht]); BGH 13.12.2012 – I ZR 161/11 – GRUR 2013, 857 Tz. 11 – Voltaren (zu § 10 AMG [Kennzeichnung von Fertigarzneimitteln]); BGH 9.9.2010 – I ZR 193/07 – GRUR 2010, 1136 Tz. 13 – UNSER DANKESCHÖN FÜR SIE (zu § 78 Abs. 2 S. 2 und 3, Abs. 3 S. 1 AMG und § 1 Abs. 1 und 4, § 3 AMPreisV [Preisbindung für Arzneimittel]). 56 BGH 17.5.2018 – I ZR 252/16 – GRUR 2018, 1266 Tz. 15 – Bekömmliches Bier; BGH 12.3.2015 – I ZR 29/13 – GRUR 2015, 611 Tz. 15 – RESCUE-Produkte I; BGH, 17.1.2013 – I ZR 5/12 – GRUR 2013, 958 Tz. 22 – Vitalpilze (alle zur Health-Claims-VO in toto). 57 S. BGH 29.11.2018 – I ZR 237/16 – GRUR 2019, 203 Tz. 17 – Versandapotheke und BGH 24.11.2016 – I ZR 163/15 – GRUR 2017, 635 Tz. 28 – Freunde werben Freunde (beide zu § 7 Abs. 1 S. 1 HWG [Verbot von Werbegaben]); BGH 1.12.2016 – I ZR 143/15 – GRUR 2017, 641 Tz. 18 – Zuzahlungsverzicht bei Hilfsmitteln (zu § 7 Abs. 1 S. 1 HWG [Verbot von Werbegaben]); BGH 6.11.2014 – I ZR 26/13 – GRUR 2015, 504 Tz. 10 – Kostenlose Zweitbrille (zu § 7 Abs. 1 S. 1 HWG [Verbot von Werbegaben]); BGH 26.3.2009 – I ZR 213/06 –
Metzger/Eichelberger
18
A. Grundlagen
§ 3a
spielrecht,58 den Nichtraucherschutzgesetzen,59 der Öko-VO (EG) 834/2007,60 dem Pflanzenschutzgesetz (PflSchG),61 dem Produktsicherheitsgesetz (ProdSG),62 dem Tabakerzeugnisgesetz (TabakerzG).63 Nach Art. 3 Abs. 4 UGP-RL gehen im Kollisionsfalle64 unionsrechtliche Vorschriften, 13 die „besondere Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken regeln“, der UGP-RL vor. Solche Vorschriften finden sich beispielsweise in der RL 2010/13/EU über audiovisuelle Mediendienste („AVMD-RL“),65 in der RL 2000/31/EG über den elektronischen Geschäftsverkehr,66 in der Luftverkehrsdienste-VO (EG) 1008/2008,67 im Gemeinschaftskodex Humanarzneimittel (RL 2001/83/EG),68 in der Kosmetik-VO (EG) 1223/2009,69 in der Lebensmittelinformations-VO (EU) 1169/2011 („LMIV“),70 in der Pauschalreisen-RL (EU) 2015/
_____ GRUR 2009, 984 Tz. 34 – Festbetragsfestsetzung (zu § 4 Abs. 3 S. 1 HWG [Pflichtangaben über Risiken und Nebenwirkungen]); BGH 6.6.2013 – I ZR 2/12 – GRUR 2014, 94 Tz. 10 – Pflichtangaben im Internet (zu § 4 Abs. 1 und Abs. 3 HWG [Pflichtangaben bei Werbung]); BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749 Tz. 39 – Erinnerungswerbung im Internet (zu § 4 Abs. 1 HWG [Pflichtangaben bei Werbung]); BGH 28.9.2011 – I ZR 96/10 – GRUR 2012, 647 Tz. 11 – INJECTIO (zu § 5 HWG [Verbot, für nach dem Arzneimittelgesetz registrierte oder von der Registrierung freigestellte Arzneimittel mit der Angabe von Anwendungsgebieten zu werben]). 58 Namentlich die auf die Prävention der Spielsucht – einer Krankheit – abzielenden Regelungen, s. KG 28.8.2018 – 5 U 174/17 – WRP 2018, 1488 Tz. 13 (zu § 6 Abs. 1 S. 2 SpielhallenG Berlin). 59 OLG Saarbrücken 7.3.2018 – 1 U 17/17 – GRUR 2018, 742 Tz. 40 – Rauchverbot in Gaststätten (zu § 2 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 2, § 5 Abs. 1 und Abs. 2 NRauchSchG Saarland); KG 28.8.2018 – 5 U 174/17 – WRP 2018, 1488 Tz. 23 (zu § 6 Abs. 2, § 2 Abs. 1 Nr. 4 NRSG Berlin); Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.25. 60 BGH 29.3.2018 – I ZR 243/14 – GRUR 2018, 745 Tz. 14 – Bio-Gewürze II (zu Art. 28 Abs. 1 UAbs. 1 lit. b Bio-VO). 61 BGH 6.10.2011 – I ZR 117/10 – GRUR 2012, 407 Tz. 30 – Delan und BGH 2.2.2012 – I ZR 81/10 – GRUR 2012, 945 Tz. 29 – Tribenuronmethyl (beide zu § 11 Abs. 1 S. 1, 2 PflSchG a.F. [Zulassungsbedürftigkeit] und § 16c PflSchG a.F. [Verkehrsfähigkeit paralleleingeführter Pflanzenschutzmittel]); BGH 1.6.2011 – I ZR 25/10 – GRUR 2011, 843 Tz. 14 – Vorrichtung zur Schädlingsbekämpfung (zu § 11 Abs. 1 S. 1 PflSchG a.F.). 62 BGH 12.1.2017 – I ZR 258/15 – GRUR 2017, 409 Tz. 25 – Motivkontaktlinsen und BGH 11.5.2017 – I ZR 59/16 – GRUR-RR 2017, 500 Tz. 18 – Herstellerangaben auf Kopfhörer (beide zu § 6 Abs. 5 S. 1 und S. 2 ProdSG [Händlerpflichten im Zusammenhang mit dem Bereitstellen von Verbraucherprodukten]). 63 S. BGH 5.10.2017 – I ZR 117/16 – GRUR 2017, 1273 Tz. 15 – Tabakwerbung im Internet (zu § 21a Abs. 4 VTabakG a.F. [Werbeverbot für Tabakerzeugnisse in Diensten der Informationsgesellschaft]; gleichsinnig nunmehr in § 19 Abs. 3 TabakerzG). 64 Zum Begriff der „Kollision“ s. EuGH 13.9.2018 – C-54/17, C-55/17 – GRUR 2018, 1156 Tz. 60 f. – AGCM/Wind u. Vodafone. – An einer Kollision fehlt es, wenn die unionsrechtlichen Vorschriften die Regelungen der UGP-RL lediglich ergänzen; die UGP-RL ist dann parallel anwendbar. S. BGH 7.5.2015 – I ZR 158/14 – GRUR 2015, 1240 Tz. 29 – Der Zauber des Nordens und BGH 14.1.2016 – I ZR 61/14 – GRUR 2016, 516 Tz. 21 – Wir helfen im Trauerfall (beide zu den Informationspflichten aus Art. 22 Dienstleistungs-RL). 65 EuGH 17.10.2013 – C-391/12 – GRUR 2013, 1245 Tz. 45 ff. – RLvS/Stuttgarter Wochenblatt [GOOD NEWS]; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.26; zur vormaligen RL 89/552/EWG zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit in der Fassung der Richtlinie 97/36/EG, s. BGH 22.4.2009 – I ZR 216/06 – GRUR 2009, 845 Tz. 38 – Internet-Videorecorder. 66 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.26; FBO/Götting/Hetmank § 3a Rn. 11a. 67 BGH 30.7.2015 – I ZR 29/12 – GRUR 2016, 392 Tz. 15 – Buchungssystem II (zu Art. 23 Luftverkehrsdienste-VO). 68 EuGH 16.7.2015 – I C-544/13, C-545/13 – GRUR 2015, 1028 Tz. 80 – Abcur/Farmaci ua. 69 BGH 28.1.2016 – I ZR 36/14 – GRUR 2016, 418 Tz. 12 – Feuchtigkeitsspendendes Gel-Reservoir (zu § 20 Abs. 1 Kosmetik-VO i.V.m. der VO (EU) 655/2013 zur Festlegung gemeinsamer Kriterien zur Begründung von Werbeaussagen im Zusammenhang mit kosmetischen Mitteln [Kennzeichnungsvorschriften]). 70 BGH 2.12.2015 – I ZR 45/13 – GRUR 2016, 738 Tz. 23 – Himbeer-Vanille-Abenteuer II (zu § 7 LMIV [Irreführungsverbot]).
19
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
2302 (vormals RL 90/314/EWG),71 in der Preisangaben-RL 98/6/EG,72 in der zum 1.8.2017 durch die Rahmen-VO zur Energieverbrauchskennzeichnung (VO (EU) 2017/1369) aufgehobenen EU-Energieverbrauchsangabe-RL 2010/30/EU i.V.m. der Delegierten VO (EU) 665/2013,73 in der Unterlassungsklagen-RL 2009/22/EG,74 in der RL über irreführende und vergleichende Werbung 2006/114/EG.75 Die Öffnungsklausel umfasst nur unionsrechtliche Vorschriften.76 Das sind neben dem unmittelbaren Unionsrecht (insbesondere den EU-Verordnungen) allerdings auch Unionsrecht (insbesondere EU-Richtlinien) lediglich umsetzende nationale Regelungen, sofern diese die unionsrechtlichen Vorgaben zutreffend umsetzen, bei vollharmonisierenden Richtlinie insbesondere nicht über diese hinausgehen. Unberührt von der UGP-RL bleiben sodann Niederlassungs- oder Genehmigungsbe14 dingungen, berufsständische Verhaltenskodizes und andere spezifische Regeln für reglementierte Berufe (Art. 3 Abs. 8 UGP-RL). Solche finden sich beispielsweise in den Berufsordnungen der Heilberufe,77 im Berufsrecht der Architekten,78 in der Gewerbeordnung (GewO), 79 in der Handwerksordnung (HwO), 80 im Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG),81 im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG).82 Schließlich gestattet Art. 3 Abs. 9 UGP-RL den Mitgliedstaaten, im Zusammenhang 15 mit Finanzdienstleistungen und Immobilien Anforderungen zu stellen, die im Vergleich zur UGP-RL „restriktiver und strenger“ sind. Weitere Ausnahmen ergeben sich aus den Erwägungsgründen der UGP-RL. So kön16 nen von den Mitgliedstaaten Geschäftspraktiken aus Gründen „der guten Sitten und des Anstands“ verboten werden (Erwägungsgrund 7 S. 3–5 UGP-RL), auch wenn sie die wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers nicht beeinflussen. Erwägungsgrund 7 S. 4 UGP-RL nennt hier als Beispiel das Ansprechen von Personen auf der Straße.
_____
71 Zur RL 90/314/EWG: Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.26; FBO/Götting/Hetmank § 3a Rn. 11a; vgl. auch BGH 29.4.2010 – I ZR 23/08 – GRUR 2010, 652 Tz. 12 – Costa del Sol (zu § 4 Abs. 1 BGB-InfoV a.F. [notwendige Angaben in Reiseprospekten]). 72 EuGH 7.7.2016 – C-476/14 – GRUR 2016, 945 Tz. 42–44 – Citroën Commerce/ZLW; s. dazu Köhler GRUR 2016, 891, 893 ff.; BGH 10.11.2016 – I ZR 29/15 – GRUR 2017, 286 Tz. 11 – Hörgeräteausstellung (zu § 1 Abs. 1 S. 1 Var. 1 PAngV [Angabe des Gesamtpreises]). 73 EuGH 25.7.2018 – C-632/16 – GRUR 2018, 940 Tz. 33 – Dyson/BSH. 74 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.26. 75 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.26. 76 EuGH 13.9.2018 – C-54/17, C-55/17 – GRUR 2018, 1156 Tz. 59 – AGCM/Wind u. Vodafone. 77 S. BGH 21.5.2015 – I ZR 183/13 – GRUR 2015, 1237 Tz. 19 – Erfolgsprämie für die Kundengewinnung (zum Unabhängigkeitsgebot der Berufsordnungen der Zahnärzte); BGH 9.7.2009 – I ZR 13/07 – GRUR 2009, 977 Tz. 12 – Brillenversorgung I (zu § 3 Abs. 2 und § 34 Abs. 5 BO-Ä Niedersachsen a.F. [= MBO-Ä a.F. – Abgabe und Verweisungsverbot]). 78 BGH 25.3.2010 – I ZR 68/09 – GRUR 2010, 1115 Tz. 12 – Freier Architekt (zu § 2 Baukammerngesetz NRW [Regelung der Berufsbezeichnungen]). 79 BGH 28.11.2013 – I ZR 7/13 – GRUR 2014, 398 Tz. 19 – Online-Versicherungsvermittlung (zu § 34d GewO [Erlaubnisbedürftigkeit der gewerblichen Versicherungsvermittlung]); BGH 14.5.2009 – I ZR 179/07 – GRUR 2009, 886 Tz. 18 – Die clevere Alternative (zu § 34 Abs. 4 GewO [Verbot des gewerbsmäßigen Ankaufs beweglicher Sachen mit Gewährung des Rückkaufsrechts]). 80 BGH 17.7.2013 – I ZR 222/11 – GRUR 2013, 1056 Tz. 15 – Meisterpräsenz (zu §§ 1, 7 HwO [Zulassungspflicht und Eintragung]). 81 BGH 1.6.2011 – I ZR 58/10 – GRUR 2012, 79 Tz. 11 f. – Rechtsberatung durch Einzelhandelsverband (zu § 3 RDG [Befugnis zur Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen]); s. auch – zu § 79 Abs. 2 ZPO – BGH 20.1.2011 – I ZR 122/09 – GRUR 2011, 352 Tz. 16 – Makler als Vertreter im Zwangsversteigerungsverfahren. 82 BGH 23.6.2016 – I ZR 71/15 – GRUR 2017, 95 Tz. 11 – Arbeitnehmerüberlassung (zu § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG [Erlaubnisbedürftigkeit der Arbeitnehmerüberlassung], die jedoch keine Marktverhaltensregelung darstellt).
Metzger/Eichelberger
20
A. Grundlagen
§ 3a
Unter die Ausnahme der guten Sitten und des Anstands können beispielsweise Regelungen zum Schutz von Grundrechten,83 zum Jugendschutz84 oder zum Schutz der Friedhofsruhe85 fallen. – Unberührt bleiben ferner nationale Vorschriften, die sich „im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht auf Glücksspiele beziehen“ (Erwägungsgrund 9 S. 2 UGP-RL), wie etwa die §§ 284, 287 StGB und § 5 GlüStV.86 Die in Art. 3 Abs. 5 der UGP-RL vorgesehene Möglichkeit, für einen Übergangszeit- 17 raum bis zum 12.6.2013 strengere oder restriktivere nationale Vorschriften in Umsetzung anderer Richtlinien beizubehalten, hat aufgrund des Ablaufs des Übergangszeitraums ihre Bedeutung verloren. 2. Marktverhaltensregelungen im Anwendungsbereich der UGP-RL. Ist der An- 18 wendungsbereich der UGP-RL eröffnet, kommt es darauf an, ob das Verhalten (unabhängig von der Zuwiderhandlung gegen die in Rede stehende Marktverhaltensregelung) den Tatbestand einer unlauteren Geschäftspraktik im Sinne des Art. 5 UGP-RL erfüllt, also entweder eine der in Anhang I zur Richtlinie genannten Geschäftspraktiken, eine nach Art. 6, 7 UGP-RL irreführende oder eine nach Art. 8, 9 UGP-RL aggressive Geschäftspraktik darstellt oder aber unter die Generalklauseln des Art. 5 UGP-RL subsumiert werden kann. Ist dies der Fall, dann steht die UGP-RL einem Verbot der betreffenden Geschäftspraktik auf Grundlage von § 3a in Verbindung mit der Marktverhaltensregelung nicht entgegen.87 Die Vorgaben der UGP-RL sind dann freilich bei der Auslegung der nationalen Vorschriften im Wege der richtlinienkonformen Auslegung zu beachten. Lässt sich das betreffende Marktverhalten – obwohl es in den Anwendungsbereich der UGP-RL fällt – hingegen nicht als unlautere Geschäftspraktik im Sinne der UGP-RL einordnen, so darf es auch nicht als Rechtsbruch nach § 3a untersagt werden.88 Insoweit greift dann die Sperrwirkung der UGP-RL. Es ist dann also ausgeschlossen, dass eine nach Maßgabe der UGP-RL zulässige Geschäftspraktik eines Unternehmers gegenüber einem Verbraucher auf Grundlage des § 3a verboten wird, weil gegen eine Marktverhaltensregelung verstoßen worden sei. Im Anwendungsbereich der UGP-RL hat § 3a also keinen originären Anwen- 19 dungsbereich. Sehr deutlich zeigt sich das bei der Verletzung von Informationspflichten. Besteht die Zuwiderhandlung im Sinne des § 3a darin, dass gegen eine spezialgesetzliche Informationspflicht verstoßen, das heißt eine gesetzlich gebotene Information nicht oder nicht wie geboten gegeben wird, so stellt sich das im Anwendungsbereich der UGP-RL als Vorenthalten einer Information dar. Eine nach Art. 7 UGP-RL unzulässige „irreführende Unterlassung“ liegt allerdings nur dann vor, wenn eine „wesentliche“ Information vorenthalten wird, „die der durchschnittliche Verbraucher je nach den Umständen benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen, und die somit einen Durchschnittsverbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst oder zu veranlassen geeignet ist, die er sonst nicht getroffen hätte.“. Allein die Verletzung der spezialgesetzlichen Informationspflicht ist also keine hinreichende Bedingung; es müssen die genannten weiteren Tatbestandsmerkmale hinzutreten. Diese Tatbe-
_____
83 Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn: 1.30: Schutz der Menschenwürde; s. auch BGH 8.10.2015 – I ZR 225/13 – GRUR 2016, 513 Tz. 19 – Eizellspende. 84 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.30. 85 OLG Stuttgart 5.7.2018 – 2 U 167/17 – WRP 2018, 1252 Tz. 26 – Werbung auf Grabsteinen. 86 BGH 18.11.2010 – I ZR 168/07 – GRUR 2011, 169 Tz. 19 – Lotterien und Kasinospiele [zu §§ 284, 287 StGB]; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.31. – Soweit die Glücksspielregelungen auf die Prävention der Spielsucht – einer Krankheit – abzielen, greift auch die Ausnahme des Art. 3 Abs. 3 UGP-RL (s. Rn. 12). 87 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.14–1.19; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 7b. 88 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.14–1.19; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 7b.
21
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
standsmerkmale sind in § 3a indes nicht enthalten. Um hier den durch die Vollharmonisierung gebotenen Gleichlauf herzustellen, müssen die beiden zusätzlichen Tatbestandsmerkmale in den Rechtsbruchtatbestand integriert werden. Hierfür kommt die Spürbarkeitsklausel in Betracht (s. Rn. 82). Ein Beispiel:89 Auf den Etiketten von Hosen die Bezeichnung „Cotton“ zu verwenden, verstößt gegen die TextilKennz-VO (s. Rn. 213), da diese nur die in ihrem Anhang I genannten Textilfaserbezeichnungen (das wäre hier „Baumwolle“ gewesen) zulässt. Die genannte Vorschrift ist eine Marktverhaltensregelung im Interesse der Marktteilnehmer, so dass ein Verstoß gegen § 3a in Betracht kommt. Weil sich die fehlerhafte Kennzeichnung des Produkts aus dem Blickwinkel der UGP-RL aber als Vorenthaltung einer Information darstellt und damit in den Anwendungsbereich des Art. 7 UGP-RL fällt, müssen auch dessen weitere Voraussetzungen, im nationalen Lauterkeitsrecht also die des § 5a Abs. 2, erfüllt sein. Weil sich „Cotton“ in der deutschen Umgangssprache als beschreibende Angabe für „Baumwolle“ eingebürgert hat, benötigt der Verbraucher diese Angabe für eine informierte Kaufinformation nicht in deutscher Sprache; das Vorenthalten der Information „Baumwolle“ ist somit nicht geeignet, ihn zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er bei Angabe dieses Begriffs nicht getroffen hätte. Damit handelt es sich nicht nur nicht um eine Irreführung durch Unterlassen, sondern es fehlt der Zuwiderhandlung gegen die Kennzeichnungsvorschriften des TextilKennzG die Eignung, die Interessen der Verbraucher spürbar zu beeinträchtigen. Somit ist auch § 3a nicht erfüllt. In der Literatur wird deshalb mit Grund zunehmend dafür plädiert, auf einen Rückgriff auf § 3a insoweit zu verzichten und stattdessen unmittelbar auf die die Vorschriften der UGP-RL umsetzenden Tatbestände des UWG zurückzugreifen.90 III. Normzweck 20
Zweck des § 3a ist es, für Verstöße gegen bestimmte Normen, die zwar nicht originär dem Lauterkeitsrecht zugehören, jedoch gleichwohl (zumindest auch) das Marktverhalten des Normunterworfenen im Interesse der Marktbeteiligten regeln, die Rechtsschutzmöglichkeiten des UWG zur Verfügung zu stellen.91 Die Vorschrift inkorporiert dazu außerhalb des UWG geregelte „Marktverhaltensregelungen“ in den Schutzbereich des UWG. Ist der Verstoß gegen die Marktverhaltensregelung geeignet, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen, erklärt § 3a diesen für unlauter mit der Folge, dass Mitbewerber und die gem. § 8 Abs. 3 Nr. 2–4 dazu berufenen Verbände und Einrichtungen lauterkeitsrechtliche Ansprüche geltend machen können. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass das lauterkeitsrechtliche Sanktionsinstrumentarium vielfach effektiver als das für die Verletzung der Primärnorm an sich vorgesehene verwaltungs- oder strafrechtliche Sanktionensystem ist.92 Allerdings kann es mit Blick auf den Schutzzweck nicht Aufgabe des Lauterkeitsrechts sein, Sanktionsdefiziten in allen möglichen Bereichen der Rechtsordnung abzuhelfen.93 Auch die mit der Verbesserung der Normdurchsetzung mit den Mitteln des Lauterkeitsrechts zugleich verbundenen gesellschaftlichen Kosten (s. Rn. 45 ff.) sprechen gegen eine generelle Öffnung des Lauterkeitsrechts.
_____
89 BGH 31.10.2018 – I ZR 73/17 – GRUR 2019, 82 – Jogginghosen. 90 S. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.14–1.19; speziell zu verletzten Informationspflichten: Köhler WRP 2017, 1 Tz. 45 ff.; Köhler WRP 2016, 541 Tz. 13 ff.; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 8a. 91 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.6; GK-UWG1/Teplitzky § 1 Rn. G 11–14. 92 S. Doepner GRUR 2003, 825, 826; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 1. 93 S. Begr. RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, 19.
Metzger/Eichelberger
22
A. Grundlagen
§ 3a
Eine unterschiedslose Öffnung des lauterkeitsrechtlichen Instrumentariums für 21 alle außerwettbewerbsrechtlichen Normen ist daher nicht bezweckt; der Rechtsbruchtatbestand ist in seiner „Transformationsfunktion“94 auf Normen beschränkt, denen „zumindest eine sekundäre Schutzfunktion zugunsten des Wettbewerbs zukommt“.95 Diese Schutzfunktion ist im Lichte der Schutzzweckbestimmung des § 1 zu verstehen:96 neben Normen, die unmittelbar auf die Beibehaltung eines unverfälschten Wettbewerbs gerichtet sind, sind auch solche Normen umfasst, die dem Schutz der „Mitbewerber, der Verbraucherinnen und Verbraucher sowie der sonstigen Marktteilnehmer“ dienen. Dies muss freilich nicht der einzige Schutzzweck der Bestimmung sein, wie der Wortlaut der Vorschrift deutlich macht („auch dazu bestimmt ist“). Normen, die sowohl den Marktzutritt als auch das Marktverhalten regeln, sind somit umfasst. Von der Anwendung des § 3a ausgenommen sind dagegen reine Marktzutrittsregelungen. Der Gesetzgeber hat insoweit die jüngere Rechtsprechung des BGH aufgreifen wollen, insbesondere die Entscheidung „Elektroarbeiten“ aus dem Jahr 2002.97 Insoweit ist auch der Rückgriff auf die ältere Rechtsprechung zum Vorsprung durch Rechtsbruch versagt.98 Kommt der in Frage stehenden Primärnorm nicht jedenfalls sekundär eine wettbewerbsschützende Funktion zu, so müssen die Defizite bei der Durchsetzung durch eine Verstärkung des Sanktionensystems der betreffenden Norm beseitigt werden. IV. Verhältnis zu anderen Vorschriften 1. Verhältnis zur Generalklausel des § 3 Abs. 1. Bereits zum früheren Rechtsbruch- 22 tatbestand hatte sich die Frage ergeben, ob bei der Verletzung einer Vorschrift, die nicht unter § 4 Nr. 11 a.F. fiel, namentlich weil es sich nicht um eine gesetzliche Vorschrift handelte oder die Vorschrift keine Marktverhaltensregelung im Interesse der Marktteilnehmer war etc., ein Rückgriff auf die Generalklausel des § 3 Abs. 1 a.F. in Betracht kam. Überwiegend wurde dies verneint.99 Der Gesetzgeber habe zu erkennen gegeben, dass Gesetzesverstöße nur unter den in § 4 Nr. 11 a.F. normierten Voraussetzungen unlauter seien.100 Auch der Bundesgerichtshof schien diese Auffassung zu stützen, heißt es doch in der Entscheidung „Zweckbetrieb“101 recht deutlich, dass „Verstöße gegen außerwettbewerbsrechtliche Normen, die keine Marktverhaltensregelungen i.S. des § § 4 Nr. 11 UWG sind, de lege lata auch nicht unter Zuhilfenahme des Vorsprungsgedankens über § 3 UWG 2004, § 3 Abs. 1 UWG 2008 als unlauter angesehen werden“ können. Im Gesetzeswortlaut – der Rechtsbruchtatbestand war ausdrücklich („… insbesondere …“) als Beispiel für unlautere Verhaltensweisen ausgestaltet – hatte dies freilich keinen Nieder-
_____
94 So Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 1. 95 S. Begr. RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, 19. 96 S. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.6. 97 BGH 25.4.2002 – I ZR 250/00 – BGHZ 150, 343 = GRUR 2002, 825 – Elektroarbeiten; bestätigt durch BGH 26.9.2002 – I ZR 293/99 – GRUR 2003, 164 – Altautoverwertung. 98 BGH 2.12.2009 – I ZR 152/07 – GRUR 2010, 654 Tz. 25 – Zweckbetrieb; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.6; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 13; Scherer WRP 2006, 401, 404 f., 406; Wüstenberg NJ 2016, 485, 488; a.A. Glöckner GRUR 2008, 960 ff.; Sack WRP 2004, 1307, 1315 f.; Sack WRP 2005, 531, 539 ff. 99 S. etwa GK-UWG2/Metzger § 4 Nr. 11 Rn. 16 („Sperrwirkung von § 4 Nr. 11“); MünchKommUWG2/ Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 33; Köhler/Bornkamm33 § 3 Rn. 65c, § 4 Rn. 11.36 und 11.44; Ohly/Sosnitza6 § 4 Rn. 11/8; a.A. Elskamp S. 223 ff.; Sack WRP 2004, 1307, 1315 f. 100 S. GK-UWG2/Metzger § 4 Nr. 11 Rn. 16; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 33; Ohly/Sosnitza6 § 4 Rn. 11/8. 101 BGH 2.12.2009 – I ZR 152/07 – GRUR 2010, 654 Tz. 26 – Zweckbetrieb.
23
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
schlag gefunden.102 Und auch die Gesetzesmaterialien stützten diese Auffassung nicht notwendigerweise. Die Begründung zur Nr. 11103 des neu eingefügten § 4 a.F. legt nur dar, dass und warum dieser Tatbestand in der geschehenen Weise auf Verstöße gegen (zumindest auch) das Marktverhalten im Interesse der Marktbeteiligten regelnde Vorschriften beschränkt war. Dass dies gegenüber der Generalklausel abschließend zu verstehen ist, wird indes gerade nicht erörtert.104 Im Gegenteil. Zu Beginn der Begründung zu § 4 a.F. heißt es: „Die Aufzählung von Beispielstatbeständen hat typische Unlauterkeitshandlungen zum Gegenstand. Hierdurch wird das Ziel verfolgt, die Generalklausel zu präzisieren und dadurch eine größere Transparenz zu schaffen. Nachdem nicht alle denkbaren Fälle unlauteren Handelns geregelt werden können, sind die Beispielsfälle nicht abschließend.“ 105 In der Entscheidung „FSA-Kodex“106 relativierte der Bundesgerichtshof schließlich seine Ausführungen aus „Zweckbetrieb“: „Nach dem mit der Vorschrift des § 4 Nr. 11 UWG verfolgten Gesetzeszweck kann ein Verstoß gegen eine Bestimmung, die nicht die besonderen Voraussetzungen einer gesetzlichen Marktverhaltensregelung i.S. von § 4 Nr. 11 UWG erfüllt, nicht ohne Weiteres nach § 3 UWG 2004 bzw. § 3 Abs. 1 UWG 2008 als unlauter angesehen werden […]. Auch im Übrigen kommt ein Rückgriff auf die Generalklausel des § 3 UWG nur in Betracht, wenn das betreffende Verhalten von seinem Unlauterkeitsgehalt her den in den Beispielsfällen der §§ 4 ff. UWG geregelten Verhaltensweisen entspricht.“ Dementsprechend lehnte die Gegenauffassung mit Grund eine Sperrwirkung des § 4 Nr. 11 a.F. ab und gestattete unter weiteren Voraussetzungen den Rückgriff auf die Generalklausel (§ 3 UWG 2004 bzw. § 3 Abs. 1 UWG 2008), wenn der Rechtsbruchtatbestand des § 4 Nr. 11 UWG 2004/2008 nicht erfüllt war.107 Für die Neuregelung gilt nichts anderes. Zwar ist § 3a nicht mehr als Beispiel für un23 lautere geschäftliche Handlungen formuliert, sondern als selbständiger Unlauterkeitstatbestand. Es finden sich aber nach wie vor keine belastbaren Anhaltspunkte dafür, dass der Rechtsbruchtatbestand vom Gesetzgeber dergestalt abschließend gewollt war, dass nicht auf die Generalklausel des § 3 Abs. 1 zurückgegriffen werden kann, wenn die speziellen Voraussetzungen des § 3a nicht vorliegen.108 Vielmehr ist es so, dass bei Verletzung einer das Marktverhalten im Interesse der Marktteilnehmer regelnden Norm die Unlauterkeit des Verhaltens – vorbehaltlich ausnahmsweise fehlender Spürbarkeit – ohne Weiteres feststeht. § 3a macht es in diesen Fällen also entbehrlich, das Verhalten umfassend auf seine Lauterkeit zu untersuchen; es genügt, die Zuwiderhandlung gegen eine solche Marktverhaltensregelung (sowie die Spürbarkeit des Verstoßes) festzustellen. Einer umfassenden lauterkeitsrechtlichen Prüfung bedarf es dagegen, wenn die Verletzung einer Norm außerhalb des Anwendungsbereichs des § 3a – etwa einer nicht das Marktverhalten regelnde Vorschrift oder einer Regel, die nicht den Gesetzesbegriff erfüllt – in Rede steht. Hier bedarf es dann mehr als der bloßen Zuwiderhandlung gegen die in Rede stehende Vorschrift. Es muss umfassend geprüft werden, ob dieser Normverstoß aus über der bloßen Zuwiderhandlung hinausreichenden Umständen als unlauter anzu-
_____
102 Glöckner GRUR 2008, 960, 965. Das konzedieren bisweilen auch Vertreter der überwiegenden Auffassung, s. etwa MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 33. 103 Begr RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, 19. 104 Glöckner GRUR 2008, 960, 965. 105 So ausdrücklich Begr RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, 17. 106 BGH 9.9.2010 – I ZR 157/08 – GRUR 2011, 431 Tz. 11 – FSA-Kodex. 107 S. insbesondere Glöckner GRUR 2008, 960, 965 ff.; Sack WRP 2004, 1307, 1315 f.; ders. WRP 2005, 531, 539 ff.; Elskamp S. 223 ff. 108 Ebenso FBO/Götting/Hetmank § 3a Rn. 48; a.A. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.6; Ohly/ Sosnitza § 3a Rn. 8.
Metzger/Eichelberger
24
A. Grundlagen
§ 3a
sehen ist. Dabei muss, wie es der BGH bereits in „FSA-Kodex“109 formuliert hat, „das betreffende Verhalten von seinem Unlauterkeitsgehalt her“ dem § 3a entsprechen.110 Oft wird das freilich gerade nicht der Fall sein. Der Rechtsbruchtatbestand wird durch ein solches Normverständnis somit weder entbehrlich noch wird das mit der Kodifizierung verfolgte Regelungsziel konterkariert. 2. Konkurrenzen mit speziellen Sanktionsregelungen a) Grundsatz. Häufig ist es so, dass die verletzte Norm bereits außerhalb des UWG 24 mit rechtlichen Sanktionen für den Fall der Zuwiderhandlung versehen ist. Das können hoheitliche Sanktionen (namentlich mittels des Strafrechts, des Ordnungswidrigkeitenrechts oder des Verwaltungszwangs), aber auch privatrechtliche Rechtsbehelfe sein. Im Ausgangspunkt lässt eine spezialgesetzliche Sanktionierung die Möglichkeit der lauterkeitsrechtlichen Durchsetzung mittels des Rechtsbruchtatbestandes indes unberührt.111 Zweck der lauterkeitsrechtlichen Durchsetzung ist es, im Interesse aller Marktteilnehmer und der Allgemeinheit (s. § 1) die durch den Normverstoß verursachte Verfälschung des Wettbewerbs abzustellen.112 Dieser spezifische wettbewerbliche Anknüpfungspunkt unterscheidet die lauterkeitsrechtliche Normdurchsetzung von dem zumeist auf die Durchsetzung der Normgeltung um ihrer selbst Willen abzielenden speziellen Sanktionsinstrumentarium.113 Dass wegen des Gesetzesverstoßes auch anderweitige Sanktionsmöglichkeiten eröffnet sind, steht der lauterkeitsrechtlichen Durchsetzung allein nicht im Wege.114 So können beispielsweise die Kammern der freien Berufe gegen berufswidriges Verhalten ihrer Mitglieder nicht nur mittels des speziellen berufsrechtlichen Sanktionsinstrumentariums (zum Beispiel Rüge, Warnung, Verweis, Geldbuße etc., s. §§ 46a, 48 ThürHeilBG), sondern auch lauterkeitsrechtlich vorgehen.115 Zur Frage, ob bei anderweitiger Sanktionierung oder Sanktionsmöglichkeit ausnahmsweise dem Verstoß die Eignung fehlt, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen, s. Rn. 95. Außerdem ist es nicht ausgeschlossen, dass eine anderweitige, namentlich hoheitliche Sanktionierung die für einen Unterlassungsanspruch notwendige Wiederholungsgefahr in Wegfall gebracht hat.116 Gleichwohl ist anerkannt, dass es Marktverhaltensregelungen gibt, deren speziel- 25 les Rechtsfolgenregime abschließend ist und dementsprechend die parallele oder ergänzende Anwendung des § 3a ausschließt. Wann das der Fall ist, ist der Marktverhaltensregelung durch Auslegung, insbesondere nach Sinn und Zweck sowie aus dem Regelungszusammenhang zu entnehmen.117 Beispielsweise spricht es gegen die paral-
_____
109 BGH 9.9.2010 – I ZR 157/08 – GRUR 2011, 431 Tz. 11 – FSA-Kodex. 110 Ebenso FBO/Götting/Hetmank § 3a Rn. 48. 111 S. BGH 13.12.2018 – I ZR 3/16 – GRUR 2019, 298 Tz. 24 – Uber Black II; BGH 21.6.2018 – I ZR 40/17 – GRUR 2018, 955 Tz. 10 – Ersatzteilinformation; BGH 16.7.2009 – I ZR 140/07 – GRUR 2010, 251 Tz. 20 – Versandkosten bei Froogle; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.33; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 19. 112 MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 19; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.53. 113 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.33; FBO/Götting/Hetmank § 3a Rn. 48a. 114 S. BGH 30.7.2015 – I ZR 29/12 – GRUR 2016, 392 Tz. 16 – Buchungssystem II; BGH 16.7.2009 – I ZR 140/07 – GRUR 2010, 251 Tz. 20 – Versandkosten bei Froogle (beide bezüglich der Sanktionierung als Ordnungswidrigkeit); Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.33; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 19. 115 BGH 6.4.2006 – I ZR 272/03 – GRUR 2006, 598 Tz. 14 – Zahnarztbriefbogen. 116 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.47, 1.111; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 42. 117 BGH 23.6.2016 – I ZR 71/15 – GRUR 2017, 95 Tz. 42 – Arbeitnehmerüberlassung; MünchKommUWG/ Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 20; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.33.
25
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
lele Anwendbarkeit des § 3a, wenn dadurch eine näher ausdifferenzierte spezialgesetzliche Sanktionsregelung konterkariert würde.118 Das gilt insbesondere, wenn die speziellen Rechtsfolgen ähnlich denen des Lauterkeitsrechts sind. So liegt es beispielsweise bei Verstößen gegen die Buchpreisbindung (s. Rn. 29) und bei Kartellverstößen (s. Rn. 26). 26
b) Beispiele für abschließende Regelungen. Das nationale Kartellrecht enthält in den §§ 32–34a GWB ein spezifisch auf die Durchsetzung der gegen Wettbewerbsbeschränkung bestehenden Regelungen des GWB zugeschnittenes System, das Befugnisse der Kartellbehörden mit Ansprüchen Privater kombiniert. So sieht § 33 Abs. 1–3 GWB einen eigenständigen Unterlassungs- und Schadensersatzanspruch für von dem Kartellverstoß Betroffene, wozu neben Mitbewerbern – insofern über das UWG hinausgehend – auch sonstige Marktbeteiligte (das sind auch Verbraucher)119 gehören, vor und regelt § 33 Abs. 4 GWB die Aktivlegitimation von Verbänden. Dieses Sanktionensystem ist abschließend und steht deshalb einer parallelen Anwendung des § 3a entgegen.120 Entsprechendes gilt für Verstöße gegen das EU-Kartellrecht in den Art. 101, 102 AEUV, deren Verletzung durch die §§ 32–34a GWB ebenfalls abschließend sanktioniert wird. 121 Der Vorrang des kartellrechtlichen Regimes gilt freilich nur insoweit, wie sich der Vorwurf der Unlauterkeit allein aus dem Kartellrechtsverstoß speist. Kartellrechtliche und lauterkeitsrechtliche Ansprüche stehen dagegen – dann konsequent als selbständige Streitgegenstände – nebeneinander, wenn das kartellrechtswidrige Verhalten zugleich einen eigenständigen lauterkeitsrechtlichen Tatbestand verwirklicht, etwa eine gezielte Behinderung (§ 4 Nr. 4).122 Dabei ist auch denkbar, dass der Kartellverstoß zugleich eine andere Marktverhaltensregelung als das bloße Kartellverbot verletzt; dann sind diesbezüglich lauterkeitsrechtliche neben kartellrechtlichen Ansprüchen möglich.123 – Von vornherein nicht abschließend sind dagegen die Sanktionen bei Verstößen gegen das in den §§ 97 ff. GWB geregelte Kartellvergaberecht (s. Rn. 34). Dasselbe gilt für die nicht in den Regelungsbereich der §§ 32–34a GWB fallende – wenngleich im Kern ein Diskriminierungsverbot darstellende – Verpflichtung von Kfz-Herstellern durch Art. 6 VO (EG) 715/2007 (Fahrzeugemissionen-VO), unabhängigen Marktteilnehmern Zugang zu Reparatur-
_____
118 S. BGH 23.6.2016 – I ZR 71/15 – GRUR 2017, 95 Tz. 42 – Arbeitnehmerüberlassung (für Zuwiderhandlungen gegen die Erlaubnisbedürftigkeit der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung in § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG); BGH 7.2.2006 – KZR 33/04 – BGHZ 166, 154 = GRUR 2006, 773 Tz.13–16 – Probeabonnement (zu §§ 33, 34a GWB). 119 S. Begr. RegE 7. GWB-Novelle, BTDrucks. 15/3640, S. 35 und 53, in Reaktion auf EuGH 20.9.2001 – C-453/99 – Slg. I 2001, 6297 = GRUR 2002, 367 Tz. 26 – Courage/Crehan (keine „volle Wirksamkeit“ des Kartellrechts, wenn nicht „jedermann“ Ersatz des Kartellschadens verlangen kann). 120 Grundlegend BGH 7.2.2006 – KZR 33/04 – BGHZ 166, 154 = GRUR 2006, 773 Tz. 13 ff. – Probeabonnement; bestätigt in BGH 3.7.2008 – I ZR 145/05 – BGHZ 177, 150 = GRUR 2008, 810 Tz. 11 – Kommunalversicherer; OLG Frankfurt 23.2.2017 – 6 U 37/16 – GRUR-RR 2017, 231 Rn. 23 – Schnittstelle zum Ersatzteildatenaustausch; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.37; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 22. – Anders noch BGH 6.10.1992 – KZR 21/91 – GRUR 1993, 137, 139 – Zinssubvention; BGH 21.2.1978 – KZR 7/76 – GRUR 1978, 445 – 4 zum Preis von 3; BGH 8.10.1958 – KZR 1/58 – BGHZ 28, 208, 223 = GRUR 1958, 621, 627 – Preisempfehlungen; zur geteilten Auffassung der früheren Lit. s. GK-UWG1/ Teplitzky § 1 Rn. G 183 mit Fn. 735 und Fn. 738. 121 OLG Frankfurt 23.2.2017 – 6 U 37/16 – GRUR-RR 2017, 231 Tz. 23 – Schnittstelle zum Ersatzteildatenaustausch; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.37; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 23. 122 BGH 5.2.2009 – I ZR 119/06 – GRUR 2009, 876 Tz. 10 – Änderung der Voreinstellung II; BGH 7.2.2006 – KZR 33/04 – BGHZ 166, 154 = GRUR 2006, 773 Tz. 17 – Probeabonnement; Beispiele bei Köhler WRP 2005, 645 ff. 123 S. MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 22.
Metzger/Eichelberger
26
A. Grundlagen
§ 3a
und Wartungsinformation zu gewähren, so dass Verstöße lauterkeitsrechtlich mittels § 3a verfolgt werden können.124 Die Datenschutz-Grundverordnung (EU) 2016/679 (DS-GVO) enthält in den 27 Art. 77–84 DS-GVO ein recht ausdifferenziertes Rechtsfolgenregime. Die von einem Datenschutzverstoß „betroffene Person“ kann sich zum einen an die zuständigen Behörden wenden (Art. 77, 78 DS-GVO), zum anderen selbst gerichtlich gegen die Verletzung vorgehen (Art. 79 DS-GVO). Nach Maßgabe des Art. 82 DS-GVO hat sie ferner einen Anspruch auf Ersatz ihres durch den Datenschutzverstoß entstandenen materiellen und immateriellen Schadens. All diese Rechte kann die betroffene Person von einer dazu berufenen Organisation geltend machen lassen (Art. 80 Abs. 1 DS-GVO). Den Mitgliedstaaten steht es offen, solchen Organisationen die Durchsetzung der Rechte der betroffenen Personen nach Art. 77–79 DS-GVO auch unabhängig von einem Auftrag dieser Person zu ermöglichen (Art. 80 Abs. 2 DS-GVO). Noch ist allerdings offen, ob dieses Rechtsfolgenregime der DS-GVO abschließend ist. Teilweise wird dies verneint.125 Dann könnten beispielsweise Mitbewerber des Verletzers lauterkeitsrechtlich mittels § 3a gegen Datenschutzverstöße vorgehen. Nach anderer Auffassung ist das Sanktionsregime der DS-GVO abschließend,126 so dass eine lauterkeitsrechtliche Durchsetzung von Datenschutzverstößen – ungeachtet der Frage, ob es sich bei den Vorschriften der DS-GVO um Marktverhaltensregelungen handelt (s. Rn. 286) – ausgeschlossen ist. Lediglich in Bezug auf Verbandsklagen enthalte Art. 80 Abs. 2 DS-GVO eine Öffnungsklausel für nationale Vorschriften.127 Dem ist zuzustimmen. Hätte der Unionsgesetzgeber gewollt, dass Mitbewerber des Verletzers zur Durchsetzung von Datenschutzverstößen unabhängig von ihrer eigenen Betroffenheit berufen sein sollen, hätte er dies – wie beispielsweise in Art. 11 Abs. 1 UAbs. 2 UGP-RL – ausdrücklich anordnen können.128 Dass er das nicht getan hat und selbst Verbände nur unter bestimmten Voraussetzungen die Rechte Dritter – der betroffenen Personen – wahrnehmen können, spricht dafür, dass Mitbewerbern keine eigene Durchsetzungsmöglichkeit eingeräumt werden sollte. 129 Das ausdifferenzierte Rechtsfolgenregime der DS-GVO würde überspielt, könnten Mitbewerber lauterkeitsrechtlich das Datenschutzrecht durchsetzen. Im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung sind seit dem Gesundheitsre- 28 formgesetz 2000 die auf dem SGB V beruhenden Rechtsbeziehungen zwischen den Krankenkassen und deren Verbänden auf der einen Seite und den Leistungserbringern und deren Verbänden auf der anderen Seite dem Lauterkeitsrecht entzogen (s. § 69 SGB V), soweit es um Handlungen zur Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrages der Krankenkassen gegenüber den Versicherten geht, und zwar auch, soweit dadurch Rechte Dritter betroffen sind (s. § 69 Abs. 1 S. 4 SGB V), oder Rechtsbeziehungen der Leistungserbringer untereinander in Rede stehen.130 Wenn dagegen nicht die Erfül-
_____
124 OLG Frankfurt 23.2.2017 – 6 U 37/16 – GRUR-RR 2017, 231 Tz. 23 – Schnittstelle zum Ersatzteildatenaustausch. 125 OLG Hamburg 25.10.2018 – 3 U 66/17 – GRUR 2019, 86 Tz. 30 ff. – Allergenbestellbögen; LG Würzburg 13.9.2018 – 11 O 1741/18 UWG – WRP 2018, 1400; Uebele GRUR 2019, 694, 697 ff.; Wolff ZD 2018, 248, 249 ff. 126 LG Bochum 7.8.2018 – I-12 O 85/18 – WRP 2018, 1535 Rn. 7; LG Wiesbaden 5.11.2018 – 5 O 214/18 – BeckRS 2018, 33343 Tz. 29 ff. – Branchenscore; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.40a; ders. ZD 2018, 337 f.; Barth WRP 2018, 790 Rn. 11–19; Baumgartner/Sitte ZD 2918, 555, 557 f.; Ohly GRUR 2019, 686, 688 ff.; Schmitt WRP 2019, 27 Tz. 22; Spittka GRUR-Prax 2018, 561; Zech WRP 2013, 1434 Rn. 3. 127 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.40a; Ohly GRUR 2019, 686, 688 f. 128 Köhler ZD 2018, 337, 338. 129 Köhler ZD 2018, 337, 338. 130 BGH 23.2.2006 – I ZR 164/03 – GRUR 2006, 517 Tz. 22 f. – Blutdruckmessungen (Unterlassungsbegehren der Wettbewerbszentrale gegenüber einer Krankenkasse und einer Apotheke
27
Metzger/Eichelberger
§ 3a
29
30
31
32
Rechtsbruch
lung des öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrags betroffen ist oder wettbewerbsrechtliche Normen, deren Beachtung jedem privaten Mitbewerber obliegt, in Rede stehen, ist das Lauterkeitsrecht anwendbar. So konnte beispielsweise ein Wettbewerbsverband gegen eine wettbewerbswidrige Mitgliederwerbung einer gesetzlichen Krankenkasse vorgehen,131 ebenso ein Wettbewerbsverband gegen den Betreiber eines Versandhandels mit Hilfsmitteln, der auf die Erhebung der sozialrechtlich gebotenen Zuzahlungen zu den gelieferten Hilfsmitteln verzichtet hatte.132 Unberührt von § 69 SGB V bleiben auch unmittelbar auf eine Beeinträchtigung des Rechts der freien Berufsausübung (Art. 12 GG) oder des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3 GG) gestützte Abwehransprüche gegen beeinträchtigendes oder diskriminierendes Verhalten der gesetzlichen Krankenkassen.133 Verstöße gegen die Buchpreisbindung werden abschließend mittels (ganz ähnlich dem lauterkeitsrechtlichen Instrumentarium ausgestalteter) Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche nach § 9 Buchpreisbindungsgesetz (BuchPrG) sanktioniert.134 Lauterkeitsrechtliche Ansprüche auf anderer Grundlage als § 3a bleiben aber möglich.135 Abschließend sind weiter die Durchsetzungsregelungen im Telekommunikationsrecht gem. § 44 TKG, da dort den Wettbewerbern bei Verstößen gegen das Gesetz Beseitigungs-, Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche zugesprochen werden.136 Dasselbe gilt für das Rechtsfolgenregime der §§ 9–10 AÜG im Falle ohne die notwendige Erlaubnis betriebener Arbeitnehmerüberlassung, weil die Zubilligung eines lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsanspruchs für den Mitbewerber das Zustandekommen von Arbeitsverhältnissen zwischen Entleihern und Leiharbeitnehmern verhindern könnte und dadurch der Zweck des AÜG, arbeitslosen Männern und Frauen eine Chance auf eine sozial abgesicherte Beschäftigung zu bieten, entwertet würde.137 Generell liegt die Durchsetzung von Arbeitnehmerschutzrechten nach den arbeitsrechtlichen Bestimmungen vor allem in der Eigenverantwortung des betroffenen Arbeitnehmers, was unterlaufen würde, wenn ein Mitbewerber die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften bei seinen Konkurrenten im Wege von Unterlassungsklagen durchsetzen könnte.138 Für Zuwiderhandlungen gegen das Energiewirtschaftsgesetz im Zusammenhang mit dem Netzanschluss (§§ 17–19a EnWG) und dem Netzzugang (§§ 20–28a EnWG) ent-
_____ wegen einer Gutscheinaktion); BGH 2.10.2003 – I ZR 117/01 – GRUR 2004, 247, 249 – Krankenkassenzulassung (Unterlassungsbegehren einer Innung für Orthopädie-Technik gegenüber einer Apotheke wegen unzulässiger Abgabe von Hilfsmitteln); BSG 15.3.2017 – B 6 KA 35/15 R – MedR 2018, 187 = BeckRS 2017, 116554 Tz. 23 f. – Anders nach früherem Recht, s. GmS-OGB 29.10.1987 – GmS-OGB 1/86 (BSG) – BGHZ 102, 280 = NJW 1988, 2295. 131 BGH 9.11.2006 – I ZB 28/06 – GRUR 2007, 535 Tz. 14 – Gesamtzufriedenheit. 132 OLG Stuttgart 9.7.2015 – 2 U 83/14 – GRUR-RR 2015, 449 – Zuzahlung für Diabetikerbedarf II. Das Gericht stützte die Verurteilung auf das Verbot von Werbegabe in § 7 Abs. 1 HWG. Die Zuzahlungspflicht als solche hingegen wurde nicht als Marktverhaltensregelung angesehen. 133 BGH 23.2.2006 – I ZR 164/03 – GRUR 2006, 517 Tz. 26 – Blutdruckmessungen; s. auch BSG 15.3.2017 – B 6 KA 35/15 R – MedR 2018, 187 = BeckRS 2017, 116554 Tz. 30 ff. zur ausnahmsweisen Möglichkeit der ergänzenden Anwendung allgemeiner zivilrechtlicher Regelungen und Grundsätze des Wettbewerbsrechts aus Gründen effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG). 134 OLG Frankfurt 2.4.2014 – 11 U 3/14 – BeckRS 2015, 6807 Tz. 18; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.38, 1.259; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 24 u. 373; wohl a.A. OLG Hamburg 26.9.2005 – 5 W 109/05 – GRUR-RR 2006, 200 – Preisgebundene Abonnementzugabe. 135 S. BGH 21.7.2016 – I ZR 127/15 – GRUR 2017, 199 Rn. 31 ff. – Förderverein. 136 OLG Düsseldorf 18.9.2012 – I-20 U 43/12 – GRUR-RR 2013, 180; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.40; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 28; Elskamp S. 274. 137 BGH 23.6.2016 – I ZR 71/15 – GRUR 2017, 95 Tz. 44 – Arbeitnehmerüberlassung. 138 BGH 23.6.2016 – I ZR 71/15 – GRUR 2017, 95 Tz. 44 – Arbeitnehmerüberlassung; KG 14.2.2017 – 5 U 105/16 – WRP 2017, 460 Tz. 9 ff. – Essensausfahrer (zu § 2 SGB IV, soweit daraus die Pflicht zum Abführen von Sozialbeiträgen herzuleiten ist).
Metzger/Eichelberger
28
A. Grundlagen
§ 3a
hält § 32 EnWG spezialgesetzlich zivilrechtliche Anspruchsgrundlagen auf Unterlassung, Beseitigung und Schadensersatz (auch für Marktbeteiligte, gegen die sich der Verstoß nicht gezielt richtete, s. § 32 Abs. 1 S. 3 EnWG), so dass es insoweit des Rückgriffs auf § 3a nicht bedarf.139 Anderes gilt für Rechtsverstöße im Zusammenhang mit der Energielieferung an Letztverbraucher (s. Rn. 35). Ein abschließendes Sanktionsinstrumentarium weisen schließlich die Gesetze über 33 die Rechte des geistigen Eigentums (Urheberrecht, Markenrecht, Patentrecht etc.) auf, so dass die bloße Verletzung eines solchen absoluten Rechts lauterkeitsrechtlich nicht als Rechtsbruch sanktioniert werden kann.140 Es besteht nicht nur kein Bedürfnis nach zusätzlicher lauterkeitsrechtlicher Sanktionierung. Diese zuzulassen, würde vor allem auch dem Charakter dieser Rechte als subjektive Ausschließlichkeitsrechte nicht gerecht, weil es dann nicht mehr allein Sache des Rechtsinhabers wäre zu entscheiden, ob und wie er gegen Rechtsverletzungen vorgehen will.141 Ohnehin handelt es sich nicht um Marktverhaltensregelungen (s. Rn. 61). Unberührt bleibt freilich die Möglichkeit, einen Unlauterkeitsvorwurf auf über die Rechtverletzung hinausreichende Umstände zu stützen.142 – Entsprechendes gilt für alle anderen subjektiven absoluten Rechte wie etwa das Eigentum, das allgemeine Persönlichkeitsrecht usw.; hier bilden die §§ 823, 1004 BGB ein umfassendes und abschließendes Instrumentarium zur individuellen Rechtsdurchsetzung (nur) durch den betroffenen Rechtsinhaber.143 – Auch das Sanktionsinstrumentarium des neuen Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) im Falle der Verletzung von Geschäftsgeheimnissen sollte mit Blick auf dessen detaillierte Regelung §§ 6–14 GeschGehG als abschließend verstanden werden.144 Zählung angepasst c) Beispiele für nicht abschießende Regelungen. Anders als für das Kartellrecht 34 (s. Rn. 26) enthält das GWB für Verstöße gegen das in den §§ 97 ff. GWB geregelte Kartellvergaberecht kein in sich abgeschlossenes Rechtsschutzsystem, so dass hier Ansprüche namentlich der Mitbewerber auf Grundlage von § 3a in Betracht kommen.145 Entsprechendes gilt für Verstöße gegen das EU-Beihilfenrecht (Art. 107–109 AEUV). Da hierfür weder unionsrechtlich noch im nationalen Recht eine abschließende Sanktionierung vorgesehen ist, können Ansprüche bei Verstößen gegen das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV auf § 3a (sowie auf § 823 Abs. 2 BGB) gestützt werden (s. Rn. 291).146
_____
139 GK-UWG2/Metzger § 4 Nr. 11 Rn. 19; Alexander WRP 2012, 660, 663 f. 140 Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 10; FBO/Götting/Hetmank § 3a Rn. 77; speziell zum Markenrecht Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.39 i.V.m. § 4 Rn. 4.77 ff. und MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 21. 141 BGH 10.12.1998 – I ZR 100/96 – BGHZ 140, 183, 188 – GRUR 1999, 325, 326 – Elektronische Pressearchive; OLG Köln 13.11.1981 – 6 U 155/81 – GRUR 1983, 133 – Schallplatten; OLG Hamm 12.1.1984 – 4 W 226/83 – GRUR 1984, 539, 540 – Videocassetten; s. auch österr. OGH 24.4.2001 – 4 Ob 93/01 – GRUR Int. 2002, 350, 352 – pressetext.austria I; FBO/Götting/Hetmank § 3a Rn. 77; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 10; Beater Rn. 2554. 142 BGH 10.12.1998 – I ZR 100/96 – BGHZ 140, 183, 189 – GRUR 1999, 325, 326 – Elektronische Pressearchive. 143 Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 10. 144 Ebenso Alexander WRP 2019, 673 Rn. 24; Köhler/Bornkamm/Feddersen Vor §§ 17–19 Rn. 48. 145 BGH 3.7.2008 – I ZR 145/05 – BGHZ 177, 150 = GRUR 2008, 810 Tz. 11 – Kommunalversicherer; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.37; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 29. 146 S. BGH 10.2.2011 – I ZR 136/09 – BGHZ 188, 326 = GRUR 2011, 444 Tz. 53 f. – Flughafen FrankfurtHahn; ferner BGH 10.2.2011 – I ZR 213/08 – BeckRS 2011, 05517 Tz. 29 – Flughafen Lübeck; BGH 21.7.2011 – I ZR 209/09 = GRUR-RR 2012, 157 Tz. 35 – Flughafen Berlin-Schönefeld; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 30.
29
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
35
Verstöße gegen Vorschriften im Zusammenhang mit der Energielieferung an Letztverbraucher (§§ 36–42a EnWG) sind im EnergiewirtschaftsG nicht selbständig sanktioniert, so dass eine lauterkeitsrechtliche Durchsetzung eröffnet ist.147 Anderes gilt für Rechtsverstöße im Zusammenhang mit dem Netzanschluss und dem Netzzugang (s. Rn. 32). Dass das UnterlassungsklagenG (UKlaG) dazu berufenen Einrichtungen und Ver36 bänden (s. § 3 UKlaG) die Möglichkeit eröffnet, beispielsweise gegen unwirksame Allgemeine Geschäftsbedingungen (§ 1 UKlaG) oder gegen Verstöße gegen bestimmte verbraucherschützende Vorschriften (§ 2 UKlaG) vorzugehen, bedeutet nicht, dass die nach dem UKlaG nicht anspruchsberechtigten Mitbewerber gehindert wären, solche Vorschriften, sofern sie Marktverhaltensregelungen darstellen, selbst lauterkeitsrechtlich nach § 3a durchzusetzen.148 Hierfür besteht auch ein praktisches Bedürfnis, weil die nach dem UKlaG berufenen Vereine zur umfassenden Bekämpfung verbraucherschädlicher Verhaltensweisen regelmäßig überfordert sein dürften.149 Dass bei Verstößen gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) den 37 von der Diskriminierung Betroffenen (unter anderem) Unterlassungs-, Beseitigungs- und Schadensersatzansprüche zustehen (§ 21 Abs. 1 und Abs. 2 AGG), steht einer lauterkeitsrechtlichen Durchsetzung der Antidiskriminierungsvorschriften, soweit es sich dabei um Marktverhaltensregelungen handelt, mittels § 3a nicht entgegen.150 38
3. Auslegung der Primärnorm durch Behörden oder Fachgerichte; Vollzugsdefizite. Konkurrenzprobleme können sich auch bei der Auslegung der Primärnorm stellen. Es geht hier insbesondere um die Frage, ob die Wettbewerbsgerichte an die Auslegung der Primärnorm durch Behörden oder Fachgerichte, namentlich die Verwaltungsgerichte, gebunden sind. Dies ist (nur) zu bejahen für den Fall, dass sich die Auslegung der Primärnorm in einem das in Rede stehende Verhalten gestattenden wirksamen Verwaltungsakt niedergeschlagen hat, mag der Verwaltungsakt auch rechtswidrig und daher anfechtbar sein. Es fehlt dann freilich bereits an einer Zuwiderhandlung (s. Rn. 73). Demgegenüber hat selbst eine das Verhalten als zulässig ansehende ständige Verwaltungspraxis der zuständigen (und erst recht der unzuständigen)151 Behörde keinerlei Bindungswirkung für die lauterkeitsrechtliche Beurteilung.152 Entsprechendes gilt für behördliche Äußerungen.153 Ebenfalls nicht bindend ist die Auslegung der Primärnorm durch die Fachgerichte.154 Anderes gilt freilich, soweit die Aus-
_____
147 S. OLG Jena 21.2.2018 – 2 U 188/17 Kart – WRP 2018, 743 – Entflechtungsgebot; OLG Düsseldorf 20.10.2016 – I-20 U 37/16 – GRUR-RR 2017, 111 – Versteckte Gaspreiserhöhung; OLG Frankfurt 12.4.2011 – 11 U 5/11 – NJOZ 2012, 647; Alexander WRP 2012, 660, 664. 148 BGH 14.12.2017 – I ZR 184/15 – GRUR 2018, 423 Tz. 47 – Klauselersetzung; BGH 31.3.2010 – I ZR 34/08 – GRUR 2010, 1117 Tz. 31 – Gewährleistungsausschluss im Internet; BGH 14.4.2011 – I ZR 133/09 – GRUR 2011, 638 Tz. 23 – Werbung mit Garantie; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.43; MünchKommUWG/ Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 31; a.A. Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 78a. 149 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.285. 150 Begr RegE AGG, BTDrucks. 16/1780, 49; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.42; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 32. 151 BGH 24.6.2010 – I ZR 166/08 – GRUR 2010, 1026 Tz. 19 – Photodynamische Therapie. 152 BGH 13.12.2018 – I ZR 3/16 – GRUR 2019, 298 Tz. 24 – Uber Black II; BGH 20.10.2005 – I ZR 10/03 – GRUR 2006, 82 Tz. 21 – Betonstahl; für Beachtlichkeit einer gefestigten Behördenpraxis aber FBO/Götting/Hetmank § 3a Rn. 48c. 153 BGH 24.6.2010 – I ZR 166/08 – GRUR 2010, 1026 Tz. 19 – Photodynamische Therapie; BGH 23.6.2005 – I ZR 194/02 – BGHZ 163, 265, 271 = GRUR 2005, 778, 779 – Atemtest. 154 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.44 unter Hinweis auf das Gesetz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes – RsprEinhG – vom 19. Juni 1968 – BGBl. I S. 661. – Bsp.: GmS-OGB 22.8.2012 – GmS-OGB 1/10 – BGHZ 194, 354 = GRUR 2013, 417 –
Metzger/Eichelberger
30
A. Grundlagen
§ 3a
legung die Aufrechterhaltung eines das Verhalten legitimierenden Verwaltungsakts zur Folge hat; hier fehlt es wiederum an einer Zuwiderhandlung gegen die Primärnorm. Die fehlende formale Bindung der Wettbewerbsgerichte155 darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass Entscheidungen oder Äußerungen von Fachbehörden im Wettbewerbsprozess faktisch erheblicher Einfluss auf die Entscheidungsfindung zukommt. Auch werden sich Wettbewerbsgerichte besonders eingehend mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob ein Normverstoß vorliegt, wenn dies von einem Fachgericht verneint wurde. Der Rat an die Wettbewerbsgerichte, die bei den zuständigen Behörden und Fachgerichten vorhandene Fachkompetenz hinsichtlich der Auslegung der Primärnorm zu nutzen,156 ist sicher kein schlechter. Möglicherweise spricht bei entsprechend kontroversen Rechtsfragen auch einiges dafür, sich im Lauterkeitsrecht im Zweifel für die Gewerbefreiheit auszusprechen und nicht mit den Mitteln des Wettbewerbsrechts zu verbieten, was sich verwaltungsgerichtlich nicht durchsetzen lässt.157 Denn § 3a will für nicht dem Lauterkeitsrecht zugehörige Normen zwar die Rechtsschutzmöglichkeiten des UWG eröffnen, somit das Sanktionensystem der Primärnorm lauterkeitsrechtlich flankieren (s. Rn. 20); § 3a will aber nicht den materiellen Schutzbereich der Primärnorm erweitern. Vertraut der Normadressat auf die Äußerung einer Behörde, auf eine stehende Ver- 39 waltungspraxis oder auf das schlichte Nichteingreifen oder Dulden seiner Handlung durch eine Behörde, so ist fraglich, ob sich Einschränkungen des Rechtsschutzes von Mitbewerbern aus dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes ergeben. Dies hatte die ältere Rechtsprechung in bestimmten Fällen bejaht: Sofern nicht der Gewerbetreibende die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens kannte, sich dieser Einsicht bewusst verschlossen oder auf die Haltung der Verwaltungsbehörden in unlauterer Weise eingewirkt hatte, wurde es grundsätzlich als eine Überspannung der Pflicht zu lauterem Wettbewerbshandeln und als unzulässiger Eingriff in die Wettbewerbsfreiheit angesehen, von einem Gewerbetreibenden zu verlangen, sich vorsichtshalber auch dann nach der strengsten Gesetzesauslegung und Einzelfallbeurteilung zu richten, wenn die zuständigen158 Behörden und Gerichte sein Verhalten ausdrücklich als rechtlich zulässig bewerten.159 Teilweise wurde noch weiterreichend dafür plädiert, Vertrauensschutz schon dann zu gewähren, wenn der Marktteilnehmer einer „überwiegend vertretenen, argumentativ fundierten, wenn auch umstrittenen Rechtsmeinung“ gefolgt ist.160 Und schließlich wurde lauterkeitsrechtlich relevantes Vertrauen darauf erwogen, dass die zuständige Behörde, die
_____ Medikamentenverkauf im Versandhandel; a.A. (für eine gefestigte fachgerichtliche Rechtsprechung) Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 11; FBO/Götting/Hetmank § 3a Rn. 48c. 155 Kritisch zur eigenständigen Auslegung öffentlich-rechtlicher Primärnormen durch die Wettbewerbsgerichte etwa Tettinger NJW 1998, 3473, 347 („systemwidrige Expansion des Wettbewerbsrechts“); Quack FS Trinkner, 1995, S. 265, 268; ferner Kroitzsch GRUR 1982, 389 ff.; ders. GRUR 1995, 322 ff.; Pagenkopf GewArch 2000, 177, 181 ff.; Stolterfoht FS Rittner, 1991, S. 695, 705, 707 f. 156 Vgl. Doepner GRUR 2003, 825, 830; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.44. 157 GK-UWG1/Teplitzky § 1 Rn. G 287; ähnlich Doepner GRUR 2003, 825, 830; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 11; Stolterfoht FS Rittner, 1991, S. 695, 709; Weber FS Doepner, 2008, S. 69, 76. 158 Kein Vertrauensschutz wurde dagegen im Fall einer durch eine unzuständige Behörde erteilten falschen Auskunft gewährt, s. BGH 2.10.2002 – I ZR 177/00 – GRUR 2003, 162 – Progona. 159 BGH 11.10.2001 – I ZR 172/99 – GRUR 2002, 269, 270 – Sportwetten-Genehmigung; ferner BGH 2.10.2002 – I ZR 177/00 – GRUR 2003, 162 – Progona; BGH 8.10.1987 – I ZR 182/85 – GRUR 1988, 382, 383 – Schelmenmarkt; BGH 6.10.1999 – I ZR 46/97 – GRUR 2000, 237, 239 – Giftnotruf-Box; OLG Köln 27.6.2003 – 6 U 213/02 – GRUR 2004, 166, 168 – Selbstentsorgergemeinschaft; OLG Celle 19.12.2002 – 13 U 156/02 – GRUR-RR 2003, 221 – Automaten-Videothek. 160 So Doepner GRUR 2003, 825, 831; Stolterfoht FS Rittner, 1991, S. 695, 709.
31
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
einen ihr bekannten Gesetzesverstoß zuvor nicht geahndet hat, dies auch weiterhin nicht tut.161 Nach heutiger Rechtsprechung und wohl überwiegender Auffassung in der Litera40 tur ist hinsichtlich der verschuldensunabhängigen Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche grundsätzlich kein Raum für Vertrauensschutz; entscheidend ist allein, dass das Verhalten objektiv rechtswidrig ist (s. Rn. 70).162 Ein Irrtum über die Rechtmäßigkeit ist allein für den Schadensersatzanspruch (sowie den Gewinnabschöpfungsanspruch) von Bedeutung, indem er im Falle der Unvermeidbarkeit das Verschulden ausschließen kann (s. Rn. 74 f.).163 Das Argument des Vertrauensschutzes kann nicht dazu führen, dass eine gesetzeswidrige Verhaltensweise im Wettbewerb fortgesetzt werden kann. Vielmehr ist es gerade das Ziel des Lauterkeitsrechts, im Interesse der Marktteilnehmer und der Allgemeinheit auf einen unverfälschten Wettbewerb hinzuwirken (s. § 1).164 Wer in seinem berechtigten Vertrauen auf eine Behördenauskunft enttäuscht wurde, mag über staatshaftungsrechtliche Ansprüche nachdenken.165 Weil es allein auf objektiv rechtswidriges Wettbewerbsverhalten ankommt, ist somit auch die Abmahnung eines „gutgläubigen“ Verletzers berechtigt.166 Immerhin nimmt hier der Wettbewerber das Risiko auf sich, trotz unklarer Rechtslage abzumahnen. Handelt es sich – jedenfalls nach Auffassung der Wettbewerbsgerichte – am Ende tatsächlich um einen Gesetzesverstoß, so muss der Unterlassungsschuldner die Kosten der Abmahnung gem. § 12 Abs. 1 S. 2 tragen. V. Ökonomische Analyse 41
Die Frage, welche nicht unmittelbar dem Lauterkeitsrecht zugehörigen Normen auf der Grundlage von § 3a mit den Mitteln des Lauterkeitsrechts sanktioniert werden sollen, ist in erster Linie anhand der hergebrachten Auslegungsmethoden und unter Beachtung des europarechtlichen Hintergrunds zu beantworten. Gleichwohl ist es von Interesse, innerhalb des hierdurch gezogenen Rahmens Kriterien für die Auswahl zwischen mehreren möglichen Alternativen der Rechtsanwendung zu gewinnen. Hierfür bietet die ökonomische Analyse des Rechts einen geeigneten methodischen Ansatz.167 Die ökonomische Analyse untersucht die Auswirkungen rechtlicher Regelungen im Hinblick auf den Nutzen und die Kosten für die Gesamtgesellschaft. Ziel einer normativ verstandenen Analyse ist es dabei, rechtliche Regelungen so auszugestalten und anzuwenden, dass die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt maximiert wird. Dafür werden der Nutzen und die Kosten der Regelung oder ihrer konkreten Anwendung in einer Wohlfahrtsgleichung saldiert. Effizient ist eine Regelung dann, wenn sie sich wohlfahrtsmaximierend auswirkt. Im Sinne des heute herrschenden Ansatzes der Institutionenökonomik sind dabei auch die Transaktionskosten einzubeziehen.
_____
161 S. BGH 11.7.1991 – I ZR 23/90 – GRUR 1992, 123, 126 – Kachelofenbauer II; Quack FS Trinkner, 1995, S. 265, 274 ff. 162 S. BGH 20.10.2005 – I ZR 10/03 – GRUR 2006, 82 Tz. 21 – Betonstahl; BGH 23.6.2005 – I ZR 194/02 – BGHZ 163, 265, 271 = GRUR 2005, 778, 779 – Atemtest; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.45; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 41; für die Möglichkeit des Vertrauensschutzes dagegen Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 11; FBO/Götting/Hetmank § 3a Rn. 48d; Weber FS Doepner, 2008, S. 69, 76, 78 f. 163 S. BGH 12.1.2017 – I ZR 258/15 – GRUR 2017, 409 Tz. 36 – Motivkontaktlinsen. 164 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.45; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 41. 165 MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 41. 166 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.46; a.A. Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 11 am Ende. 167 Zum Folgenden allgemein Schäfer/Ott S. XXXIII–XLIV; Shavell S. 1–4.
Metzger/Eichelberger
32
A. Grundlagen
§ 3a
Die ökonomische Analyse des Rechtsbruchtatbestands als solchem ist kaum möglich, 42 weil sich die Frage nach der Effizienz der Durchsetzung von einzelnen Vorschriften mit den Mitteln des Lauterkeitsrechts nur für jede einzelne Primärnorm gesondert untersuchen lässt. Im Bereich der Regulierung von Glücksspielen können andere Gesichtspunkte eine Rolle spielen als bei der Ausübung des Arztberufs ohne Approbation oder bei der Verwendung unwirksamer allgemeiner Geschäftsbedingungen. Insbesondere unterscheidet sich in den genannten Fällen der gesellschaftliche Schaden bei Normverstößen erheblich, was Auswirkungen auf das Bedürfnis nach zusätzlichem Rechtsschutz mittels des UWG hat. Aus dieser Perspektive wird deutlich, dass aus der ökonomischen Analyse von § 3a nur sehr allgemeine Kriterien gewonnen werden können. Einen Ansatzpunkt für eine ökonomische Betrachtungsweise bietet die allgemeine 43 ökonomische Theorie der Rechtsdurchsetzung.168 Diesem Forschungszweig der ökonomischen Analyse geht es um die Frage, wie sich das Verhalten von Menschen durch rechtliche Regeln steuern lässt. Dabei stehen zwei Fragen im Vordergrund: Wie lassen sich Individuen durch Sanktionen von Normverstößen abschrecken und welche Durchsetzungskosten sollte eine Gesellschaft auf sich nehmen, um die Gesamtkosten aus einem Normverstoß zu minimieren. Hinsichtlich des ersten Aspekts ist es dabei die Grundannahme, dass sich Individuen von Normverstößen abschrecken lassen, wenn der erwartete Sanktionswert (Produkt aus der Höhe der Strafe und der Wahrscheinlichkeit ihrer Verhängung) höher ist als der aus dem Normverstoß erhoffte Nutzen.169 Der zweite Aspekt setzt bei der Wahrscheinlichkeit der Verhängung der Strafe an. Je höher die Wahrscheinlichkeit der Aufdeckung und Ahndung von Normverstößen ist, umso niedriger können die Sanktionen bemessen sein, ohne ihre abschreckende Wirkung zu verlieren.170 Allerdings bedingt eine hohe Wahrscheinlichkeit der Aufdeckung von Normverstößen vielfach auch hohe Durchsetzungskosten. Übersteigen aber die weiteren Kosten einer verbesserten Normdurchsetzung den Schaden, der sich aus weiteren Normverstößen ergeben würde, so sind die Durchsetzungsmaßnahmen aus der Sicht der Wohlfahrtsökonomik ineffizient. Das optimale Durchsetzungsniveau lässt sich deshalb nur im Hinblick auf die gesellschaftlichen Kosten des konkret in Frage stehenden Normverstoßes feststellen. Abschließende Aussagen für alle im Rahmen des § 3a relevanten Normen sind deswegen nicht möglich. Dies schließt allerdings nicht aus, die einzelnen Kosten der Rechtsdurchsetzung näher zu spezifizieren und hierbei allgemeine Aussagen zu den Kosten zu treffen, die durch eine Rechtsdurchsetzung auf der Grundlage lauterkeitsrechtlicher Ansprüche entstehen. Diese sind dann für die jeweilige Norm in Relation zu den durch weitere Normverstöße zu erwartenden gesellschaftlichen Kosten zu setzen. Typisch für die Rechtsdurchsetzung auf Grundlage von § 3a ist, dass die staatliche Rechtsdurchsetzung ergänzt wird durch eine private Rechtsdurchsetzung auf der Basis des Lauterkeitsrechts.171 Dies gestattet den Rückgriff auf vergleichende Studien zu den Kosten privater und staatlicher Rechtsdurchsetzung,172 die auch für die nähere Analyse
_____
168 Dazu insbesondere Becker 76 Journal of Political Economy (1968) 169 ff.; Landes/Posner 4 Journal of Legal Studies (1975) 1 ff.; Shavell, 11 Journal of Legal Studies (1982) 333 ff. Aus der parallelen Debatte zur privaten Rechtsdurchsetzung im Kartellrecht s. Buxbaum S. 41, 47 ff.; Kloub 5 European Competition Journal (2009) 515 ff.; Krüger S. 151–216; Segal/Whinston S. 1 ff. Speziell zur effizienten Rechtsdurchsetzung mit den Mitteln des Wettbewerbsrechts GK-UWG1/Teplitzky § 1 Rn. G 12 f. 169 Statt aller Shavell S. 479–482. 170 Shavell S. 520–526. S. auch Krüger S. 185–188. 171 In einzelnen Bereichen des Rechtsbruchtatbestands existieren auch ohne die Zuerkennung von lauterkeitsrechtlichen Ansprüchen privatrechtliche Ansprüche, bspw. im AGB-Recht. 172 S. hierzu insbesondere Krüger S. 151–216; Landes/Posner 4 Journal of Legal Studies (1975) 1 ff.; Shavell 11 Journal of Legal Studies (1982) 333 ff.; Segal/Whinston S. 1 ff.
33
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
der privaten Rechtsdurchsetzung auf Grundlage von § 3a fruchtbar gemacht werden können. Ein erster Aspekt, der aus ökonomischer Sicht für eine Ergänzung oder auch (par44 tielle) Ersetzung der staatlichen Rechtsdurchsetzung durch private Klagemöglichkeiten spricht, sind die geringeren Kosten der Aufdeckung von Rechtsverstößen. Im Wettbewerb stehende Unternehmen und andere Marktteilnehmer beobachten ohnehin das Marktverhalten der Mitbewerber und kennen im Idealfall die gesetzlichen Anforderungen an die Ausübung eines Berufs oder die Herstellung, den Vertrieb und die Bewerbung von Produkten. Gerade in Märkten mit einem ausgeprägten Wettbewerbsverhalten der Teilnehmer liegt die Annahme nahe, dass für die Mitbewerber Gesetzesverstöße ohne erhebliche zusätzliche Suchkosten erkennbar sind,173 sofern diese überhaupt außerhalb der internen Unternehmenssphäre stattfinden.174 Vielfach wissen auch überhaupt nur die Marktteilnehmer, welche gesetzeswidrigen Verhaltensweisen im Markt praktiziert werden, weil den staatlichen Stellen die genaueren Kenntnisse beispielsweise der Berufspraxis in den regulierten Berufen fehlen oder diese Insiderkenntnisse erst kostenintensiv erworben werden müssen. Hier ist eine private Rechtsdurchsetzung letztlich effizienter als eine staatliche, was als Argument für die Anerkennung von Regelungen als Marktverhaltensregelungen im Sinne von § 3a sprechen kann. Umgekehrt kann die staatliche Durchsetzung dort effizienter sein, wo der Verwaltung ein Beurteilungsspielraum bei der Feststellung von Normverstößen eingeräumt ist, so dass Private nicht ohne Weiteres einen Normverstoß feststellen können.175 Auch kann die Inanspruchnahme staatlicher Stellen mit besonderen Ermittlungsbefugnissen, etwa der Staatsanwaltschaft, kostengünstiger als eine private Ermittlung sein. Ob ein Kostenvorteil bei der Aufdeckung von Rechtsverstößen zu erzielen ist, hängt damit maßgeblich von der in Frage stehenden gesetzlichen Vorschrift und den Befugnissen der zuständigen Behörden ab. Einer differenzierten Betrachtung bedürfen auch die zusätzlichen Kosten der 45 Rechtsverfolgung, die durch die private Rechtsdurchsetzung auf Grundlage von § 3a anfallen.176 Für einen Marktteilnehmer, der den Gesetzesverstoß eines Mitbewerbers auf der Grundlage von § 3a außergerichtlich und gegebenenfalls auch gerichtlich verfolgt, entstehen Kosten, insbesondere die auf die Rechtsverfolgung verwendete Zeit, die durch die Aufbereitung des Sachverhaltes für eine Abmahnung oder ein gerichtliches Verfahren entstehenden Kosten, einschließlich entstehender Anwaltsgebühren. Hinzu treten die Kosten der Verteidigung durch den Normadressaten sowie die Kosten, die durch die Inanspruchnahme von Gerichten und Zwangsvollstreckungsorganen entstehen. Diese Kosten sind auch dann als Durchsetzungskosten in die Wohlfahrtsgleichung einzubeziehen, wenn der Abmahnende oder Kläger seine Kosten vom Rechtsverletzer schlussendlich ersetzt bekommt, denn für die Quantifizierung der gesellschaftlichen Kosten ist es unerheblich, wer die Kosten am Ende tragen muss.177 Hinzu treten die durch Fehler bei
_____
173 Grundlegend Hayek 35 American Economic Review (1945) 519 ff.; darauf aufbauend Segal/Whinston S. 4 ff.; s. auch Krüger S. 170 ff. – Die private Rechtsdurchsetzung kann auch dann günstiger als die staatliche sein, wenn die privaten Akteure zunächst aktiv nach Rechtsverstößen suchen müssen, weil sie dies immer noch mit geringeren Kosten als staatliche Stellen bewerkstelligen können. Insoweit differenzierend Segal/Whinston aaO. 174 Hierauf verweist Krüger S. 172. 175 Hierauf weisen zu Recht Segal/Whinston S. 5 für die parallele Diskussion der privaten Durchsetzung des Kartellrechts hin. 176 Dazu Krüger S. 173 ff. 177 Krüger S. 173.
Metzger/Eichelberger
34
B. Tatbestand
§ 3a
der Normdurchsetzung entstehenden Kosten.178 Sofern der Normadressat nicht schon nach der ersten Abmahnung die Rechtsverletzung abstellt – zweifelsohne die kostengünstigste Form der privaten Rechtsdurchsetzung – entstehen durch die private Rechtsdurchsetzung auf der Basis von § 3a erhebliche gesellschaftliche Kosten. Ob diese Kosten gerechtfertigt sind, hängt letztlich davon ab, welche Kosten aus weiteren Normverstößen entstehen würden und wie effektiv die private Rechtsdurchsetzung wirkt. Als weiterer Kostenfaktor der privaten Rechtsdurchsetzung ist die Missbrauchsge- 46 fahr zu berücksichtigen. Gerade im Lauterkeitsrecht besteht die Gefahr, dass Mitbewerber wegen Bagatellverstößen abgemahnt und in ihrer Tätigkeit gezielt behindert werden. Hier können die Durchsetzungskosten den gesellschaftlichen Nutzen, der aus der Einhaltung der Norm resultiert, übersteigen.179 Eine weitere Besonderheit der Kosten der privaten Rechtsdurchsetzung betrifft die Gefahr von Externalitäten, die sich daraus ergeben können, dass mehrere Parteien nebeneinander zur Erhebung von Wettbewerbsklagen befugt sind. Dies kann zu einer ineffizienten Vervielfachung der Durchsetzungskosten führen.180 Zusammenfassend ist eine Sanktionierung von Normverstößen mit den Mitteln des 47 Lauterkeitsrechts aus ökonomischer Sicht immer dann sinnvoll, wenn sie Kostenvorteile bei der Rechtsdurchsetzung verspricht. Solche Kostenvorteile können sich vor allem aus den geringeren Aufdeckungskosten der Marktteilnehmer bei Gesetzesverstößen ergeben. Diese Kostenvorteile sind allerdings mit den für die private Rechtsdurchsetzung typischen Kosten zu saldieren. Hier sind vor allem die Kosten der missbräuchlichen Inanspruchnahme von Wettbewerbsansprüchen sowie die durch die Gefahr der parallelen Durchsetzungsbemühungen mehrerer staatlicher und privater Durchsetzungsagenten verursachten Kosten zu berücksichtigen. B. Tatbestand B. Tatbestand
I. Geschäftliche Handlung Der Rechtsbruchtatbestand des UWG 2015 nicht mehr lediglich als Beispielstatbe- 48 stand (wie zuvor § 4 Nr. 11 a.F.) zur Generalklausel (§ 3 Abs. 1 a.F.), sondern als selbständiger Unlauterkeitstatbestand ausgestaltet. Dieser enthält jedoch keine Rechtsfolge. Das Verbot – hier infolge Rechtsbruchs – unlauterer geschäftlicher Handlungen enthält § 3 Abs. 1. Auch die lauterkeitsrechtlichen Ansprüche in den §§ 8 bis 10 UWG knüpfen an den Verbotstatbestand des § 3 (sowie des § 7) an, nicht an die bloße Unlauterkeit. Insofern bedarf es auch heute noch der „Ergänzung“ des Rechtsbruchtatbestandes durch § 3 Abs. 1.181 Daraus folgt als weitere, im Rechtsbruchtatbestand selbst nicht enthaltene Voraussetzung, dass der Gesetzesverstoß durch eine geschäftliche Handlung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 erfolgt sein muss.182 Zu den Details der geschäftlichen Handlung siehe bei § 2.
_____
178 Dazu eingehend Landes/Posner 4 Journal of Legal Studies 1 (1975) 26–29, die allerdings zu dem Ergebnis kommen, dass die Fehlerquote bei privater und staatlicher Rechtsdurchsetzung keine signifikanten Unterschiede aufweise, so dass sich hieraus weder Argumente für noch gegen eine verstärkte private Rechtsdurchsetzung ableiten ließen. 179 S. hierzu allgemein Landes/Posner 4 Journal of Legal Studies 1 (1975) 27; Buxbaum S. 48 f. 180 Segal/Whinston S. 12 f. – Die „Vielzahl von Gläubigern“ ist deshalb nicht nur von Vorteil, s. GK-UWG1/Teplitzky § 1 Rn. G 13. 181 Zur früheren Rechtslage s. GK-UWG2/Metzger § 4 Nr. 11 Rn. 15. 182 Allg. Meinung, s. nur Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.51; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 8; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 43.
35
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
II. Gesetzliche Vorschrift § 3a setzt voraus, dass einer „gesetzlichen Vorschrift“ zuwidergehandelt wurde. Gesetzliche Vorschrift im Sinne des § 3a ist jede Rechtsnorm (vgl. Art. 2 EGBGB), die in Deutschland gilt.183 Dazu gehören zunächst die von deutschen Gesetzgebungsorganen erlassenen Normen, das heißt Bundes- und Landesgesetze (einschließlich des Grundgesetzes184 und der Landesverfassungen), Rechtsverordnungen,185 Satzungen von Kommunen186 und sonstigen Körperschaften, insbesondere von Berufskammern.187 In Staatsverträgen zwischen den Ländern (beispielsweise im Rundfunkstaatsvertrag) enthaltene Regelungen gelten nach ihrer Umsetzung durch die Gesetzgebungsorgane der Länder als Landesgesetze.188 Rechtsnormqualität kommt auch dem Gewohnheitsrecht zu.189 Ein räumlich begrenzter Anwendungsbereich einer Rechtsnorm – wie namentlich bei landesrechtlichen Regelungen – schadet nicht.190 Die Vorschrift muss aber für den Handelnden verbindlich sein.191 Zu den gesetzlichen Vorschriften zählen zudem die gem. § 5 TVG für allgemein verbindlich erklärten Tarifverträge.192 50 Rechtsnormqualität hat auch das europäische Primär- und Sekundärrecht, soweit es unmittelbar anwendbar ist. Dies betrifft insbesondere die Gründungsverträge, also insbesondere den AEUV,193 sodann Verordnungen.194 Verstöße gegen Richtlinien sind dagegen nicht erfasst, weil Richtlinien nach der Rechtsprechung des EuGH auch nach Ablauf der Umsetzungsfrist keine horizontale Drittwirkung zwischen Privaten entfalten.195
49
_____
183 BGH 26.1.2017 – I ZR 207/14 – GRUR 2017, 422 Rn. 28 – ARD-Buffet; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.52; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 46. 184 S. BGH 20.12.2018 – I ZR 112/17 – GRUR 2019, 189 – Crailsheimer Stadtblatt II. 185 BGH 29.6.2006 – I ZR 171/03 – GRUR 2007, 162 Tz. 12 – Mengenausgleich in Selbstentsorgergemeinschaft; BGH 19.12.1984 – I ZR 181/82 – BGHZ 93, 177, 179 = GRUR 1985, 447, 448 – Provisionsweitergabe durch Lebensversicherungsmakler. 186 BGH 21.7.2005 – I ZR 170/02 – GRUR 2005, 960, 961 – Friedhofsruhe. 187 BGH 26.2.2009 – I ZR 222/06 – GRUR 2009, 883 Tz. 11 – MacDent; BGH 27.1.2005 – I ZR 202/02 – GRUR 2005, 520, 521 – Optimale Interessenvertretung; OLG Stuttgart 24.1.2008 – 2 U 91/07 – GRUR-RR 2008, 177 – Spezialist für Mietrecht; OLG Hamm 7.3.2013 – 4 U 162/12 – GRUR 2013, 746, 749 – OnlineScheidung; OLG Stuttgart 24.1.2008 – 2 U 91/07 – GRUR-RR 2008, 177 – Spezialist für Mietrecht (alle zur BORA). 188 BGH 26.1.2017 – I ZR 207/14 – GRUR 2017, 422 Tz. 28 – ARD-Buffet. 189 Nahezu allg. Auffassung, s. nur Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.52; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 12; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 46; Harte/Henning/von Jagow § 3a Rn. 15; a.A. aber wohl FBO/Götting/Hetmank § 3a Rn. 55 mit Fn. 238. 190 BGH 26.1.2017 – I ZR 207/14 – GRUR 2017, 422 Tz. 28 – ARD-Buffet. 191 Vgl. BGH 18.11.2010 – I ZR 168/07 – GRUR 2011, 169 Tz. 45 – Lotterien und Kasinospiele. 192 BGH 3.12.1992 – I ZR 276/90 – BGHZ 120, 320, 324 = GRUR 1993, 980, 982 – Tariflohnunterschreitung. – Ob dies mit Blick auf § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG auch für Betriebsvereinbarungen gilt, ist zweifelhaft. Dafür MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 47; von Walter S. 72. – Manche wollen schließlich auch „einfachen“ Tarifverträgen, d.h. auch solchen, die nicht für allgemeinverbindlich erklärt worden sind, Rechtsnormcharakter zubilligen, s. etwa Fechner/Kocher NZA 2017, 755, 756; ErfK/Franzen TVG § 4 Rn. 4; Oetker FS Bepler, 2012, S. 467, 473. 193 S. etwa BGH 10.2.2011 – I ZR 136/09 – BGHZ 188, 326 = GRUR 2011, 444 Tz. 53 f. – Flughafen Frankfurt-Hahn (zu den Beihilfevorschriften der Art. 107, 108 AEUV). 194 Statt vieler BGH 12.7.2018 – I ZR 162/16 – GRUR 2018, 959 Tz. 16 – B-Vitamine; BGH 28.1.2016 – I ZR 36/14 – GRUR 2016, 418 Tz. 11 – Feuchtigkeitsspendendes Gel-Reservoir. 195 Grundlegend EuGH 26.2.1986 – Rs. 152/84 – Slg. 1986, 723 = NJW 1986, 2178 Tz. 48 – Marshall/ Southampton; s. auch BGH 20.11.2008 – I ZR 94/02 – GRUR 2009, 179 Tz. 17 – Konsumentenbefragung II. – Anderes kann aber gelten, wenn ein Träger staatlicher Gewalt als Marktteilnehmer einer nicht rechtzeitig umgesetzten Richtlinie zuwiderhandelt, s. MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 47.
Metzger/Eichelberger
36
B. Tatbestand
§ 3a
Sie haben aber mittelbar dadurch Einfluss auf das geltende Recht, dass dieses richtlinienkonform auszulegen ist.196 Erfasst sind schließlich auch völkerrechtliche Normen, soweit sie durch Adoption 51 oder Transformation innerstaatliche Geltung erlangt haben und hinreichend bestimmt sind („self-executing“), und die Norm individuelle Rechte und Pflichten der Marktteilnehmer statuiert, sich also an individuelle Marktteilnehmer und nicht nur die vertragsschließenden Staaten richtet.197 Grundsätzlich können bei § 3a auch ausländische Rechtsnormen von Bedeutung 52 sein:198 Zwar findet bei geschäftlichen Handlungen, die in Deutschland vorgenommen werden, nach dem Marktortprinzip des Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO grundsätzlich deutsches Recht – und damit auch § 3a – Anwendung. Davon zu trennen ist aber die Vorfrage, welcher Rechtsordnung die Primärnorm zu entnehmen ist, aus deren Verletzung sich ein Verstoß gegen § 3a ergibt. Handelt es sich beispielsweise um eine Verletzung der zivilrechtlichen Anforderungen an allgemeine Geschäftsbedingungen, so kann auch ein ausländisches Vertragsstatut berufen sein, gerade wenn es um AGB im Unternehmensverkehr geht.199 Ein weiteres Beispiel bieten die Regelungen zu Heilberufen für Angehörige anderer EU-Mitgliedstaaten. So setzt § 2 Abs. 3 BÄO für die vorübergehende und gelegentliche Tätigkeit voraus, dass der Arzt aus einem anderen EU-Mitgliedstaat in diesem eine Berufszulassung erhalten hat. Insoweit findet das Heimatrecht des Arztes Anwendung. Sind dessen Vorschriften verletzt, kommen im Inland Ansprüche aus § 3a in Betracht.200 Entsprechendes gilt generell, wenn das Herkunftslandprinzip anzuwenden ist, so beispielsweise nach § 3 Abs. 2 TMG. Umgekehrt kann in solchen Fällen nach dem berufenen Auslandsrecht zulässiges Verhalten im Inland nicht wegen Verstoßes gegen eine parallele, aber strengere inländische Vorschrift wettbewerbswidrig sein. Allgemein gilt daher: Lauterkeitsrechtliche Ansprüche durch Zuwiderhandlungen gegen ausländische Rechtsnormen kommen nur in Betracht, wenn diese durch eine geschäftliche Handlung in Deutschland verletzt werden oder aber deutsche Regelungen auf die betroffenen ausländischen Vorschriften verweisen und diese zur Anwendung berufen. Demgegenüber führt die Verletzung ausländischer Vorschriften im Ausland grundsätzlich nicht zu lauterkeitsrechtlichen Ansprüchen im Inland.201 Keine gesetzlichen Vorschriften sind Gerichtsentscheidungen, da diese nur 53 Rechtswirkungen zwischen den Parteien des Verfahrens entfalten, so dass es an der für Rechtsnormen erforderlichen Allgemeinheit der Anordnung fehlt.202Mittelbar kommt insbesondere höchstrichterlichen Entscheidungen freilich über den Einzelfall hinausrei-
_____
196 MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 47. 197 Vgl. BGH 9.5.1980 – I ZR 76/78 – GRUR 1980, 858, 860 – Asbestimporte (obiter zum ILOÜbereinkommen Nr. 139 über die Verhütung und Bekämpfung der durch krebserzeugende Stoffe und Einwirkungen verursachten Berufsgefahren); GK-UWG1/Teplitzky § 1 Rn. G 23. Die ebenfalls in diesem Zusammenhang vielfach zitierte Entscheidung BGH 15.1.1987 – I ZR 215/84 – GRUR 1987, 532, 534 – Zollabfertigung betrifft zwar Art. 13 CMR; hierbei geht es aber nicht um einen Verstoß gegen eine gesetzliche Vorschrift, sondern um einen Fall des Verleitens zum Vertragsbruch. 198 S. dazu GK2-UWG/Klass Einl. Teil D Rn. 252 ff. 199 S. dazu MünchKommBGB/Spellenberg Art. 10 Rom I-VO Rn. 163 ff. Zu Einschränkungen bei Verbraucherverträgen s. Art. 6 Rom I-VO. 200 Vgl. hierzu auch OLG Düsseldorf 8.3.2010 – I-20 U 177/08 – GRUR-RR 2011, 10, 11 – Griechischer Wirtschaftsprüfer. 201 Vgl. hierzu BGH 9.5.1980 – I ZR 76/78 – GRUR 1980, 858 – Asbestimport. 202 OLG Stuttgart 5.11.2007 – 2 U 26/07 – GRUR-RR 2008, 17, 18 – DVD-Automat; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 3a Rn. 1.54; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 13; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 54; a.A. OLG München 8.2.1996 – 29 U 3094/95 – NJWE-WettbR 1996, 229, 230 – Boney M: Die Zuwiderhandlung gegen
37
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
chende Bedeutung dadurch zu, dass sie auf die Auslegung und Anwendung von gesetzlichen Vorschriften einwirken und bisweilen Rechtsfortbildung betreiben.203 Unterhalb der Schwelle zum Gewohnheitsrecht führt dies aber nicht zu einer (eigenständigen) gesetzlichen Vorschrift. Ebenfalls nicht umfasst sind Verwaltungsakte,204 und zwar auch nicht in Form der 54 Allgemeinverfügung nach § 35 S. 2 VwVfG.205 Verstöße gegen die dem Verwaltungsakt zugrunde liegenden gesetzlichen Regelungen kommen jedoch weiterhin als Anknüpfungspunkt für § 3a in Betracht. 206 Verwaltungsrichtlinien bzw. Verwaltungsvorschriften sind ebenfalls auszugrenzen, da diese nur die Verwaltung (im Innenverhältnis) binden, aber keine rechtliche Bindungswirkung im Außenverhältnis entfalten.207 Dies gilt auch für die VOB/A.208 Keine gesetzlichen Vorschriften sind Verträge209 und allgemeine Geschäftsbedin55 gungen.210 Ebenso privatrechtliche Vereins- und Verbandssatzungen, selbst wenn diese auf ein bestimmtes Marktverhalten der Mitglieder abzielen.211 Dasselbe gilt für Handelsbräuche (§ 346 HGB)212 und die Verkehrssitte (§ 157 BGB).213 Auch Standesregeln („Standesrecht“), selbst wenn sie auf übereinstimmender Überzeugung oder Standesauffassung beruhen, sind keine gesetzlichen Vorschriften im Sinne des § 3a, solange sie nicht gesetzlich oder in einer auf Grundlage einer gesetzlichen Ermächtigung durch eine mit Autonomie ausgestatteten Körperschaft erlassenen Satzung niedergelegt oder in Bezug genommen sind.214 Nicht ausgeschlossen ist es jedoch, Standesregeln als Erkenntnisquelle dafür heranzuziehen, was in dem betreffenden Beruf oder der jeweiligen Branche den Berufsanschauungen entspricht.215 Ob sich daraus auch eine Unlauterkeit ergibt, ist freilich eine andere Frage und bedarf weiterer Prüfung.216
_____ ein Unterlassungsurteil sei (jedenfalls im Verhältnis zum Unterlassungsgläubiger) ein sittenwidriger (§ 1 UWG 1909) Wettbewerbsvorsprung durch Rechtsbruch. Richtigerweise sind Zuwiderhandlungen gegen Unterlassungstitel vollstreckungsrechtlich (§ 890 ZPO) durchzusetzen (Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.54). – Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts kommen mit Blick auf § 31 Abs. 1 und 2 BVerfGG dagegen als gesetzliche Vorschrift in Betracht (näher von Walter S. 62 f.). 203 FBO/Götting/Hetmank § 3a Rn. 53. 204 OLG Stuttgart 5.11.2007 – 2 U 26/07 – GRUR-RR 2008, 17, 18 – DVD-Automat. 205 FBO/Götting/Hetmank § 3a Rn. 53; vgl. auch BGH, 29.4.2008 – KVR 28/07 – NJW-RR 2008, 1654 Tz. 8. 206 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.56; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 13. 207 BGH 4.4.1984 – I ZR 9/82 – GRUR 1984, 665, 667 – Werbung in Schulen; BGH 26.2.2009 – I ZR 106/06 – GRUR 2009, 606 Tz. 23 – Buchgeschenk vom Standesamt; OLG Hamburg 29.1.2009 – 3 U 107/08 – GRURRR 2010, 57 – EMEA. 208 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.55; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 13; a.A. LG Hamburg 28.10.1998 – 406 O 169/98 – WRP 1999, 441, 444 – Thermo-Man-Test. 209 Vertragsverletzungen können allerdings als gezielte Behinderung von Mitbewerbern gem. § 4 Nr. 4 („Verleiten zum Vertragsbruch“) wettbewerbswidrig sein (s. § 4 Nr. 4 Rn. 188). 210 OLG Hamm, 21.12.2010 – 4 U 142/10 – WRP 2011, 498, 500 – Verstoß gegen eBay-Grundsätze. 211 OLG Hamm, 21.12.2010 – 4 U 142/10 – WRP 2011, 498, 500 – Verstoß gegen eBay-Grundsätze; s. auch BGH, 8.5.2003 – I ZR 287/02 – WRP 2003, 1111 – Satzungsregeln eines Vereins: „Satzungsregeln eines Vereins haben grundsätzlich keinen Wettbewerbsbezug.“ 212 Dazu BGH 28.3.1969 – I ZR 33/67 – GRUR 1969, 474 – Bierbezug. 213 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.57. 214 BGH 29.6.1989 – I ZR 166/87 – GRUR 1989, 827 – Werbeverbot für Heilpraktiker und BGH 13.6.1996 – I ZR 102/94 – GRUR 1997, 136, 138 – Laborärzte (beide zum ärztlichen Standesrecht); BVerfG 14.7.1987 – 1 BvR 537/81 u.a. – BVerfGE 76, 171, 205 = NJW 1988, 191, 192 (zum anwaltlichen Standesrecht); s. auch BGH 18.3.1999 – III ZR 93/98 – NJW 1999, 2360 (zum Standesrecht der Architekten). 215 BGH 3.12.1998 – I ZR 112/96 – GRUR 1999, 748, 749 – Steuerberaterwerbung auf Fachmessen. 216 BGH 3.12.1998 – I ZR 112/96 – GRUR 1999, 748, 749 – Steuerberaterwerbung auf Fachmessen.
Metzger/Eichelberger
38
B. Tatbestand
§ 3a
Keine gesetzlichen Vorschriften sind zwischen Unternehmen vereinbarte Wettbe- 56 werbsregeln,217 wie etwa die Wettbewerbsregeln für den Vertrieb von abonnierbaren Publikumszeitschriften des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger VDZ218 oder die Wettbewerbsrichtlinie der Versicherungswirtschaft,219 und zwar auch dann nicht, wenn sie von der Kartellbehörde gem. §§ 24 ff. GWB als solche anerkannt worden sind.220 Gleiches gilt für Verhaltenskodizes gem. § 2 Abs. 1 Nr. 5, etwa die Grundsätze der freiwilligen Selbstkontrolle Film (FSK), den Deutschen Corporate Governance Kodex und die FSA-Kodizes des Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e.V.221 Solche Wettbewerbsregeln und Kodizes sollen den Kunden signalisieren, dass die angeschlossenen Unternehmen sich freiwillig über die gesetzlichen Verpflichtungen hinaus zu einem fairen Verhalten verpflichten. Es spricht deshalb auch nichts dagegen, diese als Indiz dafür heranzuziehen, welches Wettbewerbsverhalten nach der Auffassung der beteiligten Verkehrskreise als unlauter anzusehen ist, obschon dies die Prüfung, ob es sich tatsächlich um unlauteres Verhalten handelt, nicht ersetzt.222 Aus dem Gesetzesbegriff heraus fallen schließlich auch Normen und DIN-Vor- 57 schriften.223 Ihre Nichteinhaltung kann allerdings unter dem Gesichtspunkt der Irreführung lauterkeitsrechtlich relevant werden, wenn auf die Normen in der Werbung hingewiesen wurde oder wenn der Verkehr aufgrund des Verhaltens des Wettbewerbers ihre Einhaltung erwartet.224 Technische Normen können zudem mittelbar von Bedeutung sein, wenn sie gesetzliche Vorschriften (beispielsweise des ProdSG) konkretisieren.225 III. Marktverhaltensregelung § 3a setzt voraus, dass einer gesetzlichen Vorschrift zuwidergehandelt wird, „die 58 auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln“. Ausweislich der Begründung des Regierungsentwurfs sollte mit der Formulierung sichergestellt werden, dass der Rechtsbruchtatbestand nicht zu einer lauterkeitsrechtlichen Sanktionierung aller möglichen Gesetzesverstöße herangezogen werden kann, sondern nur Verstöße gegen Normen erfasst werden, denen zumindest eine
_____
217 BGH 13.7.2006 – I ZR 234/03 – GRUR 2006, 953 Tz. 17 – Warnhinweis II; BGH 7.2.2006 – KZR 33/04 – BGHZ 166, 154 = GRUR 2006, 773 Tz. 20 – Probeabonnement; BGH 20.5.2009 – I ZR 220/06 – GRUR 2009, 970 Tz. 20 – Versicherungsberater; BGH, 8.11.1990 – I ZR 48/89 – GRUR 1991, 462, 463 – Wettbewerbsrichtlinie der Privatwirtschaft. 218 BGH 7.2.2006 – KZR 33/04 – BGHZ 166, 154 = GRUR 2006, 773 Tz. 20 – Probeabonnement. 219 BGH 20.5.2009 – I ZR 220/06 – GRUR 2009, 970 Tz. 20 – Versicherungsberater; BGH, 8.11.1990 – I ZR 48/89 – GRUR 1991, 462, 463 – Wettbewerbsrichtlinie der Privatwirtschaft. 220 BGH 7.2.2006 – KZR 33/04 – BGHZ 166, 154 = GRUR 2006, 773 Tz. 20 – Probeabonnement: „Auch der Umstand, dass Wettbewerbsregeln von der Kartellbehörde anerkannt werden, verleiht ihnen keine Rechtsnormqualität.“ 221 BGH 9.9.2010 – I ZR 157/08 – GRUR 2011, 431 Tz. 11 – FSA-Kodex. 222 BGH 13.7.2006 – I ZR 234/03 – GRUR 2006, 953 Tz. 17 – Warnhinweis II; BGH, 8.11.1990 – I ZR 48/89 – GRUR 1991, 462, 463 – Wettbewerbsrichtlinie der Privatwirtschaft. 223 BGH 14.4.1994 – I ZR 123/92 – GRUR 1994, 640, 641 – Ziegelvorhangfassade; BGH 10.3.1987 – VI ZR 144/86 – GRUR 1987, 468, 469 – Warentest IV: „… DIN-Normen sind auf freiwillige Anwendung ausgerichtete Empfehlungen …“; OLG Düsseldorf 8.6.2017 – I-15 U 68/16 – GRUR-RS 2017, 119537 Tz. 20 – Diamant-Trennscheibe; OLG Düsseldorf 17.3.2016 – I-15 U 38/15 – BeckRS 2016, 6557 Tz. 52. 224 Dazu BGH 13.12.1984 – I ZR 71/83 – GRUR 1985, 555 f. – Abschleppseile; OLG Frankfurt 21.5.2015 – 6 U 64/14 – BeckRS 2015, 10633 (insofern nicht abgedruckt in WRP 2015, 996). 225 BGH 6.6.991 – I ZR 234/89 – GRUR 1991, 921, 923 – Sahnesiphon; OLG Düsseldorf 8.6.2017 – I-15 U 68/16 – GRUR-RS 2017, 119537 Tz. 21 ff. – Diamant-Trennscheibe; OLG Düsseldorf 17.3.2016 – I-15 U 38/15 – BeckRS 2016, 6557 Tz. 52; OLG Frankfurt 21.5.2015 – 6 U 64/14 – WRP 2015, 996 Rn. 14; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 3a Rn. 1.59 u. 1.281.
39
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
sekundäre Schutzfunktion zugunsten des Wettbewerbs zukommt.226 Das gilt auch für Vorschriften, die zum Schutz eines wichtigen Gemeinschaftsguts bestehen.227 Wie sich aus der Formulierung „auch“ ergibt, ist § 3a dabei aber nicht auf Normen beschränkt, die ausschließlich wettbewerbsschützende Funktion haben; die Regelung des Marktverhaltens im Interesse der Marktteilnehmer muss weder der einzige noch der primäre Zweck der verletzten Norm sein.228 So können beispielsweise auch den Marktzutritt regelnde Vorschriften erfasst sein, sofern sie zugleich das Marktverhalten regeln und dadurch eine sekundäre wettbewerbsbezogene Schutzfunktion aufweisen. Nicht mehr erfasst sind aber sich ausschließlich reflexartig zu Gunsten der Marktteilnehmer auswirkende Vorschriften.229 Ob und gegebenenfalls inwieweit eine gesetzliche Vorschrift dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, ist im konkreten Anwendungsfall durch Auslegung zu bestimmen.230 1. Regelung des Marktverhaltens 59
a) Grundsatz. Die gesetzliche Vorschrift muss dazu bestimmt sein, das Marktverhalten zu regeln. Sie muss dazu „einen Wettbewerbsbezug in der Form aufweisen, dass sie die wettbewerblichen Belange der als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen in Betracht kommenden Personen schützt“.231 Zum Marktverhalten gehören also insbesondere das Angebot und die Nachfrage von Waren und Dienstleistung, die Anbahnung, der Abschluss und die Durchführung von Geschäften sowie die Werbung.232 Dagegen gehört nicht zum Marktverhalten diesem vorausgegangenes Verhalten,233 beispielsweise die Produktion (s. Rn. 60) oder Forschung und Entwicklung etc.234 Vorschriften, die allein auf die Regelung solcher Aspekte abzielen, sind deshalb keine Marktverhaltensregelungen im Sinne des § 3a. Es genügt insoweit nicht, dass sich solches dem lauterkeitsrechtlich (allein) relevanten Marktverhalten vorausgehendes Verhalten mittelbar später auf den Markt auswirkt, indem der Zuwiderhandelnde durch den Normverstoß einen Vorteil gegenüber den sich rechtstreu verhaltenden Mitbewerbern erzielt.235 Vorschriften, die dem Schutz von Rechten, Rechtsgütern oder sonstigen Interessen von Marktteilnehmern dienen, sind Marktverhaltensregelungen, wenn das geschützte Interesse gerade durch die Marktteilnahme, also durch den Abschluss von Aus-
_____
226 S. Begr RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, 19. 227 BGH 1.12.2016 – I ZR 143/15 – GRUR 2017, 641 Tz. 20 – Zuzahlungsverzicht bei Hilfsmitteln; BGH 23.6.2016 – I ZR 71/15 – GRUR 2017, 95 Tz. 21 – Arbeitnehmerüberlassung. 228 BGH 1.12.2016 – I ZR 143/15 – GRUR 2017, 641 Tz. 20 – Zuzahlungsverzicht bei Hilfsmitteln; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.61. 229 BGH 2.3.2017 – I ZR 197/15 – GRUR 2017, 537 Tz. 20 – Konsumgetreide; BGH 8.10.2015 – I ZR 225/13 – GRUR 2016, 513 Tz. 21 – Eizellspende. 230 OLG Köln 28.4.2017 – 6 U 152/16 – GRUR 2017, 1048 Tz. 33 – Dampfreinigungsgeräte; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.61. 231 BGH 2.3.2017 – I ZR 197/15 – GRUR 2017, 537 Tz. 20 – Konsumgetreide; BGH 8.10.2015 – I ZR 225/13 – GRUR 2016, 513 Tz. 21 – Eizellspende. 232 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.62; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 15; s. auch OLG Hamburg 29.1.2009 – 3 U 107/08 – GRUR-RR 2010, 57, 60 – EMEA; OLG Hamburg 25.2.2016 – 5 U 26/12 – GRUR-RR 2017, 65 Tz. 92 – Bankkonto mit Rechtsservice (zur reinen Aufmerksamkeitswerbung); KG 29.4.2011 – 5 W 88/11 – GRUR-RR 2012, 19, 20 – Gefällt-mir-Button. 233 S. BGH 2.12.2009 – I ZR 152/07 – GRUR 2010, 654 Tz. 18 – Zweckbetrieb. 234 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.62. 235 BGH 11.5.2000 – I ZR 28/98 – BGHZ 144, 255, 265 = GRUR 2000, 1076, 1079 – Abgasemissionen; BGH 2.12.2009 – I ZR 152/07 – GRUR 2010, 654 Tz. 25 – Zweckbetrieb; OLG München 23.2.2006 – 6 U 3721/05 – GRUR-RR 2006, 343, 344 – Gelenkschutzkapseln; KG 29.4.2011 – 5 W 88/11 – GRUR-RR 2012, 19, 21 – Gefällt-mir-Button; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.68; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 16.
Metzger/Eichelberger
40
B. Tatbestand
§ 3a
tauschverträgen und den nachfolgenden Verbrauch oder Gebrauch der erworbenen Ware oder in Anspruch genommenen Dienstleistung berührt wird.236 b) Produktionsvorschriften. Regelungen über die Art und Weise des Produktions- 60 prozesses („Produktionsvorschriften“) sind keine Marktverhaltensregelungen, wenn sie nicht ausnahmsweise zugleich dem Verbraucherschutz dienen, indem sie im Interesse des Verbrauchers eine bestimmte Art und Weise der Produktion vorschreiben, oder Individualinteressen der Mitbewerber schützen.237 Das ist insbesondere nicht der Fall bei den primär im Interesse der Allgemeinheit oder der betroffenen Nachbarn bestehenden Regelungen über den Umwelt- und Tierschutz.238 Auch die Vorschriften zum Schutz von Arbeitnehmern betreffen regelmäßig zunächst nur die betriebsinterne Sphäre, haben also regelmäßig keinen Marktbezug (s. Rn. 68, 263, 306);239 sie können im Einzelfall aber zugleich Außenwirkung entfalten, wie etwa das LadenSchlG (s. Rn. 261),240 so dass eine Einordnung als Marktverhaltensregelung nicht schon am Marktbezug scheitert. Keinen lauterkeitsrechtlichen Marktbezug hat das der Finanzierung der öffentlichen Hand und des Gemeinwesens dienende Steuerrecht,241 und zwar auch nicht im Falle von Lenkungssteuern, weil damit ungeachtet der tatsächlichen Auswirkung auf die Preiskalkulation allein wirtschafts- oder sozialpolitische Ziele verfolgt werden.242 Der durch Steuerhinterziehung möglicherweise erzielte Marktvorsprung gegenüber den steuerehrlichen Mitbewerbern ist somit kein unlauteres Wettbewerbsverhalten.243 Marktbezug fehlt wegen ihres lediglich öffentliche Interessen sichernden Zwecks auch Vorschriften über Gebühren244 und Sozialabgaben.245 Ebenfalls keinen Marktbezug haben die primär der
_____
236 BGH 2.3.2017 – I ZR 194/15 – GRUR 2017, 537 Tz. 20 – Konsumgetreide; BGH 8.10.2015 – I ZR 225/13 – GRUR 2016, 513 Tz. 21 – Eizellspende; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.67. 237 Vgl. OLG München 23.2.2006 – 6 U 3721/05 – GRUR-RR 2006, 343, 344 – Gelenkschutzkapseln; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.66. 238 S. BGH 11.5.2000 – I ZR 28/98 – BGHZ 144, 255, 267 f. = GRUR 2000, 1076, 1079 – Abgasemissionen (zum Immissionsschutzrecht); BGH 6.7.1995 – I ZR 4/93 – BGHZ 130, 182, 185 = GRUR 1995, 817, 818 – Legehennenhaltung (ein etwaiger Verstoß gegen die Anforderungen an die Haltung von Legehennen begründet kein lauterkeitsrechtliches Verbot des Verkaufs von Eiern dieser Hennen); Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 17. 239 BGH 23.6.2016 – I ZR 71/15 – GRUR 2017, 95 Tz. 23 – Arbeitnehmerüberlassung; OLG Frankfurt 29.1.2015 – 6 U 63/14 – GRUR 2015, 401 Tz. 23 – Messepersonal (beide zur Erlaubnisbedürftigkeit der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung nach § 1 AÜG); KG 14.2.2017 – 5 U 105/16 – WRP 2017, 460 Tz. 9, 17 ff. – Essensausfahrer (zum Nichtabführen von Sozialbeiträgen sowie zur Nichtzahlung des gesetzlichen Mindestlohns); Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.70; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 17; krit. FBO/Götting/ Hetmank § 3a Rn. 70. 240 Vgl. OLG Frankfurt 29.1.2015 – 6 U 63/14 – GRUR 2015, 401 Tz. 24 – Messepersonal. 241 BGH 1.12.2016 – I ZR 143/15 – GRUR 2017, 641 Tz. 26 – Zuzahlungsverzicht bei Hilfsmitteln; BGH 2.12.2009 – I ZR 152/07 – GRUR 2010, 656 Tz. 19 – Zweckbetrieb; OLG Oldenburg 30.11.2006 – 1 U 74/06 – WRP 2007, 685, 687 – Knabberohren; OLG München 15.5.2003 – 29 U 1703/03 – GRUR 2004, 169 – Städtisches Krematorium; obiter bereits BGH 11.5.2000 – I ZR 28/98 – BGHZ 144, 255, 268 f. = GRUR 2000, 1076, 1079 – Abgasemissionen; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.71; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 17; Harte/Henning/v. Jagow § 3a Rn. 31; krit. hingegen FBO/Götting/Hetmank § 3a Rn. 73a. 242 OLG Oldenburg 30.11.2006 – 1 U 74/06 – WRP 2007, 685, 687 – Knabberohren; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 3a Rn. 1.71; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 17; Harte/Henning/v. Jagow § 3a Rn. 31; s. auch BGH 2.12.2009 – I ZR 152/07 – GRUR 2010, 654 Tz. 20 – Zweckbetrieb m.w.Nachw. Anderes gilt für Vorschriften in Steuergesetzen, die der Sache nach Preisvorschriften sind, wie beispielsweise § 26 Abs. 1 TabStG (s. Rn. 256). 243 BGH 2.12.2009 – I ZR 152/07 – GRUR 2010, 654 Tz. 19 – Zweckbetrieb. 244 OLG Hamburg 29.1.2009 – 3 U 107/08 – GRUR-RR 2010, 57, 60 – EMEA. 245 BGH 1.12.2016 – I ZR 143/15 – GRUR 2017, 641 Tz. 27 ff. – Zuzahlungsverzicht bei Hilfsmitteln (zur Arzneimittelzuzahlung nach § 33 Abs. 8 SGB V); OLG Rostock 4.5.2005 – 2 U 54/04 – GRUR-RR 2005, 391, 392 – Apotheken-Bonuscard und OLG Düsseldorf 18.10.2011 – I-20 U 36/11 – NZS 2012, 424 (beide zur
41
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs dienenden Vorschriften des Straßenund Straßenverkehrsrechts.246 61
c) Vorschriften zum Schutz des geistigen Eigentums und sonstiger absoluter Rechte. Kein lauterkeitsrechtlich relevantes Marktverhalten ist die Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums (Urheberrecht, Markenrecht, Patentrecht etc.), auch nicht im Falle wiederholter oder systematischer Rechtsverletzungen. Zwar sind diese Ausschließlichkeitsrechte von allen Wettbewerbern zu beachten, sie haben aber nicht den Zweck, den Wettbewerb durch Aufstellung gleicher Schranken zu regeln und dadurch zur Chancengleichheit der Wettbewerber beizutragen.247 Außerdem muss es allein dem Rechtsinhabers vorbehalten sein zu entscheiden, ob er die Rechtsverletzung hinnimmt oder verfolgt.248 Davon abgesehen enthalten die immaterialgüterrechtlichen Spezialgesetze ein abschließendes Sanktionsinstrumentarium (s. Rn. 33).249 Sofern über die „bloße“ Rechtsverletzung hinausreichende Merkmale vorliegen, die eine Unlauterkeit begründen können, ist das UWG freilich parallel anwendbar.250 – Entsprechendes gilt bei der Verletzung anderer subjektiver absoluter Rechte, wie beispielsweise dem Eigentum, dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.251
62
2. Regelung des Marktverhaltens „im Interesse der Marktteilnehmer“. Die marktbezogene gesetzliche Vorschrift muss sodann dazu bestimmt sein, das Marktverhalten im Interesse der Marktteilnehmer zu regeln. Das Merkmal stellt klar, dass nicht alle Marktverhaltensregelungen in den Tatbestand fallen, sondern nur solche, die den
_____ früheren „Praxisgebühr“ der GKV nach § 28 Abs. 4 SGB V a.F.); a.A. (zur Zuzahlungspflicht für Arzneimittel nach § 31 Abs. 3 SGB V) OLG Stuttgart 24.5.1996 – 2 U 240/95 – NJW-RR 1997, 359, 362. 246 BGH 11.5.2006 – I ZR 250/03 – GRUR 2006, 872 Tz. 16–18 – Kraftfahrzeuganhänger mit Werbeschildern (zu § 16 Abs. 1 S. 1 HessStrG, wonach über den Gemeingebrauch hinausgehende Nutzung der Erlaubnis bedarf); LG Kiel 30.11.2004 – 16 O 51/04 – GRUR 2005, 446 – Frühstücksaktion (zu § 33 Abs. 2 S. 2 StVO, wonach „Werbung und Propaganda in Verbindung mit Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen“ unzulässig sind); Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.73; a.A. LG Frankfurt a.M. 27.9.2002 – 3/12 O 43/02 – GRUR-RR 2003, 180, 181 – Kfz-Anhänger (zu § 16 Abs. 1 S. 1 HessStrG). 247 BGH 10.12.1998 – I ZR 100/96 – BGHZ 140, 183, 188 = GRUR 1999, 325, 326 – Elektronische Pressearchive (zum Urheberrecht); Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.72; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 70; so auch der österr. OGH 24.4.2001 – 4 Ob 93/01 – GRUR Int. 2002, 350, 352 – pressetext.austria I, unter Aufgabe seiner auf den Vorsprungsgedanken abstellenden früheren Rechtsprechung aus österr. OGH 8.3.1977 – 4 Ob 405/76; krit. dagegen Sack WRP 2004, 1307, 1313 f. 248 BGH 10.12.1998 – I ZR 100/96 – BGHZ 140, 183, 188 = GRUR 1999, 325, 326 – Elektronische Pressearchive; OLG Köln 13.11.1981 – 6 U 155/81 – GRUR 1983, 133 – Schallplatten; OLG Hamm 12.1.1984 – 4 W 226/83 – GRUR 1984, 539, 540 – Videocassetten; s. auch österr. OGH 24.4.2001 – 4 Ob 93/01 – GRUR Int. 2002, 350, 352 – pressetext.austria I; FBO/Götting/Hetmank § 3a Rn. 77; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.72; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 10; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 70; Beater Rn. 2554. 249 Darauf abstellend Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 17 und Schricker/Loewenheim/Ohly Einleitung Rn. 64; FBO/Götting/Hetmank § 3a Rn. 77. 250 BGH 10.12.1998 – I ZR 100/96 – BGHZ 140, 183, 189 = GRUR 1999, 325, 326 – Elektronische Pressearchive. 251 MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 70. – Speziell zum Eigentum s. BGH 16.3.2006 – I ZR 92/03 – GRUR 2006, 879 Tz. 13 – Flüssiggastank; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.75; a.A. wohl aber OLG Brandenburg 19.12.1995 – 6 U 200/95 – NJW-RR 1996, 1514 (das Abstellen eines Fahrzeugs mit einer Plakatwand auf einem fremden Grundstück zum Zwecke der Werbung könne – neben einer Besitz- oder Eigentumsstörung – zugleich ein Wettbewerbsverstoß nach § 1 a.F. sein). – Speziell zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht s. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.75 (zwar möglicherweise Marktverhaltensregelung, aber jedenfalls nicht dem Interesse der Marktteilnehmer dienend).
Metzger/Eichelberger
42
B. Tatbestand
§ 3a
Schutz der Marktteilnehmer, also der Mitbewerber, Verbraucher und sonstigen Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen (s. § 2 Abs. 1 Nr. 2) bezwecken.252 Wiederum muss es sich bei dem erforderlichen Schutzzweck der Norm nicht um den einzigen Zweck handeln („auch dazu bestimmt“). Im Interesse der Mitbewerber regelt eine Norm das Marktverhalten insbesondere 63 dann, wenn sie die Funktion hat, gleiche Voraussetzungen für die auf einem Markt tätigen Wettbewerber zu schaffen,253 sie also gerade die Freiheit der wettbewerblichen Entfaltung der Mitbewerber schützt.254 Dass sich die Zuwiderhandlung gegen eine gesetzliche Vorschrift allein dadurch auf den Wettbewerb auswirkt, dass der Verstoß dem Zuwiderhandelnden einen Vorteil gegenüber den (rechtstreuen) Mitbewerbern verschafft, genügt dafür nicht. Der Vorsprung, den ein Mitbewerber aus einem gesetzeswidrigen Verhalten zieht, sollte nach der UWG-Reform im Jahr 2004 gerade kein entscheidendes Kriterium für den Rechtsbruchtatbestand mehr sein.255 Das Interesse der Mitbewerber, durch eine gleichmäßige Rechtsanwendung im Wettbewerb gleiche Bedingungen vorzufinden, ist als solches für sich genommen kein lauterkeitsrechtlich geschütztes Interesse.256 Allein die Durchsetzung der objektiven Rechtsordnung ist nicht Ziel des Lauterkeitsrechts (s. Rn. 21). Eine Vorschrift dient auch dann dem Schutz der Marktteilnehmer, wenn sie auf den 64 Schutz von Verbrauchern abzielt. Dies umfasst jedenfalls all jene Regelungen, die gerade die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers schützen.257 Problematisch sind dagegen Regelungen des Marktverhaltens, die primär dem Schutz anderer Interessen oder Rechtsgüter der Verbraucher dienen, etwa der Gesundheit, dem Jugendschutz, der Produktsicherheit, der kunstgerechten ärztlichen Behandlung etc. So wird vertreten, es sei nicht Aufgabe des Lauterkeitsrechts, Verbraucher vor Gefahren zu schützen, die der Gebrauch von Produkten oder die Nutzung von Dienstleistungen (erst) im Anschluss an das eigentliche Marktgeschehen mit sich bringt.258 Das Lauterkeitsrecht schütze den Verbraucher „als Vertragspartner, nicht als Mensch“.259 Die verletzte Norm müsse deshalb eine spezifisch wettbewerbsbezogene Schutzfunktion aufweisen, um ihre Verletzung lauterkeitsrechtlich mittels § 3a durchsetzen zu können.260 Dem ist zuzugeben, dass entsprechend der vom Regierungsentwurf zugrunde gelegten Schutznormlehre nicht alle den Verbraucher „irgendwie“ schützenden Normen in den Rechtsbruchtatbestand einbezogen sein sollen, sondern nur solche, die den Verbraucher als Marktteilnehmer betreffen.261 Dies auf die wettbewerbliche Entscheidungsfreiheit von Verbrauchern zu begrenzen, wäre indes zu eng. Vielmehr ist entscheidend, dass die von der Norm geschützten Interessen – die als solche auch außerwettbewerblich sein können – „gerade durch die Marktteilnahme, also durch den Abschluss von Austauschverträgen und den
_____
252 Vgl. BGH 2.3.2017 – I ZR 194/15 – GRUR 2017, 537 Tz. 20 – Konsumgetreide. 253 BGH 2.12.2009 – I ZR 152/07 – GRUR 2010, 654 Tz. 18 – Zweckbetrieb; BGH 11.5.2000 – I ZR 28/98 – BGHZ 144, 255, 269 = GRUR 2000, 1076, 1079 – Abgasemissionen. 254 BGH 2.12.2009 – I ZR 152/07 – GRUR 2010, 654 Tz. 18 – Zweckbetrieb; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.66. 255 S. BGH 2.12.2009 – I ZR 152/07 – GRUR 2010, 654 Tz. 19, 25 – Zweckbetrieb; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 22. 256 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.66. 257 Allg. Ansicht, s. nur Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.67; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 23. 258 Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 25. 259 Gärtner/Heil WRP 2005, 20, 22. 260 Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 25; FBO/Götting/Hetmank § 3a Rn. 63; im Ergebnis ebenso Dettmar S. 165 f.; Gärtner/Heil WRP 2005, 20, 22; Scherer WRP 2006, 401, 404.; Wuttke WRP 2007, 119, 123, 125. 261 Vgl. BGH 8.10.2015 – I ZR 225/13 – GRUR 2016, 513 Tz. 21 – Eizellspende.
43
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
nachfolgenden Verbrauch oder Gebrauch der erworbenen Ware oder in Anspruch genommenen Dienstleistung berührt“ werden.262 Soweit zur Begründung der gegenteiligen Auffassung die Begrenzung der UGP-RL auf die „wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher“ herangezogen wird,263 ist dem entgegen zu halten, dass diese andere Schutzzwecke – namentlich Gesundheits- und Sicherheitsaspekte von Produkten – verfolgende nationale Vorschriften ausdrücklich unberührt lässt (s. Art. 3 Abs. 3 und Abs. 4 UGP-RL, Erwägungsgrund 9 UGP-RL), mithin schon nicht anwendbar ist.264 Es bedarf also, um eine Marktverhaltensregelung als zur Regelung von Interessen von Marktteilnehmern bestimmt anzusehen, keiner spezifisch wettbewerbsbezogenen Schutzfunktion der verletzten Norm in dem Sinne, dass sie die Marktteilnehmer, insbesondere die Verbraucher, speziell vor dem Risiko einer unlauteren Beeinflussung ihres Marktverhaltens schützt.265 Eine solche mit dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte und dem europarechtlichen Hintergrund in Einklang stehende Interpretation des § 3a erlaubt es den Wettbewerbsgerichten, die in vielen Bereichen des Ordnungsrechts erkennbaren Sanktionsdefizite auszugleichen. Man mag aus dogmatischen Erwägungen beklagen, dass diese Aufgabe primär im Ordnungsrecht und nicht im Lauterkeitsrecht zu erfüllen wäre. Das Interesse an einer effizienten Durchsetzung von Marktverhaltensregelungen überwiegt nach der hier vertretenen Auffassung aber überall dort, wo keine Missbrauchsgefahren oder ineffiziente Doppelungen bei der Rechtsdurchsetzung zu befürchten sind (s. Rn. 24 ff.). In ihrer Rolle als Marktteilnehmer sind Verbraucher deshalb auch betroffen, wenn die verletzte Vorschrift verhindern soll, dass sie mit den entsprechenden Waren oder Dienstleistungen als Marktteilnehmer, das heißt insbesondere als Abnehmer, in Kontakt kommen. Dies betrifft beispielsweise die zahlreichen berufsrechtlichen Zugangsvoraussetzungen (s. Rn. 98 ff.) und die produktbezogenen Vermarktungsverbote (s. Rn. 177 ff.), die vor unqualifiziert erbrachten Dienstleistungen bzw. unsicheren Produkten schützen sollen. Entsprechendes gilt für die Regelungen zum Jugendschutz (s. Rn. 298). 65
3. Marktzutrittsregelungen. Nicht von § 3a erfasst sind „reine“ Marktzutrittsregelungen. Dessen Entstehungsgeschichte lässt keinen Zweifel daran, dass es dem Gesetzgeber mit der Formulierung darum ging, Vorschriften vom Anwendungsbereich auszuschließen, die allein das „Ob“ und nicht wenigstens auch das „Wie“ der Marktteilnahme regeln. Der Bundestag hat sich in dieser Frage ausdrücklich gegen die Stellungnahme des Bundesrats entschieden.266 Im Blick hatte man dabei insbesondere die kommunalrechtlichen Betätigungsverbote für Gemeinden.267 Beschränkungen des Marktzutritts sind dann „reine“ Marktzutrittsregelungen, wenn sie den Marktzutritt ausschließlich aus Gründen verwehren, die mit der Art und Weise des Marktverhaltens des Betroffenen nichts zu tun haben.268 Deutlich zeigt sich dies bei Regelungen, die lediglich bestimmte Unternehmen von bestimmten Märkten fernhalten oder die Rahmenbedingungen des Wettbewerbs
_____
262 BGH 2.3.2017 – I ZR 194/15 – GRUR 2017, 537 Tz. 20 – Konsumgetreide; BGH 8.10.2015 – I ZR 225/13 – GRUR 2016, 513 Tz. 21 – Eizellspende; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.67. 263 S. Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 25. 264 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.67, 1.334. 265 BGH 2.3.2017 – I ZR 194/15 – GRUR 2017, 537 Tz. 20 – Konsumgetreide; BGH 8.10.2015 – I ZR 225/13 – GRUR 2016, 513 Tz. 21 – Eizellspende; grundlegend BGH 10.12.2009 – I ZR 189/07 – GRUR 2010, 754 Tz. 20– 23 – Golly Telly; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.67. 266 Gegenäußerung der Bundesregierung vom 22.8.2003, BTDrucks. 15/1487, S. 41. 267 Gegenäußerung der Bundesregierung vom 22.8.2003, BTDrucks. 15/1487, S. 41. 268 BGH 23.6.2016 – I ZR 71/15 – GRUR 2017, 95 Tz. 15 – Arbeitnehmerüberlassung; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 3a Rn. 1.76; s. auch BGH 25.4.2002 – I ZR 250/00 – BGHZ 150, 343, 351 = GRUR 2002, 825, 826 – Elektroarbeiten; KG 13.2.2007 – 5 W 35/07 – GRUR 2007, 515, 516 – Sammel-Tragstuhlwagentransporte.
Metzger/Eichelberger
44
B. Tatbestand
§ 3a
festlegen sollen, die mithin ausschließlich wirtschaftslenkende Anliegen verfolgen.269 Wer unter Verstoß gegen reine Marktzutrittsregelungen am Markt teilnimmt, handelt somit nicht allein dadurch unlauter.270 Reine Marktzutrittsregelungen, deren Einhaltung nicht lauterkeitsrechtlich durch- 66 gesetzt werden können, sind die bereits angesprochenen kommunalrechtlichen Betätigungsverbote bzw. -beschränkungen (zum Beispiel § 71 Thür. Kommunalordnung, § 136 Nieders. KommunalverfassungsG).271 Sofern dagegen die Art und Weise der wirtschaftlichen Teilnahme der Gemeinde am Wettbewerb in Rede stets, d.h. nicht das „Ob“, sondern das „Wie“, kommt das Lauterkeitsrecht zur Anwendung.272 – Beschränkungen der staatlichen Betätigung im Bereich der Presse und des Rundfunks können dagegen Marktverhaltensregelungen sein (s. Rn. 292 ff.).273 Als reine Marktzutrittsregelungen (und damit nicht unter § 3a fallend) sind weiter 67 anerkannt beispielsweise gesetzliche Wettbewerbsverbote, namentlich solche aus den §§ 60, 112, 161 Abs. 2 HGB und §§ 88, 284 AktG, denn diese dienen – das zeigt sich bereits daran, dass sie durch die Einwilligung des Geschäftsherrn bzw. der Gesellschaft entfallen – allein dem Schutz der dadurch Begünstigten.274 Ebenfalls allein den Marktzutritt regeln die vereinsrechtlichen Organisationsnormen der §§ 21, 22 BGB, weil deren Schutzzweck darauf gerichtet ist, aus Gründen der Sicherheit des Rechtsverkehrs, insbesondere des Gläubigerschutzes, Vereinigungen mit wirtschaftlicher Zielsetzung auf die dafür zur Verfügung stehenden handelsrechtlichen Formen zu verweisen und eine wirtschaftliche Betätigung von Idealvereinen zu verhindern.275 Das sollte mit Blick auf den Schutzzweck letztlich auch dann gelten, wenn die wirtschaftliche Betätigung des Vereins den Rahmen des sog. Nebenzweckprivilegs überschreitet.276
_____
269 BGH 26.1.2017 – I ZR 207/14 – GRUR 2017, 422 Tz. 31 – ARD-Buffett; BGH 30.4.2015 – I ZR 13/14 – BGHZ 205, 195 = GRUR 2015, 1228 Tz. 56 – Tagesschau-App; BGH 2.12.2009 – I ZR 152/07 – GRUR 2010, 654 Tz. 23 – Zweckbetrieb. 270 BGH 25.4.2002 – I ZR 250/00 – BGHZ 150, 343, 351 = GRUR 2002, 825, 826 – Elektroarbeiten; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.76. 271 BGH 4.11.2003 – KZR 38/02 – GRUR 2004, 259, 262 – Strom und Telefon II; BGH 26.9.2002 – I ZR 293/99 – GRUR 2003, 164, 165 f. – Altautoverwertung; BGH 25.4.2002 – I ZR 250/00 – BGHZ 150, 343, 347 ff. = GRUR 2002, 825, 826 – Elektroarbeiten (alle zu § 1 a.F.); Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.79; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 20; a.A. Dreher ZIP 2002, 1648. – Es handelt sich auch nicht um Schutzgesetze i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB, s. BGH 26.9.2002 – I ZR 293/99 – GRUR 2003, 164, 166 – Altautoverwertung; BGH 25.4.2002 – I ZR 250/00 – BGHZ 150, 343, 352 = GRUR 2002, 825, 828 – Elektroarbeiten. 272 Beispielsweise, wenn öffentlich-rechtliche Aufgaben mit der erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit verquickt werden, die amtliche Autorität oder das Vertrauen in die Objektivität und Neutralität der Amtsführung missbraucht wird oder der Bestand des Wettbewerbs auf dem einschlägigen Markt gefährdet wird, s. BGH 25.4.2002 – I ZR 250/00 – BGHZ 150, 343, 349 = GRUR 2002, 825, 827 – Elektroarbeiten. 273 BGH 20.12.2018 – I ZR 112/17 – GRUR 2019, 189 Tz. 17 ff. – Crailsheimer Stadtblatt II; BGH 15.12.2011 – I ZR 129/10 – GRUR 2012, 728 Tz. 11 – Einkauf Aktuell; BGH 26.1.2017 – I ZR 207/14 – GRUR 2017, 422 Tz. 32 ff. – ARD-Buffett; BGH 30.4.2015 – I ZR 13/14 – BGHZ 205, 195 = GRUR 2015, 1228 Tz. 55 ff. – TagesschauApp; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.83; a.A. Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 20; Hain/Brings WRP 12, 1495, 1497 f.; Peifer GRUR-Prax 2012, 521, 523 f. 274 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.78; Köhler GRUR 2001, 777, 781; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 20; GK-UWG1/Teplitzky § 1 Rn. G 187 f.; a.A. Mees WRP 1985, 373, 377 (zu § 1 a.F.). 275 So (zu § 1 a.F.) BGH 4.6.1986 – I ZR 29/85 – GRUR 1986, 823, 824 f. – Fernsehzuschauerforschung; BGH 29.9.1982 – I ZR 88/80 – BGHZ 85, 84, 88 = GRUR 1983, 120, 123 – ADAC-Verkehrsrechtsschutz; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.77; GK-UWG1/Teplitzky § 1 Rn. G 254 f. 276 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.77 mit dem Hinweis auf die Möglichkeit der gerichtlichen Entziehung der Rechtsfähigkeit nach § 43 Abs. 2 BGB; möglicherweise a.A. BGH 4.6.1986 – I ZR 29/85 – GRUR 1986, 823, 824 f. – Fernsehzuschauerforschung; BGH 29.9.1982 – I ZR 88/80 – BGHZ 85, 84, 88 = GRUR 1983, 120, 123 – ADAC-Verkehrsrechtsschutz.
45
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
68
Ausschließlich von der sozialpolitischen Zielrichtung, den arbeits- und sozialrechtlichen Schutz der überlassenen Arbeitnehmer sicherzustellen, getragen und damit reine Marktzutrittsregelung ist die Erlaubnisbedürftigkeit der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung nach § 1 Abs. 1 S. 1 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG).277
69
4. Doppelfunktionale Vorschriften. Der Begründung des Regierungsentwurfs ist allerdings zu entnehmen, dass § 3a nur „reinen“ Marktzutrittsregelungen die lauterkeitsrechtliche Durchsetzung verwehrt.278 Bezwecken Marktzutrittsregelungen auch die Regelung des Marktverhaltens, so kommt ein Wettbewerbsverstoß in Betracht (so genannte doppelfunktionale Vorschriften). Dass sich der rechtswidrige Markteintritt regelmäßig auf den Wettbewerb der rechtmäßig am Markt Agierenden auswirken wird, kann für sich genommen einer Marktzutrittsregelung allerdings keine wenigstens sekundäre wettbewerbsbezogene Schutzfunktion zuweisen. Vielmehr ist auch hier auf den Zweck der Zugangsreglementierung abzustellen: Soll diese im Interesse der Marktteilnehmer, namentlich der Verbraucher, eine bestimmte Qualität, Sicherheit oder Unbedenklichkeit der angebotenen Waren oder Dienstleistungen sicherstellen, weist sie regelmäßig eine sekundäre wettbewerbsbezogene Schutzfunktion auf und regelt damit zugleich das Marktverhalten im Interesse der Marktteilnehmer.279 So liegt es insbesondere bei den Regelungen über den Zugang zu reglementierten Berufen, namentlich der Zulassung zu Heilberufen oder der Genehmigungsbedürftigkeit von Angeboten des Krankentransports und der Notfallrettung, weil diese den Zugang zu den betreffenden Berufen im Interesse der Abnehmer an bestimmte Qualifikationen binden.280 Auch die gewerberechtlichen Zulassungsregelungen dienen oft auch dem Schutz anderer Marktteilnehmer vor einer Gefährdung ihrer Rechtsgüter durch unzuverlässige Gewerbetreibende.281 Dabei wird umso eher von einer auch das Marktverhalten regelnden Vorschrift auszugehen sein, je wichtiger die für den Marktzutritt geforderten Fähigkeiten beim Marktverhalten sind.282 Besonders wichtig sind beispielsweise Fähigkeiten, die dem Schutz wesentlicher Rechtsgüter der Verbraucher als Marktteilnehmer dienen, wie insbesondere deren Gesundheit. IV. Zuwiderhandlung
70
1. Grundsatz. Der gesetzlichen Vorschrift muss „zuwidergehandelt“ worden sein. Notwendig ist dafür die Erfüllung sämtlicher Tatbestandsmerkmale dieser Vorschrift.283
_____
277 BGH 23.6.2016 – I ZR 71/15 – GRUR 2017, 95 Tz. 17, 20 – Arbeitnehmerüberlassung. 278 Begr. RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, S. 19: „Die vorgenommene Einschränkung schließt nicht aus, dass auch Verstöße gegen Marktzutrittsregelungen vom Tatbestand erfasst sein können. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Marktzutrittsregelung eine auf die Lauterkeit des Wettbewerbs bezogene Schutzfunktion hat und somit auch zugleich das Marktverhalten regelt.“ 279 BGH 23.6.2016 – I ZR 71/15 – GRUR 2017, 95 Tz. 16 – Arbeitnehmerüberlassung; BGH 15.1.2009 – I ZR 141/06 – GRUR 2009, 881 Tz. 14 – Überregionaler Krankentransport; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.83. 280 Vgl. BGH 15.1.2009 – I ZR 141/06 – GRUR 2009, 881 Tz. 14 – Überregionaler Krankentransport (zum Genehmigungsvorbehalt in § 18 RettG NRW). 281 S. BGH 23.6.2016 – I ZR 71/15 – GRUR 2017, 95 Tz. 16 – Arbeitnehmerüberlassung (in casu für die Erlaubnisbedürftigkeit der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung nach § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG jedoch verneint); BGH 6.11.2013 – I ZR 104/12 – GRUR 2014, 88 Tz. 14 – Vermittlung von Netto-Policen (zu § 34d Abs. 1 GewO – Erlaubnisbedürftigkeit der Versicherungsvermittlung); KG 13.2.2007 – 5 W 35/07 – GRUR 2007, 515, 516 – Sammel-Tragstuhlwagentransporte (zu § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 PBefG – Erlaubnisbedürftigkeit der Personenbeförderung mit Kraftfahrzeugen im Gelegenheitsverkehr). 282 Wüstenberg WRP 2017, 396 Tz. 9. 283 BGH 8.11.2007 – I ZR 60/05 – GRUR 2008, 530 Tz. 11 – Nachlass bei der Selbstbeteiligung.
Metzger/Eichelberger
46
B. Tatbestand
§ 3a
Zur Begründung eines vorbeugenden Unterlassungsanspruchs genügt freilich, dass die vollständige Tatbestandsverwirklichung (nach den Grundsätzen zur Erstbegehungsgefahr, siehe bei § 8) droht.284 Lauterkeitsrechtlich genügt dabei objektiv rechtswidriges Verhalten.285 Nur wenn die Primärnorm selbst subjektive Tatbestandselemente enthält, was insbesondere bei Straftatbeständen und im Ordnungswidrigkeitenrecht der Fall ist, so müssen auch diese verwirklicht sein, da anderenfalls (noch) kein rechtswidriges Verhalten vorliegt.286 Fehlt es hier an den geforderten subjektiven Tatbestandsmerkmalen der Primärnorm, so darf allein der äußere Anschein der Strafbarkeit nicht zu lauterkeitsrechtlichen Ansprüchen führen. Soweit freilich – wie häufig im Ordnungswidrigkeitenrecht – die hoheitliche Sanktionierung lediglich an die Verletzung einer anderen Norm anknüpft, so kann der Rechtsbruch unmittelbar an diese Norm angeknüpft werden, sofern es sich dabei um eine im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten regelnde gesetzliche Vorschrift handelt; darauf, ob auch eine – schuldhaftes Verhalten voraussetzende – straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtliche Sanktionierung der Zuwiderhandlung erfolgt, kommt es dann nicht an. Mangels schuldhafter Zuwiderhandlung fehlende Straf- oder Bußbarkeit steht also einer unmittelbar an die Verletzung der Primärnorm anknüpfenden lauterkeitsrechtlichen Sanktionierung nach § 3a nicht entgegen.287 2. Wirksamkeit und Anwendbarkeit der gesetzlichen Vorschrift. Die Vorschrift, 71 der zuwidergehandelt wurde, muss im konkreten Fall anwendbar und wirksam sein. Daran fehlt es beispielsweise, wenn ihre Anwendung gegen Unionsrecht (namentlich die Warenverkehrsfreiheit nach Art. 34 AEUV oder die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV) verstieße288 oder sie wegen einer Kollision mit höherrangigem Recht, namentlich dem Grundgesetz, nichtig ist.289 Demgemäß kann eine Zuwiderhandlung gegen eine Norm des Strafrechts oder des 72 Ordnungswidrigkeitenrechts, die dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot des
_____
284 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.84; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 83. – Mit dieser Maßgabe ist es daher möglich, dass ein Verhalten (etwa sog. Vorbereitungshandlungen), das noch nicht die Schwelle zum strafbaren Versuch (§ 22 StGB) überschritten und damit (noch) nicht strafbar ist, lauterkeitsrechtlich bereits eine Zuwiderhandlung darstellt und einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch begründet. – Ein nicht strafbarer Versuch (dazu § 23 Abs. 1 StGB) ist dagegen ohne Erstbegehungsgefahr der Vollendung keine Zuwiderhandlung im Sinne des § 3a, s. BGH 8.11.2007 – I ZR 60/05 – GRUR 2008, 530 Tz. 11 – Nachlass bei der Selbstbeteiligung (zur versuchten Anstiftung zum Betrug). 285 BGH 23.6.2005 – I ZR 194/02 – BGHZ 163, 265, 271 = GRUR 2005, 778, 779 – Atemtest; s. auch BGH 13.12.2018 – I ZR 3/16 – GRUR 2019, 298 Tz. 24 – Uber Black II; BGH 30.7.2015 – I ZR 29/12 – GRUR 2016, 392 Tz. 16 – Buchungssystem II. 286 S. Götting/Nordemann/Ebert-Weidenfeller § 3a Rn. 92; Harte/Henning/von Jagow § 3a Rn. 36; Ohly/ Sosnitza § 3a Rn. 28; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 83; a.A. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.84. 287 S. BGH 30.7.2015 – I ZR 29/12 – GRUR 2016, 392 Tz. 16 – Buchungssystem II. 288 S. etwa BGH 14.2.2008 – I ZR 207/05 – BGHZ 175, 238 = GRUR 2008, 438 Tz. 24 – ODDSET und BGH 18.11.2010 – I ZR 168/07 – GRUR 2011, 169 Tz. 29 ff. – Lotterien und Kasinospiele (beide zur Niederlassungsund Dienstleistungsfreiheit der Art. 49 ff. bzw. 56 ff. AEUV); OLG Düsseldorf 25.4.2017 – I-20 U 149/13 – GRUR 2017, 835 Tz. 16 – Deutsche Parkinson Vereinigung II (zur Warenverkehrsfreiheit der Art. 34 ff. AEUV; hier auch zur Bindungswirkung von Entscheidungen des EuGH in Vorabentscheidungssachen); BGH 17.7.1997 – I ZR 58/95 – GRUR 1998, 407, 409 f. – TIAPRIDAL (zur Warenverkehrsfreiheit der Art. 34 ff. AEUV). 289 S. etwa BGH 15.5.2014 – I ZR 137/12 – GRUR 2014, 791 Rn. 11 ff. – Teil-Berufsausübungsgemeinschaft (zu Art. 12 Abs. 1 GG); BGH 18.11.2010 – I ZR 168/07 – GRUR 2011, 169 Tz. 45 – Lotterien und Kasinospiele (zu Art. 103 Abs. 2 GG).
47
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
Art. 103 Abs. 2 GG (einfachgesetzlich in § 1 StGB bzw. § 3 OWiG) nicht gerecht wird, auch nicht lauterkeitsrechtlich sanktioniert werden.290 Anderes gilt allerdings für Marktverhaltensregelungen, die selbst keine Normen des Straf- oder Ordnungswidrigkeitenrechts sind, sondern deren Einhaltung lediglich durch eine (Blankett-)Norm des (Neben-)Strafrechts oder des Ordnungswidrigkeitenrechts sanktioniert ist: Hier gilt das Bestimmtheitserfordernis für die Marktverhaltensregelung nur insoweit, als ein Gericht sie in Verbindung mit der Straf- oder Bußgeldnorm zur Verurteilung wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit anwendet; die lauterkeitsrechtliche Sanktionierung der Zuwiderhandlung bleibt hingegen unberührt.291 73
3. Einfluss von Verwaltungsakten. Eine Zuwiderhandlung liegt nicht vor, wenn das in Rede stehende Verhalten aufgrund eines wirksamen Verwaltungsakts erlaubt ist, mag dieser auch rechtswidrig und damit anfechtbar sein (s. § 43 Abs. 2 VwVfG); allein ein nichtiger Verwaltungsakt (§ 44 VwVfG) ist von vornherein unwirksam (§ 43 Abs. 3 VwVfG) und vermag deshalb nicht zu legitimieren.292 Solange dagegen ein lediglich rechtswidriger Verwaltungsakt nicht in dem dafür vorgesehenen Verfahren beseitigt wurde, ändert das nichts an seiner legitimierenden Wirkung.293 Auch fehlt es (noch) an einer Zuwiderhandlung, wenn sich das gesetzliche Verbot erst durch den Erlass eines Verwaltungsakts manifestiert und dieser Verwaltungsakt noch nicht erlassen ist oder gegen ihn die Wirksamkeit aufschiebende Rechtsbehelfe (Widerspruch, Anfechtungsklage) anhängig sind.294 Wer dagegen ohne die von Gesetzes wegen notwendige Erlaubnis tätig wird, handelt auch dann dem zugrunde liegenden Verbot zuwider, wenn die Erlaubnis zu Unrecht nicht erteilt wurde.295
74
4. Kenntnis und Irrtum, weitere subjektive Voraussetzungen. Auf Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit des Verhaltens im Wettbewerb kommt es, abgesehen von den Sonderfällen, bei denen die Primärnorm subjektive Tatbestandsmerkmale enthält, für die Verwirklichung des Rechtsbruchtatbestandes
_____
290 S. BGH 3.11.2016 – I ZR 227/14 – GRUR 2017, 418 Tz. 28 – Optiker-Qualität; BGH 18.11.2010 – I ZR 168/07 – GRUR 2011, 169 Tz. 45 – Lotterien und Kasinospiele. 291 S. BVerfG 13.7.1992 – 1 BvR 303/90 – NJW 1993, 1969; BGH 3.11.2016 – I ZR 227/14 – GRUR 2017, 418 Tz. 28 – Optiker-Qualität; BGH 13.12.2012 – I ZR 161/11 – GRUR 2013, 857 Tz. 18 – Voltaren. 292 BGH 13.12.2018 – I ZR 3/16 – GRUR 2019, 298 Tz. 24 – Uber Black II; BGH 21.6.2018 – I ZR 40/17 – GRUR 2018, 955 Tz. 14 – Ersatzteilinformation (verneint für eine EG-Typgenehmigung nach Art. 10 VO (EG) 715/2007); BGH 7.5.2015 – I ZR 29/14 – GRUR 2015, 1244 Tz. 19 – Äquipotenzangabe in Fachinformation (zur Zulassungsentscheidung im dezentralen Zulassungsverfahren für Arzneimittel nach § 25b AMG); BGH 24.9.2013 – I ZR 73/12 – GRUR 2014, 405 Tz. 10 f. – Atemtest II (zur Tatbestandswirkung eines Feststellungsbescheids nach § 24 Abs. 4 AMG, mit dem das zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) feststellt, dass ein Arzneimittel nicht zulassungspflichtig ist); BGH 13.3.2008 – I ZR 95/05 – GRUR 2008, 1014 Tz. 32 – Amlodipin; BGH 23.6.2005 – I ZR 194/02 – BGHZ 163, 265, 269 = GRUR 2005, 778, 779 – Atemtest I; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.84; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 42; in der Sache auch BGH 11.10.2001 – I ZR 172/99 – GRUR 2002, 269, 270 – SportwettenGenehmigung, wobei hier allerdings ein wegen der ausdrücklichen Gestattung durch den Verwaltungsakt unvermeidbarer Rechtsirrtum angenommen und darüber die Unlauterkeit nach § 1 a.F. verneint wurde. 293 OLG Hamburg 24.2.2003 – 3 U 106/02 – GRUR-RR 2003, 354, 356 – Bruchrille; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.84; vgl. auch BGH 11.10.2001 – I ZR 172/99 – GRUR 2002, 269, 270 – Sportwetten-Genehmigung. 294 MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 42; Elskamp S. 93 f.; s. auch OLG Hamburg 21.11.2002 – 3 U 82/01 – GRUR-RR 2003, 181, 182 – polyklonale Antikörper. 295 S. BGH 14.3.2002 – I ZR 279/99 – GRUR 2002, 636, 637 – Sportwetten; Emmerich § 20 Rn. 16; jurisPKUWG/Link § 3a Rn. 47.
Metzger/Eichelberger
48
B. Tatbestand
§ 3a
nicht an, denn dieser setzt lediglich objektiv rechtswidriges Verhalten voraus.296 Dementsprechend steht es einem Rechtsbruch nicht entgegen, wenn sich der Verletzer in einem Rechtsirrtum befunden hat, und zwar auch dann, wenn dieser Irrtum entschuldbar gewesen ist.297 Die von der früheren Rechtsprechung im Falle eines entschuldbaren Rechtsirrtums, beispielsweise, weil der Handelnde auf eine (letztlich unrichtige) Auskunft oder Entscheidung einer Behörde oder eines Verwaltungsgerichts vertraut hat, gewährte Ausnahme,298 kann jedenfalls seit der Kodifikation des Rechtsbruchtatbestandes durch das UWG 2004 nicht fortgeführt werden. 299 Allenfalls in Ausnahmefällen mag man hier an der (an sich allein aufgrund des Verstoßes zu vermutenden) Wiederholungsgefahr zweifeln oder die Spürbarkeit verneinen.300 Der unvermeidbare Rechtsirrtum kann allerdings das für einen Schadensersatzanspruch und einen Gewinnabschöpfungsanspruch erforderliche Verschulden ausschließen (näher bei § 9).301 Weil es allein auf objektiv rechtswidriges Verhalten ankommt, ist es auch unerheb- 75 lich, ob der Handelnde Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis von den Tatsachen hatte, die den Gesetzesverstoß ausmachen.302 Die eine solche Tatsachenkenntnis fordernde frühere Rechtsprechung303 ist insoweit überholt. Die Zuwiderhandlung muss nicht planmäßig (namentlich im Sinne eines auf weite- 76 re Verstöße angelegten Verhaltens)304 sein.305 Auch ein mehr „zufälliger“ Verstoß genügt deshalb; allenfalls kann diesem die Spürbarkeit fehlen.306 Und schließlich ist auch die von der früheren Rechtsprechung zu § 1 UWG a.F. ge- 77 forderte Absicht, sich durch den Gesetzesverstoß einen Wettbewerbsvorsprung zu verschaffen („Vorsprungserzielungsabsicht“),307 nicht mehr notwendig.308 Der Einwand des Verletzers, durch den Verstoß lediglich Chancengleichheit mit seinen die Vorschrift
_____
296 BGH 23.6.2005 – I ZR 194/02 – BGHZ 163, 265, 270 = GRUR 2005, 778, 779 – Atemtest. 297 BGH 12.1.2017 – I ZR 258/15 – GRUR 2017, 409 Tz. 36 – Motivkontaktlinsen; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 3a Rn. 1.89; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 86. 298 S. dazu BGH 11.10.2001 – I ZR 172/99 – GRUR 2002, 269, 270 – Sportwetten-Genehmigung; BGH 30.3.1995 – I ZR 84/93 – GRUR 1995, 603, 604 – Räumungsverkauf an Sonntagen; BGH 14.10.1993 – I ZR 218/91 – GRUR 1994, 222, 224 – Flaschenpfand I; BGH 8.10.1987 – I ZR 182/85 – GRUR 1988, 382, 383 – Schelmenmarkt; anders nunmehr BGH 24.6.2010 – I ZR 166/08 – GRUR 2010, 1026 Tz. 19 – Photodynamische Therapie; BGH 20.10.2005 – I ZR 10/03 – GRUR 2006, 82 Tz. 21 – Betonstahl; BGH 23.6.2005 – I ZR 194/02 – BGHZ 163, 265, 270 = GRUR 2005, 778, 779 – Atemtest. 299 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.89; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 86; dafür auch heute noch Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 11, 28. 300 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.89; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 42, 86. 301 S. BGH 12.1.2017 – I ZR 258/15 – GRUR 2017, 409 Tz. 36 – Motivkontaktlinsen. 302 Allg. Auffassung, s. Harte/Henning/von Jagow § 3a Rn. 36; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.87; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 28; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 88. 303 S. etwa BGH 16.3.1979 – I ZR 39/77 – GRUR 1979, 553, 554 – Luxus-Ferienhäuser; BGH 9.11.1973 – I ZR 126/72 – GRUR 1974, 281, 282 – Clipper. 304 So aber bisweilen die frühere Rechtsprechung, s. BGH 7.10.1993 – I ZR 284/91 – GRUR 1994, 638, 639 – Fehlende Planmäßigkeit; BGH 14.10.1993 – I ZR 218/91 – GRUR 1994, 222, 224 – Flaschenpfand I; näher GK-UWG1/Teplitzky § 1 Rn. G 198 ff. 305 OLG Stuttgart 17.3.2005 – 2 U 173/04 – WRP 2005, 919, 920 – Handy-Werbung; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 3a Rn. 1.91; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 84. 306 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.91; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 84. 307 S. etwa BGH 7.6.1996 – I ZR 114/94 – GRUR 1996, 786, 788 – Blumenverkauf an Tankstellen. 308 Ganz h.M, s. Harte/Henning/von Jagow § 3a Rn. 36; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.93; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 85. a.A. FBO/Götting/Hetmank § 3a Rn. 166, 46f ff.: Der Vorsprungsgedanke sei zum zentralen Beurteilungskriterium des Rechtsbruchtatbestandes zu erheben. S. auch Glöckner GRUR 2008, 960, 967, der für die Beibehaltung des Vorsprungsgedankens im Rahmen des § 3 Abs. 1 UWG plädiert.
49
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
ebenfalls verletzenden Mitbewerbern herstellen zu wollen,309 ist daher heute nicht mehr beachtlich.310 78
5. Darlegungs- und Beweislast. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Gesetzesverstoßes liegt nach den allgemeinen Beweislastregeln beim Anspruchsteller.311 Handelt es sich bei der Primärnorm aber um ein generelles Verbot mit Erlaubnisvorbehalt und beruft sich der Anspruchsgegner auf das Vorliegen einer Erlaubnis, so ist er hierfür darlegungs- und beweisbelastet; der Anspruchsteller muss lediglich darlegen und beweisen, dass das beanstandete Verhalten von dem generellen Verbot erfasst wird.312
79
6. Täterschaft und Teilnahme. Täter (auch als Mittäter oder mittelbarer Täter) eines Wettbewerbsverstoßes nach § 3a kann nur sein, wer selbst Adressat der gesetzlichen Vorschrift ist, der zuwidergehandelt wurde.313 Wer nicht selbst Normadressat ist, kann allenfalls als Teilnehmer, das heißt als Anstifter oder Gehilfe (§ 830 Abs. 2 BGB), einer Zuwiderhandlung eines Normadressaten haften.314 Maßgeblich sind dabei – wie generell im allgemeinen Deliktsrecht und im Lauterkeitsrecht – die strafrechtlichen Grundsätze.315 Es bedarf deshalb zusätzlich zur (mindestens bedingt) vorsätzlichen Teilnahmehandlung eines auf die Begehung der Haupttat durch den Normadressaten gerichteten Vorsatzes, einschließlich des Bewusstseins deren Rechtswidrigkeit, sog. „doppelter Teilnehmervorsatz“.316 Fahrlässigkeit genügt insoweit nicht, wenigstens bedingter Vor-
_____
309 Dafür aber (zum früheren Recht) OLG Frankfurt 17.4.1986 – 6 W 48/86 – GRUR 1987, 446 – Friedhofsgärtnerei; OLG Celle 4.1.1984 – 13 U 240/83 – GRUR 1984, 289 – Segel- und Surfausrüstung. 310 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.93; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 85. 311 BGH 19.11.2009 – I ZR 186/07 – GRUR 2010, 160 Tz. 15 – Quizalofop. 312 BGH 11.6.2015 – I ZR 226/13 – GRUR 2016, 88 Tz. 23 – Deltamethrin; BGH 19.11.2009 – I ZR 186/07 – GRUR 2010, 160 Tz. 15 – Quizalofop; BGH 23.6.2005 – I ZR 194/02 – BGHZ 163, 265, 273 f. = GRUR 2005, 778, 780 – Atemtest. 313 BGH 12.3.2015 – I ZR 84/14 – GRUR 2015, 1025 Tz. 15 – TV-Wartezimmer (zu § 11 Abs. 1 S. 1 ApoG); BGH 5.10.2017 – I ZR 232/16 – GRUR 2018, 438 Tz. 21 – Energieausweis (zu § 16a EnEV); BGH 3.7.2008 – I ZR 145/05 – BGHZ 177, 150 = GRUR 2008, 810 Tz. 13 f. – Kommunalversicherer (zum Vergaberecht); BGH 24.6.2003 – KZR 32/02 – BGHZ 155, 189, 194 f. = GRUR 2003, 807, 808 – Buchpreisbindung (zu § 3 S. 1 BuchPrG); OLG Nürnberg 15.1.2019 – 3 U 724/18 – BeckRS 2019, 572 Tz. 39 (zu § 6 Abs. 1 Nr. 1 TMG); OLG Düsseldorf 15.2.2018 – I-15 U 73/17 – GRUR-RR 2018, 203 Tz. 28, 29 – Spielplatzgestaltung (zu § 7 HOAI); OLG Köln 29.6.2018 – 6 U 179/17 – GRUR-RR 2018, 356 Tz. 26 – Kostenfreiheitsvereinbarung (zu § 43b BRAO); OLG Celle 29.4.2010 – 13 U 151/09 (Hinweisbeschluss) – WRP 2010, 1565, 1566 – Beratungsprämie für Apotheker (zur Berufsordnung für Apotheker); Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.49 f. 314 BGH 13.12.2018 – I ZR 3/16 – GRUR 2019, 298 Tz. 63 – Uber Black II; BGH 12.3.2015 – I ZR 84/14 – GRUR 2015, 1025 Tz. 16 – TV-Wartezimmer; BGH 3.7.2008 – I ZR 145/05 – BGHZ 177, 150 = GRUR 2008, 810 Tz. 14 – Kommunalversicherer; OLG Köln 29.6.2018 – 6 U 179/17 – GRUR-RR 2018, 356 Tz. 26 – Kostenfreiheitsvereinbarung; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.49 f.; a.A. OLG Frankfurt 20.3.2014 – 6 U 2/13 – GRUR-RR 2014, 270, 271 – TV-Wartezimmer: Um anderenfalls drohende Schutzlücken zu vermeiden, komme eine täterschaftliche Tatbegehung auch eines Nichtnormadressaten in Betracht, sofern dessen Verhalten die Voraussetzungen eines täterschaftlichen, d.h. insbesondere über die bloße Teilnahme hinausgehenden Tatbeitrags erfüllt. Der BGH (aaO) hat dies in der Revision verworfen. 315 BGH 12.3.2015 – I ZR 84/14 – GRUR 2015, 1025 Tz. 16 – TV-Wartezimmer; BGH 22.7.2010 – I ZR 139/08 – GRUR 2011, 152 Tz. 30 – Kinderhochstühle im Internet. 316 S. BGH 13.12.2018 – I ZR 3/16 – GRUR 2019, 298 Tz. 63 – Uber Black II; BGH 22.7.2010 – I ZR 139/08 – GRUR 2011, 152 Tz. 30 – Kinderhochstühle im Internet; BGH 3.7.2008 – I ZR 145/05 – BGHZ 177, 150 = GRUR 2008, 810 Tz. 15 – Kommunalversicherer; BGH 22.7.2010 – I ZR 139/08 – BGHZ 172, 119 = GRUR 2007, 708 Tz. 30 – Internetversteigerung II; BGH 11.3.2004 – I ZR 304/01 – BGHZ 158, 236, 250 = GRUR 2004, 860, 863 f. – Internet-Versteigerung; OLG Celle 18.5.2010 – 13 U 151/09 – WRP 2010, 1565, 1566 – Beratungsprämie für Apotheker.
Metzger/Eichelberger
50
B. Tatbestand
§ 3a
satz ist notwendig.317 Für eine Haftung nach den Grundsätzen der Störerhaftung ist hingegen – wie generell im Lauterkeitsrecht318 – kein Raum mehr.319 V. Eignung zur spürbaren Interessenbeeinträchtigung Der Verstoß gegen eine Marktverhaltensregelung muss geeignet sein, die Interes- 80 sen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen.320 Unter Geltung des UWG 2004/2008 war die in § 3 Abs. 1 a.F. enthaltene Spürbarkeitsklausel ein selbständig neben der Unlauterkeit zu prüfendes Tatbestandsmerkmal des Verbotstatbestandes, so dass es möglich war, dass ein Verhalten zwar unlauter (§ 4 Nr. 11 a.F.), aber (mangels Spürbarkeit) gleichwohl nicht nach § 3 Abs. 1 a.F. unzulässig war.321 Das gibt es nicht mehr. Der neue Rechtsbruchtatbestand macht die Eignung zur spürbaren Interessenbeeinträchtigung nunmehr dem Gesetzeswortlaut nach schon zum Bestandteil der Unlauterkeit nach § 3a.322 Und nach § 3 Abs. 1 sind unlautere geschäftliche Handlungen generell unzulässig. 1. Normzweck und Entwicklung a) Normzweck. Der Zweck der Spürbarkeitsklausel besteht darin, „echte Bagatell- 81 verstöße“ aus der lauterkeitsrechtlichen Rechtsverfolgung auszunehmen.323 Die nach dem UWG Anspruchsberechtigten haben kein schutzwürdiges Interesse an der Verfolgung von Bagatellverstößen.324 Aus Sicht des Verletzers dient die Spürbarkeitsklausel damit auch der Verwirklichung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.325 Zuwiderhandlungen gegen Marktverhaltensregelungen, die keine nennenswerten Auswirkungen auf Marktteilnehmer haben oder wenigstens haben können, sollen nicht allein zur Durchsetzung des objektiven Rechts „um seiner selbst Willen“, das heißt jenseits der Schutzzwecke des Lauterkeitsrechts, lauterkeitsrechtlich sanktioniert werden.326 So dürfte es auch im Interesse der Allgemeinheit an einer funktionsfähigen Rechtspflege liegen, eine aus der Perspektive des Schutzzwecks des Lauterkeitsrechts mangels individueller Betroffenheit sachlich nicht gerechtfertigte Inanspruchnahme der Wettbewerbsgerichte zu verhindern.327 Die Spürbarkeitsklausel dient inzwischen außerdem als Anknüpfungspunkt, um 82 zusätzliche Tatbestandsmerkmale anderer Unlauterkeitstatbestände in den Rechtsbruchtatbestand zu inkorporieren, um diese nicht unter Rückgriff auf die bloße Rechtsverletzung zu überspielen. So setzt beispielsweise ein Verstoß gegen § 5a Abs. 2 UWG voraus, dass der Verbraucher die ihm vorenthaltene wesentliche Information „je nach
_____
317 S. beispielsweise OLG Frankfurt 20.3.2014 – 6 U 2/13 – GRUR-RR 2014, 270, 271 – TV-Wartezimmer. 318 S. nur BGH 22.7.2010 – I ZR 139/08 – GRUR 2011, 152 Tz. 48 – Kinderhochstühle im Internet. 319 BGH 12.3.2015 – I ZR 84/14 – GRUR 2015, 1025 Tz. 17 – TV-Wartezimmer. 320 Das galt genauso für § 4 Nr. 11 a.F. Als bloßer Beispielstatbestand für nach § 3 Abs. 1 a.F. unlautere geschäftliche Handlungen galt die dort enthaltene Spürbarkeitsklausel auch für Zuwiderhandlungen gegen Marktverhaltensregelungen. S. nur GK-UWG2/Metzger § 4 Nr. 11 Rn. 42. 321 S. dazu GK-UWG2/Peukert § 3 Rn. 392–396 m.w.Nachw. 322 In diesem Sinne schon zu § 3 a.F. Beater Rn. 969; Harte/Henning2/Schünemann § 3 Rn. 366, 378 ff. 323 MünchKommUWG/Sosnitza § 3 Rn. 86; ferner Köhler GRUR 2005, 1, 2; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.96, FBO/Götting/Hetmank § 3a Rn. 165b; s. auch Begr RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, 17. 324 Köhler GRUR 2005, 1, 2. 325 Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.06. 326 OLG Hamburg 25.2.2016 – 5 U 26/12 – GRUR-RR 2017, 65 Tz. 95 – Bankkonto mit Rechtsservice; s. auch Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.96. 327 Vgl. Köhler GRUR 2005, 1, 2; FBO/Götting/Hetmank § 3a Rn. 165b.
51
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
den Umständen benötigt, um eine informierte Entscheidung zu treffen“ und „deren Vorenthalten geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte“. Hierzu bedarf es einer konkreten Prüfung im Einzelfall.328 Dies muss auch für § 3a nachvollzogen werden: Besteht also der Verstoß gegen eine Marktverhaltensregelung darin, dass dem Verbraucher eine wesentliche Information vorenthalten wird, ist dieser Verstoß nur dann spürbar im Sinne von § 3a UWG, wenn der Verbraucher die ihm vorenthaltene wesentliche Information je nach den Umständen benötigt, um eine informierte Entscheidung zu treffen, und deren Vorenthalten geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.329 83
b) Entwicklung. Die erste ausdrückliche Bagatellklausel im Verbotstatbestand enthielt § 3 Abs. 1 UWG 2004. Danach waren unlautere Wettbewerbshandlungen unzulässig, wenn sie „geeignet sind, den Wettbewerb zum Nachteil der Mitbewerber, der Verbraucher oder der sonstigen Marktteilnehmer nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen“. Ausweislich der Gesetzesmaterialien330 sollte damit zum Ausdruck gebracht werden, dass die Wettbewerbsmaßnahme von einem gewissen Gewicht für das Wettbewerbsgeschehen und die Interessen der geschützten Personenkreise sein muss. Die Verfolgung von Bagatellfällen sollte ausgeschlossen werden. Demgegenüber war ausdrücklich nicht beabsichtigt, unlautere Wettbewerbshandlungen zu einem beachtlichen Teil zu legalisieren. Deshalb sollte die Schwelle auch nicht zu hoch angesetzt werden. Mit dem UWG 2008 erhielt die Spürbarkeitsklausel schließlich ihren heutigen Wortlaut, wenn auch noch in § 3 Abs. 1 a.F. und als selbständiges Tatbestandsmerkmal des Verbotstatbestandes. Das „sperrige Tatbestandsmerkmal“ der „nicht nur unerheblichen“ Beeinträchtigung wurde durch das in der Definition der wesentlichen Beeinflussung des Verbraucherverhaltens in Art. 2 lit. e UGP-RL enthaltene Merkmal „Spürbarkeit“ ersetzt.331 – Der Sache nach waren gewisse Einschränkungen im Falle bloßer Bagatellverstöße durch die Rechtsprechung freilich bereits zuvor anerkannt.332
2. Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern. Indem die Spürbarkeitsklausel ausdrücklich auf die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern und Mitbewerbern abstellt, macht sie zunächst deutlich, dass das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb (s. § 1 S. 2) nicht umfasst ist. Eine allgemeine Beeinträchtigung des Wettbewerbs oder des Marktes als solchem genügt somit nicht.333 Anderes gilt freilich, wenn sich eine solche allgemeine Wettbewerbsbeeinträchtigung zumindest auch als Beeinträchtigung geschützter Interessen der Marktteilnehmer niederschlägt. Die Interessen der Marktteilnehmer, zu deren spürbaren Beeinträchtigung der Ge85 setzesverstoß geeignet sein muss, müssen lauterkeitsrechtlich geschützte Interessen sein.334 Im Ergebnis entsprechen diese den Interessen, um derentwillen eine gesetzliche
84
_____
328 BGH 31.10.2018 – I ZR 73/17 – GRUR 2019, 82 Tz. 30 – Jogginghosen; BGH 2.3.2017 – I ZR 41/16 – GRUR 2017, 922 Tz. 31 – Komplettküchen; Köhler WRP 2017, 1 Tz. 33 ff. 329 BGH 28.3.2019 – I ZR 85/18 – GRUR 2019, 641 Tz. 30 – Kaffeekapseln; BGH 31.10.2018 – I ZR 73/17 – GRUR 2019, 82 Tz. 31 – Jogginghosen. 330 Begr RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, S. 17. 331 So Begr RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 22. 332 Dazu MünchKommUWG/Sosnitza § 3 Rn. 83. 333 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.98; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 30b; s. auch KG 29.4.2011 – 5 W 88/11 – GRUR-RR 2012, 19, 21 – Gefällt-mir-Button. 334 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.98; MünchKommUWG/Sosnitza § 3 Rn. 92.
Metzger/Eichelberger
52
B. Tatbestand
§ 3a
Vorschrift das Marktverhalten zu regeln bestimmt sein muss, um überhaupt unter § 3a zu fallen, so dass diesbezüglich auf das unter Rn. 62 ff. Dargelegte verwiesen werden kann. 3. Eignung zur Interessenbeeinträchtigung. Der Gesetzesverstoß muss zur Inte- 86 ressenbeeinträchtigung geeignet sein. Dazu muss eine solche Wirkung nicht nur theoretisch möglich erscheinen, sondern tatsächlich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eintreten können.335 Ob der Verstoß tatsächlich zu einer Interessenbeeinträchtigung geführt hat, ist dagegen unerheblich.336 Das ist mit Blick auf den mit der Spürbarkeitsklausel (seit jeher) verfolgten Zweck, lediglich Bagatellverstöße ausnahmsweise von der lauterkeitsrechtlichen Sanktionierung auszunehmen, folgerichtig. Obschon nunmehr die Spürbarkeit Teil des Unlauterkeitstatbestandes ist, trägt die Erwägung auch weiterhin, dass immerhin ein Verstoß gegen eine Marktverhaltensregelung und damit ein grundsätzlich unlauteres Verhalten feststeht. Es ist dann Sache des Handelnden darzulegen und zu beweisen, dass dieser Verstoß ausnahmsweise nicht zur Interessenbeeinträchtigung geeignet und deshalb doch nicht unlauter ist. Gestützt wird dies auch aus prozessualer Perspektive: Würde man auf eine tatsächliche Interessenbeeinträchtigung abstellen, läge die Darlegungs- und Beweislast dafür beim Anspruchsteller. Dies dürfte regelmäßig mit erheblichen Schwierigkeiten für diesen verbunden sein.337 Im Ergebnis drohte die als Ausnahme gedachte Spürbarkeitsklausel zum Regelfall zu werden. Dies aber würde zu einer erheblichen Rechtsschutzverkürzung führen. 4. Spürbarkeit. Die Zuwiderhandlung muss schließlich geeignet sein, die Interes- 87 sen von Marktteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen. Es genügt also nicht, dass der Verstoß geeignet ist, die geschützten Interessen überhaupt zu beeinträchtigen; anderenfalls hätte das Tatbestandsmerkmal keine eigenständige Bedeutung. Notwendig ist also die Eignung, eine Interessenbeeinträchtigung eines bestimmten – „spürbaren“ – Umfangs herbeizuführen. Im Vergleich zu der nach § 3 Abs. 1 UWG 2004 notwendigen Eignung, den Wettbewerb zum Nachteil der Mitbewerber, der Verbraucher oder der sonstigen Marktteilnehmer nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen, dürfte mit der erstmals in § 3 Abs. 1 UWG 2008 und nunmehr in § 3a verwendeten Formulierung keine inhaltliche Änderung, das heißt weder eine Anhebung noch eine Absenkung der Bagatellschwelle verbunden sein.338 Mit Blick auf den Normzweck der Spürbarkeitsklausel, der primär im Ausschluss 88 bloßer Bagatellverstöße liegt (s. Rn. 81), ist die Grenze freilich eher niedrig anzusetzen. Den Gesetzesmaterialien ist zu entnehmen, dass gerade nicht beabsichtigt war, unlautere Wettbewerbshandlungen zu einem beachtlichen Teil zu legalisieren, sondern dass vielmehr an die bereits zuvor bestehenden Ausnahmen für Bagatellverstöße angeknüpft werden sollte.339 In der gerichtlichen Praxis wird die Eignung zur spürbaren Interessenbeeinträch- 89 tigung typischerweise – wenn überhaupt auf sie eingegangen wird – mehr formelhaft bejaht, oft mit Verweis auf die Wichtigkeit der betroffenen Interessen, deren Schutz die verletzte Norm zu dienen bestimmt ist, beispielsweise der Gesundheit der Verbrau-
_____
335 OLG Hamburg 25.2.2016 – 5 U 26/12 – GRUR-RR 2017, 65 Tz. 96 – Bankkonto mit Rechtsservice; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.97; MünchKommUWG/Sosnitza § 3 Rn. 90. 336 Vgl. BGH 9.9.2004 – I ZR 93/02 – GRUR 2005, 443, 444 – Ansprechen in der Öffentlichkeit II (zu § 3 Abs. 1 UWG 2004). 337 Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.97. 338 S. MünchKommUWG/Sosnitza § 3 Rn. 92. 339 Begr RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, S. 17; MünchKommUWG/Sosnitza § 3 Rn. 93.
53
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
cher,340 als wirklich geprüft.341 Dem ist zuzugestehen, dass gerade bei solchen wichtigen Interessen wohl kaum denkbar ist, dass eine Zuwiderhandlung nicht zur spürbaren Beeinträchtigung geeignet ist. Dogmatisch gilt es dabei aber zu berücksichtigen, dass die Darlegungs- und Beweislast für die Spürbarkeit beim Gläubiger des lauterkeitsrechtlichen Anspruchs liegt,342 ein non liquet also zu seinen Lasten gehen muss. Insofern ist Vorsicht geboten mit der Annahme, der Gesetzesverstoß indiziere die Spürbarkeit und es sei Sache des Anspruchsgegners, Umstände vorzutragen und gegebenenfalls zu beweisen, die die daraus folgende tatsächliche Vermutung erschüttern.343 Eine solche Indizwirkung war möglicherweise nach früherem Recht begründbar, denn dort war die Zuwiderhandlung gegen eine Marktverhaltensregelung stets unlauter (s. § 4 Nr. 11 a.F.). Nunmehr ist die Spürbarkeit dagegen bereits Voraussetzung des Unlauterkeitsurteils. Für den heutigen Rechtsbruchtatbestand ist daher eine konkrete Würdigung des Einzelfalles notwendig.344 Dementsprechend obliegt dem Anspruchsteller grundsätzlich entsprechender Vortrag.345 Freilich sind die Anforderungen daran gering, weil nur die Eignung zu einer spürbaren Interessenbeeinträchtigung darzulegen ist, so dass in der Praxis weiterhin regelmäßig die Spürbarkeitsklausel erfüllt sein wird, zumal, wenn nicht nur ganz unbedeutende Interessen betroffen sind. Je bedeutsamer das durch den Gesetzesverstoß beeinträchtigte Interesse ist, desto 90 eher ist diese Beeinträchtigung spürbar. Insbesondere bei gesetzlichen Vorschriften, die dem Schutz der Gesundheit oder der Sicherheit der Verbraucher dienen, ist daher regelmäßig von der Eignung zur spürbaren Interessenbeeinträchtigung auszugehen,346 obschon auch hier ausnahmsweise anderes gelten kann.347 Auch die individuelle Entscheidungsfreiheit der Verbraucher bei der Marktteilnahme ist ein wettbewerbsrechtlich hohes Gut.348 Dennoch kann die Spürbarkeit einer Zuwiderhandlung gegen eine Informa-
_____
340 S. etwa BGH 29.11.2018 – I ZR 237/16 – GRUR 2019, 203 Tz. 16 – Versandapotheke (zu § 7 Abs. 1 S. 1 HWG); BGH 18.6.2015 – I ZR 26/14 – GRUR 2016, 213 Tz. 20 – Zuweisung von Verschreibungen (zu § § 11 Abs. 1 S. 1 Var. 3 ApoG); für § 3 Abs. 1 a.F.: BGH 29.3.2018 – I ZR 243/14 – GRUR 2018, 745 Tz. 13 – Bio-Gewürze II (zu Art. 28 I UAbs. 1 lit. b VO [EG] 834/2007). 341 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.112; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 30a. 342 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.112; MünchKommUWG/Sosnitza § 3 Rn. 107. 343 Dafür aber Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.112. 344 Ebenso Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 30a; zu § 4 Nr. 11 a.F. bereits MünchKommUWG/Sosnitza § 4 Rn. 95. 345 MünchKommUWG/Sosnitza § 4 Rn. 95 (zu § 4 Nr. 11 a.F.). 346 S. BGH 18.6.2015 – I ZR 26/14 – GRUR 2016, 213 Tz. 20 – Zuweisung von Verschreibungen; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.102; krit. Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 30f; a.A. MünchKommUWG/Sosnitza § 3 Rn. 101. 347 S. BGH 12.2.2015 – I ZR 213/13 – GRUR 2015, 813 Tz. 25 – Fahrdienst zur Augenklinik (in casu verneint). Beispiele: BGH 15.1.2009 – I ZR 141/06 – GRUR 2009, 881 Tz. 17 – Überregionaler Krankentransport (Ein Krankentransportunternehmer verfügte zwar über die nach dem Recht des Zielortes einer Fahrt notwendige Genehmigung, nicht aber über die ebenfalls erforderliche Genehmigung nach dem Recht des Ausgangsortes. Weil die Erteilung der fehlenden Genehmigung nicht von weitergehenden, im Interesse der beförderten Personen bestehenden Voraussetzungen, als die Erteilung der innegehabten Genehmigung abhing, fehlte dem gleichwohl vorliegenden Gesetzesverstoß die Spürbarkeit.); vergleichbar KG 13.2.2007 – 5 W 35/07 – GRUR 2007, 515, 517 – Sammel-Tragstuhlwagentransporte (Dem Krankentransportunternehmer fehlte eine Genehmigung nach dem PBefG, er verfügte aber über eine Genehmigung nach dem landesrechtlichen RettungsdiensteG, das für einen qualifizierten Krankentransport hinsichtlich der Ausstattung der Fahrzeuge und der Ausbildung des Personals weit höhere Anforderungen stellt als das PBefG.); BGH 9.9.2010 – I ZR 193/07 – GRUR 2010, 1136 Tz. 24 – UNSER DANKESCHÖN FÜR SIE (zur fehlenden Spürbarkeit eines Verstoßes gegen die arzneimittelrechtlichen Preisbestimmungen, wenn die für eine entsprechende Heilmittelwerbung nach § 7 HWG bestehenden Grenzen eingehalten sind). 348 S. allg. GK2-UWG/Fritzsche § 1 Rn. 238 ff.; MünchKommUWG/Sosnitza § 1 Rn. 27.
Metzger/Eichelberger
54
B. Tatbestand
§ 3a
tionspflicht nicht allein damit begründet werden, diese Informationspflicht hätte ihre Grundlage im Unionsrecht.349 Vielmehr ist der Verstoß hier nur spürbar, wenn der Verbraucher die ihm vorenthaltene wesentliche Information je nach den Umständen benötigt, um eine informierte Entscheidung zu treffen, und deren Vorenthalten geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.350 So kann es beispielsweise an der Spürbarkeit fehlen, weil der Verbraucher im konkreten Fall anderweitig Kenntnis hatte,351 oder die gebotene Information nicht zu einer Verbesserung der Informationslage des Verbrauchers geführt, sondern diesen vielmehr überfordert hätte (sog. „information overload“).352 Sodann ist die Art, Intensität, Häufigkeit und Dauer der Gesetzesverletzung in den 91 Blick zu nehmen.353 So ist desto eher von einer Spürbarkeit auszugehen, je intensiver sich der Gesetzesverstoß darstellt, beispielsweise weil er eine Vielzahl von Marktteilnehmern betrifft.354 Umgekehrt kann eine nur ganz geringfügige Beeinträchtigung des Mitbewerbers gegen die Spürbarkeit sprechen.355 Die Gefahr der Wiederholung der Zuwiderhandlung ist dagegen für sich genom- 92 men kein maßgebliches Kriterium der Spürbarkeit, sondern allein Voraussetzung für den Verletzungsunterlassungsanspruch.356 Allenfalls ist denkbar, dass eine drohende Wiederholung als Indiz für die besondere Intensität des bereits eingetretenen Gesetzesverstoßes spricht. Umgekehrt kann freilich auch bei einem mit Sicherheit singulär bleibenden Gesetzesverstoß nicht allein deshalb die Spürbarkeit verneint werden, da dann auch schwerwiegende Zuwiderhandlungen lauterkeitsrechtlich nicht sanktioniert werden könnten. Demgemäß können Häufigkeit und Dauer des Gesetzesverstoßes für dessen Spürbarkeit sprechen; umgekehrt gilt das aber nicht.357 Der Verschuldensgrad spielt grundsätzlich keine Rolle, was schon daraus folgt, 93 dass Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche auch bei schuldlosen Wettbewerbsverstößen bestehen.358 Außerdem ist es aus Sicht des Verletzten regelmäßig unerheblich, ob ihn die Zuwiderhandlung absichtlich oder nur aus Versehen getroffen hat.359 Demensprechend gelten auch für versehentliche Zuwiderhandlungen hinsichtlich der Spürbarkeit grundsätzlich keine Besonderheiten.360 Dasselbe gilt, wenn im Vertrauen auf eine – nicht bindende – behördliche Auskunft gehandelt wurde (s. Rn. 40). Im Einzelfall
_____
349 So nunmehr BGH 31.10.2018 – I ZR 73/17 – GRUR 2019, 82 Tz. 31 – Jogginghosen, unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung zu § 3 Abs. 1, § 4 Nr. 11 a.F., beispielsweise BGH 7.5.2015 – I ZR 158/14 – GRUR 2015, 1240 Tz. 46 – Der Zauber des Nordens; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 30d. 350 BGH 31.10.2018 – I ZR 73/17 – GRUR 2019, 82 Tz. 31 – Jogginghosen. 351 Vgl. Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 30d. 352 S. KG 9.11.2007 – 5 W 304/07 – GRUR-RR 2008, 131, 133 – Eigentümergebrauch; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 30d. 353 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.104; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 30c. 354 S. etwa BGH 12.7.2012 – I ZR 54/11 – GRUR 2013, 301 Tz. 34 – Solarinitiative: flächendeckende Ansprache potentieller Interessenten im Stadtgebiet; BGH 7.6.1996 – I ZR 114/94 – GRUR 1996, 786, 788 – Blumenverkauf an Tankstellen; BGH 19.1.1995 – I ZR 41/93 – GRUR 1996, 213, 215 – Sterbegeldversicherung; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 30c. 355 S. etwa BGH 5.10.2000 – I ZR 210/98 – GRUR 2001, 258, 259 – Immobilienpreisangaben; BGH 5.7.2001 – I ZR 104/99 – GRUR 2001, 1166, 1169 – Fernflugpreise; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.105. 356 BGH 10.2.2011 – I ZR 8/09 – GRUR 2011, 842 Tz. 21 – RC-Netzmittel; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.107; a.A. GK-UWG2/Metzger § 4 Nr. 11 Rn. 42. 357 BGH 10.2.2011 – I ZR 8/09 – GRUR 2011, 842 Tz. 21 – RC-Netzmittel; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.105. 358 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.105. 359 S. MünchKommUWG/Sosnitza § 3 Rn. 100. 360 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.105.
55
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
mag man aber auf die Spürbarkeitsklausel zurückgreifen, wenn anderenfalls schlechterdings untragbare Ergebnisse drohten. Auf die Nachahmungsgefahr durch Dritte kann es bei der Beurteilung der Spürbar94 keit nicht ankommen.361 Der lauterkeitsrechtliche Schutz des durch die Zuwiderhandlung Verletzten kann nicht davon abhängen, ob sich voraussichtlich Nachahmer für die Zuwiderhandlung finden.362 Vielmehr genügt, dass in einem Fall die Zuwiderhandlung geeignet war, (mindestens) einen Marktteilnehmer in seinen geschützten Interessen spürbar zu beeinträchtigen.363 Davon abgesehen ist die Nachahmungsgefahr praktisch nur schwer feststellbar.364 Die Spürbarkeit lässt sich schließlich nicht mit dem Argument verneinen, der Ver95 stoß könne anderweitig, namentlich strafrechtlich oder durch Verhängung eines Bußgeldes geahndet werden, denn das Lauterkeitsrecht verfolgt andere Ziele als das staatliche Sanktionenrecht. 365 Dementsprechend ist auch weder das Untätigbleiben der zuständigen staatlichen Stelle ein Indiz für einen bloßen Bagatellverstoß,366 noch entfällt mit der Sanktionierung die lauterkeitsrechtliche Spürbarkeit.367 Möglicherweise entfällt aber mit anderweitiger Sanktionierung die Wiederholungsgefahr.368 C. Marktverhaltensregelungen
C. Marktverhaltensregelungen Angesichts der Vielzahl von Marktverhaltensregelungen können hier nur ausgewählte Regelungsbereiche betrachtet werden, und auch dies jeweils ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Sofern es bei der nachfolgenden Darstellung heißt, eine Vorschrift sei Marktverhaltensregelung, bedeutet das, diese Vorschrift ist dazu bestimmt, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, so dass eine Zuwiderhandlung – vorbehaltlich der Eignung des Verstoßes, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen – nach § 3a unlauter ist. 97 Die Differenzierung nach Berufsrecht, produktbezogenen, vertriebsbezogenen, geschäftsbezogenen und sonstigen Vorschriften sowie die weiteren Untergliederungen dienen dabei nur der Übersicht; eine besondere Aussage ist damit nicht bezweckt. Bisweilen ist die Zuordnung auch nicht zwingend, wie sich etwa im Bereich der produktbezogenen Informationspflichten und Werberegelungen zeigt, die einen erheblichen Überschneidungsbereich aufweisen. Die im folgenden behandelten Vorschriften sind in der
96
_____
361 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.110; MünchKommUWG/Sosnitza § 3 Rn. 99; a.A. Begr RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, S. 17; OLG Hamburg 25.2.2016 – 5 U 26/12 – GRUR-RR 2017, 65 Tz. 98 – Bankkonto mit Rechtsservice; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 89; FBO/Götting/Hetmank § 3a Rn. 165b; zu § 3 Abs. 1 a.F.: BGH 9.2.2006 – I ZR 73/02 – GRUR 2006, 426 Tz. 21 – Direktansprache am Arbeitsplatz II; BGH 5.7.2001 – I ZR 104/99 – GRUR 2001, 1166, 1169 – Fernflugpreise; KG 13.2.2007 – 5 W 34/07 – GRUR-RR 2007, 328 – Identitätsangabe im Internet. 362 Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.110. 363 BGH 10.2.2011 – I ZR 8/09 – GRUR 2011, 842 Tz. 21 – RC-Netzmittel; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.110; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 30c. 364 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.110; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 30c. 365 S. BGH 16.7.2009 – I ZR 140/07 – GRUR 2010, 251 Tz. 20 – Versandkosten bei Froogle; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.111. 366 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.111; a.A. Helm FS Bechtold S. 155, 166; Harte/Henning/ v. Jagow § 3a Rn. 38; s. auch FBO/Götting/Hetmank § 3a Rn. 165b: Es sei zu fragen, ob es den betroffenen Marktteilnehmern nicht zugemutet werden kann, auf das Eingreifen der originär zuständigen Stellen zu warten. 367 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.111. 368 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.47, 1.111; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 42.
Metzger/Eichelberger
56
C. Marktverhaltensregelungen
§ 3a
alphabetischen Übersicht am Beginn der Kommentierung nachgewiesen, so dass sie auch ohne Kenntnis der konkreten Zuordnung auffindbar sind. I. Berufsrecht Im Bereich des Berufsrechts geht es im Wesentlichen um drei Regelungsbereiche: 98 der Zugang zu einem bestimmten Beruf oder einer bestimmten Tätigkeit, die Anforderungen an die Ausübung dieses Berufs oder dieser Tätigkeit sowie die Werbung dafür. Insbesondere die sog. „freien Berufe“ sind einem dichten Normgeflecht hinsichtlich aller drei Bereiche unterworfen. Die Anforderungen des nationalen Verfassungsrechts (insbesondere des Art. 12 Abs. 1 GG) bzw. der entsprechenden unionsrechtlichen Gewährleistungen durch Art. 56 AEUV (Dienstleistungsfreiheit), Art. 15 GrCh sowie der Dienstleistungs-RL 2006/123/EG an Regelungen, die zu Einschränkungen der Berufsfreiheit führen, haben in den vergangenen Jahren zu zum Teil erheblichen Liberalisierungen des Berufsrechts, insbesondere des Werberechts geführt. Dies gilt es insbesondere beim Rückgriff auf ältere Rechtsprechung und Literatur zu berücksichtigen. 1. Rechtsanwälte und Rechtsberatung a) Erbringung von Rechtsdienstleistungen aa) Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Die selbständige Erbringung außergerichtli- 99 cher Rechtsdienstleistungen (s. Rn. 45) ist nach § 3 RechtsdienstleistungsG (RDG) nur in dem Umfang zulässig, in dem sie durch das RDG oder aufgrund anderer Gesetze erlaubt wird. Es besteht somit ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Solche Erlaubnistatbestände finden sich insbesondere in den §§ 6–8 RDG. Der wichtigste Erlaubnistatbestand außerhalb des RDG ist § 3 BRAO, welcher die Rechtsberatung durch Anwälte regelt. Das RDG ist zum 1.7.2008 an die Stelle des früheren RechtsberatungsG (RBerG) a.F. getreten. Dabei wurden zahlreiche Streitfragen des alten Rechts geklärt.369 Vor allem aber wurden die mit Blick auf verfassungs- und unionsrechtliche Vorgaben zunehmend zweifelhaft gewordenen strengen Anforderungen des alten Rechts an die Erbringung von Rechtsdienstleistungen liberalisiert.370 Dies gilt es zu beachten, wenn auf die noch zum RBerG ergangene Rechtsprechung zurückgegriffen werden soll. Schutzzweck des RDG ist es, „die Rechtsuchenden, den Rechtsverkehr und die 100 Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen zu schützen“ (§ 1 Abs. 1 S. 2 RDG). Dass es sich beim Schutz der Rechtsuchenden um eine spezifische Form des Verbraucherschutzes handelt, zeigt sich auch an der ausdrücklichen Nennung des RDG als Verbraucherschutzgesetz in § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 8 UKlaG. Die Erlaubnisbedürftigkeit nach § 3 RDG ist deshalb – wie auch schon Art. 1 § 1 RBerG a.F. – keine reine Marktzutrittsregelung, sondern zugleich eine Marktverhaltensregelung im Interesse der Marktteilnehmer.371 Bei Verstößen gegen das RDG kommen so regelmäßig (auch) lauterkeitsrechts-
_____
369 Zur alten Rechtslage s. GK-UWG1/Teplitzky § 1 Rn. G 114 ff. 370 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.116; s. auch BGH 14.1.2016 – I ZR 107/14 – GRUR 2016, 820 Tz. 48 – Schadensregulierung durch Versicherungsmakler. 371 BGH 4.11.2010 – I ZR 118/09 – GRUR 2011, 539 Tz. 25 – Rechtsberatung durch Lebensmittelchemiker; BGH 29.7.2009 – I ZR 166/06 – GRUR 2009, 1077 Tz. 20 – Finanz-Sanierung. – § 3 RDG ist zugleich Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB, s. BGH 6.12.2001 – I ZR 14/99 – GRUR 2002, 987, 993 – Wir Schuldenmacher (zu Art. 1 § 1 RBerG a.F.); Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.118; krit. Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 34.
57
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
rechtliche Ansprüche gegen den Zuwiderhandelnden in Betracht.372 Verstöße gegen das RDG sind mithin regelmäßig unlauter.373 Dabei ist nicht erst die Erbringung, sondern bereits das Angebot einer unzulässigen Rechtsdienstleistung ein Verstoß.374 Die Regelungen des RDG unterfallen der Öffnungsklausel des Art. 3 Abs. 8 UGP-RL und bleiben deshalb von der UGP-RL unberührt.375 101
bb) Rechtsdienstleistung. Rechtsdienstleistung ist nach der Legaldefinition in § 2 Abs. 1 RDG „jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert.“ Erforderlich ist mithin zunächst die rechtliche Prüfung des Einzelfalls. Der Gesetzesbegründung zum RDG ist zu entnehmen, dass nicht jede Tätigkeit, die darauf gerichtet ist, konkrete fremde Rechtsangelegenheiten zu verwirklichen oder fremde Rechtsverhältnisse zu gestalten, bereits als Rechtsdienstleistung einzustufen ist.376 Erforderlich ist vielmehr, dass die Rechtsberatung oder Rechtsbesorgung eine „besondere Prüfung der Rechtslage im Sinne eines juristischen Subsumtionsvorgangs“ voraussetzt.377 Werden dagegen Vorgänge ohne individuelle rechtliche Prüfung abgewickelt oder ist die rechtliche Beurteilung einer Frage auch für juristische Laien so leicht und eindeutig, dass es einer besonderen juristischen Prüfung nicht bedarf, so liegt keine Rechtsdienstleistung vor.378 Rechtsdienstleistung im Sinne von § 2 Abs. 1 RDG ist somit jede konkrete Subsumtion eines Sachverhalts unter die maßgeblichen rechtlichen Bestimmungen, die über eine bloß schematische Anwendung von Rechtsnormen ohne weitere rechtliche Prüfung hinausgeht.379 Ob es sich dabei um eine einfache oder schwierige Rechtsfrage handelt, ist unerheblich.380 Sodann muss die Tätigkeit konkrete fremde Angelegenheiten betreffen. Maßgeblich ist dafür, in wessen wirtschaftlichem Interesse die Besorgung der Angelegenheit liegt.381 Eine nicht nur im eigenen, sondern auch im fremden Interesse besorgte Rechtsangelegenheit ist nicht notwendigerweise eine fremde Rechtsangelegenheit i.S.d. § 2 Abs. 1 RDG; umgekehrt macht ein lediglich mittelbares Eigeninteresse eine fremde Rechtsangelegenheit nicht zu einer eigenen.382 Beispielsweise besorgt keine fremde Rechtsangelegenheit, wer als gesetzlicher Vertreter für eine natürliche oder juristische Person handelt, bzw. wer als Organ oder als Angestellter eines Unternehmens für dieses tätig wird.383 Auch handelt ein auf Schadensregulierung in Anspruch genommener Kfz-Haftpflichtversicherer des Schä-
_____
372 S. nur BGH 4.11.2010 – I ZR 118/09 – GRUR 2011, 539 Tz. 20 – Rechtsberatung durch Lebensmittelchemiker. 373 BGH 4.11.2010 – I ZR 118/09 – GRUR 2011, 539 Tz. 25 – Rechtsberatung durch Lebensmittelchemiker. S. auch Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.118. 374 S. BGH 6.12.2001 – I ZR 214/99 – GRUR 2002, 985, 986 – WISO; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 34. 375 BGH 4.11.2010 – I ZR 118/09 – GRUR 2011, 539 Tz. 23 – Rechtsberatung durch Lebensmittelchemiker. 376 Begr. RegE eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsgesetzes, BTDrucks. 16/3655 S. 35. 377 Begr. RegE eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsgesetzes, BTDrucks. 16/3655 S. 35. 378 Begr. RegE eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsgesetzes, BTDrucks. 16/3655 S. 35. 379 BGH 14.1.2016 – I ZR 107/14 – GRUR 2016, 820 Tz. 43 – Schadensregulierung durch Versicherungsmakler. 380 BGH 14.1.2016 – I ZR 107/14 – GRUR 2016, 820 Tz. 43 – Schadensregulierung durch Versicherungsmakler. 381 BGH 31.3.2016 – I ZR 88/15 – GRUR 2016, 1189 Tz. 26 – Rechtsberatung durch Entwicklungsingenieur; zu Art. 1 § 1 RBerG a.F. BGH 3.5.2007 – I ZR 19/05 – GRUR 2007, 978 Tz. 22 – Rechtsberatung durch Haftpflichtversicherer. 382 BGH 31.3.2016 – I ZR 88/15 – GRUR 2016, 1189 Tz. 26 – Rechtsberatung durch Entwicklungsingenieur. 383 BGH 31.3.2016 – I ZR 88/15 – GRUR 2016, 1189 Tz. 26 – Rechtsberatung durch Entwicklungsingenieur.
Metzger/Eichelberger
58
C. Marktverhaltensregelungen
§ 3a
digers in unmittelbarem Eigeninteresse, wenn er diesem konkrete Hinweise zur Anspruchsabwehr gibt.384 Mangels rechtlicher Prüfung des Einzelfalls ist deshalb erlaubnisfrei beispielsweise 102 eine stark automatisierte oder formalisierte Tätigkeit, etwa das Überwachen von Fristen und Gebühren durch Patentanwälte385 oder das Schalten von Titelschutzanzeigen.386 Bei der Ermittlung von Erben durch Dienstleister kommt es auf die konkret übernommenen Dienste an. Ist der Ermittler allein damit beschäftigt, Informationen und Tatsachenmaterial für die Durchsetzung von Rückübertragungsansprüchen zu beschaffen und wird erst danach ein Rechtsanwalt aufgesucht, so handelt es sich nicht um eine Rechtsdienstleistung.387 Ist der Auftragnehmer nach dem konkreten Auftragsverhältnis hingegen auch zur rechtlichen Bewertung der ermittelten Informationen verpflichtet, so handelt es sich um eine Rechtsdienstleistung.388 Gleiches gilt, wenn der Erbenermittler gegen Erfolgshonorar mit der Nachlassabwicklung betraut werden soll.389 Keine Rechtsdienstleistung stellt das Angebot einer Kfz-Werkstatt dar, einen Sachverständigen zur Schadensbegutachtung zu beauftragen, das Gutachten direkt an den Versicherer weiterzuleiten und einen Unfall-Ersatzwagen zu besorgen.390 – Demgegenüber ist es Rechtsdienstleistung, wenn ein Versicherungsmakler im Auftrag eines Haftpflichtversicherers einem Geschädigten konkret erläutert, wie dessen Schadensersatzanspruch zu berechnen ist, und diesen auf Grundlage der vom Kunden genannten Daten dann auch berechnet,391 wenn ein Lebensmittelchemiker die Verkehrsfähigkeit eines Lebensmittels beurteilt,392 sowie bei der Anmeldung gewerblicher Schutzrechte (Patente, Gebrauchsmuster, Marken) durch einen Entwicklungsingenieur,393 denn in allen Fällen bedarf es einer vertieften Rechtsprüfung, die über eine einfache oder schematische Rechtsanwendung hinausgeht. Dasselbe gilt für die Unterstützung beim Ausfüllen von Formularen und der Begleitung als Beistand zum (Sozial-)Amt durch einen Verband.394 Die in § 2 Abs. 3 RDG genannten Tätigkeiten sind kraft Gesetzes keine Rechts- 103 dienstleistungen. Hierzu gehören wissenschaftliche Gutachten (Nr. 1), die Tätigkeit von Einigungs- und Schlichtungsstellen, Schiedsrichterinnen und Schiedsrichtern (Nr. 2), die Erörterung von Rechtsfragen mit Betriebs- und Personalräten, soweit ein Zusammenhang zu den Aufgaben dieser Vertretungen besteht (Nr. 3), die Mediation und jede vergleichbare Form der alternativen Streitbeilegung, sofern die Tätigkeit nicht durch rechtliche Regelungsvorschläge in die Gespräche der Beteiligten eingreift (Nr. 4), die an die Allgemeinheit gerichtete Darstellung und Erörterung von Rechtsfragen und Rechtsfällen
_____
384 S. BGH 3.5.2007 – I ZR 19/05 – GRUR 2007, 978 Tz. 23 – Rechtsberatung durch Haftpflichtversicherer. 385 BVerfG 19.10.1997 – 1 BvR 780/87 – BVerfGE 97, 12, 28 = GRUR 1998, 556, 560 – Patentgebührenüberwachung; anders noch BGH 12.3.1987 – I ZR 31/85 – GRUR 1987, 710 – Schutzrechtsüberwachung. 386 BGH 25.6.1998 – I ZR 62/96 – GRUR 1998, 956, 957 – Titelschutzanzeigen für Dritte. 387 S. BVerfG 27.9.2002 – 1 BvR 2251/01 – NJW 2002, 3531, 3532. 388 S. BGH 13.3.2003 – I ZR 143/00 – GRUR 2003, 886, 887 – Erbenermittler. 389 S. BGH 16.3.1989 – I ZR 30/87 – GRUR 1989, 437 – Erbensucher. 390 BGH 30.3.2000 – I ZR 289/97 – GRUR 2000, 729, 730 f. – Sachverständigenbeauftragung. 391 S. BGH 14.1.2016 – I ZR 107/14 – GRUR 2016, 820 Tz. 50 – Schadensregulierung durch Versicherungsmakler. 392 S. BGH 4.11.2010 – I ZR 118/09 – GRUR 2011, 539 Tz. 28 – Rechtsberatung durch Lebensmittelchemiker. 393 S. BGH 31.3.2016 – I ZR 88/15 – GRUR 2016, 1189 Tz. 24 – Rechtsberatung durch Entwicklungsingenieur. 394 S. OLG Frankfurt 28.5.2015 – 6 U 51/14 – GRUR-RR 2015, 474 Tz. 20 – Beratung bei psychosozialem Stress.
59
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
in den Medien (Nr. 5)395 sowie die Erledigung von Rechtsangelegenheiten innerhalb des Konzerns (Nr. 6). 104
cc) Inkassodienstleistung (§ 2 Abs. 2 RDG). § 2 Abs. 2 RDG sieht eine besondere Regelung für das Forderungsinkasso vor. Danach ist die Einziehung fremder oder zum Zweck der Einziehung auf fremde Rechnung abgetretener Forderungen unabhängig von den allgemeinen Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 RDG eine Rechtsdienstleistung („Inkassodienstleistung“), wenn die Forderungseinziehung als eigenständiges Geschäft betrieben wird. Der Vorschrift liegt die Annahme zugrunde, dass nicht jede Form des Forderungsinkassos eine rechtliche Prüfung im Einzelfall erfordert, also Rechtsdienstleistung nach § 2 Abs. 1 RDG ist, jedoch gleichwohl eine rechtliche Regulierung des Inkassowesens geboten erschien.396 Eine Privilegierung ist damit zugleich insoweit verbunden, als Inkassodienstleistungen auch durch sog. „registrierte Personen“ erbracht werden dürfen (§ 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 RDG). Um eine Inkassodienstleistung handelt es sich nur, wenn das Inkasso nicht bloße 105 Nebenleistung im Zusammenhang mit einer anderen beruflichen Tätigkeit ist, sondern als eigenständiges Geschäft betrieben wird. Dann umfasst die Erlaubnis des Inkassogeschäfts auch die Erlaubnis, die Kunden im Hinblick auf die rechtlichen Fragen, die bei der Forderungsdurchsetzung von Bedeutung sind, zu beraten.397 Handelt es sich bei der Forderungseinziehung dagegen um eine bloße Nebenleistung, so kann diese gleichwohl Rechtsdienstleistung nach Maßgabe des § 2 Abs. 1 RDG sein, wenn eine rechtliche Prüfung im Einzelfall erfolgt. Andernfalls ist sie erlaubnisfrei zulässig. Weder Inkasso- noch sonstige Rechtsdienstleistung und damit erlaubnisfrei zulässig ist das Vorgehen aus einer zur Sicherheit abgetretenen Forderung, da die Forderung hier im eigenen Interesse des Zessionars eingezogen wird.398 Dasselbe gilt für das Factoring, denn der Factor nimmt hier sowohl beim echten wie beim unechten Factoring eine eigene Rechtsangelegenheit wahr.399 Zählung angepasst dd) Erlaubnisfrei als Nebenleistung zulässige Rechtsdienstleistungen (§ 5 106 RDG). § 5 RDG gestattet Rechtsdienstleistungen im Zusammenhang mit einer anderen Tätigkeit, wenn sie als Nebenleistung zum Berufs- oder Tätigkeitsbild gehören (Abs. 1 S. 1). Ziel dieser Bestimmung ist es einerseits diejenigen, die in einem nicht spezifisch rechtsdienstleistenden Beruf tätig sind, in ihrer Berufsausübung nicht zu behindern und andererseits den erforderlichen Schutz der Rechtsuchenden vor unqualifiziertem Rechts-
_____
395 Zulässig ist dabei nicht nur die generell-abstrakte Behandlung von Rechtsfragen, sondern auch die aus Gründen der Veranschaulichung und Vertiefung erfolgende Darstellung einzelner konkreter Streitfälle, selbst wenn aufgrund des dadurch ausgehenden öffentlichen Drucks die Durchsetzung von Forderungen bewirkt wird. Anders liegt es hingegen, wenn Medien spezifisch juristische Hilfestellung bei der Prüfung und Durchsetzung von Individualansprüchen anbieten (Begr. RegE eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsgesetzes, BTDrucks. 16/3655 S. 50). In diesem Sinne bereits unter altem Recht BVerfG 1.3.2004 – 1 BvR 517/99 u. 1 BvR 313/99 – NJW 2004, 1855; BGH 6.12.2001 – I ZR 214/99 – GRUR 2002, 985 – WISO; BGH 6.12.2001 – I 101/99 – GRUR 2002, 993 – Wie bitte?!; BGH 6.12.2001 – I ZR 14/99 – GRUR 2002, 987 – Wir Schuldenmacher. 396 So Begr. RegE eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsgesetzes, BTDrucks. 16/3655 S. 48. 397 BVerfG 20.2.2002 – 1 BvR 423/99, 1 BvR 821/00 und 1 BvR 1412/01 – NJW 2002, 1190, 1191 f. 398 S. Begr. RegE eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsgesetzes, BTDrucks. 16/3655 S. 48. 399 S. Begr. RegE eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsgesetzes, BTDrucks. 16/3655 S. 48; ferner Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.127; zum RBerG a.F. BGH 27.11.2000 – II ZR 190/99 – GRUR 2001, 357 – Geschäftsmäßiger Erwerb von Forderungen.
Metzger/Eichelberger
60
C. Marktverhaltensregelungen
§ 3a
rat zu gewährleisten.400 Ob eine Nebenleistung vorliegt, ist nach ihrem Inhalt, Umfang und sachlichen Zusammenhang mit der Haupttätigkeit unter Berücksichtigung der Rechtskenntnisse zu beurteilen, die für die Haupttätigkeit erforderlich sind (Abs. 1 S. 2). Dies ist nicht nach der vertraglichen Vereinbarung, sondern objektiv zu bestimmen.401 Dass der rechtsdienstleistende Anteil für die Haupttätigkeit erforderlich ist, diese also anderenfalls nicht sachgerecht erbracht werden könnte, steht einer Einordnung als bloße Nebenleistung – anders als nach Art. 1 § 5 RBerG – nicht entgegen; § 5 Abs. 1 RDG ist für die Schaffung neuer Berufsbilder offen.402 Entscheidend ist, dass der Schwerpunkt der Tätigkeit auf nicht rechtlichem Gebiet liegt, wobei mit Blick auf die grundrechtlich geschützte Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) grundsätzlich keine enge Auslegung des § 5 Abs. 1 RDG geboten ist.403 Gem. § 5 Abs. 2 RDG gehören zu den erlaubten Nebenleistungen solche Rechts- 107 dienstleistungen, die im Zusammenhang mit einer Tätigkeit der Testamentsvollstreckung,404 der Haus- und Wohnungsverwaltung405 oder der Fördermittelberatung406 stehen. Der Gesetzgeber hat damit die bereits in der Rechtsprechung zu § 1 RBerG a.F. anerkannten Grundsätze als unwiderlegliche Vermutung kodifiziert.407 ee) Erlaubnisfrei zulässige unentgeltliche Rechtsdienstleistungen (§ 6 RDG). 108 Gem. § 6 RDG sind unentgeltliche Rechtsdienstleistungen erlaubnisfrei zulässig (Abs. 1). Werden solche Leistungen allerdings außerhalb familiärer, nachbarschaftlicher
_____
400 BGH 31.3.2016 – I ZR 88/15 – GRUR 2016, 1189 Tz. 32 – Rechtsberatung durch Entwicklungsingenieur. 401 BGH 4.11.2010 – I ZR 118/09 – GRUR 2011, 539 Tz. 34 – Rechtsberatung durch Lebensmittelchemiker. 402 BGH 6.10.2011 – I ZR 54/10 – GRUR 2012, 405 Tz. 22, 26 – Kreditkontrolle; s. auch Begr. RegE eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsgesetzes, BTDrucks. 16/3655 S. 52. 403 BGH 6.10.2011 – I ZR 54/10 – GRUR 2012, 405 Tz. 23 – Kreditkontrolle; s. auch Begr. RegE eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsgesetzes, BTDrucks. 16/3655 S. 52. – Beispiele: BGH 14.1.2016 – I ZR 107/14 – GRUR 2016, 820 Tz. 13 ff. – Schadensregulierung durch Versicherungsmakler (die Schadensregulierung im Auftrag des Versicherers gehört – jedenfalls im Bereich der Textilhaftpflichtversicherung – nicht als Nebenleistung zum Berufs- oder Tätigkeitsbild einer Versicherungsmaklerin); BGH 6.10.2011 – I ZR 54/10 – GRUR 2012, 405 Tz. 32 f. – Kreditkontrolle (die Beratung eines Kunden durch ein Finanzdienstleistungsunternehmen über die Möglichkeit der Kündigung von Darlehensverträgen zum Zwecke der Umschuldung ist nur dann bloße Nebenleistung, wenn der Sachverhalt einem anerkannten Kündigungstatbestand zuzuordnen, die rechtliche Prüfung dadurch einfach und schnell möglich ist); OLG Karlsruhe 13.6.2018 – 6 U 122/17 – BeckRS 2018, 14373 (die Vermittlung eines Tarifwechsels in der PKV ist bloße Nebenleistung eines Versicherungsvermittlers); OLG München 24.7.2014 – 6 U 695/14 – GRUR-RS 2014, 17344 – Inkassodienstleistung (Einzug nicht abtretbarer Forderungen im fremden Namen neben dem als Hauptgeschäft betriebenen Forderungsankauf sei auch dann keine bloße Nebenleistung, wenn solche Geschäfte nur ca. 5% der gesamten Tätigkeit ausmachen). 404 So im Ergebnis bereits zum alten Recht BGH 11.11.2004 – I ZR 213/01 – GRUR 2005, 353, 354 f. – Testamentsvollstreckung durch Banken und BGH 11.11.2004 – I ZR 182/02 – GRUR 2005, 355, 356 – Testamentsvollstreckung durch Steuerberater. 405 Die Ausnahme knüpft an § 5 Nr. 3 RBerG a.F. an, erweitert sie aber auf die Wohnungsverwaltung. Zum alten Recht BGH 6.5.1993 – V ZB 9/92 – BGHZ 122, 327 = NJW 1993, 1924; s. aber auch OLG Düsseldorf 17.6.2014 – I-20 U 16/14 – GRUR-RR 2014, 399 – Hausverwalterin als Rechtsbeistand im Zivilprozess (keine Nebenleistung ist es, wenn ein Hausverwalter an der Prozessführung seiner Kunden in das vermietete Objekt betreffenden Streitigkeiten dergestalt mitwirkt, dass er über die bloße Aufzählung von Tatsachen hinausreichende Schriftsätze verfasst). 406 So bereits zum alten Recht BGH 24.2.2005 – I ZR 128/02 – GRUR 2005, 604 – Fördermittelberatung. In der Begr. RegE eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsgesetzes (BTDrucks. 16/3655 S. 54) wird zudem die rechtliche Beratung von Landwirten über spezielle betriebsbezogene Fragen im Agrarrecht durch hierfür besonders qualifizierte und spezialisierte Agrarökonomen genannt. 407 S. Begr. RegE eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsgesetzes, BTDrucks. 16/3655 S. 54.
61
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
oder ähnlich enger persönlicher Beziehungen erbracht,408 so muss sichergestellt werden, dass die Rechtsdienstleistung durch eine Person, der die entgeltliche Erbringung dieser Rechtsdienstleistung erlaubt ist, durch eine Person mit Befähigung zum Richteramt oder unter Anleitung einer solchen Person erfolgt (Abs. 2 S. 1).409 Anleitung erfordert eine an Umfang und Inhalt der zu erbringenden Rechtsdienstleistungen ausgerichtete Einweisung und Fortbildung sowie eine Mitwirkung bei der Erbringung der Rechtsdienstleistung, soweit dies im Einzelfall erforderlich ist (Abs. 2 S. 2).410 ff) Weitere erlaubnisfrei zulässige Rechtsdienstleistungen (§§ 7, 8 RDG). Erlaubnisfrei zulässig ist gem. § 7 RDG die rechtliche Beratung durch Berufs- und Interessenvereinigungen und Genossenschaften, sofern sie die Beratung im Rahmen ihres satzungsmäßigen Aufgabenbereichs für ihre Mitglieder411 oder für die Mitglieder der ihnen angehörenden Vereinigungen oder Einrichtungen erbringen. Dies kann beispielsweise Mietervereine, Automobilclubs412 oder Einzelhandelsverbände413 betreffen. Nach § 8 RDG sind ebenfalls erlaubnisfrei zulässig Rechtsdienstleistungen, die von gerichtlich oder behördlich bestellten Personen (insbesondere Insolvenz-, Zwangs- und Nachlassverwalter, Betreuer, Pfleger, Vormünder sowie Bewährungshelfer),414 Behörden, Verbraucherzentralen und anderen mit öffentlichen Mitteln geförderten Verbraucherverbänden sowie den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege im Rahmen ihres Aufgaben- und Zuständigkeitsbereichs erbracht werden. Zu beachten sind schließlich die Beschränkungen der Vertretung im Parteipro110 zess gem. § 79 ZPO. Soweit eine Vertretung durch Rechtsanwälte nicht geboten ist, können die Parteien den Rechtsstreit gem. § 79 Abs. 1 ZPO selbst führen, sich freilich gleichwohl durch einen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten vertreten lassen (§ 79 Abs. 2 ZPO). Darüber hinaus ist die Vertretung durch Beschäftigte der Partei, volljährige Familienangehörige, Personen mit Befähigung zum Richteramt, Verbraucherzentralen sowie Inkassounternehmen zulässig. Dagegen sind beispielsweise Immobilienmakler nicht befugt, einen Gläubiger als Beteiligten im Sinne des § 9 ZVG in einem gerichtlichen Zwangsversteigerungsverfahren zu vertreten. Verstöße stellen zugleich unlautere geschäftliche Handlungen dar.415
109
111
b) Berufsrecht der Rechtsanwälte. Das anwaltliche Berufsrecht ist insbesondere in der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) und in der von der Bundesrechtsanwaltskammer erlassenen Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) niedergelegt. Die Vorschriften dienen im Einzelnen unterschiedlichen Schutzzielen, so dass bei der Einord-
_____
408 Unentgeltliche Rechtsdienstleistungen eines Vereins gegenüber Nichtmitgliedern unterfallen Abs. 2, s. OLG Frankfurt 28.5.2015 – 6 U 51/14 – GRUR-RR 2015, 474 Tz. 21 – Beratung bei psychosozialem Stress. 409 Zu sog. „law clinics“ s. Deckenbrock AnwBl 2017, 937 ff. und Remmerz AnwBl 2017, 946 ff. 410 S. dazu OLG Frankfurt 28.5.2015 – 6 U 51/14 – GRUR-RR 2015, 474 Tz. 21 ff. – Beratung bei psychosozialem Stress. 411 S. dazu OLG Frankfurt 28.5.2015 – 6 U 51/14 – GRUR-RR 2015, 474 Tz. 26 – Beratung bei psychosozialem Stress (ein Verein, der seine Beratungsleistungen ausschließlich an Nichtmitglieder erbringt, unterfällt schon deshalb nicht § 7 RDG). 412 S. Begr. RegE eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsgesetzes, BTDrucks. 16/3655 S. 59. Anders noch unter dem RBerG a.F. BGH 20.11.2003 – I ZR 104/01 – GRUR 2004, 253, 254 – Rechtsberatung durch Automobilclub (keine „berufsständische Vereinigung“ i.S.d. Art. 1 § 7 RBerG a.F.). 413 S. dazu BGH 1.6.2011 – I ZR 58/10 – GRUR 2012, 79 Tz. 14 ff. – Rechtsberatung durch Einzelhandelsverband. 414 S. Begr. RegE eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsgesetzes, BTDrucks. 16/3655 S. 61. 415 S. BGH 20.1.2011 – I ZR 122/09 – GRUR 2011, 352 Tz. 17 – Makler als Vertreter im Zwangsversteigerungsverfahren.
Metzger/Eichelberger
62
C. Marktverhaltensregelungen
§ 3a
nung als Marktverhaltensregelungen zu differenzieren ist. Vorschriften der BRAO und der BORA, die allein dem Schutzziel einer geordneten Rechtspflege und der Integrität der Anwaltschaft dienen, sind keine Marktverhaltensregelungen. Dagegen können Verstöße gegen Regelungen, die dem Interesse der Mandanten an einer qualitativ hochwertigen Rechtsdienstleistung dienen, und daher (auch) Marktverhaltensregelungen sind, mit den Mitteln des Lauterkeitsrechts verfolgt werden.416 So sind beispielsweise die Zugangsvoraussetzungen zum Beruf des Rechtsanwalts in den §§ 4–17 BRAO nicht nur Marktzutritts-, sondern zugleich Marktverhaltensregelungen, weil sie die Beratung durch qualifizierte Rechtsdienstleister sichern sollen.417 Manche Regelungen richten sich außerdem nicht nur an die Berufsträger, sondern auch an Dritte, wie etwa das Recht auf freie Wahl des Rechtsanwalts gem. § 3 Abs. 3 BRAO, so dass ein Mieterverein nach § 3a unlauter handelt, wenn dessen Satzung die Aufnahme von Mitgliedern in eine Gruppenversicherung an die Bedingung knüpft, dass die Wahl des Rechtsanwalts allein dem Verein zusteht.418 Die Kanzleipflicht nach §§ 27 Abs. 1, 59i BRAO besteht im Interesse der geordneten 112 Rechtspflege, weil nur bei einer nach außen erkennbaren Praxis Rechtsrat Suchende, Gerichte und Behörden erkennen können, welche Anwälte in einem bestimmten Bezirk tätig sind.419 Zugleich dient sie aber zumindest auch dem Interesse der Rechtsrat suchenden Bevölkerung (namentlich an der Erreichbarkeit des Anwalts) und ist deshalb Marktverhaltensregelung.420 Gleiches gilt für die Anforderungen an die Eröffnung einer Zweigstelle gem. § 27 Abs. 2 BRAO.421 Ebenfalls um eine Marktverhaltensregelung handelt es sich bei der Verschwiegenheitspflicht in § 43a Abs. 2 BRAO, § 2 BORA.422 Hierfür reicht es bereits aus, dass die Vorschrift die Interessen der Mandanten als Marktteilnehmer schützen will. Nicht erforderlich ist ein darüber hinausgehender, auf das Auftreten der Anwälte auf dem Markt bezogener Schutzzweck.423 Indem sie möglichen Interessenkonflikten vorbeugen, dienen schließlich auch das Verbot der Wahrnehmung widerstreitender Interessen (§ 43a Abs. 4 BRAO und § 3 BORA)424 sowie das Verbot, in einer Angelegenheit tätig zu werden, in der der Anwalt zuvor bereits tätig war (§ 45 BRAO)425 dem Schutz der Mandanten als Marktteilnehmer.
_____
416 S. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.113; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 38; Bieber WRP 2008, 723 ff. 417 Bieber WRP 2008, 723, 725 ff. 418 BGH 26.10.1989 – I ZR 242/97 – BGHZ 109, 153 = NJW 1990, 578 – Anwaltswahl durch Mieterverein (zu § 1 a.F.); MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 92. – Von einem Rechtsschutzversicherer gewährte finanzielle Anreize in Form von variablen Selbstbeteiligungen, die die Entscheidung über die Auswahl des Rechtsanwalts beim Versicherungsnehmer belassen und die Grenze unzulässigen Drucks nicht überschreiten, verstoßen nicht gegen § 3 Abs. 3 BORA (sowie §§ 127, 129 VVG), s. BGH 4.12.2013 – IV ZR 215/12 – BGHZ 199, 170 = NJW 2014, 630 – Freie Anwaltswahl. 419 So das BVerfG 12.2.1986 – 1 BvR 1770/83 – NJW 1986, 1801. 420 S. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.115; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 38. 421 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.115; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 38; zum früheren Zweigstellenverbot durch § 28 BRAO a.F. ebenso BGH 2.4.1998 – I ZR 4/96 – GRUR 1998, 835 – Zweigstellenverbot; Ullmann GRUR 2003, 817, 822. 422 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.114; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 38; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 92. 423 In diese Richtung aber OLG Köln 2.3.2006 – 6 U 190/05 – GRUR-RR 2006, 166, 167 – Verrechnungsstelle für Anwaltshonorare. 424 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.114; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 38; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 92; vgl. auch BVerfG 3.7.2003 – 1 BvR 238/01 – NJW 2003, 2520, 2521; BGH 26.9.2002 – I ZR 44/00 – GRUR 2003, 349, 351 – Anwaltshotline; a.A. Harte/Henning/v. Jagow § 3a Rn. 64; Ullmann GRUR 2003, 817, 822. 425 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.114; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 38; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 92; a.A. BGH 5.10.2000 – I ZR 224/98 – GRUR 2001, 354, 356 – Verbandsklage gegen
63
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
113
Marktverhaltensregelungen sind die gesetzlichen Vorschriften zu Mindestvergütungen in § 49b Abs. 1 BRAO, §§ 2 ff. RVG, § 21 BORA, denn sie sollen einen ruinösen Preiswettbewerb verhindern und gleiche rechtliche Voraussetzungen für die auf dem fraglichen Markt tätigen Wettbewerber schaffen (s. Rn. 253). Eine sekundär wettbewerbsschützende Funktion kommt auch der weitreichenden Einschränkung von Erfolgshonoraren (§ 49b Abs. 2 BRAO, § 4a RVG) zu.426 Zwar ist es das primäre Anliegen der Vorschrift, die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts zu sichern, in dem eine weitgehende Parallelität der wirtschaftlichen Interessen von Rechtsanwalt und Auftraggeber vermieden werden soll. Das Verbot bezweckt daneben aber auch den Schutz der Rechtsuchenden vor einer Übervorteilung durch überhöhte Vergütungssätze.427 Auch das Verbot, für die Vermittlung von Aufträgen Vorteile zu gewähren oder entgegenzunehmen (§ 49b Abs. 3 BRAO), beispielsweise in Form von Provisionszahlungen für konkrete Mandate, ist Marktverhaltensregelung.428 Die Abtretung von Forderungen aus Anwaltshonoraren ist entgegen dem früheren Recht nunmehr grundsätzlich nach Maßgabe des § 49b Abs. 4 S. 1 BRAO möglich;429 Verstöße gegen die Anforderungen der Vorschrift können allerdings nach wie vor gem. § 3a verfolgt werden.430 Einen Verstoß gegen das anwaltliche Standesrecht, aber keinen Wettbewerbsverstoß stellt die direkte Kontaktaufnahme eines Anwalts mit der Gegenpartei unter Umgehung des Anwalts gem. § 12 BORA dar. Die Vorschrift dient dem Schutz der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege, nicht aber dem Schutz des Rechtsuchenden als Marktteilnehmer oder dem Schutz der anderen Marktteilnehmer.431 Im Ausgangspunkt keine Marktverhaltensregelungen sind die Beschränkungen der 114 Zusammenarbeit von Anwälten mit anderen Berufsgruppen gem. § 59a BRAO, die Vorschriften über die Zulassung von Rechtsanwaltsgesellschaften in §§ 59c–59h BRAO sowie die Sozietätsbeschränkung für BGH-Anwälte in § 172a BRAO.432 Anderes gilt aber mit Blick auf den damit verfolgten Zweck der Verhinderung einer Irreführung der Marktteilnehmer und der Wahrung der Wettbewerbsgleichheit innerhalb des Berufsstands für die Regelungen über die Außendarstellung von beruflichen Zusammenschlüssen,
_____ Vielfachabmahner (zu § 1 a.F.), wobei hier allerdings enger als heute die Wettbewerbsbezogenheit der Vorschrift allein im Verhältnis zu anderen Anbietern von Rechtsberatung, nicht aber im Verhältnis zu den Mandanten als Verbrauchern geprüft wurde; FBO/Götting/Hetmank § 3a Rn. 78; Harte/Henning/v. Jagow § 3a Rn. 64; Ullmann GRUR 2003, 817, 822. 426 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.114; im Ergebnis auch OLG Hamm 29.3.2012 – I-4 U 167/11 – MMR 2012, 602; a.A. OLG Köln 2.3.2006 – 6 U 190/05 – GRUR-RR 2006, 166 – Verrechnungsstelle für Anwaltshonorare; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 38; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 92. 427 S. hierzu BVerfG 12.12.2006 – 1 BvR 2576/04 – NJW 2007, 979 Tz. 67: „Ein weiterer legitimer Zweck des Verbots von Erfolgshonoraren ist in dem Schutz der Rechtsuchenden vor einer Übervorteilung durch überhöhte Vergütungssätze zu sehen. Der Mandantenschutz zählt nicht nur als Ausprägung des allgemeinen Verbraucherschutzes … zu den Gemeinwohlbelangen. Geschützt wird vielmehr auch das – für eine funktionierende Rechtspflege wesentliche – Vertrauen der Bevölkerung in die Integrität der Anwaltschaft.“ 428 OLG Karlsruhe 5.4.2013 – 4 U 18/13 – GRUR-RR 2013, 338 – Transaktionsgebühr für Terminvertretung (hier auch zur Zulässigkeit eines Internetportals, das Terminsvertreter vermittelt); Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 3a Rn. 1.114. 429 S. dazu BGH 1.3.2007 – IX ZR 189/05 – BGHZ 171, 252 = NJW 2007, 1196. 430 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.114; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 38; a.A. OLG Köln 2.3.2006 – 6 U 190/05 – GRUR-RR 2006, 166 – Verrechnungsstelle für Anwaltshonorare; Harte/Henning/v. Jagow § 3a Rn. 64. 431 OLG Nürnberg 27.7.2004 – 3 U 2102/04 – NJW 2005, 158; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.114; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 38. 432 Vgl. Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 38; Ullmann GRUR 2003, 817, 822.
Metzger/Eichelberger
64
C. Marktverhaltensregelungen
§ 3a
namentlich für § 59k BRAO über die Firma der Rechtsanwaltsgesellschaft.433 Ebenso ist die Überschreitung des nach § 59c BRAO zulässigen Tätigkeitsbereichs einer Rechtsanwaltsgesellschaft unlauter.434 c) Werberecht der Anwälte aa) Liberalisierung des Werberechts. Das Werberecht der Rechtsanwälte hat in 115 den vergangenen Jahrzehnten eine erhebliche Liberalisierung erfahren. Galt bis in die späten 1980er Jahre im Grundsatz ein Werbeverbot für Rechtsanwälte, welches auf die Generalklausel in § 43 BRAO und die Standesrichtlinien der Bundesrechtsanwaltskammer gestützt wurde,435 so führte zunächst die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und später der Einfluss des Unionsrechts sowie die Rechtsprechung des EGMR zur schubweisen Anerkennung einer – wenn auch eingeschränkten – Werbefreiheit. Das ältere Werbeverbot war mit dem Berufsbild des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege begründet worden, welches als unvereinbar mit der in der gewerblichen Wirtschaft üblichen Werbung angesehen wurde. Das Bundesverfassungsgericht sah hierin einen Verstoß gegen Art. 12 GG436 und beurteilte in der Folge eine Reihe von Werbemaßnahmen als zulässig, die nach der alten Rechtslage als unzulässig beurteilt worden wären, etwa die Angabe von Tätigkeitsschwerpunkten437 und das Sponsoring.438 Im Jahr 1994 folgte dann die Änderung der BRAO, welche dem Anwalt nunmehr Werbung gestattet, soweit diese über die berufliche Tätigkeit in Form und Inhalt sachlich unterrichtet und nicht auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall gerichtet ist (§ 43b BRAO). Diese allgemeine Vorschrift wird durch §§ 6–10 BORA konkretisiert. Die Werbefreiheit der Rechtsanwälte ist heute unionsrechtlich durch Art. 24 116 Dienstleistungs-RL 2006/123/EG abgesichert. 439 Danach haben die Mitgliedstaaten sämtliche absoluten Verbote der kommerziellen Kommunikation440 für reglementierte Berufe aufzuheben (Abs. 1). Sie haben aber zugleich sicherzustellen, dass die kommerzielle Kommunikation durch Angehörige reglementierter Berufe die Anforderungen der berufsrechtlichen Regeln erfüllt, die im Einklang mit dem Unionsrecht je nach Beruf insbesondere die Unabhängigkeit, die Würde und die Integrität des Berufsstandes sowie die Wahrung des Berufsgeheimnisses gewährleisten sollen, wobei diese berufsrechtlichen Regeln über die kommerzielle Kommunikation nicht diskriminierend, durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses441 gerechtfertigt und verhältnismäßig sein müs-
_____
433 S. BGH 23.10.2003 – I ZR 64/01 – GRUR 2004, 346 – Rechtsanwaltsgesellschaft. – § 59k BRAO ist auf sonstige Zusammenschlüsse von Rechtsanwälten (beispielsweise eine Partnerschaft i.S.d. PartGG) jenseits einer Rechtsanwaltsgesellschaft i.S.d. §§ 59c ff. BRAO nicht anwendbar, s. BGH 11.3.2004 – I ZR 62/01 – GRUR 2004, 615, 616 – Partnerschafts-Kurzbezeichnung. 434 S. BGH 30.7.2015 – I ZR 18/14 – GRUR 2016, 292 Tz. 22 – Treuhandgesellschaft (in casu verneint für die Treuhandtätigkeit, da diese seit jeher zum Berufsbild der Rechtsanwälte gehöre). 435 S. zur älteren Rechtslage und zur Entwicklung GK-UWG1/Teplitzky § 1 Rn. G 138 ff. 436 BVerfG 14.7.1987 – 1 BvR 537/81 u.a. – BVerfGE 76, 171 = NJW 1988, 191 und BVerfG 14.7.1987 – 1 BvR 362/79 – BVerfGE 76, 196 = NJW 1988, 194. 437 BVerfG 15.11.1994 – 1 BvR 1969/91 – NJW 1995, 712. 438 BVerfG 17.4.2000 – 1 BvR 721/99 – NJW 2000, 3195. 439 S. dazu EuGH, 5.4.2011 – C-119/09 – Slg. 2011, I-2551 = EuZW 2011, 681 Tz. 24, 30 – Société fiduciaire nationale d’expertise comptable/Ministre du Budget, des Comptes publics et de la Fonction publique (zu einem absoluten Verbot der „Kundenakquise“ bei Wirtschaftsprüfern nach franz. Recht). 440 Definition in Art. 4 Nr. 12 Dienstleistungs-RL. S. dazu EuGH 5.4.2011 – C-119/09 – Slg. 2011, I-2551 = EuZW 2011, 681 Tz. 32 f. – Société fiduciaire nationale d’expertise comptable/Ministre du Budget, des Comptes publics et de la Fonction publique. 441 Definition in Art. 4 Nr. 8 Dienstleistungs-RL sowie Erläuterungen in Erwägungsgrund 40 Dienstleistungs-RL.
65
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
sen (Abs. 2). Werbebeschränkungen sind damit nicht mehr an den nationalen Grundrechten, sondern am europäischen Primärrecht und den europäischen Grundrechten zu messen.442 So hat der Europäische Gerichtshof in der Rechtssache „Wouters“ das Verbot einer gemischten Sozietät von Anwälten und Wirtschaftsprüfern und der hierauf bezogenen Werbung für mit der Dienstleistungsfreiheit in Art. 56 AEUV vereinbar erachtet, weil die Regelung als für die ordnungsgemäße Ausübung des Rechtsanwaltsberufs erforderlich angesehen werden konnte.443 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) beurteilte in der Rechtssache „Brzank“ die Werbebeschränkungen in § 43b BRAO zwar als Eingriff in die Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 10 EMRK, sah das von den deutschen Gerichten ausgesprochene Verbot einer irreführenden Werbung aber im Ergebnis als gerechtfertigt an.444 Generell kommen Einschränkungen der Werbemöglichkeiten heute nur noch 117 dann in Betracht, wenn sie im Einzelfall durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sind und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen.445 118
bb) Marktverhaltensregelungen. Verstöße gegen die für Anwälte geltenden Beschränkungen der Werbefreiheit unterfallen nur dann § 3a, wenn es sich um zumindest sekundär wettbewerbsschützende Normen handelt. Dies darf vor dem Hintergrund der früheren, primär auf das Regelungsziel der geordneten Rechtspflege bezogenen Werbeverbote nicht ohne Weiteres und pauschal unterstellt werden.446 Allerdings ist der Gesetzesbegründung zu entnehmen, dass es dem Gesetzgeber bei der Neuregelung der Anwaltswerbung in § 43b BRAO neben der Bewahrung der Stellung des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege auch darum gegangen ist, dass ein reklamehaftes Anpreisen den Interessen der rechtsuchenden Bürger widerspreche.447 Die werberechtlichen Vorschriften des anwaltlichen Berufsrechts dienen mithin dem Zweck, einerseits die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege zu sichern, andererseits aber auch die Interessen der Rechtsuchenden zu gewährleisten, sich anhand sachlicher Informationen entscheiden zu können, ob und gegebenenfalls welcher Rechtsanwalt mit einer Rechtssache betraut wird.448 Außerdem sollte verhindert werden, „dass der Wettbewerb um Mandate mit den Mitteln des Kapitaleinsatzes für Werbung ausgetragen wird.“449 Die Vorschrift soll also sowohl die Verbraucher als auch die Mitbewerber als Marktteilnehmer schützen. Sie ist deswegen als Marktverhaltensregelung einzuordnen.450 Ebenfalls
_____
442 S. BGH 10.7.2014 – I ZR 188/12 – GRUR-RR 2015, 108 Tz. 11 – Anwaltsschreiben an Fondsanleger; BGH 13.11.2013 – I ZR 15/12 – BGHZ 1999, 43 = GRUR 2014, 86 Tz. 14 ff. – Kommanditistenbrief; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.155. 443 S. EuGH 19.2.2002 – C-309/99 – Slg. 2002, I-1577 = GRUR Int. 2002, 581, 589 – Wouters. 444 S. EGMR 23.10.2007 – 7969/04 – GRUR-RR 2009, 173 – Brzank/Deutschland (zu einer irreführenden Gebührentabelle); ebenso EGMR 23.10.2007 – 2357/05 – GRUR-RR 2009, 175 – Heimann/Deutschland (zur Bezeichnung „Verkehrsspezialist“); zu ärztlicher Werbung s. EGMR 17.10.2002 – 37928/97 – NJW 2003, 497 – Stambuk/Deutschland. 445 BGH 2.7.2018 – AnwZ (Brfg) 24/17 – NJW-RR 2018, 1086 Tz. 16; BGH 13.11.2013 – I ZR 15/12 – BGHZ 199, 43 = GRUR 2014, 86 Tz. 11 – Kommanditistenbrief. 446 Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 40. 447 S. Begründung des Gesetzentwurfs zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und Patentanwälte, BTDrucks. 12/4993, S. 28.; s. auch BVerfG 4.8.2003 – 1 BvR 2108/02 – GRUR 2003, 965, 966 – Interessenschwerpunkt „Sportrecht“. 448 BGH 2.7.2018 – AnwZ (Brfg) 24/17 – NJW-RR 2018, 1086 Tz. 16. 449 S. Begr. RegE des Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und Patentanwälte, BTDrucks. 12/4993, S. 28. 450 BGH 27.1.2005 – I ZR 202/02 – GRUR 2005, 520, 521 – Optimale Interessenvertretung; BGH 9.6.2011 – I ZR 113/10 – GRUR 2012, 215 Tz. 11 – Zertifizierter Testamentsvollstrecker; OLG Köln 29.6.2018 – 6 U 179/17 – GRUR-RR 2018, 356 Tz. 24 – Kostenfreiheitsvereinbarung; OLG Karlsruhe, 1.3.2013 – 4 U 120/12 – GRUR-
Metzger/Eichelberger
66
C. Marktverhaltensregelungen
§ 3a
Marktverhaltensregelungen sind § 43c BRAO (Fachanwaltsbezeichnung) sowie die die §§ 43b, 43c BRAO konkretisierenden §§ 6–10 BORA.451 cc) Zulässige Werbung gem. § 43b BRAO. § 43b BRAO gestattet dem Rechtsanwalt 119 Werbung nur, soweit diese über die berufliche Tätigkeit in Form und Inhalt sachlich unterrichtet und nicht auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall gerichtet ist. Werbung in diesem Sinne ist jedes planvoll darauf angelegte Verhalten, andere dafür zu gewinnen, die eigenen Leistungen in Anspruch zu nehmen.452 Unerheblich ist dabei, ob es um das Gewinnen neuer Mandate oder den Erhalt bzw. den Ausbau bestehender Mandate geht.453 Neben den herkömmlichen Werbeformen, wie etwa Anzeigen und Broschüren, umfasst der Begriff der Werbung auch das Marketing sowie die Öffentlichkeitsarbeit des Rechtsanwalts insgesamt, 454 einschließlich reiner Aufmerksamkeits- und Imagewerbung,455 ist also weit auszulegen.456 Anwaltliche Werbung muss „über die berufliche Tätigkeit in Form und Inhalt sach- 120 lich“ unterrichten (§ 43b Halbs. 1 BRAO, § 6 Abs. 1 BORA). Dieses berufsrechtliche Sachlichkeitsgebot ist mit höherrangigem Recht vereinbar.457 Über die berufliche Tätigkeit informierend, also „berufsbezogen“ sind Informationen über erworbene Kenntnisse, Qualifikationen, Tätigkeiten und Schwerpunkte des Anwalts sowie alle sonstigen Umstände, die einen Bezug zur anwaltlichen Tätigkeit aufweisen.458 Dazu gehört zum Beispiel auch die Information über die Art der beabsichtigten Zusammenarbeit zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten oder über die Atmosphäre, die bei der Erbringung der Dienstleistungen angestrebt wird.459 Inzwischen ist auch die Angabe von Erfolgs- und Umsatzzahlen nicht mehr generell unzulässig (so § 6 Abs. 2 S. 1 BORA a.F.), sondern nur, wenn sie irreführend ist (s. § 6 Abs. 2 S. 1 BORA).460 Letztlich ist auch vor dem Hintergrund der Dienstleistungs-RL generell eine großzügige Interpretation der Werbefreiheit geboten. Sodann ist die Anwaltswerbung nur zulässig, soweit sie über die berufliche Tätigkeit 121 in sachlicher Form unterrichtet. Im Hinblick auf die Form der Werbung unterliegen
_____
RR 2013, 171, 172 – Spezialist für Familienrecht; OLG Jena 30.3.2011 – 2 U 569/10 – GRUR-RR 2012, 29 – Zweigstellenbriefbogen; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.157. 451 S. BGH 9.6.2011 – I ZR 113/10 – GRUR 2012, 215 Tz. 11 – Zertifizierter Testamentsvollstrecker (zu § 6 BORA); BGH 24.7.2014 – I ZR 53/13 – GRUR 2015, 286 Tz. 8 – Spezialist für Familienrecht (zu § 7 Abs. 2 BORA); OLG Jena 30.3.2011 – 2 U 569/10 – GRUR-RR 2012, 29 – Zweigstellenbriefbogen (zu § 10 BORA). 452 BVerfG 5.3.2015 – 1 BvR 3362/14 – GRUR 2015, 507 Tz. 28 – Werbetassen; BGH 1.3.2001 – I ZR 300/98 – BGHZ 147, 71, 73 = GRUR 2002, 84 – Anwaltswerbung II. 453 BVerfG 5.3.2015 – 1 BvR 3362/14 – GRUR 2015, 507 Tz. 28 – Werbetassen. 454 BVerfG 5.3.2015 – 1 BvR 3362/14 – GRUR 2015, 507 Tz. 28 – Werbetassen (Verteilung von Tassen mit den Kontaktdaten der Kanzlei); zu Art. 24 Dienstleistungs-RL EuGH, 5.4.2011 – C-119/09 – Slg. 2011, I-2551 = EuZW 2011, 681 Tz. 33 – Société fiduciaire nationale d’expertise comptable/Ministre du Budget, des Comptes publics et de la Fonction publique. 455 S. BVerfG 17.4.2000 – 1 BvR 721/99 – NJW 2000, 3195, 3196 (Sponsoring von kulturellen Veranstaltungen); a.A. Koch FS Erdmann, 2002, S. 613, 616 f. 456 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.158. 457 S. BGH 2.7.2018 – AnwZ (Brfg) 24/17 – NJW-RR 2018, 1086 Tz. 17. 458 S. BVerfG 4.8.2003 – 1 BvR 2108/02 – GRUR 2003, 965, 966 – Interessenschwerpunkt „Sportrecht“; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.159. 459 BVerfG 26.10.2004 – 1 BvR 981/00 – BVerfGE 111, 366, 380 = NJW 2004, 3765, 3767 (die Werbung eines Steuerberaters betreffend). 460 Die Neuregelung gilt seit dem 1.7.2015. – Mit Recht wurde dem früheren generellen Verbot entgegengehalten, dass dadurch potentiellen Mandanten Informationen vorenthalten wurden, die diese möglicherweise für relevant für ihre Entscheidung über eine Mandatierung hielten, s. Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 40; Möllers/Mederle WRP 2008, 871, 875 f. Das OLG Nürnberg 22.6.2004 – 3 U 334/04 – NJW 2004, 2167, 2168 hielt das Verbot für mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar.
67
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
Anwälte den für alle Gewerbetreibenden geltenden allgemeinen Beschränkungen des § 7 Abs. 2 für die Werbung per Telefon, Telefax, E-Mail oder ohne erkennbaren Absender. Ansonsten kann der Anwalt Form und Medium der Werbung frei wählen.461 Dass eine besondere Werbeform bisher unüblich war, erlaubt noch nicht eine Einordnung als unzulässige Werbung.462 Denn die Entscheidung, was noch als üblich, als angemessen oder aber als übertrieben gewertet wird, unterliegt zeitbedingten Veränderungen.463 Daher sind grundsätzlich alle denkbaren Formen und Medien für die Anwaltswerbung zulässig,464 insbesondere Werbung in Zeitungen und Zeitschriften465 sowie in Funk und Fernsehen, Werbung im Internet, 466 durch Broschüren, Rundschreiben 467 und ähnliche Druckschriften, durch Postwurfsendungen und durch die Aufnahme und Darstellung in Verzeichnissen und Anwaltslisten. Zulässig ist auch die Außenwerbung, etwa durch Werbung auf Plakatwänden, Litfaßsäulen, Banden, Linienbussen, Taxen etc.468 Weiter gehören zu den zulässigen Formen der Werbung Informations- und Vortragsveranstaltungen, Präsentationen auf Fachmessen und Informationsständen sowie Sponsoring469 und andere Formen der Imagewerbung.470 Die Werbung mit begrenzten Kommunikationsmitteln, wie Domain-Namen und Vanity-Telefonnummern, ist nicht per se unzulässig, auch wenn ihr unausweichlich ein Alleinstellungsmerkmal innewohnt.471 Der Inhalt der Werbung entspricht dem Sachlichkeitsgebot, wenn in der Werbung 122 überprüfbare Tatsachen dargestellt werden, die der Wahrheit entsprechen, etwa wenn über die Tätigkeitsschwerpunkte und Interessen unterrichtet wird,472 wenn – namentlich von einer Sozietät mit zahlreichen Arbeitsschwerpunkten – mit der Aussage „Umfassende Rechtsberatung“ geworben wird,473 oder wenn in einem an Mandanten und Nichtmandanten gerichteten Rundschreiben auf eine Gesetzesänderung hingewiesen wird, um auf den dadurch entstandenen Beratungsbedarf hinzuweisen („client alert“).474 Auch bei Tatsachen gilt allerdings das allgemeine Gebot des § 43b BRAO, wonach die Werbung über die berufliche Tätigkeit unterrichten muss. Der Maßstab ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 12 GG aber großzügig.475 Entsprechendes gilt unter der Dienstleistungs-RL. Auch bei Werbung mit überprüfbaren Tatsachen darf
_____
461 Vgl. BVerfG 28.7.2004 – 1 BvR 159/04 – NJW 2004, 2656, 2658; BGH 27.10.2014 – AnwZ (Brfg) 67/13 – NJW 2015, 72 Tz. 14; BGH 21.2.2002 – I ZR 281/99 – GRUR 2002, 902, 904 f. – Vanity-Nummer. 462 S. BVerfG 17.4.2000 – 1 BvR 721/99 – NJW 2000, 3195 (zur Zulässigkeit des Sponsorings von kulturellen Veranstaltungen); BVerfG 24.7.1997 – 1 BvR 1863/96 – NJW 1997, 2510, 2511 (zur Zulässigkeit der grafischen und farblichen Ausgestaltung des Briefbogens); BVerfG 12.12.2007 – 1 BvR 1625/06 – NJW 2008, 838 (Werbung im Internet). 463 BVerfG 24.7.1997 – 1 BvR 1863/96 – NJW 1997, 2510, 2511. 464 S. nur Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.160; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 166. 465 BGH 26.5.1997 – AnwZ (B) 67/96 – GRUR 1997, 765 – Kombinationsanzeige. 466 BVerfG 12.12.2007 – 1 BvR 1625/06 – GRUR 2008, 352 – Gegnerliste; BVerfG 19.2.2008 – 1 BvR 1886/06 – GRUR 2008, 618 – Anwaltsdienste bei eBay; BVerfG 28.7.2004 – 1 BvR 159/04 – NJW 2004, 2656. 467 BGH 15.3.2001 – I ZR 337/98 – NJW 2001, 2886 – Anwaltsrundschreiben. 468 BVerfG 26.10.2004 – 1 BvR 981/00 – BVerfGE 111, 366 = NJW 2004, 3765 (Straßenbahnwerbung durch Steuerberatungsgesellschaft). 469 BVerfG 17.4.2000 – 1 BvR 721/99 – NJW 2000, 3195. 470 S. BVerfG 17.4.2000 – 1 BvR 721/99 – NJW 2000, 3195; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 165. 471 BGH 21.2.2002 – I ZR 281/99 – GRUR 2002, 902, 905 – Vanity-Nummer. 472 S. BGH 16.6.1994 – I ZR 66/92 – GRUR 1995, 422 – Kanzleieröffnungsanzeige. 473 S. BVerfG 12.9.2001 – 1 BvR 2265/00 – NJW 2001, 3324. 474 BGH 15.3.2001 – I ZR 337/98 – NJW 2001, 2886. 475 BVerfG 4.8.2003 – 1 BvR 2108/02 – GRUR 2003, 965, 966 – Interessenschwerpunkt „Sportrecht“ (zur Zulässigkeit, in einer Kanzleibroschüre auf eigene sportliche Erfolge hinzuweisen).
Metzger/Eichelberger
68
C. Marktverhaltensregelungen
§ 3a
es nicht zu einer Herabsetzung oder Behinderung von Wettbewerbern kommen. So ist es beispielsweise als unsachliche Werbung einzustufen, wenn ein Anwalt in Werbegesprächen darauf hinweist, dass ein Mitbewerber nie zur mündlichen Verhandlung gehe und von den Richtern bereits als „Phantom“ bezeichnet werde.476 Insoweit kommen dann auch Ansprüche aus § 4 Nr. 1 (Herabsetzung) und § 4 Nr. 4 (gezielte Behinderung) in Betracht.477 Ohnehin sind die allgemeinen Vorschriften des Lauterkeitsrechts auch auf die anwaltliche Werbung anwendbar.478 Unvereinbar mit dem Sachlichkeitsgebot sind dagegen Werturteile, die allein auf 123 subjektiven Einschätzungen beruhen und nicht überprüfbar sind.479 So ist beispielsweise die Aussage in einer Anwaltswerbung „Wir werden als adäquate Gesprächspartner auch von den Richtern geschätzt“ als unlauter eingeordnet worden.480 Allerdings ist die Abgrenzung zur Tatsachenbehauptung oft nicht einfach, weil Werturteile auf einem Tatsachenkern beruhen können, der überprüfbar ist. Entspricht der Tatsachenkern der Wahrheit, so kann es sich auch bei einer Bewertung durch den Werbenden um sachliche Werbung handeln. Als unlauter ist allerdings auch dann eine reklamehafte Anpreisung der eigenen Leistungen einzuordnen.481 Dabei sind einzelne Aussagen freilich im Kontext der gesamten Werbung zu betrachten. Wenn beispielsweise die Aussage, die Kanzlei biete „optimale Vertretung“, in eine Reihe von Sachangaben eingebettet ist, etwa über das Spektrum der abgedeckten Rechtsgebiete, die moderne EDV und die gut ausgestattete Fachbibliothek, so kann dies zulässig sein.482 Keinen Wettbewerbsverstoß stellt auch die Kanzleibezeichnung „Anwalt sofort“ dar.483 § 43b BRAO verbietet Werbung, die auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall 124 gerichtet ist. Verboten sind allerdings nur unmittelbar auf die Erteilung eines Auftrags im konkreten Einzelfall gerichtete Maßnahmen, nicht hingegen die allgemeine Werbung um Mandanten.484 So ist es beispielsweise nicht zu beanstanden, wenn Rechtsanwälte bei einer Informationsveranstaltung zur eigenen anwaltlichen Tätigkeit oder zu allgemeinen rechtlichen Themen Personen einladen, zu denen kein mandantschaftliches Verhältnis besteht oder bestanden hat, und ihnen dabei einen kostenlosen Mittagsimbiss anbieten.485 Art. 24 Dienstleistungs-RL hat den Bundesgerichtshof auch hier zu einer (weiteren) Liberalisierung veranlasst. War es vor der Entscheidung „Kommanditistenbrief“ aus dem Jahr 2013 grundsätzlich ohne weiteres unzulässig, Personen gezielt anzusprechen, von denen der Rechtsanwalt wusste oder vermutete, dass bei ihnen konkreter Beratungsbedarf besteht, ist dies nunmehr jedenfalls dann unbedenklich, wenn der Angesprochene tatsächlich Bedarf für Rechtsrat hat und durch die gezielte Ansprache nicht
_____
476 OLG Frankfurt 14.10.2004 – 6 U 198/03 – NJW 2005, 1283. 477 Vgl. dazu auch BGH 29.7.2009 – I ZR 77/07 – GRUR 2010, 349 – EKW-Steuerberater. 478 Vgl. BGH 25.11.2002 – AnwZ (B) 41/02 – NJW 2003, 662 – presserecht.de; BGH 21.2.2002 – I ZR 281/99 – GRUR 2002, 902, 905 – Vanity-Nummer. 479 BGH 4.7.1991 – I ZR 2/90 – BGHZ 115, 105, 113 f. = GRUR 1991, 917, 920 – Anwaltswerbung I („Chefberatung für den Mittelstand“ beruht auf unzulässiger Bewertung der eigenen Leistungsfähigkeit). 480 OLG Frankfurt 14.10.2004 – 6 U 198/03 – NJW 2005, 1283, 1284. 481 S. Begr. RegE des Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und Patentanwälte, BTDrucks. 12/4993 S. 28; BGH 4.7.1991 – I ZR 2/90 – BGHZ 115, 105, 110 = GRUR 1991, 917, 919 – Anwaltswerbung I. 482 BGH 7.1.2005 – I ZR 202/02 – GRUR 2005, 520, 521 f. – Optimale Interessenvertretung (in casu bejaht). 483 OLG Naumburg 8.11.2007 – 1 U 70/07 – GRUR-RR 2008, 173, 174 – Anwalt sofort. 484 BGH 1.3.2001 – I ZR 300/98 – BGHZ 147, 71, 80 = GRUR 2002, 84, 86 – Anwaltswerbung II. 485 BGH 1.3.2001 – I ZR 300/98 – BGHZ 147, 71, 80 = GRUR 2002, 84, 86 – Anwaltswerbung II; anders noch unter früherem (strengeren) Recht BGH 4.7.1991 – I ZR 2/90 – BGHZ 115, 105, 110 ff. = GRUR 1991, 917, 920 – Anwaltswerbung I.
69
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
belästigt, genötigt oder überrumpelt wird.486 Ohnehin erlaubt ist die gezielte Ansprache einer möglichen Zielgruppe für die angebotenen Leistungen, bei der der Rechtsanwalt ein allgemeines Interesse vermuten kann. Auch nach der neuen Rechtsprechung wohl unzulässig, weil unsachlichen Druck ausübend, ist es, Kapitalanleger unaufgefordert namentlich anzuschreiben und mitzuteilen, dass ihnen durch ihre Beteiligung bereits ein Schaden entstanden sei, wegen drohender Verjährung umgehendes Handeln erforderlich sei und bei Interesse dringend Rücksendung verschiedener Unterlagen, unter anderem einer beigefügten, zu unterzeichnenden Prozessvollmacht, erbeten werde.487 Dagegen kann es mit § 43b BRAO zu vereinbaren sein, wenn eine auf die Vertretung von Kapitalanlegern spezialisierte Kanzlei in einem Interessentenschreiben auf der Internet-Seite der Kanzlei mit Informationen zu den Chancen und Risiken einer Vertretung gegenüber einer bestimmten Aktiengesellschaft informiert.488 Als ebenfalls zulässig angesehen wurde ein anwaltliches Rundschreiben an eine große Zahl von Mietern eines bestimmten Vermieters, aus dem hervorgeht, dass der Rechtsanwalt ein Urteil erstritten habe, demzufolge eine bestimmte Klausel in einer bestimmten Fassung der AGB des Vermieters unwirksam sei und er seine Bereitschaft erklärt, entsprechend tätig zu werden.489 Die Fälle illustrieren die mitunter schwierige Abgrenzung im Einzelfall. In Zweifelsfällen sollte in Anbetracht der Dienstleistungs-RL und der Entscheidung „Kommanditistenbrief“ ein liberaler Maßstab angelegt werden. Erst wenn die Werbung in aufdringlicher Weise auszunutzen versucht, dass sich der Umworbene in einer Lage befindet, in der er auf Hilfe angewiesen ist und sich möglicherweise nicht frei für einen Anwalt entscheiden kann, ist der Bereich der zulässigen Werbung verlassen.490 So dürfte es zumeist in psychisch belastenden Situationen (Krankheit, Unfall, Trauer, Strafverfolgung etc.) liegen.491 125
dd) Führen von Fachanwaltsbezeichnungen, Benennung von Teilbereichen (§§ 43c BRAO, 7 BORA). Die Voraussetzungen für das Führen von (maximal drei) Fachanwaltsbezeichnungen finden sich in § 43c BRAO. Die Verwendung des Begriffs „Fachanwälte“ als Zusatz zu der Kurzbezeichnung einer Anwaltssozietät setzt voraus, dass eine den Plural rechtfertigende Zahl von Sozietätsmitgliedern Fachanwälte sind; bei einer überörtlichen Sozietät muss aber nicht an jedem Standort (mindestens) ein entsprechender Fachanwalt vertreten sein.492 Verwendet eine Sozietät in ihrer Kurzbezeichnung eine auf eine Zusatzqualifikation hinweisende Bezeichnung, muss sie dort, wo die Mitglieder der Sozietät namentlich aufgeführt sind, die (Zusatz-)Qualifikation jedes einzelnen Sozietätsmitglieds benennen.493
_____
486 S. BGH 13.11.2013 – I ZR 15/12 – BGHZ 199, 43 = GRUR 2014, 86 Tz. 11 ff. – Kommanditistenbrief (zur Zulässigkeit einer direkten Ansprache von Kommanditisten einer Fondsgesellschaft, deren Inanspruchnahme auf Rückzahlung einer Ausschüttung droht); bestätigt in BGH 2.7.2018 – AnwZ (Brfg) 24/17 – NJW-RR 2018, 1086 Tz. 21 (zur Zulässigkeit von auf Grundlage von Auskünften aus dem Insolvenzregister an die betroffenen Leitungspersonen versandten Werbeschreiben mit rechtlichen Hinweisen zu den Rechten und Pflichten im Insolvenzverfahren). – Ein generelles Verbot, potentielle Kunden individuell anzusprechen, ist mit Art. 24 Dienstleistungs-RL nicht vereinbar, s. EuGH 5.4.2011 – C-119/09 – Slg. 2011, I-2551 = EuZW 2011, 681 – Société fiduciaire nationale d’expertise comptable/Ministre du Budget, des Comptes publics et de la Fonction publique. 487 S. (noch vor BGH – Kommanditistenbrief) OLG Hamburg 2.6.2005 – 5 U 126/04 – NJW 2005, 2783. 488 OLG München 20.12.2001 – 29 U 4592/01 – NJW 2002, 760; s. aber auch OLG München 5.12.2005 – 29 W 2745/05 – GRUR-RR, 2006, 201 – Werbeflyer (nach BGH – Kommanditistenbrief wohl zu streng). 489 OLG Düsseldorf 5.11.2002 – 20 U 105/02 – NJW 2003, 362, 363 f. 490 S. BGH 13.11.2013 – I ZR 15/12 – BGHZ 199, 43 = GRUR 2014, 86 Tz. 21 – Kommanditistenbrief. 491 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.168. 492 BGH 29.3.2007 – I ZR 152/04 – NJW 2007, 2334 Tz. 13 – Fachanwälte. 493 BGH 29.3.2007 – I ZR 152/04 – NJW 2007, 2334 Tz. 14 – Fachanwälte.
Metzger/Eichelberger
70
C. Marktverhaltensregelungen
§ 3a
Die Voraussetzungen für die Angabe von Teilbereichen der Berufstätigkeit finden 126 sich in § 7 BORA.494 Danach dürfen Teilbereiche („Vertragsrecht“, „Medienrecht“) nur benannt werden, wenn der Rechtsanwalt seinen Angaben entsprechende Kenntnisse nachweisen kann, die in der Ausbildung, durch Berufstätigkeit, Veröffentlichungen oder in sonstiger Weise erworben wurden (Abs. 1 S. 1). Wer qualifizierende Zusätze verwendet („Spezialist für“, „Fachmann für“, „Experte für“ etc.), muss zusätzlich über entsprechende theoretische Kenntnisse verfügen und auf dem benannten Gebiet in erheblichem Umfang tätig gewesen sein (Abs. 1 S. 2).495 Generell dürfen Teilbereichsbezeichnungen nicht die Gefahr einer Verwechslung mit Fachanwaltschaften begründen oder sonst irreführend sein (§ 7 Abs. 2 BORA). Wer allerdings über die Fähigkeiten eines Fachanwalts verfügt, ohne als solcher zugelassen zu sein, darf sich als z.B. „Spezialist“ für dieses Fachgebiet bezeichnen.496 Wer sich jedoch zusätzlich zur verliehenen Fachanwaltsbezeichnung als „Spezialist für“ diesen Rechtsbereich bezeichnet, bringt damit zum Ausdruck, dass seine Kenntnisse und praktischen Erfahrungen diejenigen eines „NurFachanwalts“ nicht nur unerheblich überschreiten.497 ee) Weitere Werbebeschränkungen gem. §§ 6–10 BORA. § 6 Abs. 2 S. 1 BORA 127 verbietet die Angabe von Erfolgs- und Umsatzzahlen, wenn sie irreführend ist (s. Rn. 120). – Nach § 6 Abs. 3 BORA darf der Rechtsanwalt nicht daran mitwirken, dass Dritte für ihn Werbung betreiben, die ihm selbst verboten ist („Umgehungsverbot“). Allerdings ist bei der Medienberichterstattung über die anwaltliche Tätigkeit zu beachten, dass insoweit die Kommunikationsgrundrechte in Art. 5 GG zum Tragen kommen. Sofern nicht gezielte Werbung zu erwarten ist, ist der Anwalt deswegen grundsätzlich nicht verpflichtet, die Berichterstattung durch Vorbehalte für Interviews oder ähnliche Maßnahmen auf die Einhaltung von Beschränkungen zu überprüfen, die für seine eigenen Werbeaussagen gelten würden.498 – Als Mediator darf sich gem. § 7a BORA nur bezeichnen, wer durch geeignete Ausbildung nachweisen kann, dass er die Grundsätze des Mediationsverfahrens beherrscht. – Auf eine Verbindung zur gemeinschaftlichen Berufsausübung darf nach § 8 BORA nur hingewiesen werden, wenn sie in einer Sozietät oder in sonstiger Weise mit den in § 59a BRAO genannten Berufsträgern erfolgt. Die Kundgabe jeder anderen Form der beruflichen Zusammenarbeit ist zulässig, sofern nicht der Eindruck einer gemeinschaftlichen Berufsausübung erweckt wird. – Die Bezeichnung der Rechtsanwälte auf dem Briefbogen ist in § 10 BORA geregelt.499
_____
494 Die nach § 7 Abs. 1 BORA a.F. gebotene Differenzierung zwischen „Interessenschwerpunkt“ und „Tätigkeitsschwerpunkt“ ist obsolet. 495 BGH 5.12.2016 – AnwZ (Brfg) 31/14 – NJW 2017, 669 Tz. 9, 12; BGH 24.7.2014 – I ZR 53/13 – GRUR 2015, 286 Tz. 10 – Spezialist für Familienrecht. 496 BGH 24.7.2014 – I ZR 53/13 – GRUR 2015, 286 Tz. 21 ff. – Spezialist für Familienrecht. 497 S. BGH 5.12.2016 – AnwZ (Brfg) 31/14 – NJW 2017, 669 („Fachanwalt für Erbrecht“ und „Spezialist für Erbrecht“). 498 BVerfG 17.9.1993 – 1 BvR 1241/88 – NJW 1994, 123, 124; BGH 28.11.1996 – I ZR 184/94 – GRUR 1997, 473, 475 – Versierter Ansprechpartner. 499 S. dazu BGH 12.6.1997 – I ZR 39/95 – GRUR 1997, 922 – Rechtsanwalt als Minister (Rechtsanwälte, deren Rechte aus der Zulassung kraft Gesetzes – beispielsweise aufgrund einer Ministertätigkeit – ruhen, dürfen unter Angabe dieses Umstands weiter aufgeführt werden); BGH 16.5.2012 – I ZR 74/11 – GRUR 2012, 1275 – Zweigstellenbriefbogen (§ 10 Abs. 1 BORA verpflichtet nicht zur Angabe des Kanzleistandorts, sondern nur zur Angabe der Kanzleianschrift; weder nach § 10 Abs. 1 BORA noch mit Blick auf § 5a Abs. 2 UWG muss der Rechtsanwalt angeben, dass eine oder mehrere Zweigstellen unterhalten werden; ebensowenig muss kenntlich gemacht werden, wo sich die Kanzlei und wo sich die Zweigstelle(n) befinden); OLG Stuttgart 4.8.2005 – 2 U 38/05 – NJW 2005, 3429 (die Befugnis des § 10 Abs. 4 BORA, ausgeschiedene Berufsträger unter Angabe dieses Umstands weiter aufzuführen, setzt eine Kontinuität der Kanzlei voraus, gilt also nicht, wenn es sich tatsächlich um eine Kanzleineugründung handelt).
71
Metzger/Eichelberger
§ 3a
128
Rechtsbruch
2. Notare. Notare haben nach § 29 Bundesnotarordnung (BNotO) „jedes gewerbliche Verhalten, insbesondere eine dem öffentlichen Amt widersprechende Werbung zu unterlassen.“ Ihnen ist also Werbung nicht per se untersagt. Ein generelles Werbeverbot wäre mit Blick auf den auch den „staatlich gebundenen“ Beruf eines Notars schützenden Art. 12 Abs. 1 GG auch gar nicht möglich.500 Unzulässig ist jedoch jedes Verhalten, das den Eindruck erwecken könnte, die Unparteilichkeit und Unabhängigkeit des Notars werde durch ein gewerbliches, gewinnorientiertes Marktverhalten beeinflusst.501 Obschon die Werberegelungen für Notare in § 29 BNotO primär dem Schutz des Ansehens des öffentlichen Amtes und des Vertrauens in die Objektivität und Integrität der Amtsführung dienen, kommt ihnen gleichwohl eine sekundäre wettbewerbsschützende Funktion zu, so dass es sich um Marktverhaltensregelungen im Interesse der Marktteilnehmer handelt.502 3. Steuerberater
129
a) Berufszugang. Gem. §§ 2 und 5 SteuerberatungsG (StBerG) ist die geschäftsmäßige Hilfeleistung in Steuersachen (zum Begriff s. § 1 Abs. 1 und 2 StBerG)503 den in den §§ 3, 3a und 4 StBerG genannten Personen vorbehalten. Einige Ausnahmen davon finden sich in § 6 StBerG: die Erstattung wissenschaftlich begründeter Gutachten (Nr. 1), die unentgeltliche Hilfeleistung in Steuersachen für Angehörige (Nr. 2), die Durchführung bestimmter mechanischer Arbeitsgänge (Nr. 3) sowie das Kontieren und ähnliche Tätigkeiten durch beruflich qualifizierte Personen (Nr. 4).504 Die nicht geschäftsmäßige Hilfeleistung ist ohnehin frei. Geschäftsmäßigkeit ist gegeben, wenn jemand ausdrücklich oder erkennbar die Absicht verfolgt, die Tätigkeit in gleicher Art zu wiederholen und zu einem wiederkehrenden oder dauernden Bestandteil seiner selbständigen Beschäftigung zu machen.505 Die Erlaubnisbedürftigkeit der geschäftsmäßigen Hilfeleistung in
_____
500 S. BVerfG 8.3.2005 – 1 BvR 2561/03 – BVerfGE 112, 255 = NJW 2005, 1483. – Die Dienstleistungs-RL ist hingegen nach Art. 2 Abs. 2 lit. i Dienstleistungs-RL auf die Tätigkeit von Notaren nicht anwendbar. 501 BGH 16.7.2001 – NotZ 12/01 – NJW-RR 2002, 58 (bejaht für die Anbringung von insgesamt drei – statt einem – Namensschild, eines davon „mannsgroß“: dies vermittle den nachhaltigen Eindruck, dass der Notar ohne besonderen Sachbezug gezielt für seine Praxis wirbt, indem er in möglichst auffälliger Art und Weise auf seine Praxisräume hinweist; hinzu komme, dass auch die Gestaltung der Eingangstür mit einem mannshohen Praxisschild die Aufmerksamkeit von Passanten in einer reklamehaften Art und Weise anspricht, die allein den Zweck haben kann, potentielle Kunden bewusst werbeträchtig auf seine Geschäftsstelle hinzuweisen). 502 KG 24.5.2005 – 5 W 70/05 – GRUR-RR 2005, 323 – Notarabmahnung; OLG Celle 25.11.2003 – Not 27/03 – BeckRS 2004, 01338; Harte/Henning/v. Jagow § 3a Rn. 65; a.A. GK-UWG2/Metzger § 4 Nr. 11 Rn. 65. 503 S. dazu auch OLG Frankfurt 8.12.2016 – 6 U 51/16 – DStRE 2017, 1150 Tz. 13: Die Angelegenheit muss unmittelbar oder mittelbar mit der Verwirklichung von Steuertatbeständen bzw. Steuerstraf- und -ordnungswidrigkeitentatbeständen zu tun haben. Daran fehlt es bei einer bloßen Bitte um Stundung oder Erlass. 504 Auf Grundlage des § 6 Nr. 4 StBerG (zulässigerweise) tätige Personen sind berechtigt, auf ihre Befugnis zur Hilfeleistung in Steuersachen hinzuweisen und sich als „Buchhalter“ bzw. – bei Vorliegen eines entsprechenden Abschlusses – „Geprüfter Bilanzbuchhalter“ zu bezeichnen (§ 8 Abs. 4 StBerG). Sie sind aber nicht verpflichtet, sich so zu bezeichnen, d.h. sie dürfen auch eine andere Bezeichnung führen, soweit diese nicht ihrerseits – wie etwa „Steuerberater“ oder „Steuerbevollmächtigter“ – an bestimmte Voraussetzungen geknüpft ist. S. BGH 25.6.2015 – I ZR 145/14 – GRUR 2015, 1019 Tz. 15 f. – Mobiler Buchhaltungsservice. In casu war die gewählte Bezeichnung „Mobiler Buchhaltungsservice“ allerdings irreführend nach § 5 Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 1. S. auch BGH 21.2.2008 – I ZR 142/05 – GRUR 2008, 815 – Buchführungsbüro. 505 BFH 4.10.1995 – VII R 38/95 – BFHE 178, 518, 521 f. = BeckRS 1995, 22011595; OLG Frankfurt 8.12.2016 – 6 U 51/16 – DstRE 2017, 1150 Tz. 12.
Metzger/Eichelberger
72
C. Marktverhaltensregelungen
§ 3a
Steuersachen soll das Interesse der Steuerpflichtigen, sich bei der Erledigung ihrer Steuerangelegenheiten der Hilfe anderer Personen zu bedienen, sowie das Interesse der Allgemeinheit berücksichtigen, dass im Steuerwesen nur Personen tätig werden, denen die Bearbeitung öffentlicher Angelegenheiten ohne Sorge anvertraut werden kann.506 Im Interesse des Steueraufkommens, der Steuermoral sowie zum Schutz gesetzesunkundiger Steuerpflichtiger, die durch Falschberatung unfähiger und ungeeigneter Berater schwere Nachteile erleiden können, soll sichergestellt werden, dass nur solche Berater geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen leisten, die dazu die erforderliche sachliche und persönliche Zuverlässigkeit besitzen.507 Außerdem ist der Schutz der Unabhängigkeit des Steuerberaters bezweckt.508 Deshalb handelt es sich bei den Zugangsregelungen zur geschäftsmäßigen Steuerberatung zugleich um Marktverhaltensregelungen, die jedenfalls auch den Schutz von Verbrauchern und anderen Marktteilnehmern bezwecken.509 Unerlaubte Steuerberatung ist deswegen zugleich unlauteres Marktverhalten. Ein Lohnsteuerhilfeverein, der einem Mitglied Hilfe in Steuerfragen leistet, das 130 auch Einkünfte aus einem Gewerbebetrieb hat, und damit die Grenzen des § 4 Nr. 11 StBerG überschreitet, handelt unlauter,510 ebenso ein Lohnsteuerverein, der die Erhebung der Mitgliedsbeiträge generell von der Beratungsleistung abhängig macht und damit gegen § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 StBerG verstößt.511 b) Berufsausübung. Das StBerG und die Berufsordnung der Bundessteuerbera- 131 terkammer (BOStB) enthalten verschiedene Ausübungsregeln für die Tätigkeit von Steuerberatern. Marktverhaltensregelungen sind beispielsweise die Vorschriften zur Niederlassung und zur Unterhaltung von Zweigstellen in § 34 StBerG.512 So beruht die Regelung des § 34 Abs. 2 S. 2 StBerG, wonach eine weitere Beratungsstelle von einem anderen Steuerberater oder Steuerbevollmächtigten geleitet werden muss, der seine berufliche Niederlassung am Ort dieser Beratungsstelle oder in deren Nahbereich hat, auf der Erwägung, dass die gleichzeitige Leitung einer Hauptniederlassung und einer auswärtigen Beratungsstelle die gewissenhafte Berufsausübung des Steuerberaters gefährdet, und soll insbesondere der Gefahr vorbeugen, dass der zwischen mehreren Beratungsstellen hin und her pendelnde Steuerberater für seine Mandanten, andere Angehörige der steuerberatenden Berufe, Behörden und Gerichte nur in eingeschränktem Umfang erreichbar ist.513 Andere als die genannten Personen unterliegen nicht der
_____
506 BverfG 18.6.1980 – 1 BvR 697/77 – BverfGE 54, 301, 315 = NJW 1981, 33, 33 f. – Verfassungswidrigkeit des Buchführungsprivilegs (zum StBerG 1975). 507 BverfG 18.6.1980 – 1 BvR 697/77 – BverfGE 54, 301, 315 = NJW 1981, 33, 33 f. – Verfassungswidrigkeit des Buchführungsprivilegs (zum StBerG 1975); BGH 9.10.1986 – I ZR 138/04 – BGHZ 98, 330, 335 = GRUR 1987, 172, 175 f. – Unternehmensberatungsgesellschaft I. 508 OLG Brandenburg 12.7.2005 – 6 U 108/04 – GRUR-RR 2006, 167 – Buchführungsbüro. S. dazu auch BGH 9.10.1986 – I ZR 138/84 – BGHZ 98, 330, 335 = GRUR 1987, 172, 175 f. – Unternehmensberatungsgesellschaft I (zur – auch lauterkeitsrechtlich – unzulässigen Steuerberatung durch eine nicht dazu befugte Unternehmensberatungsgesellschaft, die die Beratung durch von ihr beauftragte und bezahlte Steuerberater als ihre Erfüllungsgehilfen ausübt). 509 BGH 19.4.2007 – I ZR 92/04 – GRUR 2007, 994 Tz. 13 – Gefälligkeit (zu § 4 Nr. 11 StBerG); BGH, 21.2.2008 – I ZR 142/05 – GRUR 2008, 815 Tz. 12 – Buchführungsbüro; OLG Frankfurt 8.12.2016 – 6 U 51/16 – DStRE 2017, 1150; OLG Brandenburg 12.7.2005 – 6 U 108/04 – GRUR-RR 2006, 167 – Buchführungsbüro; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.177; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 136. 510 BGH 19.4.2007 – I ZR 92/04 – GRUR 2007, 994 Tz. 13 – Gefälligkeit. 511 BGH 15.6.1989 – I ZR 158/87 – GRUR 1989, 838, 839 – Lohnsteuerhilfeverein III. 512 Vgl. BGH 9.11.2000 – I ZR 185/98 – GRUR 2001, 348, 349 – Beratungsstelle im Nahbereich (zu § 34 Abs. 2 S. 2 StBerG). 513 BGH 9.11.2000 – I ZR 185/98 – GRUR 2001, 348, 349 – Beratungsstelle im Nahbereich; BGH 14.10.2010 – I ZR 95/09 – GRUR 2011, 537 Tz. 19 – Anwerbung selbstständiger Buchhalter; ebenso
73
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
Residenzpflicht, so dass ein Steuerberater, der selbständige Buchhalter als freie Mitarbeiter ohne Beschränkung auf den Nahbereich zu seiner Niederlassung anwirbt, weder gegen § 34 Abs. 2 S. 2 StBerG noch gegen § 7 BOStB a.F. (= § 17 BOStB) verstößt.514 Durch die Regelung der zulässigen Berufsbezeichnungen (§ 43 StBerG) soll das 132 Vertrauen in eine bestimmte Qualifikation des am Markt Auftretenden geschützt werden; sie ist deshalb eine Marktverhaltensregelung.515 Neben der Berufsbezeichnung „Steuerberater“ den Zusatz „Vorsitzender Richter a.D.“ zu führen, verstößt gegen § 43 Abs. 2 StBerG.516 Ob ein Steuerberater unlauter handelt, wenn seine Gebühren nicht vom Beratenen 133 selbst, sondern von einem Dritten bezahlt werden, ist umstritten. Der Bundesgerichtshof und ein Teil der Literatur nehmen dies unter Verweis auf die nach § 57 Abs. 1 StBerG gebotene Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Tätigkeit des Steuerberaters an.517 Nach anderer Auffassung dienen die Vorschriften allein dem Allgemeininteresse an der Integrität der Steuerrechtspflege und sind deshalb keine Marktverhaltensregelungen.518 Entscheidend dürfte sein, dass der Steuerberater bei der Zahlung seiner Vergütung durch einen Dritten in einen Interessengegensatz zwischen dem Dritten und dem Mandanten geraten kann: Während der Mandant ein berechtigtes Interesse an einer am Einzelfall orientierten umfassenden Beratung habe, müsse der Steuerberater mit der Möglichkeit rechnen, dass er vom Dritten zukünftig nicht mehr berücksichtigt wird, wenn diesem die Tätigkeit des Steuerberaters als zu umfangreich und damit dessen Gebührenrechnung als zu hoch erscheint.519 Das Gebot der unabhängigen und eigenverantwortlichen Beratung in § 57 Abs. 1 StBerG dient deshalb auch dem Schutz der Mandanten und ist deshalb als Marktverhaltensregelung einzuordnen. – Zur Unterschreitung der gesetzlich vorgeschriebenen Mindesthonorare (§ 64 StBerG) siehe Rn. 253. 134
c) Werberecht. Werbung ist dem Steuerberater erlaubt, „soweit sie über die berufliche Tätigkeit in Form und Inhalt sachlich unterrichtet und nicht auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall gerichtet ist“ (§ 57a StBerG). Diese Regelung entspricht der für Rechtsanwälte in § 43b BRAO. Überhaupt ist das Werberecht (§§ 57, 57a StBerG, § 9 BOStB [= § 10 BOStB a.F.]) ganz ähnlich dem der Rechtsanwälte ausgestaltet, so dass die dazu geltenden Grundsätze (s. Rn. 115 ff.) übertragbar sind.520 Es handelt sich um Marktverhaltensregelungen.521 Gegen § 57a StBerG verstößt es beispielsweise, wenn in der
_____
Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.129; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 49; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 118; a.A. Ullmann GRUR 2003, 8127, 822. 514 BGH 14.10.2010 – I ZR 95/09 – GRUR 2011, 537 Tz. 13 ff. – Anwerbung selbstständiger Buchhalter. 515 OLG Karlsruhe 22.8.2012 – 4 U 90/12 – NJW-RR 2012, 1406. 516 OLG Karlsruhe 22.8.2012 – 4 U 90/12 – NJW-RR 2012, 1406. Dort auch zu weiteren Beispielen unzulässiger Zusätze: „Regierungsdirektor a.D“, „zertifizierter Rating-Analyst“ (OLG Karlsruhe 19.6.2012 – StO 1/11 – NJW-RR 2012, 1526), „Fachberater für Sanierung und Insolvenzverwaltung (DStV)“ (BFH 23.2.2010 – VII R 24/09 – BFHE 228, 568 = NJOZ 2011, 325), „zertifizierter Finanzplaner (FH)“ (OLG Karlsruhe 15.5.2009 – StO 1/08 – BeckRS 2009, 17597), „Steuersyndikus a. D.“ oder „Bankdirektor i. R.“. 517 BGH 9.10.1986 – I ZR 16/85 – BGHZ 98, 337, 338 ff. = GRUR 1987, 176, 177 – Unternehmensberatungsgesellschaft II; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.129; MünchKommUWG/ Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 135. 518 Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 49. 519 BGH 9.10.1986 – I ZR 16/85 – BGHZ 98, 337, 338 ff. = GRUR 1987, 176, 177 – Unternehmensberatungsgesellschaft II. 520 Ebenso Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.178. Einen Überblick zum Werberecht der Steuerberater gibt Köhler DStR 2011, 428; s. auch Ruppert DStR 2011, 138, 141. 521 S. BGH 29.7.2009 – I ZR 77/07 – GRUR 2010, 349 Tz. 19 – EKW-Steuerberater (zu § 57a StBerG und zu § 10 Abs. 2 BOStB a.F.).
Metzger/Eichelberger
74
C. Marktverhaltensregelungen
§ 3a
Werbung eines Steuerberaters die Preiswürdigkeit und die fachliche Qualität der Leistung von Wettbewerbern in unlauterer Weise pauschal herabgesetzt werden.522 Dagegen gilt auch bei Steuerberatern, dass allein die Verwendung einer bislang unüblichen Form der Werbung – etwa Werbung auf Straßenbahnwagen – für sich genommen keinen Verstoß gegen das Werberecht darstellt.523 Dasselbe gilt für die Verwendung eines aus dem Gattungsbegriff der Steuerberatung und einem regional eingegrenzten Tätigkeitsgebiet zusammengesetzten Internet-Domainnamens. 524 Auch ergibt sich aus den §§ 57, 57a StBerG kein generelles Verbot, als Aussteller an Fachmessen teilzunehmen und Informationsmaterial für interessierte Messebesucher bereitzuhalten,525 ebenso nicht das Verbot, in den Praxisräumen eine Informationsveranstaltung abzuhalten, bei der über steuerrechtliche Themen allgemein referiert und Fragen der Teilnehmer beantwortet werden.526 Die Verpflichtung für Lohnsteuerhilfevereine, die entsprechende Bezeichnung im 135 Vereinsnamen zu führen (§ 18 StBerG) regelt die Außendarstellung des Vereins und dient dem Schutz der Öffentlichkeit vor einer Irreführung; sie ist deshalb eine Marktverhaltensregelung.527 Sie verpflichtet aber nicht dazu, bei Werbemaßnahmen stets den Zusatz „Lohnsteuerhilfeverein“ zu führen oder den vollen Vereinsnamen anzugeben.528 Auch muss ein Lohnsteuerhilfeverein, der in einer Werbeanzeige allein auf sein Bestehen hinweist, nicht zugleich erklären, dass eine Beratung nur im Rahmen einer Mitgliedschaft bei ihm möglich und er auch lediglich in eingeschränktem Umfang zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen befugt ist.529 4. Ärzte, Zahnärzte, Heilpraktiker, Kliniken a) Berufszulassungs- und -ausübungsregeln aa) Ärzte. Wer den ärztlichen Beruf ausüben möchte, bedarf nach § 2 Abs. 1 Bun- 136 desärzteordnung (BÄO) grundsätzlich der Approbation als Arzt. Ausnahmen, insbesondere für unionsrechtliche Dienstleistungserbringer, finden sich in § 2 Abs. 2–4 BÄO. Die Regelung des Berufszugangs soll eine qualitativ hochwertige ärztliche Versorgung sicherstellen; es handelt sich deshalb nicht um eine reine Marktzutrittsregelung, sondern zugleich um eine Marktverhaltensregelung, so dass Verstöße auch lauterkeitsrechtlich verfolgt werden können.530 Das ärztliche Berufsrecht findet sich insbesondere in den von den Landesärztekam- 137 mern erlassenen Berufsordnungen (BO-Ä), die sich weitgehend an der – selbst jedoch keine Rechtsqualität besitzenden531 – Musterberufsordnung der Bundesärztekammer (MBO-Ä) orientieren. Welche dieser Vorschriften Marktverhaltensregelungen im Interes-
_____
522 BGH 29.7.2009 – I ZR 77/07 – GRUR 2010, 349 – EKW-Steuerberater (auch zur parallel in Betracht kommenden Herabsetzung nach § 4 Nr. 1 und zur gezielten Behinderung nach § 4 Nr. 4). 523 BVerfG 26.10.2004 – 1 BvR 981/00 – BVerfGE 111, 366 = NJW 2004, 3765. 524 BGH 1.9.2010 – StbSt (R) 2/10 – GRUR-RR 2011, 7 Tz. 5 – steuerberater-suedniedersachsen.de. 525 BGH 3.12.1998 – I ZR 112/96 – GRUR 1999, 748, 749 ff. – Steuerberaterwerbung auf Fachmessen. 526 BGH 15.12.1997 – StbSt (R) 5/97 – NJW 1998, 1965 – Informationsveranstaltung eines Steuerberaters. 527 BGH 28.6.2007 – I ZR 153/04 – GRUR 2008, 186 Tz. 33 – Telefonaktion. 528 BGH 28.6.2007 – I ZR 153/04 – GRUR 2008, 186 Tz. 35 – Telefonaktion (zur Werbung unter „Lohnsteuerhilfe B. e.V.“; auch eine – grundsätzlich denkbare – Irreführung liegt darin nicht). 529 BGH 14.10.2010 – I ZR 5/09 – GRUR 2011, 535 – Lohnsteuerhilfeverein Preußen. 530 S. (obiter) BGH 25.4.2002 – I ZR 250/00 – GRUR 2002, 825 – Elektroarbeiten; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.131. 531 S. BGH 29.6.2000 – I ZR 59/98 – GRUR 2000, 1080, 1081 f. – Verkürzter Versorgungsweg; OLG Köln 4.11.2005 – 6 U 46/05 – GRUR 2006, 600 – Hörgeräte-Aktien.
75
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
se der Marktteilnehmer sind, ist durch Auslegung im jeweiligen Einzelfall danach zu ermitteln, ob diese nach ihrem Schutzzweck dazu bestimmt ist, die Interessen der Verbraucher zu wahren oder die Wettbewerbsgleichheit innerhalb der Ärzteschaft herzustellen.532 Marktverhaltensregelung ist beispielsweise § 3 Abs. 2 MBO-Ä, der es Ärzten untersagt, im Zusammenhang mit der Ausübung ihrer ärztlichen Tätigkeit Waren und andere Gegenstände abzugeben oder unter ihrer Mitwirkung abgeben zu lassen oder gewerbliche Dienstleistungen zu erbringen oder erbringen zu lassen, soweit nicht die Abgabe des Produkts oder die Erbringung der Dienstleistung wegen ihrer Besonderheiten notwendiger Bestandteil der ärztlichen Therapie sind.533 Die Vorschrift will die Unabhängigkeit der ärztlichen Tätigkeit sichern und eine Verbindung von ärztlicher Therapie und merkantilen Interessen verhindern; der Patient soll darauf vertrauen können, dass sich der Arzt nicht von kommerziellen Interessen, sondern ausschließlich von medizinischen Notwendigkeiten leiten lässt.534 Zugleich ist der Schutz der Ärzteschaft bei deren Wettbewerb untereinander sowie gegenüber anderen Leistungserbringern bezweckt.535 Marktverhaltensregelungen sind weiter das Verbot der unerlaubten Zuweisung in § 31 MBO-Ä (= § 34 Abs. 1, 5 MBO-Ä a.F.), das es Ärzten untersagt, für die Zuweisung von Patientinnen und Patienten oder Untersuchungsmaterial oder für die Verordnung oder den Bezug von Arznei- oder Hilfsmitteln oder Medizinprodukten ein Entgelt oder andere Vorteile zu fordern, sich oder Dritten versprechen oder gewähren zu lassen oder selbst zu versprechen oder zu gewähren (Abs. 1) oder ihren Patienten ohne hinreichenden Grund bestimmte Ärzte, Apotheken, Heil- und Hilfsmittelerbringer oder sonstige Anbieter gesundheitlicher Leistungen zu empfehlen oder an diese zu verweisen (Abs. 2).536 Ebenfalls Marktverhaltensregelung ist das Verbot unerlaubter Zuwendungen in § 32 MBO-Ä.537 Generell lässt sich sagen, dass die Vorschriften über die Pflichten gegenüber den Pa138 tienten (§§ 7–12 MBO-Ä) und über das berufliche Verhalten (§§ 17–33 MBO-Ä) in der Regel zugleich Marktverhaltensregelungen im Interesse der Marktteilnehmer sind.538 Demgegenüber dient das berufsrechtliche Verbot, bei der künstlichen Befruchtung fremde Eizellen zu verwenden (Verbot der Eizellspende), wie die entsprechenden Regelungen in § 1 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 ESchG allein der Wahrung des Kindeswohls und sind deshalb keine Marktverhaltensregelungen.539 139
bb) Zahnärzte. Das Berufszulassungs- und -ausübungsrecht der Zahnärzte ist der Sache nach parallel zu dem der Ärzte geregelt. Maßgeblich sind zum einen das ZahnheilkundeG (ZHG), zum anderen die von den Landeszahnärztekammern erlassenen
_____
532 BGH 8.10.2015 – I ZR 225/13 – GRUR 2016, 513 Tz. 32 – Eizellspende. 533 S. BGH 9.7.2009 – I ZR 13/07 – GRUR 2009, 977 Tz. 10 – Brillenversorgung; BGH 29.5.2008 – I ZR 75/05 – GRUR 2008, 816 Tz. 13 – Ernährungsberatung; BGH 2.6.2005 – I ZR 215/02 – GRUR 2005, 875, 876 – Diabetesteststreifen. 534 BGH 29.5.2008 – I ZR 75/05 – GRUR 2008, 816 Tz. 19 – Ernährungsberatung. 535 BGH 2.6.2005 – I ZR 215/02 – GRUR 2005, 875, 876 f. – Diabetesteststreifen. 536 S. BGH 24.7.2014 – I ZR 68/13 – GRUR 2015, 283 Tz. 23 – Hörgeräteversorgung III (zu § 31 Abs. 2 BO-Ä Bad.-Württ.); BGH 13.1.2011 – I ZR 111/08 – GRUR 2011, 345 Tz. 64 – Hörgeräteversorgung II und BGH 13.1.2011 – I ZR 112/08 – BeckRS 2011, 03479 (beide zu § 31 BO-Ä Niedersachsen); BGH 29.6.2000 – I ZR 59/98 – GRUR 2000, 1080, 1082 – Verkürzter Versorgungsweg (zu § 34 MBO-Ä a.F.); OLG Schleswig 4.11.2003 – 6 U 17/03 – GRUR 2004, 171, 173 – Pauschalentgelte (zu § 32 BO-Ä Schleswig-Holstein). 537 Vgl. OLG München 9.6.2011 – 29 U 2026/08 – GRUR-RR 2012, 260, 261 – Arzt-Seminare 2007; OLG München 3.12.2009 – 29 U 3781/09 – GRUR-RR 2010, 305, 306 – Arzneimitteldatenbank (beide zu § 32 BO-Ä Bayern). 538 Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 53; s. auch Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.132. 539 BGH 8.10.2015 – I ZR 225/13 – GRUR 2016, 513 Tz. 33 – Eizellspende.
Metzger/Eichelberger
76
C. Marktverhaltensregelungen
§ 3a
Berufsordnungen für Zahnärzte (BO-ZÄ). Zur Qualität der Regelungen als Marktverhaltensregelungen gilt das zu den ärztlichen Regelungen Gesagte (s. Rn. 136 f.) entsprechend. Von der Bundeszahnärztekammer gibt es eine Musterberufsordnung der Zahnärzte (MBO-ZÄ). Wer die Zahnheilkunde ausüben möchte, bedarf nach § 1 ZHG grundsätzlich der 140 Approbation als Zahnarzt. Ausnahmen, insbesondere für unionsrechtliche Dienstleistungserbringer, finden sich in den folgenden Absätzen. Weil das Approbationserfordernis die Sicherung der Qualität der zahnärztlichen Leistung bezweckt, handelt es sich – wie bei der parallelen Regelung im ärztlichen Bereich – um eine Marktzutritts- und zugleich um eine Marktverhaltensregelung.540 Ausübung der Zahnheilkunde ist die berufsmäßige auf zahnärztlich wissenschaftliche Erkenntnisse gegründete Feststellung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten, wobei als Krankheit jede von der Norm abweichende Erscheinung im Bereich der Zähne, des Mundes und der Kiefer anzusehen ist, einschließlich der Anomalien der Zahnstellung und des Fehlens von Zähnen (Abs. 3).541 Keiner eigenen Approbation bedarf ein Unternehmen, das zahnärztliche Leistungen von angestellten und hinsichtlich der konkreten Heilbehandlungstätigkeit unabhängigen, approbierten Zahnärzten erbringen lässt.542 Aus dem zahnärztlichen Berufsrecht sind Marktverhaltensregelungen beispiels- 141 weise: das in § 1 Abs. 5 BO-ZÄ Nordrhein enthaltene Gebot, keine Verpflichtung einzugehen, die die Unabhängigkeit bei der Berufsausübung beeinträchtigen kann, denn diese Bestimmung soll gewährleisten, dass der Zahnarzt die Entscheidung, ob und wie er einen Patienten behandelt, nicht an sachfremden wirtschaftlichen Eigeninteressen, sondern allein an medizinischen Erwägungen mit Blick auf das Patientenwohl ausrichtet, und ist somit dazu bestimmt, das Marktverhalten der Zahnärzte im Interesse der Verbraucher zu regeln,543 sowie das in § 8 BO-ZÄ Bayern (= § 8 MBO-ZÄ) enthaltene Gebot der Kollegialität.544 cc) Heilpraktiker. Nach § 1 Abs. 1 HeilpraktikerG (HeilprG) ist die Ausübung der 142 Heilkunde, „ohne als Arzt bestallt zu sein“, erlaubnispflichtig. Der Einzelne und die Allgemeinheit sollen vor unberufenen Heilbehandlern geschützt werden.545 Es handelt sich um eine Markzutritts- und zugleich Marktverhaltensregelung.546 Generell, das heißt auch für Inhaber einer Erlaubnis nach § 1 Abs. 1 HeilprG, unzulässig ist die Ausübung der Heilkunde „im Umherziehen“ (§ 3 HeilprG).547
_____
540 OLG Frankfurt 1.3.2012 – 6 U 264/10 – BeckRS 2012, 5488; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 141; zu § 1 a.F. KG 4.4.2000 – 5 U 10043/99 – BeckRS 2000, 20105021; OLG Zweibrücken 21.8.1998 – 2 U 29/97 – WRP 1999, 228, 230. 541 S. dazu OLG Frankfurt 1.3.2012 – 6 U 264/10 – BeckRS 2012, 5488; OLG Frankfurt 20.2.2001 – 22 U 222/00 – NJOZ 2002, 829 (beide zur berufsrechtlichen Einordnung des Bleachings); OLG Zweibrücken 21.8.1998 – 2 U 29/97 – WRP 1999, 228, 230 f. (zur Abgrenzung der Zahnheilkunde zur allgemeinen Heilkunde); BGH 20.5.1958 – I ZR 104/57 – GRUR 1959, 35 – Zahnprotetiker (die berufsmäßige Eingliederung von Zahnersatz ist Ausübung der Zahnheilkunde). 542 BGH 25.11.1993 – I ZR 281/91 – BGHZ 124, 224 = NJW 1994, 786 – GmbH-Zahnbehandlungsangebot. 543 BGH 21.5.2015 – I ZR 183/13 – GRUR 2015, 1237 Tz. 17 f. – Erfolgsprämie für die Kundengewinnung. 544 BGH 1.12.2010 – I ZR 55/08 – GRUR 2011, 343 Tz. 10 – Zweite Zahnarztmeinung. 545 OLG Karlsruhe 17.2.2012 – 4 U 197/11 – WRP 2012, 1579 Tz. 18 – Faltenunterspritzung. Zur Vereinbarkeit mit Art. 12 Abs. 1 GG s. BVerfG 10.5.1988 – 1 BvR 482/84 u. 1 BvR 1166/85 – BVerfGE 78, 179 = NJW 1988, 2290. 546 S. OLG Karlsruhe 17.2.2012 – 4 U 197/11 – WRP 2012, 1579 Tz. 17 – Faltenunterspritzung; OLG Frankfurt 12.8.2010 – 6 U 77/09 – GRUR-RR 2011, 100, 101 – Atlaswirbelkorrektur; OLG Celle 24.7.2008 – 13 U 14/08 – GRUR-RR 2008, 427, 428 – Fit durch den Winter; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.141. 547 S. dazu BGH 12.7.1957 – I ZR 8/56 – GRUR 1957, 606, 608 – Heilmittelvertrieb.
77
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
143
Ausübung der Heilkunde ist „jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen, auch wenn sie im Dienste von anderen ausgeübt wird“ (§ 1 Abs. 2 HeilprG). Weil bei wörtlicher Auslegung auch zahlreiche heilkundliche Verrichtungen mehr handwerklicher oder technischer Art unter das Ausübungsverbot fallen würden, was ersichtlich nicht Sinn und Zweck des Gesetzes sein sollte,548 sowie mit Blick auf Art. 12 Abs. 1 GG, ist jedoch eine einschränkende Auslegung notwendig.549 Vom Ausübungsverbot werden deshalb nur Tätigkeiten erfasst, die ärztliche Fachkenntnisse voraussetzen und gesundheitliche Schädigungen zur Folge haben können, wobei freilich auch mittelbare Gesundheitsgefährdungen genügen, namentlich dadurch, dass das frühzeitige Erkennen ernster Leiden, das ärztliches Fachwissen voraussetzt, verzögert werden kann, und dass die Wahrscheinlichkeit einer solchen Gefährdung nicht nur geringfügig ist.550 Dies kann nur im konkreten Einzelfall beurteilt werden.551 Nach diesen Grundsätzen wird beispielsweise die Bestimmung der Sehschärfe durch Optiker nicht von § 1 HeilprG erfasst,552 die Messung des Augeninnendrucks sowie die Gesichtsfeldmessung hingegen schon, wenn der Optiker den Kunden dabei nicht zugleich darüber aufklärt, dass seine Dienstleistung eine ärztliche Behandlung nicht ersetzt.553 Ebenfalls keine Heilkunde im Sinne des § 1 Abs. 2 HeilprG ist die Messung und Abschirmung von Erdströmen, auch wenn sich der Kunde hiervon eine Linderung von Kopfschmerzen erhofft.554 Entsprechendes gilt für „rituelle Heilungen“: Wer derartiges in Anspruch nimmt, setzt sein Vertrauen gerade nicht in die Heilkunde, sondern wählt etwas von einer Heilbehandlung Verschiedenes, wenngleich auch auf diesem Weg Genesung erhofft wird; davor zu schützen ist aber nicht Sache des HeilprG.555 Schon dem Wortlaut nach nicht erfasst ist die Krankheitsvorbeugung beim gesunden Menschen, mithin auch Leistungen, die lediglich allgemein auf eine Verbesserung des allgemeinen Wohlbefindens gerichtet sind.556
144
dd) Weitere Heil- und Heilhilfsberufe. Die in Bezug auf Ärzte, Zahnärzte und Heilpraktiker angestellten Erwägungen gelten dem Grunde nach für alle weiteren Heil(zu Apothekern s. Rn. 155) und Heilhilfsberufe entsprechend. Insofern handelt es sich auch bei den dortigen Berufsausübungs-, -zugangs- und Werberegelungen häufig zugleich um Marktverhaltensregelungen im Interesse der Marktteilnehmer. So beispielsweise bei § 1 Abs. 1 PodologenG (PodG), wobei dieser freilich nicht die Berufsausübung als solche von einer Erlaubnis abhängig macht, sondern nur die Berufsausübung unter der (insoweit geschützten) Berufsbezeichnung „Podologin/Podologe“ bzw. „Medizinische/r Fußpflegerin/Fußpfleger“.557
_____
548 Näher BGH 4.2.1972 – I ZR 104/70 – NJW 1972, 1132 f. 549 BGH 21.6.2001 – I ZR 197/00 – GRUR 2001, 1170, 1171 – Optometrische Leistungen II; BGH 29.6.1987 – II ZR 5/87 – NJW 1987, 2928 f.; s. auch BVerfG 17.7.2000 – 1 BvR 254/99 – NJW 2000, 2736. 550 BGH 21.6.2001 – I ZR 197/00 – GRUR 2001, 1170, 1171 – Optometrische Leistungen II; BGH 29.6.1987 – II ZR 5/87 – NJW 1987, 2928 f.; BVerwG 20.1.1966 – I C 73/64 – BVerwGE 23, 140, 146 = NJW 1966, 1187, 1188; s. auch BVerfG 17.7.2000 – 1 BvR 254/99 – NJW 2000, 2736. 551 S. OLG Frankfurt 23.11.2017 – 6 U 140/17 – GRUR-RS 2017, 135507 – CranioSacrale Therapie. 552 BGH 4.2.1972 – I ZR 104/70 – NJW 1972, 1132, 1133 – Augenoptiker. 553 BGH 21.4.2005 – I ZR 190/02 – GRUR 2005, 607, 608 – Optometrische Leistungen III. – Die Aufklärung muss nicht notwendigerweise schriftlich erfolgen, BGH aaO. S. auch BVerfG 17.7.2000 – 1 BvR 254/99 – NJW 2000, 2736. 554 BGH 29.6.1987 – II ZR 5/87 – NJW 1987, 2928. 555 BVerfG 2.3.2004 – 1 BvR 784/03 – NJW-RR 2004, 705. 556 OLG Celle 24.7.2008 – 13 U 14/08 – GRUR-RR 2008, 427, 428 – Fit durch den Winter. 557 S. BGH 24.9.2013 – I ZR 219/12 – GRUR 2013, 1252 Tz. 13 – Medizinische Fußpflege. – Mit „medizinische Fußpflege“ zu werben, ohne zur Führung der Berufsbezeichnung „Medizinische/r
Metzger/Eichelberger
78
C. Marktverhaltensregelungen
§ 3a
b) Werberecht aa) Entwicklung und Rechtsquellen. Lange Zeit galt für Ärzte ein grundsätzliches 145 Werbeverbot, das zunächst mit der historisch gewachsenen Vorstellung begründet wurde, der ärztliche Beruf dürfe nicht kommerzialisiert werden.558 Dieses berufsrechtliche Werbeverbot wurde verfassungsrechtlich damit gerechtfertigt, dass es eine Verfälschung des Berufsbildes durch Verwendung von Werbemethoden, wie sie in der gewerblichen Wirtschaft üblich seien, verhindern wolle.559 Inzwischen sind die Berufsordnungen unter dem Druck der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 560 indes liberalisiert worden. Nunmehr ist anerkannt, dass – ungeachtet des weiterhin damit verfolgten Schutzzwecks – dem Arzt Ankündigungen mit werbendem Charakter nicht generell verwehrt werden können; für eine interessengerechte und sachangemessene Information, die keinen Irrtum erregt, muss im rechtlichen und geschäftlichen Verkehr Raum bleiben.561 Ihm ist unbenommen, in angemessener Weise auf seine Leistungen hinzuweisen und ein vorhandenes, an ihn herangetragenes Informationsinteresse zu befriedigen.562 Generell verboten werden kann nur berufswidrige Werbung.563 Wo die Grenze zwischen angemessener Information und berufswidriger Werbung verläuft, lässt sich nur im Einzelfall und mit Blick auf die mit den ärztlichen Werbebeschränkungen verfolgten Zwecke bestimmen; insoweit sind auch Erkenntnisse zu ähnlich lautenden Regelungen in den Berufsrechten der anderen freien Berufe nicht ohne weiteres übertragbar.564 An diesen Grundsätzen hat sich mit Inkrafttreten der Dienstleistungs-RL nichts geändert, denn diese ist nach ihrem Art. 2 Abs. 2 lit. f auf Gesundheitsdienstleistungen nicht anwendbar. Für die ärztliche Werbung gilt heute, dass sachliche berufsbezogene Informatio- 146 nen gestattet sind, hingegen berufswidrige, insbesondere anpreisende, irreführende oder vergleichende Werbung verboten ist (§ 27 Abs. 2 und Abs. 3 MBO-Ä). Eine weitgehend parallele Regelung für die Werbung der Zahnärzte enthält § 21 Abs. 1 MBO-ZÄ. In den Berufsordnungen finden sich ferner Regelungen darüber, in welcher Form auf besondere Kenntnisse, Fertigkeiten, Tätigkeitsschwerpunkte etc. hingewiesen werden darf, namentlich Facharztbezeichnungen.
_____ Fußpflegerin/Fußpfleger“ befugt zu sein, wird ganz überwiegend lauterkeitsrechtlich (namentlich im Hinblick auf das Irreführungsverbot des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3) für unbedenklich gehalten, s. BGH 24.9.2013 – I ZR 219/12 – GRUR 2013, 1252 Tz. 14 ff. – Medizinische Fußpflege; OLG Celle 15.11.2012 – 13 U 57/12 – GRURRR 2013, 177 – Medizinische Fußpflege; OLG Frankfurt 7.6.2005 – 14 U 198/04 – BeckRS 2005, 31732; OLG Naumburg 4.3.2004 – 7 U (Hs) 58/03 – NJOZ 2004, 2468; a.A. OLG Hamm 3.2.2011 – 4 U 160/10 – WRP 2012, 1576 – Medizinische Fußpflege. 558 Zur alten Rechtslage s. GK-UWG1/Teplitzky § 1 Rn. G 87 ff. 559 S. BVerfG 9.5.1972 – 1 BvR 518/62 u. 1 BvR 308/64 – BVerfGE 33, 125, 170 = NJW 1972, 1504, 1509; BVerfG 19.11.1985, 1 BvR 934/82 – BVerfGE 71, 162, 174 = NJW 1986, 1533, 1534. 560 S. BVerfG 19.11.1985 – 1 BvR 934/82 – BVerfGE 71, 162, 174 = NJW 1986, 1533, 1534; BVerfG 23.7.2001 – 1 BvR 873/00 – NJW 2001, 2788, 2789; BVerfG 13.7.2005 – 1 BvR 191/05 – GRUR 2006, 425 f. – Informationen über Behandlungsmethoden. S. auch BGH 9.10.2003 – I ZR 167/01 – GRUR 2004, 164, 165 – Arztwerbung im Internet. 561 BVerfG 23.7.2001 – 1 BvR 873/00 – NJW 2001, 2788, 2789; BGH 9.10.2003 – I ZR 167/01 – GRUR 2004, 164, 165 – Arztwerbung im Internet; BGH 8.6.2000 – I ZR 269/97 – GRUR 2001, 181, 183 – dentalästhetika; BGH 20.5.1999 – I ZR 40/97 – GRUR 1999, 1009, 1010 – Notfalldienst für Privatpatienten. 562 BGH 9.10.2003 – I ZR 167/01 – GRUR 2004, 164, 165 – Arztwerbung im Internet; BGH 8.6.2000 – I ZR 269/97 – GRUR 2001, 181, 182 – dentalästhetika. 563 BVerfG 14.7.2011 – 1 BvR 407/11 – GRUR 2012, 72 Tz. 21 – Zahnärztehaus; BVerfG 23.7.2001 – 1 BvR 873/00 – NJW 2001, 2788, 2789; BGH 9.10.2003 – I ZR 167/01 – GRUR 2004, 164, 165 – Arztwerbung im Internet. 564 S. BGH 8.6.2000 – I ZR 269/97 – GRUR 2001, 181, 183 – dentalästhetika.
79
Metzger/Eichelberger
§ 3a
147
Rechtsbruch
bb) Marktverhaltensregelungen. Würden die Beschränkungen der Werbefreiheit von Ärzten allein mit der Verhinderung der Kommerzialisierung des Arztberufs, der Aufrechterhaltung eines bestimmten Berufsbildes oder der Gesundheit der Bevölkerung begründet, wäre ihre Einordnung als Marktverhaltensregelung im Interesse der Marktteilnehmer zweifelhaft.565 Indes dienen die ärztlichen Werberegelungen ausdrücklich der „Gewährleistung des Patientenschutzes durch sachgerechte und angemessene Information“ (§ 27 Abs. 1 Halbs. 1 MBO-Ä) und damit zumindest auch dem Schutz von Verbrauchern als Marktteilnehmer. Sie sind deshalb Marktverhaltensregelungen im Sinne des § 3a.566 Dasselbe gilt für die parallelen zahnärztlichen Werberegelungen,567 obschon dies in der MBO-ZÄ nicht gleichermaßen explizit zum Ausdruck kommt.
cc) Berufsbezogene Informationen. Nach § 27 Abs. 2 MBO-Ä sind Ärzten „sachliche berufsbezogene Informationen“ erlaubt. Gleichsinnig gestattet § 21 Abs. 1 S. 1 MBOZÄ dem Zahnarzt „sachangemessene Informationen über seine Berufstätigkeit“. Jeweils ist die Werbung also auf berufsbezogene Informationen beschränkt. Die Rechtsprechung legt dabei mit Blick auf Art. 12 Abs. 1 GG einen recht großzügigen Maßstab an. Als zulässig angesehen wurden beispielsweise die Angabe von Tätigkeitsschwerpunkten (s. § 27 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 MBO-Ä), die das Spezialgebiet des Arztes genauer beschreiben als die üblichen Facharztbezeichnungen, etwa Wirbelsäulen- oder Kniespezialist,568 die laienverständliche Erläuterung solcher Tätigkeitsschwerpunkte oder der Behandlungsleistungen,569 der Hinweis auf die Mitgliedschaft in einer Fachgesellschaft,570 ins Internet gestellte Informationen über den beruflichen Werdegang des Arztes, seine Praxiserfahrungen und seine Erfahrungen in einem bestimmten Behandlungsgebiet, selbst wenn dieses von der zuständigen Ärzte-/Zahnärztekammer (noch) nicht anerkannt ist,571 eine sachlich zutreffende und dem Laien verständliche Informationswerbung über noch weitgehend unbekannte Operationsmethoden572 sowie die Werbung mit einem „langjährig erfahrenen Ärzteteam“.573 Als zulässig bewertet worden ist auch die Bewerbung eines Konzepts zur Qualitätssicherung von Zahnarztpraxen mittels Gewinnspiels, obschon dabei das Unternehmenskonzept nur schlagwortartig umrissen und für weitere Informationen auf eine angegebene Internetadresse verwiesen wurde.574 149 Obschon ohne unmittelbaren Sachbezug zur beruflichen Tätigkeit ist schließlich grundsätzlich auch „Sympathiewerbung“ zulässig.575 Dies betrifft etwa die Werbung mit einer „ruhigen Atmosphäre“ in der Praxis.576 Selbst die Angabe, einen lokalen Dia-
148
_____
565 S. Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 54; a.A. MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 191. 566 S. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.181; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 191. 567 S. BGH 1.12.2010 – I ZR 55/08 – GRUR 2011, 343 Tz. 21 – Zweite Zahnarztmeinung; BGH 18.3.2010 – I ZR 172/08 – GRUR 2010, 1024 Tz. 17 – Master of Science Kieferorthopädie; BGH 26.2.2009 – I ZR 222/06 – GRUR 2009, 883 Tz. 11 – MacDent; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.181; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 191. 568 BVerfG 8.1.2002 – 1 BvR 1147/01 – NJW 2002, 1331, 1332; s. auch BGH 9.10.2003 – I ZR 167/01 – GRUR 2004, 164, 166 – Arztwerbung im Internet. 569 S. BVerfG 26.9.2003 – 1 BvR 1608/02 – GRUR 2004, 68, 69 – Werbung einer Zahnarzt-GmbH; BGH 9.10.2003 – I ZR 167/01 – GRUR 2004, 164, 166 – Arztwerbung im Internet. 570 S. BVerfG 26.8.2003 – 1 BvR 1003/02 – GRUR 2003, 966, 968 – Internetwerbung von Zahnärzten; BGH 9.10.2003 – I ZR 167/01 – GRUR 2004, 164, 166 – Arztwerbung im Internet. 571 BVerfG 26.8.2003 – 1 BvR 1003/02 – GRUR 2003, 966, 968 – Internetwerbung von Zahnärzten. 572 BVerfG 13.7.2005 – 1 BvR 191/05 – GRUR 2006, 425, 426 – Information über Behandlungsmethoden. 573 S. BVerfG 26.9.2003 – 1 BvR 1608/02 – GRUR 2004, 68, 69 – Werbung einer Zahnarzt-GmbH. 574 BGH 26.2.2009 – I ZR 222/06 – GRUR 2009, 883 Tz. 14 – MacDent. 575 S. BVerfG 26.8.2003 – 1 BvR 1003/02 – GRUR 2003, 966, 968 – Internetwerbung von Zahnärzten. 576 S. BVerfG 26.9.2003 – 1 BvR 1608/02 – GRUR 2004, 68, 69 – Werbung einer Zahnarzt-GmbH.
Metzger/Eichelberger
80
C. Marktverhaltensregelungen
§ 3a
lekt zu beherrschen, sowie der Hobbies wurde als zulässige Werbung angesehen, weil diese zum – auch emotional geprägten – Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient positiv beitragen könne.577 dd) Sachlichkeitsgebot. Die Werbung von Ärzten und Zahnärzten muss sich auf 150 sachliche Informationen beschränken. Unzulässig ist insbesondere „anpreisende“ Werbung (§ 27 Abs. 3 S. 1, 2 MBO-Ä, § 21 Abs. 1 S. 3 MBO-ZÄ). Aus der Werbewirksamkeit eines Textes folgt allerdings noch nicht, dass dieser als reklameartig oder „anreißerisch“ zu qualifizieren ist; Ärzte dürften durchaus ihr Bild in der Öffentlichkeit positiv zeichnen.578 Art. 12 Abs. 1 GG gebietet auch insoweit das Anlegen eines eher großzügigen Maßstabs. Ein Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot ergibt sich insbesondere nicht allein aus dem Einsatz bestimmter Werbemethoden oder der Art des Werbeträgers.579 Überdies unterliegt die Anschauung darüber, welche Werbeformen als sachlich und welche als übertrieben anzusehen sind, zeitbedingten Veränderungen.580 Deshalb lässt sich allein daraus, dass eine Berufsgruppe ihre Werbung anders als bisher üblich gestaltet, nicht deren Berufsrechtswidrigkeit ableiten. 581 Schließlich verlangt das Sachlichkeitsgebot nicht, sich auf die Mitteilung nüchterner Fakten zu beschränken.582 So dürfen bei der inhaltlichen Beurteilung einzelne Aussagen nicht aus dem Gesamtzusammenhang gerissen werden; solange bei einem Werbetext der Informationscharakter der Werbung nicht gänzlich in den Hintergrund gedrängt wird, können auch einzelne Formulierungen ohne sachlichen Gehalt zulässig sein, etwa die Aussage, frisch Operierte würden mit Klinikmitarbeitern „ein Tänzchen wagen“.583 Die Rechtsprechung gestattet zudem großzügig Image- und Sympathiewerbung, weil Angaben zu Hobbies, Auslandsaufenthalten und allgemein zum Privatleben des Arztes zu dem – auch emotional geprägten – Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient beitragen können.584 Als zulässig angesehen wurden folgende Werbeaussagen: „Schönheit ist das Ziel“, „Vertrauen Sie unserem Facharzt für plastische Chirurgie“585 sowie die Darstellung eines Kussmunds bei der Werbung eines Zahnarztes.586 ee) Irreführungsverbot. Ärztliche Werbung darf nicht irreführend sein (§ 27 Abs. 3 151 S. 2 MBO-Ä, § 21 Abs. 1 S. 3 MBO-ZÄ).587 Besondere Bedeutung kommt hier der Angabe von Praxisschwerpunkten in der Außendarstellung zu. Insoweit ist anerkannt, dass ein Arzt bestimmte Tätigkeitsgebiete als Praxisschwerpunkte darstellen darf, sofern er auf diesen Gebieten auch tatsächlich nachhaltig tätig ist und deshalb dort über besondere
_____
577 BVerfG 26.8.2003 – 1 BvR 1003/02 – GRUR 2003, 966, 968 – Internetwerbung von Zahnärzten. 578 BVerfG 13.7.2005 – 1 BvR 191/05 – GRUR 2006, 425, 426 – Informationen über Behandlungsmethoden; s. auch BGH 15.5.2003 – I ZR 217/00 – GRUR 2003, 798, 800 – Sanfte Schönheitschirurgie. 579 BVerfG 1.6.2011 – 1 BvR 233/10 u. 1 BvR 235/10 – GRUR 2011, 838 Tz. 55 – Zahnarzt für Implantologie. 580 BVerfG 1.6.2011 – 1 BvR 233/10 u. 1 BvR 235/10 – GRUR 2011, 838 Tz. 55 – Zahnarzt für Implantologie. 581 BVerfG 1.6.2011 – 1 BvR 233/10 u. 1 BvR 235/10 – GRUR 2011, 838 Tz. 55 – Zahnarzt für Implantologie. 582 BVerfG 1.6.2011 – 1 BvR 233/10 u. 1 BvR 235/10 – GRUR 2011, 838 Tz. 55 – Zahnarzt für Implantologie. 583 So das BVerfG 13.7.2005 – 1 BvR 191/05 – GRUR 2006, 425, 426 – Informationen über Behandlungsmethoden. 584 BVerfG 26.8.2003 – 1 BvR 1003/02 – GRUR 2003, 966, 968 – Internetwerbung von Zahnärzten; BVerfG 13.7.2005 – 1 BvR 191/05 – GRUR 2006, 425, 426 – Information über Behandlungsmethoden; BGH 9.10.2003 – I ZR 167/01 – GRUR 2004, 164, 166 – Arztwerbung im Internet. 585 BGH 15.5.2003 – I ZR 217/00 – GRUR 2003, 798 – Sanfte Schönheitschirurgie. 586 OLG Hamm 7.6.2005 – 4 U 34/05 – GRUR-RR 2005, 396 – Darstellung eines Kussmunds. 587 Parallel kann auch das allgemeine Irreführungsverbot (§ 5) anwendbar sein, s. BGH 18.3.2010 – I ZR 172/08 – GRUR 2010, 1024 Tz. 22 ff. – Master of Science Kieferorthopädie.
81
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
Erfahrungen verfügt.588 Allerdings gilt es dabei, Verwechslungen mit Facharztbezeichnungen zu vermeiden (§ 27 Abs. 4 S. 4 MBO-Ä, § 21 Abs. 2 MBO-ZÄ).589 Auch beim Führen akademischer Titel kann es zu irreführenden Angaben kommen.590 152
ff) Umgehungsverbot. Nach § 27 Abs. 3 S. 3 MBO-Ä dürfen Ärzte berufswidrige Werbung durch andere weder veranlassen noch dulden. Dasselbe gilt nach § 21 Abs. 1 S. 4 MBO-ZÄ für Zahnärzte, wobei hier ausdrücklich noch die Pflicht etabliert wird, solcher Werbung durch Dritte „entgegen zu wirken“. Von einem Dulden kann nur die Rede sein, wenn der Arzt die Werbung durch andere überhaupt unterbinden kann, etwa weil sie durch Angestellte oder anderweitig vertraglich gebundene Personen erfolgt.591 Das Umgehungsverbot gilt auch für den Belegarzt, der veranlasst oder duldet, dass Patienten an seine Praxis weitergeleitet werden, die sich aufgrund einer Werbeanzeige des Krankenhauses, an dem er als Belegarzt tätig ist, melden.592 Besonderheiten bestehen mit Blick auf Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG im Zusammenhang mit Medienberichten. Bei positiven Darstellungen des Arztes in den Medien, an deren Entstehung er mitgewirkt hat, beispielsweise durch Interviews, muss sich der Arzt im Grundsatz einen Genehmigungsvorbehalt ausbedingen.593 Hiervon kann allerdings im Einzelfall abgesehen werden, beispielsweise wenn sich der Arzt wegen vorheriger kritischer Berichterstattung zu einer Mitwirkung entschließt und die Gewährung eines Genehmigungsvorbehalts abgelehnt wird.594
153
gg) Kliniken etc. Für Kliniken, Sanatorien und ähnliche Unternehmen gelten die Werbebeschränkungen für Ärzte nicht.595 Diese Privilegierung der Krankenhäuser wird damit begründet, dass Kliniken und Sanatorien, die neben der ärztlichen Behandlung noch weitere gewerbliche Leistungen wie Unterbringung und Verpflegung anbieten, meist mit größerem personellen und sachlichen Aufwand arbeiteten und zur Sicherung ihrer Existenz darauf angewiesen seien, auf ihr Leistungsangebot aufmerksam zu machen, so dass sie durch Werbebeschränkungen typischerweise stärker belastet seien, als die Gruppe der niedergelassenen Ärzte.596 Insoweit kommt – entgegen der älteren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs597 – auch keine Störerhaftung der Klinik für Verstöße der dort tätigen Ärzte in Betracht.598 Abgesehen davon, dass die Störerhaftung
_____
588 BGH 9.10.2003 – I ZR 167/01 – GRUR 2004, 164, 165 – Arztwerbung im Internet. 589 S. etwa LG Karlsruhe 19.9.2008 – 15 O 26/08 – WRP 2009, 101 – KV Zuordnung: Kardiologie (die Hinweise „KV Zuordnung: Kardiologie“ und „Versorgungsschwerpunkt Kardiologie“ sind verwechslungsfähig mit „Facharzt Innere Medizin Schwerpunkt: Kardiologie“). 590 S. BGH 18.3.2010 – I ZR 172/08 – GRUR 2010, 1024 – Master of Science Kieferorthopädie (in casu keine Irreführung). 591 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.187; s. auch LG Lüneburg, 3.12.2015 – 7 O 47/15 – WRP 2016, 657 Tz. 30 – Empfehlung eines Ernährungsmediziners. 592 BGH 10.11.1999 – I ZR 121/97 – GRUR 2000, 613 – Klinik Sanssouci. 593 BVerfG 11.2.1992 – 1 BvR 1531/90 – BVerfGE 85, 248, 258 ff. = GRUR 1992, 866, 869 – Hackethal. 594 BVerfG 11.2.1992 – 1 BvR 1531/90 – BVerfGE 85, 248, 258 ff. = GRUR 1992, 866, 869 – Hackethal. 595 BVerfG 17.7.2003 – 1 BvR 2115/02 – NJW 2003, 2818, 2819; BVerfG 8.1.2002 – 1 BvR 1147/01 – NJW 2002, 1331, 1332; BVerfG 4.7.2000 – 1 BvR 547/99 – NJW 2000, 2734, 2735; BVerfG 19.11.1985 – 1 BvR 38/78 – BVerfGE 71, 183, 194 ff. = GRUR 1986, 387, 389 ff. – Sanatoriumswerbung; OLG Celle 3.11.2011 – 13 U 167/11 – GRUR-RR 2012, 262, 263 – Kostenlose Sprechstunde. 596 S. BVerfG 17.7.2003 – 1 BvR 2115/02 – NJW 2003, 2818, 2819 f.; BVerfG 17.7.2003 – 1 BvR 2115/02 – BVerfGE 71, 183, 194 ff. = GRUR 1986, 387, 389 ff. – Sanatoriumswerbung; BGH 8.6.2000 – I ZR 269/97 – GRUR 2001, 181, 184 – dentalästhetika; OLG Celle 3.11.2011 – 13 U 167/11 – GRUR-RR 2012, 262, 263 – Kostenlose Sprechstunde. 597 S. BGH 8.6.2000 – I ZR 269/97 – GRUR 2001, 181, 184 – dentalästhetika. 598 BVerfG 26.9.2003 – 1 BvR 1608/02 – GRUR 2004, 68, 69 – Werbung einer Zahnarzt-GmbH.
Metzger/Eichelberger
82
C. Marktverhaltensregelungen
§ 3a
im Lauterkeitsrecht ohnehin aufgegeben wurde,599 würde mit Annahme einer mittelbaren Verantwortlichkeit das Klinikprivileg unterlaufen.600 Die Privilegierung erstreckt sich auch auf in Kliniken vorgenommene ambulante Eingriffe, sofern diese als klinische Leistungen abgerechnet werden, denn insoweit werden gewerbliche Umsätze erzielt.601 Auch wird Klinikwerbung nicht (allein) dadurch zu (gegebenenfalls berufsrechtswidriger) Werbung der für die Klinik tätig werdenden Ärzte, dass diesen die Klinikwerbung mittelbar auch persönlich zugute kommt.602 Anders liegt es beispielsweise, wenn in der Klinikwerbung die Namen der Behandelnden genannt werden und damit zugleich den Benannten als niedergelassenen Ärzten Patienten zugeführt werden sollen.603 Freilich gilt auch für Kliniken keine unbeschränkte Werbefreiheit. Sie dürfen nur in 154 interessengerechter und sachangemessener Weise für die von ihnen angebotenen Leistungen, einschließlich der durch angestellte Heilberufsträger erbrachten Leistungen, werben.604 Maßstab ist dabei das berechtigte Informationsinteresse der (potentiellen) Patienten.605 Kliniken ist deshalb auch gestattet, mit Informationen über die Klinikführung, -ausstattung und -atmosphäre, also mit Umständen zu werben, die zwar keine unmittelbare medizinische Bedeutung haben, jedoch gleichwohl – namentlich durch den Bezug zu den äußeren Behandlungsbedingungen – Bedeutung für die Patienten bei deren Auswahlentscheidung in Anbetracht längerer Aufenthaltsdauern haben können.606 5. Apotheker. Das Berufsrecht der Apotheker findet sich im ApothekenG (ApoG), in 155 der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) und in den Berufsordnungen der Apothekenkammern der Länder. Apotheken obliegt gem. § 1 Abs. 1 ApoG „die im öffentlichen Interesse gebotene Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung“. Das Bundesverfassungsgericht hat den Zweck der berufsrechtlichen Regelungen dahingehend präzisiert, dass die Bevölkerung darauf vertrauen dürfen soll, dass der Apotheker sich nicht von Gewinnstreben beherrschen lässt, sondern seine Verantwortung im Rahmen der Gesundheitsberufe wahrnimmt. Die Regelungen sollen dem Arzneimittelfehlgebrauch entgegenwirken und die ordnungsgemäße Berufsausübung stärken. Insbesondere soll das Vertrauen der Bevölkerung in die berufliche Integrität der Apotheker erhalten und gefördert werden.607 Vor diesem Hintergrund handelt es sich bei zahlreichen Regelungen des Berufsrechts der Apotheker um spezifische Verbraucherschutznormen, die zugleich Marktverhaltensregelungen darstellen. Einzelne Regelungen bezwecken auch Konkurrentenschutz, beispielsweise die Regelungen in § 14 Abs. 4 und Abs. 5 ApoG
_____
599 S. nur BGH 22.7.2010 – I ZR 139/08 – GRUR 2011, 152 Tz. 48 – Kinderhochstühle im Internet. Näher Rn. 79. 600 BVerfG 26.9.2003 – 1 BvR 1608/02 – GRUR 2004, 68, 69 – Werbung einer Zahnarzt-GmbH. 601 BVerfG 26.9.2003 – 1 BvR 1608/02 – GRUR 2004, 68, 69 – Werbung einer Zahnarzt-GmbH; BVerfG 4.7.2000 – 1 BvR 547/99 – NJW 2000, 2734, 2735. 602 S. BGH 28.3.2002 – I ZR 283/99 – GRUR 2002, 725, 727 – Haar-Transplantation (zu einer niedergelassenen Ärztin, die neben ihrer vertragsärztlichen Tätigkeit pauschalvergütet für eine HaarKlinik tätig geworden war); s. auch BVerfG 4.7.2000 – 1 BvR 547/99 – NJW 2000, 2734, 2735 (zu Belegärzten). 603 BVerfG 8.1.2002 – 1 BvR 1147/01 – NJW 2002, 1331, 1332. 604 S. BVerfG 26.9.2003 – 1 BvR 1608/02 – GRUR 2004, 68, 69 – Werbung einer Zahnarzt-GmbH. 605 Vgl. OLG Celle 3.11.2011 – 13 U 167/11 – GRUR-RR 2012, 262, 263 – Kostenlose Sprechstunde; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.190. 606 BVerfG 17.7.2003 – 1 BvR 2115/02 – NJW 2003, 2818, 2819; BVerfG 26.9.2003 – 1 BvR 1608/02 – GRUR 2004, 68, 69 f. – Werbung einer Zahnarzt-GmbH. 607 BVerfG 22.5.1996 – 1 BvR 744/88, 1 BvR 60/89 und 1 BvR 1519/91 – BVerfGE 94, 372, 390 f. = GRUR 1996, 899, 902 f. – Werbeverbot für Apotheker.
83
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
zu Krankenhausapotheken.608 Vorschriften, die allein gesundheitspolitische Ziele verfolgen, sind dagegen nicht mit den Mitteln des Wettbewerbsrechts durchzusetzen. 156
a) Berufszugang. Der Betrieb einer Apotheke bedarf der behördlichen Erlaubnis (§ 1 Abs. 2 ApoG). Diese Marktzutrittsregelung ist mit Blick auf die bereits genannten Ziele des Berufsrechts der Apotheker zugleich eine Marktverhaltensregelung.609
b) Berufsausübung. Die Apotheke darf nur in den dazu ausdrücklich zugelassenen Räumen betrieben werden (§ 1 Abs. 3 ApoG). Dies dient, wie auch die Pflicht des Apothekers zur persönlichen Leitung der Apotheke in eigener Verantwortung (§ 7 ApoG), der Sicherung der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung.610 Es handelt sich um Marktverhaltensregelungen.611 Dasselbe gilt für das Gebot, dass Arzneimittel und apothekenpflichtige Medizinprodukte grundsätzlich (Ausnahme: Zustellung durch Boten im Einzelfall nach § 17 Abs. 2 S. 1 ApBetrO) nur in diesen Räumen in den Verkehr gebracht und nur durch pharmazeutisches Personal ausgehändigt (§ 17 Abs. 1a ApBetrO) werden dürfen.612 Der Versand von apothekenpflichtigen Arzneimitteln bedarf einer Erlaubnis nach § 11a ApoG und unterliegt den Anforderungen des § 17 Abs. 2a und Abs. 2b ApBetrO. So handelt beispielsweise unlauter, wer beim Versand von Arzneimitteln entgegen § 17 Abs. 2a S. 1 Nr. 7 ApBetrO eine Telefon-Hotline zur Verfügung stellt, die nur gegen Gebühr in Anspruch genommen werden kann.613 158 Zur auf die Räumlichkeiten der Apotheke beschränkten Tätigkeit gehört auch das Einsammeln von Rezepten zwecks Lieferung der verordneten Arzneimittel.614 Ein Apotheker darf es deshalb weder veranlassen noch dulden, dass Mitarbeiter oder Dritte außerhalb der Betriebsräume Rezepte einsammeln.615 Der Apotheker darf allerdings nach Maßgabe des § 24 ApBetrO außerhalb seiner Apotheke Rezeptsammelstellen unterhalten. Weil solche nach § 24 Abs. 2 ApBetrO aber nicht bei Angehörigen der Heilberufe (und in Gewerbebetrieben) eingerichtet werden dürfen, ist es unzulässig, wenn ein Arzt die von ihm ausgestellten Rezepte sammelt und an eine Apotheke weiterreicht oder zur Abholung bereithält.616 Die vorgenannten Einschränkungen gelten nicht für Verordnungen über weder rezept- noch apothekenpflichtige Medizinprodukte.617 Ebenfalls Marktverhaltensregelungen sind die Vorschriften zur Beteiligung an Apotheken (§ 8 ApoG) und zur Verpachtung von Apotheken (§ 9 ApoG), denn diese dienen der Verhinderung von Verhaltensweisen, die die ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln beeinträchtigen können.618 Dass sich der Erlaubnisinhaber nicht verpflichten darf, bestimmte Arzneimittel aus159 schließlich oder bevorzugt anzubieten oder abzugeben oder anderweitig die Auswahl der von ihm abzugebenden Arzneimittel auf das Angebot bestimmter Hersteller oder Händler oder Gruppen von solchen zu beschränken (§ 10 ApoG – „Arzneimittelbevor157
_____
608 S. BGH 22.4.2004 – I ZR 21/02 – GRUR 2004, 701, 703 – Klinikpackung II. 609 S. OLG Saarbrücken 6.12.2006 – 4 U 484/06 – GRUR 2007, 344 f. – Apothekenbetriebserlaubnis; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.135; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 147. 610 BGH 17.10.1980 – I ZR 8/79 – GRUR 1981, 282, 282 f. – Apothekenbotin. 611 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.136; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 146. 612 MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 148. 613 BGH 19.7.2012 – I ZR 40/11 – GRUR 2013, 421 Tz. 17 ff. – Pharmazeutische Beratung über Call-Center. 614 BGH 17.10.1980 – I ZR 8/79 – GRUR 1981, 282, 283 – Apothekenbotin. 615 S. BGH 11.12.1981 – I ZR 150/79 – GRUR 1982, 313 – Rezeptsammlung für Apotheker. 616 S. BGH 17.10.1980 – I ZR 185/78 – GRUR 1981, 280 – Apothekenbegünstigung; BGH 17.10.1980 – I ZR 8/79 – GRUR 1981, 282 – Apothekenbotin. 617 OLG Naumburg 30.7.2002 – 7 U 67/01 – GRUR-RR 2003, 114, 116 f. – Rezeptsammelstelle. 618 MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 147; Harte/Henning/von Jagow § 3a Rn. 44.
Metzger/Eichelberger
84
C. Marktverhaltensregelungen
§ 3a
zugungsverbot“), soll verhindern, dass der „Arzneimittelschatz der Apotheken“ durch Bindung an die Waren bestimmter Hersteller zum Schaden einer geordneten Arzneimittelversorgung beschränkt wird, sowie die Entscheidungsfreiheit des Apothekers, die Verschreibungsfreiheit des Arzte sowie – bei freiverkäuflichen Arzneimitteln – auch die Freiheit der Arzneimittelauswahl der Bevölkerung sichern; sie ist deshalb eine Marktverhaltensregelung.619 Das durch § 11 Abs. 1 S. 1 ApoG ausgesprochene Verbot, mit Ärzten oder anderen Personen, die sich mit der Behandlung von Krankheiten befassen, Rechtsgeschäfte vorzunehmen oder Absprachen zu treffen, die eine bevorzugte Lieferung bestimmter Arzneimittel, die Zuführung von Patienten, die Zuweisung von Verschreibungen oder die Fertigung von Arzneimitteln ohne volle Angabe der Zusammensetzung zum Gegenstand haben („Ärztebevorzugungsverbot“) soll sicherstellen, dass der Apotheker sich bei seinem Kontakt zu anderen Gesundheitsberufen wie insbesondere zu Ärzten, die Einfluss auf sein Entscheidungsverhalten haben, nicht von sachfremden und vor allem nicht von finanziellen Erwägungen leiten lässt, und damit Verhaltensweisen der Apotheker entgegenwirken, die die ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln beeinträchtigen können; es handelt sich deshalb ebenfalls um eine Marktverhaltensregelung.620 Die vorgenannten Verbote werden allerdings durch die Regelungen über das Versorgungsmanagement (§ 11 Abs. 4 SGB V) und das Entlassmanagement (§ 39 Abs. 1a SGB V [= § 39 Abs. 1 S. 4–6 SGB V a.F.]) eingeschränkt.621 Die besonderen Voraussetzungen für die Abgabe von Arzneimitteln durch Kran- 160 kenhausapotheken und Krankenhäuser versorgende Apotheken in § 14 ApoG, insbesondere das daraus folgende Verbot, verbilligt bezogene Klinikpackungen außerhalb des Krankenhauses, namentlich an Endverbraucher abzugeben, dienen der Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen gegenüber den öffentlichen Apotheken, die ihre Arzneimittel über die von den Herstellern belieferten Großhändler zu festgelegten Preisen beziehen müssen und deshalb nur eine geringere Gewinnspanne erzielen können; es handelt sich mithin um eine Marktverhaltensregelung.622
_____
619 KG 11.9.2012 – 5 U 57/11 – GRUR-RR 2013, 78, 80 – aut idem-Substitution. 620 BGH 26.4.2018 – I ZR 121/17 – GRUR 2018, 1271 Tz. 58 – Applikationsarzneimittel; BGH 8.6.2015 – I ZR 26/14 – GRUR 2016, 213 Tz. 20; Zuweisung von Verschreibungen (hier auch zur Geltung des Zuweisungsverbots des § 11 Abs. 1 S. 1 Var. 3 ApoG für sog. „Applikationsarzneimittel“, d.h. Arzneimittel, die in der Arztpraxis am Patienten angewendet werden sollen); BGH 13.3.2014 – I ZR 120/13 – GRUR 2014, 1009 Tz. 13 – Kooperationsapotheke; OLG Köln 22.2.2017 – 6 U 101/16 – GRUR-RR 2017, 341 Tz. 64 – TattooApotheke (zur Kooperation eines Apothekers mit einer Internetplattform, die Verbrauchern anbot, ihre Beschwerden zu schildern und nach Prüfung durch einen Arzt benötigte Medikamente geliefert zu bekommen); OLG Karlsruhe 14.6.2013 – 4 U 254/12 – GRUR-RR 2013, 470, 471 – Kooperationsapotheke (hier auch zum Adressatenkreis des Verbots, zu dem auch die „nur“ mit der Organisation der Krankenversorgung befassten Personen zählen); OLG Köln 11.1.2019 – 6 U 131/18 – GRUR-RR 2019, 124 Tz. 40 – Bezug von Fertigspritzen (Absprachen mit Krankenversicherungsunternehmen unterfallen dem Verbot nicht, denn diese sind nicht „mit der Behandlung von Krankheiten befasst“). – Wer nicht Adressat des § 11 ApoG ist (z.B. Ärzte), kann nur als Teilnehmer (Anstifter oder Gehilfe) haften, s. BGH 12.3.2015 – I ZR 84/14 – GRUR 2015, 1025 Tz. 16 ff. – TV-Wartezimmer; allg. s. Rn. 79; a.A. OLG Frankfurt 20.3.2014 – 6 U 2/13 – GRUR-RR 2014, 270, 271 – Wartezimmer-TV. – Apotheken eines Mitgliedstaats der EU, die über eine Erlaubnis nach ihrem nationalen Recht verfügen, unterliegen nicht dem Verbot des § 11 ApoG, s. BGH 26.4.2018 – I ZR 121/17 – GRUR 2018, 1271 Tz. 62–66 – Applikationsarzneimittel. 621 BGH 13.3.2014 – I ZR 120/13 – GRUR 2014, 1009 Tz. 12 ff. – Kooperationsapotheke; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.138. 622 BGH 12.10.1989 – I ZR 228/87 – GRUR 1990, 1010, 1012 – Klinikpackung I; BGH 22.4.2004 – I ZR 21/02 – GRUR 2004, 701, 703 – Klinikpackung II. – Dieser Schutzzweck ist bei der Belieferung von Justizvollzugsanstalten mit Klinikpackungen nicht berührt, s. BGH 22.4.2004 – I ZR 21/02 – GRUR 2004, 701, 703 – Klinikpackung II. – Normadressaten des § 14 Abs. 7 ApoG sind nur Krankenhausapotheken und Krankenhäuser versorgende Apotheken, nicht hingegeben beispielsweise Pharma(groß)händler, s. OLG Hamburg 3.11.2005 – 2 U 29/01 – GRUR-RR 2006, 339, 340 – Klinikpackungen.
85
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
161
Die Beschränkung des Warensortiments einer Apotheke (neben Arzneimitteln und apothekenpflichtigen Medizinprodukten) auf apothekenübliche Waren durch § 2 Abs. 4 ApBetrO623 begegnet der Gefahr, dass sich die Geschäftstätigkeit zu Lasten des Arzneimittelversorgungsauftrags auf apothekenfremde Waren richtet und schützt auch das Vertrauen der Kunden, in der Apotheke nur Erzeugnisse angeboten zu bekommen, denen ein nachvollziehbarer gesundheitlicher Nutzen zugeschrieben wird.624 Sie ist deshalb eine Marktverhaltensregelung.625 Die Vorschriften der ApBetrO über die Herstellung von Arzneimitteln (insb. die 162 §§ 6–11a ApBetrO) betreffen das Vorfeld des Marktverhaltens des Apothekers, nicht aber sein Verhalten als Marktteilnehmer, und sind deshalb keine Marktverhaltensregelungen.626 Demgegenüber betrifft die Kennzeichnung von Rezepturarzneimitteln den Verbraucher als Marktteilnehmer, so dass es sich bei § 14 ApBetrO um eine Marktverhaltensregelung handelt.627 Dasselbe gilt für die Pflicht in § 13 ApBetrO, in der Apotheke hergestellte Arzneimittel nur in Behältnissen in den Verkehr zu bringen, die gewährleisten, dass die Qualität nicht mehr als unvermeidbar beeinträchtigt wird, weil auch dabei der Verbraucher als Käufer berührt ist, so dass der Vorschrift zumindest eine sekundäre wettbewerbsbezogene Schutzfunktion zukommt. Die Gebote, einem erkennbaren Arzneimittelmissbrauch in geeigneter Weise entgegenzutreten, sowie bei einem begründeten Verdacht auf Missbrauch die Abgabe zu verweigern (§ 17 Abs. 8 ApBetrO) sind schließlich ebenfalls Marktverhaltensregelungen.628 163
c) Werbebeschränkungen. Apotheker haben bei der Werbung neben den allgemeinen lauterkeitsrechtlichen Regeln zunächst die allgemeinen Werbebeschränkungen des HeilmittelwerbeG (HWG; s. Rn. 218 ff.) zu beachten.629 Zusätzlich ergeben sich spezifische Beschränkungen der Werbefreiheit aus den Berufsordnungen der Landesapothekerkammern. Die dort geregelten Werbebeschränkungen sollen dazu beitragen, dass der Berufsstand der Apotheker seine Aufgaben ordnungsgemäß erfüllt. Die Bevölkerung soll darauf vertrauen dürfen, dass der Apotheker – obwohl auch Gewerbetreibender – sich nicht von Gewinnstreben beherrschen lässt, sondern seine Verantwortung im Rahmen der Gesundheitsberufe wahrnimmt. Werbeverbote sollen dem Arzneimittel-
_____
623 S. dazu BVerwG 19.9.2013 – 3 C 15/12 – BVerwGE 148, 28 = GRUR 2014, 503 Tz. 18 – Magnetschmuck (hier auch zu den inhaltlich parallelen vorherigen Regelungen durch § 12 ApBetrO 1968, § 25 ApBetrO 1987 und § 2 Abs. 4 i.V.m. § 25 ApBetrO 2004); BGH 11.2.1999 – I ZR 18/97 – GRUR 1999, 1014, 1016 – Verkaufsschütten vor Apotheken (zu § 25 ApBetrO a.F.); OLG Düsseldorf 28.10.2014 – I-20 U 159/13 – PharmR 2015, 35, 36 – Reisenähset. 624 BVerwG 19.9.2013 – 3 C 15/12 – BVerwGE 148, 28 = GRUR 2014, 503 Tz. 20 – Magnetschmuck. 625 OLG Düsseldorf 28.10.2014 – I-20 U 159/13 – PharmR 2015, 35 f. – Reisenähset; zur ApBetrO a.F.: BGH 24.7.2014 – I ZR 221/12 – GRUR 2014, 1013 Tz. 13 – Original Bach-Blüten; BGH 21.9.2000 – I ZR 216/98 – GRUR 2001, 352, 353 – Kompressionsstrümpfe; OLG Oldenburg 22.11.2007 – 1 U 49/07 – GRUR-RR 2008, 20 – Weihnachtsartikel (Verkauf geringwertiger Weihnachtsartikel sei als von der ApBetrO nicht erfasstes „Nebengeschäft“ allerdings zulässig). 626 Vgl. MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 148 (zu §§ 6–11 ApBetrO); Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.137; OLG München 23.2.2006 – 6 U 3721/05 – GRUR-RR 2006, 343, 344 – Gelenkschutzkapseln (§ 8 ApBetrO). 627 MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 158. 628 OLG Naumburg 22.6.2017 – 9 U 19/17 – GRUR 2017, 1055 Tz. 9 – Schmerzmittelbestellung bei Versandapotheke (bei erstmaliger und alleiniger Bestellung von 13 Packungen Paracetamol bei einer Versandapotheke genügte der bloße Hinweis auf die „hohen pharmazeutischen Bedenken beim Kauf und der regelmäßigen hohen Einnahme von mehr als 3 Packungen Abführ-/Schmerzmittel“, der vom Besteller durch Anklicken zu bestätigen war, nicht.). 629 BVerfG 22.5.1996 – 1 BvR 744/88, 1 BvR 60/89, 1 BvR 1519/91 – BVerfGE 94, 372, 376 = GRUR 1996, 899, 900 – Werbeverbot für Apotheker.
Metzger/Eichelberger
86
C. Marktverhaltensregelungen
§ 3a
fehlgebrauch entgegenwirken und die ordnungsgemäße Berufsausübung stärken.630 Die Werbeverbote haben damit eine zumindest sekundäre wettbewerbsbezogene Schutzfunktion, weil sie das Interesse der Kunden von Apotheken als Verbraucher schützen. Sie sind dementsprechend als Marktverhaltensregelungen einzuordnen. Anders als bei Ärzten und Rechtsanwälten ist nach den Berufsordnungen die Wer- 164 bung von Apothekern nicht von vornherein auf sachliche Informationen beschränkt; verboten ist lediglich „übertriebene“, „unangemessene“ oder „zur Förderung des Arzneimittelfehlgebrauchs geeignete“ Werbung.631 Übertrieben und damit unzulässig ist beispielsweise Werbung, wenn sie wegen ihrer anreißerischen Form auf eine Standesvergessenheit des Apothekers schließen lässt und so Zweifel an einer ordnungsgemäßen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln zu wecken vermag. 632 Weil es aber Hauptaufgabe des Apothekers ist, die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung zuverlässig zu gewährleisten, darf sich eine Werbung nicht störend auf das Verhältnis des Apothekers zum Kunden und damit auf die ordnungsgemäße Versorgung mit Arzneimitteln beeinträchtigend auswirken.633 Bei der Auslegung der Werberegeln ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Apotheker nicht nur Angehöriger eines freien Berufs, sondern zugleich Kaufmann ist; er steht hinsichtlich der apothekenfreien Arzneimittel und des Randsortiments im allgemeinen Wettbewerb und muss werbend auf sich aufmerksam machen dürfen.634 Dabei ist dem Wandel im Werbeverhalten des Handels Rechnung zu tragen, denn dadurch ändern sich Wahrnehmungsfähigkeit und Wahrnehmungsbereitschaft der Verbraucher und damit auch die Beurteilung der Frage, welche Werbung von Apothekern übertrieben ist.635 Bei Zeitungswerbung kommt es auf die Art, den Umfang und die Häufigkeit der Wer- 165 bung an. Erst wenn die Bewerbung des Randsortiments massiv auf den Konsumenten einwirkt und den Eindruck vermittelt, dass das Randsortiment und die Ausweitung des Warenumsatzes im Vordergrund des Geschäfts stehen, ist die Schwelle der übertriebenen Werbung im Lichte des Art. 12 GG überschritten.636 Das Aufstellen von Werbetafeln und Verkaufsschütten auf dem Gehweg ist zulässig, soweit damit das apothekenübliche Randsortiment beworben wird.637 Zulässig ist auch die Abgabe von Warenproben von apothekenüblichen Waren638 sowie das Verteilen von Werbegeschenken kleinerer Art
_____
630 BVerfG 22.5.1996 – 1 BvR 744/88, 1 BvR 60/89, 1 BvR 1519/91 – BVerfGE 94, 372, 391 = GRUR 1996, 899, 902 f. – Werbeverbot für Apotheker. 631 BVerfG 22.5.1996 – 1 BvR 744/88, 1 BvR 60/89, 1 BvR 1519/91 – BVerfGE 94, 372, 400 = GRUR 1996, 899, 903 – Werbeverbot für Apotheker. 632 BGH 10.3.1994 – I ZR 166/92 – GRUR 1994, 656, 658 – Stofftragetasche (in casu verneint für das Auftreten von als Pinguin verkleideten Personen anlässlich des dreijährigen Bestehens einer „Pinguin“Apotheke). 633 BGH 10.3.1994 – I ZR 166/92 – GRUR 1994, 656, 658 – Stofftragetasche. 634 BVerfG 22.5.1996 – 1 BvR 744/88, 1 BvR 60/89, 1 BvR 1519/91 – BVerfGE 94, 372, 393 = GRUR 1996, 899, 903 – Werbeverbot für Apotheker. 635 BVerfG 22.5.1996 – 1 BvR 744/88, 1 BvR 60/89, 1 BvR 1519/91 – BVerfGE 94, 372, 398 = GRUR 1996, 899, 904 – Werbeverbot für Apotheker. 636 BVerfG 22.5.1996 – 1 BvR 744/88, 1 BvR 60/89, 1 BvR 1519/91 – BVerfGE 94, 372, 398 = GRUR 1996, 899, 904 – Werbeverbot für Apotheker. – S. auch BGH 20.1.1983 – I ZR 13/81 – GRUR 1983, 249, 252 – Apothekenwerbung (eine Zeitungswerbung für nicht apothekenpflichtige Waren, die neben verkleinerten bildlichen Darstellungen Namen, Warenmenge, Preis und zum Teil Angaben über die Anwendung enthielt, war zulässig; auch die Schilder „Stop Sparpreis“ bzw. „Familie Sparpreis“ machten die Anzeige nicht marktschreierisch). 637 BVerfG 22.5.1996 – 1 BvR 744/88, 1 BvR 60/89, 1 BvR 1519/91 – BVerfGE 94, 372, 400 = GRUR 1996, 899, 905 – Werbeverbot für Apotheker; s. auch BGH 11.2.1999 – I ZR 18/97 – GRUR 1999, 1014, 1016 – Verkaufsschütten vor Apotheken. 638 BGH 19.3.1991 – KVR 4/89 – GRUR 1991, 622, 624 – Warenproben in Apotheken.
87
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
(Papierfähnchen, Kugelschreiber mit Werbeaufdruck) an vorübergehende Passanten, ohne dass diese angesprochen werden.639 Gestattet ist des Weiteren das Verteilen und Verschicken von Werbebriefen, Flugblättern und Broschüren. Ob eine Werbung mittels Werbebriefen oder Flugblättern übertrieben erscheint, lässt sich nur aus der Verbindung von Werbeträger und Werbeaussage unter Berücksichtigung ihrer Gestaltung und ihrer Häufigkeit entscheiden.640 Auch Sponsoring durch Apotheken kann zulässig sein.641 Ob mit der Teilnahme an einem Faschingsumzug mit eigenem Wagen zu Werbezwecken plump aufdringliche Werbung marktschreierischer Art betrieben wird, ist abhängig von den örtlichen Gepflogenheiten.642 6. Weiteres Berufsrecht 166
a) Architekten. Marktverhaltensregelungen sind die landesrechtlichen Vorschriften, nach denen die Bezeichnung „Architekt“, „Innenarchitekt“, „Landschaftsarchitekt“ oder „Stadtplaner“ grundsätzlich nur führen darf, wer in die Architektenliste der zuständigen Architektenkammer eingetragen ist (z.B. § 1 ArchitektenG Nds. [NArchtG], § 3 Thüringer Architekten- und Ingenieurkammergesetz [ThürAIKG]), denn diese bezwecken den Schutz der Marktgegenseite vor falschen Vorstellungen über die berufliche Stellung desjenigen, der die betreffende Berufsbezeichnung führt; ihre Verletzung beeinträchtigt spürbar die Interessen der geschützten Personen.643
167
b) Fahrlehrer. Die Erlaubnisbedürftigkeit einer Tätigkeit als Fahrlehrer nach § 1 Abs. 1 S. 1 FahrlehrerG (FahrlG) soll durch eine Verbesserung der Fahrschulausbildung zur Sicherheit des Straßenverkehrs beitragen und damit auch dem Schutz gewichtiger Rechtsgüter wie des Lebens und der Volksgesundheit dienen.644 Sie ist deshalb zugleich Marktzutritts- und Marktverhaltensregelung und unterfällt § 3a.645
168
c) Gaststätten. Das Genehmigungserfordernis in § 2 GaststättenG (GastG) dient neben dem Schutz der im Betrieb Beschäftigten und dem Schutz der Allgemeinheit auch dem Schutz der Gäste (s. insb. § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 2 GastG und § 5 Abs. 1 Nr. 1 GastG) und ist deshalb eine Marktverhaltensregelung.646 Ob es sich bei Verstößen gegen die nächtliche Sperrzeit gem. § 18 GastG um Wettbewerbsverstöße handelt, ist dagegen zweifelhaft.647 Sperrzeiten bezwecken den Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, der Nachtruhe, der Volksgesundheit, insbesondere der Bekämpfung des Alkohol- und Drogenmissbrauchs,648 hingegen wohl nicht den Schutz des Verbrauchers gerade in seiner Eigenschaft als Marktteilnehmer.
_____
639 BGH 10.3.1994 – I ZR 36/92 – GRUR 1994, 639 – Pinguin-Apotheke. 640 BVerfG 22.5.1996 – 1 BvR 744/88, 1 BvR 60/89, 1 BvR 1519/91 – BVerfGE 94, 372, 392 f. = GRUR 1996, 899, 903 – Werbeverbot für Apotheker. 641 BVerfG 22.5.1996 – 1 BvR 744/88, 1 BvR 60/89, 1 BvR 1519/91 – BVerfGE 94, 372, 398 f. = GRUR 1996, 899, 904 f. – Werbeverbot für Apotheker. 642 BVerfG 22.5.1996 – 1 BvR 744/88, 1 BvR 60/89, 1 BvR 1519/91 – BVerfGE 94, 372, 398 = GRUR 1996, 899, 904 – Werbeverbot für Apotheker. 643 BGH 25.3.2010 – I ZR 68/09 – GRUR 2010, 1115 Tz. 15 – Freier Architekt; OLG Hamm 13.5.2004 – 4 U 140/03 – BeckRS 2006, 00299 (beide zum BauKammerG NRW). 644 BGH 11.4.1991 – I ZR 196/89 – GRUR 1991, 768, 769 – Fahrschulunterricht. 645 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.146. 646 MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 154; Keck S. 55 f. 647 Bejahend MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 154; Keck S. 54 f., 66 f. 648 S. BVerwG 17.7.1995 – 1 B 87/95 – NVwZ-RR 1996, 260; VGH München 26.9.2002 – 22 ZB 02.2084 – NVwZ-RR 2003, 29; Erbs/Kohlhaas/Ambs GastG § 18 Rn. 1.
Metzger/Eichelberger
88
C. Marktverhaltensregelungen
§ 3a
d) Gewerbe. Die in der Gewerbeordnung (GewO) für bestimmte Gewerbe aufge- 169 stellten Genehmigungserfordernisse sind regelmäßig zugleich Marktverhaltensregelungen, denn sie bezwecken den Schutz der Verbraucher vor unzuverlässigen Gewerbetreibenden in als besonders gefährlich angesehenen Gewerben, etwa im Bereich der gewerbsmäßigen Versicherungsvermittlung (§ 34d GewO),649 des Aufstellens von Spielgeräten mit Gewinnmöglichkeit (§ 33c GewO) und der Veranstaltung von Spielen mit Gewinnmöglichkeit (§ 33d GewO),650 der Beratung und Betreuung im Bau- und Immobilienbereich sowie der Darlehensvermittlung (§ 34c GewO).651 Dasselbe gilt für das die Umgehung der Vorschriften über das Pfandleihgewerbe zu verhindern bezweckende Verbot des gewerbsmäßigen Ankaufs beweglicher Sachen mit Gewährung eines Rückkaufsrechts in § 34 Abs. 4 GewO.652 – Demgegenüber dient die Anzeigepflicht des § 14 GewO allein der Überwachung durch die Behörden (s. § 14 Abs. 5 S. 1 GewO) und ist deshalb keine Marktverhaltensregelung.653 e) Handwerk. Die Vorschriften der Handwerksordnung (HwO) sind Marktverhal- 170 tensregelungen, soweit sie eine bestimmte Qualität, Sicherheit oder Unbedenklichkeit der hergestellten Waren oder angebotenen Dienstleistungen gewährleisten sollen.654 Das ist der Fall, wo die Ausübung des Handwerks nach §§ 1, 7 HwO eine Eintragung in die Handwerksrolle voraussetzt.655 Denn nach dem Willen des Gesetzgebers der Novelle von 2004 ist die Zulassungspflicht heute auf den Kreis der Handwerke beschränkt, die im Hinblick auf Leben und Gesundheit Dritter gefahrgeneigt sind.656 – Marktverhaltensrege-
_____
649 S. BGH 6.11.2013 – I ZR 104/12 – GRUR 2014, 88 Tz. 15 – Vermittlung von Netto-Policen; BGH 18.9.2013 – I ZR 183/12 – GRUR 2013, 1250 Tz. 16 – Krankenzusatzversicherungen (eine gesetzliche Krankenkasse bedarf auch dann der Erlaubnis nach § 34d Abs. 1 GewO, wenn sie in nach § 194 Abs. 1a S. 2 SGB V zulässiger Kooperation mit privaten Krankenversicherern private Krankheitskostenzusatzversicherungen vermittelt); OLG Koblenz 19.12.2018 – 9 U 805/18 – BeckRS 2018, 37415 Tz. 20. s. auch BGH 28.11.2013 – I ZR 7/13 – GRUR 2014, 398 – Online-Versicherungsvermittlung (zur Versicherungsvermittlereigenschaft durch Anbieten von Versicherungsverträgen auf einer Internetseite). – Die Erlaubnis wird entweder für die Tätigkeit eines Versicherungsvertreters oder eines Versicherungsmaklers erteilt (s. § 34d Abs. 1 S. 5 GewO). Daraus folgt, dass nicht nur der Wechsel in den anderen Vermittlertyp einer geänderten Erlaubnis bedarf, sondern auch, dass eine Vermittlertätigkeit, die die Grenzen der erteilten Erlaubnis überschreitet, ohne Gewerbeerlaubnis erfolgt und damit wettbewerbswidrig ist, s. BGH 6.11.2013 – I ZR 104/12 – GRUR 2014, 88 Tz. 16 – Vermittlung von Netto-Policen. – Zur Erlaubnisfreiheit nach § 34d Abs. 7 GewO (= § 34d GewO a.F.) des Versicherungsvermittlers, der seine Tätigkeit ausschließlich im Auftrag eines im Inland zum Geschäftsbetrieb befugten Versicherungsunternehmens ausübt, s. BGH 30.1.2014 – I ZR 19/13 – GRUR 2014, 794 – Gebundener Versicherungsvermittler. 650 OLG Saarbrücken 19.3.2003 – 1 U 624/02-150 – WRP 2003, 777, 778 – Bargeldauszahlung an Unterhaltungsgeräten; OLG Düsseldorf 21.10.1999 – 2 U 6/99 – WRP 2000, 245 – Bargeldauszahlung an Unterhaltungsspielautomaten. 651 BGH 28.11.2013 – I ZR 7/13 – GRUR 2014, 398 Tz. 35 f. – Online-Versicherungsvermittlung (Darlehensvermittlung); BGH 11.6.1976 – I ZR 55/75 – GRUR 1976, 635, 637 – Sonderberater in Bausachen (Baubetreuung). 652 BGH 14.5.2009 – I ZR 179/07 – GRUR 2009, 886 Tz. 16 f. – Die clevere Alternative; OLG Frankfurt 1.2.2018 – 6 U 49/17 – GRUR-RR 2018, 422 Tz. 7 f. – Cash Drive-Modell. 653 BGH 29.5.1963 – Ib ZR 155/61 – GRUR 1963, 578, 583 – Sammelbesteller; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 3a Rn. 1.147. 654 BGH 16.6.2016 – I ZR 46/15 – GRUR 2017, 194 Tz. 19 – Orthopädietechniker; BGH 17.7.2013 – I ZR 222/11 – GRUR 2013, 1056 Tz. 15 – Meisterpräsenz; OLG Frankfurt 28.4.2005 – 6 U 36/05 – GRUR 2005, 695 – Verstoß gegen Handwerksordnung. 655 BGH 16.6.2016 – I ZR 46/15 – GRUR 2017, 194 Tz. 19 – Orthopädietechniker; BGH 17.7.2013 – I ZR 222/11 – GRUR 2013, 1056 Tz. 15 – Meisterpräsenz; OLG Frankfurt 28.4.2005 – 6 U 36/05 – GRUR 2005, 695 – Verstoß gegen Handwerksordnung. 656 S. Begr. RegE des Dritten Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnung v. 24.6.2003, BTDrucks. 15/ 1206 S. 22.
89
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
lungen sind das an den bevollmächtigten Bezirksschornsteinfeger gerichtete Gebot, seine Aufgaben unparteiisch zu erfüllen (§ 18 Abs. 1 Schornsteinfeger-Handwerksgesetz [SchfHwG]) sowie das Verbot, die in das Kehrbuch einzutragenden Daten (u.a. Name und Anschrift des Eigentümers usw.) zu anderen Zwecken als zur Erfüllung der Aufgaben nach dem SchfHwG zu nutzen (§ 19 Abs. 5 S. 1 SchfHwG).657 Zählung angepasst f) Notfallrettung und Krankentransporte. Die landesrechtlichen Genehmigungs171 vorbehalte für die Notfallrettung und Krankentransporte (z.B. § 17 RettungsG NRW [= § 18 RettungsG NRW a.F.]) dienen auch dem Schutz der im Wege des Krankentransports zu befördernden Kranken, Verletzten und sonstigen hilfsbedürftigen Personen (vgl. § 2 Abs. 3 RettungsG NRW) und sind deshalb Marktverhaltensregelungen.658 Transporte von mit MRSA oder anderen multiresistenten Keimen infizierten Personen sind Krankentransporte in diesem Sinne.659 172
g) Personenbeförderung. Aus dem PersonenbeförderungsG (PBefG) sind Marktverhaltensregelungen: die der Gewährleistung der Sicherheit, Zuverlässigkeit und fachlichen Eignung des Unternehmens bei der Personenbeförderung dienende Erlaubnisbedürftigkeit der entgeltlichen oder geschäftsmäßigen Beförderung von Personen (§ 2 PBefG);660 die das Ziel, im Interesse der Marktteilnehmer, nämlich der Verbraucher und Mitbewerber, einen unbilligen und ruinösen Wettbewerb unter den Beförderungsunternehmen zu verhindern und so ein funktionsfähiges örtliches Taxigewerbe zu erhalten verfolgende Tarifpflicht (§ 39 Abs. 3, § 51 Abs. 5 PBefG);661 die dem Interesse der Mitbewerber an der Wahrung der Chancengleichheit der Taxiunternehmer beim Wettbewerb um Fahraufträge und dem Interesse der Verbraucher an einem funktionsfähigen Taxigewerbe dienenden Bereithaltungsregelungen für Taxen (§ 47 Abs. 1 S. 1, § 47 Abs. 2 S. 1, 2 PBefG);662 das Gebot an Mietwagenunternehmer mit einer Genehmigung zur Personenbeförderung mit Kraftfahrzeugen im Gelegenheitsverkehr (§ 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 PBefG), Mietwagen nur im Ganzen zu vermieten und nicht nach Einzelplätzen (§ 49 Abs. 4 S. 1 PBefG);663 die Regelung, dass mit Mietwagen nur Beförderungsaufträge ausgeführt werden dürfen, die am Betriebssitz oder in der Wohnung des Unternehmers eingegangen sind (§ 49 Abs. 4 S. 2 PBefG);664 die auf die Unterbindung einer taxiähnlichen Betätigung durch Mietwagenunternehmer abzielende Rückkehrpflicht zum Betriebssitz nach Ausführung des Beförderungsauftrags bei Beförderungen mit Mietwagen
_____
657 S. OLG Celle 26.6.2018 – 13 U 136/17 – GRUR-RR 2019, 22 Tz. 13, 28 – Kehrbuch. 658 BGH 15.1.2009 – I ZR 141/06 – GRUR 2009, 881 Tz. 14 – Überregionaler Krankentransport (zu § 18 RettungsG NRW a.F.); OLG Düsseldorf 17.5.2018 – I-15 U 19/18 – GRUR-RR 2018, 471 Tz. 16 – MRSAKrankentransporte. 659 OLG Düsseldorf 17.5.2018 – I-15 U 19/18 – GRUR-RR 2018, 471 Tz. 17 – MRSA-Krankentransporte. 660 KG 13.2.2007 – 5 W 35/07 – GRUR 2007, 515, 516 – Sammel-Tragstuhlwagentransporte (Der Senat ging allerdings von einem Bagatellverstoß aus, weil der Beklagten als Inhaberin einer Genehmigung nach dem strengeren Berliner Gesetz über den Rettungsdienst vom 8.7.1993 die Genehmigung nach dem PBefG nur formal fehlte.); OLG Frankfurt 1.2.2018 – 6 U 37/17 – GRUR-RR 2018, 199 Tz. 13 – Ersatz-Taxi; OLG Frankfurt 9.6.2016 – 6 U 73/15 – GRUR-RR 2017, 17 Tz. 50 – UBER POP; s. auch BGH 18.10.2012 – I ZR 191/11 – GRUR 2013, 412 Tz. 16 – Taxibestellung; Alexander/Knauff GewArch 2015, 200, 205 f. 661 BGH 29.3.2018 – I ZR 34/17 – GRUR 2018, 946 Tz. 22 – Bonusaktion für Taxi App; OLG Frankfurt 2.2.2017 – 6 U 29/16 – GRUR-RR 2017, 193 Tz. 26 – Taxirabattgutschein. 662 BGH 6.4.2017 – I ZR 33/16 – GRUR 2017, 926 Tz. 11 – Anwaltsabmahnung II; BGH 18.10.2012 – I ZR 191/11 – GRUR 2013, 412 Tz. 15 – Taxibestellung; OLG Frankfurt 5.1.2017 – 6 U 24/16 – GRUR-RR 2017, 195 Tz. 18 – Flughafen-Taxihalteplatz. 663 OLG Celle 30.7.2015 – 13 U 57/15 – GRUR-RR 2015, 446 – Sammeltransfer zum Flughafen. 664 BGH 13.12.2018 – I ZR 3/16 – GRUR 2019, 298 Tz. 29 – Uber Black II; BGH 18.5.2017 – I ZR 3/16 – GRUR 2017, 743 Tz. 16 – Uber Black.
Metzger/Eichelberger
90
C. Marktverhaltensregelungen
§ 3a
(§ 49 Abs. 4 S. 3 PBefG);665 das den mit besonderen Pflichten verbundenen Betrieb des Taxenverkehrs in gewissem Umfang vor der Konkurrenz des weniger belasteten Mietwagenverkehrs zu schützen bezweckende Gebot, dass Werbung für den Mietwagenverkehr nicht geeignet sein darf, zur Verwechslung mit dem Taxenverkehr zu führen (§ 49 Abs. 4 S. 5 PBefG).666 – Dagegen dient die in § 49 Abs. 4 S. 4 PBefG geregelte Pflicht, den Eingang des Beförderungsauftrags buchmäßig zu erfassen, allein der behördlichen Überwachung und stellt deshalb keine Marktverhaltensregelung dar.667 Ebenfalls keine Marktverhaltensregelung ist die Pflicht, Taxen durch einen hell-elfenbeinfarbenen Anstrich kenntlich zu machen (§ 26 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Personenkraftfahrunternehmensbetriebsverordnung [BO-Kraft]).668 alphabetische Reihenfolge angepasst h) Spielvermittlung. Die Anforderungen an die Tätigkeit eines gewerblichen Spiel- 173 vermittlers nach § 19 GlüStV (§ 14 Abs. 2 LottStV a.F.) sind Marktverhaltensregelungen.669 i) Versicherung. Nicht klar ist die Einordnung des an Versicherungsunternehmen 174 und Versicherungsvermittler sowie deren Angestellte gerichteten Verbots, Versicherungsnehmern, versicherten Personen oder Bezugsberechtigten aus einem Versicherungsvertrag Sondervergütungen zu gewähren oder zu versprechen (§ 48b Versicherungsaufsichtsgesetz [VAG]; = § 298 Abs. 4 VAG a.F.): Der Bundesgerichtshof hat dieses „Provisionsabgabeverbot“ in einer Entscheidung aus dem Jahre 1984 unter Rückgriff auf den Vorsprungsgedanken als Marktverhaltensregelung angesehen,670 das OLG Köln hingegen in einer Entscheidung aus 2017 dies verneint.671 Das Verbot versicherungsfremder Geschäfte in § 15 Abs. 1 VAG dürfte dagegen allein der Solvenz der betroffenen Versicherungsunternehmen dienen und ist deshalb keine Marktverhaltensregelung.672 – Die in § 61 Abs. 1 S. 1 VersicherungsvertragsG (VVG) geregelten Beratungs- und Dokumentationspflichten des Versicherungsvermittlers (Versicherungsvertreter und Versicherungsmakler) dienen dem Schutz des Versicherungsnehmers und sind deshalb Marktverhaltensregelungen.673 Dasselbe gilt für die Verpflichtung zur klaren und verständlichen Mitteilung bestimmter Angaben beim ersten Geschäftskontakt nach § 15 Abs. 1 Versicherungsvermittlungsverordnung (VersVermV; = § 11 Abs. 1 VersVermV a.F.).674
_____
665 BGH 30.4.2015 – I ZR 196/13 – GRUR 2015, 1235 Tz. 12 – Rückkehrpflicht V; bestätigt in BGH 18.5.2017 – I ZR 3/16 – GRUR 2017, 743 Tz. 16 – Uber Black; zur Verfassungsmäßigkeit s. BVerfG 14.11.1989 – 1 BvL 14/85, 1 BvR 1276/84 – GRUR 1990, 199 – Rückkehrgebot. 666 BGH 13.12.2018 – I ZR 3/16 – GRUR 2019, 298 Tz. 28 – Uber Black II; BGH 24.11.2011 – I ZR 154/10 – GRUR 2012, 645 Tz. 12 – Mietwagenwerbung; bestätigt in BGH 18.5.2017 – I ZR 3/16 – GRUR 2017, 743 Tz. 16 – Uber Black; OLG Hamm 3.7.2012 – I-4 U 12/12 – WRP 2012, 1430 Tz. 17 – Irreführende Kennzeichnung von Mietwagen als Taxen. 667 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.148; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 155. 668 S. BGH 6.3.1986 – I ZR 218/83 – GRUR 1986, 621 – Taxen-Farbanstrich. 669 BGH 19.5.2011 – I ZR 215/08 – BeckRS 2011, 22035 – Gewerbliche Spielevermittlung. 670 BGH 19.12.1984 – I ZR 181/82 – GRUR 1985, 447, 450 – Provisionsweitergabe durch Lebensversicherungsmakler (insoweit nicht in BGHZ 93, 177). 671 OLG Köln 11.11.2016 – 6 U 176/15 – GRUR-RR 2017, 274 Tz. 13 ff. – Provisionsabgabeverbot; ebenso Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.149a. 672 Im Anschluss an Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.149a. 673 OLG München 6.4.2017 – 29 U 3139/16 – GRUR-RR 2018, 108 Tz. 32–34 – Versicherungsvergleichsportal. 674 BGH 28.11.2013 – I ZR 7/13 – GRUR 2014, 398 Tz. 29–34 – Online-Versicherungsvermittlung; OLG München 6.4.2017 – 29 U 3139/16 – GRUR-RR 2018, 108 Tz. 56 – Versicherungsvergleichsportal (beide zu § 11 Abs. 1 VersVermV a.F.).
91
Metzger/Eichelberger
§ 3a
175
Rechtsbruch
j) Wohnungsvermittlung. Das an Wohnungsvermittler gerichtete Verbot, außer ihrem Provisionsanspruch nach § 2 Abs. 1 S. 1 WoVermittG sonstige Vergütungen im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit zu verlangen (§ 3 Abs. 3 WohnungsvermittlungsG [WoVermittG]), dient im Interesse der Wohnungssuchenden der Transparenz und Vergleichbarkeit der Maklerangebote und ist deshalb eine Marktverhaltensregelung; diese ist verletzt, wenn ein von einem späteren Mietvertragsabschluss unabhängiges und unverfallbares pauschales Besichtigungsentgelt verlangt wird.675 II. Produktbezogene Vorschriften
176
Produktbezogene Vorschriften sind Vermarktungsverbote oder -beschränkungen, Informationspflichten und Werbebeschränkungen, die produktspezifisch gelten. Solche Vorschriften finden sich insbesondere in gesundheitsbezogenen- oder sicherheitskritischen Bereichen, etwa für Arzneimittel und Medizinprodukte sowie im Lebensmittelbereich. 1. Vermarktungsverbote und -beschränkungen
a) AMG. Zweck des ArzneimittelG (AMG) ist es, im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung von Mensch und Tier für die Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln, insbesondere für die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Arzneimittel zu sorgen (§ 1 AMG).676 Das AMG enthält dazu eine Reihe von Zulassungspflichten, Absatzbeschränkungen, Kennzeichnungs- und Informationspflichten sowie weiteren Pflichten. Viele dieser Vorschriften dienen nicht nur allgemein der Gesundheitsvorsorge, sondern zielen auch auf den Schutz der Verbraucher im Wettbewerb ab und sind dementsprechend Marktverhaltensregelungen. Vorschriften, die wie § 13 AMG allein die Herstellung von Medikamenten betreffen, sind dagegen nicht als Marktverhaltensregelungen einzuordnen.677 § 21 Abs. 1 AMG, nach dem grundsätzlich nur zugelassene Arzneimittel in den 178 Verkehr gebracht und beworben werden dürfen, ist eine Marktverhaltensregelung, deren Verletzung die Interessen der davon betroffenen Marktteilnehmer spürbar beeinträchtigt.678 Entsprechendes gilt für die Überschreitung der Grenzen der Zulassungsfreiheit nach § 21 Abs. 2 AMG.679 § 21 AMG betrifft allerdings nur das Inverkehrbringen und Bewerben, nicht dagegen schon die Herstellung, so dass ein Apotheker, der eine Erlaubnis zum Versand von apothekenpflichtigen Arzneimitteln hat, die von ihm hergestellten Defekturarzneimittel bundesweit versenden darf.680 – Ebenfalls Marktverhaltensregelung ist § 38 AMG, nach dem homöopathische Arzneimittel (§ 4 Abs. 26 AMG) nur in den 177
_____
675 LG Stuttgart 15.6.2016 – 38 O 10/16 KfH – GRUR-RR 2017, 153 Tz. 45, 38 – Wohnungsbesichtigungsgebühr; LG Stuttgart 15.6.2016 – 38 O 73/15 KfH – NZM 2016, 902; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.149b. 676 Näher Kügel/Müller/Hofmann AMG § 1. 677 MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 295. 678 BGH 25.6.2015 – I ZR 11/14 – GRUR-RS 2016, 00549 Tz. 9 – Chlorhexidin; BGH 30.3.2006 – I ZR 24/03 – BGHZ 167, 91 = GRUR 2006, 513 Tz. 37 – Arzneimittelwerbung im Internet. 679 Vgl. BGH 9.9.2010 – I ZR 107/09 – GRUR 2011, 453 – Handlanger (zu § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG – Defekturarzneimittel). – Entscheidungen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nach § 21 Abs. 4 AMG über die Zulassungspflicht von Arzneimitteln haben Tatbestandswirkung, s. BGH 24.9.2013 – I ZR 73/12 – GRUR 2014, 405 Tz. 14 – Atemtest II (s. o. Fn. 291). 680 BGH 14.4.2011 – I ZR 129/09 – GRUR 2011, 1165 – Injektionslösung.
Metzger/Eichelberger
92
C. Marktverhaltensregelungen
§ 3a
Verkehr gebracht werden dürfen, wenn sie in ein bei der zuständigen Bundesoberbehörde zu führendes Register für homöopathische Arzneimittel eingetragen sind; dies dient dem Schutz der Patienten, denen ein eindeutiger Hinweis auf den homöopathischen Charakter der Arzneimittel und ausreichende Garantien in Bezug auf deren Qualität und Unbedenklichkeit gegeben werden sollen.681 Als Marktverhaltensregelung ist die Apothekenpflicht nach § 43 AMG einzuord- 179 nen, weil die Kontrolle durch den Apotheker sowie die ihm aufgetragene Aufklärungspflicht den Miss- bzw. Fehlgebrauch von Medikamenten verhindern soll682 und damit dem Verbraucherschutz dient.683 Dasselbe gilt für das Verbot der Abgabe verschreibungspflichtiger Medikamente ohne Vorlage eines Rezepts in § 48 AMG684 sowie das in § 73 AMG normierte Verbot, Arzneimittel ohne die nach §§ 21, 21a AMG notwendige Zulassung, Genehmigung oder Registrierung aus dem Ausland nach Deutschland zu verbringen („Verbringungsverbot“).685 – Ebenfalls Marktverhaltensregelung ist § 47 Abs. 3 AMG, der festlegt, an wen pharmazeutische Unternehmer Muster eines Fertigarzneimittels abgeben dürfen.686 b) Lebensmittelrecht. Aus dem Lebensmittelrecht sind zunächst die für Lebens- 180 mittel geltenden Verbotsvorschriften der §§ 5, 6 und 11 Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) zu nennen. Soweit diese die Herstellung beschränken, fehlt ihnen allerdings der Marktbezug; es handelt sich dann um bloße Produktionsvorschriften (s. Rn. 60).687 Marktverhaltensregelungen sind sie hingegen insoweit, wie sie das Inverkehrbringen, Bewerben etc. verbieten oder beschränken.688 Entsprechendes gilt für die Verbote in §§ 19 ff. LFGB in Bezug auf Futtermittel, in §§ 26, 27 LFGB in Bezug auf kosmetische Mittel sowie in § 30 LFGB in Bezug auf Bedarfsgegenstände.689 Ebenfalls Marktverhaltensregelungen sind die Vermarktungsverbote für Lebensmittel und Futtermittel in Art. 14 bzw. Art. 15 Lebensmittel-Basis-VO (EG) 178/2002690 sowie in Art. 4 Abs. 2 VO (EG) 1829/2003 über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel (Gen-Nahrungsmittel-VO).691 Marktverhaltensregelungen aus der Diätverordnung (DiätV) sind beispielsweise 181 die Vorschriften in § 1 Abs. 4a DiätV über die Abgrenzung der Lebensmittel für beson-
_____
681 OLG Celle 8.5.2017 – 13 U 35/17 – PharmR 2017, 399, 400 – HCG C30 G. Globuli. 682 S. BVerfG 7.1.1959 – 1 BvR 100/57 – BVerfGE 9, 73 = NJW 1959, 667 f. 683 S. BGH 20.12.2007 – GRUR 2008, 275 Tz. 20 – Versandhandel mit Arzneimitteln; OLG Celle 8.5.2017 – 13 U 35/17 – PharmR 2017, 399, 400 – HCG C30 G. Globuli; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 295. 684 BGH 8.1.2015 – I ZR 123/13 – GRUR 2015, 916 Tz. 14 – Abgabe ohne Rezept; OLG Düsseldorf 20.11.1986 – 2 U 157/86 – GRUR 1987, 295 – Tiamon. 685 S. BGH 11.7.2002 – I ZR 34/01 – BGHZ 151, 286, 297 ff. = GRUR 2002, 910, 914 f. – Muskelaufbaupräparate; BGH 20.12.2007 – I ZR 205/04 – GRUR 2008, 275 – Versandhandel mit Arzneimitteln. – Zu besonderen Konstellationen in diesem Zusammenhang s. BGH 12.1.2012 – I ZR 211/10 – GRUR 2012, 954 Tz. 11–18 – Europa-Apotheke Budapest; BGH 19.7.2012 – I ZR 40/11 – GRUR 2013, 421 – Pharmazeutische Beratung über Call-Center. 686 BGH 31.10.2018 – I ZR 235/16 – GRUR 2019, 97 Tz. 11 – Apothekenmuster (eingehend zur Frage, ob § 47 Abs. 3 AMG die möglichen Empfänger von Arzneimittelmustern abschließend bestimmt, so dass – so die bislang h.M. – eine Abgabe an Apotheker unzulässig wäre). 687 S. MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 296. 688 S. BGH 15.7.2010 – I ZR 99/09 – GRUR 2011, 355 Tz. 12 – Gelenknahrung II (zu § 6 Abs. 1 Nr. 2 LFGB a.F.); OLG München 29.9.2011 – 6 U 1641/09 – BeckRS 2011, 27214 (zu § 5 Abs. 1 S. 1 LFGB); MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 296–298. 689 Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.278. 690 MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 298. 691 S. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.269.
93
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
dere medizinische Zwecke von anderen Stoffen,692 das Gebot des § 14b Abs. 1 S. 2 DiätV, dass sich bilanzierte Diäten gemäß den Anweisungen des Herstellers sicher und nutzbringend verwenden lassen und wirksam in dem Sinne sein müssen, dass sie den besonderen Ernährungserfordernissen der Personen, für die sie bestimmt sind, entsprechen,693 sowie § 14b Abs. 3 DiätV, nach dem ergänzende bilanzierte Diäten gewerbsmäßig nur hergestellt und in den Verkehr gebracht werden, wenn der Gehalt an näher bestimmten Stoffen definierte Höchstmengen nicht überschreitet und festgelegten altersabhängigen Anforderungen entspricht.694 Novel-Food-VO. Die Novel-Food-VO 2015/2283 695 regelt das Inverkehrbringen 182 „neuartiger Lebensmittel“ (s. dazu Art. 3 Abs. 2 lit. a Novel-Food-VO) in der Union, um einerseits das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts sicherzustellen und andererseits gleichzeitig ein hohes Niveau beim Schutz der menschlichen Gesundheit und der Verbraucherinteressen herbeizuführen (Art. 1 Novel-Food-VO). Die dort genannten Voraussetzungen für das Inverkehrbringen bzw. die Verwendung von neuartigen Lebensmitteln – Zulassung, Aufnahme in eine Liste, besondere Kennzeichnung etc. – sind Marktverhaltensregelungen.696 TabakerzG. Marktverhaltensregelungen sind ferner die Verbote bestimmter Inhalts183 stoffe bei Tabakerzeugnissen des § 5 Abs. 1 TabakerzG.697 184
c) Öko-VO. Nach Art. 28 Abs. 1 UAbs. 1 lit. b Öko-VO (EG) 834/2007 ist jeder Unternehmer, der Erzeugnisse i.S.d. Art. 1 Abs. 2 Öko-VO erzeugt, aufbereitet, lagert, aus einem Drittland einführt oder in Verkehr bringt, verpflichtet, vor einem Inverkehrbringen von jeglichen Erzeugnissen als ökologisch/biologische Erzeugnisse oder als Umstellungserzeugnisse sein Unternehmen dem Kontrollsystem nach Art. 27 Öko-VO zu unterstellen. Dies soll unter anderem gewährleisten, dass die von der Öko-VO erfassten Erzeugnisse der menschlichen Gesundheit nicht abträglich sind (s. Art. 3 lit. c Öko-VO). Die Bestimmung dient damit auch dem Schutz der Gesundheit der Verbraucher und ist deshalb eine Marktverhaltensregelung.698
185
d) PflSchG/Pflanzenschutz-VO. Die Vorschriften des Pflanzenschutzgesetzes (PflSchG) über die Zulassungsbedürftigkeit des Vertriebs etc. von Pflanzenschutzmitteln (§§ 28 ff. PflSchG) sind Marktverhaltensregelungen, denn das PflSchG dient nach § 1 Nr. 3 PflSchG auch dem Schutz der Gesundheit der Verbraucher.699 Verstöße dagegen
_____
692 BGH 30.11.2011 – I ZR 8/11 – GRUR 2012, 734 Tz. 17 – Glucosamin Naturell (zu § 1 Abs. 4 S. 1 und S. 2 DiätV); BGH 2.10.2008 – I ZR 51/06 – GRUR 2009, 75 Tz. 30 – Priorin (zu § 1 Abs. 4a S. 3 Nr. 2 DiätV). 693 BGH 15.3.2012 – I ZR 44/11 – GRUR 2012, 1164 Tz. 17 – ARTROSTAR; KG 4.11.2016 – 5 U 57/16 – BeckRS 2016, 114721 Tz. 18; OLG Celle 5.10.2016 – 13 U 122/16 – BeckRS 2016, 108498 Tz. 8. 694 BGH 2.10.2008 – I ZR 51/06 – GRUR 2009, 75 Tz. 30 – Priorin. 695 Diese VO („Novel-Food-VO 2018“) ist zum 1.1.2018 an die Stelle der früheren Novel-Food-VO (EG) 258/97 sowie der VO (EG) 1852/2001 getreten. 696 Vgl. BGH 16.4.2015 – I ZR 27/14 – GRUR 2015, 1140 Tz. 19 – Bohnengewächsextrakt; BGH 4.12.2008 – I ZR 100/06 – GRUR 2009, 413 Tz. 28 – Erfokol-Kapseln; BGH 22.11.2007 – I ZR 77/05 – GRUR 2008, 625 Tz. 11 – Fruchtextrakt (alle zu Novel-Food-VO a.F.). 697 S. OLG Hamburg 21.12.2017 – 5 U 67/17 – BeckRS 2017, 140617 Tz. 18 (zu § 5 Abs. 1 Nr. 1 lit. b TabakerzG). 698 BGH 29.3.2018 – I ZR 243/14 – GRUR 2018, 745 Tz. 12 – Bio-Gewürze II. 699 BGH 11.6.2015 – I ZR 226/13 – GRUR 2016, 88 Tz. 22 – Deltamethrin (zu § 46 PflSchG [= § 16c PflSchG a.F. – Vertrieb parallel importierter Pflanzenschutzmittel]); BGH 2.2.2012 – I ZR 81/10 – GRUR 2012, 945 Tz. 31 – Tribenuronmethyl (zu § 11 Abs. 1, § 16c PflSchG a.F.); BGH 6.10.2011 – I ZR 117/10 – GRUR 2012, 407 Tz. 31 – Delan (zu § 11 Abs. 1 S. 1 und 2, § 16c PflSchG a.F); BGH 1.6.2011 – I ZR 25/10 – GRUR 2011, 843 Tz. 16 – Vorrichtung zur Schädlingsbekämpfung (zu § 11 Abs. 1 S. 1 PflSchG a.F.); BGH 10.2.2011 – I ZR 8/09 – GRUR 2011, 842 Tz. 20 – RC-Netzmittel (zu § 31c Abs. 1 PflSchG a.F.); Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.265;
Metzger/Eichelberger
94
C. Marktverhaltensregelungen
§ 3a
sind deshalb grundsätzlich auch geeignet, die Interessen der Verbraucher spürbar zu beeinträchtigen.700 Dasselbe gilt für die entsprechenden Vorschriften in Art. 28 ff. Pflanzenschutz-VO (EG) 1107/2009.701 e) Weitere Regelungen. Bauordnung. Die in den Landesbauordnungen enthaltenen Zulassungsbestimmungen und Kennzeichnungspflichten für Bauprodukte dienen dem Schutz der Marktteilnehmer, indem sie ihnen Gewissheit darüber verschaffen, dass das konkret gelieferte Bauprodukt unbedenklich seinem Zweck entsprechend verwendet werden kann; sie sind deshalb Marktverhaltensregelungen.702 Biozid-VO. Nach Art. 95 Abs. 2 Biozid-VO (EU) 528/2012 dürfen bestimmte Biozidprodukte nur dann auf dem Markt bereitgestellt werden, wenn der Stofflieferant oder der Produktlieferant registriert ist. Dies soll neben der Gleichbehandlung der Hersteller vor allem sicherstellen, dass nur Biozide solcher Hersteller in den Verkehr gelangen, die über ein Wirkstoffdossier verfügen und hinsichtlich derer die Wirkweise und Gefahr leichterdings festgestellt werden kann; es handelt sich deshalb um eine Marktverhaltensregelung.703 ElektroG. Das durch § 6 Abs. 2 Elektro- und ElektronikgeräteG (ElektroG) aufgestellte Verbot, Elektro- oder Elektronikgeräte nicht vor deren Registrierung in den Verkehr zu bringen oder zum Verkauf anzubieten, dient nicht nur dem Umweltschutz, sondern auch dem Schutz der Verbraucher, indem diese die Gewähr haben sollen, dass der Hersteller die von ihnen erworbenen Geräte zurücknimmt und sie dadurch von der Entsorgungslast befreit, sowie der Mitbewerber davor, allein für die Kosten der Altgeräteentsorgung aufkommen zu müssen; es handelt sich mithin um eine Marktverhaltensregelung.704 Zum Stoffverbot nach § 5 ElektroG a.F. siehe Rn. 189. ElektroStoffV. Die Voraussetzungen für das Inverkehrbringen von Elektro- und Elektronikgeräten nach § 3 Abs. 1 Elektro- und Elektronikgeräte-Stoff-Verordnung (ElektroStoffV) (= § 5 Abs. 1 S. 1 ElektroG a.F.) dienen neben abfallwirtschaftlichen Zielen auch dem Schutz der Verbraucher vor schädlichen Stoffen705 und sind deshalb Marktverhaltensregelungen.706 GlüStV. Der Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) soll unter anderem Glücksspielund Wettsucht entgegenwirken, den Jugend- und Spielerschutz gewährleisten und die ordnungsgemäße Durchführung von Spielen sicherstellen, um die Spieler vor betrügeri-
_____
FBO/Götting/Hetmank § 3a Rn. 142; a.A. GK-UWG2/Metzger § 4 Nr. 11 Rn. 101 (erwägend allerdings für § 23 Abs. 4 PflSchG [Abgabe von Pflanzenschutzmitteln an „nicht-berufliche“ Anwender] und § 31 PflSchG [Kennzeichnungspflichten]); Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 59. 700 BGH 11.6.2015 – I ZR 226/13 – GRUR 2016, 88 Tz. 22 – Deltamethrin; BGH 6.10.2011 – I ZR 117/10 – GRUR 2012, 407 Tz. 31 – Delan. 701 S. BGH 17.1.2013 – I ZR 187/09 – GRUR 2013, 414 Tz. 15 ff. – Flonicamid; OLG Celle 24.5.2017 – 13 U 207/16 – GRUR-RS 2017, 113254 Tz. 27 ff. – Pflanzenschutzmittel; OLG Celle 24.5.2017 – 13 U 207/16 – GRURRS 2017, 113254 Tz. 29 – Pflanzenschutzmittel. 702 S. BGH 20.10.2005 – I ZR 10/03 – GRUR 2006, 82 Tz. 22 – Betonstahl (zu §§ 24, 28 NBauO 2003). 703 S. LG Düsseldorf 19.7.2017 – 12 O 174/16 – BeckRS 2017, 126398. 704 S. OLG Hamm 24.7.2014 – 4 U 142/13 – GRUR-RR 2015, 60 Tz. 46 – Energiesparlampen für Strahler; OLG Köln 20.2.2015 – 6 U 118/14 – WRP 2015, 616 Tz. 20 – In Ear-Kopfhörer; OLG München 4.8.2011 – 6 U 3128/10 – GRUR-RR 2011, 424, 425 – Elektrogeräteregistrierung; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.282; a.A. OLG Düsseldorf 3.6.2008 – 20 U 207/07 – GRUR-RR 2009, 69, 70 – Elektroaltgeräteregister; GK-UWG2/Metzger § 4 Nr. 11 Rn. 109. 705 S. Begr. ElektroStoffV, BTDrucks. 17/11836, S. 12: „… Beitrag zum Schutz der menschlichen Gesundheit …“. 706 BGH 21.9.2016 – I ZR 234/15 – GRUR 2017, 203 Tz. 28 – Quecksilberhaltige Leuchtstofflampen; OLG Karlsruhe 24.9.2014 – 6 U 148/13 – BeckRS 2015, 3117 Tz. 59–61; OLG Karlsruhe 30.1.2015 – 4 U 266/13 – GRUR-RR 2015, 244 Tz. 7 – Quecksilbergehalt in Energiesparlampen (zu § 5 ElektroG a.F.).
95
Metzger/Eichelberger
186
187
188
189
190
§ 3a
Rechtsbruch
schen Machenschaften zu schützen (s. § 1 GlüStV). Die dazu getroffenen Beschränkungen und Voraussetzungen des Glücksspiels sind deshalb Marktverhaltensregelungen. So ist das Veranstalten oder Vermitteln von öffentlichen Glücksspielen gem. § 4 Abs. 1, 2 GlüStV nur mit Erlaubnis der jeweiligen Landesbehörde zulässig. Zusätzlich darf gem. § 4 Abs. 3 S. 1 GlüStV das Veranstalten und Vermitteln von Glücksspielen nicht den Erfordernissen des Jugendschutzes zuwiderlaufen. Veranstalter und Vermittler müssen sicherstellen, dass Minderjährige von der Teilnahme ausgeschlossen sind.707 Nach § 4 Abs. 4 GlüStV ist das Veranstalten und Vermitteln öffentlicher Gewinnspiele im Internet (vorbehaltlich der Ausnahme nach Absatz 5) verboten.708 Zur Werbung für Glückspiele siehe Rn. 246 ff. PostG. Nach § 5 Abs. 1 PostG bedarf einer Erlaubnis, wer gewerbsmäßig Briefsen191 dungen, deren Einzelgewicht nicht mehr als 1 000 Gramm beträgt, für andere befördern möchte. Nimmt man die Erteilungsvoraussetzungen und Versagungsgründe in § 6 PostG in den Blick, wird deutlich, dass die Lizenzpflicht (auch) eine bestimmte Qualität der Dienstleistung sicherstellen soll. Es handelt sich deshalb nicht um eine reine Marktzutrittsregelung, sondern zugleich um eine Marktverhaltensregelung.709 ProdSG. Nach dem ProduktsicherheitsG (ProdSG) dürfen davon umfasste Produk192 te auf dem Markt nur bereitgestellt werden, wenn sie bei bestimmungsgemäßer oder vorhersehbarer Verwendung die Sicherheit und Gesundheit von Personen nicht gefährden (§ 3 Abs. 1 und 2 ProdSG). Für bestimmte Produkte sind weitere Anforderungen durch Verordnung festgelegt. Nach § 6 Abs. 5 ProdSG hat der Händler dazu beizutragen, dass nur sichere Verbraucherprodukte auf dem Markt bereitgestellt werden. Insbesondere darf er kein Verbraucherprodukt auf dem Markt bereitstellen, von dem er weiß oder auf Grund der ihm vorliegenden Informationen oder seiner Erfahrung wissen muss, dass es nicht den Anforderungen nach § 3 ProdSG entspricht. Die Vorschriften bezwecken den Schutz der Gesundheit von Verwendern oder Dritten und sind deshalb Marktverhaltensregelungen.710 Zur Konkretisierung der gebotenen Sicherheitsstandards können auch Regeln, namentlich DIN-Normen, herangezogen werden, die selbst keine gesetzlichen Vorschriften im Sinne des § 3a sind.711 Ebenfalls Marktverhaltensregelung ist das Verbot, Produkte ohne die gebotene CE-Kennzeichnung auf den Markt zu bringen (§ 7 Abs. 2 ProdSG).712 193 SaatG. Die Voraussetzungen für das Inverkehrbringen von Saatgut zu gewerblichen Zwecken in § 3 Abs. 1 SaatgutverkehrsG (SaatG) schützen nicht nur das kollektive Interesse an der Sicherstellung des Ernteertrags, sondern gewährleisten im Interesse der Saatgutverbraucher die Bereitstellung unbedenklichen und leistungsfähigen Saatguts;
_____
707 Dazu LG Wiesbaden 14.10.2009 – 12 O 42/09 – NJOZ 2010, 107 – Minderjährige Testkäufer. 708 Dazu BGH 28.9.2011 – I ZR 92/09 – GRUR 2012, 193 Tz. 21, 30 ff. – Sportwetten im Internet II; BGH 28.9.2011 – I ZR 93/10 – GRUR 2012, 201 Tz. 24, 27 ff. – Poker im Internet; bestätigt in BGH 24.1.2013 – I ZR 171/10 – GRUR 2013, 527 Tz. 11 – Digibet. 709 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.273; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 288; i.Erg. auch BGH 12.11.2002 – KZR 16/00 – GRUR 2003, 250, 251 – Massenbriefsendungen aus dem Ausland (zu § 1 a.F.); a.A. (reine Marktverhaltensregelung) Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 1.62. 710 S. zu § 3 ProdSG: OLG Frankfurt 21.5.2015 – 6 U 64/14 – WRP 2015, 996, 997 – Garagentorantrieb; OLG Düsseldorf 17.3.2016 – I -15 U 38/15 – BeckRS 2016, 6557 Tz. 55; zu § 6 Abs. 5 S. 1 und ProdSG: BGH 12.1.2017 – I ZR 258/15 – GRUR 2017, 409 Tz. 24 – Motivkontaktlinsen; BGH 11.5.2017 – I ZR 59/16 – GRURRR 2017, 500 Tz. 17 – Herstellerangaben auf Kopfhörer. 711 BGH 6.6.991 – I ZR 234/89 – GRUR 1991, 921, 923 – Sahnesiphon; OLG Düsseldorf 17.3.2016 – I-15 U 38/15 – BeckRS 2016, 6557 Tz. 52; OLG Frankfurt 21.5.2015 – 6 U 64/14 – WRP 2015, 996 Rn. 14; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.59 u. 1.281. Siehe Rn. 57. 712 OLG Frankfurt 23.3.2017 – 6 U 23/16 – WRP 2017, 874 – Fußbodenheizmatte; s. auch OLG Frankfurt 21.5.2015 – 6 U 64/14 – WRP 2015, 996, 997 – Garagentorantrieb; OLG Köln 28.7.2017 – 6 U 193/16 – GRURRR 2017, 435 – LED-Lampen.
Metzger/Eichelberger
96
C. Marktverhaltensregelungen
§ 3a
es handelt sich deshalb um eine Marktverhaltensregelung.713 Dasselbe gilt für die Aufzeichnungspflicht nach § 27 Abs. 1 Nr. 2 SaatG i.V.m. § 1 Abs. 1 SaatAufzV; diese schützt auch das Interesse des Saatgutverbrauchers daran, dass die Versorgung mit qualitativ hochwertigem Saatgut durch eine lückenlose Dokumentation und Identifizierbarkeit des verwendeten Saatguts gewährleistet wird.714 StVZO. Nach § 22a Abs. 2 S. 1 Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) 194 dürfen Fahrzeugteile, die in einer amtlich genehmigten Bauart ausgeführt sein müssen (dazu § 22a Abs. 1 StVZO), zur Verwendung im Geltungsbereich der StVZO nur feilgeboten, veräußert, erworben oder verwendet werden, wenn sie mit einem amtlich vorgeschriebenen und zugeteilten Prüfzeichen gekennzeichnet sind. Dies dient dem Schutz der Sicherheit des Verbrauchers beim Gebrauch der erworbenen Ware und damit dem Schutz seiner durch die Marktteilnahme berührten Interessen, so dass es sich um eine Marktverhaltensregelung handelt.715 ZKDSG. Das Inverkehrbringen von Vorrichtungen, die objektiv zur unerlaubten 195 Nutzung eines zugangskontrollierten Dienstes (z.B. Pay-TV) geeignet sind, stellt eine unlautere Wettbewerbshandlung dar, weil das ZugangskontrolldiensteschutzG (ZKDSG) die Anbieter legaler Entschlüsselungsvorrichtungen vor illegalem Wettbewerb schützen soll.716 2. Produktspezifische Informations- und Kennzeichnungspflichten a) Spezialgesetzliche Regelungen. Zahlreiche Gesetze und europäische Verord- 196 nungen enthalten produktspezifische Informations- und Kennzeichnungspflichten, die Verbraucher oder gewerbliche Abnehmer über die Gefahren und sonstigen Eigenschaften der angebotenen Waren und Dienstleistungen informieren oder einer Irreführungsgefahr entgegenwirken sollen. Typischerweise handelt es sich bei diesen Informations- und Kennzeichnungspflichten um Marktverhaltensregelungen, die im Interesse von Verbrauchern oder anderen Marktteilnehmern bestehen.717 Bei Verstößen kommen mithin lauterkeitsrechtliche Ansprüche auf der Grundlage von § 3a in Betracht. Im Folgenden werden (nicht abschließend) typische Informations- und Kennzeichnungspflichten genannt. AltölV. Gem. § 8 Abs. 1 S. 2 Altölverordnung (AltölV) hat ein Gewerbetreibender, 197 der Motorenöl an Verbraucher abgibt, am Ort des Verkaufs auf die Möglichkeit der kostenlosen Rückgabe von Altöl bei einer Annahmestelle hinzuweisen. Dies gilt auch für den Versandhandel im Internet.718 Es handelt sich mit Blick auf die Ermöglichung ei-
_____
713 BGH 2.3.2017 – I ZR 194/15 – GRUR 2017, 537 Tz. 21–23 – Konsumgetreide; bestätigt in BGH 27.4.2017 – I ZR 215/15 – GRUR 2017, 819 Tz. 21 – Aufzeichnungspflicht; a.A. GK-UWG2/Metzger § 4 Nr. 11 Rn. 111. 714 BGH 27.4.2017 – I ZR 215/15 – GRUR 2017, 819 Tz. 22–28 – Aufzeichnungspflicht. 715 OLG Hamm 11.3.2014 – 4 U 127/13 – GRUR-RR 2014, 395, 397 – Soffittenlampe; OLG Hamm 25.9.2012 – I-4 W 72/12 – MMR 2013, 100; OLG Karlsruhe 12.12.2014 – 4 U 45/14 – WRP 2015, 593 Tz. 6 – LEDFahrradleuchten; OLG Düsseldorf 30.11.2015 – I-15 U 138/14 – WRP 2016, 503 Tz. 7 – LED Brems- und Rückleuchten; LG Freiburg i.Br. 7.8.2017 – 12 O 141/15 KfH – WRP 2018, 512 Tz. 19 – Fahrradlampenset; LG Siegen 1.6.2017 – 7 O 14/16 – WRP 2017, 1287 Tz. 8 – Zulassungspflichtige Fahrzeugteile. 716 OLG Frankfurt 5.6.2003 – 6 U 7/03 – GRUR-RR 2003, 287 – Magic Modul; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 3a Rn. 1.280. 717 S. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.194 ff.; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 63 f.; MünchKommUWG/ Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 206 ff.; FBO/Götting/Hetmank § 3a Rn. 146. 718 OLG Hamburg 2.6.2010 – 5 W 59/10 – GRUR-RR 2010, 479 – Altölrücknahme im Versandhandel; OLG Bamberg 21.7.2011 – 3 U 113/11 – WRP 2012, 223 Tz. 12 f. – Altölrücknahme im Versandhandel; OLG Celle 16.6.2016 – 13 U 26/16 – GRUR-RR 2017, 144 Tz. 11 ff. – Altölentsorgung.
97
Metzger/Eichelberger
§ 3a
198
199
200
201
Rechtsbruch
ner kostenlosen Rückgabe um eine Marktverhaltensregelung zugunsten der Verbraucher.719 AMG. Marktverhaltensregelung ist das dem Schutz der Gesundheit und damit dem Verbraucherschutz dienende Verbot, Arzneimittel oder Wirkstoffe herzustellen oder in den Verkehr zu bringen, die mit irreführender Bezeichnung, Angabe oder Aufmachung versehen sind (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 ArzneimittelG [AMG]).720 Dasselbe gilt für § 10 AMG, nach dem Fertigarzneimittel nur in den Verkehr gebracht werden dürfen, wenn auf den Behältnissen und, soweit verwendet, auf den äußeren Umhüllungen in gut lesbarer Schrift, allgemeinverständlich in deutscher Sprache und auf dauerhafter Weise bestimmte Informationen angebracht sind, insbesondere der Name oder die Firma und die Anschrift des pharmazeutischen Unternehmers, die Bezeichnung des Arzneimittels und die Zulassungsnummer.721 Biozid-VO. Marktverhaltensregelungen sind die besonderen Hinweispflichten des Art. 72 Abs. 1 und 2 Biozid-VO (EU) 528/2012 (früher § 15a ChemG a.F., s. Rn. 200) bei der Werbung für Biozidprodukte sowie die diesbezüglichen besonderen Werbevorschriften in Art. 72 Abs. 3 Biozid-VO.722 ChemG. Marktverhaltensregelungen sind die in § 13 ChemikalienG (ChemG) a.F. enthaltenen Kennzeichnungspflichten für chemische Stoffe.723 Dasselbe galt für den in § 15a Abs. 2 ChemG (nunmehr in Art. 72 Abs. 1, 2 Biozid-VO, s. Rn. 199) vorgesehenen Gefahrenhinweis bei der Werbung für Biozid-Produkte.724 ElektroG. Marktverhaltensregelung ist die Pflicht nach § 9 Abs. 1 ElektroG (= § 7 S. 1 ElektroG a.F.), Elektro- und Elektronikgeräte dauerhaft so zu kennzeichnen, dass der Hersteller eindeutig zu identifizieren ist, denn diese Kennzeichnungspflicht schützt die Mitbewerber vor einer Belastung mit höheren Entsorgungskosten infolge nicht gekennzeichneter Elektrogeräte durch andere Marktteilnehmer.725 Demgegenüber hat die Kennzeichnungspflicht nach § 9 Abs. 2 ElektroG (= § 7 S. 2 ElektroG a.F.) („durchgestrichene Abfalltonne“) lediglich eine ökologische Zielrichtung, indem sie den Verbraucher darauf hinweisen soll, dass er das Produkt nicht über die kommunale Abfalltonne entsorgen darf, sondern einer getrennten Verwertung zuführen muss, und ist daher keine Marktverhaltensregelung.726
_____
719 OLG Hamburg 2.6.2010 – 5 W 59/10 – GRUR-RR 2010, 479 – Altölrücknahme im Versandhandel; OLG Bamberg 21.7.2011 – 3 U 113/11 – WRP 2012, 223 Tz. 11 – Altölrücknahme im Versandhandel; OLG Celle 16.6.2016 – 13 U 26/16 – GRUR-RR 2017, 144 Tz. 10 – Altölentsorgung. 720 BGH 7.5.2015 – I ZR 29/14 – GRUR 2015, 1244 Tz. 13 – Äquipotenzangabe in Fachinformation. 721 BGH 13.12.2012 – I ZR 161/11 – GRUR 2013, 857 Tz. 10 – Voltaren; ferner BGH 12.12.2002 – I ZR 124/00 – GRUR 2003, 447 – Bricanyl II. 722 KG 22.11.2016 – 5 U 89/15 – BeckRS 2016, 113554; LG Landau 20.12.2017 – HK O 55/17 – GRUR-RS 2017, 143470 Tz. 9; LG Rostock 29.11.2016 – 6 HK O 59/16 – BeckRS 2016, 113569; LG Dortmund 29.7.2014 – 25 O 8/14 – BeckRS 2015, 5818. 723 Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 64. 724 OLG Hamburg 16.5.2007 – 5 U 220/06 – GRUR-RR 2008, 94 – Anti-Marder-Spray; OLG Hamm 19.1.2010 – 4 U 162/09 – GRUR-RR 2010, 389 – Tierwaschmittel. 725 BGH 9.7.2015 – I ZR 224/13 – GRUR 2015, 1021 Tz. 15 – Kopfhörer-Kennzeichnung (am Kabel von Kopfhörern befestigte Klebefähnchen sind nicht hinreichend dauerhaft); OLG Celle 21.11.2013 – 13 U 84/13 – GRUR-RR 2014, 152, 153 – Klebefähnchen; OLG Hamm 24.7.2014 – 4 U 142/13 – GRUR-RR 2015, 60 Tz. 58 – Energiesparlampen für Strahler; OLG Köln 16.8.2013 – 6 U 18/13 – GRUR-RS 2014, 11266 Tz. 16 – IntimMassagegeräte (alle zu § 7 S. 1 ElektroG a.F.); Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.198; Hamborg S. 248–253; a.A. OLG Köln 20.2.2015 – 6 U 118/14 – WRP 2015, 616 Tz. 46–50 – In Ear-Kopfhörer (zu § 7 S. 1 ElektroG a.F.). 726 OLG Köln 20.2.2015 – 6 U 118/14 – WRP 2015, 616 Tz. 27 – In Ear-Kopfhörer; OLG Köln 16.8.2013 – 6 U 18/13 – GRUR-RS 2014, 11266 Tz. 12 – Intim-Massagegeräte (beide zu § 7 S. 2 ElektroG a.F.); Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.198; Hamborg S. 253–255; a.A. OLG Düsseldorf 24.9.2015 – I-2 U 3/15 –
Metzger/Eichelberger
98
C. Marktverhaltensregelungen
§ 3a
EnWG. Elektrizitätsversorgungsunternehmen sind nach § 42 Abs. 1 und Abs. 2 202 Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) verpflichtet, in oder als Anlage zu ihren Rechnungen an Letztverbraucher und in an diese gerichtetem Werbematerial sowie auf ihrer Website für den Verkauf von Elektrizität bestimmte Informationen („Stromkennzeichnung“) anzugeben. Diese Informationspflichten sind Marktverhaltensregelungen.727 Ihre unionsrechtliche Fundierung finden sie in der Elektrizitätsbinnenmarkt-RL (RL 2009/ 72/EG, zuvor RL 2003/54/EG). Soweit sie aber – was nach der genannten Richtlinie zulässig ist – über den dort geregelten Mindeststandard hinausreichen, muss mit Blick auf den Erwägungsgrund 15 S. 4 und 5 der UGP-RL eine lauterkeitsrechtliche Durchsetzung mittels § 3a ausscheiden.728 Ebenfalls Marktverhaltensregelungen sind die durch § 41 Abs. 3 S. 1 EnWG begründete Verpflichtung der Energielieferanten, Letztverbraucher rechtzeitig, in jedem Fall jedoch vor Ablauf der normalen Abrechnungsperiode und auf transparente und verständliche Weise über eine beabsichtigte Änderung der Vertragsbedingungen und über ihre Rücktrittsrechte zu unterrichten,729 sowie die allgemeinen Anforderungen nach § 40 Abs. 1 und Abs. 2 EnWG an Inhalt und Ausgestaltung von Strom- und Gasrechnungen.730 Marktverhaltensregelung ist schließlich das in § 7a Abs. 6 EnWG verankerte Transparenzgebot für Verteilernetzbetreiber, die Teil eines vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens sind.731 Ob die Verpflichtung, Haushaltskunden vor Vertragsschluss verschiedene Zahlungsmöglichkeiten anzubieten (§ 41 Abs. 2 S. 1 EnWG), eine Marktverhaltensregelung darstellt, hat das OLG Köln dahinstehen lassen; jedenfalls handelt es sich um ein Verbraucherschutzgesetz im Sinne des § 2 UKlaG.732 Energieeffizienzangaben. Für eine Vielzahl von Produkten bestehen spezifische 203 Kennzeichnungspflichten hinsichtlich der Energieeffizienz („Energieverbrauch“). Diese Verpflichtungen zu Angaben zur Energieeffizienz dienen nicht allein dem Interesse der Allgemeinheit an einem wirksamen Umweltschutz, sondern sollen zugleich sicherstellen, dass die Verbraucher über die Energieeffizienz der Produkte informiert werden und ihre Entscheidung über deren Anschaffung in voller Sachkenntnis treffen können; es handelt sich deshalb um dem Schutz der Verbraucher dienende Marktverhaltensregelungen.733
_____ GRUR-RS 2015, 16758 Tz. 52 – Musikerbedarf; OLG Hamm 4.9.2014 – 4 U 77/14 – GRUR-RS 2014, 22054 Tz. 66 – In-ear-Kopfhörer ohne Registrierung (beide zu § 7 S. 2 ElektroG a.F.). 727 OLG Frankfurt 12.4.2011 – 11 U 5/11 – NJOZ 2012, 647, 648. 728 OLG Frankfurt 12.4.2011 – 11 U 5/11 – NJOZ 2012, 647, 648 (In casu erfasste die Sperrwirkung der UGP-RL die durch § 42 Abs. 1 Nr. 2 EnWG geforderte Angabe der Umweltauswirkungen in Bezug auf CO2Emissionen und radioaktiven Abfall unmittelbar in der Werbung, während Art. 3 Abs. 9 lit. b Elektrizitätsbinnenmarkt-RL einen Verweis auf bestehende Informationsquellen wie Internetseiten genügen lässt, sowie die nach § 42 Abs. 2 EnWG notwendige Pflicht zur Angabe der entsprechenden Durchschnittswerte der Stromerzeugung in Deutschland, für die es keine Grundlage in der Elektrizitätsbinnenmarkt-RL gibt.). 729 OLG Düsseldorf 20.10.2016 – I-20 U 37/16 – GRUR-RR 2017, 111 Tz. 16 – Versteckte Gaspreiserhöhung. 730 S. Alexander WRP 2012, 660, 665 ff.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.325. Nach LG Hamburg 22.10.2013 – 312 O 43/13 – BeckRS 2014, 11401, ist auch § 40 Abs. 4 EnWG, wonach der Energielieferant sicherstellen muss, dass der Letztverbraucher Rechnungen jeweils spätestens sechs Wochen nach Beendigung des abzurechnenden Zeitraums bzw. Beendigung des Lieferverhältnisses, erhält, eine Marktverhaltensregelung. 731 OLG Jena 21.2.2018 – 2 U 188/17 Kart – WRP 2018, 743 – Entflechtungsgebot. 732 S. OLG Köln 24.3.2017 – 6 U 146/16 – GRUR-RR 2017, 504 – Strom Basic. 733 S. BGH 15.12.2016 – I ZR 221/15 – GRUR 2017, 292 Tz. 24 – Energieverbrauchskennzeichnung im Internet (zu Art. 4 lit. b VO 1059/2010, 1060/2010 und 1061/2010, zu Art. 3 Abs. 4 RL 2002/40/EG und zu Art. 4 Nr. 1 lit. b i.V.m. Anhang VII VO (EU) 65/2014); BGH 15.12.2016 – I ZR 213/15 – GRUR 2017, 288 Tz. 26 – Energieverbrauchskennzeichnung (zu Art. 4 lit. a VO (EU) 1060/2010 und 1061/2010, zu Art. 3 Abs. 2
99
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
204
Unmittelbar unionsrechtliche Kennzeichnungspflichten im Bereich der Energieeffizienz ergeben sich insbesondere aus einer Reihe von auf Grundlage der EU-Energieverbrauchsangaben-RL 2010/30/EU, zum 1.8.2017 ersetzt durch die Rahmen-VO (EU) 2017/1369 zur Energieverbrauchskennzeichnung, erlassenen delegierten Verordnungen, beispielsweise für Klimageräte („Luftkonditionierer“) der VO (EU) 626/2011,734 für Haushaltgeschirrspüler, Haushaltskühlgeräte, Haushaltswaschmaschinen, Fernsehgeräte sowie Haushaltsbacköfen und -dunstabzugshauben der VO (EU) 1059/2010, VO (EU) 1060/2010, VO (EU) 1061/2010, VO (EU) 1062/2010 und VO (EU) 65/2014.735 Zu weiteren EU-Verordnungen siehe Anlage 2 zur (nationalen) Energieverbrauchskennzeichnungsverordnung (EnVKV). Dort finden sich (neben einer nationalen Kennzeichnungspflicht für Wasch-Trockenautomaten) auch Durchführungsregelungen zu den EU-Verordnungen. So ist beispielsweise ein Produkt noch nicht „ausgestellt“ im Sinne des § 4 Abs. 4 S. 1 EnVKV und unterliegt damit noch nicht der dort geregelten Etikettierungspflicht, wenn es in einer Kartonumverpackung präsentiert wird, bei der der Kunde das Gerät selbst nicht sehen kann.736 205 Aus dem nationalen Recht zu nennen ist zunächst die zur Umsetzung der Kraftstoffverbrauch-RL 1999/94/EG erlassene Pkw-Energieverbrauchskennzeichnungsverordnung (Pkw-EnVKV). Nach § 1 Pkw-EnVKV müssen Hersteller und Händler, die neue Personenkraftwagen ausstellen, zum Kauf oder Leasing anbieten oder für diese werben, dabei Angaben über den Kraftstoffverbrauch, die CO2-Emissionen und gegebenenfalls den Stromverbrauch nach Maßgabe der §§ 3 bis 5 Pkw-EnVKV machen.737 Diese Pflicht dient nicht nur dem Interesse der Allgemeinheit an einem wirksamen Umweltschutz, sondern soll auch die Verbraucher in die Lage versetzen, ihre Entscheidung über Kauf oder Leasing eines Pkw in voller Sachkenntnis zu treffen, so dass es sich um eine Marktverhaltensregelung handelt.738 – § 16a Energieeinsparverordnung (EnEV) schreibt für Immobilienanzeigen in kommerziellen Medien bestimmte Pflichtangaben vor, wenn ein
_____ UAbs. 2 RL 2002/40/EG i.V.m. § 4 EnVKV und zu Art. 4 Abs. 1 lit. a VO (EU) 65/2014); BGH 4.2.2016 – I ZR 181/14 – GRUR 2016, 954 Tz. 13 – Energieeffizienzklasse (zu Art. 4 lit. c VO (EU) 1062/2010); BGH 13.9.2018 – I ZR 117/15 – GRUR 2018, 1258 Tz. 21 – YouTube-Werbekanal II; BGH 5.3.2015 – I ZR 164/13 – GRUR 2015, 1017 Tz. 13 – Neue Personenkraftwagen II; BGH 21.12.2011 – I ZR 190/10 – GRUR 2012, 842 Tz. 16, 22 – Neue Personenkraftwagen I; BGH 4.2.2010 – I ZR 66/09 – GRUR 2010, 852 Tz. 16 – Gallardo Spyder (die vier letztgenannten zu § 1 Abs. 1, § 5 Abs. 1 Pkw-EnVKV); OLG Zweibrücken 21.6.2016 – 4 U 111/15 – WRP 2016, 1174 – „Mehr zum Artikel“ und OLG Köln 26.2.014 – 6 U 189/13 – GRUR-RR 2014, 296 – LED-Monitor (beide zu § 6a EnVKV [Energieeffizienzangaben in der Werbung]). 734 Dazu BGH 6.4.2017 – I ZR 159/16 – GRUR 2017, 928 – Energieeffizienzklasse II. 735 Dazu BGH 15.12.2016 – I ZR 221/15 – GRUR 2017, 292 – Energieverbrauchskennzeichnung im Internet; BGH 15.12.2016 – I ZR 213/15 – GRUR 2017, 288 – Energieverbrauchskennzeichnung. 736 BGH 15.12.2016 – I ZR 213//15 – GRUR 2017, 288 Tz. 30 ff. – Energieverbrauchskennzeichnung. 737 Dazu BGH 13.9.2018 – I ZR 117/15 – GRUR 2018, 1258 – YouTube-Werbekanal II (zu Pflichtangaben bei einem auf einem YouTube-Videokanal abrufbaren Werbevideo); BGH 5.3.2015 – I ZR 164/13 – GRUR 2015, 1017 – Neue Personenkraftwagen II (zum Begriff „neue Personenkraftwagen“); BGH 21.12.2011 – I ZR 190/10 – GRUR 2012, 842 – Neue Personenkraftwagen I (zum Begriff „neue Personenkraftwagen“); BGH 4.2.2010 – I ZR 66/09 – GRUR 2010, 852 – Gallardo Spyder; OLG Celle 8.5.2018 – 13 U 12/18 – GRUR-RS 2018, 16521 Tz. 19 – Geteilter Facebook-Eintrag (der Eintrag auf der Facebook-Seite eines Autohauses, mit dem dieses einen Testbericht für ein dort verkauftes Fahrzeug „teilt“, ist Werbung); OLG Karlsruhe 5.2.2016 – 4 U 86/14 – GRUR-RS 2016, 3725 – Versteckte Verbrauchsangaben (zur Lesbarkeit von Pflichtangaben); OLG Köln 19.5.2017 – 6 U 155/16 – GRUR-RR 2017, 319 Tz. 10 – Facebook-Posting für Pkw (zum gebotenen Zeitpunkt der Pflichtangaben bei Werbung mittels Facebook-Post); s. auch BGH 24.7.2014 – I ZR 19/13 – GRUR 2015, 393 – Der neue SLK (Pflichtangaben sind nur bei Werbung für konkretes Modell, nicht hingegen bei Werbung für eine Modellreihe – hier „Mercedes-Benz-SLK“ notwendig); ebenso OLG Frankfurt 6.12.2018 – 6 U 196/17 – WRP 2019, 491 Tz. 10 ff. – Pkw-Teaser-Werbung. 738 BGH 4.2.2010 – I ZR 66/09 – GRUR 2010, 852 Tz. 16 – Gallardo Spyder; BGH 13.9.2018 – I ZR 117/15 – GRUR 2018, 1258 Tz. 21 – YouTube-Werbekanal II.
Metzger/Eichelberger
100
C. Marktverhaltensregelungen
§ 3a
Energieausweis vorliegt. Dies soll gewährleisten, dass die Verbraucher über die Energieeffizienz der beworbenen Immobilie informiert werden und ihre Entscheidung, ob sie diese erwerben oder mieten wollen, in voller Sachkenntnis treffen können; es handelt sich deshalb um eine Marktverhaltensregelung.739 Adressaten dieser Pflicht sind neben dem Verkäufer auch Vermieter, Verpächter und Leasinggeber (s. § 16a Abs. 2 EnEV), nicht aber Immobilienmakler; insoweit kommt wegen der bewussten Entscheidung des Gesetzgebers auch keine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung in Betracht.740 EinhZeitG/EinhV. Gem. § 1 Einheiten- und ZeitG (EinhZeitG) sind im amtlichen 206 und geschäftlichen Verkehr Größen in gesetzlichen Einheiten anzugeben, wenn für sie durch Rechtsverordnung Einheiten festgesetzt sind. Für die gesetzlichen Einheiten sind die festgelegten Namen und Einheitenzeichen zu verwenden. Die Einheiten sind in der Einheitenverordnung (EinhV) festgelegt. Verstöße können zugleich unlautere Wettbewerbshandlungen sein, etwa die alleinige Verwendung „PS“ statt der gesetzlich vorgesehenen Einheit „kW“.741 Bei Verstößen gegen die EinhV ist allerdings besonders aufmerksam zu prüfen, ob nicht die Spürbarkeitsklausel der Unlauterkeit entgegensteht. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn eine in einem bestimmten Markt übliche, gesetzlich aber nicht vorgesehene Maßeinheit verwendet wird, etwa die Angabe in Zoll (gegebenenfalls abgekürzt durch das dafür stehende Zeichen „"“) bei der Größe von Autoreifen742 oder von Computermonitoren, Fernsehgeräten und digitalen Bilderrahmen.743 Die Spürbarkeit der Zuwiderhandlung kann auch zu verneinen sein, wenn die gesetzliche Leistungseinheit „kW“ und zusätzlich die Bezeichnung „PS“ verwendet wird, ohne dass – wie dies § 3 EinhV vorschreibt – die gesetzliche Einheit hervorgehoben wird.744 Wettbewerbsrechtliche Ansprüche wurden unter Geltung des § 1 a.F. bisweilen auch abgelehnt, wenn die gesetzeswidrige Auszeichnung versehentlich und nicht planmäßig geschehen war.745 Kosmetik-VO. Die bisherige (nationale) Kosmetik-Verordnung (KosmetikV), die die 207 Regelungen der mehrfach revidierten RL 76/768/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über kosmetische Mittel in nationales Recht umgesetzt hatte, wurde durch Inkrafttreten der unmittelbar anwendbaren Kosmetik-VO (EU) 1223/2009 weitgehend obsolet.746 Die KosmetikV (n.F.) dient nur noch der Überwachung des Verkehrs mit kosmetischen Mitteln sowie der Durchführung der Kosmetik-VO (s. § 1 KosmetikV). Nach Art. 19 Kosmetik-VO dürfen kosmetische Mittel (Art. 2 Abs. 1 lit. a Kosmetik-VO)747 nur auf dem Markt bereitgestellt werden, wenn die Behältnisse und Verpackungen unverwischbar, leicht lesbar und deutlich sichtbar die näher spezifizier-
_____
739 BGH 5.10.2017 – I ZR 232/16 – GRUR 2018, 438 Tz. 12 – Energieausweis. 740 BGH 5.10.2017 – I ZR 232/16 – GRUR 2018, 438 Tz. 13–20 – Energieausweis. 741 BGH 4.3.1993 – I ZR 15/91 – GRUR 1993, 679 – PS-Werbung I. 742 BGH 23.2.1995 – I ZR 36/94 – GRUR 1995, 427 – Zollangaben. 743 S. OLG Hamm 10.5.2010 – 4 W 48/10 – MMR 2010, 548; LG Bochum 30.3.2010 – 17 O 21/10 – BeckRS 2010, 11034; OLG Hamm 11.1.1994 – 4 U 177/93 – BeckRS 1994, 13866; anders aber OLG Hamm 23.9.1993 – 4 U 113/93 – NJW-RR 1994, 623. 744 So in BGH 14.10.1993 – I ZR 40/93 – GRUR 1994, 220 – PS-Werbung II. 745 BGH 7.10.1993 – I ZR 284/91 – GRUR 1994, 638 – Fehlende Planmäßigkeit (für die alleinige Verwendung von „PS“ statt von „kW“). 746 Ausgewählte Rechtsprechung zur KosmetikV a.F.: BGH 16.3.1989 – I ZR 56/87 – GRUR 1989, 673 – Zahnpasta; BGH 21.4.1994 – I ZR 271/91 – GRUR 1994, 642 – Chargennummer; BGH 15.7.1999 – I ZR 14/97 – BGHZ 142, 192, 197 = GRUR 1999, 1109 – Entfernung der Herstellungsnummer I; BGH 17.5.2001 – I ZR 291/98 – BGHZ 148, 26 = GRUR 2001, 841 – Entfernung der Herstellungsnummer II (alle zu § 4 KosmetikV a.F. [Angaben zum Schutz der Gesundheit]). 747 Zum Begriff s. EuGH 3.9.2015 – C-321/14 – GRUR Int. 2015, 978 Tz. 16–26 – Colena [Motivkontaktlinsen].
101
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
ten Angaben tragen, etwa Name und Anschrift der verantwortlichen Person, Nenninhalt, Mindesthaltbarkeitsdatum, besondere Vorsichtsmaßnahmen für den Gebrauch, Chargennummer, Verwendungszweck, Liste der Bestandteile etc. Dies dient dem Gesundheitsschutz und ist deshalb Marktverhaltensregelung.748 Dasselbe gilt für das Verbot irreführender Werbeaussagen in Art. 20 Abs. 1 Kosmetik-VO,749 wonach bei der Kennzeichnung, der Bereitstellung auf dem Markt und der Werbung für kosmetische Mittel keine Texte, Bezeichnungen, Warenzeichen, Abbildungen und andere bildhafte oder nicht bildhafte Zeichen verwendet werden dürfen, die Merkmale oder Funktionen vortäuschen, die die betreffenden Erzeugnisse nicht besitzen. 208 Lebensmittelrecht. Im Bereich des Lebensmittelrechts besteht eine Vielzahl von allgemeinen und produktspezifischen Kennzeichnungspflichten nach nationalen und unionsrechtlichen Vorschriften. Typischerweise dienen all diese Kennzeichnungspflichten dem Schutz der Verbraucher beim Kontakt mit diesen Produkten am Markt, so dass die diesbezüglichen Vorschriften Marktverhaltensregelungen sind. Solche lebensmittelrechtlichen Kennzeichnungsvorschriften finden sich beispielsweise in der Lebensmittelinformations-VO (EU) 1169/2011 (LMIV),750 die an die Stelle der früheren (nationalen) Lebensmittelkennzeichnungsverordnung (LMKV) a.F. und Nährwertkennzeichnungsverordnung (NKV) a.F. getretenen ist,751 in § 3 Kakaoverordnung (KakaoV),752 in der Fertigpackungsverordnung (FertigPackV),753 in Art. 78 Abs. 2 Gemeinsame Marktorganisations-VO (EU) 1308/2013 (GMO-VO)754 und in den §§ 8, 14 Mineral- und Tafelwasserverordnung (MTVO). MessEG. Das Gebot des § 43 Abs. 2 Mess- und EichG (MessEG) (= § 7 Abs. 2 EichG 209 a.F.), dass Fertigpackungen so gestaltet und befüllt sein müssen, dass sie keine größere Füllmenge vortäuschen, als in ihnen enthalten ist („Mogelpackung“), ist eine Marktverhaltensregelung.755 Der Umstand allein, dass eine Überdimensionierung des Warenbe-
_____
748 OLG Köln 16.2.2018 – 6 U 90/17 – GRUR-RR 2018, 417 Tz. 84 – Lippenstiftkugel; LG München I 9.1.2018 – 1 HK O 11164/17 – BeckRS 2018, 2757 Tz. 16 – Badetörtchen; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.201. 749 BGH 28.1.2016 – I ZR 36/14 – GRUR 2016, 418 Tz. 11 – Feuchtigkeitsspendendes Gel-Reservoir; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.201. 750 S. KG 23.1.2018 – 5 U 126/16 – LMuR 2018, 115, 116; OLG Celle 11.9.2018 – 13 W 40/18 – BeckRS 2018, 23408 Tz. 8 (beide zu Art. 14 Abs. 1 lit. a LMIV [besondere Informationspflichten beim Verkauf vorverpackter Lebensmittel im Fernabsatz]); KG 21.6.2017 – 5 U 185/16 – WRP 2018, 226 Tz. 39 – Lieferservice-Portal (zu Art. 10 Abs. 1 LMIV [besondere Pflichtabgaben bei bestimmten Arten oder Klassen von Lebensmitteln] und zu Art. 13 Abs. 1 LMIV [Darstellungsform der Pflichtangaben]); LG Düsseldorf 26.4.2017 – 34 O 16/16 – WRP 2017, 1154 Tz. 6 – Zutatenverzeichnis (zu Art. 9 Abs. 1 LMIV [Verzeichnis der verpflichtenden Angaben]). 751 S. zur LMKV a.F. und zur NKV a.F.: BGH 22.11.2012 – I ZR 72/11 – GRUR 2013, 739 Tz. 19 – Barilla (zu § 3 Abs. 1 Nr. 3 [Zutatenverzeichnis] und Nr. 4 [Mindesthaltbarkeitsdatum], Abs. 3 S. 1 und S. 2 [Art und Weise der Kennzeichnung], § 7 Abs. 2 [Darstellung des Mindesthaltbarkeitsdatums] LMKV a.F. und zu § 5 Abs. 7 NKV a.F. [Darstellung der Nährwertangaben]); GK-UWG2/Metzger § 4 Nr. 11 Rn. 119. 752 S. OLG Hamburg 19.12.2016 – 3 W 85/16 – WRP 2017, 345 Tz. 14 – Pflaume in Schokolade (zu § 3 Abs. 4 Nr. 1 KakaoV). 753 S. dazu BGH 22.6.1995 – I ZR 153/93 – GRUR 1995, 760 – Frischkäsezubereitung (zu § 12 Abs. 1 FertigPackV a.F. [Pflicht zur Angabe des Grundpreises]; LG Hamburg 30.6.2006 – 408 O 194/06 – BeckRS 2011, 13829 (zu § 7 FertigPackV [Kennzeichnung der Füllmenge bei Fertigpackungen mit bestimmten Erzeugnissen]). 754 S. OLG Nürnberg 17.4.2018 – 3 U 2083/17 – juris Rn. 37 – Naturjoghurt (zu Art. 78 Abs. 2 GMO-VO i.V.m. deren Anhang VII Teil III: „Naturjoghurt“ ist als Bezeichnung eines rein pflanzlichen Produkts unzulässig, weil „Joghurt“ ausschließlich Milcherzeugnissen vorbehalten ist). – Zu Weinbezeichnungen s. BGH 30.4.2009 – I ZR 45/07 – GRUR 2009, 972 Tz. 14 – Lorch Premium II. 755 S. BGH 11.10.2017 – I ZR 78/16 – GRUR 2018, 431 Tz. 41 – Tiegelgröße; OLG Karlsruhe 20.3.2015 – 4 U 196/14 – GRUR-RR 2015, 253 Tz. 15 f. – Rondelé; zu § 7 Abs. 2 EichG a.F.: OLG Karlsruhe 20.3.2015 – 4 U
Metzger/Eichelberger
102
C. Marktverhaltensregelungen
§ 3a
hältnisses technisch bedingt ist, macht seine Verwendung noch nicht zulässig. Ist aber die Überdimensionierung aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen notwendig, so kann das Interesse der Allgemeinheit an einer durch den Fortschritt bewirkten Verbesserung so erheblich sein, dass demgegenüber eine nur geringfügige Täuschungsgefahr zurücktreten kann.756 Hier greift dann die Bagatellklausel des § 3a ein. MPG. Medizinprodukte (dazu § 3 MPG) dürfen nach § 6 Abs. 1 MedizinprodukteG (MPG) grundsätzlich nur in den Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden, wenn sie mit einer CE-Kennzeichnung (§ 9 MPG) versehen sind. Die dafür einzuhaltenden (s. § 6 Abs. 2 MPG) Sicherheitsanforderungen für Medizinprodukte sind in verschiedenen europäischen Richtlinien festgelegt (§ 7 Abs. 1 MPG). Das CE-Kennzeichen wird von den hierfür benannten Stellen nach Durchführung einer klinischen Bewertung vergeben. Diese Vorschriften sind Marktverhaltensregelungen.757 Dasselbe gilt für das Verbot des § 4 Abs. 2 MPG, Medizinprodukte in den Verkehr zu bringen, wenn sie mit irreführender Bezeichnung, Angabe oder Aufmachung versehen sind.758 ÖkoKennzG/ÖkoKennzV/Öko-VO. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 ÖkoKennzG ist es verboten, ein Erzeugnis oder einen sonstigen Gegenstand mit einer dem Öko-Kennzeichen (s. dazu Anlage 1 zu § 1 Abs. 1 ÖkoKennV) nachgemachten Kennzeichnung, die zur Irreführung über die Art der Erzeugung, die Zusammensetzung oder andere verkehrswesentliche Eigenschaften des gekennzeichneten Erzeugnisses oder Gegenstandes geeignet ist, in den Verkehr zu bringen. Dies bezweckt den Schutz der Verbraucher vor Irreführung und ist deshalb eine Marktverhaltensregelung.759 Zum Irreführungsverbot in der produktbezogenen Werbung s. Rn. 239. Ebenfalls Marktverhaltensregelungen sind die von Art. 24 VO (EG) 834/2007 über die ökologische/biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen (Öko-VO) vorgeschriebenen Pflichtangaben bei als ökologisch oder biologisch hergestellt gekennzeichneten Produkten.760 PflSchG/Pflanzenschutzmittel-VO. Das PflanzenschutzG verweist in § 31 Abs. 1 PflSchG auf die Kennzeichnungspflichten nach §§ 13, 14 ChemG und sieht in § 31 Abs. 2 PflSchG zusätzliche Kennzeichnungspflichten vor. Es handelt sich um Marktverhaltensregelungen.761 Dasselbe gilt für die Kennzeichnungspflichten nach Art. 65 Pflanzenschutzmittel-VO (EG) 1107/2009 i.V.m. der Durchführungs-VO (EU) 547/2011.762 TextilKennz-VO/TextilKennzG. Vorschriften über die Kennzeichnung von Textilien finden sich in der an die Stelle des früheren TextilkennzeichnungsG (TextilKennzG)
_____ 196/14 – GRUR-RR 2015, 253 Tz. 15 – Rondelé; OLG Karlsruhe 22.11.2012 – 4 U 156/12 – WRP 2013, 216 Tz. 16 – Innenverpackung; OLG Frankfurt 21.10.2008 – 14 U 240/07 – BeckRS 2009, 11004 – Mogelpackungen; zu § 17a EichG a.F.: BGH 30.10.1981 – I ZR 156/79 – BGHZ 82, 138, 145 = GRUR 1982, 118, 119 f. – Kippdeckeldose. 756 Vgl. BGH 30.10.1981 – I ZR 156/79 – BGHZ 82, 138, 143 f. = GRUR 1982, 118, 119 f. – Kippdeckeldose (zu § 17a EichG a.F.). 757 BGH 17.7.2008 – I ZR 133/07 – GRUR 2008, 922 Tz. 6 – In-vitro-Diagnostika; BGH 12.5.2010 – I ZR 185/07 – GRUR 2010, 756 Tz. 9 – One Touch Ultra; BGH 9.7.2009 – I ZR 193/06 – GRUR 2010, 169 Tz. 13 – CE-Kennzeichnung. 758 S. BGH 15.4.2010 – I ZR 145/08 – GRUR 2010, 1125 Tz. 52 – Femur-Teil; OLG Frankfurt 28.9.2017 – 6 U 183/16 – WRP 2017, 1500 Tz. 2; OLG München 15.12.2016 – 6 U 4618/15 – juris Tz. 135 – Millimeterwellentherapie. 759 BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 59 – Biomineralwasser. 760 S. OLG Celle 11.9.2018 – 13 W 40/18 – WRP 2018, 1494 Tz. 5. 761 S. LG Bielefeld 6.4.2018 – 15 O 96/17 – BeckRS 2018, 33181 Tz. 14; LG Düsseldorf 27.10.2016 – 37 O 72/16 – BeckRS 2016, 130704 Tz. 13 (beide zu § 31 Abs. 2 PflSchG); Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 64. 762 S. Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 64.
103
Metzger/Eichelberger
210
211
212
213
§ 3a
Rechtsbruch
a.F.763 getretenen Textilerzeugnis-Kennzeichnungs-VO (EU) 1007/2011 (TextilKennzVO). Das heutige TextilKennzG dient nur noch deren Durchführung und Ergänzung (s. § 1 TextilKennzG). Die Kennzeichnungsvorschriften der TextilKennz-VO dienen dem Schutz der Verbraucher und sind deshalb Marktverhaltensregelungen.764 Dasselbe gilt für § 3 TextilKennzG, nach dem ein Hersteller, Einführer oder Händler ein Textilerzeugnis nur in Verkehr bringen oder auf dem Markt bereitstellen darf, wenn es entsprechend § 4 TextilKennzG und den Anforderungen der Textilkennz-VO etikettiert oder gekennzeichnet ist.765 TabakerzG/TabakerzV. Kennzeichnungspflichten für Tabakerzeugnisse enthält das 214 an die Stelle des vorläufigen TabakG getretene TabakerzeugnisG (TabakerzG) in Verbindung mit der dieses konkretisierenden Tabakerzeugnisverordnung (TabakerzV). So macht beispielsweise § 12 TabakerzV konkrete Vorgaben zu obligatorischen Warnhinweisen („Rauchen ist tödlich“ etc.). Diese Kennzeichnungspflichten dienen dem Schutz der Gesundheit der Verbraucher und sind deshalb Marktverhaltensregelungen.766 WpHG. Um Marktverhaltensregelungen handelte es sich bei den Informations- und 215 Verhaltenspflichten der §§ 31 ff. Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) a.F.767 Gem. § 31 Abs. 3 WpHG a.F. waren Wertpapierdienstleistungsunternehmen verpflichtet, Kunden Informationen zur Verfügung zu stellen, die angemessen sind, damit die Kunden die Art und die Risiken der ihnen angebotenen Finanzinstrumente verstehen und auf dieser Grundlage ihre Anlageentscheidungen treffen können. Die Informationen mussten sich beziehen auf das Wertpapierdienstleistungsunternehmen und seine Dienstleistungen, die vorgeschlagenen Anlagestrategien einschließlich damit verbundener Risiken etc. Die Informationen mussten zudem gem. § 31 Abs. 2 WpHG a.F. „redlich, eindeutig und nicht irreführend“ sein. Die Vorschriften dienten nach Erwägungsgrund 44 der zugrunde liegenden RL 2004/39/EG über Märkte für Finanzinstrumente dem zweifachen Ziel, die Anleger zu schützen und ein reibungsloses Funktionieren der Finanzmärkte sicherzustellen. Die Vorschriften dienten damit auch dem Interesse der anderen Marktteilnehmer und waren mithin Marktverhaltensregelungen. Die bisher in § 31 ff. WpHG a.F. enthaltenen Pflichten sind inzwischen in den §§ 63 ff. WpHG verortet. 216
b) Deliktsrechtliche Informationspflichten. Bei Produkten, die ein Sicherheits-, insbesondere Gesundheitsrisiko aufweisen, können Informationspflichten (namentlich Warnhinweise und Instruktionspflichten hinsichtlich des sicheren Gebrauchs) als deliktsrechtliche (§ 823 Abs. 1 BGB) Verkehrspflichten bestehen, insbesondere nach den Grundsätzen der Produzentenhaftung, sowie aus dem Produkthaftungsrecht.768 Ob solche Informationspflichten Marktverhaltensregelungen sind, so dass im Falle ihrer Verletzung lauterkeitsrechtliche Ansprüche in Betracht kommen, ist für § 3a noch nicht abschließend geklärt. Unter Geltung des § 1 a.F. wurde es beispielsweise bei Gefahren für wichtige Rechtsgüter wie der Gesundheit als sittenwidrig und damit unlauter angesehen, für ein potentiell gesundheitsschädliches Produkt (hier Zigaretten) zu werben, ohne
_____
763 Dazu BGH 30.11.1979 – I ZR 1/78 – GRUR 1980, 302 – Rohstoffgehaltsangabe in Versandhandelsanzeige (zu § 1 TextilKennzG a.F. [Rohstoffgehaltsangabe]). 764 S. BGH 24.3.2016 – I ZR 7/15 – GRUR 2016, 1068 Tz. 14 – Textilkennzeichnung. 765 S. BGH 24.3.2016 – I ZR 7/15 – GRUR 2016, 1068 Tz. 14 – Textilkennzeichnung. 766 Harte/Henning/v. Jagow § 3a Rn. 121; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 64 (zu §§ 6, 7 Tabakprodukt-Verordnung a.F.). 767 S. OLG Schleswig 5.9.2012 – 6 U 14/11 – GRUR-RR 2013, 71, 74 – Sicherheit zum Anfassen; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.214 sowie Köhler WM 2009, 385, 391 ff. 768 S. BGH 16.6.2009 – VI ZR 107/08 – BGHZ 181, 253 = NJW 2009, 2952 Tz. 15, 23; MünchKommBGB/ Wagner § 823 Rn. 826 ff.; MünchKommBGB/Wagner § 3 ProdHaftG Rn. 41.
Metzger/Eichelberger
104
C. Marktverhaltensregelungen
§ 3a
zugleich durch einen Warnhinweis das Bewusstsein der Schädlichkeit wachzuhalten.769 Daran ist unter Geltung des § 3a festzuhalten. Ob eine Informationspflicht spezialgesetzlich angeordnet ist oder sich aus allgemeinen, insbesondere deliktsrechtlichen (gesetzlichen) Vorschriften ergibt, ist letztlich nicht entscheidend. Maßgeblich ist – in beiden Fällen – vielmehr allein, ob die Informationspflicht dazu bestimmt ist, das Marktverhalten im Interesse der Marktteilnehmer zu regeln. Ist das für eine Informationspflicht auf allgemeiner Rechtsgrundlage zu bejahen, handelt es sich um eine Marktverhaltensregelung. Gerade bei den eingangs genannten Informationspflichten im Zusammenhang mit Produkten, die ein Sicherheits-, insbesondere Gesundheitsrisiko aufweisen, ist dies typischerweise der Fall.770 Die Flankierung des deliktsrechtlichen Schutzes einzelner Geschädigter durch die lauterkeitsrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten erscheint auch im Ergebnis als sinnvoll, weil nur so ein präventiver, vom Eintritt eines durch die Informationspflichtverletzung verursachten Schadens unabhängiger Verbraucherschutz zu gewährleisten ist.771 3. Produktspezifische Werbebeschränkungen. Produktspezifische Werberege- 217 lungen, das heißt Beschränkungen der Art und Weise der Werbung oder gar Verbote von Werbung für bestimmte Produkte, dienen typischerweise dem Schutz der Verbraucher in ihrer Eigenschaft als Marktteilnehmer vor Irreführung oder sonstiger unlauterer Beeinflussung und sind deshalb regelmäßig Marktverhaltensregelungen.772 Zahlreiche spezifische Werberegelungen finden sich beispielsweise im Arznei- und Lebensmittelrecht, ferner im Glücksspiel- und im Rundfunkrecht. a) HWG aa) Allgemeines. Das HeilmittelwerbeG (HWG) soll in erster Linie Gefahren be- 218 gegnen, die der Gesundheit des Einzelnen und den Gesundheitsinteressen der Allgemeinheit durch unsachgemäße Selbstmedikation drohen, unabhängig davon, ob sie im Einzelfall wirklich eintreten.773 Die Werbebeschränkungen sollen verhindern, dass durch eine mit Übertreibungen arbeitende, suggestive oder marktschreierische Werbung kranke und besonders ältere Menschen zu Fehlentscheidungen beim Arzneimittelgebrauch und bei der Verwendung anderer Mittel zur Beseitigung von Krankheiten oder Körperschäden verleitet werden.774 Medizinischen Laien fehlt in der Regel die notwendige
_____
769 S. BGH 25.11.1993 – I ZR 259/91 – BGHZ 124, 230, 235 f. = NJW 1994, 730, 731 – Warnhinweis I. – BGH 14.1.1993 – I ZR 301/90 – GRUR 1993, 756, 757 – Mild-Abkommen stützte das lauterkeitsrechtliche Verbot der Werbung für Zigaretten mit der blickfangmäßig herausgehobenen Aussage „Mild!“ auf den Vorsprungsgedanken, da sich im sog. „Mild-Abkommen“ 1980 nahezu sämtliche Unternehmen der Zigarettenindustrie selbstverpflichtet hatten, unter anderem nicht Zigaretten als „mild“ zu bezeichnen, wenn Durchschnittswerte an gesundheitsschädlichen Inhaltsstoffen überschritten werden. 770 Ebenso Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.193; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 222; a.A. Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 65. 771 A.A. Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 65: Das allgemeine Zivilrecht reiche zum Individualschutz aus und eine Verbandsklage im Deliktsrecht müsse durch den Gesetzgeber vorgesehen werden. 772 S. nur Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.217; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 66; Ullmann GRUR 2003, 817, 823. 773 BVerfG 20.3.2007 – 1 BvR 1226/06 – GRUR 2007, 720, 721 – Geistheiler; BGH 26.3.2009 – I ZR 213/06 – BGHZ 180, 355 = GRUR 2009, 984 Tz. 17 – Festbetragsfestsetzung; BGH 26.9.2002 – I ZR 101/00 – GRUR 2003, 255, 256 – Anlagebedingter Haarausfall. 774 BVerfG 20.3.2007 – 1 BvR 1226/06 – GRUR 2007, 720, 721 – Geistheiler; BGH 26.3.2009 – I ZR 213/06 – BGHZ 180, 355 = GRUR 2009, 984 Tz. 17 – Festbetragsfestsetzung; BGH 26.9.2002 – I ZR 101/00 – GRUR 2003, 255, 256 – Anlagebedingter Haarausfall.
105
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
Sachkenntnis zur zutreffenden Beurteilung von Werbeaussagen über Heilmittel; auch mögen sie im Krankheitsfall dazu neigen, Werbeaussagen blind zu vertrauen.775 Es geht also um Gesundheitsschutz und Schutz gegen wirtschaftliche Übervorteilung.776 Verstöße gegen die Regelungen des HWG sind deshalb in aller Regel unlauter und auch geeignet, Interessen der Marktteilnehmer spürbar zu beeinträchtigen; eine abweichende Beurteilung im Einzelfall, beispielsweise aus grundrechtlichen Erwägungen ist aber denkbar.777 Das HWG dient im Hinblick auf die Arzneimittelwerbung der Umsetzung der (zwi219 schenzeitlich mehrfach geänderten) RL 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (insbesondere deren Art. 86–88). Diese Richtlinie hat zu einer grundsätzlich vollständigen Harmonisierung auch des Bereichs der Werbung für und der Information über Humanarzneimittel geführt.778 Eine Überprüfung der Vorschriften des HWG am Maßstab des Grundgesetzes und eine am Grundgesetz ausgerichtete verfassungskonforme Auslegung kommt deswegen nur im nicht harmonisierten Bereich in Betracht, insbesondere bei der Werbung für Medizinprodukte.779 Im Anwendungsbereich der Richtlinie sind dagegen allein die europäischen Grundrechte als Maßstab heranzuziehen.780 Das HWG ist gem. § 1 Abs. 1 HWG anwendbar auf Arzneimittel (i.S.d. § 2 AMG) und 220 Medizinprodukte (i.S.d. § 3 MPG) sowie auf andere Mittel, Verfahren, Behandlungen und Gegenstände, soweit sich die Werbeaussage auf die Erkennung, Beseitigung oder Linderung von Krankheiten bezieht, sowie operative plastisch-chirurgische Eingriffe. Der Begriff der Werbung umfasst alle produkt- oder leistungsbezogenen Aussagen, die darauf angelegt sind, den Absatz des beworbenen Arzneimittels oder Medizinprodukts zu fördern.781 Nicht erfasst ist dagegen die allgemeine Unternehmenswerbung (namentlich Image- oder Aufmerksamkeitswerbung), die ohne Bezugnahme auf bestimmte Präparate für Ansehen und Leistungsfähigkeit des Unternehmens allgemein wirbt, obschon letztlich auch sie mittelbar den Absatz der Produkte des Unternehmens fördern soll.782 Für die Anwendung der Vorschriften des Heilmittelwerbegesetzes reicht es allerdings aus,
_____
775 OLG München 2.3.2017 – 29 U 4641/16 – WRP 2017, 1011 Tz. 8 – Neodolor I; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 3a Rn. 1.218. 776 BVerfG 20.3.2007 – 1 BvR 1226/06 – GRUR 2007, 720, 721 – Geistheiler; BGH 12.12.2013 – I ZR 83/12 – GRUR 2014, 689 Tz. 11 – Testen Sie Ihr Fachwissen. 777 S. BGH 26.3.2009 – I ZR 213/06 – BGHZ 180, 355 = GRUR 2009, 984 Tz. 34 – Festbetragsfestsetzung; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.222. 778 EuGH 8.11.2007 – C-374/05 – Slg. 2007, I-9517 = GRUR 2008, 267 Tz. 20 ff. – Gintec/Verband Sozialer Wettbewerb; BGH 9.2.2017 – I ZR 130/13 – GRUR 2017, 833 Tz. 18 – Weihrauch-Extrakt-Kapseln II; BGH 18.1.2012 – I ZR 83/11 – GRUR 2012, 1058 Tz. 10 – Euminz. 779 S. BGH 26.3.2009 – I ZR 99/07 – GRUR 2009, 1082 Tz. 23 – DeguSmiles & more; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 3a Rn. 1.219. 780 OLG Hamburg 30.6.2009 – 3 U 13/09 – GRUR-RR 2010, 74, 77 – Läusemittel; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 3a Rn. 1.219. 781 BGH 26.3.2009 – I ZR 213/06 – BGHZ 180, 355 = GRUR 2009, 984 Tz. 13 – Festbetragsfestsetzung; BGH 27.4.1995 – I ZR 116/93 – GRUR 1995, 612, 613 – Sauerstoff-Mehrschritt-Therapie; BGH 17.2.1983 – I ZR 203/80 – GRUR 1983, 393, 394 – Novodigal/temagin; OLG Karlsruhe 29.11.2006 – 6 U 140/05 – PharmR 2007, 383. – Im harmonisierten Bereich ist die Definition des Art. 86 Abs. 1 RL 2001/83/EG maßgebend: „Werbung für Arzneimittel“ sind danach „alle Maßnahmen zur Information, zur Marktuntersuchung und zur Schaffung von Anreizen mit dem Ziel, die Verschreibung, die Abgabe, den Verkauf oder den Verbrauch von Arzneimitteln zu fördern“, insbesondere die dort aufgezählten Beispiele. Zum Begriff s. auch EuGH 5.5.2011 – C-316/09 – Slg. 2011, I-3249 = GRUR 2011, 1160 Tz. 27 ff. – MSD Sharp & Dohme. 782 BGH 24.11.2016 – I ZR 163/15 – GRUR 2017, 635 Tz. 30 – Freunde werben Freunde; BGH 26.3.2009 – I ZR 99/07 – GRUR 2009, 1082 Tz. 15 – DeguSmiles & more; BGH 17.6.1992 – I ZR 221/90 – GRUR 1992, 873 – Pharma-Werbespot.
Metzger/Eichelberger
106
C. Marktverhaltensregelungen
§ 3a
dass die betreffende Maßnahme neben anderen Zwecken auch auf den Absatz eines oder mehrerer bestimmter Arzneimittel gerichtet ist.783 Es kommt folglich maßgeblich darauf an, ob nach ihrem Gesamterscheinungsbild die Darstellung des Unternehmens oder aber die Anpreisung bestimmter oder zumindest individualisierbarer Produkte im Vordergrund steht.784 Adressaten der Vorschriften des HWG sind neben den Herstellern alle Personen, die 221 Werbung mit Heilmitteln treiben, insbesondere Apotheker und Pharmagroßhändler, sowie Ärzte, Zahnärzte und andere Angehörige der Heilberufe.785 bb) Einzelne Vorschriften. § 3 HWG verbietet irreführende Werbung im Zusam- 222 menhang mit Heilmitteln.786 Weil mit irreführenden gesundheitsbezogenen Angaben erhebliche Gefahren für das hohe Schutzgut der Gesundheit des Einzelnen sowie der Bevölkerung verbunden sein können, gelten dabei strenge Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Werbeaussage.787 Eine Irreführung liegt insbesondere dann vor (s. § 3 S. 2 HWG), wenn Heilmitteln eine therapeutische Wirksamkeit oder Wirkungen beigelegt werden, die sie nicht haben (Nr. 1);788 wenn fälschlich der Eindruck erweckt wird, dass ein Erfolg mit Sicherheit erwartet werden kann (Nr. 2 lit. a),789 dass bei bestimmungsgemäßem oder längerem Gebrauch keine schädlichen Wirkungen eintreten (Nr. 2 lit. b)790 oder dass die Werbung nicht zu Zwecken des Wettbewerbs veranstaltet wird (Nr. 2 lit. c); sowie wenn unwahre oder zur Täuschung geeignete Angaben über die Zusammensetzung oder Beschaffenheit von Heilmitteln791 oder über die Art und Weise
_____
783 BGH 26.3.2009 – I ZR 213/06 – GRUR 2009, 984 Tz. 13 – Festbetragsfestsetzung; s. auch BGH 12.2.2015 – I ZR 213/13 – GRUR 2015, 813 Tz. 16 – Fahrdienst zur Augenklinik; BGH 15.5.1997 – I ZR 10/95 – GRUR 1997, 761, 765 – Politikerschelte. 784 BGH 29.11.2018 – I ZR 237/16 – GRUR 2019, 203 Tz. 19 – Versandapotheke (hier auch zum Produktbezug von Werbung für das gesamte Warensortiment); BGH 24.11.2016 – I ZR 163/15 – GRUR 2017, 635 Tz. 30 – Freunde werben Freunde. 785 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.220; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 69. 786 Beispiele: OLG Hamburg 23.6.2016 – 3 U 13/16 – GRUR-RR 2016, 466 – „bei indikationsgemäßer Verschreibung wirtschaftlich“; OLG Hamburg 26.8.2010 – 3 U 12/10 – GRUR-RR 2011, 106 – Wirtschaftliche Alternative; OLG Celle 6.2.2018 – 13 U 134/17 – GRUR-RR 2018, 372 – Nervenschmerzen (Bewerbung eines Arzneimittels mit einer seit langem benutzten Wirkstoffzusammensetzung als „neu“ ist irreführend). 787 BGH 6.2.2013 – I ZR 62/11 – GRUR 2013, 649 Tz. 15 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil; OLG Hamburg 16.2.2017 – 3 U 194/15 – GRUR-RR 2018, 27 Tz. 40 – HSA FREI. 788 Beispiele: BGH 7.12.2001 – I ZR 260/98 – GRUR 2002, 273 – Eusovit; BGH 7.5.2015 – I ZR 29/14 – GRUR 2015, 1244 – Äquipotenzangabe in Fachinformation; OLG Hamburg 31.8.2017 – 3 U 117/16 – GRUR-RR 2018, 214 – Retina-Implantate; KG 22.2.2017 – 5 U 139/16 – BeckRS 2017, 108119 (zu Werbung für Chiropraktik und Osteopathie); KG 11.3.2016 – 5 U 151/14 – GRUR-RS 2016, 10350 (zu Werbung für kinesiologisches Band – „Tapes“); KG 2.6.2017 – 5 U 196/16 – BeckRS 2017, 120098 (zu Werbung zu Kryolipolyse). 789 Beispiele: BGH 8.6.2000 – I ZR 269/97 – GRUR 2001, 181 – dentalästhetika; OLG München 4.5.2017 – 29 U 335/17 – PharmR 2017, 353 (Werbung mit „bekämpft Kopfschmerzen zuverlässig“, „wirkungsvolle Schmerzbekämpfung“, „effektiv gegen Kopfschmerzen“ etc. erweckt irreführend den Eindruck, das homöopathische Kopfschmerzmittel sei optimal und umfassend gegen alle Arten von Kopfschmerzen wirksam und ein Heilungserfolg könne mit Sicherheit erwartet werden); LG München I, 10.4.2018 – 1 HK O 11143/17 – GRUR-RS 2018, 11297 – Cellulite am Popo. 790 Beispiele: OLG Hamburg 23.2.2017 – 3 U 193/16 – GRUR-RR 2018, 31 – 0 Kontraindikationen; OLG Hamburg 2.3.2017 – 3 U 94/16 – GRUR-RR 2018, 34 – „auch bei Asthma“. 791 Beispiele: BGH 3.11.2016 – I ZR 227/14 – GRUR 2017, 418 – Optiker-Qualität (Werbung mit der Angabe „Premium-Gleitsichtgläser in Optiker-Qualität“ für eine Brille, die im Straßenverkehr nicht bedenkenlos getragen werden kann, ist irreführend); KG 23.6.1989 – 5 U 183/89 – NJW-RR 1990, 54 (Werbung mit „Heilkräfte aus frischem Knoblauch“ für lediglich Knoblauch-Ölmazerat enthaltende Kapseln ist irreführend).
107
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
der Verfahren oder Behandlungen (Nr. 3 lit. a) oder über damit in Verbindung stehende Personen (Nr. 3 lit. b)792 gemacht werden. § 3a S. 1 HWG verbietet Werbung für zulassungspflichtige Arzneimittel, die weder 223 zugelassen sind noch als zugelassen gelten.793 § 3a S. 2 HWG verbietet Werbung, die sich auf nicht von der Zulassung erfasste Anwendungsgebiete oder Darreichungsformen bezieht. § 4 HWG schreibt zahlreiche Pflichtangaben vor, die jede Werbung für Arzneimittel 224 enthalten muss. Diese sollen den Verbraucher vollständig über bestimmte medizinischrelevante Merkmale eines Arzneimittels und insbesondere über dessen Indikation und Wirkungsweise informieren und ihn dadurch in die Lage versetzen, sich über das jeweilige Präparat vor einem Kaufentschluss ein sachbezogenes Bild zu machen.794 Nach Abs. 1 S. 1 sind das insbesondere der Name oder die Firma und der Sitz des pharmazeutischen Unternehmers, die Bezeichnung des Arzneimittels und dessen Zusammensetzung, die Anwendungsgebiete sowie die Gegenanzeigen und Nebenwirkungen. Bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln muss auch dieses vermerkt sein. All diese Angaben müssen von den übrigen Werbeaussagen deutlich abgesetzt, abgegrenzt und gut lesbar sein (Abs. 4).795 Abs. 3 S. 1 verpflichtet dazu, den Text „Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“ gut lesbar796 und von den übrigen Werbeaussagen deutlich abgesetzt und abgegrenzt anzugeben.797 Nach einer Werbung in audiovisuellen Medien ist dieser Text einzublenden, im Fernsehen vor neutralem Hintergrund gut lesbar wiederzugeben und gleichzeitig zu sprechen (Abs. 5 S. 1), dafür können die Angaben nach Abs. 1 entfallen (Abs. 5 S. 2).798 Lediglich für Erinnerungswerbung kann weitgehend auf die Pflichtangaben verzichtet werden (Abs. 6),799 denn mit einer solchen Werbung sollen und werden nur Kunden angesprochen, die das Mittel bereits kennen und deren weitere Unterrichtung daher entbehrlich erscheint.800 § 4a HWG verbietet Werbung für andere Arzneimittel oder andere sonstige Mittel in 225 Packungsbeilagen von Arzneimitteln (§ 4a Abs. 1 HWG)801 sowie Werbung für eine im
_____
792 Beispiel: BGH 27.4.1995 – I ZR 116/93 – GRUR 1995, 612 – Sauerstoff-Mehrschritt-Therapie (irreführende Werbung für ein medizinisches Behandlungsverfahren unter Verwendung eines ProfessorenTitels, der dem nicht medizinisch ausgebildeten Entwickler für seine Leistungen im Fachgebiet Physik verliehen wurde). 793 Beispiele: BGH 13.3.2008 – I ZR 95/05 – GRUR 2008, 1014 – Amlodipin; BGH 11.7.2002 – I ZR 34/01 – GRUR 2002, 910 – Muskelaufbaupräparate; OLG Hamburg 23.4.2009 – 3 U 211/08 – GRUR-RR 2010, 67 – Erste preisgünstige Alternative. – Für Defekturarzneimittel i.S.d. § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG gilt das Werbeverbot des § 3a HWG nicht, da solche Arzneimittel nicht der Zulassung bedürfen; der Gemeinschaftskodex für Arzneimittel (RL 2001/83/EG) gebietet insoweit nichts anderes, s. BGH 9.2.2017 – I ZR 130/13 – GRUR 2017, 833 Tz. 16 ff. – Weihrauch-Extrakt-Kapseln II. 794 BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749 Tz. 29 – Erinnerungswerbung im Internet. 795 S. dazu BGH 6.6.2013 – I ZR 2/12 – GRUR 2014, 94 – Pflichtangaben im Internet (bei Werbung im Internet kann es genügen, wenn die Pflichtangaben über einen unzweideutig darauf hinweisenden Link erreichbar sind). 796 BGH 26.3.2009 – I ZR 213/06 – BGHZ 180, 355 = GRUR 2009, 984 Tz. 30 – Festbetragsfestsetzung (in kleinen Buchstaben senkrecht am rechten Rand der Anzeige und damit entgegen der Leserichtung angebracht, ist nicht „gut lesbar“). 797 BGH 9.10.2008 – I ZR 100/04 – GRUR 2009, 509 – Schoenenberger Artischockensaft (dieses Gebot ist mit höherrangigem Recht vereinbar). 798 S. dazu BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749 Tz. 40 – Erinnerungswerbung im Internet (die Ausnahme des Abs. 5 S. 2 gilt für Werbung im Internet nur dann, wenn sie nach Art eines Videoclips in bewegten Bildern dargestellt wird, nicht dagegen auch dann, wenn sie in stehenden Bildern und Texten präsentiert wird, mag der Text auch animiert sein und erst nach und nach eingeblendet werden). 799 S. dazu BGH 30.10.1997 – I ZR 185/95 – GRUR 1998, 591 – Monopräparate. 800 BGH 29.4.2010 – I ZR 202/07 – GRUR 2010, 749 Tz. 29 – Erinnerungswerbung im Internet. 801 Beispiele: OLG Schleswig 29.2.2000 – 6 U 70/99 (Rev. nicht angenommen, BGH 5.4.2001 – I ZR 78/00) – WRP 2001, 1359 – Packungsbeilage; OLG München 5.5.2011 – 6 U 3795/10 – WRP 2011, 1656, 1660
Metzger/Eichelberger
108
C. Marktverhaltensregelungen
§ 3a
Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung bestehende Verordnungsfähigkeit außerhalb der Fachkreise (§ 4a Abs. 2 HWG). § 5 HWG verbietet es, für homöopathische Arzneimittel (§ 4 Abs. 26 AMG), die le- 226 diglich registriert oder von der Registrierung freigestellt sind (§§ 38, 39 AMG), mit der Angabe von Anwendungsgebieten zu werben.802 Hintergrund ist, dass für solche Mittel – anders als für zugelassene Arzneimittel – kein Wirksamkeitsnachweis zu erbringen war.803 § 6 HWG verbietet Werbung, wenn Gutachten oder Zeugnisse veröffentlicht oder 227 erwähnt werden, die nicht von wissenschaftlich oder fachlich hierzu berufenen Personen erstattet worden sind und nicht die Angabe des Namens, Berufs und Wohnorts der Person, die das Gutachten erstellt oder das Zeugnis ausgestellt hat, sowie den Zeitpunkt der Ausstellung des Gutachtens oder Zeugnisses enthalten (Nr. 1), wenn auf wissenschaftliche, fachliche oder sonstige Veröffentlichungen Bezug genommen wird, ohne dass aus der Werbung hervorgeht, ob die Veröffentlichung das Arzneimittel, das Verfahren, die Behandlung, den Gegenstand oder ein anderes Mittel selbst betrifft, für die geworben wird, und ohne dass der Name des Verfassers, der Zeitpunkt der Veröffentlichung und die Fundstelle genannt werden (Nr. 2)804 oder wenn aus der Fachliteratur entnommene Zitate, Tabellen oder sonstige Darstellungen nicht wortgetreu übernommen werden (Nr. 3). § 7 HWG verbietet es, Zuwendungen und sonstige Werbegaben (Waren oder Leis- 228 tungen) anzubieten, anzukündigen oder zu gewähren oder als Angehöriger der Fachkreise anzunehmen, sofern nicht die ausdrücklich aufgeführten Ausnahmen eingreifen. In Bezug auf Angehörige der Gesundheitsberufe soll damit verhindert werden, dass ein wirtschaftliches Interesse an der Verschreibung oder Abgabe von Arzneimitteln geweckt wird,805 Verbraucher sollen bei der Entscheidung, ob und welche Heilmittel sie in Anspruch nehmen, vor einer unsachlichen Beeinflussung geschützt werden.806 Werbegaben sind grundsätzlich sämtliche aus Sicht des Empfängers nicht berechnete geldwerte Vergünstigungen, die im Zusammenhang mit der Werbung für ein bestimmtes oder mehrere konkrete Heilmittel gewährt werden.807 Das können auch Rabatte sein.808 Jedoch ist davon abzugrenzen und vom Werbegabenverbot nicht erfasst, wenn dem Werbeadressaten mehrere Waren als ein einheitliches, mit einem Gesamtpreis zu entgeltendes Angebot präsentiert werden.809 An der Unentgeltlichkeit der Werbegabe fehlt es, wenn Patien-
_____ – Arzneimittelverpackung mit Werbe-Flyer; OLG Hamburg 13.4.2000 – 3 U 22/00 – PharmR 2000, 323; LG Nürnberg-Fürth 3.7.2013 – 3 O 5682/12 – PharmR 2013, 503. 802 S. dazu BGH 28.9.2011 – I ZR 96/10 – GRUR 2012, 647 – INJECTIO; OLG Stuttgart, 30.1.2014 – 2 U 32/13 – WRP 2014, 731 – Historische Anwendungsgebiete; OLG Hamm 15.4.2010 – I-4 U 218/09 – PharmR 2010, 408; OLG Hamm 29.11.2007 – 4 U 121/07 – BeckRS 2008, 4083. 803 Eingehend BGH 28.9.2011 – I ZR 96/10 – GRUR 2012, 647 Tz. 31 f. – INJECTIO. 804 S. dazu BGH 15.4.2010 – I ZR 145/08 – GRUR 2010, 1125 Tz. 57–59 – Femur-Teil. 805 BGH 12.12.2013 – I ZR 83/12 GRUR 2014, 689 Tz. 14 – Testen Sie Ihr Fachwissen; BGH 25.4.2012 – I ZR 105/10 – GRUR 2012, 1279 Tz. 28 – DAS GROSSE RÄTSELHEFT. 806 BGH 29.11.2018 – I ZR 237/16 – GRUR 2019, 203 Tz. 16 – Versandapotheke; BGH 6.11.2014 – I ZR 26/13 – GRUR 2015, 504 Tz. 9 – Kostenlose Zweitbrille; BGH 9.9.2010 – I ZR 98/08 – GRUR 2010, 1133 Tz. 18 – Bonuspunkte. 807 BGH 6.11.2014 – I ZR 26/13 – GRUR 2015, 504 Tz. 14 – Kostenlose Zweitbrille. 808 BGH 9.9.2010 – I ZR 193/07 – GRUR 2010, 1136 Tz. 24 – UNSER DANKESCHÖN FÜR SIE; OLG Hamburg 26.2.2004 – 3 U 142/03 – GRUR-RR 2004, 219 – AirView (Werbung für Brillen mit „pro Lebensjahr 1% Rabatt“ ist unzulässig). 809 BGH 6.11.2014 – I ZR 26/13 – GRUR 2015, 504 Tz. 14 – Kostenlose Zweitbrille (zur Einordnung der Werbung „Kostenlose Zweitbrille dazu“ in casu als Werbegabe und nicht nur als aus zwei Brillen bestehendem Leistungspaket zu einem Komplettpreis).
109
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
ten für die Teilnahme an einem Test Verlosungsgewinner einer Wochenendreise sein können, im Zuge dieses Testes eines Blutzuckermesssystems in verschiedenen Lebenssituationen aber nicht ganz unerhebliche Anstrengungen erbringen müssen.810 Vom Werbeverbot umfasst sind auch Zuwendungen an Dritte, die nicht selbst die Heilmittel erwerben sollen.811 § 7 HWG normiert zugleich Ausnahmetatbestände, nach denen die Gewährung 229 oder Annahme von Zuwendungen ausnahmsweise zulässig ist. So sind nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 HWG Zuwendungen oder Werbegaben von geringem Wert zulässig. Als geringwertig wurde unter Geltung der früheren Fassung des HWG beispielsweise die Gewährung eines Bonuspunkts im Wert von 1 Euro pro Einlösung eines Rezepts eingestuft. 812 Seit der Neufassung sind Zuwendungen oder Werbegaben für Arzneimittel allerdings generell unzulässig, soweit diese entgegen den Preisvorschriften nach dem AMG gewährt werden (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Halbs. 2 HWG n.F.). Die Abgabe eines bei einer benachbarten Bäckerei einzulösenden Brötchen-Gutscheins bzw. eines bei einem weiteren Einkauf in der Apotheke einzulösenden Ein-Euro-Gutscheins beim Erwerb verschreibungspflichtiger Arzneimittel ist deshalb nunmehr unzulässig und die Zuwiderhandlung geeignet, die Interessen von Marktteilnehmern spürbar zu beeinflussen.813 Den Bereich der Geringwertigkeit übersteigt die Erstattung der Praxisgebühr in Höhe von 10 Euro durch den Optiker beim Erwerb einer augenärztlich verordneten Brille.814 Dasselbe gilt für Einkaufsgutscheine im Wert von 5 Euro für jedes im Wege des Versands eingelöste Rezept für verschreibungspflichtige Arzneimittel.815 Nicht geringwertig ist eine Sachprämie im Wert von 30 Euro, die für die Vermittlung eines Neukunden in Aussicht gestellt wurde, der Gleitsichtgläser im Wert von mindestens 100 Euro kauft.816 Generell sind als geringwertige Kleinigkeiten nur solche anzusehen, die sich als Ausdruck allgemeiner Kundenfreundlichkeit darstellen, wobei bei einer Publikumswerbung im Hinblick auf die leichtere Beeinflussbarkeit der Werbeadressaten von einer eher niedrigen Wertgrenze auszugehen ist.817 Zulässig (auch hinsichtlich § 7 Abs. 3 HWG) ist dagegen der bloße Hinweis in der Werbung eines Blutspendedienstes, dass den Spendern entsprechend § 10 S. 2 TFG eine Aufwandsentschädigung gewährt werden kann, die sich am unmittelbaren Aufwand orientiert.818 § 8 HWG betrifft Werbung für bestimmte Vertriebsmethoden (Teleshopping und 230 Versandhandel).819 § 9 HWG verbietet Werbung für die Erkennung oder Behandlung von Krankheiten, 231 Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen oder Tier beruht (Fernbehandlung).820 Seit der diesbezüglichen Liberalisierung im ärztlichen Berufsrecht, das nunmehr eine „aus-
_____
810 OLG Köln 16.5.2008 – 6 W 38/08 – GRUR-RR 2008, 446, 447 – All-inclusive Testwochen. 811 BGH 6.7.2006 – I ZR 145/03 – GRUR 2006, 949 Tz. 24 – Kunden werben Kunden. 812 BGH 9.9.2010 – I ZR 98/08 – GRUR 2010, 1133 Tz. 22 – Bonuspunkte. 813 S. BGH 6.6.2019 – I ZR 206/17 und I ZR 60/18 (Pressemitteilung). 814 OLG Stuttgart 21.10.2004 – 2 U 79/04 – GRUR-RR 2005, 64, 65 – Praxisgebührerstattung. 815 BGH 9.9.2010 – I ZR 193/07 – GRUR 2010, 1136 Tz. 25 – UNSER DANKESCHÖN FÜR SIE. 816 BGH 6.7.2006 – I ZR 145/03 – GRUR 2006, 949 – Kunden werben Kunden. 817 BGH 9.9.2010 – I ZR 98/08 – GRUR 2010, 1133 Tz. 22 – Bonuspunkte; OLG Frankfurt 5.12.1994 – 6 U 170/94 – NJW-RR 1995, 743. 818 BGH 30.4.2009 – I ZR 117/07 – GRUR 2009, 1189 Tz. 23 – Blutspendedienst. 819 S. dazu BGH 6.4.2000 – I ZR 294/97 – GRUR 2001, 178 – Impfstoffversand an Ärzte; ferner EuGH 8.11.2007 – C-143/06 – Slg. 2007, I-9623 = GRUR 2008, 264 Tz. 18 ff. – Ludwigs-Apotheke/Juers Pharma. 820 Beispiele: OLG Köln 10.8.2012 – 6 U 235/11 – GRUR-RR 2012, 437 – Expertenrat; OLG Köln 10.8.2012 – 6 U 224/11 – BeckRS 2012, 20408; OLG München 2.8.2012 – 29 U 1471/12 – GRUR-RR 2012, 435 – Unsere Experten sind für Sie da.
Metzger/Eichelberger
110
C. Marktverhaltensregelungen
§ 3a
schließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien […] im Einzelfall erlaubt, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird und die Patientin oder der Patient auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird“ (§ 7 Abs. 4 S. 3 MBO-Ä 2018), ist dieses strikte Werbeverbot freilich zweifelhaft. § 10 HWG verbietet Publikumswerbung für verschreibungspflichtige Arzneimit- 232 tel und Psychopharmaka. Im Rahmen des § 10 HWG ist oftmals problematisch, ob es sich um produktbezogene Werbung oder um allgemeine Unternehmenswerbung oder sonstige Äußerungen des Unternehmens handelt. Der Bundesgerichtshof geht hierbei davon aus, dass auch die Nennung eines rezeptpflichtigen Arzneimittels in einer Anzeige, die in erster Linie der Werbung für das Herstellerunternehmen als solchem dient, gegen die Vorschrift verstoßen kann, wenn darin eine über die Unternehmenswerbung hinausgehende Absatzwerbung für das Arzneimittel zu sehen ist. Einer solchen stehe nicht entgegen, dass das Mittel nur in einer Aufzählung der umfangreichen Produktpalette des Herstellers erscheint; auf das Ausmaß der Werbewirkung einer solchen Aufzählung komme es nicht an.821 Eine Anzeige kann auch dann eine produktbezogene Werbung für ein bestimmtes Arzneimittel enthalten, wenn mit ihr zwar ein gesundheitspolitisches Ziel verfolgt wird, die auf ein konkretes Arzneimittel bezogene werbende Aussage aber für das angesprochene Publikum erkennbar bleibt; allerdings kann hier eine einschränkende Auslegung aufgrund von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG oder europäischer Grundrechte geboten sein.822 Produktbezogen war schließlich auch die Werbung einer HNO-Ärztin, deren Werbeanzeige neben anderen Behandlungsmethoden eine „Faltenbehandlung mit Botox“ aufführte. Zwar ging es bei der Werbung in erster Linie um die angesprochene Behandlungsmethode, mit der die Ärztin für ihre Dienste warb; die produktbezogene Werbung trat dabei aber nicht in ausreichender Weise in den Hintergrund.823 § 11 HWG verbietet bestimmte Formen der Werbung außerhalb der Fachkreise. 233 Die Regelungen erfuhren allerdings Ende 2012 eine teilweise erhebliche Liberalisierung, um unionsrechtlichen Vorgaben (namentlich der RL 2001/83/EG und der diesbezüglichen Rechtsprechung des EuGH) gerecht zu werden.824 Ganz entfallen sind die bisherigen Verbote (§ 11 Abs. 1 HWG) der Werbung mit Gutachten, Zeugnissen, wissenschaftlichen oder fachlichen Veröffentlichungen sowie mit Hinweisen darauf (Nr. 1 a.F.),825 mit der bildlichen Darstellung von Personen in der Berufskleidung oder bei der Ausübung von Heilberufen (Nr. 4 a.F.),826 mit nicht in den allgemeinen deutschen Sprachgebrauch eingegangenen fremd- oder fachsprachlichen Bezeichnungen (Nr. 6 a.F.) sowie mit Veröffentlichungen, die dazu anleiten, bestimmte Krankheiten selbst zu erkennen und mit
_____
821 S. BGH 17.2.1983 – I ZR 203/80 – GRUR 1983, 393 – Novodigal/temagin; s. auch BGH 17.6.1992 – I ZR 177/90 – GRUR 1992, 871 – Femovan. 822 BGH 26.3.2009 – I ZR 213/06 – BGHZ 180, 355 = GRUR 2009, 984 Tz. 17–25 – Festbetragsfestsetzung. 823 OLG Frankfurt 31.8.2006 – 6 U 118/05 – GRUR-RR 2007, 118, 119 – Faltenbehandlung mit Botox. 824 S. Begr. RegE Zweites Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften, BTDrucks. 17/9341, S. 39. Überblick bei Reese WRP 2013, 283 ff. 825 S. dazu BGH 2.10.1997 – I ZR 130/95 – GRUR 1998, 495 – Lebertran II. 826 Die Rechtsprechung hatte mit Blick auf Art. 12 Abs. 1 GG das Verbot zunehmend enger ausgelegt und nur noch angewendet, wenn die Werbung geeignet war, das Laienpublikum unsachlich zu beeinflussen und dadurch zumindest eine mittelbare Gesundheitsgefährdung zu bewirken, s. BGH 1.3.2007 – I ZR 51/04 – GRUR 2007, 809 Tz. 19 – Krankenhauswerbung.
111
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
den in der Werbung bezeichneten Mitteln zu behandeln (Nr. 10 a.F.).827 Andere Tatbestände – namentlich die Nr. 3, Nr. 5 und Nr. 11 a.F. – wurden verengt. § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 HWG verbietet Werbung mit Angaben oder Darstellungen, die 234 sich auf eine Empfehlung von Wissenschaftlern, von im Gesundheitswesen tätigen Personen, von im Bereich der Tiergesundheit tätigen Personen oder anderen Personen beziehen, die auf Grund ihrer Bekanntheit zum Arzneimittelverbrauch anregen können.828 § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 HWG verbietet Werbung mit der Wiedergabe von Krankengeschichten, wenn diese in missbräuchlicher, abstoßender oder irreführender Weise erfolgt oder durch eine ausführliche Beschreibung oder Darstellung zu einer falschen Selbstdiagnose verleiten kann,829 § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 HWG solche mit einer bildlichen Darstellung, die in missbräuchlicher, abstoßender oder irreführender Weise Veränderungen des menschlichen Körpers auf Grund von Krankheiten oder Schädigungen oder die Wirkung eines Arzneimittels im menschlichen Körper oder in Körperteilen verwendet.830 § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 HWG verbietet Werbung mit Werbeaussagen, die nahelegen, dass die Gesundheit durch die Nichtverwendung des Arzneimittels beeinträchtigt oder durch die Verwendung verbessert werden könnte („Angstwerbung“).831 Unzulässig ist es zu werben mit Werbevorträgen, mit denen ein Feilbieten oder eine Entgegennahme von Anschriften verbunden ist (§ 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 8 HWG),832 mit Veröffentlichungen, deren Werbezweck missverständlich oder nicht deutlich erkennbar ist (§ 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 HWG),833 mit Äußerungen Dritter, insbesondere mit Dank-, Anerkennungsoder Empfehlungsschreiben, oder mit Hinweisen auf solche Äußerungen, wenn diese in missbräuchlicher, abstoßender oder irreführender Weise erfolgen (§ 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 11 HWG),834 mit Werbemaßnahmen, die sich ausschließlich oder überwiegend an Kinder unter 14 Jahren richten (§ 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 12 HWG),835 mit Preisausschreiben
_____
827 S. dazu BGH 6.5.2004 – I ZR 265/01 – GRUR 2004, 799 – Lebertrankapseln. 828 S. dazu BGH 1.2.2018 – I ZR 82/17 – GRUR 2018, 627 Tz. 12 ff. – Gefäßgerüst; OLG Koblenz 14.12.2016 – 9 U 941/16 – GRUR-RR 2017, 284 – Passionsblume; OLG Frankfurt 12.2.2015 – 6 U 184/14 – GRUR-RR 2015, 267 – Gewählt vom BVDA („Medikament des Jahres“); OLG Frankfurt 8.1.2015 – 6 U 152/14 – GRUR-RR 2015, 453 – Firmenexpertin; OLG Frankfurt 22.5.2014 – 6 U 24/14 – GRUR-RR 2014, 410 – Ciclopoli; OLG Köln 22.3.2013 – 6 U 12/13 – GRUR-RR 2013, 269 – Belegte Wirksamkeit. – Zur a.F.: BGH 18.1.2012 – 83/11 – GRUR 2012, 1058 – Euminz; BGH 29.10.1992 – I ZR 89/91 – GRUR 1993, 403 – Bronchocedin; BGH 1.4.1993 – I ZR 136/91 – GRUR 1993, 677 – Bedingte Unterwerfung; BGH 17.7.1997 – I ZR 77/95 – GRUR 1997, 936 – Naturheilmittel; BGH 26.6.1997 – I ZR 53/95 – GRUR 1998, 498 – Fachliche Empfehlung III; BGH 10.7.1997 – I ZR 51/95 – NJW 1998, 818; BGH 2.10.1997 – I ZR 130/95 – GRUR 1998, 495 – Lebertran II. – Auf Medizinprodukte ist das Verbot nicht anwendbar, auch nicht als „andere Gegenstände“ i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 2 HWG (arg. e. contr. § 11 Abs. 1 S. 2 HWG), s. OLG Frankfurt 30.3.2017 – 6 U 64/16 – GRUR-RR 2017, 348 Tz. 13 f. – Bioresorbierbares Gefäßgerüst. 829 S. zur a.F. LG Mannheim 9.5.2011 – 24 O 146/10 – ZMGR 2012, 437; LG Berlin 16.9.2005 – 96 O 45/05 – BeckRS 2011, 8987. 830 S. dazu OLG Koblenz 8.6.2016 – 9 U 1362/15 – GRUR-RR 2017, 32 – Bildergalerie (zu Vorher-/ Nachher-Bildern bei Schönheits-OP); OLG Celle 30.5.2013 – 13 U 160/12. – Zur a.F. BGH 26.9.2002 – I ZR 101/00 – GRUR 2003, 255 – Anlagebedingter Haarausfall; OLG Hamburg 10.4.2008 – 3 U 182/07 – PharmR 2009, 40. 831 S. zur a.F. BGH 26.3.2009 – I ZR 213/06 – BGHZ 180, 355 = GRUR 2009, 984 – Festbetragsfestsetzung; OLG Karlsruhe 29.11.2006 – 6 U 140/05 – PharmR 2007, 383; LG Frankfurt a.M. 22.12.2005 – 2-3 O 431/05 – MD 2006, 361. 832 S. dazu OLG Hamburg 24.8.1984 – 14 U 106/84 – NJW 1985, 685. 833 S. dazu OLG Frankfurt 17.5.2001 – 6 U 23/01 – WRP 2001, 1111 – Ratgeber Selbstmedikation. 834 S. dazu OLG Karlsruhe 8.4.2015 – 6 U 66/13 – GRUR-RR 2015, 487 – Prominentenwerbung für Arzneimittel. – Zur a.F. BGH 20.11.2008 – I ZR 94/02 – GRUR 2009, 179 – Konsumentenbefragung II; LG Duisburg 21.3.2012 – 25 O 54/11 – WRP 2012, 860 – Werbung mit Kundenäußerungen im Bewertungsportal; LG Essen 10.11.2011 – 43 O 82/11 – BeckRS 2013, 1791. 835 S. dazu LG Potsdam 30.8.2017 – 2 O 73/17 – BeckRS 2017, 130629.
Metzger/Eichelberger
112
C. Marktverhaltensregelungen
§ 3a
etc., sofern diese Maßnahmen oder Verfahren einer unzweckmäßigen oder übermäßigen Verwendung von Arzneimitteln Vorschub leisten (§ 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 13 HWG),836 durch die Abgabe von Arzneimitteln, deren Muster oder Proben oder durch Gutscheine dafür (§ 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 14 HWG)837 sowie durch die nicht verlangte Abgabe von Mustern oder Proben von anderen Mitteln oder Gegenständen oder durch Gutscheine dafür (§ 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 15 HWG). Und nach § 11 Abs. 2 HWG ist es schließlich verboten, für Arzneimittel mit Angaben zu werben, die nahe legen, dass die Wirkung des Arzneimittels einem anderen Arzneimittel oder einer anderen Behandlung entspricht oder überlegen ist (vergleichende Werbung).838 Nach § 12 HWG darf sich Werbung für Arzneimittel und Medizinprodukte nicht auf 235 die Erkennung, Verhütung, Beseitigung oder Linderung der in der Anlage zu § 12 HWG aufgeführten Krankheiten beziehen. Dies betrifft insbesondere die Werbung für Heilmittel gegen meldepflichtige Krankheiten oder durch meldepflichtige Krankheitserreger verursachte Infektionen, bösartige Neubildungen, Suchtkrankheiten, ausgenommen Nikotinabhängigkeit, sowie gegen krankhafte Komplikationen der Schwangerschaft, der Entbindung und des Wochenbetts.839 Nach § 13 HWG ist die Werbung eines Unternehmens mit Sitz im Ausland unzu- 236 lässig, wenn nicht ein Unternehmen mit Sitz oder eine natürliche Person mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland oder in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder in einem anderen Vertragsstaat des EWR, die nach dem HWG unbeschränkt strafrechtlich verfolgt werden kann, ausdrücklich damit betraut ist, die sich aus dem HWG ergebenden Pflichten zu übernehmen. b) Lebensmittelrecht. Werberegelungen im Zusammenhang mit Lebensmitteln fin- 237 den sich insbesondere im Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) in Verbindung mit der Lebensmittelinformations-VO (EU) 1169/2011 (LMIV) und in der VO (EG) 1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel (Health-Claims-VO). Weitere Regelungen enthalten beispielsweise das WeinG, das TabakerzeugnisG (TabakerzG) mit der Tabakerzeugnisverordnung (TabakerzV)840 sowie der Rundfunkstaatsvertrag. LFGB/LMIV. Spezielle Irreführungsverbote beim Inverkehrbringen von Lebens- 238 mitteln sowie der Werbung dafür enthält beispielsweise § 11 Abs. 1 LFGB in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 LMIV bzw. Art. 36 Abs. 2 lit. a LMIV. Wie bereits bei der vorherigen Regelung in § 11 Abs. 1 LFGB a.F. handelt es sich dabei um Marktverhaltensregelungen.841
_____
836 S. dazu BGH 12.12.2013 – I ZR 83/12 – GRUR 2014, 689 Tz. 9 ff. – Testen Sie Ihr Fachwissen; KG 22.5.2017 – 5 W 94/17 – WRP 2017, 1016 – Arno zahlt Deine Schönheits-OP; Laoutoumai WRP 2018, 283 ff. 837 S. zur a.F. OLG Stuttgart 24.5.1996 – 2 U 240/95 – NJW-RR 1997, 359. 838 S. dazu OLG Celle 29.6.2017 – 13 U 44/17 – BeckRS 2017, 135800; OLG Hamburg 10.4.2008 – 3 U 182/07 – PharmR 2009, 40. 839 S. (zur a.F.) BGH 3.7.1981 – I ZR 127/79 – BGHZ 81, 130, 132 = GRUR 1981, 831, 832 – Grippewerbung I; BGH 20.1.1983 – I ZR 183/80 – BGHZ 86, 277 = GRUR 1983, 333 – Grippewerbung II; BGH 14.4.1983 – I ZR 173/80 – GRUR 1983, 595 – Grippewerbung III; BGH 17.11.1983 – I ZR 5/81 – BGHZ 89, 78 = GRUR 1984, 291 – Heilpraktikerwerbung III; BGH 1.12.1983 – I ZR 164/81 – GRUR 1984, 292 – THX-Injektionen; BGH 22.11.1984 – I ZR 164/82 – GRUR 1985, 305 – THX-Krebsvorsorge; BGH 2.5.1996 – I ZR 99/94 – GRUR 1996, 806, 807 – HerzASS; BGH 2.10.1997 – I ZR 94/95 – GRUR 1998, 961, 962 – Lebertran I; BGH 18.3.1999 – I ZR 33/97 – GRUR 1999, 936, 937 – Hypotonietee. 840 Das TabakerzG (BGBl. 2016 I, 569) ist zum 20.5.2016 an die Stelle des Vorläufigen TabakG getreten. 841 S. BGH 21.9.2017 – I ZR 74/16 – GRUR 2018, 104 Tz. 11 – Kulturchampignons (zu § 11 Abs. 1 Nr. 1 LFGB n.F. i.V.m. Art. 7 Abs. 1 lit. a LMIV und zu § 11 Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 1 LFGB a.F.); BGH 2.12.2015 – I ZR 45/13 – GRUR 2016, 738 Tz. 18 – Himbeer-Vanille-Abenteuer II (zu § 11 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 LFGB a.F.); KG 25.4.2018 – 5 U 82/17 – BeckRS 2018, 18440 Tz. 20 (zu Art. 7 Abs. 4 lit. a LMIV); KG 26.7.2016 – 5 U 18/16 –
113
Metzger/Eichelberger
§ 3a
239
240
241
242
Rechtsbruch
Dasselbe gilt für das Verbot des § 11 Abs. 2 Nr. 2 LFGB, nachgemachte (lit. a), hinsichtlich ihrer Beschaffenheit von der Verkehrsauffassung abweichende und dadurch in ihrem Wert, insbesondere in ihrem Nähr- oder Genusswert oder in ihrer Brauchbarkeit, nicht unerheblich geminderte (lit. b) oder den Anschein einer besseren als der tatsächlichen Beschaffenheit zu erwecken geeignete (lit. c) Lebensmittel ohne ausreichende Kenntlichmachung in Verkehr zu bringen.842 Ein weiteres (subsidiäres) Irreführungsverbot ergibt sich aus Art. 16 Lebensmittel-Basis-VO (EG) 178/2002. ÖkoKennzG. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 ÖkoKennzG ist es zum Schutz der Verbraucher vor Irreführung verboten, ein Erzeugnis oder einen sonstigen Gegenstand mit einer dem Öko-Kennzeichen (s. dazu Anlage 1 zu § 1 Abs. 1 ÖkoKennzV) nachgemachten Kennzeichnung, die zur Irreführung über die Art der Erzeugung, die Zusammensetzung oder andere verkehrswesentliche Eigenschaften des gekennzeichneten Erzeugnisses oder Gegenstandes geeignet ist, in den Verkehr zu bringen (s. Rn. 211). Zum Inverkehrbringen im Sinne dieses Verbotes gehört bereits die produktbezogene Werbung.843 MTVO. Für natürliches Mineralwasser sowie für Quell- und Tafelwasser enthalten die §§ 9 und 15 Mineral- und Tafelwasserverordnung (MTVO) spezielle Irreführungsverbote.844 Health-Claims-VO. Regelungen zu nährwert- oder gesundheitsbezogenen Angaben im Zusammenhang mit Lebensmitteln finden sich in der VO (EG) 1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel (Health-ClaimsVO). Nach Art. 8 Abs. 1 Health-Claims-VO dürfen nährwertbezogene Angaben nur gemacht werden, wenn sie im Anhang zur Verordnung aufgeführt sind und den allgemeinen Anforderungen der Health-Claims-VO (Art. 3 bis 7) entsprechen. Art. 9 HealthClaims-VO regelt vergleichende Angaben zwischen Lebensmitteln. Die Art. 10 ff. HealthClaims-VO regeln weitere Anforderungen für gesundheitsbezogene Angaben. All diese Regelungen der Health-Claims-VO sind Marktverhaltensregelungen.845 TabakErzG. Die Werbung für Tabakerzeugnisse, elektronische Zigaretten und Nachfüllbehälter wird durch die §§ 19 bis 21 TabakerzG stark eingeschränkt. Verboten ist die Werbung für solche Produkte generell grundsätzlich im Hörfunk (§ 19 Abs. 1 TabakerzG), in der Presse (§ 19 Abs. 2 TabakerzG), in Diensten der Informationsgesellschaft (§ 19 Abs. 3 TabakerzG) sowie in audiovisuellen Mediendiensten (§ 20 TabakerzG). § 19 Abs. 4 und Abs. 5 TabakerzG enthalten Sponsoringverbote für Hörfunksendungen und Sportveranstaltungen. § 21 TabakerzG verbietet sodann Werbung mit qualitativen Zielen.
_____ BeckRS 2016, 120480 Tz. 108 (zu § 11 Abs. 1 Nr. 1 LFGB n.F. i.V.m. Art. 7 Abs. 1 lit. b, Abs. 4 lit. a LMIV); OLG Karlsruhe 11.10.2017 – 6 U 59/16 – GRUR-RS 2017, 140106 Tz. 44 – Senile-Plaque-Ablagerungen (zu Art. 7 Abs. 4 lit. a LMIV); OLG Celle 24.11.2016 – 13 U 130/16 – WRP 2017, 219 Tz. 12 (zu Art. 7 Abs. 1 lit. a LMIV). 842 S. dazu MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 298. 843 BGH 13.9.2012, I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 59 – Biomineralwasser. 844 S. BGH 6.6.2002 – I ZR 307/99 – GRUR 2002, 1091 – Bodensee-Tafelwasser (zu § 15 MTVO). 845 S. BGH 13.1.2011 – I ZR 22/09 – GRUR 2011, 246 Tz. 13 – Gurktaler Kräuterlikör (zu Art. 4 Abs. 1 S. 1 Health-Claims-VO); BGH 17.5.2018 – I ZR 252/16 – GRUR 2018, 1266 Tz. 15 – Bekömmliches Bier (zu Art. 4 Abs. 3 UAbs. 1 Health-Claims-VO); BGH 12.3.2015 – I ZR 29/13 – GRUR 2015, 611 Tz. 15 – RESCUE-Produkte I (zu Art. 4 Abs. 3 UAbs. 1 Health-Claims-VO); BGH 9.10.2014 – I ZR 167/12 – GRUR 2014, 1224 Tz. 11 – ENERGY & VODKA (zu Art. 4 Abs. 3 UAbs. 2 Health-Claims-VO); BGH 17.1.2013 – I ZR 5/12 – GRUR 2013, 958 Tz. 22 – Vitalpilze (zu Art. 5 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 1 Health-Claims-VO); BGH 18.5.2017 – I ZR 100/16 – GRUR 2017, 1278 Tz. 8 – Märchensuppe (zu Art. 8 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 S. 2 Health-Claims-VO); BGH 7.4.2016 – I ZR 81/15 – GRUR 2016, 1200 Tz. 12 – Repair-Kapseln (zu Art. 10 Abs. 1 Health-Claims-VO); BGH 9.10.2014 – I ZR 162/13 – GRUR 2015, 498 Tz. 15 – Combiotik (zu Art. 10 Abs. 1 Health-Claims-VO); BGH 26.2.2014 – I ZR 178/12 – GRUR 2014, 500 Tz. 10 – Praebiotik (zu Art. 10 Abs. 1 Health-Claims-VO); BGH 12.7.2018 – I ZR 162/16 – GRUR 2018, 959 Tz. 14 – B-Vitamine (zu Art. 10 Abs. 3 Health-Claims-VO); KG 26.7.2016 – 5 U 18/16 – BeckRS 2016 120480 (zu Art. 5 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 2 Health-Claims-VO).
Metzger/Eichelberger
114
C. Marktverhaltensregelungen
§ 3a
Sämtliche Vorschriften sind Marktverhaltensregelungen.846 Insofern gilt nichts anderes als für die früheren Werbebeschränkungen in §§ 21a und 21b Vorläufiges TabakG (VTabakG) a.F.847 Ihrem Schutzzweck entsprechend gelten diese Verbote auch für Anzeigen, in denen sich ein Zigarettenhersteller unter Bezugnahme auf seine Produkte als verantwortungsbewusstes Unternehmen darstellt, ohne direkt für den Absatz seiner Produkte zu werben.848 Die Irreführungsverbote in § 18 TabakerzG (= § 22 VTabakG a.F.) sind ebenfalls 243 Marktverhaltensregelungen.849 Nach der Entscheidung „Bio Tabak“ setzte das in § 22 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VTabakG a.F. enthaltene Verbot, in der Werbung für Tabakerzeugnisse Angaben zu verwenden, die darauf hindeuten, dass die Tabakerzeugnisse natürlich oder naturrein seien, nicht voraus, dass die Angaben für den angesprochenen Verkehr eine konkrete Irreführungsgefahr begründen. Es handelte sich vielmehr um ein abstraktes Verbot, das allerdings den Werbenden nicht an einer sachlichen Information über die einzelnen Eigenschaften seines Produkts und der zu seiner Herstellung verwendeten Ausgangsstoffe hinderte.850 § 7 Abs. 10 RStV. Das Gebot des § 7 Abs. 10 RStV, dass Werbung und Teleshopping 244 für alkoholische Getränke den übermäßigen Genuss solcher Getränke nicht fördern dürfen, ist eine Marktverhaltensregelung.851 WeinG. Gem. § 25 WeinG dürfen Erzeugnisse nicht mit irreführenden Bezeichnun- 245 gen, Hinweisen, sonstigen Angaben oder Aufmachungen in den Verkehr gebracht, eingeführt oder ausgeführt oder zum Gegenstand der Werbung gemacht werden. § 26 WeinG verbietet zudem die Verwendung bestimmter verwechslungsfähiger Bezeichnungen. Beide sind Marktverhaltensregelungen.852 c) Glücksspielstaatsvertrag. Gem. § 5 GlüStV hat sich die Werbung für öffentliches 246 Glücksspiel zur Vermeidung eines Aufforderungscharakters auf die Information und Aufklärung über die Möglichkeit zum Glücksspiel zu beschränken. Zusätzlich sind einzelne Werbeformen verboten. Es handelt sich um Marktverhaltensregelungen.853 Der Begriff der Werbung wird von der Rechtsprechung in Anlehnung an Art. 2 lit. a der Irreführungs-RL 2006/114/EG weit verstanden, so dass nicht nur produktbezogene Werbung, sondern auch reine Image- und Aufmerksamkeitswerbung umfasst ist.854 Gem. § 5 Abs. 2 S. 1 GlüStV a.F. durfte Werbung nicht gezielt zur Teilnahme am 247 Glücksspiel auffordern, anreizen oder ermuntern. Die Gerichte legten hierbei einen
_____
846 S. BGH 5.10.2017 – I ZR 117/16 – GRUR 2017, 1273 Tz. 16 – Tabakwerbung im Internet (zu § 19 Abs. 3 TabakerzG); Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.240. 847 S. zu § 21a VTabakG a.F. BGH 5.10.2017 – I ZR 117/16 – GRUR 2017, 1273 Tz. 16 – Tabakwerbung im Internet; BGH 18.11.2010 – I ZR 137/09 – GRUR 2011, 631 Tz. 10 – Unser wichtigstes Cigarettenpapier. 848 BGH 18.11.2010 – I ZR 137/09 – GRUR 2011, 631 – Unser wichtigstes Cigarettenpapier. 849 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.240; zu § 22 VTabakG a.F. BGH 4.11.2010 – I ZR 139/09 – GRUR 2011, 633 Tz. 34 – BIO TABAK; a.A. Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 71. 850 BGH 4.11.2010 – I ZR 139/09 – GRUR 2011, 633 Tz. 14 – BIO TABAK. 851 Vgl. auch Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.255. 852 Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 71. 853 S. BGH 28.9.2011 – I ZR 43/10 – BeckRS 2011, 27466 Tz. 78 – Internet-Wettverbot; bestätigt in BGH 24.1.2013 – I ZR 171/10 – GRUR 2013, 527 Tz. 11 – Digibet (beide zu § 5 Abs. 3 GlüStV); BGH 16.12.2010 – I ZR 149/08 – GRUR 2011, 440 – Spiel mit; KG 30.3.2009 – 24 U 168/08 – GRUR-RR 2010, 29, 30 – HOROSKOPSPIELSCHEINE (beide zu § 5 Abs. 1 und Abs. 2 GlüStV); OLG Oldenburg 18.9.2008 – 1 W 66/08 – GRUR-RR 2009, 67 – Mehrwochenschein vor Urlaub (zu § 5 Abs. 1 und Abs. 3 GlüStV). 854 OLG Hamburg 11.8.2011 – 3 U 145/09 – GRUR-RR 2012, 21, 25 – LOTTO guter Tipp; KG 30.3.2009 – 24 U 168/08 – GRUR-RR 2010, 29, 30 – HOROSKOP-SPIELSCHEINE.
115
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
strengen Maßstab an. So wurde schon der Titel einer Kundenzeitschrift, der imperativ zur Spielteilnahme aufforderte („Spiel mit“), als unzulässige Werbung angesehen.855 Gleiches galt für die Werbung mit dem Slogan „TÄGLICH SPIELEN – TÄGLICH GEWINNEN“.856 Von den Instanzgerichten wurde die Aufforderung, vor Beginn der Urlaubszeit an den Mehrwochenschein zu denken, als unzulässige Aufforderungswerbung bewertet.857 Als unzulässig wurde auch die Präsentation von „Horoskop-Spielscheinen“ in einer Lottoannahmestelle erachtet, da es sich um einen gezielten, irrationale Gefühle ansprechenden Anreiz zur Teilnahme am Glücksspiel handelte.858 Als unzulässig wurde ein Werbeplakat bewertet, das eine Frau in einem schwarzen Abendkleid zeigt und unter der Überschrift „Tatendrang“ für die „aufregenden Momente in einer der neun bayerischen Spielbanken“ wirbt.859 Genauso wurde entschieden für die Werbung mit Aufstellern mit der Abbildung eines lachenden „LOTTO-Trainers“ mit dem Text „Der LOTTO-Trainer meint: Viel Glück“860 sowie für Werbeanzeigen, bei denen auf einem abgebildeten Lotterielos in großen golden glänzenden Buchstaben „Goldene 7“ zu lesen war und hinter der funkelnden Zahl 7 Goldbarren gestapelt waren.861 Unzulässig waren schließlich auch die auf Linienbussen des öffentlichen Personennahverkehrs angebrachten Werbeslogans „Lotto guter Tipp – Hält zum Glück an fast jedem Kiosk“ und „Lotto guter Tipp – Fahrscheine vorn – Spielscheine am Kiosk“, weil durch sie vornehmlich noch nicht zum Glücksspiel entschlossene Personen angesprochen und zur Glücksspielteilnahme angeregt würden.862 Aus dem ersatzlosen Wegfall des § 5 Abs. 2 S. 1 GlüStV a.F. ist zu schließen, dass diese strenge Rechtsprechung nicht ohne weiteres fortgeführt werden kann.863 Die Nennung eines Höchstgewinns in der Werbung war und ist nicht wettbewerbswidrig, sofern die Ankündigung in ihrer konkreten Gestaltung eine sachliche Information darstellt.864 Ebenfalls zulässig war und ist der Vertrieb von Glücksspielprodukten über Lotto-Annahmestellen, die auch Alltagsprodukte, insbesondere Süßigkeiten anbieten.865 Nach § 5 Abs. 2 S. 1 GlüStV darf sich Werbung nicht an Minderjährige oder ver248 gleichbar gefährdete Zielgruppen richten. Dazu muss die Werbung allerdings erkennbar – zumindest auch – auf diese Personengruppen als Zielgruppe ausgerichtet sein; bloße Abrufbarkeit der Werbung durch diese Personen genügt nicht.866 Generell darf Werbung nicht irreführend sein (§ 5 Abs. 2 S. 2 GlüStV).867 Gem. § 5 Abs. 3 GlüStV ist die Werbung für öffentliches Glücksspiel im Fernsehen, im Internet sowie über Telekommunika-
_____
855 BGH 16.12.2010 – I ZR 149/08 – GRUR 2011, 440 Tz. 20 – Spiel mit. 856 BGH 16.12.2010 – I ZR 149/08 – GRUR 2011, 440 Tz. 35 – Spiel mit. 857 OLG Oldenburg 18.9.2008 – 1 W 66/08 – GRUR-RR 2009, 67 – Mehrwochenschein vor Urlaub. 858 KG 30.3.2009 – 24 U 168/08 – GRUR-RR 2010, 29 – HOROSKOP-SPIELSCHEINE. 859 OLG München 30.4.2009 – 29 U 5361/08 – WRP 2009, 1014, 1015 – Casino Werbung. 860 KG 12.8.2009 – 24 U 40/09 – GRUR-RR 2010, 31 – LOTTO-Trainer. 861 OLG Koblenz 4.11.2009 – 9 U 889/09 – GRUR-RR 2010, 16 – GOLDENE 7. 862 OLG Hamburg 11.8.2011 – 3 U 145/09 – GRUR-RR 2012, 21 – LOTTO guter Tipp. 863 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.248. 864 BGH 16.12.2010 – I ZR 149/08 – GRUR 2011, 440 Tz. 11 f. – Spiel mit. – Für eine übertriebene Herausstellung der Gewinnmöglichkeit s. KG 30.3.2009 – 24 U 145/08 – GRUR 2010, 22, 27 – JACKPOT!: Eine in großen schwarzen Lettern und mit einem Ausrufungszeichen versehene Aufschrift JACKPOT! mit in überdimensional großer roter Schrift darunter angegebenem Millionenbetrag auf einem Aufsteller, der bereits aus großer Entfernung ins Auge fällt, ist unzulässig. 865 KG 12.8.2009 – 24 U 40/09 – GRUR-RR 2010, 31, 33 f. – LOTTO-Trainer; OLG Koblenz 6.5.2009 – 9 U 117/09 – GRUR-RR 2010, 20, 21 f. – Süßwaren in Annahmestelle. 866 BGH 24.1.2013 – I ZR 51/11 – GRUR 2013, 956 Tz. 18 – Glückspäckchen im Osternest. 867 S. (zu § 5 Abs. 2 S. 2 GlüStV a.F.) OLG Hamburg 11.8.2011 – 3 U 145/09 – GRUR-RR 2012, 21, 25 f. – LOTTO guter Tipp.
Metzger/Eichelberger
116
C. Marktverhaltensregelungen
§ 3a
tionsanlagen verboten. § 5 Abs. 5 GlüStV verbietet schließlich die Werbung für unerlaubte Glücksspiele generell. Gem. § 6 GlüStV sind die Veranstalter und Vermittler von öffentlichen Glücksspie- 249 len verpflichtet, die Spieler zu verantwortungsbewusstem Spiel anzuhalten und der Entstehung von Glücksspielsucht vorzubeugen. Zu diesem Zweck haben sie die Vorgaben des Anhangs „Richtlinien zur Vermeidung und Bekämpfung von Glücksspielsucht“ zu erfüllen. Gem. Nr. 2 des Anhangs sind Informationen über Höchstgewinne mit der Aufklärung über die Wahrscheinlichkeit von Gewinn und Verlust zu verbinden.868 Es handelt sich um Marktverhaltensregelungen.869 III. Vertriebsbezogene Vorschriften Vertriebsbezogene Vorschriften betreffen primär die Modalitäten des Absatzes von 250 Waren oder Dienstleistungen bzw. der Werbung dafür. Dazu gehören beispielsweise Preisvorschriften, das Preisangabenrecht und Vorschriften über die zulässigen Geschäftszeiten. 1. Preisvorschriften. Gesetzliche Vorschriften zu Preisen oder zulässigen Höchst- 251 oder Mindestpreisen finden sich in ganz unterschiedlichen Bereichen. In aller Regel erfolgt diese Einwirkung auf den Preis und den Preiswettbewerb im Interesse der Verbraucher und/oder der Mitbewerber, so dass es sich um Marktverhaltensregelungen handelt.870 Dies gilt erst recht, wenn, wie beispielsweise bei den Preisvorschriften für Arzneimittel oder den Gebührenordnungen für die Heilberufe, besonders wichtige Gemeinschaftsgüter betroffen sind. a) Preisbindung für Arzneimittel. Die Vorschriften über die Preisbindung von Arz- 252 neimitteln in § 78 ArzneimittelG (AMG) in Verbindung mit der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) sind Marktverhaltensregelungen.871 Durch den einheitlichen Apothekenabgabepreis soll im Hinblick auf die Beratungs- und Schlüsselfunktion der Apotheken ein Preiswettbewerb auf der Handelsstufe der Apotheken ausgeschlossen oder jedenfalls vermindert werden, um die gebotene flächendeckende und gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sicherzustellen sowie das finanzielle Gleichgewicht des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung abzusichern.872 Eine Zuwiderhandlung liegt nicht nur dann vor, wenn der Apotheker ein preisgebundenes Arzneimittel zu einem niedrigeren Preis abgibt, sondern auch, wenn dem Kunden gekoppelt mit dem Erwerb des Arzneimittels Vorteile gewährt werden, die den Erwerb für ihn wirtschaftlich günstiger erscheinen lassen.873
_____
868 S. dazu OLG Koblenz 6.5.2009 – 9 U 117/09 – GRUR-RR 2010, 20, 21 – Süßwaren in Annahmestelle. 869 OLG Koblenz 6.5.2009 – 9 U 117/09 – GRUR-RR 2010, 20, 21 – Süßwaren in Annahmestelle. 870 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.256. 871 BGH 5.10.2017 – I ZR 172/16 – GRUR 2017, 1281 Tz. 22 – Großhandelszuschläge; BGH 26.2.2014 – I ZR 77/09 – GRUR 2014, 591 Tz. 8 – Holland-Preise; s. auch BGH 5.3.2015 – I ZR 185/13 – GRUR 2015, 1033 – Patientenindividuell zusammengestellte Arzneimittelblister; OLG Frankfurt 2.11.2017 – 6 U 164/16 – GRUR 2018, 208 Tz. 13 – Brötchen-Gutschein; OLG Bamberg 29.6.2016 – 3 U 216/15 – WRP 2016, 1151 Tz. 64 – Großhandelsrabatte für Apotheker; OLG Saarbrücken 31.8.2016 – 1 U 150/15 – GRUR-RR 2017, 80 Tz. 34 – Clever + Partnerprogramm. 872 GmS-OGB 22.8.2012 – GmS-OGB 1/10 – BGHZ 194, 354 = GRUR 2013, 417 Tz. 25 – Medikamentenkauf im Versandhandel; s. auch BVerfG 19.9.2002 – 1 BvR 1385/01 – NJW 2002, 3693, 3694 f. 873 BGH 9.9.2010 – I ZR 193/07 – GRUR 2010, 1136 Tz. 17 – UNSER DANKESCHÖN FÜR SIE (Abgabe eines 5 Euro Einkaufsgutscheins für Rezepteinlösung); OLG Frankfurt 2.11.2017 – 6 U 164/16 – GRUR 2018, 208 Tz. 12 – Brötchen-Gutschein; OLG Frankfurt 20.10.2005 – 6 U 201/04 – GRUR-RR 2006, 233 – Family Taler
117
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
253
b) Preisvorschriften bei den freien Berufen. Mindestpreisvorschriften in den Honorarordnungen der freien Berufe, beispielsweise in § 49b Abs. 1 BRAO,874 § 7 HOAI,875 § 11 BÄO i.V.m. § 5 GOÄ,876 § 15 ZHG i.V.m. der GOZ,877 sind Marktverhaltensregelungen, denn sie sollen einen ruinösen Preiswettbewerb verhindern und gleiche rechtliche Voraussetzungen für die auf dem fraglichen Markt tätigen Wettbewerber schaffen.878 Eine nach § 352 StGB strafbare Gebührenüberhebung durch Anwälte kann auch 254 lauterkeitsrechtlich geahndet werden (s. Rn. 298).879 Allerdings steht es Anwälten grundsätzlich frei, höhere als die gesetzlichen Gebühren zu vereinbaren; § 3a Abs. 1 RVG knüpft eine Vergütungsvereinbarung nur an die Schriftform. Rechnet der Anwalt dann auf Grundlage einer solchen Honorarvereinbarung ab, „erhebt“ er keine Vergütung im Sinne des § 352 StGB, und zwar auch dann nicht, wenn die Honorarvereinbarung unwirksam ist, denn das spezifische Unrecht der Gebührenüberhebung besteht gerade darin, dass der Täter für seine Forderungen zu Unrecht die Autorität einer gesetzlichen Gebührenregelung in Anspruch nimmt.880 255
c) Buchpreisbindung. Geschäftsmäßig881 an Letztabnehmer verkaufte (nicht gebrauchte)882 Bücher unterliegen der Preisbindung nach §§ 3, 5 BuchpreisbindungsG
_____ (gegen Prämien eintauschbare „Family Taler“); KG 11.4.2008 – 5 U 189/06 – GRUR-RR 2008, 450 – Apothekenbonussystem (Bonussystem, das einen Preisnachlass i.H.v. 10 Euro beim Kauf nicht verordnungspflichtiger Produkte gewährt oder die vom Verbraucher gezahlte Praxisgebühr erstattet); OLG Karlsruhe 12.2.2009 – 4 U 160/07 – GRUR-RR 2009, 176 – Douglastaler (zu auch außerhalb der gewährenden Apotheke einlösbaren Gutscheinen). 874 BGH 1.6.2006 – I ZR 268/03 – GRUR 2006, 955 Tz. 11 – Gebührenvereinbarung II; OLG Köln 29.6.2018 – 6 U 179/17 – GRUR-RR 2018, 356 Tz. 33 – Kostenfreiheitsvereinbarung. – Seit dem 1.7.2006 kann die Vergütung für die außergerichtliche Beratung grundsätzlich frei vereinbart werden (§ 34 RVG), wobei auch keine Angemessenheitsprüfung nach § 4 Abs. 1 S. 2 RVG mehr stattfindet. Deshalb sind in diesem Bereich nunmehr auch sehr niedrige Pauschalgebühren lauterkeitsrechtlich nicht zu beanstanden. Dazu OLG Stuttgart 28.12.2006 – 2 U 134/06 – NJW 2007, 924 (20 Euro brutto); OLG Naumburg 8.11.2007 – 1 U 70/07 – GRUR-RR 2008, 173 – Anwalt sofort (20 bis 40 Euro netto). – Zum früheren Recht s. dagegen OLG Hamm 3.8.2004 – 4 U 94/04 – NJW 2004, 3269 (Gebührenrahmen von 10 bis 50 Euro für arbeitsrechtliche Beratung ist nicht angemessen i.S.v. § 4 Abs. 2 S. 3 RVG 2004 und deshalb wettbewerbswidrig). – Zur (unter heutigem Recht obsoleten) Problematik der Gebührenunterschreitung bei telefonischer Rechtsberatung mit Minutenpreis s. BGH 26.9.2002 – I ZR 44/00 – BGHZ 152, 153 = GRUR 2003, 349 – Anwaltshotline und BGH 30.9.2004 – I ZR 261/02 – GRUR 2005, 433 – Telekanzlei. 875 BGH 15.5.2003 – I ZR 292/00 – GRUR 2003, 969, 970 – Ausschreibung von Vermessungsleistungen; OLG Hamburg 27.10.2010 – 5 U 178/08 – GRUR-RR 2011, 141 – HOAI-Mindestsätze; OLG Düsseldorf 15.2.2018 – I-15 U 73/17 – GRUR-RR 2018, 203 Tz. 25 – Spielplatzgestaltung. – Der EuGH (4.7.2019 – C-377/17 – BeckRS 2019, 13028 – Kommission/Deutschland) hat die Festlegung von Mindest- und Höchsthonoraren für Planungsleistungen von Architekten und Ingenieuren durch die HOAI für unvereinbar mit der RL 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt erklärt. 876 OLG Köln 14.12.2012 – 6 U 108/12 – GRUR-RR 2013, 259 – LASIK-Behandlung. 877 OLG Frankfurt 21.7.2016 – 6 U 136/15 – GRUR-RR 2016, 460 Tz. 18 – Gutschein für Bleaching; KG 31.8.2007 – 5 W 253/07 – GRUR-RR 2008, 24 – Kinderprophylaxeprogramm. 878 So BGH 15.5.2003 – I ZR 292/00 – GRUR 2003, 969, 970 – Ausschreibung von Vermessungsleistungen (zur HOAI); Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.257. 879 BGH 26.9.2002 – I ZR 44/00 – BGHZ 152, 153, 161 f. = GRUR 2003, 349, 352 – Anwaltshotline; BGH 30.9.2004 – I ZR 261/02 – GRUR 2005, 433, 435 – Telekanzlei. 880 S. BGH 6.9.2006 – 5 StR 64/06 – NJW 2006, 3219 Tz. 9 f. 881 Dazu OLG Frankfurt 15.6.2004 – 11 U 18/04 (Kart) – NJW 2004, 2098. 882 Ein Buch ist gebraucht im Sinne des § 3 S. 2 BuchPrG, wenn es bereits einmal die Vertriebskette des Buchhandels verlassen hat, indem es durch Verkauf an einen Letztabnehmer in den privaten Gebrauch gelangt ist. Das ist bei Rückläufern aus Verbraucherwiderrufen nicht der Fall. S. LG Nürnberg-Fürth 25.11.2016 – 4 HK O 6816/16 – ZUM-RD 2017, 289.
Metzger/Eichelberger
118
C. Marktverhaltensregelungen
§ 3a
(BuchPrG). Ausnahmen regelt abschließend883 § 7 BuchPrG.884 Zweck der Buchpreisbindung ist es, durch Festsetzung verbindlicher Preise beim Verkauf an Letztabnehmer ein umfangreiches, der breiten Öffentlichkeit zugängliches Buchangebot in einer großen Zahl von Verkaufsstellen zu sichern (s. § 1 BuchPrG).885 Weil dieser Zweck nur durch eine wirksame Verhinderung der Unterschreitung des gebundenen Preises erreicht wird, ist es ein Verstoß gegen die Buchpreisbindung, wenn ein Händler beim Verkauf nicht preisgebundener Ware für den Kunden kostenlose Gutscheine zum verbilligten Erwerb preisgebundener Bücher ausgibt, obschon es sich dabei um zwei selbstständige Rechtsgeschäfte handelt und der Bezug zwischen dem Gutschein und dem Verkauf eines preisgebundenen Buchs erst durch eine spätere autonome Entscheidung des Kunden hergestellt wird.886 Entscheidend für die Prüfung eines Verstoßes gegen die Buchpreisbindung ist, ob das Vermögen des Buchhändlers beim Verkauf des Buches bei einer Gesamtsaldierung durch eine Leistung des Käufers in Höhe des gebundenen Preises vermehrt wird;887 hieran fehlt es in dem genannten Gutscheinfall. Zahlt dagegen der Letztverbraucher den gebundenen Preis an den Verkäufer, begründet es keinen Verstoß gegen die Buchpreisbindung, wenn dieser einem Dritten dafür eine Provision zahlt, sofern dieser die Provision nicht an den Käufer weiterreicht.888 Denn maßgeblich ist, ob aus der Sicht des Kunden ein Preiswettbewerb besteht.889 Dementsprechend verstößt es auch dann gegen die Buchpreisbindung, wenn der dem Käufer gewährte Nachlass dem Buchhändler durch einen Dritten in voller Höhe ausgeglichen wird.890 Ebenfalls unzulässig ist die Einräumung eines Rabatts bei Nichtausschöpfung eines gewährten Zahlungsziels („Skonto“).891 Das Verschenken eines Buches an einen Verbraucher wird auch nicht dadurch zu einem der Preisbindung unterliegenden Verkauf, wenn der Käufer eine (angemessene, d.h. keine versteckte Gegenleistung darstellende) Versandkostenpauschale zu zahlen hat.892 – Verstöße gegen die Buchpreisbindung werden abschließend durch § 9 BuchPrG (ganz ähnlich dem lauterkeitsrechtlichen Instrumentarium) durch Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche sanktioniert; § 3a ist daneben nicht anwendbar (s. Rn. 29).
_____
883 S. BGH 24.6.2003 – KZR 32/02 – BGHZ 155, 189, 196 = GRUR 2003, 807, 808 – Buchpreisbindung; OLG München 24.6.2004 – 23 U 5142/03 – GRUR 2005, 71, 72 – Schüler-Lernhilfe. 884 Allein die Stempelung mit „Mängelexemplar“ macht ein mangelfreies Buch nicht zu einem solchen, das nach § 7 Abs. 1 Nr. 4 BuchPrG nicht der Buchpreisbindung unterläge, OLG Frankfurt 26.7.2005 – 11 U 8/05 – GRUR 2005, 965 – Mängelexemplar. – Ein an Sammelbesteller bei Bestellung von mindestens 20 Exemplaren verschenktes Buch im Wert von bis zu 30 Euro ist weder eine geringwertige oder wirtschaftlich nicht ins Gewicht fallende Ware nach § 7 Abs. 4 Nr. 1 BuchPrG noch eine andere handelsübliche Nebenleistung im Sinne des § 7 Abs. 4 Nr. 4 BuchPrG, OLG München 24.6.2004 – 23 U 5142/03 – GRUR 2005, 71, 72 – Schüler-Lernhilfe. 885 BGH 23.7.2015 – I ZR 83/14 – GRUR 2016, 298 Tz. 12 – Gutscheinaktion beim Buchankauf. 886 BGH 23.7.2015 – I ZR 83/14 – GRUR 2016, 298 Tz. 11 f. – Gutscheinaktion beim Buchankauf; OLG Frankfurt 4.9.2012 – 11 U 25/12 – GRUR-RR 2013, 127 – Trade-In-Geschäft (zu im Zusammen mit dem Ankauf gebrauchter Bücher kostenlos abgegebenen Bonusgutscheinen, die später beim Kauf preisgebundener Bücher beim selben Händler eingesetzt werden konnten); OLG Frankfurt 20.7.2004 – 11 U 2/04 (Kart) – BeckRS 2004, 151904 (Gutschrift von Bonusmeilen beim Kauf von preisgebundenen Büchern, die bei weiteren Käufen preisgebundener Bücher eingesetzt werden konnten); a.A. OLG Stuttgart 11.11.2010 – 2 U 31/10 – WRP 2011, 366 – Preisnachlass-Coupon. 887 BGH 21.7.2016 – I ZR 127/15 – GRUR 2017, 199 Tz. 17–19 – Förderverein. 888 BGH 21.7.2016 – I ZR 127/15 – GRUR 2017, 199 Tz. 20 ff. – Förderverein. 889 OLG Hamburg 24.10.2012 – 5 U 164/11 – GRUR-RR 2013, 348 – studibooks.de. 890 OLG Hamburg 24.10.2012 – 5 U 164/11 – GRUR-RR 2013, 348, 349 – studibooks.de; OLG Frankfurt 17.7.2012 – 11 U 20/12 – MMR 2012, 681. 891 BGH 24.6.2003 – KZR 32/02 – BGHZ 155, 189, 196 f. = GRUR 2003, 807, 808 – Buchpreisbindung. 892 OLG Dresden 26.6.2018 – 14 U 341/18 – WRP 2018, 979 – Gratisabgabe eines preisgebundenen Buches gegen Versandkostenpauschale.
119
Metzger/Eichelberger
§ 3a
256
Rechtsbruch
d) Weitere Preisvorschriften. Marktverhaltensregelung ist das Verbot des § 26 Abs. 1 TabaksteuerG (TabStG), von dem auf dem Steuerzeichen von Tabakwaren angegebenen Preis abzuweichen.893 2. Preisangabenrecht
257
a) PAngV. Die allgemeinen Anforderungen an Preisangaben regelt die Preisangabenverordnung (PAngV). Gemäß der Grundregel in § 1 Abs. 1 S. 1 PAngV müssen die Preise gegenüber Letztverbrauchern einschließlich der Umsatzsteuer und sonstiger Preisbestandteile (Gesamtpreise) angegeben werden. Zudem müssen Preisangaben den Grundsätzen von Preisklarheit und Preiswahrheit entsprechen (§ 1 Abs. 7 S. 1 PAngV). Bei Waren in Fertigpackungen,894 offenen Packungen oder als Verkaufseinheiten ohne Umhüllung nach Gewicht, Volumen, Länge oder Fläche angebotenen Waren ist neben dem Gesamtpreis auch der Preis je Mengeneinheit (Grundpreis) anzugeben (§ 2 PAngV). Das Gesetz spezifiziert die Vorgaben für bestimmte Werbeformen und für besondere Produkte, etwa Energie- und Wasserlieferungen, Kredite und Gaststätten. Zweck der PAngV ist es, durch eine sachlich zutreffende und vollständige Verbraucherinformation Preiswahrheit und Preisklarheit zu gewährleisten und durch optimale Preisvergleichsmöglichkeiten die Stellung der Verbraucher gegenüber Handel und Gewerbe zu stärken und den Wettbewerb zu fördern.895 Es handelt sich mithin um Marktverhaltensregelungen.896 Allerdings muss nicht jede Zuwiderhandlung gegen die PAngV zwingend unlauter sein; Bagatellverstöße gegen die Grundsätze der Preisklarheit und Preiswahrheit reichen nicht aus.897 Gesetzlicher Anknüpfungspunkt dafür ist (heute) die Spürbarkeitsklausel. Die Eignung zur spürbaren Interessenbeeinträchtigung kann beispielsweise fehlen, wenn Ware im Regal (irrtümlich) mit einem höheren als in der Werbung angegebenen Preis ausgezeichnet ist, an der Kasse aber von vornherein nur der beworbene Preis in Rechnung gestellt wird.898 Beispiele aus der Rechtsprechung: Bei einer Werbung für Waren in Preisvergleichs258 listen einer Preissuchmaschine dürfen die zum Kaufpreis hinzukommenden Versandkosten nicht erst auf der eigenen Internetseite des Werbenden genannt werden, die mit dem
_____
893 S. OLG Oldenburg 30.11.2006 – 1 U 74/06 – WRP 2007, 685, 687 – Knabberohren; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 3a Rn. 1.71; Harte/Henning/v. Jagow § 3a Rn. 106. 894 Es gilt die Legaldefinition des § 42 Abs. 1 MessEG, s. BGH 28.3.2019 – I ZR 85/18 – GRUR 2019, 641 Tz. 16 – Kaffeekapseln. 895 So BGH 3.7.2003 – I ZR 211/01 – BGHZ 155, 301, 305 = GRUR 2003, 971, 972 – Telefonischer Auskunftsdienst; BGH 25.2.1999 – I ZR 4/97 – GRUR 1999, 762, 763 – Herabgesetzte Schlußverkaufspreise. 896 BGH 14.1.2016 – I ZR 61/14 – GRUR 2016, 516 Tz. 12 – Wir helfen im Trauerfall; BGH 7.5.2015 – I ZR 158/14 – GRUR 2015, 1240 Tz. 18 – Der Zauber des Nordens; BGH 29.4.2010 – I ZR 23/08 – GRUR 2010, 652 Tz. 11 – Costa del Sol (alle zu § 1 PAngV); BGH 28.3.2019 – I ZR 85/18 – GRUR 2019, 641 Tz. 13 – Kaffeekapseln; BGH 28.6.2012 – I ZR 110/11 – GRUR 2013, 186 Tz. 9 – Traum-Kombi; KG 21.6.2017 – 5 U 185/16 – WRP 2018, 226 Tz. 9 – Lieferservice-Portal (alle drei zu § 2 PAngV). – Bisweilen ist allerdings die Vereinbarkeit mit der UGP-RL problematisch; im Konfliktfalle dürften die nationalen Vorschriften nicht angewendet werden (s. Rn. 7) und könnten dann einen Verstoß gegen § 3a nicht begründen. S. etwa zu dem Gebot des § 1 Abs. 4 PAngV, eine „rückerstattbare Sicherheit“ (namentlich das Flaschenpfand) separat neben dem Preis für die Ware oder Leistung anzugeben und keinen Gesamtbetrag zu bilden, KG 21.6.2017, 5 U 185/16 – WRP 2018, 226 Tz. 30 ff. – Lieferservice-Portal; Köhler/Bornkamm/Feddersen PAngV § 1 Rn. 28. 897 S. BGH 4.10.2007 – I ZR 182/05 – GRUR 2008, 442 Tz. 15 – Fehlerhafte Preisauszeichnung; s. auch (zu § 13 Abs. 2 Nr. 3 a.F.) BGH 15.1.2004 – I ZR 180/01 – GRUR 2004, 435, 436 – FrühlingsgeFlüge; BGH 5.7.2001 – I ZR 104/99 – GRUR 2001, 1166, 1168 f. – Fernflugpreise. 898 S. BGH 4.10.2007 – I ZR 182/05 – GRUR 2008, 442 Tz. 15 – Fehlerhafte Preisauszeichnung.
Metzger/Eichelberger
120
C. Marktverhaltensregelungen
§ 3a
Anklicken der Warenabbildung oder des Produktnamens erreicht werden kann.899 Beim Internetvertrieb reicht es aus, unmittelbar bei der Werbung für das einzelne Produkt den Hinweis „zzgl. Versandkosten“ aufzunehmen, wenn sich beim Anklicken dieses Hinweises ein Bildschirmfenster mit einer Erläuterung der Berechnungsmodalitäten für die Versandkosten öffnet und außerdem die tatsächliche Höhe der für den Einkauf anfallenden Versandkosten jeweils bei Aufruf des virtuellen Warenkorbs in der Preisaufstellung gesondert ausgewiesen wird.900 Es kann ausreichen, wenn die durch § 1 Abs. 2 PAngV geforderten Angaben leicht erkennbar und gut wahrnehmbar auf einer gesonderten Internetseite gemacht werden, die noch vor Einleitung des Bestellvorgangs zwingend aufgerufen werden muss.901 Kann der Gesamtpreis eines Produkts vernünftigerweise nicht im Voraus berechnet werden, genügt es, die Art der Preisberechnung für aufwandsabhängige Kosten mitzuteilen.902 Das bei einer Kreuzfahrt für jede beanstandungsfrei an Bord verbrachte Nacht zu zahlende Service-Entgelt ist Teil des nach § 1 Abs. 1 S. 1 PAngV anzugebenden Gesamtpreises.903 Ein Lieferdienst, der neben zuzubereitenden Speisen (z.B. Pizza) auch in Fertigverpackungen verpackte Waren (z.B. Bier, Wein oder Eiscreme) anbietet, muss auch den Grundpreis (§ 2 PAngV) dieser Waren angeben.904 Bei Kaffeekapseln ist auch der Grundpreis des Kaffees anzugeben.905 b) Spezielle Preisangabenregelungen. Ergänzt werden die allgemeinen Vorschrif- 259 ten der PAngV durch spezielle Regelungen, bei denen es sich ebenfalls regelmäßig um Marktverhaltensregelungen handelt. Zum Beispiel: § 4 DL-InfoV für die Erbringung von Dienstleistungen gegenüber Kunden, die keine Letztverbraucher sind;906 Art. 246 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB i.V.m. § 312a Abs. 2 S. 1 BGB für Verbraucherverträge (allgemein) und Art. 246a § 1 Abs. 1 Nr. 4 und Nr. 5 EGBGB i.V.m. § 312d Abs. 1 BGB speziell für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge und Fernabsatzverträge bzw. i.V.m. § 312j Abs. 2 BGB für Verbraucherverträge im elektronischen Geschäftsverkehr bzw. Art 246b § 1 Abs. 1 Nr. 6 und Nr. 7 EGBGB i.V.m. § 312d Abs. 2 BGB für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen über Finanzdienstleistungen; 907 Art. 250 § 3 EGBGB i.V.m. § 651d Abs. 1 BGB (früher in § 4 Abs. 1 BGB-InfoV a.F.) zu den Preisangaben von Reiseveranstaltern;908 § 32 FahrlehrerG (= § 19 Abs. 1 FahrlehrerG a.F.), wonach der Inhaber der Fahrschulerlaubnis die Entgelte, aufgeschlüsselt insbesondere nach Grundbetrag, Vorstellungsentgelte für die Prüfungen, Entgelte für die Ausbildungsfahrten in den Geschäftsräumen durch Aushang bekanntzugeben hat;909 Art. 23 Luftverkehrsdienste-VO (EG) 1008/2008 zu den
_____
899 BGH 16.7.2009 – I ZR 140/07 – GRUR 2010, 251 – Versandkosten bei Froogle. 900 BGH 16.7.2009 – I ZR 50/07 – GRUR 2010, 248 – Kamerakauf im Internet. 901 BGH 4.10.2007 – I ZR 143/04 – GRUR 2008, 84 – Versandkosten. 902 BGH 14.1.2016 – I ZR 61/14 – GRUR 2016, 516 Tz. 32 ff. – Wir helfen im Trauerfall. 903 BGH 7.5.2015 – I ZR 158/14 – GRUR 2015, 1240 Tz. 42 ff. – Der Zauber des Nordens. 904 BGH 28.6.2012 – I ZR 110/11 – GRUR 2013, 186 – Traum-Kombi (hier auch zu Ausnahmen nach § 9 Abs. 4 PAngV). 905 BGH 28.3.2019 – I ZR 85/18 – GRUR 2019, 641 Tz. 13 – Kaffeekapseln. 906 S. OLG Stuttgart 6.12.2012 – 2 U 94/12 – WRP 2013, 363 Tz. 12 – CartBoards. 907 Vgl. KG 2.10.2015 – 5 W 196/15 – WRP 2015, 1535 Tz. 3. 908 S. BGH 29.4.2010 – I ZR 23/08 – GRUR 2010, 652 Tz. 11 – Costa del Sol (zu § 4 Abs. 1 BGB-InfoV a.F.). 909 S. OLG Hamm 25.11.2014 – I-4 W 70/13 – BeckRS 2015, 3333 – Fahrschule; OLG Celle 21.3.2013 – 13 U 134/12 – GRUR-RR 2013, 224, 225 – Fahrschulkosten; OLG München 29.11.2007 – 6 U 3444/07 – BeckRS 2008, 5924; OLG Hamm 28.2.2008 – 4 U 168/07 – GRUR-RR 2008, 405, 406 – Pauschales Führerscheinentgelt.
121
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
Preisangaben bei Flugreisen;910 §§ 66a–66c TKG für die Erbringung von Mehrwertdiensten.911 260
3. Medienrechtliche Trennungsgebote. § 7 Abs. 3–8 RStV, die Presse- und Mediengesetzen der Länder912 sowie § 6 TMG enthalten das Gebot der Trennung von Beiträgen mit redaktionellem Inhalt und Werbung. Diese Trennungsgebote wollen nicht nur die Neutralität der Medien sichern, sondern zugleich eine Irreführung der Konsumenten verhindern, die daraus resultiert, dass diese häufig Werbemaßnahmen, die als redaktionelle Inhalte getarnt sind, unkritischer gegenüberstehen als einer Wirtschaftswerbung, die als solche erkennbar ist.913 Es handelt sich deshalb um Marktverhaltensregelungen.914
4. Vorschriften über Geschäfts- bzw. Arbeitszeiten. Allgemeine Regelungen über Ladenschlusszeiten finden sich in den Ladenschlussgesetzen der Länder bzw., wenn keine landesrechtliche Regelung getroffen wurde, im Ladenschlussgesetz des Bundes.915 Die Vorschriften dienen dem Schutz von Arbeitnehmern und Geschäftsinhabern, denen regelmäßige freie Sonntage und die Nachtruhe gesichert werden soll.916 Sie verfolgen aber zugleich ein sekundäres wettbewerbsbezogenes Schutzziel, weil sie die gleichmäßige Einhaltung bestimmter Ruhezeiten für alle Marktteilnehmer sicherstellen und einen Wettbewerb während der Ruhezeiten verhindern. Es handelt sich deswegen um Marktverhaltensregelungen.917 Obschon hier oft ein religiöses Schutzziel918 im Vordergrund stehen mag, wird man 262 aus denselben Erwägungen auch Regelungen zum Schutz der Sonn- und Feiertagsruhe 261
_____
910 S. BGH 29.9.2016 – I ZR 160/15 – GRUR 2017, 283 Tz. 19 – Servicepauschale; BGH 21.4.2016 – I ZR 220/14 – GRUR 2016, 716 Tz. 16 – Flugpreise; BGH 30.7.2015 – I ZR 29/12 – GRUR 2016, 392 Tz. 15 – Buchungssystem II; BGH 18.9.2013 – I ZR 29/12 – GRUR 2013, 1247 Tz. 8 – Buchungssystem I; BGH 25.10.2012 – I ZR 81/11 – GRUR-RS 2013, 01059 Tz. 9 – ELVIA. 911 S. LG Düsseldorf 1.3.2012 – 12 O 607/11 – BeckRS 2012, 8544; s. auch BGH 23.7.2015 – I ZR 143/14 – GRUR 2016, 295 Tz. 11 – Preisangabe für Telekommunikationsdienstleistung (§ 66a TKG als Verbraucherschutznorm i.S.v. § 2 Abs. 1 S. 1 UKlaG). 912 Zum Beispiel § 10 Thür. PresseG; § 10 Nieders. PresseG. 913 BGH 6.2.2014 – I ZR 2/11 – GRUR 2014, 879 Tz. 16 – GOOD NEWS II; BGH 1.7.2010 – I ZR 161/09 – GRUR 2011, 163 Tz. 24 – Flappe; BGH 22.2.1990 – I ZR 78/88 – BGHZ 110, 278, 290 f. = GRUR 1990, 611, 614 – Werbung im Programm; Eichelberger S. 161, 163. 914 S. BGH 6.2.2014 – I ZR 2/11 – GRUR 2014, 879 Tz. 16 – GOOD NEWS II; BGH 1.7.2010 – I ZR 161/09 – GRUR 2011, 163 Tz. 24 – Flappe (beide zu den Presse- und Mediengesetzen der Länder); OLG Nürnberg 15.1.2019 – 3 U 724/18 – BeckRS 2019, 572 Tz. 38 (zu § 6 Abs. 1 Nr. 1 TMG); Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.202; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 324–333; Eichelberger S. 161, 167; Koch FS Köhler 2014, S. 359, 369; krit. Peifer FS Köhler 2014, S. 519 ff. – Zur Vereinbarkeit des Trennungsgebots mit der UGP-RL s. EuGH 17.10.2013 – C-391/12 – GRUR 2013, 1245 – RLvS Verlagsgesellschaft mbH/Stuttgarter Wochenblatt GmbH [GOOD NEWS]. 915 Zur Gesetzgebungskompetenz s. BVerfG 14.1.2015 – 1 BvR 931/12 – BVerfGE 138, 261 = NVwZ 2015, 582 – arbeitsfreie Samstage. 916 S. dazu BVerfG 29.11.1961 – 1 BvR 760/57 – BVerfGE 13, 237 = NJW 1962, 99. 917 S. OLG Hamm 26.3.2013 – 4 U 176/12 – GRUR-RR 2013, 297 – Weihnachtstassen; OLG Stuttgart 24.4.2008 – 1 U 51/07 – WRP 2008, 977, 982 – Sonntagsverkauf in Apotheken; OLG München 14.2.2019 – 6 U 2188/18 – BeckRS 2019, 1435 Tz. 10; FBO/Götting/Hetmank § 3a Rn. 151; Harte/Henning/v. Jagow § 3a Rn. 86; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.263; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 74; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 376; zu § 1 a.F.: BGH 7.6.1996 – I ZR 114/94 – GRUR 1996, 786, 787 – Blumenverkauf an Tankstellen; BGH 23.3.1995 – I ZR 92/93 – GRUR 1995, 601, 602 – BahnhofsVerkaufsstellen; obiter auch BGH 11.5.2000 – I ZR 28/98 – BGHZ 144, 255, 269 = GRUR 2000, 1076, 1079 – Abgasemissionen. Anders aber Sack WRP 2004, 1307, 1310; ders. WRP 2005, 531, 540; Elskamp S. 191 ff. – S. auch die grundsätzliche Kritik an der gesetzlichen Regelung der Ladenöffnungszeiten bei GKUWG1/Teplitzky § 1 Rn. G 238–243. 918 Vgl. BVerfG 9.6.2004 – 1 BvR 636/02 – BVerfGE 111, 10, 49–54 = NJW 2004, 2363, 2370.
Metzger/Eichelberger
122
C. Marktverhaltensregelungen
§ 3a
eine sekundäre wettbewerbsbezogene Schutzfunktion und damit den Charakter von Marktverhaltensregelungen nicht absprechen können.919 Zu erwägen ist aber mit Blick auf Art. 12 Abs. 1 GG, ob nicht im Einzelfall die Verbotstatbestände zu reduzieren sind, namentlich, wenn mit dem Betrieb im konkreten Fall kein Kundenverkehr verbunden ist, der die Ruhe Dritter stören kann.920 Demgegenüber fehlt es den Regelungen des ArbeitszeitG (ArbZG) an einer wenigs- 263 tens sekundären wettbewerbsbezogenen Funktion, so dass Zuwiderhandlungen nicht mittels § 3a durchgesetzt werden können.921 Letztlich betreffen die Regelungen der Arbeitszeit allein die betriebsinterne Sphäre und haben, ähnlich wie die Regelungen des BImSchG, nur mittelbaren Einfluss auf die Stellung von Unternehmen im Wettbewerb.922 5. Weitere. AltölV. Wer gewerbsmäßig Verbrennungsmotoren- oder Getriebeöl an 264 Endverbraucher abgibt, muss deren gebrauchte Öle im Umfang der abgegebenen Menge kostenlos zurücknehmen und dazu (selbst oder durch Dritte) eine Annahmestelle einschließlich einer Möglichkeit zum fachgerechten Ölwechsel vorhalten (§ 8 Abs. 1 und Abs. 1a AltölV; zur Hinweispflicht siehe Rn. 197). Es handelt sich um eine Marktverhaltensregelung, da die Vorschrift neben Umweltschutzbelangen auch dem Schutz des Verbrauchers dient, indem sie ihm die kostenlose Rückgabe der gebrauchten Öle ermöglicht.923 Die Rückgabemöglichkeit muss auch beim Versandhandel gewährt werden; dabei genügt aber, dass die Verbraucher ihr Altöl am Versandlager des Verkäufers (vgl. dazu § 9 Abs. 1 S. 4 BattG und § 17 Abs. 2 ElektroG) persönlich abgeben oder per Post zurücksenden können, wobei es hierbei nicht notwendig ist, dass ihnen die Versandkosten für die Rücksendung erstattet werden.924 SEPA-VO. Nach Art. 9 Abs. 2 Euro-Zahlungsverkehr-VO (EU) 260/2012 (SEPA- 265 VO) darf ein Zahlungsempfänger einer Überweisung innerhalb der EU dem Zahler nicht vorschreiben, in welchem Mitgliedsstaat das dabei verwendete Zahlungskonto zu führen ist. Dies soll zum einen im Interesse der Verbraucher den Zahlungsverkehr innerhalb der Union erleichtern sowie zum anderen für mehr Wettbewerb bei Zahlungsdiensten sorgen und die Inanspruchnahme unionsweiter Zahlungsdienste fördern. Es handelt sich deshalb um eine Marktverhaltensregelung.925 Entsprechendes gilt für die durch Art. 9 Abs. 1 SEPA-VO identisch geregelte umgekehrte Situation. VerpackG. Zum 1.1.2019 hat das VerpackungsG (VerpackG) die bisherige Verpa- 266 ckungsverordnung (VerpackV) abgelöst. Zweck des VerpackG (wie zuvor der VerpackV)
_____
919 OLG München 14.2.2019 – 6 U 2188/18 – BeckRS 2019, 1435 Tz. 10; OLG Hamm 19.6.2008 – 4 U 72/08 – GRUR-RR 2009, 30 – Automaten-Videothek II; OLG Karlsruhe 20.12.1990 – 4 U 199/89 – GRUR 1991, 777, 778 – SB-Kfz-Reinigung; LG Münster 12.1.2017 – 22 O 93/16 – WRP 2017, 744 Tz. 25 – Getränkelieferung am Sonntag; FBO/Götting/Hetmank § 3a Rn. 152; Harte/Henning/v. Jagow § 3a Rn. 88; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.263; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 74; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 377, 380; GK-UWG1/Teplitzky § 1 Rn. G 244; a.A. GK-UWG2/Metzger § 4 Nr. 11 Rn. 168; Elskamp S. 194. 920 S. OLG Hamm 19.6.2008 – 4 U 72/08 – GRUR-RR 2009, 30, 31 – Automaten-Videothek II; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.263. 921 Ebenso Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 74; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.264; zu § 1 a.F.: BGH 3.11.1988 – I ZR 12/87 – GRUR 1989, 116 – Nachtbackverbot (zum „Nachtbackverbot“ des inzwischen aufgehobenen Gesetzes über die Arbeitszeit in Bäckereien und Konditoreien vom 29.6.1936); a.A. FBO/Götting/Hetmank § 3a Rn. 153; Ullmann GRUR 2003, 817 (822). 922 Insoweit missverständlich BGH 11.5.2000 – I ZR 28/98 – BGHZ 144, 255, 269 = GRUR 2000, 1076, 1079 – Abgasemissionen (obiter dictum). 923 OLG Celle 16.6.2016 – 13 U 26/16 – GRUR-RR 2017, 144 Tz. 10 – Altölentsorgung. 924 OLG Celle 16.6.2016 – 13 U 26/16 – GRUR-RR 2017, 144 Tz. 11 ff. – Altölentsorgung. 925 S. OLG Karlsruhe 20.4.2018 – U 120/17 – GRUR-RR 2018, 349 Tz. 17 – Bankeinzug Luxemburg; LG Düsseldorf 31.8.2018 – 38 O 35/18 – WRP 2018, 1536 Tz. 12 – SEPA-Diskriminierung.
123
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
ist es, die Auswirkungen von Verpackungsabfällen auf die Umwelt zu vermeiden oder zu verringern; Verpackungsabfälle sollen vorrangig vermieden und darüber hinaus einer Vorbereitung zur Wiederverwendung oder dem Recycling zugeführt werden (§ 1 Abs. 1 S. 2 und 3 VerpackG). Damit verfolgt das VerpackG zunächst umweltpolitische Ziele, schützt nach § 1 Abs. 1 S. 4 VerpackG zugleich aber auch die Marktteilnehmer vor unlauterem Wettbewerb. – § 6 VerpackV a.F., der die Pflicht zur Gewährleistung der flächendeckenden Rücknahme von Verkaufsverpackungen, die beim privaten Endverbraucher anfallen, regelte, war eine Marktverhaltensregelung.926 Dasselbe galt für die Rücknahmepflicht für Verkaufsverpackungen schadstoffhaltiger Füllgüter nach § 8 Abs. 1 VerpackV a.F.927 Ebenfalls Marktverhaltensregelung war die Pfanderhebungspflicht für Einweggetränkeverpackungen nach § 9 VerpackV a.F.928 Daran ist auch unter Geltung des VerpackG festzuhalten. Letztlich dienen sämtliche materiellen Pflichten im Hinblick auf die Vermeidung und den Umgang mit Verpackungsabfällen dem Mitbewerberschutz und sind deshalb Marktverhaltensregelungen, weil ihre Einhaltung den Produktabsatz verteuert und damit zu einer Mehrbelastung der gesetzestreuen Mitbewerber führt.929 IV. Geschäftsbezogene Vorschriften 267
Geschäftsbezogene Vorschriften sind Normen, die im unmittelbaren Zusammenhang des Abschlusses von Verträgen etc. bestehen. Hierzu gehören neben dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen und dem Antidiskriminierungsrecht insbesondere unternehmens- und vertragsbezogene Informationspflichten, namentlich im Verbrauchervertragsrecht.
268
1. Allgemeine Geschäftsbedingungen. Ob die AGB-rechtlichen Klauselverbote der §§ 307–309 BGB als Marktverhaltensregelungen einzuordnen sind, war umstritten,930 wurde inzwischen aber vom Bundesgerichtshof grundsätzlich bejaht.931 Verstöße gegen die im konkreten Fall in Rede stehenden Verbote des § 308 Nr. 1 BGB (unangemessene Annahme- oder Lieferfrist), § 307 BGB (unangemessene Benachteiligung durch pauschale Abbedingung verschuldensunabhängiger Haftung) und § 309 Nr. 7 lit. a BGB (Haftungsausschluss für fahrlässig verursachte Körperschäden), könnten trotz ihrer Unwirksamkeit Verbraucher davon abhalten, berechtigte Ansprüche gegen den Verwender geltend zu machen.932 Damit sind deren Interessen als Marktteilnehmer betroffen. Alle AGB-rechtlichen Klauselverbote betreffen das Angebot von Waren und Dienstleistungen, und zwar konkret den Vertragsschluss sowie die Modalitäten der Leistungserbringung.
_____
926 BGH 29.6.2006 – I ZR 171/03 – GRUR 2007, 162 Tz. 12 – Mengenausgleich in Selbstentsorgergemeinschaft. 927 KG 15.4.2005 – 5 W 48/05 – GRUR-RR 2005, 357 – Außer-Haus-Verkauf eines Imbissstandes. 928 OLG Köln 19.10.2012 – 6 U 103/12 – WRP 2013, 366 Tz. 6 – Kindersekt. 929 S. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.279. 930 S. zum Meinungsstand BGH 31.3.2010 – I ZR 34/08 – GRUR 2010, 1117 Tz. 26–28 – Gewährleistungsausschluss im Internet; Hennigs S. 192 ff.; Köhler NJW 2008, 177 (zur älteren OLGRechtsprechung). 931 BGH 31.5.2012 – I ZR 45/11 – GRUR 2012, 949 Tz. 46–48 – Missbräuchliche Vertragsstrafe (zu §§ 307, 308 Nr. 1, 309 Nr. 7 lit. a BGB); bestätigt in BGH 14.12.2017 – I ZR 184/15 – GRUR 2018, 423 Tz. 41 – Klauselersetzung (§ 307 BGB); ferner OLG München 7.6.2018 – 29 U 2490/17 – WRP 2018, 1125 Tz. 17 – Videoberichterstattung im Amateurfußball; OLG Düsseldorf 7.2.2017 – I-20 U 139/15 – GRUR-RR 2017, 331 Tz. 64 – Gewinn aus Rücklastschriften (§ 309 Nr. 5 lit. a BGB); OLG Köln 20.7.2018 – 6 U 26/18 – GRUR-RR 2018, 431 Tz. 18 – Schadenspauschale für Mahnung (zu § 309 Nr. 5 lit. a BGB). 932 BGH 31.5.2012 – I ZR 45/11 – GRUR 2012, 949 Tz. 46 – Missbräuchliche Vertragsstrafe.
Metzger/Eichelberger
124
C. Marktverhaltensregelungen
§ 3a
Zweck der Regelungen ist der Schutz der Verbraucher und der anderen Marktteilnehmer vor überraschenden, intransparenten oder unangemessenen Vertragsklauseln. Zudem stellt § 305 Abs. 2 BGB sicher, dass AGB in Verbraucherverträgen nur dann wirksam einbezogen sind, wenn auf die AGB hingewiesen wird und der anderen Vertragspartei die zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme verschafft wird. Den genannten Vorschriften kommt damit zumindest eine sekundäre wettbewerbsbezogene Funktion zu. Die UGP-RL steht der Durchsetzung des AGB-Recht mittels des Lauterkeitsrechts nicht entgegen, denn es handelt sich um Regelungen des Vertragsrechts, die nach Art. 3 Abs. 2 UGP-RL von vornherein unberührt bleiben, so dass die UGP-RL nicht entgegensteht.933 Gegen die Anwendung des Lauterkeitsrechts sprechen auch nicht die Klagemöglichkeiten des UKlaG, denn dieses stellt kein abschließendes Rechtsschutzsystem dar, welches den Rückgriff auf andere Rechtsschutzmöglichkeiten ausschlösse (s. Rn. 36). Schließlich kann der Anwendung des § 3a auch nicht entgegengehalten werden, dass das AGB-Recht kein gesetzliches Verbot missbräuchlicher Klauseln statuiert, sondern nur die Unwirksamkeit der Klauseln regelt.934 Der Rechtsbruchtatbestand ist nicht auf Vorschriften beschränkt, die als gesetzliche Verbote formuliert sind, wie sich an der lauterkeitsrechtlichen Beurteilung von gesetzlich normierten Informationspflichten im Vertragsrecht zeigt, etwa der Belehrung über Widerrufsrechte (s. Rn. 281). Auch dort gilt wie im AGBRecht, dass entgegenstehendes Verhalten nicht gesetzlich verboten ist, sondern Konsequenzen bei den Rechten aus dem Vertrag nach sich zieht, etwa längere Widerrufsfristen. Mithin sind sämtliche Klauselverbote der §§ 307–309 BGB Marktverhaltensregelungen.935 Dasselbe gilt – aus den gleichen Gründen – für das Umgehungsverbot des § 306a BGB.936 Bei der Verwendung von AGB handelt es sich um geschäftliche Handlungen gem. 269 § 2 Abs. 1 Nr. 1, da die Verwendung bei Vertragsschluss objektiv mit dem Absatz von Waren und Dienstleistungen zusammenhängt.937 Zuwiderhandlungen sind grundsätzlich auch geeignet, Interessen der Marktteilnehmer – insbesondere der Verbraucher – spürbar zu beeinträchtigen.938 Ansprüche nach § 3a kommen nicht nur bei Verstößen gegen die Klauselverbote der 270 §§ 307–309 BGB in Betracht, sondern auch, wenn der nach § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB gebotene Hinweis auf die Verwendung von AGB fehlt, oder wenn der anderen Vertragspartei entgegen § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB nicht die Möglichkeit verschafft wird, in zumutbarer Weise vom Inhalt der AGB Kenntnis zu nehmen. Auch bei diesen Anforderungen an die vertragliche Geltung von AGB handelt es sich um Marktverhaltensregelungen, die dem Schutz von Verbrauchern dienen.939 Die Anwendung des Wettbewerbsrechts schließt hierbei zugleich eine empfindliche Lücke im Rechtsschutzsystem des UKlaG, da dieses
_____
933 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.286, 1.288. – Der BGH 31.5.2012 – I ZR 45/11 – GRUR 2012, 949 Tz. 46–48 – Missbräuchliche Vertragsstrafe begründet die Vereinbarkeit mit der UGP-RL dagegen mit der unionsrechtlichen Grundlage des AGB-Rechts in der Klausel-RL 93/13/EWG. 934 So aber Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 78a; von Walter S. 230; wie hier dagegen Hennigs S. 196 ff. 935 Ebenso Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.288; FBO/Götting/Hetmank § 3a Rn. 159; Hennigs S. 194 ff.; s. auch OLG Köln 20.7.2018 – 6 U 26/18 – GRUR-RR 2018, 431 Tz. 18 – Schadenspauschale für Mahnung. 936 S. OLG Düsseldorf 7.2.2017 – I-20 U 139/15 – GRUR-RR 2017, 331 Tz. 65 – Gewinn aus Rücklastschriften. 937 Vgl. BGH 31.3.2010 – I ZR 34/08 – GRUR 2010, 1117 Tz. 18 – Gewährleistungsausschluss im Internet; eingehend Köhler GRUR 2010, 1047, 1048. 938 S. BGH 31.5.2012 – I ZR 45/11 – GRUR 2012, 949 Tz. 46 – Missbräuchliche Vertragsstrafe. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.289 plädiert mit Blick auf die Klausel-RL und den gebotenen Gleichlauf zum UKlaG dafür, die Spürbarkeitsklausel von vornherein nicht anzuwenden. 939 GK-UWG2/Metzger § 4 Nr. 11 Rn. 173; Metzger GRUR Int. 2015, 687, 690 f.; zustimmend Hennigs S. 198 f.
125
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
die Verbandsklage nur für Verstöße gegen die §§ 307–309 BGB eröffnet, nicht aber für Fragen der Einbeziehung von AGB. Anderenfalls hätten Unternehmen die Möglichkeit, den Anschein zu erwecken, der Verbraucher wäre an allgemeine Geschäftsbedingungen gebunden, deren vertragliche Geltung aber an der fehlenden Einbeziehung scheitert, etwa bei Endnutzer-Lizenzverträgen im Softwarevertrieb, bei denen der Käufer erst nach Vertragsschluss mit umfangreichen Klauselwerken konfrontiert wird.940 Entsprechendes gilt für § 305c Abs. 1 BGB, nach dem überraschende Klauseln nicht Vertragsbestandteil werden.941 – Demgegenüber ist die Auslegungsregel des § 305c Abs. 2 BGB selbst keine Marktverhaltensregelung.942 271 Nach der Rechtsprechung begründet erst der Abschluss eines Vertrages unter Verwendung unwirksamer AGB einen Verletzungsunterlassungsanspruch; zuvor komme nur ein vorbeugender Unterlassungsanspruch in Betracht.943 Weil an die dafür notwendige Erstbegehungsgefahr recht strenge Anforderungen gestellt werden, führt dies freilich zu einer Schwächung des Rechtsschutzes gegen unwirksame AGB. Es spricht deshalb vieles dafür, bereits die – vom Vertragsschluss unabhängige – Verwendung von AGB im geschäftlichen Verkehr als Zuwiderhandlung anzusehen und damit einen Verletzungsunterlassungsanspruch zu gewähren.944 272
2. AGG. Zuwiderhandlungen gegen die zivilrechtlichen Benachteiligungsverbote der §§ 19, 20 Allgemeines GleichbehandlungsG (AGG) können zugleich unlautere Wettbewerbshandlungen darstellen, vorausgesetzt freilich, es handelt sich bei der Diskriminierung um eine geschäftliche Handlung nach § 2 Abs. 1 Nr. 1. Die Benachteiligungsverbote sind als Marktverhaltensregelungen einzuordnen, weil sie das Interesse der Marktteilnehmer an einer gleichen Behandlung im Wettbewerb schützen.945 Die Begründung zum Regierungsentwurf des AGG enthält einen ausdrücklichen Hinweis auf die Zulässigkeit lauterkeitsrechtlicher Ansprüche.946
273
3. Informationspflichten. Neben den unter Rn. 196 ff. behandelten produktspezifischen Informationspflichten bestehen beim Anbieten von Waren und Dienstleistungen weitere Informationspflichten, die das Unternehmen des Anbieters oder die Modalitäten des Vertragsschlusses betreffen. Die Regelungen sind Marktverhaltensregelungen, sofern sie darauf abzielen, dem Verbraucher oder den anderen Marktteilnehmern eine informierte Entscheidung beim Bezug von Waren oder Dienstleistungen oder beim Abschluss oder der Durchführung eines Vertrags zu ermöglichen.947 Dies ist beispielsweise der Fall für die verschiedenen Informationspflichten in § 312a BGB (Verbraucherverträge), § 312d BGB (außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge und Fernabsatzverträge), §§ 312i, 312j BGB (Verträge im elektronischen Geschäftsverkehr)948 mit
_____
940 GK-UWG2/Metzger § 4 Nr. 11 Rn. 173; Metzger GRUR Int. 2015, 687, 690 f. 941 Hennigs S. 198 f.; a.A. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.288. 942 Hennigs S. 199; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.288. 943 S. BGH 19.5.2010 – I ZR 140/08 – GRUR 2010, 1120 Tz. 25 – Vollmachtsnachweis. 944 Im Anschluss an Köhler GRUR 2010, 1047, 1049; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.293. 945 Ebenso Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.294; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 80. S. auch Frey-Gruber S. 113. 946 S. den RegE eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung v. 8.6.2006, BTDrucks. 16/1780, S. 49. 947 Allg. Ansicht, s. nur FBO/Götting/Hetmank § 3a Rn. 156; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 1.295 f.; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 75; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 306. 948 S. dazu OLG Köln 7.10.2016 – 6 U 48/16 – GRUR-RR 2017, 108 Tz. 12 – Bestell-Button II; OLG Köln 3.2.2016 – 6 U 39/15 – GRUR-RR 2016, 456 Tz. 13 – Bestell-Button I.
Metzger/Eichelberger
126
C. Marktverhaltensregelungen
§ 3a
den zugehörigen Konkretisierungen in den Art. 246–246c EGBGB. Erfüllt die Informationspflicht dagegen andere Ziele, scheiden lauterkeitsrechtliche Ansprüche aus. Allerdings ist gerade bei den vielfältigen Informationspflichten die Spürbarkeits- 274 klausel von besonderer Bedeutung. Die Regelungen sehen zum Teil sehr detaillierte Anforderungen an die gebotenen Informationen vor. Kleinere Verstöße sind hier möglicherweise nicht geeignet, die Interessen der Marktteilnehmer spürbar zu beeinträchtigen.949 Zusätzlich ist an den Missbrauchstatbestand des § 8 Abs. 4 zu denken. a) Unternehmensbezogene Informationspflichten. BGB. Unternehmensbezogene 275 Informationspflichten sind beispielsweise die Informationspflichten bei Verbraucherverträgen nach § 312a BGB i.V.m. Art. 246 EGBGB sowie (spezieller) bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und Fernabsatzverträgen nach § 312d BGB i.V.m. Art. 246a EGBGB bzw. Art. 246b EGBGB (Finanzdienstleistungen). Danach muss der Unternehmer dem Verbraucher insbesondere Informationen zu seiner Identität, dem Unternehmensregister und der Registernummer sowie eine ladungsfähige Anschrift zur Verfügung stellen. Nach § 651d Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 250 § 3 Nr. 2 EGBGB sind bei Reiseverträgen die Firma oder der Name des Reiseveranstalters sowie die Anschrift, Telefonnummer und gegebenenfalls die E-Mail-Adresse anzugeben. Nach § 675d Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 248 § 4 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB sind bei Erbringung von Zahlungsdiensten der Name, die Anschrift etc. sowie die Aufsichtsbehörde etc. des Zahlungsdienstleisters anzugeben. All diese Informationspflichten dienen dem Schutz des Verbrauchers in seiner Eigenschaft als Marktteilnehmer und sind deshalb Marktverhaltensregelungen.950 Handels- und Gesellschaftsrecht. Dort besteht insbesondere die Pflicht, auf Ge- 276 schäftsbriefen der Gesellschaft gleichviel welcher Form, die an einen bestimmten Empfänger gerichtet werden, die Rechtsform und den Sitz der Gesellschaft, das Registergericht und die Nummer, unter der die Gesellschaft in das Handelsregister eingetragen ist, anzugeben (§§ 125a, 177a sowie 37a HGB). Ähnliche, noch erweiterte Informationspflichten finden sich in § 35a GmbHG, § 25a GenG sowie in § 80 AktG. Diese Angaben sollen den Geschäftspartnern (einschließlich der Verbraucher) die Möglichkeit eröffnen, im Zusammenhang mit dem geschäftlichen Kontakt nähere Information über die Unternehmen einzuholen; es handelt sich deshalb um Marktverhaltensregelungen.951 Es kann aber, beispielsweise bei lediglich formalen Unzulänglichkeiten, an der Spürbarkeit fehlen, so dass dennoch keine lauterkeitsrechtlichen Ansprüche bestehen.952 Keine Marktverhaltensregelungen sind demgegenüber die Offenlegungspflichten nach § 325 HGB; überdies sperrt das für Verletzungen dieser Pflichten vorgesehene, Differenzierungen ermöglichende (hoheitliche) Sanktionsinstrumentarium des § 335 HGB die lauterkeitsrechtliche Durchsetzung.953
_____
949 S. etwa KG 11.4.2008 – 5 W 41/08 – GRUR-RR 2008, 352 – Eigentümergebrauch II (die Angabe lediglich des Nachnamens der Vertretungsperson einer GmbH & Co. KG verletzt zwar § 1 Abs. 1 Nr. 3 BGBInfoV a.F., wonach auch der Vorname anzugeben war, jedoch ist diese Zuwiderhandlung nicht geeignet, die Verbraucherinteressen spürbar zu beeinflussen, denn über die Identität des Vertragspartners – die GmbH & Co. KG – besteht kein Zweifel). 950 S. BGH 19.4.2018 – I ZR 244/16 – GRUR 2018, 950 Tz. 11 f. – Namensangabe (zu § 312a Abs. 1 BGB); BGH 14.6.2017 – I ZR 54/16 – GRUR 2017, 930 Tz. 10 – Werbeprospekt mit Bestellpostkarte (zu § 312d Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 246a §§ 1, 3, 4 EGBGB). 951 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.297, 1.303–1.305; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 76; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 308, 314 f. 952 Vgl. OLG Brandenburg 10.7.2007 – 6 U 12/07 – GRUR-RR 2008, 136 – Namensangabe auf Geschäftsbriefen; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.304. 953 S. OLG Köln 28.4.2017 – 6 U 152/16 – GRUR 2017, 1048 Tz. 33 ff. – Dampfreinigungsgeräte.
127
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
277
Landespressegesetze. Die Impressumspflicht (z.B. § 7 Thür. PresseG, § 8 Nieders. PresseG) dient primär der Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche Dritter, insbesondere aus Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts oder des Urheberrechts, sowie der Sicherung der strafrechtlichen Verfolgung von Pressedelikten.954 Ein Schutz der Marktteilnehmer in ihrer Eigenschaft als solche dürfte dagegen lediglich als Reflex anzusehen sein, so dass es sich nicht um Marktverhaltensregelungen handelt.955 278 TMG. Unternehmensbezogene Informationspflichten für Diensteanbieter finden sich in § 5 TelemedienG (TMG). Die Regelung geht auf Art. 5 der E-Commerce-RL 2000/31/EG zurück. Nach § 5 Abs. 1 TMG haben Diensteanbieter für geschäftsmäßige, in der Regel gegen Entgelt angebotene Telemedien insbesondere folgende Informationen leicht erkennbar, unmittelbar erreichbar und ständig verfügbar zu halten: 1. den Namen und die Anschrift, unter der sie niedergelassen sind, bei juristischen Personen zusätzlich die Rechtsform und den Vertretungsberechtigten; 2. Angaben, die eine schnelle elektronische Kontaktaufnahme und unmittelbare Kommunikation mit ihnen ermöglichen;956 3. soweit der Dienst im Rahmen einer Tätigkeit angeboten oder erbracht wird, die der behördlichen Zulassung bedarf, Angaben zur zuständigen Aufsichtsbehörde; 4. das Handels- oder sonstige Register, in das der Diensteanbieter eingetragen ist und die entsprechende Registernummer; 5. Angaben zur Berufsbezeichnung und Kammer bei reglementierten Berufen; 6. die Steuernummer; 7. bei Gesellschaften in Abwicklung oder Liquidation die Angabe hierüber. Gem. § 6 TMG bestehen weitere besondere Informationspflichten bei kommerziellen Kommunikationen. All diese Pflichtangaben für Diensteanbieter dienen dem Interesse der Marktteilnehmer, insbesondere der Verbraucher, und sind deshalb Marktverhaltensregelungen.957 Dasselbe gilt für die Verpflichtung, den Nutzer zu Beginn des Nutzungsvorgangs über Art, Umfang und Zwecke der Erhebung und Verwendung personenbezogener Daten sowie über die Verarbeitung seiner Daten zu unterrichten (§ 13 Abs. 1 TMG).958 Weitere unternehmensbezogene Informationspflichten, die Marktverhaltensrege279 lungen i.S.d. § 3a sind, finden sich beispielsweise in den folgenden Vorschriften: § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AMG: Name oder die Firma und die Anschrift des pharmazeutischen Unternehmers.959 – §§ 2, 3 DL-InfoV: Dienstleistungserbringer müssen Kunden umfangreiche Informationen zur Verfügung stellen, insbesondere Name, Rechtsform, Anschrift und Kontaktdaten, Register- und Steuernummern.960 – Art. 19 Abs. 1 lit. a Kosmetik-VO (= § 5 KosmetikV a.F.): Kosmetische Mittel dürfen nur auf dem Markt bereitgestellt werden, wenn ihre Behältnisse und Verpackungen unverwischbar, leicht lesbar und deutlich sichtbar, unter anderem den Namen oder die Firma sowie die An-
_____
954 S. BGH 13.7.1989 – I ZR 160/87 – GRUR 1989, 830, 832 – Impressumspflicht. 955 A.A. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.307. 956 S. dazu EuGH 16.10.2008 – C-298/07 – Slg. 2008, I-7841 = NJW 2008, 3553 – Verbraucherzentrale Bundesverband e.V./deutsche internet versicherung AG. 957 S. BGH 25.2.2016 – I ZR 238/14 – GRUR 2016, 957 Tz. 10 – Mehrwertdienstenummer (zu § 5 Abs. 1 Nr. 2 TMG); BGH 26.4.2007 – I ZR 190/04 – GRUR 2007, 723 Tz. 9 – Internet-Versicherung; BGH 20.7.2006 – I ZR 228/03 – GRUR 2007, 159 Tz. 15 – Anbieterkennzeichnung im Internet (zu § 6 TDG a.F [= § 5 TMG]); OLG Frankfurt 14.3.2017 – 6 U 44/16 – GRUR-RR 2017, 318 Tz. 13 – Fehlangaben im Impressum; OLG München 19.10.2017 – 29 U 8/17 – MMR 2018, 243, 244; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.310 f. 958 S. OLG Köln 11.3.2016 – 6 U 121/15 – GRUR-RR 2016, 284 Rn. 25 ff. – Datensammelnder Steuerberater; OLG Hamburg 27.6.2013 – 3 U 26/12 – GRUR-RR 2013, 482, 484 – Test unter Alltagsbedingungen; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.310b; a.A. KG 29.4.2011 – 5 W 88/11 – GRUR-RR 2012, 19, 21 – Gefällt-mir-Button. 959 Vgl. BGH 13.12.2012 – I ZR 161/11 – GRUR 2013, 857 Tz. 10 – Voltaren. 960 S. OLG Hamm 28.2.2013 – 4 U 159/12 – GRUR-RR 2013, 339, 340 – Berufshaftpflicht im Impressum (zu § 2 Abs. 1 Nr. 11 DL-InfoV).
Metzger/Eichelberger
128
C. Marktverhaltensregelungen
§ 3a
schrift der verantwortlichen Person tragen.961 – § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ProdSG: Angabe des Namen und der Kontaktanschrift des Herstellers oder Einführers bei Verbraucherprodukten.962 b) Vertragsbezogene Informationspflichten. Garantieerklärungen (§ 479 Abs. 1 280 BGB). Wird dem Käufer beim Verbrauchsgüterkauf (§ 474 Abs. 1 BGB) eine Garantie (§ 443 BGB) gegeben, so muss die Garantieerklärung „einfach und verständlich abgefasst sein“ (§ 479 Abs. 1 S. 1 BGB) und die in § 479 Abs. 1 S. 2 BGB aufgeführten Informationen (insbesondere zu Art und Umfang der Garantie) beinhalten. Dies soll sicherstellen, dass der Verbraucher als Vertragspartner (und damit als Marktteilnehmer) zutreffend über den Inhalt der ihm gewährten Garantie, insbesondere seine daraus fließenden Rechte informiert wird; es handelt sich deshalb um eine Marktverhaltensregelung.963 Die „Garantieerklärung“ ist bei der selbständigen Garantie die auf den Abschluss eines Garantievertrags gerichtete Willenserklärung des Unternehmers, bei einer unselbstständigen Garantie dessen auf die Modifikation der gesetzlichen Rechtsbehelfe des Verbrauchers gerichtete Willenserklärung; erst mit dieser Willenserklärung müssen die Informationspflichten des § 479 Abs. 1 BGB erfüllt werden.964 Die bloße Ankündigung einer Garantie in der Werbung für den Verkauf eines Produkts, die – wie üblicherweise – als bloße invitatio ad offerendum aufzufassen ist, muss die Informationen nach § 479 Abs. 1 BGB deshalb noch nicht enthalten.965 Irreführende Garantieangaben in diesem Stadium können freilich lauterkeitsrechtliche Ansprüche nach § 5 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 7, § 5a Abs. 2, Abs. 3 Nr. 4 begründen; außerdem können zu weit gefasste Garantieankündigungen zu einer entsprechenden Erweiterung der Garantieverpflichtung führen (s. § 443 BGB).966 Schließlich ist bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen bereits vor Vertragsschluss über den Inhalt etwaiger Garantien zu informieren (§ 312d Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Art. 246a § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 EGBGB); eine Verletzung dieser Pflicht kann nach § 3a unlauter sein (s. Rn. 273).967 Widerrufsrecht. Bei verschiedenen Vertriebsformen und Vertragstypen ist der Un- 281 ternehmer verpflichtet, den Verbraucher über das dort bestehende Widerrufsrecht (§ 355 BGB) sowie dessen Bedingungen zu informieren. Für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge und Fernabsatzverträge ergibt sich das aus § 312d BGB i.V.m. Art. 246a § 1 Abs. 2 EGBGB bzw. Art. 246b § 1 Abs. 1 Nr. 12 EGBGB, für TeilzeitWohnrechteverträge aus § 482a BGB i.V.m. Art. 242 Abs. 2 EGBGB, für Verbraucherdarlehensverträge aus § 492 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 247 § 6 Abs. 2 EGBGB. Diese Informationspflichten über das Widerrufsrecht sind Marktverhaltensregelungen.968
_____
961 S. zu § 5 KosmetikV a.F. BGH 3.2.1994 – I ZR 54/92 – GRUR 1994, 456 – Prescriptives. 962 OLG München 11.12.2014 – 6 U 2535/14 – BeckRS 2014, 23362 Tz. 20; s. auch BGH 12.1.2017 – I ZR 258/15 – GRUR 2017, 409 Tz. 17 ff. – Motivkontaktlinsen. 963 S. BGH 5.12.2012 – I ZR 146/11 – GRUR 2013, 851 Tz. 9 – Herstellergarantie II; BGH 14.4.2011 – I ZR 133/09 – GRUR 2011, 638 Tz. 22 – Werbung mit Garantie (beide zu § 477 Abs. 1 S. 2 a.F. [= § 479 Abs. 1 S. 2 n.F.]). 964 S. BGH 5.12.2012 – I ZR 146/11 – GRUR 2013, 851 Tz. 11 – Herstellergarantie II; BGH 14.4.2011 – I ZR 133/09 – GRUR 2011, 638 Tz. 26 – Werbung mit Garantie. 965 S. BGH 15.12.2011 – I ZR 174/10 – GRUR 2012, 730 Tz. 42 – Bauheizgerät; BGH 14.4.2011 – I ZR 133/09 – GRUR 2011, 638 Tz. 24–33 – Werbung mit Garantie. 966 BGH 14.4.2011 – I ZR 133/09 – GRUR 2011, 638 Tz. 30 – Werbung mit Garantie. 967 S. dazu OLG Hamm 25.8.2016 – 4 U 1/16 – GRUR-RS 2016, 18361 – 5 Jahre Garantie. 968 S. BGH 14.6.2017 – I ZR 54/16 – GRUR 2017, 930 Tz. 10 – Werbeprospekt mit Bestellpostkarte; BGH 9.11.2011 – I ZR 123/10 – GRUR 2012, 643 Tz. 15 – Überschrift zur Widerrufsbelehrung; BGH 9.6.2011 – I ZR 17/10 – GRUR 2012, 188 Tz. 12 – Computer-Bild; BGH 29.4.2010 – I ZR 66/08 – GRUR 2010, 1142 Tz. 22 – Holzhocker; OLG Schleswig 10.1.2019 – 6 U 37/17 – BeckRS 2019, 415 Tz. 2; OLG Brandenburg 14.11.2017 –
129
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
282
Online-Streitbeilegung. Unternehmer, die Online-Kauf- oder Dienstleistungsverträge eingehen oder Online-Marktplätze stellen, sind nach Art. 14 Abs. 1 VO (EU) 524/2013 über Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheit (ODR-VO) verpflichtet, auf ihren Websites einen Link969 zur Online-Streitbeilegungs-Plattform („OSPlattform“) einzustellen (Satz 1).970 Dieser Link muss für Verbraucher leicht zugänglich sein (Satz 2). Zweck dieser Informationspflicht ist es, möglichst vielen Verbrauchern Kenntnis vom Bestehen der OS-Plattform zu verschaffen, um die Online-Streitbeilegung zu fördern.971 Es handelt sich daher um eine Marktverhaltensregelung im Interesse der Verbraucher.972 „Zahlungspflichtig bestellen“ (§ 312j Abs. 3 BGB). Nach § 312j Abs. 3 BGB hat der 283 Unternehmer die Bestellsituation bei einem Verbrauchervertrag im elektronischen Geschäftsverkehr über eine entgeltliche Leistung so zu gestalten, dass der Verbraucher mit seiner Bestellung ausdrücklich bestätigt, dass er sich zu einer Zahlung verpflichtet; eine Schaltfläche („Button“), durch deren Betätigung eine Bestellung ausgelöst werden soll, muss dazu „gut lesbar mit nichts anderem als den Wörtern ‚zahlungspflichtig bestellen‘ oder mit einer entsprechenden eindeutigen Formulierung beschriftet“ sein. Es handelt sich um eine Marktverhaltensregelung zum Schutze des Verbrauchers, dem durch diese Pflicht deutlich gemacht werden soll, dass und ab welchem Zeitpunkt er eine Zahlungspflicht eingeht.973 Weitere Informationspflichten. Regelmäßig ebenfalls Marktverhaltensregelungen 284 sind die zahlreichen weiteren vertragsbezogenen Informationspflichten des BGB und der Spezialgesetze.974 So hat etwa bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen sowie bei Fernabsatzverträgen der Unternehmer den Verbraucher über die die wesentlichen Eigenschaften der Waren oder Dienstleistungen, den Gesamtpreis der Waren oder Dienstleistungen einschließlich aller Steuern und Abgaben, die Zahlungs-, Liefer- und Leistungsbedingungen, den Termin, bis zu dem der Unternehmer die Waren liefern oder die Dienstleistung erbringen muss etc. zu unterrichten (§ 312d Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Art. 246a § 1 EGBGB).975 – Bei Verbraucherdarlehensverträgen sind nach § 492 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 247 § 3 EGBGB insbesondere anzugeben der effektive Jahreszins, der Nettodarlehensbetrag und die Vertragslaufzeit. – Bei Dienstleistungsverträgen bestehen nach § 2 Abs. 1 DL-InfoV vorvertragliche Informationspflichten, insbe-
_____
6 U 12/16 Tz. 32 – Fotoabzüge; OLG Düsseldorf 18.2.2016 – I-15 U 54/15 – GRUR-RS 2016, 08022 Tz. 25 f. – Werbeprospekt mit Link; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.311; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 77; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 334 969 Dieser Link muss anklickbar sein, die bloß textliche Wiedergabe der Internetadresse (URL) genügt nicht, s. OLG Hamm 3.8.2017 – 4 U 50/17 – WRP 2017, 1240 Tz. 9. 970 Zur Frage, ob ein Unternehmer, der sein Angebot auf einem für ihn fremden Marktplatz einstellt, ebenfalls (d.h. neben dem Betreiber des Online-Marktplatzes) zur Angabe des Links zur OS-Plattform verpflichtet ist, s. einerseits (verneinend) OLG Dresden 11.8.2017 – 14 U 732/17 – WRP 2017, 1238 Tz. 13 ff. und OLG Dresden 17.1.2017 – 14 U 1462/16 – GRUR-RR 2017, 146 Tz. 15 ff. – OS-Plattform-Link, andererseits (bejahend) OLG Hamm 3.8.2017 – 4 U 50/17 – WRP 2017, 1240 Tz. 10 ff.; OLG Koblenz 25.1.2017 – 9 W 426/16 – GRUR-RR 2017, 147 Tz. 9 ff. – Link zur OS-Plattform. 971 S. Erw.-gr. 30 ODR-VO. 972 S. OLG Dresden 11.8.2017 – 14 U 732/17 – WRP 2017, 1238 Tz. 17; OLG Dresden 17.1.2017 – 14 U 1462/16 – GRUR-RR 2017, 146 Tz. 13 – OS-Plattform-Link; OLG Hamm 3.8.2017 – 4 U 50/17 – WRP 2017, 1240 Tz. 8; OLG Koblenz 25.1.2017 – 9 W 426/16 – GRUR-RR 2017, 147 Tz. 15 – Link zur OS-Plattform; OLG München 22.9.2016 – 29 U 2498/16 – WRP 2017, 235 Tz. 5 – OS-Plattform. 973 OLG Köln 7.10.2016 – 6 U 48/16 – GRUR-RR 2017, 108 Tz. 23, 28 f. – Bestell-Button II; OLG Köln 3.2.2016 – 6 U 39/15 – GRUR-RR 2016, 456 Tz. 13 – Bestell-Button I. 974 S. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.311. 975 S. OLG München 17.5.2018 – 6 U 3815/17 – GRUR-RR 2019, 31 Tz. 49 – Verfügbarkeitsankündigung (zu Art. 246a § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 EGBGB).
Metzger/Eichelberger
130
C. Marktverhaltensregelungen
§ 3a
sondere im Hinblick auf wesentliche Merkmale der Dienstleistung, die verwendeten allgemeinen Geschäftsbedingungen und gegebenenfalls bestehende Garantien. – Bei Zahlungsdiensteverträgen hat der Zahlungsdienstleister den Zahlungsdienstnutzer unter anderem über die wesentlichen Merkmale des zu erbringenden Zahlungsdienstes, zu Entgelten, Zinsen und Wechselkursen sowie zur Kommunikation zu informieren (§ 675d Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 248 § 4 EGBGB). – Ein gewerblicher Glücksspielvermittler ist gem. § 19 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 GlüStV dazu verpflichtet, die Spieler vor Vertragsschluss in Textform klar und verständlich auf den für die Spielteilnahme an den Veranstalter weiterzuleitenden Betrag hinzuweisen sowie ihnen unverzüglich nach Vermittlung des Spielauftrages den Veranstalter mitzuteilen.976 V. Sonstige Vorschriften Im letzten Abschnitt sind Vorschriften zusammengestellt, die sich einer plausiblen 285 Einordnung in die vorgenannten Kategorien entziehen. 1. Datenschutzrecht. Grundlage des Datenschutzrechts ist seit ihrem Inkrafttreten 286 zum 25.5.2018 primär die Datenschutz-Grundverordnung (EU) 2016/679 (DS-GVO). Das nationale Datenschutzrecht, das heißt insbesondere das BundesdatenschutzG (BDSG) und die Datenschutzgesetze der Länder, wurde dadurch weitestgehend verdrängt und hat nur noch in Bereichen Bedeutung, für die in der DS-GVO – freilich zahlreiche – Öffnungsklauseln enthalten sind.977 Das Datenschutzrecht dient dazu, das natürlichen Personen sowohl unionsrechtlich (Art. 8 Abs. 1 Grundrechte-Charta, Art. 16 Abs. 1 AEUV) als auch grundrechtlich (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG)978 gewährte Recht auf informationelle Selbstbestimmung bei der Verarbeitung personenbezogener Daten zu gewährleisten (s. Art. 1 Abs. 2 DS-GVO). Ob und bejahendenfalls welche datenschutzrechtlichen Bestimmungen Marktbezug 287 haben und damit möglicherweise einer lauterkeitsrechtlichen Sanktionierung zugänglich sind, wird seit Inkrafttreten der DS-GVO erneut kontrovers diskutiert. Unter dem bis 24.5.2018 geltenden BDSG a.F. wurden als Marktverhaltensregelungen beispielsweise angesehen §§ 4, 4a BDSG a.F. in Verbindung mit § 28 BDSG a.F. (Datenerhebung und -speicherung für eigene Geschäftszwecke)979 sowie weitere Vorschriften.980 Entsprechendes galt für die besonderen Datenschutzpflichten für Diensteanbieter nach §§ 11–15a TMG.981 Die Gegenansicht verwies darauf, dass spätestens seit Inkrafttreten der RL 95/
_____
976 S. OLG Düsseldorf 13.4.2006 – U (Kart) 23/05 – GRUR 2006, 782 – Lottofonds (zur Vorgängervorschrift in § 14 LottoStV). 977 Näher BeckOK DatenschutzR/Wolff/Brink, 27. Ed., DS-GVO Einleitung Rn. 19. 978 S. BVerfG 15.12.1983 – 1 BvR 209/83 u.a. – BVerfGE 65, 1, 41 ff. = NJW 1984, 419, 426 – „Volkszählungsurteil“. 979 S. OLG Hamburg 25.10.2018 – 3 U 66/17 – GRUR 2019, 86 Tz. 51 ff. – Allergenbestellbögen (zu § 28 Abs. 7 BDSG a.F.); KG 22.9.2017 – 5 U 155/14 – GRUR-RR 2018, 115 Tz. 34 – App-Zentrum (zu § 28 Abs. 3 BDSG a.F.); OLG Köln 17.1.2014 – 6 U 167/13 – NJW 2014, 1820, 1821 – Anlegerbrief (zu § 28 Abs. 3 BDSG a.F.); OLG Karlsruhe 9.5.2012 – 6 U 38/11 – GRUR-RR 2012, 396, 398 – Neuer Versorger; OLG Köln 14.8.2009 – 6 U 70/09 – GRUR-RR 2010, 34, 35 – Rückgewinnungsschreiben; OLG Stuttgart 22.2.2007 – 2 U 132/06 – GRUR-RR 2007, 330, 331 – Weitergabe von Kundendaten (zu § 28 Abs. 3 BDSG a.F.); OLG Naumburg 10.10.2003 – 1 U 17/03 – NJW 2003, 3566, 3568 (zu § 28 Abs. 1 und Abs. 2 BDSG a.F.); GK-UWG2/Metzger § 4 Nr. 11 Rn. 184. 980 S. näher Bohne, S. 279 ff.; Schaffert FS Bornkamm, S. 463, 467 ff.; Galetzka K&R 2015, 77, 78 ff.; Wolff ZD 2018, 248 f., alle m.w.Nachw. 981 S. KG 22.9.2017 – 5 U 155/14 – GRUR-RR 2018, 115 Tz. 34 – App-Zentrum; OLG Hamburg 27.6.2013 – 3 U 26/12 – GRUR-RR 2013, 482, 484 – Test unter Alltagsbedingungen; GK-UWG2/Metzger § 4 Nr. 11 Rn. 184.
131
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
46/EG zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (Datenschutz-RL) das Datenschutzrecht nicht, auch nicht wenigstens sekundär auf den Schutz des Verbrauchers in seiner Rolle als Marktteilnehmer abzielt, sondern diesen allein als Grundrechtsträger im Interesse der Verwirklichung seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung schützt.982 Hinsichtlich der DS-GVO bleibt die weitere Entwicklung abzuwarten. Vorzugswür288 dig dürfte jedoch sein, den Vorschriften der DS-GVO generell einen Marktbezug abzusprechen.983 Die DS-GVO enthält ausweislich ihres Art. 1 Abs. 1 DS-GVO „Vorschriften zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Verkehr solcher Daten“ und schützt nach Art. 1 Abs. 2 DS-GVO „die Grundrechte und Grundfreiheiten natürlicher Personen und insbesondere deren Recht auf Schutz personenbezogener Daten“. Ein Bekenntnis zum Schutz natürlicher Personen als Verbraucher in ihrer Rolle als Marktteilnehmer oder zum Schutz sonstiger Marktteilnehmer findet sich dort nicht.984 Auch aus Erwägungsgrund 9 S. 3 und 4 DS-GVO, nach dem die DS-GVO dem unter Geltung der Datenschutz-RL unterschiedlichen datenschutzrechtlichen Schutzniveau in den Mitgliedstaaten entgegenwirken und unionsweit gleiche Bedingungen herstellen möchte, lässt sich lediglich die Absicht der Vollharmonisierung zum Zwecke des Abbaus legislativ bedingter Wettbewerbsverzerrung, jedoch keine wenigstens sekundäre wettbewerbsschützende Intention der DS-GVO entnehmen.985 Im Gegenteil: Würde die DS-GVO die Durchsetzung der harmonisierten Vorschriften über ihr eigenes Sanktionsinstrumentarium hinaus zusätzlich dem (nicht harmonisierten) Recht der Mitgliedstaaten überantworten, liefe dies der Vollharmonisierung entgegen. Dementsprechend ist nach hier vertretener Auffassung auch das Sanktionsregime der DSGVO abschließend (s. Rn. 27). Eine lauterkeitsrechtliche Durchsetzung der DS-GVO scheidet somit – unabhängig von der Frage ihres Marktbezugs – schon deshalb aus. Nach anderer Ansicht sind die Vorschriften der DS-GVO generell Marktverhaltensregelungen,986 oder zumindest hinsichtlich einzelner Vorschriften, beispielsweise Art. 20 DSGVO (Recht auf Datenübertragbarkeit).987 289
2. Jugendschutz. Die Regelungen zum Schutz der Jugend im JugendschutzG (JuSchG) und im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) sind Marktverhaltensregelungen.988 Dem Argument, die Jugendschutzvorschriften bezweckten nicht den Schutz von Jugendlichen als Marktteilnehmer, sondern wollten diese gerade von einer Markt-
_____
982 S. OLG München 12.1.2012 – 29 U 3926/11 – GRUR-RR 2012, 395, 396 – Personenbezogene Daten; OLG Düsseldorf 20.2.2004 – I-7 U 149/03 – ZUM-RD 2004, 236; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.74a; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 79; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 71 (Ausnahmen: § 28 Abs. 3 und § 28 Abs. 4 S. 2 BDSG a.F.); von Walter FS Köhler, 2014, S. 771, 776 ff.; Zech WRP 2013, 1434, 1435. 983 Köhler WRP 2018, 1269 Tz. 8 ff., 22; Köhler ZD 2018, 337, 338; Barth WRP 2018, 790 Tz. 19; Baumgartner/Sitte ZD 2018, 555, 557 (Ausnahme: Art. 20 DSGVO). 984 S. Köhler WRP 2018, 1269 Tz. 11. 985 Köhler WRP 2018, 1269 Tz. 15; a.A. Laoutoumai/Hoppe K&R 2018, 533, 534. 986 Wolff ZD 2018, 248 ff. 987 S. Baumgartner/Sitte ZD 2018, 555, 557; Laoutoumai/Hoppe K&R 2018, 533, 534; Uebele GRUR 2019, 694, 696. 988 BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – BGHZ 173, 188 = GRUR 2007, 890, 892 Tz. 35 – Jugendgefährdende Medien bei eBay (zu § 15 JuSchG); OLG Brandenburg 16.5.2011 – 6 U 58/10 – WRP 2013, 105 Tz. 13 – Alkoholverkauf an Tankstellen (zu § 9 JuSchG); OLG Frankfurt 7.8.2014 – 6 U 54/14 – WRP 2014, 1480 Tz. 11 (zu § 12 Abs. 3 JuSchG); OLG Koblenz 21.12.2004 – 4 U 748/04 – GRUR 2005, 266, 267 – Board of Film Classification (zu § 12 Abs. 3 JuSchG); BGH 22.4.2009 – I ZR 216/06 – GRUR 2009, 845 Tz. 41 – InternetVideorecorder (zu § 5 JMStV); FBO/Götting/Hetmank § 3a Rn. 165; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.334 f.; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 200 f.
Metzger/Eichelberger
132
C. Marktverhaltensregelungen
§ 3a
teilnahme abhalten,989 ist entgegenzuhalten, dass sich dies auch gegen Vermarktungsverbote, etwa nach dem AMG oder dem LFGB, anführen ließe. Eine auf den Schutz der Nachfrageentscheidung beschränkte Funktion des Wettbewerbsrechts würde den Schutzbereich des UWG indes zu stark beschränken. Auch wenn es den Jugendschutzvorschriften nicht in erster Linie um wettbewerbsbezogene Zielsetzungen geht, so regeln doch zahlreiche Vorschriften des JuSchG und des JMStV zumindest in ihrer sekundären Schutzfunktion das Konsumverhalten von Jugendlichen und adressieren diese dadurch als Marktteilnehmer. Es handelt sich folglich um Marktverhaltensregeln, die dem Interesse einer spezifischen Verbrauchergruppe dienen. Auch die UGP-RL steht dem nicht entgegen, denn diese findet nach Art. 3 Abs. 3 UGP-RL, Erwägungsgrund 7 und 9 S. 2 und 3 der UGP-RL von vornherein keine Anwendung (s. Rn. 12, 16).990 Aus denselben Erwägungen ist das grundsätzliche Verbot von Geschäften auf dem Schulgelände nach den Landesschulgesetzen eine Marktverhaltensregelung.991 – Zu den strafrechtlichen Verboten der Verbreitung pornographischer Schriften (§§ 184 ff. StGB) siehe Rn. 300. 3. Vergaberecht. Die Vorschriften des Vergaberechts (§§ 97 ff. GWB), aus denen 290 sich die Pflicht zur Ausschreibung öffentlicher Aufträge ergibt, sind Marktverhaltensregelungen.992 Indem sie die Vertragsfreiheit der öffentlichen Auftraggeber einschränken, regeln sie unmittelbar deren Marktverhalten bei der Auswahl von Vertragspartnern und dienen dadurch jedenfalls auch den Interessen der sich um Aufträge der öffentlichen Hand bewerbenden Marktteilnehmer, was auch schon daraus folgt, dass den Unternehmen nach § 97 Abs. 6 GWB (= § 97 Abs. 7 GWB a.F.) ein subjektives Recht auf Einhaltung der Bestimmungen über das Vergabeverfahren zusteht.993 Die für die Anwendung des Lauterkeitsrechts notwendige geschäftliche Handlung (§ 2 Abs. 1 Nr. 1) der öffentlichen Hand liegt bereits in deren Teilnahme am Markt als möglicher Abnehmer von Waren oder Dienstleistungen. Einer darüber hinausreichenden Wettbewerbsförderungsabsicht bedarf es seit der UWG-Novelle 2008994 nicht mehr.995 Die Spürbarkeit des Verstoßes folgt regelmäßig daraus, dass die Wettbewerber als Marktteilnehmer von vornherein um die Chance gebracht werden, sich in einem transparenten und diskriminierungsfreien Vergabeverfahren um die Aufträge zu bewerben.996 Da Normadressat des Vergaberechts allein die öffentliche Hand ist, kommt zwar keine täterschaftliche Haftung eines privaten Marktteilnehmers in Betracht, jedoch eine solche als Anstifter oder Gehilfe des öffentlichen Auftraggebers (s. Rn. 79), beispielsweise weil er diesen zur Auftragserteilung unter
_____
989 Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 81; Ohly WRP 2008, 177, 183 f.; vgl. auch Dettmar S. 165 f.; Scherer WRP 2006, 401, 405 f. 990 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.334. 991 S. BGH 20.10.2005 – I ZR 112/03 – GRUR 2006, 77 Tz. 25 – Schulfotoaktion. 992 BGH 3.7.2008 – I ZR 145/05 – BGHZ 177, 150 = GRUR 2008, 810 Tz. 32 – Kommunalversicherer; OLG Köln 15.7.2005 – 6 U 17/05 – GRUR 2005, 780, 782 – In-House-Geschäft; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.336 und 2.77; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 10, 92; kritisch Frey-Gruber S. 118 ff. 993 BGH 3.7.2008 – I ZR 145/05 – BGHZ 177, 150 = GRUR 2008, 810 Tz. 32 – Kommunalversicherer. 994 Vgl. BGH 27.11.2014 – I ZR 67/11 – GRUR 2015, 692 Tz. 14 – Hohlkammerprofilplatten. 995 Insoweit überholt BGH 3.7.2008 – I ZR 145/05 – BGHZ 177, 150 = GRUR 2008, 810 Tz. 33 – Kommunalversicherer. – Die nach dem UWG 2004 notwendige Wettbewerbsförderungsabsicht hatte allerdings jedenfalls dann vorgelegen, „wenn der öffentliche Auftraggeber an dem wirtschaftlichen Erfolg des Gewerbetreibenden, dessen Wettbewerb zu fördern sein Handeln geeignet ist, ein Interesse hat, weil er davon auf Grund besonderer Umstände – etwa auf Grund vertraglicher Beziehungen – profitiert“. 996 BGH 3.7.2008 – I ZR 145/05 – BGHZ 177, 150 = GRUR 2008, 810 Tz. 13, 34 – Kommunalversicherer.
133
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
Verletzung der vergaberechtlichen Bestimmung veranlasst hat.997 – Gegen öffentliche Auftraggeber müssen lauterkeitsrechtliche Ansprüche auf Primärrechtsschutz (namentlich Unterlassungsansprüche) wegen § 156 Abs. 2 GWB (= § 104 Abs. 2 GWB a.F.) vor den Vergabekammern geltend gemacht werden; für lauterkeitsrechtliche Schadensersatzansprüche bleiben indes die ordentlichen Gerichte zuständig sind (§ 156 Abs. 3 GWB [= § 104 Abs. 3 GWB a.F.]).998 Für lauterkeitsrechtliche Ansprüche gegen Mitwerber sind die ordentlichen Gerichte generell zuständig.999 291
4. Beihilfenrecht. Im Beihilfenrecht ist das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV eine Marktverhaltensregelung (sowie ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB), denn es hat jedenfalls auch die Funktion, gleiche Voraussetzungen für die auf einem Markt tätigen Wettbewerber zu schaffen, und diese vor Wettbewerbsverfälschungen zu schützen, die durch die Gewährung der – schon allein mangels vorheriger Notifizierung – rechtswidrigen Beihilfe hervorgerufen werden.1000 Jenseits dessen sollen sonstige Verstöße gegen die Beihilfevorschriften der Art. 107–109 AEUV dagegen nicht der lauterkeitsrechtlichen Kontrolle unterliegen.1001
5. Betätigungsgrenzen von Presse und Rundfunk. Das aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG abzuleitende Gebot der Staatsferne der Presse soll nicht bestimmte Anbieter von bestimmten Märkten fernhalten, sondern lässt zu, dass private und staatliche Stellen sich in einem überschneidenden Bereich auf dem Markt begegnen, setzt aber der am Markt tätigen öffentlichen Hand zugunsten der anderen Marktteilnehmer – insbesondere der institutionell geschützten Presse, aber auch im Interesse der Bürgerinnen und Bürger an einer unabhängigen Information und Meinungsbildung – enge Grenzen; es ist deshalb zumindest auch dazu bestimmt, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln.1002 Dasselbe gilt aus entsprechenden Erwägungen für das an den öffentlich-rechtlichen 293 Rundfunk gerichtete Verbot, Druckwerke (selbst) anzubieten oder – was dem gleichsteht – (durch Dritte) anbieten zu lassen, wenn es sich dabei nicht um programmbegleitende Druckwerke mit programmbezogenem Inhalt handelt (§ 11a Abs. 1 S. 2 Rundfunkstaatsvertrag [RStV]),1003 sowie das für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk geltende 292
_____
997 BGH 3.7.2008 – I ZR 145/05 – BGHZ 177, 150 = GRUR 2008, 810 Tz. 13, 37–42 – Kommunalversicherer; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 92. 998 Näher Alexander WRP 2004, 700, 711. 999 So in BGH 3.7.2008 – I ZR 145/05 – BGHZ 177, 150 = GRUR 2008, 810 – Kommunalversicherer. 1000 BGH 24.3.2016 – I ZR 263/14 – NJW 2016, 3176 Tz. 24, 26 – Kreiskliniken Calw; BGH 10.2.2011 – I ZR 136/09 – BGHZ 188, 326 = GRUR 2011, 444 Tz. 53 – Flughafen Frankfurt-Hahn; ferner BGH 10.2.2011 – I ZR 213/08 – BeckRS 2011, 05517 Tz. 29 – Flughafen Lübeck; BGH 21.7.2011 – I ZR 209/09 – GRUR-RR 2012, 157 Tz. 35 – Flughafen Berlin-Schönefeld; OLG Nürnberg 21.11.2017 – 3 U 134/17 – GRUR-RR 2018, 243 Tz. 31 – Seniorenpflegeheim; OLG Stuttgart 23.3.2017 – 2 U 11/14 – NZBau 2017, 504 Tz. 55 – Kreiskliniken Calw; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.337 und 2.75; Nordmann S. 229; a.A. OLG München 15.5.2003 – 29 U 1703/03 – GRUR 2004, 169, 170 – Städtisches Krematorium; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 91; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 7; Mees FS Erdmann 657, 666 f. 1001 S. OLG München 15.5.2003 – 29 U 1703/03 – GRUR 2004, 169, 170 – Städtisches Krematorium; obiter auch OLG Köln 15.7.2005 – 6 U 17/05 – GRUR 2005, 780, 782 – In-House-Geschäft; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 2.75; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 67 (auch für das Durchführungsverbot); Mees FS Erdmann 657, 666 f.; a.A. Tilmann/Schreibauer GRUR 2002, 212, 220 f.; Haslinger WRP 2007, 1412, 1417. 1002 BGH 20.12.2018 – I ZR 112/17 – GRUR 2019, 189 Tz. 17–19 – Crailsheimer Stadtblatt II; BGH 15.12.2011 – I ZR 129/10 – GRUR 2012, 728 Tz. 9–11 – Einkauf Aktuell; OLG Stuttgart 27.1.2016 – 4 U 167/15 – GRUR-RR 2016, 453 Tz. 44 – Redaktionelles Stadtblatt. 1003 BGH 26.1.2017 – I ZR 207/14 – GRUR 2017, 422 Tz. 32–36 – ARD-Buffet.
Metzger/Eichelberger
134
C. Marktverhaltensregelungen
§ 3a
Verbot nichtsendungsbezogener presseähnlicher Angebote in Telemedien (§ 11d Abs. 2 S. 1 Nr. 3 Var. 3 RStV a.F.).1004 Schließlich ist auch das Gebot des § 16a Abs. 1 S. 3 RStV, kommerzielle Tätigkeit 294 „nur zu Marktbedingungen“ zu erbringen, nicht nur bloße Marktzutrittsregelung, denn hierbei geht es – anders als bei dem den Marktzutritt als solchen betreffenden § 16a Abs. 1 S. 1 RStV – um das Verhalten im Wettbewerb mit den anderen Akteuren am Markt.1005 Demgegenüber haben keinen Marktbezug, sondern sind allein im öffentlichen Interesse auf die Förderung des Digitalrundfunks gerichtet, die Verbote, ein in digitaler Technik verbreitetes Programm gegen ein in analoger Technik verbreitetes Programm auszutauschen (§ 11c Abs. 2 S. 6 RStV) sowie bisher ausschließlich digital verbreitete Programme analog zu verbreiten (§ 19 S. 3 RStV).1006 6. Strafrecht a) Straftatbestände im UWG. Die Straftatbestände des UWG – strafbare irrefüh- 295 rende Werbung (§ 16 Abs. 1) und strafbare progressive Kundenwerbung (§ 16 Abs. 2) – sind Marktverhaltensregelungen.1007 Für lauterkeitsrechtliche Ansprüche muss das strafrechtlich relevante Verhalten allerdings zugleich eine geschäftliche Handlung nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 sein. Dasselbe galt für den bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zum Schutz von Geschäfts- 296 geheimnissen (GeschGehG) in den §§ 17–19 a.F. geregelten strafbaren Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen.1008 Gegen die Einordnung als Marktverhaltensregelungen wurde freilich eingewandt, die §§ 17–19 a.F. dienten allein dem Schutz des betroffenen Unternehmers.1009 Dies verkürzte jedoch die Schutzzwecke der Straftatbestände des UWG. Die §§ 17–19 a.F. schützten die Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse auch im Interesse der Wettbewerbsordnung insgesamt, weil der Schutz der Vertraulichkeit der Betriebssphäre eine essentielle Voraussetzung für einen geordneten Leistungswettbewerb darstellt,1010 der letztlich allen Marktteilnehmern zugutekommt. Es waren deshalb auch die §§ 17–19 a.F. Marktverhaltensregelungen.1011 Die Straftaten nach §§ 17–19 a.F.
_____
1004 BGH 30.4.2015 – I ZR 13/14 – BGHZ 205, 195 = GRUR 2015, 1228 Tz. 57–59 – Tagesschau-App; OLG Köln 30.9.2016 – 6 U 188/12 – GRUR 2017, 311 Tz. 27 – Tagesschau-App II. 1005 BGH 8.11.2018 – I ZR 108/17 – GRUR 2019, 627 Tz. 39 ff. – Deutschland-Kombi; a.A. OLG Hamburg 1.6.2017 – 3 U 124/13 – WRP 2017, 1254 Tz. 89 ff. – Radiowerbezeiten. 1006 OLG München 27.7.2017 – U 2879/16 Kart – GRUR-RR 2018, 133 Tz. 31 ff. – Frequenzwechsel. 1007 S. Begr. RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487 S. 26; FBO/Götting/Hetmank § 3a Rn. 164; Harte/Henning/v. Jagow § 3a Rn. 120; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.326; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 86. 1008 Zu §§ 17–19 a.F.: BGH 22.3.2018 – I ZR 118/16 – GRUR 2018, 1161 Tz. 27 – Hohlfasermembranspinnanlage II; BGH 23.2.2012 – I ZR 136/10 – GRUR 2012, 1048 Tz. 22 – MOVICOLZulassungsantrag; BGH 26.2.2009 – I ZR 28/06 – GRUR 2009, 603 Tz. 22 – Versicherungsuntervertreter; BGH 27.4.2006 – I ZR 126/03 – GRUR 2006, 1044 Tz. 17 – Kundendatenprogramm; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.326; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 86; Harte/Henning/Harte-Bavendamm § 17 Rn. 43, § 18 Rn. 11; a.A. MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 382. 1009 So insbesondere MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 382. 1010 S. Harte/Henning/Harte-Bavendamm Vorbemerkungen zu §§ 17–19 Rn. 5. 1011 S. BGH 22.3.2018 – I ZR 118/16 – GRUR 2018, 1161 Tz. 27 – Hohlfasermembranspinnanlage II; BGH 23.2.2012 – I ZR 136/10 – GRUR 2012, 1048 Tz. 22 – MOVICOL-Zulassungsantrag; BGH 26.2.2009 – I ZR 28/06 – GRUR 2009, 603 Tz. 22 – Versicherungsuntervertreter; BGH 27.4.2006 – I ZR 126/03 – GRUR 2006, 1044 Tz. 17 – Kundendatenprogramm; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.326; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 86; Harte/Henning/Harte-Bavendamm § 17 Rn. 43, § 18 Rn. 11; a.A. MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 382.
135
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
konnten ohne Antrag des Verletzten (dazu § 77 StGB) nur bei Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung1012 durch die Staatsanwaltschaft verfolgt werden (s. § 17 Abs. 5 a.F., § 18 Abs. 3 a.F., § 19 Abs. 4 a.F.). Dies, und weil durch die Tat primär der Verletzte betroffen ist, legte es nahe, die Durchsetzung lauterkeitsrechtlicher Ansprüche von der Einwilligung des Verletzten abhängig zu machen1013 oder gleich ganz die lauterkeitsrechtliche Aktivlegitimation auf den Geschädigten zu reduzieren.1014 297
b) Straftaten gegen den Wettbewerb (§§ 298, 299 StGB). Die „Straftaten gegen den Wettbewerb“ im 26. Abschnitt des StGB sollen den freien Wettbewerb als Institution schützen, und zwar einerseits im Interesse einer optimalen Ressourcenallokation und andererseits im Interesse der individuellen unternehmerischen Handlungsfreiheit.1015 Den Straftatbeständen kommt damit eine unmittelbar wettbewerbsbezogene Schutzfunktion zu. Es handelt sich mithin sowohl bei § 298 StGB (Wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Ausschreibungen)1016 als auch bei § 299 StGB (Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr)1017 als auch bei §§ 299a, 299b StGB (Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen)1018 um Marktverhaltensregelungen.
298
c) Vorteilsnahme, Bestechlichkeit, Gebührenüberhebung (§§ 331–334, 352 StGB). Entgegen der Rechtsprechung1019 sollten die Vorschriften zur Vorteilsannahme/Vorteilsgewährung (§§ 331, 333 StGB) und Bestechlichkeit/Bestechung (§§ 332, 334 StGB) grundsätzlich nicht als Marktverhaltensregelungen angesehen werden.1020 Die Vorschriften sollen primär das Vertrauen der Allgemeinheit in die Sachlichkeit staatlicher Entscheidungen schützen und damit einer Gefährdung der Funktionsfähigkeit des Staatsapparates vorbeugen; anders mag es lediglich im Anwendungsbereich des Art. 2 § 2 IntBestG liegen.1021 – Anders liegt es auch bei der Gebührenüberhebung nach § 352 StGB (s. Rn. 254). Diese Strafvorschrift dient, obschon im Abschnitt über „Straftaten im
_____
1012 S. dazu § 260a der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV): (1) Ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung von Verletzungen von Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen (§§ 17 bis 19 UWG) wird insbesondere dann anzunehmen sein, wenn der Täter wirtschaftsstrafrechtlich vorbestraft ist, ein erheblicher Schaden droht oder eingetreten ist, die Tat Teil eines gegen mehrere Unternehmen gerichteten Plans zur Ausspähung von Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen ist oder den Verletzten in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht. (2) Kommt ein besonders schwerer Fall (§ 17 Abs. 4 UWG) in Betracht, so kann das besondere öffentliche Interesse an der Verfolgung nur ausnahmsweise verneint werden. Das gleiche gilt, auch bezüglich § 18 UWG, wenn der Täter davon ausgeht, daß das Geheimnis im Ausland verwertet werden soll, oder er es selbst im Ausland verwertet. 1013 Dafür MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 382. 1014 Dafür Elskamp S. 184; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 17 Rn. 52; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 86. 1015 Schönke/Schröder/Heine/Eisele Vorbemerkungen zu den §§ 298 ff. Rn. 3 f. m.w.Nachw. 1016 Harte/Henning/v. Jagow § 3a Rn. 119; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.327; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 89; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 383. 1017 Harte/Henning/v. Jagow § 3a Rn. 119; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.328; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 89; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 383. 1018 Fritzsche WRP 2019, 555 Tz. 31; s. auch OLG Köln 7.12.2018 – 6 U 95/18 – WRP 2019, 354 Tz. 8 f. – Serviceartikel für Ärzte. 1019 S. BGH 20.10.2005 – I ZR 112/03 – GRUR 2006, 77 Tz. 28 – Schulfotoaktion (zu §§ 331, 333 StGB; mangels Verwirklichung des strafrechtlichen Tatbestands war dies jedoch letztlich nicht entscheidungserheblich); ebenso MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 383. 1020 Ebenso Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.333; kritisch gegenüber der a.A. auch Ohly/ Sosnitza § 3a Rn. 90. 1021 S. Schönke/Schröder/Heine/Eisele § 331 Rn. 7; MünchKommStGB/Korte § 331 Rn. 2 ff.
Metzger/Eichelberger
136
C. Marktverhaltensregelungen
§ 3a
Amt“ eingestellt, (auch) dem Schutz des Vermögens derer, die sich „amtlichen“ Gebührenforderungen ausgesetzt sehen.1022 Zählung angepasst d) Unerlaubtes Veranstalten von Glücksspielen und Lotterien (§§ 284, 287 299 StGB). Die §§ 284, 287 StGB stellen das unerlaubte Veranstalten von Glückspielen, Lotterien und Ausspielungen sowie das Werben dafür unter Strafe. Dadurch sollen nicht nur (im Interesse der Allgemeinheit) die Spiel- und Wettsucht bekämpft, sondern zugleich die Verbraucher vor irreführender Werbung und unsachlicher Beeinflussung geschützt werden.1023 Es handelt sich deshalb nicht um reine Marktzutrittsregelungen, sondern zugleich um das Marktverhalten im Interesse des Verbrauchers regelnde Vorschriften, so dass Zuwiderhandlungen auch lauterkeitsrechtlich verfolgt werden können.1024 e) Pornographie (§§ 184–184e StGB), Prostitution (§§ 184g, 184f StGB, § 120 300 OWiG) und Werbung etc. für sexuelle Handlungen etc. (§ 119 OWiG). Soweit die Verbote von Pornographie primär dem Jugendschutz dienen, handelt es sich aus den bereits dort (s. Rn. 289) dargelegten Gründen zugleich um Marktverhaltensregelungen. Dies betrifft insbesondere § 184 StGB (Verbreitung pornografischer Schriften) und § 184g StGB (jugendgefährdende Prostitution).1025 Demgegenüber wird für die anderen hier in Rede stehenden Tatbestände (insb. §§ 184a–184c StGB) bisweilen der Charakter als Marktverhaltensregelung verneint, mit der Begründung, diese schützten Kinder und Jugendliche sowie die anderen betroffenen Personen nicht in ihrer Rolle als Marktteilnehmer.1026 Dem ist freilich entgegen zu halten, dass diese generellen Verbote zumindest auch und insoweit erst recht dem Jugendschutz dienen. Es besteht keinerlei Anlass, gerade sich in diesem sensiblen Bereich rechtswidrig (strafbar) verhaltende Marktteilnehmer vor der lauterkeitsrechtlichen Durchsetzung der strafrechtlichen Verbote durch Mitbewerber und Verbände zu schützen. Insofern sollte hier generell von Marktverhaltensregelungen ausgegangen werden.1027 Im Ausgangspunkt gilt nichts anderes für § 119 OWiG (Werbung etc. für sexuelle 301 Handlungen etc.) sowie für § 120 OWiG (verbotene Ausübung der Prostitution). Es handelt sich um Marktverhaltensregelungen.1028 Zu erwägen ist hier freilich, dass infolge eines gewandelten Verständnisses in der Bevölkerung in Bezug auf die in § 119 OWiG bußgeldbewehrten Verhaltensweisen möglicherweise eine Einschränkung des Tatbestandes vorzunehmen ist; jedenfalls sind die Tatbestände eng auszulegen.1029
_____
1022 S. Schönke/Schröder/Hecker § 352 Rn. 1; MünchKommStGB/Voßen § 352 Rn. 1; s. auch BGH 6.9.2006 – 5 StR 64/06 – NJW 2006, 3219 Tz. 9. 1023 S. BVerfG 28.3.2006 – I BvR 1054/01 – GRUR 2006, 688 Tz. 103 – Oddset; BGH 14.2.2008 – I ZR 207/05 – GRUR 2008, 438 Tz. 18 – ODDSET; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 85. 1024 S. BGH 1.4.2004 – I ZR 317/01 – BGHZ 158, 343, 350 f. = GRUR 2004, 693, 695 – Schöner Wetten; BGH 14.3.2002 – I ZR 279/99 – GRUR 2002, 636, 637 – Sportwetten; BGH 11.10.2001 – I ZR 172/99 – GRUR 2002, 269, 270 – Sportwetten-Genehmigung; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 1.332; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 85. 1025 MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 385; a.A. Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 81. 1026 So GK-UWG2/Metzger § 4 Nr. 11 Rn. 193. 1027 Im Ergebnis ebenso MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 385; Elskamp S. 170; s. auch OLG Düsseldorf 24.5.2005 – I-20 U 134/04 – MMR 2005, 611, 613 f. – ueber18.de (zu §§ 184, 184c StGB). 1028 S. BGH 13.7.2006 – I ZR 241/03 – GRUR 2006, 1042 Tz. 18 – Kontaktanzeigen (zur Werbung für Prostitution); Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.333; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 385; a.A. Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 81. 1029 Vgl. BGH 13.7.2006 – I ZR 241/03 – GRUR 2006, 1042 Tz. 21 – Kontaktanzeigen; wie hier Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.333.
137
Metzger/Eichelberger
§ 3a
302
303
304
Rechtsbruch
f) Sonstige Straftatbestände. Auch bei den sonstigen Straftatbeständen gilt es heute1030 zu differenzieren: Soweit sie (zumindest auch) den Schutz anderer Personen in ihrer Rolle als Marktteilnehmer bezwecken, handelt es sich um Marktverhaltensregelungen.1031 So liegt es insbesondere beim Betrug (§ 263 StGB).1032 Hier ist dann jeweils zu prüfen, ob das strafrechtlich relevante Verhalten zugleich eine geschäftliche Handlung gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 darstellt. Demgegenüber bezweckt der Tatbestand der Hehlerei (§ 259 StGB) den Schutz des Vermögens des Vortatopfers vor der Aufrechterhaltung („Perpetuierung“) der durch die Vortat geschaffenen rechtswidrigen Vermögenslage, die durch das Weiterschieben der durch die Vortat erlangten Sache im Einverständnis mit dem Vortäter erreicht wird.1033 Es geht also nicht um den Schutz des Abnehmers der Hehlereiware und handelt sich mithin nicht um eine Marktverhaltensregelung.1034 Allein die Strafbarkeit des Verhaltens sagt für sich genommen nichts über die lauterkeitsrechtliche Beurteilung aus; entscheidend ist der Normzweck.1035 Marktverhaltensregelung ist dagegen das Verbot des unbefugten Führens von geschützten Berufsbezeichnungen (§ 132a Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 StGB).1036 Ebenso wie die als Marktverhaltensregelungen anerkannten Berufszulassungsregelungen dient das Verbot auch dem Schutz der Verbraucher in ihrem Vertrauen in die Berufsträger und die Berufsgruppen.1037 In der Regel keine Marktverhaltensregelungen sind die „Straftaten im Amt“ des 30. Abschnitts des StGB. Hier steht die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung im Vordergrund. Soweit dadurch im Einzelfall auch marktliche Interessen betroffen sind, handelt es sich nur um einen hier unbeachtlichen Reflex. Im Einzelfall kann freilich anderes gelten, so etwa bei der Gebührenüberhebung nach § 352 StGB (s. Rn. 298). Ebenfalls keine Marktverhaltensregelungen sind die dem Schutz des öffentlichen Friedens dienenden1038 §§ 130, 131 StGB (Volksverhetzung bzw. Gewaltdarstellung), und zwar auch dann nicht, wenn die Zuwiderhandlung zu einem Wettbewerbsvorsprung führt, denn das genügt zur Annahme einer Marktverhaltensregelung allein nicht (s. Rn. 22). 7. Ordnungswidrigkeitenrecht. Hinsichtlich der im OWiG geregelten Ordnungswidrigkeiten ist in gleicher Weise wie bei den Strafvorschriften danach zu fragen, ob diese zumindest auch den Schutz eines Marktteilnehmers in gerade dieser Eigenschaft betreffen.
_____
1030 Unter Geltung des § 1 a.F. wurden grundsätzlich alle zu Zwecken des Wettbewerbs erfolgte Verstöße gegen Strafvorschriften zugleich als Wettbewerbsverstoß angehen, s. GK-UWG1/Teplitzky § 1 Rn. G 35. 1031 Harte/Henning/v. Jagow § 3a Rn. 119; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 385. 1032 OLG Frankfurt 11.5.2006 – 6 U 7/06 – GRUR-RR 2006, 414, 415 – Selbstbehalt; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 3a Rn. 1.333; Ohly/Sosnitza § 4 Rn. 11.88; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 385; möglicherweise auch BGH 8.11.2007 – I ZR 60/05 – GRUR 2008, 530 Tz. 11 – Nachlass bei der Selbstbeteiligung, dies in BGH 10.1.2013 – I ZR 190/11 – GRUR 2013, 945 Tz. 30 – Standardisierte Mandatsbearbeitung jedoch ausdrücklich offenlassend. 1033 KG 24.3.2006 – 4 Ws 52/06 – NStZ-RR 2007, 16, 17; Schönke/Schröder/Hecker § 259 Rn. 1 mwN. 1034 Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 88; a.A. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.333; MünchKommUWG/ Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 385; FBO/Götting/Hetmank § 3a Rn. 164. 1035 Harte/Henning/v. Jagow § 3a Rn. 119. 1036 S. OLG Düsseldorf 8.3.2010 – I-20 U 177/08 – GRUR-RR 2011, 10, 11 – Griechischer Wirtschaftsprüfer (zu § 132a Abs. 1 Nr. 2 StGB); OLG Köln 1.6.2012 – I-6 U 218/11 – WRP 2012, 1449 Tz. 16 – Abgelaufene Bestellung als Sachverständiger (zu § 132a Abs. 1 Nr. 3 StGB); Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.333; MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 385 (zu § 132a Abs. 1 Nr. 2 StGB). 1037 Vgl. MünchKommStGB/Hohmann § 132a Rn. 2 m.w.Nachw. 1038 Harte/Henning/v. Jagow § 3a Rn. 119; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.333; differenzierend MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 385.
Metzger/Eichelberger
138
D. Rechtsvergleichung
§ 3a
Dann handelt es sich um eine Marktverhaltensregelung. So liegt es beispielsweise bei § 119 OWiG (s. Rn. 119). Häufig regelt das Ordnungswidrigkeitenrecht jedoch selbst keine eigenständigen Tatbestände, sondern knüpft an die Zuwiderhandlung gegen ein andernorts aufgestelltes Ge- oder Verbot an. Ob in solch einem Fall parallel zur ordnungswidrigkeitenrechtlichen Sanktionierung auf § 3a gestützte lauterkeitsrechtliche Ansprüche in Betracht kommen, ist danach zu entscheiden, ob die Primärnorm, der zuwidergehandelt wurde, eine Marktverhaltensregelung darstellt. Allein aus dem Umstand, dass ein Verhalten bußgeldbewehrt ist, folgt also nichts für die lauterkeitsrechtliche Einordnung als Rechtsbruch im Sinne des § 3a. 8. Weitere a) Fahrzeugemissionen-VO. Die Verpflichtung von Kfz-Herstellern durch Art. 6 VO 305 (EG) 715/2007 (Fahrzeugemissionen-VO), unabhängigen Marktteilnehmern Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen zu gewähren, bezweckt die Herstellung eines wirksamen Wettbewerbs zwischen autorisierten Händlern und Vertragswerkstätten einerseits und freien Werkstätten und Ersatzteilherstellern andererseits und ist deshalb Marktverhaltensregelung.1039 b) MindestlohnG. Der durch §§ 1, 3 MindestlohnG (MiLoG) vorgeschriebene Min- 306 destlohn soll Arbeitnehmer vor Niedrigstlöhnen und die steuerfinanzierte Grundsicherung für Arbeitssuchende vor nachteiligen Kostenwirkungen durch die „Aufstockung“ schützen.1040 Sofern damit möglicherweise zugleich ein ohne Mindestlohn bestehender Anreiz für einen „Lohnunterbietungswettbewerb zwischen den Unternehmen“ unterbunden und ein „Beitrag zu fairen und funktionierenden Wettbewerbsbedingungen“ geleistet wird,1041 ist dies lediglich Reflex des allein sozialpolitischen Regelungszwecks, so dass es sich nicht um eine Marktverhaltensregelung handelt.1042 D. Rechtsvergleichung D. Rechtsvergleichung
I. Österreich Das österreichische UWG kennt keinen ausdrücklichen Rechtsbruchtatbestand, son- 307 dern behandelt die Fallgruppe im Rahmen der Generalklausel des § 1 öUWG („unlautere Geschäftspraktiken“).1043 Während die ältere österreichische Rechtsprechung die von den älteren deutschen Gerichten befolgte Unterscheidung von sittlich fundierten und wertneutralen Vorschriften rezipiert hatte,1044 stellt die jüngere Rechtsprechung auf den Wett-
_____
1039 BGH 21.6.2018 – I ZR 40/17 – GRUR 2018, 955 Tz. 8 – Ersatzteilinformation; OLG Frankfurt 23.2.2017 – 6 U 37/16 – GRUR-RR 2017, 231 Tz. 21 f. – Schnittstelle zum Ersatzteildatenaustausch. 1040 Begr. RegE eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz), BTDrucks. 18/1558, 28. 1041 Begr. RegE eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz), BTDrucks. 18/1558, 28 bzw. 26. 1042 KG 14.2.2017 – 5 U 105/16 – WRP 2017, 460 Tz. 22 – Essensausfahrer; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.70; a.A. OLG Frankfurt 29.1.2015 – 6 U 63/14 – GRUR 2015, 401 Tz. 24 – Messepersonal (obiter erwägend); Götting/Nordemann/Ebert-Weidenfeller § 3a Rn. 68; Fechner/Kocher NZA 2017, 755, 758; Ohly/Sosnitza § 3a Rn. 17. 1043 S. zum Folgenden aus rechtsvergleichender Perspektive Frey-Gruber S. 149–151; Schmidt-Kessel/ Schubmehl/Paiser/Kusznier/Pöchhacker S. 433, 499–500. 1044 S. bspw. OGH 15.10.1963 Öbl 1964, 66 sowie hierzu eingehend Schricker S. 96–103.
139
Metzger/Eichelberger
§ 3a
Rechtsbruch
bewerbsvorsprung ab.1045 Anders als in Deutschland wird dabei kein wettbewerbsbezogener Schutzzweck der Vorschrift vorausgesetzt; auch sind nicht nur Verletzungen von Marktverhaltensregelungen umfasst.1046 Dadurch kommt es im Einzelfall zu Ergebnissen, die von der deutschen Rechtslage abweichen, etwa im Fall der Zuerkennung von Wettbewerbsansprüchen für Prostituierte gegen Konkurrentinnen, die sich nicht an das Verbot der Straßenprostitution halten.1047 Ansprüche gem. § 1 öUWG wurden auch bei der Verletzung der Impressumspflicht bejaht.1048 Das Verhalten muss dabei geeignet sein, eine nicht bloß unerhebliche („spürbare“) Nachfrageverlagerung zu bewirken.1049 Gefordert ist des Weiteren, dass der Normverstoß nicht nur objektiv vorwerfbar ist. Ein Wettbewerbsverstoß scheidet aus, wenn „die Auffassung des Beklagten über den Umfang seiner Befugnisse durch das Gesetz soweit gedeckt ist, dass sie mit gutem Grund vertreten werden kann.“1050 Eine Rechtsauffassung ist danach jedenfalls dann vertretbar, wenn eine Genehmigung der zuständigen Verwaltungsbehörde vorliegt. Die Richtigkeit dieser Genehmigung ist im Wettbewerbsprozess nicht zu prüfen.1051 Dagegen ist von einem Wettbewerbsverstoß auszugehen, wenn der Rechtsauffassung des Beklagten der klare Gesetzeswortlaut, die offenkundige Absicht des Gesetzgebers oder die feststehende höchstrichterliche Rechtsprechung entgegensteht.1052 Der OGH hält an diesen Grundsätzen auch nach der UWG-Reform 2007, welche der Umsetzung der UGP-RL diente, ausdrücklich fest.1053 Für die umfangreiche Rechtsprechung wird auf die aktuellen Kommentierungen zu § 1 öUWG verwiesen.1054 II. Frankreich 308
Das französische Recht kennt keine allgemeine Regelung zum unlauteren Wettbewerb, sondern gestattet Wettbewerbern auf Grundlage der deliktischen Generalklausel des Art. 1240 Code civil (= Art. 1382 Code civil a.F.), gegen unlautere Geschäftshandlungen vorzugehen. Dies ist im Gegensatz zum deutschen Recht möglich, weil Art. 1240 Code civil keine Verletzung von absoluten Rechten voraussetzt, sondern Schadensersatz bei jeder rechtswidrigen Schädigung des Vermögens zuerkennt.1055 Die Vorschrift dient dabei wohlgemerkt nicht nur als Grundlage für Schadensersatzansprüche, sondern auch für Unterlassungsansprüche, die als Naturalrestitution verstanden werden.1056 Der französische Gesetzgeber hat die Generalklausel des Art. 1240 Code civil in den letzten Jahren durch spezialgesetzliche Wettbewerbstatbestände ergänzt, die in Art. L420 des Code de commerce und in den Art. L121 f. des Code de la consommation gesammelt sind.1057 An
_____
1045 OGH 20.5.2003 – 4Ob99/03t – SZ 2003/56 – Veranstaltungshinweise. 1046 OGH 11.3.2008 – 4Ob225/07b – GRUR Int. 2009, 342 – Stadtrundfahrten. 1047 OGH 21.9.1993 – 4Ob78/93 – wbl 1994, 97 – Straßenprostitution. Hierzu bereits Beater FS Schricker, S. 629, 631. 1048 OGH 13.7.1993 – 4 Ob 97/93 – ÖBl 1993, 226 – Tageszeitungsimpressum. 1049 OGH 20.5.2003 – 4 Ob 99/03t – SZ 2003/56 – Veranstaltungshinweise. 1050 OGH 20.10.1987 – 4Ob368/87 – ÖBl 1988, 72 – Flug-Bus-Schnupperreise; ständige Rspr., s. OGH 23.2.2010 – 4Ob14/10b – ÖBl 2010, 224. 1051 OGH 12.7.2006 – 4Ob115/06z – ÖBl 2006, 158 (Ls.) – Anbringen von Werbetafeln. 1052 OGH 3.10.2000 – 4Ob230/00b – ÖBl 2001, 261 – Hausdruckerei. 1053 So mit eingehender Begründung OGH 11.3.2008 – 4Ob225/07b – GRUR Int. 2009, 342 – Stadtrundfahrten. 1054 S. Gumpoldsberger/Baumann/Duursma § 1 öUWG Rn. 163–230; Wiebe/Kodek/Schmid § 1 öUWG Rn. 654–802. 1055 Art. 1240 Code civil (= Art. 1382 Code civil a.F.): „Tout fait quelconque de l’homme, qui cause à autrui un dommage, oblige celui par la faute duquel il est arrivé à le réparer.“ 1056 Schmidt-Kessel/Schubmehl/Lucas-Schloetter S. 237, 248 f. 1057 S. hierzu zuletzt Schmidt-Kessel/Schubmehl/Lucas-Schloetter S. 237, 248 f.; Henning-Bodewig GRUR Int. 2010, 273, 276.
Metzger/Eichelberger
140
D. Rechtsvergleichung
§ 3a
dem Grundkonzept des französischen Rechts der „concurrence déloyale“ hat sich durch die UGP-RL nichts geändert.1058 Im französischen Recht wird traditionell zwischen der „concurrence déloyale“ und der „concurrence illégale“ differenziert. Während erstere die für das Recht des unlauteren Wettbewerbs typischen Sachverhalte der Anschwärzung („dénigrement“), des Hervorrufens einer Verwechslungsgefahr („confusion“), der individuellen Behinderung („désorganisation“), der Ausnutzung fremder Leistungen („le parasitisme“) sowie der Irreführung („tromperie“) umfasst,1059 handelt es sich bei der zweitgenannten Konstellation um die Fälle, bei denen Geschäftshandlungen im Wettbewerb gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen. Diese zweite Fallgruppe wird in der Literatur zum französischen Lauterkeitsrecht nur stiefmütterlich behandelt. Dies erklärt sich aus dem Grundkonzept der Anwendung des Art. 1240 Code civil: Verletzt der Beklagte gesetzliche Vorschriften, so ist die Feststellung der „faute“ unproblematisch zu bejahen.1060 Die Anwendung der zivilrechtlichen Generalklausel erklärt auch, dass sich im französischen Recht bislang nicht die Vorstellung durchsetzen konnte, wonach nur wettbewerbsbezogene Vorschriften Grundlage für Konkurrentenklagen sein sollen.1061 Dementsprechend ist es in Frankreich auch möglich, Wettbewerber wegen der Verletzung von Steuervorschriften in Anspruch zu nehmen.1062 Die dadurch eröffnete Weite wettbewerbsrechtlicher Ansprüche wird offenbar auch kaum durch das Erfordernis der Kausalität zwischen Rechtsverletzung und Schaden eingedämmt.1063 Insgesamt ist das französische Recht damit großzügiger bei der Zuerkennung von Konkurrentenklagen wegen Rechtsbruchs als das deutsche Recht. III. England Im englischen Recht fehlt es an einer eigenständigen Regelung des unlauteren 309 Wettbewerbs.1064 Stattdessen kommen die verschiedenen, historisch gewachsenen torts zur Anwendung, die durch die Grundsätze der equity-Rechtsprechung ergänzt werden. Für die Fallgruppe des Rechtsbruchs kommt in erster Linie der Tatbestand des „breach of a statutory duty“ in Frage.1065 Danach kommt ein Schadensersatzanspruch bei der Verletzung von gesetzlichen Vorschriften, insbesondere aus dem Straf- und Verwaltungsrecht, in Frage, sofern die Vorschrift zum Schutz einer bestimmten Personengruppe erlassen wurde, zu der der Kläger gehört, und der Kläger infolge der Gesetzesverletzung einen Schaden erlitten hat.1066 Ob eine Vorschrift individualschützend ist, muss durch Auslegung bestimmt werden; mit nicht durchweg vorhersehbaren Ergebnissen.1067 Vor allem aber werden im englischen Recht die Schutzzwecke des Verbraucherschutzrechts
_____
1058 S. Henning-Bodewig GRUR Int. 2010, 273, 276 f. 1059 Henning-Bodewig GRUR Int. 2010, 273, 276; Sonnenberger/Dammann S. 323 f.; Schmidt-Kessel/ Schubmehl/Lucas-Schloetter S. 237, 241 f. 1060 S. die Darstellungen von Schmidt-Kessel/Schubmehl/Lucas-Schloetter S. 237–238; Mainguy/ Respaud/Depincé S. 76–81; Sonnenberger/Dammann S. 323; Vogel S. 36. So auch bereits Schricker S. 131–133. Kritisch hierzu Serra/Ferrier S. 47–55. 1061 S. hierzu Mainguy/Respaud/Depincé S. 77 f. mwN. 1062 S. hierzu bspw. Cass. crim 10.6.1990 Bull. crim. 1990, V. n° 246. 1063 So dezidiert Schmidt-Kessel/Schubmehl/Lucas-Schloetter S. 237, 248 f. 1064 S. hierzu die Darstellungen von Beater FS Schricker, S. 629, 632 f.; Bodewig GRUR Int. 2004, 543 ff.; Schmidt-Kessel/Schubmehl/Müller S. 163 ff.; Ohly S. 19 ff. 1065 Schmidt-Kessel/Schubmehl/Müller S. 163; s. auch Spickhoff S. 31 ff. 1066 Schmidt-Kessel/Schubmehl/Müller S. 163; Ohly S. 37 ff.; Spickhoff S. 36. 1067 S. Lord Denning in Island Records Ltd. and Others [1978] Ch. 122, 135 = [1978] F.S.R. 505 (513): „The dividing line between the pro-cases and the contra-cases is so blurred and so ill-defined that you might as well toss a coin to decide it. I decline to indulge in such a game of chance.“
141
Metzger/Eichelberger
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
und des Wettbewerbsrechts strikt getrennt: Verstöße gegen Vorschriften des Verbraucherschutzrechts können von Wettbewerbern grundsätzlich nicht geltend gemacht werden. 1068 So scheiden etwa Verstöße gegen Verbraucherschutzvorschriften des Trade Description Act von 1968 und des Consumer Protection Act von 1987 als Grundlage für Ansprüche von Wettbewerbern aus.1069 Dadurch ist der Anwendungsbereich für Klagen von Wettbewerbern auf Grund eines „breach of a statutory duty“ stark eingeschränkt. Dahinter steht die in England nach wie vor herrschende Überzeugung, dass die Durchsetzung von Verbraucherschutzstandards durch die Straf- und Verwaltungsbehörden sowie durch Maßnahmen der Selbstregulierung erfolgen soll.1070 IV. Fazit, weitere Rechtsordnungen 310
Kolumnentitel rechts oben für Nr.1: „Unzulässige Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit – Nr.1“
Der kurze rechtsvergleichende Überblick zum österreichischen, französischen und englischen Recht zeigt, dass die Rechtsentwicklung in Deutschland in der Mitte zwischen der restriktiven, Wettbewerbsansprüche weitgehend ausschließenden englischen Rechtsprechung und der weiten, alle Gesetzesvorschriften einbeziehenden österreichischen und französischen Rechtslage anzusiedeln ist. Neben diesem allgemeinen Befund sind für die Rechtswissenschaft und -praxis vor allem Vergleiche einzelner Fallgestaltungen fruchtbar, die hier allerdings nicht zu leisten sind. Zu weiteren hier nicht behandelten Rechtsordnungen liegen aktuelle rechtsvergleichende Studien vor.1071
§4 Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen § 4 Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen Geschäftsehrverletzung – Nr. 1 https://doi.org/10.1515/9783110545944-002
Unlauter handelt, wer 1.
die Kennzeichen, Waren, Dienstleistungen, Tätigkeiten oder persönlichen oder geschäftlichen Verhältnisse eines Mitbewerbers herabsetzt oder verunglimpft;
… Metzger/Eichelberger/Toussaint Schrifttum Vor der UWG-Reform 2004. Ahrens Die Benetton-Rechtsprechung des BVerfG und die UWGFachgerichtsbarkeit, JZ 2004, 763; Deutsch Anspruchskonkurrenz im Marken- und Kennzeichenrecht, WRP 2000, 854; Grünberger Rechtliche Probleme der Markenparodie unter Einbeziehung amerikanischen Filmmaterials, GRUR 1994, 246; Hartwig Meinungsfreiheit und unlauterer Wettbewerb, GRUR 2003, 924; Helm Zur ergänzenden Anwendung wettbewerbsrechtlicher Bestimmungen auf markenrechtliche Tatbestände, GRUR 2001, 291; Hösch Meinungsfreiheit und Wettbewerbsrecht am Beispiel der „Schockwerbung“, WRP 2003, 936; Messer Der Anspruch auf Geldersatz bei Kreditgefährdung, § 824 BGB, und Anschwärzung, § 14 UWG, FS Steffen (1995) 47; ders. Die Verbreitung wahrer, geschäftsschädigender Tatsachen über Gewerbe-
_____
1068 Schmidt-Kessel/Schubmehl/Müller S. 208; Ohly S. 46 ff. 1069 Grundlegend Bollinger v. Costa Brava Wine [1960] RPC 16, Ch. 262 = GRUR Ausl. 1960, 449, 454 (zum früheren Merchandise Marks Act 1887); Bulmer v. Bollinger [1978] RPC 79 (zum Trade Description Act 1968). 1070 So Schmidt-Kessel/Schubmehl/Müller S. 209. S. auch Bodewig GRUR Int. 2004, 543 ff. 1071 S. auch die weiterführenden Hinweise zu weiteren europäischen und außereuropäischen Rechtsordnungen bei Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig Einleitung E., Schmidt-Kessel/Schubmehl und Henning-Bodewig.
Metzger/Eichelberger/Toussaint https://doi.org/10.1515/9783110545944-002
142
Geschäftsehrverletzung – Nr. 1
§4
treibende unter dem Schutz der Meinungsfreiheit, FS Vieregge (1995) 629; v. Randow Rating und Wettbewerb, ZBB 1996, 85; Schultze/Schwenn Zur künftigen Behandlung von Markenparodien, WRP 1997, 536; Wassermeyer Schockierende Werbung, GRUR 2002, 126; Wenzel Wettbewerbsäußerungen und Informationsinteresse, GRUR 1968, 626.
Toussaint Nach der UWG-Reform 2004. Ahrens Internationale Zuständigkeit für Äußerungsdelikte im Wettbewerb, WRP 2018, 17; Bärenfänger Das Spannungsfeld von Lauterkeitsrecht und Markenrecht unter dem neuen UWG (2010); ders. Symbiotische Theorie zum Kennzeichen- und Lauterkeitsrecht, WRP 2011, 16 (Teil 1), 160 (Teil 2); Born Gen-Milch und Goodwill – Äußerungsrechtlicher Schutz durch das Unternehmenspersönlichkeitsrecht, AfP 2005, 110; ders. Zur Zulässigkeit einer humorvollen Markenparodie, GRUR 2006, 192; Bornkamm Markenrecht und wettbewerbsrechtlicher Kennzeichenschutz – Zur Vorrangthese der Rechtsprechung, GRUR 2005, 97; Bunnenberg Das Markenrecht als abschließendes Regelungssystem? MarkenR 2008, 148; Büscher Soziale Medien, Bewertungsplattformen & Co, Die lauterkeitsrechtliche Haftung von Internetdienstleistern, GRUR 2017, 433; Fezer Normenkonkurrenz zwischen Kennzeichenrecht und Lauterkeitsrecht, WRP 2008, 1; ders. Kumulative Normenkonkurrenz zwischen Markenrecht und Lauterkeitsrecht, GRUR 2010, 953; Franz „Ein bisschen Spaß muss sein!“, WRP 2018, 15; Gabel Die Haftung für Hyperlinks im Lichte des neuen UWG, WRP 2005, 1102; Glöckner Der gegenständliche Anwendungsbereich des Lauterkeitsrechts nach der UWG-Novelle 2008 – ein Paradigmenwechsel mit Folgen, WRP 2009, 1175; Henning-Bodewig Das neue Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, GRUR 2004, 713; Ingerl Der wettbewerbsrechtliche Kennzeichenschutz und sein Verhältnis zum MarkenG in der neueren Rechtsprechung des BGH und in der UWG-Reform, WRP 2004, 809; Kefferpütz/Wrage Parodie und Marke: Ein ewiger Konflikt, GRURPrax 2015, 451; Köhler Zur Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, GRUR 2005, 793; ders. Die Unlauterkeitstatbestände des § 4 UWG und ihre Auslegung im Lichte der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, GRUR 2008, 841; ders. Der „Mitbewerber“, WRP 2009, 499; ders. „Gib mal Zeitung“ – oder „Scherz und Ernst in der Jurisprudenz“ von heute, WRP 2010, 571; ders. Dogmatik des Beispielkatalogs des § 4 UWG, WRP 2012, 638; Köhler/Bornkamm/HenningBodewig Vorschlag für eine Richtlinie zum Lauterkeitsrecht und eine UWG-Reform, WRP 2002, 1317; Sack Markenschutz und UWG, WRP 2004, 1405; Sakowski Kritik am Wettbewerber: Lauterkeitsrechtliche Schranken, GRURPrax 2017, 179; Steinbeck Zur These vom Vorrang des Markenrechts, FS Ullmann (2006) 409; Stieper Das Verhältnis von Immaterialgüterrechtsschutz und Nachahmungsschutz nach dem neuen UWG, WRP 2006, 291. Zum Ehrschutz allgemein. Bernreuther Zur Interessenabwägung bei anonymen Meinungsäußerungen im Internet, AfP 2011, 218; Brinkmann Der äußerungsrechtliche Unternehmensschutz in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, GRUR 1988, 516; Deutsch Der Schutz von Marken oder Firmen, FS Gaedertz (1992) 99; ders. Zur Markenverunglimpfung, GRUR 1995, 319; Köller Meinungsfreiheit und unternehmensschädigende Äußerung (1991); Koreng Das „Unternehmenspersönlichkeitsrecht“ als Element des gewerblichen Reputationsschutzes, GRUR 2010, 1065; Ricker Unternehmensschutz und Pressefreiheit (1989); Rühl Tatsachenbehauptungen und Wertungen, AfP 2000, 17; Sack Das Verhältnis des UWG zum allgemeinen Deliktsrecht, FS Ullmann (2006) 825; Schaub Äußerungsfreiheit und Haftung, JZ 2007, 548; Wagner Geldersatz für Persönlichkeitsverletzungen, ZEuP 2000, 200.
A.
143
Systematische Übersicht Einführung | 1 I. Entstehungsgeschichte | 1 II. Inhalt und Zweck der Regelung | 4 III. Verhältnis zu Art. 5 Abs. 1 GG | 6 1. Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG | 6 2. § 4 Nr. 1 als gesetzliche Schranke der Meinungsfreiheit | 8 3. Keine Verdrängung durch die EU-Grundrechtecharta | 11 IV. Verhältnis zum EU-Recht | 12
V.
Abgrenzung zu anderen Tatbeständen | 14 1. Vorschriften des UWG | 14 a) § 6 Abs. 2 Nr. 4, 5 (rufbeeinträchtigende, herabsetzende oder verunglimpfende vergleichende Werbung) | 14 b) § 4 Nr. 2 (Anschwärzung) | 16 c) § 4 Nr. 4 (gezielte Behinderung) | 18 d) §§ 5, 5a (Irreführung) | 19
Toussaint
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
Markenrecht | 20 Allgemeines Deliktsrecht | 23 a) Verhältnis im Allgemeinen | 23 b) Die einzelnen Deliktstatbestände und ihr Verhältnis zu § 4 Nr. 1 und 2 | 25 aa) § 823 Abs. 1 BGB | 25 bb) § 823 Abs. 2 BGB | 27 cc) § 824 BGB | 29 Einzelheiten | 32 I. Allgemeine Voraussetzungen unlauterer Handlungen | 32 1. Geschäftliche Handlung (§ 3 Abs. 1) | 33 a) Allgemeines | 33 b) Äußerungen im Schutzbereich des Art. 5 GG | 34 c) Private oder unternehmensinterne Äußerungen | 37 aa) Private Äußerungen | 37 bb) Unternehmens- oder verbandsinterne Äußerungen | 40 d) Wiedergabe der Äußerung eines Dritten | 41 2. Spürbarkeit | 43 II. Mitbewerber | 44 III. Herabsetzung oder Verunglimpfung | 47 1. Gesetzlicher Tatbestand | 47 a) Ausgangspunkt | 47 b) Sachlich nicht gerechtfertigte Rufbeeinträchtigung | 49 c) Kundgabe | 53 2. 3.
B.
Alphabetische Übersicht Angriff gegen Menschenwürde 58 Anschwärzung 2, 16 Außenwirkung 53 Äußerung, private 37 Äußerung, unternehmensinterne 40 Äußerung, verbandsinterne 40 Behinderung, gezielte 18 Beleidigung 27 Darlegungs- und Beweislast 76 Dienstleistungen 73 Ehrenschutz, deliktischer 1, 23 Ehrenschutz, privatrechtlicher 1 Ehrenschutz, strafrechtlicher 1 Erheblichkeitsschwelle 43, 50 Formalbeleidigung 57 Geldentschädigung 1 geschäftliche Handlung 33
Toussaint
Werturteile | 54 a) Notwendigkeit der Gesamtabwägung | 54 b) Fälle eines regelmäßigen Zurücktretens der Meinungsfreiheit | 56 aa) Schmähkritik | 56 bb) Formalbeleidigung | 57 cc) Angriffe gegen die Menschenwürde | 58 c) Sonstige Fälle | 59 d) Sonderfall humoristische, ironische oder satirische Äußerungen | 62 3. Tatsachenbehauptungen | 64 a) Allgemeines | 64 b) Unwahre Tatsachen | 67 c) Wahre Tatsachen | 69 4. Kunst- und Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) | 71 IV. Gegenstand der Äußerung | 72 1. Kennzeichen | 72 2. Waren und Dienstleistungen | 73 3. Tätigkeiten, persönliche oder geschäftliche Verhältnisse | 74 Prozessuales | 76 I. Darlegungs- und Beweislast | 76 II. Revisionsrechtliche Nachprüfbarkeit | 77 2.
C.
Geschäftsehre 2 Geschäftsehrverletzung 2, 3, 4 Herabsetzung 4, 10, 47 Herabsetzung, pauschale 60 Humoristische Äußerung 62 Injurienklage 1 Ironie 62 Irreführung 19 Kennzeichen 72 Kollektivherabsetzung 46 Kreditgefährdung 2, 29 Kundgabe 53 Kunstfreiheit 34, 71 Markenrecht 20 Meinungsäußerung 6 Meinungsfreiheit 6, 54
144
§4
Geschäftsehrverletzung – Nr. 1
Meinungsfreiheit, Schranken 8 Mitbewerber 44 Persönlichkeitsrecht, allgemeines 1, 25 Pressebeitrag, redaktioneller 34 Pressefreiheit 7 Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb 2, 26 Revisibilität 77 Rufbeeinträchtigung 49 satirische Äußerung 62 Schmähkritik 25, 56 Spürbarkeit 43, 50 Tätigkeiten 74 Tatsachenbehauptung 6, 64 Tatsachenbehauptung, unwahre 16, 67 Tatsachenbehauptung, wahre 69 üble Nachrede 27
Unterlassungsanspruch 1 Unternehmerpersönlichkeitsrecht 25 vergleichende Werbung 3, 12, 14 Verhältnisse, geschäftliche 75 Verhältnisse, persönliche 75 Verleumdung 2, 27 Verunglimpfung 4, 10, 47 Wahrnehmung berechtigter Interessen 27 Waren 73 Warentest 61 Werbeaussage 60 Werturteil 54 Wettbewerbsabsicht 35 Wettbewerbsförderung 36 Wettbewerbsverhältnis, konkretes 44 Widerrufsanspruch 1 Wiedergabe fremder Äußerung 41 Wissenschaftsfreiheit 34, 71
A. Einführung I. Entstehungsgeschichte Der Schutz der Ehre war in Deutschland bis in das 19. Jahrhundert primär eine private 1 Angelegenheit. Der Verletzte konnte mit einer sog. Injurienklage – „actio iniuriarium (aestimatoria)“ – im Wege des Zivilprozesses einen privaten Strafanspruch auf Genugtuung in Geld durchsetzen (daneben gewährte das gemeine Recht auch einen Anspruch auf Ehrenerklärung, Widerruf und Abbitte); öffentliche Strafen für Ehrverletzungen sahen nur vereinzelte Partikularrechte vor (und setzten oft einen Antrag des Verletzten und dessen Verzicht auf Privatgenugtuung voraus).1 Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde diese Rechtslage zunehmend als anstößig empfunden, die privatrechtliche Injurienklage führe zu einem unwürdigen Abkaufen der Ehre. Mit den §§ 185 ff. StGB 1871 wurde daher zunächst reichseinheitlich ein strafrechtlicher Schutz der Ehre eingeführt,2 und § 11 Abs. 1 EGStPO 1877 bestimmte sodann, dass die Verfolgung von Beleidigungen nur noch nach den Vorschriften der StPO stattfindet. Das BGB verzichtete auf einen allgemeinen zivilrechtlichen Ehrenschutz. Zwar fanden die Strafrechtsvorschriften zum Schutz der Ehre als Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB mittelbar Eingang in das Zivilrecht, doch hat die im Gesetz zunächst allein vorgesehene Rechtsfolge – Ersatz des materiellen Schadens – für Verletzungen der Sozialehre nur geringe Bedeutung. Immerhin konnte der deliktische Schadensersatzanspruch aber Grundlage eines (eingeschränkten) Widerrufsanspruchs als Naturalrestitution (§ 249 Abs. 1 BGB) andauernder Ehrverletzung sein.3 Die im I. Entwurf des BGB noch vorgesehene Aufnahme der Ehrverletzung als eine von den Strafvorschriften unabhängige unerlaubte Handlung4 wurde von der II. Kommission abgelehnt, die den
_____
1 Zur „Frühgeschichte“ des Ehrenschutzes in Deutschland vgl. die ausführliche Darstellung von Weiske/ Mittermaier, Rechtslexikon, Bd. 5 (1841), S. 863 ff. („Injurien“); Wagner ZEuP 2000, 200, 201 ff. m.w.N. 2 Nach damals wohl h.M. führte dies zur Beseitigung der Injurienklage, so etwa Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. 2, 6. Aufl. (1887), § 472 S. 821 m.w.N. 3 Vgl. etwa RG 9.1.1905 – VI 104/04 – RGZ 60, 12, 15 ff.; RG 24.2.1915 – VI 463/15 – RGZ 88, 129, 133 (Widerruf darf aber keinen Strafcharakter haben). 4 § 704 Abs. 2 E I: „Hat jemand aus Vorsatz oder Fahrlässigkeit durch eine widerrechtliche Handlung das Recht eines Anderen verletzt, so ist er den durch die Rechtsverletzung dem Anderen verursachten Schaden
145
Toussaint
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
damit einhergehenden Schutz auch vor lediglich fahrlässigen Ehrverletzungen für zu weitgehend hielt und Missbrauch sowie erhebliche Gefährdung des Verkehrslebens befürchtete;5 ein letzter Versuch während des Gesetzgebungsverfahrens im Reichstag, die Ehre doch noch als geschütztes Rechtsgut in § 823 Abs. 1 BGB aufzunehmen, scheiterte.6 Die Ehre als „sonstiges Recht“ im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB deliktsrechtlich zu schützen, lehnte das Reichsgericht unter Hinweis auf die Gesetzgebungsgeschichte ab.7 Erst in der weiteren Entwicklung verband die Rechtsprechung die strafrechtlichen Schutzgesetze – in entsprechender Anwendung des Rechtsgedankens der §§ 12, 862, 1004 BGB – auch mit einem quasi-negatorischen und damit verschuldensunabhängigen Anspruch auf Unterlassung künftiger Verletzungen8 sowie auf Beseitigung der Folgen ehrverletzender Äußerungen durch deren Widerruf.9 Der verfassungsrechtliche Auftrag des GG, Würde und Persönlichkeit des Einzelnen besonders zu schützen (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG), führte schließlich zur Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als „sonstiges Recht“ im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB (vgl. hierzu im Übrigen Rn. 25),10 für dessen Verletzung – in endgültiger Abkehr von der Vorstellungswelt des 19. Jahrhunderts – auch eine vom materiellen Schaden unabhängige Geldentschädigung gewährt wird.11 Die Bedenken gegen eine Kommerzialisierung der allgemeinen (Sozial-)Ehre galten 2 von Anfang an nicht für die sog. Geschäftsehre als Grundlage erfolgreicher wirtschaftlicher Betätigung. Hier stand zunächst der Schutz vor Verleumdungen durch die Verbreitung unwahrer, der Geschäftsehre abträglicher Tatsachen im Vordergrund. Strafrechtlich erfolgt er durch § 187 StGB, der die (vorsätzliche) Behauptung oder Verbreitung wissentlich unwahrer, zur Kreditgefährdung geeigneter Tatsachen unter Strafe stellt. Ein besonderer wettbewerbsrechtlicher Schutz der Geschäftsehre vor solchen Verleumdungen (die meist als „Anschwärzung“ bezeichnet werden) wurde mit den §§ 6, 7 UWG 1896 geschaffen, die später in das UWG 1909 als §§ 14, 15 a.F. übernommen und ergänzt wurden. Der Gesetzgeber der Jahre 1895/96 hielt es für erforderlich, einen Schutz auch vor der Verbreitung solcher unwahrer Tatsachen zu gewähren, die zwar nicht zur Kreditgefährdung, wohl aber zur Schädigung des Betriebs des Gewerbetreibenden – insbesondere durch Beeinträchtigung des Absatzes – geeignet sind.12 Eine entsprechende, gegenüber § 187 StGB erweiterte Strafnorm wurde daher als § 7 UWG 1896 (später § 15 a.F.) in das Wettbewerbsrecht aufgenommen. Die – über die Fälle bewusster Unwahrheit hinausgreifende – Rechtsgrundlage für zivilrechtliche Ansprüche auf Schadensersatz und
_____ diesem zu ersetzen verpflichtet, auch wenn die Entstehung eines Schadens nicht vorauszusehen war. Als Verletzung eines Rechtes im Sinne der vorstehenden Vorschrift ist auch die Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit und der Ehre anzusehen.“ 5 Prot. II S. 573 f. = Mugdan Bd. II S. 1077. 6 Vgl. Protokolle der Reichstagskommission, Stenographische Berichte des Reichstags, Session 1895/1897, III. Anlagebd., S. 1985 (Aktenstück Nr. 440) = Mugdan Bd. II S. 1297. 7 RG 29.5.1902 – VI 50/02 – RGZ 51, 369, 373 ff. 8 Die ältere h.M., die strafrechtlichen Verfolgungsmöglichkeiten schlössen das Rechtsschutzbedürfnis für eine zivilrechtliche Unterlassungsklage aus, wurde aufgegeben von RG 15.2.1927 – II 317/26 – RGZ 116, 151. 9 RG 5.6.1935 – II 332/34 – RGZ 148, 114, 123; RG 6.3.1940 – VI 176/39 – RGZ 163, 210, 214 f. 10 Grundlegend BGH 25.5.1954 – I ZR 211/53 – BGHZ 13, 334, 338 = GRUR 1955, 197, 198 – Leserbriefe; seither stRspr; anders früher ausdrücklich RG 7.11.1908 – I 638/07 – RGZ 69, 401, 403 – Nietzsche-Briefe („Ein allgemeines subjektives Persönlichkeitsrecht ist dem geltenden bürgerlichen Recht fremd.“). 11 Grundlegend BGH 14.2.1958 – I ZR 151/56 – BGHZ 26, 349 = GRUR 1958, 408 – Herrenreiter; seither stRspr. 12 Stenographische Berichte des Reichstags, Session 1895/1897, I. Anlagebd. S. 105 f. (Aktenstück Nr. 35) = Lobe Die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs, Bd. 3 (1907), S. 63 f.
Toussaint
146
Geschäftsehrverletzung – Nr. 1
§4
Unterlassung enthielt § 6 UWG 1896 (später § 14 a.F.). Letztgenannte Regelung war im Hinblick auf den seinerzeit noch nicht abschließend festgelegten Umfang des zivilrechtlichen Ehrenschutzes im BGB von vornherein als wettbewerbsrechtliche Sondervorschrift konzipiert, deren Geltung auch neben künftigen allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften zum Schutz der Ehre gewährleistet sein sollte.13 In das BGB wurde zum Schutz der Geschäftsehre vor einer Kreditgefährdung durch Behauptung oder Verbreitung unwahrer Tatsachen schließlich die deliktische Sondervorschrift des heutigen § 824 BGB aufgenommen. Dies geschah auf Vorschlag der II. Kommission als Konsequenz der Ablehnung des im I. Entwurf noch vorgesehenen allgemeinen Ehrenschutzes durch § 823 Abs. 1 BGB (vgl. Rn. 1) und – wie bei § 6 UWG 1896 – in dem Bestreben, auch einen Schutz vor lediglich fahrlässiger Kreditgefährdung zu gewähren.14 Die zum Schutz der Geschäftsehre erlassenen wettbewerbsrechtlichen und zivilrechtlichen Vorschriften schützen indessen nur vor der Behauptung oder Verbreitung von wahrheitswidrigen bzw. nicht erweislich wahren Tatsachen. Nicht erfasst ist eine Beleidigung oder üble Nachrede durch die Verbreitung wahrer Tatsachen oder von Werturteilen. In der weiteren Entwicklung der Rechtsprechung wurden aber auch solche (i.d.R. als Fallgruppe so bezeichnete) Geschäftsehrverletzungen – als Anwendungsfall der Generalklausel des § 1 a.F. – für wettbewerbswidrig gehalten.15 Außerdem hat die Rechtsprechung diese Fälle auch in den allgemeinen deliktischen Schutz des „Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs“ einbezogen.16 Der Gesetzgeber hat sich der geschäftsehrverletzenden Beleidigung und üblen Nach- 3 rede zunächst für den Bereich der vergleichenden Werbung angenommen. Für diesen wurde im UWG 2000 zur Umsetzung der (durch die RL Vergleichende Werbung 1997 geänderten) IrreführungsRL 1997 (inzwischen neugefasst als IrreführungsRL 2006) mit § 2 Abs. 2 Nr. 5 a.F. (jetzt § 6 Abs. 2 Nr. 5) geregelt, dass eine solche vergleichende Werbung gegen die guten Sitten im Sinne der alten Generalklausel verstößt bzw. – in der jetzigen Fassung – unlauter ist, wenn der Vergleich die Waren, Dienstleistungen, Tätigkeiten oder persönlichen oder geschäftlichen Verhältnisse eines Mitbewerbers herabsetzt oder verunglimpft. In ihrem Vorschlag von 2002 für eine Richtlinie zum Lauterkeitsrecht und eine UWG-Reform regten Mitglieder der Arbeitsgruppe Unlauterer Wettbewerb beim Bundesministerium der Justiz (Köhler, Bornkamm, Henning-Bodewig) an, die Geschäftsehrverletzung in Anlehnung an den Wortlaut dieser Regelung – und unter Einbeziehung der (für vergleichende Werbung in § 2 Abs. 2 Nr. 4 a.F./§ 6 Abs. 2 Nr. 5 geregelten) Herabsetzung oder Verunglimpfung von Kennzeichen – insgesamt neu (und nunmehr als gesetzliches Regelbeispiel einer unlauteren Handlung) zu regeln.17 Dem folgte der Gesetzgeber des UWG 2004 mit der zunächst in § 4 Nr. 7 enthaltenen Regelung, behielt aber die frühere Regelung der Anschwärzung in § 14 a.F. zunächst als § 4 Nr. 8 bei (zur Abgrenzung vgl. Rn. 16). Die frühere Strafvorschrift des § 15 a.F. wurde in das UWG 2004 nicht mehr übernommen, weil für sie neben § 187 StGB kein nennenswerter eigener Anwendungsbereich gesehen wurde.18 Seither ist die Regelung inhaltlich unverändert geblieben; die mit der Beschränkung des Inhalts des § 4 auf Regelungen zum Mitbewerberschutz im UWG 2015 (Rn. 5) verbundene Streichung bzw. Verschiebung der früher in § 4
_____
13 Stenographische Berichte des Reichstags, Session 1895/1897, I. Anlagebd. S. 106 (Aktenstück Nr. 35) = Lobe, Die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs, Bd. 3 (1907), S. 66. 14 Vgl. Prot. II S. 637 f. = Mugdan Bd. II S. 1117 f. 15 Vgl. nur BGH 25.4.2002 – I ZR 272/99 – GRUR 2002, 982, 983 f. – DIE „STEINZEIT“ IST VORBEI!; Erstauflage-GK/Brandner/Bergmann § 1 Rn. A 100 ff., jeweils m.w.N. 16 Grundlegend BGH 26.10.1951 – I ZR 8/51 – BGHZ 3, 270, 280 = GRUR 1952, 410, 414 – Constanze I. 17 Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig WRP 2002, 1317, 1319, 1326. 18 Vgl. Begr. des RegE vom 22.8.2003, BTDrucks. 15/1487, S. 15.
147
Toussaint
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
Nr. 1–6, 9–11 enthaltenen Regelbeispiele unlauterer Handlungen hat lediglich dazu geführt, dass die bisherigen Nr. 7, 8 zu § 4 Nr. 1, 2 geworden sind.19 Geändert hat das UWG 2008 aber § 3, so dass sich auch § 4 Nr. 1 nicht mehr auf „Wettbewerbshandlungen“, sondern seither auf „geschäftliche Handlungen“ bezieht. II. Inhalt und Zweck der Regelung § 4 Nr. 1 füllt den Unlauterkeitsbegriff des § 3 Abs. 1 dahingehend aus, dass die Herabsetzung oder Verunglimpfung eines Mitbewerbers hinsichtlich seiner Kennzeichen, Waren, Dienstleistungen, Tätigkeiten oder persönlichen oder geschäftlichen Verhältnisse unlauter ist. Die Regelung betrifft die im Rahmen der früheren Generalklausel des § 1 a.F. meist als sog. Geschäftsehrverletzung bezeichneten Fälle.20 Ihr Tatbestand ist die sachlich nicht gerechtfertigte Verringerung der Wertschätzung oder gar Verächtlichmachung des Mitbewerbers in Bezug auf die genannten Umstände (zu den Begriffen „Herabsetzung“ und „Verunglimpfung“ im Einzelnen vgl. Rn. 47 ff.). Erfasst wird damit vor allem die sog. Schmähkritik,21 bei der nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Dies wird meist durch die Äußerung von Werturteilen erfolgen, kann aber ebenso durch die Verbreitung (wahrer wie unwahrer) Tatsachen geschehen (vgl. hierzu Rn. 54 ff. und zur Abgrenzung zwischen § 4 Nr. 1 und Nr. 2 Rn. 16). Der Tatbestand ähnelt daher der Beleidigung (§ 185 StGB) und der üblen Nachrede (§ 186 StGB) im strafrechtlichen Sinne (während § 4 Nr. 2 einen verleumdungsähnlichen Tatbestand, vgl. § 187 StGB, regelt). Die Vorschrift bezweckt – wie auch die mit dem UWG 2015 neugefasste Überschrift 5 des § 4 verdeutlicht – in erster Linie den Schutz des Individualinteresses des Mitbewerbers22 an der Erhaltung seiner Geschäftsehre (als Ausschnitt des heute anerkannten, insoweit teilkodifizierten allgemeinen Persönlichkeitsrechts, vgl. Rn. 1 a.E.),23 insbesondere seiner äußeren Ehre, seinem Geschäftsruf. Dabei geht es nicht um die soziale Anerkennung des Mitbewerbers, sondern um sein wirtschaftliches Interesse, nicht durch eine geschäftsschädigende Ansehensminderung in der Teilnahme am Wettbewerb benachteiligt zu werden.24 Es geht daher auch nicht um die Beeinträchtigung eines besonderen „guten Rufs“ des Wettbewerbers,25 sondern allein um eine Beeinträchtigung seiner Chancen im Wettbewerb. Wie das Lauterkeitsrecht insgesamt (§ 1 S. 2) schützt die Vorschrift daneben aber auch das Interesse der Allgemeinheit an einem – nicht durch die ungerechtfertigte Ausgrenzung einzelner Wettbewerbsteilnehmer beeinflussten – unverfälschten Leistungswettbewerb. Dagegen dient sie nicht dem Schutz der Verbraucherin-
4
_____
19 Vgl. BGH 17.11.2015 – I ZR 219/13 – GRUR-RR 2016, 410 Tz. 81 – Dr. Estrich; BGH 31.3.2016 – I ZR 160/14 – GRUR 2016, 710 Tz. 35 – Im Immobiliensumpf. 20 Vgl. Begr. des RefE (Stand 23.1.2003), GRUR 2003, 298, 306, und des RegE vom 22.8.2003, BTDrucks. 15/1487, S. 18. 21 Begr. des RefE (Stand 23.1.2003), GRUR 2003, 298, 306, und des RegE vom 22.8.2003, BTDrucks. 15/ 1487, S. 18. 22 Allg. M., vgl. etwa BGH 19.5.2011 – I ZR 147/09 – GRUR 2012, 74 Tz. 28 – Coaching-Newsletter; Fezer/ Büscher/Obergfell/Nordemann § 4 Nr. 1 Rn. 4; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 1.2; Ohly/Sosnitza § 4.1 Rn. 1/1. 23 Fezer/Büscher/Obergfell/Nordemann § 4 Nr. 1 Rn. 5. 24 Dies von der „Geschäftsehre“ unterscheiden zu wollen, so etwa BGH 12.12.2013 – I ZR 131/12 – GRUR 2014, 601 Tz. 24 – englischsprachige Pressemitteilung; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 1.2, dürfte eine rein begriffliche Frage sein. 25 Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 1.2.
Toussaint
148
Geschäftsehrverletzung – Nr. 1
§4
teressen,26 auch wenn die Vorschrift auf das Interesse des Verbrauchers an einem Schutz vor unsachlicher Beeinflussung ausstrahlen mag.27 III. Verhältnis zu Art. 5 Abs. 1 GG 1. Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. Der gesetzliche Schutz vor Herabsetzun- 6 gen oder Verunglimpfungen tritt in ein Spannungsverhältnis zu der grundrechtlich verbürgten Meinungsfreiheit. Nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG hat jeder das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. „Meinung“ i.S.d. Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG ist weit zu verstehen; sie wird nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens, des Meinens im Rahmen einer geistigen Auseinandersetzung gekennzeichnet.28 Auf den Wert, die Richtigkeit oder die Vernünftigkeit der Äußerung kommt es für das Eingreifen des grundrechtlichen Schutzes nicht an; auch unsachliche, überzogene, polemische oder gar schmähende Meinungsäußerungen fallen daher in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG.29 Der Mitteilung einer Tatsache fehlen die eine Meinungsäußerung charakterisierenden Merkmale. Tatsachenbehauptungen unterscheiden sich von Meinungsäußerungen dadurch, dass sie anders als diese nicht durch die subjektive Beziehung des Einzelnen zum Inhalt seiner Aussage geprägt sind, sondern durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Realität.30 Eine Tatsachenbehauptung liegt vor, wenn die Aussage einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit Mitteln des Beweises zugänglich ist.31 Da das Grundrecht auf Meinungsfreiheit nicht allein die Verbreitung von Meinungen, sondern als Kommunikationsgrundrecht den Meinungsbildungsprozess insgesamt schützt, fallen aber auch solche Tatsachenbehauptungen in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG, die meinungsbezogen sind und damit zur Meinungsbildung beitragen können.32 Über welches Medium in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG fallende Äußerun- 7 gen verbreitet werden, ist unerheblich. Auch die Zulässigkeit von Meinungsäußerungen in Publikationen, die dem von Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG gewährleisteten Schutz der Pressefreiheit (die im Wesentlichen die Institution der freien Presse schützt) unterfallen, ist daher am allgemeinen Maßstab des Grundrechts der Meinungsfreiheit zu messen.33 Dem
_____
26 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 1.2. 27 Vgl. Fezer/Büscher/Obergfell/Nordemann § 4 Nr. 1 Rn. 4; Köhler GRUR 2008, 841, 845. 28 BVerfG 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79 – BVerfGE 61, 1, 9 = NJW 1983, 1415 f.; BVerfG 19.11.1985 – 1 BvR 934/82 – BVerfGE 71, 162, 175 = NJW 1986, 1533, 1535; BVerfG 4.11.2009 – 1 BvR 2150/08 – BVerfGE 124, 300 = NJW 2010, 47 Tz. 49 – Wunsiedel m.w.N. 29 Vgl. etwa BVerfG 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91 u.a. – BVerfGE 93, 266, 289, 294 = NJW 1995, 3303 – „Soldaten sind Mörder“; BVerfG 5.12.2008 – 1 BvR 1318/07 – NJW 2009, 749 Tz. 11 m.w.N. 30 BVerfG 13.4.1994 – 1 BvR 23/94 – BVerfGE 90, 241, 247 = NJW 1994, 1779; BGH 24.1.2006 – XI ZR 384/03 – BGHZ 166, 84 = NJW 2006, 830 Tz. 63 – Kirch/Deutsche Bank AG, jeweils m.w.N. 31 BGH 22.4.2008 – VI ZR 83/07 – BGHZ 176, 175 = WRP 2008, 1114 Tz. 17; BGH 17.11.2009 – VI ZR 226/08 – GRUR 2010, 458 Tz. 15 – Heute wird offen gelogen, BGH 17.11.2015 – I ZR 219/13 – GRUR-RR 2016, 410 Tz. 28 – Dr. Estrich; BGH 31.3.2016 – I ZR 160/14 – GRUR 2016, 710 Tz. 23 – Im Immobiliensumpf, jeweils m.w.N. 32 BVerfG 25.6.2009 – 1 BvR 134/03 – NJW-RR 2010, 470 Tz. 58 – Pressespiegel; BGH 3.2.2009 – VI ZR 36/07 – WRP 2009, 631 Tz. 11; BGH 22.9.2009 – VI ZR 19/08 – WRP 2009, 1540 Tz. 11; BGH 1.3.2018 – I ZR 264/16 – GRUR 2018, 622 Tz. 28 – Verkürzter Versorgungsweg II, jeweils m.w.N. Reine Tatsachenmitteilungen, die mit Meinungsbildung nichts zu tun haben, sind z.B. Angaben im Rahmen statistischer Erhebungen, BVerfG 15.12.1983 – 1 BvR 209/83 – BVerfGE 65, 1, 41 = NJW 1984, 419, 421 – Volkszählung. 33 BVerfG 9.10.1991 – 1 BvR 1555/88 – BVerfGE 85, 1, 11 f. = NJW 1992, 1439, 1440 – kritische BayerAktionäre m.w.N. (unter Relativierung älterer Entscheidungen, nach denen die grundgesetzlich gewährleistete Pressefreiheit zugleich das subjektive öffentliche Recht der im Pressewesen tätigen
149
Toussaint
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
Schutz von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG unterliegen auch Meinungsäußerungen in einem kommerziellen Kontext und Wirtschaftswerbung, die einen wertenden, auf Meinungsbildung gerichteten Inhalt hat.34 2. § 4 Nr. 1 als gesetzliche Schranke der Meinungsfreiheit. Das hat freilich nicht zur Folge, dass jede Herabsetzung oder Verunglimpfung deshalb hinzunehmen wäre, weil sie durch eine dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG unterliegende Meinungsäußerung oder zur Meinungsbildung beitragende Tatsachenbehauptung vorgenommen wurde. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist nicht schrankenlos gewährt. Gem. Art. 5 Abs. 2 GG findet es seine Schranken in den allgemeinen Gesetzen, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und im Recht der persönlichen Ehre. Eine Grundrechtseinschränkung durch das Recht der persönlichen Ehre setzt nach allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsätzen dessen gesetzliche Konkretisierung voraus, wie sie insbesondere durch die straf- und zivilrechtlichen Vorschriften zum Schutz der Ehre erfolgt ist.35 Zu den das Grundrecht auf Meinungsfreiheit einschränkenden allgemeinen Gesetzen (zum Begriff vgl. Art. 19 Abs. 1 GG)36 gehören auch die die Lauterkeitsregelungen des UWG37 und namentlich § 4 Nr. 1.38 Die grundrechtlich garantierte Meinungsfreiheit endet mithin dort, wo eine Herabsetzung oder Verunglimpfung i.S.d. § 4 Nr. 1 beginnt. Allerdings kommt auch auf der Grundlage eines allgemeinen Gesetzes i.S.d. Art. 5 9 Abs. 2 GG keine beliebige Einschränkung der Meinungsfreiheit in Betracht. Vielmehr müssen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die allgemeinen Gesetze in ihrer die Grundrechte beschränkenden Wirkung ihrerseits im Lichte der Bedeutung der Grundrechte gesehen und so ausgelegt und angewendet werden, dass der besondere Wertgehalt der Grundrechte auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt.39 Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG ist dabei auf drei Ebenen zu beachten, nämlich bei der Deutung des objektiven Sinngehalts der Äußerung, bei der Auslegung des einschränkenden
8
_____
Personen einschließe, ihre Meinung in der ihnen geeignet erscheinenden Form ebenso frei und ungehindert zu äußern wie jeder andere Bürger, BVerfG 6.10.1959 – 1 BvL 118/53 – BVerfGE 10, 118, 121 = NJW 1960, 29; BVerfG 15.11.1982 – 1 BvR 108, 437, 438/80 u.a. – BVerfGE 62, 230, 243 = NJW 1983, 1181); BVerfG 25.6.2009 – 1 BvR 134/03 – NJW-RR 2010, 470 Tz. 59 – Pressespiegel m.w.N.). 34 Vgl. nur BVerfG 12.7.2007 – 1 BvR 2041/02 – GRUR 2008, 81 – Pharmakartell; BGH 19.5.2011 – I ZR 147/09 – GRUR 2012, 74 Tz. 27 – Coaching-Newsletter; BGH 1.3.2018 – I ZR 264/16 – GRUR 2018, 622 Tz. 28 – Verkürzter Versorgungsweg II, jeweils m.w.N. 35 BVerfG 14.3.1972 – 2 BvR 41/71 – BVerfGE 33, 1, 16 = NJW 1972, 811, 813. Das Recht der persönlichen Ehre hat daher in der Rspr. des BVerfG neben den ehrschützenden allgemeinen Gesetzen keine eigenständige Bedeutung erlangt, vgl. etwa BVerfG 30.9.2003 – 1 BvR 865/00 – NJW 2004, 590, 591; BVerfG 15.12.2004 – 2 BvR 2219/01 – NJW 2005, 1341, 1342; BVerfG 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98 – BVerfGE 114, 339 = WRP 2006, 61 Tz. 29 – Stolpe; BVerfG 25.6.2009 – 1 BvR 134/03 – NJW-RR 2010, 470 Tz. 60 – Pressespiegel; BVerfG 4.11.2009 – 1 BvR 2150/08 – BVerfGE 124, 300 = NJW 2010, 47 Tz. 62 ff. – Wunsiedel; BVerfG 9.3.2010 – 1 BvR 1891/05 – NJW-RR 2010, 1195 Tz. 27. 36 Vgl. hierzu insbes. BVerfG 4.11.2009 – 1 BvR 2150/08 – BVerfGE 124, 300 = NJW 2010, 47 – Wunsiedel. 37 BVerfG 15.11.1982 – 1 BvR 108, 437, 438/80 u.a. – BVerfGE 62, 230, 245 = NJW 1983, 1181, 1182; BVerfG 11.2.1992 – 1 BvR 1531/90 – BVerfGE 85, 248, 263 = NJW 1992, 2341, 2343; BVerfG 12.12.2000 – 1 BvR 1762/95, 1 BvR 1787/95 – BVerfGE 102, 347, 360 = GRUR 2001, 170, 173 – Benetton-Werbung I; BVerfG 1.8.2001 – 1 BvR 1188/92 – GRUR 2001, 1058, 1059 – Therapeutische Äquivalenz; BVerfG 11.3.2004 – 1 BvR 517/99, 1 BvR 313/99 – NJW 2004, 1855, 1856, 1857 – Auto-Bild. 38 BGH 19.5.2011 – I ZR 147/09 – GRUR 2012, 74 Tz. 32 – Coaching-Newsletter; BGH 17.11.2015 – I ZR 219/13 – GRUR-RR 2016, 410 Tz. 31 – Dr. Estrich; BGH 1.3.2018 – I ZR 264/16 – GRUR 2018, 622 Tz. 31 – Verkürzter Versorgungsweg II, jeweils m.w.N.; vgl. auch BVerfG 12.7.2007 – 1 BvR 2041/02 – GRUR 2008, 81, 82 – Pharmakartell (noch zu § 1 a.F. und der dort anerkannten Fallgruppe der Geschäftsehrverletzung). 39 Grundlegend BVerfG 15.1.1958 – 1 BvR 400/51 – BVerfGE 7, 198, 206 ff. = GRUR 1958, 254, 256 – Lüth, seither stRspr, vgl. nur BVerfG 12.7.2007 – 1 BvR 2041/02 – GRUR 2008, 81, 82 – Pharmakartell m.w.N.
Toussaint
150
Geschäftsehrverletzung – Nr. 1
§4
Gesetzes und schließlich bei dessen Anwendung. Bei der Deutung der Äußerung ist ihr objektiver Sinngehalt unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums zu ermitteln; bei Mehrdeutigkeit darf der Äußerung nur dann ein gegen das einschränkende Gesetz verstoßender Sinn beigemessen werden, wenn alle anderen, nicht gesetzesverletzende Auslegungsmöglichkeiten mit tragfähigen Gründen ausgeschlossen sind.40 Auf der Ebene der Normauslegung bedarf es bei der (abstrakten) Auslegung der Tatbestandsmerkmale des einschränkenden Gesetzes einer Abwägung zwischen der Bedeutung des Rechts auf freie Meinungsäußerung einerseits und dem Schutzgut des beschränkenden Gesetzes andererseits; insbesondere muss die Einschränkung der Meinungsfreiheit für den durch das beschränkende Gesetz erstrebten Schutz geeignet und erforderlich sein und der mit der Einschränkung erreichte Erfolg in einem angemessenen Verhältnis zu den Beeinträchtigungen durch die Einschränkung der Meinungsfreiheit stehen.41 Bei der Normanwendung auf den Einzelfall schließlich bedarf es einer fallbezogenen Abwägung zwischen dem durch das allgemeine Gesetz beschränkten Grundrecht und dem Schutzgut des beschränkenden allgemeinen Gesetzes.42 Da das Recht auf freie Meinungsäußerung für eine freiheitliche demokratische Staatsordnung unverzichtbar ist, ist seine Einschränkung nur durch hinreichend gewichtige Gemeinwohlbelange oder schutzwürdige Rechte und Interessen Dritter gerechtfertigt.43 Je intensiver und nachhaltiger in die Grundrechtssphäre des Betroffenen eingegriffen wird, desto strengere Anforderungen sind dabei an die Begründung dieses Eingriffs zu stellen.44 Für die Anwendung des § 4 Nr. 1 bedeutet dies: Zunächst ist im Lichte von Art. 5 10 Abs. 1 GG zu prüfen, ob eine bestimmte Verhaltensweise überhaupt (allein) am Maßstab des Lauterkeitsrecht gemessen werden kann; dies geschieht bei der Prüfung, ob die Verhaltensweise als (verfassungskonform auszulegende) „geschäftliche Handlung“ i.S.d. §§ 3 Abs. 1, 2 Abs. 1 Nr. 1 zu beurteilen ist (hierzu näher Rn. 33 ff.). Ist dies zu bejahen, verlangt Art. 5 Abs. 1 S. 1 eine unvoreingenommene und verständige Ermittlung des objektiven Sinngehalts der Verhaltensweise im Hinblick darauf, ob sie tatsächlich eine Herabsetzung eines Mitbewerbers enthält (vgl. etwa zu ironischen Werbeaussagen Rn. 62 f.). Bei der Auslegung der in § 4 Nr. 1 enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe („Herabsetzung“ bzw. „Verunglimpfung“) ist zu prüfen, welche Einschränkungen der Äußerungsfreiheit im Interesse der in § 1 genannten Schutzgüter – der Leistungswettbewerb45 und nunmehr auch der Verbraucherschutz, der allerdings für § 4 Nr. 1 nur von untergeordneter Bedeutung ist – geeignet, erforderlich und angemessen ist (vgl. hierzu Rn. 48). Schließlich ist bei der Subsumtion der konkreten Verhaltensweise unter den
_____
40 BVerfG 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91 u.a. – BVerfGE 93, 266, 295 f. = NJW 1995, 3303, 3305 – „Soldaten sind Mörder“; BVerfG 4.2.2010 – 1 BvR 369/04 u.a. – NJW 2010, 2193 Tz. 28 m.w.N. 41 BVerfG 19.11.1985 – 1 BvR 934/82 – BVerfGE 71, 162, 181 = NJW 1986, 1533, 1536 – Autobiographie eines Chefarztes m.w.N.; BVerfG 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91 u.a. – BVerfGE 93, 266, 292 = NJW 1995, 3303, 3304 – „Soldaten sind Mörder“. 42 BVerfG 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91 u.a. – BVerfGE 93, 266, 293 = NJW 1995, 3303, 3304 – „Soldaten sind Mörder“. 43 StRspr, vgl. nur BVerfG 11.3.2003 – 1 BvR 426/02 – BVerfGE 107, 275, 281 = GRUR 2003, 442 – Benetton-Werbung II m.w.N. 44 StRspr, vgl. nur BVerfG 12.7.2007 – 1 BvR 2041/02 – GRUR 2008, 81, 82 – Pharmakartell m.w.N. 45 Vgl. hierzu BVerfG 1.8.2001 – 1 BvR 1188/92 – GRUR 2001, 1058, 1059 f. – Therapeutische Äquivalenz; BVerfG 6.2.2002 – 1 BvR 952/90, 1 BvR 2151/96 – GRUR 2002, 455 f. – Tier- und Artenschutz; BVerfG 7.11.2002 – 1 BvR 580/02 – WRP 2003, 69, 70 – JUVE-Handbuch II; BVerfG 12.7.2007 – 1 BvR 2041/02 – GRUR 2008, 81, 82 f. – Pharmakartell.
151
Toussaint
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
Tatbestand des § 4 Nr. 1 eine Abwägung zwischen den gesetzlich und verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern der Betroffenen vorzunehmen (vgl. hierzu Rn. 54 ff.). 11
3. Keine Verdrängung durch die EU-Grundrechtecharta. Der Maßstab des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG wird bei Anwendung und Auslegung von § 4 Nr. 1 nicht von den Regelungen der – gem. ihrem Art. 51 S. 1 für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union geltenden – EU-Grundrechtscharta, namentlich der Gewährleistung des Rechts auf freie Meinungsäußerung in ihrem Art. 11 Abs. 1, verdrängt.46 Zwar ist EU-Recht grundsätzlich nicht am Maßstab der Grundrechte des GG zu überprüfen, was auch nationales Recht einschließt, das zwingend dem Unionsrecht folgt.47 Solches der Umsetzung sekundären Unionsrechts dienendes nationales Recht unterliegt ebenso wie jenes dem auf EU-Rechtsebene durch die EU-Grundrechtecharta gewährleisteten Grundrechtsschutz. § 4 Nr. 1 dient indessen, worauf anschließend einzugehen sein wird, nicht der Umsetzung von Unionsrecht. IV. Verhältnis zum EU-Recht
Wie bereits ausgeführt wurde, übernimmt § 4 Nr. 1 weitgehend den Wortlaut des zur Umsetzung der RL Vergleichende Werbung 1997 geschaffenen § 2 Abs. 2 Nr. 5 a.F./§ 6 Abs. 2 Nr. 5 und schließt auch die in § 2 Abs. 2 Nr. 4 a.F./§ 6 Abs. 2 Nr. 4 geregelte Rufbeeinträchtigung eines Kennzeichens ein (s.o. Rn. 3; zum Verhältnis zwischen § 6 Abs. 2 Nr. 4, 5 und § 4 Nr. 1 vgl. Rn. 14 f.). Mit der IrreführungsRL 1997/2006 ist für die Bedingungen, unter denen vergleichende Werbung in den Mitgliedstaaten zulässig ist, eine Vollharmonisierung erfolgt.48 Während § 6 Abs. 2 Nr. 4 und 5 damit richtlinienkonform auszulegen sind, gilt dies – ungeachtet des weitgehend identischen Wortlauts – nicht für § 4 Nr. 1, dessen Regelung den von der Richtlinie erfassten Bereich nicht berührt.49 Allerdings erscheint es – unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgebots50 und des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung – wenig sinnvoll, § 6 Abs. 2 Nr. 4 und 5 einerseits und § 4 Nr. 1 andererseits trotz übereinstimmenden Wortlauts unterschiedlich auszulegen.51 Insbesondere kann eine Äußerung, die nach § 6 Abs. 2 Nr. 4, 5 zulässig wäre, nicht nach § 4 Nr. 1 als unlauter beurteilt werden.52 Die UGPRL hat für die Auslegung des § 4 Nr. 1 (und auch des § 4 Nr. 2) im Grundsatz 13 keine Bedeutung.53 Da die Richtlinie nur unlautere Geschäftspraktiken zwischen Unter-
12
_____
46 BGH 19.5.2011 – I ZR 147/09 – GRUR 2012, 74 Tz. 28 – Coaching-Newsletter; BGH 17.11.2015 – I ZR 219/13 – GRUR-RR 2016, 410 Tz. 26 – Dr. Estrich; BGH 31.3.2016 – I ZR 160/14 – GRUR 2016, 710 Tz. 46 – Im Immobiliensumpf; BGH 1.3.2018 – I ZR 264/16 – GRUR 2018, 622 Tz. 19 – Verkürzter Versorgungsweg II. 47 BVerfG 27.7.2004 – 1 BvR 1270/04 – NVwZ 2004, 1346 f. m.w.N.; BVerfG 3.1.2007 – 1 BvR 1936/05 – GRUR 2007, 1064 Tz. 20 – AnyDVD; BGH 14.10.2010 – I ZR 191/08 – BGHZ 187, 240 = GRUR 2011, 513 Tz. 20 – AnyDVD m.w.N. 48 EuGH 8.4.2003 – C-44/01 – Slg. 2003, I-3095 = GRUR 2003, 533 Tz. 43 f. – Pippig Augenoptik. 49 Harte/Hennig/Omsels § 4 Nr. 1 Rn. 7; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 1.2; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 7 Rn. 6; Ohly/Sosnitza § 4.1 Rn. 1/2. Vgl. zum Problem allgemein auch etwa Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 288 AEUV Rn. 131. 50 Vgl. hierzu BGH 9.4.2002 – XI ZR 91/99 – BGHZ 150, 248, 261 = NJW 2002, 1881, 1884 – Heininger. 51 Fezer/Büscher/Obergfell/Nordemann § 4 Nr. 1 Rn. 12; Harte/Hennig/Omsels § 4 Nr. 1 Rn. 7; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 1.7; Ohly/Sosnitza § 4.1 Rn. 1/2; Bärenfänger WRP 2011, 160, 168; a.A. wohl MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 7 Rn. 6. 52 Fezer/Büscher/Obergfell/Nordemann § 4 Nr. 1 Rn. 12; Harte/Hennig/Omsels § 4 Nr. 1 Rn. 7; juris-PK/ Müller-Bidinger § 4 Nr. 1 Rn. 6. 53 BGH 19.5.2011 – I ZR 147/09 – GRUR 2012, 74 Tz. 28 – Coaching-Newsletter; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 7 Rn. 12a; Köhler GRUR 2008, 841, 845; ausführlich Gloy/Loschelder/Erdmann/Hasselblatt § 54 Rn. 9 ff.
Toussaint
152
Geschäftsehrverletzung – Nr. 1
§4
nehmen und Verbrauchern betrifft, § 4 aber seit dem UWG 2015 nur noch Verhaltensweisen zwischen Mitbewerbern erfasst und auch nicht dem Schutz der Verbraucher dient,54 wird der durch die UGPRL vollharmonisierte Bereich nicht tangiert. Auch soweit ein von § 4 Nr. 1 erfasstes Verhalten sich mittelbar als eine – in den Regelungsbereich der UGPRL fallende – unsachliche Beeinflussung des Verbrauchers i.S.d. § 4 Nr. 1 auswirkt, bleibt dies daher für die Anwendung des § 4 Nr. 1 im Verhältnis zwischen den Mitbewerbern regelmäßig bedeutungslos. Wird allerdings die Unlauterkeit nach § 4 Nr. 1 gerade mit einer solchen unsachlichen Beeinflussung des Verbrauchers begründet, werden auch die Wertmaßstäbe der UGPRL zu berücksichtigen sein.55 V. Abgrenzung zu anderen Tatbeständen 1. Vorschriften des UWG a) § 6 Abs. 2 Nr. 4, 5 (rufbeeinträchtigende, herabsetzende oder verunglimp- 14 fende vergleichende Werbung). Für den Bereich der vergleichenden Werbung enthält § 6 Abs. 2 Nr. 5 einen mit § 4 Nr. 1 weitgehend wortgleichen Unlauterkeitstatbestand; die dort nicht genannte, aber von § 4 Nr. 1 geregelte Beeinträchtigung des Kennzeichens eines Mitbewerbers findet sich in § 6 Abs. 2 Nr. 4 (zur „Abstammung“ des § 4 Nr. 1 von § 6 Abs. 2 Nr. 4, 5 vgl. Rn. 3). Die beiden Vorschriften enthalten, weil sie den besonderen Fall der vergleichenden Werbung und im Übrigen damit eine durch die RL Vergleichende Werbung 1997 vollständig harmonisierte Materie betreffen, gegenüber § 4 Nr. 1 speziellere Regelungen, haben daher gegenüber § 4 Nr. 1 Vorrang und sperren dessen Anwendung in ihrem Regelungsbereich.56 § 4 Nr. 1 kann folglich nur für Herabsetzungen oder Verunglimpfungen Anwendung 15 finden, die nicht im Rahmen einer vergleichenden Werbung erfolgen. Nach der Legaldefinition des § 6 Abs. 1 ist vergleichende Werbung jede Werbung, die unmittelbar oder mittelbar einen Mitbewerber oder die von einem Mitbewerber angebotenen Waren oder Dienstleistungen erkennbar macht. Zu einem solchen Erkennbarmachen des Mitbewerbers bzw. dessen Waren oder Dienstleistungen hinzukommen muss darüber hinaus ein Vergleich der von dem Mitbewerber angebotenen, hinreichend austauschbaren Waren oder Dienstleistungen.57 Ob auch ein Vergleich mit Eigenschaften und Verhältnissen des Mitbewerbers (sog. unternehmensbezogene oder persönlich vergleichende Werbung) ausreicht, ist str. (vgl. hierzu § 6 Rn. 345 ff. m.w.N.). Für den Anwendungsbereich des § 4 Nr. 1 bleiben damit zunächst einmal alle Herabsetzungen und Verunglimpfungen, die schon keine Werbung i.S.d. § 6 Abs. 1 sind, also nicht die Anforderungen der Definition in Art. 2 lit. a IrreführungsRL 2006 („jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und
_____
54 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zum Entwurf der Bundesregierung eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, BTDrucks. 18/6571, S. 14. 55 Köhler WRP 2012, 638, 645. 56 Allg.M., vgl. nur BGH 19.5.2011 – I ZR 147/09 – GRUR 2012, 74 Tz. 17 – Coaching-Newsletter; BGH 17.11.2015 – I ZR 219/13 – GRUR-RR 2016, 410 Tz. 18 – Dr. Estrich; BGH 24.1.2019 – I ZR 200/17 – GRUR 2019, 631 Tz. 55 – Das beste Netz; BGH 7.3.2019 – I ZR 254/16 – GRUR 2019, 644 Tz. 13 – Knochenzement III; Fezer/Büscher/Obergfell/Nordemann § 4 Nr. 1 Rn. 15; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 11 Rn. 1.7; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 7 Rn. 5. 57 Vgl. klarstellend BGH 19.5.2011 – I ZR 147/09 – GRUR 2012, 74 Tz. 18 – Coaching-Newsletter m.w.N.; § 6 Rn. 255 ff. m.w.N. zu dem diesbezüglich jedenfalls in der Vergangenheit bestehenden Meinungsstreit.
153
Toussaint
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
Verpflichtungen, zu fördern“) erfüllen. Weiter bleiben für § 4 Nr. 1 (auch werbende) Äußerungen, die keinen bestimmten Mitbewerber (bzw. dessen Waren oder Dienstleistungen) erkennbar machen. Ein solcher Fall liegt vor allem bei der kollektiven Herabsetzung oder Verunglimpfung von Mitbewerbern vor (z.B. wenn in einer Werbung pauschal allen Mitbewerbern irreführende Preiswerbung vorgeworfen wird; zur Anwendbarkeit des § 4 Nr. 1 s. Rn. 46).58 Schließlich fallen unter § 4 Nr. 1 Äußerungen, die sich zwar auf einen bestimmten Mitbewerber beziehen, die aber keinen Vergleich mit eigenen Waren oder Dienstleistungen enthalten. Das ist insbesondere der Fall, wenn die einen Mitbewerber herabsetzende Äußerung keine sich den angesprochenen Verkehrskreisen aufdrängende Bezugnahme auf die eigenen Waren oder Dienstleistungen enthält (z.B. der Hinweis und die Verlinkung59 in einem E-Mail-Newsletter auf einen Artikel „Scharlatane auf dem Coaching-Markt“, in dem einzelne Mitbewerber, nicht aber der Äußernde genannt sind,60 oder die kritische Auseinandersetzung mit der Dissertation eines Mitbewerbers im Internet).61 Nimmt man an, dass die sog. unternehmensbezogene oder persönlich vergleichende Werbung nicht unter § 6 fällt, bildet auch sie einen Anwendungsbereich des § 4 Nr. 1.62 16
b) § 4 Nr. 2 (Anschwärzung). Dem Schutz der Geschäftsehre dient auch § 4 Nr. 2. Nach dieser Vorschrift, die auf § 14 a.F. zurückgeht, ist die sog. Anschwärzung durch die Behauptung oder Verbreitung nicht erweislich wahrer Tatsachen, die geeignet sind, den Betrieb des Unternehmens oder den Kredit des Unternehmers zu schädigen, unlauter. § 4 Nr. 2 erfasst damit im Unterschied zu § 4 Nr. 1, der eine solche Einschränkung nicht enthält, nur (unwahre bzw. nicht erweislich wahre) Tatsachenbehauptungen. Deren lauterkeitsrechtliche Beurteilung wird aber von § 4 Nr. 2 nicht abschließend geregelt. Schon zu § 14 a.F. war anerkannt, dass die dortige Beschränkung auf nicht erweislich wahre Tatsachen insbesondere nicht ausschließt, dass auch die Behauptung wahrer Tatsachen – nach der früheren Generalklausel des § 1 a.F. – als wettbewerbsrechtlich unzulässig angesehen werden kann.63 Zwischen § 4 Nr. 1 und Nr. 2 besteht daher – entgegen der auch in den Gesetzesmaterialien64 zu eng formulierten Annahme – keine „Aufgabenteilung“ dahingehend, dass § 4 Nr. 1 (nur) Werturteile erfasse und § 4 Nr. 2 nur Tatsachenbehauptungen. Vielmehr werden von § 4 Nr. 1 alle (Tatsachen- wie Meinungs-) Äußerungen (vgl. hierzu ausführlich Rn. 54 ff.) und von § 4 Nr. 2 nur ein Ausschnitt hieraus, nämlich die (nicht erweislich wahren) Tatsachenbehauptungen erfasst. Unlauter werden die von § 4 Nr. 2 geregelten Tatsachenbehauptungen außer durch ihre Nichterweislichkeit durch ihre Eignung zur Schädigung des Betriebs oder Kredits des Unternehmers. Dagegen kommt es – im Unterschied zu § 4 Nr. 1 – nicht darauf an, dass sie herabsetzend oder verunglimpfend sind.65
_____
58 Vgl. OLG Hamburg 28.10.2009 – 5 U 204/07 – Magazindienst 2010, 18, 25 – Immer der günstigste Preis. Garantiert. 59 Zu Verlinkungen allg. vgl. Gabel WRP 2005, 1102, 1108. 60 Vgl. BGH 19.5.2011 – I ZR 147/09 – GRUR 2012, 74 Tz. 19 – Coaching-Newsletter. 61 Vgl. BGH 17.11.2015 – I ZR 219/13 – GRUR-RR 2016, 410 Tz. 18 – Dr. Estrich. 62 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 1.7; Fezer/Büscher/Obergfell/Nordemann § 4 Nr. 1 Rn. 16. 63 BGH 14.7.1961 – I ZR 40/60 – GRUR 1962, 45, 48 – Betonzusatzmittel; Erstauflage-GK/Brandner/ Bergmann § 1 Rn. A 103. 64 Vgl. Begr. des Referentenentwurfs (Stand 23.1.2003), GRUR 2003, 298, 306, und des Regierungsentwurfs vom 22.8.2003, BTDrucks. 15/1487, S. 18, wonach § 4 Nr. 7 a.F./§ 4 Nr. 1 in Abgrenzung zu § 4 Nr. 8 a.F./§ 4 Nr. 2 (nur) Meinungsäußerungen erfassen soll. Für zu eng halten dies auch etwa Harte/Hennig/Omsels § 4 Nr. 1 Rn. 1, Fn. 1093; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 1.1. 65 Vgl. BGH 17.1.2002 – I ZR 161/99 – GRUR 2002, 633, 635 – Hormonersatztherapie (zu § 14 a.F.).
Toussaint
154
Geschäftsehrverletzung – Nr. 1
§4
§ 4 Nr. 1 und 2 regeln damit unterschiedliche Formen des Angriffs gegen die Ge- 17 schäftsehre, die nebeneinander stehen, sich aber nicht gegenseitig ausschließen. Eine nicht erweislich wahre Tatsachenbehauptung, die sowohl zur Betriebs- bzw. Kreditschädigung geeignet als auch herabsetzend bzw. verunglimpfend ist, kann daher sowohl nach § 4 Nr. 2 als auch nach § 4 Nr. 1 unlauter sein. Umgekehrt bedarf es bei einer herabsetzenden oder verunglimpfenden Äußerung keiner Klärung, ob es sich um eine Meinungsäußerung, die Behauptung einer wahren Tatsache oder um eine u.U. auch dem § 4 Nr. 2 unterfallende Behauptung einer nicht erweislich wahren Tatsache handelt.66 Da (anders als nach früherem Recht, vgl. § 14 Abs. 1 S. 2 a.F.)67 beide Unlauterkeitstatbestände mit denselben Rechtsfolgen verknüpft sind, stellt sich auch insoweit nicht mehr die Frage nach einem Spezialitätsverhältnis.68 c) § 4 Nr. 4 (gezielte Behinderung). Rufschädigungen des Mitbewerbers und damit 18 insbesondere auch eine Geschäftsehrverletzung i.S.d. § 4 Nr. 1 (und ebenso die Anschwärzung i.S.d. § 4 Nr. 2) sind nur Sonderfälle einer gezielten Behinderung des Mitbewerbers i.S.d. § 4 Nr. 4 (= § 4 Nr. 10 a.F.).69 Jede nach § 4 Nr. 1 (oder auch nach § 4 Nr. 2) unlautere geschäftliche Handlung ist daher auch von § 4 Nr. 4 erfasst. Damit enthalten die § 4 Nr. 1 und 2 die spezielleren Vorschriften gegenüber § 4 Nr. 4.70 Der hieraus vielfach gefolgerte Vorrang der § 4 Nr. 1 und 2 vor § 4 Nr. 471 ist indessen jedenfalls dann, wenn er auf den Fall, dass alle Voraussetzungen der spezielleren Vorschriften erfüllt sind, beschränkt wird, im Hinblick auf die einheitlichen Rechtsfolgen bedeutungslos. Aufgrund der Auffangfunktion des § 4 Nr. 4 ist indessen ein solcher anwendungsausschließender Vorrang zu verneinen, so dass auch im Anwendungsbereich von § 4 Nr. 1 und 2 ohne weiteres auf die allgemeine Regelung des § 4 Nr. 4 – wenn dies auch regelmäßig entbehrlich erscheinen wird – zurückgegriffen werden kann.72 d) §§ 5, 5a (Irreführung). Die Verbreitung unwahrer Tatsachenbehauptungen kann 19 auch nach Maßgabe der §§ 5, 5a als irreführende geschäftliche Handlung unlauter sein, so dass es im Einzelfall zu Überschneidungen mit § 4 Nr. 1 oder – insbesondere – Nr. 2 kommen kann. Die Irreführungstatbestände der §§ 5, 5a einerseits und der dem Schutz der Geschäftsehre dienenden Regelungen in § 4 Nr. 1 und 2 anderseits enthalten aber jeweils eigenständige, voneinander unabhängige Unlauterkeitsmerkmale. Die Regelungen treten daher nebeneinander und schließen sich nicht gegenseitig aus.73 2. Markenrecht. Da § 4 Nr. 1 ausdrücklich auch Kennzeichen vor einer Herabset- 20 zung oder Verunglimpfung durch den Mitbewerber schützt, ergeben sich Überschnei-
_____
66 So bereits zum alten Recht (und insoweit wohl zu großzügig, vgl. die nachfolgende Fn.) BGH 22.2.1974 – I ZR 106/72 – GRUR 1974, 477, 479 – Hausagentur; BGH 30.10.1981 – I ZR 93/79 – GRUR 1982, 234, 236 – Großbanken-Restquoten. 67 Vgl. Erstauflage-GK/Messer § 14 Rn. 384. 68 A.A. Harte/Hennig/Omsels § 4 Nr. 1 Rn. 6 (für die Beurteilung unwahrer Tatsachenbehauptungen bliebt neben § 4 Nr. 2 kein Raum). 69 BGH 29.7.2009 – I ZR 77/07 – GRUR 2010, 349 Tz. 38 – EKW-Steuerberater; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 4 Rn. 1.6. 70 BGH 14.5.2009 – I ZR 82/07 – GRUR 2009, 1186 Tz. 25 – Mecklenburger Obstbrände (zu § 4 Nr. 2). 71 juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 1 Rn. 22; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 7 Rn. 9; Ohly/Sosnitza § 4.1 Rn. 1/4, § 4.4 Rn. 4/14. 72 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 1.6. 73 Vgl. Ohly/Sosnitza § 4 Rn. 1/5; anders dürfte auch Fezer/Büscher/Obergfell/Nordemann § 4 Nr. 1 Rn. 24 nicht zu verstehen sein.
155
Toussaint
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
dungen zum Markenrecht: U.a. die Beeinträchtigung der Wertschätzung einer Marke sind nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG, die einer geschäftlichen Bezeichnung nach § 15 Abs. 3 MarkenG und u.a. die Beeinträchtigung des Rufs einer geografischen Herkunftsangabe nach § 127 Abs. 3 MarkenG untersagt. Markenrechtlich geschützt werden allerdings nur bekannte Marken und geschäftliche Bezeichnungen und diese auch nur vor einer Ausnutzung oder Beeinträchtigung durch eine markenmäßige Benutzung bzw. nur geografische Herkunftsangaben mit besonderem Ruf. Nach § 2 MarkenG schließt an sich der Kennzeichenschutz nach dem MarkenG die 21 Anwendung anderer Vorschriften zum Schutz der Kennzeichen nicht aus. Gleichwohl hat nach Inkrafttreten des MarkenG der Bundesgerichtshof74 für das Verhältnis zwischen Marken- und Lauterkeitsrecht ursprünglich die sog. „Vorrangthese“ entwickelt, der auch zunächst große Teile der Literatur75 gefolgt sind. Diese geht davon aus, dass das MarkenG eine umfassende, in sich geschlossene spezielle kennzeichenrechtliche Regelung enthält, die den zuvor von der Rechtsprechung aus den Generalklauseln des Lauterkeitsrechts (§ 1 a.F.) und des allgemeinen bürgerlichen Rechts (§ 823 Abs. 1 BGB i.V.m. insbesondere mit dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb) hergeleiteten Schutz ersetzt und in ihrem Anwendungsbereich verdrängt. Nur ein Verhalten, das sich nicht in einer markenrechtlichen Verletzungshandlung erschöpft, sondern zusätzlich einen von den markenrechtlichen Regelungen nicht erfassten Unlauterkeitstatbestand erfüllt, kann neben einer Kennzeichenverletzung auch einen Wettbewerbsverstoß darstellen.76 Auch der die frühere Generalklausel konkretisierende § 4 Nr. 1 würde hiernach grundsätzlich durch die §§ 14 Abs. 2 Nr. 3, 15 Abs. 3, 127 Abs. 3 MarkenG verdrängt.77 Danach bliebe für die Anwendung des UWG – zur Vermeidung einer anderenfalls bestehenden Schutzlücke – nur dort Raum, wo die Voraussetzungen des markenrechtlichen Schutzes nicht vorliegen, also bei fehlender Bekanntheit des Kennzeichens78 oder bei fehlender markenmäßiger Verwendung.79 Diese Rechtsprechung ist allerdings von Anfang an in der Literatur nicht unbestrit22 ten gewesen.80 Sie verlor zunehmend ihre Rechtfertigung durch die Schaffung neuer, auch dem Kennzeichenschutz dienender lauterkeitsrechtlicher Sondertatbestände (vgl. insbes. die ausdrücklich auf Kennzeichen Bezug nehmenden Vorschriften in § 4 Nr. 1, § 5 Abs. 2, § 6 Abs. 2 Nr. 3, 4, 6) und die „Auflösung“ der früheren Generalklausel des § 1 a.F. Inzwischen dürfte in der Literatur die Auffassung, die ein Nebeneinander von markenrechtlichen und lauterkeitsrechtlichen Vorschriften bejaht81 und damit insbesondere § 4 Nr. 1 auch im Anwendungsbereich der §§ 14 Abs. 2 Nr. 3, 15 Abs. 3, 127 Abs. 3 MarkenG
_____
74 BGH 30.4.1998 – I ZR 268/95 – BGHZ 138, 349, 351 f. = GRUR 1999, 161, 162 – MAC Dog, seither stRspr, vgl. nur BGH 22.11.2001 – I ZR 138/99 – GRUR 2002, 622, 623 = BGHZ 149, 191, 195 f. – shell.de; BGH 3.11.2005 – I ZR 29/03 – GRUR 2006, 329 Tz. 36 – Gewinnfahrzeug mit Fremdemblem, jeweils m.w.N. 75 Vgl. etwa Fezer/Büscher/Obergfell/Nordemann § 4 Nr. 1 Rn. 86; Harte/Hennig/Omsels § 4 Nr. 1 Rn. 34 f. (allerdings zweifelnd); juris-PK/Müller-Bidinger, 2. Aufl. (2009) § 4 Nr. 7 Rn. 20 (a.A. 4. Aufl. § 4 Nr. 1 Rn. 25); Helm GRUR 2001, 291; Ingerl WRP 2004, 809; Sack, WRP 2004, 1405. 76 BGH 6.12.2007 – I ZR 169/04 – GRUR 2008, 628 Tz. 14 – Imitationswerbung m.w.N. 77 BGH 3.2.2005 – I ZR 159/02 – GRUR 2005, 583, 585 – Lila-Postkarte; Fezer/Büscher/Obergfell/ Nordemann § 4 Nr. 1 Rn. 86; juris-PK/Müller-Bidinger, 2. Aufl. (2009) § 4 Nr. 7 Rn. 20. 78 Fezer/Büscher/Obergfell/Nordemann § 4 Nr. 1 Rn. 88; juris-PK/Müller-Bidinger, 2. Aufl. (2009) § 4 Nr. 7 Rn. 21. A.A. (den markenrechtlichen Bestimmungen ist eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers zu entnehmen, insoweit überhaupt keinen Schutz zu gewähren) etwa Helm, GRUR 2001, 291, 293. 79 BGH 16.12.2004 – I ZR 177/02 – GRUR 2005, 419, 422 – Räucherkate. 80 Vgl. insbes. Fezer, Markenrecht, § 2 Rn. 1 ff.; Deutsch, WRP 2000, 854, 855 f. 81 Etwa Ingerl/Rohnke, § 2 Rn. 2; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 1.9b; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 1 Rn. 25; Bärenfänger WRP 2011, 16, 18 ff.
Toussaint
156
Geschäftsehrverletzung – Nr. 1
§4
für anwendbar hält,82 vorherrschend geworden sein. Auch der BGH hat jedenfalls für den Anwendungsbereich des § 5 die Vorrangthese inzwischen aufgegeben.83 Dem ist zuzustimmen, denn jedenfalls seit Schaffung der Regelungen in § 5 Abs. 2 und § 6 Abs. 2 Nr. 4 können die Regelungen des MarkenG schlechterdings nicht mehr einen abschließenden Charakter beanspruchen. Wertungswidersprüche dürften bei Anwendung von § 4 Nr. 1 neben den markenrechtlichen Vorschriften nicht auftreten können. § 4 Nr. 1 setzt mit der tatbestandlichen Herabsetzung oder Verunglimpfung eine qualifizierte Rufbeeinträchtigung voraus, die über die nach §§ 14 Abs. 2 Nr. 3, 15 Abs. 3, 127 Abs. 3 MarkenG tatbestandliche Beeinträchtigung hinausgeht.84 Beeinträchtigungen, die nach den markenrechtlichen Vorschriften zulässig sind, können daher nicht nach § 4 Nr. 1 unlauter sein. Das System des MarkenG wird nicht durchbrochen, weil bekannte Marken und geschäftliche Bezeichnungen sowie qualifizierte Herkunftsangaben damit markenrechtlich ein höheres Schutzniveau genießen, als das Lauterkeitsrecht jedem Kennzeichen gewährleistet. Soweit im Einzelfall marken- und lauterkeitsrechtliche Ansprüche in Anspruchskonkurrenz nebeneinander bestehen können, ist dies unbedenklich.85 3. Allgemeines Deliktsrecht a) Verhältnis im Allgemeinen. Wie zu Beginn dieser Kommentierung gezeigt, hat 23 sich parallel zum wettbewerbsrechtlichen Ehrschutz auch ein allgemeiner bürgerlichrechtlicher Schutz der Geschäftsehre entwickelt, der – ebenso wie die §§ 8, 9 – Ansprüche auf Schadensersatz (auf deliktischer Grundlage) sowie auf Beseitigung und Unterlassung (als quasi-negatorische Ansprüche in entsprechender Anwendung des Rechtsgedankens der §§ 12, 862, 1004 BGB) gewährt. Diesen gegenüber sind die (im weiteren Sinne auch zu den unerlaubten Handlungen i.S.d. §§ 823 ff. BGB gehörenden)86 Tatbestände des UWG insoweit enger, als sie nur Ehrverletzungen durch geschäftliche Handlungen (hierzu Rn. 33 ff.) erfassen und ein konkretes Wettbewerbsverhältnis zwischen Verletzer und Verletztem (hierzu Rn. 44 ff.) voraussetzen. Für die mit Wettbewerbsabsicht erfolgten Äußerungen begründen sie im Allgemeinen eine strengere Haftung als die Vorschriften des allgemeinen Deliktsrechts. Dies ergibt sich zum einen aus den Regelungen selbst (z.B. die zu Ungunsten des Behauptenden von § 824 BGB abweichende Beweislastverteilung in § 4 Nr. 2 S. 1 für die Wahrheit der Tatsache).87 Zum anderen nimmt die h.M. an, dass ein Handeln zu Wettbewerbszwecken strenger zu beurteilen ist,88 und dass der Schutz des laute-
_____
82 Ingerl/Rohnke § 2 Rn. 11; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 1.9b; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 7 Rn. 11 (a.A. noch Vorauflage); Bärenfänger WRP 2011, 160, 168; Steinbeck FS Ullmann S. 409, 415; Stieper WRP 2006, 291, 301. Im Ergebnis nicht anders Ohly/Sosnitza § 4.1 Rn. 1/8; Bornkamm GRUR 2005, 97, 100 f., die eine Anwendung von § 4 Nr. 1 auf eine Herabsetzung oder Verunglimpfung des Kennzeichens, die über eine nach §§ 14 Abs. 2 Nr. 3, 15 Abs. 3, 127 Abs. 3 MarkenG untersagte Beeinträchtigung hinausgeht, bejahen. A.A. heute noch Fezer/Büscher/Obergfell/Nordemann § 4 Nr. 1 Rn. 86. 83 BGH 15.8.2013 – I ZR 188/11 – GRUR 2013, 1161 = BGHZ 198, 159 Tz. 60 – Hard Rock Cafe. 84 Fezer/Büscher/Obergfell/Nordemann § 4 Nr. 1 Rn. 90; Harte/Hennig/Omsels § 4 Nr. 1 Rn. 34; Bärenfänger WRP 2011, 160, 168; Bornkamm GRUR 2005, 97, 101; Steinbeck FS Ullmann S. 409, 415; Stieper WRP 2006, 291, 301; vgl. auch Ingerl/Rohnke, § 2 Rn. 11. A.A. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 1.9b; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 1 Rn. 25: einheitliche Auslegung. 85 Bärenfänger WRP 2011, 160, 168; a.A. Ohly/Sosnitza Einf. D Rn. 82, § 4.1 Rn. 1/8. 86 Vgl. BGH 22.12.1961 – I ZR 152/59 – BGHZ 36, 252, 254 = GRUR 1962, 310, 314 – Gründerbildnis; BGH 11.3.1982 – I ZR 39/78 – GRUR 1982, 495, 497 – Domgarten-Brand; BGH 18.10.2001 – I ZR 22/99 – GRUR 2002, 618, 619 – Meißner Dekor; kritisch Vorauflage/Schünemann Einl. Teil E Rn. 102 ff. 87 Vgl. Beater WRP 2009, 768, 775. 88 BGH 21.2.1964 – Ib ZR 108/62 – GRUR 1964, 392, 394 – Weizenkeimöl; BGH 19.5.2011 – I ZR 147/09 – GRUR 2012, 74 Tz. 33 – Coaching-Newsletter; OLG Hamm 23.10.2007 – 4 U 87/07 – MMR 2008, 757; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 1.8.
157
Toussaint
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
ren Wettbewerbs auch Einschränkungen der von Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Meinungsfreiheit notwendig macht, die außerhalb des Bereichs des Wettbewerbs nicht in gleichem Umfang gelten89 (vgl. auch Rn. 55). Fehlt es an einer geschäftlichen Handlung oder an einem konkreten Wettbewerbs24 verhältnis, kann zur Begründung von Ansprüchen nur das BGB-Deliktsrecht herangezogen werden. Unterfällt aber eine Ehrverletzung dem Wettbewerbsrecht, können die auf eine Unlauterkeit i.S.v. § 4 Nr. 1 oder 2 gegründeten wettbewerbsrechtlichen Ansprüche und – nachfolgend näher dargestellte – deliktische Ansprüche wegen Geschäftsehrverletzung im Grundsatz im Wege der Anspruchskonkurrenz nebeneinander bestehen (zur Frage der Verjährung solcher konkurrierender Ansprüche vgl. § 11 Rn. 32 ff.). Lediglich der Haftungstatbestand des Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb – worauf im Zusammenhang mit seiner Darstellung noch zurückzukommen sein wird – tritt im Anwendungsbereich von § 4 Nr. 1 und 2 hinter diese zurück. b) Die einzelnen Deliktstatbestände und ihr Verhältnis zu § 4 Nr. 1 und 2 25
aa) § 823 Abs. 1 BGB. Berührungspunkte zu § 4 Nr. 1 und 2 bestehen zunächst mit Ansprüchen aus § 823 Abs. 1 BGB wegen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Dieses in den Art. 1 und 2 GG verfassungsmäßig gewährleistete Grundrecht ist als auch privatrechtlich geschütztes „sonstiges Recht“ i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB in der Rechtsprechung seit langem anerkannt.90 Es gewährleistet gegenüber jedermann den Schutz der Menschenwürde und das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit.91 Auch Kapitalgesellschaften können im Grundsatz Träger dieses allgemeinen Persönlichkeitsrechts sein. Die Schutzwirkung eines solchen (allgemeinen) Unternehmerpersönlichkeitsrechts92 reicht indessen nur soweit, wie die juristische Person nach ihrem Wesen als Zweckschöpfung des Rechts und ihren Funktionen dieses Rechtsschutzes bedarf, was in erster Linie dann der Fall ist, wenn sie in ihrem sozialen Geltungsanspruch als Arbeitgeber oder als Wirtschaftsunternehmen betroffen wird.93 Beispiele hierfür sind etwa Schmähkritik94 oder die umfassende Darstellung und Durchleuchtung der finanziellen Situation eines Unternehmens in einer Seminarveranstaltung,95 aber auch – wenn man nicht die markenrechtlichen Vorschriften für vorrangig hält – Markenverunglimpfungen.96 Inhalt und Grenzen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts liegen nicht fest, sondern ergeben sich erst aus einer Interessen- und Güterabwägung
_____
89 BGH 6.12.2001 – I ZR 284/00 – BGHZ 149, 247, 258 = GRUR 2002, 360, 363 – „H.I.V. POSITIVE“ II; Harte/Hennig/Ahrens Einl. G Rn. 74; Ohly/Sosnitza § 4.1 Rn. 1/7. 90 Seit BGH 25.5.1954 – I ZR 211/53 – BGHZ 13, 334, 338 = GRUR 1955, 197, 198 – Leserbriefe stRspr, vgl. nur BGH 2.4.1957 – VI ZR 9/56 – BGHZ 24, 72, 75 f. = NJW 1957, 1146 f. – Krankenpapiere; BGH 1.12.1999 – I ZR 49/97 – BGHZ 143, 214, 218 = GRUR 2000, 709, 711 f. – Marlene Dietrich. 91 Vgl. nur BGH 1.12.1999 – I ZR 49/97 – BGHZ 143, 214, 218 = GRUR 2000, 709, 712 – Marlene Dietrich. 92 Vgl. hierzu Koreng GRUR 2010, 1065; BGH 26.1.2017 – I ZR 217/15 – GRUR 2017, 918 Tz. 36 m.w.N. – Wettbewerbsbezug. 93 BGH 3.6.1975 – VI ZR 123/74 – GRUR 1976, 210, 211 f. – Der Geist von Oberzell; BGH 3.6.1986 – VI ZR 102/85 – BGHZ 98, 94, 97 = GRUR 1986, 759, 761 – BMW; BGH 8.2.1994 – VI ZR 286/93 – GRUR 1994, 394, 395 – Bilanzanalyse; BGH 24.1.2006 – XI ZR 384/03 – BGHZ 166, 84 = NJW 2006, 830 Tz. 106 – Kirch/ Deutsche Bank AG. 94 Vgl. etwa BGH 1.2.1977 – VI ZR 204/74 – GRUR 1977, 801, 803 f. – Halsabschneider. 95 BGH 8.2.1994 – VI ZR 286/93 – GRUR 1994, 394 – Bilanzanalyse, gebilligt von BVerfG 3.5.1994 – 1 BvR 737/94 – NJW 1994, 1784; abl. etwa Hager ZHR 158 (1994) 675 ff. 96 Vgl. zur Rechtslage vor Inkrafttreten des MarkenG etwa BGH 17.4.1984 – VI ZR 246/82 – BGHZ 91, 117, 120 ff. = GRUR 1984, 684, 685 ff. – Mordoro; BGH 3.6.1986 – VI ZR 102/85 – BGHZ 98, 94, 98 = GRUR 1986, 759, 761 – BMW (allerdings jeweils für den konkreten Fall verneinend), und im Übrigen Rn. 14 f.
Toussaint
158
Geschäftsehrverletzung – Nr. 1
§4
mit den schutzwürdigen Interessen der anderen Seite.97 Für diese ist zunächst danach zu differenzieren, ob es sich bei der beanstandeten Äußerung um eine Tatsachenbehauptung oder ein Werturteil handelt. Bei Tatsachenbehauptungen kommt es für die Abwägung auf deren Wahrheitsgehalt an: Wahre Tatsachenbehauptungen sind, soweit sie nicht die Intim-, Privat- und Vertraulichkeitssphäre betreffen, regelmäßig hinzunehmen, unwahre hingegen nicht.98 Bei Werturteilen ist im Allgemeinen eine Abwägung mit der grundrechtlich geschützten Meinungsfreiheit des Äußernden vorzunehmen; allerdings muss eine Äußerung, bei der eine bloße Diffamierung im Vordergrund steht – wie etwa bei Schmähkritik oder Formalbeleidigungen – generell nicht hingenommen werden.99 Ein Gewerbetreibender muss jedoch eine der Wahrheit entsprechende Kritik an seinen Leistungen grundsätzlich hinnehmen, und zwar (bis zur Grenze einer unzulässigen Schmähkritik) auch dann, wenn sie scharf oder auch überzogen formuliert ist.100 Dies entspricht im Wesentlichen der auch bei § 4 Nr. 1 vorzunehmenden Abwägung (vgl. hierzu Rn. 54 ff.), so dass im Anwendungsbereich des § 4 Nr. 1 (anders als bei nicht-geschäftlichen Äußerungen) der Verletzung des allgemeinen (Unternehmer-)Persönlichkeitsrechts kaum selbständige Bedeutung zukommen dürfte. Für den deliktischen Schutz der Geschäftsehre bedeutsam ist weiter das von der 26 Rechtsprechung schon sehr früh als „sonstiges Recht“ i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB anerkannte101 sog. „Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb“. Es schützt den Betrieb bzw. das Unternehmen in seiner Gesamtheit vor einer unmittelbaren Beeinträchtigung, dem sog. betriebsbezogenen Eingriff. Ein solcher Eingriff kann im Grundsatz auch durch geschäftsschädigende wahre Tatsachenbehauptungen oder Werturteile102 erfolgen.103 Wie das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ein Rahmenrecht, dessen Inhalt und Grenzen sich erst aus einer Interessen- und Güterabwägung mit den im Einzelfall konkret kollidierenden – insbesondere grundrechtlich geschützten – Interessen anderer ergeben.104 Die hierfür maßgeblichen Grundsätze entsprechen denen, die auch für das allgemeine Persönlichkeitsrecht gelten.105 Eine Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb kommt etwa in Fällen unberechtigter Schutzrechtsverwarnungen,106 Boykottaufrufen,107
_____
97 Vgl. nur BGH 25.10.2011 – VI ZR 332/09 – GRUR 2012, 422 Tz. 23 – Wenn Frauen zu sehr lieben m.w.N. 98 Vgl. nur BVerfG 8.5.2007 – 1 BvR 193/05 – NJW 2008, 358, 359; BGH 11.3.2008 – VI ZR 7/07 – WRP 2008, 813 Tz. 13 – Gen-Milch; BGH 25.10.2011 – VI ZR 332/09 – GRUR 2012, 422 Tz. 25 – Wenn Frauen zu sehr lieben, jeweils m.w.N. 99 BVerfG 28.7.2004 – 1 BvR 2566/95 – NJW-RR 2004, 1710, 1712; BVerfG 8.5.2007 – 1 BvR 193/05 – NJW 2008, 358, 359; BGH 19.4.2005 – X ZR 15/04 – NJW 2005, 2766, 2770; BGH 11.3.2008 – VI ZR 7/07 – WRP 2008, 813 Tz. 30 – Gen-Milch. 100 BGH 11.3.2008 – VI ZR 7/07 – WRP 2008, 813 Tz. 29 – Gen-Milch m.w.N. 101 Vgl. etwa RG 27.2.1904 – I 418/03 – RGZ 58, 24, 28 ff. – Juteplüsch m.w.N.; seither stRspr, vgl. etwa MünchKommBGB/Wagner § 823 Rn. 317 m.w.N. 102 Für unwahre Tatsachenbehauptungen sind die Regelungen in §§ 824, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 186 StGB abschließend, BGH 24.1.2006 – XI ZR 384/03 – BGHZ 166, 84 = NJW 2006, 830 Tz. 93 m.w.N. – Kirch/ Deutsche Bank. 103 Anerkannt seit BGH 26.10.1951 – I ZR 8/51 – BGHZ 3, 270, 280 = GRUR 1952, 410, 414 – Constanze I; die sehr weitgehenden Grundsätze dieser Entscheidung sind allerdings später zum Teil zurückgenommen worden, vgl. insbes. BGH 21.6.1966 – VI ZR 261/64 – BGHZ 45, 296, 306 ff. = GRUR 1966, 693, 696 f. – Höllenfeuer. 104 Vgl. nur BGH 24.1.2006 – XI ZR 384/03 – BGHZ 166, 84 = NJW 2006, 830 Tz. 97 – Kirch/Deutsche Bank AG; BGH 22.2.2011 – VI ZR 120/10 – WRP 2011, 1061 Tz. 19 – Bonitätsbeurteilungen, jeweils m.w.N. 105 Vgl. nur BGH 11.3.2008 – VI ZR 7/07 – WRP 2008, 813 Tz. 12 – Gen-Milch. 106 Vgl. nur BGH GrZS 15.7.2005 – GSZ 1/04 – BGHZ 164, 1 = WRP 2005, 1408 m.w.N. 107 BGH 10.5.1957 – I ZR 234/55 – BGHZ 24, 200, 205 = GRUR 1957, 494, 496 – Spätheimkehrer; BGH 8.1.1960 – I ZR 7/59 – GRUR 1960, 334, 335 – Schleuderpreise; BGH 29.1.1985 – VI ZR 130/83 – GRUR 1985,
159
Toussaint
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
oder dem Unternehmen abträglicher Presseveröffentlichungen, 108 Testberichte 109 oder Bonitätsbewertungen („Rating“)110 in Betracht. Eine Anwendung des § 823 Abs. 1 BGB wegen eines Eingriffs in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb hat allerdings nur lückenfüllende Funktion und wird daher im Anwendungsbereich der wettbewerbsrechtlichen Sondervorschriften von diesen verdrängt.111 Soweit Äußerungen § 4 Nr. 1 oder 2 unterfallen, hat das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb daher keine Bedeutung. 27
bb) § 823 Abs. 2 BGB. Bei Geschäftsehrverletzungen kommen außerdem Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 185 ff. StGB in Betracht. Eine Beleidigung i.S.d. § 185 StGB ist der Angriff auf die Ehre eines anderen durch die vorsätzliche Kundgabe eigener Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung.112 Dieser Angriff wird dadurch geführt, dass durch herabsetzende Werturteile oder ehrenrührige Tatsachenbehauptungen (bei wahren Tatsachen kommt eine Formalbeleidigung i.S.d. § 192 StGB in Betracht) dem anderen zu Unrecht Mängel nachgesagt werden, die im Falle ihres Vorliegens den Geltungswert des Betroffenen mindern würden und daher den aus der Ehre fließenden Achtungsanspruch verletzen.113 Eine üble Nachrede i.S.d. § 186 StGB ist die Behauptung oder Verbreitung einer nichterweislichen Tatsache (also keines Werturteils) gegenüber Dritten in Beziehung auf einen anderen, die im Zeitpunkt ihrer Behauptung objektiv geeignet ist, diesen verächtlich zu machen oder ihn in der öffentlichen Meinung herabzusetzen und damit (im Unterschied zu der eine eigene Missachtung zum Ausdruck bringenden Beleidigung) fremde Missachtung zu begründen.114 Eine Verleumdung i.S.d. § 187 StGB entspricht im Grundsatz der üblen Nachrede, doch muss die behauptete oder verbreitete Tatsache unwahr (und nicht – wie bei der üblen Nachrede – lediglich nichterweislich) sein und der Täter muss dies wissen; außerdem genügt – wie bei § 4 Nr. 2 und bei § 824 BGB – die Eignung der Äußerung zur Kreditgefährdung. Strafrechtlichen Ehrenschutz genießen nicht nur (einzelne) natürliche Personen, sondern auch Personengesamtheiten sowie juristische Personen, die eine rechtlich anerkannte gesellschaftliche – auch wirtschaftliche, nicht notwendig öffentliche – Aufgabe erfüllen und einen einheitlichen Willen bilden können, soweit ihr sozia-
_____ 470, 471 – Mietboykott (Verfassungsbeschwerde nicht angenommen durch BVerfG 27.10.1987 – 1 BvR 385/85 – NJW 1989, 381); BGH 6.2.2014 – I ZR 75/13 – GRUR 2014, 904 – Aufruf zur Kontokündigung (Haftung im Ergebnis der Interessenabwägung verneinend). 108 Vgl. etwa – eine Haftung jeweils verneinend – BGH 14.1.1969 – VI ZR 196/67 – GRUR 1969, 304, 305 f. – Kredithaie; BGH 20.6.1969 – VI ZR 234/67 – GRUR 1969, 624, 627 f. – Hormoncreme; BGH 25.11.1986 – VI ZR 269/85 – GRUR 1987, 187, 188 – ANTISEPTICA; BGH 11.3.2008 – VI ZR 7/07 – WRP 2008, 813 Tz. 11 ff. – Gen-Milch. 109 BGH 17.6.1997 – VI ZR 114/96 – GRUR 1997, 942, 943 – Druckertest m.w.N. 110 Vgl. – eine Haftung jeweils ablehnend – BGH 22.2.2011 – VI ZR 120/10 – WRP 2011, 1061 – Bonitätsbeurteilungen; KG 12.5.2006 – 9 U 127/05 – WM 2006, 1432. 111 BGH 22.12.1961 – I ZR 152/59 – BGHZ 36, 252, 257 = GRUR 1962, 310, 314 – Gründerbildnis; BGH 8.10.1971 – I ZR 12/70 – GRUR 1972, 189, 172 (in BGHZ 57, 116 insoweit nicht abgedr.) – Wandsteckdose II; BGH 24.2.1983 – I ZR 207/80 – GRUR 1983, 467, 468 – Photokina m.w.N.; BGH 24.1.2006 – XI ZR 384/03 – BGHZ 166, 84 = NJW 2006, 830 Tz. 93 – Kirch/Deutsche Bank m.w.N. Ob dies auch für Fälle gezielter Behinderungen, insbesondere die Fallgruppe der ungerechtfertigten Schutzrechtsverwarnung gilt, ist str., vgl. § 4 Nr. 4 Rn. 44 ff. 112 BGH 15.3.1989 – 2 StR 662/88 – BGHSt 36, 145, 148 = NJW 1989, 3028; Schönke/Schröder/Eisele/ Schittenhelm StGB, 30. Aufl. (2019), § 185 Rn. 1. 113 BGH 15.3.1989 – 2 StR 662/88 – BGHSt 36, 145, 148 = NJW 1989, 3028. 114 BGH 6.5.1958 – 5 StR 14/58 – BGHSt 11, 329, 330 = NJW 1958, 1004, 1005; Schönke/Schröder/Eisele/ Schittenhelm StGB, 30. Aufl. (2019), § 186 Rn. 1.
Toussaint
160
§4
Geschäftsehrverletzung – Nr. 1
ler Geltungsanspruch innerhalb ihres Aufgabengebietes betroffen ist.115 Nach § 193 StGB, bei dem es sich nach h.M. um einen besonderen Rechtfertigungsgrund handelt,116 sind tadelnde Urteile über wissenschaftliche, künstlerische oder gewerbliche Leistungen sowie zur Ausführung oder Verteidigung von Rechten oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen – der Begriff kehrt in § 824 Abs. 2 BGB und § 4 Nr. 2 mit unterschiedlichem Wortlaut und andersartiger Bedeutung wieder – gemachte Äußerungen nur strafbar, soweit aus ihrer Form oder den Umständen ihrer Vornahme eine Beleidigung hervorgeht. Die Tatbestände der Beleidigung und der üblen Nachrede ähneln dem des § 4 Nr. 1, 28 der Tatbestand der Verleumdung dem des § 4 Nr. 2. Die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 185 ff. StGB unterscheidet sich aber von der nach § 4 Nr. 1 und 2 (und auch von der nach §§ 823 Abs. 1, 824 BGB) generell dadurch, dass die §§ 185 ff. StGB Vorsatzdelikte sind (§ 15 StGB, bei der für eine üble Nachrede erforderlichen Nichterweislichkeit der Tatsache handelt es sich allerdings nach h.M. um eine objektive Bedingung der Strafbarkeit, auf die sich der Vorsatz nicht beziehen muss),117 eine Haftung daher nur bei vorsätzlichem Handeln in Betracht kommt. cc) § 824 BGB. Eng verwandt mit § 4 Nr. 2 (und mit § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 187 29 StGB) ist der Anspruch aus § 824 BGB. Er setzt die wahrheitswidrige Behauptung oder Verbreitung von Tatsachen voraus, die objektiv zur Kreditgefährdung oder zur sonstigen nachteiligen Beeinflussung von Erwerb oder Fortkommen eines anderen geeignet sind. Wie § 4 Nr. 2 und der deliktische Anspruch wegen Verleumdung (§ 823 Abs. 2 BGB 30 i.V.m. § 187 StGB) betrifft er nur die Behauptung oder Verbreitung unwahrer Tatsachen. Dabei trifft – wie nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 187 StGB – den Verletzten die Beweislast für die Unwahrheit, während nach § 4 Nr. 2 die Nichterweislichkeit der Wahrheit ausreicht, mithin der Verletzer den Entlastungsbeweis der Wahrheit führen muss. Eine deutliche Abstufung der Haftungsstrenge ergibt sich hinsichtlich des erforderlichen subjektiven Tatbestandes in Bezug auf die Unwahrheit: Während nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 187 StGB nur haftet, wer „wider besseres Wissen“ handelt, die Unwahrheit der Tatsache also positiv kennt, genügt für eine Haftung nach § 824 BGB und nach §§ 9 Abs. 1, 4 Nr. 2 bloße Fahrlässigkeit, wobei diese sich im Falle des § 824 BGB auf die Unwahrheit („… wenn er die Unwahrheit zwar nicht kennt, aber kennen muss“) und im Falle der §§ 9 Abs. 1, 4 Nr. 2 lediglich auf die Nichterweislichkeit beziehen muss. Nach § 824 Abs. 2 BGB ist eine Haftung ausgeschlossen, wenn dem Verletzer die Unwahrheit unbekannt war und er oder der Empfänger der Mitteilung an ihr ein berechtigtes Interesse hatte (vgl. hierzu auch § 193 StGB und § 4 Nr. 2 2. Hs). Allen Haftungstatbeständen gemeinsam ist auch das Erfordernis der objektiven Eignung der Tatsache zur Schädigung des Verletzten, wobei auch hier § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 187 StGB (Eignung zur Verächtlichmachung, Herabwürdigung oder Kreditgefährdung) enger und § 824 BGB (Eignung zur Kreditgefährdung oder sonstigen Nachteilsherbeiführung für Erwerb oder Fortkommen) sowie § 4 Nr. 2 (Eignung zur Betriebs- oder Kreditschädigung) weiter gefasst sind.
_____
115 BGH 8.1.1954 – 1 StR 260/53 – BGHSt. 6, 186, 191 = NJW 1954, 1412, 1413; Schönke/Schröder/Eisele/Schittenhelm StGB, 30. Aufl. (2019), Vorbem §§ 185 ff. Rn 3 m.w.N.; a.A. etwa Fischer StGB, 66. Aufl. (2019), Vor §§ 185-200 Rn 12a m.w.N. 116 Schönke/Schröder/Eisele/Schittenhelm StGB, 30. Aufl. (2019), § 193 Rn 1 m.w.N. 117 Schönke/Schröder/Eisele/Schittenhelm StGB, 30. Aufl. (2019), § 186 Rn 13 m.w.N.
161
Toussaint
§4
31
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
Praktische Anwendungsfälle des § 824 BGB sind etwa dem Unternehmen abträgliche Presseveröffentlichungen118 und Testberichte,119 soweit es um unwahre Tatsachen und nicht – dem Schutz durch das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb unterfallende – wahre Tatsachen oder Werturteile geht. B. Einzelheiten I. Allgemeine Voraussetzungen unlauterer Handlungen
32
1. Geschäftliche Handlung (§ 3 Abs. 1). Als Beispielsfall einer unlauteren Handlung konkretisiert § 4 Nr. 1 lediglich das Tatbestandsmerkmal der Unlauterkeit in § 3 Abs. 1. Zum vollständigen Tatbestand einer nach dem UWG unzulässigen Handlung gehören daher auch weitere, aus § 3 Abs. 1 folgende Voraussetzungen. Die Herabsetzung oder Verunglimpfung muss folglich durch eine geschäftliche Handlung erfolgen.
33
a) Allgemeines. Mit dem UWG 2008 ist an die Stelle des zuvor verwendeten Begriffs der „Wettbewerbshandlung“ der der „geschäftlichen Handlung“ getreten. Dieser ist allgemein definiert in § 2 Abs. 1 Nr. 1 als jedes Verhalten einer Person zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens vor, bei oder nach einem Geschäftsabschluss, das mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen oder mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen objektiv zusammenhängt. Es bedarf mithin zunächst eines (ggf. auch in einem Unterlassen bestehenden) Verhaltens mit Unternehmensbezug (nicht aber notwendigerweise des begünstigten Unternehmers selbst, weil auch das Verhalten zugunsten des Unternehmens eines anderen ausreicht). Unerheblich ist, ob es vor, bei oder nach einem Geschäftsabschluss erfolgt, so dass – anders als nach der Rechtslage vor dem UWG 2008 – grundsätzlich auch Verhaltensweisen erfasst sind, die im Rahmen eines bestehenden Vertragsverhältnisses nach Vertragsschluss erfolgen.120 Schließlich bedarf es eines (lediglich) objektiven Zusammenhangs zwischen der Verhaltensweise und der Förderung des Absatz- oder Nachfragewettbewerbs des begünstigten Unternehmens; die nach früherem Recht bestehende Notwendigkeit eines finalen Zurechnungszusammenhang (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 a.F.: „… mit dem Ziel … zu fördern“) ist mit dem UWG 2008 aufgegeben worden.121 Für weitere Einzelheiten ist zunächst auf die Kommentierung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 zu verweisen. Nachfolgend sind nur die Punkte hervorzuheben, die gerade für § 4 Nr. 1 (und auch für § 4 Nr. 2) von besonderer Bedeutung sind.
34
b) Äußerungen im Schutzbereich des Art. 5 GG. Bereits bei der Frage, ob eine Äußerung überhaupt am Maßstab des UWG zu messen ist, ist dem durch Art. 5 GG grundrechtlich gewährleisteten Freiheitsbereich Rechnung zu tragen (vgl. Rn. 9). Meinungs-
_____
118 Vgl. etwa BGH 21.6.1966 – VI ZR 266/64 – GRUR 1966, 633, 635 – Teppichkehrmaschine; BGH 15.11.1977 – VI ZR 101/76 – GRUR 1978, 187, 188 (in BGHZ 70, 39 insoweit nicht abgedr.) – Alkoholtest; BGH 20.12.1988 – VI ZR 95/88 – GRUR 1989, 222, 223 f. – Filmbesprechung; BGH 10.12.1991 – VI ZR 53/91 – GRUR 1992, 201, 202 – Bezirksleiter Straßenbauamt; BGH 10.4.2018 – VI ZR 396/16 – GRUR 2018, 648 – Filmaufnahmen aus Bio-Hühnerställen. 119 Vgl. etwa BGH 3.12.1985 – VI ZR 160/84 – GRUR 1986, 330, 331 – Warentest III; BGH 21.2.1989 – VI ZR 18/88 – GRUR 1989, 539 – Warentest V; BGH 12.6.1997 – I ZR 36/95 – GRUR 1998, 167, 169 – Restaurantführer. 120 Vgl. BGH 5.2.2009 – I ZR 119/06 – GRUR 2009, 876 Tz. 25 – Änderung der Voreinstellung II m.w.N. 121 RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 20 f.; OLG Hamm 7.2.2008 – 1–4 U 154/07 – MMR 2008, 750, 751 m.w.N.
Toussaint
162
Geschäftsehrverletzung – Nr. 1
§4
und Pressefreiheit finden zwar gem. Art. 5 Abs. 2 GG ihre Schranken in den allgemeinen Gesetzen, zu denen auch die Regelungen des UWG gehören (vgl. Rn. 8), und auch die Kunst- und Wissenschaftsfreiheit sind nicht schrankenlos gewährleistet. 122 Eine Beschränkung der Grundrechte durch Gesetz kommt aber nur in Betracht, soweit dies gerade den besonderen Schutzzwecken des Gesetzes entspricht. Dem UWG liegt es von vornherein fern, weltanschauliche oder politische Äußerungen, redaktionelle Pressebeiträge, künstlerisches Schaffen oder wissenschaftliche Äußerungen einzuschränken. Solche Äußerungen unterfallen daher schon nicht dem UWG, solange nicht die besonderen Gesetzeszwecke des UWG tangiert sind.123 Damit stellt sich allerdings die Frage nach einer Abgrenzung zwischen Äußerun- 35 gen, die dem UWG unterfallen, und solchen, für die dies nicht gilt. Vor dem UWG 2008 geschah dies regelmäßig am Kriterium der nach früherem Recht für die Anwendbarkeit der Vorschriften des UWG 2008 erforderlichen Wettbewerbsabsicht. Während im Allgemeinen angenommen wurde, dass die objektive Eignung einer Handlung zur Förderung eigenen oder fremden Wettbewerbs die tatsächliche Vermutung des Vorliegens einer solchen Wettbewerbsabsicht begründet, wurde eine solche Vermutung jedenfalls für redaktionelle Äußerungen in Presseorganen verneint; vielmehr bedurfte es dann eines konkreten Nachweises der Wettbewerbsabsicht.124 Ohne Nachweis der Wettbewerbsabsicht unterfiel eine solche Äußerung nicht dem UWG und war folglich nicht an den §§ 1, 14, 15 a.F. zu messen.125 Mit dem Fortfall des Erfordernisses einer Wettbewerbsabsicht durch das UWG 2008 36 bedurfte es für die Abgrenzung einer Neuorientierung. Nunmehr kommt es darauf an, ob eine Äußerung den für eine geschäftliche Handlung i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 erforderlichen objektiven Zusammenhang und der Wettbewerbsförderung aufweist.126 Ein solcher objektiver Zusammenhang fehlt, wenn eine redaktionelle Äußerung nur der Information und Meinungsbildung ihrer Adressaten dient,127 oder wenn bei einer politischen oder weltanschaulichen Äußerung die beabsichtigte Einwirkung auf Dritte im Rahmen einer öffentlichen Kontroverse im Vordergrund steht und eventuell bestehende wettbewerbliche Zwecke zurücktreten lässt.128 Bei einer Äußerung, die ihrer äußeren Form nach einen informierenden, meinungsbildenden, wissenschaftlichen oder künstlerischen Zweck verfolgt, kann daher aus ihrer bloßen Eignung zur Wettbewerbsförderung noch nicht auf einen entsprechenden objektiven Zusammenhang i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 geschlossen werden.129 Dieser ist vielmehr aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls zu prüfen;
_____
122 Vgl. BVerfG 6.5.2008 – 2 BvR 337/08 – NJW 2008, 2568 Tz. 15; BVerfG 24.11.2010 – 1 BvF 2/05 – BVerfGE 128, 1 Tz. 147 = NJW 2011, 441 (LS), jeweils m.w.N. (geraten andere verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgüter mit der Ausübung der Kunst- oder Wissenschaftsfreiheit in Konflikt, muss im Wege fallbezogener Abwägung ein verhältnismäßiger Ausgleich der gegenläufigen, gleichermaßen verfassungsrechtlich geschützten Interessen mit dem Ziele ihrer Optimierung gefunden werden). 123 RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 21; BGH 19.5.2011 – I ZR 147/09 – GRUR 2012, 74 Tz. 38 – Coaching-Newsletter. 124 Vgl. hierzu ausführlich Erstauflage-GK/Messer § 14 Rn. 183 ff. m.w.N. 125 Kritisch hierzu Erstauflage-GK/Messer § 14 Rn. 192 ff., der objektiv zur Wettbewerbsförderung geeignete redaktionelle Äußerungen stets dem UWG unterwerfen und dem Grundrecht des Art. 5 Abs. 1 GG durch die Auslegung und konkrete Anwendung der UWG-Bestimmungen Rechnung tragen will. 126 Vgl. hierzu ausführlich Glöckner WRP 2009, 1175, 1182 ff. 127 RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 21; BGH 19.5.2011 – I ZR 147/09 – GRUR 2012, 74 Tz. 15 – Coaching-Newsletter; BGH 17.11.2015 – I ZR 219/13 – GRUR-RR 2016, 410 Tz. 11 – Dr. Estrich; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 2 Rn. 67. 128 BVerfG 12.7.2007 – 1 BvR 2041/02 – GRUR 2008, 81, 82 – Pharmakartell; KG 18.8.2009 – 5 W 95/09 – Magazindienst 2009, 1035, 1037. 129 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 2 Rn. 67; ebenso im Ergebnis KG 18.8.2009 – 5 W 95/09 – Magazindienst 2009, 1035, 1037 f.
163
Toussaint
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
erscheint danach die Verfolgung des Ziels der Wettbewerbsförderung vorrangig, ist von einer geschäftlichen Handlung auszugehen.130 Ein solche vorrangige Zielverfolgung ist bei redaktionellen Äußerungen ist – entsprechend der früheren, noch auf das Kriterium der Wettbewerbsabsicht abstellenden Rechtsprechung,131 mutatis mutandis – dann zu bejahen, wenn die für eine informierende oder meinungsbildende Äußerung in Anspruch genommene Objektivität schon äußerlich nicht gewahrt ist.132 Eine bloße Kritik, auch wenn sie scharf, polemisch überspitzt oder subjektiv einseitig gehaltenen ist, reicht hierfür indessen nicht aus.133 c) Private und unternehmensinterne Äußerungen aa) Private Äußerungen. Der für eine geschäftliche Handlung i.S.d. §§ 3 Abs. 1, 2 Abs. 1 Nr. 1 notwendige Marktbezug fehlt auch bei privaten Äußerungen. Denn allgemein setzt ein dem UWG unterfallendes geschäftliches Handeln voraus, dass es sich um eine selbständige, wirtschaftliche Zwecke verfolgende Tätigkeit handelt, in der eine Teilnahme am Erwerbsleben zum Ausdruck kommt und die sich auf Mitbewerber auswirken kann.134 Dabei ist allerdings im Einzelnen zu differenzieren zwischen Äußerungen von Privatpersonen und solchen von Unternehmern im privaten Bereich. 38 Äußerungen von Privatpersonen, die nicht als Unternehmer i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 6 zu qualifizieren sind, fallen generell nicht in den Anwendungsbereich von § 4 Nr. 1 und 2. Der Wortlaut des § 2 Abs. 1 Nr. 1, der jedes Verhalten „einer Person“ unter bestimmten weiteren Voraussetzungen als geschäftliche Handlung bezeichnet, ist insoweit allerdings unklar. Dementsprechend wird vertreten, dass auch eine Privatperson im Grundsatz eine geschäftliche Handlung vornehmen kann.135 Doch ist das Lauterkeitsrecht ein das Marktverhalten regelndes Sonderprivatrecht, das nur für ein marktbezogenes Handeln durch Marktteilnehmer Geltung beanspruchen kann. Richtigweise ist daher eine Anwendung des UWG auf Verhaltensweisen von Privatpersonen generell auszuschließen.136 Allerdings fallen nach § 2 Abs. 1 Nr. 6 unter den Unternehmerbegriff des UWG auch solche Personen, die, ohne selbst Unternehmer zu sein, im Namen oder Auftrag eines Unternehmers handeln. Äußerungen einer Privatperson können daher dann nach § 4 Nr. 1 oder 2 unzulässige Handlungen sein, wenn sie im Namen oder Auftrag eines Unternehmers abgegeben werden. So können etwa einen Mitbewerber seines Arbeitgebers herabsetzende Äußerungen eines Arbeitnehmers in einem Internet-Blog eine geschäftliche Handlung darstellen, die nach § 4 Nr. 1 unlauter ist.137 Allerdings muss das Handeln im 37
_____
130 BGH 10.1.2013 – I ZR 190/11 – GRUR 2013, 945 Tz. 18 – Standardisierte Mandatsbearbeitung; BGH 31.3.2016 – I ZR 160/14 – GRUR 2016, 710 Tz. 16 – Im Immobiliensumpf; OLG Hamm 23.8.2011 – I-4 U 67/11 – GRUR-RR 2012, 279, 280 – Doppelmoral. BGH 17.11.2015 – I ZR 219/13 – GRUR-RR 2016, 410 Tz. 12 – Dr. Estrich lässt demgegenüber genügen, dass ein Wettbewerbszweck „auch“ verfolgt wird, die Verfolgung eines informierenden, meinungsbildenden, wissenschaftlichen oder künstlerischen Zwecks mithin nicht ausschließlich ist. 131 Vgl. etwa BGH 30.4.1997 – I ZR 196/94 – GRUR 1997, 912, 913 – Die Besten I; BGH 30.4.1997 – I ZR 154/95 – GRUR 1997, 914, 915 – Die Besten II. 132 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 2 Rn. 67. 133 Vgl. (zur früheren Rechtslage) BGH 10.11.1994 – I ZR 216/92 – GRUR 1995, 270, 272 f. – Dubioses Geschäftsgebaren. 134 BGH 22.4.1993 – I ZR 75/91 – GRUR 1993, 761, 762 – Makler-Privatangebot m.w.N. 135 Fezer/Büscher/Obergfell/Fezer § 2 Nr. 1 Rn. 72; Harte/Hennig/Keller § 2 Rn. 20; Köhler/Bornkamm, 29. Aufl. (2011), § 2 Rn. 62 (Ansicht inzwischen aber aufgegeben, vgl. nachfolgende Fn.). 136 Köhler/Bornkamm/Feddersen, § 2 Rn. 62; Ohly/Sosnitza § 2 Rn. 31. 137 Vgl. OLG Hamm 23.10.2007 – 4 U 87/07 – MMR 2008, 757 (noch zu § 2 Abs. 1 Nr. 1 a.F.).
Toussaint
164
Geschäftsehrverletzung – Nr. 1
§4
Namen oder Auftrag eines Unternehmers konkret festgestellt werden, wofür aber insbesondere der Bezug eines Entgeltes ein ausreichendes Indiz liefern kann.138 Äußerungen eines Unternehmers im privaten Bereich sind, wenn sie keine Au- 39 ßenwirkung auf einen bestehenden oder möglichen Wettbewerb haben, ebenfalls keine geschäftlichen Handlungen und daher nicht am Maßstab von § 4 Nr. 1, 2 zu messen.139 Allerdings besteht bei einem Unternehmer, der eine Tätigkeit vornimmt, die sich bei äußerlicher Betrachtung nicht von seinen sonstigen unternehmerischen Tätigkeiten unterscheidet, die auf die allgemeine Lebenserfahrung gegründete tatsächliche Vermutung, dass er geschäftlich handelt.140 Diese Vermutung muss daher im Einzelfall auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung der Umstände widerlegt werden. So sind etwa herabsetzende Äußerungen über ein bestimmtes Fassadenprodukt in einem Rundschreiben eines beruflich im Bau- und Immobilienbereich tätigen Miteigentümers an die übrigen Wohnungseigentümer dem Privatbereich zuzuordnen und nicht nach § 4 Nr. 1, 2 zu beurteilen.141 bb) Unternehmens- und verbandsinterne Äußerungen. Ebenso ist bei rein un- 40 ternehmensinternen Äußerungen eine geschäftliche Handlung mangels Marktbezug zu verneinen.142 So scheidet etwa eine Anwendung von § 4 Nr. 1, 2 auf eine MitarbeiterInformationsschrift eines Unternehmens, in dem über ein gerichtliches Verfahren gegen einen Mitbewerber berichtet wird,143 oder auf ein Rundschreiben eines Unternehmers an seine Handelsvertreter, mit dem dieser über bei einem Mitbewerber erfolgte Durchsuchung und Beschlagnahmemaßnahmen informiert,144 aus. Nur wenn solche Äußerungen dazu bestimmt sind, nach außen zu wirken, liegt eine geschäftliche Handlung vor, etwa wenn Mitarbeiter davon überzeugt werden sollen, auf Abwerbeversuche eines Mitbewerbers nicht einzugehen,145 oder wenn Mitarbeiter aufgefordert werden, im Kundengespräch bestimmte herabsetzende Äußerungen über Mitbewerber Kunden zu verwenden.146 Auch rein verbandsinternen Äußerungen fehlt der erforderliche Marktbezug.147 So ist etwa das Rundschreiben einer Steuerberaterkammer an ihre Mitglieder, in dem über eine gegen einen (nicht kammerangehörigen) Mitbewerber erwirkte Unterlassungsverfügung berichtet wird, keine geschäftliche Handlung.148 Gleiches gilt für Äußerungen, die gegenüber einem Geschäftspartner erfolgen und damit zwar nach außen wirken, bei objektiver Betrachtung aber keinen Zusammenhang mit einer Wettbewerbsförderung aufweisen, wie z.B. bei einer den ehemaligen Praxiskollegen zugleich herabsetzenden Mitteilung eines Arztes an einen den Internet-Auftritt der Praxisgemeinschaft betreuenden Dienstleister, dieser solle die Daten des ausgeschiedenen Arztes aus dem InternetAuftritt entfernen.149
_____
138 Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen, § 2 Rn. 62. 139 Fezer/Büscher/Obergfell/Fezer § 2 Nr. 1 Rn. 72; Harte/Hennig/Keller § 2 Rn. 38. 140 BGH 22.4.1993 – I ZR 75/91 – GRUR 1993, 761, 762 – Makler-Privatangebot m.w.N. 141 OLG Köln 19.6.1998 – 6 U 215/97 – GRUR 1999, 376. 142 Fezer/Büscher/Obergfell/Fezer § 2 Nr. 1 Rn. 77; Harte/Hennig/Keller § 2 Rn. 39; Köhler/Bornkamm/Feddersen, § 2 Rn. 36; Ohly/Sosnitza § 2 Rn. 14, 17. 143 OLG München 4.2.1971 – 6 U 1944/70 – WRP 1971, 280 (zu § 1 a.F.). 144 OLG Koblenz 28.1.1988 – 6 U 1602/87– WRP 1988, 557 (zu § 1 a.F.). 145 OLG Stuttgart 18.3.1983 – 2 U 187/82 – WRP 1983, 446 f. (zu § 3 a.F.). 146 OLG Hamburg 18.4.1985 – 3 U 253/84 – WRP 1985, 651, 654 (zu § 1 a.F.). 147 Harte/Hennig/Keller § 2 Rn. 39; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 2 Rn. 36. 148 OLG Brandenburg 29.9.2005 – 6 U 28/05 – GRUR-RR 2006, 199 f.; OLG Brandenburg 25.9.2007 – 6 U 100/06 – GRUR 2008, 356. 149 OLG Karlsruhe 9.7.2004 – 4 U 188/07 – GRUR-RR 2010, 47, 48.
165
Toussaint
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
41
d) Wiedergabe der Äußerung eines Dritten. Eine eigene geschäftliche Handlung kann auch dann vorliegen, wenn lediglich – etwa durch Zitierung oder auch Verlinkung150 auf eine fremde Internetquelle – Äußerungen eines Dritten wiedergegeben werden. Dies ist einmal dann der Fall, wenn der Wiedergebende sich die fremde Äußerung erkennbar zu eigen macht.151 Davon ist regelmäßig auszugehen, wenn die fremde Äußerung so in den eigenen Gedankengang eingefügt wird, dass die gesamte Äußerung als eigene erscheint.152 Jedenfalls im Rahmen des Schutzes des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist darüber hinaus anerkannt, dass auch die bloße Wiedergabe einer rechtsverletzenden Äußerung ihrerseits rechtsverletzend sein kann, wenn dies ohne ernsthafte Distanzierung und nicht lediglich als Teil einer (objektiven) Dokumentation des Meinungsstandes geschieht.153 Ein Sonderfall liegt vor, wenn fremde Äußerungen nicht (aktiv) wiedergeben wer42 den, sondern ihrer Verbreitung lediglich eine Plattform geboten wird. So stellt die Unterhaltung eines Bewertungsportals im Internet, auf dem Dritte Hotels bewerten können, bereits als solche eine geschäftliche Handlung dar, wenn sie objektiv mit der Förderung eigenen Absatzes zusammenhängt, weil der Anbieter selbst Hotelbuchungen vermittelt oder durchführt.154 Es ist dann konsequent, dem Anbieter herabsetzende Äußerungen Dritter auf einem solchen Bewertungsportal als eigene unlautere Verhaltensweisen zuzurechnen.155 Ähnliches wird für die Bereithaltung von Blog- oder Kommentarfunktionen auf einer Internet-Seite im Zusammenhang mit der Förderung der eigenen Tätigkeit durch eben diese Seite gelten müssen.156 43
2. Spürbarkeit. Nach § 3 Abs. 1 a.F. war nicht jede (insbesondere nach §§ 4–6) unlautere geschäftliche Handlung bereits unzulässig, sondern nur dann, wenn sie geeignet ist, die Interessen von Mitbewerbern, Verbrauchern oder sonstigen Marktteilnehmern „spürbar“ zu beeinträchtigen. Mit dem UWG 2015 ist dieses Erfordernis als gesondertes Tatbestandsmerkmal im Verhältnis zu Mitbewerbern (im Verhältnis zu Verbrauchern vgl. demgegenüber § 3 Abs. 2) entfallen, bleibt aber bei der Prüfung der Tatbestandsmäßigkeit einer der in § 4 aufgezählten unlauteren Handlungen zu berücksichtigen. Eine Herabsetzung oder Verunglimpfung i.S.d. § 4 Nr. 1 setzt bereits tatbestandlich eine gewisse Erheblichkeit der Beeinträchtigung des Mitbewerbers voraus (s.u. Rn. 50), so dass es im Rahmen des § 4 Nr. 1 auch schon vor der Änderung des § 3 Abs. 1 keiner gesonderten Prüfung der Spürbarkeit bedurfte.157
_____
150 Vgl. OLG Hamm 7.2.2008 – 1–4 U 154/07 – MMR 2008, 750, 751 f. 151 Vgl. BGH 19.5.2011 – I ZR 147/09 – GRUR 2012, 74 Tz. 36 – Coaching-Newsletter; BGH 19.3.2015 – I ZR 94/13 – GRUR 2015, 1129 Tz. 25 – Hotelbewertungsportal. 152 BGH 17.11.2009 – VI ZR 226/08 – GRUR 2010, 458 Tz. 15 m.w.N. 153 BGH 30.1.1996 – VI ZR 386/94 – BGHZ 132, 13, 18 f. = GRUR 1997, 396, 398 – Polizeichef; BGH 17.11.2009 – VI ZR 226/08 – GRUR 2010, 458 Tz. 15 (im Interesse der Meinungsfreiheit und zum Schutz der Presse mit der gebotenen Zurückhaltung zu prüfen), jeweils m.w.N. 154 LG Berlin 21.10.2010 – 52 O 229/10 – BeckRS 2011, 03617; LG Hamburg 1.9.2011 – 327 O 607/10 – WRP 2012, 94, 96. 155 Vgl. LG Hamburg 1.9.2011 – 327 O 607/10 – WRP 2012, 94, 97, wo allerdings die Besonderheit vorlag, dass alle Veröffentlichungen auf dem Portal vom Betreiber einzeln freigegeben wurden; a.A. LG Berlin 21.10.2010 – 52 O 229/10 – BeckRS 2011, 03617: Der Umstand, dass der Betrieb des Bewertungsportals eine geschäftliche Handlung ist, macht das Einstellen von Bewertungen nicht ebenfalls zu einer geschäftlichen Handlung, solange der Betreiber insoweit nicht selbst tätig wird. 156 Vgl. OLG Hamm 23.8.2011 – I-4 U 67/11 – GRUR-RR 2012, 279, 280; s. allg. auch Bernreuther AfP 2011, 218. 157 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 2.20, § 4 Rn. 1.3; Ohly/Sosnitza § 4.1 Rn. 1/9; Gloy/Loschelder/ Erdmann/Hasselblatt § 54 Rn. 38; Köhler GRUR 2005, 1, 7.
Toussaint
166
Geschäftsehrverletzung – Nr. 1
§4
II. Mitbewerber Die Herabsetzung oder Verunglimpfung muss sich gegen einen Mitbewerber richten; 44 nur dieser ist für Ansprüche aus Verstößen gegen § 4 Nr. 1 aktivlegitimiert.158 Nach der allgemeinen Definition des § 3 Abs. 1 Nr. 3 ist Mitbewerber i.S.d. UWG jeder Unternehmer, der mit einem oder mehreren Unternehmern als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis steht. Zwischen dem Verletzer und dem Verletzten muss daher hinsichtlich des Gegenstands der Herabsetzung oder Verunglimpfung ein konkretes Wettbewerbsverhältnis bestehen. Verletzer und Verletzter müssen mithin gleichartige Waren oder Dienstleistungen innerhalb desselben Personenkreises anbieten bzw. nachfragen mit der Folge, dass die konkret beanstandete Verhaltensweise des einen Wettbewerbers den anderen durch Behinderung oder Störung im Absatz bzw. beim Bezug beeinträchtigen kann.159 Für Einzelheiten zu den Voraussetzungen eines solchen konkreten Wettbewerbsverhältnisses ist auf die Kommentierung zu § 2 zu verweisen. Die individualschützende Funktion der Norm impliziert, dass mit der Herabsetzung 45 oder Verunglimpfung die Ehre eines bestimmten oder jedenfalls bestimmbaren Verletzten angegriffen wird. Der herabgesetzte oder verunglimpfte Mitbewerber muss daher aus der Äußerung oder ihren Umständen identifizierbar sein. Dies ist dann ohne weiteres der Fall, wenn er oder in unmittelbaren Bezug auf ihn sein Geschäftsbetrieb, seine Kennzeichen, Waren, Dienstleistungen oder Tätigkeiten unmittelbar namentlich genannt oder bildlich dargestellt werden. Es genügt aber – insoweit in Übereinstimmung mit den für eine vergleichende Werbung anerkannten Grundsätzen (vgl. § 6 Rn. 245 ff.) – auch die mittelbare Kenntlichmachung, wie sie insbesondere durch die Darstellung von ohne weiteres mit dem Mitbewerber in Verbindung zu bringenden Waren, aber auch durch Anspielung oder ironische Verfremdung der Kennzeichen oder Werbeaussagen des Mitbewerbers erfolgen kann.160 Nicht einheitlich beurteilt wird die Frage, ob auch die kollektive Herabsetzung oder 46 Verunglimpfung aller Mitbewerber oder einer abstrakt beschriebenen Teilmenge aller Mitbewerber tatbestandsmäßig sein kann. Vor dem UWG 2008 war die pauschale Herabsetzung ungenannter Mitbewerber als Fallgruppe der Generalklausel anerkannt,161 woran auch die zuerst im UWG 2000 erfolgte Regelung der vergleichenden Werbung, die stets ein Erkennbarmachen des Mitbewerbers voraussetzt (§ 6 Abs. 1) und daher solche Pauschalvergleiche nicht erfasst (vgl. § 6 Rn. 245), nichts geändert hat.162 Eine verbreitete
_____
158 Köhler WRP 2009, 499, 507. 159 Vgl. nur BGH 28.9.2011 – I ZR 93/10 – GRUR 2012, 201 Tz. 19 – Poker im Internet m.w.N. 160 Vgl. etwa OLG Hamburg 17.2.2005 – 5 U 53/04 – Magazindienst 2005, 942, 946 – Geiz ist Geil (Verwendung eines auch als Marke geschützten Werbeslogans eines Mitbewerbers); OLG München 11.11.2010 – 29 U 2391/10 – GRUR-RR 2011, 475 – Make taste, not waste (bildliche Darstellung von gebrauchten Portionskaffeekapseln eines Mitbewerbers); LG Nürnberg-Fürth 11.8.2010 – 3 O 5617/09 – GRUR-RR 2010, 384, 386 f. – Storch Heinar (ironische Verfremdung von Wort- und Bildmarken eines Mitbewerbers). 161 Vgl. etwa BGH 19.6.1981 – I ZR 100/79 – GRUR 1981, 823, 826 – Ecclesia-Versicherungsdienst m.w.N.; BGH 11.7.1985 – I ZR 63/83 – GRUR 1985, 982, 983 – Großer Werbeaufwand; BGH 3.2.1988 – I ZR 183/85 – GRUR 1988, 764, 766 – Krankenkassen-Fragebogen; BGH 2.5.1996 – I ZR 108/94 – GRUR 1996, 983, 984 – Preisvergleich II; BGH 2.5.1996 – I ZR 152/94 – WRP 1996, 1097, 1098 – Preistest; BGH 7.11.1996 – I ZR 183/ 94 – GRUR 1997, 227, 228 – Aussehen mit Brille; BGH 25.3.1999 – I ZR 77/97 – GRUR 1999, 1100, 1102 – Generika-Werbung. 162 Vgl. etwa BGH 14.12.2000 – I ZR 147/98 – GRUR 2001, 752, 753 – Eröffnungswerbung; BGH 21.6.2001 – I ZR 69/99 – GRUR 2002, 75, 77 – „SOOOO … BILLIG!“; BGH 25.4.2002 – I ZR 272/99 – GRUR 2002, 982, 983 f. – DIE „STEINZEIT“ IST VORBEI!
167
Toussaint
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
Ansicht geht heute davon aus, dass diese Fallgruppe mit der Neuregelung durch das UWG 2008 nunmehr von § 4 Nr. 1 erfasst wird.163 Eine Gegenansicht lehnt dies ab mit der Begründung, die strengen Maßstäbe des § 4 Nr. 1 passten nicht auf solche Fälle, bei denen mangels individueller Identifizierung des einzelnen Mitbewerbers regelmäßig nicht von einer schwerwiegenden Beeinträchtigung seiner Interessen ausgegangen werden könne.164 Die richtige Antwort der Frage wird sich in der Mitte finden lassen. Auch bei einer Kollektivherabsetzung ist ein individueller Mitbewerber als Verletzter – durch seine Zugehörigkeit zu der betroffenen Gruppe – identifizierbar, so dass insoweit nichts gegen die Anwendung des § 4 Nr. 1 spricht. Zutreffend ist indessen, dass die früher im Rahmen der Generalklausel anerkannte Fallgruppe der pauschalen Herabsetzung ungenannter Mitbewerber anders als § 4 Nr. 1 nicht primär individualschützende Zwecke verfolgte. Die frühere Fallgruppe kann daher nicht im Verhältnis 1 : 1 in den Anwendungsbereich des § 4 Nr. 1 übernommen werden; soweit insbesondere Verbraucherinteressen betroffen sind, kommt eher eine Anwendung von § 4 Nr. 1 bzw. §§ 5, 5a in Betracht.165 Die Abgrenzung ist durch Anwendung eines einheitlichen Maßstabes für eine (individuelle) Herabsetzung oder Verunglimpfung vorzunehmen, bei der zu prüfen ist, ob trotz fehlender Nennung eines bestimmten Mitbewerbers gerade auch dessen Herabsetzung oder Verunglimpfung angenommen werden kann.166 III. Herabsetzung oder Verunglimpfung 1. Gesetzlicher Tatbestand 47
a) Ausgangspunkt. Die von § 4 Nr. 1 als Regelfall einer unlauteren Handlung erfasste Verhaltensweise liegt in der Herabsetzung oder Verunglimpfung von Kennzeichen, Waren, Dienstleistungen, Tätigkeiten oder persönlichen oder geschäftlichen Verhältnissen eines Mitbewerbers. Wie die parallele Verwendung der Begriffe zeigt, bezeichnet dabei der eher konturenlose Begriff der „Herabsetzung“ ebenso wie die „Verunglimpfung“ im allgemeinen Sinne einen Angriff auf die Ehre des Betroffenen. „Herabsetzen“ bezieht sich daher auf die (Geschäfts-)Ehre des Betroffenen und vor allem auf dessen sog. „äußere Ehre“ in Gestalt des Rufs, des Ansehens oder der Wertschätzung, die der Betroffene bei anderen Marktteilnehmern genießt, und meint deren sachlich nicht gerechtfertigte Verringerung. 167 „Verunglimpfen“ bedeutet im allgemeinen deutschen Wortsinne wohl nichts anderes,168 wird aber regelmäßig als eine gesteigerte Form des
_____
163 OLG Hamburg 28.10.2009 – 5 U 204/07 – Magazindienst 2010, 18, 25 – Immer der günstigste Preis; OLG Hamm 28.1.2010 – 4 U 157/09 – MMR 2010, 330, 331; Harte/Hennig/Omsels § 4 Nr. 1 Rn. 26; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 1.11; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 7 Rn. 15. 164 Fezer/Büscher/Obergfell/Nordemann § 4 Nr. 1 Rn. 33; Ohly/Sosnitza § 4.1 Rn. 1/10; Sack WRP 2005, 531, 535 m.w.N. 165 Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.6. 166 Ähnlich im Ergebnis Fezer/Büscher/Obergfell/Nordemann § 4 Nr. 1 Rn. 33, der aber auf die Generalklausel des § 3 Abs. 1 zurückgreifen will. 167 BGH 17.11.2015 – I ZR 219/13 – GRUR-RR 2016, 410 Tz. 16 – Dr. Estrich; BGH 31.3.2016 – I ZR 160/14 – GRUR 2016, 710 Tz. 38 – Im Immobiliensumpf; BGH 1.3.2018 – I ZR 264/16 – GRUR 2018, 622 Tz. 15 – Verkürzter Versorgungsweg II; KG 18.8.2009 – 5 W 95/09 – Magazindienst 2009, 1035, 1041; OLG Hamburg 28.10.2009 – 5 U 204/07 – Magazindienst 2010, 18, 24 – Immer der günstigste Preis; LG Nürnberg-Fürth 11.8.2010 – 3 O 5617/09 – GRUR-RR 2010, 384, 386 – Storch Heinar; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 1.12; Ohly/Sosnitza § 4.1 Rn. 1/13. 168 Vgl. Grimm Deutsches Wörterbuch, Bd. 12/1 (1956), Sp. 2029: jemanden in Ansehen, Ehre, gutem Ruf herabsetzen, schädigen. Auch in anderen Sprachfassungen der IrreführungsRL 1997/2006 dürften die jeweils verwendeten Begriffspaare im Kern keine unterschiedliche Bedeutung haben, eventuell aber eine
Toussaint
168
Geschäftsehrverletzung – Nr. 1
§4
Herabsetzens, etwa als Verächtlichmachen, verstanden.169 Indessen spricht auch die rechtliche Gleichbehandlung – es reicht (ebenso wie nach § 6 Abs. 2 Nr. 5) ein Herabsetzen „oder“ Verunglimpfen aus – eher dafür, beide Begriffe als inhaltlich gleichwertig zu verstehen und damit jedenfalls an ein „Herabsetzen“ tatbestandlich keine geringeren Anforderungen als an ein „Verunglimpfen“ zu stellen.170 Welche der beiden Tatbestandsvarianten konkret vorliegt, kann wegen deren rechtlichen Gleichwertigkeit im Einzelfall ohnehin offenbleiben (insbesondere bedarf es keiner Entscheidung, ob eine bestimmte Verhaltensweise als ein „einfaches“ oder ein „gesteigertes“ Herabsetzen zu bewerten ist). Die Begriffe der Herabsetzung oder Verunglimpfung kehren in § 6 Abs. 2 Nr. 5 wie- 48 der, wo sie der Umsetzung der IrreführungsRL 1997/2006 dienen und richtlinienkonform auszulegen sind (s.o. Rn. 12). Wie bereits ausgeführt wurde (s.o. Rn. 12), gilt das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung zwar nicht für § 4 Nr. 1, doch sollten die Begriffe in beiden Vorschriften tunlichst gleich ausgelegt werden. Ergänzend ist daher auf die Kommentierung zu § 6 zu verweisen (vgl. § 6 Rn. 517 ff.). b) Sachlich nicht gerechtfertigte Rufbeeinträchtigung. Bedeuten Herabsetzen 49 und Verunglimpfen allgemein eine Verringerung des Rufs, des Ansehens bzw. der Wertschätzung, so bedarf der Tatbestand des § 4 Nr. 1 doch einer weiteren Präzisierung. Denn Verhaltensweisen, die auf den Ruf, das Ansehen, die Wertschätzung einwirken können, fallen regelmäßig – als Meinungsäußerung oder aber als meinungsbezogene Tatsachenbehauptungen – in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG (vgl. zum Ganzen Rn. 6 ff.). Die Meinungsfreiheit kann zwar durch allgemeine Gesetze wie auch § 4 Nr. 1 eingeschränkt werden, doch muss bei einem solchen grundrechtseinschränkenden Gesetz auch auf der Ebene der Normauslegung die besondere Bedeutung des eingeschränkten Grundrechts berücksichtigt werden (s.o. Rn. 8 ff.). Die Auslegung des Tatbestandsmerkmals des Herabsetzens oder Verunglimpfens darf daher nur zu einer Einschränkung der Meinungsfreiheit führen, die zur Erreichung der Schutzzwecke des § 4 Nr. 1 geeignet, erforderlich und angemessen ist. Hieraus folgt, dass nicht jede Negativwirkung bereits eine Herabsetzung oder Ver- 50 unglimpfung i.S.d. § 4 Nr. 1 darstellt. Erforderlich ist vielmehr eine Auswirkung gerade auf den Leistungswettbewerb, die überdies eine gewisse – freilich kaum abstrakt zu beschreibende, aber letztlich mit dem früheren Erfordernis der Spürbarkeit in § 3 Abs. 1 a.F. (vgl. hierzu Rn. 43) deckungsgleiche – Erheblichkeitsschwelle überschreitet. Die Verhaltensweise darf nicht durch einen hinreichenden Anlass gerechtfertigt sein.171 Schließlich muss sie nach Art und Ausmaß das sachlich Erforderliche bzw. Gebotene überschreiten.172 Von einer Herabsetzung oder Verunglimpfung kann daher generell nur
_____
etwas unterschiedliche Angriffsrichtung kennzeichnen (vgl. etwa engl. „discredit/denigrate“, franz. „entraîner le discrédit/le dénigrement“, span. „desacreditar/denigrar“, port. „desacreditar/depreciar“). 169 BGH 17.11.2015 – I ZR 219/13 – GRUR-RR 2016, 410 Tz. 16 – Dr. Estrich; BGH 31.3.2016 – I ZR 160/14 – GRUR 2016, 710 Tz. 38 – Im Immobiliensumpf; BGH 1.3.2018 – I ZR 264/16, GRUR 2018, 622 Tz. 15 – Verkürzter Versorgungsweg II; LG Nürnberg-Fürth 11.8.2010 – 3 O 5617/09 – GRUR-RR 2010, 384, 386 – Storch Heinar; Fezer/Büscher/Obergfell/Nordemann § 4 Nr. 1 Rn. 47; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 1 Rn. 32; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 1.12; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 7 Rn. 33; Ohly/Sosnitza § 4.1 Rn. 1/13; Gloy/Loschelder/Erdmann/Hasselblatt § 54 Rn. 31. 170 So etwa BGH 15.10.1998 – I ZR 69/96 – BGHZ 139, 378, 385 = GRUR 1999, 501, 503 – Vergleichen Sie; BGH 12.7.2001 – I ZR 89/99 – GRUR 2002, 72, 73 – Preisgegenüberstellung im Schaufenster. 171 Vgl. BGH 14.7.1961 – I ZR 40/60 – GRUR 1962, 45, 48 – Betonzusatzmittel m.w.N.; BGH 20.12.1967 – Ib ZR 141/65 – GRUR 1968, 262, 265 – Fälschung; BGH 26.4.1990 – I ZR 127/88 – GRUR 1990, 1012, 1013 f. – Pressehaftung (jeweils zu wahren Tatsachenbehauptungen). 172 Vgl. BGH 14.7.1961 – I ZR 40/60 – GRUR 1962, 45, 48 – Betonzusatzmittel m.w.N.; BGH 26.4.1990 – I ZR 127/88 – GRUR 1990, 1012, 1013 f. – Pressehaftung (jeweils zu wahren Tatsachenbehauptungen).
169
Toussaint
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
gesprochen werden, wenn die Grenzen einer von den Umständen sachlich gebotenen Auseinandersetzung verlassen werden und die Verhaltensweise nach den Gesamtumständen unangemessen abfällig, abwertend oder unsachlich erscheint.173 Entscheidend ist die Wirkung der Verhaltensweise auf die angesprochenen Markt51 teilnehmer. Herabsetzend bzw. verunglimpfend wirken können nicht nur abträgliche Werturteile, sondern auch dem Verletzten ungünstige (auch wahre) Tatsachenbehauptungen. Entscheidend sind nicht allein der Inhalt einer Äußerung bzw. der Erklärungswert einer sonstigen Handlung, sondern auch die Form der Verhaltensweise, ihr Anlass, der Zusammenhang, in dem sie erfolgt, und die Verständnismöglichkeit des angesprochenen Verkehrs. Es bedarf daher stets einer Gesamtwürdigung aller, insbesondere der vorgenannten Umstände des Einzelfalls.174 Maßgeblich für die Bewertung ist dabei die Sicht des durchschnittlich informierten und verständigen Adressaten der Verhaltensweise.175 Ergibt sich eine Mehrdeutigkeit, darf bei Äußerungen, die in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG fallen, eine Deutung der Äußerung als Herabsetzung bzw. Verunglimpfung nur erfolgen, wenn alle anderen, rechtlich unbedenklichen Deutungen mit tragfähigen Gründen ausgeschlossen werden können (vgl. o. Rn. 10). Subjektive Elemente enthält das Tatbestandsmerkmal der Herabsetzung oder Ver52 unglimpfung nicht.176 Es kommt also insbesondere nicht darauf an, dass der Verletzter die Rufbeeinträchtigung beabsichtigt oder überhaupt nur erkennt. Nur ein Schadensersatzanspruch nach § 9 setzt zusätzlich Vorsatz oder zumindest Fahrlässigkeit des Verletzers voraus. 53
c) Kundgabe. Herabsetzung oder Verunglimpfung zielen auf die Wirkung bei anderen Marktteilnehmern. Sie müssen daher auch nach außen wirken. Erforderlich ist mithin eine Kundgabe der Herabsetzung oder Verunglimpfung durch den Verletzer als äußere Verletzungshandlung. Diese muss gegenüber Dritten erfolgen. Rein interne Äußerungen sind bereits keine „geschäftliche Handlung“ i.S.d. §§ 3, 2 Abs. 1 Nr. 1 und fallen daher von vornherein nicht in den Anwendungsbereich des UWG (s.o. Rn. 40). Auch eine nur gegenüber dem Verletzten erfolgte Äußerung mag zwar den Tatbestand einer Beleidigung i.S.d. § 185 StGB erfüllen, nicht aber den Tatbestand des § 4 Nr. 1. Denn auch eine solche Äußerung hätte keinerlei Auswirkung im Wettbewerb;177 es dürfte sich daher ebenfalls schon nicht um eine „geschäftliche Handlung“ handeln. Wie und wo-
_____
173 BGH 25.4.2002 – I ZR 272/99 – GRUR 2002, 982, 983 f. – DIE „STEINZEIT“ IST VORBEI! m.w.N. (zu § 1 a.F.); BGH 20.9.2007 – I ZR 171/04 – GRUR 2008, 443 Tz. 18 – Saugeinlagen; BGH 1.10.2009 – I ZR 134/07 – GRUR 2010, 161 Tz. 16 – Gib mal Zeitung (jeweils zu § 6 Abs. 2 Nr. 5 und m.w.N.). 174 BGH 19.5.2011 – I ZR 147/09 – GRUR 2012, 74 Tz. 22 – Coaching-Newsletter; BGH 17.11.2015 – I ZR 219/13 – GRUR-RR 2016, 410 Tz. 19 – Dr. Estrich; BGH 31.3.2016 – I ZR 160/14 – GRUR 2016, 710 Tz. 38 – Im Immobiliensumpf; BGH 1.3.2018 – I ZR 264/16 – GRUR 2018, 622 Tz. 15 – Verkürzter Versorgungsweg II; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 1.13. Zur Berücksichtigung der Verpflichtung einer öffentlichrechtlichen Körperschaft zur Wahrung von Sachlichkeit und Neutralität bei der Aufgabenerfüllung vgl. BGH 1.3.2018 – I ZR 264/16 – GRUR 2018, 622 Tz. 39 – Verkürzter Versorgungsweg II, und vorgehend OLG Köln 27.10.2016 – I-4 U 22/16 – WRP 2017, 609 Rn. 32 ff. – „Hier wird für schlechte Qualität gutes Geld ausgegeben“, jeweils m.w.N. 175 BGH 19.5.2011 – I ZR 147/09 – GRUR 2012, 74 Tz. 22 – Coaching-Newsletter; BGH 17.11.2015 – I ZR 219/13 – GRUR-RR 2016, 410 Tz. 19 – Dr. Estrich; BGH 31.3.2016 – I ZR 160/14 – GRUR 2016, 710 Tz. 38 – Im Immobiliensumpf; BGH 1.3.2018 – I ZR 264/16 – GRUR 2018, 622 Tz. 15 – Verkürzter Versorgungsweg II; Fezer/Büscher/Obergfell/Nordemann § 4 Nr. 1 Rn. 50; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 1.13; Ohly/ Sosnitza § 4.1 Rn. 1/14. Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG erfordert die unvoreingenommene und verständige Würdigung des objektiven Sinngehalts der Handlung, vgl. Rn. 9. 176 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 1.13. 177 Ohly/Sosnitza § 4.1 Rn. 1/13.
Toussaint
170
Geschäftsehrverletzung – Nr. 1
§4
durch die Kundgabe erfolgt, spielt für den Tatbestand des § 4 Nr. 1 keine Rolle. Im Vordergrund steht zwar die Herabsetzung oder Verunglimpfung durch mündliche oder schriftliche Äußerungen. Die Kundgabe kann aber ebenso gut durch bildliche Darstellungen (z.B. Darstellung des rot durchgestrichenen Logos eines Mitbewerbers178 oder Abbildung einer – angesichts des angeblich unübertroffenen Angebots des Verletzers – neidisch, hilflos und niedergeschlagen dargestellten, den Mitbewerber oder seinen Kunden verkörpernden Person),179 durch Gesten oder sonstige Handlungen erfolgen. 2. Werturteile a) Notwendigkeit der Gesamtabwägung. Jede wertende Aussage enthält Elemente 54 der Stellungnahme, des Dafürhaltens und des Meinens und fällt daher als Meinungsäußerung in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG (s.o. Rn. 6.). Die Anwendung des § 4 Nr. 1 auf eine wertende Verhaltensweise bedingt daher eine Einschränkung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit. Auf der Ebene der Normanwendung des § 4 Nr. 1 auf den konkreten Fall verlangt Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG daher eine Abwägung zwischen der Beeinträchtigung, die den von der Norm rechtlich geschützten Interessen des Betroffenen durch die Verhaltensweise droht, einerseits und der Beeinträchtigung, die aus den Rechtsfolgen der Norm der Meinungsfreiheit des Handelnden droht, andererseits, bei der alle wesentlichen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind (s.o. Rn. 9). Maßgeblich für die Abwägung ist die jeweilige Schwere der Beeinträchtigung. Eine auf § 4 Nr. 1 gestützte Einschränkung der Meinungsfreiheit setzt daher zunächst 55 die Feststellung voraus, dass im konkreten Fall das Schutzgut des § 4 Nr. 1 – die Erhaltung eines nicht durch unlautere Rufbeeinträchtigungen verfälschten Leistungswettbewerbs – durch eine Herabsetzung oder Verunglimpfung gefährdet ist.180 Sodann bedarf es der Feststellung, dass der Schutz vor dieser Gefährdung im Einzelfall Vorrang vor der Meinungsfreiheit hat. Das setzt die Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit i.e.S. der Einschränkung der Meinungsfreiheit im konkreten Fall zum Schutz des Leistungswettbewerbs voraus. Hierbei spielt bei Meinungsäußerungen, die anders als Tatsachenbehauptungen (zu diesen s.u. Rn. 64 ff.) nicht „richtig“ oder falsch“ sein können, die Berechtigung oder eine „Richtigkeit“ einer Kritik oder eines Werturteils keine Rolle.181 Von Bedeutung ist aber, ob von dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit im Rahmen einer privaten Auseinandersetzung zur Verfolgung von Eigeninteressen, insbesondere also auch der Förderung des eigenen Wettbewerbs, oder aber im Zusammenhang mit einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage Gebrauch gemacht wird. Je stärker das Interesse des Handelnden auf politische, wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Belange der Allgemeinheit gerichtet ist, desto eher ist die Äußerung in Abwägung mit anderen Belangen gerechtfertigt.182 Handelt es sich bei der umstrittenen Äußerung um einen Bei-
_____
178 LG Braunschweig 24.10.2010 – 9 O 319/10 – ZUR 2011, 268 (Herabsetzung verneint). 179 OLG Köln 13.4.1999 – 6 W 24/99 – NJWE-WettbR 1999, 277. 180 BVerfG 1.8.2001 – 1 BvR 1188/92 – GRUR 2001, 1058, 1060 – Therapeutische Äquivalenz; BVerfG 6.2.2002 – 1 BvR 952/90, 1 BvR 2151/96 – GRUR 2002, 455, 456 – Tier- und Artenschutz; BVerfG 7.11.2002 – 1 BvR 580/02 – WRP 2003, 69, 71 – JUVE-Handbuch II (jeweils zu § 1 a.F.); BVerfG 12.7.2007 – 1 BvR 2041/ 02 – GRUR 2008, 81, 83 – Pharmakartell (zu § 2 Abs. 2 Nr. 5 a.F.). 181 BVerfG 25.1.1984 – 1 BvR 272/81 – BVerfGE 66, 116, 151 = NJW 1984, 1741, 1746 – Wallraff. 182 BVerfG 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91 u.a. – BVerfGE 93, 266, 294 = NJW 1995, 3303, 3304 f. – „Soldaten sind Mörder“; BVerfG 12.7.2007 – 1 BvR 2041/02 – GRUR 2008, 81, 83 – Pharmakartell; BGH 19.5.2011 – I ZR 147/09 – GRUR 2012, 74 Tz. 33 – Coaching-Newsletter.
171
Toussaint
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
trag zur öffentlichen Meinungsbildung, so spricht nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Vermutung zugunsten der Freiheit der Rede,183 so dass eine Abwägung zulasten der Meinungsfreiheit nur ausnahmsweise in Betracht kommt und einer besonderen Begründung bedarf. b) Fälle eines regelmäßigen Zurücktretens der Meinungsfreiheit 56
aa) Schmähkritik. Eine nach § 4 Nr. 1 unzulässige Herabsetzung oder Verunglimpfung liegt stets bei einer sog. Schmähkritik vor.184 Davon ist auszugehen, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung des Betroffenen im Vordergrund steht, der jenseits polemischer und überspitzter Kritik herabgesetzt und gleichsam an den Pranger gestellt werden soll.185 Auch eine solche Schmähkritik fällt zwar nicht von vornherein aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG heraus, doch tritt regelmäßig die Meinungsfreiheit hinter dem Ehrenschutz zurück, ohne dass es noch einer Abwägung im Einzelfall bedarf.186 Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf Meinungsfreiheit erfordern daher die Anlegung strenger Maßstäbe an die Bewertung einer Äußerung als Schmähkritik.187 Berücksichtigt werden müssen Anlass und Kontext der Äußerung; eine isolierte Betrachtung eines einzelnen Begriffs kommt allenfalls dann in Betracht, wenn dessen diffamierender Gehalt so erheblich ist, dass der Ausdruck in jedem denkbaren Sachzusammenhang als bloße Herabsetzung des Betroffenen erscheint und daher unabhängig von seinem konkreten Kontext stets als persönlich diffamierende Schmähung aufgefasst werden muss.188 Auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik
_____
183 BVerfG 15.1.1958 – 1 BvR 400/51 – BVerfGE 7, 198, 208, 212 = GRUR 1958, 254, 256 – Lüth; stRspr, vgl. nur BVerfG 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91 u.a. – BVerfGE 93, 266, 294 f. = NJW 1995, 3303, 3304 f. – „Soldaten sind Mörder“; BVerfG 24.5.2006 – 1 BvR 984/02 – NJW 2006, 3266, 3267; ebenso BGH 11.3.2008 – VI ZR 7/07 – WRP 2008, 813 Tz. 31 – Gen-Milch m.w.N. 184 BGH 19.5.2011 – I ZR 147/09 – GRUR 2012, 74 Tz. 32 – Coaching-Newsletter. 185 BVerfG 23.8.2005 – 1 BvR 1917/04 – NJW 2005, 3274; BVerfG 12.7.2007 – 1 BvR 2041/02 – GRUR 2008, 81, 83 – Pharmakartell; BVerfG 10.3.2009 – 1 BvR 2650/05 – NJW-RR 2010, 204 Tz. 31; BVerfG 12.5.2009 – 1 BvR 2272/04 – WRP 2009, 943 Tz. 28 – „durchgeknallter Staatsanwalt“; BGH 5.12.2006 – VI ZR 45/05 – GRUR 2007, 441 Tz. 18 – Terroristentochter; BGH 11.12.2007 – VI ZR 14/07 – WRP 2008, 359 Tz. 22; BGH 11.3.2008 – VI ZR 7/07 – WRP 2008, 813 Tz. 29 – Gen-Milch; BGH 11.3.2008 – VI ZR 189/06 – WRP 2008, 820 Tz. 15; BGH 3.2.2009 – VI ZR 36/07 – WRP 2009, 631 – Fraport-Manila-Skandal Tz. 18; BGH 23.6.2009 – VI ZR 196/08 – BGHZ 181, 328 = WRP 2009, 979 Tz. 34 – spickmich.de; BGH 22.9.2009 – VI ZR 19/08 – WRP 2009, 1540 Tz. 17 jeweils m.w.N.; vgl. auch OLG Frankfurt a.M. 27.3.2014 – 6 U 75/12 – WRP 2014, 1098 – Meisterbetrüger, zu Schmähkritik in Anwaltsschriftsätzen. 186 BVerfG 19.4.1990 – 1 BvR 40/86, 1 BvR 42/86 – BVerfGE 82, 43, 51 = NJW 1990, 1980, 1981; st. Rspr, vgl. nur BVerfG 8.5.2007 – 1 BvR 193/05 – NJW 2008, 358, 359; BVerfG 5.12.2008 – 1 BvR 1318/07 – NJW 2009, 749 Tz. 12 – Dummschwätzer; BVerfG 12.5.2009 – 1 BvR 2272/04 – WRP 2009, 943 Tz. 28 – „durchgeknallter Staatsanwalt“; BGH 5.12.2006 – VI ZR 45/05 – GRUR 2007, 441 Tz. 16 – Terroristentochter; BGH 27.3.2007 – VI ZR 101/06 – GRUR 2007, 724 Tz. 11 – Meinungsforum; BGH 23.6.2009 – VI ZR 196/08 – BGHZ 181, 328 = WRP 2009, 979 Tz. 34 – spickmich.de, jeweils m.w.N. 187 BVerfG 19.4.1990 – 1 BvR 40/86, 1 BvR 42/86 – BVerfGE 82, 43, 51 = NJW 1990, 1980, 1981; stRspr, vgl. nur BVerfG 12.7.2007 – 1 BvR 2041/02 – GRUR 2008, 81, 83 – Pharmakartell; BVerfG 12.5.2009 – 1 BvR 2272/04 – WRP 2009, 943 Tz. 28 – „durchgeknallter Staatsanwalt“; BVerfG 8.2.2017 – 1 BvR 2973/14 – GRUR 2017, 841 Tz. 14 – „Obergauleiter der SA-Horden“; BGH 5.12.2006 – VI ZR 45/05 – GRUR 2007, 441 Tz. 16 – Terroristentochter; BGH 3.2.2009 – VI ZR 36/07 – WRP 2009, 631 – Fraport-Manila-Skandal Tz. 18; BGH 11.3.2008 – VI ZR 189/06 – WRP 2008, 820 Tz. 15; BGH 22.9.2009 – VI ZR 19/08 – WRP 2009, 1540 Tz. 17; BGH 31.3.2016 – I ZR 160/14 – GRUR 2016, 710 Tz. 48 – Im Immobiliensumpf; BGH 1.3.2018 – I ZR 264/16 – GRUR 2018, 622 Tz. 32 – Verkürzter Versorgungsweg II, jeweils m.w.N. 188 BVerfG 5.12.2008 – 1 BvR 1318/07 – NJW 2009, 749 Tz. 16 – Dummschwätzer; BVerfG 12.5.2009 – 1 BvR 2272/04 – WRP 2009, 943 Tz. 28 – „durchgeknallter Staatsanwalt“; BGH 5.12.2006 – VI ZR 45/05 – GRUR 2007, 441 Tz. 19 – Terroristentochter m.w.N.
Toussaint
172
Geschäftsehrverletzung – Nr. 1
§4
macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung.189 Ebenso wenig genügt die ehrverletzende Wirkung als solche; hinzukommen muss, dass die Diffamierung jedes sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund rückt.190 Solange eine Auseinandersetzung mit einer Sachfrage im Vordergrund steht191 oder die Möglichkeit einer Anknüpfung an ein Verhalten des Betroffenen besteht, ist daher die Annahme einer Schmähkritik ausgeschlossen.192 bb) Formalbeleidigung. Stets unzulässig sind auch sog. Formalbeleidigungen (vgl. 57 § 192 StGB). Sie werden dadurch gekennzeichnet, dass sich eine Kränkung bereits aus der Form der Äußerung ohne Rücksicht auf ihren Inhalt ergibt.193 Wie bei der Schmähkritik steht auch bei der Formalbeleidigung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund.194 Formalbeleidigungen fallen zwar ebenso wie Schmähungen nicht von vornherein aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, doch tritt auch bei ihnen die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter dem Ehrschutz zurück, weshalb eine Bewertung als Formalbeleidigung die Anwendung strenger Maßstäbe erfordert.195 Äußerste Zurückhaltung bei der Annahme einer Formalbeleidigung ist im Übrigen schon deshalb geboten, weil der Begriff der Formalbeleidigung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bislang noch nicht abschließend definiert wurde.196 cc) Angriffe gegen die Menschenwürde. Keiner Einzelabwägung sind Angriffe ge- 58 gen die Menschenwürde zugänglich, weil diese als Wurzel aller Grundrechte mit keinem Einzelgrundrecht abwägungsfähig ist.197 Auch wenn die Ehre vom Persönlichkeitsrecht umfasst ist, liegt allein in der Verletzung der Ehre des Betroffenen noch kein solcher Angriff gegen die Menschenwürde. Ein solcher ist vielmehr nur dann anzunehmen, wenn der Angriff sich nicht lediglich gegen einzelne Persönlichkeitsrechte, sondern gegen den ihre menschliche Würde ausmachenden Kern der Persönlichkeit richtet.198 Angriffe ge-
_____
189 BVerfG 10.3.2009 – 1 BvR 2650/05 – NJW-RR 2010, 204 Tz. 31; BVerfG 12.5.2009 – 1 BvR 2272/04 – WRP 2009, 943 Tz. 28 – „durchgeknallter Staatsanwalt“. 190 BVerfG 12.5.2009 – 1 BvR 2272/04 – WRP 2009, 943 Tz. 35 – „durchgeknallter Staatsanwalt“. 191 BVerfG 10.3.2009 – 1 BvR 2650/05 – NJW-RR 2010, 204 Tz. 31; BGH 3.2.2009 – VI ZR 36/07 – WRP 2009, 631 – Fraport-Manila-Skandal Tz. 21; BGH 1.3.2018 – I ZR 264/16 – GRUR 2018, 622 Tz. 32 – Verkürzter Versorgungsweg II. 192 BVerfG 5.12.2008 – 1 BvR 1318/07 – NJW 2009, 749 Tz. 16 – Dummschwätzer; BVerfG 12.5.2009 – 1 BvR 2272/04 – WRP 2009, 943 Tz. 36 – „durchgeknallter Staatsanwalt“; BGH 11.12.2007 – VI ZR 14/07 – WRP 2008, 359 Tz. 24. 193 BVerfG 24.9.1993 – 1 BvR 1491/89 – NJW 1994, 2413; z.B. Bezeichnung als „Krüppel“, BVerfG 25.3.1992 – 1 BvR 514/90 – BVerfGE 86, 1, 10 = GRUR 1992, 471, 474 – „geb. Mörder“. 194 BVerfG 15.4.2008 – 1 BvR 1793/07 – NJW 2008, 2424, 2425. 195 BVerfG 19.4.1990 – 1 BvR 40/86, 1 BvR 42/86 – BVerfGE 82, 43, 51 = NJW 1990, 1980, 1981; stRspr, vgl. nur BVerfG 8.5.2007 – 1 BvR 193/05 – NJW 2008, 358, 359; BVerfG 5.12.2008 – 1 BvR 1318/07 – NJW 2009, 749 Tz. 12 – Dummschwätzer; BVerfG 12.5.2009 – 1 BvR 2272/04 – WRP 2009, 943 Tz. 28 – „durchgeknallter Staatsanwalt“; BVerfG 8.2.2017 – 1 BvR 2973/14 – GRUR 2017, 841 Tz. 14 – „Obergauleiter der SA-Horden“; BGH 5.12.2006 – VI ZR 45/05 – GRUR 2007, 441 Tz. 16 – Terroristentochter; BGH 23.6.2009 – VI ZR 196/08 – BGHZ 181, 328 = WRP 2009, 979 Tz. 34 – spickmich.de, jeweils m.w.N. 196 Vgl. BVerfG 20.5.1999 – 1 BvR 1294/96 – BeckRS 1999, 30060310. 197 BVerfG 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91 u.a. – BVerfGE 93, 266, 293 = NJW 1995, 3303, 3304 – „Soldaten sind Mörder“; stRspr, vgl. nur BVerfG 10.11.1998 – 1 BvR 1531/96 – BVerfGE 99, 185, 197 = NJW 1999, 1322, 1324 – Helnwein; BVerfG 11.3.2003 – 1 BvR 426/02 – BVerfGE 107, 275, 283 f. = GRUR 2003, 442, 443 – Benetton-Werbung II; BVerfG 24.5.2006 – 1 BvR 984/02 – NJW 2006, 3266, 3267; BVerfG 4.2.2010 – 1 BvR 369/04 u.a. – NJW 2010, 2193 Tz. 29 – „Ausländerrückführung“; BGH 7.12.1999 – VI ZR 51/99 – BGHZ 143, 199, 208 f. = WRP 2000, 310, 314; BGH 30.5.2000 – VI ZR 276/99 – NJW 2000, 3421, 3422, jeweils m.w.N. 198 BVerfG 4.2.2010 – 1 BvR 369/04 u.a. – NJW 2010, 2193 Tz. 31 – „Ausländerrückführung“ m.w.N.
173
Toussaint
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
gen die Menschenwürde können in allen Verhaltensweisen bestehen, die dem Betroffenen seinen Achtungsanspruch als Mensch absprechen, wie Erniedrigung, Brandmarkung, Verfolgung oder Ächtung.199 Da aber alle Grundrechte Konkretisierungen der Menschenwürde sind, verlangt das Bundesverfassungsrecht eine sorgfältige Begründung der Annahme, dass im Einzelfall der Gebrauch eines Grundrechts – des Grundrechts auf Meinungsfreiheit – die unantastbare Menschenwürde verletzt.200 c) Sonstige Fälle. In allen anderen Fällen ist eine Abwägung zwischen der von der Verhaltensweise ausgehenden konkreten Beeinträchtigung für die Stellung des Betroffenen im Leistungswettbewerb und einer Beeinträchtigung der Meinungsäußerungsfreiheit des Handelnden durch eine Anwendung des § 4 Nr. 1 und seiner Rechtsfolgen auf die Verhaltensweise unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen.201 Auf der Seite des Betroffenen kommt es hierfür vor allem auf Art, Umfang und Schwere der Auswirkungen der Verhaltensweise für ihn an. Auf der Seite des Handelnden kommt es in erster Linie darauf an, ob ein sachlicher Anlass für die Verhaltensweise bestand, ob die Verhaltensweise sich an die Grenzen des durch Anlass und Umstände sachlich Gebotenen halten und welche Zwecke er dabei verfolgt. Insbesondere wird derjenige, der zur Förderung des eigenen Wettbewerbs einen Mitbewerber herabsetzt oder verunglimpft, dabei strenger beurteilt als derjenige, der nur die Öffentlichkeit informieren will.202 Danach ist eine Werbeaussage, die eigene Leistung anpreisend herausstellt, nicht 60 bereits wegen der ausdrücklich oder lediglich immanent damit verbundenen Auseinandersetzung mit den Vor- und Nachteilen der Leistung eines Mitbewerbers unlauter; vielmehr müssen zu der Negativwirkung für den Mitbewerber besondere Umstände hinzutreten, die die Aussage im Einzelfall als unangemessen abfällig, abwertend oder unsachlich erscheinen lassen.203 Dies wurde etwa verneint: für die Bewerbung von Optikerfachgeschäften mit dem Slogan „Lieber besser aussehen als viel bezahlen“;204 für die Herausstellung der eigenen Waren als preisgünstig, der sich der Vorwurf generell überhöhter Preise eines Mitbewerbers nicht entnehmen lässt;205 für einen Ladenaushang, der allgemein vor der Praxis durchgestrichener Preise warnte;206 für die Versendung einer medizinischer Vergleichsstudie mit einer zurückhaltend formulierten, nüchternen Wie59
_____
199 BVerfG 11.3.2003 – 1 BvR 426/02 – BVerfGE 107, 275, 284 = GRUR 2003, 442, 443 – Benetton-Werbung II; BVerfG 4.2.2010 – 1 BvR 369/04 u.a. – NJW 2010, 2193 Tz. 31 – „Ausländerrückführung“ m.w.N. Beispiel: „Mengele des DDR-Doping-Systems“, offengelassen von BVerfG 24.5.2006 – 1 BvR 984/02 – NJW 2006, 3266, 3267. 200 BVerfG 11.3.2003 – 1 BvR 426/02 – BVerfGE 107, 275, 284 = GRUR 2003, 442, 443 – Benetton-Werbung II; BVerfG 4.2.2010 – 1 BvR 369/04 u.a. – NJW 2010, 2193 Tz. 30 – „Ausländerrückführung“ m.w.N. 201 BGH 19.5.2011 – I ZR 147/09 – GRUR 2012, 74 Tz. 33 – Coaching-Newsletter; BGH 17.11.2015 – I ZR 219/13 – GRUR-RR 2016, 410 Tz. 33 – Dr. Estrich, jeweils m.w.N. 202 BGH 21.2.1964 – Ib ZR 108/62 – GRUR 1964, 392, 394 – Weizenkeimöl; OLG Hamm 23.10.2007 – 4 U 87/07 – MMR 2008, 757. 203 BGH 12.7.2001 – I ZR 89/99 – GRUR 2002, 72, 73 – Preisgegenüberstellung im Schaufenster (zu § 2 Abs. 2 Nr. 5 a.F.); BGH 25.4.2002 – I ZR 272/99 – GRUR 2002, 982, 983 f. – DIE „STEINZEIT“ IST VORBEI! m.w.N. (zu § 1 a.F.); BGH 20.9.2007 – I ZR 171/04 – GRUR 2008, 443 Tz. 18 – Saugeinlagen; BGH 1.10.2009 – I ZR 134/07 – GRUR 2010, 161 Tz. 16 – Gib mal Zeitung m.w.N. (jeweils zu § 6 Abs. 2 Nr. 5 und m.w.N.). Vgl. auch BGH 19.5.2011 – I ZR 147/09 – GRUR 2012, 74 Tz. 37. – Coaching-Newsletter; BGH 12.12.2013 – I ZR 131/12 – GRUR 2014, 601 Tz. 42 – englischsprachige Pressemitteilung 204 BGH 7.11.1996 – I ZR 183/94 – GRUR 1997, 227, 228 – Aussehen mit Brille (zu § 1 a.F.). 205 BGH 15.10.1998 – I ZR 69/96 – BGHZ 139, 378, 385 f. = GRUR 1999, 501, 503 – Vergleichen Sie; BGH 14.12.2000 – I ZR 147/98 – GRUR 2001, 752, 753; BGH 12.7.2001 – I ZR 89/99 – GRUR 2002, 72, 73 – Preisgegenüberstellung im Schaufenster (jeweils zu § 2 Abs. 2 Nr. 5 a.F.). 206 BGH 21.6.2001 – I ZR 69/99 – GRUR 2002, 75, 77 – „SOOOO … BILLIG!“ (zu § 1 a.F.).
Toussaint
174
Geschäftsehrverletzung – Nr. 1
§4
dergabe wissenschaftlicher Erkenntnisse an Fachkreise;207 für einen Werbeslogan, nach dem die – als „Steinzeit“ bezeichnete – Zeit der konkurrierenden Steinbauweise „vorbei“ sei;208 für die in einem sachbezogenen Schreiben verwendete Aussage, dass ein konkurrierendes Verpackungsprodukt die verpackte Ware mit einer bestimmten Substanz „kontaminiere“;209 für verschiedene im Rahmen einer Rezension der Dissertation eines Mitbewerbers im Internet getätigten kritischen Aussagen („Es deutet alles darauf hin, dass X nicht einmal die Mischungsberechnung selbst vorgenommen hat“, „Dieser Fakt allein zeigt, dass X in seiner Dissertation Äpfel mit Birnen vergleicht und nicht wissenschaftlich vorgeht“, „Die verwendete Literatur beschränkt sich im Wesentlichen auf deutsche Normen sowie auf Branchenfachbücher und in Branchenzeitschriften veröffentlichte Fachartikel. Die zuvor genannte Literatur erfüllt für sich alleine schon keine wissenschaftlichen Standards sondern ist nur als Fachinformation bzw. technische Ausführungsregel für Ausführende und Planer geeignet. Auf Primärliteratur mit wissenschaftlichem Hintergrund greift X in seinen schriftlichen Arbeiten nicht erkennbar zurück“, „Die Arbeit erfüllt sicher nicht die Anforderungen einer renommierten Hochschule an eine naturwissenschaftliche Dissertation. Es werden weder wissenschaftliche Methoden angewandt noch echte Forschungsfragen gestellt“ und „Für den Leser ergeben sich aus X Arbeit keine neuen Erkenntnisse, Theorien, Modelle, Rechenverfahren etc., die für die Fortschreibung der Wissenschaft von Nutzen wären. Aber genau darin liegt der Anspruch an eine Doktorarbeit …. Das einfache Anwenden zahlreicher normativer Prüfungen zählt sicher nicht dazu! Die Dissertation soll der Fortentwicklung der Wissenschaft und nicht der ausschließlichen Selbstdarstellung dienen“);210 für die Äußerung eines Rechtsanwalts in einem Zeitungsartikel über die Tätigkeit eines Notars (und Rechtsanwalts) „Ich halte das für organisierte Wirtschaftskriminalität, bei der gezielt Anleger ruiniert werden“;211 für die in einem Zeitungsartikel zitierten Äußerungen „Hier wird für schlechte Qualität gutes Geld ausgegeben“ und „Eine kontinuierliche Nachsorge durch den Arzt sei aber kaum möglich: zu lange Wartezeiten, falscher Umgang mit Reklamation, zu wenig Raum, um auf den Kunden eingehen zu können“ des Geschäftsführers einer Handwerksinnung über einen anderen Vertriebsweg nutzende Handwerker.212 Unzulässig sind insbesondere pauschale Herabsetzungen ohne jeden Sachbezug. Beispiele sind der in der eigenen Werbung enthaltene Hinweis auf den großen Werbeaufwand der Mitbewerber wegen der darin nach dem Sinnzusammenhang liegenden Behauptung, diese Erzeugnisse seien teurer, als es von der Leistung her gerechtfertigt wäre;213 die auf Produkte von Mitbewerbern bezogene Werbeaussage „Billige Composite Rackets (Graphite-Fiberglas) muten wir Ihnen nicht zu“;214 die in einem Rundschreiben eines Steuerberaters an potentielle Mandanten durch den nicht näher begründeten Hinweis auf von den Empfängern (angeblich) in der Vergangenheit zu viel gezahlte Steuerberaterhonorare, Steuern und Abgaben zum Ausdruck gebrachte Pauschalkritik an Preiswürdigkeit und fachlicher Qualität der Leistung der Mitbewerber;215 die auf der Internetseite eines Anwalts in einer Kolumne über einen anderen Anwalt geäußerte Vermutung, dieser sei
_____ 207 208 209 210 211 212 213 214 215
175
BGH 17.1.2002 – I ZR 161/99 – GRUR 2002, 633, 635 – Hormonersatztherapie (zu § 2 Abs. 2 Nr. 5 a.F.). BGH 25.4.2002 – I ZR 272/99 – GRUR 2002, 982, 984 – DIE „STEINZEIT“ IST VORBEI! (zu § 1 a.F.). BGH 20.9.2007 – I ZR 171/04 – GRUR 2008, 443 Tz. 19 – Saugeinlagen (zu § 6 Abs. 2 Nr. 5). BGH 17.11.2015 – I ZR 219/13 – GRUR-RR 2016, 410 Tz. 20 ff. – Dr. Estrich. BGH 31.3.2016 – I ZR 160/14 – GRUR 2016, 710 Tz. 32 ff. – Im Immobiliensumpf. BGH 1.3.2018 – I ZR 264/16 – GRUR 2018, 622 Tz. 13 ff. – Verkürzter Versorgungsweg II. BGH 11.7.1985 – I ZR 63/83 – GRUR 1985, 982, 983 – Großer Werbeaufwand (zu § 1 a.F.). BGH 5.2.1998 I ZR 211/95 – BGHZ 138, 55, 66 = GRUR 1998, 824, 828 – Testpreis-Angebot (zu § 1 a.F.). BGH 29.7.2009 – I ZR 77/07 – GRUR 2010, 349 Tz. 38 – EKW-Steuerberater.
Toussaint
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
vielleicht „einfach nur zu sehr mit der Vertretung anderer illustrer Mandanten … beschäftigt, um sich noch eingehender mit dem Fall zu befassen“;216 eine Aussage in einem Werbespot, die zum Ausdruck bringt, dass alle Mitbewerber bei Rabatten, Sonderangeboten, Aktionspreisen und Gutscheinen „tricksen“;217 der Hinweis auf namentlich bezeichnete „schwarze Schafe“ unter den Mitbewerbern auf der eigenen Internet-Verkaufsplattform;218 die Aussage in einem per E-Mail-Newsletter, dass „sich immer noch merkwürdige Anbieter auf dem Markt befinden“, die auf einen Artikel verlinkt ist, der von „Scharlatanen“ spricht und einzelne Mitbewerber namentlich benennt;219 eine Aussage im Rahmen einer Rezension der Dissertation eines Mitbewerbers, mit der diesem elementare Fachkenntnisse im Bereich seines Handwerks abgesprochen werden („Verwundern tut dabei, dass X bei der Durchbiegungsberechnung auf Seite 91 offensichtlich die Zusammenhänge der Festigkeitslehre nicht beherrscht und deshalb auf eine Formelsammlung … zurückgreifen muss“).220 Eine wertende Kritik an der gewerblichen Leistung eines Wirtschaftsunternehmens 61 ist in der Regel auch dann zulässig, wenn sie scharf und überzogen formuliert ist.221 Bei einem Warentest muss allerdings die selbst in Anspruch genommene Objektivität gewahrt bleiben; erforderlich ist daher, dass die der Veröffentlichung der Ergebnisse zugrundeliegende Untersuchung neutral, sachkundig und im Bemühen um Richtigkeit vorgenommen sein muss.222 So stellt etwa bei einer Restaurantkritik ein einziges Testessen keine hinreichend zuverlässige Tatsachengrundlage für eine die wirtschaftlichen Interessen des betroffenen Restaurants erheblich beeinträchtigende Abwertung dar.223 62
d) Sonderfall humoristische, ironische oder satirische Äußerungen. Humor und Ironie sind – wohl schon immer – beliebte Mittel der Werbung und dem Durchschnittsverbraucher vertraut. Humoristische oder ironische Äußerungen über einen Mitbewerber sind daher aus der maßgeblichen Sicht des durchschnittlich informierten und verständigen Adressatensicht regelmäßig nicht als nach den Gesamtumständen unangemessen abfällig, abwertend oder unsachlich zu bewerten.224 Sie sind dann bereits tatbestandsmäßig keine Herabsetzung oder Verunglimpfung i.S.d. § 4 Nr. 1, so dass es auch keiner weiteren Abwägung bedarf. Hierfür müssen allerdings zwei Voraussetzungen erfüllt sein. Zum einen muss für den angesprochenen Adressatenkreis der Humor bzw. die Ironie als solche erkennbar sein; der Verkehr darf mithin die Aussage nicht wörtlich und damit nicht ernst nehmen.225 Das ist auch dann zu verneinen, wenn die Aussage zwar
_____
216 KG 20.5.2009 – 24 U 54/08 – AfP 2010, 271, 273. 217 OLG Hamburg 28.10.2009 – 5 U 204/07 – Magazindienst 2010, 18, 25 – Immer der günstigste Preis. 218 OLG Hamm 28.1.2010 – 4 U 157/09 – MMR 2010, 330, 331. 219 BGH 19.5.2011 – I ZR 147/09 – GRUR 2012, 74 Tz. 35 ff. – Coaching-Newsletter. 220 BGH 17.11.2015 – I ZR 219/13 – GRUR-RR 2016, 410 Tz. 40 ff. – Dr. Estrich. 221 BGH 11.12.2007 – VI ZR 14/07 – WRP 2008, 359 Tz. 22 m.w.N.; OLG Köln 3.5.2011 – I-15 U 194/10 – AfP 2011, 489, 490. 222 BGH 9.12.1975 – VI ZR 157/73 – BGHZ 65, 325, 333 f. = GRUR 1976, 268, 271 – Warentest II; BGH 21.2.1989 – VI ZR 18/88 – GRUR 1989, 539 – Warentest V, jeweils m.w.N.; OLG Köln 3.5.2011 – I-15 U 194/10 – AfP 2011, 489, 490. 223 BGH 12.6.1997 – I ZR 36/95 – GRUR 1998, 167, 169 – Restaurantführer; OLG Köln 3.5.2011 – I-15 U 194/10 – AfP 2011, 489, 491. 224 BGH 12.7.2001 – I ZR 89/99 – GRUR 2002, 72, 74 – Preisgegenüberstellung im Schaufenster (zu § 2 Abs. 2 Nr. 5 a.F.); BGH 17.1.2002 – I ZR 215/99 – GRUR 2002, 828, 830 – Lottoschein (zu § 1 a.F.); BGH 25.4.2002 – I ZR 272/99 – GRUR 2002, 982, 984 – DIE „STEINZEIT“ IST VORBEI! (zu § 1 a.F.); BGH 1.10.2009 – I ZR 134/07 – GRUR 2010, 161 Tz. 17, 20 – Gib mal Zeitung (zu § 6 Abs. 2 Nr. 5). 225 BGH 17.1.2002 – I ZR 215/99 – GRUR 2002, 828, 830 – Lottoschein (zu § 1 a.F.); BGH 1.10.2009 – I ZR 134/07 – GRUR 2010, 161 Tz. 20 – Gib mal Zeitung (zu § 6 Abs. 2 Nr. 5); Köhler WRP 2010, 571, 575.
Toussaint
176
Geschäftsehrverletzung – Nr. 1
§4
humoristisch oder ironisch eingekleidet ist, ihr aber jedenfalls maßgebliche Teile des Adressatenkreises einen „wahren Kern“ in Bezug auf den Mitbewerber entnehmen werden (etwa weil ein gängiges Vorurteil bedient wird).226 Zum anderen darf die Verhaltensweise keine unangemessene Abwertung des Mitbewerbers oder seiner Leistungen zum Ausdruck bringen, indem sie den Mitbewerber dem Spott oder der Lächerlichkeit preisgibt.227 Dies muss auch jenseits der Grenzen feinen Humors oder leiser Ironie noch nicht zwangsläufig der Fall sein.228 Bei – im Wettbewerb wohl unüblicher – Verwendung (echter) Satire können die Grenzen des noch zulässigen schneller überschritten sein.229 Ob eine Verhaltensweise hiernach zulässig oder unzulässig ist, kann nur durch sorg- 63 fältige Prüfung des Einzelfalls ermittelt werden. Als zulässig wurden in der Rechtsprechung etwa angesehen:230 Aushang der Zeitungswerbung eines Konkurrenten für eine Sonderaktion im eigenen Schaufenster mit dem Hinweis, dieselbe beworbene Ware sei in diesem Geschäft „normal“ zu einem bestimmten, günstigeren Preis erhältlich;231 die Darstellung eines Lottoscheins mit der Unterzeile „Um Geld zu vermehren, empfehlen wir ein anderes Papier“ in der Anzeige einer Wirtschaftszeitschrift;232 die Verwendung des Werbeslogans „Die ‚Steinzeit‘ ist vorbei“ für Häuser in Holzrahmen-Bauweise;233 Hörfunkwerbung einer Betriebskrankenkasse mit einer Text- und Geräuschpassage, nach der sich „manche Krankenkassen“ wie ein nicht anspringendes oder orgelndes Auto anhören und die werbende Betriebskrankenkasse wie ein Formel-1-Wagen;234 Werbespot für einen Schokoladenriegel, der einen überdimensionalen, sehr biegsamen und vor Staub sprühenden Getreideriegel zeigt;235 die karikierende Darstellung eines typischen Lesers der Tageszeitung eines Mitbewerbers, die ihn aber nicht pauschal als primitiv und dumm erscheinen ließ;236 die ironische Anlehnung an Wort- und Bildmarken eines Mitbewerbers, die von vornherein darauf angelegt war, nicht ernst genommen zu werden.237 Für unzulässig gehalten wurden dagegen etwa: Werbespots für feuchtes Toilettenpapier, die die (rhetorische) Frage „Fühlen sich manche feuchten Toilettentücher nicht ein bisschen steif (bzw. hart) an?“ mit der Darstellung eines Stachelschweins (bzw. den Bürsten einer Autowaschanlage) verbanden;238 die (karikierende) Personifizierung eines Konkurrenzproduktes in einem Werbespot, mit der die vorgeblichen Nachteile dieses Produkts angeprangert und das Produkt selbst der Lächerlichkeit preisgegeben wurden.239 (Wohl übertrieben) empfindlich zeigte sich die Rechtsprechung auch bei Wortspielen mit nega-
_____
226 OLG Hamburg 28.10.2009 – 5 U 204/07 – Magazindienst 2010, 18, 25 – Immer der günstigste Preis (humoristisch eingekleidete Aussage, dass Rabatte, Sonderangebote, Aktionspreise etc., wie sie bei der Konkurrenz anzutreffen seien, nichts brächten). 227 BGH 17.1.2002 – I ZR 215/99 – GRUR 2002, 828, 830 – Lottoschein (zu § 1 a.F.); BGH 1.10.2009 – I ZR 134/07 – GRUR 2010, 161 Tz. 20 – Gib mal Zeitung (zu § 6 Abs. 2 Nr. 5); Köhler WRP 2010, 571, 575. 228 BGH 1.10.2009 – I ZR 134/07 – GRUR 2010, 161 Tz. 20 – Gib mal Zeitung. 229 Vgl. KG 18.8.2009 – 5 W 95/09 – Magazindienst 2009, 1035, 1040 m.w.N. 230 Vgl. auch die Übersicht von Franz WRP 2018, 15. 231 BGH 12.7.2001 – I ZR 89/99 – GRUR 2002, 72, 74 – Preisgegenüberstellung im Schaufenster (zu § 2 Abs. 2 Nr. 5 a.F.). 232 BGH 17.1.2002 – I ZR 215/99 – GRUR 2002, 828, 830 – Lottoschein (zu § 1 a.F.). 233 BGH 25.4.2002 – I ZR 272/99 – GRUR 2002, 982, 984 – DIE „STEINZEIT“ IST VORBEI! (zu § 1 a.F.). 234 OLG Hamburg 23.1.2003 – 5 U 176/02 – GRUR-RR 2003, 249 (zu § 1 a.F.). 235 OLG Hamburg 6.3.2003 – 5 U 227/01 – GRUR-RR 2003, 251 (zu § 1 a.F.). 236 BGH 1.10.2009 – I ZR 134/07 – GRUR 2010, 161 Tz. 18 – Gib mal Zeitung (zu § 6 Abs. 2 Nr. 5). 237 LG Nürnberg-Fürth 11.8.2010 – 3 O 5617/09 – GRUR-RR 2010, 384, 386 f. – Storch Heinar. 238 OLG Frankfurt 25.11.2004 – 6 U 142/04 – GRUR-RR 2005, 137, 138 – Vergleich mit Stachelschwein (zu § 6 Abs. 2 Nr. 5). 239 LG Köln 29.5.2008 – 31 O 845/07 – GRUR-RR 2009, 154 f. (zu § 6 Abs. 2 Nr. 5).
177
Toussaint
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
tiven Konnotationen (etwa „Hängen Sie noch an der Flasche?“,240 „Fremdgehen kann teuer werden“).241 3. Tatsachenbehauptungen a) Allgemeines. Die bloße Behauptung von – einem Wahrheitsbeweis zugänglichen – Tatsachen ist keine Meinungsäußerung i.S.d. Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, fällt aber gleichwohl dann unter den grundrechtlichen Schutz der Meinungsfreiheit, wenn die Behauptung zur Meinungsbildung beitragen kann (s.o. Rn. 6). Letzteres wird bei herabsetzenden oder verunglimpfenden Tatsachenbehauptungen regelmäßig der Fall sein, weil sie aufgrund ihrer Wirkung auf die Adressaten zur Bewertung des Betroffenen in deren Augen beitragen können. Auch für solche Tatsachenbehauptung gebietet Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG daher eine Abwägung zwischen dem Schutzgut des § 4 Nr. 1 und der Meinungsfreiheit. Allerdings richtet sich diese Abwägung maßgeblich (wenngleich auch hier nicht ausschließlich) nach dem Wahrheitsgehalt der Behauptung:242 Wahre Tatsachenbehauptungen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind, unwahre dagegen regelmäßig nicht. Ob es sich bei einer Äußerung im Einzelfall um eine Meinungsäußerung oder um 65 eine Tatsachenbehauptung handelt, ist nach ihrem objektiven Sinn zu bestimmen, wobei nicht alleine auf eine konkret vom Betroffenen beanstandete Formulierung abgestellt werden darf, sondern der Zusammenhang berücksichtigt werden muss, in den die Äußerung eingebettet ist.243 Treffen in einer komplexen Äußerung Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen zusammen, ist eine willkürliche „Zerlegung“ und isolierte rechtliche Betrachtung einzelner Teile der Aussage unzulässig; vielmehr ist die Äußerung in ihrem Gesamtzusammenhang danach zu beurteilen, ob sie insgesamt durch die Tatsachenbehauptung oder die Meinungsäußerung geprägt ist.244 Auch soweit eine Äußerung, in der wertende und tatsächliche Elemente zusammentreffen, insgesamt als Meinungsäußerung anzusehen ist, kann aber die Richtigkeit der tatsächlichen Bestandteile bei der vorzunehmenden Abwägung eine Rolle spielen.245 Bei schlagwortartigen Äußerungen kommt es darauf an, ob diese einen Bezug auf 66 konkrete, dem Wahrheitsbeweis zugängliche Vorgänge aufweisen.246 Dieser Bezug kann sich aus dem Zusammenhang ergeben, in dem die Äußerung fällt.247 Ausreichend ist aber auch, dass der Bezug sich in der Vorstellung eines durchschnittlich informierten und verständigen Adressaten von selbst einstellt.248 Ist ein solcher Bezug zu Tatsachen vorhanden,
64
_____
240 OLG München 16.9.1999 – 6 U 2646/98 – NJWE-WettbR 2000, 177 (zu § 1 a.F.). 241 OLG Jena 28.8.2002 – 2 U 268/02 – GRUR-RR 2003, 254 (zu § 2 Abs. 2 Nr. 5 a.F.). 242 BVerfG 10.11.1998 – 1 BvR 1531/96 – BVerfGE 99, 185, 197 = NJW 1999, 1322, 1324 – Helnwein; BVerfG 25.6.2009 – 1 BvR 134/03 – NJW-RR 2010, 470 Tz. 62 – Pressespiegel; BGH 11.3.2008 – VI ZR 7/07 – WRP 2008, 813 Tz. 13 – Gen-Milch, jeweils m.w.N. 243 BGH 16.6.1998 – VI ZR 205/97 – BGHZ 139, 95, 102 = GRUR 1999, 187, 188 f. – IM-Sekretär. 244 BGH 24.1.2006 – XI ZR 384/03 – BGHZ 166, 84 = NJW 2006, 830 Tz. 63 – Kirch/Deutsche Bank AG; BGH 22.9.2009 – VI ZR 19/08 – WRP 2009, 1540 Tz. 11; BGH 17.11.2009 – VI ZR 226/08 – GRUR 2010, 458 Tz. 15 – Heute wird offen gelogen, jeweils m.w.N. 245 BGH 11.3.2008 – VI ZR 7/07 – WRP 2008, 813 Tz. 13 – Gen-Milch m.w.N. 246 BGH 11.7.1989 – VI ZR 255/88 – GRUR 1989, 781, 782 – Wassersuche; BGH 17.11.1992 – VI ZR 344/91 – GRUR 1993, 409, 410 – Illegaler Fellhandel; BGH 11.3.2008 – VI ZR 7/07 – WRP 2008, 813 Tz. 13 – Gen-Milch m.w.N. 247 BGH 17.11.1992 – VI ZR 352/91 – GRUR 1993, 412, 413 – Ketten-Mafia. 248 BGH 22.6.1982 – VI ZR 251/80 – GRUR 1982, 631, 632 – Klinikdirektoren; BGH 17.12.1991 – VI ZR 169/ 91 – NJW 1992, 1314, 1316; BGH 30.1.1996 – VI ZR 386/94 – BGHZ 132, 13, 21 = GRUR 1997, 396, 398 – Polizeichef; BGH 11.3.2008 – VI ZR 7/07 – WRP 2008, 813 Tz. 13 – Gen-Milch.
Toussaint
178
Geschäftsehrverletzung – Nr. 1
§4
wird die schlagwortartige Äußerung auch nicht dadurch zur Meinungsäußerung, dass sie selbst bei isolierter Betrachtung auf einem Werturteil beruht (z.B. die Bezeichnung eines konkreten Verhaltens als „illegal“249 oder als „Betrugsmasche“).250 Der tatsächliche Gehalt einer Äußerung tritt aber dann hinter die Wertung zurück und beeinflusst die Abwägung nicht, wenn er so substanzarm ist, dass sich der Äußerung keine konkret greifbare Tatsache entnehmen lässt,251 z.B. wenn Geschäfte als nicht „sauber“ bezeichnet werden.252 Im Übrigen können bloße Relativierungen einer Tatsachenbehauptung (z.B. „offenbar“, „angeblich“, „ich meine, dass …“) diese nicht zur Meinungsäußerung machen.253 b) Unwahre Tatsachen. Tatsachenbehauptungen, die entweder bewusst unwahr 67 sind oder deren Unwahrheit bereits im Zeitpunkt der Äußerung unzweifelhaft feststeht, können nichts zur Meinungsbildung beitragen und fallen daher schon nicht unter den Schutz des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG.254 Ist eine derartige Äußerung herabsetzend bzw. verunglimpfend i.S.d. § 4 Nr. 1, bedarf es daher keiner weiteren Abwägung; die Verhaltensweise ist ohne weiteres unlauter. Im Übrigen genießt eine Tatsachenbehauptung mit Meinungsbezug aber auch dann 68 den Schutz des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, wenn sie sich nachträglich als unwahr erweist.255 Die hiernach notwendige Abwägung zwischen dem Schutzgut des § 4 Nr. 1 und der Meinungsfreiheit lässt letztere für die Behauptung unwahrer Tatsachen aber regelmäßig zurücktreten. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Wahrheit oder Unwahrheit einer Tatsachenbehauptung zunächst ungewiss sein und sich erst später herausstellen kann. Mit Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG wäre nicht zu vereinbaren, wenn sanktionslos letztlich nur solche Tatsachen behauptet werden könnten, deren Wahrheit bereits feststeht.256 Daher kommt es in einem solchen Fall maßgeblich darauf an, wie sorgfältig derjenige, der die dem Betroffenen nachteilige Tatsachenbehauptung aufgestellt hat, deren Wahrheitsgehalt zuvor recherchiert hat.257 Je schwerer die Nachteile für den Betroffenen wiegen, umso höhere Anforderungen sind an die hierbei zu erfüllende Sorgfalt zu stellen.258 Im Übrigen gelten für Medien strengere Maßstäbe als für Privatpersonen.259
_____
249 BGH 22.6.1982 – VI ZR 251/80 – GRUR 1982, 631, 632 – Klinikdirektoren; BGH 17.11.1992 – VI ZR 344/91 – GRUR 1993, 409, 410 – Illegaler Fellhandel. 250 BGH 11.7.1989 – VI ZR 255/88 – GRUR 1989, 781, 782 – Wassersuche. 251 BVerfG 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79 – BVerfGE 61, 1, 9 = NJW 1983, 1415, 1416; BVerfG 28.7.2004 – 1 BvR 2566/95 – NJW-RR 2004, 1710, 1711 – Gerlach-Report; BGH 21.6.1966 – VI ZR 261/64 – BGHZ 45, 296, 304 = GRUR 1966, 693, 695 – Höllenfeuer; BGH 11.3.2008 – VI ZR 7/07 – WRP 2008, 813 Tz. 14 – Gen-Milch m.w.N. 252 BGH 22.9.2009 – VI ZR 19/08 – WRP 2009, 1540 Tz. 15. 253 BGH 22.4.2008 – VI ZR 83/07 – BGHZ 176, 175 = WRP 2008, 1114 Tz. 17 m.w.N. 254 BVerfG 10.11.1998 – 1 BvR 1531/96 – BVerfGE 99, 185, 197 = NJW 1999, 1322, 1324 – Helnwein; BVerfG 25.6.2009 – 1 BvR 134/03 – NJW-RR 2010, 470 Tz. 62 – Pressespiegel; BGH 16.6.1998 – VI ZR 205/97 – BGHZ 139, 95, 101 = GRUR 1999, 187, 188 – IM-Sekretär; BGH 11.3.2008 – VI ZR 7/07 – WRP 2008, 813 Tz. 13 – GenMilch; BGH 22.4.2008 – VI ZR 83/07 – BGHZ 176, 175 = WRP 2008, 1114 Tz. 34; BGH 17.11.2015 – I ZR 219/13 – GRUR-RR 2016, 410 Tz. 25 – Dr. Estrich, jeweils m.w.N.; zu weitgehend (jede unwahre Tatsachenbehauptung) juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 1 Rn. 35; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 1.15. 255 BVerfG 10.11.1998 – 1 BvR 1531/96 – BVerfGE 99, 185, 197 = NJW 1999, 1322, 1324 – Helnwein; BGH 22.4.2008 – VI ZR 83/07 – BGHZ 176, 175 = WRP 2008, 1114 Tz. 34, jeweils m.w.N. 256 Vgl. ausführlich hierzu BVerfG 25.6.2009 – 1 BvR 134/03 – NJW-RR 2010, 470 Tz. 62 – Pressespiegel m.w.N. 257 Vgl. etwa BGH 21.6.1966 – VI ZR 266/64 – GRUR 1966, 633, 635 – Teppichkehrmaschine; BGH 30.1.1996 – VI ZR 386/94 – BGHZ 132, 13, 23 f. = GRUR 1997, 396, 399 – Polizeichef. 258 BVerfG 25.6.2009 – 1 BvR 134/03 – NJW-RR 2010, 470 Tz. 62 – Pressespiegel. 259 Vgl. zur sog. „pressemäßigen“ Sorgfalt BGH 12.5.1987 – VI ZR 195/86 – NJW 1987, 2225, 2226; BGH 30.1.1996 – VI ZR 386/94 – BGHZ 132, 13, 24 ff. = GRUR 1997, 396, 399 – Polizeichef.
179
Toussaint
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
69
c) Wahre Tatsachen. Bei der Äußerung wahrer Tatsachen (oder solcher Tatsachen, deren Wahrheitsgehalt vom Äußernden jedenfalls mit ausreichender Sorgfalt geprüft wurde) geht die Abwägung zwischen der Beeinträchtigung des Betroffenen und der Meinungsfreiheit des Äußernden regelmäßig zugunsten Letzterer aus. Eine der Wahrheit entsprechende Kritik muss ein Gewerbetreibender grundsätzlich hinnehmen, selbst wenn sie scharf, überzogen oder gar ausfällig formuliert ist.260 Bei der Anwendung des § 4 Nr. 1 gilt dies indessen nicht grenzenlos. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, nach der bei wahren Äußerungen, die die Sozialsphäre betreffen, nur im Fall schwerwiegender Auswirkungen auf das Persönlichkeitsrecht die Meinungsfreiheit zurücktritt,261 betreffen die Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht als Schutzzweck eines die Meinungsfreiheit einschränkenden Gesetzes und dieser. (Verfassungsrechtlich legitimer)262 Schutzzweck von § 4 Nr. 1 ist aber nicht der Schutz des Persönlichkeitsrechts des Mitbewerbers als solchem, sondern die Erhaltung eines nicht durch unlautere Rufbeeinträchtigungen von Mitbewerbern verfälschten Leistungswettbewerbs. Auch bei wahren Tatsachenbehauptungen ist die Grenze des Zulässigen daher überschritten, wenn die von ihnen im Einzelfall ausgehenden Beeinträchtigungen für die Stellung des Betroffenen im Leistungswettbewerb in keinem angemessenen Verhältnis mehr zur Wahrung der Meinungsfreiheit stehen.263 Für die insoweit vorzunehmende Abwägung gilt im Grundsatz nichts anderes als für Meinungsäußerungen, nur dass die Wahrheit der Tatsachenbehauptung als weiteres – und schwerwiegendes – Abwägungselement hinzukommt. Die Weitergabe einer wahren und sachlich gehaltenen Information über einen Mit70 bewerber an die Presse ist zulässig, wenn es um Missstände geht, die das Allgemeininteresse in schwerwiegender Weise berühren und von denen nur der Informant und ggf. andere Mitbewerber Kenntnis haben.264 Unzulässig ist die Veröffentlichung einer Anzeige, in der dem Mitbewerber eine Schutzrechtsverletzung vorgeworfen wird, jedenfalls dann, wenn aufgrund einer bereits erwirkten Unterlassungsverfügung kein sachlich rechtfertigender Anlass hierfür mehr besteht.265 Die Mitteilung von Gerichtsentscheidungen, die zum Nachteil eines Mitbewerbers ergangen sind, ist nur zulässig, wenn ein sachlich rechtfertigender Anlass und ein besonderes öffentliches Interesse hierfür bestehen.266 Entsprechendes gilt für die Mitteilung über die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Mitbewerbers267 oder für Aussagen zu Liquidität oder Bonität eines Mitbewerbers.268 71
4. Kunst- und Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG). Für die von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG gewährleistete Freiheit von Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre gelten nicht die Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG.269 Verhaltensweisen, die die Kunst- oder Wis-
_____
260 BGH 25.11.1986 – VI ZR 269/85 – GRUR 1987, 187, 188 – ANTISEPTICA m.w.N.; BGH 21.4.1998 – VI ZR 196/97 – BGHZ 138, 311, 320 = WRP 1998, 768, 771; BGH 11.3.2008 – VI ZR 7/07 – WRP 2008, 813 Tz. 29 – Gen-Milch. 261 Vgl. nur BVerfG 8.6.2010 – 1 BvR 1745/06 – NJW 2011, 47 Tz. 21 m.w.N. 262 BVerfG 7.11.2002 – 1 BvR 580/02 – WRP 2003, 69, 71 – JUVE-Handbuch II; BVerfG 12.7.2007 – 1 BvR 2041/02 – GRUR 2008, 81, 82 f. – Pharmakartell, jeweils m.w.N. 263 Vgl. Messer FS Vieregge, S. 629, 637 ff. 264 BGH 10.1.1968 – Ib ZR 43/66 – BGHZ 50, 1, 6 = GRUR 1968, 645, 647 – Pelzversand (zu § 1 a.F.). 265 BGH 26.4.1990 – I ZR 127/88 – GRUR 1990, 1012, 1013 f. – Pressehaftung (zu § 1 a.F.). 266 OLG Karlsruhe 22.6.1988 – 6 U 200/87 – WRP 1989, 40, 42 f.; OLG Schleswig 31.1.2008 – 5 U 96/07 – NJOZ 2008, 3533, 3536 ff.; OLG Hamm 7.2.2008 – I-4 U 154/07 – MMR 2008, 750 f. 267 OLG Koblenz 24.9.1987 – 6 U 1189/87, 6 U 1024/87 – GRUR 1988, 43, 44 – Weingut (zu § 1 a.F.). 268 OLG Hamm 22.4.2010 – 4 U 226/09 – BeckRS 2010, 13567. 269 BVerfG 24.2.1971 – 1 BvR 435/68 – BVerfGE 30, 173, 191 = GRUR 1971, 461, 464 – Mephisto.
Toussaint
180
§4
Geschäftsehrverletzung – Nr. 1
senschaftsfreiheit in Anspruch nehmen können, können daher nicht zum Schutze des Leistungswettbewerbs durch eine Anwendung von § 4 Nr. 1 beschränkt werden. 270 Gleichwohl sind auch diese Freiheiten nicht schrankenlos gewährt, sondern finden ihre Grenzen in den Grundrechten Dritter und anderen Verfassungsgütern, mit denen im Kollisionsfall eine fallbezogene Abwägung vorzunehmen ist.271 Kommt ein Verstoß gegen einfachgesetzliche Vorschriften, die dem Schutz verfassungsrechtlich geschützter Rechte (insbesondere dem Persönlichkeitsrecht oder der Eigentumsgarantie) dienen, ist zwischen den Beeinträchtigungen dieser Rechte und der Kunst- bzw. Wissenschaftsfreiheit abzuwägen.272 IV. Gegenstand der Äußerung 1. Kennzeichen. Gegenstand einer Herabsetzung oder Verunglimpfung können zu- 72 nächst die Kennzeichen des Mitbewerbers sein. § 4 Nr. 1 greift ersichtlich den in § 2 Abs. 2 Nr. 4 a.F./§ 6 Abs. 2 Nr. 4 verwendeten Begriff auf, der seinerseits an den in § 1 MarkenG verwendeten Oberbegriff anknüpft.273 Erfasst sind damit jedenfalls die Marken, geschäftlichen Bezeichnungen und geografischen Herkunftsangaben i.S.d. MarkenG.274 Die bei § 6 Abs. 2 Nr. 4 gebotene richtlinienkonforme Auslegung (s.o. Rn. 12) ergibt allerdings, dass „Kennzeichen“ im Sinne dieser Vorschrift jedes Zeichen ist, das von den angesprochenen Verkehrskreisen als von einem bestimmten Unternehmen stammend identifizieren.275 Es liegt daher nahe, auch den gleichlautenden Begriff in § 4 Nr. 1 eben-so zu verstehen (s.o. Rn. 12). Bei Kennzeichen, die bereits unter den Schutz des Mar-kenG fallen, ist dessen Verhältnis zu den Vorschriften des UWG zu beachten (s. hierzu Rn. 20 ff.). 2. Waren und Dienstleistungen. Weiter können Gegenstand der Herabsetzung oder 73 Verunglimpfung die Waren und Dienstleistungen des Mitbewerbers sein, insbesondere hinsichtlich ihrer Qualität, Eignung und etwaige Risiken. Gemeint sind damit jedenfalls die Produkte, die der Mitbewerber auf dem Markt anbietet. Ob auch vom Mitbewerber selbst auf dem Markt von Dritten bezogene Waren und Dienstleistungen solche „des Mitbewerbers“ sein können,276 erscheint sprachlich fraglich, kann aber dahinstehen. Denn die Herabsetzung oder Verunglimpfung von Vorprodukten ist jedenfalls mittelbar auch eine solche der mit diesen erzeugten Endprodukte. 3. Tätigkeiten, persönliche oder geschäftliche Verhältnisse. Schließlich kann 74 auch der Mitbewerber selbst unmittelbares Ziel der Herabsetzung oder Verunglimpfung sein. Dies kann einmal hinsichtlich seiner Tätigkeiten der Fall sein. Damit sind alle (sonstige) Tätigkeiten gemeint, die nicht bereits als von ihm angebotene Dienstleistungen zu verstehen sind. Hierunter fallen vor allem unternehmerische Tätigkeiten mit Außenwirkung wie z.B. der Umgang mit Kunden, Lieferanten oder Mitarbeitern oder die Art
_____
270 Vgl. BGH 3.2.2005 – I ZR 159/02 – GRUR 2005, 583, 585 – Lila-Postkarte. 271 Vgl. nur BVerfG 6.5.2008 – 2 BvR 337/08 – NJW 2008, 2568 Tz. 15 m.w.N. 272 Vgl. BGH 3.2.2005 – I ZR 159/02 – GRUR 2005, 583, 584 f. – Lila-Postkarte (zu von der Eigentumsgarantie geschützten Markenrechten und § 14 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG). 273 Vgl. RegE UWG 2000, BTDrucks. 14/2959, S. 11. Zur richtlinienkonformen Auslegung vgl. EuGH 23.2.2006 – C-59/05 – Slg 2006, I-2147 = GRUR 2006, 345 – Siemens/VIPA. 274 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 1.23. 275 BGH 28.9.2011 – I ZR 48/10 – GRUR 2011, 1158 Tz. 13 – Teddybär m.w.N. 276 So Fezer/Büscher/Obergfell/Nordemann § 4 Nr. 1 Rn. 35.
181
Toussaint
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
und Weise der (z.B. umweltgefährdenden oder sonstige Standards verletzenden) Produktion.277 Darüber hinaus können aber auch private Tätigkeiten, deren Herabsetzung oder Verunglimpfung eine wettbewerbsrechtliche Relevanz hat, Gegenstand einer Herabsetzung oder Verunglimpfung sein.278 Außerdem kann der Mitbewerber hinsichtlich seiner persönlichen oder wirtschaftli75 chen Verhältnisse Ziel der Herabsetzung oder Verunglimpfung sein. Persönliche Verhältnisse sind etwa sein Vor- oder Privatleben,279 Nationalität,280 Religions- oder Konfessionszugehörigkeit. Geschäftliche Verhältnisse sind etwa seine fachliche Befähigung,281 seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit (vgl. Rn. 70) oder seine Seriosität.282 Geschützt vor einer Herabsetzung oder Verunglimpfung sind nicht nur die Verhältnisse des Mitbewerbers (als Unternehmen oder Person) selbst, sondern auch solcher Mitarbeiter oder Repräsentanten des Unternehmens, deren Ruf unmittelbar für das Ansehen des Unternehmens von Bedeutung ist.283 C. Prozessuales I. Darlegungs- und Beweislast 76
Die Darlegungs- und Beweislast für die äußeren Umstände einer herabsetzenden oder verunglimpfenden Verhaltensweise trägt der Verletzte. Gleiches gilt für alle Begleitumstände, die eine bestimmte Verhaltensweise als herabsetzend oder verunglimpfend erscheinen lassen. Soweit es aber – bei Tatsachenbehauptungen – auf die Wahrheit oder Unwahrheit einer Äußerung ankommt, trägt (anders als bei § 4 Nr. 2) der Handelnde die Darlegungs- und Beweislast für die Wahrheit.284 Ebenso sind etwaige entlastende Umstände oder Rechtfertigungsgründe von ihm darzulegen und zu beweisen. II. Revisionsrechtliche Nachprüfbarkeit
77
Einer etwaigen revisionsrechtlichen Nachprüfung unterliegt nur die Rechtsanwendung durch den Tatrichter, nicht aber seine Würdigung des Sachverhaltes. Nachprüfbar ist damit vor allem, ob der Tatrichter den Aussagecharakter einer Verhaltensweise richtig erfasst und insbesondere zutreffend zwischen Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung unterschieden hat.285 Bei der Würdigung einer Verhaltensweise als herabset-
_____
277 Fezer/Büscher/Obergfell/Nordemann § 4 Nr. 1 Rn. 37. 278 juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 1 Rn. 53. 279 Vgl. etwa RG 24.2.1944 – II 278/32 – GRUR 1933, 504, 505. 280 Vgl. etwa RG 25.11.1939 – II 127/39 – RGZ 136, 164, 171 – Coramin m.w.N. 281 Vgl. etwa BGH 30.4.1954 – I ZR 245/52 – GRUR 1954, 404, 405 – Fachmann (Betroffener sei kein Fachmann und besitze in keiner Weise die Fähigkeiten, ein Baugeschäft zu führen); OLG Celle 6.2.1970 – 13 U 159/69 – WRP 1970, 180, 181 (ein künftiger Mitarbeiter sei qualifizierter und weise weit bessere Fachkenntnisse auf als der Mitbewerber, ein ehemaliger Mitarbeiter); OLG Köln 23.11.1984 – 6 U 217/84 – WRP 1985, 233 f. (für die Betroffene tätige Vermögensberater würden über eine ausreichenden Erfahrungen und Kenntnisse verfügen). 282 Vgl. etwa BGH 30.10.1981 – I ZR 93/79 – GRUR 1982, 234, 236 – Großbanken-Restquoten; BGH 20.3.1986 – I ZR 13/84 – GRUR 1986, 812, 814 – Gastrokritiker. 283 Fezer/Büscher/Obergfell/Nordemann § 4 Nr. 1 Rn. 39; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 1 Rn. 53. 284 BGH 15.11.1960 – I ZR 58/57 – GRUR 1961, 85, 90 – Pfiffikus-Dose; BGH 4.12.1968 – I ZR 17/67 – GRUR 1969, 283, 286 – Schornsteinauskleidung (jeweils zu § 1 a.F.). 285 BGH 17.12.1991 – VI ZR 169/91 – NJW 1992, 1314, 1316; BGH 17.11.2015 – I ZR 219/13 – GRUR-RR 2016, 410 Tz. 29 – Dr. Estrich; BGH 31.3.2016 – I ZR 160/14 – GRUR 2016, 710 Tz. 23 – Im Immobiliensumpf, jeweils m.w.N.
Toussaint
182
§4
Anschwärzung
zend oder verunglimpfend ist revisionsrechtlich nachprüfbar, ob der Tatrichter die Rechtsbegriffe der Herabsetzung oder Verunglimpfung und die Bedeutung von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG verkannt hat und insbesondere nicht die richtigen Maßstäbe angewandt oder nicht alle maßgeblichen Umstände berücksichtigt hat,286 nicht aber das Ergebnis der Würdigung. Die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast ist eine Frage des materiellen Rechts und unterliegt daher vollständiger revisionsrechtlicher Nachprüfung.287
§4 Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen § 4 Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen Anschwärzung
Unlauter handelt, wer Toussaint https://doi.org/10.1515/9783110545944-003 … 2.
über die Waren, Dienstleistungen oder das Unternehmen eines Mitbewerbers oder über den Unternehmer oder ein Mitglied der Unternehmensleitung Tatsachen behauptet oder verbreitet, die geeignet sind, den Betrieb des Unternehmens oder den Kredit des Unternehmers zu schädigen, sofern die Tatsachen nicht erweislich wahr sind; handelt es sich um vertrauliche Mitteilungen und hat der Mitteilende oder der Empfänger der Mitteilung an ihr ein berechtigtes Interesse, so ist die Handlung nur dann unlauter, wenn die Tatsachen der Wahrheit zuwider behauptet oder verbreitet wurden;
… Schrifttum Siehe zunächst das Schrifttum zu § 4 Nr. 1; außerdem Brammsen/Apel Die „Anschwärzung“, § 4 Nr. 8 UWG, WRP 2009, 1464; Meier-Beck Die Verwarnung aus Schutzrechten – mehr als eine Meinungsäußerung! GRUR 2005, 535; Messer Der Anspruch auf Geldersatz bei Kreditgefährdung, § 824 BGB, und Anschwärzung, § 14 UWG, FS Steffen (1995) 347; ders. Der unvollständige Testbericht, GRUR 1996, 647; Sack Notwendige Differenzierungen bei unbegründeten Abnehmerverwarnungen, WRP 2007, 708; ders. Unbegründete Schutzrechtsverwarnungen – lückenloser Unternehmensschutz durch das UWG seit 2004, NJW 2009, 1642; Schilling Haftung für geschäftsschädigende Äußerungen Dritter: Abgrenzung zwischen Meinungsforen und kombinierten Buchungs- und Bewertungsportalen, GRUR-Prax 2012, 105; ders. Geschäftsschädigende Äußerungen auf Bewertungsportalen im Internet: Wer haftet noch? GRURPrax 2015, 313; Ullmann Die Verwarnung aus Schutzrechten – mehr als eine Meinungsäußerung? GRUR 2001, 1027.
A.
Systematische Übersicht Einführung | 1 I. Entstehungsgeschichte | 1 II. Inhalt und Zweck der Regelung | 4 III. Abgrenzung zu anderen Tatbeständen | 6 1. § 4 Nr. 1 | 6 2. Andere Vorschriften des UWG | 8 3. Markenrecht | 11 4. Allgemeines Deliktsrecht | 12
_____ 286 287
B.
Einzelheiten | 13 I. Allgemeine Voraussetzungen unlauterer Handlungen | 13 1. Geschäftliche Handlung (§ 3 Abs. 1) | 14 2. Spürbarkeit | 15 II. Mitbewerber | 16 III. Anschwärzung | 19 1. Tatsachen | 20 a) Allgemeines, Abgrenzung zum Werturteil | 20
Vgl. BGH 19.5.2011 – I ZR 147/09 – GRUR 2012, 74 Tz. 21 ff. – Coaching-Newsletter. MünchKommZPO/Krüger § 546 Rn. 4 m.w.N.
183 https://doi.org/10.1515/9783110545944-003
Toussaint
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
Warentest | 24 Sachverständigengutachten | 26 d) Wissenschaftliche Urteile | 27 e) Schutzrechtsverwarnungen | 31 f) Weitere Beispiele | 34 aa) Tatsachenbehauptungen | 34 bb) Meinungsäußerungen | 38 Bezug der Tatsachenbehauptung | 40 a) Waren, Dienstleistungen | 41 b) Unternehmen | 42 c) Unternehmer, Mitglied der Unternehmensleitung | 43 Unwahrheit | 45 b) c)
2.
3.
Alphabetische Übersicht Anschwärzung 4, 19 Ausschmückung 50 behaupten 57, 58 Behinderung, gezielte 8 Berechtigtes Interesse 3, 4, 62, 63 Betrieb 54 Betriebsschädigung 54 Darlegungs- und Beweislast 60 Dienstleistungen 41 Ehrenschutz 1 Ehrenschutz, deliktischer 12 Erheblichkeitsschwelle 15 geschäftliche Handlung 14 Geschäftsehre 1 Herabsetzung 5 Irreführung 9 Kredit 55 Kreditgefährdung 12 Kreditschädigung 55 Markenrecht 11 Meinungsäußerung 21, 38 Mitbewerber 16 Nichterweislichkeit 4 Revisibilität 71
Allgemeines | 45 Wahrheit der Tatsachenmitteilung | 48 c) Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt | 51 4. Schädigungseignung | 52 5. Behaupten oder Verbreiten | 57 Prozessuales | 60 I. Darlegungs- und Beweislast | 60 1. Regelfall (§ 4 Nr. 2, 1. Hs) | 60 2. Sonderfall berechtigtes Interesse an vertraulicher Mitteilung (§ 4 Nr. 2, 2. Hs) | 62 a) Bedeutung der Vorschrift | 62 b) Berechtigtes Interesse | 63 c) Vertraulichkeit | 67 II. Revisionsrechtliche Nachprüfbarkeit | 71 a) b)
C.
Sachverständigengutachten 26 Schädigungseignung 4, 52 Schutzrechtsverwarnung 31 Spürbarkeit 15 Tatsache 20 Tatsachenbehauptung 20, 34, 35, 36, 37 Übertreibung 50 Unternehmen 42 Unternehmensleitung 44 Unternehmer 43 Unwahrheit 4, 45 verbreiten 57, 58 vergleichende Werbung 10 Vertraulichkeit 3, 4, 42, 67 Verunglimpfung 5 Wahrheit 48, 61 Waren 41 Warentest 24 Weglassung 50 Werturteil 21, 38 Wettbewerbsverhältnis, konkretes 16 wissenschaftliches Urteil 27 Wissenschaftsfreiheit 28
A. Einführung I. Entstehungsgeschichte 1
Die Entwicklung des rechtlichen Schutzes der Ehre im Allgemeinen und insbesondere der Geschäftsehre ist in der Kommentierung zu § 4 Nr. 1 dargestellt (vgl. § 4 Nr. 1 Toussaint
184
Anschwärzung
§4
Rn. 1 ff.). Der mit dem UWG 2004 geschaffene und seither inhaltlich unverändert gebliebene Regelung (mit dem UWG 2015 erfolgte lediglich eine Umnummerierung des zunächst in Nr. 8 enthaltenen Regelbeispiels einer unlauteren Handlung zum jetzigen § 4 Nr. 2, § 4 Nr. 1 Rn. 3) entspricht nach der Vorstellung des Gesetzgebers § 14 UWG 1909;1 für seine Auslegung kann daher auch weiterhin auf die Literatur und Rechtsprechung zu § 14 a.F. zurückgegriffen werden.2 § 14 UWG 1909 geht wiederum auf § 6 UWG 1896 zurück. Beide Vorgängervorschriften hatten jeweils zwei Absätze, denen heute die beiden durch ein Semikolon getrennten Halbsätze des § 4 Nr. 2 entsprechen. Anschwärzung Die heute im 1. Halbsatz enthaltene Regelung ist seit 1896 inhaltlich unverändert 2 geblieben. Die dort genannten Tatbestandsmerkmale waren bereits – mit nur geringen sprachlichen Abweichungen – in § 6 Abs. 1 S. 1 UWG 1896 und § 14 Abs. 1 S. 1 UWG 1909 genannt. An sie knüpfte der jeweilige Satz 1 des Absatzes 1 der Vorgängerregelungen einen Schadensersatzanspruch und der jeweilige Satz 2 einen Unterlassungsanspruch an. Geändert hat sich lediglich, dass die Rechtsfolgen nun, aufgrund der anderen Regelungstechnik des UWG 2004, gesondert in den §§ 8 und 9 geregelt sind. In der Sache hat sich hierdurch aber nichts geändert. Eine etwas „bewegtere“ Vergangenheit hat die heute im 2. Halbsatz enthaltene Re- 3 gelung. Bereits vor Schaffung des UWG 1896 war in § 193 StGB die Wahrnehmung berechtigter Interessen als besonderer Rechtsfertigungsgrund für Äußerungsdelikte geregelt worden. In dem in etwa parallel mit dem UWG 1896 entstandenen § 824 BGB ist in Absatz 2 geregelt, dass – abweichend von dem dortigen Absatz 1 – eine bloß fahrlässige Kreditgefährdung dann nicht zum Schadensersatz verpflichtet, wenn der Mitteilende oder der Empfänger der Mitteilung an ihr ein berechtigtes Interesse hat. Auch der Gesetzgeber des UWG 1896 war der Auffassung, dass derjenige, der um eine Auskunft nachsucht, um hiernach seine Geschäftsbeziehungen zu einem anderen zu regeln, und ebenso derjenige, der eine solche Auskunft nach bestem Wissen erteilt, sich in Wahrnehmung berechtigter Interessen befinde und daher auch dann nicht haftbar gemacht werden dürfe, wenn die Auskunft ungünstig lautet.3 In § 6 Abs. 2 UWG 1986 wurden daher Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche vollständig ausgeschlossen, wenn der Mitteilende oder der Empfänger der Mitteilung an ihr ein berechtigtes Interesse hat. Das ging dem Gesetzgeber des UWG 1909 zu weit. Zunächst blieb in § 11 des Entwurfs für den Fall des berechtigten Interesses nur (in § 11 Abs. 1 S. 1) der Ausschluss des Schadensersatzanspruchs beibehalten, während (nach § 11 Abs. 2 S. 2) der Unterlassungsanspruch dann gegeben sein sollte, „wenn die Behauptung der Wahrheit zuwider aufgestellt oder verbreitet ist“, die Unwahrheit also feststeht.4 Zur Begründung wurde ausgeführt, der bisherige Ausschluss auch eines Unterlassungsanspruchs sei nicht gerechtfertigt, vielmehr sei es billig, dem Verletzten die Möglichkeit zu geben, auch im Falle berechtigter Interessen an der Mitteilung die Wiederholung oder Verbreitung der Behauptung zu verhindern, wenn diese objektiv unwahr ist.5 In der schließlich Gesetz gewordenen Fassung sind die Rechtsfolgen bei bestehendem berechtigten Interesse in § 14 Abs. 2 a.F. zusammengefasst. Dabei wurde allerdings die Voraussetzung des berechtigten Interesses – zur Verdeutlichung6 –
_____
1 Begr. des RefE (Stand 23.1.2003), GRUR 2003, 298, 306 (dort noch Nr. 9), und des RegE vom 22.8.2003, BTDrucks. 15/1487, S. 18. 2 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 2.1. 3 Stenographische Berichte des Reichstags, Session 1895/1897, I. Anlagebd., S. 106 (Aktenstück Nr. 35) = Lobe, Die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs, Bd. 3 (1907), S. 65. 4 Stenographische Berichte des Reichstags, Session 1907/1909, Bd. 252, Aktenstück Nr. 1109, S. 3. 5 Stenographische Berichte des Reichstags, Session 1907/1909, Bd. 252, Aktenstück Nr. 1109, S. 20. 6 Kommissionsbericht, Stenographische Berichte des Reichstags, Session 1907/1909, Bd. 255, Aktenstück Nr. 1390, S. 8452.
185
Toussaint
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
um das Erfordernis der Vertraulichkeit der Mitteilung ergänzt (der historische Gesetzgeber wollte damit die – vertrauliche – Wirtschaftsauskunft als Hauptfall eines berechtigten Interesses in den Vordergrund stellen, vgl. auch Rn. 65, 67). Mit dieser Ergänzung wurde der im Entwurf vorgeschlagene beschränkte Unterlassungsanspruch als § 14 Abs. 2 S. 1 a.F. übernommen. Über den Entwurf hinaus ist aber auch der Schadensersatzanspruch nicht mehr gänzlich ausgeschlossen geblieben, sondern in § 14 Abs. 2 S. 2 a.F. unter der einschränkenden Voraussetzung, dass der Mitteilende die Unwahrheit der mitgeteilten Tatsache kannte oder kennen musste, insoweit also jedenfalls fahrlässig gehandelt hat, gewährt worden.7 An diese Rechtslage schließt das UWG 2004 mit § 4 Nr. 8, 2. Hs a.F. (jetzt § 4 Nr. 2, 2. Hs) an. Übernommen wurden die Voraussetzungen vertrauliche Mitteilung/berechtigtes Interesse und feststehende Unwahrheit aus § 14 Abs. 2 S. 1. An den Rechtsfolgen hat sich nichts geändert, weil unter diesen Voraussetzungen (unverändert gegenüber § 14 Abs. 2 S. 1) § 8 Abs. 1 S. 1 einen Unterlassungsanspruch und § 9 unter der zusätzlichen Voraussetzung von Vorsatz oder Fahrlässigkeit (auch in Bezug auf die Unwahrheit und damit unverändert gegenüber § 14 Abs. 2 S. 2 a.F.) einen Schadensersatzanspruch gewähren. § 4 Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen Anschwärzung Toussaint
II. Inhalt und Zweck der Regelung Die Vorschrift regelt die Unlauterkeit (i.S.d. § 3 Abs. 1) der sog. Anschwärzung eines Mitbewerbers. Ihr Tatbestand ist die (als geschäftliche Handlung erfolgende, § 3 Abs. 1) Behauptung oder Verbreitung unwahrer Tatsachen über die Waren, Dienstleistungen oder das Unternehmen eines Mitbewerbers oder über den Unternehmer oder ein Mitglied der Unternehmensleitung mit Schädigungseignung für den Betrieb des Unternehmens oder den Kredit des Unternehmers. Allerdings muss im Regelfall (§ 4 Nr. 2, 1. Hs) die Unwahrheit der Tatsache nicht feststehen; unlauter ist die Verhaltensweise bereits dann, wenn die Wahrheit lediglich nicht erweislich ist. Nur im Sonderfall eines berechtigten Interesses an der (überdies vertraulichen) Mitteilung ist gem. § 4 Nr. 2, 2. Hs Voraussetzung der Unlauterkeit, dass die Unwahrheit feststeht. Ähnlichkeiten bestehen zu den Tatbeständen einer strafrechtlichen Verleumdung (§ 187 StGB), und – vor allem – einer Kreditgefährdung i.S.d. § 824 BGB, doch wird der Verletzte im Verhältnis zu diesen Vorschriften dadurch begünstigt, dass im Regelfall nicht er die Unwahrheit der behaupteten oder verbreiteten Tatsache, sondern der Verletzer deren Wahrheit beweisen muss (Ausnahme: § 4 Nr. 2, 2. Hs). Die Vorschrift dient – ebenso wie § 4 Nr. 1 (vgl. § 4 Nr. 1 Rn. 5) und wie seit dem UWG 5 2015 in der neuen Überschrift des § 4 zum Ausdruck gebracht – primär dem Individualinteresse der Mitbewerber am Schutz ihrer geschäftlichen Ehre (als Ausschnitt des heute anerkannten, insoweit teilkodifizierten allgemeinen Persönlichkeitsrechts, vgl. § 4 Nr. 1 Rn. 1 a.E.)8 und insbesondere ihres guten Geschäftsrufs (als „äußere“ Ehre).9 Wie gem. § 1 S. 2 alle Vorschriften des UWG schützt sie aber zugleich das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten – hier: nicht durch Anschwärzung einzelner Mitbewerber verfälschten – Wettbewerb.
4
_____
7 Vgl. hierzu Kommissionsbericht, Stenographische Berichte des Reichstags, Session 1907/1909, Bd. 255, Aktenstück Nr. 1390, S. 8451 f. 8 Fezer/Büscher/Obergfell/Nordemann § 4 Nr. 2 Rn. 7. 9 OLG Hamm 1.3.2007 – 4 U 142/06 – GRUR-RR 2007, 282, 283 – Google-Spamfilter; Ohly/Sosnitza § 4.2 Rn. 2/1.
Toussaint
186
Anschwärzung
§4
III. Abgrenzung zu anderen Tatbeständen 1. § 4 Nr. 1. Dem wettbewerbsrechtlichen Schutz der Geschäftsehre dient auch § 4 6 Nr. 1. Nach dieser Vorschrift ist die Herabsetzung oder Verunglimpfung der Kennzeichen, Waren, Dienstleistungen, Tätigkeiten oder persönlichen oder geschäftlichen Verhältnisse eines Mitbewerbers unlauter. Von § 4 Nr. 2 unterscheidet sich dieser Tatbestand in zweifacher Hinsicht: Während § 4 Nr. 2 nur die Behauptung oder Verbreitung von (unwahren oder nichterweislich wahren) Tatsachen erfasst, kommt eine Herabsetzung oder Verunglimpfung i.S.d. § 4 Nr. 1 vor allem durch Meinungsäußerungen bzw. Werturteile, daneben aber auch durch (bewusst unwahre, nicht erweislich wahre, u.U. aber auch wahre) Tatsachen in Betracht. Entscheidend für § 4 Nr. 1 ist die herabsetzende bzw. verunglimpfende Wirkung der Mitteilung, während es für § 4 Nr. 2 auf eine solche Wirkung nicht ankommt;10 hier ist vielmehr die Schädigungseignung entscheidend. § 4 Nr. 1 und 2 regeln damit zwar beide die Unlauterkeit von Angriffen gegen die Ge- 7 schäftsehre, erfassen aber unterschiedliche Angriffsformen. Beide Tatbestände stehen daher nebeneinander und schließen sich auch nicht gegenseitig aus. Die Behauptung oder Verbreitung einer nicht erweislich wahren Tatsache kann folglich, wenn sie zur Herabsetzung oder Verunglimpfung führt und Schädigungseignung hat, sowohl nach § 4 Nr. 1 als auch nach § 4 Nr. 2 unlauter sein (vgl. § 4 Nr. 1 Rn. 17). 2. Andere Vorschriften des UWG. Die Anschwärzung eines Mitbewerbers durch die 8 Behauptung oder Verbreitung unwahrer bzw. nicht erweislich wahrer Tatsachen wird regelmäßig zugleich eine gezielte Behinderung des Mitbewerbers i.S.d. § 4 Nr. 4 sein. Letztlich handelt es sich bei der Anschwärzung – wie die Geschäftsehrverletzung i.S.d. § 4 Nr. 1 – um einen Spezialfall des allgemeinen Behinderungstatbestandes (vgl. § 4 Nr. 4 Rn. 55).11 Wenn damit § 4 Nr. 2 die speziellere Vorschrift gegenüber § 4 Nr. 4 ist, schließt dies aber gleichwohl einen (wenn auch regelmäßig entbehrlichen) Rückgriff auf § 4 Nr. 4 als Auffangvorschrift nicht aus.12 Unwahre Angaben können ausnahmsweise auch nach Maßgabe der §§ 5, 5a als irre- 9 führende geschäftliche Handlung unlauter sein. Bei § 4 Nr. 2 einerseits und den §§ 5, 5a andererseits handelt es sich um eigenständige Unlauterkeitstatbestände mit unterschiedlichen Zielrichtungen. Die Regelungen treten daher nebeneinander und schließen sich nicht gegenseitig aus.13 Die Unlauterkeit einer Herabsetzung oder Verunglimpfung durch vergleichende 10 Werbung ist in § 6 Abs. 2 Nr. 4, 5 abschließend geregelt. Die Vorschriften des § 6 sind daher gegenüber § 4 Nr. 1 vorrangig (§ 4 Nr. 1 Rn. 14 ff.). Der abschließende Charakter gilt aber nicht für den irreführenden Vergleich und sperrt daher – in der im Rahmen vergleichender Werbung erfolgenden Anschwärzung liegt stets zugleich eine Irreführung – die Anwendung des § 4 Nr. 2 nicht.14
_____
10 Vgl. BGH 17.1.2002 – I ZR 161/99 – GRUR 2002, 633, 635 – Hormonersatztherapie (zu § 14 a.F.). 11 BGH 14.5.2009 – I ZR 82/07 – GRUR 2009, 1186 Tz. 25 – Mecklenburger Obstbrände; Fezer/Büscher/ Obergfell/Nordemann § 4 Nr. 2 Rn. 20; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 2.7; Ohly/Sosnitza § 4.2 Rn. 2/5. 12 A.A. MünchKommUWG/Brammsen/Doehner § 4 Nr. 8 Rn. 16 (Rückgriff auf § 4 Nr. 10 a.F./§ 4 Nr. 4 wird verdrängt). 13 Fezer/Büscher/Obergfell/Nordemann § 4 Nr. 2 Rn. 21; MünchKommUWG/Brammsen/Doehner § 4 Nr. 8 Rn. 17. 14 BGH 17.1.2002 – I ZR 161/99 – GRUR 2002, 633, 635 – Hormonersatztherapie (zu § 14 a.F.); Fezer/ Büscher/Obergfell/Nordemann § 4 Nr. 2 Rn. 22; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 2 Rn. 8; Köhler/Bornkamm/
187
Toussaint
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
11
3. Markenrecht. Das Verhältnis zum Markenrecht spielt vor allem für § 4 Nr. 1 eine Rolle. Auf die Kommentierung dieser Vorschrift (§ 4 Nr. 1 Rn. 20 ff.) ist daher zu verweisen.
12
4. Allgemeines Deliktsrecht. Das Verhältnis zwischen dem allgemeinen deliktsrechtlichen und dem besonderen wettbewerbsrechtlichen Schutz der Geschäftsehre ist in der Kommentierung von § 4 Nr. 1 im Einzelnen dargestellt (§ 4 Nr. 1 Rn. 23 ff.). Einen dem § 4 Nr. 2 ähnlichen Deliktstatbestand enthält § 824 BGB. Der Anwendungsbereich des § 4 Nr. 2 ist enger als der des § 824 BGB, weil er nur eine Kreditschädigung durch eine geschäftliche Handlung und nur die eines Mitbewerbers erfasst. Im Übrigen unterscheiden sich die Vorschriften durch die für den Verletzten günstigere Beweislastverteilung hinsichtlich der Unwahrheit der behaupteten oder verbreiteten Tatsache. Ansprüche wegen einer Anschwärzung i.S.d. § 4 Nr. 2 und einer Kreditgefährdung i.S.d. § 824 BGB treten ggf. im Wege der Anspruchskonkurrenz nebeneinander. B. Einzelheiten I. Allgemeine Voraussetzungen unlauterer Handlungen
1. Geschäftliche Handlung (§ 3 Abs. 1). § 4 Nr. 2 regelt nur, welche Verhaltensweise („insbesondere“) unlauter i.S.d. § 3 Abs. 1 ist. Er ergänzt und konkretisiert daher für die Fallgruppe der Anschwärzung den Tatbestand einer nach § 3 Abs. 1 unzulässigen Verhaltensweise. Zum vollständigen Tatbestand gehören daher auch die weitere, aus § 3 Abs. 1 folgende Voraussetzungen., und damit das Vorliegen einer geschäftlichen Handlung. Der Begriff der „geschäftlichen Handlung“ ist für das UWG allgemein definiert in § 2 14 Abs. 1 Nr. 1 als jedes Verhalten einer Person zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens vor, bei oder nach einem Geschäftsabschluss, das mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen oder mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen objektiv zusammenhängt. Für Einzelheiten ist allgemein auf die Kommentierung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 und – soweit es um Besonderheiten im Zusammenhang mit § 4 Nr. 1, 2 geht – auf die des § 4 Nr. 1 (§ 4 Nr. 1 Rn. 33 ff.) zu verweisen. 13
15
2. Spürbarkeit. Nach § 3 Abs. 1 a.F. musste die Verhaltensweise außerdem geeignet sein, die Interessen von Mitbewerbern, Verbrauchern oder sonstigen Marktteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen. Dieses Erfordernis ist mit dem UWG 2015 in dem seither von § 4 allein erfassten Verhältnis zu Mitbewerbern (im Verhältnis zu Verbrauchern vgl. demgegenüber § 3 Abs. 2) als gesondertes Tatbestandsmerkmal entfallen, bleibt aber bei der Prüfung der Tatbestandsmäßigkeit einer der in § 4 aufgezählten unlauteren Handlungen zu berücksichtigen. Da eine Anschwärzung i.S.d. § 4 Nr. 2 die – die Interessen des betroffenen Mitbewerbers spürbar zu beeinträchtigende – Eignung zur Betriebs- oder Kreditschädigung tatbestandlich voraussetzt, bedurfte es auch schon vor der Änderung des § 3 Abs. 1 im Rahmen des § 4 Nr. 2 keiner gesonderten Prüfung der Spürbarkeit.15
_____
Feddersen § 4 Rn. 2.8; MünchKommUWG/Brammsen/Doehner § 4 Nr. 8 Rn. 18; Ohly/Sosnitza § 4.2 Rn. 2/7; Gloy/Loschelder/Erdmann/Hasselblatt § 55 Rn. 4: Köhler GRUR 2008, 841, 845. 15 Fezer/Büscher/Obergfell/Nordemann § 4 Nr. 2 Rn. 75; Ohly/Sosnitza § 4.2 Rn. 2/9; Köhler GRUR 2005, 1, 7.
Toussaint
188
Anschwärzung
§4
II. Mitbewerber Die Anschwärzung muss sich auf Waren, Dienstleistungen oder das Unternehmen 16 eines Mitbewerbers oder auf den Unternehmer, also auf den Mitbewerber selbst, bzw. ein Mitglied seiner Unternehmensleitung beziehen. Verletzter der Verhaltensweise muss daher ein Mitbewerber des Verletzers sein; nur dieser ist für Ansprüche aus einem Verstoß gegen § 4 Nr. 2 aktivlegitimiert.16 „Mitbewerber“ ist nach der allgemeinen Definition des § 3 Abs. 1 Nr. 3 jeder Unternehmer, der mit einem oder mehreren Unternehmern als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis steht. Zwischen dem Verletzer und dem Verletzten muss daher in Bezug auf die Anschwärzung ein konkretes Wettbewerbsverhältnis bestehen. Verletzer und Verletzter müssen mithin gleichartige Waren oder Dienstleistungen innerhalb desselben Personenkreises anbieten bzw. nachfragen mit der Folge, dass die konkret beanstandete Verhaltensweise des einen Wettbewerbers den anderen durch Behinderung oder Störung im Absatz bzw. beim Bezug beeinträchtigen kann.17 Näheres ist der Kommentierung zu § 2 zu entnehmen. Der Wortlaut des § 4 Nr. 2 bezieht sich auf Tatsachen, die „einen“ Mitbewerber be- 17 treffen (insoweit anders § 824 BGB)18 und den Betrieb oder den Kredit „des Unternehmens“, also gerade den des konkret betroffenen Mitbewerbers, zu schädigen geeignet sind. Erforderlich ist daher, dass der angeschwärzte Mitbewerber – ggf. durch Heranziehung weiterer Umstände – ohne weiteres identifizierbar ist.19 Dabei entscheidet die Auffassung der durch die zu beanstandende Tatsachenbehauptung angesprochenen Verkehrskreise darüber, gegen wen die Anschwärzung sich richtet, wer von einer Beschuldigung betroffen, wessen Waren oder Dienstleistungen kritisiert werden. Kritische Befassung mit Waren oder Dienstleistungen anderer, die nur als ganze Gruppe bezeichnet oder nur durch ihre Zugehörigkeit zum Kreis der die kritisierte Leistung erbringenden Gewerbetreibenden definiert sind, lassen alle Angehörigen der Gruppe als Betroffene erscheinen, wenn sie nur für den Empfänger als durch die Mitteilung Gemeinte erkennbar sind und der Kreis der Betroffenen nicht unübersehbar groß wird. Dabei ist ein gleichartiger Maßstab anzulegen, wie er für die kritisierende vergleichende Werbung gilt (vgl. § 6 Rn. 243 ff.). Es kommt darauf an, dass die Mitteilung vom flüchtigen Verbraucher als auf den Mitbewerber bezogen verstanden wird; es genügt nicht, dass dieser nur ermittelbar ist; bei Werbung, die Fachkreise anspricht, entscheidet deren Verständnis.20 So betrifft die unzutreffende Aussage in einem Rundschreiben, der Hersteller habe 18 „Misserfolge mit dieser ganz minderwertigen Maschine“ gehabt, unmittelbar auch den
_____
16 MünchKommUWG/Brammsen/Doehner § 4 Nr. 8 Rn. 80; Gloy/Loschelder/Erdmann/Hasselblatt § 55 Rn. 36; Brammsen/Apel WRP 2009, 1464, 1471; weitergehend Fezer/Büscher/Obergfell/Nordemann § 4 Nr. 2 Rn. 28 (für Ansprüche auf Beseitigung und Unterlassung auch die in § 8 Abs. 3 Nr. 3 genannten Einrichtungen, weil § 4 Nr. 2 auch dem Schutz des Verbrauchers vor Irreführung diene); Harte/Henning/ Bruhn § 4 Nr. 2 Rn. 10 (alle in § 8 Abs. 3 genannten Personen, Einrichtungen und Verbände). 17 Vgl. nur BGH 28.9.2011 – I ZR 93/10 – GRUR 2012, 201 Tz. 19 – Poker im Internet m.w.N. 18 Gleichwohl wird auch § 824 BGB einschränkend dahin ausgelegt, dass sich die verbreitete Behauptung gerade mit dem Kläger befassen oder doch in enger Beziehung zu seinen Verhältnissen, seiner Betätigung oder seiner gewerblichen Leistung stehen muss, grundlegend BGH 2.7.1963 – VI ZR 251/62 – GRUR 1964, 162, 164 – E-Orgeln; vgl. auch BGH 20.12.1988 – VI ZR 95/88 – GRUR 1989, 222, 223 – Filmbesprechung m.w.N. 19 Fezer/Büscher/Obergfell/Nordemann § 4 Nr. 2 Rn. 25a; Ohly/Sosnitza § 4.2 Rn. 2/10. 20 RG 2.12.1932 – II 226/32 – GRUR 1933, 256, 257 – Gesenkhammer (zu § 14 a.F.), RG 26.1.1938 – II 105/37 – GRUR 1938, 533, 535 – Melkhilfsmittel; BGH 13.11.1951 – I ZR 44/51 – GRUR 1952, 416, 417 – Dauerdose; BGH 24.11.1972 – I ZR 157/71 – GRUR 1973, 270, 272 – Der sanfte Bitter (jeweils zu §§ 1, 3 a.F.).
189
Toussaint
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
Handelsvertreter des Herstellers, der gerade diese Maschine (als eigene Ware) vertreibt.21 Der Händler, der in einer Inventurausverkaufs-Zeitungswerbung ankündigt, dass nur reguläre Lagerware verkauft werde, keine „Ramschware, wie in Warenhäusern vielfach üblich“, schwärzt damit alle im Verbreitungsgebiet der Anzeige gelegenen Warenhäuser an.22 Wer von ortsansässigen Einzelhändlern betriebenen Pelzhandel dem Geschäft fliegender Händler gegenüberstellt, die auf einer bestimmten Pelzausstellung verkaufen, trifft jeden Angehörigen dieser Gruppe.23 Alle von einem patentierten Konservierungsverfahren Gebrauch machenden Unternehmer sind durch die Kritik eines Konkurrenten an diesem Verfahren, die in Rundschreiben gegenüber Geschäftsfreunden und in der Zeitung veröffentlicht wird, betroffen.24 Wo die den Tatbestand der Anschwärzung erfüllende Werbung sich an Sachkundige wendet, stellt deren Kenntnis von den vom kritisierten Verfahren oder den kritisierten Waren Gebrauch machenden Unternehmen den Bezug zwischen Kritiker und Kritisierten als Betroffenen her.25 Die in einer Konfektions-Fachzeitschrift veröffentlichte Anzeige, die die vom Anzeigenden hergestellte Konfektionswatte damit anpreist, dass sie aus keimfreiem Rohstoff gefertigt und nicht mit Bazillen verunreinigt sei, wie sie millionenweise in den meisten Konfektionswatten versteckt seien, trifft alle anderen Erzeugerfirmen von Konfektionswatten.26 Offen gelassen hat der Bundesgerichtshof die Frage, ob die Werbeaufforderung eines Lebensmittelhändlers, einen beworbenen Cognac mit anderen zu vergleichen, die durch großen Werbeaufwand auffallen, eine bestimmte Produzenten kritisierende vergleichende Werbung sei.27 Eine Komparativwerbung und eine solche, die nur die eigene Ware lobt, führt unter dem Blickpunkt des § 4 Nr. 2 (wie unter dem des Verbots vergleichender Werbung) noch keinen Angriff auf die Mitbewerber,28 und das auch dann nicht, wenn die Konkurrenten angesichts ihrer Marktstärke von jedem Adressaten der Werbung sofort identifiziert werden können.29 III. Anschwärzung 19
Der Anschwärzungstatbestand selbst besteht darin, dass der Verletzer Tatsachen (nachfolgend 1.) über bestimmte Umstände (nachfolgend 2.), die sich durch ihre Nichterweislichkeit (nachfolgend 3.) und Schädigungseignung (nachfolgend 4.) auszeichnen, behauptet oder verbreitet (nachfolgend 5.). 1. Tatsachen
20
a) Allgemeines, Abgrenzung zum Werturteil. Tatsachen sind konkrete, nach Zeit und Raum bestimmte, der Vergangenheit oder Gegenwart angehörige Geschehnisse oder Zustände der Außenwelt und (als sog. „innere Tatsachen“) des menschlichen Seelenle-
_____
21 RG 16.12.1910 – II 259/10 – RGZ 75, 61, 62 f. (zu § 6 UWG 1896). 22 RG 13.12.1929 – II 157/29 – GRUR 1930, 200, 201 – Ramschware (zu § 14 a.F.). 23 OLG Nürnberg 15.12.1955 – 3 U 320/55 – WRP 1956, 129, 131 – Fliegende Händler (zu § 1 a.F.); vgl. hierzu auch Fezer/Büscher/Obergfell/Nordemann § 4 Nr. 2 Rn. 25a. 24 RG 4.10.1935 – II 386/38 – GRUR 1936, 263, 265 – Nitritpökelungsverfahren (zu § 824 BGB). 25 RG 17.4.1944 – II 4/44 – GRUR 1944, 154, 155 – Vitamin D 3 (zu §§ 1, 3 a.F.); zu eng OLG Hamburg 8.6.1955 – 5 U 34/55 – WRP 1956, 9, 11 – Senfsaaten (zu § 14 a.F.). 26 RG 4.5.1934 – II 6/34 – GRUR 1934, 473, 476 – Konfektionswatte (zu § 1 a.F.). 27 BGH 11.7.1985 – I ZR 63/83 – GRUR 1985, 982 f. – Großer Werbeaufwand (zu § 1 a.F.). 28 OLG Hamburg 22.10.1959 – 3 U 42/59 – WRP 1960, 104, 105 – Mehr für’s Geld bei … (zu §§ 1, 3 a.F.). 29 BGH 22.5.1986 – I ZR 11/85 – GRUR 1987, 49, 50 – Cola-Test (zu § 1 a.F.).
Toussaint
190
Anschwärzung
§4
bens.30 Sie betreffen etwas Geschehenes oder Eingetretenes. Die Behauptung einer Tatsache entspricht der Wirklichkeit und ist wahr oder entspricht ihr nicht und ist unwahr. Eine Tatsachenbehauptung ist danach eine Mitteilung, deren Inhalt einer Überprüfung auf seine Übereinstimmung mit der Wahrheit mit Mitteln des Beweises zugänglich ist.31 Abzugrenzen ist eine solche Tatsachenbehauptung von einem Werturteil, das sich 21 nicht auf Geschehenes oder Eingetretenes bezieht, sondern eine Meinung des Mitteilenden wiedergibt.32 Merkmal einer Meinungsäußerung ist ihre Prägung durch Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens und ihre Bestimmung zur Beeinflussung anderer im Rahmen einer geistigen Auseinandersetzung.33 Abgrenzungskriterium ist die Nachweisbarkeit der Wahrheit (oder Unwahrheit) einer Tatsachenbehauptung, während eine Meinungsäußerung niemals richtig oder falsch sein kann. Meinungsäußerungen sind der Versuch, die Ansicht des Adressaten zu beeinflussen, seine Zustimmung zu erringen, aber auch Ablehnung zu riskieren – wogegen die Tatsachenbehauptung absolute Geltung erfordert, eigenes Nachdenken erübrigt und mit dem Anspruch der Beweisbarkeit auftritt.34 Meinungsäußerungen fallen unter den besonderen grundrechtlichen Schutz der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG, s. hierzu § 4 Nr. 1 Rn. 6 ff.; allerdings fallen auch meinungsbildende Tatsachenbehauptungen, zu denen regelmäßig Anschwärzungen aufgrund ihrer Schädigungseignung gehören werden, in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 GG) und sind wettbewerbsrechtlich dadurch privilegiert, dass sie nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 4 Nr. 1 Unterlassungs-, Widerrufs- oder auch Schadensersatzansprüche nach sich ziehen können. Die Abgrenzung richtet sich nicht allein nach dem Wortlaut und der äußeren Form 22 einer Mitteilung, sondern auch nach ihrem Inhalt. Dabei entscheidet das Verständnis des Adressaten der Mitteilung.35 Es kommt auf den Eindruck an, den die Mitteilung dem durchschnittlichen, unbefangenen und flüchtigen Adressaten vermittelt.36 Insbesondere die Sicht des flüchtigen Lesers, Betrachters, Zuhörers ist die für das Wettbewerbsrecht gebotene, da es sich mit zu Zwecken der Werbung gemachten Mitteilungen zu befassen hat, die nicht immer aufmerksam und in ihren Einzelheiten aufgenommen werden, sondern bestimmungsgemäß ihre Wirkung auch durch plakative, schlagwortartig im Gedächtnis haftende Begriffe entfalten. Jedoch wird nach Zweck, Inhalt der Mitteilung und verwendetem Medium zu unterscheiden sein. Von wissenschaftlichen Abhandlungen, Warentests oder Preisvergleichen wird eher als von Aussagen in Werbeprospekten, Annoncen, Plakaten anzunehmen sein, dass sie vollständig gelesen und in ihrem Inhalt
_____
30 BGH 25.11.1997 – VI ZR 306/96 – WRP 1998, 303, 305 m.w.N. 31 BGH 22.4.2008 – VI ZR 83/07 – BGHZ 176, 175 = WRP 2008, 1114 Tz. 17; BGH 14.5.2009 – I ZR 82/07 – GRUR 2009, 1186 Tz. 15 – Mecklenburger Obstbrände; BGH 17.11.2009 – VI ZR 226/08 – GRUR 2010, 458 Tz. 15 – Heute wird offen gelogen; BGH 22.2.2011 – VI ZR 120/10 – WRP 2011, 1061 Tz. 10 – Bonitätsbeurteilungen, jeweils m.w.N. 32 Vgl. hierzu ausführlich Wenzel/Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl. (2018), Kap. 4 Rn. 41 ff.; Rühl AfP 2000, 17. 33 BVerfG 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79 – BVerfGE 61, 1, 9 = NJW 1983, 1415 f.; BVerfG 19.11.1985 – 1 BvR 934/82 – BVerfGE 71, 162, 175 = NJW 1986, 1533, 1535; BVerfG 4.11.2009 – 1 BvR 2150/08 – BVerfGE 124, 300 = NJW 2010, 47 Tz. 49 – Wunsiedel m.w.N. 34 Vgl. BGH 22.10.1987 – I ZR 247/85 – GRUR 1988, 402, 403 – Mit Verlogenheit zum Geld. 35 BGH 10.12.1969 – I ZR 20/68 – GRUR 1970, 254, 255 – Remington; BGH 22.10.1987 – I ZR 247/85 – GRUR 1988, 402, 403 – Mit Verlogenheit zum Geld; Brammsen/Apel WRP 2009, 1464, 1465. 36 BVerfG 25.8.1998 – 1 BvR 1435/98 – NJW 1999, 483, 484 – Focus m.w.N.; BGH 26.1.1951 – I ZR 19/50 – GRUR 1951, 283 – Möbelbezugsstoffe; BGH 30.5.1974 – VI ZR 174/72 – GRUR 1975, 89, 91 – BrüningMemoiren I; BGH 16.6.1998 – VI ZR 205/97 – BGHZ 139, 95, 102 = GRUR 1999, 187, 188 f. – IM-Sekretär; BGH 16.11.2004 – VI ZR 298/03 – WRP 2005, 236, 238 m.w.N.
191
Toussaint
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
erfasst werden. Für sie sollte daher über die Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung die Sicht des unbefangenen Lesers entscheiden, der den gesamten Text zur Kenntnis nimmt, es sei denn, er enthielte plakative, schlagwortartige Hervorhebungen. Um die Meinungsfreiheit nicht zu kurz kommen zu lassen, sind der Interpretation von Mitteilungen Grenzen gesetzt. Der Mitteilende kann erwarten, dass seine offenen Einzelaussagen wörtlich genommen werden; er braucht sich keine Deutungen gefallen zu lassen, die der Wortsinn nicht hergibt – muss sich allerdings auch versteckte, zwischen den Zeilen stehende Erklärungen, zu deren fehlerhaftem Verständnis er angeregt hat, zurechnen lassen.37 Wo derjenige, um dessen Mitteilung es geht, zitiert wird, hat er Anspruch auf wortgetreue Wiedergabe.38 Mitteilungen enthalten vielfach Tatsachenbehauptungen, darauf aufbauende Wer23 tungen oder Wertungen, unterlegt mit einzelnen ausgewählten Tatsachenbehauptungen, zusammenfassende Werturteile und deren aus Tatsachenbehauptungen und daraus resultierenden einzelnen Folgerungen gebildete Wertungsschritte. Dies ist nicht nur ein Kennzeichen komplexer Mitteilungen. Auch lediglich schlagwortartige Mitteilungen (z.B. die Bezeichnung von unter Verwendung gentechnisch veränderter Futtermittel produzierter Milch als „Gen-Milch)39 können eine Tatsachenbehauptung enthalten, soweit sie einen Bezug auf konkrete, dem Wahrheitsbeweis zugängliche Vorgänge aufweisen,40 der sich aus dem Zusammenhang, in dem die Mitteilung fällt, ergibt,41 aber auch von selbst in der Vorstellung eines durchschnittlich informierten und verständigen Adressaten einstellen kann.42 Vermengen sich in einer (komplexen oder schlagwortartigen) Mitteilung tatsächliche und wertende Elemente, ist durch eine Gesamtbetrachtung zu entscheiden, ob im Vordergrund der Gesamtaussage eine Wertung steht oder eine Tatsachenbehauptung.43 Ergibt die Gesamtbetrachtung, dass die Mitteilung Meinungsäußerung ist, so muss sie sich allerdings eine Beurteilung nach § 4 Nr. 2 doch in Bezug auf die zu ihrer Begründung angeführten Tatsachenbehauptungen gefallen lassen.44 Nur wenn der tatsächliche Gehalt so substanzarm ist, dass sich der Mitteilung keine konkret greifbare Tatsache entnehmen lässt, z.B. wenn Geschäfte als nicht „sauber“ bezeichnet werden,45 treten die tatsächlichen Elemente der Mitteilung hinter die wertenden zurück.46 Un-
_____
37 BGH 9.7.1980 – VI ZR 176/78 –GRUR 1981, 80, 83 f. (in BGHZ 78, 22 insoweit nicht abgedr.) – Das Medizin-Syndikat IV. 38 BVerfG 3.6.1980 – 1 BvR 185/77 – BVerfGE 54, 148, 156 = NJW 1980, 2070, 2071– Eppler; BVerfG 3.6.1980 – 1 BvR 797/78 – BVerfGE 54, 208, 217 f. = GRUR 1980, 1087, 1089 – Böll; BVerfG 31.3.1993 – 1 BvR 295/93 – NJW 1993, 2925, 2926. 39 Vgl. den Fall OLG Köln 19.12.2006 – 15 U 110/06 – NJW-RR 2007, 698; BGH 11.3.2008 – VI ZR 7/07 – WRP 2008, 813 – Gen-Milch; BVerfG 8.9.2010 – 1 BvR 1890/08 – WRP 2010, 1384 – Gen-Milch. 40 BGH 11.7.1989 – VI ZR 255/88 – GRUR 1989, 781, 782 – Wassersuche; BGH 17.11.1992 – VI ZR 344/91 – GRUR 1993, 409, 410 – Illegaler Fellhandel; BGH 11.3.2008 – VI ZR 7/07 – WRP 2008, 813 Tz. 13 – Gen-Milch m.w.N. 41 BGH 17.11.1992 – VI ZR 352/91 – GRUR 1993, 412, 413 – Ketten-Mafia. 42 BGH 22.6.1982 – VI ZR 251/80 – GRUR 1982, 631, 632 – Klinikdirektoren; BGH 17.12.1991 – VI ZR 169/91 – NJW 1992, 1314, 1316; BGH 30.1.1996 – VI ZR 386/94 – BGHZ 132, 13, 21 = GRUR 1997, 396, 398 – Polizeichef; BGH 11.3.2008 – VI ZR 7/07 – WRP 2008, 813 Tz. 14 – Gen-Milch. 43 BGH 24.1.2006 – XI ZR 384/03 – BGHZ 166, 84 = NJW 2006, 830 Tz. 63 – Kirch/Deutsche Bank AG; BGH 22.9.2009 – VI ZR 19/08 – WRP 2009, 1540 Tz. 11; BGH 17.11.2009 – VI ZR 226/08 – GRUR 2010, 458 Tz. 15 – Heute wird offen gelogen, jeweils m.w.N.; Brammsen/Apel WRP 2009, 1464, 1465. 44 BVerfG 9.10.1991 – 1 BvR 1555/88 – BVerfGE 85, 1, 17 = NJW 1992, 1439, 1441 – kritische BayerAktionäre; BGH 11.3.2008 – VI ZR 7/07 – WRP 2008, 813 Tz. 13 – Gen-Milch m.w.N. 45 BGH 22.9.2009 – VI ZR 19/08 – WRP 2009, 1540 Tz. 15. 46 BVerfG 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79 – BVerfGE 61, 1, 9 = NJW 1983, 1415, 1416; BVerfG 28.7.2004 – 1 BvR 2566/95 – NJW-RR 2004, 1710, 1711 – Gerlach-Report; BGH 21.6.1966 – VI ZR 261/64 – BGHZ 45, 296, 304 = GRUR 1966, 693, 695 – Höllenfeuer; BGH 11.3.2008 – VI ZR 7/07 – WRP 2008, 813 Tz. 14 – Gen-Milch m.w.N.
Toussaint
192
Anschwärzung
§4
substantiierte Urteile über den Wert gewerblicher Leistungen werden wegen des starken Einschlags subjektiver Momente in der Regel als einer beweismäßigen Überprüfung nicht zugänglich und deshalb als Werturteile behandelt.47 Umgekehrt können bloße Relativierungen einer Tatsachenbehauptung (z.B. „offenbar“, „angeblich“, „ich meine, dass …“) diese nicht schon zur Meinungsäußerung machen.48 b) Warentest. Der Inhalt eines Warentests, in dem die Auswahl der Testkriterien, 24 die Untersuchungen, Untersuchungsergebnisse, Wertungsschritte und das Gesamtergebnis wiedergegeben werden, ist als Wertung zu beurteilen, nicht als Tatsachenbehauptung. Das gilt für das Gesamtergebnis und für Zwischennoten, die Werturteile darstellen und wegen des der Meinungsfreiheit zu gewährleistenden Freiraums von der Beurteilung als Tatsachenbehauptung auszunehmen sind.49 Allerdings enthalten Warentests auch eine Fülle tatsächlicher Angaben zu Testme- 25 thode, Auswahl der getesteten Produkte, Auswahl der Testmaßstäbe, Berichte über Einzel-Messergebnisse. Der Warentest ist ein auf tatsächlichen Einzelaussagen beruhendes Wertungsgebäude, dessen Schwerpunkt auch einmal auf tatsächlichem Gebiet liegen kann.50 Ein Test müsste als Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen beurteilt werden, wenn er die Ergebnisse von Messungen unrichtig mitteilte oder mit dem Anspruch auf Vollständigkeit aufträte, ohne auch nur die größere Zahl der auf dem relevanten Markt auftretenden Wettbewerber einbezogen zu haben.51 Bei der Abgrenzung ist jedoch dem Interesse Rechnung zu tragen, aufgrund möglichst eingehender Tatsachenmitteilungen umfassende Marktübersicht zu erlangen, um so informiert eine Entscheidung im Wettbewerb treffen zu können. Dieses von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützte Informationsinteresse gebietet eine Grenzziehung, die den Bereich der Wertung zu Lasten der Tatsachenbehauptung ausdehnt. Voraussetzung ist, dass die Untersuchung neutral, sachkundig und im Bemühen um objektive Richtigkeit vorgenommen wurde;52 bewusste Fehlurteile, Verzerrungen, unrichtige Angaben, einseitige Auswahl der zum Vergleich gestellten Waren sowie sachlich nicht mehr vertretbare Ergebnisse lassen das kritische Testurteil als unzulässig erscheinen und rechtfertigen die Anwendung des § 4 Nr. 2.53 Zur Unvertretbarkeit des Ergebnisses führt noch nicht die – begründete – Abweichung von DIN-Normen.54 c) Sachverständigengutachten. Sachverständigengutachten sind in ihren zusam- 26 menfassenden Ergebnissen Werturteile, auch wenn ihr Zweck die Feststellung von Tatsachen ist.55 Das gilt auch dann, wenn das Gutachten äußerlich als Tatsachenbehauptung
_____
47 BGH 20.5.1969 – VI ZR 256/67 – GRUR 1969, 555, 557 – Cellulitis; BGH 20.6.1969 – VI ZR 234/67 – GRUR 1969, 624, 627 – Hormoncreme. 48 BGH 22.4.2008 – VI ZR 83/07 – BGHZ 176, 175 = WRP 2008, 1114 Tz. 17; BGH 22.9.2009 – VI ZR 19/08 – WRP 2009, 1540 Tz. 13, jeweils m.w.N. 49 BGH 9.12.1975 – VI ZR 157/73 – BGHZ 65, 325, 329 ff. = GRUR 1976, 268, 270 – Warentest II; BGH 10.3.1987 – VI ZR 144/86 – GRUR 1987, 468, 469 – Warentest IV; BGH 17.6.1997 – VI ZR 114/96 – GRUR 1997, 942, 943 – Druckertest. 50 BGH 9.12.1975 – VI ZR 157/73 – BGHZ 65, 325, 329 = GRUR 1976, 268, 270 – Warentest II. 51 Messer GRUR 1996, 647; vgl. den vom OLG Koblenz 17.11.1983 – 6 U 1390/83 – GRUR 1984, 153 – Restaurantführer – beurteilten Sachverhalt; das OLG Koblenz verneint zu Unrecht das Vorliegen einer Tatsachenbehauptung. 52 BGH 17.6.1997 – VI ZR 114/96 – GRUR 1997, 942, 943 – Druckertest m.w.N. 53 Wogegen die Rechtsprechung einen Eingriff in den Gewerbebetrieb, § 823 BGB, befürwortet – BGH 10.3.1987 – VI ZR 144/86 – GRUR 1987, 468, 467 – Warentest IV. 54 BGH 10.3.1987 – VI ZR 144/86 – GRUR 1987, 468, 467 f. – Warentest IV. 55 BGH 14.5.2009 – I ZR 82/07 – GRUR 2009, 1186 Tz. 20 – Mecklenburger Obstbrände m.w.N.
193
Toussaint
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
formuliert wurde. Dem Wesen nach handelt es sich um die Kundgebung der subjektiven gutachtlichen Überzeugung des Verfassers, die zur Diskussion gestellt, der Beurteilung nach den Kriterien von Richtigkeit oder Unrichtigkeit unterworfen und nicht mit absolutem Geltungsanspruch geäußert wird. Der Zweck der Unterscheidung und der Schutz des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung gebieten die Behandlung von Sachverständigengutachten als Werturteile.56 Werden jedoch wissenschaftliche Untersuchungsmethoden, die Anwendung spezieller Kenntnisse und Fähigkeiten nur vorgetäuscht oder grob leichtfertig vorgenommen, so verliert der Gutachter den Schutz aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. Seine Mitteilung verlagert ihren Schwerpunkt auf die der Beweisbarkeit zugängliche, unter die Kategorien der Wahrheit oder Unwahrheit einzuordnende Tatsachenbehauptung, es seien spezielle Kenntnisse eingesetzt, Forschungsmittel angewandt worden.57 Gleiches gilt, wenn der Gutachter nicht als neutraler Sachverständiger tätig wird, sondern im eigenen wettbewerblichen Interesse Produkte des Mitbewerbers untersucht.58 27
d) Wissenschaftliche Urteile. Wissenschaftliche Urteile, nämlich Mitteilungen über gewerbliche, künstlerische, wissenschaftliche Leistungen, die mit dem Anspruch auftreten, auf der Anwendung wissenschaftlicher Methoden zu beruhen, genießen Schutz nach Art. 5 Abs. 3 GG sowie § 193 StGB. Diese Privilegierung ist bei ihrer Beurteilung am Maßstab des § 4 Nr. 2 zu beachten. Allerdings werden sie nur ausnahmsweise als geschäftliche Handlung i.S.d. § 3 Abs. 1, 2 Abs. 1 Nr. 1 zu qualifizieren sein. Wettbewerbliche Relevanz erlangen wissenschaftliche Beiträge (Gutachten, Testberichte, Aufsätze) aber dann, wenn sie gewerbliche Leistungen beschreiben oder bewerten oder von Gewerbetreibenden zur Bewertung ihrer Leistungen oder auch derjenigen der Mitbewerber benutzt werden, so dass sie als „geschäftliche Handlung“ zu qualifizieren sind. Die in Art. 5 Abs. 3 S 1 GG gewährleistete Freiheit von Wissenschaft und Forschung 28 ist nicht dem Schrankenvorbehalt unterstellt, wie er für Meinungs- und Pressefreiheit in Art. 5 Abs. 2 GG normiert ist.59 Treten wissenschaftliche Urteile mit dem wettbewerbsrechtlichen Anschwärzungsverbot in Konflikt, ist daher zunächst zwischen der Freiheitsgarantie für den Wissenschaftler und derjenigen für den Träger des Mediums, in dem der Wissenschaftler sich äußert, zu unterscheiden. Die Medien des Art. 5 Abs. 1 GG (Presse, Rundfunk, Fernsehen) erfüllen dem wissenschaftlichen Werk gegenüber nur Hilfsfunktionen, weshalb für sie allein Art. 5 Abs. 1 GG in Betracht kommt, der dem Schrankenvorbehalt des Art. 5 Abs. 2 GG unterliegt.60 Ebenso wenig genießt den Wissenschaftsschutz des Art. 5 Abs. 3 GG der Gewerbetreibende, der sich selbst zur Förderung seines Wettbewerbs lediglich der Mitteilung von Wissenschaftlern bedient.61 Jedoch unterfallen auch engagierte Wissenschaft oder interessenmäßig gebundene Forschung dem verfassungsrechtlichen Wissenschaftsbegriff, weshalb Auftragsforschung, Industrieforschung und die einem Auftraggeber verpflichtete gutachtliche Forschung den Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG genießen.62
_____
56 BGH 18.10.1977 – VI ZR 171/76 – GRUR 1978, 258, 260 – Schriftsachverständiger. 57 BGH 18.10.1977 – VI ZR 171/76 – GRUR 1978, 258, 260 – Schriftsachverständiger; BGH 23.2.1999 – VI ZR 140/98 – NJW 1999, 2736, 2737. 58 BGH 14.5.2009 – I ZR 82/07 – GRUR 2009, 1186 Tz. 20 – Mecklenburger Obstbrände. 59 BVerfG 24.2.1971 – 1 BvR 435/68 – BVerfGE 30, 173, 191 = GRUR 1971, 461, 464 – Mephisto. 60 Maunz/Dürig/Scholz, GG, Art. 5 III Rn. 13 – auch mit Nachw. zur Gegenmeinung. 61 BGH 17.1.2002 – I ZR 161/99 – GRUR 2002, 633, 635 – Hormonersatztherapie; OLG Karlsruhe 22.8.1979 – 6 U 109/79 – WRP 1980, 220, 221 – Anschwärzung durch wissenschaftliche Monographie (jeweils zu § 14 a.F.). 62 Maunz/Dürig/Scholz GG Art. 5 III Rn. 98 f.
Toussaint
194
Anschwärzung
§4
Die vorbehaltlose Gewährleistung bedeutet, dass die Wissenschaftsfreiheit nur 29 den verfassungssystematischen Schranken anderer Grundrechte oder verfassungsrechtlich geschützter Güter untersteht, also insbesondere mit den Grundrechten anderer aus Art. 2, 12, 14 GG kollidieren kann.63 Wo Wissenschaftsfreiheit mit verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern anderer kollidiert, ist ein verhältnismäßiger Ausgleich der gegenläufigen Interessen mit dem Ziele ihrer Optimierung zu suchen.64 Dabei bezieht die Wissenschaftsfreiheit sich auf den „Werkbereich“ wissenschaftlicher Erkenntnis, wogegen deren „Wirkbereich“ intensiveren Eingriffen zugänglich ist. Diese von Scholz65 vertretene – vom Bundesverfassungsgericht allerdings abgelehnte66 – Unterscheidung liefert praktisch brauchbare Ergebnisse. Dabei ist unter den Werkbereich die bei der Suche nach Wahrheit gefundene Erkenntnis zu zählen, wogegen dem Wirkbereich der zweckgerichtete Einsatz wissenschaftlicher Erkenntnisse oder Forschungsergebnisse im sozialen Umfeld zuzuordnen ist,67 also beispielsweise die Verbreitung des Forschungsergebnisses zum Zwecke der Förderung eigenen oder fremden Wettbewerbs. Für die Anwendbarkeit des § 4 Nr. 2 folgt daraus, dass bei einer zur Förderung eige- 30 nen oder fremden Wettbewerbs eingesetzten wissenschaftlichen Publikation gegenüber dem Wissenschaftler als Grundrechtsträger Unterlassungsgebote wie Schadensersatzverpflichtungen in Betracht kommen, weil sie die Reaktion auf von ihm erstrebte Wirkungen in einem sozialen Umfeld bilden. Dagegen ist die wissenschaftliche Erkenntnis selbst, wenn sie als unwahr erkannt ist, vor dem Widerrufsanspruch geschützt, der dem keinem Schrankenvorbehalt unterliegenden Werkbereich zuzuordnen ist. Voraussetzung ist, dass der wissenschaftlichen Mitteilung der ernsthafte Versuch zur Ermittlung der Wahrheit zugrunde liegt, die Anwendung wissenschaftlicher Forschungsmethoden daher nicht nur vorgetäuscht oder grob leichtfertig vorgenommen ist. e) Schutzrechtsverwarnungen. Unter einer Schutzrechtsverwarnung versteht man 31 das ernsthafte und endgültige Unterlassungsbegehren, das der Verwarner aus einem ihm vermeintlich aufgrund eines beliebigen Schutzrechts (z.B. Patent, Gebrauchsmuster, Geschmacksmuster, Marke, Urheberrecht) zustehenden Unterlassungsanspruch herleitet. Unberechtigt ist die Schutzrechtsverwarnung, wenn objektiv das vom Verwarner behauptete Recht nicht, noch nicht oder nicht mehr besteht, oder wenn es zwar besteht, aber nicht verletzt wurde, oder wenn die vom Verwarner geltend gemachten Ansprüche aus der Rechtsverletzung nicht hergeleitet werden können. Solche unberechtigten Schutzrechtsverwarnungen sind vorrangig ein Problem des Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Verwarnten68 und einer gezielten Behinderung i.S.d. § 4 Nr. 4 (hierzu § 4 Nr. 4 Rn. 153 ff.). Für die Frage, ob (auch) eine Anwendung des § 4 Nr. 2 in Betracht kommt, ist zu dif- 32 ferenzieren. Bei einer unberechtigten Schutzrechtsverwarnung des vermeintlich rechts-
_____
63 BVerfG 28.10.2008 – 1 BvR 462/06 – BVerfGE 122, 89, 107 = NJW 2009, 2190, 2191 Tz. 47; BVerfG 24.11.2010 – 1 BvF 2/05 – BVerfGE 128, 1 Tz. 147 = BGBl I 2010, 1862 = NJW 2011, 441 (LS) – Gentechnikgesetz m.w.N. 64 BVerfG 7.3.1990 – 1 BvR 266/86, 1 BvR 913/87 – BVerfGE 81, 278, 292 f. = NJW 1990, 1982, 1983 – Bundesflagge; BVerfG 27.11.1990 – 1 BvR 402/87 – BVerfGE 83, 130, 143 = NJW 1991, 1471, 1472 – Mutzenbacher m.w.N. (jeweils zur Kunstfreiheit). 65 Maunz/Dürig/Scholz GG Art. 5 III Rn. 186, 187. 66 BVerfG 6.5.2008 – 2 BvR 337/08 – NJW 2008, 2568 Tz. 14 m.w.N. (zur Kunstfreiheit); dazu umfassend Henschel NJW 1990, 1937, 1942 f. 67 Maunz/Dürig/Scholz GG Art. 5 III Rn. 187. 68 Vgl. hierzu BGH 15.7.2005 – GSZ 1/04 – BGHZ 164, 1 = GRUR 2005, 882 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung; Meier-Beck WRP 2006, 790.
195
Toussaint
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
verletzenden Herstellers scheidet die Anwendung des § 4 Nr. 2 schon deshalb aus, weil die Verwarnung nicht gegenüber einem Dritten erfolgt69 (zur Notwendigkeit der Kundgabe gegenüber einem Dritten s. Rn. 57). Bei der Verwarnung eines Abnehmers des vermeintlich rechtsverletzenden Herstellers ist diese Drittwirkung dagegen ohne weiteres gegeben. Ob eine unberechtigte Abnehmerverwarnung eine wettbewerbsrechtlich unzulässige Anschwärzung sein kann, war früher für § 14 a.F. umstritten,70 dürfte aber heute für § 4 Nr. 2 allgemein anerkannt sein.71 Dies gilt allerdings nur soweit, wie die Verwarnung Tatsachenbehauptungen enthält. Erklärt der Verwarnende zum Beispiel, dass das vom Verwarnten vertriebene Pro33 dukt von dessen Lieferant unter Verletzung eines dem Verwarner zustehenden Patents hergestellt werde, ist jedoch das als verletzt bezeichnete Patent nicht vorhanden (noch nicht erteilt, für nichtig erklärt oder erloschen), so steht eine Tatsachenbehauptung (der Existenz des Patents) im Vordergrund.72 Dasselbe hat zu gelten, wenn der Verwarner verschweigt, dass er dem Hersteller eine Lizenz erteilt oder dass der Hersteller ein Vorbenutzungsrecht habe. So klar liegen die Fälle freilich selten. Äußert der Verwarner sich über den Gegenstand des Schutzrechts und die vom angeblichen Verletzer praktizierte Herstellungsmethode, um daran die Aussage zu knüpfen, sein Schutzrecht werde durch den Hersteller verletzt, so ist diese Aussage Wertung, die Schilderung des Gegenstandes des Schutzrechts und der vom angeblichen Verletzer geübten Herstellungsmethode dagegen Tatsachenbehauptung. Trotz des als Wertung zu bezeichnenden Resümees muss die Verwarnung sich eine Beurteilung nach § 4 Nr. 2 in Bezug auf die zu ihrer Begründung angeführten Tatsachenbehauptungen gefallen lassen, weil diese nicht als völlig substanzarm hinter der Wertung zurücktreten, die vielmehr auf den tatsächlichen Angaben aufbaut. Vergleichbar dem Warentest, der aufgrund unrichtig mitgeteilter Messergebnisse zu einem unrichtigen Gesamtergebnis gelangt,73 ist die Verwarnung nach § 4 Nr. 2 zu beurteilen. Werden dagegen der Gegenstand des Schutzrechts oder auch die Produktionsmethode des angeblich verletzenden Herstellers zutreffend beschrieben und liegt die Unrichtigkeit der Verwarnung in dem Irrtum des Verwarnenden, der Schutzbereich des zutreffend geschilderten Schutzrechts erfasse die zutreffend geschilderte Herstellungsmethode, so liegt die Unrichtigkeit der Verwarnung in einer Fehlbewertung begründet, so dass es sich nicht um eine unrichtige Tatsachenbehauptung handelt. Lässt der Verwarnende es an jeder Schilderung des Gegenstandes seines Schutzrechts oder auch der Herstellungsweise des angeblichen Verletzers fehlen und beschränkt er sich auf die pauschale Behauptung, der Verwarnte beziehe von seinem Lieferanten einen unter Verletzung eines Schutzrechts des Verwarnenden hergestellten Gegenstand, so ist wegen der mangelnden Substantiierung dieser Aussage deren Schwergewicht in dem durch die Sanktionsdrohung dem Unterlassungsbegehren verliehenen Nachdruck zu erblicken. Nach der am Zweck der Abgrenzung orientierten (funktionalen) Unterscheidung der Tatsachenbehauptung vom Werturteil ist in einem solchen Falle eine den Tatbestand des § 4 Nr. 2 verwirklichende Tatsachenbehauptung anzunehmen, weil die Verwarnung mit dem Anspruch absoluter Geltung auftritt, die – scheinbar – jedes Nachdenken des Verwarnten erübrigt, jede Diskussion ausschließt. Der Verwarnende kann daher sein Risiko einer
_____
69 Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/39 m.w.N.; Gloy/Loschelder/Erdmann/Hasselblatt § 55 Rn. 17. 70 S. hierzu Erstauflage-GK/Messer § 14 Rn. 221 ff. m.w.N. 71 BGH 19.1.2006 – I ZR 217/03 – GRUR 2006, 433, 434 – Unbegründete Abnehmerverwarnung; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/39; Brammsen/Apel WRP 2009, 1464, 1467; Sack WRP 2007, 708, 712; Ullmann GRUR 2001, 1027, 1030. 72 RG 18.10.1899 – I 246/99 – JW 1899, 749, 750. 73 Schricker GRUR 1976, 275; s.o. Rn. 95.
Toussaint
196
Anschwärzung
§4
mit rechtswidriger Abnehmerverwarnung verbundenen Haftung zur verschuldensabhängigen Haftung hin mildern, indem er die Verwarnung substantiiert und bei der Schilderung des Gegenstandes seines Schutzrechts sowie der – nach seiner Beurteilung – als Schutzrechtsverletzung zu bewertenden Herstellungsmethode des Verletzers Fehler vermeidet. Kein Fall des § 4 Nr. 2 ist dann gegeben, wenn die den Gegenstand des Schutzrechts und die Herstellungsmethode des angeblichen Verletzers richtig beschreibende Verwarnung nur durch nachträgliche Vernichtung des Schutzrechts unrichtig wird. Dagegen sollte eine Abnehmerverwarnung wegen angeblicher Patentverletzung, die die Anhängigkeit einer Nichtigkeitsklage verschweigt, bei späterer Nichtigkeitserklärung des Patents die Haftung aus § 4 Nr. 2 auslösen, weil sie aus der Sicht des Verwarnungsempfängers, auf die es ankommt, dahin zu verstehen ist, dass das Schutzrecht von unangefochtenem Bestand sei.74 f) Weitere Beispiele aa) Tatsachenbehauptungen. Beispiele aus der Rechtsprechung für Tatsachenbe- 34 hauptungen sind: Eine bestimmte Ware sei geringwertig75 oder äußerst gefährlich, wenn eine Gefahr nur aus einem der Gebrauchsanweisung widersprechenden Gebrauch folgen kann;76 nur Heizkissen mit VdE-Zeichen seien ungefährlich;77 mit einem bestimmten Hebelmechanismus versehene Dachfenster seien einem schnellen Verrosten und Verschmutzen ausgesetzt, wackelig und weniger leicht und stabil konstruiert als das Fenster der Konkurrenz;78 ein Nitritpökelungsverfahren lasse den behandelten Schinken ungebührlich aufschwemmen, mit widerlichem Geschmack behaftet, unansehnlich und trocken erscheinen – trotz der verwendeten wertenden Adjektive.79 Als Tatsachenbehauptungen wurden ferner die Mitteilungen gewertet, es werde nur 35 reguläre Lagerware verkauft, keine Ramschware, wie in Warenhäusern vielfach üblich,80 das private deutsche Versicherungswesen habe nichts getan, um seine Arbeit und seinen Wirkungskreis der großen Notzeit des Volkes anzupassen;81 ein Süßwarengroßhändler betreibe mit Rabattgewährung von 8% bis 15% an Einzelhändler Preisschleuderei – worin der Vorwurf der gegen gesetzliche und vertragliche Bindungen verstoßenden und ruinösen Preisunterbietung verstanden wurde. 82 ein deutscher Damenmantel-Hersteller verwende angestückelten Pelzbesatz;83 Textildrucke seien nachgeahmt;84 ZeitschriftenEinzelhändler sollten nach dem von einem Zeitschriften-Grossisten propagierten System des Pressegrosso nicht die Wahl unter mehreren Grossisten haben.85 Als Tatsachenbehauptungen wurden weiter gewertet die in einem Preisvergleich der 36 Stiftung Warentest „wo der Einkauf am billigsten ist“ genannte Durchschnitts-Preisbildung und Eingruppierung innerhalb getesteter Einkaufsmärkte, bei der irrtümlich 16 un-
_____
74 RG 22.2.1927 – II 243/26 – MuW Jg. XXVI (1926/27), 293, 294 – Fernsprechautomaten (zu § 14 a.F.). 75 RG 1.2.1921 – II 364/20 – GRUR 1921, 68, 69 (zu § 14 a.F.). 76 RG 2.1.1912 – II 421/11 – MuW Jg. XI (1911/12), 376 – Das Ding an sich (zu § 6 UWG 1896). 77 RG 24.6.1930 – II 43/20 – MuW Jg. 30 (1930), 444, 445 (zu § 14 a.F.). 78 RG 31.5.1904 – II 457/03 – RGZ 58, 207 (zu § 6 UWG 1896). 79 RG 4.10.1935 – II 386/38 – GRUR 1936, 263, 266 – Nitritpökelungsverfahren (zu § 824 BGB). 80 RG 13.12.1929 – II 157/29 – GRUR 1930, 200, 201 – Ramschware (zu § 14 a.F.). 81 RG 7.7.1933 – II 18/33 – GRUR 1933, 724, 728 – Versicherungswesen (zu § 824 BGB). 82 BGH 8.1.1960 – I ZR 7/59 – GRUR 1960, 331, 333 – Schleuderpreise (zu § 14 a.F.). 83 BGH 18.12.1962 – VI ZR 220/61 – GRUR 1963, 277, 278 – Maris (zu § 823 Abs. 1 BGB). 84 BGH 5.10.1979 – I ZR 140/77 – GRUR 1980, 116 ff. – Textildrucke (zu § 14 a.F.). 85 OLG Karlsruhe 22.8.1979 – 6 U 109/79 – WRP 1980, 220, 221 – Anschwärzung durch wissenschaftliche Monographie (zu § 14 a.F.).
197
Toussaint
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
ter gleichem Namen auftretende Märkte als einer Kette zugehörig behandelt wurden, obwohl nur drei Unternehmen der Kette angehörten, die Berücksichtigung der übrigen 13 für die Ermittlung des Durchschnittspreises und des Ranges die konkludente unwahre Tatsachenbehauptung einheitlicher Preisgestaltung enthielt. 86 Als Tatsachenbehauptungen angesehen wurden die in der Pressemappe eines Verbraucherverbandes, die sich kritisch mit Buchgemeinschaften befasste, enthaltene Angabe, Buchclubmitgliedschaften seien kurzlebig;87 die Mitteilung, es sei die Methode einer medizinischen Zeitschrift, zwecks Erlangung von Insertionsaufträgen der Pharmaindustrie immer wieder bewusst Unwahrheiten zu verbreiten, die Lüge zum Geschäftsprinzip zu erheben;88 die Aussage eines Verbraucherverbandes, physikalische Wasserenthärter seien wirkungslos;89 der Testbericht über Lautsprecherboxen in Bezug auf ein im Handel so seit Monaten nicht mehr vorgehaltenes Modell, die Lautsprecherstrippen seien sehr dünn ausgefallen, die Kabel dünn, die Lautsprecherklemmen klein.90 Die in einem Zeitungsinterview über den von einer Gemeinde beauftragten Wasser37 sucher, der für sein Brunnenbohrunternehmen mit der Wünschelrute arbeitet, durch den Inhaber eines Ingenieurbüros für Baustatik und Bodenmechanik aufgestellte Behauptung, der Wassersucher gehe mit einer „Betrugsmasche“ und „mit Taschenspielertricks“ vor, soll in ihrem Kontext Tatsachenbehauptung sein, weil sie durch die Angabe substantiiert wird, die vom Wassersucher zu erhebenden Befunde ließen sich auch aus geologischen Karten entnehmen.91 Die Mitteilung einer Augenärztin, ein Optikermeister zentriere Brillen falsch, soll Tatsachenbehauptung sein; 92 ebenso der RestaurantTestbericht eines Gastrokritikers, der von „vakuumiertem Brot“, „übersalzener Butter“ sprach.93 Als Tatsachenbehauptung angesehen wurde schließlich die Mitteilung eines Hörfunkprogrammproduzenten und Verbandsvertreters, der Inhaber einer privaten ausländischen Sendeanlage betreibe einen „Piratensender“ oder „Schwarzsender“.94 38
bb) Meinungsäußerungen. Beispiele wertender Meinungsäußerung aus der Rechtsprechung sind die Bezeichnung eines Apotheken-Marketing-Konzeptes in einer Podiumsdiskussion als ungeeignete „Drugstore-Überlegung“;95 die Herabsetzung einer Konkurrenzzeitschrift als „übles Blatt, im Solde von Straftätern“;96 die in der Pressemappe eines Verbraucherverbandes, der sich kritisch mit Buchgemeinschaften befasst, enthaltene Aussage, Buchgemeinschaften bestimmten seit Jahren selbst das Ausmaß ihrer unlauteren Vertreterwerbung;97 die Herabsetzung eines Börsen-Informationsblattes in einer populären Zeitschrift als „dünnleibiges Blatt“, das „in der Branche nicht gerade zu den herausragenden Publikationen“ gehöre und von dem „dahinstehe, ob die Reputation
_____
86 BGH 3.12.1985 – VI ZR 160/84 – GRUR 1986, 330, 331 – Warentest III (zu § 824 BGB). 87 BGH 17.2.1987 – VI ZR 77/86 – GRUR 1987, 397, 399 – Insiderwissen (zu § 824 BGB). 88 BGH 22.10.1987 – I ZR 247/85 – GRUR 1988, 402, 403 – Mit Verlogenheit zum Geld (zu § 14 a.F.). 89 OLG Karlsruhe 14.6.1989 – 6 U 94/89 – GRUR 1989, 681 – Wasserenthärter (zu § 823 Abs. 1 BGB). 90 BGH 21.2.1989 – VI ZR 18/88 – GRUR 1989, 539, 540 – Warentest V (zu § 824 BGB). 91 BGH 11.7.1989 – VI ZR 255/88 – GRUR 1989, 781, 782 f. – Wassersuche (§ 823 Abs. 2 BGB iVm. § 186 StGB). 92 OLG Hamm 10.8.1989 – 4 U 125/99 – WRP 1990, 187, 188 – Falsch zentrierte Brillengläser (zu § 14 a.F.). 93 OLG Hamm 12.6.1990 – 4 U 236/89 – WRP 1991, 117, 123 – grand cru (zu §§ 823 Abs. 1, 824, 823 Abs. 2 iVm. § 186 StGB). 94 OLG München 20.12.1990 – 6 U 4738/90 – Magazindienst 1991, 476, 479 (zu § 14 a.F.). 95 OLG Stuttgart 2.5.1986 – 2 U 15/86 – WRP 1986, 699, 701 (zu § 1 a.F.). 96 OLG Köln 7.8.1985 – 6 U 32/85 – WRP 1986, 169 (zu § 1 a.F.). 97 BGH 17.2.1987 – VI ZR 77/86 – GRUR 1987, 397, 399 – Insiderwissen (zu § 824 BGB).
Toussaint
198
Anschwärzung
§4
seines Herausgebers noch bis zum geplanten Messetermin halte“;98 die Bezeichnung eines Restaurants in einem Restaurant-Testbericht als „ordinäre Eckkneipe“, in der Brot von „desolatem Zustand“ und „gesundheitsgefährliche“ Butter verabreicht würden.99 Offengelassen, ob Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung vorliegt, hat der 39 Bundesgerichtshof für die Mitteilung in einem Rundschreiben an reversgebundene Abnehmer, der Gegner habe durch das Angebot eines Elektrorasierers unter dem gebundenen Preis versucht, die bestehende Preisbindung zu durchbrechen, sich also wettbewerbswidrig verhalten.100 2. Bezug der Tatsachenbehauptung. Unter § 4 Nr. 2 fallen nur solche Tatsachen- 40 behauptungen, die sich auf die Waren, Dienstleistungen oder das Unternehmen des Mitbewerbers oder auf den Unternehmer oder ein Mitglied der Unternehmensleitung beziehen. a) Waren, Dienstleistungen. Waren und Dienstleistungen des Mitbewerbers sind 41 die Produkte, die der Mitbewerber auf dem Markt anbietet. Vom Mitbewerber selbst auf dem Markt von Dritten bezogene Waren und Dienstleistungen fallen zwar nicht unmittelbar hierunter. Soweit sie aber Vorprodukte für die eigenen Waren und Dienstleistungen sind, beziehen sich solche Vorprodukte betreffende Tatsachenbehauptungen zumindest mittelbar auch auf die Waren und Dienstleistungen des Mitbewerbers. Auf Waren und Dienstleistungen bezogene Tatsachenbehauptungen sind insbesondere solche über deren Eigenschaften, Güte und Verwendbarkeit. b) Unternehmen. Das Unternehmen des Mitbewerbers ist die organisatorische 42 Einheit, mit der der Mitbewerber auf dem Markt tätig wird. Rechtsform des Unternehmens und seine konkreten Ziele sind irrelevant. Erfasst werden daher auch Unternehmen wissenschaftlicher oder künstlerischer Art im Rahmen ihrer geschäftlichen Tätigkeit,101 und ebenso Unternehmen der öffentlichen Hand, wenn sie im Bereich ihrer Teilhabe am Wirtschaftsleben betroffen sind.102 Auf das Unternehmen beziehen sich alle Tatsachenbehauptungen über die Verfassung des Unternehmens, seine Vermögenswerte, seine Verbindlichkeiten, seine Mitarbeiter (vgl. Rn. 44), seine Rechtsbeziehungen zu Dritten und seine unternehmerische Tätigkeit (z.B. Einkauf, Produktion, Vertrieb). Auch die in § 4 Nr. 2 – anders als in § 4 Nr. 1 – nicht ausdrücklich genannten Kennzeichen des Mitbewerbers werden jedenfalls als Vermögensgegenstände des Unternehmens erfasst.103 c) Unternehmer, Mitglied der Unternehmensleitung. Der Begriff des Unterneh- 43 mers ist in § 2 Abs. 1 Nr. 6 definiert als jede natürliche oder juristische Person, die geschäftliche Handlungen im Rahmen ihrer gewerblichen, handwerklichen oder berufli-
_____
98 OLG Frankfurt a.M. 17.11.1988 – 6 U 165/87 – WRP 1989, 319, 320 – Kapitalanleger (zu § 823 Abs. 1 BGB). 99 OLG Hamm 12.6.1990 – 4 U 236/89 – WRP 1991, 117, 124 – grand cru (zu § 823 Abs. 1 BGB). 100 BGH 10.12.1969 – I ZR 20/68 – GRUR 1970, 254, 255 f. – Remington (zu § 14 a.F.). 101 BGH 12.3.1992 – I ZR 58/90 – GRUR 1992, 527 ff. – Plagiatsvorwurf II – eine Fehde zwischen freiberuflich tätigen Designern betreffend. 102 BGH 7.2.1984 – VI ZR 193/82 – BGHZ 90, 113, 117 f. = GRUR 1984, 474, 476 – Bundesbahnplanungsvorhaben (zu § 824 BGB); im konkreten Fall wurde wettbewerblicher Schutz versagt, weil die die Verzögerung eines Neubauprojektes bewirkende Kritik eines Planungsvorhabens durch unwahre Behauptungen den Bereich der Teilhabe am Wirtschaftsleben nicht betreffe. 103 Fezer/Büscher/Obergfell/Nordemann § 4 Nr. 2 Rn. 32; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 2.17; Ohly/Sosnitza § 4.2 Rn. 2/11; Brammsen/Apel WRP 2009, 1464, 1467.
199
Toussaint
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
chen Tätigkeit vornimmt, jede Person, die im Namen oder Auftrag einer solchen Person handelt. In § 4 Nr. 2 ist damit der von der Verhaltensweise betroffene Mitbewerber selbst gemeint. Auf ihn bezogene Tatsachenbehauptungen sind etwa solche über seine formellen Befähigungen (z.B. Ausbildungen, Abschlüsse, Diplome, Promotion) oder sein tatsächliches Verhalten. Mitglieder der Unternehmensleitung sind die Personen, die nach Gesetz oder Sat44 zung zur Geschäftsführung und Vertretung des Unternehmens berufen sind, also etwa die persönlich haftenden Gesellschafter einer Personengesellschaft, die Geschäftsführer einer GmbH oder die Mitglieder des Vorstands einer AG oder einer eG, aber auch ein Abwickler oder ein Insolvenzverwalter. Nicht hierunter fallen Mitglieder eines Aufsichtsorgans (z.B. Aufsichtsrat, Beirat),104 weil diese keine unternehmensleitende Funktion haben. Tatsachenbehauptungen über sie und auch über Mitarbeiter des Unternehmens können aber solche mit Bezug auf das Unternehmen sein und werden dann ebenfalls von § 4 Nr. 2 erfasst.105 3. Unwahrheit a) Allgemeines. Nach § 4 Nr. 2, 1. Hs setzt die Unlauterkeit der Tatsachenmitteilung voraus, dass „die Tatsachen nicht erweislich wahr sind“, nach § 4 Nr. 2, 2. Hs, dass die Mitteilung „der Wahrheit zuwider“ erfolgte. Voraussetzung ist mithin in beiden Fällen, dass die mitgeteilten Tatsachen nicht wahr bzw. unwahr sind.106 Wahr ist eine Tatsache, die der Wirklichkeit entspricht, unwahr eine Tatsache, die der Wirklichkeit nicht entspricht. Die Formulierungsunterschiede in § 4 Nr. 2, 1. Hs einerseits und § 4 Nr. 2, 2. Hs anderseits haben Bedeutung für die Verteilung des Risikos hinsichtlich der Unwahrheit der mitgeteilten Tatsache und für den erforderlichen subjektiven Tatbestand bei Geltendmachung eines (verschuldensabhängigen, § 9 S. 1) Schadensersatzanspruchs. Im Regelfall des § 4 Nr. 2, 1. Hs ist – bei Vorliegen der übrigen Tatbestandsmerkmale 46 – jede Tatsachenmitteilung unlauter, „sofern die Tatsachen nicht erweislich wahr sind“. Für die Annahme der Unlauterkeit bedarf es daher keiner Feststellung der Unwahrheit. Vielmehr ist die (erweisliche) Wahrheit eine Einrede des Mitteilenden, mit der er geltend machen kann, dass seine Verhaltensweise (ausnahmsweise) nicht unlauter ist. „Erweislich“ ist dabei die Wahrheit einer Tatsache, wenn geeignete Beweismittel vorhanden sind, die die Überzeugung von der Wahrheit verschaffen können. Ob solche Beweismittel zur Verfügung stehen und ob mit ihnen der Wahrheitsbeweis gelingt, ist das Risiko des Mitteilenden107 (zur Darlegungs- und Beweislast bei § 4 Nr. 2 1. Hs s. Rn. 60 f.). Da die Unlauterkeit einer Verhaltensweise nach § 4 Nr. 2, 1. Hs nicht durch die Unwahrheit der Mitteilung begründet, sondern nur durch deren Wahrheit ausgeschlossen wird, setzt ein auf sie gestützter Schadensersatzanspruch nach § 9 kein Verschulden hinsichtlich der Unwahrheit voraus;108 es ist mithin nicht erforderlich, dass der Mitteilende die Unwahrheit kannte (insoweit also vorsätzlich handelte) oder kennen musste (die 45
_____
104 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 2.17; a.A. Fezer/Büscher/Obergfell/Nordemann § 4 Nr. 2 Rn. 33; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 2 Rn. 32; Gloy/Loschelder/Erdmann/Hasselblatt § 55 Rn. 18. 105 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 2.17; Ohly/Sosnitza § 4.2 Rn. 2/11. 106 Vgl. BGH 24.1.2019 – I ZR 200/17 – GRUR 2019, 631 Tz. 58 – Das beste Netz. 107 Harte/Henning/Bruhn § 4 Nr. 2 Rn. 32. 108 Ohly/Sosnitza § 4.2 Rn. 2/19; A.A. Harte/Henning/Bruhn § 4 Nr. 2 Rn. 39: Verschuldensvermutung mit Exkulpationsmöglichkeit; MünchKommUWG/Brammsen/Doehner § 4 Nr. 8 Rn. 89; Gloy/Loschelder/ Erdmann/Hasselblatt § 55 Rn. 28; Brammsen/Apel WRP 2009, 1464, 1471: Fahrlässigkeit erforderlich, die aber bereits in der Mitteilung einer Tatsache liegt, deren Wahrheit nicht erweislich ist.
Toussaint
200
Anschwärzung
§4
Unkenntnis also auf Fahrlässigkeit beruhte).109 Das ändert allerdings nichts daran, dass auch bei § 4 Nr. 2, 1. Hs die Wahrheit oder Unwahrheit der mitgeteilten Tatsache zu den anspruchsbegründenden Umständen i.S.d. § 11 Abs. 2 Nr. 2 gehört, von deren Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis der Beginn der Verjährungsfrist abhängt.110 In dem in § 4 Nr. 2, 2. Hs geregelten Sonderfall einer (vertraulichen) Mitteilung, an 47 der Mitteilender oder Empfänger ein berechtigtes Interesse haben (vgl. hierzu Rn. 3 und zu den Voraussetzungen Rn. 63 ff.), ist dagegen die Verhaltensweise nur dann unlauter, „wenn die Tatsachen der Wahrheit zuwider“ mitgeteilt wurden. Hier gehört (wie bei § 824 Abs. 1 BGB) die Unwahrheit zum Tatbestand der Unlauterkeit. Sie ist daher von demjenigen, der aus der Verhaltensweise Ansprüche nach §§ 8, 9 herleiten will, darzulegen und ggf. zu beweisen (Näheres zu § 4 Nr. 2 2. Hs s. Rn. 62). Das Risiko des Gelingens eines solchen Nachweises trägt er. Ein Schadensersatzanspruch nach § 9 S. 1 i.V.m. §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 2 2. Hs setzt Vorsatz oder Fahrlässigkeit auch hinsichtlich der Unwahrheit voraus; der Mitteilende haftet also nur, wenn er (wie nach § 824 Abs. 1 BGB) die Unwahrheit kennt oder kennen musste.111 b) Wahrheit einer Tatsachenmitteilung. Wahr kann nur eine Tatsachenmitteilung 48 sein, die jedenfalls in ihrem wesentlichen Kern der Wirklichkeit entspricht. Für die Feststellung der Wahrheit oder Unwahrheit einer Tatsachenbehauptung muss zunächst deren Bedeutungsinhalt ermittelt werden. Maßstab hierfür ist das Verständnis, das sich dem unbefangenen Leser oder Hörer als nächstliegendes aufdrängt;112 es können schon die Mitteilung eines Verdachts oder eines Gerüchts, die Andeutung einer bloßen Möglichkeit als Behauptung einer nicht zutreffenden Tatsache genügen.113 Maßgeblich ist bei an das allgemeine Publikum gerichteter Werbung das Verständnis des flüchtigen Lesers, Hörers, Betrachters; richten Tatsachenbehauptung oder -verbreitung sich an ein Fachpublikum, so kommt es auf dessen Verständnishorizont und Lese- oder Hörgewohnheit an; unmaßgeblich ist der Sinn, den der Behauptende oder Verbreitende seiner Mitteilung beilegt.114 Für die anschließende Beurteilung der Wahrheit des so ermittelten Bedeutungsinhalts der Mitteilung kommt es dagegen auf die objektive Richtigkeit an. So bedeutet ein gegenüber Schriftstellern, Verlegern geäußerter Plagiatsverdacht 49 den Vorwurf des „Diebstahls“ geistigen Eigentums, der bei einer Erlaubnis des „Bestohlenen“ (objektiv) unwahr ist;115 die Mitteilung von der „Entlassung“ eines Geschäftsführers wird in Kaufmannskreisen als fristlose Kündigung aufgefasst und ist daher bei vereinbartem Ausscheiden (objektiv) unwahr.116 Auch an sich objektiv richtige Behauptungen können daher unwahr sein, wenn ihr die angesprochenen Empfänger eine Bedeutung beimessen, die bei isolierter Betrachtung unrichtig ist.117
_____
109 BGH 12.10.1956 – I ZR 34/56 – GRUR 1957, 93, 95 – Jugendfilmverleih; BGH 5.10.1979 – I ZR 140/77 – GRUR 1980, 116, 117 – Textildrucke (zu § 14 Abs. 1 S. 1 a.F.). 110 BGH 14.5.2009 – I ZR 82/07 – GRUR 2009, 1186 Tz. 21 ff. – Mecklenburger Obstbrände. 111 MünchKommUWG/Brammsen/Doehner § 4 Nr. 8 Rn. 91; Brammsen/Apel WRP 2009, 1464, 1471. 112 BGH 26.1.1951 – I ZR 19/50 – GRUR 1951, 283, 285 – Möbelbezugsstoff; BGH 19.3.1957 – VI ZR 263/55 – NJW 1957, 1149 – Haftung des Zeitungsverlegers; BGH 30.5.1974 – VI ZR 174/72 – GRUR 1975, 89, 91 – Brüning-Memoiren I. 113 BGH 26.1.1951 – I ZR 19/50 – GRUR 1951, 283, 285 – Möbelbezugsstoff: Aufwerfen der Frage in einem Schreiben an Abgeordnete, ob von der Konkurrenz gehandelte Ware ohne Rechnung an Schwarzhändler gehe; Ulmer/Reimer Rn. 413 zu Fn. 73. 114 MünchKommUWG/Brammsen/Doehner § 4 Nr. 8 Rn. 69. 115 BGH 12.1.1960 – I ZR 30/58 – GRUR 1960, 500, 503 – Plagiatsvorwurf. 116 BGH 3.6.1969 – VI ZR 17/68 – WM 1969, 915, 916. 117 Vgl. BGH 15.3.1963 – Ib ZR 98/61 – GRUR 1964, 38, 41 – Dortmund grüßt … (zu § 14 a.F.).
201
Toussaint
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
50
Bei Mitteilungen, die sich aus Wahrem und Unwahrem zusammensetzen, entscheidet der Gesamteindruck.118 Übertreibungen, Ausschmückungen sowie Weglassungen machen eine Behauptung nicht unwahr, solange sie das Gesamtbild nicht verfälschen, entstellen.119 So ist der bereits erwähnte Vorwurf des Plagiats unwahr, wenn entweder eine nur unbewusste Entlehnung vorliegt oder der Angegriffene die Erlaubnis zur Benutzung der Vorlage, deren geistiger Diebstahl ihm vorgeworfen wird, erhalten hatte.120 Unwahr ist die Mitteilung von Moratorium oder Zahlungsunfähigkeit eines Unternehmens, wenn verschwiegen wird, dass das Unternehmen inzwischen von einem anderen übernommen wurde, welches zahlungsfähig ist,121 wogegen die Mitteilung von der Insolvenz eines „Filmverleihes X“ nicht als unzutreffend erachtet wurde, wenn das Insolvenzverfahren nur über das Unternehmen der Handelsgesellschaft, nicht aber über die Einzelhandelsfirma ihres Inhabers eröffnet worden ist.122 Unwahr ist auch die Mitteilung, gegen einen Mitbewerber sei durch einstweilige Verfügung ein Wettbewerbsverbot ausgesprochen worden, wenn durch die Aussage der unzutreffende Eindruck hervorgerufen wird, es handele sich bereits um eine endgültige Entscheidung.123 Wer einen Leistungsvergleich anstellt, indem er eigene Leistungen denen eines anderen gegenüberstellt, kann ein verfälschtes Bild zeichnen und damit unwahre Tatsachenbehauptungen aufstellen, wenn er den eigenen Leistungen vergleichbare oder sie kompensierende Leistungen des Betroffenen verschweigt.124 Als wegen Unvollständigkeit unwahr kann ein Testbericht anzusehen sein, der – mit dem Anspruch auf Vollständigkeit auftretend – zur getesteten Unternehmens- oder Warengruppe gehörende Wettbewerber oder Waren auslässt.125 Die Unwahrheit liegt darin, dass der selbst errichtete Anspruch auf Vollständigkeit nicht erfüllt wird. Zum angesprochenen Problemkreis gehört auch die Werbung mit guten Testergebnissen unter Verschweigung des Umstandes, dass die Mehrheit der Mitbewerber sehr gut bewertet wurde.126
51
c) Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt. Bei zwischen der Behauptung oder Verbreitung einerseits und dem dagegen gerichteten Vorgehen des Betroffenen andererseits wechselnder Tatsachenlage bestimmt sich der maßgebliche Zeitpunkt für die Wahrheit der Tatsache nach der Art des geltend gemachten Anspruchs. Für den Schadensersatzanspruch kommt es auf Wahrheit oder Unwahrheit im Zeitpunkt der Mitteilung an, so dass nachträgliches Wahrwerden dem Mitteilenden nicht nützt, nachträgliches Unwahrwerden ihm nicht schadet.127 Doch kann die Aufstellung einer im Zeitpunkt ihrer Abgabe wahren – wenn auch unvollständigen – Tatsachenbehauptung zu einer Richtigstellung verpflichten, wenn spätere Ereignisse die Behauptung unwahr machen; der Be-
_____
118 BGH 23.2.1954 – I ZR 265/52 – GRUR 1954, 333 – Molkereizeitung. 119 RG 18.5.1932 – IX 77/32 – JW 1932, 3060, 3061; BGH 21.1.1958 – VIII ZR 426/56 – WM 1958, 325; BGH 20.5.1969 – VI ZR 256/67 – GRUR 1969, 555, 558 – Cellulitis. 120 BGH 12.1.1960 – I ZR 30/58 – GRUR 1960, 500, 503 – Plagiatsvorwurf. 121 RG 16.12.1910 – II 259/10 – RGZ 75, 61, 63; dazu dass der Konkursverwalter, wenn er das Unternehmen des Gemeinschuldners fortführt, nicht verpflichtet ist, in Werbeanzeigen für das laufende Geschäft auf die Konkurseröffnung hinzuweisen, s. BGH 11.5.1989 – I ZR 141/87 – GRUR 1989, 682 – Konkursvermerk. 122 BGH 19.3.1957 – VI ZR 263/55 – NJW 1957, 1149 – Haftung des Zeitungsverlegers, m. Anm. v. Löffler. 123 OLG Köln 28.2.2011 – I-6 W 35/11 – GRUR-RR 2011, 370, 371. 124 BGH 6.10.1964 – VI ZR 176/63 – BGHZ 42, 210, 219 f. = NJW 1965, 29, 32 f. – Mitgliederwerbung der Gewerkschaften. 125 Brinkmann GRUR 1988, 516, 519. 126 BGH 11.3.1982 – I ZR 71/80 – GRUR 1982, 437 – Test gut. 127 RG 19.6.1907 – I 403/06 – RGZ 66, 227, 231 f. – Nachdruck von Theaterzetteln (zu § 824 BGB); MünchKommUWG/Brammsen/Doehner § 4 Nr. 8 Rn. 68.
Toussaint
202
Anschwärzung
§4
richt über eine noch nicht rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung verpflichtet das berichtende Presseorgan zur Meldung vom späteren Freispruch.128 Der auf ein zukünftiges Verhalten gerichtete Unterlassungsanspruch ist dagegen nur begründet, wenn die Tatsachenbehauptung oder -verbreitung noch im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen unwahr war. Ist sie im Verlauf des Prozesses wahr geworden, so ist der Unterlassungsanspruch nicht (mehr) begründet.129 4. Schädigungseignung. Die behauptete oder verbreitete Tatsache muss geeignet 52 sein, den Betrieb oder den Kredit des Unternehmens zu schädigen. Eine Tatsachenbehauptung schädigt i.S.d. § 4 Nr. 2, wenn sie einen wirtschaftlichen 53 Nachteil herbeiführt. Sie muss daher (allerdings lediglich potentiell, s.u. Rn. 56) kausal für den Nachteil sein. Der Nachteil ist allein nach seinen konkreten wirtschaftlichen Auswirkungen zu beurteilen, auf eine Beeinträchtigung der Ehre des Mitbewerbers kommt es nicht an.130 Er muss für den Betrieb oder den Kredit des Unternehmens eintreten. Mit dem Begriff „Betrieb“ in § 4 Nr. 2 ist nicht – wie etwa im Arbeitsrecht – eine be- 54 stimmte organisatorische Einheit des Unternehmens gemeint, sondern (wie in § 14 Abs. 1 S. 1 a.F. durch die Formulierung „Betrieb des Geschäfts“ deutlicher zum Ausdruck gebracht wurde) das „Betreiben“ des Unternehmens selbst. Eine Schädigung des Betriebs des Unternehmens liegt daher dann vor, wenn die unternehmerische Tätigkeit als solche beeinträchtigt wird. Eine derartige Beeinträchtigung liegt nicht erst dann vor, wenn das Unternehmen als Ganzes betroffen ist, sondern auch dann schon, wenn etwa nur der Absatz eines einzelnen Produkts erschwert wird.131 Beispielsfälle sind die bereits in der Begründung des UWG 1896 genannten Behauptungen, eine Fabrik sei durch Feuer zerstört, eine Kohlengrube von eindringenden Wassermassen betroffen, die Herstellung oder der Vertrieb eines bestimmten Erzeugnisses habe eine Anklage oder Verurteilung wegen Patentverletzung hervorgerufen, ein Färber benutze giftige Stoffe, ein Konservenfabrikant verwende bleihaltige Gefäße, die bisherige Abnehmer veranlassen können, Aufträge künftig anderen Unternehmen zu erteilen.132 Andere Beispiele aus der Rechtsprechung sind: Die Behauptung, der Mitbewerber habe sich Kundenbeziehungen durch größere, über das Übliche hinausgehende Weihnachtszuwendungen erkauft;133 die Behauptung, der Mitbewerber habe mit unlauteren Mitteln darauf hingewirkt, dass öffentliche Aufträge ihm und nicht dem Mitteilenden erteilt wurden;134 die Behauptung, der Mitbewerber sei nicht imstande, von ihm angebotene Zündkerzen zu günstigeren Bedingungen zu beziehen als der deutsche und europäische Handel, und auch nicht in der Lage, die Zündkerzen in den von ihr angebotenen Mengen zu liefern;135 die Behauptung, dass ein Hormonpräparat des Mitbewerbers zu einer deutlich stärkeren Dichtigkeit des Gewebes führe, wodurch bei den Behandelten die Mammographiediagnostik erschwert werde;136 die Behauptung, ein Kopflausmittel des Mittbewerbers enthalte Insektizide
_____
128 BGH 30.11.1971 – VI ZR 115/70 – BGHZ 57, 325 = GRUR 1972, 666 – Freispruch. 129 MünchKommUWG/Brammsen/Doehner § 4 Nr. 8 Rn. 49. 130 Vgl. BGH 17.1.2002 – I ZR 161/99 – GRUR 2002, 633, 635 – Hormonersatztherapie (zu § 14 a.F.). 131 BGH 21.6.1966 – VI ZR 266/64 – GRUR 1966, 633, 635 – Teppichkehrmaschine (zu § 824 BGB), unter Aufgabe einer entsprechenden Einschränkung in RG 25.3.1930 – II 515/29 – JW 1930, 1732, 1733. 132 Stenographische Berichte des Reichstags, Session 1895/1897, I. Anlagebd., S. 106 (Aktenstück Nr. 35) = Lobe, Die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs, Bd. 3 (1907), S. 64. 133 BGH 29.4.1958 – I ZR 65/57 – GRUR 1959, 31, 32 – Feuerzeug als Werbegeschenk (zu § 14 a.F.). 134 BGH 2.4.1992 – I ZR 217/90 – GRUR 1992, 860, 861 – Bauausschreibungen (zu § 14 a.F.). 135 BGH 8.10.1992 – I ZR 220/90 – GRUR 1993, 572, 573 – Fehlende Lieferfähigkeit (zu § 14 a.F.). 136 BGH 17.1.2002 – I ZR 161/99 – GRUR 2002, 633, 635 – Hormonersatztherapie (zu § 14 a.F.)
203
Toussaint
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
bzw. neurotoxische Insektizide bzw. Gifte;137 die Behauptung, der Mitbewerber habe seinen Geschäftsbetrieb eingestellt und setze das Geschäft unter anderem Namen fort.138 „Kredit“ meint – wie bei § 824 Abs. 1 BGB und § 187 StGB – das allgemeine Ver55 trauen in die Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit.139 Geschädigt wird der Kredit des Betroffenen, wenn dieses Vertrauen bei den Empfängern der Mitteilung beeinträchtigt wird. Beispiele aus der Rechtsprechung sind: Die Behauptung, der Mitbewerber habe bereits früher Kundengelder unterschlagen;140 die Versendung einer den Namen von Mitbewerbern enthaltenden „Konkursliste“;141 die Behauptung, ein Mitbewerber schulde Provisionen und gegen ihn sei ein Insolvenzantrag gestellt.142 Eine bloße Bonitätsbeurteilung ist regelmäßig keine Tatsachenbehauptung, sondern ein Werturteil, so dass eine Anschwärzung i.S.d. § 4 Nr. 1 von vornherein nicht in Betracht kommt.143 Die Schädigung des Kredits wird – als deren Spezialfall144 – regelmäßig zugleich eine Schädigung des Betriebs sein (während umgekehrt aber eine Schädigung des Betriebs noch nicht zu einer Schädigung des Kredits führen muss). Die Tatsache muss sich zur Betriebs- oder Kreditschädigung eignen. Für die Ver56 wirklichung des Tatbestandes des § 4 Nr. 2 ist es daher nicht erforderlich, dass eine Schädigung bereits eingetreten ist;145 nur soweit ein Schadensersatzanspruch nach § 9 geltend gemacht wird, bedarf es auch eines Schadens. Die objektive Eignung genügt; wie die Mitteilung gemeint war, spielt keine Rolle.146 Diese Eignung ist aus der Sicht eines verständigen, durchschnittlichen Mitglieds des Adressatenkreises zu prüfen.147 Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Behauptung.148 57
5. Behaupten oder Verbreiten. Die eigentliche Tathandlung des § 4 Nr. 2 ist die Behauptung oder Verbreitung der nicht erweislich wahren Tatsache. Beiden Tatbestandsvarianten – Behaupten und Verbreiten149 – ist gemeinsam, dass sie eine aktive und bewusste Weitergabe150 einer Aussage über eine Tatsache an einen Dritten,151 den Empfänger der Aussage, voraussetzen. Dritter in diesem Sinne kann jeder sein, der weder der Mitteilende noch der verletzte Mitbewerber ist (deshalb kann z.B. eine unberechtigte Herstellerverwarnung keine Anschwärzung i.S.d. § 4 Nr. 2 sein, Rn. 32). Die Weitergabe kann durch eine ausdrückliche Erklärung, aber auch durch schlüssige Handlung und auch mittelbar erfolgen, etwa durch Aufwerfen einer Frage dergestalt, dass deren Beja-
_____
137 LG Hamburg 21.11.2008 – 312 O 511/08 – Magazindienst 2009, 192. 138 OLG Hamm 24.9.2009 – I-4 U 89/09 – MMR 2010, 105 (LS). 139 RG 12.10.1932 – IX 152/32 – JW 1933, 1254 (zu § 824 BGB). 140 BGH 12.10.1956 – I ZR 34/56 – GRUR 1957, 93, 94 – Jugendfilmverleih (zu § 14 a.F.). 141 BGH 23.2.1995 – I ZR 75/93 – GRUR 1995, 427, 428 – Schwarze Liste (zu § 14 a.F.). 142 OLG Hamburg 3.7.2003 – 3 U 211/02 – GRUR-RR 2004, 52, 53 (zu § 14 a.F.). 143 BGH 22.2.2011 – VI ZR 120/10 – WRP 2011, 1061 Tz. 9 ff. – Bonitätsbeurteilungen (zu § 824 BGB). 144 Brammsen/Apel WRP 2009, 1464, 1468. 145 BGH 30.5.1974 – VI ZR 174/72 – GRUR 1975, 89, 91 – Brüning-Memoiren I (zu § 824 BGB). 146 Fezer/Büscher/Obergfell/Nordemann § 4 Nr. 2 Rn. 49. 147 BGH 26.1.1951 – I ZR 19/50 – GRUR 1951, 283, 285 – Möbelbezugsstoffe m.w.N. (zu § 14 a.F.); Fezer/Büscher/Obergfell/Nordemann § 4 Nr. 2 Rn. 49; MünchKommUWG/Brammsen/Doehner § 4 Nr. 8 Rn. 63. 148 BGH 30.5.1974 – VI ZR 174/72 – GRUR 1975, 89, 91 – Brüning-Memoiren I m.w.N. (zu § 824 BGB). 149 Vgl. hierzu ausführlich auch Wenzel/Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl. (2018), Kap. 4 Rn. 95 ff.; Wenzel/Burkhardt/Peifer Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl. (2018), Kap. 5 Rn. 252 ff. 150 Vgl. KG 15.7.2011 – 5 U 193/10 – WRP 2012, 224 Rn. 64: konkrete menschliche Verhaltensweise erforderlich. 151 Harte/Henning/Bruhn § 4 Nr. 2 Rn. 27; Brammsen/Apel WRP 2009, 1464, 1465.
Toussaint
204
Anschwärzung
§4
hung durch den Fragesteller erkennbar wird.152 Dabei muss dem Empfänger nur die Möglichkeit verschafft werden, von der Aussage Kenntnis zu erlangen;153 dass er auch tatsächlich von ihr Kenntnis nimmt, ist nicht erforderlich. Ebenso ist es unerheblich, ob der Empfänger der Aussage Glauben schenkt oder ihre Unwahrheit erkennt.154 Dass die Weitergabe vertraulich erfolgt, kann nur nach § 4 Nr. 2, 2. Hs zu einer für den Mitteilenden günstigeren Beweislastverteilung führen. Für Mitteilungen, die der Rechtsverfolgung in einem gerichtlichen Verfahren dienen, gilt die Besonderheit, dass ihre Unterlassung grundsätzlich nicht und damit auch nicht nach §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 2, 8 Abs. 1 verlangt werden kann.155 Behauptung und Verbreitung unterscheiden sich durch die Haltung des Mitteilen- 58 den zum Inhalt der Aussage. Eine Behauptung ist die Mitteilung eigenen Wissens oder – wenn die Behauptung eines Dritten als eigene weitergegeben wird – eigener Überzeugung.156 Maßgeblich ist die beabsichtigte Wirkung auf den Empfänger, so dass unerheblich ist, ob der Mitteilende über das in Anspruch genommene Wissen tatsächlich verfügt oder die zum Ausdruck gebrachte Überzeugung wirklich gebildet hat. Eine Verbreitung ist dagegen die Weitergabe der Behauptung eines Dritten – ohne sich diese notwendigerweise inhaltlich zu Eigen zu machen – und damit die Mitteilung fremder Überzeugung.157 Keine Verbreitung in diesem Sinne liegt allerdings dann vor, wenn sich der Mitteilende von der Behauptung des Dritten selbst deutlich distanziert,158 oder wenn die Weitergabe lediglich Teil einer Dokumentation des Meinungsstandes ist, in der Äußerungen und Stellungnahmen verschiedener Seiten zusammen- und gegenübergestellt werden.159 Für Diensteanbieter i.S.d. § 2 S. 1 Nr. 1 TMG ist der Begriff des Verbreitens allerdings im Hinblick auf ihre durch § 7 Abs. 2 S. 1 TMG beschränkte Prüfungspflicht eingeschränkend auszulegen.160 Auch in der Weitergabe eines bloßen Verdachts oder in einer mehrdeutigen Aus- 59 sage kann die Behauptung oder Verbreitung einer Tatsache liegen. Entscheidend für das Verständnis einer Äußerung als eigene Behauptung oder Verbreitung einer fremden Be-
_____
152 BGH 20.6.1969 – VI ZR 234/67 – GRUR 1969, 624, 627 – Hormoncreme; BGH 30.5.1974 – VI ZR 174/72 – GRUR 1975, 89, 91 – Brüning-Memoiren I. 153 BGH 19.3.2015 – I ZR 94/13 – GRUR 2015, 1129 Tz. 30 – Hotelbewertungsportal; Harte/Henning/Bruhn § 4 Nr. 2 Rn. 28; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 2 Rn. 22; MünchKommUWG/Brammsen/Doehner § 4 Nr. 8 Rn. 58; Gloy/Loschelder/Erdmann/Hasselblatt § 55 Rn. 20; Fezer/Büscher/Obergfell/Nordemann § 4 Nr. 2 Rn. 47; vgl. auch – jeweils noch zu § 14 a.F. – BGH 23.2.1995 – I ZR 75/93 – GRUR 1995, 427, 428 – Schwarze Liste; OLG Hamburg 3.7.2003 – 3 U 211/02 – GRUR-RR 2004, 52, 53. 154 OLG Hamburg 3.7.2003 – 3 U 211/02 – GRUR-RR 2004, 52, 53 (zu § 14 a.F.). 155 BGH 22.1.1998 – I ZR 177/95 – GRUR 1998, 587, 589 – Bilanzanalyse Pro 7 m.w.N.; BGH 10.12.2009 – I ZR 46/07 – BGHZ 183, 309 = GRUR 2010, 253 Tz. 14 – Fischdosendeckel. 156 BGH 20.6.1969 – VI ZR 234/67 – GRUR 1969, 624, 627 – Hormoncreme (zu § 824 BGB); Brammsen/ Apel WRP 2009, 1464, 1465. 157 BGH 25.4.1958 – I ZR 97/57 – GRUR 1958, 448, 449 – Blanko-Verordnungen (zu § 824 BGB, § 14 a.F.); BGH 20.6.1969 – VI ZR 234/67 – GRUR 1969, 624, 627 – Hormoncreme (zu § 824 BGB); BGH 23.2.1995 – I ZR 75/93 – GRUR 1995, 427, 428 – Schwarze Liste (zu § 14 a.F.); BGH 19.3.2015 – I ZR 94/13 – GRUR 2015, 1129 Tz. 30 – Hotelbewertungsportal (zu § 4 Nr. 8 a.F. = § 4 Nr. 2); LG Hamburg 1.9.2011 – 327 O 607/10 – WRP 2012, 94, 97 Rn. 30 (zu § 4 Nr. 8 a.F. = § 4 Nr. 2); Brammsen/Apel WRP 2009, 1464, 1465; Schilling GRURPrax 2012, 105, 107. 158 BGH 30.1.1996 – VI ZR 386/94 – BGHZ 132, 13, 18 f. = GRUR 1997, 396, 398 – Polizeichef m.w.N.; BGH 26.11.1996 – VI ZR 323/95 – GRUR 1997, 233, 235 – Gynäkologe (beide zu § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 186 StGB); abl. etwa Soergel/Beater § 824 Rn. 46. 159 BGH 20.6.1969 – VI ZR 234/67 – GRUR 1969, 624, 627 – Hormoncreme (zu § 824 BGB); BGH 30.1.1996 – VI ZR 386/94 – BGHZ 132, 13, 19 = GRUR 1997, 396, 398 – Polizeichef (zu § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 186 StGB). 160 BGH 19.3.2015 – I ZR 94/13 – GRUR 2015, 1129 Tz. 31 – Hotelbewertungsportal.
205
Toussaint
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
hauptung ist die Auffassung des Verkehrs,161 an den sie sich wendet, wobei schon das Verständnis nicht völlig unbeachtlicher Teile der angesprochenen Verkehrskreise maßgeblich ist. Bei Mehrdeutigkeit ist dem Mitteilenden jeder seiner Aussage von nicht völlig unbeachtlichen Teilen der angesprochenen Verkehrskreise zugemessene Sinn zuzurechnen. In der Rechtsprechung wurden die Äußerung des Verdachts, dass „allem Anschein nach“ das angegriffene Unternehmen Kenntnis von Betrügereien seiner Reisenden habe,162 die in Klammern gesetzte und mit Fragezeichen versehene Verdächtigung, dass Ware ohne Rechnung an Schwarzhändler verschoben werde,163 als Tatsachenbehauptungen gewertet, die gegenüber der AOK gemachte Mitteilung einer Krankenschwester, bei Ausübung ihres Berufes bei einem namentlich benannten Kassenmitglied sei ihr mitgeteilt worden, ein bestimmter Arzt stelle Blanko-Verordnungen aus,164 als Verbreitung von Tatsachen beurteilt. Im Unterschieben einer anderen als der bestellten Ware ohne erläuternde Erklärung soll die schlüssige Tatsachenbehauptung, dass es sich um die bestellte Ware handele, liegen können.165 Macht eine Rundfunk- oder Fernsehsendung sich kritische Ansichten von Interview-Partnern oder Teilnehmern einer Gesprächsrunde nicht zu eigen, lässt sie die sprechenden Personen vielmehr nur selbst zu Wort kommen, ohne deren Äußerungen zu übernehmen, so liegt darin keine Tatsachenbehauptung und auch keine Tatsachenverbreitung,166 die jedoch anzunehmen ist, wenn in einer MagazinSendung, die sich unter dem Thema „Made in Germany“ mit Beobachtungen über die nachlassende Qualität deutscher Erzeugnisse befasst, als Ergebnis eigener Recherchen des Redakteurs über eine Teppichkehrmaschine mitgeteilt wird, dass sie jeden Teppich zerpflücke.167 Die Übersendung von Grabstein-Entwürfen durch einen Grabstein-Hersteller an Händler, auf denen der Name eines Konkurrenten als Grabinschrift wiedergegeben ist, stellt die Tatsachenbehauptung seines Ablebens dar, wenn sie so auch nur missverstanden werden kann.168 C. Prozessuales I. Darlegungs- und Beweislast 60
1. Regelfall (§ 4 Nr. 2, 1. Hs). Nach der allgemeinen Grundregel trifft den Anspruchsteller die Darlegungs- und Beweislast für die rechtsbegründenden Tatsachen, und den Gegner die Darlegungs- und Beweislast für rechtshindernde, rechtsvernichtende oder rechtshemmende Tatsachen.169 Hiernach sind bei der Anschwärzung die äußere Tathandlung einer Behauptung oder Verbreitung und die tatsächlichen Voraussetzungen einer Schädigungseignung der Mitteilung von dem von der Mitteilung Betroffenen, der hieraus Ansprüche nach den §§ 8, 9 herleiten will, darzulegen und ggf. zu beweisen. Die (erweisliche) Wahrheit der Tatsachenmitteilung ist in § 4 Nr. 2, 1. Hs als rechts61 hindernde Einrede ausgestaltet („sofern … nicht erweislich wahr“, vgl. o. Rn. 46, ebenso bereits in dem insoweit gleichlautenden § 14 Abs. 1 S. 1 a.F.). Anders als bei § 824
_____
161 162 163 164 165 166 167 168 169
RG 4.10.1935 – II 386/38 – GRUR 1936, 263, 266 – Nitritpökelungsverfahren (zu § 824 BGB). RG 12.5.1919 – VI 374/18 – RGZ 95, 339, 343 (zu §§ 824, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 186 StGB). BGH 26.1.1951 – I ZR 19/50 – GRUR 1951, 283, 285 – Möbelbezugsstoffe (zu § 14 a.F.) BGH 25.4.1958 – I ZR 97/57 – GRUR 1958, 448, 449 – Blanko-Verordnungen (zu § 824 BGB, § 14 a.F.). RG 25.2.1905 – II 384/04 – RGZ 60, 189, 191 – Bergalter (zu § 6 UWG 1896). BGH 20.6.1969 – VI ZR 234/67 – GRUR 1969, 624, 627 – Hormoncreme (zu § 824 BGB). BGH 21.6.1966 – VI ZR 266/64 – GRUR 1966, 633, 635 – Teppichkehrmaschine (zu § 824 BGB). RG 28.1.1939 – II 122/38 – HRR 1939 Nr. 566 (zu § 14 a.F.). Allg.M., vgl. nur BGH 3.7.2002 – IV ZR 145/01 – NJW-RR 2002, 1386, 1388 m.w.N.
Toussaint
206
Anschwärzung
§4
Abs. 1 BGB, wo die Unwahrheit zu den rechtsbegründenden Tatbestandsmerkmalen gehört („der Wahrheit zuwider … behauptet oder verbreitet“), muss daher nicht der Anspruchsteller zur Anspruchsbegründung die Unwahrheit darlegen.170 Vielmehr ist es Sache des Mitteilenden, die Wahrheit der Mitteilung einzuwenden. Daher trägt bei § 4 Nr. 2, 1. Hs der Mitteilende (unabhängig von seiner Parteirolle in einem Prozess)171 die Darlegungs- und Beweislast für die Wahrheit der von ihm behaupteten oder verbreiteten Tatsache.172 Hat die Mitteilung eine Negativtatsache zum Gegenstand, wird also mitgeteilt, dass es ein bestimmtes Geschehnis nicht gegeben habe, oder dass ein bestimmter Zustand nicht eingetreten sei, ist die Beweisführung regelmäßig mit besonderen Schwierigkeiten verbunden. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist diesen Schwierigkeiten dadurch zu begegnen, dass sich der Prozessgegner seinerseits nicht mit bloßem Bestreiten der behaupteten Negativtatsache begnügen darf, sondern ihn eine sekundäre Darlegungslast trifft, nach der er im Rahmen des Zumutbaren darlegen muss, welche tatsächlichen Umstände für das Vorliegen des Positiven sprechen; der Beweispflichtige genügt dann der ihm obliegenden Beweispflicht, wenn er die gegnerische Tatsachenbehauptung widerlegt oder ernsthaft in Frage stellt.173 2. Sonderfall berechtigtes Interesse an vertraulicher Mitteilung (§ 4 Nr. 2, 2. Hs) a) Bedeutung der Vorschrift. Abweichendes gilt nach § 4 Nr. 2, 2. Hs, wenn es „sich 62 um vertrauliche Mitteilungen [handelt] und … der Mitteilende oder der Empfänger der Mitteilung an ihr ein berechtigtes Interesse“ hat. Dann ist die Verhaltensweise nur unlauter, wenn die Mitteilung „der Wahrheit zuwider“ erfolgt. Die Unwahrheit ist daher im Falle des § 4 Nr. 2, 2. Hs (wie bei § 824 Abs. 1 BGB) eine rechtsbegründende Tatsache (vgl. Rn. 47). Für ihr Vorliegen trägt folglich der Anspruchsteller, der aus der Verhaltensweise Ansprüche nach §§ 8, 9 herleiten will, die Darlegungs- und Beweislast.174 Durch diese vom Regelfall des § 4 Nr. 2, 1. Hs abweichende Verteilung der Darlegungsund Beweislast privilegiert die Vorschrift – wie § 193 StGB und § 824 Abs. 2 BGB, die dies freilich mit anderen Mitteln tun – Mitteilungen, an denen ein berechtigtes Interesse besteht (vgl. hierzu Rn. 63). Zum berechtigten Interesse hinzukommen muss allerdings noch die Vertraulichkeit der Mitteilung; beide Tatbestandsmerkmale müssen stets ku-
_____
170 Zur Beweislast für die Unwahrheit bei § 824 BGB vgl. etwa BGH 15.5.1959 – VI ZR 98/58 – GRUR 1960, 135, 136 – Druckaufträge; Baumgärtel/Laumen/Prütting/Luckey Hdb. der Beweislast, 4. Aufl. (2019), § 824 Rn. 1 m.w.N. Darin liegt aber – entgegen verbreitet anzutreffender Formulierung (vgl. exemplarisch Fezer/Büscher/Obergfell/Nordemann § 4 Nr. 2 Rn. 60) – keine „Beweislastumkehr“, weil die Beweislast der Ausgestaltung als Tatbestandsvoraussetzung oder Einrede folgt. 171 Vgl. nur BGH 3.4.2001 – XI ZR 120/00 – BGHZ 147, 203, 208 = NJW 2001, 2096, 2098 m.w.N. 172 BGH 12.10.1956 – I ZR 34/56 – GRUR 1957, 93, 94 – Jugendfilmverleih; BGH 16.5.1961 – I ZR 175/58 – GRUR 1962, 34, 35 – Torsana; BGH 8.10.1992 – I ZR 220/90 – GRUR 1993, 572, 573 – Fehlende Lieferfähigkeit (jeweils zu § 14 Abs. 1 a.F.); BGH 14.5.2009 – I ZR 82/07 – GRUR 2009, 1186 Tz. 23 – Mecklenburger Obstbrände; LG Hamburg 1.9.2011 – 327 O 607/10 – WRP 2012, 94, 98 Rn. 40; Fezer/Büscher/Obergfell/Nordemann § 4 Nr. 2 Rn. 60; Harte/Henning/Bruhn § 4 Nr. 2 Rn. 32; jurisPK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 2 Rn. 40; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 2.20; Ohly/Sosnitza § 4.2 Rn. 2/16; Gloy/Loschelder/Erdmann/Hasselblatt § 55 Rn. 23. 173 Zu § 14 Abs. 1 S. 1 a.F. BGH 8.10.1992 – I ZR 220/90 – GRUR 1993, 572, 573 – Fehlende Lieferfähigkeit; auch im Übrigen stRspr, vgl. etwa BGH 21.12.2006 – I ZB 17/06 – GRUR 2007, 629 Rn. 12 – Zugang des Abmahnschreibens; BGH 24.3.2010 – XII ZR 175/08 – BGHZ 185, 1 = NJW 2010, 1813 Tz. 20; BGH 12.11.2010 – V ZR 181/09 – BGHZ 188, 43 = NJW 2011, 1280 Tz. 12; BGH 15.2.2011 – VI ZR 190/10 – VersR 2011, 817 Tz. 5; BGH 22.2.2011 – XI ZR 261/09 – NJW 2011, 2130 Tz. 20, jeweils m.w.N. 174 BGH 15.5.1959 – GRUR 1960, 135, 136 – VI ZR 98/58 – Druckaufträge (zu § 14 Abs. 2 a.F.); Fezer/ Büscher/Obergfell/Nordemann § 4 Nr. 2 Rn. 64; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 2.21; Ohly/Sosnitza § 4.2 Rn. 2/17.
207
Toussaint
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
mulativ vorliegen.175 Die Berufung auf Vertraulichkeit und berechtigtes Interesse selbst ist eine Einrede des Mitteilenden; für ihre tatsächlichen Voraussetzungen trägt daher dieser die Darlegungs- und Beweislast.176 b) Berechtigtes Interesse. An der Mitteilung muss ein berechtigtes Interesse bestehen. Welche Interessen hierfür in Betracht kommen, ist dem Normzusammenhang zu entnehmen. § 4 Nr. 2, 2. Hs geht zunächst vom Vorliegen der im 1. Halbsatz genannten äußeren Umstände, also einer Mitteilung bestimmter Tatsachen aus, die zur Schädigung von Betrieb oder Kredit des Unternehmens geeignet sind. Ohne das Vorliegen der besonderen Voraussetzungen des 2. Halbsatzes – Vertraulichkeit und berechtigtes Interesse – ist eine solche Mitteilung stets unlauter, wenn sie nicht erweislich wahr ist. Unter den Voraussetzungen des 2. Halbsatzes ist die Mitteilung dagegen nur unlauter, wenn sie der Wahrheit zuwider erfolgt, mithin nicht unlauter, solange sie nicht erweislich unwahr ist. Das Interesse muss sich daher gerade auf die Mitteilung nicht erweislich unwahrer, schädigungsgeeigneter Tatsachen über die Waren, Dienstleistungen oder das Unternehmen eines Mitbewerbers oder über den Unternehmer oder ein Mitglied der Unternehmensleitung beziehen. Es geht also um das Interesse an wahrheitsgemäßen, möglicherweise nachteiligen Informationen über die Produkte (z.B. deren Qualität, Eigenschaften und Eignung), das Unternehmen (z.B. Bonität) und die Person (z.B. Seriosität) des Mitbewerbers. Maßgeblich sind die Interessen sowohl des Mitteilenden selbst als auch des Emp64 fängers der Mitteilung. Mitteilender ist nicht nur die handelnde Person selbst, sondern ggf. auch der Unternehmer, in dessen Interesse ein Mitarbeiter gehandelt hat.177 Mitteilungsempfängers ist derjenige, für den die Mitteilung nach dem Willen des Mitteilenden bestimmt war, nicht ein zufälliger Hörer oder jemand, der sich ohne den Willen des Äußernden von ihr Kenntnis verschafft hat.178 Die Öffentlichkeit, die Verbraucher, durch gemeinsame Interessen verbundene Marktteilnehmer mit anonymem Personenkreis, Fachkreise kommen nicht als Mitteilungsempfänger in Betracht, deren Interesse dem § 4 Nr. 2, 2. Hs unterfallen könnte. Das Interesse des Mitteilenden bzw. des Mitteilungsempfängers an der Mitteilung 65 muss berechtigt sein. Die Feststellung dieser Berechtigung erfordert eine an den Umständen des Einzelfalles orientierte179 Interessenabwägung zwischen den Interessen des Mitteilenden bzw. Mitteilungsempfängers einerseits und denen des von der Mitteilung Betroffenen andererseits. Maßgeblich sind vor allem das Gewicht der betroffenen Interessen und der Umfang ihrer Beeinträchtigung, aber auch Anlass, Umstände und Form der Mitteilung. Die Mitteilung muss für die Wahrung des Interesses geeignet, erforderlich und angemessen sein. Worum es dabei geht, machen die Erwägungen deutlich, die An63
_____
175 RG 25.9.1936 – II 64/36 – GRUR 1937, 237, 240 – Klischee-Vertrieb; RG 20.7.1937 – II 26/37 – RGZ 156, 1, 15 = GRUR 1938, 527, 533 – Toschi; BGH 12.10.1956 – I ZR 34/56 – GRUR 1957, 93, 95 – Jugendfilmverleih; BGH 29.4.1958 – I ZR 56/57 – GRUR 1959, 31, 33 – Feuerzeug als Werbegeschenk; BGH 8.1.1960 – I ZR 7/59 – GRUR 1960, 331, 333 – Schleuderpreise; BGH 2.4.1992 – I ZR 217/90 – GRUR 1992, 860, 861 – Bauausschreibungen; BGH 8.10.1992 – I ZR 220/90 – GRUR 1993, 572, 573 – Fehlende Lieferfähigkeit (zu § 14 Abs. 2 S. 1 a.F.); Harte/Henning/Bruhn § 4 Nr. 2 Rn. 40; MünchKommUWG/Brammsen/Doehner § 4 Nr. 8 Rn. 72; Gloy/Loschelder/Erdmann/Hasselblatt § 55 Rn. 29. 176 OLG Düsseldorf 19.7.1984 – 2 U 154/83 – GRUR 1985, 224, 225 – Vereinsinterne Anschwärzung (zu § 14 Abs. 2 a.F.); Fezer/Büscher/Obergfell/Nordemann § 4 Nr. 2 Rn. 74; Harte/Henning/Bruhn § 4 Nr. 2 Rn. 47; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 2.21; Brammsen/Apel WRP 2009, 1464, 1469. 177 Ohly/Sosnitza § 4.2 Rn. 2/17. 178 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 2.23. 179 BGH 25.4.1958 – I ZR 97/57 – GRUR 1958, 448, 450 – Blanko-Verordnungen (zu § 824 Abs. 2 BGB, § 14 Abs. 2 a.F.).
Toussaint
208
Anschwärzung
§4
lass für die Schaffung des Vorgängers der heutigen Regelung, § 6 Abs. 2 UWG 1896 (s.o. Rn. 3) waren. Zur Begründung des III. Entwurfs des UWG 1896 heißt es insoweit: „Insbesondere bedarf die für die kaufmännischen Kreditbeziehungen bei reellem Betriebe nützliche Einrichtung der Auskunftserteilung der Schonung, mag diese Einrichtung von einzelnen Personen als besonderes Erwerbsgeschäft, oder von kaufmännischen und gewerblichen Schutzvereinen zur Sicherung ihrer Mitglieder gegen Verluste, oder von Kaufleuten im gegenseitigen Verkehr betrieben werden. Wer eine Auskunft nachsucht, um hiernach seine Geschäftsbeziehungen zu einem anderen zu regeln, und wer eine solche Auskunft nach bestem Wissen erteilt, befindet sich in Wahrnehmung berechtigter Interessen und darf auch dann nicht haftbar gemacht werden, wenn die Auskunft ungünstig lautet.“180 Im Vordergrund stand mithin die lauterkeitsrechtliche Freistellung von Wirtschaftsauskünften. Das berechtigte Interesse muss objektiv vorliegen, die Wahrnehmung eines bloß 66 vermeintlichen berechtigten Interesses durch den Mitteilenden genügt nicht.181 § 4 Nr. 2 kennt keine subjektiven Tatbestandsmerkmale. Es kommt daher auch nicht darauf an, dass der Mitteilende überhaupt ein berechtigtes Interesse (bewusst) wahrnehmen wollte. c) Vertraulichkeit. Das in der heutigen Betrachtung der Regelung durch dessen 67 Platzierung an erster Stelle in den Vordergrund gerückte weitere, mit dem UWG 1909 geschaffene (s.o. Rn. 3) Merkmal der „Vertraulichkeit“ der Mitteilung sollte ursprünglich nur verdeutlichen, was der Gesetzgeber mit „berechtigten Interessen“ meinte.182 Da der Gesetzgeber hier vor allem an Wirtschaftsauskünfte dachte (s.o. Rn. 65), lag es nahe, diese weiter durch deren Vertraulichkeit zu kennzeichnen. Dies ändert indessen nichts daran, dass die Vertraulichkeit als eigenständiges Tatbestandsmerkmal ausgebildet ist, das für eine Anwendung von § 4 Nr. 2, 2. Hs stets vorliegen muss. Hierin dürfte der Hauptgrund dafür liegen, dass § 4 Nr. 2, 2. Hs und seine Vorgängerregelung, § 14 Abs. 2 a.F., keine nennenswerte praktische Bedeutung erlangt haben. Vertraulichkeit verlangt zweierlei. Zunächst ist erforderlich, dass die Mitteilung an 68 eine bestimmte Person (bzw. einen überschaubaren Personenkreis) gerichtet ist.183 Dabei mag eine juristische Person als Adressat einer Mitteilung eine einzige Person sein;184 maßgeblich ist aber, ob die Mitteilung wenigstens geeignet ist, auch außerhalb des Unternehmens, der Behörde oder der sonstigen Einrichtung der juristischen Person bekannt zu werden.185 Nicht vertraulich sein können insbesondere Rundschreiben, etwa an die eigenen Kunden,186 an sieben große Abnehmerunternehmen,187 an Lieferanten ei-
_____
180 Stenographische Berichte des Reichstags, Session 1895/1897, I. Anlagebd., S. 106 (Aktenstück Nr. 35) = Lobe Die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs, Bd. 3 (1907), S. 65. 181 RG 25.9.1936 – II 64/36 – GRUR 1937, 237, 240 – Klischee-Vertrieb; RG 3.11.1936 – II 145/36 – JW 1937, 688, 689; RG 3.11.1936 – II 145/36 – GRUR 1938, 53, 57; BGH 10.12.1969 – I ZR 20/68 – GRUR 1970, 254, 255 – Remington (jeweils zu § 14 Abs. 2 a.F.); Ohly/Sosnitza § 4.2 Rn. 2/17; MünchKommUWG/Brammsen/ Doehner § 4 Nr. 8 Rn. 76; Brammsen/Apel WRP 2009, 1464, 1469. 182 Kommissionsbericht, Stenographische Berichte des Reichstags, Session 1907/1909, Bd. 255, Aktenstück Nr. 1390, S. 8452. 183 OLG Düsseldorf 19.7.1984 – 2 U 154/83 – GRUR 1985, 224, 225 – Vereinsinterne Anschwärzung (zu § 14 Abs. 2 a.F.). 184 Hierauf hebt ab RG 20.7.1937 – II 26/37 – RGZ 156, 1, 15 f. = GRUR 1938, 527, 533 – Toschi (zu § 14 Abs. 2 a.F.). 185 RG 20.7.1937 – II 26/37 – RGZ 156, 1, 16 = GRUR 1938, 527, 533 – Toschi; BGH 15.5.1959 – VI ZR 98/58 – GRUR 1960, 135, 135 – Druckaufträge (beide zu § 14 Abs. 2 a.F.). 186 BGH 8.10.1992 – I ZR 220/90 – GRUR 1993, 572, 573 – Fehlende Lieferfähigkeit (zu § 14 a.F.). 187 RG 15.5.1941 – II 116/40 – GRUR 1941, 378, 382 (zu § 14 Abs. 2 a.F.).
209
Toussaint
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
nes Mitbewerbers,188 aber auch an einen Verband als solchen gerichtete Schreiben,189 eine Nachricht im Mitteilungsblatt eines Wirtschaftsverbandes, auch wenn dieses ausschließlich an Verbandsmitglieder verteilt wird,190 oder eine Äußerung auf einer für alle Vereinsmitglieder zugänglichen Mitgliederversammlung.191 Hinzukommen muss, dass der Empfänger der Mitteilung zur vertraulichen Be69 handlung verpflichtet ist. Eine solche Verpflichtung kann dem Empfänger insbesondere durch den Mitteilenden selbst auferlegt werden, etwa durch die Bezeichnung der Mitteilung als „vertraulich“ oder „persönlich“. Dies nützt allerdings dann nichts, wenn es sich um einen breit gestreuten Empfängerkreis handelt,192 oder wenn die Weitergabe der Mitteilung durch deren Empfänger ohne weiteres aus seinem aus den Umständen sich ergebenden Interesse folgt, etwa die Instruktion an Vertreter des eigenen Unternehmens, damit sie die Mitteilung im Kundengespräch einsetzen können,193 oder gegenüber einem Wirtschaftsverband, in dessen Interesse die Weitergabe an seine Mitglieder liegt.194 Im Einzelfall kann eine Verpflichtung zur vertraulichen Behandlung auch aus dem Gesetz folgen, etwa aus der ärztlichen195 oder anwaltlichen Schweigepflicht. Schließlich kann sich die Vertraulichkeit aber auch den Umständen der Mitteilung nach von selbst ergeben.196 Das ist etwa der Fall bei einer nicht mit einem Weiterverbreitungsverbot versehenen und einen Mitbewerber anschwärzenden Mitteilung an die Stelle eines Unternehmens, welche über Einkäufe entscheidet, wenn sie ihrem Gegenstand nach nicht dazu geeignet ist, weiterverbreitet zu werden.197 Sind die Voraussetzungen der Vertraulichkeit – also Mitteilung an einen begrenzten 70 Adressatenkreis, Auferlegung der Verpflichtung zur vertraulichen Behandlung oder aus den Umständen oder auch aus einer Berufspflicht sich ergebende Verpflichtung hierzu – erfüllt, so schadet dem Mitteilenden nicht, wenn der Empfänger der Mitteilung unter Verstoß gegen seine Verpflichtung zu vertraulicher Behandlung die Mitteilung weiterverbreitet. Die Weiterverbreitung durch den Mitteilungsempfänger kann aber für diesen die Haftung aus § 824 BGB begründen. Ist die Weiterverbreitung der Mitteilung auch für den Mitteilungsempfänger eine geschäftliche Handlung i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1, so kommt seine Haftung nach § 4 Nr. 2 in Betracht. In diesem Fall kann sich allerdings der Unterlassungsanspruch auch gegen den ersten Mitteilenden als Störer richten. II. Revisionsrechtliche Nachprüfbarkeit 71
Ob der Tatrichter den Aussagegehalt einer beanstandeten Mitteilung zutreffend erfasst und rechtlich fehlerfrei zwischen beweisbaren Tatsachenbehauptungen und dem Beweis nicht zugänglichen Meinungsäußerungen unterschieden hat, unterliegt uneingeschränkter revisionsrechtlicher Nachprüfung.198
_____
188 BGH 8.1.1960 – I ZR 7/59 – GRUR 1960, 331, 333 – Schleuderpreise (zu § 14 Abs. 2 a.F.). 189 BGH 2.4.1992 – I ZR 217/90 – GRUR 1992, 860, 861 – Bauausschreibungen (zu § 14 Abs. 2 a.F.). 190 BGH 24.5.1955 – I ZR 138/53 – GRUR 1956, 212, 215 – Deutsches Wirtschaftsarchiv (zu § 14 Abs. 2 a.F.). 191 OLG Düsseldorf 19.7.1984 – 2 U 154/83 – GRUR 1985, 224, 225 – Vereinsinterne Anschwärzung (zu § 14 Abs. 2 a.F.). 192 RG 15.5.1941 – II 116/40 – GRUR 1941, 378, 382 (zu § 14 Abs. 2 a.F.). 193 RG 8.4.1910 – II 347/09 – MuW Jg. IX (1909/10), 390 – Minimax (zu § 6 Abs. 2 UWG 1896). 194 BGH 2.4.1992 – I ZR 217/90 – GRUR 1992, 860, 861 – Bauausschreibungen (zu § 14 Abs. 2 a.F.). 195 OLG Hamm 10.8.1989 – 4 U 125/99 – WRP 1990, 187, 188 – Falsch zentrierte Brillengläser (zu § 14 Abs. 2 a.F.). 196 BGH 15.5.1959 – VI ZR 98/58 – GRUR 1960, 135, 135 – Druckaufträge; BGH 2.4.1992 – I ZR 217/90 – GRUR 1992, 860, 861 – Bauausschreibungen (jeweils zu § 14 Abs. 2 a.F.). 197 BGH 15.5.1959 – VI ZR 98/58 – GRUR 1960, 135, 136 – Druckaufträge (zu § 14 Abs. 2 a.F.). 198 BGH 14.5.2009 – I ZR 82/07 – GRUR 2009, 1186 Tz. 15 – Mecklenburger Obstbrände m.w.N.
Toussaint
210
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
§4 Mitbewerberschutz § 4 Mitbewerberschutz Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz Dornis https://doi.org/10.1515/9783110545944-004
Unlauter handelt, wer … 3.
Waren oder Dienstleistungen anbietet, die eine Nachahmung der Waren oder Dienstleistungen eines Mitbewerbers sind, wenn er a) eine vermeidbare Täuschung der Abnehmer über die betriebliche Herkunft herbeiführt, b) die Wertschätzung der nachgeahmten Ware oder Dienstleistung unangemessen ausnutzt oder beeinträchtigt oder c) die für die Nachahmung erforderlichen Kenntnisse oder Unterlagen unredlich erlangt hat;
… Schrifttum Aaker Managing Brand Equity – Capitalizing on the Value of a Brand Name (1991); ders. The Value of Brand Equity, Journal of Business Strategy 13 (1992) 27; Ahrens Gewerblicher Rechtsschutz (2008); Aigner/Müller-Broich Der Schutz von Prestige-Produkten gemäß § 4 Nr. 9b) UWG, WRP 2008, 438; Akerlof The Market for „Lemons“: Quality Uncertainty and the Market Mechanism, Quarterly J. Econ. 84 (1970) 488; Alexy Theorie der Grundrechte (1985); Allfeld In der Weitergabe eines geschützten Musters an einen Dritten, der es unbefugt nachahmt, kann eine fahrlässige Verletzung des Musterschutzes liegen, JW 1926, 564; ders. Individuell gestaltete gewerbliche Erzeugnisse können auch außerhalb des Urheberschutzes, im Wettbewerbsgesetz, Schutz finden, JW 1927, 110; Alexander Gegenstand, Inhalt und Umfang des Schutzes von Geschäftsgeheimnissen nach der Richtlinie (EU) 2016/943, WRP 2017, 1034; Altmann/Pollack Callmann on Unfair Competition, Trademarks & Monopolies (2013); American Law Institute Restatement (First) of Torts (1939); dies. Restatement of the Law (Third) Unfair Competition (1995); Ann Know-how – Stiefkind des Geistigen Eigentums? GRUR 2007, 39; Arrow Economic Welfare and the Allocation of Resources for Invention in Universities-National Bureau Committee for Economic Research and Committee on Economic Growth of the Social Science Research Council The Rate and Direction of Inventive Activity: Economic and Social Factors (1962) 609; Artmann Nachahmen und Übernahme fremder Leistung im Wettbewerbsrecht, ÖBl 1999, 3; Auteri Die Zukunft des Designschutzes in Europa aus der Sicht des italienischen Rechts, GRUR Int. 1998, 360; Baird Common Law Intellectual Property and the Legacy of International News Service v. Associated Press, 50 U. L. Rev. (1983) 411; Balganesh ‚Hot News‘: The Enduring Myth of Property in News, 111 Colum. L. Rev. (2011) 419; Bärenfänger Das Spannungsfeld von Lauterkeitsrecht und Markenrecht unter dem neuen UWG – Symbiotische Theorie zum Kennzeichen- und Lauterkeitsrecht (2010); ders. Symbiotische Theorie zum Kennzeichen- und Lauterkeitsrecht, WRP 2011, 16 und 160; Barnes Trademark Externalities, 10 Yale J.L. & Tech. (2007) 1; Bartenbach/Fock Das neue nicht eingetragene Geschmacksmuster – Ende des ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes oder dessen Verstärkung? WRP 2002, 1119; Beater Nachahmen im Wettbewerb – Eine rechtsvergleichende Untersuchung zu § 1 UWG (1995); ders. Mitbewerber und sonstige unternehmerische Marktteilnehmer, WRP 2009, 768; Beebe Intellectual Property Law and the Sumptuary Code, 123 Harv. L. Rev. (2010) 809; Benkler Intellectual property and the organization of information production, Intern. Rev. L. & Econ. 22 (2002) 81; Bentham A Manual of Political Economy (1839); Bertrand Le droit français de la concurrence déloyale (1998); Beyerlein Ergänzender Leistungsschutz gemäß § 4 Nr. 9 UWG als „geistiges Eigentum“ nach der Enforcement-Richtlinie (2004/48/EG), WRP 2005, 1354; Bischoffshausen Die ökonomische Rechtfertigung der urheberrechtlichen Schutzfrist (2012); Bone A Sceptical View of the Trademark Dilution Revision Act, 11 Intell. Prop. L. Bull. (2007) 187; Bopp Sklavischer Nachbau technischer Erzeugnisse, GRUR 1997, 34; Bornkamm Die Feststellung der Verkehrsauffassung im Wettbewerbsprozess, WRP 2000, 830; ders. Markenrecht und wettbewerbsrechtlicher Kennzeichenschutz, GRUR 2005, 97; ders. Kennzeichenrecht und Irreführungsverbot – Zur wettbewerbsrechtlichen Beurteilung der irreführenden Kennzeichenbenutzung, FS Mühlendahl (2005) 9; ders. Der lauterkeitsrechtliche Schutz vor Verwechslungen: Ein Kuckucksei im Nest des UWG? FS Loschelder (2010)
211 https://doi.org/10.1515/9783110545944-004
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
31; ders. Die Schnittstellen zwischen gewerblichem Rechtsschutz und UWG – Grenzen des lauterkeitsrechtlichen Verwechslungsschutzes, GRUR 2011, 1; Böxler Der Vorrang des Markenrechts, ZGE/IPJ 1 (2009) 357; Brandi-Dohrn Softwareschutz durch Wettbewerbsrecht, Mitt. 1993, 77; Brandner Wann ist Rufausnutzung im Wettbewerb nicht unlauter? FS Vieregge (1995) 81; Brem Der ergänzende wettbewerbsrechtliche Leistungsschutz in Europa (2005); Breyer The Uneasy Case for Copyright: A Study of Copyright in Books, Photocopies and Computer Programs, 84 Harv. L. Rev. (1970) 281; Buchmann/Stubblebine Externality, Economica 29 (1962) 371; Bunnenberg Das Markenrecht als abschließendes Regelungssystem?, MarkenR 2008, 148; Büscher Schnittstellen zwischen Markenrecht und Wettbewerbsrecht, GRUR 2009, 230; ders. Neuere Entwicklungen im wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz, GRUR 2018, 1; Callmann Sittenwidrige Ausbeutung fremder Arbeit, GRUR 1928, 251; Carroll One For All: The Problem of Uniformity Cost in Intellectual Property Law, 55 Am. U. L. Rev. (2006) 845; Carter The Trouble with Trademark, 99 Yale L.J. (1990) 759; Coase The Problem of Social Cost, 3 J. L. & Econ. (1960) 1; Cooter/Ulen Law and Economics 6. Aufl. (2014); Demsetz Toward a Theory of Property Rights, 57 Am. Econ. Rev. (1967) 347; Denicola Copyright in Collections of Facts: A Theory for the Protection of Nonfiction Literary Works, 81 Colum. L. Rev. (1981) 516; Derclaye/Leistner Intellectual Property Overlaps – A European Perspective (2011); Desai The Chicago School Trap in Trademark: The Co-Evolution of Corporate, Antitrust, and Trademark Law, 37 Cardozo L. Rev. (2015) 551; Deutsch Anspruchskonkurrenz im Marken- und Kennzeichenrecht, WRP 2000, 854; Dogan/Lemley Trademark and Consumer Search Costs on the Internet, 41 Hous. L. Rev. 777 (2004) 815; dies. A Search-Cost Theory of Limiting Doctrines in Trademark Law, 97 Trademark Rep. (2007) 1223; Dornis Trademark and Unfair Competition Conflicts – Historical-Comparative, Doctrinal, and Economic Perspectives (2017); ders. Wigmorian Copyright: Law, Economics, and Socio-Cultural Evolution, IPQ 2018, 159; ders. Non-conventional copyright: an economic perspective in Bonadio/Lucchi Non-Conventional Copyright – Do New and Atypical Works Deserve Protection? (2018) 455; ders. Behind the Steele Curtain – An Empirical Study of Trademark Conflict Cases, Vand. J. Ent. & Techn. L. 2018, 567; ders. Urheberrecht, Ökonomik und Evolution. Kreativität im Gravitationsfeld multipler Einflussfaktoren, ZGE 2018, 341; ders./Förster Die Unterwerfung: Rechtsnatur und Rechtsnachfolge, GRUR 2006, 195; ders./Strunk Urteilsanmerkung zu OLG Frankfurt a.M.: Frage der Mitbewerbereigenschaft zwischen einem Unternehmen, das Fondsbeteiligungen anbietet und einem Rechtsanwalt, WuB 2017, 678; ders./Wein Imitationsbehauptung und Rufausnutzung in vergleichender Werbung. Eine rechtsvergleichend-ökonomische Analyse des Spannungsfeldes zwischen Eigentum und Marktkommunikation, ZGE 2016, 513; ders./Wein Trademarks, Comparative Advertising, and Product Imitations: An Untold Story of Law and Economics, 121 Penn State L. Rev. (2016) 421; Droste BGH 3.5.1968 I ZR 66/66 „Pulverbehälter“(Anm.), GRUR 1968, 594; Drysdale/Silverleaf Passing Off Law and Practice (1995); Economides The Economics of Trademarks, 78 T.M.R. (1998) 523; Easterbrook Cyberspace versus Property Law? 4 Tex. Rev. L. & Pol. (1999) 103; Ehmann Monopole für Sportverbände durch ergänzenden Leistungsschutz? GRUR Int. 2009, 659; Eickmeier/Fischer-Zernin Ist der Formatschutz am Ende? – Der gesetzliche Schutz des Fernsehshowformats nach der „Sendeformat“Entscheidung des BGH, GRUR 2008, 755; Emmerich Wettbewerbsrecht: Unmittelbarer Leistungsschutz – Schutz von Sportveranstaltungen über das UWG, JuS 2012, 258; ders. Unlauterer Wettbewerb (2016); Engels „Vorrang“ von Geschmacksmuster- gegenüber wettbewerblichen Leistungsschutz? GRUR-Prax 2013, 5; Epstein The Protection of „Hot News“: Putting Balganesh’s „Enduring Myth“ about International News Service v. Associated Press in Perspective, 111 Colum. L. Rev. Sidebar (2011) 79; Erdmann Der wettbewerbliche Schutz von Computerprogrammen, FS 175 Jahre OLG Oldenburg (1989); ders. Die zeitliche Begrenzung des ergänzenden wettbewerblichen Leistungsschutzes, FS Vieregge (1995) 197; ders. Der Schutz von Werbeslogans, GRUR 1996, 550; ders. Wettbewerbsrecht, GRUR 2007, 130; Esser Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts (1956); Fauchart/von Hippel Norms-Based Intellectual Property Systems: The Case of French Chefs, 19 Org. Science (2008) 187; Feldmann/Höppner Verwertungsverbot privater Filmaufnahmen von Amateur-Fußballspielen, K&R 2008, 421; Fezer Leistungsschutz im Wettbewerbsrecht, WRP 1993, 63; ders. Der wettbewerbsrechtliche Schutz der unternehmerischen Leistung, FS GRUR Bd. II (1995) 939; ders. Modernisierung des deutschen Rechts gegen den unlauteren Wettbewerb auf der Grundlage einer Europäisierung des Wettbewerbsrechts, WRP 2001, 989; ders. Imitationsmarketing – Die irreführende Produktvermarktung im Sinne der europäischen Wettbewerbsrichtlinie (Art. 6 Abs. 2 lit. a RL), MarkenR 2006, 511; ders. Normenkonkurrenz zwischen Kennzeichenrecht und Lauterkeitsrecht, WRP 2008, 1; ders. Imitationsmarketing als irreführende Produktvermarktung, GRUR 2009, 451; ders. Kumulative Normenkonkurrenz zwischen Markenrecht und Lauterkeitsrecht – Schutzzweckkompatibilität zwischen Immaterialgüterrecht als Funktionseigentum und Wettbewerbsrecht, GRUR 2010, 953; ders. ImmaterialgüDornis
212
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
terrechtlicher und lauterkeitsrechtlicher Veranstaltungsschutz (Teil 1 und 2), WRP 2012, 1173 und 1321; Fiebig Wohin mit dem „Look-Alike“? WRP 2007, 1316; Fock Der unmittelbare wettbewerbsrechtliche Leistungsschutz (2008); Forkel Zur Übertragbarkeit geheimer Kenntnisse, FS Schnorr von Carolsfeld (1972) 105; Fournier Bereicherungsausgleich bei Eingriffen in Wettbewerbspositionen: zugleich ein Beitrag zur Dogmatik des wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes (1998); Frank/Wehner Design von Tablet Computern – Klonkriege oder die dunkle Seite der Macht? CR 2012, 209; Friedmann/Landes/Posner Some Economics of Trade Secret Law, J. Econ. Perspectives 5 (1991) 61; Frischmann/Lemley Spillovers, 107 Colum. L. Rev. (2007) 257; Fuchs/Farkas Kann der EuGH dem Paperboy das (Best)Water reichen? ZUM 2015, 110; v. Gamm Die sklavische Nachahmung, GRUR 1978, 453; Gautier Propriété littéraire et artistique (2001); Georgakopoulos Predictability and Legal Evolution, Int. Rev. Law & Econ. 17 (1997) 475; Ginsburg Copy Right, Common Law, and Sui Generis Protection of Databases in the United States and Abroad, 66. U. Cin. L. Rev. (1997) 151; Glöckner Europäisches Lauterkeitsrecht (2006); ders. Der Schutz vor Verwechslungsgefahr im Spannungsfeld von Kennzeichenrecht und verbraucherschützendem Lauterkeitsrecht, in Ohly/Klippel, Geistiges Eigentum und Gemeinfreiheit (2007) 145; Gloy Zum Schutz von Verpackungen vor Nachahmung, FS Oppenhoff (1985) 77; Goldstein Copyright’s Highway (2003); Gordon An Inquiry into the Merits of Copyright: The Challenges of Consistency and Encouragement Theory 41 Stan. L. Rev (1989) 1343; ders. On Owning Information: Intellectual Property and the Restitutionary Impulse, 78 Va. L. Rev. (1992) 149; Götte Die Schutzdauer im wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz (2000); Götting Ergänzender wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz – Ein Überblick, Mitt. 2005, 15; ders./Hetmank Unlautere Leistungsübernahme durch Mitarbeiterabwerbung, WRP 2013, 421; Gottschalk Der Schutz des Designs nach deutschem und europäischem Recht (2005); Grynberg Trademark Litigation as Consumer Conflict, 83 N.Y.U. L. Rev. (2008) 60; Günther Ungenehmigte Radioberichterstattung von Sportveranstaltungen als unlauterer Wettbewerb? WRP 2005, 703; Harrison A Positive Externalities Approach to Copyright Law: Theory and Application, 13. J. Intell. Prop. L. (2005) 1; Harte-Bavendamm Wettbewerbsrechtlicher Verbraucherschutz in der Welt der „look-alikes“, FS Loschelder (2010) 111; Haß Gedanken zur sklavischen Nachahmung, GRUR 1979, 361; Heald Federal Intellectual Property Law and the Economics of Preemption, 76 Iowa L. Rev. (1991) 959; Heep Lauterkeitsrechtlicher Schutz vor Herkunftstäuschung (§ 4 Nr. 9 lit. a UWG) und Rufausbeutung (§ 4 Nr. 9 lit. b, 1. Alt. UWG) im Verhältnis zum Geschmacksmuster- und Kennzeichenrecht (2010); Heermann Rechtlicher Schutz von Slogans, WRP 2004, 263; ders. Leistungsschutzrecht für Sportveranstalter de lege ferenda? GRUR 2012, 791; Heilein Der Nachahmungsschutz nach U.S.-amerikanischem Recht außerhalb von Patent und Copyright Act – Ein Streifzug durch die wechselvolle U.S.-Rechtsprechung des vergangenen Jahrhunderts, GRUR Int 2001, 377; Heinkelein/Fey Der Schutz von Fernsehformaten im deutschen Urheberrecht – Zur Entscheidung des BGH: „Sendeformat“, GRUR Int. 2004, 378; Hellenschmidt Die unmittelbare Leistungsübernahme: ein Unterfall der sklavischen Nachahmung (1980); Henning-Bodewig Relevanz der Irreführung, UWG-Nachahmungsschutz und die Abgrenzung Lauterkeitsrecht/IP-Rechte, GRUR Int 2007, 986; dies./Kur Marke und Verbraucher (1988), Bd. I; Herdzina Wettbewerbspolitik (1999); Heyers Wettbewerbsrechtlicher Schutz gegen das Einschieben in fremde Serien, GRUR 2006, 23; Hilty „Leistungsschutz“ – made in Switzerland? – Klärung eines Missverständnisses und Fragen zum allgemeinen Schutz von Investitionen, FS Ullmann (2006) 643; Hoeren/Schröder Anmerkung zu LG Stuttgart: Verbot von Videosequenzen von Amateurfußballspielen im Internet – hartplatzhelden.de, MMR 2008, 553; Hohlweck Vom Pflügen mit fremdem Kalbe und anderen anstößigen Verhaltensweisen – Der Schutz bekannter Produkte durch § 4 Nr. 9 lit. b UWG, WRP 2015, 934; Holocombe/Sobel Public Policy Toward Pecuniary Externalities, Pub. Finan. Rev. 29 (2001) 304; Hubmann Die sklavische Nachahmung, GRUR 1975, 230; ders. Gewerblicher Rechtsschutz (1988); Hurt/Schuchman The Economic Rationale of Copyright, 56 Am. Econ. Rev. (1966) 421; Ingerl Der wettbewerbsrechtliche Kennzeichenschutz und sein Verhältnis zum MarkenG in der neueren Rechtsprechung des BGH und in der UWG-Reform, WRP 2004, 809; Jacobs Von Pumpen, Noppenbahnen und Laubheftern – Zum wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz bei technischen Erzeugnissen, FS Helm (2002) 71; Jänich „Automobilplagiate“ – zum Schutz des Designs von Kraftfahrzeugen vor Nachahmung, GRUR 2008, 873; Jensen When News Doesn’t Want to Be Free: Rethinking „Hot News“ to Help Counter Free Riding on Newspaper Content Online, 60 Emory L. J. (2010) 537; Jersch Ergänzender Leistungsschutz und Computersoftware (1993); Kamperman Sanders Unfair Competition Law – The Protection of Intellectual and Industrial Creativity (1997); Kaplow Rules Versus Standards: An Economic Analysis, 43 Duke L. J. (1992) 557; Karjala Misappropriation As a Third Intellectual Property Paradigm, 94 Colum. L. Rev. (1994) 2594; Kaulmann Der Schutz des Werbeslogans vor Nachahmungen (2006); dies. Der Schutz des Werbeslogans vor Nachahmungen, GRUR 2008, 854; K. Keller Conceptualizing, Measuring, and Mana213
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
ging Customer-Based Brand Equity, Journal of Marketing 57 (1993) 1; E. Keller Der wettbewerbsrechtliche Leistungsschutz, FS Erdmann (2002) 595; ders. Anmerkung zu BGH: Haftung des Rechtsanwalts bei unberechtigter Schutzrechtsverwarnung – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung II, GRUR 2016, 634; Kiethe/Groeschke „Jeans“ – Verteidigung wettbewerblicher Eigenart von Modeneuheiten, WRP 2006, 794; dies. Erweiterung des Markenschutzes vor Verwechselungen durch das neue Lauterkeitsrecht, WRP 2009, 1343; Klette Anmerkung zu BGH 8.11.1984 – I ZR 128/82 – GRUR 1985, 878 – Tchibo/Rolex; Knies Der wettbewerbsrechtliche Leistungsschutz – eine unzulässige Rechtsfortführung? (1996); Koch Geringer Schutzumfang bei vorbekanntem Formenschatz – „Flexibar“, GRUR-Prax 2012, 460; Köhler Der ergänzende Leistungsschutz: Plädoyer für eine gesetzliche Regelung, WRP 1999, 1075; ders. Die „Bagatellklausel“ in § 3 UWG, GRUR 2005, 1; ders. Zur Konkurrenz lauterkeitsrechtlicher und kartellrechtlicher Normen, WRP 2005, 645; ders. Das Verhältnis des Wettbewerbsrechts zum Recht des geistigen Eigentums, GRUR 2007, 548; ders. Die Unlauterkeitstatbestände des § 4 UWG und ihre Auslegung im Lichte der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, GRUR 2008, 841; ders. Der Schutz vor Produktnachahmung im Markenrecht, Geschmacksmusterrecht und neuen Lauterkeitsrecht, GRUR 2009, 445; ders. Der „Mitbewerber“, WRP 2009, 499; ders. Das Verhältnis des Rechts des geistigen Eigentums zum Lauterkeitsrecht im Lichte der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, in Lange/Klippel/Ohly, Geistiges Eigentum und Wettbewerb (2009) 89; ders. Kein Wettbewerbsverbot durch Verletzung steuerlicher Vorschriften, GRUR 2010, 657; König Der wettbewerbsrechtliche Schutz von Computerprogrammen vor Nachahmung, NJW 1990, 2233; Körber/Ess Hartplatzhelden und der ergänzende Leistungsschutz im Web 2.0 – Zugleich eine Besprechung von BGH – I ZR 60/09 (Hartplatzhelden.de), WRP 2011, 697; Körner Befristete und unbefristete Unterlassungstitel bei Wettbewerbsverstößen, GRUR 1985, 909; ders. Das allgemeine Wettbewerbsrecht des UWG als Auffangtatbestand für fehlgeschlagenen oder abgelaufenen Sonderrechtsschutz, FS Ullmann (2006) 701; Kozinski Trademarks Unplugged, 68 N.Y.U.L. Rev. (1993) 960; Kratzke Normative Economic Analysis of Trademark Law, 21 Mem. St. U. L. Rev. (1991) 199; Krüger Der Schutz kurzlebiger Produkte gegen Nachahmungen (Nichttechnischer Bereich), GRUR 1986, 115; ders. Zur „Klemmbausteine“-Doktrin nach BGH „Regalsystem“ und „Einkaufswagen III“, GRUR 2016, 664; Krüger/v. Gamm Die „Noppenbahnen“-Doktrin – Ein Irrweg? WRP 2004, 978; Kur Der wettbewerbliche Leistungsschutz, GRUR 1990, 1; dies. Wettbewerbsrechtlicher Nachahmungsschutz gegen kompatible Produkte, GRUR Int. 1995, 469; dies. Die Zukunft des Designschutzes in Europa – Musterrecht, Urheberrecht, Wettbewerbsrecht, GRUR Int. 1998, 353; dies. Ansätze zur Harmonisierung des Lauterkeitsrechts im Bereich des wettbewerbsrechtlichen Lauterkeitsschutzes, GRUR Int. 1998, 771; dies. Die Auswirkungen des neuen Geschmacksmusterrechts auf die Praxis, GRUR 2002, 661; dies. Nachahmungsschutz und Freiheit des Warenverkehrs – der wettbewerbsrechtliche Leistungsschutz aus der Perspektive des Gemeinschaftsrechts, FS Ullmann (2006) 717; dies. (No) Freedom to Copy? Protection of Technical Features under Unfair Competition Law, FS Straus (2008) 521; Laier Die Berichterstattung über Sportereignisse (2007); Landes/Posner Trademark Law: An Economic Perspective, 30 J. L. & Econ. (1987) 265; dies. The Economic Structure of Intellectual Property Law (2003); Lehmann Eigentum, geistiges Eigentum, gewerbliche Schutzrechte – Property Rights als Wettbewerbsbeschränkungen zur Förderung des Wettbewerbs, GRUR Int. 1983, 356; Leistner Behavioural Economics und Lauterkeitsrecht. Versuch einer Annäherung, ZGE/IPJ 1 (2009) 3; ders. Der Beitrag ökonomischer Forschung zum Urheberrecht. Bestandsaufnahme und interdisziplinäre Ideenskizze, ZGE/IPJ 1 (2009), 403; ders. Wettbewerb, Wirtschaftsverfassung und Wettbewerbsordnung, in Gloy/Loschelder/Erdmann, Handbuch des Wettbewerbsrechts (2010) 27; ders. The Legacy of International News Service v Associated Press (USA), in Heath/Kamperman Sanders, Landmark Intellectual Property Cases and Their Legacy (2011) 33; ders. Rechtsvergleichende und ökonomische Bemerkungen zur Diskussion um den wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz, FS Pfennig (2011) 41; ders. Beim Spielen nichts Neues? – Zugleich Besprechung von BHG, Urt. v. 1.6.2011 – ZR 140/09 – Lernspiele, GRUR 2011, 761; ders. Exzenterzähne 2.0 – Zum weiteren Schicksal einer problematischen BGH-Rechtsprechung in ihrer praktischen Umsetzung durch die Tatsacheninstanz, GRUR 2018, 697; Leistner/Hansen Die Begründung des Urheberrechts im digitalen Zeitalter – Versuch einer Zusammenführung von individualistischen und utilitaristischen Rechtfertigungsbegründungen, GRUR 2008, 479; Leitzel Concepts in Law and Economics (2015); Lemley The Modern Lanham Act and the Death of Common Sense, 108 Yale L.J. (1999) 1687; ders. Ex Ante Versus Ex Post Justifications for Intellectual Property, 71 U. Chi. L. Rev. (2004) 129; ders. Property, Intellectual Property, and Free Riding, 83 Tex. L. Rev. (2005) 1031; Lemney/McKenna Owning Mark(et)s, 109 Mich. L. Rev. (2010) 137; Lettl Rechtsprechungsübersicht zum Wettbewerbsrecht 2006/2007, BB 2007, 2465; Lévêque/Ménière The Economics of Patents and Copyright (2004); Liebowitz Copying and Indirect Appropriability: Photocopying of Journals, Dornis
214
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
93 J. Pol. Econ. (1985) 945; ders. Copyright Law, Photocopying, and Price Discrimination, 8 Research in Law and Economics: The Economics of Patents and Copyrights (1986) 181; Lochmann Die Einräumung von Fernsehübertragungsrechten an Sportveranstaltungen (2005); Löffel Werbeslogan „Schönheit von innen“ genießt wettbewerbsrechtlichen Schutz, GRUR-Prax 2011, 430; Loschelder Der Schutz technischer Entwicklungen und praktischer Gestaltungen durch das Marken- und Lauterkeitsrecht, GRUR Int. 2004, 767; Lubberger Technische Konstruktion oder künstlerische Gestaltung? – Design zwischen den Stühlen, FS Erdmann (2002) 145; ders. Grundsatz der Nachahmungsfreiheit? FS Ullmann (2006) 737; ders. Alter Wein in neuen Schläuchen – Gedankenspiele zum Nachahmungsschutz, WRP 2007, 873; ders. Der Zweitmarkenirrtum, MarkenR 2009, 18 ff.; Lunney Reexamining Copyright’s Incentives – Access Paradigm, 49 Vand. L. Rev. (1996) 483; ders. Trademark Monopolies, 48 Emory L.J. (1999) 367; Maaßen „Angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen“ für Geschäftsgeheimnisse, GRUR 2019, 352; Maierhöfer Geschmacksmusterschutz und UWG-Leistungsschutz – Ein Vergleich unter Berücksichtigung des Konkurrenzverhältnisses (2006); Maume Der Amateurfußball in den Fängen des Wettbewerbsrechts, MMR 2008, 797; McCarthy McCarthy on Trademarks and Competition (2018), 5th ed.; Mees Verbandsklagebefugnis in Fällen des ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes, WRP 1999, 62; Mels/Franzen Rechtsnachfolge in die gesetzliche Unterlassungsschuld des Wettbewerbsrechts – Zugleich eine kritische Stellungnahme zur „Schuldnachfolge“-Entscheidung des BGH, GRUR 2008, 968; Mennell/Scotchmer Intellectual Property Law in Polinsky/Shavell Handbook of Law and Economics, Vol II (2007) 1473 – 1570; Merges The End of Friction? Property Rights and Contract in the „Newtonian“ World of On-Line Commerce 12 Berkeley Tech. L.J. (1997) 115; Messer Der Werbespruch als geeigneter Gegenstand wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes, FS Erdmann (2002) 669; Miceli The Economic Approach to Law (2009); Mills Own label products and the „lookalike“ phenomenon: a lack of trade dress and unfair competition protection? E.P.I.R. 1995, 116; Mishan The Postwar Literature on Externalities: An Interpretative Essay, J. Econ. Lit. 9 (1971) 1; Mitchell Misappropriation and the New Copyright Act: An Overview, 10 Golden Gate L. Rev. (1980) 587; Müller-Laube Wettbewerbsrechtlicher Schutz gegen Nachahmung und Nachbildung gewerblicher Erzeugnisse – Entwurf eines dogmatischen Ordnungskonzeptes, ZHR 156 (1992), 480; Münker Verbandsklagen im sogenannten ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz, FS Ullmann (2006) 781; Nastelski Der Schutz des Betriebsgeheimnisses, GRUR 1957, 1; Nemeczek Gibt es einen unmittelbaren Leistungsschutz im Lauterkeitsrecht? WRP 2010, 1204; ders. Wettbewerbliche Eigenart und die Dichotomie des mittelbaren Leistungsschutzes, WRP 2010, 1315; ders. Rechtsübertragungen und Lizenzen beim wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz – Zugleich ein Beitrag gegen den unmittelbaren Leistungsschutz, GRUR 2011, 292; ders. Wettbewerbsfunktionalität und unangemessene Rufausbeutung gem. § 4 Nr. 9 lit. b Alt. 1 UWG, WRP 2012, 1025; Nerreter Wettbewerbsrechtlicher Schutz technischer und ästhetischer Arbeitsergebnisse, GRUR 1957, 408 und 525; Neu Die Verjährung der gesetzlichen Unterlassungs-, Beseitigungs- und Schadensersatzansprüche des Wettbewerbs- und Warenzeichenrechts, GRUR 1985, 335; Nirk Zur Rechtsfigur des wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes, GRUR 1993, 247; ders./Rörig Nicht eingetragenes EG-Geschmacksmuster und ergänzender Leistungsschutz, FS Mailänder (2006) 161; O’Hare Copyright and the Protection of Economic Rights, 6 J. Cultural Econ. (1982) 33; Oechsler Die Idee als persönliche geistige Schöpfung – Von Fichtes Lehre vom Gedankeneigentum zum Schutz von Spielideen, GRUR 2009, 1101; Ohly Richterrecht und Generalklausel im Recht des unlauteren Wettbewerbs (1997); ders. Die Europäisierung des Designrechts, ZEuP 2004, 296; ders. Gibt es einen Numerus clausus der Immaterialgüterrechte? FS Schricker (2005) 105; ders. Klemmbausteine im Wandel der Zeit – ein Plädoyer für eine strikte Subsidiarität des UWG-Nachahmungsschutzes, FS Ullmann (2006) 795; ders. Designschutz im Spannungsfeld von Geschmacksmuster-, Kennzeichen- und Lauterkeitsrecht, GRUR 2007, 731; ders. Reverse Engineering: Unfair Competition or Catalyst for Innovation? FS Straus (2008) 535; ders. Nachahmungsschutz versus Wettbewerbsfreiheit, in Lange/Klippel/Ohly, Geistiges Eigentum und Wettbewerb (2009) 99; ders. Hartplatzhelden.de oder: Wohin mit dem unmittelbaren Leistungsschutz?, GRUR 2010, 487; ders. Blaue Kürbiskerne aus der Steiermark, FS Griss (2011) 521; ders. Kein wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz für Amateurfußballspiele GRUR 2011, 439; ders. Ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger? WRP 2012, 41; ders. Urheberrecht und UWG, GRUR Int. 2015, 693; ders. Post-sale confusion? FS Fezer (2016) 615; ders. Die Haftung von Internet-Dienstleistern für die Verletzung lauterkeitsrechtlicher Verkehrspflichten, GRUR 2017, 441; Ortner Zum gewerblichen Rechtsschutz bei Nachahmung von Modeerzeugnissen, WRP 2006, 189; Osterrieth Der Nachahmungsschutz beim nicht eingetragenen Geschmacksmuster und beim ergänzenden Leistungsschutz, FS Tilmann (2003) 221; Paepke An Economic Interpretation of the Misappropriation Doctrine: Common Law Protection for Investment in Innovation, 2 High Tech. L.J. (1987) 55; Palmer Intellectual Pro215
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
perty: A Non-Posnerian Law and Economics Approach, 12 Hamline L. Rev. (1989) 261; Passa Contrefaçon et concurrence déloyale (1997); Peifer „Hartplatzhelden.de“ – Das Ende des unmittelbaren Leistungsschutzes? GRUR-Prax 2011, 181; Petry „Nachwirkender“ UWG-Nachahmungsschutz, WRP 2007, 1045; Peukert Güterzuordnung als Rechtsprinzip (2008); ders. hartplatzhelden.de – Eine Nagelprobe für den wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz, WRP 2010, 316; ders. Die Gemeinfreiheit – Begriff, Funktion, Dogmatik (2012); Plant The Economic Aspects of Copyright in Books, 1 Economica (1934) 167; Posner Misappropriation: A Dirge, 40 Hous. L. Rev. (2003) 621; ders. Intellectual Property: The Law and Economics Approach, J. Econ. Perspectives 19 (2005) 57; ders. Economic Analysis of Law (2014); Rahlf/Gottschalk Neuland: Das nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster, GRUR Int. 2004, 821; The Misappropriation Doctrine as a Competitive Norm of Intellectual Property Law, 75 Minn. L. Rev. (1990–1991) 875; Ramello Pelle Sub Agnina Latitat Mens Saepe Lupina – Copyright in The Marketplace, Liuc Papers n. 141, Serie Economia e Impresa 35 (2004) 12; Rauda Abschied des BGH vom „Einschieben in eine fremde Serie“? GRUR 2002, 38; Raue Nachahmungsfreiheit nach Ablauf des Immaterialgüterrechtsschutzes? (2010); Raustiala/Sprigman The Piracy Paradox: Innovation and Intellectual Property in Fashion Design, 92 Va. L. Rev. (2006) 1687; Reger Der internationale Schutz gegen unlauteren Wettbewerb und das TRIPS-Übereinkommen (1990); Reichmann Legal Hybrids between the Patent and Copyright Paradigms, 94 Colum. L. Rev. (1994) 2432; Riesenhuber Lego – Stein des Anstoßes. Zum ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz, WRP 2005, 1118; Ritscher Bericht über das Ringberg-Symposium „Europäisches Musterrecht“ des Max-PlanckInstituts vom 11. bis 14. Juli 1990, GRUR Int. 1990, 559 ff.; Röhl Nutzung von AdWords nach Bananabay II, NJW 2011, 3005; Rohnke Wie weit reicht „Dimple“? GRUR 1991, 284; ders. Schutz der Produktgestaltung durch Formmarken und wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz, FS Erdmann (2002) 455; ders. Anmerkung zu BGH, Urt. v. 2.4.2009 – I ZR 144/06 – Knoblauchwürste, Unterscheidung zwischen Hersteller- und Handelsmarkenangaben bei Herkunftstäuschung, GRUR 2009, 1072; Rößler Zum wettbewerbsrechtlichen Unlauterkeitsgehalt der Rufausbeutung, GRUR 1995, 549; Ruess/Slopek Zum unmittelbaren wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz nach hartplatzhelden.de, WRP 2011, 834; Sack Die kollisions- und wettbewerbsrechtliche Beurteilung grenzüberschreitender Werbe- und Absatztätigkeit nach deutschem Recht, GRUR Int. 1988, 320; ders. Das Kopieren von Noten gemeinfreier Werke der Musik nach deutschem Urheber- und Wettbewerbsrecht, FS Voyame (1989) 225; ders. Nachahmen im Wettbewerb, ZHR 160 (1996) 493; ders. Auswirkungen der Art. 30, 36 und 59 ff. EG-Vertrag auf das Recht gegen den unlauteren Wettbewerb, GRUR 1998, 871; ders. Das Einschieben in eine fremde Serie: Sonderfall oder Normalfall des ergänzenden wettbewerblichen Leistungsschutzes, FS Erdmann (2002) 697; ders. Markenschutz und UWG, WRP 2004, 1405; ders. Die lückenfüllende Funktion der Generalklausel des § 3 UWG, WRP 2005, 531; ders. Fallgruppen des Leistungsschutzes nach § 3 UWG (Teil 1), WRP 2017, 7; ders. Fallgruppen des Leistungsschutzes nach § 3 UWG (Teil 2), WRP 2017, 132; ders. Herkunftstäuschung durch Produktnachahmung und die UGPRichtlinie 2005/29/EG, WRP 2017, 650; Sambuc Die Eigenart der „wettbewerblichen Eigenart“, GRUR 1986, 130; ders. Der UWG-Nachahmungsschutz (1996); ders. Tatbestand und Bewertung der Rufausbeutung durch Produktnachahmung, GRUR 1996, 675; ders. Ist der wettbewerbsrechtliche Leistungsschutz übertragbar? FS Bornkamm (2014) 455; Samuelson The Pure Theory of Public Expenditure, 36 Rev. Of Econ. & Statistics (1954) 387; Samuelson/Scotchmer The Law and Economics of Reverse Engineering, 111 Yale L.J. (2002) 1575; Sandeen The Evolution of Trade Secrecy Law and Why Courts Commit Error When They Do Not Follow the Uniform Trade Secrets Act, 33 Hamline L. Rev. (2010) 493; Schacht Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz für technische Merkmale – Rettungsboot oder Havarist? GRUR 2017, 1203; Schaub Die wettbewerblichen Unterlassungsansprüche in Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren (2016) 13; Scherer Das Verhältnis des lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutzes nach § 4 Nr. 9 UWG zur europarechtlichen Vollharmonisierung der irreführenden oder vergleichenden Werbung, WRP 2009, 1446; dies. Kehrtwende bei der vergleichenden Werbung – Welche Konsequenzen hat die Änderung der BGHRechtsprechung? GRUR 2012, 545; Schmidt Hot News Misappropriation in the Internet Age, J. on. Telecomm. & High Tech. L. (2011) 313; Schmidt-Kessel/Schubmehl Lauterkeitsrecht in Europa (2011); Schrader Begrenzung des ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes, WRP 2005, 562; Schreiber Wettbewerbsrechtliche Kennzeichenrechte? GRUR 2009, 113; Schricker Werbekonzeptionen und Fernsehformate – Eine Herausforderung für den urheberrechtlichen Werkbegriff? GRUR Int. 2004, 923; ders./HenningBodewig Elemente einer Harmonisierung des Rechts des unlauteren Wettbewerbs in der Europäischen Union, WRP 2001, 1367; Schröer Der unmittelbare Leistungsschutz (2010); Schulte-Beckhausen Das Verhältnis des § 1 UWG zu den gewerblichen Schutzrechten und zum Urheberrecht (1994); Schulz Grenzlinien zwischen Markenrecht und wettbewerbsrechtlichem Leistungsschutz, FS Helm (2002) 237; Scitovsky Two Dornis
216
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
Concepts of External Economies, J. Pol. Econ. 62 (1954) 143; Seiler Zum Tatbestand der sogenannten sklavischen Nachbildung, BB 1967, 257; Seligsohn Ist die Nachbildung von Maschinen und anderen schutzfreien Gegenständen erlaubt? GRUR 1926, 240; Shapiro Consumer Information, Product Quality, and Seller Reputation, Bell J. Econ. 13 (1982), 20; ders. Premiums for High Quality Products as Returns to Reputations, Quarterly J. Econ 1983, 659; Shavell Should Copyright of Academic Works Be Abolished? 2 J. Legal Analysis (2010) 301; Sheff Veblen Brands, 96 Minn. L. Rev (2012) 769; Siebert/Lorz Einführung in die Volkswirtschaftslehre (2007); Sosnitza Nach dem Spiel ist vor dem Spiel – Das Konzept der „Post-Sale Confusion“ im Common Law, im europäischen und im deutschen Markenrecht, ZGE/IPJ 1 (2009) 457; Spätgens Produktausstattung und ästhetisch wirkende Produktgestaltung – Möglichkeiten und Grenzen des ergänzenden wettbewerblichen Schutzes vor Nachahmung gemäß § 1 UWG, FS Oppenhoff (1985) 407; ders. Gedanken zur Klageberechtigung und zum Herstellerbegriff beim ergänzenden Leistungsschutz, FS Erdmann (2002) 727; Spurr Economic Foundations of Law (2010); Stang Das urheberrechtliche Werk nach Ablauf der Schutzfrist (2011); Steinbeck Zur These vom Vorrang des Markenrechts, FS Ullmann (2006) 409; Stieper Das Verhältnis von Immaterialgüterrechtschutz und Nachahmungsschutz nach neuem UWG, WRP 2006, 291; ders. Dreifache Schadensberechnung nach der Durchsetzungsrichtlinie 2004/48/EG im Immaterialgüterund Wettbewerbsrecht, WRP 2010, 624; ders. Klagehäufung im Gewerblichen Rechtsschutz – alternativ, kumulativ, eventuell? GRUR 2012, 5; Sunstein Problems with Rules, 83 Cal. L. Rev. (1995) 953; Takeyama The Welfare Implications of Unauthorized Reproduction of Intellectual Property in the Presence of Demand Network Externalitities, 42 J. Indus. Econ. (1994) 155; Thress Die irreführende Produktvermarktung – Zur Auslegung des Art. 6 Abs. 2 lit. a der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken und des § 5 Abs. 2 UWG (2011); Tilmann Der wettbewerbliche Schutz vor Nachahmungen, GRUR 1987, 865; Traub Zur Ausweitung des Innovationsschutzes durch Immaterialgüterrechte im europäischen Bereich: Gibt es Auswirkungen dieser Tendenz bei dem ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz? FS Söllner (2000) 1213; Tushnet Gone in Sixty Milliseconds: Trademark Law and Cognitive Science, 86 Tex. L. Rev. (2008) 507; Ullmann Dreidimensionale Technik als Herkunftshinweis im Wettbewerb, FS Fezer (2016) 195; ders. Nachahmungsschutz des Wettbewerbsrechts auch nach Ende der Patentlaufzeit? Das Wettbewerbsrecht verlängert den Patentschutz? ("Exzenterzähne"), BGH v. 22.1.2015 – I ZR 107/13, jurisPR-WettbR 9/2015 Anm. 3; Ulmer Warenzeichen und unlauterer Wettbewerb in ihrer Fortbildung durch die Rechtsprechung (1929); ders. Urheber- und Verlagsrecht (1980); Ulrich Der ergänzende wettbewerbsrechtliche Leistungsschutz, NJW 1994, 1201; v. Ungern-Sternberg Grundfragen des Klageantrags bei urheber- und wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsklagen – Teil I und II, GRUR 2011, 375 und 486; Varian Copying and Copyright, 19 J. Econ. Perspectives (2005) 121; Wadlow Rudolf Callmann and the Misappropriation Doctrine in the Common Law of Unfair Competition, ZGE/IPJ 3 (2011) 47; ders. The Law of Passing Off (2016); Wahl Das Einschieben in eine fremde Serie (2008); Walch Ergänzender Leistungsschutz nach § 1 UWG (1992); von Wangenheim Die Evolution von Recht (1995); Weihrauch Der unmittelbare Leistungsschutz im UWG (2001); Weinstock Copyright and a Democratic Civil Society, 106 Yale L. J. (1996) 283; Werner Vor- und nachwirkender wettbewerblicher Leistungsschutz, FS Köhler (2014) 785; Westley How a Narrow Application of „Hot News“ Misappropriation Can Help Save Journalism, 60 Am. U. L. Rev. (2011) 691; Wiebe Unmittelbare Leistungsübernahme im neuen Wettbewerbsrecht, FS Schricker (2005) 773.
A.
217
Systematische Übersicht Einführung | 1 I. Entstehungsgeschichte | 1 II. Völkervertragsrecht und Europarecht | 8 1. Völkervertragsrecht | 8 2. Europarecht | 12 a) Primärrecht | 12 b) Sekundärrecht | 13 III. Rechtsvergleich | 18 1. Europa | 18 2. Vereinigte Staaten von Amerika | 22
IV.
Ökonomische Analyse | 48 1. Überblick: Normstrukturen | 48 2. Ausgangspunkt: Grundlagen des ökonomischen Modells | 49 3. Weiterentwicklung: Flexibles System variierender Schutzstandards | 54 4. Anwendung: Ökonomie und Fallgruppen | 56 a) Zuordnungsschutz: Täuschung über die betriebliche Herkunft | 58
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
b)
V.
Dornis
Informationsökonomisch begründeter Aneignungsschutz: Ausnutzen oder Beeinträchtigen der Wertschätzung | 61 aa) Grundlage: Eigentum und Externalitäten | 62 bb) Goodwill von Kennzeichen und Produkt: Markt-Navigation und Mehrwert | 64 cc) Unter-Fallgruppen des § 4 Nr. 3 lit. b | 67 c) Nicht informationsökonomisch begründeter Aneignungsschutz: unmittelbarer Leistungsschutz nach § 3 Abs. 1 | 72 aa) Abgrenzung | 72 bb) Diskussionsstand zur misappropriation doctrine und zum unmittelbaren Leistungsschutz | 73 cc) Kernproblem: Frage des Marktversagens | 77 dd) Praktische Anwendung | 79 (1) Art der Leistung | 80 (2) Essentiell: unmittelbares Wettbewerbsverhältnis | 82 (3) Subjektiver Tatbestand: „Schmarotzen“ und ähnliche Unlauterkeitsmerkmale | 84 (4) Abwägung im Anreizmodell: Kontinuum statt Extrempunktbetrachtung | 86 (5) Neukonzeption: Richterrechtliches Modell flexibler Standards | 89 d) Sondertatbestand: Verlängerter Geheimnisschutz nach § 4 Nr. 3 lit. c | 97 Geschützte Interessen und Normzwecke | 99 1. Allgemeines | 99
VI.
2. Interessen | 102 3. Einzelne Tatbestände | 103 Anwendungsbereich und Konkurrenzen | 106 1. Allgemeine Grundsätze der Abgrenzung zum Immaterialgüterrecht | 106 a) Meinungsbild | 106 b) Analyse und Neukonzeption | 109 aa) Ausgangspunkt: Kein universeller „Grundsatz der Nachahmungsfreiheit“ | 110 bb) Klarstellung: Kein „numerus clausus“ der Immaterialgüterrechte | 112 cc) Modifikation: Systematischer Vorrang des Sonderrechtsschutzes | 115 dd) Anwendung: Prüfungsstruktur | 117 (1) Konkurrenzen und Teilsubsidiarität: Immaterialgüterrecht und Tatbestände des § 4 Nr. 3 | 118 (2) Strenge Subsidiarität: Unmittelbarer Leistungsschutz nach § 3 Abs. 1 | 126 (3) Voraussetzungen des unmittelbaren Leistungsschutzes nach § 3 Abs. 1 | 127 c) Exkurs: Rechtsnatur der Schutzgegenstände, insbesondere Übertragbarkeit und Lizenzierbarkeit | 131 2. Sonderfragen nach Schutzrechtskategorien | 137 a) Technische Schutzrechte | 137 b) Urheberrechte und verwandte Schutzrechte | 150 c) Design- und Geschmacksmusterrechte | 156 d) Marken- und Kennzeichenrechte | 159
218
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
3.
B.
219
Abgrenzung zu anderen UWGTatbeständen | 163 a) Verhältnis zu § 4 Nr. 4 und § 3 Abs. 1 | 163 b) § 5 und Nr. 13 Anhang zu § 3 Abs. 3 | 164 c) § 6 | 165 d) §§ 17 ff. und §§ 1 ff. GeschGehG | 166 4. Annex: Nachahmungsschutz und Kartellrecht | 167 Tatbestand und Rechtsfolgen | 169 I. Systematik | 169 II. Allgemeine Tatbestandsmerkmale | 170 1. Angebot von Waren oder Dienstleistungen | 170 a) Angebot | 170 b) Waren oder Dienstleistungen | 171 2. Wettbewerbsverhältnis (Mitbewerber) | 173 3. Wettbewerbliche Eigenart | 176 a) Allgemeines | 176 b) Vergleich zu Voraussetzungen des Sonderrechtsschutzes | 179 c) Begriffliche Heterogenität der wettbewerblichen Eigenart | 181 d) Merkmale zur Begründung der Eigenart | 184 e) Entstehung und Erlöschen der wettbewerblichen Eigenart | 188 4. Nachahmung | 194 a) Allgemeines | 194 b) Abstufungen der Nachahmungsintensität | 196 c) Kategorien der Nachahmung: Produkt- und Marktbezug | 199 III. Besondere Tatbestandsmerkmale | 202 1. Überblick | 202 2. Vermeidbare Herkunftstäuschung (§ 4 Nr. 3 lit. a) | 203 a) Allgemeines | 203 b) Verkehrsauffassung und Situation der Erwerbsentscheidung | 204 c) Eignung zur Täuschung über die betriebliche Herkunft | 206
§4
d)
IV.
Zeitpunkt der Herkunftstäuschung | 211 e) Vermeidbarkeit | 213 3. Ausnutzung oder Beeinträchtigung der Wertschätzung (§ 4 Nr. 3 lit. b) | 220 a) Allgemeines | 220 b) Wertschätzung der nachgeahmten Ware oder Dienstleistung | 222 c) Tatbestandsalternativen | 227 aa) Unangemessene Ausnutzung | 228 (1) Ausnutzung | 229 (2) Unangemessenheit | 234 bb) Unangemessene Beeinträchtigung (Rufschädigung) | 239 4. Unredliche Erlangung erforderlicher Kenntnisse oder Unterlagen (§ 4 Nr. 3 lit. c) | 244 a) Allgemeines | 244 b) „Erforderlichkeit“ der Kenntnisse oder Unterlagen | 247 c) Unredliche Erlangung | 249 5. Ungeschriebene Tatbestände und Fallgruppen | 255 a) Bestandsaufnahme | 255 aa) Behinderung durch Nachahmung | 256 bb) Saisonschutz für Modeneuheiten | 258 cc) Einschieben in fremde Serie | 260 b) § 3 Abs. 1: Schrittmacherfunktion des unmittelbaren Nachahmungsschutzes | 263 6. Schutzdauer | 267 a) Tatbestände des § 4 Nr. 3 lit. a, b und c | 268 b) Unmittelbarer Leistungsschutz (§ 3 Abs. 1) | 273 7. Spürbare Interessenbeeinträchtigung (§ 3 Abs. 1) | 275 Rechtsfolgen | 276 1. Aktivlegitimation | 276 a) Grundlagen | 276
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
b)
2. 3.
Einschränkung der Aktivlegitimation nach § 8 Abs. 3 | 278 Passivlegitimation | 281 Ansprüche | 282 a) Abwehr: Unterlassung und Beseitigung | 282 b) Schadensersatz | 283 c) Ungerechtfertigte Bereicherung | 284 d) Auskunft und Rechnungslegung | 285
Verjährung | 286 Grundsätze der unberechtigten Schutzrechtsverwarnung | 288 Beweislast, Klageantrag und Vollstreckung | 289 I. Beweislast | 289 II. Klageantrag | 292 1. Bestimmtheit | 292 2. Streitgegenstand | 295 III. Vollstreckung | 299 4. 5.
C.
A. Einführung1 I. Entstehungsgeschichte 1
Die Rechtsprechung des Reichsgerichts nahm ihren Ausgangspunkt in einem Fall zur unmittelbaren Übernahme durch technische Vervielfältigung von Schallplatten.2 Zwar ging das Gericht mangels bestehenden Sonderrechtsschutzes von der grundsätzlichen Zulässigkeit einer Nachahmung aus. Für die Begründung eines Sittenverstoßes sollte es aber bereits genügen, dass eine durch Mühen und Kosten erzielte Arbeitsleistung eines Mitbewerbers zur eigenen Vorteilserlangung nachgeahmt werde.3 In der Sache gewährte das Reichsgericht damit Investitionsschutz durch Verteidigung der Position eines Schaffenden gegen den Markteintritt von Mitbewerbern. Durch Übernahme der Arbeitsergebnisse eines anderen, so die Annahme, spare der Übernehmer erheblichen Aufwand und erlange unberechtigt eine bessere Startposition im Wettbewerb.4 Gegentendenzen, wenn nicht sogar eine Kurskorrektur, zu dieser Einschränkung der Nachahmungsfreiheit unter Verweis auf Mühen und Kosten, die Aneignung fremder Früchte und den dadurch erzielten Wettbewerbsvorteil finden sich allerdings früh.5 Repräsentativ hierfür ist etwa die Künstliche Blumen-Entscheidung, in der das Gericht den Grundsatz der Freiheit der Nachahmung besonders deutlich hervorhob.6 Auch Arbeitsergebnisse, die mit Mühe und Kosten erworben wurden, könne sich ein Mitbewerber zumindest grundsätzlich durchaus zu Nutze machen, sofern kein Sonderrechtsschutz bestehe. Eine Nachahmung sei nur dann als sittenwidrig anzusehen, wenn „besondere Umstände“ hinzutreten.7 Ein Schutz nach der Fallgruppe des ergänzenden
_____
1 Dieser Text ist eine weitgehende Neukommentierung. Teilweise wurde mit freundlicher Zustimmung des Autors auf die Vorauflage (GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9) zurückgegriffen. 2 Vgl. RG 7.4.1910 – VI 344/09 – RGZ 73, 294 – Schallplatten. Aus dem Schrifttum vgl. hierzu z.B. Weihrauch S. 41 ff.; Beater Nachahmen im Wettbewerb S. 150 ff.; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 1 ff. 3 RG 7.4.1910 – VI 344/09 – RGZ 73, 294, 297 – Schallplatten; siehe z.B. auch RG 30.10.1926 – I 55/26 – RGZ 115, 180, 183 – Puppenjunge. 4 Vgl. RG 7.4.1910 – VI 344/09 – RGZ 73, 294, 297 – Schallplatten; RG 19.12.1913 – II 405/13 – RGZ 83, 384, 388 – Katalognummern; RG 30.10.1926 – I 55/26 – RGZ 115, 180, 183 – Puppenjunge. Zur Kritik an dieser Doktrin vgl. z.B. Allfeld JW 1926, 564; ders. JW 1927, 110; Seligsohn GRUR 1926, 240, 242; Callmann GRUR 1928, 251 und 439; ausführlich auch Weihrauch S. 41 ff. 5 Vgl. z.B. jeweils mit Nachweisen Müller-Laube ZHR 156 (1992) 480, 484 ff.; Ohly GRUR Int. 2015, 693, 694 f. 6 RG 19.3.1932 – I 345/31 – RGZ 135, 385, 394 f. – Künstliche Blumen; vgl. zudem z.B. auch RG 18.6.1912 – II 95/12 – RGZ 79, 415, 417 – Kognacflasche; RG 31.3.1916 – II 10/16 – RGZ 88, 183, 185 – Sack-Pflüge. 7 Vgl. z.B. RG 19.3.1932 – I 345/31 – RGZ 135, 385, 394 f. – Künstliche Blumen.
Dornis
220
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
Leistungsschutzes war demnach vor allem unter dem Aspekt einer rechtswidrigen Erlangung von Kenntnissen, einer Verwechslungsgefahr und Herkunftstäuschung sowie einer Ausbeutung des guten Rufs eines Mitbewerbers denkbar.8 Mit Blick auf eine Abwägung von Allgemein- und Individualinteressen führte das 2 Reichsgericht zudem in der Huthaken-Entscheidung von 1928 die Unterscheidung zwischen technischen Leistungen (mit Schutz nach Patent- und Gebrauchsmusterrecht) und rein ästhetischen Schöpfungen (mit Schutz nach Geschmacksmusterrecht) ein. Während bei ersteren ein erhebliches Allgemeininteresse an der freien Verwendung von Ideen und Innovationen nach Ablauf der Schutzfrist anzunehmen sei, fehle ein solches Interesse bei ästhetischen Leistungen nach Auslaufen des Sonderrechtsschutzes.9 Die vom Reichsgericht eingeführte Differenzierung ist für die teleologische Betrachtung des Tatbestandes, vor allem im Lichte der rechtsökonomischen Analyse, erhellend:10 Während … beim Patent und beim Gebrauchsmuster das Überwiegen des allgemeinwirtschaftlichen Interesses über das privatwirtschaftliche eine Ausdehnung des in den Sondergesetzen geregelten Schutzes auf dem Umweg über das Wettbewerbsgesetz … ausschließt, liegt die Sache beim Geschmacksmuster anders. Dieses hat nichts mit den für die Allgemeinheit wertvollen praktischtechnischen Schöpfungen zu tun; es wendet sich bei seinen gewerblichen Zwecken nur an das ästhetische Empfinden, indem es bloß auf dem Gebiete des Ästhetischen, z.B. in ansprechenden Formschöpfungen von Gebrauchsgegenständen, in geschmackvoller Anordnung und Ausgestaltung, Neues und Eigenartiges zu bieten hat. Es handelt sich hierbei, im Gegensatz zu den Objekten des Patent- und des Gebrauchsmusterschutzes, nicht um Werke, die für die Allgemeinheit, für die Volkswirtschaft eines Landes ein irgendwie nennenswertes Interesse haben. Es besteht kein öffentliches Interesse, den Gegenstand des Geschmacksmusters möglichst bald gemeinfrei zu machen, um ihn durch Ermöglichung der Herstellung gleicher Stücke für die Allgemeinheit freizugeben.11
3
Der Bundesgerichtshof übernahm die Rechtsprechung des Reichsgerichts zunächst 4 unverändert.12 Bei genauer Betrachtung lässt sich allerdings erkennen, dass der Gedanke der ungerechtfertigten Bereicherung und damit des Abschöpfens eines Marktvorteils im Vergleich zur reichsgerichtlichen Doktrin nach und nach stärker in den Vordergrund trat. Zwar betonte das Gericht zunächst noch den Grundsatz der Nachahmungsfreiheit außerhalb der Sonderschutzrechte. Allein das Ausnutzen der „Mühe und Kosten“ eines Mitwerbers genüge für die Annahme der Unlauterkeit nicht.13 Darum wurden zunächst auch vom Bundesgerichtshof noch streng besondere, außerhalb des Tatbestands der Sonderschutzrechte liegende Umstände gefordert, um eine Nachahmung als unerlaubt einordnen zu können.14 Dies umfasste vor allem das Hervorrufen einer vermeidbaren Herkunftstäuschung oder die unredliche Erlangung von Kenntnissen über
_____
8 Vgl. RG 19.3.1932 – I 345/31 – RGZ 135, 385, 394 f. – Künstliche Blumen; RG 11.7.1925 – I 103/24 – RGZ 111, 254 – Käthe-Kruse-Puppen; RG 23.2.1934 – II 266/33 – RGZ 144, 41, 45 – Hosenträger. 9 RG 31.1.1928 – II 77/27 – RGZ 120, 94, 97 ff. – Huthaken; vgl. hierzu auch Weihrauch S. 44 f.; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 2. 10 Siehe unten Rn. 56 ff. 11 RG 31.1.1928 – II 77/27 – RGZ 120, 94, 98 f. – Huthaken. 12 Vgl. z.B. BGH 22.1.1952 – I ZR 68/51 – BGHZ 5, 1, 10 = GRUR 1952, 516, 520 – Hummelfiguren; BGH 11.7.1952 – I ZR 129/51 – GRUR 1953, 40, 41 – Gold-Zack; BGH 1.7.1960 – I ZR 72/59 – GRUR 1961, 40, 41 f. – Wurftaubenpresse. Vgl. zur Entwicklung auch Schröer S. 14 ff. 13 Vgl. BGH 22.1.1952 – I ZR 68/51 – BGHZ 5, 1, 10 = GRUR 1952, 516, 520 – Hummelfiguren; BGH 11.7.1952 – I ZR 129/51 – GRUR 1953, 40, 41 – Gold-Zack; BGH 1.7.1960 – I ZR 72/59 – GRUR 1961, 40, 41 f. – Wurftaubenpresse. 14 BGH 22.1.1952 – I ZR 68/51 – BGHZ 5, 1, 10 = GRUR 1952, 516, 520 – Hummelfiguren; BGH 11.7.1952 – I ZR 129/51 – GRUR 1953, 40, 41 – Gold-Zack; BGH 1.7.1960 – I ZR 72/59 – GRUR 1961, 40, 41 f. – Wurftaubenpresse.
221
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
den Produktionsvorgang. 15 Insbesondere im Rahmen der sogenannten Wechselwirkungs-Doktrin16 kam es mit der Zeit aber in einigen Bereichen zu einer Ausdehnung des Schutzes im Sinne eines „reinen“ Leistungsschutzes gegen Nachahmungen besonders schützenswerter Leistungsergebnisse als solcher.17 Das wohl bekannteste Beispiel für diese Entwicklung ist der für modische Kreationen (bis vor einiger Zeit noch) außerhalb des sondergesetzlichen Regimes gewährte Schutz für Gestaltungen, der offen mit dem Amortisationsgedanken begründet wurde.18 Über die Jahre entwickelte der Bundesgerichtshof die Fallgruppen der vermeidbaren Herkunftstäuschung, der Rufausbeutung, der Behinderung und der unredlichen Kenntniserlangung sowie des unmittelbaren Leistungsschutzes.19 Die UWG-Reform 2004 hat in § 4 Nr. 9 a.F. eine gesetzliche Grundlage für den Tat5 bestand des Nachahmungsschutzes geschaffen, dabei aber inhaltlich nichts geändert. Die zunächst am Maßstab der „guten Sitten“ in § 1 UWG 1909 entwickelten Fallgruppen wurden weitgehend unverändert in die gesetzliche Fassung des Tatbestandes integriert.20 In den Tatbeständen der Buchstaben a bis c des § 4 Nr. 9 a.F. wurden (nicht abschließend)21 die wichtigsten Fallgruppen der Rechtsprechung aufgelistet. Entsprechend der zuvor eingeführten Terminologie wurden unterschieden: a) die vermeidbare Herkunftstäuschung, b) die Rufausnutzung oder -beeinträchtigung und c) das Erschleichen von Kenntnissen oder Unterlagen. Alle übrigen Fälle außerhalb dieser ausdrücklich bezeichneten Fallgruppen blieben bei der gesetzlichen Generalklausel in § 3 a.F. angesiedelt. Wie bereits unter Geltung des § 1 UWG 1909 waren damit die Gerichte zur Rechtsschaffung berufen.22 Die UWG-Reform 2008 zur Umsetzung der Richtlinie 2005/29/EG vom 11. Mai 2005 6 über unlautere Geschäftspraktiken (UGP-RL) durch das Erste Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG 2008) brachte keine inhaltliche Änderung an § 4 Nr. 9 a.F.23 Allerdings finden sich aufgrund der Umsetzung des Art. 6 Abs. 2 lit. a UGP-RL nun neue Irreführungstatbestände in § 5 Abs. 2 UWG und zugleich in Nr. 13 der „Schwarzen Liste“ im Anhang zu § 3 Abs. 3, die in potentieller Konkurrenz zu § 4 Nr. 3 lit. a stehen.24 In der UWG-Reform 2015 durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen 7 den unlauteren Wettbewerb (UWG 2015) wurden die Regelungen des § 4 Nr. 9 a.F. – auch
_____
15 Vgl. hierzu z.B. BGH 12.3.1954 – I ZR 201/52 – GRUR 1954, 337 – Radschutz; BGH 14.1.1999 – I ZR 203/96 – GRUR 1999, 751, 753 – Güllepumpen; BGH 8.12.1999 – I ZR 101/97 – GRUR 2000, 521, 526 – Modulgerüst I; BGH 27.1.1983 – I ZR 177/80 – GRUR 1983, 377 – Brombeer-Muster. 16 Siehe unten Rn. 196 ff. 17 Vgl. z.B. BGH 30.10.1968 – I ZR 52/66 – BGHZ 51, 41 = GRUR 1969, 186, 188 – Reprint; BGH 6.5.1999 – I ZR 199/96 – BGHZ 141, 329 = GRUR 1999, 923, 924 f. – Tele-Info-CD; zudem z.B. ausführlich Schröer S. 20 ff. 18 Vgl. BGH 19.1.1973 – I ZR 39/71 – GRUR 1973, 478, 480 – Modeneuheiten; BGH 10.11.1983 – I ZR 158/81 – GRUR 1984, 453, 453 f. – Hemdblusenkleid; zur Aufgabe der Modeneuheiten-Doktrin siehe BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – GRUR 2017, 79, 89 Tz. 96 – Segmentstruktur; zur Fallgruppe zudem auch unten Rn. 258 f. 19 Ausführlich z.B. Sambuc, Rn. 80 ff.; Weihrauch S. 50 ff.; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 3. 20 Vgl. BGH 30.4.2008 – I ZR 123/05 – GRUR 2008, 793, 795 Tz. 25 – Rillenkoffer; BGH 11.1.2007 – I ZR 198/04 – GRUR 2007, 795, 797 – Handtaschen; zudem Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.1; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 1. 21 Vgl. RegE UWG 2003, S. 18. 22 Siehe hierzu ausführlich unten Rn. 54 f. 23 BGH 28.5.2009 – I ZR 124/06 – GRUR 2010, 80, 81 Tz. 17 – LIKEaBIKE; BGH 12.5.2011 – I ZR 53/10 – GRUR 2012, 58, 63 Tz. 42 – Seilzirkus; BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – GRUR 2017, 79 Tz. 39 – Segmentstruktur; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.1. 24 Siehe unten Rn. 163 ff.
Dornis
222
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
dieses Mal – ohne inhaltliche Änderungen in eine neue Vorschrift (§ 4 Nr. 3) überführt.25 Die Überschrift bezieht sich allerdings ausdrücklich auf den „Mitbewerberschutz“. II. Völkervertragsrecht und Europarecht 1. Völkervertragsrecht. Im Unterschied zum Schutz der Immaterialgüterrechte ist 8 der Bereich des Lauterkeitsrechts bislang noch wenig durch völkervertragsrechtliche Strukturen geprägt. Den zentralen Anknüpfungspunkt für völkerrechtliche Strukturen bietet darum immer noch die Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums (PVÜ). Der Schutz gegen Herkunftstäuschung findet sich dort in Art. 10 bis Abs. 3 Nr. 1 verankert. Allgemein für den Nachahmungsschutz gilt Art. 10 bis Abs. 1 und Abs. 2 PVÜ.26 Die Voraussetzungen des lauterkeitsrechtlichen Leistungsschutzes richten sich da- 9 bei gemäß Art. 2 Abs. 1 PVÜ nach dem Recht des Staates, in welchem die Verletzungshandlung stattfindet. Nach der Betonsteinelemente-Entscheidung des BGH soll dabei nicht erforderlich sein, dass das Unternehmen des Verbandslandes sich im Inland über den Vertrieb seiner Ware bereits einen „wettbewerblichen Besitzstand“ geschaffen habe.27 Anders als bei der Verletzung von Immaterialgüterrechten sei Gegenstand des ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Schutzes nämlich gerade „nicht das verkörperte Leistungsergebnis, sondern das konkrete Wettbewerbsverhalten“; es gehe darum ausschließlich um die Art und Weise, wie die fremde Leistung zu Wettbewerbszwecken genutzt und verwertet werde.28 Im Ergebnis soll darum für die Feststellung einer herkunftshinweisenden Funktion auch nicht auf die Bekanntheit im inländischen Verkehr geblickt werden. Es sei vielmehr darauf abzustellen, ob ein Produkt herkunftshinweisend wirken könne. Wäre dies anders, könnte ein auf dem Markt neu eingeführtes oder neu einzuführendes Produkt nicht am wettbewerbsrechtlichen Schutz teilhaben.29 Für den ergänzenden Leistungsschutz des Schutzstaates genüge es daher, dass die dort vermarkteten Produkte in der rechtlichen Beurteilung des Schutzstaates eine wettbewerbliche Eigenart aufwiesen, welche geeignet sei, Herkunftsvorstellungen zu wecken.30 Dieser Ansicht ist für die Fallgruppe des § 4 Nr. 3 lit. a wohl zuzustimmen. Auch im Hinblick auf Fälle des § 4 Nr. 3 lit. c und des § 3 Abs. 1 kann ausschließlich auf die Handlung des Verletzers (im Schutzland) abgestellt werden. Die informationsökonomischen Grundlagen des § 4 Nr. 3 lit. b verlangen allerdings eine abweichende Beurteilung. Insoweit ist für das Schutzland zusätzlich zur Verletzungshandlung auch ein marktkommunikationsrelevanter Besitzstand (goodwill) zu fordern.31
_____
25 BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – GRUR 2017, 79 Tz. 39 – Segmentstruktur; BGH 15.12.2016 – I ZR 197/15 – GRUR 2017, 734 Tz. 15 – Bodendübel; BGH 14.9.2017 – I ZR 2/16 – GRUR 2017, 1135 Tz. 16 – Leuchtballon; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.1. 26 Siehe z.B. BGH 21.3.1991 – I ZR 158/89 – GRUR 1992, 523, 524 – Betonsteinelemente; aus dem Schrifttum vgl. z.B. GK-UWG/Schricker Einl. UWG Rn. F56; Sack GRUR Int. 1988, 320, 324; Keller FS Erdmann S. 595, 599 f.; Henning-Bodewig GRUR Int. 2007, 986 f.; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 11 jeweils m.w.N. 27 BGH 21.3.1991 – I ZR 158/89 – GRUR 1992, 523, 524 – Betonsteinelemente. 28 BGH 21.3.1991 – I ZR 158/89 – GRUR 1992, 523, 524 – Betonsteinelemente. 29 BGH 21.3.1991 – I ZR 158/89 – GRUR 1992, 523, 524 – Betonsteinelemente; zudem BGH 19.6.1974 – I ZR 20/73 – WRP 1976, 370, 371 – Ovalpuderdose; Erdmann FS 175 Jahre OLG Oldenburg S. 641, 652. 30 BGH 21.3.1991 – I ZR 158/89 – GRUR 1992, 523, 524 – Betonsteinelemente. 31 Siehe unten Rn. 188 ff. Vgl. zudem ausführlich zu den Grundlagen der Beurteilung in Fällen grenzüberschreitender goodwill-Beeinträchtigung: Dornis S. 6 ff., 76 ff. und 491 ff.; zudem (zum USamerikanischen Recht sowie allgemein zu dogmatischen Strukturen und ökonomischen Grundlagen grenzüberschreitender goodwill-Ausdehnung): Dornis 21 Vand. J. Ent. & Techn. L. 567, 622 ff. (2018).
223
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
10
Für die Frage der Gleichstellung der Angehörigen der Verbandsmitgliedstaaten nach Art. 1 Abs. 1, Abs. 2 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 PVÜ muss beachtet werden, dass es nicht ausreicht, dass ein Originalprodukt auf einem ausländischen Markt bekannt ist. Entscheidend für die Gefahr einer Herkunftstäuschung ist die Bekanntheit auf dem inländischen Markt.32 Das TRIPs-Abkommen enthält keine eigenständige Regelung für den Bereich des 11 Lauterkeitsrechts.33 Der EuGH hat festgestellt, dass es den Mitgliedstaaten obliegt, die Methode des Schutzes gegen Nachahmungen festzulegen. Ein lauterkeitsrechtliches Klagerecht zum Schutz vor unlauteren Nachahmungen kann dabei durchaus als „Recht des geistigen Eigentums“ i.S.v. Art. 50 Abs. 1 TRIPs angesehen werden.34 2. Europarecht
12
a) Primärrecht. Grundsätzlich kann es sich bei Maßnahmen des Nachahmungsschutzes um produktbezogene Beschränkungen des freien Waren- oder Dienstleistungsverkehrs handeln (Artt. 34 und 56 AEUV).35 Dann ist der Nachahmungsschutz als der Eingriff in Grundfreiheiten auch rechtfertigungsbedürftig.36 Der EuGH hat nationale Verbotsregeln nach Lauterkeitsrecht beim Vertrieb von Nachahmungen und gleichzeitigem Hervorrufen von Verwechslungsgefahr als gerechtfertigt angesehen. In der BeeleEntscheidung wurden die nach der Cassis-de-Dijon-Formel geforderten, zwingenden Allgemeininteressen im Bestreben verortet, die Verbraucher zu schützen und die Lauterkeit des Handelsverkehrs zu fördern.37 Ob darüber hinaus auch ein primär dem Mitbewerberschutz dienender ergänzender Leistungsschutz ohne Verwechslungsgefahr als europarechtskonform angesehen werden kann, hat der EuGH noch nicht entschieden. Mit zunehmender Harmonisierung des europäischen Immaterialgüterrechts ist eine lückenfüllend erweiternde Auslegung zweifelhaft geworden.38 Die Rechtsprechung hat dies allerdings bis vor Kurzem noch (wenngleich ohne Diskussion des Problems) angenommen.39
13
b) Sekundärrecht. Zwangsläufig kollidieren Fragen des wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes regelmäßig in weitem Umfang mit dem System unionsrechtlich vereinheitlichter und harmonisierter Immaterialgüterrechte.40 Dies beruht zunächst auf der in den letzten Jahrzehnten vollzogenen Ausdehnung des europäischen Rechts und der resultierenden Vereinnahmung zahlreicher, früher von UWG-Tatbeständen des deutschen Rechts umfasster Fallgruppen ins europäische Immaterialgüterrecht. Als Beispiele zu nennen sind vor allem das nicht eingetragene Gemeinschaftsge-
_____
32 BGH 9.10.2008 – I ZR 126/06 – GRUR 2009, 79 Tz. 35 m.w.N. – Gebäckpresse; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 5. 33 Vgl. Reger S. 16 ff.; Henning-Bodewig GRUR Int. 2007, 986; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 6. 34 EuGH 14.12.2000 – C-300/98 – GRUR 2001, 235 Tz. 60–63 – Dior/TUK Consultancy; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 11. 35 Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/8. 36 Vgl. nur Sack GRUR 1998, 871, 872; Keller FS Erdmann S. 595, 600 f.; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 7 m.w.N. 37 EuGH 2.3.1982 – C-6/81 – EuGHE 1982, I-707 – Industrie Diensten Groep/Beele; aus der deutschen Rspr. zudem z.B. OLG Köln 25.9.1992 – 6 U 29/92 – GRUR 1994, 737, 740; vgl. überdies aus dem Schrifttum Kur FS Straus S. 521, 530 ff.; dies. FS Ullmann, S. 717, 721 ff. 38 Vgl. nur Kur FS Ullmann, S. 717, 721 ff.; Götting/Nordemann2 § 4 Rn. 9.15; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/8; a.A. Keller FS Erdmann S. 595, 600. 39 Vgl. z.B. OLG München 30.10.2003 – 29 U 2691/03 – GRUR-RR 2004, 85 f. – Stricktop. 40 Vgl. Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/9; Derclaye/Leistner S. 113 f., 271 ff.
Dornis
224
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
schmacksmuster, der Schutz bekannter Marken gegen Rufausbeutung und Rufschädigung sowie der Schutz für Computerprogramme, für Konzertveranstalter und Verleger und für Datenbankhersteller.41 Zwar enthalten die europäischen Regelwerke, so z.B. das Marken- oder Designrecht, 14 sogenannte Unberührt-Klauseln, die einen ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz nach nationalem Recht nicht ausschließen (vgl. Art. 17 Unionsmarken-VO, Art. 96 Abs. 1 GGVO). Dies verhindert aber zunächst lediglich eine absolute Sperrwirkung des europäischen Rechts. Bei der Anwendung des nationalen Rechts sind die Wertungen der gemeinschaftsrechtlichen Regelungen insbesondere bei der systematischen Auslegung des § 4 Nr. 3 durchaus zu berücksichtigen.42 Vom europäischen Gesetzgeber bewusst gezogene Grenzen dürfen nicht durch ein unbedacht erweitertes System des nationalen ergänzenden Leistungsschutzes unterlaufen werden.43 Die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (UGP-RL) verlangt von den 15 Mitgliedstaaten einen wirksamen Schutz der Verbraucher gegen unlautere Geschäftspraktiken (Art. 11 Abs. 1). Unlauter im Sinne der Richtlinie sind vor allem irreführende und aggressive Praktiken (Art. 5 Abs. 4, Art. 6 f. und 8 f.). Hiervon umfasst ist auch die Vermarktung von Produkten, die eine Verwechslungsgefahr begründet (Art. 6 Abs. 2 lit. a). Eine besondere Ausprägung der Irreführung findet sich zudem in Ziffer 13 des Anhangs I zur RL im Hinblick auf absichtliche Täuschungen durch nachgeahmte Produkte. Zwar wurde zeitweise erwogen, eine Umsetzung in das deutsche Recht durch einen neuen Tatbestand der irreführenden Produktvermarktung oder eine verbraucherschützende Auslegung des § 4 Nr. 9 lit. a (a.F.) zu erreichen.44 Der deutsche Gesetzgeber hat sich bei der Umsetzung des Art. 6 Abs. 2 lit. a UGP-RL allerdings ausdrücklich für eine Verortung in § 5 Abs. 2 ausgesprochen.45 Damit bleibt es für § 4 Nr. 3 lit. a bei einem vorrangig mitbewerberschützenden Bezug. Die Vorschrift liegt damit außerhalb des Regelungsbereichs der UGP-RL.46 Die Konturen des lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutzes sind mit der Aus- 16 grenzung vom Anwendungsbereich der UGP-RL allerdings keinesfalls abschließend geklärt. Vor dem Hintergrund der Vollharmonisierung der irreführenden Produktvermarktung durch Art. 6 Abs. 2 lit. a UGP-RL muss auch für § 4 Nr. 3 lit. a die europäische Regelung zunächst als bindende Vorgabe angesehen werden.47 Der von der Rechtsprechung erklärte Ausschluss des § 4 Nr. 3 lit. a aus dem Anwendungsbereich der UGP-RL48 erspart nicht eine europarechtskonforme Auslegung. Als besonders problematisch anzusehen sind dabei Fragen der Kalibrierung des Maßstabes für eine „Herkunftstäuschung“ im Lichte des europäischen Verbraucherleitbildes, die in der deutschen Rechtsprechung zum Teil in Ansatz gebrachte Vermutung der Herkunftstäuschung bei praktisch identischer Übernahme und letztlich auch die Frage, ob unvermeidbare Herkunftstäuschun-
_____
41 Zu den früheren UWG-Tatbeständen vgl. nur BGH 19.1.1973 – I ZR 39/71 – GRUR 1973, 478 – Modeneuheit (Schutz von Designs); BGH 29.11.1984 – I ZR 158/82 – GRUR 1985, 550 – DIMPLE (Schutz bekannter Marken); OLG Frankfurt/M. 21.7.1983 – 6 U 16/83 – GRUR 1983, 757 – DONKEY KONG JUNIOR I (Computerprogramme); BGH 24.5.1963 – Ib ZR 62/62 – GRUR 1963, 575 – Vortragsabend; BGH 6.5.1999 – I ZR 199/96 – GRUR 1999, 923 – Tele-Info-CD; ausführlich auch Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/9; GKUWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 8. 42 Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/9; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 8. 43 Ohly GRUR 2007, 731, 737; Derclaye/Leistner S. 271 ff.; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 8. 44 Vgl. z.B. Fezer MarkenR 2006, 511, 512; Köhler GRUR 2007, 548, Rn. 29 ff.; Heep S. 113 ff. 45 Vgl. die Begründung zum RegE UWG 2008, BTDrucks. 16/10145, S. 17. 46 BGH 28.5.2009 – I ZR 124/06 – GRUR 2010, 80 Tz. 17 – LIKEaBIKE; BGH 22.3.2012 – I ZR 21/11 – GRUR 2012, 1155 Tz. 15 – Sandmalkasten. 47 Vgl. hierzu z.B. Köhler GRUR 2009, 445, 447 ff.; Thress Rn. 303; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 9. 48 Siehe oben (vorangehende) Rn. 15.
225
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
gen etwa im Interesse der Freihaltung des Standes der Technik hinzunehmen sein müssen.49 Die Richtlinie über irreführende und vergleichende Werbung (WerbeRL) kann 17 auch Werbung für nachgeahmte Produkte als „vergleichende Werbung“ im Sinne des Art. 2 lit. c erfassen. Dies gilt jedenfalls für Werbung, die unmittelbar oder mittelbar einen Mitbewerber oder die Erzeugnisse oder Dienstleistungen, die von ihm angeboten werden, erkennbar macht. Grundsätzlich ist die europäische Regelung vorrangig. Die Tatbestände des § 4 Nr. 3 dürfen keinen weitergehenden Schutz gewähren. Der Anwendungsbereich der WerbeRL ist allerdings nach der überwiegenden und zutreffenden Ansicht nur eröffnet, wenn der Vergleich auf das Originalprodukt Bezug nimmt. Allein die Vermarktung einer Imitation ist nicht umfasst.50 III. Rechtsvergleich 1. Europa. In den Jurisdiktionen der europäischen Gemeinschaft (im bisherigen Umfang) sind zwei grundsätzlich divergierende Konzeptionen des Nachahmungsschutzes aufzufinden.51 Einen überwiegend gemeinsamen Nenner aller Rechtsordnungen bietet der Schutz vor Verwechslung. Als das zu sanktionierende Element ist in diesem Fall vorrangig die Irreführung des Publikums anzusehen. In den Zivilrechtsjurisdiktionen des Kontinents finden sich die gesetzlichen Grundlagen überwiegend in lauterkeits- und deliktsrechtlichen Generalklauseln.52 Im common law Großbritanniens und Irlands ist eine Vermarktung unter Ausnutzung von Verwechslungen im Tatbestand des sogenannten passing off erfasst.53 Im Hinblick auf den Nachahmungsschutz ohne Element der Irreführung diver19 gieren die Ansätze allerdings erheblich. Dies lässt sich besonders plastisch am Vergleich des französischen und des britischen Rechts verdeutlichen. Das französische Konzept eines Verstoßes gegen die anständigen Gebräuche auf dem Gebiet kaufmännischer Tätigkeit (unter der Bezeichnung des parasitisme oder der concurrence parasitaire) wurde auf der Grundlage der deliktsrechtlichen Generalklausel des code civil (Art. 1382 CC) entwickelt und reicht weit.54 Vom Tatbestand der concurrence parasitaire umfasst ist insbesondere die sklavische Nachahmung als klassischer Fall eines als unlauter empfundenen Eindringens in die Geschäftssphäre und den Kundenkreis eines Mitbewerbers. Zwar wird auch hier von einem Prinzip der Nachahmungsfreiheit ausgegangen. Eine Feststellung der Unlauterkeit verlangt deshalb ein zusätzliches verhaltensbezogenes Element.55 Die Praxis der Gerichte weicht von diesem Prinzip allerdings teilweise erheblich ab. Die
18
_____
49 Vgl. hierzu aus der Rspr. z.B. BGH 15.7.2004 – I ZR 142/01 – GRUR 2004, 941, 943 – Metallbett; BGH 24.5.2007 – I ZR 104/04 – GRUR 2007, 984 Tz. 36 – Gartenliege; vgl. zudem Bornkamm GRUR 2011, 1, 7; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/10. 50 Vgl. allg. BGH 6.12.2007 – I ZR 169/04 – GRUR 2008, 628 Tz. 20 – Imitationswerbung; Dornis/Wein ZGE 2016, 513, 519; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/11; a.A. Scherer WRP 2009, 1446, 1451; dies. GRUR 2012, 545, 547 f. 51 Vgl. für einen Überblick z.B. Schmidt-Kessel/Schubmehl (mit Länderberichten); zudem instruktiv GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 11 ff. 52 Vgl. hierzu z.B. Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 15. 53 Vgl. hierzu umfassend vor allem Wadlow; zudem z.B. auch Drysdale/Silverleaf; für einen Überblick zudem z.B. Schricker/Henning-Bodewig WRP 2001, 1367, 1382 ff.; aus rechtsvergleichender Sicht überdies vor allem Ohly S. 86 ff. 54 Ähnliche Strukturen finden sich in Belgien, Italien und Spanien. Vgl. ausführlich in Schmidt-Kessel/ Schubmehl/Lucas-Schlötter. 55 S. etwa Cass com, Bull civ, IV, Nr. 182; vgl. für umfassende Nachweise aus der Literatur Derclaye/ Leistner S. 162 f.
Dornis
226
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
unmittelbare und identische Leistungsübernahme genügt häufig bereits als hinreichendes Unlauterkeitselement.56 Die Cour de Cassation verlangt bei vorhandenem immaterialgüterrechtlichem Schutz häufig das Vorliegen besonderer unlauterkeitsbegründender Voraussetzungen, so insbesondere die Gefahr von Verwechslungen.57 Ohne Konkurrenz immaterialgüterrechtlicher Sonderregeln wird der ergänzende Nachahmungsschutz allerdings (z.B. bei Produktgestaltungen58 und Düften59) erheblich großzügiger gehandhabt.60 Das Gegenmodell eines minimalistischen Nachahmungsschutzes für Fälle jenseits 20 des Bereichs der Irreführung des Publikums findet sich in Großbritannien und Irland. Dort existiert grundsätzlich – nach einer immer wieder beschworenen Formel – kein tort of unfair competition. Die Entwicklung des Schutzes gegen unlauteres Verhalten musste und muss sich darum stets in den rigiden Strukturen des law of torts und der Tatbestände sogenannter economic torts bewegen. Für Fragen der Produktnachahmung kommt es bei der meist einzig in Betracht kommenden Klage aus passing off allerdings immer auf die Gefahr einer Verbrauchertäuschung an.61 Für andere Fallgestaltungen wird das Prinzip der Wettbewerbsfreiheit in den Vordergrund gerückt. Ein Schutz gegen Nachahmungen über die Rahmenordnung des Immaterialgüterrechtsschutzes hinaus wird als gefährliche Überdehnung richterlicher Entscheidungsbefugnisse im Hinblick auf den ökonomisch heiklen Umgang mit „Monopolrechten“ verstanden. Die häufig beschworene Entscheidung Mogul Steamship Co. Ltd. v. McGregor, Gow & Co. von 1889 verdeutlicht diese (bis heute vorhandene) Grundhaltung der Gerichte: Now, I know no limits to the rights of competition in the defendants – I mean, no limits in law. I am not speaking of morals or good manners. To draw a line between fair and unfair competition, between what is reasonable and unreasonable, passes the power of the Courts. Competition exists when two or more persons seek to possess or to enjoy the same thing: it follows that the success of one must be the failure of another, and no principle of law enables us to interfere with or to moderate that success or that failure so long as it is due to mere competition.62
Die weitgehende Begrenzung des Nachahmungsschutzes auf Fälle der Verwechs- 21 lung von Produkten zeigt sich in Regelungslücken im Bereich der Kopie von Produktaufmachungen. Gelingt es dem Nachahmer, die Gefahr von Verwechslungen durch einen klarstellenden Hinweis oder eine zusätzliche Markierung auszuschließen, hat es der Hersteller des Originalprodukts in common law-Jurisdiktionen (mangels Feststellung eines passing off) deutlich schwerer als in Kontinentaleuropa, einen erworbenen und aufgebauten goodwill gegen Aneignung durch Mitbewerber zu schützen.63
_____
56 CA Paris, PIBD Nr. 548, III, 462; CA Versailles, PIBD Nr. 734, III, 38. Zur Kritik vgl. Passa S. 73 f.; Bertrand S. 154; Gautier S. 186; überdies mit einem instruktiven Überblick Derclaye/Leistner S. 163 und 179 ff. 57 Vgl. Solstiss v Erco Pizzi Cass com, 30 Revue Lamy Droit de l’Immatériel 18 (2007); Cassegrain und Longchamp v Normal Cass com, 45 Revue Lamy Droit de l’Immatériel 18 (2009). 58 SARL Bollé Protection v SARL Euro Protection Cass com, PIBD Nr. 858, III, 554; CA Paris, PIBD Nr. 791, III, 447; Bordas Cass com, 1985 Ann. Prop. Ind. 146. 59 Vgl. Sté Senteur Mazal v SA BPI Cass com, Jurisdata Nr. 2008-044659. 60 Ausführlich und instruktiv hierzu vor allem Derclaye/Leistner S. 173 ff.; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 12. 61 Vgl. nur Warnink v Townsend (1979) AC 731; Reckitt & Colman v Borden (1990) 1 WLR 491; Chocosuisse Union des Fabricants Suisses des Chocolat v Cadbury Ltd. (1998) RPC 117. 62 Mogul Steamship v McGregor, Gow & Co. 23 QBD (1889) 598, 625 f. 63 Vgl. hierzu z.B. Mills E.I.P.R. 1995, 116, 121 ff.; Wadlow Rn. 8–136 ff.; Schricker/Henning-Bodewig WRP 2001, 1367, 1382; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 15.
227
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
22
2. Vereinigte Staaten von Amerika. Auch das US-amerikanische Recht zeigt typische Eigenschaften einer common law-Jurisdiktion.64 Dies betrifft insbesondere die Parallelität von common law-Ansprüchen und Ansprüchen auf der Grundlage gesetzlicher Tatbestände. Zudem sorgt die föderale Struktur des US-amerikanischen Immaterialgüter- und Lauterkeitsrechts für teilweise schwer zu durchschauende Komplexität.65 Im Hinblick auf die Heterogenität des materiellen Rechts – vor allem bei Fragen des Nachahmungsschutzes – ist die Aufteilung in die Bereiche des Lauterkeitsrechts (law of unfair competition), des Markenrechts (trademark law) und des Deliktsrechts (tort law) von Bedeutung. In jedem dieser Bereiche finden sich Tatbestände, die den deutschen und europäischen Strukturen des Nachahmungsschutzes vergleichbar sind: Im Deliktsrecht ist nach wettbewerbsbezogenen Delikten (competitive torts) und dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen (trade secret protection) zu differenzieren.66 In den Bereich der unfair competition fallen Ansprüche der sogenannten misappropriation doctrine, die mittlerweile vor allem im common law der Bundesstaaten verankert ist, sich teilweise aber auch im Gesetzesrecht findet.67 Für das Markenrecht ist schließlich ein Nebeneinander von common law-Ansprüchen (überwiegend für nicht-registrierte Kennzeichen, inklusive Produktgestaltungen, -formen und -verpackungen) im Recht der Bundesstaaten und dem bundesgesetzlichen Schutz (überwiegend für registrierte und nicht-registrierte Kennzeichen) nach dem Lanham Act von 1946 festzustellen.68 Aus rechtsvergleichender Perspektive und für die teleologische Diskussion (auch 23 und vor allem im Lichte einer rechtsökonomischen Analyse) ist zunächst vor allem die INS doctrine des US Supreme Court von Bedeutung. Hierin spiegelt sich das als Gretchenfrage aller lauterkeitsrechtlichen Abgrenzungsprobleme zu bezeichnende Ringen nach der richtigen Abgrenzung von „Eigentum“ und „Wettbewerb“ im Bereich kreativer und innovativer Tätigkeiten jenseits des gesetzlich austarierten Sonderrechtsschutzes. Den Ausgangspunkt der Diskussion bildet die bis heute in ihren Implikationen umstrittene Int‘l News Serv. v. Associated Press-Entscheidung des Supreme Court aus dem Jahr 1918.69 24
Auf beiden Seiten standen US-amerikanische Nachrichten- und Pressedienste. Diese berichteten im Vorfeld der Auseinandersetzung vor allem über den Ersten Weltkrieg, wobei es besonders auf eine möglichst zeitnahe Berichterstattung ankam. Die Beklagtenseite International News Service begann, nachdem die Alliierten eine Zusammenarbeit mit ihr und damit auch die Übermittlung von Informationen eingestellt hatten, die Associated Press-Nachrichten von deren Anschlagtafeln und den frühen Ausgaben der Zeitungen der Mitglieder von Associated Press zu übernehmen und innerhalb des eigenen Netzwerks (ohne Erwähnung der Übernahme) zu verbreiten. Insbesondere für die Berichterstattung an der Westküste wurde es damit – aufgrund der Zeitverschiebung – möglich, ohne eigene Recherche und Informationsverarbeitung zeitgleich oder früher mit den Mitgliedern von Associated Press auf den Markt zu treten.70
_____
64 Zum britischen und irischen Recht siehe oben Rn. 20 f. 65 Zur historischen Entwicklung des US-amerikanischen Marken- und Lauterkeitsrechts in den Bundesstaaten und auf Ebene des Bundes siehe ausführlich Dornis S. 76–151; für einen Überblick siehe zudem Heilein GRUR Int. 2001, 377 ff. 66 Siehe unten Rn. 43. 67 Siehe unten Rn. 25 ff. 68 Siehe unten Rn. 35 ff. Für einen Überblick siehe zudem z.B. American Law Institute Restatement of the Law (Third) Unfair Competition 1995 §§ 2 ff. (S. 21 ff.) und §§ 9 ff. (S. 75 ff.); 1 McCarthy on Trademarks and Unfair Competition § 8:1 (5th ed.); 5 McCarthy on Trademarks and Unfair Competition § 27:15 (5th ed.). 69 Int’l News Serv. v. Associated Press, 248 US 215 (1918). 70 Int’l News Serv. v. Associated Press, 248 US 215, 221 ff. (1918).
Dornis
228
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
Die Mehrheit der Supreme Court-Richter entschied bei der Frage eines Anspruchs 25 wegen misappropriation zu Gunsten der Klägerseite und begründete damit die seither als hot-news misappropriation doctrine bezeichnete Rechtsfigur. Fast schon standardmäßig haben nachfolgende Gerichte immer wieder die folgende Passage zitiert: In doing this defendant, by its very act, admits that it is taking material that has been acquired by complainant as the result of organization and the expenditure of labor, skill, and money, and which is salable by complainant for money, and that defendant in appropriating it and selling it as its own is endeavoring to reap where it has not sown, and by disposing of it to newspapers that are competitors of complainantʼs members is appropriating to itself the harvest of those who have sown. Stripped of all disguises, the process amounts to an unauthorized interference with the normal operation of complainantʼs legitimate business precisely at the point where the profit is to be reaped, in order to divert a material portion of the profit from those who have earned it to those who have not; with special advantage to defendant in the competition because of the fact that it is not burdened with any part of the expense of gathering the news. The transaction speaks for itself and a court of equity ought not to hesitate long in characterizing it as unfair competition in business.71
Im Schrifttum (und deutlich bereits im Sondervotum der Entscheidung von Justice 26 Brandeis) wurde die Argumentation mit dem Paradigma eines „reap where one has not sown“ heftig kritisiert.72 Hauptsorge der Kritik war und ist, dass es zu einer Überdehnung von Eigentumsrechten und einer damit einhergehenden Verzerrung des Wettbewerbs kommen könne. Schließlich seien die Gerichte in der Wahrnehmung und für die Problemlösung auf den jeweiligen Rechtsstreit beschränkt und damit anders als der Gesetzgeber nicht in der Lage, die in zudem notwendigen, weiterreichenden und komplexen Interessenabwägungen vorzunehmen.73 Diese Bedenken erwiesen sich allerdings (zumindest was die Entwicklung INS-typischer Fallkonstellationen angeht) als weitgehend unbegründet.74 Zwar fehlt es nach wie vor an einer kohärenten Struktur. Die INSDoktrin kommt vielmehr sporadisch und ad hoc zum Einsatz. Die Gerichte haben die Entscheidung des Supreme Court allerdings keinesfalls zum Ausgangspunkt für eine Überdehnung von Schutzrechten genommen. So wurde die INS-Doktrin zum einen fast ausschließlich auf vergleichbare Sachverhaltskonstellationen angewandt, typischerweise in Fällen der Aneignung von aufwändig beschafften oder ermittelten Informationen.75 Zum anderen wurden die Regeln zur preemption des Rechts der Einzelstaaten durch das Bundesrecht teilweise geradezu sklavisch befolgt.76 Von den bereits von Anfang an zahlenmäßig begrenzten Konstellationen einer klagbaren misappropriation, z.B. zu Fragen der Schutzfähigkeit von Musikaufnahmen und Radioübertragungen, wurden zudem vie-
_____
71 Int’l News Serv. v. Associated Press, 248 US 215, 239 f. (1918). 72 Int’l News Serv. v. Associated Press, 248 US 215, 248 ff. (1918) (Brandeis, J., dissenting); vgl. zudem z.B. Raskind 75 Minn. L. Rev. 875, 881 ff. (1991); Epstein 111 Colum. L. Rev. Sidebar 79 (2011) jeweils m.w.N. 73 Int’l News Serv. v. Associated Press, 248 US 215, 266 (1918) (Brandeis, J., dissenting); vgl. im Anschluss ähnlich kritisch z.B. Judge Learned Hand in Cheney Bros. v. Doris Silk Corp., 35 F.2d 279, 281 (2d Cir. 1929) („Indeed, we are not in any position to pass upon the questions involved, as Brandeis, J., observed in International News Service v. Associated Press. We must judge upon records prepared by litigations, which do not contain all that may be relevant to the issues, for they cannot disclose the conditions of this industry, or of the others which may be involved.“); zudem z.B. 3 Callmann on Unfair Competition, Trademarks & Monopolies § 15:3 (4th ed.). 74 Vgl. hierzu z.B. Baird 50 U. Chi. L. Rev. 411, 421 (1983) („The history of INS in the courts, over the last sixty-five years shows that it has not, as some feared, been a persistent heresy that has engulfed all it touched.“). 75 Baird 50 U. Chi. L. Rev. 411, 421 f. (1983) mit Nachweisen zur Rechtsprechung; zudem z.B. Denicola 81 Colum. L. Rev. 516, 517 n. 7 (1981); Mitchell 10 Golden Gate L. Rev. 587, 596 (1980). 76 Vgl. American Law Institute Restatement of the Law (Third) Unfair Competition 1995 § 38 comment b.
229
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
le durch die schrittweise Ergänzung des gesetzlichen Sonderrechtsschutzes, vor allem der Erweiterung des Urheberrechts, obsolet.77 Ein Beispiel für die praktische Anwendung der misappropriation doctrine in jüngerer 27 Zeit ist die SportsTrax-Entscheidung des U.S. Court of Appeals for the Second Circuit.78 Der Fall betraf die Übernahme von Zwischenständen der Spiele der US-amerikanischen Basketballliga auf einem elektronischen Pager (dem „SportsTrax“). Das Gericht begrenzte den Bestand an „surviving“ hot-news claims unter der INS-Doktrin des Supreme Court dabei auf Konstellationen, in denen der Kläger (1) Informationen unter Kosten generiert oder sammelt, (2) diese Informationen aufgrund ihrer Aktualität besonders nützlich sind, (3) der Beklagte die Information ohne nennenswerten eigenen Aufwand übernimmt („free-riding“) und zudem (4) im direkten Wettbewerb mit den vom Kläger angebotenen Produkt steht sowie schließlich (5) eine fehlende Sanktionierung derartiger Nachahmungen allgemein dazu führt, dass Investitionsanreize geschmälert werden und damit die Existenz oder Qualität des Produkts substantiell gefährdet ist.79 Im konkreten Fall scheiterte der Anspruch, vor allem am Fehlen der Leistungsübernahme im Sinne eines free-riding.80 Besonders interessant an der SportsTrax-Entscheidung ist die Feststellung des Ge28 richts zum Kern der INS-Doktrin des Supreme Court: INS is not about ethics; it is about the protection of property rights in time-sensitive information so that the information will be made available to the public by profit seeking entrepreneurs. If services like AP were not assured of property rights in the news they pay to collect, they would cease to collect it. The ability of their competitors to appropriate their product at only nominal cost and thereby to disseminate a competing product at a lower price would destroy the incentive to collect news in the first place. The newspaper-reading public would suffer because no one would have an incentive to collect ‚hot news.‘81
29
In der weiteren Entwicklung des Fallrechts und in der Diskussion um die misappropriation doctrine erscheinen ganz überwiegend Auseinandersetzungen um den Schutz von Informationen aus Datenbanken oder Presseportalen gegen eine Übernahmen durch News-Aggregatoren sowie allgemein um den Schutz informationsbasierter Dienstleistungsangebote, z.B. zu Börsen- und Marktdaten oder Börsenindizes, gegen die Übernahme für andere kommerzielle informationsbasierte Dienstleistungen.82
_____
77 Siehe z.B. RCA Mfg. Co. v. Whiteman, 114 F.2d 86 (2d Cir.), cert. denied 311 US 712 (1940); zudem ausführlich American Law Institute Restatement of the Law (Third) Unfair Competition 1995 § 38 comment c und comment d sowie reporters’ notes c (mit weiteren Nachweisen). 78 Nat’l Basketball Ass’n v. Motorola, Inc., 105 F.3d 841 (2d Cir. 1997). 79 Nat’l Basketball Ass’n v. Motorola, Inc., 105 F.3d 841, 845 (2d Cir. 1997) („We hold that the surviving „hot-news“ INS-like claim is limited to cases where: (i) a plaintiff generates or gathers information at a cost; (ii) the information is time-sensitive; (iii) a defendantʼs use of the information constitutes free riding on the plaintiff’s efforts; (iv) the defendant is in direct competition with a product or service offered by the plaintiffs; and (v) the ability of other parties to free-ride on the efforts of the plaintiff or others would so reduce the incentive to produce the product or service that its existence or quality would be substantially threatened.“). 80 Nat’l Basketball Ass’n v. Motorola, Inc., 105 F.3d 841, 854 (2d Cir. 1997). 81 Nat’l Basketball Ass’n v. Motorola, Inc., 105 F.3d 841, 853 (2d Cir. 1997). 82 Siehe z.B. Barclays Capital Inc. v. Theflyonthewall.com, Inc., 650 F.3d 876 (2d Cir. 2011) (Übernahme von Börsen- und Marktinformationen durch Internet-Informations-Dienstleister); Standard & Poor’s Corp. v. Commodity Exch., Inc., 683 F.2d 704, 711 (2d Cir. 1982); Bd. of Trade of City of Chicago v. Dow Jones & Co., 98 Ill. 2d 109 (1983); Dow Jones & Co., Inc. v. Int’l Sec. Exch., Inc., 451 F.3d 295, 306 (2d Cir. 2006); Chicago Bd. Options Exchange, Inc. v. International Securities Exchange, LLC, 973 N.E.2d 390 (Ill. App., 1st, 2012) (Übernahme von Börsenindizes); zudem z.B. zuvor National Football League v. Governor of State
Dornis
230
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
In einem weiteren aktuellen Fall des US Court of Appeals for the Second Circuit ging es etwa um den Schutz exklusiv an die Kunden der klagenden Unternehmen gerichteter Anlageempfehlungen gegen die Übernahme, Veränderung und Zurverfügungstellung an die Abonnenten des Dienstes eines Online-Aggregators.83 Auch hier verneinte das Gericht einen misappropriation claim, unter anderem mit Verweis darauf, dass es am Element des unveränderten und kostenlosen Aneignens („free riding“) fehle.84
30
Neben der von Anfang an auf den Umgang mit Informationen bezogenen hot-news 31 misappropriation doctrine haben nicht nur die Gerichte, sondern vor allem auch die Gesetzgeber in den Bundesstaaten weitere Fallgruppen des Nachahmungsschutzes bei technisch und handwerklich hergestellten Produkten entwickelt. Einige Bundesstaaten begannen in den 1970er und 1980er Jahren auf gesetzlicher Grundlage Abhilfe gegen „sklavische“ Nachahmungen zu schaffen. Durch sogenannte anti-plug-mold laws oder direct molding statutes verboten sie die Aneignung in Form einer mechanischen Reproduktion von Erzeugnissen eines Mitbewerbers, die durch Verwendung des Originals als Vorlage für eine Gussform, eine Schablone oder ein sonstiges Form- oder Produktionswerkzeug dienen.85 Auch in der Rechtsprechung setzte sich diese enge Variante eines Nachahmungsschutzes durch, so z.B. beim Vorgehen gegen OffsetdruckTechniken zur Vervielfältigung auf der Grundlage photographischer Vorlagen der vom Mitbewerber hergestellten alten Buchnachdrucke.86
32
Der Regelungszweck dieser Nachahmungssperren wurde als mit der common-law 33 misappropriation doctrine identisch beschrieben: Es sei unfair, auf diesem Weg ohne eigenen Beitrag (und damit praktisch kostenlos) das Produkt seines Mitbewerbers für den eigenen Wettbewerb zu instrumentalisieren. 87 Mit der Entscheidung in Bonito Boats, Inc. v. Thunder Craft Boats, Inc. erklärte der Supreme Court allerdings im Jahr 1989 ein anti-plug molding law des Staates Florida für nicht mit dem Vorrang des Bundespatentrechts vereinbar.88 Interessant ist die Begründung vor allem im Hinblick auf das Verhältnis von Patentrecht, Funktionalität und Wettbewerb:
_____ of Del., 435 F. Supp. 1372 (D. Del. 1977) (Übernahme von NFL-Ergebnissen als Grundlage für eine staatliche Lotterie). Vgl. zur Diskussion von Teilbereichen im Schrifttum etwa Ginsburg 66 U. Cin. L. Rev. 151 (1997); Jensen 60 Emory L. J. 537 (2010); mit einem Überblick über weitere Rechtsprechung zudem z.B. 3 Callmann on Unfair Competition, Trademarks & Monopolies § 15:4 (4th ed.). 83 Barclays Capital Inc. v. Theflyonthewall.com, Inc., 650 F.3d 876 (2d Cir. 2011). 84 Barclays Capital Inc. v. Theflyonthewall.com, Inc., 650 F.3d 876, 903 ff. (2d Cir. 2011). 85 Für die einzelnen Bundesstaaten siehe 3 Callmann on Unfair Competition, Trademarks & Monopolies § 15:11 (4th ed.), Fn. 12 und begleitender Text. 86 Siehe z.B. Grove Press, Inc. v. Collectors Publʼn, Inc., 264 F. Supp. 603, 606–07 (C.D. Cal. 1967) („Defendantsʼ first edition is more than mere copying of Plaintiff’s work, the Grove edition. In view of Plaintiff’s expenditure of substantial sums in setting type and engraving plates, it would constitute unfair competition for Defendants to appropriate the value and benefit of such expenditure to themselves by photographing and reproducing Plaintiff’s book through the offset-lithography process, thereby cutting their own costs and obtaining an unfair competitive advantage.“). 87 Vgl. hierzu z.B. Brahma, Inc. v. Joe Yeargain, Inc., 665 F. Supp. 1447, 1451–52 (N.D. Cal. 1987) („The bill was sponsored by a manufacturer of fiberglass spas. According to the sponsor, a fiberglass manufacturer may spend anywhere between $20,000 and $40,000 in the creation of a mold for a new product. The expense is necessary because of the craftwork needed in forming the mold. Once the mold is completed and the new product is on the market, unscrupulous competitors were able to purchase the finished product and use it as a form for casting their mold. In a short period of time, a competitor could be marketing the same product without the high original investment expense. The bill was designed to prevent such pirating of design work, but only when a direct molding process is used.“). 88 Bonito Boats, Inc. v. Thunder Craft Boats, Inc., 489 US 141 (1989).
231
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
It is difficult to conceive of a more effective method of creating substantial property rights in an intellectual creation than to eliminate the most efficient method for its exploitation. Sears and Compco [i.e., frühere Entscheidungen des US Supreme Court aus 1964] protect more than the right of the public to contemplate the abstract beauty of an otherwise unprotected intellectual creation—they assure its efficient reduction to practice and sale in the marketplace. … Where an item in general circulation is unprotected by patent, ‚[r]eproduction of a functional attribute is legitimate competitive activity.‘89
Im Jahr 1998 trat schließlich (allen wettbewerbsökonomischen Bedenken zum Trotz) ein Bundesgesetz zum Schutz gegen die identische Nachahmung von Boots- und Schiffskörpern in Kraft. Demnach sind sowohl der Nachbau durch plug-moldingTechniken als auch sonstige Arten der Nachahmung verboten.90 35 Ebenso wie in der Entwicklung der misappropriation doctrine im Lauterkeitsrecht finden sich auch im Markenrecht starke Tendenzen zum Schutz privaten Eigentums und zur Einschränkung des freien Wettbewerbs. Unter dem Begriff der post-sale confusion, in vereinzelten Fallgestaltungen auch im Gewande von Ansprüchen aus initialinterest confusion, haben US-amerikanische Gerichte besondere Formen des Schutzes von produktbezogenem goodwill entwickelt, die den Fallgruppen des Nachahmungsschutzes im europäischen und deutschen Recht in vielerlei Hinsicht ähneln.91 Dogmatisch wird die Ausweitung des markenrechtlichen Schutzes auf Produktformen, – gestaltungen und -verpackungen (als sogenanntes trade dress)92 vor allem durch Ergänzung der Verwechslungsgefahr um Tatbestände der Irreführung nach dem Zeitpunkt des Produkterwerbs erreicht. Der wohl immer noch am Häufigsten für die Doktrin der post-sale confusion zitier36 te Fall stammt aus dem Jahr 1955 und betraf die Nachahmung weithin bekannter, für ihre Qualität geschätzter Tischuhren der Marke „Atmos“. Der Nachahmer der Originaluhr produzierte ein im Erscheinungsbild sehr ähnliches Produkt, schloss eine Irreführung der Käufer im Zeitpunkt des Erwerbs aber aus. Der U. S. Court of Appeals for the Second Circuit nahm dennoch einen Fall markenrechtlich relevanter Verwechslungsgefahr an. Judge Frank führte insoweit aus:
34
True, a customer examining plaintiff’s clock would see from the electric cord, that it was not an ‚atmospheric‘ clock. But, as the judge found, plaintiff copied the design of the Atmos clock because plaintiff intended to, and did, attract purchasers who wanted a ‚luxury design‘ clock. This goes to show at least that some customers would buy plaintiff’s cheaper clock for the purpose of acquiring the prestige gained by displaying what many visitors at the customers’ homes would regard as a prestigious article. Plaintiff’s wrong thus consisted of the fact that such a visitor would be likely to assume that the clock was an Atmos clock. Neither the electric cord attached to, nor the plaintiff’s name on, its clock would be likely to come to the attention of such a visitor; the likelihood of such confusion suffices to render plaintiff’s conduct actionable.93
_____
89 Bonito Boats, Inc. v. Thunder Craft Boats, Inc., 489 US 141, 164, 109 S. Ct. 971, 984, 103 L. Ed. 2d 118 (1989). 90 Vessel Hull Design Protection Act, Pub. L. No. 105–304, tit. V, 112 Stat. 2905 (1998) (17 U.S.C. §§ 1301– 1332 (Supp. V 1999)); zur ökonomischen Analyse siehe z.B. Heald 76 Iowa L. Rev. 959 (1991); Samuelson/Scotchmer 111 Yale L.J. 1575, 1591 ff. (2002). 91 Für den Rechtsvergleich zwischen USA und Europa vgl. insoweit ausführlich Dornis S. 353 ff. und 370 ff. 92 Zum Schutz der Produktform und -erscheinung als trade dress siehe z.B. American Law Institute Restatement of the Law (Third) Unfair Competition (1995) § 16 comment a; 4 Callmann on Unfair Competition, Trademarks & Monopolies § 19:1 (4th ed.). 93 Mastercrafters Clock & Radio Co. v. Vacheron & Constantin-LeCoultre Watches, Inc., 221 F.2d 464, 466 (2d Cir. 1955).
Dornis
232
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
Besonders interessant und in der Sache entscheidend ist die sich anschließende Folgerung: „Plaintiff’s intention thus to reap financial benefits from poaching on the reputation of the Atmos clock is of major importance.“94 Weitere Beispiele für Fälle der nach der post-sale confusion doctrine unlauteren Produktnachahmung umfassten etwa die Imitation modischer Gestaltungen auf Kleidungsstücken, so z.B. einer typischen Hosentaschen-Naht für „LEVI“-Jeans,95 die Kopie von „Rolex“-Armbanduhren bei Verkauf zum Preis von US$ 25 auf dem Flohmarkt (ohne Gefahr der Irreführung der Käufer),96 das Angebot von nachgeahmten „HERMES“-Accessoires97 und schließlich (wohl am berühmtesten) den Verkauf eines Glasfaser-Bastelsets für Autoliebhaber, das den „Umbau“ der Karosserie bestimmter US-Marken (z.B. Chevrolet Corvette) zu „Ferrari Testarossa“- oder „Ferrari Daytona Spider“-Replikas ermöglichte.98
37
Die Begründungen der Gerichte für die Ausdehnung des Markenschutzes über den 38 Zeitpunkt des Verkaufs (point of sale) hinaus variieren erheblich, fluktuieren aber insgesamt um die Frage des Schutzes für den vom Originalhersteller geschaffenen goodwill. Neben der „Aneignung“ des guten Rufs und des Images des Originals als mit einer Ausdehnung des Markenrechts zu behebendem Problem wurde auch Bezug genommen auf die Gefahr einer Irreführung des Publikums auf nachgelagerten Märkten (z.B. Gebrauchtwaren) und die Gefahr der Rufschädigung (z.B. durch Auftreten minderwertiger Nachahmungen). Überdies wiesen die Gerichte auf die Nachteile für den Hersteller des Originals hin, die sich aus dem durch Nachahmungen in Gang gesetzten Verlust der Exklusivität und Knappheit seines Produkts ergeben könnten.99
_____
94 Mastercrafters Clock & Radio Co. v. Vacheron & Constantin-LeCoultre Watches, Inc., 221 F.2d 464, 466 (2d Cir. 1955). 95 Levi Strauss & Co. v. Blue Bell, Inc., 632 F.2d 817, 208 U.S.P.Q. 713, 718 (9th Cir. 1980) („Wrangler’s use of its projecting label is likely to cause confusion among prospective purchasers who carry even an imperfect recollection of Strauss’s mark and who observe Wrangler’s projecting label after the point of sale.“). Für weitere Beispiele siehe etwa 4 McCarthy on Trademarks and Unfair Competition § 23:7 (5th ed.), Fn. 9 bis 12. 96 Rolex Watch U.S.A., Inc. v. Canner, 645 F. Supp. 484, 495 (S.D. Fla. 1986) („Individuals examining the counterfeits, believing them to be genuine Rolex watches, might find themselves unimpressed with the quality of the item and consequently be inhibited from purchasing the real time piece. Others who see the watches bearing the Rolex trademarks on so many wrists might find themselves discouraged from acquiring a genuine because the items have become too common place and no longer possess the prestige once associated with them. The fact that such bogus watches can be obtained at cheap prices only aggravates the problem. For these reasons, the legislators, proposing to provide nationwide protection for expanding businesses, did not intend a cheap price to excuse the offense of infringement.“). 97 Hermes Int’l v. Lederer de Paris Fifth Ave., Inc., 219 F.3d 104, 108 (2d Cir. 2000) („Although the district court found no evidence of point-of-sale confusion, it failed to properly consider the issue of postsale confusion. We have previously held that post-sale confusion can occur when a manufacturer of knockoff goods offers consumers a cheap knockoff copy of the original manufacturer’s more expensive product, thus allowing a buyer to acquire the prestige of owning what appears to be the more expensive product.“). 98 Ferrari S.P.A. v. Roberts, 944 F.2d 1235, 1245 (6th Cir. 1991). 99 Vgl. z.B. Gen. Motors Corp. v. Keystone Auto. Indus., Inc., 453 F.3d 351, 358 (6th Cir. 2006) („Our review of cases discussing the harm of injecting knockoffs into the stream of commerce further signals the likelihood of downstream confusion in this case. Even without point-of-sale confusion, knockoffs can harm the public and the original manufacturer in a number of ways, including: (1) the viewing public, as well as subsequent purchasers, may be deceived if expertise is required to distinguish the original from the counterfeit …; (2) the purchaser of an original may be harmed if the widespread existence of knockoffs decreases the original’s value by making the previously scarce commonplace, …; (3) consumers desiring high quality products may be harmed if the original manufacturer decreases its investment in quality in order to compete more economically with less expensive knockoffs, …; (4) the original manufacturer’s reputation for quality may be damaged if individuals mistake an inferior counterfeit for the original, …; (5)
233
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
39
Eine weitere Ausdehnung des Markenschutzes über Fälle der unmittelbaren Irreführung beim Erwerb (point of sale) – allerdings in die andere Richtung – hat die US-Doktrin mit der Figur der initial-interest confusion hervorgebracht. Eine für die Feststellung der Markenverletzung relevante Verwechslungsgefahr kann demnach nicht nur im Zeitpunkt des Verkaufs oder danach,100 sondern bereits einige Zeit vor der tatsächlichen Erwerbsentscheidung des Verbrauchers festgestellt werden.
40
Der zu dieser Konstellation am Häufigsten zitierte Fall ist der Verkauf von Klavieren unter der Marke „Grotrian-Steinweg“ (in der Absicht, eine Assoziation zu „Steinway“ herzustellen). Das Gericht stellte zur Begründung der Verwechslungsgefahr fest, dass es bereits ausreiche, potentielle Käufer unter Bezugnahme auf ein bekanntes Kennzeichen anzulocken. Bereits durch diese Art einer Aneignung des goodwills der Marke werde die Gefahr begründet, dass sich der Angelockte für den endgültigen Erwerb mit der günstigeren Imitation abfinde.101 Fragen der initial-interest confusion haben in jüngster Zeit vor allem im Zusammenhang mit Online-Werbung und der Manipulation von Suchmaschinenabläufen Aufmerksamkeit erlangt.102
41
Im Hinblick auf den Schutz gegen Produktnachahmungen wird die Fallgruppe der initial-interest confusion vor allem bei Vertrieb sogenannter look-alike private branded products (vor allem Eigenmarken-Produkten von Handelshäusern und Drogerieketten) in Ansatz gebracht.
42
Ein Beispiel, in dem die Gerichte eine „Nachahmung“ untersagten, betraf den Verkauf eines nicht verschreibungspflichtigen Medikaments für laktoseintolerante Patienten des Originalherstellers Johnson & Johnson, welches unter der Marke „LACTAID Ultra“ vertrieben wurde. Der Nachahmer bot den gleichen Wirkstoff unter seinem „store brand“ an, näherte sich bei der Gestaltung der Verpackung aber stark an das äußere Erscheinungsbild des Originals an. Auch hier sah das Gericht unter dem Oberbegriff des sogenannten trade dress infringement ein ausreichendes Maß an Verwechslungsgefahr (und zwar vor dem Zeitpunkt des Kaufs) gegeben.103
_____ the original manufacturer’s reputation for rarity may be harmed by the influx of knockoffs onto the market, …; and (6) the original manufacturer may be harmed if sales decline due to the public’s fear that what they are purchasing may not be the original …“). 100 Zur sogenannten post-sale confusion siehe oben Rn. 36 ff. 101 Grotrian, Helfferich, Schulz, Th. Steinweg Nachf. v. Steinway & Sons, 365 F. Supp. 707, 716 (S.D.N.Y. 1973), modified, 523 F.2d 1331 (2d Cir. 1975) („An actual purchaser may know that a Grotrian-Steinweg was not made by defendant but nevertheless be misled by the mark Grotrian-Steinweg to believe that there is a significant connection or relationship between the plaintiff and the defendant. This mental association resulting from the observation of the mark would have the effect of bestowing upon Grotrian-Steinweg pianos the good will developed by Steinway & Sons. The fact that the true identity of the Grotrian-Steinweg might be recognized by an actual purchaser is of little moment. The significance of the dealer’s misconception is its role as a harbinger of confusion.“). 102 Siehe z.B. mit weiteren Nachweisen 4 McCarthy on Trademarks and Unfair Competition § 23:6 (5th ed.), Text zu und Fn. 8 ff. 103 McNeil-PPC, Inc. v. Guardian Drug Co., 984 F. Supp. 1066, 1074 (E.D. Mich. 1997) („It is clear to the Court that, taken as a whole, it was Defendant’s intent in appropriating Plaintiff’s trade dress, not only in its packaging but also in its advertising, to confuse or „hook“ customers at the initial point of contact with the product, thus initially drawing the customers to its product through the similarity in trade dress. That the customer might realize that Defendant’s product is not Plaintiff’s before he gets to the check-out counter to pay for it is irrelevant. Even if the consumer realizes that the Arbor product is not the same as the national brand once he picks the product up off the shelf and reads the label, Defendant has already accomplished what it set out to do, which is to confuse the consumer at the point when he first reaches for the product on the shelf. It is at that point that the damage is done. Defendant has already succeeded in utilizing the Plaintiff’s trade dress to get the customer to consider buying its product. In this Court’s view, this is sufficient to constitute a trade dress violation.“).
Dornis
234
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
Schließlich bietet auch das US-amerikanische Recht Schutz gegen den Diebstahl 43 von Geheimnissen und Know-how (trade secrecy protection). Ein Schutz gegen diese Art der Aneignung von wirtschaftlichen Werten bestand anfänglich nur auf der Ebene des common law der Bundesstaaten.104 Trade secrecy protection ist als Teil des tort law grundsätzlich eine Materie des Rechts der einzelnen Bundesstaaten. Ende der 1970er Jahre schuf der Bundesgesetzgeber mit dem Uniform Trade Secrets Act (UTSA)105 allerdings eine Vorlage für die Vereinheitlichung der Rechtslage.106 Nach der Definition der unlauteren Aneignung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen (appropriation of trade secrets) in § 40 des Restatement sind sämtliche Arten der Verwendung des Geheimnisses verboten: „One is subject to liability for the appropriation of another’s trade secret if: … (b) the actor uses or discloses the other’s trade secret without the other’s consent …“. Als „use“ gilt dabei jede Art der Verwendung, die einen Schaden des Geheimnisinhabers verursacht oder verursachen kann. Auch eine Vermarktung von Produkten, die unter Verwendung unlauter erlangter Geheimnisse hergestellt werden, ist darum (ähnlich § 4 Nr. 3 lit. c) nach der Definition des Restatement erfasst: There are no technical limitations on the nature of the conduct that constitutes ‚use‘ of a trade secret … As a general matter, any exploitation of the trade secret that is likely to result in injury to the trade secret owner or enrichment to the defendant is a ‚use‘ under this Section. Thus, marketing goods that embody the trade secret, relying on the trade secret to assist or accelerate research or development, or soliciting customers through the use of information that is a trade secret … all constitute ‚use‘.107
In der Gesamtbetrachtung zeigt sich, dass es im US-Recht (ebenso wie in der euro- 44 päischen und deutschen Doktrin) um die zentrale Frage der richtigen Abgrenzung von „Eigentum“ und „Wettbewerb“ geht. Dabei fällt auf, dass die Gerichte für die misappropriation doctrine die in INS zunächst vertretene Argumentation der unfairness und des unjust enrichment zunehmend durch eine ökonomische Ratio ersetzt haben. Das Paradigma des „reap where one has not sown“108 basierte auf dem Gedanken, eine ungerechtfertigte Bereicherung des Nachahmers durch die unfaire Aneignung fremder Leistungen müsse verhindert werden.109 In zunehmendem Maße wird mittlerweile allerdings auf die ökonomischen Anreizstrukturen Bezug genommen, z.B. in der SportsTrax-Entscheidung mit der Feststellung, dass es in INS gerade nicht um Ethik oder Moral im Geschäftsleben ging, sondern um den Schutz von „Eigentumsrechten“ an zeit-sensitiven Informationen mit dem Zweck, die Sammlung und Zurverfügungstellung
_____
104 Siehe z.B. Restatement (First) of Torts, §§ 757–58 (1939); Restatement (Third) of Unfair Competition (1995). Zu einem frühen Fall siehe z.B. Vickery v. Welch, 36 Mass. 523, 527 (1837). 105 Unif. Trade Secrets Act (amended 1985), 14 U.L.A. 437 (1990). Zum Stand der Umsetzung in den Bundesstaaten siehe z.B. Sandeen 33 Hamline L. Rev. 493 (2010); zudem American Law Institute Restatement of the Law (Third) Unfair Competition 1995 § 39 comment b. 106 Auf Bundesebene kann zudem durch die International Trade Commission (ITC) die Vermarktung von importierten Produkten untersagt werden, wenn diese unter Aneignung fremder Geschäftsgeheimnisse hergestellt werden. Siehe den sogenannten Unfair Import Trade Practices Act von 1930 (19 U.S.C. § 1337). Eine Erweiterung des Economic Espionage Act (EEA) im Jahr 2016 – durch den Defend Trade Secrets Act (DTSA) – brachte zudem, ebenfalls auf Bundesebene, eine private Klagemöglichkeit zur Abwehr von internationalen Verstößen gegen den Geheimnisschutz. Pub. L. No. 114–153, 114th Congress 1st Sess. (2016) (codified at 18 U.S.C. §§ 1831–39). 107 American Law Institute Restatment of the Law (Third) Unfair Competition 1995 § 40 comment c. 108 Siehe oben Rn. 26. 109 Int’l News Serv. v. Associated Press, 248 U.S. 215, 240 (1918).
235
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
dieser Art von Informationen durch Unternehmer anzuregen und auf Dauer sicherzustellen.110 Dennoch zeigt bereits ein Überblick, dass es sich beim stets betonten Gedanken der 45 Wettbewerbsfreiheit außerhalb des Schutzbereichs der Immaterialgüterrechte und jenseits einer Irreführung der Verbraucher in vielen Fällen um Lippenbekenntnisse handelt. So wurde und wird zwar immer wieder herausgestellt, die Schaffung eines materiellen oder immateriellen Wertes als solches genüge noch nicht zur Schutzgewährung: „Sharing in the goodwill of an article unprotected by patent or trade-mark is the exercise of a right possessed by all—and in the free exercise of which the consuming public is deeply interested.“111 Dies mag auch gerade im Bereich der Fragen um die Grenzen der misappropriation doctrine befolgt werden. Die Grenzen des goodwill-Schutzes werden aber vor allem im Markenrecht (insbesondere in den Grenzgebieten der post-sale und initialinterest confusion) erheblich aufgeweicht. Zahlreiche Fälle, so insbesondere Fragen des Schutzes der Exklusivität, des Prestiges oder Images und des guten Rufs von Marken oder Produktformen und -gestaltungen werfen darum nicht nur dogmatische, sondern vor allem ökonomische Fragen auf.112 Aus einer ökonomischen Perspektive gesehen illustriert die in der INS-Doktrin dis46 kutierte Figur des quasi-property im Verhältnis der Mitbewerber untereinander überdies deutlich, dass bestimmte Bereiche des Wettbewerbs gerade nicht durch das freie Marktgeschehen entwickelt werden und sich darum auch nicht selbst überlassen werden können. Der Gesetzgeber oder die Gerichte sind dann zum Eingreifen aufgefordert. Diese Betrachtung verdeutlicht, dass es insoweit um die Verhinderung von Marktversagenszuständen geht.113 Gerade im Bereich des Nachahmungsschutzes zeigt sich, dass die verschiedenen Fallkonstellationen sowohl in die Sphäre des freien, durch die unmanipulierte Entscheidung der Abnehmer bestimmten Wettbewerbs fallen können, als auch (ungeachtet der Abnehmerperspektive) eine Regulierung durch ausdrückliche Zuweisung von Eigentumspositionen (vergleichbar dem gesetzlichen Sonderrechtsschutz) erforderlich machen.114 Unter einer prozessorientierten Perspektive muss schließlich auch die Frage ge47 stellt werden, ob ein richterrechtliches System besser geeignet ist, mit den Besonderheiten der Materie umzugehen.115 Jedenfalls prima facie mag dies bezweifelt werden, bieten Strukturen des Fallrechts doch scheinbar erheblich mehr Spielraum für richterliche Gestaltung und damit eben auch (so die häufige Befürchtung) für Willkür und Fehleinschätzung.116 Gerade in Bereichen heterogener und über die Zeit fluktuierender Rahmenbedingungen kann sich das Richterrecht aber aufgrund seiner größeren Flexibilität und „evolutiven“ Natur der Regelbildung als durchaus überlegen erweisen.117 Dies gilt ganz besonders im Bereich kreativen und innovativen Schaffens, weil Marktplätze für Produkte dieser Art meist heterogen und dynamisch sind.
_____
110 Nat’l Basketball Ass’n v. Motorola, Inc., 105 F.3d 841, 853 (2d Cir. 1997); siehe zudem auch American Law Institute Restatment of the Law (Third) Unfair Competition 1995 § 38 comment c. Siehe zudem auch oben Rn. 27 f. 111 Kellogg Co. v. Nat’l Biscuit Co., 305 U.S. 111, 122 (1938); im Anschuss auch Sears, Roebuck & Co. v. Stiffel Co., 376 U.S. 225, 231 (1964). 112 Siehe unten Rn. 56 ff. 113 Siehe unten Rn. 77 f. 114 Siehe hierzu ausführlich Dornis S. 309 ff. 115 Siehe hierzu unten Rn. 54 f. 116 Siehe zu dieser Befürchtung oben Rn. 26. 117 Siehe hierzu ausführlich Dornis IPQ 2018, 159, 166; Dornis ZGE 2018, 341, 356 ff. (am Beispiel des Urheberrechts).
Dornis
236
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
IV. Ökonomische Analyse 1. Überblick: Normstrukturen. Die verschiedenen Regelungszwecke des § 4 Nr. 3 48 bedingen für die ökonomische Analyse eine Unterscheidung nach Fallgruppen.118 In § 4 Nr. 3 lit. a geht es um die Verhinderung der Täuschung der Abnehmer über die betriebliche Herkunft eines Produkts. Im Schrifttum wird dies zutreffend als Aspekt des Zuordnungsschutzes bezeichnet.119 Die Nähe zum Modell des marken- und kennzeichenrechtlichen Schutzes gegen Verwechslungen liegt nahe.120 Aus ökonomischer Perspektive besonders interessant ist die Fallgruppe des Schutzes gegen Ausnutzung oder Beeinträchtigung der Wertschätzung von Originalprodukten nach § 4 Nr. 3 lit. b121 sowie der außerhalb der Fallgruppen des § 4 Nr. 3 zusätzlich nach § 3 Abs. 1 gewährte unmittelbare Leistungsschutz. Im letzteren Fall sind die Parallelen zur misappropriation-Doktrin im US-amerikanischen Recht evident.122 Im Rahmen des § 4 Nr. 3 lit. c geht es schließlich um die Verhinderung einer Weiterverwendung unredlich erlangter Kenntnisse oder Unterlagen. Es handelt sich dabei um eine Ergänzung der bislang in §§ 17 ff., nun in §§ 1 ff. GeschGehG123 verfassten Regelungen zum Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen im Hinblick auf das dem „Diebstahl“ nachgelagerte Stadium der Vermarktung.124 2. Ausgangspunkt: Grundlagen des ökonomischen Modells. Das ökonomische 49 Modell des Immaterialgüterrechts basiert auf einer im Ansatz einfachen Kosten-/Nutzen-Abwägung: Rechte dürfen grundsätzlich nur solange und soweit gewährt werden, als es die Gesamtabwägung der Vor- und Nachteile für das Allgemeinwohl – kurz: die Gesamtwohlfahrt – als gerechtfertigt erscheinen lässt. Es gibt verschiedene Ausprägungen dieses Modells. Die Unterschiede basieren maßgeblich auf der divergierenden Einschätzung von Vor- und Nachteilen und auf variierenden Vorstellungen von der natürlichen Effizienz der Marktplätze. Die moderne ökonomische Theorie greift zur Beschreibung der Strukturen des 50 Schutzes für Immaterialgüter und benachbarter Rechtsgebiete überwiegend auf das Modell der öffentlichen Güter zurück.125 Öffentliche Güter sind nicht-exklusiv und nichtrivalisierend in der Nutzung. Ist ein derartiges Gut darum erst einmal produziert, kann der Hersteller andere Akteure in der Regel nicht mehr von der Nutzung ausschließen. Dies gilt unabhängig davon, ob diese anderen für die Inanspruchnahme bezahlt haben oder nicht.126 Darüber hinaus verringert die Nutzung eines öffentlichen Gutes durch eine
_____
118 Zu den Regelungszwecken siehe unten Rn. 56 ff. und 99 ff. 119 Siehe z.B. Lange/Klippel/Ohly S. 99, 107; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 3 Rn. 24. 120 Siehe unten Rn. 61 ff. 121 Siehe unten Rn. 61 ff. 122 Siehe unten Rn. 72 ff. 123 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/943 zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung, Bundestags-Drucks. 19/4724 (4.10.2018). 124 Siehe ausführlich unten Rn. 97 f. 125 Eine der ältesten Formulierungen dieser Grundidee findet sich in folgender Aussage Jeremy Benthams: „[T]hat which one man has invented, all the world can imitate. Without the assistance of the laws, the inventor would almost always be driven out of the market by his rival, who finding himself, without any expense, in possession of a discovery which has cost the inventor much time and expense, would be able to deprive him of all his deserved advantages, by selling at a lower price“ (Bentham A Manual of Political Economy (1839) 71). 126 Siehe grundlegend hierzu z.B. Arrow Economic Welfare and the Allocation of Resources for Invention 609, 616 ff., in: The Rate and Direction of Inventive Activity: Economic and Social Factors (1962); Demsetz 57 Am. Econ. Review 347, 348, 359 (1967); speziell zum geistigen Eigentum z.B. Lévêque/Ménière S. 4 f.
237
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
Person nicht die Möglichkeiten der Nutzung durch andere.127 Hieraus folgt ein von den Ökonomen als free riding beschriebenes Problem: Rationale Akteure haben den Anreiz, öffentliche Güter zwar zu nutzen, nicht aber zu produzieren oder sich an den Kosten der Produktion zu beteiligen. Für die Gemeinschaft folgt ein Zustand der privaten Unterproduktion. Viele öffentliche Güter müssen darum vom Staat zur Verfügung gestellt werden, so z.B. Infrastruktur, öffentliche Sicherheit und Bildung.128 51 Wie bei öffentlichen Gütern besteht auch bei der Produktion von innovativen und kreativen Gütern das Problem der Unterproduktion und der Übernutzung. Aufgrund der häufig nahezu kostenlosen Möglichkeit zur Vervielfältigung drückt der Wettbewerb den Marktpreis auf einen Betrag wenig oberhalb der Grenzkosten. Nicht gedeckt sind dann die Investitionen des Innovators oder des kreativen Schöpfers. Aufgrund der fehlenden Aussicht auf Amortisation fehlt es an Anreizen für Innovation und Kreativität. Einen Ausweg aus dem Dilemma bietet die Gewährung exklusiver privater Rechte, sogenannter Monopolrechte.129 Dieses verursacht allerdings Kosten – vor allem Verluste durch Abschöpfung der Monopolrente und durch den mit der Durchsetzung des Schutzes verbundenen Verwaltungsaufwand. Diese Kosten werden im Interesse der Schaffung ausreichender Anreize in Kauf genommen. Ökonomisch gewendet: Die Wohlfahrtsverluste infolge statischer Ineffizienz werden gegen die Vorteile dynamischer Effizienz – in Form gegenwärtig und künftig bestehender Anreize – abgewogen.130 Eine neoliberale Richtung der ökonomischen Analyse ist bekannt für ihren eigen52 tumsfokussierten Ansatz. Die Schaffung möglichst umfassender Eigentumsrechte ist demnach Voraussetzung für das Funktionieren des freien Wettbewerbs.131 Die daraus resultierende normative Forderung könnte einfacher nicht sein: Wenn der Gesetzgeber die Eigentumsrechte nur hinreichend klar definiert und weitgehend ausdehnt, wird die unsichtbare Hand des Marktes für eine optimale Allokation der verfügbaren Ressourcen sorgen.132 Vor allem in der ökonomischen Theorie des Urheberrechts hat dieser Ansatz Anklang gefunden.133 Die Gegenposition vertrat schon in den 1930er Jahren Arnold Plant. Er bezweifelte offen die Hypothese, dass es ohne Eigentumsschutz keine Innovation oder Kreativität geben könne.134 Der Blick auf die Schaffensanreize wurde im Anschluss um die Forderung erweitert, dass der Gesetzgeber nur dann und nur insoweit durch die Vergabe von Eigentumsrechten eingreifen dürfe, soweit es tatsächlich an Anreizen fehle.135 In neuerer Zeit wurde die Kritik ausgedehnt. Bei einer dabei unter veränderten Vorzeichen vorgenommenen Kosten-/Nutzen-Analyse werden die positiven Ex-
_____
127 Hierzu allgemein z.B. Samuelson 36 Rev. of Econ. & Statistics 387, 387 (1954); für kreative und innovative Güter siehe z.B. Lévêque/Ménière S. 4 f. 128 Vgl. Cooter/Ulen S. 40 f. und 88 ff. 129 Ebenso können Innovation und Kreativität durch direkte staatliche oder private Finanzierung gefördert und aufrechterhalten werden. 130 Siehe z.B. Leitzel S. 46 ff. („Static efficiency – optimal use of existing inventions – is sacrificed for the purpose of enhanced dynamic efficiency, the production of more inventions over time.“); darüber hinaus z.B. auch Cooter/Ulen S. 104 f.; Posner § 3.1, § 11.1. 131 Vgl. z.B. Demsetz 57 Am. Econ. Rev. 347, 348 und 359 (1967). 132 Siehe z.B. Cooter/Ulen S. 78. 133 Siehe z.B. Gordon 41 Stan. L. Rev. 1343, 1389 (1989); Merges 12 Berkeley Tech. L.J. 115, 131 (1997); Easterbrook 4 Tex. Rev. L. & Pol. 103, 111 f. (1999); treffend auch Goldstein S. 146 („The logic of property rights dictates their extension into every corner in which people derive enjoyment and value from literary and artistic works.“). 134 Plant 1 Economica 167, 183 f. (1934); ähnlich zudem Hurt/Schuchman 56 Am. Econ. Rev. 421, 422 f. (1966). 135 Breyer 84 Harv. L. Rev. 281, 285 f., 291 ff. (1970); Liebowitz 8 Research in Law and Economics: The Economics of Patents and Copyrights 181, 183 ff. (1986).
Dornis
238
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
ternalitäten (d.h., von anderen Akteuren ohne Ausgleich in Anspruch genommene Nutzenpositionen) in die Betrachtung einbezogen. Während „Verluste“ des Rechteinhabers nach traditioneller Lesart umfassend als die Schaffenskraft hemmend eingeordnet werden, argumentieren Vertreter der neuen Lehre, dass entgangener Nutzen jedenfalls nicht mehr ins Gewicht fallen dürfe, sobald der Rechteinhaber die Gewinnschwelle überschritten habe.136 Die Internalisierung aller Externalitäten würde Investitionen in immaterielle Güter unangemessen begünstigen und im Ergebnis sogar zu crowding out-Effekten mit der Folge einer geringeren Vielfalt immaterieller Leistungen führen.137 Vertreter dieser sogenannten spillover theory warnen darum vor einer Überkompensation durch Aneignung nicht essentieller Nutzenpositionen.138 Letztlich geht es um die Rückkehr zum Prinzip einer umfassenden Kosten-/Nutzen-Abwägung, die man bereits bei Coase findet: „[T]he gain from preventing the harm [must be] greater than the loss which would be suffered elsewhere as a result of stopping the action which produces the harm.“139 Die ökonomische Theorie ist damit sowohl von einem umfassenden Property-Rights-Ansatz als auch vom absoluten Anreiztheorem abgekommen. Die Transformation ist allerdings noch keinesfalls abgeschlossen.140 Die Konzeption eines realitätsnahen und flexiblen, ökonomisch fundierten Systems 53 des Immaterialgüterschutzes – und damit auch einer Theorie des lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutzes – steht noch aus. Im kritischen deutschen Schrifttum wird auf die Notwendigkeit verwiesen, einen spezifischen Mittelweg zwischen Innovations- und Imitationswettbewerb zu formulieren. Ausdrücklich wird dabei die möglichst genaue Bestimmung eines wohlfahrtsoptimalen Balancepunkts zwischen Innovationsund Imitationswettbewerb verlangt. Diese Bestimmung (so wird umgehend angefügt) sei aber, vor allem aus methodischen Gründen, kaum je mit der erforderlichen Präzision möglich.141 Und in der Tat: Zunächst wäre nach dem ökonomischen Modell eine umfassende und detaillierte Erfassung der Vor- und Nachteile sowohl der sondergesetzlichen als auch der im ergänzenden lauterkeitsrechtlichen Schutz gewährten Rechtspositionen erforderlich. Eine derartige Analyse ist jedoch bereits in einem rein ökonomischen Inertialsystem mehr als komplex. Die Kritik von Seiten nicht-ökonomischer Theorien ist vor diesem Hintergrund darum durchaus schwerwiegend.142 3. Weiterentwicklung: Flexibles System variierender Schutzstandards. Den- 54 noch ist die erkenntnistheoretische und praktische Relevanz der ökonomischen Analyse keinesfalls so gering wie es die Kritik impliziert. Für eine Fruchtbarmachung der ökonomischen Modelle sind allerdings Modifikationen erforderlich. Zunächst ist es erforderlich, sich von der Vorstellung homogener und statischer Marktverhältnisse zu verabschieden. Die Heterogenität der realen Marktplätze und ihrer Rahmenbedingungen
_____
136 Siehe z.B. Takeyama 42 J. Indus. Econ. 155 (1994); Harrison 13 J. Intell. Prop. L. 1, 14 f., und passim. (2005); Frischmann/Lemley 107 Colum. L. Rev. 257, 262 und passim. (2007). 137 Vgl. Benkler Intern. Rev. L. & Econ. 22 (2002), 81, 95 ff.; Ramello Liuc Papers n. 141, Serie Economia e Impresa, 35 (2004) 12 ff.; Posner J. Econ. Perspectives 19 (2005), 57, 59. 138 Siehe Lemley 83 Tex. L. Rev. 1031, 1046 und passim. (2005); Frischmann/Lemley 107 Colum. L. Rev. 257, 299 (2007). 139 Coase 3 J. L. & Econ. 1, 27 (1960). 140 Vgl. umfassend Dornis IPQ 2018, 159 ff.; Dornis ZGE 2018, 341 ff. 141 Siehe z.B. Leistner/Hansen GRUR 2008, 479, 483 ff.; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 31. 142 Zur mittlerweile unüberschaubaren Kritik der ökonomischen Analyse als Methode, vor allem im Bereich des Immaterialgüterrechts, siehe z.B. Palmer 12 Hamline L. Rev. 261 (1989); Lunney 49 Vand. L. Rev. 483, 486 (1996); Weinstock Netanel 106 Yale L.J. 283 (1996); aus dem deutschen Schrifttum im Überblick z.B. Bischoffshausen S. 269 ff.
239
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
(sowohl in der Gesamtbetrachtung über alle Produkte als auch über die Zeit) bedingt eine entsprechende Varianz der gesetzlichen Schutzstandards. So ist insbesondere im Urheberrecht anerkannt, dass es Produzenten in bestimmten Bereichen leichter fällt, ihre Investitionen zurückerstattet zu erlangen, als in anderen. Eine Amortisation ist z.B. auch ohne oder bei lediglich geringem Schutz möglich, wenn die Herstellung von Kopien mit mehr als unbedeutenden Kosten verbunden ist, Möglichkeiten zur Preisdiskriminierung bestehen oder technische Schutzmechanismen (z.B. Digital rights management) eingerichtet werden können.143 Entsprechend wird eine Einschränkung des Urheberrechts, teilweise sogar die vollständige Abschaffung, gefordert.144 In ihrer Gesamtheit ist diese Komplexität der realen Marktplätze und ihrer Rahmenbedingungen aber bislang nur lückenhaft erörtert. Dies gilt nicht nur für den Bereich des Urheberrechts, sondern auch und insbesondere für Fragen des lauterkeitsrechtlichen Schutzes. Ebenso wie im Urheberrecht, kann es im UWG-Nachahmungsschutz Bereiche geben, in denen die Steuerung des Verhaltens der Akteure ausschließlich oder überwiegend durch soziale Normen erfolgt. Empirisch untersucht wurden Sozialnormstrukturen dieser Art z.B. für den Umgang mit Rezepten französischer Spitzenköche.145 Die Sanktionen für einen Verstoß gegen soziale Verhaltensstandards in diesen Kreisen reichen von der öffentlichen Bloßstellung eines Nachahmers und dem damit verbundenen Statusverlust bis hin zum dauerhaften Ausschluss aus der Gruppe der Spitzenköche. Ähnliche Zusammenhänge wurden auch für die Modeindustrie beschrieben, wo es des gesetzlichen Schutzes jedenfalls in bestimmten Bereichen nicht grundsätzlich bedarf, um ein Marktversagen zu verhindern oder Märkte überhaupt zum Entstehen zu bringen.146 Vor diesem Hintergrund wird erkennbar, dass die ökonomische Analyse eine Wei55 terentwicklung zu einem flexibilisierten System variierender Schutzstandards verlangt. Das im bisherigen System des Immaterialgüter- und Lauterkeitsrechts angelegte Paradigma eines in vielfacher Hinsicht vereinheitlichten Schutzniveaus über verschiedene Produkte und Marktplätze hinweg kann nur eine Vereinfachung bieten.147 Diese ist in gleich doppelter Hinsicht ineffizient, weil sich das Zuviel und das Zuwenig in ihren Auswirkungen nicht ausgleichen, sondern summieren. Bei undifferenzierter Rechtegewährung entstehen in einigen Bereichen zunächst Kosten als Konsequenz eines zu niedrigen Schutzniveaus. Die erläuterte öffentliche-Güter-Problematik erklärt die negativen Auswirkungen fehlender Anreize.148 Zugleich kommt es zu einem ineffizienten Einsatz von Ressourcen, soweit die Rechtsordnung ein überschießendes Schutzniveau bereithält.149 Eine exakte „Berechnung“ der jeweils ökonomisch optimalen Regulierung wird
_____
143 Siehe z.B. O’Hare 6 J. Cultural Econ. 33 (1982); Liebowitz 93 J. Pol. Econ. 945 (1985); Landes/Posner S. 41 ff.; Varian 19 J. Econ. Perspectives 121, 134 ff. (2005); Shavell 2 J. Legal Analysis 301 (2010). 144 Siehe z.B. Plant 1 Economica 167 (1934); Breyer 84 Harv. L. Rev. 281 (1970); Palmer 12 Hamline L. Rev. 261, 287 ff. (1989); Shavell 2 J. Legal Analysis 301 (2010). 145 Hierzu aufschlussreich vor allem Fauchart/von Hippel 19 Org. Science 187 (2008). Zum Schutz von Kochrezepten siehe z.B. RG 18.12.1912 – I 4/12 – RGZ 81, 120, 121; OLG Hamburg 29.9.1955 – 3 U 131/55 – UFITA 23 (1957), 222, 225 ff. – Waerland-Rezepte; OLG Hamburg 17.7.1980 – 3 U 24/80 – OLGZ (Schulze, RzU) 229, 1, 7 – Brigitte-Rezepte; Fromm/Nordemann § 2 UrhG Rn. 73. 146 Siehe z.B. Raustiala/Sprigman 92 Va. L. Rev. 1687 (2006). Siehe zudem Dornis IPQ 2018, 159, 171 ff.; Dornis ZGE 2018, 341, 353 ff. 147 Vgl. zum „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ im Bereich des UWG-Nachahmungsschutzes illustrativ und zutreffend kritisch Schröer S. 215 ff. 148 Siehe oben Rn. 49 ff. 149 Carroll 55 Am. U. L. Rev. 845, 852 ff. (2006). Die wirtschaftlichen Nachteile umfassen dann neben den Kosten statischer Ineffizienz vor allem den überhöhten Vollstreckungs- und Verwaltungsaufwand sowie die Einbußen infolge fehlgeleiteter Überinvestitionen. Siehe z.B. Lemley 83 Tex. L. Rev. 1031, 1058 f. (2005); zudem auch Dornis S. 455, 467 ff., in Bonadio/Lucchi.
Dornis
240
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
dabei in den seltensten Fällen gelingen. Es ist aber möglich, die Komplexität und Variation der realen Marktplätze und ihrer Rahmenbedingungen in eine prozessorientierte Modellerweiterung zu überführen. Dies erfordert es, sich von der Vorstellung eines auf Ebene des materiellen Rechts exakt bestimmbaren Schutzniveaus zu verabschieden. Entscheidend sind die Prozesse der Rechtsanwendung und Rechtsentwicklung. Ein System richterrechtlicher Standards ist der Festlegung durch gesetzliche Regeln dabei vorzuziehen. Dies gilt auch und insbesondere für Fragen des lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutzes. 4. Anwendung: Ökonomie und Fallgruppen. Die ökonomische Analyse des lau- 56 terkeitsrechtlichen Nachahmungsschutzes steckt in den Anfängen. Ganz überwiegend wird an der Aussagekraft und praktischen Relevanz der ökonomischen Modelle gezweifelt. Die ausschließliche Kompetenz zur Grenzziehung zwischen Rechtsschutz und Gemeinfreiheit wird dem Recht zugewiesen.150 Trotz dieser jedenfalls mit Blick auf die Praxis (noch) in gewisser Weise begründeten Kritik nimmt die Befassung mit ökonomischen Grundsatzfragen zu.151 Die Herausforderung liegt dabei neben der Schaffung und Verfeinerung ökonomischer Modelle vor allem in der Offenlegung vorhandener Defizite in der juristischen Theorie und Praxis. Das Modell des lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutzes muss nach Schutz- 57 zwecken und Fallgruppen differenziert aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden. Für die Frage des Zuordnungsschutzes nach § 4 Nr. 3 lit. a ist zunächst vom Grundmodell des Kennzeichenschutzes auszugehen. 152 Dieses Modell verfolgt einen weithin akzeptierten suchkostenbasierten Ansatz zur Begründung der Abwehr irreführender Markenbenutzung.153 Auch der Nachahmungsschutz in Form des Zuordnungsschutzes beruht auf dem ökonomischen Modell der Suchkostenersparnis. Für Fragen der Ausnutzung oder Beeinträchtigung der Wertschätzung nachgeahmter Produkte nach § 4 Nr. 3 lit. b führt eine allein auf der Suchkostenmechanik beruhende Betrachtung allerdings nicht weiter.154 Die ökonomische Analyse ist insoweit auf einen genuin eigentumsbasierten Begriff des Effizienzmodells verwiesen. Gerade die Vorstellung eines eigentumstheoretisch begründeten Kennzeichenschutzes wird in der juristisch-dogmatischen wie in der rechtsökonomischen Analyse allerdings immer noch sehr zögerlich verfolgt. Das US-Schrifttum und die Gerichte formulieren diese Zurückhaltung mit scheinbar unverrückbarer Bestimmtheit: „Trademarks are not property rights in gross“ ist der bis heute immer wieder gebetsmühlenhaft vorgetragene Einwand.155 Auch das ökonomi-
_____
150 Siehe z.B. repräsentativ MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 18 f. 151 Siehe z.B. im monografischen Schrifttum: Weihrauch, insbesondere S. 122 ff. und 156 ff.; Schröer S. 196 ff.; aus der Kommentarliteratur vor allem die Vorauflage: GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 23 ff. 152 Siehe unten Rn. 58 ff. 153 Der Schutz bekannter Marken gegen Verwässerung steht ebenfalls auf dieser Grundlage. Siehe Landes/Posner 30 J. L. & Econ. 265, 268 ff. und 306 ff. (1987). 154 Siehe unten Rn. 61 ff. 155 Für die US-Rechtsprechung z.B. United Drug Co. v. Theodore Rectanus Co., 248 U.S. 90, 97 (1918) („The asserted doctrine is based upon the fundamental error of supposing that a trade-mark right is a right in gross or at large, like a statutory copyright or a patent for an invention, to either of which, in truth, it has little or no analogy.“); Ringling Bros.-Barnum & Bailey Combined Shows v. Utah Div. of Travel Dev., 170 F.3d 449, 459 (4th Cir. 1999). Aus dem US-amerikanischen Schrifttum z.B. Kratzke 21 Mem. St. U. L. Rev. 199, 286 (1991); Lunney 48 Emory L.J. 367 (1999); Lemley 108 Yale L.J. 1687, 1695–1696 (1999); Dogan/Lemley 97 Trademark Rep. 1223, 1228 ff. (2007); Menell/Scotchmer S. 1473, 1538, 1544, in Handbook of Law and Economics, vol. II (A. Mitchell Polinsky & Steven Shavell, eds., 2007); Lemley/McKenna 109 Mich. L. Rev. 137, 176 f. (2010); für Deutschland z.B. Ohly FS Griss S. 521, 527 („… versagt beim erweiterten Schutz … die ‚Eigentumslogik’.“).
241
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
sche Schrifttum erkennt Defizite der ökonomischen Theorie beim Umgang mit dem Schutz des Rufs von Kennzeichen offen an.156 Dieser Zustand einer gewissen Orientierungslosigkeit macht sich auch bei der Beurteilung der Reichweite des lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutzes bemerkbar. Jedenfalls fehlt es an einer strukturierten Analyse der Bestandteile des Ausnutzungsschutzes. Für die Fallgruppe des § 4 Nr. 3 lit. c ist die rechtsökonomische Analyse schließlich weniger komplex. Die Fortsetzung des Geheimnisschutzes im Gewande des Nachahmungsschutzes kann in der Sache auf ein einfaches Modell des Investitionsschutzes zurückgeführt werden.157 58
a) Zuordnungsschutz: Täuschung über die betriebliche Herkunft. Eine ökonomische Betrachtung des Nachahmungsschutzes nach § 4 Nr. 3 lit. a hat am Tatbestandsmerkmal der „vermeidbaren Täuschung der Abnehmer über die betriebliche Herkunft“ anzusetzen. Insoweit zeigt sich im Schutz der Kennzeichnung der „betrieblichen Herkunft“ eine Ausdehnung des dem Kennzeichenschutz allgemein zugrunde liegenden Suchkostenmodells. Kennzeichen informieren über die Herkunft von Waren und Dienstleistungen. Der Verbraucher kann aus seinen Konsumerfahrungen in der Vergangenheit Vorstellungen über sich in der Zukunft erfüllende Erwartungen bilden. Die hierdurch angestoßene Folge von wiederholten Transaktionen vermittelt dem Rechteinhaber einen Anreiz, beim Verbraucher bestehende Erwartungen zu erfüllen.158 Zugleich eröffnet der Mechanismus dem Verbraucher die Möglichkeit, Leistungen, welche die Erwartungen unterschreiten, durch künftige Abkehr beim Konsum zu belegen.159 Dieser Mechanismus wird im Kennzeichenrecht formalisiert mit dem Konzept sogenannter Suchkostenersparnis beschrieben. In diesem Modell werden die Käufer eines Produkts mit dem „vollen“ Preis π konfrontiert.160 Der Preis π entspricht dem maximalen Betrag, den ein Verbraucher aufzubringen bereit ist. Er besteht aus dem an den Verkäufer zu entrichtenden Geldpreis P und den vom Käufer zusätzlich zu tragenden Suchkosten H. Bei den Suchkosten H geht es um die Kosten, die der Verbraucher dafür aufwenden muss, die tatsächlichen Eigenschaften des Produktes zu erfahren.161 Diese Kosten hängen maßgeblich davon ab, in welchem Umfang der Anbieter durch Investitionen in sein Kennzeichen die Ansammlung von Attributs- und Qualitätsinformationen auf Seiten der Verbraucher ermöglicht. Je höher der Wert des Kennzeichens, umso geringer sind die Unsicherheiten für den Verbraucher, welche Attributs- und Qualitätseigenschaften er von dem jeweiligen Produkt erwarten kann. Mit steigendem Wert des Kennzeichens gehen darum auch die Suchkosten zurück. Verbraucher, die aufgrund gesteigerter Kennzeichnungskraft geringere Suchkosten aufzuwenden haben, sind folglich bereit, einen entsprechend höheren Geldpreis zu bezahlen. Betrachtet man das Suchkostenmodell mit Blick auf die Preisbildung am Markt, so zeigt sich ganz allgemein, dass der Hersteller eines kenn-
_____
156 Vgl. z.B. Cooter/Ulen S. 142 („Besides quality, trademarks also signal prestige. … Unfortunately, standard economic tools were not designed for prestige …“); bereits zuvor kritisch Henning-Bodewig/Kur S. 268. 157 Siehe unten Rn. 97 f. 158 Grundlegend hierzu: Landes/Posner in 30 J. L. & Econ. 265, 268 ff. (1987). 159 Vgl. z.B. Shapiro Bell J. Econ. 13 (1982), 20 ff. und ders. Quarterly J. Econ. 1983, 659 ff.; überdies z.B. Economides 78 T.M.R. 523, 525–527 (1988); Carter 99 Yale L.J. 759, 762 (1990); Kratzke 21 Mem. St. U. L. Rev. 199, 266–268 (1991); mit einem Überblick über das moderne Schrifttum: Menell/Scotchmer S. 1473, 1536– 1537, in Handbook of Law and Economics, vol. II (A. Mitchell Polinsky & Steven Shavell, eds., 2007). 160 Für das vollständige Modell und die nachfolgenden Zusammenhänge siehe Landes/Posner 30 J. L. & Econ. 265, 273 ff. (1987); sowie nochmals (aktualisiert) Landes/Posner S. 174 ff. 161 Bei der Einbeziehung von Suchkosten ergibt sich der volle Preis des Markenprodukts zu π = P + H(T).
Dornis
242
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
zeichnungsstarken Produkts (mithin auch eines „Originals“) den Geldpreis auch und insbesondere am „Wert“ oder an der „Stärke“ der Kennzeichnung und der hierdurch garantierten Präzision der Markt-Navigation für seine Abnehmer festmachen wird. Gelingt es dem Hersteller dabei, die Suchkosten der Abnehmer auf Null zu verringern, steigt der erzielbare Geldpreis P auf den vollen Preis π an. Für ein Produkt ohne Kennzeichnung muss der am Markt erzielbare Geldpreis hingegen zwangsläufig geringer ausfallen, weil die Verbraucher über den Geldpreis hinaus stets noch Suchkosten zu tragen haben.162 Dieser Marktkommunikationsmechanismus funktioniert nur, wenn die übermit- 59 telten Informationen hinsichtlich der Zuordnung der jeweiligen Produkte und Mitbewerber korrekt und vollständig sind. Bei Fehlinformation und fehlenden Informationen können sich Verbraucher und Abnehmer nicht mehr auf die Navigationsfunktion verlassen. Damit geht eine sinkende Zahlungsbereitschaft einher, die sich zunächst in sinkenden Umsätzen und über die Zeit auch in einer verringerten Investition in die Kennzeichnung und in die Qualität der Originalprodukte niederschlägt. Am Ende dieser Entwicklung steht ein market for lemons mit den bekannten Informationsasymmetrien.163 Der Schutz gegen Irreführung dient darum im suchkostenbasierten Modell des Kennzeichenschutzes zugleich dem Interesse der Verbraucher oder Abnehmer und dem Interesse des Inhabers des Kennzeichens. Sind die Informationen im Markt vollständig und korrekt, erhöhen sie die Rationalität der Verbraucher- und Abnehmerentscheidung. Ebenso steigern vollständige und korrekte Informationen die Funktionalität des Suchkostenmodells im Interesse des Inhabers des Kennzeichens oder des Herstellers eines Originalprodukts. Nur bei einer Senkung der Suchkosten kann dieser nämlich den Geldpreis in Richtung des Gesamtpreises erhöhen.164 Die ökonomische Perspektive einer sowohl verbraucher- und abnehmer- als 60 auch inhaberorientierten Ratio des Zuordnungsschutzes gerät mit der juristischen Doktrin zunächst grundsätzlich in Konflikt, soweit diese proklamiert, dass es sich bei § 4 Nr. 3 lit. a um einen vorrangig im Interesse der Mitbewerber bestehenden Tatbestand handele.165 Das Tatbestandsmerkmal der Herkunftstäuschung muss immer an der Wahrnehmung der Abnehmer und Verbraucher ansetzen. Eine rein mitbewerberbezogene Perspektive ist ausgeschlossen. Sofern sich der Maßstab für die Feststellung einer Täuschung am Leitbild des europäischen – angemessen informierten und aufmerksamen – Verbrauchers orientiert, besteht allerdings wohl jedenfalls im Ergebnis keine bedenkliche Divergenz. Gravierender sind die Zweifel dagegen bei der Formulierung vereinfachender Vermutungen für die Feststellung der Herkunftstäuschung. Ein Beispiel findet sich in der Rechtsprechung des BGH, wonach bei einer „identischen Übernahme“ die Gefahr einer Herkunftstäuschung grundsätzlich zu bejahen sei, „weil der interessierte Betrachter zwangsläufig davon ausgeh[e], die beiden identischen Produkte stammten von demselben Hersteller“.166 Der Verzicht auf eine Prüfung des tatsächlichen Irreführungspotentials begegnet bei ökonomischer Betrachtung erheblichen Bedenken. Dar-
_____
162 Vgl. ausführlich (mit grafischer Erläuterung): Dornis/Wein ZGE 2016, 513, 535 ff.; Dornis/Wein 121 Penn State L. Rev. 421, 446 ff. (2016). 163 Landes/Posner 30 J. L. & Econ. 265, 301–303 (1987). Grundlegend zum market for lemons: Akerlof Quarterly J. Econ. 84 (1970), 488 ff. 164 Siehe oben Rn. 58. Zur Gleichrichtung der Interessen (und einer Kritik mit Hinweis auf die fehlende Homogenität der Verbraucher als Gruppe) siehe allerdings ausführlich: Grynberg 83 N.Y.U. L. Rev. 60, 64 ff. (2008); überdies z.B. auch Desai 37 Cardozo L. Rev. 551, 595, 615 und passim. (2015). 165 Siehe unten Rn. 102. 166 Siehe z.B. BGH 24.5.2007 – I ZR 104/04 – GRUR 2007, 984, 987 – Gartenliege; BGH 15.7.2004 – I ZR 142/01 – GRUR 2004, 941, 943 – Metallbett.
243
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
über hinaus geht der BGH davon aus, dass eine vermeidbare Täuschung über die Herkunft nicht mit der Übernahme von Gestaltungsmerkmalen begründet werden könne, die dem freizuhaltenden Stand der Technik angehören, und die unter Berücksichtigung des Gebrauchszwecks, der Verkäuflichkeit der Ware sowie der Verbrauchererwartungen der angemessenen Lösung einer technischen Aufgabe dienen.167 Auch das Schrifttum verneint die Unlauterkeit in diesen Fällen.168 Wenngleich diese BGH-Doktrin aus prozessökonomischer Perspektive zur Vereinfachung im Gerichtsverfahren sinnvoll sein mag, ist doch zu betonen, dass ein pauschales Überwiegen des „Freihalteinteresses“ über die „Informationseffizienz“ nach dem ökonomischen Modell nicht zwingend ist. Es ist durchaus möglich, dass die durch Täuschung der Abnehmer über die betriebliche Herkunft entstehenden Kosten und damit die Einbußen an Gesamtwohlfahrt den Vorteil aus der Freihaltung bestimmter Merkmale von der UWG-Monopolisierung überwiegen.169 61
b) Informationsökonomisch begründeter Aneignungsschutz: Ausnutzen oder Beeinträchtigen der Wertschätzung. Der in Fragen des Zuordnungsschutzes erkennbare Interessengleichlauf auf Hersteller- sowie Verbraucher- und Abnehmerseite scheint in Konstellationen des Aneignungsschutzes zu fehlen. Dies gilt sowohl in Fällen einer marken- oder kennzeichenvermittelten Aneignung als auch für die Aneignung der Wertschätzung eines Mitbewerbers im Rahmen des § 4 Nr. 3 lit. b. Für diese Konstellationen gelten die gleichen Grundsätze. Der Inhaber einer Marke oder eines Kennzeichens kann neben der Irreführung der Verbraucher oder Abnehmer auch bestimmte Arten einer nicht-irreführenden Benutzung seiner Marke oder seines Kennzeichens abwehren, insbesondere bei bekannten und berühmten Marken und Kennzeichen. Es geht dann um Tatbestände der Verwässerung und der Rufausbeutung, z.B. bei Anlehnung an ein Markenimage (vgl. z.B. § 14 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG). Die Verbraucher und Abnehmer werden zwar regelmäßig an einer derart bezugnehmenden Verwendung fremder Kennzeichen durchaus interessiert sein, z.B. in Form vergleichender Werbung. Die Rationalität der Entscheidung und die Entscheidungsfreiheit sind hierdurch auch grundsätzlich nicht eingeschränkt. Der Inhaber der Marke oder des Kennzeichens sieht durch die Bezugnahme aber in der Regel seine Investitionen in das Produkt und in das Kennzeichen beeinträchtigt, weil vom bezugnehmenden Mitbewerber angeeignet. Es fehlt bislang an einer umfassenden ökonomischen Analyse der Grenzen einer Bezugnahme im Wettbewerb.170 Wie ein Blick auf die Theorie sogenannter externer Effekte oder Externalitäten zeigt, lassen sich die über das Suchkostenmodell hinausreichenden Schutzkonzepte im Marken- und Kennzeichenrecht sowie im Lauterkeitsrecht allerdings schlüssig im Rahmen eines eigentumsbasierten Modells erklären und strukturieren.171
62
aa) Grundlage: Eigentum und Externalitäten. Nach der für die ökonomische Analyse zentralen Definition von Harold Demsetz ermöglicht ein property right oder Eigentumsrecht seinem Inhaber, sich selbst oder anderen Nutzen zu verschaffen oder Scha-
_____
167 Siehe nochmals BGH 24.5.2007 – I ZR 104/04 – GRUR 2007, 984, 987 – Gartenliege; BGH 15.7.2004 – I ZR 142/01 – GRUR 2004, 941, 943 – Metallbett. 168 Siehe z.B. Bornkamm GRUR 2011, 1, 7; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/10. 169 Siehe auch unten Rn. 137 ff. 170 Vgl. z.B. typisch für die stiefmütterliche Behandlung Landes/Posner 30 J. L. & Econ. 265, 307–308 (1987), sowie später kaum erweitert in: dies. S. 206 ff. Unbeachtet bleibt die Frage des erweiterten Kennzeichenschutzes überdies in vielen Lehrbüchern, vgl. z.B. Miceli S. 184 f.; Spurr S. 93 ff. 171 Vgl. ausführlich zum Marken- und Kennzeichenrecht Dornis/Wein ZGE 2016, 513, 539 ff.; Dornis/Wein 121 Penn State L. Rev. 421, 451 ff. (2016).
Dornis
244
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
den zuzufügen.172 Ein Kennzeichen verschafft Verfügungsmöglichkeiten über die Benutzung im geschäftlichen Verkehr. Neben der Berechtigung für den Inhaber sichert es auch die Möglichkeit zur Abwehr einer Benutzung oder Bezugnahme durch andere. Zwar ist die Verfügungsmacht des Inhabers nicht absolut. An einer Einordnung als Eigentumsrecht oder Bündel von Eigentumsrechten im Sinne der ökonomischen Theorie bestehen aber keine Zweifel.173 Bei Benutzung oder Bezugnahme durch einen anderen kann das Kennzeichen in seiner Funktion und seinem Wert beeinflusst werden. Zugleich kann ein anderer aus der Verwendung einen Nutzen ziehen. Diese Art der Einwirkung wird als Externalität bezeichnet.174 In der ökonomischen Theorie sind externe Effekte allgemein als unfreiwillige, nicht-zufällige Anlastungen von Kosten bei Dritten oder als Nutzung von Gütern durch Dritte ohne Zahlung definiert.175 Dabei wird weiter unterschieden:176 Beeinflusst z.B. ein Mitbewerber die Produktion oder den Absatz seines Konkurrenten durch unmittelbaren Eingriff in dessen Betriebsabläufe (z.B. durch Sabotage), liegt eine technologische Externalität vor. Bewirkt der Mitbewerber durch sein Handeln hingegen lediglich eine Senkung des Preises beim Mitbewerber oder eine Erhöhung des Inputpreises über das Marktgeschehen, so handelt es sich um eine pekuniäre Externalität.177 Pekuniäre Externalitäten werden als Folge funktionierender Märkte beschrieben. Technologische Externalitäten begründen hingegen ein Marktversagen. Nach der ökonomischen Theorie darf grundsätzlich nur bei Vorliegen technologischer Externalitäten regulierend eingegriffen werden.178 Ziel ist eine Internalisierung in der Form, dass der Rechteinhaber zum einen die von ihm verursachten Kosten Dritter zu tragen hat, zum anderen aber auch den von diesen aus seinem Verhalten gezogenen Nutzen zugewiesen bekommt. Gelingt dies, sind die Voraussetzungen für einen effizienten Markt gegeben: das individuelle Interesse an einer Maximierung des privaten Nutzens ist im Gleichlauf mit dem Interesse der Allgemeinheit an maximaler Gesamtwohlfahrt.179 Bei Imitationswettbewerb ist (sofern die Täuschung der Abnehmer ausgeschlossen 63 ist)180 von einer Auswirkung auf die Produktion der Mitbewerber (auch und vor allem der Originalhersteller) auszugehen, die dem Grunde nach als pekuniäre Externalität einzuordnen ist. Sie erfolgt „über den Markt“, weil informierte Verbraucher auf der Grundlage rationaler Konsumentscheidungen zur Veränderung beitragen. Blickt man allerdings über die erste Produktionsperiode des ökonomischen Modells hinaus, wird erkennbar, dass sich der Vertrieb von Nachahmungen mit der Zeit vor allem in Form einer Schwächung des Kennzeichens (Verwässerung) niederschlagen kann, was den An-
_____
172 Demsetz 57 Am. Econ. Rev. 347, 347 (1967) („[P]roperty rights convey the right to benefit or harm oneself or others.“). 173 Vgl. hierzu auch Landes/Posner 30 J. L. & Econ. 265, 266 (1987). 174 Zum Zusammenhang von property rights und externalities nochmals Demsetz 57 Am. Econ. Rev. 347, 350 (1967). Für eine Analyse von Urheber- und Patentrechten auf der Grundlage einer Externalitätentheorie siehe z.B. Frischmann/Lemley 107 Colum. L. Rev. 257, 265 (2007); Harrison 13 J. Intell. Prop. L. 1 (2005); in Bezug auf Markenrechte zudem Barnes 10 Yale J. L. & Tech. 1 (2007). 175 Siehe grundlegend Buchanan/Stubblebine, Externality, in Economica 29 (1962), 371 ff. 176 Scitovsky J. Pol. Econ. 62 (1954), 143 ff. Ferner zudem z.B. Holcombe/Sobel Pub. Finan. Rev. 29 (2001), 304 ff. 177 Richard Posner beschreibt den Unterschied eingängig am Beispiel konkurrierender Tankstellen: Um eine technologische Externalität handelt es sich bei Beschädigung der Zapfsäulen des Mitbewerbers. Hier wird außerhalb des Marktgeschehens unmittelbar auf dessen Produktion eingewirkt. Ein allein auf den Wettbewerb im Markt zurückzuführender Umsatzrückgang ist hingegen als pekuniäre Externalität einzuordnen. Siehe Posner § 1.1. 178 Siehe z.B. allgemein Mishan J. Econ. Lit. 9 (1971) 1 ff.; ausführlich überdies z.B. Frischmann/Lemley 107 Colum. L. Rev. 257, 262 ff. (2007). 179 Siehe z.B. Cooter/Ulen S. 154–155; Frischmann/Lemley 107 Colum. L. Rev. 257, 265 (2007). 180 Vgl. hierzu oben Rn. 61 ff.
245
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
reiz zur Investition in den goodwill mindert. Auch diese Veränderung der Marktverhältnisse ist auf externe Effekte zurückzuführen. Diese hat eine dynamische Natur und ist unter bestimmten Umständen als technologische Externalität einzuordnen. 64
bb) Goodwill von Kennzeichen und Produkt: Markt-Navigation und Mehrwert. Ebenso wie das Verbot der Irreführung haben auch Tatbestände des erweiterten Kennzeichenschutzes den Zweck, ein Marktversagen zu verhindern. Dies gilt ebenso für den lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutz in Form des Verbots eines Ausnutzens oder der Beeinträchtigung der Wertschätzung nach § 4 Nr. 3 lit. b. In der Abwehr nichtirreführender Benutzungsformen spiegelt sich das Spannungsverhältnis zwischen statischer und dynamischer Effizienz. Dieser Zusammenhang liegt auch anderen Formen des Immaterialgüterschutzes (z.B. Patenten und Urheberrechten) zu Grunde. Nur durch ein Inaussichtstellen künftiger Gewinne wird ein hinreichender Anreiz für Innovation und Kreativität in der Gegenwart geschaffen.181 Für den erweiterten Kennzeichenschutz und den Schutz gegen Ausnutzen oder Beeinträchtigen der Wertschätzung einer nachgeahmten Ware oder Dienstleistung bedeutet dies: Bei der Abwehr einer Nachahmung soll der einmal aufgebaute goodwill des Produkts bewahrt werden, weil nur bei ausreichendem Schutz genügend Anreize zur Investition bestehen. Anders gewendet: Bei unbegrenzt zulässiger Nachahmung wäre niemand dazu bereit, für sein Produkt ein wertvolles Image aufzubauen und zu bewahren.
65
Der Schutz für über das Suchkostenmodell hinausgehende Bestandteile des goodwills (Exklusivität, Image, Prestige, etc.) wird vor allem im Schrifttum zum Markenrecht sehr kritisch gesehen.182 An der wirtschaftlichen Realität ändert dies nichts: Der nicht auf Irreführung gegründete Schutz des goodwills entspricht den Präferenzen der Verbraucher für Produkte mit rein oder überwiegend sozialem Nutzen. Die moderne Konsumwelt bietet eine Vielzahl von Beispielen für Luxus- und Prestigegüter, die ausschließlich oder in erster Linie erworben werden, um sich sozial abzuheben und aufzuwerten.183 Gerade im Bereich der Fallgruppen des lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutzes hatte und hat die Konstellation der Anlehnung an oder Ausbeutung von Besitzständen der Mitbewerber besondere Bedeutung.184 Vor diesem Hintergrund muss bezweifelt werden, ob die Auswirkungen der Ausnutzung der Wertschätzung eines Kennzeichens oder eines Produkts mit Blick auf den Investitionsanreiz vernachlässigt werden können. Im Schrifttum wird zwar vorgebracht, es bestünden bereits auf der Grundlage des Schutzes gegen Verwechslungsgefahr hinreichende Anreize zur Investition in Produktqualität und Kennzeichenimage. Ein zusätzlicher Investitionsimpuls im Hinblick auf den Exklusivitäts- oder Prestigewert bestehe nicht oder sei vernachlässigbar schwach.185 Im Bereich des Nachahmungsschutzes sei eine Rufausbeutung darum bereits durch eine die Verwechslungsgefahr ausschließende Gestaltung ausgeschlossen.186
_____
181 Siehe oben Rn. 49 ff. 182 Vgl. zur Diskussion z.B. Lunney 48 Emory L.J. 367, 405–408, 438–439 und passim. (1999); Lemley 108 Yale L.J. 1687, 1695, 1713–1714 (1999); Beebe 123 Harv. L. Rev. 809 (2010); Sheff 96 Minn. L. Rev. 769 (2012); Desai 37 Cardozo L. Rev. 551, 605–607 und passim. (2015). Zur historischen Entwicklung zudem Dornis S. 121 ff.; für einen Überblick zur Diskussion in Deutschland vgl. z.B. Dornis/Wein ZGE 2016, 513 ff.; Dornis/Wein 121 Penn State L. Rev. 421 ff. (2016). 183 Vgl. hierzu z.B. den Fall der Rolex-Imitation in BGH 8.11.1984 – I ZR 128/82 – GRUR 1985, 876, 878 – Tchibo/Rolex („Die … Möglichkeit, mit der billigen Nachahmung die Wirkung einer typischen Luxusuhr erreichen zu können, appelliert an das Prestigedenken der Käufer und lockt mit dem … geschaffenen Image zum Kauf an.“); überdies auch Landes/Posner S. 208 f. 184 Siehe unten Rn. 220 ff. 185 Siehe z.B. Landes/Posner S. 206 ff.; ebenso Menell/Scotchmer S. 1473, 1553–1554, in Handbook of Law and Economics, vol. II (2007); im Ergebnis auch Lemley/McKenna 109 Mich. L. Rev. 137, 176 f. (2010). 186 So wohl BGH 2.12.2004 – I ZR 30/02 – GRUR 2005, 349, 353 – Klemmbausteine III; ebenso im Anschluss z.B. Stieper WRP 2006, 291, 297.
Dornis
246
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
Diese Hypothese ist allerdings nicht empirisch belegt. Vielmehr dürfte vom Gegenteil auszugehen sein: Unter dem Stichwort der brand equity ist in der Marketingwissenschaft seit langem anerkannt, dass das Image eines Kennzeichens oder Produkts maßgeblich auf die Verbraucherentscheidung einwirkt.187
Für die Beurteilung von Tatbeständen der Ausnutzung und Beeinträchtigung im lau- 66 terkeitsrechtlichen Nachahmungsschutz folgt darum: Die nicht-irreführende Bezugnahme auf fremde Kennzeichen oder Originalprodukte wird nicht uneingeschränkt zugelassen, auch wenn ein uneingeschränkter Imitationswettbewerb im kurzfristigen Interesse der Verbraucher und Abnehmer an möglichst niedrigen Preisen läge. Stattdessen wird ein Mindestschutz für den Waren- oder Dienstleistungs-goodwill zu Gunsten des Erhalts von Exklusivität, Image, Prestige oder Ähnlichem gewährt. Die unbeschränkte Möglichkeit zur Nachahmung hätte nämlich zur Folge, dass der Anreiz zur Investition verloren ginge, in jedem Fall aber beeinträchtigt wäre. Für die Grenzziehung zwischen zulässiger und unzulässiger Nachahmung sind die beiden Zustände eines Marktversagens bei statischer und dynamischer Ineffizienz zu vergleichen.188 cc) Unter-Fallgruppen des § 4 Nr. 3 lit. b. Auf dieser Grundlage lassen sich die 67 Tatbestände des lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutzes weiter strukturieren. Für jede Fallgruppe muss eine getrennte Bilanzierung der statischen und der dynamischen Effekte erfolgen: Die Fallgruppe der „unangemessenen Ausnutzung“ der Wertschätzung des Ori- 68 ginalprodukts wird aus Fällen der Rufübertragung, Anlehnung und Aufmerksamkeitsausnutzung gebildet.189 Bei der Rufübertragung kommt es durch Nachahmung der Produktgestaltung des Originals – genauer: durch Bezugnahme auf dessen Exklusivität, Image oder Prestige – zur „Aufwertung“ der Nachahmung. Jedenfalls soweit eine Nachahmung den ausschließlichen Zweck verfolgt, sich an einen überragenden goodwill des Originals anzuhängen, dürfte sie bei ökonomischer Betrachtung als zu verhindernde technologische Externalität anzusehen sein.190 In die Fallgruppe der „unangemessenen Beeinträchtigung“ der Wertschätzung 69 des Originalprodukts fallen zunächst Konstellationen, bei denen das Angebot einer Nachahmung negativ auf die Gütevorstellungen des angesprochenen Verkehrs einwirkt.191 Dieser negative Effekt auf den goodwill des Originals kann durch einen gezielt zur Herabsetzung oder Verunglimpfung eingesetzten Vertrieb von Nachahmungen eintreten. In diesem Fall wird die Produktionsfunktion des Rechteinhabers unmittelbar durch Manipulation des goodwills beeinträchtigt.192 Es handelt sich um einen technologischen externen Effekt. Damit ist die Unzulässigkeit der Nachahmung impliziert. In der Praxis sind diese Fälle allerdings selten. Viel häufiger handelt es sich um den Vertrieb qualitativ minderwertiger Konkurrenzprodukte in der Absicht, sich an den Erfolg des Originals anzuhängen. In diesem Fall sind die relevanten Vor- und Nachteile abzuwägen. Auf der Kostenseite steht die negative Auswirkung auf die Investitionsanreizstrukturen für Hersteller von hochwertigen, vor allem wertgeschätzten Produkten.193 Gleiches
_____
187 Siehe hierzu grundlegend bereits Aaker S. 15 ff.; ders. Journal of Business Strategy 13 (1992), 27, 28 ff.; Keller Journal of Marketing 57 (1993), 1, 3 ff. 188 Für die praktischen Implikationen vgl. ausführlich Dornis/Wein ZGE 2016, 513 ff.; Dornis/Wein 121 Penn State L. Rev. 421 ff. (2016). 189 Siehe unten Rn. 220 ff. 190 Vgl. ausführlich Dornis/Wein ZGE 2016, 513 ff.; Dornis/Wein 121 Penn State L. Rev. 421 ff. (2016). 191 Siehe unten Rn. 239. 192 Vgl. hierzu instruktiv Bone 11 Intell. Prop. L. Bull. 187, 189 (2007). 193 Siehe oben Rn. 61 ff.
247
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
gilt beim Vertrieb von mit einem Originalprodukt kompatiblen Nachahmungen, die qualitativ so weit hinter dem Original zurückbleiben, dass Gebrauch oder Sicherheit des Originals beeinträchtigt werden (z.B. bei der Nachahmung von Ersatz- und Ergänzungsteilen). Vermittelt der Konsum des Originalprodukts ausschließlich oder ganz überwiegend 70 einen Nutzen in Form der sozialen Aufwertung und Abgrenzung (z.B. bei Luxusprodukten im Bereich Mode, Schmuck oder Elektronik), kann sich bereits das Angebot einer preisgünstigeren Nachahmung als solches auf die „Wertschätzung“ des Originals auswirken.194 Dies ist beim Angebot sogenannter Veblen-Güter der Fall, die dadurch gekennzeichnet sind, dass die Nachfrage trotz Preiserhöhung steigt oder umgekehrt bei sinkendem Preis nachlässt.195 Streng genommen muss es gar nicht zu einer Imageübertragung kommen. Allein die durch das Auftreten von Nachahmungen bewirkte Ausweitung des Angebots als solche beeinträchtigt die Anziehungskraft des Originals. Ob man diese Art der sozialen Nutzengewinnung und -befriedigung für rechtlich schützenswert halten soll, muss in der Tat ausführlich diskutiert werden.196 In jedem Fall ist die Entscheidung über das Für und Wider im Rahmen des Tatbestandsmerkmals der „Unangemessenheit“ einer Beeinträchtigung zu klären.197 Unter die Fallgruppe des „unangemessenen Ausnutzens“ der Wertschätzung des 71 nachgeahmten Produkts ließe sich schließlich – jedenfalls nach dem ökonomischen Modell – auch noch die verwässernde Bezugnahme auf das Original fassen. Die Begründung für einen Anspruch des Rechteinhabers zur Abwehr verwässernder Kennzeichenbenutzungen (und dies gilt dem Grunde nach auch für den UWG-Nachahmungsschutz) knüpft am Effekt einer im Zeitablauf sich verstärkenden, rückläufigen Unterscheidungskraft der kennzeichnenden Merkmale an. Infolge der Benutzung durch Dritte geht die Kennzeichnungskraft nach und nach verloren, so dass das Produkt vom Verbraucher gar nicht mehr oder zumindest nicht mehr mit der einmal vorhandenen Treffsicherheit dem Rechteinhaber zugeordnet werden kann.198 Ökonomisch gesehen führt die abnehmende Unterscheidungskraft mit der Zeit zu höheren Suchkosten,199 was wiederum die Bereitschaft der Verbraucher zur Zahlung eines höheren Geldpreises langfristig vermindert.200 Auch die Abwehr eines verwässernden Wettbewerbs durch Vertrieb von Nachahmungen dient darum der Vermeidung eines technologischen externen Effekts. In der Praxis der Gerichte begegnet die Problematik der Verwässerung nur vereinzelt und meist lediglich als zusätzliche Begründung zum Imagetransfer oder zur Behinderung.201
_____
194 Siehe unten Rn. 243. 195 Siehe z.B. besonders aufschlussreich zum Komplex der Veblen-Güter im Kennzeichen- und Lauterkeitsrecht (im US-Schrifttum) Kozinski 68 N.Y.U. L. Rev. 960 (1993); Beebe 123 Harv. L. Rev. 809 (2010); Sheff 96 Minn. L. Rev. 769 (2012). 196 Siehe z.B. kritisch Hohlweck WRP 2015, 934, 938. 197 Siehe unten zur Unangemessenheit der Beeinträchtigung Rn. 228 ff. 198 Zum Verwässerungstatbestand im Markenrecht siehe z.B. Götting § 56 Rn. 29 f.; besonders repräsentativ für die Kritik zudem z.B. Tushnet 86 Tex. L. Rev. 507, 517 ff. (2008). 199 In der ökonomischen Theorie wird dies als imagination cost bezeichnet. Siehe z.B. Landes/Posner S. 207. 200 Siehe oben Rn. 58 ff. 201 Siehe z.B. OLG Düsseldorf 2.3.2004 – I-20 U 64/03 – BeckRS 2004, 9064 Tz. 63 ff. – Hermès-Taschen („Eine … sittenwidrige Behinderung durch Rufverwässerung [kann] auch bei Erzeugnissen eingreifen, die … möglichst vollständig nachahmen wollen, das aber zu außerordentlich geringeren Preisen. Es tritt eine Art von Vualgarisierung [sic] ein.“); wohl offen gelassen in BGH 11.1.2007 – I ZR 198/04 – GRUR 2007, 795 Tz. 48 – Handtaschen; aus dem Schrifttum vgl. z.B. Schröer S. 112 ff.; zudem juris-PK/Ullmann § 4 Nr. 3 Rn. 146.
Dornis
248
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
c) Nicht informationsökonomisch begründeter Aneignungsschutz: unmittelbarer Leistungsschutz nach § 3 Abs. 1 aa) Abgrenzung. Eine genauere Betrachtung des Nachahmungsschutzes mit Blick 72 auf die Regelungszwecke – konkret: den geschützten Gegenstand – erhellt die Notwendigkeit einer weiteren Differenzierung der Fallgruppen auf der Grundlage der ökonomischen Modelle. Insoweit ist zwischen der Vermeidung einer Herkunftsverwirrung, dem Schutz des Kommunikationswerts als besonderer Fallgruppe des Aneignungsschutzes und der Abwehr genuiner Aneignung von sonstigen Leistungen eines Mitbewerbers zu unterscheiden. Jenseits des informationsökonomisch begründeten Schutzes unter § 4 Nr. 3 lit. a und lit. b202 besteht über § 3 Abs. 1 die Möglichkeit eines investitionsbezogenen und damit den Immaterialgüterrechten angenäherten Schutzes gegen Nachahmungen. Dieser Tatbestand setzt keine Herkunftstäuschung und keine unangemessene Ausnutzung oder Beeinträchtigung der Wertschätzung voraus. Es kann darum durchaus von einem „kleinen“ Immaterialgüterrecht oder einem Immaterialgüterrecht sui generis gesprochen werden.203 Die Diskussion um einen Schutz dieser Art wird in den USA unter dem Stichwort der misappropriation doctrine und des free riding geführt.204 In Deutschland stellt sich die Frage nach dem sogenannten unmittelbaren Leistungsschutz (in Abgrenzung zum mittelbaren Leistungsschutz nach § 4 Nr. 3 lit. a, b und c).205 bb) Diskussionsstand zur misappropriation doctrine und zum unmittelbaren 73 Leistungsschutz. Die im US-Schrifttum herrschende Auffassung steht der misappropriation-Doktrin (vor allem auf der Basis einer ausdrücklich ökonomisch orientierten Begründung) sehr zurückhaltend gegenüber.206 Auch im deutschen Schrifttum überwiegen die kritischen Stimmen.207 Die Rechtsprechung ist ebenfalls vorsichtig.208 Dies wird vor allem mit dem Verweis auf die vorrangige Zuständigkeit des Gesetzgebers und unter Hinweis auf die Sorge lediglich begrenzter Fähigkeiten der Gerichte begründet. Nachahmungsschutz scheitert darum in allen Fällen, in denen der Sachverhalt von Regelungen des Immaterialgüterrechts erfasst ist, aber auf Basis der sondergesetzlichen Strukturen keinen Schutz bietet. Nur so könne verhindert werden, dass Grenzen des Immaterialgüterrechts durch Ausdehnung der Nachahmungsdoktrin aufgeweicht werden.209 Für die ökonomische Betrachtung ist besonders der zweite Aspekt interessant: Hierzu wird ausgeführt, dass die Gerichte nicht sicher beurteilen könnten, ob die Einräumung einer ausschließlichen Verwertungsbefugnis und das verbundene Mono-
_____
202 Siehe oben Rn. 58 ff. 203 Vgl. z.B. auch Fock Rn. 689 ff.; Ohly GRUR 2010, 487, 494 („Charakter eines Ausschließlichkeitsrechts“); Nemeczek GRUR 2011, 292, 292 („Immaterialgüterrecht auf lauterkeitsrechtlicher Grundlage“). 204 Siehe oben Rn. 22 ff. 205 Vgl. instruktiv Ohly GRUR 2010, 487, 487 f. 206 Siehe oben Rn. 26 ff. 207 Siehe zum Meinungsbild z.B. Ohly FS Schricker S. 105, 119 ff.; Ohly GRUR 2010, 487, 491 ff.; Köhler GRUR 2010, 657, 658; Nemeczek GRUR 2011, 292 ff.; Beater Unlauterer Wettbewerb Rn. 1964 ff.; Leistner FS Pfennig S. 41, 61 f.; Ohly/Sosnitza § 3 Rn. 53. 208 Vgl. zuletzt etwa BGH 28.10.2010 – I ZR 60/09 – GRUR 2011, 436 ff. – Hartplatzhelden.de und BGH 19.11.2015 – I ZR 149/14 – GRUR 2016, 725, 728 Tz. 28 – Pippi-Langstrumpf-Kostüm II. 209 Vgl. für die deutsche Doktrin etwa Ohly FS Schricker S. 105, 119 ff.; Köhler GRUR 2010, 657, 658; Nemeczek GRUR 2011, 292 ff.; Beater Unlauterer Wettbewerb Rn. 1964 ff.; Leistner FS Pfennig S. 41, 61 f.; Schröer S. 11 ff., 33 ff.; Ohly/Sosnitza § 3 Rn. 53.
249
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
polrecht angemessen sei.210 Ein Vergleich der Diskussion in den USA und im deutschen Recht erhellt Parallelen, insbesondere die gemeinsame ökonomische Grundlage. Leistungsschutz gegen misappropriation unter der US-Doktrin soll dann zu gewäh74 ren sein, wenn die Übernahme die Gefahr entstehen lasse, den innovativen oder kreativen Erbringer der nachgeahmten Leistung in seiner Tätigkeit so gravierend zu beeinflussen, dass ein Marktaustritt zu befürchten sei. Die Argumentation zeigt sich illustrativ am SportsTrax-Fall211 und dem dort vom Second Circuit Court of Appeals formulierten Test: We hold that the surviving ‚hot-news‘ INS-like claim is limited to cases where: (i) a plaintiff generates or gathers information at a cost; (ii) the information is time-sensitive; (iii) a defendantʼs use of the information constitutes free riding on the plaintiffʼs efforts; (iv) the defendant is in direct competition with a product or service offered by the plaintiffs; and (v) the ability of other parties to free-ride on the efforts of the plaintiff or others would so reduce the incentive to produce the product or service that its existence or quality would be substantially threatened.212
Das entscheidende Element des Tests (so Richard Posner) liegt in Abschnitt (v).213 Es gehe darum, festzustellen, dass eine Nachahmung oder Übernahme fremder Leistungen für den innovativen oder kreativen Mitbewerber zu einer so problematischen Existenzoder Qualitätsgefährdung führe, dass man geradezu vom Tod der Gans sprechen müsse, die goldene Eier lege („goose that lays the golden eggs test“).214 Ein im Ansatz ähnlicher Test findet sich weniger formalisiert auch in der deutschen 76 Rechtsprechung. In der Hartplatzhelden.de-Entscheidung hielt der Bundesgerichtshof eine „Nachahmung“ vor allem unter Verweis auf das Fehlen einer Existenzgefährdung für zulässig.215 Der Württembergische Fußballverband hatte sich unter anderem mit Verweis auf eine unzulässige Leistungsübernahme gegen den Betrieb einer werbefinanzierten Online-Plattform zur Wehr gesetzt, die die Möglichkeit bietet, Ausschnitte von Filmaufnahmen von Amateur-Fußballspielen einzustellen und aufzurufen. Das Gericht sah keine Rechtfertigung für die Zuweisung einer ausschließlichen Verwertungsbefugnis. Eine solche sei insbesondere nicht erforderlich, um „ein Leistungsergebnis zu schützen, für das … erhebliche Investitionen getätigt [wurden] und dessen Erbringung und Bestand ohne diesen Rechtsschutz erheblich in Gefahr geriete.“216 Der Senat führte dabei aus: 75
Es ist nicht ersichtlich, dass durch das … Einstellen von Filmaufzeichnungen auf dem Online-Portal … die Durchführung der Fußballspiele … als solche in irgendeiner Weise beeinträchtigt würde und dass die [gerügten] Verwertungshandlungen insbesondere der Nachfrage nach den … angebotenen Fußball-
_____
210 Siehe hierzu z.B. das Minderheitsvotum von Justice Brandeis im INS-Fall: Int’l News Serv. v. Associated Press, 248 US 215, 266 (1918) (Brandeis, J., dissenting); im Anschluss ebenfalls kritisch z.B. Judge Learned Hand in Cheney Bros. v. Doris Silk Corp., 35 F.2d 279, 281 (2d Cir. 1929) („We must judge upon records prepared by litigations, which do not contain all that may be relevant to the issues, for they cannot disclose the conditions of this industry, or of the others which may be involved.“); zudem instruktiv vor allem Posner 40 Hous. L. Rev. 621, 626 ff. (2003); aus dem deutschen Schrifttum z.B. Hilty FS Ullmann S. 643, 664 ff.; Nemeczek WRP 2010, 1204, 1212 f. 211 Siehe oben Rn. 27 f. 212 Nat’l Basketball Ass’n v. Motorola, Inc., 105 F.3d 841, 845 (2d Cir. 1997). 213 Posner 40 Hous. L. Rev. 621, 632 (2003) („The meat is in (v) …“). 214 Posner 40 Hous. L. Rev. 621, 639 (2003). 215 BGH 28.10.2010 – I ZR 60/09 – GRUR 2011, 436 – Hartplatzhelden.de. 216 BGH 28.10.2010 – I ZR 60/09 – GRUR 2011, 436, 438 Tz. 25 – Hartplatzhelden.de; siehe auch BGH 19.11.2015 – I ZR 149/14 – GRUR 2016, 725, 728 – Pippi-Langstrumpf-Kostüm II; wohl auch BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – GRUR 2017, 79, 89 Tz. 96 – Segmentstruktur.
Dornis
250
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
veranstaltungen abträglich sein könnten … Es spricht auch nichts dafür, dass [die Erbringer der Ausgangsleistung] ohne die ausschließliche Zuweisung der in Rede stehenden Vermarktungsrechte nicht mehr in der Lage wären, die für die Durchführung des Spielbetriebs notwendigen Investitionen zu tätigen.217
cc) Kernproblem: Frage des Marktversagens. Der Verweis der US-Doktrin auf den 77 Anreizmechanismus ebenso wie die Argumentation des Bundesgerichtshofs mit den für die Originalleistung erforderlichen Investitionen und deren Amortisation verdeutlichen, dass es für genuinen Nachahmungsschutz um die Gefahr eines Marktversagens geht.218 Im Kern stellt sich für den unmittelbaren Leistungsschutz die aus dem ökonomischen Modell des Immaterialgüterschutzes bekannte Frage nach der Notwendigkeit eines Monopols im Interesse der Schaffung und Aufrechterhaltung dynamischer Effizienz.219 Konkret ist zu ermitteln, ob und in welchem Umfang (vor allem auch in welchem Zeitraum) der Erbringer für seine Leistung Schutz gegen Nachahmung beanspruchen kann.220 Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass es nicht in jeder Konstellation auf pekuniäre Anreize ankommen muss. Je nach Umständen kommen auch andere Aneignungs- und Entlohnungsmechanismen in Betracht. Konkret kann dies bedeuten, dass der Nachahmungsschutz in bestimmten Fällen – trotz innovativer oder kreativer Leistung – nicht gewährt zu werden braucht, weil andere Motivatoren (z.B. soziale Normen) existieren, die ein optimales Niveau der produktiven Tätigkeit auch ohne Schutz durch die Rechtsordnung gewährleisten. Zu denken ist etwa an den Schutz von Rezepten in den Berufskreisen der haute cuisine-Köche oder den Schutz von Entwürfen in der Modebranche.221 Die Frage des Marktversagens und der zu etablierenden Mechanismen ist insoweit stets für den Einzelfall zu prüfen. Allgemein gültige Regeln lassen sich über die verschiedenen Fallkonstellationen hinweg kaum formulieren.222
78
dd) Praktische Anwendung. Für die praktische Anwendung des Marktversagens- 79 Tests als Indikator für die Berechtigung eines Verlangens nach unmittelbarem Leistungsschutz im Sinne des § 3 Abs. 1 sind Vereinfachungen unvermeidlich. Insoweit ist der Skepsis gegenüber richterlichen Fähigkeiten der ökonomischen Analyse durchaus in gewissem Umfang nachzugeben. Viele in der Praxis formulierte Indikatoren stehen mit dem ökonomischen Modell in Einklang. An einigen Stellen der juristischen Doktrin und Praxis sind allerdings Klarstellungen gefordert: (1) Art der Leistung. Zum Teil wird für die Art der gegen eine Aneignung der zu 80 schützenden Leistung ein bestimmtes Maß an Innovation oder Kreativität gefordert. Leistungen seien demnach lauterkeitsrechtlich nur schutzwürdig, wenn sie einen innovativen Charakter haben und eine gewisse Leistungshöhe erreichten, jedenfalls aber neuartig seien. Nur durch Anlehnung an die jeweils auf den Fall übertragbaren sondergesetzlichen Wertungen könne die marktabschottende Wirkung eines Nachahmungs-
_____
217 BGH 28.10.2010 – I ZR 60/09 – GRUR 2011, 436, 438 Tz. 26 – Hartplatzhelden.de. 218 Vgl. etwa Karjala 94 Colum. L. Rev. 2594, 2596 ff. (1994); Ohly GRUR 2011, 439, 440; ähnlich auch Ehmann GRUR Int. 2009, 659, 664; Peukert WRP 2010, 316, 320; Büscher GRUR 2018, 1, 5 f.; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 59 f.; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 32c; aus der Rechtsprechung z.B. BGH 19.11.2015 – I ZR 149/14 – GRUR 2016, 725, 728 Tz. 28 – Pippi-LangstrumpfKostüm II. 219 Siehe oben Rn. 49 ff. 220 Zur Amortisation und lead time siehe z.B. Karjala 94 Colum. L. Rev. 2594, 2604 ff. (1994); Beater Unlauterer Wettbewerb Rn. 1965 und 1976; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 37; Büscher GRUR 2018, 1, 6. 221 Siehe oben Rn. 54 f. 222 Dies ist in der juristischen Doktrin zum Nachahmungsschutz – wenngleich nicht grundsätzlich – jedenfalls in Einzelfragen durchaus anerkannt. Vgl. z.B. zur Schutzfrist und ihrer Varianz Beater Unlauterer Wettbewerb Rn. 1977. Vgl. zudem aufschlussreich Schröer S. 365 f.
251
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
verbotes gerechtfertigt werden.223 Aus ökonomischer Perspektive darf es im Bereich des unmittelbaren Leistungsschutzes nach § 3 Abs. 1 allerdings gerade nicht auf die Art der Leistung ankommen. Darum darf auch nicht auf eine idealisierende Interpretation des Begriffs der „Leistung“ und die damit verbundene Geringschätzung des tatsächlichen Aufwands (jenseits von „Innovation“ und „Kreativität“) zurückgegriffen werden.224 Über den Wert und damit auch die Schutzwürdigkeit der Leistung entscheidet im ökonomischen Modell nämlich ausschließlich der Markt. Insoweit kann eine Leistung sowohl originäre als auch erworbene Eigenschaften aufweisen, die ihren Marktwert (und den Anreiz zur Nachahmung sowie das Potential eines Marktversagens) begründen. Nach dem ökonomischen Modell muss darum auch die Investition als solche (im Sinne des im US-amerikanischen Recht als sweat-of-the-brow bezeichneten Besitzstandes) als Schutzgegenstand in Betracht kommen.225 81
Die Irrelevanz eines Leistungshöhe-Kriteriums zeigt sich zudem beim Blick auf die Rechtsprechung. In der Hartplatzhelden.de-Entscheidung hat der Bundesgerichtshof die Schutzfähigkeit der zur Durchführung von Fußballverbandsspielen erbrachten organisatorischen Leistungen jedenfalls grundsätzlich nicht verneint. Eine besonders „innovative“ oder „kreative“ Leistung mit entsprechender „Leistungshöhe“ sucht man auf Seiten des Württembergischen Fußballverbandes allerdings vergebens. Gleiches gilt für die Sammlung von Daten für tages- oder stundenaktuelle Nachrichten, für Aktien-Indizes oder Ähnliches. Dennoch hat der Bundesgerichthof auch für den Aktienindex DAX der Deutsche Börse AG – als potentiellen Gegenstand eines Nachahmungsschutzes – das Vorliegen wettbewerblicher Eigenart jedenfalls nicht grundsätzlich abgelehnt.226 Ähnliches gilt für die von US-amerikanischen Gerichten zur sonstigen Börsen-Datenverwendung entschiedenen Fälle.227 Auch insoweit wird man bezweifeln müssen, ob die Sammlung und Verarbeitung von Börsendaten oder sonstigen Informationen für eine Annahme hinreichender Leistungshöhe ausreicht.
82
(2) Essentiell: unmittelbares Wettbewerbsverhältnis. Nach dem ökonomischen Modell sollte Schutz gegen Nachahmung nur in Betracht kommen, wenn die Beteiligten mit ihren Produkten in unmittelbarem Wettbewerb stehen.228 Bereits diese Bedingung ermöglicht es, eine Vielzahl der praktischen Fälle auszuscheiden. Dies gilt z.B. für den SportsTrax-Fall des Second Circuit Court of Appeals,229 in dem es um die Verwendung von Daten aus dem von der Klägerseite organisierten Spielbetrieb ging.230 Gleiches gilt für den Hartplatzhelden.de- und den DAX-Fall des Bundesgerichtshofs231 sowie ähnliche Fälle in den USA, wo es um die Verwendung von Informationen (in indexierter Form) zur Gestaltung von Finanzprodukten auf einem anderen Markt ging.232
_____
223 So z.B. ausdrücklich Beater Unlauterer Wettbewerb Rn. 1973 ff. (zur Leistungshöhe); wohl auch Müller-Laube ZHR 156 (1992) 480, 508; zudem z.B. Schröer S. 368 ff.; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 19; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 37 (zur Neuartigkeit); vgl. zudem zum Eigenarts-Erfordernis repräsentativ BGH 19.1.1973 – I ZR 39/71 – NJW 1973, 800, 801 – Modeneuheit. 224 Vgl. hierzu aufschlussreich auch Kur GRUR 1990, 1, 6 f. 225 So auch Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 62 („Übergang vom Leistungs- zum Investitionsschutz“); zudem Kur GRUR 1990, 1, 6 f.; Schröer S. 371 ff.; a.A. aber z.B. juris-PK/Ullmann § 4 Nr. 3 Rn. 36. 226 BGH 30.4.2009 – I ZR 42/07 – GRUR 2009, 1162, 1165 Tz. 41 – DAX. 227 Siehe oben Rn. 29 ff. 228 Vgl. hierzu z.B. Gordon 78 Va. L. Rev. 149, 238 ff. (1992). 229 Siehe oben Rn. 27 f. 230 Nat’l Basketball Ass’n v. Motorola, Inc., 105 F.3d 841 (2d Cir. 1997). 231 BGH 28.10.2010 – I ZR 60/09 – GRUR 2011, 436 – Hartplatzhelden.de; BGH 30.4.2009 – I ZR 42/07 – GRUR 2009, 1162, 1165 – DAX. 232 Vgl. hierzu auch Posner 40 Hous. L. Rev. 621, 629 (2003).
Dornis
252
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
Soweit es sich bei der Nachahmung um ein Produkt auf nachgelagerten Märkten 83 handelt, kann sich bereits keine Frage des Marktversagens auf dem Erstmarkt stellen. Natürlich kann der Erbringer der Originalleistung vortragen, an den Einnahmen aus der weiteren Vermarktung seines „Ausgangsprodukts“ interessiert zu sein. Er kann die wirtschaftliche Notwendigkeit eines Aneignungsanspruchs aber in der Regel kaum belegen, falls er nicht ebenfalls auf dem Zweitmarkt aktiv ist oder Vorbereitungen für eine Aktivität getroffen hat. Aufgrund der unterschiedlichen Märkte kann die Tätigkeit des „Nachahmers“ auf dem Zweitmarkt den Investitions- und Anreizmechanismus auf dem Erstmarkt nicht beeinflussen.233 Nicht überraschend lehnte der Bundesgerichtshof den Nachahmungsschutz darum auch in der Pippi-Langstrumpf-Kostüm-II-Entscheidung ab: ein Schutz nach § 3 Abs. 1 war nicht erforderlich, soweit es um den Schutz einer Leistung der Klägerin im Bereich des Merchandising ging.234 In dieser Hinsicht stand neben dem Schutz nach Marken- und Designrecht nämlich auch und vor allem § 4 Nr. 3 zur Verfügung. (3) Subjektiver Tatbestand: „Schmarotzen“ und ähnliche Unlauterkeitsmerk- 84 male. Zudem ist festzustellen, dass der subjektive Tatbestand auf Seiten des Nachahmers im ökonomischen Modell nicht die in der juristischen Doktrin teilweise immer noch betonte Bedeutung hat. Vor allem die frühe Praxis ist aufschlussreich: so impliziert die Terminologie des „Schmarotzens“ oder des „parasitischen Wettbewerbs“ sowie der „Aneignung“ ebenso wie der Hinweis auf die „Früchte eigener Arbeit“ stets ein subjektives Element unlauterer Gesinnung auf Seiten des Nachahmers.235 Bei ökonomischer Betrachtung kommt es allerdings ausschließlich auf das Funktionieren der Investitions- und Anreiz-Mechanismen auf Seiten des Leistenden an. Ob und in welchem Maße der (potentielle) Verletzer die Absicht einer Schädigung des Mitbewerbers, einer Bereicherung oder Aneignung hat, spielt keine Rolle.236 Allerdings hat das subjektive Element einer „Nachahmungsabsicht“ insoweit Bedeu- 85 tung, als es im Prozess den Nachweis einer tatsächlichen Auswirkung auf Investitions- und Anreizmechanismen erleichtern kann. Unterstellt man dem Nachahmer ein ökonomisch rationales Verhalten, muss davon ausgegangen werden, dass die beanstandete Nachahmung – soweit sie absichtlich oder wissentlich erfolgt – jedenfalls auch
_____
233 Gordon 78 Va. L. Rev. 149, 244 (1992); Posner 40 Hous. L. Rev. 621, 630 (2003); im Anschluss auch GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 35. 234 BGH 19.11.2015 – I ZR 149/14 – GRUR 2016, 725, 728 Tz. 27 – Pippi-Langstrumpf-Kostüm II. 235 Vgl. hierzu z.B. allgemein Gordon 78 Va. L. Rev. 149, 166 ff. (1992); kritisch über „diffuse ‚ethische‘ Topoi“ im deutschen Schrifttum etwa Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 22; zudem auch Kur GRUR 1990, 1, 3; Müller-Laube ZHR 156 (1992) 480, 486 f.; Beater Nachahmen im Wettbewerb S. 344 ff.; Hohlweck WRP 2015, 934, 940 f.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.66; aus der frühen deutschen Praxis siehe z.B. RG 7.4.1910 – VI 344/09 – RGZ 73, 294, 298 – Schallplatten („Ein solches Vorgehen, das die Klägerin um die Früchte ihrer eigenen Arbeit bringt, und das das Berufungsgericht zutreffend als ein zu Erwerbszwecken erfolgtes Bekämpfen der Klägerin mit ihren eigenen Waffen bezeichnet, verstößt … gegen die guten Sitten des anständigen Geschäftsverkehrs.“); RG 23.2.1934 – II 266/33 – RGZ 144, 41, 45 – Hosenträger („Absicht der Täuschung der beteiligten Verkehrskreise durch bewußte Irreführung über die Herkunft …“ muss als besonderer Umstand zur Begründung der Sittenwidrigkeit hinzutreten). 236 Treffend und repräsentativ für das moderne Schrifttum z.B. Müller-Laube ZHR 156 (1992) 480, 487 („Da sich Güterproduktion stets planmäßig und Wettbwerb schlechthin zielstrebig vollzieht, erscheint das Verdikt als Ausdruck einer unbegründeten und letztlich willkürlichen Aufhebung des vorab aufgestellten Postulats von der allgemeinen Nachahmungsfreiheit.“). Zudem ökonomisch Dornis/Wein ZGE 2016, 513, 552; Dornis/Wein 121 Penn State L. Rev. 421, 465 f. (2016). Zum ökonomischen Modell siehe zudem oben Rn. 48 ff.
253
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
tatsächlichen wirtschaftlichen Erfolg und damit die befürchteten negativen Auswirkungen auf die Investitions- und Anreizmechanismen hat.237 (4) Abwägung im Anreizmodell: Kontinuum statt Extrempunktbetrachtung. Auch ist zu berücksichtigen, dass es (anders als es die teilweise vereinfachenden Testformulierungen in der Praxis implizieren) keinesfalls darum geht, ob die Nachahmung für den Erbringer der Originalleistung zu einem Marktaustritt führt oder ob ein solcher als Konsequenz droht. Die ökonomische Frage lautet vielmehr, ob die Zulässigkeit der Nachahmung – im Vergleich zu einem Zustand bei lauterkeitsrechtlichem Verbot – im Hinblick auf die Wohlfahrtseffekte zu bevorzugen ist. Insoweit verbietet sich eine Schwarz-Weiß-Betrachtung.238 Anders gewendet: Allein die Tatsache, dass die Nachahmung für die Originalleistung nicht zu einem vollständigen Scheitern führen würde, darf nicht zur Schlussfolgerung verleiten, dass es zulässig sein sollte, das Originalprodukt nachzuahmen. Eine Betrachtung der Vor- und Nachteile darf nicht nur in Erwägung ziehen, wem der Aneignungswert dem Grunde nach zugewiesen werden muss. Es geht immer auch um die Frage des genauen Umfangs dieser Zuweisung. Insoweit sind durchaus Lösungen denkbar, die den Aneignungswert zwischen den Beteiligten „aufteilen“. Allein der Verweis auf die Komplexität dieser Analyse darf jedenfalls nicht dazu führen, dass nur Extremfälle erfasst werden oder die Doktrin vollständig aufgegeben wird.239 Die Praxis verschafft diesem Zusammenhang übrigens in zahlreicher Hinsicht Gel87 tung. Im Hinblick auf eine im Umfang lediglich begrenzte Einschränkung der Nachahmung zeigt sich die Feinjustierung etwa daran, dass ein sklavisches Nachahmen durch unmittelbare Übernahme unzulässig, die Nachahmung aber auf andere, weniger „unmittelbare“ Art und Weise zulässig sein kann. Für die lediglich im Zeitraum begrenzte Nachahmung kann auf die (jedenfalls vor Inkrafttreten des design- und geschmacksmusterrechtlichen Sonderschutzregimes) im deutschen wie im US-amerikanischen Recht diskutierten Beispiele für den Schutz für Modeneuheiten innerhalb der ersten Saison verwiesen werden.240
86
88
Deutlich erkennbar ist die Abwägung zudem in der Analyse des Southern District Court of New York – als erste Instanz im Barclays Capital-Fall.241 Anders als der Appellate Court ging der District Court von einer unzulässigen misappropriation aus, begrenzte den Schutz der Kläger durch die Untersagung der Informationsverwendung aber auf einen Zeitraum von eineinhalb Stunden nach Börsenöffnung. Das Gericht verwies dabei auf den für Immaterialgüterrechte typischen ökonomischen Investitions- und Anreizmechanismus und betonte, dass die Zusammenhänge auch für Fragen der misappropriation gelten: [T]he purpose of the INS tort, like the traditionally accepted goal of intellectual property law more generally, is to provide an incentive for the production of socially useful information without either un-
_____
237 So auch zutreffend Hohlweck WRP 2015, 934, 941 („Nach einer alten Weisheit tut ein Kaufmann nichts ohne Grund …“). 238 So auch ausdrücklich Posner 40 Hous. L. Rev. 621, 637 f. (2003). 239 Wohl aber im Ergebnis Posner 40 Hous. L. Rev. 621, 638 (2003) („… quantification is infeasible and we are stuck with a doctrine of irreducible vagueness – if we retain it.“); hingegen zutreffend (dogmatisch begründet) im deutschen Schrifttum z.B. Sack WRP 2017, 7, 9. 240 Vgl. z.B. Epstein 111 Colum. L. Rev. Sidebar 79, 85 f. (2011); zum deutschen Recht vgl. z.B. BGH 19.1.1973 – I ZR 39/71 – GRUR 1973, 478 – Modeneuheit; zur zeitlichen Überholung der Fallgruppe durch den Design- und Geschmacksmusterschutz siehe zudem Ohly GRUR 2010, 487, 493; zur Aufgabe der Modeneuheiten-Doktrin vgl. BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – GRUR 2017, 79, 89 Tz. 96 – Segmentstruktur. Zudem unten Rn. 258. 241 Siehe oben Rn. 29 f.
Dornis
254
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
der- or over-protecting the efforts to gather such information. A balance must be struck between establishing rewards to stimulate socially useful efforts on the one hand, and permitting maximum access to the fruits of those efforts to facilitate still further innovation and progress on the other.242 Im Ergebnis lehnte das Gericht sowohl eine besonders kurze als auch eine besonders lange, mehrstündige Sperre (jeweils gerechnet vom Zeitpunkt der Börsenöffnung) ab. Bei zu kurzer Sperre sei der Anreiz zur Investition in die Organisation und Arbeit zur Erstellung qualitativ hochwertiger Informationsprodukte zu gering. Schließlich müsse ein ausreichender Zeitraum bleiben, in dem die Exklusivität der Informationen für wichtige Kunden erhalten bleibe.243 Zugleich gehe eine mehrstündige Sperre zu weit, weil die im Verlauf des späteren Vormittags (und damit einige Stunden nach Börsenöffnung) kontaktierten Kunden nicht mehr in gleichem Maße wie die frühen Kunden auf die Exklusivität der Informationen Wert legten.244
(5) Neukonzeption: Richterrechtliches Modell flexibler Standards. Die Gesamt- 89 betrachtung erhellt, dass im deutschen Recht sowohl mit Blick auf den Nachahmungsschutz nach § 4 Nr. 3 lit. b als auch auf unmittelbaren Leistungsschutz nach § 3 Abs. 1 eine überwiegend statische Vorstellung der Schutzprinzipien und -mechanismen dominiert. Mit der Zurückhaltung gegenüber richterrechtlichen Lösungen wird zunächst zum Ausdruck gebracht, dass in institutioneller Hinsicht der Gesetzgeber der überlegene und darum zu bevorzugende Normgeber sei.245 Damit einher geht die Vermutung, bei Fehlen ausdrücklich statuierter Immaterialgüterrechte sei UWG-Schutz zu verweigern. Zugleich wird impliziert, dass ein universell (oder nahezu universell) gültiger Balancepunkt für die Wohlfahrtsmaximierung gefunden werden könne und müsse.246 Sowohl der Vorrang gesetzgeberischer Gestaltung als auch die Vorstellung allgemein verbindlicher Lösungen sind allerdings für die theoretische Erfassung und für die praktische Umsetzung unglücklich. Zunächst stellt sich die Frage nach den institutionellen Alternativen für die Ent- 90 scheidungszuständigkeit.247 Zwar wird vertreten, dass der parlamentarische Gesetzgeber eher der Gefahr einer Vereinnahmung durch kleine und gut organisierte Interessengruppen – und damit typischerweise Rechteinhabern (und Originalherstellern) – ausgesetzt ist als die Gerichte.248 Die Geschichte des Urheberrechts ist reich an derartigen Beispielen.249
_____
242 Barclays Capital Inc. v. Theflyonthewall.com, 700 F. Supp. 2d 310, 344 (S.D.N.Y. 2010), rev’d in part sub nom. Barclays Capital Inc. v. Theflyonthewall.com, Inc., 650 F.3d 876 (2d Cir. 2011). 243 Barclays Capital Inc. v. Theflyonthewall.com, 700 F. Supp. 2d 310, 344 (S.D.N.Y. 2010), rev’d in part sub nom. Barclays Capital Inc. v. Theflyonthewall.com, Inc., 650 F.3d 876 (2d Cir. 2011) („The Firms engage in hours of effort, beginning at 8:00 a.m., to reach certain key clients and communicate their Recommendations. The Firms must have some significant amount of time to reach those clients and for those clients to be in a position to trade on that information by placing and executing orders through the Firms. Any injunction that does not include a period after the opening of trading will in all likelihood interfere with the incentive of the clients to place their trades through the Firms.“). 244 Besonders interessant sind dabei die für eine Marginalbetrachtung charakteristischen Ausführungen: „The Court declines to provide relief beyond that minimum level of protection necessary to ensure that a socially valuable product is not driven out of the market through unfair competition.“ Barclays Capital Inc. v. Theflyonthewall.com, 700 F. Supp. 2d 310, 346–47 (S.D.N.Y. 2010), rev’d in part sub nom. Barclays Capital Inc. v. Theflyonthewall.com, Inc., 650 F.3d 876 (2d Cir. 2011). Zur ökonomischen Betrachtung der Schutzfristbegrenzung siehe auch ausführlich Weihrauch S. 275 ff. 245 Vgl. auch oben Rn. 26. 246 Siehe oben Rn. 53. 247 Vgl. hierzu Posner 40 Hous. L. Rev. 621, 639 ff. (2003); zum deutschen Recht z.B. Peukert WRP 2010, 316 ff. 248 Zum Zusammenhang von Gruppengröße und der Aussicht auf Monopolrenten siehe vor allem von Wangenheim S. 78 ff. 249 Siehe z.B. illustrativ Ramello Pelle Sub Agnina Latitat Mens Saepe Lupina – Copyright in the Marketplace, Liuc Papers n. 141, Serie Economia e Impresa, 35 (02/2004), 14 ff.
255
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
Auch für die Ausdehnung des gesetzlichen Sonderschutzes in die Graubereiche der misappropriation doctrine sind vergleichbare Entwicklungen beschrieben.250 Der parlamentarische Gesetzgeber kann darum bereits mit Blick auf die grundsätzliche Eignung keinesfalls generell als der überlegene Normgeber angesehen werden. Als ebenso problematisch erweist sich die Vorstellung, es sei möglich, im Rahmen 91 gesetzlicher Regeln universell und langfristig gültige Maßstäbe für die Abgrenzung von „Eigentum“ und „Wettbewerb“ zu verankern. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall: die im Modus parlamentarischer Abläufe geschaffenen Regelwerke tendieren immer zum Paradigma einer one-size-fits-all-Lösung. Diese widerspricht der Heterogenität und Fluktuation der realen Marktplätze und ihrer Rahmenbedingungen aber eklatant.251 Für den Bereich des Nachahmungsschutzes präsentiert sich das Problem im Vergleich zu anderen Bereichen des Immaterialgüterrechts zudem in verschärfter Form: Hier ist eine zunehmende Ausfaserung der einst klaren Trennlinien zwischen den Bereichen des Urheber-, Patent-, Geschmacksmuster- und Design- sowie Kennzeichenrechts festzustellen. Mangels Flexibilität des traditionellen sondergesetzlichen Schutzes in den Randbereichen wurden in den letzten Jahrzehnten (getrieben von technologischen und sozialen Umbrüchen) immer wieder unsystematische Erweiterungen und Ergänzungen in Kraft gesetzt. Der Schutz für Datenbanken, ausübende Künstler, Tonträger, Sendeunternehmen und Software sind nur einige Beispiele.252 Diese „neuen“ Immaterialgüterrechte sind von einer treffsicheren Regulierungslösung aber teilweise weit entfernt. Auf diese Situation muss in mehrfacher Hinsicht reagiert werden. Alle Argumente 92 sprechen dabei zunächst für die Beibehaltung einer flexiblen richterrechtlichen Doktrin des UWG-Nachahmungsschutzes. Zunächst gilt wie für das Immaterialgüterrecht auch für den lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutz, dass sich die juristische Doktrin vorrangig in kleinen Schritten entwickeln sollte. Dies verlangt es, die Normschaffung auf die Ebene der Gerichte zu verlagern. Selbstverständlich entfällt die Möglichkeit gesetzlicher Reformen hierdurch keinesfalls. Allzu weitreichende Neukonzeptionen im Detail sind aber zu vermeiden. 93
Dies gilt insbesondere für eine Ergänzung des Immaterialgüterrechts in den Grenz- und Randbereichen. Die Entscheidungsgrundlagen des Gesetzgebers werden mit zunehmender Entfernung vom Status quo schnell unsicher. Je weitreichender die Abwendung von einem bestehenden Rechtszustand, desto weniger gesicherte Informationen über mögliche Auswirkungen der Rechtsänderung liegen vor. Umso mehr steigt das Risiko gesetzgeberischer „Fehlentscheidungen“. In dieser Hinsicht ist besonders zu beachten, dass die Tätigkeit des parlamentarischen Gesetzgebers in untrennbarem Zusammenhang mit der Rechtsprechung steht. Die Rechtspraxis schafft die Grundlagen für ein Tätigwerden des Parlaments: Je mehr Gelegenheit zur „Vorarbeit“ ein vorsichtiger Gesetzgeber der Rechtsprechung (und der Wissenschaft) einräumt, desto zielgenauer und risikoloser kann er darauf aufbauend den mit der Zeit gewachsenen Befund der Praxis nachjustieren.253
94
Besonders treffend erfasst diesen Zusammenhang die bereits von Eugen Ulmer im Verhältnis zum Urheberrecht beschriebene „Schrittmacherfunktion“ des ergänzen-
_____
250 Vgl. Posner 40 Hous. L. Rev. 621, 640 f. (2003). 251 Vgl. allgemein Dornis IPQ 2018, 159, 166 ff.; Dornis ZGE 2018, 341, 349 ff.; speziell zum lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutz zudem Kur GRUR 1990, 1, 2 („alles-oder-nichts-Prinzip“); ebenso z.B. Schröer S. 215 f.; zur misappropriation doctrine in den USA z.B. Karjala 94 Colum. L. Rev. 2594, 2607 (1994); Reichman 94 Colum. L. Rev. 2432, 2443 (1994). 252 Zur Auflösung einst klarer Grenzziehungen und der zunehmenden Ausfaserung siehe z.B. Reichman 94 Colum. L. Rev. 2432, 2501 (1994). 253 Georgakopoulos Int. Rev. Law & Econ. 17 (1997), 475, 481.
Dornis
256
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
den wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes.254 Das Lauterkeitsrecht kann dabei durchaus als „Werkbank“ für den Immaterialgüterschutz verstanden werden. Eine Implementierung in sondergesetzliches Recht sollte allerdings stets erst nach der praktischen Erprobung in der Rechtsprechung erfolgen.255 Mit Blick auf die Art der für eine Diversifikation und Flexibilisierung geforderten 95 Normen ist schließlich ein Vorrang flexibler Standards vor meist nur scheinbar klaren Regeln gefordert. Unter einer „Regel“ wird eine Rechtsnorm verstanden, die das Ergebnis bereits im Vorfeld (ex ante) vollständig oder weitgehend festlegt. Ein „Standard“ soll dagegen eine Festlegung der Ergebnisse für die zu beurteilenden Fragen erst im Nachhinein ermöglichen (ex post).256 Die Abgrenzung ist fließend. Jede Regel eröffnet dem Rechtsanwender ein gewisses Maß an Beurteilungsspielraum. Ebenso sind auch bei einer Anwendung von Standards bestimmte Grenzen der Anwendung klar gezogen.257 Dennoch ist die richterliche Freiheit der Gestaltung bei Konkretisierung eines offenen Standards größer als bei Anwendung einer streng ausdifferenzierten Regel.258 Eben dies gilt auch für die in der Entwicklung offenen Fallgruppen des ergänzenden Leistungsschutzes: ein System flexibler Je-desto-Kriterien ermöglicht hier die Anpassung an die jeweiligen Umstände des Einzelfalls.259 Anders als eine schrittweise „Aufstockung“ der gesetzlichen Immaterialgüterordnung durch stetige Erweiterung vorhandener Paradigmen in häufig lediglich grobmechanischer Anpassung an die Besonderheiten der realen Marktplätze (als Beispiel kann etwa auf die als zu lang kritisierte Schutzdauer für Datenbanken verwiesen werden)260 drängt sich die flexible Gestaltung durch Richterrecht förmlich auf. Letztlich mag es zutreffen, dass die breite Ausdehnung der immaterialgüterrechtli- 96 chen Sonderschutzrechte mittlerweile nur noch wenig Spielraum für den von den Gerichten geschaffenen, lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutz lässt.261 Hieraus zu folgern, aus Sicht der ökonomischen Analyse sei eine „Austrocknung“ des unmittelbaren Leistungsschutzes (wenn auch vielleicht keine Aufgabe) als Richtlinie für künftige Entscheidungen indiziert, geht allerdings zu weit.262 Die Fallgruppen des Nachahmungsschutzes sind Teil des Gesamtgefüges von Immaterialgüter- und Lauterkeitsrecht – und zwar das verbindende Element auf der Schnittstelle, welches insbesondere in Zeiten technologischer, sozialer und wirtschaftlicher Umbrüche zum Einsatz kommt. Langfristig kann darum kein Abgesang erfolgen.263
_____
254 Siehe Ulmer Urheber- und Verlagsrecht S. 40; im Anschluss z.B. auch Ehmann GRUR Int. 2009, 659, 661; Ohly GRUR 2010, 487, 489 und passim.; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 17; ähnlich zudem Müller-Laube ZHR 156 (1992) 480, 495 f.; ablehnend aber z.B. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.5c. 255 Vgl. hierzu auch plastisch Müller-Laube ZHR 156 (1992) 480, 495 f. („Hier hatte das Wettbewerbsrecht – verwaltet durch die Judikative – einen immaterialgüterrechtlichen Sonderschutz etabliert, den die Legislative später nur festgeschrieben hat.“); kritischer Kur GRUR 1990, 1, 15 („Übergangs- und Notlösung“). 256 Siehe z.B. Kaplow 42 Duke L. J. 557, 568 ff. (1992); Sunstein 83 Cal. L. Rev. 953, 972 (1995). Eine begriffliche Unterscheidung ähnlicher Art findet sich z.B. auch in Alexy S. 71 ff.; zuvor ebenso Esser S. 93 ff. 257 Sunstein 83 Cal. L. Rev. 953, 984 (1995). 258 Vgl. hierzu ausführlich Dornis IPQ 2018, 159, 174 ff.; Dornis ZGE 2018, 341, 363 ff. 259 So im Ergebnis auch Kur GRUR 1990, 1, 2 f.; vgl. zudem Beater Nachahmen im Wettbewerb S. 394 f.; Fezer WRP 2008, 1, 9; Körner FS Ullmann S. 701, 714; Schröer S. 310 ff. 260 Vgl. hierzu GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 37. 261 Vgl. z.B. Peifer GRUR-Prax 2011, 181; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 38. 262 A.A. Wiebe FS Schricker S. 773, 781; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 32; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 39; kritisch insoweit allerdings z.B. auch Schröer S. 216 f. 263 Zum Verhältnis der Bereiche siehe unten Rn. 106 ff.
257
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
97
d) Sondertatbestand: Verlängerter Geheimnisschutz nach § 4 Nr. 3 lit. c. Wurden die für die Nachahmung erforderlichen Kenntnisse oder Unterlagen unredlich erlangt, untersagt § 4 Nr. 3 lit. c das Anbieten der nachgeahmten Produkte. Dieser Tatbestand knüpft an die Regeln zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen an. Das ökonomische Modell dieses Tatbestandes basiert nicht unmittelbar auf dem Konzept des „Eigentums“ an Informationen.264 Geheimnisse dieser Art sind auch nicht Gegenstand eines Immaterialgüterrechts.265 Ebenso lässt sich kein informationsökonomischer Zweck des Verwertungsverbots feststellen. Die Struktur der bislang geltenden §§ 17 ff. und der nun geltenden §§ 1 ff. GeschGehG266 ähnelt viel eher delikts- und vertragsrechtlichen Verhaltensverboten. Der Geheimnisinhaber wird dabei in einer lediglich faktischen Position gegen bestimmte Angriffshandlungen geschützt.267 Allerdings formuliert auch das Modell zum Geheimnisschutz einen Anreizmechanismus. Dabei wird auf den Gedanken der Investitionsförderung durch ein angemessenes rechtliches Schutzniveau verwiesen.268 Der Sache nach geht es um die Abwägung von Vor- und Nachteilen der Gewährung oder Versagung von quasi-deliktischem Schutz mit Blick auf daraus resultierende Innovationsanreize oder -hemmnisse.269 Die Vorschrift des § 4 Nr. 3 lit. c dient der Absicherung der ökonomischen Ratio mit 98 Blick auf die dem eigentlichen „Diebstahl“ nachgelagerte Stadien des Vertriebsprozesses. Der Nachahmungsschutz verlängert das Verbot des Verrats von Geheimnissen im Sinne einer fruit of the poisonous tree-Doktrin in den Bereich der Marketing- und Absatzaktivitäten. Zwangsläufig muss darum für die Feststellung, ob eine „Nachahmung“ im Sinne der Vorschrift vorliegt, an die Frage der „Unredlichkeit“ der Erlangung von Kenntnissen oder Unterlagen angeknüpft werden.270
_____
264 Landes/Posner S. 354 f.; zuvor bereits Friedman/Landes/Posner J. Econ. Perspectives 5 (1991), 61 ff. 265 Siehe z.B. Erwägungsgründe 1 und 2 der Richtlinie (EU) 2016/943 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung, 15.6.2016, ABl. EU, L 157/1; zudem Ann GRUR 2007, 39, 43; Ohly/Sosnitza Vor §§ 17–19 Rn. 3; vgl. aber auch BGH 18.2.1977 – I ZR 112/75 – GRUR 1977, 539, 543 – Prozessrechner; BGH 25.1.1955 – I ZR 15/33 – GRUR 1955, 388, 390 – Dücko. 266 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/943 zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung, Bundestags-Drucks. 19/4724 (4.10.2018). Siehe ausführlich unten Rn. 244 ff. 267 Vgl. nur BTDrucks. 19/4724, S. 20 („Unterschiede zu den Immaterialgüterrechten bestehen insofern, als der Schutz von Geschäftsgeheimnissen von der tatsächlichen Geheimhaltung der Information abhängt und keine besondere Qualität der Informationen für den rechtlichen Schutz erforderlich ist.“) sowie S. 26; zudem Ohly/Sosnitza Vor §§ 17–19 Rn. 3; für das US-Recht z.B. Samuelson/Scotchmer 111 Yale L.J. 1575, 1582 f. (2002); Landes/Posner S. 355; überdies E. I. duPont deNemours & Co. v. Christopher, 431 F.2d 1012, 1014 (5th Cir. 1970). 268 So z.B. besonders instruktiv in den Erwägungsgründen 2 und 4 der Richtlinie (EU) 2016/943 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung, 15.6.2016, ABl. EU, L 157/1; zudem aus dem Schrifttum z.B. Ohly/Sosnitza Vor §§ 17–19 Rn. 4; Alexander WRP 2017, 1034, 1035. 269 Vgl. hierzu ausführlich Samuelson/Scotchmer 111 Yale L.J. 1575, 1585 ff. (2002); zudem Landes/Posner S. 359 f.; schließlich auch ausdrücklich in Erwägungsgrund 9 der Richtlinie (EU) 2016/943 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung, 15.6.2016, ABl. EU, L 157/1. 270 Siehe unten Rn. 249 ff.
Dornis
258
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
V. Geschützte Interessen und Normzwecke 1. Allgemeines. Die Vorschrift des § 4 Nr. 3 UWG steht in einem Spannungsver- 99 hältnis zum Immaterialgüterrecht. Der Schutz für Gegenstände des Immaterialgüterrechts wird nur unter bestimmten formalen und materiellen Voraussetzungen und überdies in den meisten Fällen nur zeitlich begrenzt gewährt. Außerhalb der Bereiche sondergesetzlichen Immaterialgüterschutzes soll der Grundsatz der Nachahmungsfreiheit gelten, wonach sich jeder grundsätzlich frei an den Ergebnissen innovativer und kreativer Schaffenskraft anderer soll bedienen können.271 In der juristischen Doktrin wird die Nachahmungsfreiheit zunächst als Grundlage des sogenannten Innovationswettbewerbs erklärt: Jede innovative (und kreative) Weiterentwicklung sei darauf angewiesen, frei auf den Bestand bereits vorhandener Leistungen zugreifen zu können. Nur bei möglichst freiem Zugriff könne ein Erstarren der Fortentwicklung verhindert werden. Zudem sei auch der sogenannte Imitationswettbewerb eine Konsequenz der Nachahmungsfreiheit und im Interesse der Allgemeinheit grundsätzlich frei zuzulassen. Selbst bei einer reinen Imitation (ohne Innovation oder Kreativität) profitiere der Wettbewerb, weil der imitierende Mitbewerber jedenfalls zu einem Sinken der Preise zu Gunsten der Verbraucher und Abnehmer beitrage.272
100
Der Blick auf die Bedeutung der Nachahmungsfreiheit erhellt, dass Schutz nach 101 UWG nur in Sachverhalten erfolgen kann, die außerhalb des Anwendungsbereichs der sondergesetzlichen Tatbestände liegen. Ein Nachahmungsverbot darf sich zudem nicht in Widerspruch zu den Wertungen der Sonderschutzrechte setzen. Soweit diese den Schutz für bestimmte Sachverhalte gezielt ausschließen, darf das UWG nicht zur Anwendung kommen.273 Andernfalls droht die Gefahr einer überschießenden Einengung des freien Wettbewerbs durch Richterrecht.274 Zudem kann Nachahmungsschutz auch außerhalb des Bereichs des Sonderrechtsschutzes nur unter sorgfältiger Abwägung der Konsequenzen für den Wettbewerb erfolgen. Diese Einschränkung zeigt sich zunächst an der engen Fassung der Einzeltatbestände des § 4 Nr. 3 UWG. Allen Tatbeständen gemein ist die Tatsache, dass das Gesetz zumindest nach dem Wortlaut lediglich ein bestimmtes Verhalten im Wettbewerb untersagt, nicht aber das Leistungsergebnis als solches schützt.275 Im Schrifttum wird jedoch seit langem zutreffend die Annäherung des Schutzes nach § 4 Nr. 3 an die Immaterialgüterrechte beschrieben. So ist insbesondere die Verwirklichung der Tatbestände des § 4 Abs. 3 lit. a und lit. b in erheblichem Umfang von der Qualität der Originalleistung (etwa in Bezug auf den Herkunftshinweis oder in Form der Wertschätzung) abhängig.276 Insoweit ist zutreffend von einem immaterialgüterrechtlichen Charakter des Leistungsschutzes nach § 4 Nr. 3 die
_____
271 Vgl. Begr. RegE UWG 2004, BTDrucks. 15/1487, S. 18 f.; zudem z.B. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.3; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 21. Zur Kritik des „Grundsatzes der Nachahmungsfreiheit“ siehe unten Rn. 109 ff. 272 Siehe z.B. BGH 2.7.1969 – I ZR 118/67 – GRUR 1969, 618, 620 – Kunststoffzähne; BGH 8.11.2001 – I ZR 1999/99 – GRUR 2002, 275, 276; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 21; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/2. 273 Siehe bereits RG 7.4.1910 – VI 344/09 – RGZ 73, 294, 296 f.; instruktiv auch Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 5. 274 Siehe z.B. BGH 2.12.2004 – I ZR 30/02 – GRUR 2005, 349, 352 – Klemmbausteine III; Harte/Henning/ Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 5; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/2. 275 Vgl. z.B. BGH 28.5.2009 – I ZR 124/06 – GRUR 2010, 80 Tz. 18 – LIKEaBIKE; BGH 12.5.2011 – I ZR 53/10 – GRUR 2012, 58 Tz. 41 – Seilzirkus; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/3. 276 Vgl. instruktiv Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 15.
259
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
Rede.277 Dies gilt in noch stärkerem Maße für den unmittelbaren Leistungsschutz nach § 3 Abs. 1.278 102
2. Interessen. Als übergeordnete und alle Tatbestände umfassende Ratio des § 4 Nr. 3 wird allgemein der Schutz der Individualinteressen der Mitbewerber beschrieben.279 Mit dem Schutz der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit gegen die in den einzelnen Tatbeständen detailliert normierten Varianten eines nachahmenden Fehlverhaltens soll allerdings zugleich auch dem Allgemeininteresse an einer angemessenen Balance zwischen Innovations- und Imitationswettbewerb gedient sein.280 Insgesamt sei mit der Verhinderung unlauterer Nachahmungen schließlich auch Investitionsschutz für unternehmerische Leistungen garantiert. Dies sei ebenfalls ein Regelungszweck im Allgemeininteresse.281
3. Einzelne Tatbestände. Die erste Tatbestandsalternative in § 4 Nr. 3 lit. a dient dem Schutz gegen Verwechslungen und damit dem Schutz der Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer vor einer Zuordnungsverwirrung im Hinblick auf die betriebliche Herkunft einer Ware oder Dienstleistung.282 Nach mittlerweile ganz überwiegender Ansicht darf die Norm vor dem Hintergrund des europäischen Rechts allerdings nicht als besonderer Irreführungstatbestand verstanden werden. Mit der ausdrücklichen Umsetzung des Art. 6 Abs. 2 lit. a UGP-RL in § 5 Abs. 2 sei diese Notwendigkeit entfallen.283 Der Schutz der Ursprungsidentität ist nach überwiegender Ansicht darum lediglich als Schutzreflex zu Gunsten der Verbraucher und Abnehmer anzusehen.284 Die zweite Tatbestandsalternative in § 4 Nr. 3 lit. b dient dem Schutz der Wert104 schätzung und damit neben dem guten Ruf auch dem Image, der Exklusivität oder ähnlichen Eigenschaften einer Leistung. Umfassend beschreiben lässt sich dieser Schutzzweck, wie beim Schutz gegen eine Zuordnungsverwirrung, als einen ebenfalls auf die Information von Verbrauchern und Abnehmern bezogenen Schutzgegenstand. Im Unterschied zu § 4 Nr. 3 lit. a geht es allerdings nicht um die Navigation im Markt, sondern um einen sich aus der Kennzeichnungskraft eines Produkts ergebenden Mehrwert. Im US-amerikanischen Recht findet sich dieser Mehrwert korrelierend in der Figur des goodwill.285 In der Tatbestandsalternative nach § 4 Nr. 3 lit. c geht es schließlich um den Schutz 105 von Geheimnissen. Der Schutzzweck ist nicht auf die Kommunikation mit Verbrau103
_____
277 Siehe z.B. Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 14 ff.; Keller FS Erdmann S. 595 ff.; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/3. 278 Siehe oben Rn. 72 ff. 279 Vgl. z.B. BGH 24.3.1994 – I ZR 42/93 – BGHZ 125, 322 = GRUR 1994, 630, 634 – Cartier-Armreif; BGH 24.5.2007 – I ZR 104/04 – GRUR 2007, 984 Tz. 23 – Gartenliege; BGH 28.5.2009 – I ZR 124/06 – GRUR 2010, 80 Tz. 17 – LIKEaBIKE; BGH 2.12.2015 – I ZR 176/14 – GRUR 2016, 730 Tz. 21 – Herrnhuter Stern; Sack WRP 2017, 650, 650; Schröer S. 186 ff.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.2; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 5; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/4; kritisch aber z.B. auch Münker FS Ullmann S. 781, 784 ff. 280 Vgl. z.B. BGH 24.2.2005 – I ZR 101/02 – BGHZ 162, 246, 252 = GRUR 2005, 519, 520 – Vitamin-ZellKomplex; BGH 24.5.2007 – I ZR 104/04 – GRUR 2007, 984 Tz. 23 – Gartenliege; BGH 2.12.2015 – I ZR 176/14 – GRUR 2016, 730 Tz. 21 – Herrnhuter Stern; Sack WRP 2017, 650, 650; Schröer S. 189 ff.; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 22. 281 MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 5; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 20. 282 Siehe z.B. Köhler GRUR 2007, 548, 552; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 5. 283 Vgl. hierzu etwa Köhler GRUR 2007, 548, 552; nach Umsetzung der UGP-RL zudem Köhler GRUR 2009, 445, 450 f.; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 5. 284 So z.B. Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/4; zudem auch MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 5. 285 Zum Rechtsvergleich siehe oben Rn. 22 ff. Zur ökonomischen Betrachtung siehe oben Rn. 61 ff.
Dornis
260
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
chern und Abnehmern oder auf den Bestand an öffentlichen Informationen auf dem Marktplatz und im Wettbewerb ausgerichtet. Die Ratio der Norm orientiert sich vielmehr an den Normzwecken der zum Schutz von Geheimnissen gegen unlautere Erlangung konzipierten Regelungen (bislang §§ 17 ff., nun §§ 1 ff. GeschGehG) 286 und damit am Bestreben einer Sicherung privater Informationen gegen entschädigungs- und ausgleichslose Aneignung.287 VI. Anwendungsbereich und Konkurrenzen 1. Allgemeine Grundsätze der Abgrenzung zum Immaterialgüterrecht a) Meinungsbild. Die Abgrenzung von sondergesetzlichem und lauterkeitsrechtli- 106 chem Leistungsschutz erfolgt nach traditioneller Lesart anhand der unterschiedlichen Ziele der gesetzlichen Regelungen. Der sondergesetzliche Immaterialgüterschutz umfasst demnach Leistungen als solche durch die Schaffung von Ausschließlichkeitsrechten (das „Ob“ der Nachahmung). Der ergänzende lauterkeitsrechtliche Nachahmungsschutz verbietet hingegen eine bestimmte Art und Weise der Nachahmung (das „Wie“).288 Diese Unterscheidung läuft auf eine Einteilung in Tatbestände des Erfolgs- und des Handlungsunrechts hinaus und wird insbesondere in der Rechtsprechung vertreten. Der Sache nach führt die Unterscheidung zu einer scheinbar klaren Zweiteilung des Nachahmungsschutzes; es kann insoweit in der Tat von einem Dogma gesprochen werden:289 Außerhalb der immaterialgüterrechtlichen Schutzbereiche gelte der Grundsatz der Nachahmungsfreiheit. 290 Entsprechend erfordere lauterkeitsrechtlicher Nachahmungsschutz das Vorliegen besonderer unlauterkeitsbegründender Umstände.291 In der Praxis der Gerichte wurde und wird diese scheinbar klare Abgrenzung aber vielfach aufgeweicht und umgangen.292 Dennoch wird die Trennung bis heute als Argumentationsmuster beibehalten.293 Ganz ähnlich der Hypothese zweier getrennter normativer Schutzzonen wird auch in 107 Teilen des Schrifttums von einer „ergänzenden“ (in Abgrenzung zur „ersetzenden“) Funktion des lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutzes gesprochen.294 Außerhalb des immaterialgüterrechtlichen Systems herrsche der Grundsatz der Nachahmungs-
_____
286 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/943 zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung, Bundestags-Drucks. 19/4724 (4.10.2018). Siehe ausführlich unten Rn. 244 ff. 287 Zur ökonomischen Analyse siehe oben Rn. 97 f. 288 Siehe z.B. nur Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.4; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 14; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/12; juris-PK/Ullmann § 4 Nr. 3 Rn. 7 und 14; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 20 ff.; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 28. 289 So zutreffend kritisch Müller-Laube ZHR 156 (1992) 480, 496. 290 Siehe z.B. RG 7.4.1910 – VI 344/09 – RGZ 73, 294, 297 – Schallplatten; BGH 26.6.2008 – I ZR 170/05 – GRUR 2008, 1115 Tz. 32 – ICON; BGH 11.1.2007 – I ZR 198/04 – GRUR 2007, 795 Tz. 51 – Handtaschen; BGH 28.5.2009 – I ZR 124/06 – GRUR 2010, 80 Tz. 18 – LIKEaBIKE; BGH 28.10.2010 – I ZR 60/09 – GRUR 2011, 436 Tz. 21 – Hartplatzhelden.de. 291 Siehe z.B. bereits RG 7.4.1910 – VI 344/09 – RGZ 73, 294, 297 – Schallplatten; zudem z.B. BGH 13.10.1965 – Ib ZR 111/63 – GRUR 1966, 503, 506 – Apfel-Madonna; neuerdings z.B. BGH 24.3.2005 – I ZR 131/02 – GRUR 2005, 600, 602 – Handtuchklemmen; ausführlich zur Entwicklung der Rspr. MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 20 ff. 292 Siehe z.B. umfassend Sambuc Rn. 17 ff.; Keller FS Erdmann S. 595, 607 ff.; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 21 mit jeweils weiteren Nachweisen. 293 Vgl. z.B. nur BTDrucks. 15/1487, S. 18; BGH 2.12.2004 – I ZR 30/02 – GRUR 2005, 349, 352 – Klemmbausteine III; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 21. 294 juris-PK/Ullmann § 4 Nr. 3 Rn. 11 ff., insb. Rn. 14; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 32.
261
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
freiheit.295 Dies habe etwa zur Folge, dass ein Mangel an Schutzvoraussetzungen für ein Immaterialgüterrecht oder des immaterialgüterrechtlichen Verletzungstatbestandes nicht über das Lauterkeitsrecht ausgeglichen werden könne.296 In der Konsequenz handele es sich bei immaterialgüterrechtlichen Ansprüchen und Ansprüchen aus ergänzendem UWG-Leistungsschutz immer um verschiedene Streitgegenstände.297 Eine andere Ansicht im Schrifttum ist stärker normzweckorientiert, nähert sich der Rechtsprechung allerdings im Ergebnis an. Die Perspektive ist weniger auf die Unterscheidung von Verhaltensregulierung und Ausschließlichkeitsrechten, sondern mehr auf die strukturellfunktionale Abgrenzung der Bereiche nach spezifischen Schutzzwecken ausgerichtet.298 Auch nach dieser Auffassung ist vom Grundsatz der Nachahmungsfreiheit auszugehen. Dies sei aufgrund systematischen Vorrangs des Immaterialgüterrechts geboten. Nur soweit Lücken verblieben, sei auf das UWG zurückzugreifen. Zugleich seien aber auch bei der Lückenfüllung immaterialgüterrechtliche Wertungen zu berücksichtigen.299 Der lauterkeitsrechtliche Leistungsschutz sei darum kein Auffangtatbestand, sondern zum Bereich der Sonderschutzrechte subsidiär.300 Auch diese Ansicht hält aber nicht umfassend am Grundsatz der Subsidiarität fest. So soll z.B. im Bereich der Formmarken weiterhin ein „Bedürfnis für einen formlosen Schutz der ‚kleinen Münze der Formmarke‘ unterhalb des Markenrechts“ mit seinen strengen Voraussetzungen im Bereich der dreidimensionalen Marken anzuerkennen sein.301 Eine sowohl der Rechtsprechung als auch der normzweckorientierten Ansicht ent108 gegengesetzte, weitere Ansicht im Schrifttum geht von einer Trennung des immaterialgüterrechtlichen Sonderschutzes und des Lauterkeitsrechts und von einem Nebeneinander der Schutzmechanismen aus. Nachahmungsschutz nach Immaterialgüter- und Lauterkeitsrecht stehen demnach weitgehend unabhängig nebeneinander.302 Im Kern gehe es beim UWG-Nachahmungsschutz um eine vom Immaterialgüterrecht zu unterscheidende Frage nach der richtigen Abwägung von Vor- und Nachteilen des Imitationsund Innovationswettbewerbs. Das Lauterkeitsrecht müsse insbesondere dann eingreifen, wenn sich die Zulässigkeit der Nachahmung mit Blick auf die Förderung und Aufrechterhaltung innovativer und kreativer Tätigkeiten trotz möglicher Vorteile des Imitationswettbewerbs als nachteilig erweise. Ein genereller Vorrang der Sonderschutzrechte könne nicht bestehen.303 Zugleich sei die These vom numerus clausus der Immaterialgüterrechte abzulehnen.304 Letztlich bestehe eine kumulative Normenkonkurrenz.305
_____
295 Siehe z.B. Haß GRUR 1979, 361, 367; Wiebe FS Schricker S. 773, 780 f.; Lubberger FS Ullmann S. 737, 747; Peukert WRP 2010, 316, 319; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 30. 296 Vgl. z.B. Bornkamm GRUR 2005, 97, 102; Kur FS Ullmann S. 717, 726 f.; juris-PK/Ullmann § 4 Nr. 3 Rn. 17. 297 juris-PK/Ullmann § 4 Nr. 3 Rn. 19; vgl. insoweit auch BGH 19.2.2009 – I ZR 195/06 – WRP 2009, 956 Tz. 18 – UHU. 298 Siehe z.B. Ohly FS Schricker S. 105, 110 ff.; ders. FS Ullmann S. 795, 797 ff.; ders. GRUR 2007, 731, 734 ff.; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/14 f.; Kur FS Ullmann S. 717 ff. 299 Ohly FS Schricker S. 105, 110 ff.; Ohly FS Ullmann S. 795, 803 f.; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/15; Fezer/ Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 32d. 300 Ohly FS Ullmann S. 795, 806 ff.; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/15; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 27 ff. 301 Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/19; Bornkamm GRUR 2005, 97, 102. 302 Lubberger FS Ullmann S. 737 ff.; Köhler GRUR 2007, 548 ff.; Fezer WRP 2008, 1 ff.; Schreiber GRUR 2009, 113, 115 f.; Fezer GRUR 2010, 953 ff.; Glöckner in Ohly/Klippel, S. 145 ff.; ders. in Lange/Klippel/Ohly, S. 89 ff.; Götting/Hetmank WRP 2013, 421, 425; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 37 f. 303 Glöckner in Ohly/Klippel, S. 145, 165 ff.; Fezer GRUR 2010, 953, 956 f.; Götting/Hetmank WRP 2013, 421, 426 f. 304 Fezer GRUR 2010, 953, 956 f.; Ohly FS Schricker S. 105 ff.; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 61. 305 Fezer GRUR 2010, 953, 956 f., insb. 962; Stieper WRP 2006, 291, 295; Heep S. 78 ff.
Dornis
262
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
Eine Grenzziehung entlang des Grundsatzes der Nachahmungsfreiheit ist nach dieser Auffassung ebenso unmöglich wie die trennscharfe Beibehaltung eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses von Immaterialgüter- und Lauterkeitsrechtsschutz.306 b) Analyse und Neukonzeption. Bei Vergleich der Meinungen wird erkennbar, 109 dass im Wesentlichen zwei Begründungsansätze diskutiert werden. Beide Ansätze sind Kehrseiten derselben Medaille. Zunächst wird ein ökonomisch-rechtspolitischer Aspekt angeführt. Dieser beschränkt die Ausdehnung des UWG-Leistungsschutzes bereits dem Grunde nach ganz erheblich. Außerhalb des sondergesetzlichen Schutzbereichs soll „Nachahmungsfreiheit“ (oder ganz allgemein „Wettbewerbsfreiheit“) herrschen. Bereits die Einräumung von Immaterialgüterrechten wird als dem Idealzustand des Wettbewerbs abträglich angesehen. Erst recht müsse darum außerhalb des Immaterialgüterrechts von einer grundsätzlichen Freiheit der Nachahmung und Imitation ausgegangen werden. Die dogmatische Seite dieses treffend als „Grundsatz des schlechten Gewissens“307 bezeichneten Ansatzes schlägt sich in der Forderung nach einer systematischen Begrenzung des Nachahmungsschutzes nieder. Dabei wird argumentiert, der Gesetzgeber habe durch Einräumung von Immaterialgüterrechten bereits eine abschließende Entscheidung über die Abgrenzung zwischen „Eigentum“ und „Wettbewerb“ getroffen. Die Gerichte dürften diese Trennlinien nicht durch Schaffung von UWG-Monopolrechten verwässern und ausdehnen. Aus dem Vorrang der Sondergesetze soll ein numerus clausus der Immaterialgüterrechte folgen. Beide Ansätze bedürfen einer näheren Betrachtung.308 Erst dann kann eine praktische Richtlinie formuliert werden.309 aa) Ausgangspunkt: Kein universeller „Grundsatz der Nachahmungsfreiheit“. 110 Der Verweis auf den Grundsatz der Nachahmungsfreiheit geht in der allgemeinen Pauschalität fehl.310 Der geradezu als Dogma etablierte und gebetsmühlenhaft wiederholte Lehrsatz (und die resultierende Überbetonung der Nachahmungsfreiheit) birgt die Gefahr einer Fehlgewichtung der für eine angemessene Balance relevanten Faktoren. Die Nachahmungsfreiheit ist nur einer von mehreren für die Entwicklung des freien Wettbewerbs relevanten Ordnungsfaktoren.311 Nach dem ökonomischen Modell besteht der Wettbewerbsprozess aus einer stetigen Abfolge von anfänglicher Innovation und Kreativität (Vorstoß) sowie nachfolgender Imitation (Verfolgung oder Adaption). Darum bilden nicht nur Innovation und Kreativität, sondern auch Imitation und Nachahmung die essentiellen Voraussetzungen für einen Zustand des freien Wettbewerbs.312 Natürlich gibt es Konstellationen, in denen die Nachahmung zu verhindern ist, weil ein Marktplatz andernfalls nicht zur Entstehung kommen oder funktionieren würde. In diesen Fällen eines drohenden Marktversagens ist die Einräumung von Ausschließlichkeitsrechten die Voraussetzung für das Ingangkommen und den Fortbestand des Wettbewerbs.313 Fehlt es hingegen an der Gefahr eines Versagens der natürlichen Wett-
_____
306 Fezer WRP 2001, 989, 1007; Glöckner S. 595; Köhler GRUR 2007, 548, 549; Fezer GRUR 2010, 953, 955 f.; Lubberger FS Ullmann S. 737, 745 ff.; Götting/Hetmank WRP 2013, 421, 426 f. 307 Lubberger FS Ullmann S. 737, 753; vgl. auch Müller-Laube ZHR 156 (1992) 480, 485. 308 Siehe unten Rn. 110 ff. 309 Siehe unten Rn. 115 ff. 310 Zu den Anfängen des Paradigmas der Nachahmungsfreiheit in der Rechtsprechung siehe oben Rn. 1 ff. 311 So zutreffend Müller-Laube ZHR 156 (1992) 480, 496. 312 Zum Zusammenspiel von Innovation und Imitation siehe z.B. instruktiv Herdzina S. 60 ff.; zudem Siebert/Lorz S. 369 ff.; Weihrauch S. 170 ff., 186 f., 240 f. und passim. m.w.N.; früh auch Hellenschmidt S. 3 ff. 313 Siehe oben Rn. 49 ff.
263
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
bewerbskräfte, wäre die Einräumung von Ausschließlichkeitsrechten dem Wettbewerb hinderlich. Es kann dann zwar vom Überwiegen oder Vorrang der Nachahmungsfreiheit gesprochen werden. In der Sache ist das Ergebnis aber auch in diesem Fall ausschließlich Konsequenz einer Abwägung aller relevanten Aspekte. Die Nachahmungsfreiheit ist lediglich einer der relevanten Faktoren. Folglich kann der Verweis auf die „Nachahmungsfreiheit“ als solche (ebenso wie 111 das einstmals vertretene Paradigma einer individuellen Zuweisung von „Früchten“ der Arbeit) keine Richtlinie für die Gewährung oder Versagung von Ausschließlichkeitsrechten bieten. Die Grenzziehung zwischen „Eigentum“ und „Wettbewerb“ ist vielmehr in jedem Fall und in hohem Maße kontextabhängig. Die Antwort auf die Frage nach der Berechtigung des Leistungsschutzes ist darum im Bereich des Immaterialgüterschutzes und im Lauterkeitsrecht stets mit Blick auf die spezifische Konstellation zu beantworten.314 Dies erfordert einen Vergleich der Vor- und Nachteile einer ausschließlichen Rechtsposition im konkreten Fall. Entscheidend dafür ist die Bilanzierung von statischen und dynamischen Effizienzeffekten.315 Das mit Blick auf die Effizienz des Marktplatzes optimale Niveau an Nachahmung und Imitation schwankt aber über die verschiedenen Produkte und Marktplätze hinweg ganz erheblich. Ein pauschaler Verweis auf die „Nachahmungsfreiheit“ ist deshalb für die Frage der richtigen Regulierung unergiebig. 112
bb) Klarstellung: Kein „numerus clausus“ der Immaterialgüterrechte. Entsprechend verliert auch die Vorstellung eines sogenannten numerus clausus der Immaterialgüterrechte an Überzeugungskraft.316 Ein Blick auf den rechtsvergleichenden Status und die ökonomische Analyse verdeutlicht, dass zwischen dem lauterkeitsrechtlichen Leistungsschutz und dem Immaterialgüterschutz weitreichende Funktionsidentität besteht.317 Dies zeigt sich insbesondere im Gleichlauf der marken- und kennzeichenrechtlichen Regulierung von Verwechslungsgefahr und goodwill-Aneignung mit den UWGTatbeständen des § 4 Nr. 3 lit. a und lit. b und in den strukturellen Parallelen zwischen den Modellen für den Immaterialgüterschutz im Allgemeinen und für den unmittelbaren Leistungsschutz nach § 3 Abs. 1.318 Vor allem der Blick auf die Schrittmacherfunktion des Lauterkeitsrechts illustriert diesen Funktionszusammenhang als historische Entwicklung von einem Zustand zunächst weit gefasster Standards des UWG-Leistungsschutzes hin zu einer nach und nach immer dichteren immaterialgüterrechtlichen Regelordnung.319 Ein Versanden dieser Entwicklung kann (selbst unter Berücksichtigung einer zunehmenden Legifizierung des Immaterialgüterschutzes) keinesfalls angenommen werden.320 Der Bereich des Nachahmungsschutzes ist wie viele Kernbereiche des Immaterialgüterrechts als Folge technologischer, sozialer und ökonomischer Veränderungen einer ständigen Fluktuation unterworfen. Vom heutigen Status auf das künftige Austrocknen der Fallgruppe oder sogar ihr Absterben zu schließen, wäre vorschnell. Es muss vielmehr im Gegenteil nach wie vor grundsätzlich davon ausgegangen werden,
_____
314 Vgl. auch Weihrauch S. 241; Schröer S. 211 ff.; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 66. Unter ökonomischer Perspektive zudem Herdzina S. 61. 315 Siehe oben Rn. 49 ff. 316 Vgl. hierzu z.B. auch kritisch Ohly FS Schricker S. 105 ff.; Fezer GRUR 2010, 953, 956 f.; GK-UWG/ Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 61. 317 Siehe oben Rn. 58 ff. 318 Siehe oben Rn. 72 ff. 319 Siehe hierzu bereits oben Rn. 89 ff. 320 Vgl. zur Wechselwirkung von Immaterialgüterrechts-Normierung und Lauterkeitsrecht z.B. Traub FS Söllner S. 1213 ff.; Kur FS Straus S. 521, 530 ff.; dies. FS Ullmann S. 717, 728 f.; Ohly FS Schricker S. 105, 111.
Dornis
264
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
dass der UWG-Nachahmungsschutz auch weiterhin zumindest grundsätzlich Immaterialgüterrechte in statu nascendi konstituiert. Letztlich offenbart auch der praktische Befund im deutschen Recht, dass die 113 scheinbar trennscharfen Grenzen zwischen den Bereichen mehr ein Produkt fortwährender Lippenbekenntnisse sind als eine zutreffende Beschreibung des Ist-Zustandes.321 Die Trennung zwischen den gegen jedermann wirkenden Immaterialgüterrechten und den lediglich schuldrechtlichen Ansprüchen gegen individuelle Konkurrenten nach Lauterkeitsrecht kann vor diesem Hintergrund kaum aufrechterhalten werden. Beide Positionen sind nicht nur im Hinblick auf die Rechtsfolgen bei Verletzungen angeglichen. Dies gilt etwa mit Blick auf die dreifache Schadensberechnung und im Hinblick auf Bereicherungsansprüche.322 Vor allem auf Tatbestandsebene hat sich die Landschaft zwischen gesetzlichem Sonderrechtsschutz und richterrechtlich statuiertem UWG-Schutz in zunehmendem Maße auf einen per se-Schutz für das Leistungsergebnis verdichtet.323 Abwehransprüche sind gerade nicht ausschließlich auf das Verletzerverhalten gegründet.324 Natürlich bestehen immer noch Unterschiede in den Rechtsfolgen. So lässt sich etwa die Herstellung einer Nachahmung im Wege des UWG-Schutzes nicht untersagen. Das Verbotsrecht umfasst nur die Vermarktung.325 Auch bietet der UWG-Nachahmungsschutz keinen Anspruch auf Vernichtung. Zudem verjähren die Ansprüche innerhalb der lauterkeitsrechtlichen Frist.326 Praktisch wirken sich diese (noch) bestehenden Unterschiede aber kaum aus. Die Praxis sowohl des Immaterialgüter- als auch des Lauterkeitsrechts ist maßgeblich von der Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen im einstweiligen Rechtsschutz bestimmt.327 Darum ist für den praktischen Befund einer Angleichung auch die Konvergenz auf Tatbestandsebene entscheidend. Jedenfalls vor diesem Hintergrund ist eine Verdinglichung des UWGNachahmungsschutzes kaum zu bestreiten.
114
cc) Modifikation: Systematischer Vorrang des Sonderrechtsschutzes. In ihrer 115 Pauschalität erweist sich die These eines generellen Vorrangs des Sonderrechtsschutzes darum als zweifelhaft. Für die Gewährung von Ausschließlichkeitsrechten im Sonderrechtsschutz ebenso wie für die Frage des UWG-Nachahmungsschutzes geht es um die Abwägung statischer und dynamischer Effizienzeffekte.328 Eine institutionelle Bevorzugung des parlamentarischen Gesetzgebers (etwa aufgrund überlegener Befähigung) muss zudem bezweifelt werden. Neben public choice-Argumenten spricht vor allem eine ökonomisch-evolutorische Betrachtung dafür, die Gerichte auf der Grundlage flexibler Standards als Normgeber einzusetzen.329 Dennoch ist an der primären Normsetzungskompetenz des parlamentarischen Gesetzgebers festzuhalten. Dieser Vorrang ist in erster Linie Konsequenz demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen von Rechtsetzung und -anwendung: Die Rechtsprechung ist als dritte Gewalt zur Auslegung der vom
_____
321 Vgl. hierzu z.B. Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 57; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 32 ff. 322 Siehe z.B. BGH 22.4.1993 – I ZR 52/91 – GRUR 1993, 757, 759 – Kollektion Holiday; vgl. zudem etwa instruktiv Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 24 ff., insb. Rn. 27 ff. 323 Vgl. hierzu bereits Fezer WRP 1993, 63 ff.; Sambuc Rn. 17 ff.; Lubberger FS Ullmann S. 737, 749 f.; Schröer S. 126 f. 324 Siehe hierzu auch unten Rn. 176 ff. 325 Siehe unten Rn. 282. 326 Siehe unten Rn. 286 f.; ausführlich zu weiteren Unterschieden siehe zudem z.B. Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 30 ff. 327 Siehe hierzu z.B. Schaub, in: Teplitzky, Kap. 2 Rn. 14 m.w.N. 328 Siehe oben Rn. 49 ff. 329 Siehe oben Rn. 89 ff.
265
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
parlamentarischen Gesetzgeber geschaffenen Regelungen berufen. Eine „Umgehung“ der gesetzlichen Rahmenordnung durch allzu freie und unsystematische Normschaffung der Gerichte muss darum vermieden werden.330 Diese methodische Grenzziehung erweist sich auch bei ökonomischer Betrach116 tung als sinnvoll. Dabei geht es weniger um den zum Teil ins Feld geführten, scheinbaren Gewinn an Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit durch Verlagerung der Regulierung auf den Gesetzgeber.331 Gerade im Bereich des UWG-Leistungsschutzes ist Rechtssicherheit aufgrund Heterogenität und Varianz der Materie selbst bei gesetzlicher Normierung schwer zu erreichen.332 Überdies ist allgemein zu bezweifeln, ob zwischen den Alternativen der gesetzlichen und der richterrechtlichen Normschaffung tatsächlich feststellbare Unterschiede im Hinblick auf Vorhersehbarkeit und Planbarkeit bestehen.333 Ein ökonomisches Argument für den Vorrang des Sonderrechtsschutzes lässt sich aber mit Blick auf den Prozess der Normentstehung machen. In dieser Hinsicht erweist sich der Vorrang des parlamentarischen Gesetzgebers auch aus Effizienzgesichtspunkten als überlegen. Dies beruht auf dem unterschiedlichen Kräfteverhältnis der beteiligten Interessengruppen. Ein mit der Frage der „Lücke“ im Immaterialgüterrecht befasstes Gericht wird im Lichte einer strengen Vorrangthese in der Regel eher davon absehen, Nachahmungsschutz auf Grundlage des UWG zu gewähren. Dies ist mit Blick auf die meist überlegene Position der Originalhersteller (als „Rechteinhaber“) grundsätzlich nicht problematisch. Diese Interessengruppe hat nämlich in der Regel bessere Möglichkeiten, die Diskussion über eine Gesetzesänderung anzustoßen und die eigenen Anliegen gegen die Rechtsprechung durchzusetzen. Umgekehrt hingegen sind die Aussichten, ein entgegen der Vorrangthese eingeräumtes überschießendes Schutzrecht im Interesse der Allgemeinheit abzuschaffen oder zu begrenzen, deutlich geringer. 117
dd) Anwendung: Prüfungsstruktur. Auf dieser Grundlage lässt sich eine praktische Richtlinie für den Umgang mit dem lauterkeitsrechtlichen Leistungsschutz formulieren. Für die Fallprüfung sind mehrere Stufen zu unterscheiden:
118
(1) Konkurrenzen und Teilsubsidiarität: Immaterialgüterrecht und Tatbestände des § 4 Nr. 3. Mit Blick auf die dem Grunde nach unterschiedlichen Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen muss zunächst davon ausgegangen werden, dass Ansprüche nach Immaterialgüterrecht und UWG grundsätzlich in Konkurrenz stehen.334 Dabei handelt es sich um Anspruchsnormenkonkurrenz und gleichzeitig um eine prozessuale Anspruchsmehrheit, die zu einer objektiven Klagehäufung führt.335 Für die Tatbestände in § 4 Nr. 3 lit. a bis lit. c darf aus diesem Grund auch kein Grundsatz absoluter Subsidiarität gelten, jedenfalls nicht soweit genuin lauterkeitsrechtliche Schutzzwecke betroffen sind. Vielmehr ist ein paralleler Schutz indiziert, soweit der betroffene
_____
330 Vgl. hierzu z.B. Ohly FS Schricker S. 105, 118; zudem z.B. Beater Nachahmen im Wettbewerb S. 344 ff.; Rößler GRUR 1995, 549 ff.; Emmerich S. 133; Schröer S. 179 ff. 331 In diese Richtung argumentiert aber z.B. Kur GRUR 1990, 1, 15; allgemein kritisch zur Rechtsprechung auch Müller-Laube ZHR 156 (1992) 480, 493 f. („In der Praxis gleicht nahezu jeder Prozeß einem Glückspiel …“). 332 So zutreffend Lubberger FS Ullmann S. 737, 751; ebenso ausführlich Weihrauch S. 198 ff. 333 Vgl. hierzu Dornis IPQ 2018, 159, 175 ff.; Dornis ZGE 2018, 341, 366 ff. 334 Vgl. auch Köhler GRUR 2007, 548, 553 f.; Fezer WRP 2008, 1 ff.; Schreiber GRUR 2009, 113, 115 f.; Fezer GRUR 2010, 953 ff.; Büscher GRUR 2018, 1, 1; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 60. 335 Büscher GRUR 2018, 1, 1; vgl. auch Lubberger FS Ullmann S. 737; Köhler GRUR 2007, 548, 553 f. Siehe auch unten Rn. 295.
Dornis
266
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
UWG-Schutzzweck weiter reicht als die Ratio einschlägiger immaterialgüterrechtlicher Normen. Schwieriger zu beantworten ist die Frage nach dem Verhältnis zwischen immaterial- 119 güterrechtlichen und lauterkeitsrechtlichen Tatbeständen soweit eine Überschneidung der Schutzzwecke festzustellen ist. Der Gesetzgeber hat sich bei der Kodifizierung des UWG-Nachahmungsschutzes einer Klarstellung enthalten.336 Im Schrifttum wird darum mit beachtlichen Argumenten vertreten, die im Immaterialgüterrecht verankerten Hürden und Grenzen (z.B. § 3 Abs. 2 und § 4 Nr. 2 MarkenG) auch im Rahmen des § 4 Nr. 3 zu berücksichtigen.337 Dem ist grundsätzlich zuzustimmen. Es ist aber zu berücksichtigen, dass ein Durchschlagen der immaterialgüterrecht- 120 lichen Schutzgrenzen auf das Lauterkeitsrecht nicht in allen Fällen angezeigt ist. Insoweit sind die allgemeinen Grenzen, z.B. der Ausschluss des Schutzes für Ideen (etwa „Spielsituationen“ für Barbie-Puppen),338 von den speziellen Schutzhindernissen und -schwellen, z.B. dem Ausschluss markenrechtlichen Schutzes für die Formen von LEGOSteinen, Automobil-Motorhauben oder sonstigen technischen Gestaltungen (vgl. Art. 7 Abs. 1 lit. e ii UM-VO, § 3 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG)339 sowie der markenrechtlichen minimaSchwelle für die Schutzgewährung (vgl. § 4 Nr. 2 MarkenG),340 zu unterscheiden. Beim Ausschlussgrund der erstgenannten Fallgruppe handelt es sich um eine nach dem ökonomischen Modell des Immaterialgüterrechts streng zu beachtende Begrenzung für Monopolrechte des Einzelnen. Die Freiheit zur Nutzung von Ideen und des Standes der Technik sowie die zeitliche Befristung des Monopols sind dem ökonomischen Modell des Immaterialgüterrechts inhärent und unabdingbar. Die Gefahr einer Umgehung mit fatalen Folgen für den Wettbewerb und die Effizienz des Marktes ist evident. Anders sind die in der zweiten Fallgruppe genannten Grenzen zu beurteilen. Insbesondere die Grenzziehung für den in erster Linie informationsökonomisch ausgerichteten UWG-Schutz gegen Täuschung und gegen die Aneignung von goodwill-Positionen bedarf einer differenzierten Betrachtung.341 Zwar mag das Markenrecht den Sonderschutz für ein bestimmtes Gestaltungsmerk- 121 mal eines Erzeugnisses oder eine bestimmte Merkmalskombination verweigern, um keine technischen Monopole im Gewande des Kennzeichenrechts zu schaffen.342 Das Erzeugnis kann aber dennoch wettbewerblich eigenartig sein.343 Dies zeigt sich deutlich in der Konstellation der Bodendübel-Entscheidung, wo eine dreidimensionale Gemeinschaftsmarke für nichtig erklärt worden war, weil sie im Sinne des Art. 7 Abs. 1 lit. e ii UM-VO (vgl. auch § 3 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG) ausschließlich aus der Form der Ware be-
_____
336 Ohly FS Ullmann S. 795, 810. 337 Siehe z.B. nur Ingerl WRP 2004, 809 ff.; Ohly FS Ullmann S. 795, 806 ff.; juris-PK/Ullmann § 4 Nr. 3 Rn. 95; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 102. 338 Siehe z.B. BGH 28.10.2004 – I ZR 326/01 – GRUR 2005, 166, 169 – Puppenausstattungen. 339 Vgl. z.B. nur BGH 16.7.2009 – I ZB 53/07 – GRUR 2010, 231 Tz. 28 ff. – Legostein; BPatG 12.3.2007 – 27 W (pat) 86/05 – GRUR 2007, 786, 787 – Lego-Baustein; BGH 24.5.2007 – I ZB 27/04 – GRUR 2008, 71, 72 – Fronthaube; BGH 7.2.2002 – I ZR 289/99 – GRUR 2002, 820, 822 – Bremszangen; BGH 24.3.2005 – I ZR 131/02 – GRUR 2005, 600, 603 – Handtuchklemmen. 340 Vgl. hierzu vor allem BGH 20.3.1997 – I ZR 246/94 – GRUR 1997, 754, 755 – grau/magenta. 341 Zum ökonomischen Modell siehe oben Rn. 49 ff. 342 Vgl. nur EuGH 16.9.2015 – C-215/14 – GRUR 2015, 1198 Tz. 45 – Nestlé/Cadbury; EuGH 10.11.2016 – C30/15 – GRUR 2017, 66 Tz. 39 und Rn. 53 – Simba Toys; EuGH 11.5.2017 – C-421/15P – GRUR Int. 2017, 623 Tz. 26 ff. und Rn. 33 – Yoshida Metal Industry. 343 Vgl. EuGH 14.9.2010 – C-48/09P – GRUR 2010, 1008 Tz. 61 – Lego Juris; zudem auch BGH 24.1.2013 – I ZR 136/11 – GRUR 2013, 951 Tz. 20 – Regalsystem; BGH 15.12.2016 – I ZR 197/15 – GRUR 2017, 734 Tz. 27 – Bodendübel; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/41; Büscher GRUR 2018, 1, 3; a.A. juris-PK/Ullmann § 4 Nr. 3 Rn. 95; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 102.
267
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
stand, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich war.344 Der Bundesgerichtshof ging im Anschluss dennoch zutreffend von der Schutzfähigkeit nach UWG aus, weil das Produkt des Originalherstellers wettbewerbliche Eigenart erlangt hatte.345 Ein Wertungswiderspruch kann dabei kaum eintreten: Handelt es sich bei den zur Begründung der wettbewerblichen Eigenart geltend gemachten Eigenschaften um technisch notwendige Gestaltungsmerkmale, ist der UWG-Schutz ausgeschlossen. 346 Der Ausschluss erfasst allerdings nicht Merkmale, die lediglich technisch bedingt sind.347 Bei Gestaltungen dieser Art mag es nun nach Markenrecht natürlich so sein, dass alle wesentlichen Merkmale einer Warenform auch ungeachtet der Frage der Notwendigkeit jedenfalls der technischen Funktion dienen. Es spielt dann für den Ausschluss des markenrechtlichen Schutzes auch keine Rolle, ob diese Form als einzige die Erreichung einer bestimmten technischen Wirkung erlaubt.348 Im Ergebnis sind darum zwar nicht nur technisch notwendige, sondern auch technisch lediglich bedingte Merkmale einer Warenform zur Begründung des Markenschutzes ungeeignet.349 Der UWG-Nachahmungsschutz kann aber dennoch immer noch an den lediglich technisch bedingten Merkmalen anknüpfen. Diese Ausweitung des Schutzbereichs beruht darauf, dass der UWG-Schutz gerade keinen allgemeinen Nachahmungsschutz vorsieht, sondern der Absicherung bestimmter Leistungen gegen besondere Formen eines unlauteren Verhaltens im Wettbewerb dient.350 Der UWG-Nachahmungsschutz ist darum zwangsläufig auch von weiterreichenden 122 Voraussetzungen abhängig, weil es nicht nur um die Form einer Ware geht, sondern zudem wettbewerbliche Eigenart sowie Herkunftstäuschung oder Beeinträchtigung der Wertschätzung verlangt werden. Diese Tatbestandsmerkmale gehen über die reine Nachbildung einer Form oder bestimmter Merkmale hinaus. Der Blick auf den Schutzzweck allein genügt insoweit nicht, eine schlüssige Abgrenzung zu definieren.351 Entscheidend ist vielmehr der im Vergleich zum Markenrecht engere Fokus des UWGTatbestandes. Dies gilt auch und insbesondere im Hinblick auf die höheren Anforderungen an die Herkunftstäuschung, die für einen Nachahmer leichter zu vermeiden ist als die markenrechtliche Verwechslungsgefahr.352 Überdies ist ein Fortbestand der UWG-Schutzvoraussetzungen über die Zeit gefordert. Verliert die Gestaltung die Eigenart oder sind Herkunftstäuschung oder Beeinträchtigung der Wertschätzung aufgrund einer Veränderung der Umstände ausgeschlossen, entfällt der UWG-Schutz automatisch.353 Und auch die Frage des UWG-Schutzes unterhalb der Schwelle des § 4 Nr. 2 123 MarkenG kann nicht ohne Blick auf die informationsökonomische Ratio und die unterschiedliche Weite der marken- und lauterkeitsrechtlichen Tatbestände beantwortet wer-
_____
344 Vgl. BGH 15.12.2016 – I ZR 197/15 – GRUR 2017, 734 Tz. 26 – Bodendübel. 345 BGH 15.12.2016 – I ZR 197/15 – GRUR 2017, 734 Tz. 27 – Bodendübel. 346 Vgl. nur BGH 22.1.2015 – I ZR 107/13 – GRUR 2015, 909 Tz. 24 – Exzenterzähne; BGH 15.12.2016 – I ZR 197/15 – GRUR 2017, 734 Tz. 32 – Bodendübel; siehe zudem unten Rn. 184 ff. 347 BGH 22.1.2015 – I ZR 107/13 – GRUR 2015, 909 Tz. 26 – Exzenterzähne; BGH 15.12.2016 – I ZR 197/15 – GRUR 2017, 734 Tz. 31 – Bodendübel; siehe zudem unten Rn. 185. 348 Vgl. hierzu EuGH 18.6.2002 – C-299/99 – GRUR 2002, 804, 809 Tz. 83 – Philips/Remington; EuGH 14.9.2010 – C-48/09P – GRUR 2010, 1008 Tz. 46 ff. – Lego Juris. 349 BGH 16.7.2009 – I ZB 53/07 – GRUR 2010, 231 Tz. 29 ff. – Legostein; BGH 15.12.2016 – I ZR 197/15 – GRUR 2017, 734 Tz. 25 – Bodendübel. 350 BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – GRUR 2017, 79 Tz. 96 – Segmentstruktur; BGH 15.12.2016 – I ZR 197/15 – GRUR 2017, 734 Tz. 27 – Bodendübel. 351 Vgl. zur Kritik insoweit aber z.B. Bornkamm GRUR 2005, 97, 102; Ingerl WRP 2004, 809, 812. 352 Siehe hierzu unten Rn. 203 ff. 353 Vgl. hierzu Ohly GRUR 2017, 91, 92; zudem zutreffend Büscher GRUR 2018, 1, 3 f.
Dornis
268
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
den. Dabei sind zunächst die verschiedenen „Grade“ der Anhäufung von Informationskapital im Bewusstsein der Verbraucher zu beachten. Ob dabei eine strikte und invariable Schwelle zwischen einem nach Markenrecht nicht schutzfähigen „Vorfeld“-goodwill und der markenrechtlich beachtlichen Verkehrsgeltung gezogen werden kann und muss,354 ist zweifelhaft. Auch unterhalb der markenrechtlich relevanten Verkehrsgeltung (eben im Bereich der lauterkeitsrechtlich geforderten „gewissen Bekanntheit“)355 kann nämlich bereits in erheblichem Umfang Informationskapital (in Form eines Wiedererkennungswerts) auf Seiten der Verbraucher und Abnehmer bestehen. Ließe sich dieses Informationskapital ohne weiteres aneignen, wäre der Anreiz zur Investition schädlich reduziert.356 Dabei ist auch in diesem Fall (wie bei Abgrenzung im Bereich technischer Gestaltungen)357 keinesfalls von der Schaffung eines Tatbestandes zum Schutz eines markenrechtlichen minus durch das UWG zu sprechen. Es handelt sich aufgrund der unterschiedlichen Tatbestandsvoraussetzungen vielmehr um ein aliud. Vor allem ist der UWG-Schutz auch in diesen Fällen aufgrund des engeren Tatbestandes von anderen (und teilweise strengeren) Voraussetzungen abhängig als die markenrechtliche Position. Schließlich ist systematisch zu berücksichtigen, dass die in § 4 Nr. 3 lit. a bis lit. c 124 normierten Fallgruppen als jeweils abschließende gesetzgeberische Festlegung der Voraussetzungen für unlautere Nachahmung anzusehen sind. Die jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen sind darum strikt zu beachten. Eine Ausdehnung oder analoge Anwendung der Tatbestände ist nicht möglich. Im Hinblick auf die nun ausdrücklich normierte Fallgruppe der gezielten Behinderung in § 4 Nr. 4 stellt sich die Frage, ob auch eine auf die Beeinträchtigung eines spezifischen Mitbewerbers ausgerichtete Aktivität die Unlauterkeit im Sinne des § 4 Nr. 3 begründen kann. Dies wurde von der Rechtsprechung in Konstellationen der Nachahmung lange Zeit nicht grundsätzlich verneint.358 Auch im Schrifttum wurde die Behinderung eines Mitbewerbers zum Teil als für die Verwirklichung des Tatbestandes des § 4 Nr. 3 geeignet angesehen.359 Der Bundesgerichtshof hat diese Rechtsprechung allerdings in der Segmentstruktur-Entscheidung ausdrücklich aufgegeben.360 Mit Blick auf die gesonderte Normierung des Behinderungstatbestandes in § 4 Nr. 4 ist die Erweiterung des § 4 Nr. 3 um einen Behinderungstatbestand darum nicht mehr angezeigt. Vielmehr ist an der Spezialität der einzelnen Tatbestände des § 4 Nr. 3 auch im Verhältnis zu § 4 Nr. 4 festzuhalten.361
125
(2) Strenge Subsidiarität: Unmittelbarer Leistungsschutz nach § 3 Abs. 1. Anders 126 ist die Situation für Konstellationen des unmittelbaren Leistungsschutzes nach § 3 Abs. 1.362 Der systematische Vorrang des gesetzlich normierten Immaterialgüterschutzes bedingt hier eine strenge Subsidiarität. Im Schrifttum wird zu Recht angeführt, lauterkeitsrechtlicher Schutz komme nur zum Tragen, wenn das Immaterialgüter-
_____
354 So z.B. Messer FS Erdmann S. 669, 676 f.; Ingerl WRP 2004, 809, 814; Ohly FS Ullmann S. 795, 811; Raue S. 150 f.; Ingerl/Rohnke § 2 Rn. 10. 355 Vgl. BGH 20.3.1997 – I ZR 246/94 – GRUR 1997, 754, 755 – grau/magenta. 356 Siehe zum ökonomischen Modell oben Rn. 48 ff. 357 Siehe oben (vorige Randnummer) Rn. 122. 358 Siehe z.B. BGH 11.1.2007 – I ZR 198/04 – GRUR 2007, 795 Tz. 51 – Handtaschen; BGH 26.6.2008 – I ZR 170/05 – GRUR 2008, 1115 Rn. 32 – ICON; Sack WRP 2005, 531, 536. 359 Siehe z.B. Sack WRP 2005, 531, 536; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/74; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 178 ff.; kritisch aber auch Peifer GRUR-Prax 2011, 181, 184. 360 BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – GRUR 2017, 79, 87 Tz. 78 f. – Segmentstruktur. 361 Vgl. hierzu auch unten Rn. 163. 362 Siehe z.B. auch Kur GRUR 1990, 1, 15; Ohly GRUR 2010, 487, 492 f.; Ohly FS Ullmann S. 795, 808 ff.; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 63.
269
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
recht eine planwidrige Regelungslücke aufweise.363 Darum ist stets vorweg zu prüfen, ob mit der Nachahmung ein vom System des Immaterialgüterrechts nicht erfasster Gegenstand betroffen ist, und warum die Sondergesetze keinen Schutz gewähren.364 Nur bei Vorliegen einer planwidrigen Lücke im System des Immaterialgüterrechts kommt ein Schutz nach Lauterkeitsrecht auch jenseits der Fallgruppen des § 4 Nr. 3 überhaupt in Betracht.365 127
(3) Voraussetzungen des unmittelbaren Leistungsschutzes nach § 3 Abs. 1. Nach dem ökonomischen Konzept der Abwägung von statischen und dynamischen Effizienzeffekten kommt lauterkeitsrechtlicher Leistungsschutz nach § 3 Abs. 1 in der Sache schließlich nur in Betracht, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen: – Beim Schutzgegenstand handelt es sich um eine durch eine erhebliche Investition geschaffene Leistung,366 – die Parteien stehen in einem unmittelbaren Wettbewerbsverhältnis367 und – die Gewährung eines quasi-Ausschließlichkeitsrechts in Form des Schutzes gegen eine Nachahmung der betroffenen Leistung ist mit Blick auf die Wohlfahrtseffekte gegenüber der Schutzlosstellung zu bevorzugen.368
Für die Bestimmung der Relevanz einer Investition muss auf die Forschungs- und Entwicklungskosten auf Seiten des Originalherstellers geblickt werden. Dabei gilt ein objektiver Maßstab: keinesfalls kann sich ein Hersteller auf unnötig überhöhte und unübliche Kosten berufen.369 Darüber hinaus ist für die Bestimmung der Wohlfahrtseffekte auf die tatsächlichen Marktverhältnisse zu achten. In dieser Hinsicht kommt es vor allem auf die Verzögerungsphase (lead time) an. Dabei gilt als Faustregel: je geringer der zeitliche Verzögerungseffekt im natürlichen Marktgeschehen, desto weniger droht ein Marktversagen. Auch insoweit entscheiden die tatsächlichen Umstände, vor allem die Nachahmungsanfälligkeit des betroffenen Originalprodukts.370 Fragt man zutreffend nach der Wahrscheinlichkeit einer unmittelbar oder wenig verzögert (und damit amortisationsgefährdend) an die Leistungserbringung anschließenden Imitation, muss auch auf die wirtschaftliche Situation der Nachahmer geblickt werden. Dies erfordert die Berücksichtigung der konkreten Kosten für eine Nachahmung.371 Mit Blick auf die ökonomischen Hintergründe ist für die Frage des Schutzgegenstan128 des schließlich klarstellend zu betonen, dass es nicht um „Innovation“ oder „Kreativität“
_____
363 Kur GRUR 1990, 1, 15; Ohly FS Schricker S. 105, 119; Ohly GRUR 2010, 487, 493; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/15; Beater Unlauterer Wettbewerb Rn. 1964 ff. 364 Selbstredend kann es für die Feststellung einer Lücke nicht darauf ankommen, ob in den Sondergesetzen eine allgemeine Öffnungsklausel (vgl. z.B. § 2 MarkenG) enthalten ist. Die Frage der Lücke stellt sich immer mit Blick auf die konkreten Einzeltatbestände des Sonderrechtsschutzes. Vgl. z.B. auch BGH 15.9.2005 – I ZR 151/02 – GRUR 2006, 79, 80 – Jeans; zutreffend überdies Lubberger FS Ullmann S. 737, 748; Ohly FS Ullmann S. 795, 809 f. 365 Diese Einschränkung der richterlichen Gestaltungsmacht ist nicht unmittelbar aus dem ökonomischen Modell des Nachahmungsschutzes begründet. Es geht um eine rechtssystematische Grenzziehung (siehe oben Rn. 115 ff.). 366 Siehe oben Rn. 80 f. 367 Siehe oben Rn. 82 f. 368 Siehe oben Rn. 86 ff. 369 Zutreffend Schröer S. 366. 370 Schröer S. 366 f. 371 So wohl auch bereits Hubmann § 50 I 1a, S. 279 f.; neuerdings ebenso Schröer S. 367; im Ergebnis auch Sack WRP 2017, 7, 12; a.A. aber z.B. Müller-Laube ZHR 156 (1992) 480, 492.
Dornis
270
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
oder eine sonstige „Leistungshöhe“ geht.372 Auch kann es, mit Ausnahme einer eventuellen Erleichterung bei der Beweisführung, nicht auf die subjektive Tatseite des Nachahmerverhaltens ankommen.373 Besondere Bedeutung kommt der Abwägung von Vor- und Nachteilen zu. In Recht- 129 sprechung und Schrifttum wird dabei auf die Interessen des Anspruchstellers, der potentiellen Nachahmer und der Allgemeinheit verwiesen und eine Gesamtabwägung vorgeschlagen.374 Aus ökonomischer Sicht ist dies dahingehend zu konkretisieren, dass es bei der Abwägung auf die Bilanzierung der Vor- und Nachteile mit Blick auf statische und dynamische Effizienz ankommt: entscheidend ist, wie weit dem (angeblichen) Rechteinhaber Schutz gewährt werden muss, um ausreichende Anreize zur Leistung zu schaffen.375 Überdies darf dabei, anders als zum Teil angenommen, nicht darauf abgestellt werden, ob der Anreizmechanismus bis zur vollständigen oder weitgehenden Dysfunktion gestört wird. Es ist deshalb nicht zu fragen, ob die Nachahmung die Fortexistenz oder Qualität der betroffenen Leistung und ihrer Erbringung existentiell gefährdet.376 Stattdessen kommt es in der konkreten Betrachtung der Fallumstände darauf an, dass die dem Leistenden eingeräumte Schutzposition gerade genug – nicht zu viel und nicht zu wenig – Anreize für die Leistung bietet. In der praktischen Umsetzung sind freilich sowohl Gesamt- als auch Marginal- 130 betrachtung nur schwer zu verwirklichen, weil es in der Regel an Informationen über die mit dem jeweiligen Schutzniveau verbundenen Wohlfahrtseffekte fehlen wird. Insoweit ist neben der Öffnung der Praxis für ökonomische und interdisziplinäre Ansätze vor allem auf Seiten der Wissenschaft eine verstärkte ökonomisch-empirische Ausrichtung gefordert.377 Wenngleich die konkrete Abwägung von Vor- und Nachteilen zunächst einen erhöhten Aufwand bei der Entscheidung verursachen mag, ist jedenfalls mit einer zunehmenden Effektivierung zu rechnen. Wie die historische Entwicklung zeigt, ist die Rechtsprechung über die Zeit durchaus zur Beschreibung und Bildung von Fallgruppen in der Lage, die sich durch die Formulierung abstrakter und generalisierbarer Kriterien zur Regelbildung eignen.378 c) Exkurs: Rechtsnatur der Schutzgegenstände, insbesondere Übertragbarkeit 131 und Lizenzierbarkeit. Es ist umstritten, ob die UWG-Rechtsposition eines Originalherstellers übertragbar ist, oder ob diese lizenziert werden kann. Der Bundesgerichtshof und das überwiegende Schrifttum lehnen eine Übertragung und zum Teil auch eine Lizenzierung der Rechte aus UWG-Nachahmungsschutz ab. Dies erfolgt vor allem unter Hinweis darauf, dass § 4 Nr. 3 kein „subjektives Recht“ mit „Ausschließlichkeitscharakter“ schaffe.379 In der prozessualen Praxis bedeutet dies, dass ein ausschließlicher
_____
372 Siehe oben Rn. 80 f. 373 Siehe oben Rn. 84 f. 374 Vgl. BGH 19.11.2015 – I ZR 149/14 – GRUR 2016, 725 Tz. 25 – Pippi-Langstrumpf-Kostüm II; überdies zudem z.B. Ohly FS Schricker S. 105, 119. 375 Siehe oben Rn. 86 ff. 376 A.A. aber z.B. BGH 19.11.2015 – I ZR 149/14 – GRUR 2016, 725 Tz. 26 – Pippi-Langstrumpf-Kostüm II; ebenso (auf Grundlage der in der US-Rechtsprechung entwickelten Kriterien) GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 76. 377 Vgl. Dornis IPQ 2018, 159, 178 ff.; Dornis ZGE 2018, 341, 370 ff. 378 Vgl. konkret zum UWG-Nachahmungsschutz Müller-Laube ZHR 156 (1992) 480, 482 f.; Schröer S. 365 f. 379 BGH 2.12.2015 – I ZR 176/14 – GRUR 2016, 730 Tz. 22 – Herrnhuter Stern; siehe zudem z.B. Sambuc FS Bornkamm S. 455, 457; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.85; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 291; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 35; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 244; Nemeczek GRUR 2011, 292, 294; juris-PK/Ullmann § 4 Nr. 3 Rn. 46 (Übertragung nicht möglich, Lizenzierung zulässig).
271
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
Lizenznehmer von parallel zum UWG-Nachahmungsschutz bestehenden Immaterialgüterrechten gegen einen Nachahmer nicht gleichzeitig oder ausschließlich auf Grundlage des UWG vorgehen kann. Teilweise wird für diese Fälle die Möglichkeit der Lizenzerteilung eröffnet.380 Überdies soll eine Rechtsdurchsetzung in Form der gewillkürten Prozessstandschaft möglich sein.381 Bereits diese Anerkenntnis von Ausnahmen für den Prozess macht die Inkonsistenz der herrschenden Ansicht zur Nichtübertragbarkeit von UWG-Schutzpositionen erkennbar. Die Inkonsistenz zeigt sich darüber hinaus besonders deutlich im Umgang mit der 132 Frage der Rechtsnachfolge in den Geschäftsbetrieb und des damit einhergehenden Übergangs der Position aus UWG-Nachahmungsschutz. Für Fälle der Rechtsnachfolge ist ein Übergang (soweit ersichtlich) unbestritten.382 Auch soll bereits die sogenannte Produktionskontinuität für einen Übergang ausreichen: Übernehme ein Unternehmer die Produktion des Originalprodukts im Einverständnis mit dem Originalhersteller, so trete er an dessen Stelle und der lauterkeitsrechtliche Leistungsschutz entstehe in seiner Person neu.383 Warum eine Übertragung der Schutzposition allerdings nur im Rahmen einer vollständigen Rechtsnachfolge in den Geschäftsbetrieb oder einer tatsächlichen Übernahme der Produktion möglich sein sollte, erschließt sich allein durch den Hinweis auf die Unterschiede zwischen UWG-Leistungsschutz und Immaterialgüterrechten kaum. Die Zweifel mehren sich dabei besonders beim Vergleich mit dem Marken- und Kennzeichenrecht (jedenfalls im Hinblick auf die Schutzpositionen nach § 4 Nr. 3 lit. a und lit. b). Führt man sich nämlich vor Augen, dass eingetragene und nicht eingetragene Markenund Kennzeichenrechte sowohl mit als auch ohne Geschäftsbetrieb (vgl. § 27 MarkenG) übertragen werden können,384 stellt sich die Frage, warum dies nicht auch in Bezug auf die dem Schutz nach § 4 Nr. 3 lit. a und lit. b zugrunde liegenden Positionen (goodwill) gelten sollte. Die Nähe dieser UWG-Tatbestände zum marken- und kennzeichenrechtlichen Schutz ist jedenfalls evident.385 Überdies wirft der Blick auf den Umgang mit Geschäfts- und Betriebsgeheimnis133 sen weitere Fragen auf. Die ganz überwiegende Ansicht verfolgt insoweit nämlich, ganz anders als im Hinblick auf den UWG-Nachahmungsschutz, einen sehr pragmatischen Ansatz: Auch für den Geheimnisschutz fehlt es zwar an einer greifbaren Verdinglichung des Schutzgegenstandes. Dennoch wird sowohl in der Rechtsprechung als auch im Schrifttum ausdrücklich ein „subjektives“ und sogar „absolutes“ Recht an Unternehmensgeheimnissen angenommen, welches lizenzier- und übertragbar sein soll.386 Wenn die Rechtsprechung und das herrschende Schrifttum schließlich zur Begrün134 dung der Nichtübertragbarkeit ganz allgemein darauf verweisen, der Schutzgegenstand des UWG-Leistungsschutzes sei nicht als „absolut“ geschützte Rechtsposition, als „subjektives Recht“ und „Individualgut“ oder als „Ausschließlichkeitsrecht“ ausgestaltet, handelt es sich um eine rein formale Argumentation, die eine Differenzierung
_____
380 Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/83. A.A. aber z.B. Lochmann S. 263; Nemeczek GRUR 2011, 292, 294. 381 Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/83; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 244. 382 Vgl. BGH 23.9.1992 – I ZR 251/90 – GRUR 1993, 151, 152 – Universitätsemblem; zudem z.B. Sambuc FS Bornkamm S. 455, 461; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/83; juris-PK/Ullmann § 4 Nr. 3 Rn. 46; Schröer S. 279; vgl. zudem Mels/Franzen GRUR 2008, 968 ff.; Dornis/Förster GRUR 2006, 195, 196 ff. 383 BGH 2.12.2015 – I ZR 176/14 – GRUR 2016, 730 Rn. 22 – Herrnhuter Stern; Sambuc FS Bornkamm S. 455, 457 und 461; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.85. 384 Vgl. hierzu z.B. Ingerl/Rohnke § 27 Rn. 21 mit weiteren Nachweisen. 385 Siehe oben Rn. 56 ff. 386 Vgl. nur BGH 27.4.2006 – I ZR 126/03 – GRUR 2006, 1044 Tz. 19 – Kundendatenprogramm; zudem Nastelski GRUR 1957, 1, 4 ff.; Forkel FS Schnorr von Carolsfeld S. 105, 109 ff.; Ohly/Sosnitza Vor §§ 17–19 Rn. 4 f.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 17 Rn. 53.
Dornis
272
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
kaum rechtfertigen kann. Im Kern läuft die Argumentation auf eine Einordnung der Ansprüche nach UWG-Nachahmungsschutz als Sanktionierung für „Verhaltensunrecht“ und damit auf eine Abgrenzung von Tatbeständen des „Erfolgsunrechts“ im Immaterialgüterrecht hinaus.387 Dies verkürzt die Zusammenhänge aber unzutreffend. Natürlich mag die Position eines Anspruchsinhabers im Rahmen des § 4 Nr. 3 dem Grunde nach auf das Verhalten der Gegenseite bezogen sein. Für die Position unter § 3 Abs. 1 kann dies aber kaum gelten, fehlt es dort doch nach zutreffender Ansicht an verhaltensbezogenen Merkmalen.388 Und auch allgemein erweist sich die Unterscheidung zwischen „Verhalten“ und „Erfolg“ als unstimmig. Dies offenbart sich bereits grundsätzlich beim Blick auf den Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB, der als Haftungsvoraussetzung nicht nur einen Schutzbereich (und damit Eigentum) definiert, sondern zudem zu sanktionierendes Verhalten in Form eines Eingriffs in diesen Schutzbereich beschreibt.389 Die Abgrenzung erfolgt dabei quantitativ im Sinne eines mehr oder weniger umfassend geschützten Rechts. Entsprechend variiert der Schutzumfang je nach betroffenem Schutzgut. Eine Schwarz-Weiß-Unterscheidung ist dabei kaum möglich. Gleiches gilt für die Tatbestände des UWG-Nachahmungsschutzes, die sich sowohl aus Elementen des Erfolgs- als auch des Verhaltensunrechts konstituieren: Im konkreten Fall mag es auf das Verhalten des Nachahmers ankommen (z.B. eine herkunftstäuschende Handlung). Ausgangspunkt und Grundlage des UWG-Nachahmungsschutzes ist aber stets der tatsächliche Bestand einer Leistung mit wettbewerblicher Eigenart oder ausreichender Schutzhöhe.390 Kurz: der goodwill des Herstellers oder die Leistung als solche bilden das Substrat, aus dem im Einzelfall ein Anspruch auf Abwehr erwachsen kann. Ansprüche nach UWG-Nachahmungsschutz mögen darum zwar verhaltensgebun- 135 den sein und zudem in vielfacher Hinsicht von einer Interessenabwägung abhängen. Das schränkt die Abwehrposition des Inhabers aber im Vergleich zu den Immaterialgüterrechten allenfalls quantitativ, nicht aber qualitativ ein. Die dem UWG-Nachahmungsschutz zugrundeliegenden Positionen – ob in Form des Produkt-goodwills oder eines als solches zu schützenden Leistungsergebnisses – sind vom Verletzerverhalten zunächst grundsätzlich unabhängig. Darum sind sie auch als von der Person des Leistenden abtrennbar sowie übertrag- und lizenzierbar anzusehen.391 Die Übertragbarkeit und Lizenzierbarkeit ist schließlich auch ökonomisch geboten. Der Schutz nach § 4 Nr. 3 lit. a und lit. b erweist sich – auch und vor allem bei ökonomischer Betrachtung – als dem Immaterialgüterschutz (insbesondere dem Marken- und Kennzeichenrecht) wesensverwandt.392 Dies gilt auch für Konstellationen des Leistungsschutzes nach § 3 Abs. 1: Das dort eingeräumte Ausschließlichkeitsrecht unterscheidet sich im Kern nicht von den Immaterialgüterrechten, die auf Grundlage des ökonomischen Modells der Anreizfunktion gewährt werden.393 Darum müssen auch die Befugnisse der Inhaber der jeweiligen Rechtspositionen übereinstimmen. Ein Element des Bündels an Befugnissen aus
_____
387 Vgl. nur BGH 2.12.2015 – I ZR 176/14 – GRUR 2016, 730 Tz. 22 – Herrnhuter Stern; zudem z.B. Heyers GRUR 2006, 23, 23 f.; Lubberger FS Ullmann S. 737, 747; Henning-Bodewig GRUR Int. 2007, 986, 988; Schreiber GRUR 2009, 113, 116; Schröer S. 290; Nemeczek GRUR 2011, 292, 293; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 3. 388 Vgl. insoweit oben Rn. 72 ff. 389 Vgl. nur MünchKommBGB/Wagner § 823 Rn. 1 ff., insbesondere Rn. 8 ff.; zudem differenziert für das UWG: Ohly GRUR Int. 2015, 693, 703 („Grauzone“); und wohl auch Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.4. 390 Zu den Tatbestandsmerkmalen siehe unten Rn. 176 ff. 391 So im Ergebnis zutreffend Keller FS Erdmann S. 595, 609; Ohly FS Schricker S. 105, 120; Münker FS Ullmann S. 781, 790 ff. 392 Siehe oben Rn. 56 ff. 393 Siehe oben Rn. 72 ff.
273
Dornis
136
§4
Mitbewerberschutz
einem property right (Eigentumsrecht) ist dessen Übertragbarkeit.394 Für Immaterialgüterrechte ist dies anerkannt. Insoweit ist die Übertragbarkeit sogar als wesentlicher Bestandteil der zur Entwicklung und Aufrechterhaltung des Wettbewerbs erforderlichen Anreizstrukturen anzusehen. Zur Verdeutlichung genügt es, sich die praktischen Notwendigkeiten vor Augen zu führen: Kann der Hersteller das von ihm geschaffene Produkt nicht durch seine eigene Produktion verwerten, muss er die Rechtsposition übertragen können. Nur so ist eine zur Maximierung der Wohlfahrt erforderliche Ressourcenallokation hin zum größten Nutzen möglich.395
2. Sonderfragen nach Schutzrechtskategorien a) Technische Schutzrechte. Nach dem ökonomischen Modell der Innovationsförderung im Bereich technischer Schutzrechte (Patente und Gebrauchsmuster) ist die Ausdehnung der Ausschließlichkeitsrechte streng an der Abwägung der Vor- und Nachteile mit Blick auf statische und dynamische Effizienzeffekte auszurichten.396 Daraus resultiert für die juristische Doktrin ein im Allgemeininteresse gleich in mehrere Richtungen eng begrenzter Sonderrechtsschutz: Die Zugänglichkeit des freien Standes der Technik ist nicht nur mit Blick auf die sachliche Ausdehnung der Schutzrechte zu sichern. Vor allem in zeitlicher Hinsicht muss der Stand der Technik nach Ablauf der Schutzfristen frei verfügbar sein. Die Erteilung und Eintragung von Rechten sind darum an strenge Anforderungen geknüpft. Zugleich ist die zeitliche Geltungsdauer der Rechte begrenzt. Diese ökonomisch begründeten Grenzen dürfen nicht durch eine formlose Ge138 währung lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutzes nach § 4 Nr. 3 und § 3 Abs. 1 unterlaufen werden. Im Schrifttum wird unter Verweis auf patentrechtliche Wertungen entsprechend formuliert, dass ein wettbewerbsrechtlicher Schutz gegen die Übernahme technischer Problemlösungen praktisch ausgeschlossen sein müsste, in jedem Fall aber nur ausnahmsweise in Betracht komme, und stets das Vorliegen zusätzlicher unlauterkeitsbegründender Umstände verlange.397 Auch die Rechtsprechung sieht den Bereich der technischen Schutzrechte seit der Huthaken-Entscheidung des Reichsgerichts traditionell als gegen eine Ausweitung der lauterkeitsrechtlichen Anspruchsgrundlagen isoliert an.398 Bei genauer Betrachtung werden allerdings Schwankungen der Doktrin zum gemeinfreien Stand der Technik erkennbar. Zeitweise schien die Nachahmungsfreiheit im Grenzbereich zu technischen Schutzrechten weitreichend. Nach der Pulverbehälter-Entscheidung des Bundesgerichtshofs war ein Nachbau technischer Merkmale nicht als Lauterkeitsverstoß einzuordnen, wenn er aus Position und Perspektive eines vernünftigen Gewerbetreibenden als eine angemessene technische Lösung angesehen werden konnte.399 Für eine Übernahme standen damit nicht nur eine geringe Anzahl technisch unbedingt notwendiger und zweckmäßiger Merkmale, sondern der erheblich weitere Rahmen lediglich angemessener technischer Lösungen zur Verfügung.400 Das Gericht betonte bei dieser weiten Definition, dass das Recht auf eine Benutzung des freien Standes der Technik missachtet würde, wenn der Übernehmer einer technischen Lö137
_____
394 Siehe z.B. Posner S. 40 ff.; zudem auch grundlegend Demsetz 57 Am. Econ. Review 347 ff. (1967). 395 So auch zutreffend Schröer S. 274 ff. 396 Siehe oben Rn. 49 ff. 397 Vgl. z.B. Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/16; zudem Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 50; GK-UWG/ Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 98 (beide unter Verweis auf Kraßer § 2 I. e) 3). 398 Siehe oben Rn. 2 f. 399 BGH 3.5.1986 – I ZR 66/66 – GRUR 1968, 591, 592 – Pulverbehälter. 400 BGH 3.5.1986 – I ZR 66/66 – GRUR 1968, 591, 592 – Pulverbehälter; zudem Droste GRUR 1968, 594, 594.
Dornis
274
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
sung auf das Risiko verwiesen wäre, es mit einer anderen Lösung zu versuchen oder es auf einen Rechtsstreit darüber ankommen zu lassen, ob nach dem letzten Stand der Technik eine andere gleichwertige Lösung objektiv möglich ist.401 Spätere Entscheidungen des Bundesgerichtshofes haben die Formel geprägt, dass die technische Lehre und der Stand der Technik frei seien.402 Diese Doktrin entsprach in Bezug auf den Umgang mit der Unsicherheit bei Beurteilung der Notwendigkeit einer technischen Gestaltung im Wesentlichen der Philips/Remington-Rechtsprechung des EuGH zur Beurteilung der Schutzfähigkeit dreidimensionaler Marken. Demnach ist ein aus einer technisch bedingten Form bestehendes Zeichen von der Eintragung ausgeschlossen, selbst wenn die fragliche technische Wirkung durch andere Formen erzielt werden kann.403 Die Rechtsprechung der jüngeren Zeit hat die Reichweite des Nachahmungs- 139 schutzes für technische Merkmale aber wieder ausgedehnt. So hat der Bundesgerichtshof zuletzt mehrfach festgestellt, dass lediglich technisch notwendige Merkmale im Sinne von Eigenschaften, die bei gleichartigen Erzeugnissen aus technischen Gründen zwingend verwendet werden müssen, keine wettbewerbliche Eigenart begründen können sollen. Nur die Übernahme derartiger Merkmale sei mit Rücksicht auf den Grundsatz des freien Standes der Technik nicht zu beanstanden.404 Dabei gilt ein Gestaltungsmerkmal als technisch notwendig, wenn ein bestimmter technischer Erfolg nur mithilfe dieses Merkmals und nicht auch auf andere Weise erreicht werden kann.405 Entscheidend für den technischen Erfolg ist der konkrete Gebrauchszweck.406 Handele es sich hingegen nicht um technisch notwendige Merkmale, sondern um solche, die zwar technisch bedingt, aber ohne Qualitätseinbußen frei austauschbar seien, könnten diese Merkmale die Eigenart eines Erzeugnisses durchaus (mit)begründen, so insbesondere wenn der Verkehr wegen dieser Merkmale auf die Herkunft aus einem bestimmten Unternehmen Wert lege oder mit ihnen gewisse Qualitätserwartungen verbinde.407 Insoweit könne auch die Kombination einzelner technischer Gestaltungsmerkmale (gegebenenfalls im Zusammenspiel mit ästhetischen Merkmalen) die Eigenart begründen, selbst wenn die einzelnen Merkmale für sich genommen nicht geeignet seien, im
_____
401 BGH 3.5.1986 – I ZR 66/66 – GRUR 1968, 591, 592 – Pulverbehälter; vgl. hierzu auch Schacht GRUR 2017, 1203, 1204. 402 Siehe z.B. BGH 17.6.1999 – I ZR 213/96 – GRUR 1999, 1106, 1108 f. – Rollstuhlnachbau; BGH 23.1.1981 – I ZR 48/79 – GRUR 1981, 517, 519 – Rollhocker; BGH 14.12.1995 – I ZR 240/93 – GRUR 1996, 210, 211 – Vakuumpumpen; BGH 14.1.1999 – I ZR 203/96 – GRUR 1999, 751, 753 – Güllepumpen; BGH 12.7.2001 – I ZR 40/99 – GRUR 2002, 86, 90 – Laubhefter. 403 EuGH 18.6.2002 – C-299/99 – GRUR 2002, 804 Tz. 83 – Philips/Remington; zudem EuGH 14.9.2010 – C-48/09 P – GRUR 2010, 1008 Tz. 53 ff. – Lego Juris A/S. 404 BGH 17.7.2013 – I ZR 21/12 – GRUR 2013, 1052 Tz. 18 – Einkaufswagen III; BGH 22.1.2015 – I ZR 107/13 – GRUR 2015, 909 Tz. 18 – Exzenterzähne; BGH 15.12.2016 – I ZR 197/15 – GRUR 2017, 734 Tz. 19 – Bodendübel; siehe zudem bereits zuvor BGH 7.2.2002 – I ZR 289/99 – GRUR 2002, 820, 822 – Bremszangen; BGH 28.5.2009 – I ZR 124/06 – GRUR 2010, 80 Tz. 27 – LIKEaBIKE; BGH 24.1.2013 – I ZR 136/11 – GRUR 2013, 951 Tz. 19 – Regalsystem. 405 BGH 8.12.1999 – I ZR 101/97 – GRUR 2000, 521, 523 – Modulgerüst I; BGH 21.9.2006 – I ZR 270/03 – GRUR 2007, 339 Tz. 27 – Stufenleitern; BGH 24.5.2007 – I ZR 104/04 – GRUR 2007, 984 Tz. 20 – Gartenliege; BGH 22.1.2015 – I ZR 107/13 – GRUR 2015, 909 Tz. 24 – Exzenterzähne; BGH 15.12.2016 – I ZR 197/15 – GRUR 2017, 734 Tz. 31 – Bodendübel. 406 BGH 8.12.1999 – I ZR 101/97 – GRUR 2000, 521, 523 f. – Modulgerüst I; BGH 24.3.2005 – I ZR 131/02 – GRUR 2005, 600, 602 – Handtuchklemmen; BGH 24.5.2007 – I ZR 104/04 – GRUR 2007, 984 Tz. 20 – Gartenliege; BGH 22.1.2015 – I ZR 107/13 – GRUR 2015, 909 Tz. 24 – Exzenterzähne; BGH 15.12.2016 – I ZR 197/15 – GRUR 2017, 734 Tz. 31 – Bodendübel. 407 BGH 17.7.2013 – I ZR 21/12 – GRUR 2013, 1052 Tz. 18 – Einkaufswagen III; BGH 22.1.2015 – I ZR 107/13 – GRUR 2015, 909 Tz. 19 und Tz. 26 – Exzenterzähne; BGH 15.12.2016 – I ZR 197/15 – GRUR 2017, 734 Tz. 19 und Tz. 31 – Bodendübel; vgl. zudem Schacht GRUR 2017, 1203, 1205.
275
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
Verkehr auf die Herkunft aus einem bestimmten Unternehmen hinzuweisen.408 Vor allem bei einer identischen oder nahezu identischen Übernahme kann sich der Nachahmer zudem grundsätzlich nicht darauf berufen, er habe lediglich eine nicht unter Sonderrechtsschutz stehende angemessene technische Lösung übernommen. In diesen Fällen ist es ihm zuzumuten, auf eine andere angemessene technische Lösung auszuweichen, wenn der Gefahr einer Herkunftstäuschung nicht auf andere Weise entgegengewirkt werden kann.409 Mit Blick auf die tatsächlichen Auswirkungen auf den Wettbewerb ist die Veren140 gung auf technisch notwendige Merkmale allerdings Bedenken ausgesetzt. Die Rechtsprechung betrachtet bei Prüfung der Notwendigkeit ausschließlich die technische Dimension. Die Frage der Notwendigkeit aus betriebswirtschaftlichen Gründen bleibt unbeachtet. Es kann aber durchaus vorkommen, dass ein Merkmal zwar nicht technisch notwendig ist, dafür aber für die Herstellung eines Produkts und vor allem die Kosten essentiell (z.B. aufgrund Materialersparnis oder Vereinfachung von Fertigungsprozessen). Auch in diesen Fällen kann die Monopolisierung von Merkmalen (die nach der Doktrin des Bundesgerichtshofs in diesem Fall als lediglich „technisch bedingt“ eingeordnet werden könnte) durchaus zur Wettbewerbsverzerrung führen.410 Eine besondere Problematik enthält die neuere Doktrin des Bundesgerichtshofs (seit 141 der Exzenterzähne-Entscheidung) zudem im Hinblick auf das Verhältnis von Lauterkeitsrecht und formalem technischem Sonderrechtsschutz: Allein das Ziel, den nach Ablauf des Sonderrechtsschutzes freien Stand der Technik für den Wettbewerb offenzuhalten, kann nach dieser Doktrin nicht dazu zwingen, allen einst vom abgelaufenen Schutz erfassten, technisch bedingten Merkmalen von vornherein die Eignung abzusprechen, auf die betriebliche Herkunft oder die Besonderheiten des Erzeugnisses hinzuweisen.411 Die Reichweite des UWG-Nachahmungsschutzes ist damit im Vergleich zu der teilweise in der obergerichtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum vertretenen Ansicht erweitert, wonach im Fall eines abgelaufenen Patentschutzes nur solche Merkmale eines Erzeugnisses als leistungsschutzbegründend anzusehen seien, die von der patentierten technischen Lösung unabhängig sind.412 Begründet wird die Erweiterung zunächst unter Verweis auf die Unterschiede zwischen Sonderrechtsschutz und UWG im Hinblick auf Schutzzweck, Voraussetzungen und Rechtsfolgen. UWG-Leistungsschutz
_____
408 BGH 8.12.1999 – I ZR 101/97 – GRUR 2000, 521, 524 – Modulgerüst I; BGH 15.4.2010 – I ZR 145/08 – GRUR 2010, 1125 Tz. 23 – Femur-Teil; BGH 24.1.2013 – I ZR 136/11 – GRUR 2013, 951 Tz. 19 – Regalsystem; BGH 17.7.2013 – I ZR 21/12 – GRUR 2013, 1052 Tz. 18 f. – Einkaufswagen III; BGH 22.1.2015 – I ZR 107/13 – GRUR 2015, 909 Tz. 20 – Exzenterzähne; BGH 14.9.2017 – I ZR 2/16 – GRUR 2017, 1135 Tz. 20 – Leuchtballon. 409 BGH 22.1.2015 – I ZR 107/13 – GRUR 2015, 909 Tz. 36 – Exzenterzähne. 410 Eine andere Richtung hat zu dieser Frage die US-amerikanische Rechtsprechung eingeschlagen. Die dort für den Schutz von trade dress (d.h. vor allem der äußeren Gestalt von Produkten) gegen Nachahmungen bestehende Schranke der Funktionalität (functionality) erfordert die Berücksichtigung von technischen als auch betriebswirtschaftlichen Aspekten. Vgl. z.B. mit jeweils weiteren Nachweisen die Fälle In re Morton-Norwich Prod., Inc., 671 F.2d 1332, 1341 (C.C.P.A. 1982) („It is also significant that a particular design results from a comparatively simple or cheap method of manunfacturing the article.“) und Inwood Labs., Inc. v. Ives Labs., Inc., 456 U.S. 844, 851 Fn. 10 (1982) („In general terms, a product feature is functional if it is essential to the use or purpose of the article or if it affects the cost or quality of the article.“). Zur Rechtsvergleichung siehe zudem oben Rn. 22 ff. 411 BGH 22.1.2015 – I ZR 107/13 – GRUR 2015, 909 Tz. 23 – Exzenterzähne; BGH 15.12.2016 – I ZR 197/15 – GRUR 2017, 734 Tz. 20 f. – Bodendübel. 412 Vgl. insoweit OLG Frankfurt/M. 25.4.2013 – 6 U 204/11 – WRP 2013, 1069 Tz. 45; zudem z.B. Ullmann jurisPR-WettbR 9/2015 Anm. 3; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/16; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 42; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 50 f.
Dornis
276
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
könne unabhängig vom Bestehen des Immaterialgüterrechts gegeben sein, wenn besondere Umstände außerhalb des sondergesetzlichen Tatbestands vorlägen.413 Auch ein einst patentrechtlich geschütztes Element einer Gestaltung könne einem Gegenstand darum wettbewerbliche Eigenart verleihen, sofern dieses nicht als technisch notwendig einzuordnen sei, sondern ohne Qualitätseinbußen durch eine frei wähl- und austauschbare Gestaltung mit gleichem technischem Zweck ersetzt werden könne.414 Auch diese Rechtsprechung ist zumindest teilweise kritisch zu sehen. Dabei sind 142 verschiedene Problemebenen zu unterscheiden. Zunächst stellt sich die Frage, ob ein vormals bestehender sondergesetzlicher Schutz die technische Notwendigkeit im Sinne der Rechtsprechung bedingt. Bereits insoweit ist die Doktrin des Bundesgerichtshofs keinesfalls eindeutig. Zwar ist zuzugestehen, dass ein in der Vergangenheit möglicherweise einmal bestehender Patentschutz nicht zwingend bedeuten muss, dass alle einst vom Patent umfassten Merkmale noch immer technisch notwendig sind. Entscheidend für die Eignung eines Merkmals zu Begründung wettbewerblicher Eigenart im Sinne des lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutzes ist vielmehr das Kriterium der aktuellen Notwendigkeit.415 Der sonderrechtliche Schutz durch ein Patent (oder Gebrauchsmuster) mag ein Indikator für die technische Notwendigkeit in der Vergangenheit sein. Ob man auf dieser Grundlage nach dem Auslaufen des Sonderrechtsschutzes aber immer noch von einem sofortigen und vollständigen „Freiwerden“ des Merkmals zur erneuten Monopolisierung ausgehen kann, muss bezweifelt werden. Die entscheidende Frage ist vielmehr, ob ein Merkmal nach dem Ablaufen der Schutzfrist noch immer technisch notwendig oder nur (noch) technisch bedingt und austauschbar ist. Will man die Regelungsbereiche des Patentrechts und des UWG noch enger verfloch- 143 ten sehen, stellt sich überdies auch noch die Frage, ob die patentrechtliche Ratio eine weitere Eingrenzung des monopolisierbaren Bereichs technischer Merkmale erfordert. Insoweit wird im Schrifttum (vor allem mit Blick auf die ExzenterzähneKonstellation) gefordert, die „Last der Entscheidung“ bei unvermeidbarer oder nur unzureichend vermeidbarer Herkunftstäuschung dem früheren Patentinhaber aufzuerlegen.416 Die verallgemeinerungsfähige Wertung des Patentrechts verlange, den Mitbewerbern nach dem Auslaufen des sondergesetzlichen Schutzes den Markteintritt möglichst rasch zu ermöglichen. Im Interesse dieses Markteintrittsziels sei sogar (jedenfalls für eine Übergangszeit) eine „gewisse Marktverwirrung“ hinzunehmen. Insoweit überwiege das Interesse der Allgemeinheit und der potentiellen Mitbewerber an „effektivem Eintritt in den vormals vom Patentinhaber beherrschten Markt“.417 Dabei sei insbesondere zu beachten, dass der Originalhersteller aufgrund des vorangegangenen Patentschutzes über einen Vorsprung im Markt („Sprungbrett“) verfüge, das es ihm ermögliche, die Strukturen im Markt zu „zementieren“.418 Gleich mehrere Aspekte bedürfen hier der Klarstellung. Zunächst muss eine über- 144 mäßige Vereinfachung vermieden werden. Nur weil in der richterlichen Praxis mögli-
_____
413 BGH 22.1.2015 – I ZR 107/13 – GRUR 2015, 909 Tz. 23 – Exzenterzähne; BGH 15.12.2016 – I ZR 197/15 – GRUR 2017, 734 Tz. 21 – Bodendübel. 414 BGH 22.1.2015 – I ZR 107/13 – GRUR 2015, 909 Tz. 24 – Exzenterzähne; BGH 15.12.2016 – I ZR 197/15 – GRUR 2017, 734 Tz. 21 f. – Bodendübel. 415 Zur Kritik der Beschränkung auf technische Aspekte siehe oben Rn. 140. 416 So insbesondere Leistner GRUR 2018, 697, 699. 417 Leistner GRUR 2018, 697, 699. 418 Leistner GRUR 2018, 697, 699; hiergegen aber unter Verweis auf eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung bei früherem Patentschutz BGH 15.12.2016 – I ZR 197/15 – GRUR 2017, 734, 736 – Bodendübel; vgl. zudem z.B. Nemeczek GRUR 2015, 914, 915; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.12.
277
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
cherweise eine Verkürzung der Prüfung lauterkeitsrechtlicher Merkmale (des § 4 Nr. 3 lit. a) zu beobachten ist oder droht,419 darf nicht auf eine pauschale Faustregel der „Lastenverteilung“ ausgewichen werden. Richtigerweise wäre vielmehr zu folgern, dass es gerade um die strenge Einhaltung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 4 Nr. 3 gehen muss, soll die ökonomisch unglückliche Verquickung von Patent- und UWG-Schutz vermieden werden.420 Zudem muss vor einer ungenauen Hierarchisierung von kartell-, patent- und lauterkeitsrechtlichen Belangen gewarnt werden. Hält man die Regelungsbereiche nach den Schutzzwecken und den ökonomischen Grundlagen streng auseinander, so wird erkennbar, dass es im Rahmen des § 4 Nr. 3 (in den für die Abgrenzung besonders relevanten Bereichen des lit. a und lit. b) um ein informationsökonomisches Anliegen geht. Die „Kommunikation“ mit den Abnehmern und Verbrauchern soll korrekt und lauter gehalten werden. Dies ist ein von der kartell- und patentrechtlichen Ratio verschiedenes Ziel.421 Eine transparente Modellierung des Verhältnisses der Bereiche verlangt eine klare Benennung der zu regulierenden Phänomene: im Patentrecht geht es um Anreize zur Innovation; dieser Regelungszweck hat mit dem Ablauf des Patentschutzes seine Bedeutung eingebüßt. Unbehelligt hiervon steht aber der Regelungszweck des § 4 Nr. 3 lit. a (ebenso wie lit. b); insoweit geht es um die Sicherung von Marktinformationskapital. Der im Bewusstsein der Abnehmer und Verbraucher verankerte goodwill soll geschützt werden.422 Dieser darf für die Abwägung der Vor- und Nachteile aber nicht durch pauschalen Hinweis auf eine hinzunehmende „Marktverwirrung“ in den Hintergrund geschoben werden. Man wird vielmehr im Einzelfall zu prüfen haben, welcher Belang überwiegt. Dabei sind die Nachteile der Täuschung über die Herkunft oder die Ausnutzung oder Beeinträchtigung der Wertschätzung mit dem letztlich in der Sache kartellrechtlichen Anliegen einer Öffnung des Marktes in Ausgleich zu bringen. Einfache Lösungen im Sinne eines „im Zweifel für die Marktöffnung“ sind aber nicht empfehlenswert. Dies gilt schließlich vor allem auch im Hinblick auf die Tatsache, dass der Nachahmungsschutz häufig gerade nicht von Großunternehmen, sondern von kleineren und mittleren Unternehmen geltend gemacht wird.423 Mit Blick auf die Marktmachtstrukturen wäre dann wohl in manchem Fall eher davon auszugehen, dass der Nachahmer gerade nicht schützenswert ist. Der Nachahmungsschutz mag dann im Einzelfall sogar dazu dienen, in etablierte Märkte einzudringen. Schließlich ist bei der Diskussion die prozessuale Perspektive bislang weitgehend 145 unbeleuchtet. Zwischen der Begrenzung auf von der einst patentierten Lösung unabhängige Merkmale und der vom Bundesgerichtshof vertretenen Unbeachtlichkeitsdoktrin könnte mit Blick auf die Wettbewerbsfreiheit auch von einer Zwischenlösung ausgegangen werden. Zu denken wäre vor allem an eine Vermutung der Nicht-Eigenart bei einstmals bestehendem Sonderrechtsschutz, die der Anspruchsteller widerlegen muss.424 Auf diese Art wäre der Markteintritt aufgrund der prozessualen Waffenvertei-
_____
419 Siehe unten Rn. 203 ff. 420 So im Ergebnis wohl auch Leistner GRUR 2018, 697, 704. 421 Zum ökonomischen Modell siehe oben Rn. 48 ff. 422 Siehe oben Rn. 58 ff. 423 Vgl. hierzu Weihrauch S. 219 f. mit weiteren Nachweisen. 424 Zu einer ähnlichen Doktrin in der US-Rechtsprechung vgl. vor allem TrafFix Devices, Inc. v. Mktg. Displays, Inc., 532 U.S. 23, 29 f. (2001) („The principal question in this case is the effect of an expired patent on a claim of trade dress infringement. A prior patent … has vital significance in resolving the trade dress claim. A utility patent is strong evidence that the features therein claimed are functional. If trade dress protection is sought for those features the strong evidence of functionality based on the previous patent adds great weight to the statutory presumption that features are deemed functional until proved otherwise by the party seeking trade dress protection. Where the expired patent claimed the features in question, one
Dornis
278
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
lung (quasi im Windschatten eines prozessual gestärkten Nachahmers) zumindest erleichtert. Zugleich bestünde für den Originalhersteller (auch als private attorney general im Interesse der irregeführten Abnehmer) immer noch die Möglichkeit, seinen goodwill und Besitzstand zu verteidigen. Der Grundsatz der freien Lehre und des freien Standes der Technik ist nach der 146 Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs schließlich auch für komplexe technische Erzeugnisse nur eingeschränkt gültig. So wurde in der Rollstuhlnachbau-Entscheidung zwar zunächst (in Übereinstimmung mit der Pulverbehälter-Doktrin) statuiert, dass gemeinfreie technische Lösungen zwar grundsätzlich verwendet werden dürfen, ohne dem Übernehmer das Risiko aufzubürden, es mit einer anderen Lösung zu versuchen.425 Hierdurch sei aber nicht ausgeschlossen, dass der Vertrieb eines Erzeugnisses dennoch als unlauter eingestuft werden könne, wenn dieses in der Gesamtkombination aus einer Vielzahl technisch-funktionaler Gestaltungselemente identisch oder fast identisch nachgeahmt worden sei, obwohl für Abweichungen ein hinreichend großer Spielraum bestanden habe.426 Bei der Beurteilung sei entscheidend, ob die Übernahme der Merkmale technisch notwendig war, also aus technischen Gründen zwingend verwendet werden musste, oder ob ein Spielraum bestand, diese (dann nur technisch bedingten) Elemente ohne Qualitätseinbußen auszutauschen.427 Nach der Femur-Teil-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist Nachahmungs- 147 schutz darüber hinaus auch nach § 4 Nr. 3 lit. b in Erwägung zu ziehen.428 Sowohl Herkunftstäuschung als auch Beeinträchtigung der Wertschätzung können vermieden werden, wenn der Nachahmer die angesprochenen Verkehrskreise nach Ablauf des Patentschutzes und beim Eindringen in den Markt unmissverständlich darüber informiert, dass es sich nicht um ein Original handelt, und wie sich das nachgeahmte Produkt vom Original unterscheidet.429 Bei im Vergleich zum Original geringeren Qualität der Nachahmung und eingeschränkten Möglichkeiten einer ausreichenden Information der Abnehmer am point of sale ist die Möglichkeit der Rufbeeinträchtigung allerdings nicht per se abzulehnen. Entgegen der Kritik im Schrifttum ist ein Schutz gegen Rufbeeinträchtigung (§ 4 Nr. 3 lit. b, Var. 2) in bestimmten Konstellationen durchaus auch ökonomisch sinnvoll.430 Zwar muss eine Übernahme gemeinfreier Merkmale nach Ablauf des Sonderrechtsschutzes selbst bei besonderen Qualitätserwartungen der Abnehmer an das Originalprodukt grundsätzlich möglich sein. Der UWG-Schutz darf den Sonderrechtsschutz nicht perpetuieren. Dies geschieht aber auch nicht, sofern sich der gewährte Schutz auf
_____ who seeks to establish trade dress protection must carry the heavy burden of showing that the feature is not functional, for instance by showing that it is merely an ornamental, incidental, or arbitrary aspect of the device.“). 425 BGH 17.6.1999 – I ZR 213/96 – GRUR 1999, 1106, 1108 – Rollstuhlnachbau. 426 BGH 17.6.1999 – I ZR 213/96 – GRUR 1999, 1106, 1108 – Rollstuhlnachbau; siehe zudem z.B. BGH 12.7.2001 – I ZR 40/99 – GRUR 2002, 86, 90 – Laubhefter; BGH 23.1.1981 – I ZR 48/79 – GRUR 1981, 517, 519 – Rollhocker; vgl. auch BGH 26.10.1962 – I ZR 21/61 – GRUR 1963, 152, 156 – Rotaprint; Bopp GRUR 1997, 34, 37. 427 BGH 15.4.2010 – I ZR 145/08 – GRUR 2010, 1125 Tz. 22 – Femur-Teil. Vgl. auch BGH 24.5.2007 – I ZR 104/04 – GRUR 2007, 984 Tz. 20 – Gartenliege; BGH 2.4.2009 – I ZR 199/06 – GRUR 2009, 1073, Tz. 10 ff. – Ausbeinmesser, wonach bei Bestehen eines Spielraums für den Austausch einzelner Gestaltungsmerkmale nicht einmal die für den Gebrauchszweck „optimale“ Kombination technischer Merkmale zwingend von Ansprüchen aus wettbewerbsrechtlichem Leistungsschutz frei sein soll. 428 BGH 15.4.2010 – I ZR 145/08 – GRUR 2010, 1125 Tz. 46 und Tz. 51 – Femur-Teil; vgl. zudem zuvor BGH 8.12.1999 – I ZR 101/97 – GRUR 2000, 521, 526 f. – Modulgerüst I. 429 BGH 15.4.2010 – I ZR 145/08 – GRUR 2010, 1125 Tz. 28 ff. und Tz. 38 ff. – Femur-Teil; vgl. auch OLG Köln 29.10.2010 – 6 U 119/10 – WRP 2011, 109, 111 f. – Joghurtbecher. 430 A.A. GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 103.
279
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
die informationsökonomischen Aspekte beschränkt. Man mag die Marktvorherrschaft eines Originalherstellers unter kartellrechtlichen Gesichtspunkten für unerwünscht halten. Eine pauschale Ablehnung des goodwill-Schutzes kann allein aus dem Argument der Marktdominanz aber noch nicht geschlossen werden.431 Vielmehr ist zu beachten, dass es für bestimmte Produkte je nach Verkaufs- und 148 Verwendungssituation schwierig bis unmöglich sein kann, den Markt hinreichend genau und vor allem dauerhaft über die Unterschiede zwischen Original und Nachahmung zu informieren. Dann müssen aber stets auch die informationsökonomischen Auswirkungen auf Dritte in die Abwägung der Vor- und Nachteile einbezogen werden.432 So sind die Qualitätsmerkmale von Erfahrungs- und Vertrauensgütern (z.B. Medizinprodukten) typischerweise nur durch Gebrauch und zudem meist erst nach längerer Zeit ermittelbar.433 Sollte es bei der Verwendung von Nachahmungen zu Qualitätsproblemen kommen, ist dafür Sorge zu tragen, dass diese nicht dem Original angelastet werden. Wenngleich die Herkunft etwa bei Medizinprodukten meist auch noch lange Zeit nach der Verwendung auf die Bezugsquelle zurückführbar sein dürfte, kann dies bei anderen Gütern Probleme aufwerfen. Ist die Herkunft beim späteren „Ausbau“ einer defekten Nachahmung (z.B. den Steckelementen im Exzenterzähne-Fall)434 nur schwer ermittelbar, können Qualitätsmängel erheblich auf den Ruf des Originals zurückstrahlen. Ob man das Interesse an der Bewahrung eines aufwändig geschaffenen goodwills des Originalprodukts sowie der Vermeidung einer Fehlinformation des Verkehrs pauschal als unbeachtlich oder dem kartellrechtlichen Interesse an einer Marktöffnung unterordnen sollte, muss bezweifelt werden.435 Bei Abwägung der beteiligten Regelungszwecke und Interessen (und einer ökonomischen Kosten-Nutzen-Analyse) drängt sich vielmehr eine stärker nuancierte Lösung auf: Statt der pauschalen Ablehnung des Schutzes für das Original, sind die Möglichkeiten der Vermeidung einer Rufbeeinträchtigung durch den Anbieter der Nachahmung lückenlos auszuloten. Insoweit ist in erster Linie an eine Kennzeichnung zu denken, die auch in der Zeit nach dem Erwerb noch eine klare und einfache Zuordnung von Produkt und Bezugsquelle ermöglicht. Bei Medizinprodukten (z.B. Hüftprothesen) ist an eine unübersehbare und dauerhafte Kennzeichnung auf der Nachahmung zu denken.436 Ist dies nicht möglich, so etwa bei den Bauprodukten im Exzenterzähne-Fall (wo eine Kennzeichnung wohl nicht möglich war),437 und ist auch keine signifikant andere Form wählbar, wäre höchst hilfsweise z.B. an die Verwendung einer anderen Farbe des Materials der Nachahmung zu denken.438 149 Die „Nachahmung“ von Dienstleistungen lässt sich schließlich nur schwer in den Tatbeständen des § 4 Nr. 3 verorten. Sowohl die Gefahr einer Herkunftstäuschung als
_____
431 Vgl. zur vergleichbaren Problematik oben Rn. 141 ff. 432 Siehe insoweit v.a. rechtsvergleichend oben Rn. 61 ff. 433 Um ein derartiges Vertrauensgut handelte es sich bei dem nachgeahmten Femur-Teil in BGH 15.4.2010 – I ZR 145/08 – GRUR 2010, 1125 – Femur-Teil; siehe auch zutreffend GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 103 Fn. 362. 434 BGH 22.1.2015 – I ZR 107/13 – GRUR 2015, 909 – Exzenterzähne. 435 Darauf läuft eine auf das Argument unzulässiger „Marktzutrittsbarrieren“ gestützte Lösung im Ergebnis aber hinaus. Vgl. GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 103. 436 Dies wäre jedenfalls dann gefordert, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die mit „Mängelfällen“ befassten Verkehrskreise die Herkunft der Nachahmung nicht bereits mit angemessenem Aufwand aus anderen Informationsquellen (z.B. Krankenakten oder Implantatregistern) erkennen können. 437 Vgl. BGH 22.1.2015 – I ZR 107/13 – GRUR 2015, 909 Tz. 37 – Exzenterzähne. Anders dürfte die Situation im Bodendübel-Sachverhalt zu beurteilen sein, wo die Möglichkeit einer ausreichenden und dauerhaften Kennzeichnung bestand. Vgl. BGH 15.12.2016 – I ZR 197/15 – GRUR 2017, 734 – Bodendübel. 438 Zur Verwendung unterschiedlicher Farben für das Material siehe z.B. auch BGH 7.2.2002 – I ZR 289/99 – GRUR 2002, 820, 823 – Bremszangen; zudem z.B. Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 129.
Dornis
280
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
auch einer Ausnutzung oder Beeinträchtigung der Wertschätzung ist erheblich von einer Bezugnahme auf äußere Merkmale des nachgeahmten Produkts abhängig. Dienstleistungen als solche bieten wenig Anhaltspunkte und visuelle „Aufhänger“ und damit im Ergebnis auch meist keine „Angriffsfläche“ für Nachahmer.439 Auch dürfte der Tatbestand des § 4 Nr. 3 lit. c bereits daran scheitern, dass die Erbringung von Dienstleistungen regelmäßig nicht auf der Erlangung geheimer Kenntnisse beruht. b) Urheberrechte und verwandte Schutzrechte. Das Urheberrecht schützt nach 150 § 1 UrhG Werke der Literatur, Wissenschaft und Kunst. Zu den geschützten Werken gehören auch Computerprogramme, Werke der angewandten Kunst, Lichtbildwerke sowie Darstellungen wissenschaftlicher oder technischer Art sowie Sammel- und Datenbankwerke (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 1, 4, 5 und 7 sowie § 4 UrhG). Das Urheberrecht umfasst mittlerweile zudem auch sogenannte verwandte Schutzrechte, die überwiegend dem Zweck dienen, Investitionen zu schützen, insbesondere Rechte des Datenbankherstellers nach §§ 87a ff. UrhG. Überschneidungen mit dem UWG-Nachahmungsschutz sind damit in mehrfacher Hinsicht möglich.440 Nach überwiegender Ansicht stehen Ansprüche aus Urheberrecht und Lauterkeitsrecht grundsätzlich in Konkurrenz.441 Der UWG-Schutz verlangt ein Hinzutreten weiterer Umstände außerhalb des urheberrechtlichen Sonderschutztatbestandes, welche die beanstandete Handlung als unlauter erscheinen lassen.442 Für Ansprüche wegen Rechtsbruchs (§ 3a) ist zu berücksichtigen, dass allein die Urheberrechtsverletzung als solche nicht als Rechtsbruch angesehen werden kann.443 Ebenso wie im Bereich der technischen Schutzrechte müssen auch für den lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutz im Graubereich urheberrechtsrelevanter Sachverhaltskonstellationen Wertungswidersprüche zwischen den Systemen vermieden werden. Insoweit ist zwischen mittelbarem Leistungsschutz nach § 4 Nr. 3 lit. a bis lit. c und unmittelbarem Leistungsschutz nach § 3 Abs. 1 zu unterscheiden. Im Hinblick auf die Abgrenzung des Urheberrechtsschutzes von den Tatbeständen 151 des mittelbaren Leistungsschutzes ist streng auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 4 Nr. 3 lit. a bis lit. c zu achten.444 Soweit Tatbestände der Herkunftstäuschung oder des Geheimnisbruchs nach § 4 Nr. 3 lit. a und lit. c betroffen sind, wirft das parallele Bestehen urheber- und lauterkeitsrechtlicher Ansprüche in der Regel keine Abgrenzungsprobleme auf. Problematischer ist die Grenzziehung allerdings beim Vorwurf einer Ausnutzung oder Beeinträchtigung der Wertschätzung im Sinne des § 4 Nr. 3 lit. b. Im Rahmen der Wechselwirkungsdoktrin ist dann besondere Vorsicht angezeigt.445
_____
439 So zutreffend Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 42 ff. 440 Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/17; siehe zudem zu Werken der angewandten Kunst auch BGH 13.11.2013 – I ZR 143/12 – GRUR 2014, 175 ff. – Geburtstagszug. 441 BGH 16.1.1997 – I ZR 9/95 – GRUR 1997, 459, 464 – CB-infobank I; BGH 10.12.1998 – I ZR 100/96 – BGHZ 140, 183, 187 f. = GRUR 1999, 325, 326 – Elektronische Pressearchive; BGH 1.12.2010 – I ZR 12/08 – GRUR 2011, 134, 140 Tz. 65 – Perlentaucher; Ohly GRUR Int. 2015, 693, 698 f.; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/17; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 33; Fuchs/Farkas ZUM 2015, 110, 122; a.A. aber wohl grundsätzlich Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.23 und Rn. 3.24; wohl auch GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 79. 442 BGH 16.1.1997 – I ZR 9/95 – GRUR 1997, 459, 464 – CB-infobank I; BGH 10.12.1998 – I ZR 100/96 – BGHZ 140, 183, 187 f. = GRUR 1999, 325, 326 – Elektronische Pressearchive; zudem z.B. Ohly GRUR Int. 2015, 693, 698 f.; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 33. 443 BGH 10.12.1998 – I ZR 100/96 – BGHZ 140, 183, 187 f. = GRUR 1999, 325, 326 – Elektronische Pressearchive; im Ergebnis ebenso Ohly GRUR Int. 2015, 693, 698 f.; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/17; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 35. 444 Vgl. z.B. BGH 3.11.2005 – I ZR 311/02 – GRUR 2006, 493, 495 Tz. 28 – Michel-Nummern; BGH 12.5.2011 – I ZR 53/10 – GRUR 2012, 58 Tz. 41 – Seilzirkus; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/17. 445 Zur Wechselwirkung siehe unten Rn. 196 ff.
281
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
Insoweit begründet allein das Vorliegen einer persönlichen geistigen Schöpfung im Sinne des § 2 Abs. 2 UrhG als solches noch nicht die wettbewerbliche Eigenart der UWG-Leistung. Im Schrifttum wird ergänzend darauf hingewiesen, dass eine Abgrenzung zum Bereich des urheberrechtlichen Vervielfältigungsverbots (§ 16 UrhG) dringend erhalten bleiben müsse. Dies gelinge nur, wenn der Tatbestand der Rufausbeutung nicht bereits bei einer bloßen Nachahmung von besonders wertgeschätzten Werken greife. Andernfalls würde unmittelbarer Leistungsschutz gewährt.446 Dem ist auch mit Blick auf das ökonomische Modell zuzustimmen: der Schutz gegen Rufausbeutung schafft einen vom Urheberrecht zu unterscheidenden Anreizmechanismus zum Aufbau informationsökonomischer Werte in Form eines Produkt-goodwills.447 Für die UWG-Tatbestandsverwirklichung ist darum stets gesondert auch noch nach dem Vorliegen der Eigenart nach UWG-Maßstäben zu fragen. 152 Die Probleme einer genauen Abgrenzung zum Urheberrecht zeigen sich überdies mit besonderer Vehemenz im Grenzbereich zum unmittelbaren Leistungsschutz nach § 3 Abs. 1. Insoweit ist festzuhalten, dass ein lauterkeitsrechtlicher Schutz auch unterhalb der Voraussetzung persönlicher geistiger Schöpfungen (vgl. § 2 Abs. 2 UrhG), so insbesondere für ihrer Natur nach gänzlich neuartige Schutzgegenstände in Betracht kommen kann.448 Wenngleich an der Doktrin der Subsidiarität jedenfalls aus systematischen Gründen nicht gezweifelt werden soll,449 ist doch zu beachten, dass sich die Frage bei genauer Betrachtung des jeweils betroffenen Schutzgegenstandes in vielen Fällen nicht stellt. Anders gewendet: Handelt es sich beim geltend gemachten Schutz für eine „Leistung“ nicht um ein mit den Schutzgegenständen des Urheberrechts identischen (oder teilweise identischen) Gegenstand, muss das Lauterkeitsrecht nicht zurücktreten. 153
Dies zeigt sich z.B. in der Reprint-Entscheidung des Bundesgerichtshofs, wo die Parteien über die Zulässigkeit des fotomechanischen Nachdrucks eines wissenschaftlichen Werkes stritten, welches nach dem damals geltenden Urheberrecht kurz zuvor gemeinfrei geworden war.450 An einen Schutz nach dem UWG kann man nach den Ausführungen des Gerichts „auch bei der Vervielfältigung gemeinfreier Werke der Literatur denken, wobei es nicht einmal entscheidend darauf ankommt, ob sie auf fotomechanischem Wege vervielfältigt werden. So kann ein wettbewerbsrechtlicher Schutz z.B. dann geboten sein, wenn ein gemeinfreies Werk mit sehr erheblichem, wenn auch nicht dem Urheberschutz zugänglichem Aufwand textlich revidiert, entziffert oder in einer neuen Form angeordnet worden ist und dann ein anderer sogleich dazu übergeht, es nachzudrucken, noch ehe dem ersten Verleger eine angemessene Zeit zur Verfügung stand, um die nach ordnungsgemäßer verlegerischer Planung zu erwartende Nachfrage zu befriedigen.“451 Betrachtet man den konkreten Leistungsgegenstand der Auseinandersetzung, fällt auf, dass es gerade nicht um den Schutz der „kreativen“ Investition zur Schaffung des zunächst urheberrechtlich geschützten Werkes ging. Gegenstand des klägerischen Begehrens war vielmehr die Sicherung einer im Anschluss an die urheberrechtliche Schöpfung des Werkes getätigten, weiteren Investition in die Revision, Entzifferung und Neuordnung des einst urheberrechtlich geschützten Materials durch eine andere Person als den Schöpfer.452
154
Berücksichtigt man diesen Zusammenhang, sind für Konstellationen eines identischen oder teilidentischen Schutzgegenstandes mehrere Hürden zu sehen. Eine
_____
446 Vgl. z.B. Ohly GRUR Int. 2015, 693, 700 ff.; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/17. 447 Siehe oben Rn. 61 ff. 448 Vgl. BGH 6.5.1999 – I ZR 199/96 – BGHZ 141, 329 = GRUR 1999, 923 – Tele-Info-CD; a.A. aber z.B. Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.24. 449 Siehe oben Rn. 115 f. 450 BGH 30.10.1968 – I ZR 52/66 – GRUR 1969, 186 – Reprint. 451 BGH 30.10.1968 – I ZR 52/66 – GRUR 1969, 186, 188 – Reprint. 452 Vgl. auch BGH 6.2.1986 – I ZR 98/84 – GRUR 1986, 895, 896 – Notenstichbilder.
Dornis
282
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
Grenze für das Lauterkeitsrecht besteht zunächst im generellen Ausschluss des urheberrechtlichen Schutzes für abstrakte Ideen und Konzepte.453 Diese Grenze muss auf das Lauterkeitsrecht durchschlagen. Sonst droht eine Monopolisierung abstrakter Schutzgegenstände.454 Insoweit wird zwar im Schrifttum als erwägenswertes Beispiel für die Möglichkeit lauterkeitsrechtlichen Schutzes auf Sendeformate hingewiesen.455 Der Bundesgerichtshof hat einen Schutz von Sendeformaten nach Urheberrecht verneint, weil es sich hierbei lediglich um ein Konzept zur Formung eines Stoffes, nicht um ein schon geformtes, urheberrechtsschutzfähiges Werk handle.456 Ob im Anschluss an die Kritik im Schrifttum457 auf das Lauterkeitsrecht ausgewichen werden kann, ist mit der Subsidiaritätsdoktrin allerdings zu bezweifeln. Akzeptiert man die Sonderrechte als abschließend, muss auch deren Auslegung und damit die Grenzziehung durch die Gerichte hingenommen werden. Im Hinblick auf die zeitlichen Grenzen des Schutzes ist die Wertung des Urheberrechts ebenfalls evident abschließend. Der UWG-Nachahmungsschutz darf nicht herangezogen werden, um zeitlich befristete Sonderrechte zu verlängern.458 Gleiches gilt im Hinblick auf die Schranken des Urheberrechts. Die gesetzgeberischen Wertungen, die der Freistellung bestimmter Nutzungen zugrunde liegen, dürfen durch den lauterkeitsrechtlichen Leistungsschutz nicht unterlaufen werden.459 Als ebenfalls durch die Entscheidung des Gesetzgebers systematisch vom UWG- 155 Nachahmungsschutz ausgenommen muss schließlich der Bereich der verwandten Schutzrechte angesehen werden.460 Dies gilt für Tonträgerhersteller (§§ 85 f. UrhG), Sendeunternehmen (§ 87 UrhG), Filmhersteller (§ 94 UrhG), Datenbankhersteller (§§ 87a ff. UrhG), Fotografen (§ 72 UrhG) und Hersteller von Laufbildern (§ 95 UrhG) sowie bestimmte Herausgeber (§§ 70, 71 UrhG) und Veranstalter (§ 81 UrhG). Die in diesen Vorschriften eingeräumten Rechte sind nach der Zwecksetzung auf Investitionsschutz ausgerichtet. Insoweit zeigt sich die „Schrittmacherfunktion“ des UWG-Nachahmungsschutzes – gerade in Form des richterrechtlichen Modells flexibler Standards461 – mit besonderer Deutlichkeit. In vielen dieser mittlerweile „sonderrechtlich“ erfassten Bereiche nahm die Schutzgewährung ihren Ausgang in der UWG-Generalklausel. Die nachfolgende gesetzliche Verankerung im Urhebergesetz kann darum zumindest grundsätzlich als Ausdruck einer gesetzgeberischen Interessenabwägung angesehen werden. Diese entfaltet eine systematische Sperrwirkung für den UWG-Schutz.462 c) Design- und Geschmacksmusterrechte. Ein sondergesetzlicher Schutz für die 156 zwei- oder dreidimensionale Erscheinungsform von Erzeugnissen oder Erzeugnisteilen
_____
453 Vgl. hierzu z.B. Dreier/Schulze § 2 Rn. 37 m.w.N. 454 Siehe z.B. BGH 28.10.2004 – I ZR 326/01 – GRUR 2005, 166, 169 – Puppenausstattungen; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.23; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 80. 455 So vor allem GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 80. 456 Vgl. BGH 26.6.2003 – I ZR 176/01 – GRUR 2003, 876 – Sendeformat. 457 Siehe z.B. Schricker GRUR Int. 2004, 923, 924 ff.; Heinkelein/Fey GRUR Int. 2004, 378; Oechsler GRUR 2009, 1101, 1105 f.; Leistner GRUR 2011, 761. 458 Siehe bereits BGH 6.2.1986 – I ZR 98/84 – GRUR 1986, 895, 896 – Notenstichbilder; zudem z.B. BGH 13.10.1965 – Ib ZR 111/63 – GRUR 1966, 503, 506 – Apfel-Madonna; BGH 30.10.1968 – I ZR 52/66 – BGHZ 51, 41 = GRUR 1969, 186, 188 – Reprint; ausführlich auch Stang S. 271 ff. 459 Ohly GRUR 2010, 487, 494; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 82. 460 Von einer „Verdichtung“ des Urheberrechts in diesem Bereich und einer resultierenden „Spezialität“ spricht etwa MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 34. Die „Vorfeldfunktion“ des UWGSchutzes betonen insoweit Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 41. 461 Siehe oben Rn. 89 ff. 462 So z.B. Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/17; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 84; vgl. allerdings insoweit auch (etwas weiter und offen für künftige Erweiterungen) Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 42.
283
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
ist in der Form von Design- und Geschmacksmusterrechten möglich (vgl. §§ 1, 11 DesignG, Art. 3, 19 Abs. 1 GGVO). Die Eintragung bietet Schutz für bis zu 25 Jahre ab der Anmeldung. Bei einem nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster besteht Schutz gegen Nachahmung für drei Jahre (§ 27 DesignG, Art. 11 f. GGVO). Auch für die Einräumung von Design- und Geschmacksmusterrechten gilt es, das ökonomische Anreizmodell für Investitionsschutz zu beachten.463 Eine Überlagerung der Schutzmodelle im Hinblick auf den UWG-Nachahmungsschutz ist in mehrfacher Hinsicht möglich. Dogmatisch zeigt sich dies in der Divergenz der Voraussetzungen für die Eigenart nach § 2 DesignG sowie Art. 6 GGVO und der wettbewerblichen Eigenart nach § 4 Nr. 3.464 Die Rechtsprechung verweist darüber hinaus für den UWG-Nachahmungsschutz auf das Erfordernis besonderer Begleitumstände, die außerhalb des sondergesetzlichen Tatbestandes liegen.465 Innerhalb dieser Rahmenordnung ist von Anspruchskonkurrenz auszugehen.466 Das Vorhandensein sondergesetzlichen Schutzes wirkt sich in mehrfacher Hinsicht 157 einschränkend auf den UWG-Nachahmungsschutz aus.467 Mit der Einführung des Schutzes für eingetragene, vor allem aber für nicht eingetragene Designs und Geschmacksmuster hat zunächst die Rechtsprechung zum Saisonschutz von Modeneuheiten ihre Bedeutung verloren.468 Eine Lückenfüllung ist darum nach § 3 Abs. 1 nicht mehr erforderlich und möglich. Ein grundsätzlich uneingeschränkter Anwendungsbereich für den UWG-Nachahmungsschutz verbleibt hingegen, soweit bei strenger Prüfung der Tatbestandsmerkmale die Voraussetzungen der § 4 Nr. 3 lit. a oder lit. c vorliegen. Die Abgrenzung zwischen Design- und Geschmacksmusterschutz sowie dem Geheimnisschutz nach § 4 Nr. 3 lit. c bereitet keine Probleme. Gleiches gilt grundsätzlich für den Schutz gegen vermeidbare Herkunftstäuschungen i.S.d. § 4 Nr. 3 lit. a.469 Allerdings ist bei der Herkunftstäuschung im Hinblick auf die Hinweiskraft Vorsicht geboten: für Modeerzeugnisse verlangt die Rechtsprechung eine besonders originelle Gestaltung, die nur ausnahmsweise vorliegen wird.470 Zum Teil wird die Schutzdauer im Design- und Geschmacksmusterrecht als ein 158 Indiz für die angemessene Dauer der Amortisationszeit von Investitionen bei Schutz nach UWG angesehen.471 Als oberste Grenze nahm der Bundesgerichtshof in der Klemmbausteine III-Entscheidung an, dass jedenfalls nach Ablauf von mehr als 45 Jahren seit
_____
463 Siehe oben Rn. 49 ff. 464 Koch GRUR-Prax 2012, 460; Engels GRUR-Prax 2013, 5, 6; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 37; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 46a; a.A. wohl aber Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.25. Zur wettbewerblichen Eigenart siehe unten Rn. 176 ff. 465 Siehe z.B. BGH 28.5.2009 – I ZR 124/06 – GRUR 2010, 80 Tz. 18 – LIKEaBIKE; zudem Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/18; strenger aber z.B. auch OLG Hamburg 22.8.2012 – 5 U 49/10 – BeckRS 2012, 18861 – Flexibar. 466 Vgl. vor allem § 50 DesignG und Art. 96 GGVO. Siehe zudem z.B. BGH 15.9.2005 – I ZR 151/02 – GRUR 2006, 79 Tz. 18 – Jeans; BGH 9.10.2008 – I ZR 126/06 – GRUR 2009, 79 Tz. 26 – Gebäckpresse; BGH 28.5.2009 – I ZR 124/06 – GRUR 2010, 80 Tz. 18 – LIKEaBIKE; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/18; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 37; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.25. 467 Vgl. z.B. Kur GRUR 2002, 661, 665; Ohly ZEuP 2004, 296, 311; ders. GRUR 2007, 731, 739 f.; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/18. 468 Vgl. nur BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – GRUR 2017, 79 Tz. 96 – Segmentstruktur; siehe überdies Körner FS Ullmann (2006) 701, 707; Ohly ZEuP 2004, 296, 311; Ohly GRUR 2007, 731, 739; a.A. noch Kiethe/Groeschke WRP 2006, 794, 798; Ortner WRP 2006, 189, 193. Siehe zudem unten Rn. 267 ff. 469 Siehe z.B. BGH 15.9.2005 – I ZR 151/02 – GRUR 2006, 79 Tz. 18 – Jeans I; BGH 9.10.2008 – I ZR 126/06 – GRUR 2009, 79 Tz. 26 – Gebäckpresse; BGH 28.5.2009 – I ZR 124/06 – GRUR 2010, 80 Tz. 18 – LIKEaBIKE. 470 Siehe z.B. BGH 15.9.2005 – I ZR 151/02 – GRUR 2006, 79 Tz. 18 – Jeans I. 471 Der Schutz nach § 4 Nr. 3 lit. a und lit. c bleibt von dieser zeitlichen Einschränkung unberührt. Siehe z.B. BGH 15.9.2005 – I ZR 151/02 – GRUR 2006, 79 Tz. 18 – Jeans I; Bartenbach/Fock WRP 2002, 1119, 1123; Keller FS Erdmann S. 595, 611; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/18.
Dornis
284
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
Markteinführung eines Erzeugnisses der Leistungsschutz unter dem Gesichtspunkt des Einschiebens in eine fremde Serie nicht mehr möglich sei.472 Mit Blick auf die ausdrückliche Abkehr der Rechtsprechung von der Doktrin eines Einschiebens in eine fremde Serie wird man die Schutzdauer allerdings mittlerweile eher an der für eingetragene Rechte geltenden Schutzfrist von maximal 25 Jahren ausrichten müssen.473 Aus der begrenzten Schutzdauer des nichteingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters soll zudem die Entscheidung des Gesetzgebers zu entnehmen sein, dass ein Hersteller nur für drei Jahre geschützt sein soll.474 Lediglich in Fällen der Rufbeeinträchtigung (etwa bei drohender Enttäuschung berechtigter Qualitäts- und Sicherheitserwartungen), nicht aber bei reiner Rufausnutzung soll nach vereinzelten Stimmen im Schrifttum eine Verlängerung in Betracht kommen.475 Mit Blick auf das ökonomische Modell des goodwillSchutzes scheint die Befristung im Bereich des § 4 Nr. 3 lit. b allerdings grundsätzlich zweifelhaft: Betrachtet man die unterschiedlichen Schutzgegenstände des Design- und Geschmacksmusterrechts sowie des UWG-Schutzes, wird deutlich, dass für letzteren nach dem Vorhandensein eines Besitzstandes im informationsökonomischen Sinne gefragt werden muss. Dieser ist unabhängig von Design- und Geschmacksmusterrechten zu sichern.476 d) Marken- und Kennzeichenrechte. Zwar schließt § 2 MarkenG die Anwendung 159 anderer Vorschriften zum Schutz von Marken, geschäftlichen Bezeichnungen und geographischen Herkunftsangaben ausdrücklich nicht aus. Eine allgemeine Anspruchskonkurrenz besteht aber nicht. Die Rechtsprechung ging vielmehr im Gegenteil lange Zeit von einem Vorrang des Markenrechts und zudem im Verhältnis zum lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutz von der Subsidiarität des UWG aus.477 Dies wurde in der Literatur kritisiert.478 Dabei wurde vor allem auf die Aushöhlung der Vorrangthese in der Praxis der Gerichte verwiesen.479 Stattdessen wurde eine differenzierte Betrachtung der vom Marken- und Kennzeichenrecht als grundsätzlich unabhängig anzusehenden lauterkeitsrechtlichen Fallgruppen angemahnt.480 Die Entwicklung auf Ebene des europäischen Rechts hat diese Diskussion keinesfalls vereinfacht. Die UGP-RL sieht einen eigenständigen lauterkeitsrechtlichen Schutz vor Verwechslungen im Interesse der Verbraucher vor. Demgegenüber kann das Markenrecht mit seiner individualschützen-
_____
472 Vgl. BGH 2.12.2004 – I ZR 30/02 – GRUR 2005, 349, 352 – Klemmbausteine III. 473 Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/18; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 37. 474 Vgl. ausführlich Heep S. 134 ff.; Auteri GRUR Int 1998, 360, 367; Kur GRUR Int 1998, 771, 780; Ohly GRUR 2007, 731, 739; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/18; a.A. Bartenbach/Fock WRP 2002, 1119, 1124; Rahlf/ Gottschalk GRUR Int 2004, 821, 826; Sack WRP 2017, 132, 134. 475 So z.B. GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 87. 476 Siehe oben Rn. 61 ff. und zur Schutzdauer zudem unten Rn. 268 ff. 477 Siehe z.B. nur BGH 30.4.1998 – I ZR 268/95 – GRUR 1999, 161, 162 – MAC Dog; BGH 22.11.2001 – I ZR 138/99 – BGHZ 149, 191 = GRUR 2002, 622, 623 – shell.de; BGH 15.7.2004 – I ZR 37/01 – GRUR 2005, 163, 165 – Aluminiumräder; BGH 16.12.2004 – I ZR 177/02 – GRUR 2005, 419, 422 – Räucherkate; BGH 3.11.2005 – I ZR 29/03 – GRUR 2006, 329, 332 – Gewinnfahrzeug mit Fremdemblem; BGH 21.9.2006 – I ZR 270/03 – GRUR 2007, 339, 342 – Stufenleitern; zudem auch Bornkamm GRUR 2005, 97, 98; Ingerl WRP 2004, 809, 810; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/19. 478 Sack WRP 2004, 1405, 1414; Köhler GRUR 2007, 548, 549 f.; Ohly FS Ullmann S. 795, 806 ff.; Fezer WRP 2008, 1, 4 ff.; Schreiber GRUR 2009, 113, 115 f.; a.A. Bornkamm GRUR 2005, 97 ff.; Ingerl WRP 2004, 809, 811. 479 Bornkamm GRUR 2005, 97, 101 f.; Fezer WRP 2008, 1, 4 ff.; Ohly FS Ullmann S. 795, 806 ff.; ders. GRUR 2007, 731, 737 f.; Sack WRP 2004, 1405, 1414; Stieper WRP 2006, 291, 301 ff. 480 Bornkamm GRUR 2005, 97, 101 f.; Fezer WRP 2008, 1, 4 ff.; Glöckner in Ohly/Klippel, S. 145, 158; Ohly GRUR 2007, 731, 737 f.; Sack WRP 2004, 1405, 1414; Stieper WRP 2006, 291, 301 ff.
285
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
den Ausrichtung zwar keinen pauschalen Vorrang beanspruchen.481 Allerdings stellt auch die UGP-RL klar, dass sie „nicht die gemeinschaftlichen und nationalen Vorschriften in den Bereichen … Schutz des geistigen Eigentums … [berührt]“.482 Damit erfordert die Abgrenzung der Bereiche nach wie vor eine differenzierte Betrachtung. Der Bundesgerichthof hat die Vorrangthese jüngst jedenfalls für den lauterkeitsrechtlichen Irreführungsschutz und im Bereich der vergleichenden Werbung praktisch aufgegeben.483 160 Allgemein ist vor diesem Hintergrund zunächst festzuhalten, dass UWG-Nachahmungsschutz stets in Konkurrenz zum Marken- und Kennzeichenrecht in Betracht kommt, wenn ein zusätzliches marken- oder kennzeichenrechtsfremdes Tatbestandselement erfüllt ist. Dies gilt ohne Zweifel für die Fallgruppe des § 4 Nr. 3 lit. c. Für die anderen Tatbestände des § 4 Nr. 3 kann es zu einer funktionalen Überschneidung mit den sondergesetzlichen Tatbeständen kommen. In diesen Fällen ist zu fragen, ob und inwieweit durch UWG-Schutz abschließende marken- oder kennzeichenrechtliche Wertungen bedroht sind, unterlaufen zu werden.484 Auch die Rechtsprechung begründet Ausnahmen vom Vorrang unter Verweis auf die besonderen Umstände, die außerhalb des marken- oder kennzeichenrechtlichen Tatbestandes liegen.485 Zudem wird die Abgrenzung anhand des Merkmals des Schutzes für ein „konkretes Leistungsergebnis“ durchgeführt, weil dann in der Regel keine Kollision mit marken- oder kennzeichenrechtlichen Regelungszwecken zu befürchten sei.486 Diese Unterscheidung wurde in der Rechtsprechung zuerst für die Nachahmung von Produktgestaltungen entwickelt.487 In der DAX-Entscheidung hat der Bundesgerichtshof die Unterscheidung zwischen Kennzeichnungen und wettbewerbsrechtlichen Leistungsergebnissen verallgemeinert.488 Man mag diese Unterscheidung für dogmatisch verfehlt halten,489 tatsächlich bietet sie aber ein flexibles Instrumentarium zur funktions- und regelungszweckorientierten Abgrenzung. Mit der Unterscheidung zwischen „konkreten Leistungsergebnissen“ und Marken sowie Kennzeichen wird insbesondere ein ökonomisch sinnvoller UWG-Nachahmungsschutz ermöglicht.490 Für die konkrete Fallprüfung muss auf dieser Grundlage von einer Abstufung ver161 schiedener Konstellationen mit jeweils unterschiedlichen Graden des Sonderrechtsvorrangs ausgegangen werden: Zunächst ergibt sich für § 4 Nr. 3, dass bei der direkten Nachahmung einer Marke oder Kennzeichnung im Bereich der Wort- und Bildmarken
_____
481 Köhler GRUR 2007, 548, 550 ff.; ders. GRUR 2008, 841, 846; ders. GRUR 2009, 445, 446 f.; HarteBavendamm FS Loschelder S. 111, 112 ff. 482 Erwägungsgrund 9 S. 2 UGP-RL. 483 Vgl. BGH 15.8.2013 – I ZR 188/11 – GRUR 2013, 1161 Tz. 60 – Hard Rock Café; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/19; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 8. 484 Köhler GRUR 2007, 548, 550; ders. GRUR 2009, 445, 446 f.; Büscher GRUR 2018, 1, 3; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.6 f. und Rn. 3.9; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 80 ff.; GKUWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 93. 485 Vgl. BGH 28.5.2009 – I ZR 124/06 – GRUR 2010, 80 Tz. 17 – LIKEaBIKE; BGH, 12.5.2011 – I ZR 53/10 – GRUR 2012, 58 Tz. 42 – Seilzirkus. 486 Vgl. z.B. BGH 5.12.2002 – I ZR 91/00 – GRUR 2003, 332, 335 f. – Abschlussstück; BGH 21.9.2006 – I ZR 270/03 – GRUR 2007, 339 Tz. 23 – Stufenleitern; BGH 30.4.2008 – I ZR 123/05 – GRUR 2008, 793 Tz. 26 – Rillenkoffer; BGH 30.4.2009 – I ZR 42/07 – GRUR 2009, 1162 Tz. 40 – DAX; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 9; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 95; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 38. 487 BGH 5.12.2002 – I ZR 91/00 – GRUR 2003, 332, 335 f. – Abschlussstück; BGH 21.9.2006 – I ZR 270/03 – GRUR 2007, 339 Tz. 23 – Stufenleitern; BGH 30.4.2008 – I ZR 123/05 – GRUR 2008, 793 Tz. 26 – Rillenkoffer. 488 BGH 30.4.2009 – I ZR 42/07 – GRUR 2009, 1162 Tz. 40 – DAX. 489 So z.B. kritisch Ingerl WRP 2004, 809, 812; Bornkamm GRUR 2005, 97, 102; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 95 Fn. 339. 490 Siehe nachfolgende Rn. 161.
Dornis
286
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
die sonderrechtlichen Ansprüche abschließend sind.491 Keine Sperre ist mit der Rechtsprechung allerdings für diejenigen Fälle anzunehmen, in denen für eine grundsätzlich markenfähige Gestaltung keine Eintragung angestrebt wurde.492 Das Schrifttum ist in der Frage gespalten. Zum Teil wird der UWG-Schutz unter Verweis auf die Gefahr eines Unterlaufens der markenrechtlichen Wertungen (insbesondere die Voraussetzungen der Eintragung, Verkehrsgeltung oder notorischen Bekanntheit) abgelehnt.493 Die Gegenansicht verweist zu Recht darauf, dass im Bereich des markenrechtlichen Schutzes, anders als bei technischen Schutzrechten, nicht zwingend gelten könne, dass ein Schutz nur bestehen dürfe, wenn eine Registrierung erstrebt wurde.494 Aus der historischen Entwicklung heraus wird zudem erkennbar, dass viele Möglichkeiten einer Eintragung ins Markenregister erst mit der Zeit geschaffen wurden. Diese Erweiterungen haben aber nicht zum Verlust der Möglichkeiten eines Schutzes für lediglich benutzte Kennzeichen geführt. Nach der Ulmerschen These der Entwicklungsbegünstigung (als dem genuinen Zweck des Registereintrags) muss deshalb vielmehr an der Zweispurigkeit des Schutzes mit den beiden gleichwertigen Alternativen Registereintrag und tatsächlichem Gebrauch festgehalten werden.495 Für den Schutz nach UWG kann darum erst recht nicht von einer Sperre infolge Versäumnis markenrechtlicher Eintragungsmöglichkeiten ausgegangen werden. Schließlich führt die Möglichkeit eines Schutzes nach Markenrecht auch im Bereich 162 der Produktgestaltungen und Warenformen nicht zu einem umfassenden Ausschluss des UWG-Instrumentariums. Für die markenrechtlichen Schutzhindernisse ist vielmehr eine differenzierte Betrachtung gefordert. Dabei ist zu beachten, dass der markenrechtliche Sonderschutz zwar für ein bestimmtes Gestaltungsmerkmal oder eine bestimmte Kombination von Gestaltungsmerkmalen ausgeschlossen (vgl. Art. 7 Abs. 1 lit. e ii UMVO, § 3 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG), das Erzeugnis in seiner Gesamtheit aber dennoch wettbewerblich eigenartig sein kann. Darüber hinaus ist aber zu beachten, dass vor allem markenrechtliche Schutzschranken über den sondergesetzlichen Bereich hinaus verallgemeinerungsfähige Interessenabwägungen widerspiegeln. Die daraus resultierenden Grenzen, so insbesondere nach § 23 MarkenG, sind dann auch für die Bestimmung der Reichweite des UWG-Schutzes relevant.496 3. Abgrenzung zu anderen UWG-Tatbeständen a) Verhältnis zu § 4 Nr. 4 und § 3 Abs. 1. Umstritten ist, ob § 4 Nr. 3 abschließende 163 Tatbestände geschaffen hat.497 Die herrschende Ansicht hat dies bislang vor allem unter Hinweis auf die Begründung des Regierungsentwurfs und den (immer noch) benötigten
_____
491 Siehe z.B. Ingerl WRP 2004, 809 ff.; Rohnke FS Erdmann S. 455, 462 ff.; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/19; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 10; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 82; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 40 f. 492 So wohl in jedem Fall BGH 10.4.2003 – I ZR 276/00 – GRUR 2003, 973, 974 – Tupperwareparty. 493 Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/19; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 48; hierzu auch Bornkamm GRUR 2005, 97, 102; Steinbeck FS Ullmann S. 409; kritisch zudem Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 13. 494 Bornkamm GRUR 2005, 97, 102; juris-PK/Ullmann § 4 Nr. 3 Rn. 14; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 94. 495 Vgl. Ulmer Warenzeichen und unlauterer Wettbewerb in ihrer Fortbildung durch die Rechtsprechung S. 58 f. und 63 ff. Zu Entwicklung und Regelungszwecken (auch rechtsvergleichend) siehe zudem Dornis S. 39 ff. und 325 ff. 496 Vgl. hierzu v.a. BGH 30.4.2009 – I ZR 42/07 – GRUR 2009, 1162, 1165 Rn. 27 – DAX; Büscher GRUR 2018, 1, 3; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/19; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.26; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 97. 497 Siehe zum Streitstand z.B. MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 6; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 42 ff.
287
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
Raum zur Weiterentwicklung des Nachahmungsschutzes im Sinne einer Schrittmacherfunktion des UWG verneint.498 Neben den in § 4 Nr. 3 explizit geregelten Fallgruppen sollten daher auch weitere Fälle unlauterer Nachahmung anzuerkennen sein.499 Für die systematische Einordnung war zudem umstritten, ob etwaige zusätzliche Fallgruppen bei den Tatbeständen des § 4 Nr. 3, im Behinderungsverbot des § 4 Nr. 4 oder in der Generalklausel des § 3 Abs. 1 zu verorten sind.500 Zwar wird in der Gesetzesbegründung zum UWG 2004 hervorgehoben, dass § 4 Nr. 9 (jetzt: Nr. 3) „entsprechend der allgemeinen Regelungsstruktur der Beispielstatbestände … nicht abschließend sein kann“.501 Eine Ausweitung innerhalb der Tatbestände des § 4 Nr. 3 ist damit aber gerade nicht indiziert. Der Bundesgerichtshof hat eine Ausdehnung des Nachahmungsschutzes auf Behinderungsfälle zudem erst jüngst ausdrücklich aufgegeben.502 Der lauterkeitsrechtliche Leistungsschutz kann darum nur noch über die Generalklausel des § 3 Abs. 1 ausgeweitet werden. 164
b) § 5 und Nr. 13 Anhang zu § 3 Abs. 3. Die mit § 4 Nr. 3 lit. a verwandten Regelungen der § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, Abs. 2 und der Nr. 13 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG bezwecken (der Ratio der zugrundeliegenden UGP-RL entsprechend) den Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher vor unlauteren Geschäftspraktiken. Dies weicht von der Zwecksetzung des § 4 Nr. 3 ab, der primär dem Schutz der betroffenen Mitbewerber und der Allgemeinheit dient.503 Damit stehen die besonderen Vorschriften gegen Irreführung einer Anwendung des § 4 Nr. 3 nicht entgegen.504 Die praktische Bedeutung des § 4 Nr. 3 lit. a hält sich insoweit allerdings in Grenzen.505
165
c) § 6. Für das Verhältnis zur Regelung der vergleichenden Werbung in § 6 ist zu beachten, dass diese Vorschrift (weil sie auf die vollharmonisierende506 IrreführungsRichtlinie zurückgeht) die Voraussetzungen zulässiger vergleichender Werbung abschließend regelt. 507 Handelt es sich bei der Werbung für nachgeahmte Produkte zugleich um vergleichende Werbung, und ist diese nach § 6 Abs. 2 zulässig, kommt keine
_____
498 RegE UWG 2003, S. 18; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/78 ff.; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 2; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 6. 499 Vgl. z.B. BGH 11.1.2007 – I ZR 198/04 – GRUR 2007, 795 – Handtaschen. 500 Siehe z.B. Sack WRP 2005, 531, 536 ff.; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 6; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 42 ff. 501 RegE UWG 2003, S. 18. 502 Vgl. BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – GRUR 2017, 79, 87 Rn. 78 f. – Segmentstruktur. 503 BGH 28.5.2009 – I ZR 124/06 – GRUR 2010, 80 Tz. 17 – LIKEaBIKE; Köhler GRUR 2009, 445, 447 ff.; Raue S. 144 f.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.5; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 36. Siehe oben Rn. 99 ff. 504 BGH 28.5.2009 – I ZR 124/06 – GRUR 2010, 80 Tz. 17 – LIKEaBIKE; Köhler GRUR 2009, 445, 447 ff.; Sack WRP 2017, 7, 9; Sack WRP 2017, 650, 655; Büscher GRUR 2018, 1, 4; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/20 und Rn. 3/22; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 10; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 36; Götting/ Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.17; a.A. Scherer WRP 2009, 1446 ff. 505 Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.5; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.20 (Vorschrift sei „an sich überflüssig“); juris-PK/Ullmann § 4 Nr. 3 Rn. 3 und Rn. 28 ff.; siehe aber auch im Hinblick auf die Möglichkeit der dreifachen Schadensberechnung bei § 4 Nr. 3 Köhler GRUR 2009, 445, 450; zustimmend Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 36. 506 Vgl. EuGH 18.6.2009 – C-487/07 – EuGHE 2009, I-5185 = GRUR 2009, 756 Tz. 66 ff. – L’Oreal v Bellure; EuGH 25.10.2001 – C-112/99 – EuGHE 2001, I-7945 = GRUR 2002, 354 Tz. 37 – Toshiba v Katun; EuGH 8.4.2003 – C-44/01 – EuGHE 2003, I-3095 Tz. 35 = GRUR 2003, 533 Tz. 42 – Pippig Augenoptik v Hartlauer; EuGH 19.4.2007 – C-381/05 – EuGHE 2007 – I-3115 – Tz. 16 = GRUR 2007, 511 Tz. 35 – De Landtsheer v CIVIC. 507 Köhler GRUR 2008, 841, 845 ff.; Scherer WRP 2009, 1446, 1449 f.; Büscher GRUR 2018, 1, 4.
Dornis
288
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
Unlauterkeit nach § 4 Nr. 3 in Betracht.508 Liegt hingegen eine nach § 6 Abs. 2 unzulässige vergleichende Werbung vor, können zusätzlich auch § 4 Nr. 3 lit. a und lit. b anwendbar sein.509 d) §§ 17 ff. und §§ 1 ff. GeschGehG. § 4 Nr. 3 lit. c weist Überschneidungen mit den 166 bislang in §§ 17 ff., nun in §§ 1 ff. GeschGehG510 verorteten Vorschriften zum unmittelbaren Schutz von Geschäftsgeheimnissen und Know-how gegen rechtswidrige Erlangung, Nutzung und Offenlegung auf.511 Es liegt auch unter Geltung des neuen Rechts der §§ 1 ff. GeschGehG Anspruchskonkurrenz vor.512 4. Annex: Nachahmungsschutz und Kartellrecht. Nach mittlerweile überwiegen- 167 der Meinung sind Kartell- und Lauterkeitsrecht als einander ergänzende Regelungsbereiche mit übereinstimmendem Schutzzweck zugunsten der Marktteilnehmer und der Allgemeinheit zu verstehen.513 Vor diesem Hintergrund finden die Regelungen des Kartellund des Lauterkeitsrechts grundsätzlich nebeneinander Anwendung. Es gibt kein systematisches Vorrang- oder Subsidiaritätsverhältnis. Ein Nachahmer mit marktbeherrschender Stellung oder überlegener Marktmacht kann mit dem Angebot einer Nachahmung darum auch kartellrechtliche Tatbestände nach §§ 19 ff. GWB erfüllen. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der Originalhersteller hierdurch vom Markt verdrängt werden soll.514 Darüber hinaus sind kartell- und wettbewerbsrechtliche Erwägungen in weite- 168 ren Fragen des UWG-Nachahmungsschutzes für die Interessenabwägung zu beachten. Dies gilt vor allem für Fragen des Verhältnisses von UWG-Schutz und ausgelaufenem Sonderrechtsschutz,515 die Frage der Vermeidbarkeit von Herkunftstäuschung oder Rufausbeutung,516 aber auch in Konstellationen des unmittelbaren Leistungsschutzes im Hinblick auf die Abwägung von Vor- und Nachteilen der Gewährung ausschließlicher Rechtspositionen.517 Vor allem im Lichte einer ökonomischen Betrachtung kann es in diesen Konstellationen angezeigt sein, auch und insbesondere den aktuellen Status des Wettbewerbs sowie künftige Entwicklungen der Marktverhältnisse zu berücksichtigen.
_____
508 Vgl. BGH 13.12.2007 – I ZR 71/05 – GRUR 2008, 727 Tz. 20 – Schweißmodulgenerator; BGH 28.9.2011 – I ZR 48/10 – GRUR 2011, 1158 Tz. 26 – Teddybär; Raue S. 145; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/23; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 10; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 36; a.A. z.B. Fiebig WRP 2007, 1316, 1319 f. 509 BGH 1.10.2009 – I ZR 94/07 – GRUR 2010, 343 Tz. 42 – Oracle; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 106. 510 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/943 zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung, Bundestags-Drucks. 19/4724 (4.10.2018). Siehe ausführlich unten Rn. 244 ff. 511 Vgl. zum alten Recht: BGH 13.12.2007 – I ZR 71/05 – GRUR 2008, 727 Tz. 20 – Schweißmodulgenerator; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/24; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 107. 512 Siehe hierzu unten Rn. 244 ff. Vgl. zum alten Recht zudem: BGH 13.12.2007 – I ZR 71/05 – GRUR 2008, 727 Tz. 20 – Schweißmodulgenerator; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.5b; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/24; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 36; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 107. 513 Siehe z.B. Köhler WRP 2005, 645, 647; Beater Unlauterer Wettbewerb Rn. 98 ff. 514 Vgl. Lettl BB 2007, 2465; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.13; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 108. 515 Siehe oben Rn. 141 ff. 516 Siehe oben Rn. 147 ff. 517 Siehe oben Rn. 72 ff.
289
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
B. Tatbestand und Rechtsfolgen I. Systematik 169
Die Vorschrift des § 4 Nr. 3 setzt voraus, dass Waren oder Dienstleistungen eines Mitbewerbers nachgeahmt und angeboten werden, die wettbewerbliche Eigenart aufweisen. Zudem müssen zusätzliche unlauterkeitsbegründende Umstände vorliegen. Eine Auflistung dieser besonderen Umstände findet sich in den einzelnen Tatbeständen des § 4 Nr. 3 (lit. a, b und c). Dabei besteht eine Wechselwirkung zwischen dem Grad der wettbewerblichen Eigenart, der Art und Weise und der Intensität der Übernahme sowie den besonderen wettbewerblichen Umständen: je größer die wettbewerbliche Eigenart und je höher der Grad der Übernahme sind, desto geringere Anforderungen sind an die besonderen Umstände zu stellen, die die Unlauterkeit der Nachahmung begründen.518 II. Allgemeine Tatbestandsmerkmale 1. Angebot von Waren oder Dienstleistungen
170
a) Angebot. Der lauterkeitsrechtliche Nachahmungsschutz nach § 4 Nr. 3 erfasst nur das Angebot von nachgeahmten Waren oder Dienstleistungen im Rahmen einer geschäftlichen Handlung (§ 2 Abs. 1 Nr. 1). Erforderlich ist eine unmittelbar marktbezogene Handlung mit dem Zweck des Vertriebs. Nach ganz überwiegender Ansicht ist die bloße Herstellung einer Nachahmung darum nicht vom Tatbestand des § 4 Nr. 3 erfasst.519 Auch die Ausstellung von Prototypen oder einer Designstudie genügt noch nicht und begründet keine Erstbegehungsgefahr.520 Ebenso kann der Import nicht als Angebot im Sinne der Vorschrift angesehen werden.521 Allerdings soll die Auslieferung an einen Zwischenhändler bereits ausreichen.522 Unerheblich ist, ob der Originalhersteller sein eigenes Produkt legal anbieten darf.523
171
b) Waren oder Dienstleistungen. Gegenstand der Nachahmung (und geschütztes Leistungsergebnis nach § 4 Nr. 3) sind Waren oder Dienstleistungen eines Mitbewerbers. Die Begriffe der Ware und der Dienstleistung sind weit auszulegen.524 Erfasst sind Leistungs- und Arbeitsergebnisse jeglicher Art, in körperlicher oder unkörperlicher
_____
518 BGH 24.1.2013 – I ZR 136/11 – GRUR 2013, 951 Tz. 14 – Regalsystem; BGH 17.7.2013 – I ZR 21/12 – GRUR 2013, 1052 Tz. 15 – Einkaufswagen III; BGH 22.1.2015 – I ZR 107/13 – GRUR 2015, 909 Tz. 9 – Exzenterzähne; BGH 2.12.2015 – I ZR 176/14 – GRUR 2016, 730 Tz. 31 – Herrnhuter Stern; BGH 14.9.2017 – I ZR 2/16 – GRUR 2017, 1135 Tz. 17 – Leuchtballon. 519 Siehe nur Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/50; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 82; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 65; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 111. 520 BGH 23.10.2014 – I ZR 133/13 – GRUR 2015, 603 Tz. 15 ff. – Keksstangen; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/50. 521 KG 13.9.2002 – 5 W 248/02 – GRUR-RR 2003, 84, 86 – Tatty Teddy; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 81. 522 BGH 15.5.2003 – I ZR 214/00 – GRUR 2003, 892, 893 – Alt Luxemburg; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 65. 523 BGH 24.2.2005 – I ZR 101/02 – BGHZ 162, 246, 252 = GRUR 2005, 519, 520 – Vitamin-Zell-Komplex; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.19; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 48. 524 BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – GRUR 2017, 79 Tz. 44 – Segmentstruktur; BGH 19.11.2015 – I ZR 149/14 – GRUR 2016, 725 Tz. 15 – Pippi-Langstrumpf-Kostüm II; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.21; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 49 ff.; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 71.
Dornis
290
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
Form.525 Die Mehrzahl der Fälle in der Praxis betrifft technische oder ästhetische Gestaltungen in körperlicher Form (Sachen).526 Allerdings können z.B. auch fiktive Figuren, die im Wege des sogenannten character merchandising wirtschaftlich verwertet werden, geschützt sein.527 Dienstleistungen eignen sich in der Regel kaum zur herkunftstäuschenden oder anlehnenden Nachahmung.528 Die Rechtsprechung hat Nachahmungsschutz aber auch insoweit, z.B. für die Erstellung eines Aktienindex oder für die organisierte Veranstaltung von Liga-Fußballspielen zumindest in Erwägung gezogen.529 Die überwiegende Ansicht in Rechtsprechung und Schrifttum schützt auch mit der 172 Vermarktung verbundene Werbemaßnahmen,530 die Verpackung von Waren531 oder die Präsentation von Waren oder Dienstleistungen, z.B. auf einer Website.532 Umstritten ist, ob Kennzeichen im Allgemeinen unter § 4 Nr. 3 fallen.533 Dabei muss zunächst grundsätzlich bezweifelt werden, ob Kennzeichen überhaupt als „Waren“ oder „Dienstleistungen“ angesehen werden können.534 Zudem stellt sich die Frage der Abgrenzung des UWG-Schutzes vom Schutz nach Marken- und Kennzeichenrecht. Wertungswidersprüche sind durch eine Berücksichtigung sondergesetzlicher Wertungen zu vermeiden.535 2. Wettbewerbsverhältnis (Mitbewerber). Zwischen dem Nachahmer und dem 173 Originalanbieter muss ein konkretes Wettbewerbsverhältnis bestehen (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 3).536 Insoweit gelten die allgemeinen Grundsätze. Eine Tätigkeit auf unterschiedli-
_____
525 BGH 22.3.2012 – I ZR 21/11 – GRUR 2012, 1155 Tz. 19 – Sandmalkasten; BGH 23.9.2015 – I ZR 105/14 – GRUR 2015, 1214 Tz. 73 – Goldbären; BGH 19.11.2015 – I ZR 149/14 – GRUR 2016, 725 Tz. 15 – PippiLangstrumpf-Kostüm II; BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – GRUR 2017, 79 Tz. 44 – Segmentstruktur. 526 Vgl. z.B. BGH 15.9.2005 – I ZR 151/02 – GRUR 2006, 79 – Jeans; BGH 11.1.2007 – I ZR 198/04 – GRUR 2007, 795 – Handtaschen; BGH 28.5.2009 – I ZR 124/06 – GRUR 2010, 80 – LIKEaBIKE; BGH 24.1.2013 – I ZR 136/11 – GRUR 2013, 951 – Regalsystem; BGH 17.7.2013 – I ZR 21/12 – GRUR 2013, 1052 – Einkaufswagen III; zudem mit einer Liste weiterer Beispiele aus der Rechtsprechung Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/27 sowie MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 53; zu unkörperlichen Gegenständen siehe z.B. BGH 6.5.1999 – I ZR 199/96 – GRUR 1999, 923 – Tele-Info-CD; BGH 19.5.2010 – I ZR 158/08 – GRUR 2011, 79 – Markenheftchen; BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – GRUR 2017, 79 Tz. 44 – Segmentstruktur; zudem z.B. Büscher GRUR 2009, 230, 233; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 72. 527 Vgl. BGH 19.11.2015 – I ZR 149/14 – GRUR 2016, 725 Tz. 15 – Pippi-Langstrumpf-Kostüm II; zudem z.B. Kur GRUR 1990, 1, 10 f.; Büscher GRUR 2018, 1, 5; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.22; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 53; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 71. 528 Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 71; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 57 und Rn. 96. 529 Vgl. BGH 30.4.2009 – I ZR 42/07 – GRUR 2009, 1162 Tz. 40 – DAX; BGH 28.10.2010 – I ZR 60/09 – GRUR 2011, 436 – Hartplatzhelden.de; nicht ablehnend auch BGH 15.2.2018 – I ZR 243/16 – GRUR 2018, 740 Tz. 21 – Gewohnt gute Qualität. 530 BGH 17.10.1996 – I ZR 153/94 – GRUR 1997, 308 – Wärme fürs Leben; OLG Dresden 20.1.1998 – 14 U 1217/97 – WRP 1998, 415 – Metall-Fördergurte; OLG Hamm 24.8.2004 – 4 U 51/04 – GRUR-RR 2005, 73 – Web-Grafiken; BGH 23.9.2015 – I ZR 105/14 – GRUR 2015, 1214 Tz. 73 – Goldbären; Heermann WRP 2004, 263; Kaulmann GRUR 2008, 854; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.22a; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/27; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 72. 531 OLG Köln 15.1.2010 – 6 U 131/09 – GRUR-RR 2010, 257 – Der Eisbär hustet nicht. 532 BGH 15.11.1961 – I ZR 58/57 – GRUR 1961, 85, 89 – Pfiffikus-Dose; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.22a; a.A. aber z.B. Erdmann GRUR 2007, 130, 131; Kaulmann GRUR 2008, 854, 859 f. 533 Bejahend z.B. BGH 10.4.2003 – I ZR 276/00 – GRUR 2003, 973, 974 f. – Tupperwareparty; BGH 20.3.1997 – I ZR 246/94 – GRUR 1997, 754 – grau/magenta; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.22b. 534 Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/27; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 48; zudem Erdmann GRUR 2007, 130, 131; Kaulmann GRUR 2008, 854, 859; Hohlweck WRP 2015, 934, 935; a.A. aber z.B. Büscher GRUR 2009, 230, 234; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 114. 535 Siehe oben Rn. 159 ff. 536 Siehe nur Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/31; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 47; Beater WRP 2009, 768, 776 ff.; vgl. für einen Grenzfall z.B. BGH 30.4.2009 – I ZR 42/07 – GRUR 2009, 1162 Tz. 41 – DAX.
291
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
chen Wirtschafts-, Handels- oder Absatzstufen (z.B. bei der Nachahmung eines Vorprodukts)537 wird ebenso erfasst wie die Konstellation potentiellen Wettbewerbs, in der ein Originalhersteller mit seinem Angebot noch nicht oder nicht mehr538 auf dem Markt tätig ist.539 Vermarktet ein Unternehmer sein Produkt durch Erteilung von Lizenzen zur Herstellung, befindet er sich in einem Wettbewerbsverhältnis zu Produktnachahmern. Der nachahmende Wettbewerb geht zu Lasten seines Originals.540 174 Für die Praxis von geringer Bedeutung sind Fälle, nach denen bei Tätigkeit auf getrennten Märkten eine Bezugnahme auf bekannte Marken oder Kennzeichen durch explizite („Der Champagner unter den Mineralwässern“) oder implizite (Abbildung eines Luxus-Automobils neben Whiskeyflasche) Gleichstellungsbehauptungen zum Zwecke der Rufausnutzung vorgenommen werden. Nach der früheren Rechtsprechung sollte es für die Annahme eines Wettbewerbsverhältnisses genügen, dass dem Markeninhaber eine wirtschaftliche Verwertung seines Rufs durch Lizenzierung möglich gewesen wäre.541 Im Schrifttum wird vertreten, dass die mittlerweile zur Verfügung stehenden markenrechtlichen Ansprüche den UWG-Schutz in diesem Bereich ausschließen.542 Jedenfalls mit Blick auf die nicht markenmäßige und anlehnende Bezugnahme an eine bekannte Marke oder ein bekanntes Kennzeichen wird man aber zumindest eine Ausnahme zur Lückenlosigkeit des Marken- und Kennzeichenrechts sehen müssen. 175 Fraglich ist, ob ein konkretes Wettbewerbsverhältnis in Fällen der Nachahmung exklusiver Luxusprodukte bejaht werden kann, insbesondere dann, wenn Original und Fälschung angesichts großer Preis- und Qualitätsunterschiede (fast) vollständig getrennte Abnehmer- und Verbraucherkreise ansprechen. In diesen Konstellationen erweist sich eine formal am Begriff des „Mitbewerbers“ verhaftete Perspektive als problematisch. Auf den tatsächlichen „Wettbewerb“ kann es nicht ankommen.543 Für das Vorliegen eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses reicht es nämlich aus, dass ein Angebot geeignet ist, den Originalhersteller im Absatz zu behindern oder zu stören.544 Auch wenn es sich dabei nicht um eine Aktivität innerhalb desselben Verbraucheroder Abnehmerkreises handelt, kann diese ein konkretes Wettbewerbsverhältnis auch dann zum Entstehen bringen, wenn zwischen den Vorteilen der einen Partei und den Nachteilen der anderen Partei eine Wechselwirkung in dem Sinne besteht, dass der eigene Wettbewerb gefördert und der fremde Wettbewerb beeinträchtigt werden kann.545 Diese Beeinträchtigung ist mit Blick auf die verschiedenen denkbaren ökonomischen
_____
537 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 2 Rn. 110b; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/31. 538 OLG Frankfurt/M. 24.4.2007 – 11 U 45/06 – ZUM-RD 2008, 171, 172 – Hängender Panther; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.19; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/31. Siehe auch unten Rn. 267 ff. 539 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 2 Rn. 104 und 110 und § 4 Rn. 3.19; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/31; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 116. 540 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 2 Rn. 110c. 541 BGH 29.11.1984 – I ZR 158/82 – GRUR 1985, 550, 552 – Dimple; BGH 9.12.1982 – I ZR 133/80 – BGHZ 86, 90, 96 = GRUR 1983, 247, 248 – Rolls-Royce. 542 Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 80 ff.; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 118; siehe zudem Ohly/ Sosnitza § 4.3 Rn. 3/31 (bereits kein Wettbewerbsverhältnis i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 3); anders allerdings z.B. MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 47. 543 Vgl. BGH 26.1.2017 – I ZR 217/15 – WRP 2017, 1085 Tz. 16 ff.– Wettbewerbsbezug; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 2 Rn. 96 ff., Rn. 109 ff., vor allem Rn. 110 ff. und § 4 Rn. 3.19. 544 BGH 26.1.2017 – I ZR 217/15 – WRP 2017, 1085 Tz. 16 – Wettbewerbsbezug; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 2 Rn. 110a; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 119; zudem auch Köhler WRP 2009, 499, 506; Beater WRP 2009, 768, 777. 545 BGH 10.4.2014 – I ZR 43/13 – GRUR 2014, 1114 Tz. 32 – nickelfrei; BGH 19.3.2015 – I ZR 94/13 – GRUR 2015, 1129 Tz. 19 – Hotelbewertungsportal; BGH 26.1.2017 – I ZR 217/15 – WRP 2017, 1085 Tz. 16 – Wettbewerbsbezug; aus dem Schrifttum z.B. Ohly GRUR 2017, 441, 447.
Dornis
292
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
Auswirkungen der Anlehnung durch einen Vertrieb von Billignachahmungen zu bejahen.546 3. Wettbewerbliche Eigenart a) Allgemeines. Die wettbewerbliche Eigenart setzt nach der Rechtsprechung und 176 herrschenden Ansicht im Schrifttum voraus, dass das Erzeugnis aufgrund seiner konkreten Ausgestaltung oder bestimmter Merkmale geeignet ist, die angesprochenen Verkehrskreise auf seine betriebliche Herkunft oder seine Besonderheiten hinzuweisen.547 Lauterkeitsrechtlicher Schutz kann nur für Produkte gewährt werden, die in der Wahrnehmung der interessierten Verkehrskreise als etwas Besonderes erscheinen. Schlagwortartig wird darum auch zu Recht darauf hingewiesen, dass „Allerweltserzeugnisse“ und „Dutzendware“, auf deren Herkunft oder Besonderheiten die interessierten Verkehrskreise keinen Wert legen, keinen Schutz genießen können.548 Eine Zuordnung zu einem bestimmten Anbieter muss von den Verkehrskreisen dabei nicht vorgenommen werden. Es genügt die Vorstellung, das Produkt könne nur aus einer bestimmten Quelle stammen.549 Die Frage des Vorliegens (oder Fehlens) der wettbewerblichen Eigenart beantwortet 177 sich nach der Auffassung der angesprochenen Verkehrskreise. Diese umfassen die Abnehmer auf sämtlichen Vertriebsstufen (Groß- und Einzelhändler, Verbraucher).550 Entscheidend ist grundsätzlich nur der Wettbewerbsbestand auf dem deutschen Markt. Anbieter im Ausland, vor allem mit Internetseiten ohne Bezug und Ausrichtung auf den deutschen Markt, sind darum nicht zu berücksichtigen.551 Die Beurteilung der wettbewerblichen Eigenart ist eine Rechtsfrage, auch wenn ihr 178 tatsächliche Feststellungen zugrunde liegen.552 Das Vorliegen oder Fehlen wettbewerblicher Eigenart kann grundsätzlich aus eigener Sachkunde des Gerichts festgestellt werden. Die Sachkunde kann dabei daraus resultieren, dass die Richter selbst zu den
_____
546 Zum informationsökonomischen Modell siehe oben Rn. 48 ff. Insoweit liegt auch das vom Bundesgerichtshof zusätzlich geforderte „Konkurrenzmoment“ vor. Vgl. insoweit BGH 26.1.2017 – I ZR 217/15 – WRP 2017, 1085 Tz. 16 ff. – Wettbewerbsbezug. 547 Siehe z.B. BGH 28.5.2009 – I ZR 124/06 – GRUR 2010, 80 Tz. 23 – LIKEaBIKE; BGH 22.1.2015 – I ZR 107/13 – GRUR 2015, 909 Tz. 10 – Exzenterzähne; BGH 15.12.2016 – I ZR 197/15 – GRUR 2017, 734 Tz. 19 – Bodendübel; BGH 14.9.2017 – I ZR 2/16 – GRUR 2017, 1135 Tz. 20 – Leuchtballon; aus dem Schrifttum z.B. Erdmann GRUR 1996, 550, 556; Schacht GRUR 2017, 1203, 1203; Sack WRP 2017, 650, 654; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.24; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/32; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 78; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 121. 548 BGH 3.5.1986 – I ZR 66/66 – BGHZ 50, 125, 128 f. = GRUR 1968, 591, 592 – Pulverbehälter; BGH 4.1.1963 – Ib ZR 95/61 – GRUR 1963, 423, 428 – coffeinfrei; BGH 15.6.2000 – I ZR 90/98 – GRUR 2001, 251, 253 – Messerkennzeichnung; BGH 21.9.2006 – I ZR 270/03 – GRUR 2007, 339 Tz. 26 – Stufenleitern; Hellenschmidt S. 82 ff.; Müller-Laube ZHR 156 (1992) 480, 488; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.30; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/32; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 84. 549 BGH 24.5.2007 – I ZR 104/04 – GRUR 2007, 984 Tz. 23 – Gartenliege; zudem z.B. Keller FS Erdmann S. 595, 597; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 101. 550 BGH 22.3.2012 – I ZR 21/11 – GRUR 2012, 1155 Tz. 19 – Sandmalkasten; BGH 22.1.2015 – I ZR 107/13 – GRUR 2015, 909 Tz. 14 f. – Exzenterzähne; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.33; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/34; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.32. 551 OLG Köln 27.6.2003 – 6 U 16/03 – GRUR-RR 2004, 21, 22 – Küchen-Seiher; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 92; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn 3.34. 552 Mit der Revision kann darum geltend gemacht werden, dass der Tatrichter bei der Würdigung von rechtlich unzutreffenden Maßstäben ausgegangen ist, die tatsächlichen Feststellungen das Ergebnis zur Eigenart nicht tragen oder dass die Feststellung verfahrensfehlerhaft getroffen wurde. Vgl. z.B. BGH 2.12.2015 – I ZR 176/14 – GRUR 2016, 730 Tz. 34 – Herrnhuter Stern; BGH 14.9.2017 – I ZR 2/16 – GRUR 2017, 1135 Tz. 21 – Leuchtballon; Schacht GRUR 2017, 1203, 1203.
293
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
angesprochenen Verkehrskreisen gehören, oder dass sie aufgrund wiederholter Befassung mit Wettbewerbssachen die nötige Sachkunde erworben haben.553 Ausnahmen gelten in Branchen, die spezielles Erfahrungswissen verlangen (z.B. bei Medizinprodukten).554 b) Vergleich zu Voraussetzungen des Sonderrechtsschutzes. Die wettbewerbliche Eigenart hat auf den ersten Blick eine den Schutzvoraussetzungen verschiedener geistiger Eigentumsrechte ähnliche Funktion, so vor allem im Vergleich zur „Eigenart“ im Design- und Geschmacksmusterrecht sowie zur „Unterscheidungskraft“ und „Verkehrsgeltung“ im Marken- und Kennzeichenrecht.555 Die Bestimmung der wettbewerblichen Eigenart hat allerdings – aufgrund der zumindest teilweise divergierenden Regelungszwecke des Sonderschutzes und des UWG – nach einem lauterkeitsrechtlich autonomen Maßstab zu erfolgen.556 Dies zeigt sich beim Vergleich der Begriffe der „Eigenart“ nach DesignG und GGM-VO und der „wettbewerblichen Eigenart“ nach UWG, für die jeweils verschiedene Voraussetzungen zu prüfen sind. Das Erfordernis eines Hinweises auf die betriebliche Herkunft ebenso wie die Benutzung sind zwar für die wettbewerbliche Eigenart entscheidend, spielen für die Frage des design- und geschmacksmusterrechtlichen Schutzes aber keine Rolle.557 Im praktischen Ergebnis weist das Merkmal der wettbewerblichen Eigenart allerdings eine den Schutzkriterien der Immaterialgüterrechte jedenfalls strukturell vergleichbare Begrenzungsfunktion auf. Zwar mag die Verankerung einer quasi-immaterialgüterrechtlichen Mindestschwelle im UWGSchutz systematisch unglücklich erscheinen.558 Im Ergebnis sorgt das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der wettbewerblichen Eigenart aber für eine flexible Abgrenzung zu nicht schutzfähigen Bereichen produktiven Schaffens und damit zur Sicherung des freien Wettbewerbs.559 Die Begrenzungsfunktion impliziert auch das Erfordernis einer Parallelwertung zu 180 den immaterialgüterrechtlichen Schutzvoraussetzungen.560 Vom Schutz nach UWG ausgenommen sind darum etwa abstrakte Ideen (z.B. hinsichtlich Produktausstattungen oder -zusammenstellungen), Geschäftsmethoden oder allgemeine Stil- und Gestaltungsmittel.561 Nur deren jeweils konkretisierende Ausführung ist schutzfähig.562 Für 179
_____
553 Vgl. BGH 15.9.2005 – I ZR 151/02 – GRUR 2006, 79 Tz. 27 – Jeans I; BGH 14.9.2017 – I ZR 2/16 – GRUR 2017, 1135 Tz. 19 und Tz. 30– Leuchtballon; zudem Bornkamm WRP 2000, 830, 832; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/44; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 113; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 134. 554 Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/44; siehe insoweit z.B. BGH 15.4.2010 – I ZR 145/08 – GRUR 2010, 1125 – Femur-Teil. 555 Vgl. Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/32 und Rn. 3/36; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 84; GK-UWG/ Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 122 m.w.N. 556 So zutreffend z.B. Erdmann GRUR 1996, 550, 556; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 122. 557 Vgl. insoweit z.B. BGH 19.6.1974 – I ZR 20/73 – WRP 1976, 370, 372 – Puderdose; BGH 18.10.2011 – I ZR 109/10 – GRUR-RR 2012, 47 – Elektrische Gebäckpresse; zudem BGH 8.11.1984 – I ZR 128/82 – GRUR 1985,876, 877 – Tchibo/Rolex; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/36. 558 So zu Recht MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 84. 559 Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/32; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 84; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 123. Zum richterrechtlichen Modell auf der Grundlage flexibler Schutzstandards siehe oben Rn. 89 ff. 560 Siehe hierzu auch oben Rn. 106 ff. zur Abgrenzung von Immaterialgüterrechten und UWG. 561 BGH 20.10.1978 – I ZR 160/76 – GRUR 1979, 119, 120 – Modeschmuck; BGH 14.4.1988 – I ZR 99/86 – GRUR 1988, 690, 693 – Kristallfiguren; BGH 21.2.2002 – I ZR 265/99 – GRUR 2002, 629 – Blendsegel; BGH 12.12.2002 – I ZR 221/00 – GRUR 2003, 359, 361 – Pflegebett; BGH 28.10.2004 – I ZR 326/01 – GRUR 2005, 166, 168 – Puppenausstattungen; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 55. 562 BGH 20.9.1955 – I ZR 194/53 – BGHZ 18, 175, 183 = GRUR 1955, 598, 600 f. – Werbeidee; BGH 21.1.1977 – I ZR 68/75 – GRUR 1977, 547, 550 – Kettenkerze; BGH 20.10.1978 – I ZR 160/76 – GRUR 1979, 119, 120 – Modeschmuck.
Dornis
294
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
technische Erzeugnisse muss nach dem Grad der Notwendigkeit eines Merkmals (oder bestimmter Merkmale) zur Erzielung einer technischen Wirkung gefragt werden.563 Ebenfalls in die Reihe der parallel zu wertenden Begrenzungstatbestände einzuordnen ist schließlich auch der Rechtsgedanke des § 23 MarkenG. Eine Bezugnahme auf Leistungen eines anderen kann darum, wie es der Bundesgerichtshof in der DAX-Entscheidung festgestellt hat, durchaus in entsprechender Anwendung des markenrechtlichen Grundsatzes zulässig sein.564 c) Begriffliche Heterogenität der wettbewerblichen Eigenart. Umstritten ist, ob 181 die Voraussetzung wettbewerblicher Eigenart einheitlich für alle Fallgruppen des § 4 Nr. 3 gelten soll. Der Bundesgerichtshof geht soweit erkennbar von einem einheitlichen Erfordernis der Eigenart für alle Fallgruppen des UWG-Leistungsschutzes aus. Für die Eigenart soll in allen Tatbeständen allerdings nicht nur die Eignung als Herkunftshinweis, sondern auch bereits die Eignung zur Individualisierung bezüglich bestimmter besonderer Merkmale genügen.565 In Teilen des Schrifttums wird hierzu ergänzend vorgebracht, das Merkmal der wettbewerblichen Eigenart müsse in „Parallelwertung“ zum Immaterialgüterrecht eine umfassende und einheitliche de minimis-Schwelle im Interesse der Wettbewerbsfreiheit statuieren. Unterhalb dieser Schwelle sei kein Schutz möglich.566 Selbst für § 4 Nr. 3 lit. c solle am Erfordernis der Eigenart festgehalten werden. Die Vorschrift betreffe nämlich in Abgrenzung zu den Geheimnisschutzvorschriften gerade die Vermarktungsmöglichkeiten und damit nicht nur die unredliche Erlangung als solche.567 Schließlich erweise sich eine systematisch abgestufte Lösung mit Vorwegprüfung auf Eigenart und anschließender Differenzierung nach den besonderen Umständen der einzelnen Tatbestände auch in der Rechtsanwendung als praktisch.568 Die Gegenansicht differenziert nach den verschiedenen Schutzzwecken des 182 UWG-Nachahmungsschutzes. Die Tatbestände des § 4 Nr. 3 seien nicht einheitlich strukturiert, sondern ein Sammelbecken für unterschiedliche Anforderungen des Lauterkeitsrechts.569 Für § 4 Nr. 3 lit. a komme es auf den Hinweis auf die Herkunft an. Der bloße Verweis auf Besonderheiten eines Produkts könne darum nicht genügen.570 Dabei wird vor allem der Verzicht auf eine Prüfung der herkunftshinweisenden Funktion in der Rechtsprechung kritisiert.571 Die tatbestandliche Verkürzung habe nämlich in der Vergangenheit regelmäßig dazu geführt, dass bereits die Nachahmung eines Produkts mit
_____
563 Siehe oben Rn. 137 ff. 564 Vgl. BGH 30.4.2009 – I ZR 42/07 – GRUR 2009, 1162 Tz. 44 – DAX. 565 BGH 23.1.1981 – I ZR 48/79 – GRUR 1981, 517, 519 = WRP 1981, 514 – Rollhocker; BGH 10.11.1983 – I ZR 158/81 – GRUR 1984, 453, 454 – Hemdblusenkleid; BGH 24.5.2007 – I ZR 104/04 – GRUR 2007, 984 Tz. 24 – Gartenliege; OLG Jena 13.6.2012 – 2 U 896/11 – GRUR-Prax 2013, 210. Die UWG-Reform 2004 sollte an der Fortgeltung dieser Rechtsprechung nichts ändern. Vgl. Begründung des RegE UWG 2003, S. 18; zudem z.B. OLG Hamburg 18.7.2004 – 5 U 100/03 – Tz. 7 – Glöckchenhose; OLG Hamburg 24.2.2005 – 5 U 66/04 – GRUR-RR 2006, 94, 95 – Gipürespitze. 566 Nemeczek WRP 2010, 1315, 1319 f.; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 127; vgl. zudem juris-PK/Ullmann § 4 Nr. 3 Rn. 133. 567 Nemeczek WRP 2010, 1315, 1319 f.; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 127. 568 GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 128. 569 Siehe z.B. OLG Hamburg 24.2.2005 – 5 U 66/04 – GRUR-RR 2006, 94, 96 – Gipürespitze; instruktiv auch Beater Unlauterer Wettbewerb Rn. 1940 f.; kritisch mit Blick auf die tatsächliche Varianz des Begriffsinhalts in der Rechtsprechung auch Schröer S. 226 ff. 570 Vgl. OLG Hamburg 24.2.2005 – 5 U 66/04 – GRUR-RR 2006, 94, 96 – Gipürespitze; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/33 und Rn. 3/37; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 86 f. 571 Vgl. vorige Rn. 181.
295
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
origineller Gestaltung als solche als unlauter angesehen wurde.572 Bei § 4 Nr. 3 lit. b ergebe sich die Feststellung wettbewerblicher Eigenart überdies praktisch in den meisten Fällen bereits aus den Voraussetzungen des guten Rufs. Für § 4 Nr. 3 lit. c dürfe es schließlich auf das Vorhandensein wettbewerblicher Eigenart überhaupt nicht ankommen.573 Dieser Kritik ist zuzustimmen. Die Unterscheidung nach Regelungszwecken und 183 Tatbeständen kann sowohl zur Ausweitung als auch zur Eingrenzung des Schutzes führen. Jedenfalls in Bezug auf § 4 Nr. 3 lit. c und die Vorschriften zum Geheimnisschutz (bislang §§ 17 ff., nun §§ 1 ff. GeschGehG)574 erscheint es sehr zweifelhaft, ob sich überhaupt sinnvoll zwischen den relevanten Schutzzwecken im Hinblick auf die unredliche Erlangung von Kenntnissen oder Unterlagen und die nachfolgende Vermarktung unterscheiden lässt.575 Die Vorschrift des § 4 Nr. 3 lit. c dient vielmehr der Austrocknung des Marktes für unter Verwendung unlauter erlangter Informationen geschaffene Produkte.576 In der Literatur wird auch zutreffend von einem „Fruchtziehungsverbot“ gesprochen.577 Darum genügt bereits die Inkriminierung der Informationserlangung um den nachfolgenden Vertrieb zu bemakeln. Eine besondere Produktqualität im Sinne wettbewerblicher Eigenart ist darüber hinaus nicht gefordert. Im Gegenteil: ein derartiges Erfordernis würde eine erhebliche Anzahl relevanter Fälle sogar vom Unlauterkeitsbegriff ausnehmen. Bei genauer Betrachtung erweist sich die Einheitsdoktrin als eine weitere Erscheinungsform der auch im Sonderschutzrecht angelegten, problematischen Verknöcherung der Schutzstandards.578 Durch ein „immaterialgüterrechtliches Moment“ oder eine „Eingangsschwelle“579 wird der Rechtsprechung der dringend benötigte Spielraum für eine schutzzweckorientierte und flexible Handhabung des Schutzumfangs genommen, die eine komplexe und sich ständig wandelnde Realität moderner Marktplätze eigentlich verlangt.580 184
d) Merkmale zur Begründung der Eigenart. Die Feststellung wettbewerblicher Eigenart kann auf technische581 oder äußere-ästhetische582 Merkmale gestützt werden.
_____
572 Siehe z.B. Sambuc GRUR 1986, 130, 138 f.; Kur GRUR 1990, 1, 7 f.; Ohly FS Ullmann S. 795, 797; Kiethe/ Groeschke WRP 2006, 794, 800; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/33; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 86 f.; zur Rechtsprechung vgl. z.B. BGH 15.9.2005 – I ZR 151/02 – GRUR 2006, 79 – Jeans I; BGH 24.5.2007 – I ZR 104/04 – GRUR 2007, 984 – Gartenliege. 573 Siehe z.B. Beater Unlauterer Wettbewerb Rn. 1940 f.; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 80; Sambuc GRUR 1986, 130 ff.; Eickmeier/Fischer-Zernin GRUR 2008, 755, 761 f.; zweifelnd auch Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/72. 574 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/943 zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung, BTDrucks. 19/4724 (4.10.2018). 575 Vgl. aber GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 127 Fn. 437; ähnlich auch Nemeczek WRP 2010, 1315, 1319 f. 576 Siehe oben Rn. 97 f. 577 Siehe z.B. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.60; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/72. 578 Vgl. ausführlich zu diesem Phänomen (am Beispiel des Urheberrechts) Dornis IPQ 2018, 159 ff.; Dornis ZGE 2018, 341ff. Siehe zudem oben Rn. 89 ff. 579 Siehe oben zur Ansicht in Rechtsprechung und Schrifttum Rn. 181 f. 580 Siehe auch oben Rn. 89 ff. 581 Vgl. z.B. BGH 14.1.1999 – I ZR 203/96 – GRUR 1999, 751, 752 – Güllepumpen; BGH 17.6.1999 – I ZR 213/96 – GRUR 1999, 1106, 1108 – Rollstuhlnachbau; BGH 8.12.1999 – I ZR 101/97 – GRUR 2000, 521, 523 – Modulgerüst I; BGH 12.7.2001 – I ZR 40/99 – GRUR 2002, 86, 90 – Laubhefter; BGH 7.2.2002 – I ZR 289/99 – GRUR 2002, 820, 822 – Bremszangen; BGH 21.9.2006 – I ZR 270/03 – GRUR 2007, 339 Tz. 27 – Stufenleitern; BGH 10.1.2008 – I ZR 67/05 – GRUR 2008, 790 Tz. 36 – Baugruppe; BGH 22.1.2015 – I ZR 107/13 – GRUR 2015, 909 Tz. 10 – Exzenterzähne; BGH 15.12.2016 – I ZR 197/15 – GRUR 2017, 734 Tz. 19 – Bodendübel. 582 So z.B. RG 11.7.1925 – I 103/24 – RGZ 111, 254 – Käthe-Kruse-Puppen. BGH 10.11.1983 – I ZR 158/81 – GRUR 1984, 453, 454 – Hemdblusenkleid; BGH 8.11.1984 – I ZR 128/82 – GRUR 1985, 876, 877 – Tchibo/ Rolex; BGH 10.12.1986 – I ZR 15/85 – GRUR 1987, 903, 905 – Le-Corbusier-Möbel; BGH 15.9.2005 – I ZR
Dornis
296
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
Entscheidend ist, ob die Merkmale das Produkt oder die Dienstleistung im Gesamteindruck prägen, und der angesprochene Verkehr auf die Herkunft aus einem bestimmten Unternehmen oder besondere Qualitätsmerkmale schließen kann.583 Auf Neuheit, schöpferische Eigentümlichkeit oder kreative Eigenart und Originalität kommt es nicht an.584 Erforderlich ist allerdings stets (auch bei technischen Merkmalen) die äußere Erkennbarkeit, weil sich der Verkehr grundsätzlich nur daran orientiert.585 Vor allem im Bereich der technischen Merkmale dürfen die Wertungen der Son- 185 dergesetze nicht unterlaufen werden. Der „Stand der Technik“ und die „technische Lehre“ sind darum, soweit es sich um technisch notwendige Merkmale handelt, nicht schutzfähig.586 Allerdings soll auch im Bereich des freien Standes der Technik die Kombination einer Vielzahl technischer Merkmale, die so nicht notwendig ist, sondern angesichts bestehender Spielräume eine im Vergleich zu angemessenen Alternativlösungen lediglich „optimale“ Kombination verkörpert, die wettbewerbliche Eigenart begründen können. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Verkehr gerade mit dieser „optimalen“ Lösung eine Herkunftserwartung oder doch zumindest die Vorstellung besonderer Qualität verbindet.587 Ob der Maßstab der „Optimalität“ eine vor allem ökonomisch angemessene Richtlinie bietet, muss bezweifelt werden. Auch bei der Kombination von Merkmalen muss letzten Endes auf die Austauschbarkeit einzelner oder aller Merkmale zu angemessenen (soll heißen: kostengünstigen) Konditionen abgestellt werden. 588 Ebenso sollen zwar technisch bedingte, aber frei oder willkürlich wähl- und austauschbare Merkmale die wettbewerbliche Eigenart begründen können.589 Beim Vergleich zur Grenzziehung im Marken- und Kennzeichenrecht, derzufolge technisch bedingte Gestaltungsformen als grundsätzlich nicht schutzfähig anzusehen sind, ist eine
_____ 151/02 – GRUR 2006, 79 Tz. 24 – Jeans I; BGH 11.1.2007 – I ZR 198/04 – GRUR 2007, 795 Tz. 26 – Handtaschen. 583 Vgl. BGH 8.11.1984 – I ZR 128/82 – GRUR 1985, 876, 878 – Tchibo/Rolex; BGH 15.9.2005 – I ZR 151/02 – GRUR 2006, 79 Tz. 24, 26 – Jeans I; KG 13.9.2002 – 5 W 248/02 – GRUR-RR 2003, 84, 85 – Tatty Teddy; OLG Köln 14.6.2002 – 6 U 175/01 – GRUR-RR 2003, 183 – Designerbrille; BGH 14.12.1995 – I ZR 240/93 – GRUR 1996, 210, 211 – Vakuumpumpen; BGH 21.9.2006 – I ZR 270/03 – GRUR 2007, 339 Tz. 27 – Stufenleitern; BGH 2.4.2009 – I ZR 199/06 – GRUR 2009, 1073 Tz. 10 – Ausbeinmesser; BGH 28.5.2009 – I ZR 124/06 – GRUR 2010, 80 Tz. 32 – LIKEaBIKE; BGH 2.12.2015 – I ZR 176/14 – GRUR 2016, 730 Tz. 47 – Herrnhuter Stern; BGH 14.9.2017 – I ZR 2/16 – GRUR 2017, 1135 Tz. 29 – Leuchtballon. 584 Vgl. z.B. BGH 22.3.2012 – I ZR 21/11 – GRUR 2012, 1155 Tz. 34 – Sandmalkasten; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.27. 585 BGH 14.1.1999 – I ZR 203/96 – GRUR 1999, 751, 752 – Güllepumpen; BGH 7.2.2002 – I ZR 289/99 – GRUR 2002, 820, 822 – Bremszangen; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.24; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/40; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 90. 586 BGH 3.5.1986 – I ZR 66/66 – BGHZ 50, 125, 128 f. = GRUR 1968, 591, 592 f. – Pulverbehälter; BGH 17.6.1999 – I ZR 213/96 – GRUR 1999, 1106, 1108 – Rollstuhlnachbau; BGH 12.7.2001 – I ZR 40/99 – GRUR 2002, 86, 90 – Laubhefter; BGH 7.2.2002 – I ZR 289/99 – GRUR 2002, 820, 822 – Bremszangen; BGH 21.9.2006 – I ZR 270/03 – GRUR 2007, 339 Tz. 27 – Stufenleitern; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.28a; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/41; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 98; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.35. Siehe auch oben Rn. 137 ff. 587 Vgl. BGH 14.12.1995 – I ZR 240/93 – GRUR 1996, 210, 211 – Vakuumpumpen; BGH 8.12.1999 – I ZR 101/97 – GRUR 2000, 521, 523 – Modulgerüst I; BGH 2.4.2009 – I ZR 199/06 – GRUR 2009, 1073 Tz. 13 – Ausbeinmesser; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.28a; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 57 und 78; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.35. 588 So wohl auch MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 99. 589 Vgl. BGH 14.12.1995 – I ZR 240/93 – GRUR 1996, 210, 211 – Vakuumpumpen; BGH 8.12.1999 – I ZR 101/97 – GRUR 2000, 521, 523 – Modulgerüst I; BGH 21.9.2006 – I ZR 270/03 – GRUR 2007, 339 Tz. 27 – Stufenleitern; BGH 10.1.2008 – I ZR 67/05 – GRUR 2008, 790 Tz. 36 – Baugruppe; BGH 28.5.2009 – I ZR 124/06 – GRUR 2010, 80 Tz. 27 – LIKEaBIKE; siehe zudem z.B. Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/41; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 99.
297
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
genaue Abgrenzung der Regelungszwecke erforderlich.590 Schließlich können nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch Merkmale, die früher patentgeschützt waren, die wettbewerbliche Eigenart begründen.591 Sonstige funktionale Merkmale außerhalb des technischen Bereichs können die 186 wettbewerbliche Eigenart ebenfalls begründen. So kann ein als Standard etabliertes Nummernsystem zur Identifizierung von Briefmarken wettbewerbliche Eigenart besitzen.592 Dies gilt wohl auch für nach regionalen Segmenten gegliederte pharmazeutische Marktberichte.593 Allerdings ist in diesen Fällen der Schutzumfang zu begrenzen: soweit der Nachahmer eine als Standard am Markt anerkannte Informationsinfrastruktur nur nach Art einer Konkordanzliste oder Schnittstelle verwendet, um sein eigenes Alternativangebot überhaupt erst marktfähig zu machen, kommt bei ausreichender Kennzeichnung weder eine Herkunftstäuschung noch eine unlautere Rufanlehnung in Betracht.594 Allein die literarische oder journalistische Eigenart eines Textes genügt noch nicht zur Begründung wettbewerblicher Eigenart. Dies hat der Bundesgerichtshof für die konkrete Ausgestaltung von qualitativ hochwertigen Buchrezensionen renommierter Zeitungen festgestellt.595 Dies muss aber nicht für alle literarischen Kategorien gelten, insbesondere dann nicht, wenn sich Stil und Duktus eines Originaltexts (etwa im Bereich der Lyrik) durch seine besondere Gestaltung erheblich von sonstigen Texten abheben. Darum können z.B. auch Werbeslogans596 jedenfalls grundsätzlich durchaus wettbewerbliche Eigenart besitzen.597 Eine Zusammenstellung, Kollektion oder Kombination von Produkten im 187 Rahmen eines einheitlichen Produktprogramms, das durch charakteristische Besonderheiten gekennzeichnet ist, so dass der angesprochene Verkehr die zum Produktprogramm gehörenden Gegenstände von Erzeugnissen anderer Hersteller unterscheidet, kann wettbewerbliche Eigenart haben.598 Entscheidend sind dabei allein die Charakteristika des Produktprogramms als solches und in seiner Gesamtheit. Auf die Frage, ob auch einzelne Teile des Programms jeweils für sich genommen wettbewerbliche Eigenart aufweisen, kommt es nicht an.599 188
e) Entstehung und Erlöschen der wettbewerblichen Eigenart. Die wettbewerbliche Eigenart muss im Zeitpunkt der Verletzungshandlung und damit bei Angebot der Nachahmung auf dem Markt vorliegen. Auf den Zeitpunkt der Herstellung der Nachah-
_____
590 Siehe oben Rn. 137 ff. 591 Siehe oben Rn. 141 ff. 592 S. BGH 3.11.2005 – I ZR 311/02 – GRUR 2006, 493, 495 – Michel-Nummern; BGH 19.5.2010 – I ZR 158/08 – GRUR 2011, 79 Tz. 25 – Markenheftchen; kritisch Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/43. 593 BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – GRUR 2017, 79 Tz. 44 ff. – Segmentstruktur. 594 BGH 3.11.2005 – I ZR 311/02 – GRUR 2006, 493 Tz. 32 ff. – Michel-Nummern; OLG Karlsruhe 14.4.2010 – 6 U 46/09 – GRUR-RR 2010, 234, 237 – Reisebürosoftware; ebenso Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/43; GKUWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 131). 595 BGH 1.12.2010 – I ZR 12/08 – GRUR 2011, 134 Tz. 67 – Perlentaucher; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/32. 596 BGH 17.10.1996 – I ZR 153/94 – GRUR 1997, 308, 311 – Wärme fürs Leben; OLG Frankfurt 3.8.2011 – 6 W 54/11 – BB 2011, 2178 (Leitsatz) – Schönheit von innen; dazu Löffel GRUR-Prax 2011, 430; vgl. Heerman WRP 2004, 263 ff.; Kaulmann GRUR 2008, 854 ff.; Messer FS Erdmann S. 669 ff. 597 Vgl. Erdmann GRUR 1996, 550 ff.; Kaulmann GRUR 2008, 854, 860; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 93; kritisch aber z.B. Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/42. 598 Vgl. BGH 2.7.1969 – I ZR 118/67 – GRUR 1969, 618, 619 f. – Kunststoffzähne; BGH 30.4.2008 – I ZR 123/05 – GRUR 2008, 793 Tz. 29 – Rillenkoffer; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/38; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 94; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 109; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 58. 599 Vgl. BGH 22.3.2012 – I ZR 21/11 – GRUR 2012, 1155 Tz. 23 – Sandmalkasten; BGH 30.4.2008 – I ZR 123/05 – GRUR 2008, 793 Tz. 29 – Rillenkoffer; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/38; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 109.
Dornis
298
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
mung kommt es nicht an.600 Die Eigenart entsteht in dem Zeitpunkt, in dem die Merkmale eines Produkts gegenüber den angesprochenen Verkehrskreisen die erforderliche Hinweisfunktion bezüglich der betrieblichen Herkunft oder sonstiger Besonderheiten erfüllen. In der Regel ist ein bereits seit einiger Zeit laufendes Angebot des Originalprodukts oder der Originalprodukte auf dem Markt erforderlich. Allerdings kann auch eine intensive werbliche Vermarktung vor dem Beginn des tatsächlichen Vertriebs geeignet sein, Eigenart zu begründen.601 Ob originäre Eigenart („von Hause aus“) denkbar ist, wie es jedenfalls im Schrift- 189 tum überwiegend vertreten wird,602 muss mit Blick auf die informationsökonomische Basis der Tatbestände des § 4 Nr. 3 jedenfalls zum Teil bezweifelt werden. Im Hinblick auf die Täuschung über die Herkunft (§ 4 Nr. 3 lit. a) mag der Hinweis auf Schutzlücken in der Markteinführungs- und Amortisationsphase zutreffend sein.603 Zudem kann die herkunftshinweisende Gestaltung auch ohne vorangehende Investition in den goodwill eine Navigationsfunktion erfüllen.604 Anders ist die Situation beim Schutz gegen die Ausnutzung und Beeinträchtigung der Wertschätzung (§ 4 Nr. 3 lit. b). Hier beruht der Schutz auf dem bereits zuvor akkumulierten goodwill.605 Eine „originäre Wertschätzung“ ist darum kaum denkbar. Für den Tatbestand des § 4 Nr. 3 lit. c spielt die Feststellung wettbewerblicher Eigenart nach zutreffender Ansicht keine Rolle.606 Die tatsächliche Bekanntheit eines Erzeugnisses im Verkehr ist für die Entstehung 190 wettbewerblicher Eigenart nicht gefordert.607 Der Grad der wettbewerblichen Eigenart eines Erzeugnisses kann durch seine tatsächliche Bekanntheit aber gestärkt werden.608 Die wettbewerbliche Eigenart erlischt, wenn das Original und seine prägenden 191 Gestaltungsmerkmale Allgemeingut geworden sind, weil sie nach den Marktverhältnissen nicht mehr dazu geeignet sind, von den angesprochenen Verkehrskreisen im Hinblick auf die Herkunft aus einer bestimmten Quelle oder im Hinblick auf bestimmte besondere Eigenschaften individualisierend wahrgenommen zu werden.609 Allein die Einstellung der Produktion oder das Vom-Markt-Nehmen eines Pro-
_____
600 BGH 8.11.1984 – I ZR 128/82 – GRUR 1985, 876, 878 – Tchibo/Rolex; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/35; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 64; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 102; Harte/Henning/ Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 103. 601 Werner FS Köhler (2014) 785, 787; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/34. 602 Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.25; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 85; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 88; wohl auch bereits Erdmann GRUR 1996, 550, 556; unklar BGH 21.3.1991 – I ZR 158/89 – GRUR 1992, 523, 524 – Betonsteinelemente. 603 Vgl. BGH 19.6.1974, I ZR 20/73 – WRP 1976, 370, 371 – Ovalpuderdose; BGH 21.3.1991 – I ZR 158/89 – GRUR 1992, 523, 524 – Betonsteinelemente; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.25; MünchKommUWG/ Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 88; Erdmann GRUR 1996, 550, 556. 604 Zum ökonomischen Modell siehe oben Rn. 58 ff. 605 Zum ökonomischen Modell siehe oben Rn. 61 ff. 606 Siehe oben Rn. 97 ff. 607 BGH 24.3.2005 – I ZR 131/02 – GRUR 2005, 600, 602 – Handtuchklemmen; BGH 9.10.2008 – I ZR 126/06 – GRUR 2009, 79 Tz. 35 – Gebäckpresse; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 60 f.; Götting/ Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.36. 608 BGH 15.6.2000 – I ZR 90/98 – GRUR 2001, 251, 253 – Messerkennzeichnung; BGH 19.10.2000 – I ZR 225/98 – GRUR 2001, 443, 444 – Viennetta; BGH 24.3.2005 – I ZR 131/02 – GRUR 2005, 600, 602 – Handtuchklemmen; BGH 15.12.2016 – I ZR 197/15 – GRUR 2017, 734 Tz. 43 – Bodendübel; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 3 Rn. 3.25; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 86. 609 BGH 24.5.2007 – I ZR 104/04 – GRUR 2007, 984 Tz. 24 – Gartenliege; BGH 22.1.2015 – I ZR 107/13 – GRUR 2015, 909 Tz. 11 – Exzenterzähne; BGH 15.12.2016 – I ZR 197/15 – GRUR 2017, 734 Tz. 41 – Bodendübel; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 3 Rn. 3.26; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/35; GK-UWG/ Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 136; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 62; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 102; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.36.
299
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
dukts haben allerdings noch nicht diese Wirkung.610 Ein derartiger Zustand kann sich aber als Folge des Auftauchens einer Vielzahl von Nachahmungen einstellen.611 Die wettbewerbliche Eigenart bleibt aber auch in diesen Fällen zumindest so lange bestehen, wie der relevante Verkehr noch zwischen Original und Nachahmung unterscheidet, und die Nachahmung (wenn auch möglicherweise erst nach genauer Prüfung) vom Original unterschieden werden kann.612 192 Ein Nachahmer kann sich nach der Rechtsprechung im laufenden Verfahren nicht darauf berufen, er habe durch eigenen umfangreichen Vertrieb von Nachahmungen die wettbewerbliche Eigenart verwässert oder sogar ganz aufgehoben.613 Ebenso kann der Umstand, dass zeitgleich mit einer als unlauter beanstandeten Nachahmung oder während eines Verletzungsverfahrens ähnliche Gestaltungen anderer Anbieter auf den Markt kommen, die wettbewerbliche Eigenart nicht per se ausschließen.614 Dies findet im Schrifttum Zustimmung, soweit ein Verlust der Eigenart im bereits rechtshängigen Gerichtsverfahren in Frage steht.615 Im Hinblick auf den Zeitraum vor Beginn der prozessualen Auseinandersetzung wird hingegen vertreten, in Fällen gleichzeitig (oder fast gleichzeitig) mit dem Original am Markt auftauchender Nachahmungen sei die Möglichkeit des Verlusts der Eigenart nicht ausgeschlossen.616 Der in der Rechtsprechung beschworenen Gefahr, dass sich „parallele“ Verletzer für den Verlust der wettbewerblichen Eigenart jeweils wechselseitig aufeinander berufen,617 soll zwar bereits durch strenge Maßstäbe für den Verlust wettbewerblicher Eigenart hinreichend vorgebeugt sein.618 Es müsse aber in Fällen, in denen die Eigenart durch das Auftauchen von Imitaten so zeitnah verloren gehe, dass der Originalhersteller das Verletzungsverfahren nicht mehr rechtzeitig einleiten konnte, von einer nicht stark ausgeprägten Eigenart ausgegangen werden.619 Der wettbewerbsrechtliche Nachahmungsschutz dürfe nämlich nicht zur Verfestigung einer rein faktischen Marktposition führen, die so schwach ausgeprägt war, dass sie bereits durch einen erst im Aufkommen begriffenen Imitationswettbewerb entfallen konnte.620 Wenngleich sich einfache Regeln stets gut für die Praxis eignen, ist zu berücksichtigen, dass alle Fragen der Eigenart stets von den Einzelumständen abhängig sind. Zu beachten ist dabei vor allem die Funktion der Eigenart im Rahmen
_____
610 Vgl. z.B. OLG Frankfurt/M. 24.4.2007 – 11 U 45/06 – ZUM-RD 2008, 171, 172 – Hängender Panther (Eigenart eines Schmuckstücks auch nach über 10-jähriger Einstellung des Vertriebs noch vorhanden); zudem z.B. Petry WRP 2007, 1045; Werner FS Köhler S. 785, 792; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 3 Rn. 3.26; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/35; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.37; kritisch Raue S. 152 f. 611 BGH 24.5.2007 – I ZR 104/04 – GRUR 2007, 984 Tz. 26 – Gartenliege; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 3 Rn. 3.25. 612 BGH 5.3.1998 – I ZR 13/96 – BGHZ 138, 143, 150 = GRUR 1998, 830, 832 f. – Les-Paul-Gitarren; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 3 Rn. 3.26; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/35; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 105; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 62. 613 BGH 24.5.2007 – I ZR 104/04 – GRUR 2007, 984 Tz. 27 – Gartenliege; BGH – 24.3.2005 – I ZR 131/02 – GRUR 2005, 600, 602 – Handtuchklemmen. 614 BGH 8.11.1984 – I ZR 128/82 – GRUR 1985, 876, 878 – Tchibo/Rolex; BGH 24.3.2005 – I ZR 131/02 – GRUR 2005, 600, 602 – Handtuchklemmen. 615 Siehe z.B. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 3 Rn. 3.26; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 106 f.; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn 137; ohne Unterscheidung z.B. Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 99. 616 Vgl. etwa Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 3 Rn. 3.26; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 107; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn 137. 617 Vgl. schon BGH 8.11.1984 – I ZR 128/82 – GRUR 1985, 876 – Tchibo/Rolex m. Anm. Klette; OLG Köln 14.6.2002 – 6 U 175/01 – GRUR-RR 2003, 183, 184 – Designer-Sonnenbrille. 618 GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn 137. 619 MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 107; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn 137. 620 MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 107; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn 137.
Dornis
300
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
der informationsökonomisch ausgerichteten Schutzzwecke. Auch eine gering ausgeprägte wettbewerbliche Eigenart kann darum durchaus als schützenswertes Instrument der Marktkommunikation und -information dienen. Eine Faustregel kann folglich allenfalls dahingehend formuliert werden, dass es Sache des Nachahmers ist, die Verwässerung oder das Erlöschen der Eigenart durch die eigenen oder die Aktivitäten Dritter zu belegen.621 Vor dem Hintergrund der Irrelevanz subjektiver Tatbestandsmerkmale im ökonomischen Modell622 wird dieser Vortrag stets grundsätzlich zu beachten sein. Bei absichtlichem oder wissentlichem Vorgehen kommt allerdings die Versagung des Einwandes unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben in Betracht.623 Ein Anspruch auf Schadensersatz des „überholten“ Originalherstellers bleibt von dieser Diskussion um auf die Zukunft gerichtete Ansprüche auf Unterlassung und Beseitigung unberührt, ist allerdings auf den Status und Zeitraum vor dem Verlust der Eigenart infolge Angebots von Nachahmungen bezogen.624 Die wettbewerbliche Eigenart eines Erzeugnisses kann zudem auch dann entfallen, 193 wenn der Verkehr dessen prägende Gestaltungsmerkmale aufgrund der konkreten Kennzeichnung im Markt keinem bestimmten Hersteller (oder einem mit diesem durch Lizenz- oder Gesellschaftsvertrag verbundenen Unternehmen) zuordnet.625 Dies kann dann der Fall sein, wenn ein Hersteller sein Erzeugnis an verschiedene Abnehmer liefert, die dieses dann in großem Umfang unter eigenen Kennzeichnungen vertreiben.626 Sieht der Verkehr diese Kennzeichnungen als Herstellerangaben und nicht als Handelsmarken an, entfällt die Eigenart.627 Andernfalls, also bei Wahrnehmung als Handelsmarke, soll der Verkehr davon ausgehen, es handele sich um den Vertrieb von Produkten eines bestimmten, namentlich nicht in Erscheinung tretenden Herstellers.628 Dann sollen sich auch keine Auswirkungen auf die Eigenart ergeben. Das in dieser Unterscheidung zum Ausdruck kommende Vertrauen auf erhebliche Marktkenntnisse der Verkehrsteilnehmer ist problematisch; richtigerweise sind die konkreten Umstände der Wahrnehmung im Einzelfall in Erfahrung zu bringen. Erfolgt der Vertrieb unter fremden Kennzeichen in lediglich geringfügigem Umfang, soll dies für die wettbewerbliche Eigenart und ihr Bestehen schließlich ebenfalls unschädlich sein.629
_____
621 Zur Beweislast siehe unten Rn. 289 ff. 622 Siehe oben Rn. 84 f. und unten Rn. 194. 623 Vgl. zum Zusammenhang zwischen der Möglichkeit des Einwandes für angebliche Nachahmer und dem Untergang von Ansprüchen durch Verwirkung auch Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 3 Rn. 3.26. 624 So auch zutreffend MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 107. 625 BGH 24.5.2007 – I ZR 104/04 – GRUR 2007, 984 Tz. 23 f. und 32 – Gartenliege; BGH 22.1.2015 – I ZR 107/13 – GRUR 2015, 909 Tz. 11 – Exzenterzähne; BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – GRUR 2017, 79 Tz. 52 – Segmentstruktur; BGH 15.12.2016 – I ZR 197/15 – GRUR 2017, 734 Tz. 41 – Bodendübel; BGH 16.11.2017 – I ZR 91/16 – GRUR 2018, 311 Tz. 20 – Handfugenpistole. 626 BGH 24.5.2007 – I ZR 104/04 – GRUR 2007, 984 Tz. 26 – Gartenliege; BGH 22.1.2015 – I ZR 107/13 – GRUR 2015, 909 Tz. 14 – Exzenterzähne; BGH 15.12.2016 – I ZR 197/15 – GRUR 2017, 734 Tz. 41 – Bodendübel; BGH 16.11.2017 – I ZR 91/16 – GRUR 2018, 311 Tz. 20 – Handfugenpistole; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 4 Rn. 3.24a; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/35; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 102. 627 BGH 24.5.2007 – I ZR 104/04 – GRUR 2007, 984 Tz. 23 ff. – Gartenliege; BGH 22.1.2015 – I ZR 107/13 – GRUR 2015, 909 Tz. 26 f. – Exzenterzähne; BGH 15.12.2016 – I ZR 197/15 – GRUR 2017, 734 Tz. 41 – Bodendübel; BGH 16.11.2017 – I ZR 91/16 – GRUR 2018, 311 Tz. 20 – Handfugenpistole. 628 BGH 24.5.2007 – I ZR 104/04 – GRUR 2007, 984 Tz. 27 – Gartenliege; BGH 16.11.2017 – I ZR 91/16 – GRUR 2018, 311 Tz. 20 – Handfugenpistole; zustimmend z.B. Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.37; kritisch aber Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/35. 629 BGH 16.11.2017 – I ZR 91/16 – GRUR 2018, 311 Tz. 20 – Handfugenpistole.
301
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
4. Nachahmung a) Allgemeines. Die nachgeahmte Leistung muss ganz oder teilweise als eigene angeboten werden, also aus der Sicht des Verkehrs zu einem Teil der Leistung des Übernehmenden werden.630 Subjektiv wird auf Seiten des Nachahmers ganz überwiegend die Kenntnis des Originals gefordert. Dies ergebe sich bereits aus dem Begriff des „Nachahmens“.631 Der Wissensstand des Händlers wird hingegen (sofern er die Nachahmung nicht selbst hergestellt habe) als unerheblich angesehen.632 Eine fahrlässige Nichtkenntnis auf Seiten des Nachahmers wird demnach nicht sanktioniert. Bei erheblicher Übereinstimmung zwischen Original und Nachahmung soll aber zumindest der Anscheinsbeweis für die Kenntnis sprechen.633 Darüber hinaus bestehen keine weiteren subjektiven Voraussetzungen.634 Vor allem dürfen entgegen vereinzelter Formulierungen der älteren Rechtsprechung635 weitergehende subjektive Kriterien nicht einmal im Rahmen einer Gesamtabwägung zur Begründung des Unlauterkeitsvorwurfs herangezogen werden.636 Vorsatz und Fahrlässigkeit sind lediglich im Rahmen der §§ 9, 10 zu beachten.637 Vor dem Hintergrund des Kenntniserfordernisses638 soll eine sogenannte unbewuss195 te Doppelschöpfung (wie im Urheber-, Design- und Geschmacksmusterrecht) frei sein. Der lauterkeitsrechtliche Nachahmungsschutz vermittelt nach dem Schrifttum darum keine absolute Sperrwirkung.639 Insoweit wird auch auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verwiesen, wonach den Unternehmer, der selbständig ein Produkt entwickele, keine allgemeine Pflicht treffe, einen Abstand vom bestehenden Formenschatz zu wahren.640 Ob dieser Ansicht einschränkungslos gefolgt werden kann, muss mit Blick auf Schutzzwecke und ökonomische Hintergründe allerdings bezweifelt werden. In jedem Fall ist nach den verschiedenen Tatbeständen zu differenzieren: Während der Leistungsschutz nach § 3 Abs. 1 Ähnlichkeit zum urheber-, design- und geschmacksmusterrechtlichen Sonderschutz aufweist,641 und eine Doppelschöpfung damit zumindest grundsätzlich denkbar ist, muss für die Tatbestände des § 4 Nr. 3 lit. a und lit. b die Ähnlichkeit zum Marken- und Kennzeichenrecht hervorgehoben werden.642 Der Begriff der
194
_____
630 Siehe z.B. OLG Köln 8.10.2004 – 6 U 113/04 – GRUR-RR 2005, 228 f. – Set-Top-Box; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/45. 631 Siehe nur BGH 26.6.2008 – I ZR 170/05 – GRUR 2008, 1115 Tz. 24 – ICON; BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – GRUR 2017, 79 Tz. 64 – Segmentstruktur; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 36; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 4 Rn. 3.34 und Rn. 3.67; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/46; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 66; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.49; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 69; juris-PK/Ullmann § 4 Nr. 3 Rn. 51. 632 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.68; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/46; a.A. noch BGH 30.1.1992 – I ZR 113/90 – GRUR 1992, 448, 450 – Pullovermuster. 633 BGH 23.5.1991 – I ZR 286/89 – GRUR 1991, 914, 916 – Kastanienmuster; zudem Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/46. Siehe auch zur Beweislast unten Rn. 289 ff. 634 BGH 26.6.2008 – I ZR 170/05 – GRUR 2008, 1115 Tz. 24 – ICON; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.66; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.49. 635 Vgl. nur BGH 23.5.1991 – I ZR 286/89 – GRUR 1991, 914, 915 – Kastanienmuster. 636 juris-PK/Ullmann § 4 Nr. 9 Rn. 49 f. 637 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.68; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/46. 638 Siehe oben (vorige) Rn. 194. 639 Siehe z.B. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.34; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/45 und Rn. 3/46; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 66; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 69. 640 So z.B. in BGH 26.6.2008 – I ZR 170/05 – GRUR 2008, 1115 Tz. 33 – ICON; wohl auch in BGH 23.6.1961 – I ZR 132/59 – GRUR 1961, 581, 582 – Hummelfiguren II. 641 Siehe oben Rn. 72 ff. 642 Siehe oben Rn. 56 ff.
Dornis
302
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
„Schöpfung“ ist insoweit allerdings zweifelhaft; geht es doch um korrekte Kennzeichnung und den Schutz von goodwill-Positionen. Kollisionsfälle sollten darum nach den oder in Anlehnung an die im Marken- und Kennzeichenrecht geltenden Prinzipien (z.B. den Grundsätzen des Rechts der Gleichnamigen) gelöst werden.643 In jedem Fall ist zu beachten, dass auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine im Ergebnis informationsökonomische Unterscheidung vornimmt: die Pflicht zur Abstandwahrung wurde in der ICON-Entscheidung auch unter Hinweis darauf verneint, dass das Produkt der Beklagten zu einer Zeit entwickelt worden war, zu der das Original noch nicht auf dem Markt oder sonst bekannt war.644 Eine Koexistenz ist darum mit Blick auf den Schutz gegen Irreführung oder Anlehnung keinesfalls per se ausgeschlossen. Im Rahmen des § 4 Nr. 3 lit. c sind schließlich weder eine „Schöpfung“ noch ein paralleler Erwerb schutzwerter goodwill-Positionen denkbar. b) Abstufungen der Nachahmungsintensität. Der Grad der Nachahmung soll nach 196 der sogenannten Wechselwirkungslehre in Rechtsprechung 645 und überwiegendem Schrifttum646 den Ausschlag dafür geben, in welcher Intensität die anderen Tatbestandselemente vorliegen müssen. Je unmittelbarer und umfangreicher die Merkmale des Originals übernommen werden, desto geringere Anforderungen werden an den Grad der wettbewerblichen Eigenart gestellt, und desto geringer sind die Anforderungen an die unlauterkeitsbegründenden besonderen Umstände. Der Beurteilungsmaßstab ähnelt insoweit den patent- und urheberrechtlichen Standards für die Frage abhängiger Patente oder Bearbeitungen urheberrechtlicher Werke: erst wenn der Bereich einer „freien“ Benutzung erreicht ist, und das Original nur noch als Anregung für die Schaffung einer eigenständigen Leistung angesehen werden kann, ist die kritische Zone der Nachahmung verlassen.647 Die Rechtsprechung unterscheidet im Sinne einer im Schrifttum treffend als „Stu- 197 fenleiter der Nachahmungen“648 beschriebenen Kategorisierung nach dem jeweiligen Grad und der Intensität der Nachahmung. Die verschiedenen Stufen bewegen sich entlang eines Kontinuums mit (bei grober Einteilung) drei Hauptkategorien. Die erste Kategorie der sogenannten unmittelbaren Leistungsübernahme findet sich z.B. bei der Herstellung perfekter Kopien im Sinne einer Wiederholung oder eines Replikats des Originals durch technische Vervielfältigungsverfahren.649 In der zweiten Kategorie der fast identischen Leistungsübernahme finden sich Fälle, bei denen die Nachahmung vom
_____
643 Vgl. z.B. aufschlussreich BGH 11.10.1990 – I ZR 8/89 – GRUR 1991, 155 Rialto; BGH 24.9.2013 – I ZR 64/11 – GRUR-RR 2014, 201 – Peek & Cloppenburg IV; zudem zur Interessenabwägung z.B. BeckOK Markenrecht Kur/v. Bomhard/Albrecht/Mielke § 15 Rn 14. 644 BGH 26.6.2008 – I ZR 170/05 – GRUR 2008, 1115 Tz. 33 – ICON. 645 Siehe z.B. BGH 5.3.1998 – I ZR 13/96 – GRUR 1998, 830, 833 – Les-Paul-Gitarren; BGH 11.1.2007 – I ZR 198/04 – GRUR 2007, 795 Tz. 29 ff. – Handtaschen; BGH 28.5.2009 – I ZR 124/06 – GRUR 2010, 80 Tz. 21 – LIKEaBIKE; BGH 18.3.2010 – I ZR 158/07 – GRUR 2010, 536 Tz. 48 – Modulgerüst II; BGH 2.12.2015 – I ZR 176/14 – GRUR 2016, 730 Tz. 31 – Herrnhuter Stern; BGH 14.9.2017 – I ZR 2/16 – GRUR 2017, 1135 Tz. 17 – Leuchtballon. 646 Vgl. z.B. nur Schacht GRUR 2017, 1203, 1203; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.34; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/47; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 62; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 66 und 89; kritisch aber z.B. Müller-Laube ZHR 156 (1992) 480, 491 ff. 647 Siehe z.B. instruktiv Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 37; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.47. 648 So Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/47. 649 Vgl. BGH 21.11.1958 – I ZR 61/57 – BGHZ 28, 387, 392 f. = GRUR 1959, 240 – Nelkenstecklinge; BGH 6.5.1999 – I ZR 199/96 – BGHZ 141, 329, 343 = GRUR 1999, 923, 927 – Tele-Info-CD; BGH 11.1.2018 – I ZR 187/16 – GRUR 2018, 832 Tz. 50 – Ballerinaschuh; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/48; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.43.
303
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
Original nur in geringem und im Gesamteindruck unerheblichen Umfang abweicht.650 Im Bereich der unmittelbaren und der fast identischen Übernahme wird nach der frühen Unterscheidung in der Rechtsprechung immer noch zwischen einem sogenannten sklavischen Nachbau (in technischen Bereichen) und einer sklavischen Nachahmung (in nicht technischen Bereichen) unterschieden. 651 Die dritte Kategorie der nachschaffenden Übernahme umfasst schließlich Fälle, in denen das Original nicht identisch oder fast identisch übernommen wird, sondern als Vorbild für eine eigene, allerdings noch immer in gewissem Umfang angelehnte Leistung des Übernehmers dient. Die Nachahmung ist dann eine „Bearbeitung“ oder „Weiterentwicklung“ des Originals. Es wird nicht nur übernommen, sondern auch hinzugefügt.652 Insbesondere bei unmittelbaren und fast identischen Leistungsübernahmen sollen nach der Rechtsprechung nur geringste Anforderungen an das Vorliegen der besonderen unlauterkeitsbegründenden Umstände zu stellen sein.653 Insoweit wird die unmittelbare Leistungsübernahme auch als Fall der Behinderung beschrieben, bei dem die Unlauterkeit bereits durch die Vorgehensweise indiziert sei.654 Im Schrifttum wird die Wechselwirkungslehre kritisch gesehen; zum Teil wird sie 198 ganz abgelehnt.655 Dies wird vor allem unter Hinweis auf fehlende Rechtssicherheit beim Umgang mit den verschiedenen Kriterien und Je-Desto-Bedingungen der Wechselwirkung begründet. Dabei kommt das grundsätzliche Misstrauen gegenüber der Rechtsprechung zum Ausdruck.656 Zudem wird darauf hingewiesen, dass die Doktrin in Fällen der unmittelbaren oder fast identischen Nachahmung dazu verführen könne, die Anforderungen an das Vorliegen zusätzlicher unlauterkeitsbegründender Voraussetzungen herabzusetzen.657 Unter der „falschen Flagge“ vermeidbarer Herkunftstäuschung werde letztlich ein reiner Leistungsschutz ermöglicht.658 In dieser Kritik spiegelt sich auch eine Sorge um Fehler bei der Anwendung von Generalklauseln oder weiten Standards (in Abgrenzung zu strengen und detaillierten Regeln).659 Diese Sorge mag nicht
_____
650 Vgl. BGH 14.12.1995 – I ZR 240/93 – GRUR 1996, 210, 211 – Vakuumpumpen; BGH 17.6.1999 – I ZR 213/96 – GRUR 1999, 1106, 1108 – Rollstuhlnachbau; BGH 15.4.2010 – I ZR 145/08 – GRUR 2010, 1125 Tz. 25 f. – Femur-Teil; BGH 27.11.1959 – I ZR 24/58 – GRUR 1960, 244, 245 f. – Simili-Schmuck; BGH 11.1.2018 – I ZR 187/16 – GRUR 2018, 832 Tz. 50 – Ballerinaschuh; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/48; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 70; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 68. 651 Siehe hierzu Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 66. 652 Vgl. BGH 21.3.1991 – I ZR 158/89 – GRUR 1992, 523, 524 – Betonsteinelemente; BGH 10.4.2003 – I ZR 276/00 – GRUR 2003, 973, 974 – Tupperwareparty; BGH 11.1.2007 – I ZR 198/04 – GRUR 2007, 795 Tz. 29 und 36 – Handtaschen; BGH 11.1.2018 – I ZR 187/16 – GRUR 2018, 832 Tz. 50 – Ballerinaschuh; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/49; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.44; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 71; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 69. 653 Siehe z.B. BGH 27.11.1959 – I ZR 24/58 – GRUR 1960, 244, 245 f. – Simili-Schmuck; BGH 15.7.2004 – I ZR 142/01 – GRUR 2004, 941, 943 – Metallbett; BGH 24.5.2007 – I ZR 104/04 – GRUR 2007, 984 Tz. 36 – Gartenliege; BGH 14.12.1995 – I ZR 240/93 – GRUR 1996, 210, 211 – Vakuumpumpen; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/48; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 66; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 66 f. 654 Vgl. z.B. BGH 24.6.1966 – Ib ZR 32/64 – GRUR 1966, 617, 620 – Saxophon; BGH 3.5.1968 – I ZR 66/66 – GRUR 1968, 591, 592 – Pulverbehälter; zudem Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.45 mit Beispielen aus der Rechtsprechung (in Rn. 3.46); MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 67 und 68. 655 Vgl. z.B. Müller-Laube ZHR 156 (1992) 480, 487 ff.; Beater Unlauterer Wettbewerb Rn. 1948; GK-UWG/ Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 144. 656 Siehe allgemein hierzu oben Rn. 89 ff. 657 Vgl. zu Beispielen einer verkürzten Tatbestandsprüfung z.B. BGH 15.7.2004 – I ZR 142/01 – GRUR 2004, 941, 943 – Metallbett; BGH 14.1.1999 – I ZR 203/96 – GRUR 1999, 751, 753 – Güllepumpen. 658 Vgl. Kur FS Straus S. 521, 527; Müller-Laube ZHR 156 (1992) 480, 489 f.; Beater Unlauterer Wettbewerb Rn. 1948; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 144. 659 Vgl. zur Abgrenzung von Standards und Regeln im Immaterialgüterrecht und zu den (in vielen Fällen lediglich scheinbar bestehenden Unterschieden in der Anwendung) ausführlich Dornis IPQ 2018, 159, 166; Dornis ZGE 2018, 341, 366 ff.
Dornis
304
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
ganz unbegründet sein. Die Regulierung im Bereich nachahmenden Schaffens kann allerdings aufgrund der Komplexität und Wandelbarkeit zahlreicher umfasster Bereiche niemals umfassend und vor allem detailliert durch gesetzliche Vorgaben erfolgen. Die meisten der dem UWG-Nachahmungsschutz unterfallenden Bereiche können vielmehr nur auf der Grundlage von flexiblen Standards angemessen reguliert werden. Zur Beherrschung der unvermeidbaren Unsicherheiten im Rahmen eines derartigen richterrechtlichen Modells flexibler Schutzstandards kommt es auf die genaue Bestimmung der Regelungsziele (unter besonderer Berücksichtigung der ökonomischen Grundlagen) an.660 c) Kategorien der Nachahmung: Produkt- und Marktbezug. Eine Kategorisierung 199 der verschiedenen Konstellationen muss auf Grundlage der jeweils betroffenen Produkte und ihrer Marktplätze vorgenommen werden. Je nach Intensität des Wettbewerbs mit dem Original ergeben sich unterschiedliche Voraussetzungen für die Feststellung einer Nachahmung. Kaum Probleme bei der Beurteilung des Vorliegens einer Nachahmung im Sinne des § 4 Nr. 3 bestehen zunächst in Fällen, in denen eine fremde Leistung tatsächlich in ihrer ursprünglichen Funktion und zudem in einer ihrer ursprünglichen Form ähnlichen Art und Weise übernommen wird. Typischerweise ist dies bei der Nachbildung eines Konkurrenzprodukts der Fall. Außerdem zählen in diese Kategorie auch Fälle, in denen Informationsinfrastrukturen (z.B. Nummernsysteme zur Bestellung, Schnittstellen etc.) übernommen werden, weil sie sich am Markt durchgesetzt haben, und es für einen neuen Marktteilnehmer unverzichtbar ist, diese Systeme ebenfalls in sein Produkt oder seine Dienstleistungen einzubinden.661 Schwieriger zu beurteilen sind Fälle, in denen die (angebliche) Nachahmung einer 200 fremden Leistung in das eigene Produkt des Nachahmers eingefügt wird oder in denen lediglich bestimmte Elemente des Originals für das Produkt das Nachahmers verwendet werden, das Produkt dann allerdings auf einem anderen Markt angeboten wird.662 Die Annahme einer Nachahmung scheitert in diesen Konstellationen häufig daran, dass der abweichende Kontext der Marktumstände bereits nicht einmal mehr eine begriffliche Einordnung als „Nachahmung“ im Sinne einer Nachbildung mit zumindest teilweiser Ähnlichkeit des geschaffenen Abbilds ermöglichen. Zudem wird häufig bereits die Funktion der übernommenen Leistung von der Funktion der neuen, anders gearteten Leistung so weit abweichen, dass von einer Nachahmung nicht mehr die Rede sein kann.663 Der Bundesgerichtshof hat das Vorliegen einer Nachahmung auf dieser Grundlage z.B. in der DAX-Entscheidung verneint, wo es um die Verwendung eines Aktienindex als Bezugswert für Finanzprodukte ging. Es fehle bereits an der Übernahme des Index, weil kein „eigener Aktienindex“ herausgegeben werde, sondern das eigene Produkt die fremde Leistung lediglich als Orientierung und Bezugsgröße für ein anders geartetes,
_____
660 Zum richterrechtlichen Modell flexibler Schutzstandards siehe oben Rn. 89 ff. 661 Vgl. z.B. BGH 19.5.2010 – I ZR 158/08 – GRUR 2011, 79 Tz. 26 – Markenheftchen; OLG Karlsruhe 14.4.2010 – 6 U 46/09 – GRUR-RR 2010, 234, 236 – Reisebürosoftware; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 147; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/45. 662 BGH 3.11.2005 – I ZR 311/02 – GRUR 2006, 493 – Michel-Nummern; BGH 30.4.2009 – I ZR 42/07 – GRUR 2009, 1162 – DAX; BGH 19.5.2010 – I ZR 158/08 – GRUR 2011, 79 – Markenheftchen; BGH 28.10.2010 – I ZR 60/09 – GRUR 2011, 436 – Hartplatzhelden.de; BGH 19.11.2015 – I ZR 149/14 – GRUR 2016, 725 – PippiLangstrumpf-Kostüm II. 663 Vgl. hierzu Feldmann/Höppner K&R 2008, 421, 424; Hoeren/Schröder MMR 2008, 553, 554; Maume MMR 2008, 797, 799; Ohly GRUR 2010, 487, 489; Peukert WRP 2010, 316, 318 f.; Ohly GRUR 2011, 439; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/45; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 79; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 69a.
305
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
nicht vergleichbares Leistungsergebnis verwende.664 Auch kann in der Verwendung von Aufzeichnungen und der Zugänglichmachung von Spielszenen einer Amateurliga auf einer Internet-Plattform keine „Nachahmung“ der Leistung des Amateurfußball-Verbandes gesehen werden. In der Hartplatzhelden.de-Entscheidung sah das Gericht den klagenden Verband lediglich mit der Veranstaltung und Durchführung des Spielbetriebes, nicht aber mit der Online-Vermarktung oder sonstigen Verwertung befasst. Diese vom Beklagten begonnene Verwertung sei allenfalls eine an den Spielbetrieb anknüpfende eigenständige Leistung.665 Für die Gestaltung eines Karnevalskostüms in Anlehnung an die literarische Gestalt 201 und Hauptfigur der „Pippi Langstrumpf“-Romane von Astrid Lindgren verneinte der Bundesgerichtshof erst jüngst das Vorliegen einer Nachahmung unter ausdrücklicher Abgrenzung der Konstellationen eines Anbietens fremder Leistungen als eigene und des Angebots eigener Leistungen unter Ausnutzung einer fremden Leistung als Vorspann.666 Die Klägerin ging weder gegen die Übernahme der literarischen Figur „Pippi Langstrumpf“ in einem literarischen Erzeugnis vor, noch hatte sie vorgetragen, es handele sich um die Nachahmung eines von ihr selbst (oder einem Lizenznehmer) vertriebenen Kostüms. Mit Blick auf den stattdessen geltend gemachten Tatbestand einer produktkategorie- und marktübergreifenden Nachahmung betonte das Gericht, dass im Interesse der Wettbewerbsfreiheit keine geringen Anforderungen zu stellen seien. Im Ergebnis bedingt dies das Erfordernis einer möglichst weitreichenden und unmittelbaren Übernahme von Merkmalen über die Grenzen zwischen Produktkategorien und Märkten hinweg.667 III. Besondere Tatbestandsmerkmale 202
1. Überblick. Außerhalb der Bereiche des sondergesetzlichen Schutzes ist die Nachahmung nur bei Vorliegen besonderer unlauterkeitsbegründender Umstände unzulässig. Die von der Rechtsprechung auf Grundlage der früheren Generalklausel entwickelten Fallgruppen des UWG-Nachahmungsschutzes finden sich in den Tatbeständen des § 4 Nr. 3 lit. a, b und c. Daneben existiert die Fallgruppe des unmittelbaren Leistungsschutzes nach § 3 Abs. 1. Für die Anwendung der Tatbestände des § 4 Nr. 3 ist zudem die Wechselwirkungslehre zu beachten. Diese verknüpft die allgemeinen und die besonderen Tatbestandsmerkmale im Sinne eines beweglichen Systems. Zwischen dem Grad der wettbewerblichen Eigenart, der Intensität der Nachahmung und der Ausprägung der besonderen Unlauterkeitsmerkmale besteht eine Wechselwirkung: Je größer die wettbewerbliche Eigenart und je größer der Grad der Übernahme, desto geringere Anforderungen werden an die unlauterkeitsbegründenden besonderen Umstände gestellt.668
_____
664 BGH 30.4.2009 – I ZR 42/07 – GRUR 2009, 1162 Tz. 42 ff. – DAX; Büscher GRUR 2018, 1, 5; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 79. 665 BGH 28.10.2010 – I ZR 60/09 – GRUR 2011, 436 Tz. 16 – Hartplatzhelden.de; vgl. auch Hoeren/Schröder MMR 2008, 553, 554; Ohly GRUR 2010, 487, 489; Peukert WRP 2010, 316, 318 f.; Büscher GRUR 2018, 1, 5; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.34; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/45; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 80. 666 BGH 19.11.2015 – I ZR 149/14 – GRUR 2016, 725 Tz. 18 – Pippi-Langstrumpf-Kostüm II; siehe zudem z.B. Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/45. 667 Im konkreten Fall verneinte das Gericht eine Nachahmung aufgrund zu geringer Übereinstimmung zwischen Romanfigur und Kostüm. Vgl. BGH 19.11.2015 – I ZR 149/14 – GRUR 2016, 725 Tz. 19 – PippiLangstrumpf-Kostüm II; vgl. zur Übernahme zwischen verschiedenen Produktkategorien auch bereits BGH 10.4.2003 – I ZR 276/00 – GRUR 2003, 973, 975 – Tupperwareparty; zudem Büscher GRUR 2018, 1, 5; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/45. 668 Siehe oben Rn. 169 und 196 ff.
Dornis
306
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
2. Vermeidbare Herkunftstäuschung (§ 4 Nr. 3 lit. a) a) Allgemeines. Das Angebot nachgeahmter Waren oder Dienstleistungen ist unlau- 203 ter, wenn es eine vermeidbare Täuschung der Abnehmer über die betriebliche Herkunft herbeiführt. Der Schutz gegen Irreführung dient in erster Linie dem Interesse des Originalherstellers. Daneben wird aber auch der Abnehmer, vor allem der Verbraucher, gegen die Verfälschung von Marktinformationen geschützt.669 Im Rahmen des Tatbestandes muss (wie im Markenrecht) zwischen verschiedenen Arten der Herkunftstäuschung unterschieden werden.670 Bei der unmittelbaren Herkunftstäuschung kommt es zu einer Verwechslung von Original und Nachahmung. In Fällen der mittelbaren Herkunftstäuschung können die angesprochenen Verkehrskreise zwar zwischen den beiden Produkten unterscheiden, sie ordnen die Nachahmung aber unzutreffenderweise dem Originalhersteller zu. Eine Herkunftstäuschung im weiteren Sinne folgt schließlich aus der fehlerhaften Verkehrsannahme einer organisatorischen oder lizenzvertraglichen Beziehung zwischen dem Anbieter der Nachahmung und dem Originalhersteller.671 b) Verkehrsauffassung und Situation der Erwerbsentscheidung. Für die Prüfung 204 der Eignung zur Täuschung über die betriebliche Herkunft ist auf das durchschnittliche Mitglied der angesprochenen Verkehrskreise in der Situation der Erwerbsentscheidung abzustellen. Bei der Bestimmung des angesprochenen Verkehrskreises kommt es auf die konkreten Abnehmer und Verbraucher an.672 Bei ausschließlichem Erwerb durch Fachleute ist nur deren Sicht entscheidend.673 Bei mehreren Vertriebsstufen entscheidet die Vorstellung aller Abnehmer.674 Im Hinblick auf Angebote an Verbraucher gilt das gemeinschaftsrechtliche Verbraucherleitbild. Dabei ist auf den angemessen aufmerksamen, durchschnittlich informierten und verständigen Abnehmer abzustellen.675 Der Maßstab ist dabei gegebenenfalls gruppenspezifisch zu bestimmen, so insbesondere, wenn es sich bei den angesprochenen Verkehrskreisen um besonders schutzwürdige Gruppen handelt (z.B. Kinder und Jugendliche oder Senioren).676 Haben die angesprochenen Verkehrskreise vom Vorhandensein von Original und Nachahmungen Kenntnis, begegnen sie Angeboten in der Regel „mit einem entsprechend hohen Aufmerksamkeitsgrad“ und werden „weder im Zeitpunkt der Werbung noch beim Kauf einer Herkunftstäuschung unterliegen“.677
_____
669 Siehe oben Rn. 58 ff. 670 Siehe z.B. nur Ohly/Sosnitza § 4 Nr. 3 Rn. 3/53; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.56; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 131 ff.; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 109 ff. 671 Vgl. zu den verschiedenen Arten der Herkunftstäuschung auch BGH 19.10.2000 – I ZR 225/98 – GRUR 2001, 443, 445 – Viennetta; BGH 15.6.2000 – I ZR 90/98 – GRUR 2001, 251, 254 – Messerserie. 672 BGH 17.7.2013 – I ZR 21/12 – GRUR 2013, 1052 Tz. 37– Einkaufswagen III; BGH 15.4.2010 – I ZR 145/08 – GRUR 2010, 1125 Tz. 28 ff. – Femur-Teil; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.41; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.53. 673 Vgl. BGH 15.4.2010 – I ZR 145/08 – GRUR 2010, 1125 Tz. 30 – Femur-Teil; BGH 23.10.2014 – I ZR 133/ 13 – GRUR 2015, 603 Tz. 23, 35 – Keksstangen; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.41; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/54. 674 BGH 22.1.2015 – I ZR 107/13 – GRUR 2015, 909 Tz. 14 f. – Exzenterzähne; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/54; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 123. 675 Vgl. BGH 15.4.2010 – I ZR 145/08 – GRUR 2010, 1125 Tz. 32 – Femur-Teil; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/52; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 122; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 94; Harte/Henning/ Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 83. 676 Vgl. BGH 15.4.2010 – I ZR 145/08 – GRUR 2010, 1125 Tz. 31 – Femur-Teil; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/54; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 122. 677 BGH 11.1.2007 – I ZR 198/04 – GRUR 2007, 795 Tz. 39 – Handtaschen; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 126.
307
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
205
Für die Situation der Erwerbsentscheidung sind vor allem die betroffenen Produktkategorien und die konkreten Umstände der Verkaufssituation zu beachten.678 Die Käufer von teuren Designerbrillen wenden bei ihrer Entscheidung über den Erwerb typischerweise Zeit und Mühe auf und werden darum auch auf eine möglicherweise kleine oder unscheinbare Herstellerkennzeichnung achten.679 Geringere Aufmerksamkeit wird man hingegen in der Regel beim Erwerb weniger teurer Produkte voraussetzen können. Zudem hat der Bundesgerichtshof für Gegenstände des täglichen Bedarfs (z.B. Lebensmittel) festgestellt, dass sich der Verkehr in erster Linie an der Produktbezeichnung und der Herstellerangabe orientiert. Die äußere Gestaltung der Verpackung oder Ware tritt in den Hintergrund, wenn sich Produkte dieser Art in ihren Gestaltungsmerkmalen wenig unterscheiden.680 Allein die Anbringung einer Handelsmarke räumt die Gefahr der Herkunftstäuschung allerdings nicht zwingend aus. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der angesprochene Verkehr die Handelsmarke als solche erkennt.681 Die Gefahr einer Herkunftstäuschung kann schließlich aber durch unterschiedliche Vertriebswege ausgeräumt werden. Dies wird beim Blick auf die Unterschiede zwischen dem Vertrieb hochpreisiger Luxusprodukte in spezialisierten Geschäften und den Produktpaletten weniger herkunftsgarantierender Absatzwege (z.B. Jahrmärkte, Trödelläden und Billigketten) erkennbar.682
206
c) Eignung zur Täuschung über die betriebliche Herkunft. Eine tatsächliche Irreführung des Verkehrs muss nicht festgestellt werden. Die reine Eignung zur Herkunftstäuschung genügt.683 Werden das Original und die Nachahmung nebeneinander vertrieben und kann der Verkehr beide Produkte unmittelbar miteinander vergleichen, sind an die Bekanntheit des Originals keine besonderen Anforderungen zu stellen. Dies ist anders, wenn die Produkte nicht nebeneinander vertrieben werden. In diesem Fall setzt die Eignung zur Täuschung über die betriebliche Herkunft voraus, dass das nachgeahmte Produkt eine gewisse Bekanntheit erlangt hat.684 Für die Feststellung der Bekanntheit sind keine (Mindest-)Prozentsätze und auch keine Verkehrsgeltung im Sinne des Marken- und Kennzeichenrechts zu verlangen.685 Es reicht aus, wenn einem nicht unerhebli-
_____
678 Vgl. z.B. ausführlich MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 122; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 94a. 679 Vgl. OLG Köln 14.6.2002 – 6 U 175/01 – GRUR-RR 2003, 183, 186 – Designerbrille; zudem z.B. OLG Düsseldorf 31.1.2012 – I-20 U 175/11 – GRUR-RR 2012, 200, 208 – Tablet PC; OLG Düsseldorf 24.7.2012 – I-20 U 35/12 – GRUR-RR 2012, 352, 355 – Tablet PC II; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/54. 680 BGH 19.10.2000 – I ZR 225/98 – GRUR 2001, 443, 446 – Viennetta; OLG Köln 29.10.2010 – 6 U 119/10 – WRP 2011, 109, 111 – Joghurtbecher; zudem z.B. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.43c. 681 Vgl. BGH 2.4.2009 – I ZR 144/06 – GRUR 2009, 1069 – Knoblauchwürste; vgl. auch OLG Hamburg 13.2.2014 – 3 U 113/13 – BeckRS 2014, 09531 – Transdermale Pflaster; OLG Düsseldorf 31.1.2012 – I-20 U 175/11 – GRUR-RR 2012, 200, 208 – Tablet PC; OLG Düsseldorf 24.7.2012 – I-20 U 35/12 – GRUR-RR 2012, 352, 355 – Tablet PC II; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.62. 682 Vgl. BGH 11.1.2007 – I ZR 198/04 – GRUR 2007, 795 Tz. 40 – Handtaschen; BGH 10.4.2003 – I ZR 276/00 – GRUR 2003, 973, 975 – Tupperwareparty; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/59; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 126. 683 Siehe z.B. juris-PK/Ullmann § 4 Nr. 3 Rn. 117; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 158; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 82; kritisch zur Ratio aber z.B. Müller-Laube ZHR 156 (1992) 480, 489 f. 684 BGH 28.5.2009 – I ZR 124/06 – GRUR 2010, 80 Tz. 36 – LIKEaBIKE; BGH 9.10.2008 – I ZR 126/06 – GRUR 2009, 79 Tz. 35 – Gebäckpresse; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.41a; juris-PK/Ullmann § 4 Nr. 3 Rn. 107; kritisch aber z.B. Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.57; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 128. 685 Siehe z.B. BGH 17.10.1996 – I ZR 153/94 – GRUR 1997, 308, 310 – Wärme fürs Leben; BGH 15.9.2005 – I ZR 151/02 – GRUR 2006, 79 Tz. 35 – Jeans I; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.41a; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/56; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 82; juris-PK/Ullmann § 4 Nr. 3 Rn. 104.
Dornis
308
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
chen Teil der angesprochenen Verkehrskreise bekannt ist, dass ein Original existiert. Dieses muss einer bestimmten Quelle zugeordnet werden, ohne dass diese Quelle notwendig individuell und namentlich bekannt sein müsste.686 Zudem sind nur die innerhalb Deutschlands angesprochenen Verkehrskreise (oder Teile des dortigen Verkehrs) von Bedeutung. Eine wie auch immer geartete Bekanntheit im Ausland spielt grundsätzlich keine Rolle.687 Die Bekanntheit muss nach Rechtsprechung und überwiegendem Schrifttum bereits 207 im Zeitpunkt der Markteinführung (genauer: des konkreten Angebots) der Nachahmung vorhanden sein.688 Die Gegenansicht verlangt, dass das Original im Zeitpunkt des ersten Angebots der Nachahmung bereits am Markt vorhanden ist, lässt aber im Übrigen genügen, dass das Original erst nachträglich die notwendige Bekanntheit erlangt. Bei parallelem Vertrieb und fortgesetzter Nachahmung kann sich die Eignung zur Herkunftstäuschung beim Original und die Unlauterkeit damit erst mit der Zeit einstellen. Ein „Vorbenutzungsrecht“ des Nachahmers kann nach dieser Auffassung nicht existieren.689 Mit Blick auf die informationsökonomische Ratio des § 4 Nr. 3 lit. a wird man dieser Mindermeinung zustimmen müssen:690 Sofern der Originalhersteller sein Produkt als erster auf den Markt gebracht hat, kann er sich grundsätzlich auch auf Priorität berufen. In jedem Fall ist bei der Frage des Bestehens wettbewerblicher Eigenart und bei Gesamtwürdigung der Umstände im Hinblick auf das Vorliegen einer Täuschung aber streng zu prüfen, ob die parallele Vermarktung der Nachahmung den goodwill des Originals bereits im Entstehen gehindert oder aber im Laufe der Zeit vermindert hat.691 Für Produktgestaltungen ist die Eignung zur Herkunftstäuschung durch Beurteilung 208 der objektiven Übereinstimmung und Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Produkte im Gesamteindruck zu ermitteln.692 Der Verkehr nimmt ein Produkt nämlich in seiner Gesamtheit wahr, ohne es einer analysierenden Betrachtung zu unterziehen.693 Da der Verkehr die einander gegenüberstehenden Produkte zudem typischerweise nicht gleichzeitig und nebeneinander zur Kenntnis nimmt, sondern „seine Auffassung aufgrund eines Erinnerungseindrucks gewinnt, in dem die übereinstimmenden Merkmale stärker hervortreten als die unterscheidenden“, kommt es „bei der Beurteilung der Herkunftstäuschung weniger auf die Unterschiede und mehr auf die Übereinstimmungen der Produkte“ an.694
_____
686 BGH 9.10.2008 – I ZR 126/06 – GRUR 2009, 79 Tz. 31 – Gebäckpresse; BGH 15.9.2005 – I ZR 151/02 – GRUR 2006, 79 Tz. 36 – Jeans I; BGH 24.5.2007 – I ZR 104/04 – GRUR 2007, 984 Tz. 34 – Gartenliege; BGH 28.5.2009 – I ZR 124/06 – GRUR 2010, 80 Tz. 36 – LIKEaBIKE; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/56; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 121; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.53. 687 BGH 9.10.2008 – I ZR 126/06 – GRUR 2009, 79 Tz. 35 – Gebäckpresse; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.41a; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/56; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.57; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 129. 688 BGH 21.9.2006 – I ZR 270/03 – GRUR 2007, 339 Tz. 39 – Stufenleitern; BGH 9.10.2008 – I ZR 126/06 – GRUR 2009, 79 Tz. 35 – Gebäckpresse; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.41a; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/56; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 93c. 689 juris-PK/Ullmann § 4 Nr. 3 Rn. 106; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 156. 690 Zum ökonomischen Modell siehe oben Rn. 58 ff. 691 Zur Gesamtwürdigung bei der Täuschung siehe unten Rn. 210. Zur Lösung von Kollisionsfällen bei „Doppelschöpfung“ siehe oben Rn. 195. 692 BGH 2.4.2009 – I ZR 144/06 – GRUR 2009, 1069 Tz. 12 – Knoblauchwürste; BGH 14.9.2017 – I ZR 2/16 – GRUR 2017, 1135, 1137 Tz. 20 – Leuchtballon; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 124. 693 BGH 28.5.2009 – I ZR 124/06 – GRUR 2010, 80 Tz. 39 – LIKEaBIKE; BGH 22.3.2012 – I ZR 21/11 – GRUR 2012, 1155 Tz. 31 – Sandmalkasten; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/57; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.55; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 94; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 84. 694 Vgl. nur BGH 9.7.1965 – Ib ZR 70/63 – GRUR 1965, 601, 603 – Roter Punkt; BGH 28.5.2009 – I ZR 124/06 – GRUR 2010, 80 Tz. 41 – LIKEaBIKE; BGH 14.9.2017 – I ZR 2/16 – GRUR 2017, 1135 Tz. 20 – Leuchtballon; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.55; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 124 f.
309
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
Können die Abnehmer Unterschiede zwischen den Produkten bereits bei einem geringen Grad an Aufmerksamkeit erkennen, scheidet eine Herkunftstäuschung aus.695 Im Allgemeinen ist für den Gesamteindruck zudem zu beachten, dass Unterschiede aber insbesondere dann keine Rolle spielen können, wenn sie im Vergleich zu den vorhandenen Übereinstimmungen verblassen.696 209
Wird ein Produkt nur verpackt vertrieben, kommt es auf die Eignung zur Herkunftstäuschung des unverpackten Produkts nicht an.697 Im Internet sind die Besonderheiten der Online-Kommunikation zu beachten. Für die Verwendung von Hyperlinks ist darum zu differenzieren: sogenannte offene Hyperlinks, die auf eine andere Seite leiten, sind nicht als unlauter zu beurteilen, wenn direkt auf tieferliegende Inhalte verlinkt wird (deep links).698 Anders können sogenannte frame links als unmittelbare Leistungsübernahme einzuordnen sein, wenn nicht erkennbar ist, dass auf der Seite des Nachahmers fremde Inhalte eingebunden werden.699 Bei Suchmaschinenwerbung fehlt es in der Regel an einer Herkunftstäuschung.700 Beim Schutz von Werbeslogans sind strenge Maßstäbe anzulegen.701 Wird die wettbewerbliche Eigenart eines Slogans durch tatsächliche Bekanntheit gesteigert,702 soll nach der Rechtsprechung bei identischer Übernahme, Austauschbarkeit der beworbenen Ware und weitgehender Identität der werblichen Gestaltung eine Herkunftstäuschung wegen der Anknüpfung an das Erinnerungsbild des Verkehrs und die damit verbundenen positiven Assoziationen in Betracht kommen.703
210
Die Frage der Eignung zur Herkunftstäuschung ist schließlich stets in einer umfassenden Gesamtwürdigung aller für die Herkunftshinweisfunktion und die Täuschungseignung relevanten Umstände des Einzelfalls zu beantworten.704 Die von der Rechtsprechung in Fällen einer identischen Übernahme proklamierte Regel, dass ein Betrachter bei Identität „zwangsläufig davon ausgehe[…], die beide identischen Produkte stammten von demselben Hersteller“,705 ist allerdings abzulehnen. Der angemessen aufmerksame und informierte Verbraucher und Abnehmer ist als zumindest grundsätzlich befähigt anzusehen, zwischen der Form und Qualität und der Quelle und Herkunft von Produkten zu unterscheiden.706 Die Verhältnisse mögen je nach Fallkonstellation variieren. Jedenfalls grundsätzlich ist eine konkrete Prüfung der Herkunftstäuschung aber auch in Identitätsfällen einer per se-Regel vorzuziehen.
211
d) Zeitpunkt der Herkunftstäuschung. Die für die Unlauterkeit relevante Täuschung der Abnehmer über die betriebliche Herkunft muss grundsätzlich im Zeitpunkt
_____
695 BGH 11.1.2007 – I ZR 198/04 – GRUR 2007, 795 Tz. 41 – Handtaschen; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/57. 696 Vgl. BGH 8.12.1999 – I ZR 101/97 – GRUR 2000, 521, 524 – Modulgerüst I. 697 BGH 2.12.2004 – I ZR 30/02 – GRUR 2005, 349, 352 – Klemmbausteine III; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 4 Rn. 3.44b; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 149. 698 BGH 17.7.2003 – I ZR 259/00 – GRUR 2003, 958, 963 – Paperboy; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 136. 699 MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 135 f.; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 145. 700 Vgl. EuGH 23.3.2010 – C-236/08 bis C-238/08 – GRUR 2010, 445 Tz. 83 ff. – Google France; zudem z.B. MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 136. 701 Vgl. BGH 17.10.1996 – I ZR 153/94 – GRUR 1997, 308, 310 – Wärme fürs Leben; zudem MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 149. 702 BGH 17.10.1996 – I ZR 153/94 – GRUR 1997, 308, 310 – Wärme fürs Leben. 703 BGH 17.10.1996 – I ZR 153/94 – GRUR 1997, 308, 310 f. – Wärme fürs Leben. 704 BGH 14.1.1999 – I ZR 203/96 – GRUR 1999, 751, 753 – Güllepumpen; BGH 15.6.2000 – I ZR 90/98 – GRUR 2001, 251, 253 – Messerkennzeichnung; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/58. 705 Vgl. nur BGH 24.5.2007 – I ZR 104/04 – GRUR 2007, 984 Tz. 36 – Gartenliege; BGH 2.4.2009 – I ZR 199/06 – GRUR 2009, 1073 Tz. 15 – Ausbeinmesser; zudem Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.43 m.w.N. 706 Siehe z.B. Kur FS Straus S. 521, 527; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/58; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 127.
Dornis
310
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
der Werbung oder der Erwerbsentscheidung vorliegen.707 Allerdings verbieten Wortlaut und Systematik es nicht, auch ein dem Vertragsschluss nachfolgendes Verhalten als für den Tatbestand relevant einzuordnen (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 1).708 Im Hinblick auf die Frage der Herkunftstäuschung stellt sich darum die Frage, ob eine sogenannte post-sale confusion auch im deutschen (und europäischen) Recht denkbar und vom Tatbestand umfasst ist.709 Konkret geht es um die Täuschung Dritter im Zeitpunkt nach dem Erwerb (am point of sale). Die Rechtsprechung hat dies lange Zeit verneint.710 Allerdings hat der Bundesgerichtshof die Frage der zeitlichen Begrenzung des Tatbestandes auf Konstellationen der vorvertraglichen und vertragsschlussunmittelbaren Herkunftstäuschung zuletzt ausdrücklich offengelassen.711 Mit Blick auf den Regelungszweck und die informationsökonomischen Grundlagen des Tatbestandes des § 4 Nr. 3 lit. a ist an der bisherigen Einschränkung festzuhalten. Führt eine Täuschung Dritter im Nachgang zum Erwerb zur Verwechslung bei den nachfolgenden Erwerbsvorgängen eben jener getäuschten Dritten, handelt es sich um einen Normalfall der Herkunftstäuschung.712 Bei einer Täuschung ohne anschließenden Erwerb, etwa in Form einer „sozialen Irreführung“ (über den Konsum von Originalprodukten durch den Käufer) oder im Hinblick auf nachteilige Auswirkungen auf den Ruf oder das Image des Originals, kommt es dagegen nicht zu einer für § 4 Nr. 3 lit. a relevanten Irreführung.713 Es handelt sich bei diesen Konstellationen vielmehr um Fälle der Rufausbeutung oder -beeinträchtigung im Sinne des § 4 Nr. 3 lit. b.714 Von der Konstellation einer post-sale confusion abzugrenzen sind Fälle der soge- 212 nannten initial-interest confusion, in denen beim angesprochenen Verkehr zwar zunächst eine Täuschung über die Herkunft hervorgerufen wird, diese aber noch vor Abschluss des Erwerbsgeschäfts offengelegt wird und damit entfällt. In Fällen dieser Art geht die Rechtsprechung zum Teil unkritisch vom Vorliegen einer Herkunftstäuschung aus.715 Dieser Ansatz ist mit Blick auf die informationsökonomischen Grundlagen abzulehnen. Sofern der Abnehmer oder Verbraucher in Kenntnis der tatsächlichen Herkunft entscheidet, fehlt es an einer Manipulation der für das Funktionieren des Marktes relevanten Informationen.716 Im Rahmen des UWG-Nachahmungsschutzes wäre allenfalls an ein Ausnutzen der Wertschätzung des Originals durch Verwendung als „Köder“ beim Wettbewerb um Aufmerksamkeit oder in einem switch-and-bait-Schema zu denken (§ 4 Nr. 3 lit. b).717
_____
707 BGH 2.12.2004 – I ZR 30/02 – GRUR 2005, 349, 352 – Klemmbausteine III; wohl auch BGH 10.1.2008 – I ZR 67/05 – GRUR 2008, 790 Tz. 37 – Baugruppe; vgl. zudem Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/55; Götting/ Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.51; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 130. 708 Siehe insbesondere BGH 15.4.2010 – I ZR 145/08 – GRUR 2010, 1125 Tz. 34 f. – Femur-Teil (offengelassen); zudem Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/55. 709 Zum Rechtsvergleich siehe oben Rn. 22 ff. 710 BGH 2.12.2004 – I ZR 30/02 – GRUR 2005, 349, 352 – Klemmbausteine III; BGH 21.9.2006 – I ZR 270/03 – GRUR 2007, 339 Tz. 39 – Stufenleitern. 711 BGH 15.4.2010 – I ZR 145/08 – GRUR 2010, 1125 Tz. 34 f. – Femur-Teil. 712 OLG Köln 28.6.2013 – 6 U 183/12 – GRUR-RR 2013, 472, 475 – Mikado; Ohly FS Fezer S. 615, 626; Ohly/ Sosnitza § 4.3 Rn. 3/55. 713 Vgl. zu dieser Fallgruppe oben Rn. 61 ff. 714 Vgl. BGH 8.11.1984 – I ZR 128/82 – GRUR 1985, 876 – Tchibo/Rolex; BGH 11.1.2007 – I ZR 198/04 – GRUR 2007, 795 Tz. 41 – Handtaschen; Ohly FS Fezer S. 615, 629 ff.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.44b; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/55; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 152. 715 BGH 17.6.1999 – I ZR 213/96 – GRUR 1999, 1106, 1109 – Rollstuhlnachbau; BGH 11.1.2007 – I ZR 198/04 – GRUR 2007, 795 Tz. 39 – Handtaschen; ebenso MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 130. 716 Vgl. auch Grynberg 83 N.Y.U. L. Rev. 60, 103 ff. (2008); Dogan/Lemley 41 Hous. L. Rev. 777, 815 (2004); rechtsvergleichend zudem Dornis S. 357 f. 717 Zum Rechtsvergleich siehe oben Rn. 39 ff. Zu den ökonomischen Grundlagen siehe oben Rn. 56 ff.
311
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
213
e) Vermeidbarkeit. Nach dem Erfordernis der Vermeidbarkeit ist das Angebot einer Nachahmung dann nicht als unlauter einzuordnen, wenn die Herkunftstäuschung nicht durch geeignete und zumutbare Maßnahmen vermieden werden kann.718 Das bedeutet: Sofern es keine zugleich geeigneten und zumutbaren Möglichkeiten zur Vermeidung einer Täuschung gibt, muss die Herkunftstäuschung nicht verhindert werden und ist sanktionslos hinzunehmen.719 Die Rechtsprechung verweist für diese strukturell nachahmungsfreundliche Abwägungsentscheidung auf die Notwendigkeit des Ausgleichs des Interesses des Herstellers des Originalprodukts an der Vermeidung einer Herkunftstäuschung, des Interesses der Wettbewerber an der Nutzung nicht unter Sonderrechtsschutz stehender Gestaltungselemente sowie des Interesses der Abnehmer an einem Preis- und Leistungswettbewerb zwischen unterschiedlichen Anbietern. 720 Im ökonomischen Modell geht es allerdings weniger um die individuellen Positionen der am Wettbewerbsgeschehen Beteiligten, sondern darum, die Kosten einer Marktverwirrung mit den Vorteilen für den Wettbewerb (im Sinne statischer Effizienz) in einen optimalen Ausgleich zu bringen.721 Die Wettbewerbsfreiheit erhält nach der herrschenden Konzeption in bestimmten Konstellationen pauschal Vorrang vor dem Belang der Reinhaltung der Marktkommunikation von Irreführung und Täuschung. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Einseitigkeit der Perspektive, die lediglich auf Handlungsmöglichkeiten des Nachahmers ausgerichtet ist.722 Vereinfacht gesprochen schafft das Kriterium der Unzumutbarkeit eine Enklave des Imitationswettbewerbs bei gleichzeitiger Inkaufnahme einer Störung der Informationslage auf dem Markt. Als Maßnahmen zur Vermeidung einer Herkunftstäuschung kommt neben der 214 ausdrücklichen Bezeichnung des Produkts als vom Original verschieden vor allem die Kennzeichnung der Nachahmung durch eine eigene Marke oder ein Unternehmenskennzeichen des Nachahmers in Betracht. Daneben ist die erkennbar abweichende Gestaltung der Produktverpackung oder der Produktform in Betracht zu ziehen. Bei Vermeidung einer Herkunftstäuschung durch eine ausdrückliche Herkunftsangabe im Sinne des Marken- und Kennzeichenrechts muss diese deutlich erkennbar und dauerhaft mit der Nachahmung verbunden sein.723 Zwar kann auch eine auf der Verpackung angebrachte, abweichende Kennzeichnung genügen. Dies setzt aber voraus, dass das Produkt ausschließlich in dieser Verpackung vertrieben wird, und zudem in der konkreten Verkaufssituation gewährleistet ist, dass Produkt und Verpackung (oder kennzeichnende
_____
718 BGH 8.12.1999 – I ZR 101/97 – GRUR 2000, 521, 525 – Modulgerüst I; BGH 19.10.2000 – I ZR 225/98 – GRUR 2001, 443, 445 – Viennetta; BGH 15.7.2004 – I ZR 142/01 – GRUR 2004, 941, 943 – Metallbett; BGH 21.9.2006 – I ZR 270/03 – GRUR 2007, 339 Tz. 43 – Stufenleitern; BGH 2.4.2009 – I ZR 144/06 – GRUR 2009, 1069 Tz. 12 – Knoblauchwürste; BGH 22.1.2015 – I ZR 107/13 – GRUR 2015, 909 Tz. 33 – Exzenterzähne; BGH 14.9.2017 – I ZR 2/16 – GRUR 2017, 1135 Tz. 39 – Leuchtballon. 719 BGH 12.12.2002 – I ZR 221/00 – GRUR 2003, 359, 361 – Pflegebett; BGH 24.3.2005 – I ZR 131/02 – GRUR 2005, 600, 603 – Handtuchklemmen; BGH 21.9.2006 – I ZR 270/03 – GRUR 2007, 339 Tz. 44 – Stufenleitern; BGH 14.9.2017 – I ZR 2/16 – GRUR 2017, 1135 Tz. 39 – Leuchtballon; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 96. 720 BGH 24.1.2013 – I ZR 136/11 – GRUR 2013, 951 Tz. 36 – Regalsystem; BGH 17.7.2013 – I ZR 21/12 – GRUR 2013, 1052 Tz. 42 – Einkaufswagen III; BGH 22.1.2015 – I ZR 107/13 – GRUR 2015, 909 Tz. 34 – Exzenterzähne; BGH 2.12.2015 – I ZR 176/14 – GRUR 2016, 730 Tz. 68 – Herrnhuter Stern; BGH 14.9.2017 – I ZR 2/16 – GRUR 2017, 1135 Tz. 39 – Leuchtballon; vgl. z.B. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.45 und Rn. 3.47; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 138; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 97. 721 Siehe oben Rn. 49 ff. 722 Siehe nachfolgend Rn. 214. 723 BGH 15.9.2005 – I ZR 151/02 – GRUR 2006, 79 Tz. 33 – Jeans I; BGH 8.12.1999 – I ZR 101/97 – GRUR 2000, 521, 524 f. – Modulgerüst I; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/61; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.62; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 140 ff.
Dornis
312
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
Verpackungsbestandteile) auch im Zeitpunkt des Verkaufs noch miteinander verbunden sind.724 Im Hinblick auf Inhalt und Gestaltung der Kennzeichnung ist die deutlich erkennbare und unmissverständliche Erklärung gefordert, es handle sich um das eigene Produkt.725 Der Nachahmer kann sich für die Erfüllung dieses Klarstellungserfordernisses nicht auf die Bemühungen des Originalherstellers, insbesondere die von diesem auf den Originalprodukten angebrachten Kennzeichen, berufen und damit das Weglassen einer eigenen Kennzeichnung rechtfertigen.726 In den meisten Fällen wird sich der Verkehr vorrangig an der Produkt- oder Herstellerkennzeichnung orientieren. Dann genügt eine deutlich abweichende Kennzeichnung zur Vermeidung der Herkunftstäuschung.727 Bei Produkten des täglichen Bedarfs soll es aber nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zudem darauf ankommen, ob es sich um eine Herstellerangabe oder um eine vom Verkehr als solche erkannte Handelsmarke handelt. Letztere schließt die Gefahr einer Herkunftstäuschung nicht zwangsläufig aus, weil der Verkehr in ihr nicht immer einen Hinweis auf den Hersteller sieht und darum geneigt sein kann anzunehmen, es handle sich um das Original unter einer anderen Marke.728
215
Für die Frage der Zumutbarkeit der Vermeidung einer Herkunftstäuschung durch 216 Änderungen von Form (und Verpackung) ist zudem nach ästhetischen und technischen Formgestaltungen zu unterscheiden. Als ein praktischer Regelsatz für die Beurteilung im Einzelfall wird bei Übereinstimmung in technischen Elementen meist bereits der deutliche Hinweis, dass es sich um ein anderes Produkt handelt, als ausreichend angesehen, um dem Erfordernis der Zumutbarkeit Genüge zu tun. Dies ist anders bei ästhetischen Gestaltungen, wo regelmäßig eine erheblich weiter reichende, tatsächliche Abstandnahme durch Ausweichen auf alternative Gestaltungen als zumutbar beschrieben wird.729 In dieser Abgrenzung spiegelt sich die Freiheit des Standes der Technik als für den Wettbewerb tatsächlich regelmäßig bedeutendsten Aspekt.730 Technische Eigenschaften sind für die Kosten der Herstellung, aber auch und insbesondere für den Erfolg am Markt, meist von größerer Bedeutung als ästhetische Elemente. Nach der ganz überwiegenden Ansicht kann die wettbewerbliche Eigenart darum zunächst nicht auf technisch notwendige Merkmale gestützt werden. Und auch in Fällen nicht notwendiger, lediglich technisch bedingter Merkmale (selbst bei einstmals vorhandenem Sonder-
_____
724 BGH 15.9.2005 – I ZR 151/02 – GRUR 2006, 79 Tz. 33 – Jeans I; BGH 2.12.2004 – I ZR 30/02 – GRUR 2005, 349, 352 – Klemmbausteine III; kritisch Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/61; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 141. 725 BGH 2.12.2004 – I ZR 30/02 – GRUR 2005, 349, 352 – Klemmbausteine III; BGH 28.5.2009 – I ZR 124/06 – GRUR 2010, 80 Tz. 43 – LIKEaBIKE; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.62. 726 Vgl. BGH 8.11.2001 – I ZR 199/99 – GRUR 2002, 275, 277 – Noppenbahnen; BGH 8.12.1999 – I ZR 101/97 – GRUR 2000, 521, 524 – Modulgerüst I; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 141. 727 BGH 14.1.1999 – I ZR 203/96 – GRUR 1999, 751, 753 – Güllepumpen; BGH 7.2.2002 – I ZR 289/99 – GRUR 2002, 820, 822 – Bremszangen; OLG Köln 29.10.2010 – 6 U 119/10 – WRP 2011, 109, 111 f. – Joghurtbecher; BGH 19.10.2000 – I ZR 225/98 – GRUR 2001, 443, 445 – Viennetta; kritisch HarteBavendamm FS Loschelder S. 111, 128; zudem Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/61. 728 BGH 2.4.2009 – I ZR 144/06 – GRUR 2009, 1069 – Knoblauchwürste; siehe zudem z.B. auch Rohnke GRUR 2009, 1072; Lubberger MarkenR 2009, 18 ff.; Harte-Bavendamm FS Loschelder S. 111, 123 ff.; kritisch zudem Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/61. 729 Vgl. BGH 18.12.1968 – I ZR 130/66 – GRUR 1969, 292, 293 – Buntstreifensatin; BGH 17.7.2013 – I ZR 21/12 – GRUR 2013, 1052 Tz. 42 – Einkaufswagen III; zudem auch EuGH 14.9.2010 – C-48/09 P – GRUR 2010, 1008 Tz. 72 – Lego Juris A/S; überdies z.B. Müller-Laube ZHR 156 (1992) 480, 498; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 4 Rn. 3.48; juris-PK/Ullmann § 4 Nr. 3 Rn. 125; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/60; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 169; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.63 ff.; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 151 ff. 730 Siehe oben Rn. 137 ff.
313
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
rechtsschutz) kann es als unzumutbar angesehen werden, den Nachahmer auf eine alternative Lösung zu verweisen. Nach der Rechtsprechung und herrschenden Ansicht im Schrifttum darf eine technische Lösung darum grundsätzlich ohne Einschränkungen übernommen werden, wenn unter Berücksichtigung des Freihaltebedürfnisses der Mitbewerber am Stand der Technik, des Gebrauchszwecks, der Verkäuflichkeit der Ware und der Verbrauchererwartungen die Annahme gerechtfertigt ist, dass in den übernommenen Merkmalen die „angemessene“ Verwirklichung einer technischen Aufgabe liegt.731 Das bedeutet umgekehrt: sind bei allen zur Verfügung stehenden alternativen Lösungen Qualitätseinbußen zu erwarten, ist keine Zumutbarkeit festzustellen.732 Zwar muss der Nachahmer der Herkunftstäuschung durch eine hinreichend klare, deutlich erkennbare und dauerhafte Kennzeichnung seines Produkts entgegenwirken. Soweit darüber hinaus aber immer noch eine Herkunftstäuschung droht, muss diese grundsätzlich hingenommen werden.733 Lediglich bei einer identischen oder fast identischen Nachahmung gelten engere 217 Grenzen, jedenfalls soweit ein Spielraum für abweichende Lösungen vorhanden ist.734 Ein derartiger Spielraum (und eine Einengung der Übernahmefreiheit) ist insbesondere dann anzunehmen, wenn es sich um ein komplexes Produkt handelt. Besteht dieses aus einer Vielzahl technischer und funktionaler Gestaltungsmerkmale oder handelt es sich um ein technisch vielschichtiges, zusammengesetztes Konstrukt, ist ein identischer oder fast identischer Nachbau nicht zulässig.735 Für kompatible und standardisierte Produkte, vor allem Zubehör- und Ersatz218 teile, müssen die Grenzen und Wirkräume des freien Wettbewerbs mit besonderer Sorgfalt gesichert werden, um eine Monopolisierung von Sekundärmärkten zu verhindern. Eine Übernahme technischer und funktionaler Merkmale kann erforderlich sein, um die Kompatibilität zu vorhandenen Produkten und modularen Systemen herzustellen oder komplementäre Produkte (z.B. zum Verbrauch oder zur Ergänzung) sowie an den Originalerwerb anschließende Leistungen (z.B. Reparaturen) anzubieten.736 Unvermeidbarkeit kommt insbesondere dann in Betracht, wenn sich das Original zu einem Standard entwi-
_____
731 BGH 24.3.2005 – I ZR 131/02 – GRUR 2005, 600, 603 – Handtuchklemmen; BGH, 28.5.2009 – I ZR 124/06 – GRUR 2010, 80 Tz. 27 – LIKEaBIKE; BGH, 12.5.2011 – I ZR 53/10 – GRUR 2012, 58 Tz. 46 – Seilzirkus; BGH 22.1.2015 – I ZR 107/13 – GRUR 2015, 909 Tz. 35 – Exzenterzähne; vgl. zudem bereits zuvor BGH 3.5.1986 – I ZR 66/66 – BGHZ 50, 125, 129 = GRUR 1968, 591, 593 – Pulverbehälter. 732 BGH 15.4.2010 – I ZR 145/08 – GRUR 2010, 1125 Tz. 22 – Femur-Teil; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 93; ausführlich auch Schröer S. 95 ff. 733 BGH 8.11.2001 – I ZR 199/99 – GRUR 2002, 275, 277 – Noppenbahnen; BGH 21.9.2006 – I ZR 270/03 – GRUR 2007, 339 Tz. 44 – Stufenleitern; BGH, 12.5.2011 – I ZR 53/10 – GRUR 2012, 58 Tz. 46 – Seilzirkus; Kur FS Straus S. 521, 529; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.49; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/62. 734 Vgl. BGH 2.4.2009 – I ZR 199/06 – GRUR 2009, 1073 Tz. 15 – Ausbeinmesser; BGH 24.5.2007 – I ZR 104/04 – GRUR 2007, 984 Tz. 35 f. – Gartenliege; BGH 22.1.2015 – I ZR 107/13 – GRUR 2015, 909 Tz. 36 – Exzenterzähne; BGH 14.9.2017 – I ZR 2/16 – GRUR 2017, 1135 Tz. 39 – Leuchtballon; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.60 und 3.65. 735 BGH 24.5.2007 – I ZR 104/04 – GRUR 2007, 984 Tz. 35 – Gartenliege; BGH 24.3.2005 – I ZR 131/02 – GRUR 2005, 600, 603 – Handtuchklemmen; BGH 7.2.2002 – I ZR 289/99 – GRUR 2002, 820, 822 – Bremszangen; BGH 8.11.2001 – I ZR 199/99 – GRUR 2002, 275, 276 – Noppenbahnen; BGH 12.7.2001 – I ZR 40/99 – GRUR 2002, 86, 90 – Laubhefter; BGH, 28.5.2009 – I ZR 124/06 – GRUR 2010, 80 Tz. 29 ff. – LIKEaBIKE; zudem MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 148; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 96. 736 Siehe z.B. BGH 15.5.1968 – I ZR 105/66 – GRUR 1968, 698, 699 ff. – Rekordspritzen; BGH 13.10.1983 – I ZR 138/81 – GRUR 1984, 282 – Telekonverter; BGH 22.2.1990 – I ZR 50/88 – GRUR 1990, 528, 530 – RollenClips; BGH 28.3.1996 – I ZR 39/94 – GRUR 1996, 781 – Verbrauchsmaterialien; BGH 8.12.1999 – I ZR 101/97 – GRUR 2000, 521, 525 f. – Modulgerüst I; BGH 19.5.2010 – I ZR 158/08 – GRUR 2011, 79 Tz. 32 ff. – Markenheftchen; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/63; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.64; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 155.
Dornis
314
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
ckelt hat.737 Das Kompatibilitätsinteresse eines Nachahmers wird dabei sowohl im Hinblick auf die technische Notwendigkeit (must fit), als auch im Hinblick auf die ästhetische Notwendigkeit anerkannt (must match).738 Entscheidend ist, dass auf Abnehmerseite ein Ersatz- oder Erweiterungsbedarf und damit ein Interesse an der Verfügbarkeit kompatibler Konkurrenzprodukte besteht.739 Weitere Voraussetzungen werden nicht aufgestellt. Der Nachahmer darf darum auch nicht auf Gestaltungen verwiesen werden, die die Verkäuflichkeit seines Produkts im Hinblick auf den vorhandenen Ersatz- und Erweiterungsbedarf einschränken.740 Zwar hat ein Nachahmer auch in Fällen der Kompatibilität und Standardisierung grundsätzlich die Obliegenheit, durch Kennzeichnungen oder andere geeignete Maßnahmen die Gefahr einer Herkunftstäuschung im Rahmen der Zumutbarkeit auszuräumen. 741 Zudem findet die Nachahmungsfreiheit eine Grenze, wenn das angebotene Produkt mit dem Original nicht ohne Sicherheitsmängel oder Qualitätsverluste kombiniert werden kann. 742 Jenseits des Zumutbarkeitsmaßstabes eröffnet die gegenwärtige Doktrin allerdings weiten Spielraum zur Nachahmung trotz möglicher Herkunftstäuschung. Auch bei dieser Grenzziehung für den UWG-Schutz handelt es sich um die Berücksich- 219 tigung von Parallelwertungen aus immaterialgüterrechtlichen Schutzgrenzen und -schranken (vgl. § 3 DesignG, § 69e UrhG, § 23 MarkenG).743 Ob die grundsätzlich einseitig auf einen Maßstab der Vermeidbarkeit aus der Perspektive des Nachahmers bezogene Öffnung der Sekundärmärkte aber im Vergleich zur second source-Doktrin im Immaterialgüterrecht angemessen ist, darf bezweifelt werden. Jedenfalls bei der Bereitschaft, zu angemessenen Bedingungen zu lizenzieren oder zu liefern, müsste einem Originalhersteller auch im System des UWG-Nachahmungsschutzes die Möglichkeit verbleiben, die Marktverwirrung (auch und vor allem im Allgemeininteresse) zu vermeiden.744 3. Ausnutzung oder Beeinträchtigung der Wertschätzung (§ 4 Nr. 3 lit. b) a) Allgemeines. Der genaue Schutzzweck des § 4 Nr. 3 lit. b ist umstritten. Verein- 220 zelt wird die Vorschrift als besonderer Tatbestand der Mitbewerberbehinderung angesehen.745 Lediglich auf den ersten Blick hiervon zu unterscheiden ist die Einordnung
_____
737 BGH 19.5.2010 – I ZR 158/08 – GRUR 2011, 79 Tz. 32 ff. – Markenheftchen. 738 Vgl. insbesondere BGH 17.7.2013 – I ZR 21/12 – GRUR 2013, 1052 Tz. 42 – Einkaufswagen III; BGH 24.1.2013 – I ZR 136/11 – GRUR 2013, 951 Tz. 38 – Regalsystem; zudem z.B. Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/63. 739 BGH 24.1.2013 – I ZR 136/11 – GRUR 2013, 951 Tz. 36 – Regalsystem; BGH 17.7.2013 – I ZR 21/12 – GRUR 2013, 1052 Tz. 42 – Einkaufswagen III. 740 BGH 24.1.2013 – I ZR 136/11 – GRUR 2013, 951 Tz. 36 ff. – Regalsystem; BGH 17.7.2013 – I ZR 21/12 – GRUR 2013, 1052 Tz. 42 – Einkaufswagen III; zudem z.B. auch Müller-Laube ZHR 156 (1992) 480, 497; Krüger GRUR 2016, 664, 669. 741 BGH 8.12.1999 – I ZR 101/97 – GRUR 2000, 521, 526 – Modulgerüst I; BGH 24.1.2013 – I ZR 136/11 – GRUR 2013, 951 Tz. 37 f. – Regalsystem; BGH 17.7.2013 – I ZR 21/12 – GRUR 2013, 1052 Tz. 42 – Einkaufswagen III; zudem z.B. Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/63; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.64. 742 BGH 8.12.1999 – I ZR 101/97 – GRUR 2000, 521, 526 f. – Modulgerüst I; vgl. zudem auch BGH 13.10.1983 – I ZR 138/81 – GRUR 1984, 282, 283 – Telekonverter; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.50; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 157 ff. 743 Vgl. BGH 8.12.1999 – I ZR 101/97 – GRUR 2000, 521, 525 – Modulgerüst I; BGH 24.1.2013 – I ZR 136/11 – GRUR 2013, 951 Tz. 36 – Regalsystem; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/63. Siehe auch oben Rn. 137 ff. 744 Siehe hierzu instruktiv Krüger GRUR 2016, 664, 668 ff.; zudem zum Patentrecht z.B. BGH 13.7.2004 – KZR 40/02 – GRUR 2004, 966 – Standard-Spundfass (wo sich eine technische Gestaltung (Patent) zum Industrie-Standard entwickelt hatte und der marktbeherrschende Rechteinhaber einen Mitbewerber diskriminierend von der Lizenzvergabe ausschloss); a.A. hingegen z.B. Sack WRP 2017, 132, 136. 745 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.51; ders. GRUR 2007, 548, 552; Hohlweck WRP 2015, 934, 935; wohl auch MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 174; a.A. aber z.B. Rohnke GRUR 1991, 284, 293.
315
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
als einen das Marken- und Kennzeichen- sowie Designrecht ergänzenden Tatbestand des Individualschutzes.746 Wenn dabei ausgeführt wird, dass weder ein Allgemeininteresse an Markttransparenz, noch Interessen der Verbraucher betroffen seien,747 muss allerdings klargestellt werden, dass der Schutz des guten Rufs, Images oder goodwills gerade der Anreizschaffung für den Aufbau derartiger Positionen dient.748 Die Ausnutzung oder Beeinträchtigung der Wertschätzung betrifft das Interesse an korrekter und vollständiger Information zwar nicht unmittelbar. Im Ergebnis mag das Verbraucherinteresse an Informationsmehrung sogar gefördert werden.749 Auf lange Sicht leidet aber der Anreizmechanismus zum Aufbau eines guten Rufs, Images oder goodwills. Im Kern ist § 4 Nr. 3 lit. b darum ein Tatbestand mit informationsökonomischer Ratio: durch den Schutz von Produkt-goodwill gegen Beeinträchtigungen im Rahmen der Marktkommunikation wird ein Anreiz für Investitionen geschaffen. Nach zutreffender Ansicht verknüpft § 4 Nr. 3 lit. b darum Behinderungs- und Zuordnungsschutz mit einer Ratio des Investitionsschutzes im Allgemeininteresse.750 Der Anwendungsbereich des § 4 Nr. 3 lit. b ist in mehrfacher Hinsicht begrenzt. 221 Dies ist in erster Linie auf den (mittlerweile) weitreichenden Sonderrechtsschutz und zudem auf die Engfassung des gesetzlichen Tatbestandes zurückzuführen. Die Vorschrift des § 4 Nr. 3 lit. b betrifft zunächst nur das Angebot nachgeahmter Waren oder Dienstleistungen und erfasst deshalb nicht alle denkbaren Konstellationen der Rufausnutzung oder -beeinträchtigung. Im Hinblick auf den Schutz von Kennzeichen gehen die markenund kennzeichenrechtlichen Regelungen dem UWG-Schutz vor (vgl. §§ 14 Abs. 2 Nr. 3, 15 Abs. 3, 127 Abs. 3 MarkenG).751 In Fällen der vergleichenden Werbung sind zudem die Regelungen der § 6 Abs. 2 Nr. 4 und 6 als vorrangig anzusehen.752 Geht es um den Schutz des guten Rufs eines Unternehmens als solchem oder fehlt es an einer Nachahmung, ist schließlich an § 4 Nr. 1 und 2 oder § 3 zu denken.753 222
b) Wertschätzung der nachgeahmten Ware oder Dienstleistung. Auch für § 4 Nr. 3 lit. b ist Voraussetzung, dass das Original über wettbewerbliche Eigenart verfügt.754 Diese wird im Rahmen des § 4 Nr. 3 lit. b als Wertschätzung der Ware oder Dienstleistung bei den angesprochenen Verkehrskreisen definiert.755 Der Begriff wird als gleichbedeutend mit dem „guten Ruf“ im Markenrecht beschrieben.756 Zum Teil wird zudem von „positiven Vorstellungen“ oder „Assoziationen“ gesprochen, die der Verkehr mit dem Produkt verbinde, oder eine „emotionale Aufladung“ von Marken oder Produkten durch
_____
746 Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/65; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 164 ff. 747 Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/65; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 135. 748 Zum ökonomischen Modell siehe oben Rn. 61 ff. 749 So auch zutreffend Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 137. 750 Vgl. ähnlich auch Hohlweck WRP 2015, 934, 935. 751 OLG Koblenz 11.12.2008 – 6 U 958/08 – GRUR-RR 2009, 230, 234 – Fadenkreuz „Tatort“; Götting/ Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.72; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 145. 752 Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 99; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.73; MünchKommUWG/ Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 166; vgl. zur abschließenden Wertung auch EuGH 12.6.2008 – C-533/06 – GRUR 2008, 698 Tz. 51 – O2. Siehe oben Rn. 165. 753 Vgl. BGH 13.1.2011 – I ZR 125/07 – GRUR 2011, 828 – Bananabay II; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 136. 754 Siehe oben Rn. 176 ff. 755 MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 168; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 100. 756 Siehe z.B. OLG Frankfurt/M. 28.10.2010 – 6 U 87/09 – GRUR-RR 2011, 182, 183 – Leuchtpflasterstein; zudem auch allgemein Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.52; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/66; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 168; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 100; Harte/Henning/ Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 139.
Dornis
316
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
die Werbung gefordert.757 Dies alles ist zutreffend, sofern man unter den guten Ruf sämtliche Aspekte eines weit verstandenen goodwill-Tatbestandes fasst und neben Vorstellungen von der Qualität758 auch das Image oder Prestige759 und vor allem die Exklusivität von Produkten einschließt. Die Wertschätzung muss sich auf das Original – also die Ware oder Dienstleistung – beziehen.760 Das Ansehen eines dahinter stehenden Unternehmens ist nicht unmittelbar vom Schutzbereich erfasst.761 Doch wird dessen Ruf meist auf die angebotenen Waren oder Dienstleistungen ausstrahlen.762 Umgekehrt können auch aufgrund Qualität oder Exklusivität vom Verkehr besonders geschätzte Erzeugnisse den guten Ruf des Unternehmens begründen.763 Der gute Ruf setzt eine gewisse Bekanntheit der Ware oder Dienstleistung voraus.764 Nach der herrschenden Ansicht ist dabei nicht auf bestimmte Prozentsätze abzustellen.765 Der Grad der Bekanntheit kann auch für die notwendige Gesamtabwägung bei der Feststellung der Unangemessenheit der Ausnutzung oder Beeinträchtigung relevant sein.766 Für die Feststellung der Wertschätzung ist auf das Leitbild des angemessen aufmerksamen und informierten Durchschnittsverbrauchers abzustellen.767 Ob die Vorstellung der angesprochenen Verkehrskreise sachlich gerechtfertigt ist, spielt aufgrund der Subjektivität des Merkmals keine Rolle.768 Hierin spiegelt sich der ökonomische Grundsatz der Unantastbarkeit von Verbraucherpräferenzen. Allerdings ist prozessual zu beachten, dass der Inhalt einer behaupteten Gütevorstellung als Tatbestandsmerkmal im konkreten Fall gesondert festgestellt werden muss.769 In räumlicher Hinsicht ist auf den territorialen goodwill abzustellen. Das bedeutet, dass grundsätzlich nur die im Inland vorhandene Wertschätzung geschützt wird. Zwar hat der Bundesgerichtshof in der Modess-Entscheidung auch eine im Ausland aufgebaute Wertschätzung als im Inland schutzfähig eingeordnet.770 Das Gericht stellte dabei auf den durch die „Weltgeltung“ einer Marke begründeten Besitzstand ab, der „nicht
_____
757 Vgl. z.B. Sambuc GRUR 1996, 675, 675; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/66; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 177; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 168 ff., 171; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 142 f. 758 Vgl. insoweit z.B. BGH 5.3.1998 – I ZR 13/96 – BGHZ 138, 143, 151 = GRUR 1998, 830, 833 – Les-PaulGitarren (Qualitätserwartungen, die „auch Jahrzehnte, nachdem [die Gitarren] auf den Markt gebracht worden sind, gleichsam ein objektiver Maßstab für das Angebot anderer Hersteller“ sind). 759 Vgl. hierzu BGH 8.11.1984 – I ZR 128/82 – GRUR 1985, 876, 878 – Tchibo/Rolex. 760 Vgl. Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/66; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 172; Harte/Henning/ Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 136. 761 Vgl. Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/66. 762 Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/66; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 173. 763 BGH 28.3.1996 – I ZR 11/94 – GRUR 1996, 508, 509 – Uhren-Applikation; BGH 9.12.1982 – I ZR 133/80 – BGHZ 86, 90, 95 = GRUR 1983, 247, 248 – Rolls-Royce. 764 OLG Frankfurt/M. 28.10.2010 – 6 U 87/09 –GRUR-RR 2011, 182, 183 – Leuchtpflasterstein; Hohlweck WRP 2015, 934, 937; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.52; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/66; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 175. 765 Vgl. BGH 29.11.1984 – I ZR 158/82 – GRUR 1985, 550, 552 – Dimple; Hohlweck WRP 2015, 934, 937; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.52; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 175; a.A. Sambuc GRUR 1996, 675, 676 f.; Rohnke GRUR 1991, 284, 291 (Untergrenze bei einem Bekanntheitsgrad von 20–25%). 766 Siehe unten Rn. 234 ff. 767 MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 163. 768 MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 171. 769 Sind Image oder Prestige eines Produkts ambivalent, muss eine positive Wahrnehmung im Verkehr vom Anspruchsteller vorgetragen und belegt werden. Vgl. Sambuc GRUR 1996, 675, 677; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 179. 770 BGH 23.3.1966 – Ib ZR 120/63 – GRUR 1967, 298, 301 – Modess.
317
Dornis
223
224
225
226
§4
Mitbewerberschutz
mehr an Grenzen eines bestimmten Staates gebunden“ sei und darum auch in Gebieten Schutz genieße, in dem die mit der Marke versehenen Erzeugnisse noch nicht vertrieben werden, sofern der Inhaber die erkennbare Absicht habe, sein Produkt dort in absehbarer Zeit auf den Markt zu bringen.771 Maßgeblich war dabei die Behinderungsabsicht der Beklagten. Der letztlich gewährte Schutz gründete in der Sache allerdings auf dem inländischen goodwill. Dieser mag seinen Ausgangspunkt im Ausland nehmen; entscheidend ist aber das Vorhandensein von Kommunikationskapital (im Sinne der Wertschätzung)772 in den inländischen Verkehrskreisen.773 227
c) Tatbestandsalternativen. Die gesetzliche Normierung in § 4 Nr. 3 lit. b umfasst zwei zu unterscheidende Tatbestände einer Einflussnahme auf die Wertschätzung. In der ersten Variante geht es um die unangemessene Ausnutzung. Ein konkreter Schaden muss dabei nicht eingetreten sein. Der Tatbestand fußt vielmehr auf dem Paradigma des parasitierenden Eingriffs. Für die zweite Variante der Beeinträchtigung ist nach einer unmittelbaren Auswirkung im Sinne einer Schädigung der Wertschätzung zu fragen. Entgegen gelegentlicher Feststellungen kann es für keinen der beiden Tatbestände auf die subjektive Seite ankommen.774 Allerdings kann eine Absicht auf Seiten des Nachahmers Indiz für das Vorliegen tatsächlicher Auswirkungen oder für die Gefahr des Entstehens von Auswirkungen im Sinne der Tatbestandsalternativen sein.775
228
aa) Unangemessene Ausnutzung. Nach der ersten Tatbestandsvariante des § 4 Nr. 3 lit. b muss die Wertschätzung durch den Mitbewerber unangemessen ausgenutzt werden.
229
(1) Ausnutzung. Die Ausnutzung verlangt, dass die angesprochenen Verkehrskreise den guten Ruf eines Originals auf die Nachahmung übertragen. Dies wird häufig als sogenannter Imagetransfer bezeichnet.776 Konkret ist gefordert, dass sich der Nachahmer die Anziehungskraft des Originals für den Absatz des eigenen Produkts zu eigen macht, und sich damit an die fremde Leistung anlehnt oder anhängt.777 Im Markenrecht ist vom Ausnutzen der sogenannten Sogwirkung bekannter Marken die Rede. Jedenfalls dem Grunde nach beschreibt dies die Natur des Ausnutzens treffend.778 Der Tatbestand liegt im Brennpunkt des ökonomischen Modells der Aneignung.779 In weitem Umfang äquivalente Institute finden sich unter rechtsvergleichender Perspektive z.B. in der post-
_____
771 BGH 23.3.1966 – Ib ZR 120/63 – GRUR 1967, 298, 301 – Modess; siehe zudem z.B. auch OLG Hamburg 17.12.1987 – 3 U 164/87 – GRUR 1988, 549, 550 – Cats. 772 Zum ökonomischen Modell siehe oben Rn 61 ff. 773 Vgl. auch instruktiv Rohnke GRUR 1991, 284, 292 f.; zudem MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 176. 774 Siehe aber z.B. MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 203 (zur Berücksichtigung von subjektiven Elementen bei der Rufschädigung); zutreffend hingegen z.B. Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 163. Siehe allgemein oben Rn. 84 f. und 194. 775 Siehe oben Rn. 85. 776 Vgl. z.B. BGH 13.1.2011 – I ZR 125/07 – GRUR 2011, 828 Tz. 33 f. – Bananabay II; BGH 2.12.2004 – I ZR 30/02 – GRUR 2005, 349, 353 – Klemmbausteine III; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.53; Ohly/ Sosnitza § 4.3 Rn. 3/67; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 177; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.67; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 101; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 157. 777 BGH 2.12.2004 – I ZR 30/02 – GRUR 2005, 349, 352 f. – Klemmbausteine III; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 101. 778 So zutreffend Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.67 unter Verweis auf EuGH 18.6.2009 – C-487/07 – GRUR 2009, 757 Tz. 41 ff. – L’Oréal/Bellure. 779 Siehe oben Rn. 61 ff.
Dornis
318
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
sale und der initial-interest confusion sowie der misappropriation doctrine des USRechts.780 Die bloße Ausnutzung der Unterscheidungskraft im Sinne des § 14 Abs. 2 Nr. 3 230 MarkenG soll allerdings nicht als Imagetransfer im Sinne des § 4 Nr. 3 lit. b eingeordnet werden können.781 Auch soll es nicht ausreichen, wenn lediglich gedankliche Assoziationen an das Original hervorgerufen werden.782 Dies gilt vor allem in Fällen, in denen mit der Bezugnahme auf das Original vorrangig Aufmerksamkeit erweckt wird. Auch der bloße Einsatz eines fremden Produkts als Vorspann für die Bewerbung eigener Produkte soll darum nicht unter § 4 Nr. 3 lit. b fallen.783 Die Abgrenzung zwischen einer unlauteren Anlehnung und der lauteren Bezugnahme durch Auslösen von Assoziationen oder Vorspannwerbung ist allerdings weder theoretisch konsistent noch praktikabel.784 Vor allem ist eine Einschränkung des Schutzes ökonomisch zweifelhaft. Je nach Konstellation, etwa bei einer besonders ausgeprägten Wertschätzung des Originals, kann auch eine weniger intensive und mittelbare Bezugnahme den Tatbestand der Ausnutzung erfüllen. Die Frage beantwortet sich immer in der Gesamtabwägung der Vor- und Nachteile.785 Deshalb ist mit Blick auf das ökonomische Modell des Schutzes gegen Verwässerung von Kennzeichen auch davon auszugehen, dass ein Übermaß an Anlehnung (z.B. unter Verwendung fremder Luxusmarken oder der Abbildung fremder Luxusprodukte) die Kennzeichnungskraft reduzieren kann.786 Anders ist der Fall hingegen gelagert, wenn eine Bezugnahme auf das Original unvermeidbar, und der Originalhersteller marktbeherrschend ist (z.B. bei Ergänzungs- und modularen Produkten).787 Für die Frage, ob und in welchem Umfang ein Imagetransfer stattfindet, ist auf die 231 angesprochenen Verkehrskreise und dort grundsätzlich auf den angemessen aufmerksamen und informierten Durchschnittsverbraucher abzustellen. 788 Eine namentliche Nennung des Originals ist nicht erforderlich. Es genügt die für die angesprochenen Verkehrskreise erkennbare Bezugnahme.789 Die Übertragung der Wertschätzung kann mit einer Herkunftstäuschung i.S.d. § 4 232 Nr. 3 lit. a zusammenfallen. Grundsätzlich setzt die Rufausbeutung aber keine Herkunftstäuschung voraus.790 Die Aneignung kann aber durch Elemente der Irreführung
_____
780 Siehe oben Rn. 22 ff. 781 Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/67. 782 BGH 10.4.2003 – I ZR 276/00 – GRUR 2003, 973, 975 – Tupperwareparty; BGH 2.12.2004 – I ZR 30/02 – GRUR 2005, 349, 353 – Klemmbausteine III; BGH 15.4.2010 – I ZR 145/08 – GRUR 2010, 1125 Tz. 42 – Femur-Teil; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.53; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/67; MünchKommUWG/ Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 181; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.69; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 101; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 136. 783 Vgl. zur früheren Rechtsprechung vor allem BGH 9.12.1982 – I ZR 133/80 – BGHZ 86, 90, 96 = GRUR, 1983, 247, 248 – Rolls-Royce; BGH 29.11.1984 – I ZR 158/82 – GRUR 1985, 550, 553 – Dimple. 784 So auch mit Blick auf die Praxis: Hohlweck WRP 2015, 934, 937. 785 Siehe unten Rn. 61 ff. 786 Vgl. hierzu vor allem Landes/Posner 30 J.L. & Econ. 265, 306 ff. (1987). Siehe zudem oben Rn. 67 ff. 787 BGH 2.12.2004 – I ZR 30/02 – GRUR 2005, 349, 352 – Klemmbausteine III; BGH 15.4.2010 – I ZR 145/08 – GRUR 2010, 1125 Tz. 42 – Femur-Teil; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 101; Harte/Henning/ Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 136. Siehe unten Rn. 234 ff. 788 BGH 19.5.2010 – I ZR 158/08 – GRUR 2011, 79 Tz. 36 – Markenheftchen; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 178; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 182. 789 Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.67; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 101. 790 BGH 8.11.1984 – I ZR 128/82 – GRUR 1985, 876, 878 – Tchibo/Rolex; BGH 2.12.2004 – I ZR 30/02 – GRUR 2005, 349, 352 – Klemmbausteine III; BGH 11.1.2007 – I ZR 198/04 – GRUR 2007, 795 Tz. 44 – Handtaschen; BGH 15.4.2010 – I ZR 145/08 – GRUR 2010, 1125 Tz. 42 – Femur-Teil; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 4 Rn. 3.55; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/67; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 179 f.;
319
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
intensiviert werden. Dies gilt insbesondere in Konstellationen der sogenannten post-sale confusion. Die Gefahr der Täuschung tritt dann bei Dritten im sozialen Umfeld des Erwerbers ein, die die Nachahmungen sehen und so zu irrigen Vorstellungen über die Echtheit verleitet werden.791 In diesen Fällen bildet die Möglichkeit der Irreführung Dritter häufig sogar den wesentlichen (sozialen) Nutzenwert der Nachahmung.792 Tatsächliche Unterschiede oder deutliche Hinweise auf Unterschiede der Produkte können die Gefahr einer Aneignung reduzieren.793 Allein die Verwendung verschiedener Marken (z.B. Rolex und Royal) schließt eine Aneignung aber nicht unbedingt aus. Insoweit ist zwischen der Kenntnis des Erwerbers und seines Umfeldes zu differenzieren.794 Ist der Verkehr allgemein über das Vorhandensein von Nachahmungen im Markt informiert, legt die Rechtsprechung an das Vorliegen der Aneignung strenge Maßstäbe an.795 Die Intensität der Aneignung durch Anlehnung wird zudem als umso geringer angesehen (und die Feststellung der Unlauterkeit damit unwahrscheinlicher), je ähnlicher sich Original und Nachahmung in Nutzen und Preis, vor allem aber Prestige und Image sind.796 Zu den praktischen Mitteln der Ausnutzung zählen neben ähnlicher Produktge233 staltung eine Annäherung an die Originalverpackung oder sonstige Ausstattungsmerkmale sowie die Verwendung identischer Bestellnummern eines Mitbewerbers. Letzterer Fall ist nach der Rechtsprechung allerdings als vergleichende Werbung einzuordnen. § 6 hat darum Vorrang.797 Keine Rufausbeutung ist auch in der Gegenüberstellung der eigenen und der Bestellnummern des Originalherstellers zu sehen.798 Werden fremde Kennzeichen zur Optimierung von Internet-Suchvorgängen benutzt, fehlt es bei ausreichender Erkennbarkeit für den Verkehr bereits an der Nachahmung, jedenfalls aber auch am Imagetransfer.799 Nach der Tele-Info-CD-Entscheidung soll eine Rufausbeutung schließlich in Betracht kommen, wenn eine übernommene Leistung (nämlich Telefonanschlussdaten) in den Augen der angesprochenen Verkehrsteilnehmer nur vom Originalhersteller stammen könne.800 234
(2) Unangemessenheit. Allein die Ausnutzung als solche ist noch nicht unlauter nach § 4 Nr. 3 lit. b: Die Ausnutzung muss zudem unangemessen sein. Die Beurteilung der Unangemessenheit erfordert eine Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Stärke der Wertschätzung und
_____
Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.67; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 102; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 152. 791 BGH 8.11.1984 – I ZR 128/82 – GRUR 1985, 876, 878 – Tchibo/Rolex; BGH 11.1.2007 – I ZR 198/04 – GRUR 2007, 795 Tz. 44 – Handtaschen; instruktiv auch Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 155. 792 Siehe oben Rn. 67 ff. 793 BGH 11.1.2007 – I ZR 198/04 – GRUR 2007, 795 Tz. 44 – Handtaschen; OLG Düsseldorf 24.7.2012 – I-20 U 35/12 – GRUR-RR 2012, 352, 356 – Tablet PC II. 794 Vgl. die Kennzeichen in BGH 8.11.1984 – I ZR 128/82 – GRUR 1985, 876 – Tchibo/Rolex. Zudem auch Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 158. 795 BGH 11.1.2007 – I ZR 198/04 – GRUR 2007, 795 Tz. 45 ff. – Handtaschen; kritisch Aigner/Müller-Broich WRP 2008, 438 ff. 796 OLG Köln 2.8.2013 – 6 U 214/12 – GRUR-RR 2014, 30, 33 – Küchenarmaturen; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/67; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 184. 797 Vgl. BGH 2.12.2004 – I ZR 273/01 – GRUR 2005, 348 f. – Bestellnummernübernahme; EuGH 23.2.2006 – C-59/05 – EuGHE 2006, I-2147 = GRUR 2006, 345 Tz. 17 ff. – Siemens/VIPA; EuGH 25.10.2001 – C-112/99 – EuGHE 2001, I-7945 = GRUR 2002, 354 Tz. 35 ff. – Toshiba/Katun. Siehe oben Rn. 165. 798 Vgl. EuGH 25.10.2001 – C-112/99 – EuGHE 2001, I-7945 = GRUR 2002, 354 Tz. 54 – Toshiba/Katun; BGH 19.5.2010 – I ZR 158/08 – GRUR 2011, 79 Tz. 35 f. – Markenheftchen. 799 BGH 13.1.2011 – I ZR 125/07 – GRUR 2011, 828 Tz. 33 f. – Bananabay II; BGH 22.1.2009 – I ZR 30/07 – GRUR 2009, 500 Tz. 22 – Beta Layout; Röhl NJW 2011, 3005 ff.; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 187. 800 BGH 6.5.1999 – I ZR 199/96 – BGHZ 141, 329 = GRUR 1999, 923 – Tele-Info-CD.
Dornis
320
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
des Grades der Anlehnung.801 Dabei besteht eine Wechselwirkung dahingehend, dass die Unangemessenheit umso eher festzustellen ist, je größer die Wertschätzung und je intensiver die Anlehnung.802 Auch die Vermeidbarkeit der Anlehnung spielt bei der Abwägung eine Rolle.803 Für die Gesamtbetrachtung wird auf eine Abwägung der Interessen des Original- 235 herstellers und des Nachahmers sowie der Abnehmer oder Verbraucher abgestellt.804 Das Interesse der Allgemeinheit an freiem Wettbewerb und die Abnehmerinteressen (an niedrigeren Preisen) sollen das Interesse des Originalherstellers an Amortisation seiner Investitionen überwiegen.805 Dies gelte vor allem dann, wenn der Originalhersteller nach abgelaufenem Sonderrechtsschutz einen bestimmten Markt dominiere. Eine Anlehnung sei für das Ingangkommen wirksamen Wettbewerbs in vielen Fällen schlicht unvermeidbar.806 Bei einer ökonomischen Betrachtung sollte es allerdings nicht auf individualisierte Positionen ankommen. Entscheidend ist der Vergleich von Vor- und Nachteilen einer Monopolisierung der Wertschätzung. Konkret stehen sich dabei Belange statischer Effizienz (im Sinne erweiterten Zugangs und niedrigerer Preise) und dynamischer Effizienz (im Sinne der Anreizgewähr für den Aufbau von Produkt-goodwill) gegenüber.807 Bei der konkreten Abwägung wird es meist (wie auch bei der Frage der Herkunftstäuschung)808 um die Gegenüberstellung des Schutzes für goodwill-Positionen (mit Schaffung einer entsprechenden Anreizstruktur) und der Ermöglichung des Marktzutritts gehen.809 Die jüngere Rechtsprechung ist bei der Frage der Vermeidbarkeit auch in Marktzu- 236 trittsfällen allerdings weniger wettbewerbsfreundlich. Jedenfalls werden dem Nachahmer nicht unerhebliche Obliegenheiten zur möglichst weitgehenden Vermeidung einer Ausnutzung auferlegt. Zwar gilt eine Übernahme von Merkmalen, die dem freizuhaltenden Stand der Technik angehören und der angemessenen Lösung einer technischen Aufgabe dienen, grundsätzlich nicht als unlautere Rufausnutzung.810 Bei identischer oder nahezu identischer Nachahmung gilt aber ein strenger Maßstab: in diesem Fall hält es die Rechtsprechung in der Regel für zumutbar, auf eine andere angemessene technische Lösung auszuweichen, wenn eine Rufausnutzung nicht auf andere Weise vermieden werden kann.811 Typischerweise wird zur Vermeidung erwartet, die angespro-
_____
801 BGH 2.12.2004 – I ZR 30/02 – GRUR 2005, 349, 353 – Klemmbausteine III; BGH 15.4.2010 – I ZR 145/08 – GRUR 2010, 1125 Tz. 42 – Femur-Teil; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/68; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.69; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 191; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 159; kritisch im Hinblick auf die Eigenständigkeit des Unangemessenheitskriteriums aber z.B. Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 99. 802 BGH 17.7.2013 – I ZR 21/12 – GRUR 2013, 1052 Tz. 38 – Einkaufswagen III; BGH 22.1.2015 – I ZR 107/13 – GRUR 2015, 909 Tz. 40 – Exzenterzähne; BGH 15.12.2016 – I ZR 197/15 – GRUR 2017, 734 Tz. 66 – Bodendübel. 803 Siehe vor allem Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/68; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 191. 804 Vgl. z.B. GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 188. 805 GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 189. 806 Vgl. BGH 2.12.2004 – I ZR 30/02 – GRUR 2005, 349, 353 – Klemmbausteine III; Hohlweck WRP 2015, 934, 940; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/68; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 189. 807 Siehe oben Rn. 48 ff. 808 Siehe oben Rn. 213 ff. 809 Vgl. hierzu MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 191 ff., insbesondere Rn. 195 ff.; zudem Hohlweck WRP 2015, 934, 940. 810 Vgl. bereits oben Rn. 216 ff. 811 BGH 17.7.2013 – I ZR 21/12 – GRUR 2013, 1052 Tz. 38 – Einkaufswagen III; BGH 22.1.2015 – I ZR 107/13 – GRUR 2015, 909 Tz. 41 – Exzenterzähne; BGH 15.12.2016 – I ZR 197/15 – GRUR 2017, 734 Tz. 66 – Bodendübel.
321
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
chenen Verkehrskreise durch eine gegenüber dem Original unterscheidbare Kennzeichnung unmissverständlich darüber zu informieren, dass es sich um ein anderes Erzeugnis als das Originalprodukt handelt.812 Ist eine hinreichend klarstellende Kennzeichnung nicht möglich, verbleibt es nach dieser Doktrin bei der Obliegenheit, auf andere Lösungen auszuweichen. Ähnliches muss für die Übernahme ästhetischer Merkmale gelten.813 Man mag die Grenzziehung durch ein enges Vermeidbarkeitsmerkmal auch 237 im Bereich der Ausnutzung für unangemessen wettbewerbsbeschränkend erachten.814 Natürlich wird der Marktzutritt (vor allem in Fällen eines vorangegangenen Sonderrechtsschutzes) durch nahtlos im Anschluss gewährten UWG-Nachahmungsschutz möglicherweise erheblich erschwert. Allerdings ist auch hier eine nuancierte Betrachtung angezeigt.815 Dabei sind verschiedene Aspekte zu unterscheiden. Zunächst stellt sich die grundlegende Frage, ob man den Prestige- und Imagewert überhaupt für schützenswert erachtet. Das mag bezweifelt werden, der Gesetzgeber hat sich allerdings dafür entschieden. Bei der konkreten Grenzziehung zwischen goodwill-Monopol und freiem Wettbewerb ist in jedem Einzelfall abzuwägen, inwieweit sich eine Ausnutzung tatsächlich schädlich auf die dynamische Effizienz (in Form ausreichender Anreizstrukturen für die Schaffung von goodwill-Positionen) auswirken kann. Insoweit ist z.B. zwischen Produkten zu unterscheiden, bei denen der absolute Nutzen überwiegt (z.B. Medizinprodukte oder Medikamente) und Produkten mit überwiegend „sozialem“ Nutzen (z.B. Mode oder Parfum).816 Schließlich darf, vor allem beim Vertrieb von Ersatzteilen und Zubehör, auf die 238 Originalware Bezug genommen werden, wenn dies zur Aufklärung des Verkehrs über die bestimmungsgemäße Verwendung sachlich geboten ist. Soweit sich die Bezugnahme in diesen Grenzen hält, ist eine darin zwangsläufig liegende Anlehnung an den Ruf und den Verkaufserfolg des fremden Herstellers hinzunehmen.817 Ähnlich hat der Bundesgerichtshof in Parallelwertung zu § 23 MarkenG in der DAX-Entscheidung die Unlauterkeit verneint.818 Eine überschießende Bezugnahme ist im Lichte der jüngeren Rechtsprechung (ebenso wie nach dem ökonomischen Modell) aber auch insoweit in jedem Fall zu vermeiden. 239
bb) Unangemessene Beeinträchtigung (Rufschädigung). Anders als bei der Ausnutzung der Wertschätzung, wo es um die Ausbeutung einer fremden Leistung zum eigenen Vorteil geht, erfasst der Tatbestand der Rufschädigung primär den Nachteil auf Seiten eines Mitbewerbers. Der Schwerpunkt der Betrachtung verschiebt sich dabei weg vom Eingriffsparadigma hin zur Frage nach einem unmittelbaren Schaden. Die Wertschätzung wird insbesondere dann geschädigt, wenn die Vorstellungen des Verkehrs von Qualität, Prestige und Image oder der Exklusivität einer Ware oder Dienstleistung durch den Vertrieb einer Nachahmung unmittelbar beeinträchtigt wird. Auch
_____
812 BGH 17.7.2013 – I ZR 21/12 – GRUR 2013, 1052 Tz. 38 – Einkaufswagen III; BGH 22.1.2015 – I ZR 107/13 – GRUR 2015, 909 Tz. 41 – Exzenterzähne; BGH 15.12.2016 – I ZR 197/15 – GRUR 2017, 734 Tz. 66 – Bodendübel. 813 Vgl. oben Rn. 216. 814 Zur Herkunftstäuschung siehe oben Rn. 213 ff. 815 Siehe oben Rn. 141 ff. 816 Vgl. ausführlich zur Abwägung (im Bereich vergleichender Werbung) z.B. Dornis/Wein ZGE 2016, 513, 539 ff.; Dornis/Wein 121 Penn State L. Rev. 421, 451 ff. (2016). 817 BGH 15.7.2004 – I ZR 37/01 – GRUR 2005, 163, 165 – Aluminiumräder; vgl. auch Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn 164. 818 BGH 30.4.2009 – I ZR 42/07 – GRUR 2009, 1162 Tz. 44 und 28 ff. – DAX.
Dornis
322
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
im Tatbestand der Rufschädigung ist die Unangemessenheit als gesondertes Tatbestandsmerkmal zu prüfen.819 Auch bei der Rufschädigung stehen der Grad der Wertschätzung und die Intensität 240 der Übernahme in einer Wechselbeziehung. Zudem sind verschiedene Interessen zu gewichten. Ebenso wie bei der Tatbestandsalternative der Ausnutzung sind auch für die Beeinträchtigung die ökonomischen Vor- und Nachteile abzuwägen.820 Eine Beeinträchtigung der Wertschätzung wird zunächst dann angenommen, wenn die Nachahmung aufgrund minderer Qualität negativ auf die Gütevorstellung des angesprochenen Verkehrs einwirkt.821 Es kommt dann (anders als bei der Ausnutzung) nicht zur Übertragung positiver Qualitätsvorstellungen auf die Nachahmung, sondern zur Übertragung negativer Eindrücke auf das Original.822 Zutreffend wird diese Tatbestandsvariante darum auch als Sonderfall der Behinderung beschrieben.823 Ebenso konsequent ist der (vereinzelte) Verweis der Praxis auf die Gefahr einer „Behinderung durch Rufverwässerung“ beim Vertrieb billiger Nachahmungen.824 Richtigerweise wird man für diese Fallvariante zudem verlangen müssen, dass es sich beim Original um ein Produkt mit erheblicher Wertschätzung, also besonderem Image, handelt.825 Meist wird dann zugleich auch der Tatbestand der unangemessenen Ausnutzung verwirklicht sein.826 Die jüngere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu dieser Fallgruppe ist um- 241 stritten. Das Gericht hat in der Femur-Teil-Entscheidung827 die Möglichkeit einer Rufbeeinträchtigung durch in der äußeren Form (fast) identische aber qualitativ minderwertige Nachahmungen angenommen. Es könne in diesen Konstellationen nämlich zu einer Übertragung negativer Qualitätsvorstellungen auf das Originalprodukt (eine Hüftendoprothese) kommen, wenn die Fachkreise (Ärzte) ihre Qualitätsvorstellungen vor allem mit der äußeren Form eines Produkts verknüpften.828 Im Schrifttum wird diese Rechtsprechung vehement kritisiert. Dabei wird als Argument gegen die Annahme einer Rufschädigung angeführt, dass der Wettbewerbsprozess nach Ablauf des Sonderrechtsschutzes von selbst (und zwar innerhalb eines überschaubaren Zeitraums) für die notwendigen Informationen über die Unterschiede zwischen Original und Nachahmung sorge. Die Annahme einer Rufbeeinträchtigung errichte darum schädliche Marktzutrittsbarrieren, die dem Interesse an freiem und unverfälschtem Wettbewerb zuwiderliefen.829 Eine Rufbeeinträchtigung sei nach abgelaufenem Sonderrechtsschutz darum
_____
819 GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 195; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 188; a.A. juris-PK/ Ullmann § 4 Nr. 9 Rn. 141. 820 Zur Rufausnutzung siehe oben Rn. 229 ff. 821 BGH 10.12.1986 – I ZR 15/85 – GRUR 1987, 903, 905 – Le-Corbusier-Möbel; BGH 8.12.1999 – I ZR 101/97 – GRUR 2000, 521, 526 f. – Modulgerüst I; Hohlweck WRP 2015, 934, 938 f.; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 4 Rn. 3.59; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn 3/70; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.73. 822 BGH 15.4.2010 – I ZR 145/08 – GRUR 2010, 1125 Tz. 44 ff. – Femur-Teil; BGH 8.12.1999 – I ZR 101/97 – GRUR 2000, 521, 526 f. – Modulgerüst I; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 200; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 195. 823 Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn 3/70. 824 Siehe z.B. OLG Düsseldorf 2.3.2004 – I-20 U 64/03 – BeckRS 2004, 9064 Tz. 63 ff. – Hermès-Taschen („Eine … sittenwidrige Behinderung durch Rufverwässerung [kann] auch bei Erzeugnissen eingreifen, die … möglichst vollständig nachahmen wollen, das aber zu außerordentlich geringeren Preisen. Es tritt eine Art von Vualgarisierung [sic] ein.“); wohl offen gelassen in BGH 11.1.2007 – I ZR 198/04 – GRUR 2007, 795 Tz. 48 – Handtaschen; zur ökonomischen Begründung siehe zudem oben Rn. 61 ff. und 70 f. 825 So zutreffend Schröer S. 112 ff. 826 Siehe oben Rn. 228 ff. 827 BGH 15.4.2010 – I ZR 145/08 – GRUR 2010, 1125 – Femur-Teil. 828 BGH 15.4.2010 – I ZR 145/08 – GRUR 2010, 1125 Tz. 44 ff. – Femur-Teil. 829 GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 197; wohl auch Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn 3/70.
323
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
jedenfalls dann grundsätzlich zu verneinen, wenn der Nachahmer sein Produkt mit einer eindeutigen Herstellerkennzeichnung versehe.830 Dieser Ansicht kann insoweit zugestimmt werden, als eine Kennzeichnung nicht nur hinreichend deutlich, sondern auch dauerhaft erfolgt. Sollte allerdings die Gefahr bestehen, dass die Nachahmung im Nachgang für das Original gehalten wird, müssen die Vor- und Nachteile konkret abgewogen werden. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn bei dem Erwerb einer Nachahmung nachfolgenden Reparatur- oder Mangelfällen keine eindeutige Zuordnung mehr möglich ist. Bei Hüftprothesenoperationen mag dies kein Problem sein, weil die Herkunft der Endoprothesen in der Regel auch für nachfolgende Behandlungen dokumentiert sein wird. Anders liegt der Fall aber, wenn es z.B. um Baumaterialien geht. Hier kann es infolge fehlerhafter Zuordnung qualitativ minderwertiger Nachahmungen durchaus zur Schädigung des goodwills des Originals kommen.831 Ein weiteres Problem bei abweichender Qualität zeigt sich, wenn die Nachahmun242 gen als kompatible Produkte, z.B. Ersatz- oder Ergänzungsteile, wesentlich hinter dem Original zurückbleiben. Wird durch dieses Defizit das ganze modulare System in seiner Gebrauchsqualität oder in seiner Sicherheit beeinträchtigt, droht ebenfalls eine negative Abstrahlung auf den guten Ruf des Originals.832 Geht es um Prestige, Image und Exklusivität (z.B. bei Luxusprodukten im Bereich 243 Mode, Schmuck oder Elektronik), kann bereits das Angebot besonders preisgünstiger Nachahmungen als solches die Wertschätzung beeinträchtigen.833 In der ökonomischen Theorie betrifft dies vor allem sogenannte Veblen-Güter, die dadurch gekennzeichnet sind, dass die Nachfrage trotz Preiserhöhung steigt. Die Verbraucher erwerben diese Güter ausschließlich oder ganz überwiegend in der Absicht, sich durch den Konsum sozial abzugrenzen und aufzuwerten.834 Jede Form einer Ausweitung des Angebots beeinträchtigt darum die Anziehungskraft des Originals. Dieser Effekt tritt allerdings nicht ein, oder ist erheblich abgeschwächt, wenn Nachahmung und Original so erkennbar verschieden sind, dass auch jenseits des point of sale (d.h. im sozialen Umfeld der Abnehmer) keine Gefahr der „Herkunftstäuschung“ besteht.835 4. Unredliche Erlangung erforderlicher Kenntnisse oder Unterlagen (§ 4 Nr. 3 lit. c) 244
a) Allgemeines. Der Tatbestand des § 4 Nr. 3 lit. c richtet sich gegen die Verwertung unredlich erlangter betrieblicher Geheimnisse. Die Norm erfasst dabei zwar primär die Verwerflichkeit einer der Nachahmung und Vermarktung vorangehenden Handlung.836
_____
830 GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 197; wohl auch Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn 3/70. 831 Siehe oben Rn. 148. 832 Vgl. BGH 8.12.1999 – I ZR 101/97 – GRUR 2000, 521, 526 f. – Modulgerüst I; Hohlweck WRP 2015, 934, 940; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 196. 833 BGH 8.11.1984 – I ZR 128/82 – GRUR 1985, 876, 878 – Tchibo/Rolex; BGH 11.1.2007 – I ZR 198/04 – GRUR 2007, 795 Tz. 48 – Handtaschen; OLG Düsseldorf 31.1.2012 – I-20 U 175/11 – GRUR-RR 2012, 200, 208 ff. – Tablet PC; OLG Düsseldorf 24.7.2012 – I-20 U 35/12 – GRUR-RR 2012, 352, 355 f. – Tablet PC II; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/70; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 202; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.70a; zweifelnd aber wohl Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.59. 834 Siehe oben Rn. 70 f. 835 BGH 11.1.2007 – I ZR 198/04 – GRUR 2007, 795 Tz. 48 – Handtaschen; BGH 5.3.1998 – I ZR 13/96 – BGHZ 138, 143, 151 = GRUR 1998, 830, 833 – Les-Paul-Gitarren; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler § 4 Rn. 3.59; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/70; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 202; vgl. aber auch Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.71. 836 Zutreffend vom „Vorfeld“ der eigentlichen Nachahmung spricht Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 167.
Dornis
324
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
Allerdings wird in Form eines „Fruchtziehungsverbotes“ erst die der unredlichen Informationserlangung nachfolgende Verwertung beschränkt.837 Die Norm hat darum einen die Vorschriften zum Geheimnisschutz ergänzenden Charakter.838 Der rechtswidrige Geheimniserwerb als solcher wurde bislang über §§ 17 ff. sanktioniert. Neuerdings findet sich der Schutz von Geschäftsgeheimnissen in mehrfacher Hinsicht erweitert in §§ 1 ff. GeschGehG.839 Vor dem Inkrafttreten des GeschGehG stand die Vorschrift des § 4 Nr. 3 lit. c nach überwiegender Ansicht in Idealkonkurrenz zu den Straftatbeständen der §§ 17 ff. sowie den Tatbeständen der zivil- und lauterkeitsrechtlichen Haftung (i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB und § 3a).840 Im Unterschied zu § 4 Nr. 3 lit. a und lit. b begründet und verfolgt § 4 Nr. 3 lit. c keinen informationsökonomischen Schutzzweck. Der Tatbestand dient der Austrocknung des Marktes im Nachgang zu einer unredlichen Informationserlangung. Darum besteht auch kein Erfordernis, für § 4 Nr. 3 lit. c das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der wettbewerblichen Eigenart in Ansatz zu bringen.841 Die sogenannte Geschäftsgeheimnis-RL 2016/943/EU vom 8. Juni 2016842 regelt die 245 Begriffe des Geschäftsgeheimnisses, des rechtsverletzenden Produkts sowie der Rechtmäßigkeit und Rechtswidrigkeit des Umgangs mit Geschäftsgeheimnissen in Form des Erwerbs, der Offenlegung und der Nutzung (vgl. Art. 2 ff.). Durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/943 zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung (GeschGehG)843 wurden die europäischen Handlungsverbote beim Umgang mit Geschäftsgeheimnissen (§ 4), die Erlaubnistatbestände und Rechtfertigungsgründe (§§ 3, 5) sowie die aus einem Verstoß resultierenden zivilrechtlichen Ansprüche (§§ 6 ff.) und Straftatbestände (§ 23) in nationales Recht überführt. Zugleich wurden die bislang geltenden Vorschriften des UWG zum Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen sowie zur Verwertung von Vorlagen in §§ 17 ff. aufgehoben.844 Die Vorschrift des § 4 Nr. 3 lit. c soll unverändert bestehen und damit zumindest grundsätzlich weiterhin anwendbar bleiben.845 Zum Verhältnis der beiden Regelungskomplexe des UWG und des GeschGehG, vor allem der parallelen Anwendung der Tatbestände bei geschäftlichen Handlungen, hat sich der Gesetzgeber nicht ausdrücklich erklärt. Die Gesetzesmaterialien implizieren allerdings, dass UWG und GeschGehG parallel anwendbar sein sollen.846 Es ist darum von Anspruchskonkurrenz auszugehen.
_____
837 Siehe insbesondere Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.60. Vgl. zudem oben Rn. 97 f. 838 Siehe bereits BGH 10.7.1963 – Ib ZR 21/62 – GRUR 1964, 31, 32 – Petromax II m.w.N. 839 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/943 zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung, Bundestags-Drucks. 19/4724 (4.10.2018). 840 Vgl. BGH 13.12.2007 – I ZR 71/05 – GRUR 2008, 727 Tz. 20 – Schweißmodulgenerator; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 107; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 199. 841 Zum Streitstand siehe oben Rn. 181 ff. 842 Richtlinie (EU) 2016/943 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8.6.2016 über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung, ABl. EU v. 15.6.2016, L 157/1 ff. 843 Vgl. Bundestags-Drucks. 19/4724 (4.10.2018); BGBl. I 2019, 466 ff. (25.4.2019). 844 Vgl. Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/943 zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung, Bundestags-Drucks. 19/4724 (4.10.2018), S. 17 (mit Art. 5 zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb) und S. 42 (Begründung). 845 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.63; wohl ebenso Alexander WRP 2017, 1034, 1043. 846 Vgl. die Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates in Anlage 4 zu BTDrucks. 19/4724, S. 49 („Die Bundesregierung … geht allerdings davon aus, dass keine Rechtsunsicherheit bezüglich der parallelen Anwendbarkeit anderer immaterialgüterrechtlicher Vorschriften besteht und verweist auf die Begründung ihres Gesetzentwurfs, wonach der Schutz von
325
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
246
Bei der Anwendung des § 4 Nr. 3 lit. c ist eine strengere, über die europäischen Vorgaben hinausgehende Auslegung des Lauterkeitsrechts nicht ausgeschlossen. Den Mitgliedstaaten verbleibt nämlich die Möglichkeit, im nationalen Recht (und damit auch im Lauterkeitsrecht) einen weitergehenden Schutz von Geschäftsgeheimnissen vorzusehen.847 Bei der Auslegung und Anwendung dieser weiterreichenden Vorschriften dürfen allerdings die Ausnahme- und Rechtfertigungstatbestände sowie die besonderen Regelungen zum Gerichtsverfahren in der Geschäftsgeheimnis-RL848 nicht unterlaufen oder verkürzt werden. Zudem sind die europäischen Grundfreiheiten zu berücksichtigen. 849 Im Ergebnis werden sich die Tatbestände des GeschGehG nicht grundstürzend von § 4 Nr. 3 lit. c unterscheiden.850 Allerdings variieren die Rechtsfolgen zum Teil nicht unerheblich. Als Beispiele für Konfliktpotential sind u.a. zu nennen die Divergenzen im Hinblick auf die Möglichkeit, eine Vernichtung rechtsverletzender Produkte zu fordern (vgl. § 7 GeschGehG), der Ausschluss von GeschGehG-Ansprüchen bei Unverhältnismäßigkeit (vgl. §§ 9 und 11 GeschGehG) sowie die Unterschiede zwischen GeschGehG und UWG bei der Verjährung.851
247
b) „Erforderlichkeit“ der Kenntnisse oder Unterlagen. Die Anwendung des § 4 Nr. 3 lit. c erfordert zunächst die Erlangung von Informationen, die eine Nachahmung ermöglichen. Dies gilt z.B. für Konstruktions- und Designvorlagen, Messdaten oder Muster sowie Know-how im weitesten Sinne.852 Die unredlich erlangten Kenntnisse oder Unterlagen dürfen zudem nicht nur nützlich, sie müssen außerdem zur Nachahmung erforderlich sein. Das bedeutet, dass die erlangten Informationen eine notwendige Bedingung für die erfolgreiche Nachahmung sind.853 Der Begriff der Erforderlichkeit ist dabei von der Geheimnisqualität zu unterscheiden. Die Kenntnisse oder Unterlagen müssen nicht im strengen Sinne „geheim“ sein. Es ist nicht erforderlich, dass der Inhaber als einziger Kenntnis hat, oder dass sich die Informationen nicht mit vertretbarem Aufwand anders als über ihn gewinnen lassen. Entscheidend ist, dass die betreffenden Informationen nicht offenkundig sind.854 Was allgemein bekannt oder ohne Aufwand auf anderem Wege herauszufinden ist, kann nicht unlauter erlangt werden.
248
Diese Grundsätze gelten auch nach Inkrafttreten des GeschGehG weiter. § 2 Nr. 1 GeschGehG definiert als „Geschäftsgeheimnis“ Informationen, die folgende Kriterien erfüllen: (1) sie sind weder insgesamt noch in der genauen Anordnung und Zusammensetzung ihrer Bestandteile den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Informationen umgehen, allgemein bekannt oder ohne weiteres zugänglich und daher von wirtschaftlichem Wert und (2) sie sind Gegenstand von den Umständen nach angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen durch ihren rechtmäßigen Inhaber. Mit Blick auf die ausdrücklichen Ausschlusskriterien der allgemeinen Bekanntheit und einfachen Zugänglichkeit von In-
_____ Geschäftsgeheimnissen weder den Marktverhaltensregelungen des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) noch den vollständigen Immaterialgüterrechten … zugeordnet werden kann.“). 847 Vgl. Art. 1 Abs. 1 UAbs. 1 Geschäftsgeheimnis-RL. 848 Vgl. Art. 3, 5 und 6 ff. Vgl. zur Mechanik einer teilweisen Mindest- und Vollharmonisierung: Alexander WRP 2017, 1034, 1036. 849 Zum europäischen Recht siehe allgemein auch oben Rn. 12 f. 850 Siehe nachfolgende Rn. 247 ff. 851 Zu den Ansprüchen nach UWG und der Verjährung siehe unten Rn. 276 ff., 286 f. 852 Siehe z.B. nur BGH 3.5.2001 – I ZR 153/99 – GRUR 2002, 91, 95 – Spritzgießwerkzeuge; jurisPK/Ullmann § 4 Nr. 3 Rn. 156; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/72. 853 Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/72. 854 BGH 10.7.1963 – Ib ZR 21/62 – GRUR 1964, 31, 32 – Petromax II; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/72; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.74; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 219; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 174.
Dornis
326
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
formationen ist auch nach dem GeschGehG grundsätzlich zwischen Erforderlichkeit und Geheimnisqualität zu unterscheiden. Belanglose, weithin bekannte oder leicht zugängliche sowie offenkundige Informationen sind keine Gemeinmisse im Sinne der Norm.855 Auch haben sich die Erfordernisse an die angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen trotz ausdrücklicher Formulierung im Vergleich zu §§ 17 ff. nicht wesentlich erhöht.856 Eine erhebliche Divergenz zum Anwendungsbereich des § 4 Nr. 3 lit. c ist damit nicht gegeben.
c) Unredliche Erlangung. Die Frage der „Unredlichkeit“ der Erlangung von Unter- 249 lagen und Kenntnissen orientiert sich bislang an den Vorschriften der §§ 17 f. Dabei waren vor allem die in § 17 Abs. 2 genannten verwerflichen Mittel als Handlungsalternativen des § 4 Nr. 3 lit. c erfasst.857 Darüber hinaus soll auch ein Verstoß gegen andere Vorschriften des Strafrechts oder der Bruch eines vertraglichen oder vorvertraglichen Vertrauensverhältnisses die Erlangung von Informationen „unredlich“ machen können.858 Nach der überwiegenden Ansicht soll es für einen Vertrauensbruch zudem ausreichen, dass Kenntnisse im Rahmen eines Vertrauensverhältnisses zunächst redlich erlangt und erst im Nachgang für die Nachahmung missbräuchlich ausgenutzt werden.859 Als typische Konstellationen der Begründung privatrechtlich fundierter Vertrauensverhältnisse dieser Art sind zu nennen: die Überlassung von Unterlagen im Rahmen von Vertragsverhandlungen, die Aneignung von Unterlagen nach gescheiterter und nichtiger Betriebsveräußerung oder die Verwendung von Unterlagen nach dem Ende eines Auftrags- oder Arbeitsverhältnisses.860 Stets muss aber ein besonderes Vertrauensverhältnis bestehen. Dieses wurde z.B. in einem Fall verneint, in dem der Nachahmer die seinem Kunden von einem Mitbewerber zuvor ohne Einschränkung überlassene Angebotsplanung als Ausgang für seine eigene Angebotserstellung nahm.861 Für aus einem Betrieb ausgeschiedene Arbeitnehmer ist weiter zu beachten, dass sie das von ihnen im normalen Rahmen und Ablauf des Arbeitsverhältnisses erworbene Know-how frei verwerten dürfen, sofern dem nicht eine Vereinbarung entgegensteht (z.B. ein Wettbewerbsverbot).862 Schließlich darf das im Rahmen der Tätigkeit erlangte und frei mitnehmbare Wissen nicht durch weitere Maßnahmen, z.B. die Mitnahme von Unterlagen, erweitert werden.863
_____
855 Siehe nur BTDrucks. 19/4724, S. 24, sowie Erwägungsgrund 14 der Richtlinie (EU) 2016/943 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung, 15.6.2016, ABl. EU, L 157/1. 856 Siehe hierzu Maaßen GRUR 2019, 352, 353 f. und Alexander WRP 2017, 1034, 1038 f.; vgl. aber auch BTDrucks. 19/4724, S. 24 (zu Geheimhaltungsmaßnahmen). 857 Siehe z.B. BGH 18.3.2010 – I ZR 158/07 – GRUR 2010, 536 Tz. 55 – Modulgerüst II; MünchKommUWG/ Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 215. 858 Vgl. etwa BGH 18.3.2010 – I ZR 158/07 – GRUR 2010, 536 Tz. 55 – Modulgerüst II; Erdmann FS Vieregge S. 197, 214; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.61; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/73; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 218. 859 BGH 7.11.2002 – I ZR 64/00 – GRUR 2003, 356, 357 – Präzisionsmessgeräte; Erdmann FS Vieregge S. 197, 214; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.62; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 221. 860 Vgl. BGH 27.1.1983 – I ZR 177/80 – GRUR 1983, 377, 379 – Brombeer-Muster; BGH 2.10.2008 – I ZR 48/06 – GRUR 2009, 416 Tz. 18 – Küchentiefstpreis-Garantie; BGH 16.3.1956 – I ZR 162/54 – GRUR 1956, 284, 286 – Rheinmetall-Borsig II; BGH 10.7.1963 – Ib ZR 21/62 – GRUR 1964, 31, 33 – Petromax II; BGH 7.11.2002 – I ZR 64/00 – GRUR 2003, 356, 358 – Präzisionsmessgeräte. 861 BGH 2.10.2008 – I ZR 48/06 – GRUR 2009, 416 Tz. 20 – Küchentiefstpreis-Garantie; vgl. auch Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.74. 862 Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/73; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 206. 863 BGH 7.11.2002 – I ZR 64/00 – GRUR 2003, 356, 358 – Präzisionsmessgeräte; MünchKommUWG/ Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 217.
327
Dornis
250
§4
251 252
253
Mitbewerberschutz
Zudem soll eine sogenannte Rückwärtsanalyse (reverse engineering) legal erworbener Produkte ohne Sonderrechtsschutz, die als Ausgangspunkt für die Herstellung einer Nachahmung dient, keine Grundlage für die Erfüllung des Tatbestandes des § 4 Nr. 3 lit. c abgeben können.864 Diese Grundsätze gelten auch für die Tatbestände des GeschGehG. Ein „Erlangen“ ist nach § 4 Abs. 1 GeschGehG nicht rechtmäßig, wenn es erfolgt durch (1) unbefugten Zugang zu, unbefugte Aneignung oder unbefugtes Kopieren von Dokumenten, Gegenständen, Materialien, Stoffen oder elektronischen Dateien, die der rechtmäßigen Kontrolle des Inhabers unterliegen und die das Geschäftsgeheimnis enthalten oder aus denen sich das Geschäftsgeheimnis ableiten lässt, oder (2) jedes sonstige Verhalten, das unter den jeweiligen Umständen nicht dem Grundsatz von Treu und Glauben unter Berücksichtigung der anständigen Marktgepflogenheiten entspricht. Die Vorschrift des § 4 Abs. 2 GeschGehG betrifft die verschiedenen Tatbestandsalternativen einer „Nutzung“ oder „Offenlegung“ von Geschäftsgeheimnissen. Diese sind verboten, wenn (1) der Handelnde das Geschäftsgeheimnis zuvor auf rechtswidrige Weise (nach § 4 Abs. 1) erlangt hat oder er (2) gegen eine Verpflichtung zur Beschränkung der Nutzung des Geschäftsgeheimnisses oder (3) gegen eine Verpflichtung zur Nichtoffenlegung verstößt. Von diesen Tatbestandsalternativen sind – wie nach der bisher geltenden Auslegung auf der Grundlage der §§ 17 ff. – gesetzliche Verbote und Vertrauenspflichten ebenso umfasst wie vertragliche und vorvertragliche Vertrauensverhältnisse. Eine wesentliche Erweiterung der Abwehrbefugnisse im Vergleich zur bisherigen Reichweite des § 4 Nr. 3 lit. c lässt sich hieraus nicht herleiten. Lediglich im Hinblick auf das Verbot von Erwerbsverhalten, das nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG nicht mit dem Grundsatz von Treu und Glauben unter Berücksichtigung der anständigen Marktgepflogenheiten vereinbar ist, könnte an eine Ausweitung der bisher gezogenen Grenzen gedacht werden, so z.B. im Hinblick auf den praktisch entschiedenen Fall einer Weiterverwendung der von einem Kunden vom Mitbewerber erhaltenen Planungsunterlagen.865 Letztlich scheinen sich die Merkmale „Treu und Glauben“ und „anständige Marktgepflogenheiten“ zwanglos anzubieten, die Reichweite auch des Nachahmungstatbestandes über den Bereich der Rechtswidrigkeit und des Vertrauensbruchs hinaus auszudehnen. Zwei Aspekte sind allerdings einschränkend zu beachten. Die Geschäftsgeheimnis-RL strebt einen unionsweit einheitlichen Regelungsrahmen an.866 Außerdem sollen Innovation und Wettbewerb gefördert werden.867 Beides mahnt zur Vorsicht, bei der Schaffung weitreichender Geheimnisschutzrechte, vor allem aber der Öffnung für nationale Alleingänge bei offenen Rechtsbegriffen. Im Bereich der Arbeitnehmerpflichten zur Geheimhaltung sind schließlich die Schranken der §§ 3 und 5 GeschGehG, insbesondere die Vorschriften zum Schutz für sogenannte Whistleblower zu beachten. Auch insoweit ist allerdings im Hinblick auf den lauterkeitsrechtlichen Tatbestand, bei dem es um den Geheimnisdiebstahl zu gewerblichen Zwecken geht, nicht mit einer wesentlichen Veränderung der bereits bislang in weitem Umfang arbeitnehmergünstig ausgelegter Grundsätze zu rechnen. Dies gilt vor allem im Hinblick auf die Möglichkeit, allgemeine Berufsfähigkeiten sowie die während einer Tätigkeit erworbenen Kenntnisse und Qualifikationen auch nach einem Stellen- und Arbeitgeberwechsel unverändert einsetzen zu können.868 Schließlich ist insbesondere das sogenannte reverse
_____
864 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.62; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/73; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 174; a.A. allerdings noch RG 22.11.1935 – II 128/35 – RGZ 149, 329 = GRUR 1936, 183, 187 – Stiefeleisenpresse (Zerlegen einer komplexen Maschine mit identischem Nachbau); ebenso MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 216. 865 Vgl. hierzu BGH 2.10.2008 – I ZR 48/06 – GRUR 2009, 416 Tz. 20 – Küchentiefstpreis-Garantie; siehe zudem oben Fn. 250. 866 Siehe Erwägungsgründe 6 bis 9 der Richtlinie (EU) 2016/943 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung, 15.6.2016, ABl. EU, L 157/1. 867 Siehe Erwägungsgrund 16 der Richtlinie (EU) 2016/943 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung, 15.6.2016, ABl. EU, L 157/1. 868 Vgl. hierzu Art. 1 Abs. 3 sowie Erwägungsgrund 14 der Richtlinie (EU) 2016/943 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung, 15.6.2016, ABl. EU, L 157/1.
Dornis
328
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
engineering auch nach § 3 Abs. 1 GeschGehG als rechtmäßiger Erwerb eines Geschäftsgeheimnisses einzuordnen. Auch insoweit besteht keine Abweichung zum Tatbestand des § 4 Nr. 3 lit. c.869 Hat der Anbieter einer Nachahmung die erforderlichen Kenntnisse oder Unterlagen seinerseits von einem unredlichen Erwerber erlangt, so war sein Verhalten nach § 4 Nr. 3 lit. c bereits bisher als unlauter anzusehen, wenn er zumindest erkennen konnte, dass die Weitergabe unter Rechts- oder Vertrauensbruch erfolgte.870 Gleiches sollte gelten, wenn er mit einem vorangegangenen Verstoß rechnen musste, aber eine Nachfrage bei seinem Vertragspartner unterlassen hat.871 Auch insoweit ist durch das Inkrafttreten des GeschGehG nicht mit einer wesentlichen Veränderung zu rechnen: § 4 Abs. 3 GeschGehG verlangt insoweit ebenfalls eine Prüfung am Maßstab von Vorsatz und Fahrlässigkeit.872
254
5. Ungeschriebene Tatbestände und Fallgruppen a) Bestandsaufnahme. Unter der Generalklausel des § 1 UWG 1909 entwickelte die 255 Rechtsprechung eine Vielzahl verschiedener Fallgruppen der unlauteren Nachahmung. Neben den in seit § 4 Nr. 9 UWG 2004 ausdrücklich normierten Tatbeständen waren und sind weitere Fallgruppen anerkannt. Diese wurden allerdings in jüngster Zeit in der Folge der Konsolidierung des Nachahmungsschutzes in immaterialgüterrechtlichen Sondergesetzen zunehmend eingeschränkt.873 Bis zuletzt diskutiert wurden Konstellationen der Behinderung durch Nachahmung, des Saisonschutzes für Modeneuheiten, des Einschiebens in eine fremde Serie und des unmittelbaren Nachahmungsschutzes. aa) Behinderung durch Nachahmung. In der Rechtsprechung zu § 1 UWG 1909 wa- 256 ren verschiedenste Unlauterkeitsaspekte anerkannt, die den Tatbestand der Behinderung als im Rahmen des Nachahmungsschutzes relevante Fallgruppe konstituierten.874 Auch in neuerer Zeit ging der Bundesgerichthof noch davon aus, dass die im Rahmen des UWG-Nachahmungsschutzes zu beachtenden Unlauterkeitsmerkmale nicht auf die in § 4 Nr. 9 UWG 2004 ausdrücklich geregelten Fallgruppen beschränkt seien.875 Das
_____
869 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.64. 870 Vgl. BGH 18.3.2010 – I ZR 158/07 – GRUR 2010, 536 Tz. 56 f. – Modulgerüst II. 871 BGH 27.1.1983 – I ZR 177/80 – GRUR 1983, 377, 379 – Brombeer-Muster; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 208; einschränkend aber MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 215 und 220; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 105. 872 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.64. Der Tatbestand des § 4 Abs. 3 GeschGehG reicht allerdings weiter als § 4 Nr. 3 lit. c. Die Vorschrift sanktioniert u.a. das Anbieten und Inverkehrbringen von rechtsverletzenden Produkten, ohne auf die UWG-Erfordernisse „Nachahmung“ und „wettbewerbliche Eigenart“ abzustellen. Als „rechtsverletzendes Produkt“ sind allerdings (wiederum enger als in § 4 Nr. 3 lit. c) nur Erzeugnisse erfasst, die „in erheblichem Umfang“ auf dem entwendeten Geschäftsgeheimnis beruhen (vgl. § 2 Nr. 4 GeschGehG). Vgl. hierzu Alexander WRP 2017, 1034, 1043. 873 Zur Schrittmacherfunktion und zum richterrechtlichen Modell flexibler Schutzstandards siehe oben Rn. 89 ff. 874 Siehe z.B. BGH 7.2.2002 – I ZR 289/99 – GRUR 2002, 820, 823 – Bremszangen; BGH 6.5.1999 – I ZR 199/96 – BGHZ 141, 329, 343 = GRUR 1999, 923, 927 – Tele-Info-CD; BGH 14.1.1999 – I ZR 203/96 – GRUR 1999, 751, 753 – Güllepumpen; BGH 14.12.1995 – I ZR 240/93 – GRUR 1996, 210, 212 – Vakuumpumpen; BGH 21.3.1991 – I ZR 158/89 – GRUR 1992, 523, 524 – Betonsteinelemente; BGH 14.4.1988 – I ZR 99/86 – GRUR 1988, 690, 693 – Kristallfiguren; BGH 10.12.1987 – I ZR 221/85 – GRUR 1988, 308, 310 – Informationsdienst; BGH 6.2.1986 – I ZR 243/83 – GRUR 1986, 673, 675 – Beschlagprogramm; BGH 2.7.1969 – I ZR 118/67 – GRUR 1969, 618, 619 f. – Kunststoffzähne; BGH 12.7.1967 – Ib ZR 47/65 – GRUR 1968, 581, 585 – Blunazit; BGH 3.1.1961 – I ZR 118/59 – GRUR 1961, 244, 246 – natürlich in Revue; BGH 27.11.1959 – I ZR 24/58 – GRUR 1960, 244, 246 – Simili-Schmuck. 875 BGH 11.1.2007 – I ZR 198/04 – GRUR 2007, 795 Tz. 51 – Handtaschen; BGH 26.6.2008 – I ZR 170/05 – GRUR 2008, 1115 Rn. 32 – ICON; BGH 27.3.2013 – I ZR 9/12 – GRUR 2013, 1213 Tz. 63 – SUMO.
329
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
Schrifttum war mit Blick auf die ungeschriebene Tatbestandserweiterung um eine Fallgruppe der „behindernden Nachahmung“ hingegen stets gespalten.876 Einigkeit bestand lediglich dahingehend, dass sich die Fallgruppe nicht unter Umgehung der gesetzlich formulierten Tatbestände zu einem „Sammelbecken für Missbilligungen verschiedenster Art“ entwickeln dürfe.877 In der Segmentstruktur-Entscheidung lehnte der Bundesgerichtshof die Einordnung der behindernden Nachahmung unter die Tatbestände des § 4 Nr. 3 schließlich ausdrücklich ab.878 Nach der Segmentstruktur-Entscheidung kann eine Nachahmung den Tatbestand 257 der Behinderung nur noch unter den Voraussetzungen des § 4 Nr. 4 oder des § 3 Abs. 1 erfüllen.879 Es gibt demnach keinen eigenen Fall der „behindernden Nachahmung“ nach § 4 Nr. 3 mehr.880 Für den Tatbestand des § 4 Nr. 4 kann wohl aber auch weiterhin nach einem „systematischen Nachahmen“ als Fallgruppe eines gezielt behindernden Marktverhaltens gefragt werden. Voraussetzung ist dann allerdings, dass gerade die Tatbestandsvoraussetzungen des § 4 Nr. 4 vorliegen.881 Insoweit kommt es darauf an, ob eine Mehrzahl wettbewerblich eigenartiger Produkte eines Mitbewerbers gleichzeitig oder in enger Abfolge nachgeahmt wird. Die Rechtsprechung hat dem „systematischen Nachbau“ einer Vielzahl eigenartiger Erzeugnisse eines Mitbewerbers im Sinne eines planmäßigen und gezielten Anhängens an die fremde Leistung zum Teil einen „gesteigerten Behinderungseffekt“ zugeschrieben.882 Eine Verwirklichung des Tatbestandes des § 4 Nr. 4 (etwa in Form einer Absatzbehinderung oder einer Verdrängungsund Vernichtungsstrategie) ist darum jedenfalls grundsätzlich nicht ausgeschlossen.883 Für eine vergleichbar systematische Nachahmung nicht wettbewerblich eigenartiger Produkte (sogenannter Dutzendware oder Allerweltserzeugnisse)884 kann zudem kein anderer Maßstab gelten. Das Schrifttum differenziert zwar teilweise nach der Eigenart.885 Es ist aber zu beachten, dass § 4 Nr. 4 mit einem Fokus auf das konkrete Verhalten und die Auswirkungen dieses Verhaltens auf den Wettbewerb gerade kein qualitatives produktbezogenes Erfordernis wettbewerblicher Eigenart voraussetzen sollte.886 258
bb) Saisonschutz für Modeneuheiten. Eine besondere Fallgruppe des unmittelbaren Leistungsschutzes war nach der Rechtsprechung bereits unter § 1 UWG 1909 für den
_____
876 Siehe z.B. Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/69; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 224; Fezer/Götting/ Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 111; kritisch z.B. jurisPK-UWG/Ullmann § 4 Nr. 3 Rn. 33; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 212 ff. 877 Siehe z.B. nur Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 179; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/69; GK-UWG/ Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 212 ff. 878 BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – GRUR 2017, 79 Tz. 78 f. – Segmentstruktur. 879 So auch BGH 11.1.2007 – I ZR 198/04 – GRUR 2007, 795 – Handtaschen; BGH 28.10.2010 – I ZR 60/09 – GRUR 2011, 436 – Hartplatzhelden.de; siehe auch Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 111. 880 Ohly GRUR 2017, 90, 91. 881 Vgl. hierzu allgemein GK-UWG/Dornis § 4 Nr. 4 Rn. 67 ff. 882 Vgl. z.B. BGH 27.11.1959 – I ZR 24/58 – GRUR 1960, 244, 245 f. – Simili-Schmuck; BGH 6.2.1986 – I ZR 243/83 – GRUR 1986, 673, 675 – Beschlagprogramm; BGH 14.12.1995 – I ZR 240/93 – GRUR 1996, 210, 212 – Vakuumpumpen; zudem auch ausführlich MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 225 f. und Rn. 229 ff.; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 180 ff. 883 Allerdings dürfte das systematische Nachahmen allein (ohne zusätzliches unlauteres Einwirken auf die Abnehmer oder ohne eine besondere Markt- und Machtposition des Nachahmers) kaum ausreichen. Siehe zu den genannten Fallgruppen ausführlich GK-UWG/Dornis § 4 Nr. 4 Rn. 241 ff. und Rn. 287 ff. 884 Vgl. hierzu oben Rn. 176. 885 Vgl. z.B. Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 113; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 180 ff. 886 Vgl. z.B. Sack WRP 2017, 7, 13; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.86.
Dornis
330
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
Schutz kurzlebiger Modeartikel anerkannt.887 Die sogenannte Modeneuheiten-Doktrin wurde ausdrücklich als Fallgruppe mit eigenständigem Anwendungsbereich erklärt, weil der sondergesetzliche Schutz für Mode lange Zeit unzureichend war.888 Die Ausdehnung des UWG-Nachahmungsschutzes jenseits der Fallgruppen der Herkunftstäuschung und der Rufausbeutung zu einem „Ersatz-Ausschließlichkeitsrecht“ wurde im Schrifttum heftig kritisiert.889 Auch diese Fallgruppe wurde in der Segmentstruktur-Entscheidung aufgegeben.890 Diese Rechtsprechungsänderung zeigt anschaulich die schrittweise sondergesetzliche Konsolidierung von anfänglich lediglich richterrechtlich begründeten Fallgruppen:891 wie der Bundesgerichtshof zutreffend ausführt, drohen seit der Ausweitung des Geschmacksmuster- und Designrechts keine praktisch relevanten Schutzlücken mehr.892 Vor diesem Hintergrund ist neben dem unmittelbaren Leistungsschutz nach § 3 259 Abs. 1 wohl auch die Tatbestandsalternative der Ausnutzung (des Imagetransfers) in § 4 Nr. 3 lit. b durch die abschließende Wertung des europäischen Gemeinschaftsgeschmacksmusters gesperrt.893 Es bleibt aber die Möglichkeit einer Anwendung des § 4 Nr. 3 lit. a, wenn es sich um eine besonders originelle, aus dem Durchschnitt herausragende Gestaltung handelt, die der Verkehr als Hinweis auf die betriebliche Herkunft ansieht.894 Zudem existiert auch für § 4 Nr. 3 lit. b jedenfalls insoweit ein Restanwendungsbereich, als es um die negative Abstrahlung der Nachahmung auf den Ruf des Originals und damit die Rufbeeinträchtigung geht. Insoweit sind die sondergesetzlichen Regelungen nicht abschließend.895 cc) Einschieben in fremde Serie. Ebenfalls als Auswuchs der unter § 1 UWG 1909 260 gewährten, weiten Spielräume für die Ausbildung von Fallgruppen ist die Herausbildung des als sogenanntes Einschieben in eine fremde Serie bezeichneten Tatbestands zu beschreiben. Die Rechtsprechung ging lange Zeit von der Unlauterkeit einer Nachahmung in Konstellationen aus, in denen das Originalprodukt als solches auf einen fortgesetzten Bedarf gleichartiger Erzeugnisse zugeschnitten ist, und das Bedürfnis nach Erweiterung und Vervollständigung durch Produkte derselben Art in sich trägt.896
_____
887 Vgl. vor allem BGH, 19.1.1973 – I ZR 39/71 – GRUR 1973, 478, 480 – Modeneuheiten; BGH, 10.11.1983 – I ZR 158/81 – GRUR 1984, 453, 453 f. – Hemdblusenkleid; BGH 6.11.1997 – I ZR 102/95 – GRUR 1998, 477 – Trachtenjanker; ausführlich zudem z.B. Schröer S. 86 f. 888 BGH, 19.1.1973 – I ZR 39/71 – GRUR 1973, 478, 480 – Modeneuheiten; vgl. auch Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/76; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 237 ff. 889 Vgl. Körner FS Ullmann S. 701, 707; Maierhöfer S. 177 ff.; Ohly ZEuP 2004, 296, 310; Ohly GRUR 2010, 487, 493; Rahlf/Gottschalk GRUR Int. 2004, 821, 825; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/76; MünchKommUWG/ Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 239; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 132 f.; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 63 und Rn. 71 ff.; a.A. Bartenbach/Fock WRP 2002, 1119, 1125; Kiethe/Groeschke WRP 2006, 794, 798; Ortner WRP 2006, 189, 193; Köhler GRUR 2007, 548, 553. 890 BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – GRUR 2017, 79 Tz. 95 f. – Segmentstruktur. 891 Siehe oben Rn. 89 f. 892 BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – GRUR 2017, 79 Tz. 96 – Segmentstruktur; vgl. zum Ziel, durch Erweiterung des Geschmackmusterrechts auch und vor allem Modeerzeugnisse zu schützen z.B. Ritscher GRUR Int. 1990, 559 ff.; Kur GRUR Int. 1998, 353, 359. 893 Vgl. Maierhöfer S. 173 ff.; zudem zutreffend GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 222. 894 Vgl. BGH 6.11.1997 – I ZR 102/95 – GRUR 1998, 477 – Trachtenjanker; BGH 15.9.2005 – I ZR 151/02 – GRUR 2006, 79 – Jeans I; zudem auch MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 240; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.84; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 222. 895 Zutreffend GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 222. Siehe zudem oben Rn. 156 ff. 896 Vgl. vor allem BGH 6.11.1963 – Ib ZR 37/62 – GRUR 1964, 621, 624 – Klemmbausteine I; BGH 7.5.1992 – I ZR 163/90 – GRUR 1992, 619, 620 – Klemmbausteine II; BGH 8.12.1999 – I ZR 101/97 – GRUR 2000, 521, 525 – Modulgerüst I.
331
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
Die Fallgruppe wurde teilweise auch als LEGO-Doktrin bezeichnet, weil sich die Rechtsprechung überwiegend auf der Grundlage von Auseinandersetzungen über die Nachahmung von LEGO®-Spielsteinen entwickelte.897 In der Literatur erfuhr der mit der Fallgruppe gewährte „Investitionsschutz für Marktpioniere“ und die damit verbundene „Monopolisierung“ durch „faktische Standardisierung“ nahezu ausschließlich Kritik.898 261 Die Rechtsprechung gab dieser Kritik schrittweise nach. In der Klemmbausteine IIIEntscheidung899 wurde die Reichweite des Investitionsschutzes zunächst durch eine zeitliche Begrenzung eingeschränkt. Jedenfalls nach 45 Jahren Marktpräsenz sollte für ein potentiell geschmacksmusterfähiges Modulsystem unter dem Gesichtspunkt des Einschiebens in eine fremde Serie kein Schutz mehr in Betracht kommen.900 Die Frage nach der grundsätzlichen Berechtigung einer derartigen Fallgruppe wurde dabei zunächst noch offengelassen. Endgültig aufgegeben wurde die Fallgruppe schließlich in der Segmentstruktur-Entscheidung.901 Ebenso wie für die Aufgabe der ModeneuheitenDoktrin902 bezog sich das Gericht auch für das Einschieben in eine fremde Serie auf besondere Begleitumstände, vor allem unlauteres Verhalten im Wettbewerb, die über das reine Leistungsergebnis hinaus vorliegen müssen. In Konstellationen des Einschiebens in eine fremde Serie bestünde zudem mittlerweile ausreichender Schutz durch gewerbliche Schutzrechte, insbesondere durch die Schutzmöglichkeiten für dreidimensionale Warenformmarken sowie Designrechte oder Gemeinschaftsgeschmacksmuster. Für einen weitergehenden Schutz reiner Leistungsergebnisse bestehe darum kein Anlass mehr.903 Systematisch beschränkt sich die Aufgabe der Fallgruppe zunächst auf das Konkur262 renzverhältnis zu § 4 Nr. 3. In den besonderen Tatbeständen des mittelbaren Leistungsschutzes kann darum kein Schutz mehr gesucht werden.904 Dahingegen hat der Bundesgerichtshof die Frage einer Anwendung des § 3 Abs. 1 auf bestimmte ungeschriebene Fallgruppen auch in der Segmentstruktur-Entscheidung ausdrücklich offengelassen.905 Für Konstellationen eines Einschiebens ist darum stets zu prüfen, ob zusätzlich zum Einschieben eine Herkunftstäuschung (nach § 4 Nr. 3 lit. a) oder eine Rufausnutzung oder beeinträchtigung (nach § 4 Nr. 3 lit. b) gegeben ist.906 Ist dies nicht der Fall, bleibt es bei der Prüfung auf unmittelbaren Nachahmungsschutz nach § 3 Abs. 1. Zwar ist es nicht grundsätzlich ausgeschlossen, dass auch in Einschiebefällen eine Amortisationslücke besteht.907 Allerdings stehen dem Originalhersteller (als „Markterschließer“) mittlerweile
_____
897 BGH 6.11.1963 – Ib ZR 37/62 – GRUR 1964, 621 – Klemmbausteine I; BGH 7.5.1992 – I ZR 163/90 – GRUR 1992, 619 – Klemmbausteine II. 898 Siehe z.B. Riesenhuber WRP 2005, 1118 ff.; Heyers GRUR 2006, 23, 25 ff.; Heep S. 144 ff.; Wahl S. 149 ff., 344 ff; Schröer S. 243 ff.; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/75; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 123 ff.; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.78 f.; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 69; vgl. für umfangreiche Nachweise zur Kritik zudem BGH 2.12.2004 – I ZR 30/02 – GRUR 2005, 349, 352 – Klemmbausteine III. 899 BGH 2.12.2004 – I ZR 30/02 – GRUR 2005, 349 – Klemmbausteine III. 900 BGH 2.12.2004 – I ZR 30/02 – GRUR 2005, 349, 352 – Klemmbausteine III. 901 BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – GRUR 2017, 79 Tz. 95 f. – Segmentstruktur. 902 Siehe oben Rn. 258 f. 903 BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – GRUR 2017, 79 Tz. 96 – Segmentstruktur. 904 Zur systematischen Verortung der Fallgruppe im Bereich des unmittelbaren Leistungsschutzes siehe z.B. Heyers GRUR 2006, 23, 26 f.; Schröer S. 88 f.; zudem GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 210. 905 BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – GRUR 2017, 79 Tz. 97 – Segmentstruktur. 906 Die unredliche Erlangung von Kenntnissen oder Unterlagen (§ 4 Nr. 3 lit. c) wird in den meisten Fällen bereits tatsächlich kein Problem sein. 907 Siehe oben Rn. 72 ff.
Dornis
332
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
durch den sondergesetzlichen Schutz weitgefächerte und wohl in den meisten Fällen ausreichende Amortisationsoptionen zur Verfügung.908 Jedenfalls im praktischen Ergebnis wird man den unmittelbaren Nachahmungsschutz in Einschiebefällen darum umfassend verneinen müssen. b) § 3 Abs. 1: Schrittmacherfunktion des unmittelbaren Nachahmungsschutzes. 263 Die Rechtsprechung zu § 1 UWG 1909 gewährte in weitem Umfang Schutz, wenn das Regime der Sonderrechte lückenhaft war.909 Diese Bereitschaft zur Ausdehnung des UWGSchutzes als Ersatzregime mag in vielerlei Hinsicht zu weitreichend gewesen sein. Mit der Zeit hat die hierdurch bereitgestellte „Schrittmacherfunktion“ des UWG allerdings in breitem Umfang zu einer Konsolidierung im Sinne einer Verbreiterung und Vertiefung des sondergesetzlichen Schutzes geführt.910 Vor allem seit der Kodifizierung besonderer Fallgruppen des Nachahmungsschutzes in § 4 Nr. 9 UWG 2004 ist die Berechtigung einer Fallgruppe des sogenannten unmittelbaren Leistungsschutzes zudem erheblich in Zweifel geraten. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sprach zwar auch in neuerer Zeit noch vom „Schutz einer Leistung als solcher“, der neben den ausformulierten Tatbeständen gewährt werden könne.911 Sowohl in der Rechtsprechung als auch im Schrifttum besteht jedoch seit Längerem grundsätzliche Übereinstimmung dahingehend, dass unmittelbarer Leistungsschutz jenseits des sondergesetzlichen Immaterialgüterschutzes und außerhalb der ausformulierten Tatbestände des § 4 Nr. 3 allenfalls ausnahmsweise in Betracht komme.912 Im Schrifttum wird unmittelbarer Leistungsschutz zum Teil apodiktisch abgelehnt. Dabei wird vor allem auf den Grundsatz der Nachahmungsfreiheit verwiesen.913 Zudem soll mit Blick auf den mittlerweile breit gefächerten Bestand an sondergesetzlichem Immaterialgüterschutz weder eine systematische Lücke, noch ein praktisches Erfordernis für ergänzenden UWG-Leistungsschutz bestehen.914 Zum Teil wird zwar die Möglichkeit von Schutzlücken erkannt, deren Schließung soll aber nur unter Berücksichtigung der vorrangigen Wertungen des Immaterialgüterrechts möglich sein.915 Eine im Hinblick auf die systematischen Grenzen der Schutzbereichserweiterung liberale Ansicht geht hingegen vom Bestehen weitgehend paralleler Schutzregimes des Immaterialgüter- und des Lauterkeitsrechts aus. Unmittelbarer Leistungsschutz soll darum auch neben und über den Status des Immaterialgüterrechts und der besonderen Fallgruppen des § 4 Nr. 3 hinaus möglich sein.916
264
Die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat die Frage nach dem Beste- 265 hen einer Fallgruppe des sogenannten unmittelbaren Leistungsschutzes zuletzt gleich mehrfach ausdrücklich offengelassen, so insbesondere in der Hartplatzhelden.de-,917
_____
908 So zutreffend Heyers GRUR 2006, 23, 26; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 210. 909 Siehe oben Rn. 1 ff. 910 Siehe oben Rn. 89 ff. 911 BGH 2.12.2004 – I ZR 30/02 – GRUR 2005, 349, 352 – Klemmbausteine III. 912 Vgl. nur BGH 28.10.2010 – I ZR 60/09 – GRUR 2011, 436 Tz. 19 – Hartplatzhelden.de; BGH 19.11.2015 – I ZR 149/14 – GRUR 2016, 725 Tz. 24 f. – Pippi-Langstrumpf-Kostüm II; BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – GRUR 2017, 79 Tz. 97 – Segmentstruktur; zudem z.B. Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/78. 913 Siehe oben Rn. 109 ff. 914 Siehe zu dieser fundamentalen Kritik z.B. Peukert WRP 2010, 316; Nemeczek WRP 2010, 1204; Nemeczek GRUR 2011, 292. 915 Siehe hierzu z.B. Sambuc FS Bornkamm S. 455, 460; Ohly GRUR 2010, 487, 490 ff.; Ohly FS Schricker S. 105, 115 ff.; Schröer S. 185 ff.; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/78b; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 133e. 916 Siehe vor allem Fezer WRP 1993, 63, 65 f., 71; Fezer WRP 2008, 1, 9; Sack FS Voyame S. 225, 227 ff.; Sack WRP 2005, 531, 536 ff.; Lubberger FS Ullmann S. 737, 739 ff. 917 BGH 28.10.2010 – I ZR 60/09 – GRUR 2011, 436 – Hartplatzhelden.de.
333
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
der Pippi-Langstrumpf-Kostüm II-918 und der Segmentstruktur-Entscheidung.919 Systematisch soll unmittelbarer Leistungsschutz zunächst nur noch außerhalb der ausdrücklich normierten Tatbestände des § 4 Nr. 3 und ausschließlich in der Generalklausel des § 3 Abs. 1 zu verorten sein.920 Zudem ist zu beachten, dass die Einräumung eines Monopols durch UWG-Nachahmungsschutz nur subsidiär zu den immaterialgüterrechtlichen Sonderschutzrechten gewährt werden kann.921 Für die tatbestandlichen Voraussetzungen stellt die Rechtsprechung auf eine individualisierte Interessenabwägung ab. Für die Frage der Schutzwürdigkeit einer Leistung soll zu ermitteln sein, ob ein die Wettbewerbsfreiheit und damit auch die Interessen der Allgemeinheit sowie gegebenenfalls grundrechtlich geschützte Interessen auf Beklagtenseite überwiegendes Interesse des Originalherstellers bestehe.922 Konkret wird weiter gefragt, ob der Kläger ohne eine Gewährung wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes nicht mehr in der Lage wäre, die für seine Leistung erforderlichen Investitionen zu tätigen und ob hierdurch die Erbringung und der Bestand seines Leistungsergebnisses ernstlich in Gefahr gerieten.923 Bei der Abwägung seien auch anderweitige Schutzmöglichkeiten (z.B. das Hausrecht eines Sportveranstalters) zu berücksichtigen.924 Zudem seien die beteiligten Interessen der anderen Parteien und der Allgemeinheit gegeneinander abzuwägen, so vor allem Aspekte der grundrechtlich geschützten Berufsausübungsfreiheit auf Seiten des Nachahmers (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG) oder das Informationsinteresse der Allgemeinheit (Art. 5 Abs. 1 GG).925 Diesem pragmatischen Ansatz ist grundsätzlich zuzustimmen. Für die Interessen266 abwägung ist allerdings eine Konkretisierung aus ökonomischer Sicht gefordert. Bei der Abwägung kommt es gerade nicht auf die individualisierten Interessen der Beteiligten, sondern auf eine Bilanzierung von Vor- und Nachteilen mit Blick auf statische und dynamische Effizienz an.926 Entscheidend ist zudem nicht, ob der Anreizmechanismus bis zur vollständigen oder weitgehenden Dysfunktion gestört wird. Es ist darum auch nicht zu fragen, ob die Nachahmung die Fortexistenz oder Qualität der betroffenen Leistung und ihrer Erbringung existentiell gefährdet oder ernstlich gefährdet.927 Maßgebend ist eine Marginalbetrachtung dahingehend, dass die dem Leistenden eingeräumte Schutzposition gerade genug – nicht zu viel und nicht zu wenig – Anreize für die Leistung bietet. Lauterkeitsrechtlicher Leistungsschutz nach § 3 Abs. 1 kommt darum nur dann in Betracht, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen:
_____
918 BGH 19.11.2015 – I ZR 149/14 – GRUR 2016, 725 Tz. 24 f. – Pippi-Langstrumpf-Kostüm II. 919 BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – GRUR 2017, 79 Tz. 97 – Segmentstruktur. 920 BGH 28.10.2010 – I ZR 60/09 – GRUR 2011, 436 Tz. 19 – Hartplatzhelden.de; BGH 19.11.2015 – I ZR 149/14 – GRUR 2016, 725 Tz. 24 f. – Pippi-Langstrumpf-Kostüm II; BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – GRUR 2017, 79 Tz. 97 – Segmentstruktur. 921 Siehe oben Rn. 115 ff. 922 BGH 28.10.2010 – I ZR 60/09 – GRUR 2011, 436 Tz. 25 – Hartplatzhelden.de; BGH 19.11.2015 – I ZR 149/14 – GRUR 2016, 725 Tz. 25 – Pippi-Langstrumpf-Kostüm II; BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – GRUR 2017, 79 Tz. 97 – Segmentstruktur; vgl. zudem Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/79. 923 BGH 28.10.2010 – I ZR 60/09 – GRUR 2011, 436 Tz. 26 – Hartplatzhelden.de; BGH 19.11.2015 – I ZR 149/14 – GRUR 2016, 725 Tz. 26 – Pippi-Langstrumpf-Kostüm II; zudem z.B. Peukert WRP 2010, 316, 320; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/79. 924 BGH 28.10.2010 – I ZR 60/09 – GRUR 2011, 436 Tz. 27 – Hartplatzhelden.de. 925 BGH 28.10.2010 – I ZR 60/09 – GRUR 2011, 436 Tz. 27 – Hartplatzhelden.de; BGH 19.11.2015 – I ZR 149/14 – GRUR 2016, 725 Tz. 26 – Pippi-Langstrumpf-Kostüm II; siehe zudem auch Ohly GRUR 2010, 487, 493; Ohly GRUR 2011, 439, 440. 926 Siehe oben Rn. 72 ff. 927 A.A. aber z.B. BGH 19.11.2015 – I ZR 149/14 – GRUR 2016, 725 Tz. 26 – Pippi-Langstrumpf-Kostüm II; ebenso (auf Grundlage der in der US-Rechtsprechung entwickelten Kriterien) GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 76.
Dornis
334
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
– – –
§4
beim Schutzgegenstand handelt es sich um eine durch erhebliche Investition geschaffene Leistung,928 die Parteien stehen in einem unmittelbaren Wettbewerbsverhältnis929 und die Gewährung eines quasi-Ausschließlichkeitsrechts in Form des Schutzes gegen eine Nachahmung der betroffenen Leistung ist mit Blick auf die Wohlfahrtseffekte gegenüber der Schutzlosstellung zu bevorzugen.930
Für die Frage des Schutzgegenstandes ist schließlich klarstellend festzuhalten, dass es nicht um „Innovation“ oder „Kreativität“ oder eine sonstige „Leistungshöhe“ geht.931 Ebenso unbeachtlich ist die subjektive Tatseite.932 6. Schutzdauer. Für die Frage der Schutzdauer ist nach übereinstimmender Recht- 267 sprechung und Schrifttum zwischen einzelnen Fallgruppen des UWG-Leistungsschutzes zu unterscheiden.933 Dabei zeigt sich eine systematische und teleologische Trennlinie zwischen den Tatbeständen des § 4 Nr. 3 lit. a, b und c, bei denen jeweils zumindest grundsätzlich keine Begrenzung angenommen wird, und dem Schutz nach § 3 Abs. 1, der dem Grunde nach lediglich befristet eingeräumt werden soll. a) Tatbestände des § 4 Nr. 3 lit. a, b und c. Für die Fälle der vermeidbaren Her- 268 kunftstäuschung, des Ausnutzens oder Beeinträchtigens der Wertschätzung sowie des Erschleichens von Kenntnissen oder Unterlagen existiert nach überwiegender Ansicht in Rechtsprechung und Schrifttum keine grundsätzliche Schutzfristbegrenzung. Der Schutz entfällt, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen nicht mehr vorliegen. 934 Der Schutz gegen vermeidbare Herkunftstäuschung (§ 4 Nr. 3 lit. a) existiert der Sache nach darum so lange, wie die wettbewerbliche Eigenart des Erzeugnisses und die Herkunftstäuschung fortbestehen.935 Bei einem Entfallen der Eigenart oder einer so weitreichenden Abschwächung, dass es in der Wechselwirkung nicht mehr für eine Verwirklichung des Tatbestandes ausreicht, endet auch der Schutz gegen eine Herkunftstäuschung.936 Ob man mit einer teilweise vertretenen Meinung von einem Ausschluss des UWG- 269 Schutzes auszugehen hat, wenn die Entstehung der Herkunftsvorstellung des Verkehrs durch das Bestehen eines Sonderschutzrechts in besonderer Weise begünstigt wurde, muss bezweifelt werden. Nach Ablauf der sondergesetzlichen Schutzdauer soll eine (fortbestehende) Herkunftsfunktion demnach zu verneinen sein, wenn diese
_____
928 Siehe oben Rn. 80 f. 929 Siehe oben Rn. 82 f. 930 Siehe oben Rn. 86 ff. 931 Siehe oben Rn. 80 f. 932 Siehe oben Rn. 84 f. 933 BGH 2.12.2004 – I ZR 30/02 – GRUR 2005, 349, 352 – Klemmbausteine III; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 251; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 198; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 121; instruktiv auch ökonomisch Weihrauch S. 277 ff.; Schröer S. 451 ff. 934 BGH 14.1.1999 – I ZR 203/96 – GRUR 1999, 751, 754 – Güllepumpen; Müller-Laube ZHR 156 (1992) 480, 506 ff.; Erdmann FS Vieregge, S. 197, 207 ff., 215 f.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.70; Ohly/ Sosnitza § 4.3 Rn. 3/81; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.96; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 246 und Rn. 252; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 198; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 121. 935 BGH 6.11.1997 – I ZR 102/95 – GRUR 1998, 477, 478 – Trachtenjanker; Weihrauch S. 278 f.; Erdmann FS Vieregge (1995) 197, 212; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 227; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 121. 936 Erdmann FS Vieregge (1995) 197, 207 ff.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.72; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/81; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 254; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 199.
335
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
ausschließlich auf der zuvor sonderrechtlich geschützten Position beruht.937 Man mag dieser Auffassung zugestehen, dass der UWG-Zuordnungsschutz nach § 4 Nr. 3 lit. a in der Sache lediglich das Informationskapital des vorherigen Schutzrechtsinhabers im Markt (konkret: in der Verbrauchervorstellung) sichern soll. Hat ein Anbieter dieses Kapital allein durch Verwertung seines einstmals sonderrechtsgeschützten Produkts und ohne weitere Leistungen (und damit quasi „nebenher“) erworben, mag man an der Berechtigung einer fortgesetzten Instrumentalisierung der Verbrauchervorstellungen im Wettbewerb zweifeln.938 Die ausschließliche Betrachtung unter dem Blickwinkel der Gerechtigkeit und nach der Frage des verdienten oder unverdienten Vorteils übersieht aber die ökonomische Bedeutung des Zuordnungsschutzes: ungeachtet der Frage der individuellen Verdienste geht es für die Abwägung darum, die in der Gesamtbetrachtung wohlfahrtsmaximierende Lösung zu finden.939 Gegenüber dem Marktverwirrungsschaden darf der „Verdienstgedanke“ aber keine Rolle spielen. Insoweit wäre für die Abwägung der Vor- und Nachteile allenfalls an das Interesse eines erleichterten Markteintritts für Mitbewerber (nach Auslaufen des sondergesetzlichen Schutzes) zu denken.940 Eine pauschale Bevorzugung neuer Mitbewerber (in Interesse der Marktöffnung) gegenüber dem einstmaligen Monopolisten ist aber gleichfalls abzulehnen. Auch insoweit kommt es auf die Abwägung der Vor- und Nachteile im Einzelfall an. 270 In der Praxis ist zu beachten, dass der Ablauf einer immaterialgüterrechtlichen Sonderschutzfrist als solches noch keinen Wandel der Verkehrsvorstellungen herbeiführt. Schließlich ist weder allgemein zu erwarten, dass die angesprochenen Verkehrskreise über den Ablauf der sonderschutzrechtlichen Fristen im Bilde sind, noch wird man davon ausgehen können, dass ein Auftreten neuer Mitbewerber stets schlagartig bekannt sein wird.941 Eine Abschwächung und gegebenenfalls ein Entfallen des Zuordnungsschutzes wird sich darum in der Regel erst über die Zeit mit dem Wandel der Verkehrsauffassung zur Herkunft eines Erzeugnisses einstellen.942 Auch der Schutz gegen eine Ausnutzung und Beeinträchtigung der Wertschät271 zung (§ 4 Nr. 3 lit. b) soll nach der wohl überwiegenden Meinung grundsätzlich keiner zeitlichen Begrenzung unterliegen.943 Das Fehlen einer Befristung wird zwar im Schrifttum auch für diese Fallgruppe unter Hinweis auf die Grundlage des Produkt-goodwills in sonderschutzfähigen Leistungen und die damit drohende Gefahr von Wertungswidersprüchen zum Immaterialgüterrecht kritisiert.944 Dem ist aber nicht zu folgen. Man muss sogar (im Gegenteil) auf Regelungen des Marken- und Kennzeichenrechts verweisen, die einen entsprechenden Schutzgedanken zum Ausdruck bringen (vgl. §§ 14 Abs. 2 Nr. 3, 15 Abs. 3 und 127 Abs. 3 MarkenG).945 Im Übrigen gelten im Hinblick auf die Fortdauer der wettbewerblichen Eigenart und Bekanntheit die gleichen Grundsätze wie bei der Herkunftstäuschung.946
_____
937 Vgl. Stang S. 273 f. (mit dem Zugeständnis (in Fn. 90), dass gegebenenfalls ein Tatbestand der Irreführung nach § 5 in Betracht komme); weniger klar Raue S. 154; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 199. 938 Stang S. 274. 939 Vgl. oben Rn. 49 ff. 940 So vor allem GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 228. 941 BGH 28.1.1988 – I ZR 34/86 – GRUR 1988, 385, 386 f. – Wäschekennzeichnungsbänder. 942 Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/81. 943 Erdmann FS Vieregge, S. 197, 213 f.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.73; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/81; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 252 und Rn. 259. 944 Kritisch z.B. Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/81; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 229 und Rn. 236. 945 So auch zutreffend Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 201. 946 Siehe oben Rn. 268 ff.
Dornis
336
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
Für die Dauer des Schutzes in Fällen einer unredlichen Erlangung von Kenntnis- 272 sen und Unterlagen (§ 4 Nr. 3 lit. c) wird ganz überwiegend eine Anbindung an das Fortbestehen der Voraussetzungen des § 4 Nr. 3 lit. c vertreten.947 b) Unmittelbarer Leistungsschutz (§ 3 Abs. 1). Für den unmittelbaren Leistungs- 273 schutz hat der Bundesgerichtshof in der Klemmbausteine III-Entscheidung eine zeitliche Obergrenze definiert.948 Wenngleich die Fallgruppe des Einschiebens in eine fremde Serie mittlerweile aufgegeben wurde,949 ist davon auszugehen, dass die Aussage zur zeitlichen Begrenzung des Leistungsschutzes auch weiterhin und für andere Fallgruppen Bedeutung behält. Genaue Anhaltspunkte für eine Bestimmung der Schutzdauer sucht man in der Rechtsprechung allerdings vergeblich. Zwar soll sich die Dauer des wettbewerbsrechtlichen Schutzes einer Leistung als solcher grundsätzlich an der Geltungsdauer von Sonderschutzrechten für vergleichbare Leistungen orientieren.950 Dieser Maßstab bietet allerdings weder eine theoretisch konsistente Leitlinie noch ein praktisch griffiges Regelwerk. So wirft bereits die Frage der Kategorisierung im Einzelfall erhebliche Probleme auf. In vielen Fällen wird es nicht leichtfallen, den Gegenstand des UWG-Leistungsschutzes treffsicher in (ausschließlich) eine Kategorie der sondergesetzlichen Schutzrechte einzuordnen. Für technische Produkte mag sich die Schutzdauer aus der Laufzeit des Patentschutzes ergeben.951 Es ist aber fraglich, ob nicht auch auf die kürzere Frist des Schutzes für ein Gebrauchsmuster zurückgegriffen werden könnte oder sogar müsste (vgl. § 23 GebrMG). Dies läge vor allem mit Blick auf die Tatsache nahe, dass es sich bei den vom UWG-Schutz umfassten Leistungen häufig um Erzeugnisse handelt, die ein geringeres Maß an erfinderischer Leistung verkörpern.952 Zudem mag es auf den ersten Blick zwar durchaus sinnvoll erscheinen, für Erzeugnisse ästhetischer Natur die durch das Geschmacksmusterrecht gesetzte Grenze von drei Jahren (für formlosen Schutz) als Obergrenze anzusehen.953 Als problematisch wird sich aber in manchem Grenzfall bereits die Abgrenzung zwischen und Einordnung in die hinsichtlich der Schutzdauer ganz erheblich verschiedenen Kategorien des Geschmacksmuster- und Designrechts auf der einen und des Urheberrechts auf der anderen Seite erweisen. Mit Blick auf die überaus lange Schutzfrist im Urheberrecht wird sich zudem vor allem die Frage stellen, ob überhaupt eine Anleihe im Urheberrecht gemacht werden kann.954 Richtet man den Blick weg von der bestehenden Kategorisierung sondergesetzlicher 274 Schutzrechte und den dort festgeschriebenen Schutzfristen, fällt auf, dass der UWG-
_____
947 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.74; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/81; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 260; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 203; juris-PK/Ullmann § 4 Nr. 3 Rn. 76; wohl auch BGH 7.11.2002 – I ZR 64/00 – GRUR 2003, 356, 358 – Präzisionsmessgeräte. 948 BGH 2.12.2004 – I ZR 30/02 – GRUR 2005, 349, 352 – Klemmbausteine III; vgl. zuvor bereits BGH 30.10.1968 – I ZR 52/66 – BGHZ 51, 41 = GRUR 1969, 186, 188 f. – Reprint. 949 Siehe oben Rn. 260 ff. 950 BGH 6.2.1986 – I ZR 98/84 – GRUR 1986, 895, 896 – Notenstichbilder; BGH 2.12.2004 – I ZR 30/02 – GRUR 2005, 349, 352 – Klemmbausteine III; Weihrauch S. 281 f.; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/82; Götting/ Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.96; kritisch aber z.B. Heyers GRUR 2006, 23, 26 f.; anders wohl auch juris-PK/ Ullmann § 4 Nr. 3 Rn. 78 (Schutz solange „Bedarfslage“ gegeben ist). 951 Vgl. z.B. BGH 22.2.1990 – I ZR 50/88 – GRUR 1990, 528, 530 – Rollen-Clips; BGH 2.12.2004 – I ZR – 30/02 GRUR 2005, 349, 352 – Klemmbausteine III; ebenso z.B. Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/82. 952 Vgl. zum Unterschied (auch bei der Laufzeit) zwischen Patent und Gebrauchsmuster im Hinblick auf die erfinderische Leistung z.B. grundsätzlich Kraßer/Ann § 1 B V. Rn. 65; mit Blick auf den UWGNachahmungsschutz zudem Weihrauch S. 282; Schröer S. 458 f. 953 Vgl. z.B. GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 233. 954 Vgl. dazu allerdings z.B. BGH 6.2.1986 – I ZR 98/84 – GRUR 1986, 895, 896 – Notenstichbilder.
337
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
Leistungsschutz durch Heterogenität und teilweise schnellen Wandel der betroffenen und umfassten Produktkategorien und Marktplätze charakterisiert ist. Vor dem Hintergrund des ökonomischen Modells des unmittelbaren Leistungsschutzes muss darum auch die Dauer des Schutzes flexibel gestaltet werden.955 Dogmatisch ist diese Art der Interessenabwägung zutreffend als autonom lauterkeitsrechtlich zu bezeichnen.956 In der Sache handelt es sich aber um eine genuin ökonomische Abwägung von Vor- und Nachteilen der Einräumung eines Ausschließlichkeitsrechts. Auch die zeitliche Dauer des UWG-Monopols ist bei der Kalkulation des für die Amortisation benötigten Schutzumfangs von Bedeutung.957 Letztlich wird die Praxis auch hinsichtlich der Schutzdauer eine nach Produkt- und Fallgruppen differenzierte Lösung entwickeln müssen.958 275
7. Spürbare Interessenbeeinträchtigung (§ 3 Abs. 1). Die spürbare Beeinträchtigung der Interessen von Mitbewerbern, Verbrauchern oder sonstigen Marktteilnehmern i.S.d. § 3 Abs. 1 ist auch Voraussetzung für Ansprüche nach §§ 3, 4 Nr. 3.959 Die praktische Bedeutung des Tatbestandsmerkmals hält sich für den Bereich des UWG-Nachahmungsschutz allerdings in Grenzen, weil sowohl die Tatbestände des § 4 Nr. 3 als auch der Tatbestand des unmittelbaren Nachahmungsschutzes nach § 3 Abs. 1 jeweils bereits eine eigenständige Interessenabwägung voraussetzen. Die Frage der spürbaren Beeinträchtigung ist durch diese Abwägung in der Regel beantwortet.960 IV. Rechtsfolgen 1. Aktivlegitimation
276
a) Grundlagen. Zur Geltendmachung von Ansprüchen aus UWG-Nachahmungsschutz aktivlegitimiert ist zunächst der Erbringer der jeweiligen Leistung und damit in der Regel der Hersteller des Originals.961 Ebenso kann ein ausschließlich Vertriebsberechtigter Ansprüche geltend machen.962 Der Händler ist grundsätzlich nicht anspruchs-
_____
955 Siehe oben Rn. 89 ff. Kritische Stimmen im Hinblick auf eine flexible Schutzdauerbestimmung und den angeblich resultierenden Verlust an Rechtssicherheit finden sich aber im Schrifttum, z.B. bei Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 119; kritisch auch Müller-Laube ZHR 156 (1992) 480, 507 f. 956 So zutreffend GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 234. 957 Siehe bereits oben Rn. 86 ff. Vgl. zudem z.B. Wiebe FS Schricker S. 773, 776; Schröer S. 265 f. Eine „Abkehr vom Amortisationsgedanken“ ist in einer Befristung gerade nicht festzustellen. A.A. aber z.B. MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 250; kritisch auch Müller-Laube ZHR 156 (1992) 480, 507 f. Die Orientierung an den sondergesetzlichen Schutzfristen bestätigt vielmehr – allen theoretischen und praktischen Problemen zum Trotz – die Bereitschaft der Rechtsprechung, sich einer (ökonomischen) Abwägung von Wettbewerbs- und Amortisationsinteressen zu stellen. 958 So auch Weihrauch S. 286 f. 959 A.A. aber z.B. Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 235 (kein Rückgriff auf Bagatellklausel des § 3 Abs. 1). 960 Köhler GRUR 2005, 1, 7; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.1; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 237. 961 BGH 18.10.1990 – I ZR 283/88 – GRUR 1991, 223, 224 – Finnischer Schmuck; BGH 10.10.1991 – I ZR 147/89 – GRUR 1993, 34, 37 – Bedienungsanweisung; BGH 24.3.1994 – I ZR 42/93 – BGHZ 125, 322 = GRUR 1994, 630, 634 – Cartier-Armreif; Spätgens FS Erdmann S. 727, 733 ff.; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/83; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 288; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.101; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 205; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 134. 962 BGH 24.2.2005 – I ZR 101/02 – BGHZ 162, 246, 252 = GRUR 2005, 519, 520 – Vitamin-Zell-Komplex; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/83; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.101.
Dornis
338
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
berechtigt, es sei denn, er hat, etwa durch Zusammenstellung einer Kollektion verschiedener Produkte, eine eigene Leistung erbracht, die wettbewerbliche Eigenart aufweist.963 Folgt man der (unzutreffenden)964 herrschenden Ansicht, die eine Übertragung und 277 Lizenzierung der Rechte aus UWG-Nachahmungsschutz ablehnt, kann ein ausschließlicher Lizenznehmer von parallel zum UWG-Nachahmungsschutz bestehenden Immaterialgüterrechten nicht (gleichzeitig oder ausschließlich) auf Grundlage des UWG gegen einen Nachahmer vorgehen. Vereinzelt wird für diese Konstellation allerdings auch von den ablehnenden Stimmen eine Lizenzerteilung ermöglicht.965 Überdies soll die Rechtsdurchsetzung in Form gewillkürter Prozessstandschaft möglich sein.966 b) Einschränkung der Aktivlegitimation nach § 8 Abs. 3. Die Rechtsprechung 278 und überwiegende Ansicht im Schrifttum begrenzen die Aktivlegitimation des § 8 Abs. 3 für Ansprüche aus lauterkeitsrechtlichem Leistungsschutz auf den Originalhersteller oder den ausschließlich Vertriebsberechtigten. Aufgrund der Nähe zum Sonderrechtsschutz komme dem UWG-Nachahmungsschutz eine primär individualschützende Funktion zu. Andere Mitbewerber, Kammern und Verbände seien darum, außer in Fällen einer Herkunftstäuschung, wo auch Allgemeininteressen betroffen seien, nicht anspruchsberechtigt und klagebefugt.967 Diese Einschränkung der Anspruchs- und Klagebefugnis wird im Schrifttum kritisiert.968 Die Kritik bezieht sich zunächst auf die Systematik. So fehlt es für den Tatbestand der Herkunftstäuschung jedenfalls nach dem Inkrafttreten der UGP-RL an einer zwingenden Begründung, warum die Sphären der Mitbewerber und der Verbraucher getrennt werden sollten. Die eigenständige verbraucherschützende Regelung zur Verwechslungsgefahr in Art. 6 Abs. 2 lit. a UGP-RL zieht die Trennung vielmehr erheblich in Zweifel. Der deutsche Gesetzgeber mag den europäischen Tatbestand in § 5 Abs. 2 formal getrennt umgesetzt haben. Ansprüche der Mitbewerber und Verbände bei geschäftlichen Handlungen, die im Zusammenhang mit der Produktvermarktung eine Verwechslungsgefahr hervorrufen, ergeben sich darum zwar bereits aus dieser Norm.969 In der Sache ändert die Trennung aber nichts an der europarechtlichen Zusammenführung. Darüber hinaus ist auch mit Blick auf die Regelungszwecke eine Ergänzung gefor- 279 dert. Dabei kommt es auf die Effektivität der Umsetzung der Regelungsziele an, die bei Einschränkung der Aktivlegitimation leidet. Zum Teil wird zur Begründung einer Reduktion des § 8 Abs. 3 vorgebracht, dem Originalhersteller dürfte durch eine Anspruchsberechtigung sonstiger Mitbewerber oder Verbände nicht die Dispositionsfreiheit
_____
963 Vgl. BGH 18.10.1990 – I ZR 283/88 – GRUR 1991, 223, 224 – Finnischer Schmuck; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/83; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 289; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 207 ff.; GK-UWG/ Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 243. 964 Siehe oben Rn. 131 ff. 965 Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/83. A.A. aber z.B. Lochmann S. 263; Nemeczek GRUR 2011, 292, 294. 966 Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/83; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 244. 967 Vgl. BGH 14.4.1988 – I ZR 35/86 – GRUR 1988, 620, 621 – Vespa-Roller; BGH 18.10.1990 – I ZR 283/88 – GRUR 1991, 223, 225 – Finnischer Schmuck; BGH 24.3.1994 – I ZR 42/93 – GRUR 1994, 630, 634 – CartierArmreif; BGH 2.10.2008 – I ZR 48/06 – GRUR 2009, 416 Tz. 23 – Küchentiefstpreis-Garantie; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/84; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.101; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 205; juris-PK/ Ullmann § 4 Nr. 3 Rn. 45; grundsätzlich auch Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 134; a.A. Mees WRP 1999, 62; Münker FS Ullmann S. 781, 788 f.; Spätgens FS Erdmann S. 727. 968 Vgl. Münker FS Ullmann S. 781 ff.; Köhler GRUR 2007, 548, 553; zudem Beater Nachahmen im Wettbewerb S. 47 ff.; Spätgens FS Erdmann S. 727, 730 ff.; Mees WRP 1999, 62, 68; Stieper WRP 2006, 291, 294; ders. WRP 2010, 624, 629 f. 969 Vgl. auch Münker FS Ullmann S. 781, 787; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/84; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 134.
339
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
über das Instrumentarium des Leistungsschutzes genommen werden. Sonst drohe die wettbewerbsfunktional angemessene Balance zwischen den notwendigen Anreizen für den Innovationswettbewerb und einem noch akzeptablen Spielraum für den Imitationswettbewerb aus dem Gleichgewicht zu geraten.970 Dieser Hinweis mag im Hinblick auf die Tatsache zutreffen, dass die Initiative der privaten Akteure im Wettbewerb jedenfalls grundsätzlich einer Regulierung durch Gerichte vorzuziehen ist. Damit ist der Zusammenhang aber nicht voll erfasst. Es darf nämlich nicht übersehen werden, dass der Schutz gegen Irreführung (in § 4 Nr. 3 lit. a) sowohl dem Interesse der Verbraucher an einer freien und unmanipulierten Entscheidung als auch dem Interesse des betroffenen Mitbewerbers und damit der Aufrechterhaltung des Wettbewerbs im Allgemeininteresse dient.971 Diese Aspekte sind verschiedene Seiten der gleichen Medaille. Dies gilt im Ergebnis auch im Hinblick auf die Tatbestände des § 4 Nr. 3 lit. b und lit. c. Wenngleich sich eine unmittelbare Betroffenheit der Verbraucherinteressen hier wohl nicht feststellen lässt,972 bündeln auch diese Tatbestände das individuelle Interesse des betroffenen Mitbewerbers mit dem Interesse der Allgemeinheit an der Aufrechterhaltung des Wettbewerbs als Institution. Die Durchsetzung des UWG-Nachahmungsschutzes erfolgt darum sowohl im Individual- als auch im Allgemeininteresse. Entsprechend ist an der Einschränkung der Anspruchs- und Klagebefugnis zu zweifeln. 280 Richtet man den Blick schließlich auf das Zusammenspiel von materiellem Recht und prozessualer Durchsetzung, wird die Notwendigkeit einer grundsätzlich uneingeschränkten Klagebefugnis nach § 8 Abs. 3 vollends erkennbar. Eine Einschränkung der Aktivlegitimation für einzelne Ansprüche setzt die materiell-rechtliche Regelungseffizienz der gefährlichen Willkür praktisch-prozessualer Hürden aus. Dies ist im UWGNachahmungsschutz vor allem dann der Fall, wenn einer Durchsetzung der Ansprüche auf Seiten des Originalherstellers Hindernisse im Weg stehen. Vor allem finanzschwache oder ökonomisch abhängige Akteure werden die gerichtliche Durchsetzung ihrer Rechte scheuen. So ist z.B. bekannt, dass sich Markenhersteller häufig nicht gegen Eigenmarken-look-alikes großer Handelskonzerne zur Wehr setzen, um bestehende und künftige Handelsbeziehungen nicht zu gefährden.973 In diesem Fall wäre es verfehlt, von einer angemessenen „Balance“ der wettbewerbsrelevanten „Anreize“ zu sprechen. Die transaktionskostenbedingt gehemmte prozessuale Durchsetzung würde vielmehr schädlich auf die materiell-rechtliche Regelungseffizienz durchschlagen. Eine möglichst weit reichende Umsetzung der materiell-rechtlichen Regelungsziele kann nur durch eine effiziente prozessuale Rahmenordnung gewährleistet werden. Dies erfordert aber gerade eine möglichst weitreichende Anspruchs- und Klagebefugnis nach § 8 Abs. 3.
_____
970 Vgl. Münker FS Ullmann S. 781, 790 ff.; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/84; einschränkend GK-UWG/ Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 240; vgl. auch Bornkamm FS Mühlendahl S. 9, 20 f. 971 So auch Mees WRP 1999, 62, 65 ff.; Spätgens FS Erdmann S. 727, 731; Münker FS Ullmann S. 781, 786; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 293; allgemein auch Weihrauch S. 117 ff. 972 A.A. Münker FS Ullmann S. 781, 788 f., der von einer „unmittelbaren Auswirkung“ der Rufausbeutung auf die „Entscheidungsfreiheit“ der Konsumenten ausgeht. Die Entscheidungsfreiheit wird allerdings gerade nicht beeinträchtigt, sofern ein Verbraucher sich bewusst und in voller Kenntnis der Umstände für den Erwerb einer Nachahmung entscheidet. Mögliche Nachteile informationsökonomischer Natur ergeben sich lediglich langfristig durch Einbußen der Kennzeichnungskraft des Originals oder des Verlusts an dynamischer Effizienz und der Anreizstrukturen für die Schaffung von Produkt-goodwill. Siehe hierzu oben Rn. 61 ff. Gleiches gilt für die unredliche Erlangung von Kenntnissen und Unterlagen nach § 4 Nr. 3 lit. c. Auch insoweit sind die Verbraucher und die Allgemeinheit zunächst lediglich mittelbar und erst über die Zeit betroffen. 973 Vgl. hierzu aufschlussreich Münker FS Ullmann S. 781, 790.
Dornis
340
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
2. Passivlegitimation. Passivlegitimiert ist jeder Mitbewerber, der die Merkmale ei- 281 nes Tatbestandes des § 4 Nr. 3 oder § 3 Abs. 1 erfüllt. Dies sind in erster Linie die Anbieter und Vertreiber von Nachahmungen (z.B. Hersteller, Importeure oder Zwischenhändler).974 Nicht zum Kreis der Passivlegitimierten zählt, wer eine Nachahmung lediglich herstellt.975 Insoweit kommt aber eine Verantwortlichkeit wegen Teilnahme in Betracht, wenn die Voraussetzungen des § 830 Abs. 2 BGB vorliegen.976 3. Ansprüche a) Abwehr: Unterlassung und Beseitigung. Der verschuldensunabhängige An- 282 spruch auf Unterlassung richtet sich nur gegen den Vertrieb der Nachahmungen. Untersagt werden können nur der Absatz sowie die begleitenden Werbeaktivitäten, nicht aber die Herstellung, das Einführen oder der sonstige Gebrauch.977 Auch der Anspruch auf Beseitigung ist inhaltlich beschränkt und richtet sich nur auf die Entfernung nachgeahmter Produkte aus dem Markt. Es können darum weder Vernichtung noch Herausgabe der Nachahmungen verlangt werden.978 b) Schadensersatz. Der Anspruch auf Schadensersatz setzt nach § 9 Vorsatz oder 283 Fahrlässigkeit voraus.979 Die Rechtsprechung ermöglicht dem Geschädigten nach immaterialgüterrechtlichem Muster auch im Bereich des lauterkeitsrechtlichen Leistungsschutzes die sogenannte dreifache Schadensberechnung.980 Dies eröffnet die Wahl zwischen verschiedenen Arten der Schadensberechnung, und zwar nach (1) dem konkreten Schaden (entgangenen Gewinn), (2) dem Verletzergewinn oder (3) einer angemessenen Lizenzgebühr. Hinsichtlich der Einzelheiten gelten die immaterialgüterrechtlichen Grundsätze.981 c) Ungerechtfertigte Bereicherung. Neben dem Anspruch auf Schadensersatz be- 284 steht nach der ganz überwiegenden Ansicht im Schrifttum auch ein Anspruch auf Her-
_____
974 BGH 23.1.1981 – I ZR 48/79 – GRUR 1981, 517, 520 – Rollhocker; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/84; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 295; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.101; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 210; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 135. 975 Siehe oben Rn. 170. 976 BGH 14.1.1999 – I ZR 203/96 – GRUR 1999, 751, 754 – Güllepumpen; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/84; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 296; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 135. 977 Siehe oben Rn. 170. Vgl. zudem BGH 14.12.1995 – I ZR 240/93 – GRUR 1996, 210, 212 – Vakuumpumpen; BGH 6.5.1999 – I ZR 199/96 – BGHZ 141, 329, 344 f. = GRUR 1999, 923, 927 – Tele-Info-CD; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.80; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/86; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.97; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 211; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 267; Fezer/ Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 136. 978 BGH 6.5.1999 – I ZR 199/96 – BGHZ 141, 329, 346 = GRUR 1999, 923, 928 – Tele-Info-CD; BGH 22.3.2012 – I ZR 21/11 – GRUR 2012, 1155 Tz. 36 – Sandmalkasten; OLG Düsseldorf 8.7.2008 – I-20 U 43/08 – GRUR-RR 2009, 142, 144 – Crocs; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.81; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/87; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 233; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 283; Fezer/Götting/ Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 136; juris-PK/Ullmann § 4 Nr. 3 Rn. 75. 979 BGH 6.5.1999 – I ZR 199/96 – BGHZ 141, 329, 345 = GRUR 1999, 923, 928 – Tele-Info-CD; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.82; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/88; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 212 ff.; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 271. 980 BGH 22.4.1993 – I ZR 52/91 – GRUR 1993, 757 – Kollektion Holiday; BGH 21.9.2006 – I ZR 6/04 – GRUR 2007, 431 Tz. 21 ff. – Steckverbindergehäuse; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.83; Ohly/ Sosnitza § 4.3 Rn. 3/88; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.99; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 216; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 137. 981 Vgl. ausführlich Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 216 ff.; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 276 ff.; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 137 ff.
341
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
ausgabe der ungerechtfertigten Bereicherung nach den Grundsätzen der Eingriffskondiktion (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB).982 Dies weicht vom eigentlichen Grundsatz ab, dass Lauterkeitsverstöße keine Bereicherungsansprüche gegen Mitbewerber auslösen.983 Die Ausnahme bestätigt allerdings die Verortung des UWG-Nachahmungsschutzes in unmittelbarer Nähe zum Immaterialgüterrecht. Es geht in beiden Fällen um die Zuordnung von Rechtspositionen mit ausschließlichem Zuweisungsgehalt.984 Die praktische Bedeutung des Bereicherungsanspruchs ist allerdings auf Fälle begrenzt, in denen der Verletzer nicht schuldhaft gehandelt hat. Die herauszugebende Bereicherung berechnet sich nach der fiktiven Lizenzgebühr.985 285
d) Auskunft und Rechnungslegung. Hinsichtlich der die Ansprüche auf Schadensersatz und Bereicherung vorbereitenden Ansprüche auf Auskunft und Rechnungslegung gelten die allgemeinen Grundsätze.986 Die Rechtsprechung gewährt darüber hinaus, ebenfalls auf gewohnheitsrechtlicher Grundlage, einen Anspruch auf Drittauskunft im Hinblick auf Hersteller, Lieferanten und Vorbesitzer oder Abnehmer der Nachahmungen.987 Die Vorschriften zu besonderen Auskunftsansprüche der immaterialgüterrechtlichen Sondergesetze, insbesondere die durch das Produktpirateriegesetz988 und die in Umsetzung der Enforcement-Richtlinie 2004/48/EG in die Spezialgesetze gelangten Vorschriften, sind im Bereich des wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes nicht entsprechend anzuwenden.989
286
4. Verjährung. Die Ansprüche nach § 4 Nr. 3 und § 3 Abs. 1 verjähren gemäß § 11 Abs. 1 in sechs Monaten.990 Die Verjährungsfrist beginnt nach § 11 Abs. 2 mit Kenntniserlangung oder mit dem Beginn der grob fahrlässigen Unkenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners. Die Frist läuft für jede Angebotshandlung gesondert.991 Der Verpflichtete muss das durch eine unlautere Nachahmung Erlangte auch noch 287 nach Ablauf der lauterkeitsrechtlichen Verjährungsfrist nach § 852 BGB als ungerecht-
_____
982 Vgl. nur Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.84; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/89; MünchKommUWG/ Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 284; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 139. 983 Vgl. z.B. BGH 17.5.1960 – I ZR 34/59 – GRUR 1960, 554, 557 – Handstrickverfahren; BGH 23.5.1991 – I ZR 286/89 – GRUR 1991, 914, 917 – Kastanienmuster; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 139. 984 Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/89; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 227; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 284. A.A. aber z.B. Peukert WRP 2010, 316; Peukert S. 383 ff., 821; Stieper WRP 2010, 624, 629. 985 BGH 24.11.1981 – X ZR 7/80 – GRUR 1982, 301, 303 – Kunststoffhohlprofil II; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 4 Rn. 3.84; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 285; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 139. 986 Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 229 ff.; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 280; GK-UWG/ Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 257. 987 BGH 24.3.1994 – I ZR 42/93 – BGHZ 125, 322, 328 f. = GRUR 1994, 630, 632 – Cartier-Armreif; BGH 29.4.2010 – I ZR 68/08 – GRUR 2010, 623 Tz. 43 – Restwertbörse; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 281. 988 Gesetz v. 7.3.1990, BGBl. I 422. 989 Vgl. bereits BGH 24.3.1994 – I ZR 42/93 – BGHZ 125, 322, 328 f. = GRUR 1994, 630, 632 – CartierArmreif; zudem Stieper WRP 2010, 624, 628 f.; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 282; GK-UWG/ Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 258. 990 BGH 14.1.1999 – I ZR 203/96 – GRUR 1999, 751, 754 – Güllepumpen; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 286; kritisch Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 234; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 143. 991 BGH 14.1.1999 – I ZR 203/96 – GRUR 1999, 751, 754 – Güllepumpen; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 287; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 234; a.A. noch Neu GRUR 1985, 335, 340 f.; GK-UWG/ Messer § 21 Rn. 24.
Dornis
342
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
fertigte Bereicherung herausgeben, sofern im Anbieten eine unerlaubte Handlung im Sinne der §§ 823 ff. BGB zu sehen ist.992 Ein Anspruch nach § 823 Abs. 1 BGB scheidet allerdings aus, weil durch die Nachahmung weder ein „sonstiges Recht“ verletzt, noch in den „eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb“ eingegriffen wird.993 Für § 826 BGB sind die Anspruchsvoraussetzungen zudem meist nicht leicht nachzuweisen. Überdies findet die dreifache Schadensberechnung994 keine Anwendung.995 Für die Verjährung des Herausgabeanspruchs gilt § 852 Satz 2 BGB. Für Bereicherungsansprüche996 sind überdies die §§ 195, 199 BGB zu beachten. 5. Grundsätze der unberechtigten Schutzrechtsverwarnung. Umstritten ist, ob 288 die Grundsätze der unberechtigten Schutzrechtsverwarnung auch in Fällen des lauterkeitsrechtlichen Leistungsschutzes Anwendung finden. Im Schrifttum wird wohl überwiegend davon ausgegangen, dass die Grundsätze nicht übertragbar seien. Schließlich könne der Gegner einer lauterkeitsrechtlichen Abmahnung diese ohne größere Risiken unbeachtet lassen, weil mit der Abmahnung nach UWG die mit einer immaterialgüterrechtlichen Schutzrechtsverwarnung typischerweise verbundenen Beeinträchtigungen regelmäßig nicht einhergingen.997 Die in der obergerichtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum vertretene Gegenansicht bejaht hingegen die Anwendung der Grundsätze unter Verweis auf die vergleichbare Interessenlage jedenfalls für Fälle der Herkunftstäuschung und der Rufausbeutung.998 Zudem wird eine Ausdehnung auf die unberechtigte Geltendmachung des Schutzes nach § 3 Abs. 1 vertreten.999 Dieser Ansicht ist vor dem Hintergrund der Annäherung des UWG-Nachahmungsschutzes an das Immaterialgüterrecht1000 zuzustimmen. Schließlich kommt ein in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur unberechtigten Schutzrechtsverwarnung hervorgehobener Aspekt in Konstellationen des UWG-Nachahmungsschutzes besonders zum Tragen: Die BGHDoktrin der unberechtigten Schutzrechtsverwarnung gründet auf der Notwendigkeit eines Ausgleichs zwischen der Gewährung eines ausschließlichen Schutzrechts und der Wettbewerbsfreiheit. Dieser Ausgleich wäre nicht gewährleistet, wenn ein Rechtsinhaber in der Lage wäre, den wirtschaftlichen Nutzen aus einer schuldhaften Verkennung des Umfangs des ihm zustehenden Schutzes zu ziehen, ohne zugleich für den hierdurch verursachten Schaden auf Seiten der Mitbewerber einstehen zu müssen.1001 Mit Blick auf die äußerst empfindliche Abgrenzung zwischen Imitations- und Innovationswettbewerb1002 muss im Bereich des UWG-Nachahmungsschutzes ebenfalls (genauer: erst recht) ausgeschlossen werden, dass der Inhaber seinen Schutzbereich
_____
992 BGH 14.1.1999 – I ZR 203/96 – GRUR 1999, 751, 754 – Güllepumpen; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 143. 993 Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 143. 994 Siehe oben Rn. 283. 995 Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 143; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 275. 996 Siehe oben Rn. 284. 997 Siehe z.B. Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.100 unter Verweis auf BGH 22.7.2010 – I ZR 139/08 – GRUR 2011, 152 Tz. 63 – Kinderhochstühle im Internet. 998 OLG Stuttgart 10.9.2009 – 2 U 11/09 – GRUR-RR 2010, 298 – Dampfdruckbügeleisen; GK-UWG/ Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 278. 999 GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 278. 1000 Siehe oben Rn. 109 ff. 1001 BGH (GSZ) 15.7.2005 – GSZ 1/04 – GRUR 2005, 882, 883 f. – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung; BGH 1.12.2015 – X ZR 170/12 – GRUR 2016, 630 Tz. 15 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung II. 1002 Siehe oben Rn. 99 ff.
343
Dornis
§4
Mitbewerberschutz
weitgehend risikolos (weil ohne wesentliches Haftungsrisiko) „nach eigenem Gutdünken“ bestimmen kann.1003 C. Beweislast, Klageantrag und Vollstreckung I. Beweislast Für die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast gelten die allgemeinen Grundsätze. Darum sind die Tatbestandsvoraussetzungen des Vorliegens der wettbewerblichen Eigenart, einer Nachahmung sowie der Herkunftstäuschung oder Rufausbeutung oder des Erschleichens von Kenntnissen und Unterlagen, grundsätzlich vom Originalhersteller vorzutragen und zu beweisen.1004 290 Vor allem für die Gestaltungselemente, die die wettbewerbliche Eigenart begründen, ergibt sich eine Obliegenheit zum substantiierten Vortrag. Dem wird in der Regel durch Vorlage des Produkts oder die Bezugnahme auf Abbildungen genüge getan.1005 Kann beim Gericht nicht von einer Kenntnis der Marktverhältnisse ausgegangen werden, ist zur Schlüssigkeit der Klage zudem ein Vortrag zum sogenannten Abstand des Produkts zu vorbekannten oder konkurrierenden Erzeugnissen zu erwarten.1006 Beruft sich die Gegenseite auf den Wegfall der wettbewerblichen Eigenart, z.B. weil das Original in den angesprochenen Verkehrskreisen schon zum Allgemeingut oder üblich geworden sei, trägt sie dafür die Darlegungs- und Beweislast.1007 291 Folgt das Angebot einer identischen Ware oder Dienstleistung oder eines Produkts mit einer großen Zahl übereinstimmender Merkmale dem Angebot des Originals zeitlich nach, so spricht (wie im Urheberrecht) zumindest ein Anscheinsbeweis dafür, dass das nachfolgende Angebot auf einer Nachahmung in Kenntnis des Originals beruht.1008 Beruft sich die Gegenseite zur Verteidigung auf eine eigenständige (parallele) Leistung oder auf vorbekannte Gestaltungen, hat sie dies nach der allgemeinen Ansicht darzulegen und zu beweisen.1009 289
_____
1003 Vgl. nochmals BGH (GSZ) 15.7.2005 – GSZ 1/04 – GRUR 2005, 882, 884 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung; im Ergebnis auch OLG Stuttgart 10.9.2009 – 2 U 11/09 – GRUR-RR 2010, 298, 300 – Dampfdruckbügeleisen. 1004 BGH 7.11.2002 – I ZR 64/00 – GRUR 2003, 356 – Präzisionsmessgeräte; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.76; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/92; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 262; Götting/Nordemann § 4.3 Rn. 3.102; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 122. 1005 BGH 6.11.1997 – I ZR 102/95 – GRUR 1998, 477, 479 – Trachtenjanker; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 263. 1006 BGH 6.11.1997 – I ZR 102/95 – GRUR 1998, 477, 479 – Trachtenjanker; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 263. 1007 BGH 6.11.1997 – I ZR 102/95 – GRUR 1998, 477, 479 – Trachtenjanker; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.77; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/92; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 264; Götting/Nordemann § 4.3 Rn. 3.102. 1008 Vgl. z.B. BGH 6.11.1997 – I ZR 102/95 – GRUR 1998, 477, 478 – Trachtenjanker; BGH 21.2.2002 – I ZR 265/99 – GRUR 2002, 629 – Blendsegel; OLG Köln 18.10.2013 – 6 U 11/13 – BeckRS 2014, 03644 – Seilwinde („tatsächliche Vermutung“); zudem Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.78 („widerlegliche Vermutung“); Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/92; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 122; Götting/Nordemann § 4.3 Rn. 3.102 („widerlegliche Vermutung“); juris-PK/Ullmann § 4 Nr. 3 Rn. 63 („Vermutung“). 1009 Zu Zweifeln an der Eigenständigkeit siehe allerdings oben Rn. 195. Zur herrschenden Ansicht siehe aber z.B. BGH 6.11.1997 – I ZR 102/95 – GRUR 1998, 477, 479 – Trachtenjanker; BGH 26.6.2008 – I ZR 170/05 – GRUR 2008, 1115 Tz. 24 – ICON; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 266; Götting/Nordemann § 4.3 Rn. 3.102; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 122.
Dornis
344
Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
§4
II. Klageantrag 1. Bestimmtheit. Der Klageantrag muss den Bestimmtheitsanforderungen des 292 § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO genügen. Ein Abwehranspruch muss darum auf die Unterlassung des Angebots der konkreten unlauterkeitsbegründenden Nachahmungen gerichtet sein. Nur so lassen sich die Grenzen des vom Gericht auszusprechenden Verbots klar und eindeutig erkennen. Neben der prozessrechtlichen Ratio findet sich hierin auch ein lauterkeitsrechtliches Element zur Sicherung der Wettbewerbsfreiheit. Das Bestimmtheits- und Konkretisierungsgebot erfordert zunächst, dass der Antrag 293 unzweideutig diejenigen Elemente bezeichnet, die die wettbewerbliche Eigenart des Originalprodukts ausmachen. Darüber hinaus müssen aber auch all diejenigen Elemente bezeichnet werden, deren Übernahme die Nachahmung wettbewerblich eigenartiger Elemente und damit die Unlauterkeit der Nachahmung begründen.1010 Allgemeine und auslegungsbedürftige Formulierungen wie z.B. „ähnlich wie“, „zu Verwechslungen geeignet“ oder „sowie andere verwechslungsfähige Gestaltungen“ sind bei einer rein schriftlichen Klagebegründung grundsätzlich zu unbestimmt.1011 Dem Erfordernis der Bestimmtheit genügt allerdings in der Regel die Bezugnahme auf Abbildungen der konkreten Verletzungsform.1012 Wird der Antrag im Interesse einer möglichst weit reichenden Wirkung allgemeiner 294 gehalten, insbesondere um auch ein künftiges Angebot kerngleicher Nachahmungen zu umfassen, müssen Antrag und Verbotsausspruch unter Heranziehung des Klagevortrags eindeutig erkennen lassen, „in welchen Merkmalen des angegriffenen Erzeugnisses die Grundlage und der Anknüpfungspunkt des Wettbewerbsverstoßes und damit des Unterlassungsgebots liegen sollen“.1013 2. Streitgegenstand. Die Ansprüche aus immaterialgüterrechtlichem Sonder- 295 schutz und nach UWG-Nachahmungsschutz sind grundsätzlich als unterschiedliche Streitgegenstände anzusehen.1014 Wird die Klage auf einen immaterialgüterrechtlichen Tatbestand gestützt, bestimmt sich der Streitgegenstand durch diesen Antrag und dem dazu vorgetragenen Lebenssachverhalt.1015 Ein Urteil kann in diesem Fall nur dann auch auf § 4 Nr. 3 oder § 3 Abs. 1 gestützt werden, wenn der Kläger kumulativ oder alternativ auch einen Sachverhalt vorträgt, der einen Tatbestand der unlauteren Nachahmung erfüllen kann.1016 Fraglich ist, ob die Tatbestandsalternativen des § 4 Nr. 3 als unterschiedliche 296 Streitgegenstände anzusehen sind. Jedenfalls mit Blick auf die Tatbestände des § 4
_____
1010 BGH 11.1.2007 – I ZR 198/04 – GRUR 2007, 795 Tz. 18 – Handtaschen. 1011 BGH 12.7.2001 – I ZR 40/99 – GRUR 2002, 86, 88 – Laubhefter; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/91; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 269; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 144. 1012 BGH 11.1.2007 – I ZR 198/04 – GRUR 2007, 795 Tz. 18 – Handtaschen; BGH 15.9.2005 – I ZR 151/02 – GRUR 2006, 79 – Jeans I; BGH 24.3.2005 – I ZR 131/02 – GRUR 2005, 600 – Handtuchklemmen; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/91; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 236; vgl. zudem auch (zum Urheber- und Lauterkeitsrecht) v. Ungern-Sternberg GRUR 2011, 375 ff. und ders. GRUR 2011, 486 ff. 1013 BGH 11.1.2007 – I ZR 198/04 – GRUR 2007, 795 Tz. 18 – Handtaschen. 1014 BGH 7.12.2000 – I ZR 146/98 – GRUR 2001, 755, 756 f. – Telefonkarte; BGH 1.6.2011 – I ZR 140/09 – GRUR 2011, 803 Tz. 23 – Lernspiele; v. Ungern-Sternberg GRUR 2011, 486, 494; Stieper GRUR 2012, 5, 15; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 9/90. 1015 BGH 7.12.2000 – I ZR 146/98 – GRUR 2001, 755, 756 f. – Telefonkarte; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 9/90. 1016 BGH 7.12.2000 – I ZR 146/98 – GRUR 2001, 755, 756 f. – Telefonkarte; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 270; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 145.
345
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
Nr. 3 lit. a und lit. b ist von einem einheitlichen Streitgegenstand auszugehen. Der Kläger muss darum auch keine Reihenfolge der Anträge angeben.1017 Ebenso handelt es sich bei einem auf § 4 Nr. 3 lit. c gestützten Anspruch im Verhältnis zum Geheimnisschutz nach §§ 17 ff. (i.V.m. § 3a UWG oder § 823 Abs. 2 BGB) grundsätzlich um unterschiedliche Streitgegenstände. Geht der Kläger zuerst nur aus einem immaterialgüterrechtlichen Schutzrecht vor, 297 reicht die Rechtskraft einer Klageabweisung nicht weiter, als es sich aus dem Klageantrag und dem dazu vorgetragenen Lebenssachverhalt ergibt. Mit Blick auf die Unterscheidung der Streitgegenstände nach Sonderschutzrecht und UWG,1018 steht jedenfalls die Rechtskraft des Urteils einer auf das UWG gestützten Klage nicht entgegen.1019 Handelt es sich um unterschiedliche Streitgegenstände (also nach immaterialgüterrechtlichem Sonderschutz und UWG-Nachahmungsschutz) kann jeder Anspruch zudem Gegenstand eines Teilurteils sein.1020 Ein Unterlassungsantrag muss allerdings nicht bereits Einschränkungen im Hin298 blick auf Maßnahmen enthalten, durch die die Gegenseite eine Herkunftstäuschung oder Rufausbeutung verhindern kann. Es ist Sache des Verletzers, sein Verhalten so an die vorhandenen Verbotspositionen eines Mitbewerbers anzupassen, dass kein Verstoß droht.1021 III. Vollstreckung 299
Im Erkenntnisverfahren ist das Unterlassungsgebot grundsätzlich dauerhaft auszusprechen. Etwas anderes gilt, wenn eine zeitliche Begrenzung geboten ist, z.B. beim unmittelbaren Leistungsschutz. Der Wegfall von einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen oder der Ablauf der Schutzdauer führt im Erkenntnisverfahren zur Unbegründetheit.1022 Nach rechtskräftigem Abschluss des Prozesses kann in diesen Fällen im Wege der Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO vorgegangen werden.1023
§4 Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen § 4 Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen Angaben bei Verkaufsfördermaßnahmen – Nr. 4 Dornis https://doi.org/10.1515/9783110545944-005
Unlauter handelt, wer … 4.
Mitbewerber gezielt behindert. Schrifttum
Ackermann Die Beteiligung an fremdem Vertragsbruch als Delikt, ZfPW 2018, 27; Aderhold Boykottmaßnahmen gegen Versand- und Selbstbedienungshandel beim Vertrieb hochwertiger technischer Geräte,
_____
1017 BGH 24.1.2013 – I ZR 136/11 – GRUR 2013, 951 Tz. 10 – Regalsystem; BGH 17.7.2013 – I ZR 21/12 – GRUR 2013, 1052 Tz. 11 – Einkaufswagen III; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/90; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 270; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 237. 1018 Siehe oben Rn. 295. 1019 BGH 7.12.2000 – I ZR 146/98 – GRUR 2001, 755, 757 – Telefonkarte. 1020 BGH 1.6.2011 – I ZR 140/09 – GRUR 2011, 803 Tz. 23 – Lernspiele. 1021 BGH 7.2.2002 – I ZR 289/99 – GRUR 2002, 820, 823 – Bremszangen; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 269; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 146. 1022 MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 262; GK-UWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 274. 1023 Körner GRUR 1985, 909; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 262.
Dornis https://doi.org/10.1515/9783110545944-005
346
Gezielte Behinderung
§4
DB 1965, 619; Aghion/Bolton Contracts as a Barrier to Entry, 77 Am. Econ. Rev. 388 (1987); Ahrens/Deutsch Deliktsrecht: Unerlaubte Handlungen, Schadensersatz, Schmerzensgeld, 6. Aufl. (2014); Alexander Die Probeabonnement-Entscheidung des BGH – Schnittbereich kartellrechtlicher, lauterkeitsrechtlicher und medienrechtlicher Aspekte, ZWeR 2007, 239; ders. Vertrag und unlauterer Wettbewerb (2000); Apel Der medienübergreifende Trend zum Werbeblocker, FS Hertin (2000) 337; Areeda/Turner Predatory Pricing and Related Practices under Section 2 of the Sherman Act, 88 Harv. L. Rev. 697 (1975); Arlt Ansprüche des Rechteinhabers bei Umgehung seiner technischen Schutzmaßnahmen, MMR 2005, 148; Atiyah/Smith Atiyah’s Introduction to the Law of Contract, 6. Aufl. (2005); Bandehzadeh/Plog Anmerkung zu BGH 11.9.2008 – I ZR 74/06 – GRUR 2009, 173, CR 2009, 80; Barnes Trademark Externalities 10 Yale J. L. & Tech. 1 (2007); Barrot Die Abwerbung von Arbeitskräften (1973); Bartl Mitschneiden von Verkaufsgesprächen oder Verkaufsveranstaltungen auf Tonband – unzulässige Beschaffung von Beweismitteln im Wettbewerbsprozeß, WRP 1996, 386; Bast Die rechtliche Regelung von Boykotterklärungen (1996); Baudenbacher Machtbedingte Wettbewerbsstörungen als Unlauterkeitstatbestände – Zugleich Beitrag zum Verhältnis von UWG und GWB, GRUR 1981, 19; Bauer/Wrage-Molkenthin Aufforderung zu Liefer- und Bezugssperren, BB 1989, 1495; Baumbach Das gesamte Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. (1931); ders. Verschulden und Sittenwidrigkeit im Wettbewerbsrecht, JW 1930, 1643; Baur Anmerkung zu BGH 3.10.1961 – VI ZR 242/60 – JZ 1962, 95; Bayreuther Rechtsprobleme im Zusammenhang mit dem Schutz von Vertriebsbindungen nach Markenrecht, WRP 2000, 349; Beater Das gezielte Behindern im Sinne von § 4 Nr. 10 UWG, WRP 2011, 7; ders. InternetDomains, Marktzugang und Monopolisierung geschäftlicher Kommunikationsmöglichkeiten, JZ 2002, 275; ders. Unlauterer Wettbewerb (2011); Becher Preisschleudern unter Selbstkosten als Wettbewerbsverstoß, BB 1953, 297; Beier Der Schutz selektiver Vertriebssysteme gegen Außenseiter in Theorie und Praxis, GRUR 1987, 131; ders. Entwicklung und gegenwärtiger Stand des Wettbewerbsrechts in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, GRUR Int. 1984, 61; Beisenwenger Der nichtwettbewerbliche Boykott (1998); Berberich Virtuelles Eigentum (2010); Bergerhoff Nötigung durch Boykott (1988); Berneke Absicht und Versehen bei Massengeschäften – Gedanken zum lauterkeitsrechtlichen Urteil „Änderung der Voreinstellung“ des Bundesgerichtshofs über die so genannte Preselection hinsichtlich Telefongesprächen, FS Doepner (2008) 3; Bernreuther Die suchmaschinenoptimierte Webseite – eine urheberrechtlich geschützte Unlauterkeit mit und ohne Markenverletzung, WRP 2008, 1057; Bettin Unlautere Abwerbung – Die Abwerbung von Arbeitnehmern, Kunden und Lieferanten als Verstoß gegen § 1 UWG (1999); Bettinger Kennzeichenrecht im Cyberspace: Der Kampf um die Domain-Namen, GRUR Int. 1997, 402; ders./Freytag Verantwortlichkeit der DENIC eG für rechtswidrige Domains? CR 1999, 28; Biedenkopf Zum politischen Boykott, JZ 1955, 553; Biermann Kennzeichenrechtliche Probleme des Internets: Das Domain-Name-System, WRP 1999, 997; Bindhardt Wann ist Abwerbung sittenwidrig? Beilage Nr. 11 zu Bau + Bauindustrie 1966, 77; Blaurock Die Schutzrechtsverwarnung (1970); Bodenhausen Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des Gewerblichen Eigentums (1971); Böhm Wettbewerb und Monopolkampf (1933); Bolton/Brodley/Riordan Predatory Pricing: Strategic Theory and Legal Policy, 88 Geo. L. J. 2239 (2000); Bork The Antitrust Paradox: A Policy at War with Itself (1978); Bornkamm/Seichter Das Internet im Spiegel des UWG, CR 2005, 747; Brack Abwerbung, DRiZ 1967, 15; Brandau/Gal Strafbarkeit des Fotografierens von Messe-Exponaten, GRUR 2009, 118; Brandl/Fallenböck Der Schutz von Internet-Domain-Namen nach UWG, RdW 1999, 186; Brecher Das Unternehmen als Rechtsgegenstand (1953); Broemel Hybrid-TV als Regulierungsproblem? ZUM 2012, 866; Brömmelmeyer Internetwettbewerbsrecht (2007); Brücher Überwachung der Preisbindung durch Testkäufe, BB 1962, 119; Brüggemeier Deliktsrecht (1986); ders. Haftungsrecht (2006); ders. Harmonisierung von Haftungsrecht durch Nicht-Harmonisierung, FS Deutsch (2009) 45; Buchanan/Stubblebine Externality, in: Economica 29 (1962), 371; Bucher Das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis (1965); Buchner Die Bedeutung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb für den deliktsrechtlichen Unternehmensschutz (1971); ders. Generische Domains, GRUR 2006, 984; Bücking Liberalisierung im Vergabewesen deutscher Domainadressen? – „DENIC und die Essential Facilities“-Doktrin, GRUR 2002, 27; Bülow Preisgestaltung und Wettbewerbsrecht, BB 1985, 1297; Busch Der Schutz im Ausland bekannter Marken gegen Aneignung im Inland, GRUR Int. 1971, 293; Busche Der Schutz selektiver Vertriebssysteme gegen Außenseiterwettbewerb – Abschied vom Dogma der Lückenlosigkeit? WRP 1999, 1231; Bussani European Tort Law. Eastern and Western Perspectives (2007); Bußmann Anmerkung zu BGH 16.4.1969 – I ZR 59– 60/67 – „Colle de Cologne“, GRUR 1969, 482; ders. Anmerkung zu BGH 3.12.1969 – I ZR 151/67 – GRUR 1970, 184; Cooter/Ulen Law and Economics, 6. Aufl. (2014); Czernik Anmerkung zu LG Hamburg 30.6.2011 – 327 O 741/10 – BeckRS 2011, 23091, GRUR-Prax 2011, 481; Degenhart Meinungs- und Medienfreiheit in Wirtschaft und Wettbewerb, FS Lukes (1989) 297; Demsetz Toward a Theory of Property Rights, 57 Am. Econ. Rev. 347, 347
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
350 (1967); Dertwein Abwerben von Arbeitskräften, WRP 1972, 115; Deutsch Der BGH-Beschluss zur unberechtigten Schutzrechtsverwarnung und seine Folgen für die Praxis, GRUR 2006, 374; ders. Gedanken zur unberechtigten Schutzrechtsverwarnung, WRP 1999, 25; ders. Verleitung zum Vertragsbruch und Schutz der Preisbindung gegen Außenseiter, JZ 1973, 585; ders. Zur Markenverunglimpfung, GRUR 1995, 319; Dietrich Rechtliche Probleme bei der Verwendung von Metatags, K&R 2006, 71; ders. Die wettbewerbsrechtliche Qualität der Sonderzuwendungspraktiken unter Kaufleuten, DB 1978, 525; Dilly/Ulmar Vergleichende Werbung ohne Vergleich? Zugleich eine Anmerkung zu den BGH-Entscheidungen „Genealogie der Düfte“, „Aluminiumräder“ und „Bestellnummernübernahme“, WRP 2005, 467; Dobbs Tortious Interference with Contractual Relationships, 34 Ark. L. Rev. 335 (1980); Dittmer Telefonbuch-Inserat von „MietwagenMüller“ unter „T“ keine gezielte Behinderung des Taxigewerbes – „Mietwagenwerbung“, Anmerkung zu BGH 24.11.2011 – I ZR 154/10 – GRUR 2012, 645 – Mietwagenwerbung, GRUR-Prax 2012, 240; Dornis Trademark and Unfair Competition Conflicts – Historical-Comparative, Doctrinal, and Economic Perspectives (2017); ders. The Doctrines of Contract and Negotiorum Gestio in European Private Law: Quest for Structure in a No Man’s Land of Legal Reasoning, RLR 2015, 73; ders. Urheberrecht, Ökonomik und Evolution. Kreativität im Gravitationsfeld multipler Einflussfaktoren, ZGE 2018, 341; ders./Wein Imitationsbehauptung und Rufausnutzung in vergleichender Werbung. Eine rechtsvergleichend-ökonomische Analyse des Spannungsfeldes zwischen Eigentum und Marktkommunikation, ZGE 2016, 513; Dörre/Jüngst Aktuelle Entwicklung der AdWord-Rechtsprechung, K&R 2007, 239; Droste Die unzulässige Preisunterbietung, DB Heft 11/1956 Beilage 5; Dubischar Doppelverkauf und „ius ad rem“, JuS 1970, 6; Easterbrook Predatory Strategies and Counterstrategies, 48 U. Chi. L. Rev. 263, 264 (1981); Ehmann Monopole für Sportverbände durch ergänzenden Leistungsschutz? GRUR Int. 2009, 659; Ekey/Jansen Die Verwendung von fremden Marken als Schlüsselwörter für Suchmaschinenwerbung, MarkenR 2013, 93; Emmerich Unlauterer Wettbewerb, 10. Aufl. (2016); ders. Der böse Außenseiter, FS Erdmann (2002) 561; Engels Markenrechtliche Reichweite und wettbewerbsrechtliche Grenzen von Keyword Advertising, MarkenR 2010, 233; ders./Kleinschmidt Multimedia und elektronische Presse, AfP 2012, 25; Enneccerus/Lehmann Recht der Schuldverhältnisse, 15. Bearb. (1958); Enneccerus/Nipperdey Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts Band I, 15. Bearb. (1959); Ensthaler Änderung der Rechtsprechung des BGH zum wettbewerbsrechtlichen Schutz selektiver Vertriebssysteme – Entbehrlichkeit des Lückenlosigkeitserfordernisses, NJW 2000, 2482; Erdmann Was bringt der neue „Fezer“ zum UWG? WRP 2005, 663; Ernst Zum Vorrang der Gewerbefreiheit der einen Werbeblocker vertreibenden Firma, Anmerkung zu BGH 24.6.2004 – I ZR 26/02 – ZUM 2004, 755; ders. Zur Zulässigkeit der Verwendung von Gattungsbegriffen und Branchenbezeichnungen als Domains, Anmerkung zu LG München 16.11.2000 – 7 O 5570/00 – MMR 2001, 181; ders. Suchmaschinenmarketing (Keyword-Advertising, Doorwaypages u.ä.) im Wettbewerbs- und Markenrecht, WRP 2004, 278; Ernst-Moll Die berühmte und die bekannte Marke, GRUR 1993, 8; Ernsthaler/Zech Verkehrsfähigkeit von Inhaberkarten nach § 807 BGB – Abtretungsverbote für Fußball-Bundesliga-Karten, NJW 2005, 3389; Eser Warenverkauf unter Einstandspreis aus wettbewerbs- und kartellrechtlicher Sicht, BB 1985, 699; Esser/Schmidt Schuldrecht Allgemeiner Teil Teilband 1, 8. Aufl. (2000); Fabricius Zur Dogmatik des „sonstigen Rechts“ gemäß § 823 Abs. 1 BGB, AcP 160 (1961) 273; Fallenböck/Stockinger Update Domainrecht: „Typosquatting“, Domains im Kollisionsrecht, MR 2001, 403; Fezer Markenschutzfähigkeit der Kommunikationszeichen (§§ 3 und 8 MarkenG) und Kommunikationsschutz der Marken (§§ 14 und 23 MarkenG) – Die funktionale Kennzeichenrechtstheorie als Perspektive des „L’Oréa“-Urteils des EuGH, WRP 2010, 165; ders. Die Kennzeichenfunktion von Domainnamen, WRP 2000, 669; ders. Die Markenfähigkeit nach § 3 MarkenG, FS Piper (1995) 525; ders. Kennzeichenschutz an Namen fiktiver Figuren – Werktitelrechte und Markenrechte an Namen von Comics und Characters als Werke und Produkte, WRP 1997, 887; ders. Kumulative Normenkonkurrenz im Kennzeichenrecht, WRP 2000, 863; ders. Objektive Theorie der Lauterkeit im Wettbewerb, FS Schricker (2005) 671; ders. Vertriebsbindungssysteme als Unternehmensleistung – Zum Wettbewerbsschutz des selektiven Vertriebs im Grauen Markt, GRUR 1990, 551; ders. Wettbewerbsrechtlicher und markenrechtlicher Bestandsschutz funktionsfähiger Distributionssysteme selektiven Vertriebs vor Außenseiterwettbewerb, GRUR 1999, 99; Ficker Interference with Contractual Relations und deliktsrechtlicher Schutz der Forderung, FS Ficker (1967) 152; Fikentscher Aus der Rechtsprechung zur wettbewerbsrechtlichen Diskriminierung, DB 1960, 227; ders. Das Recht am Gewerbetrieb (Unternehmen) als „sonstiges Recht“ i.S. des § 823 Abs. 1 in der Rechtsprechung des RG und des BGH, FS Kronstein (1967) 262; ders. Die Preisunterbietung im Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. (1962); ders. Die Preisunterbietung nach neuem Wettbewerbsrecht, BB 1958, 201; Fischer Zur Lauterkeit der Kündigungshilfe durch Vorlage vorgefertigter Kündigungsschreiben, WRP 2005, 1230; Fischer Die Verletzung des Gläubigerrechts als unerlaubte Handlung (1905); Forkel Allgemeines Persönlichkeitsrecht und „wirtschaftDornis
348
Gezielte Behinderung
§4
liches Persönlichkeitsrecht“, FS Neumayer (1985) 229; Freytag Wettbewerbs- und namensrechtliche Ansprüche bei „Tippfehlerdomain“, Anmerkung zu OLG Köln 10.2.2012 – 6 U 187/11, GRUR-Prax 2012, 243; Friedrich Der perfide Testkauf, FS Sandrock (1995) 323; ders. Der Vertragsbruch, AcP 178 (1978) 468; Frischmann/Lemley Spillovers, 107 Colum. L. Rev. 257, 265 (2007); Fritze Zur Frage, unter welchen Umständen UWG § 3 verletzt ist, wenn beworbene Ware an als Testkäufer erkannte Kunden nicht abgegeben wird, Anmerkung zu BGH 25.3.1987 – I ZR 61/85 – GRUR 1987, 838; Füllkrug Spekulationsmarken. Eröffnet der Wegfall des Geschäftsbetriebes die Möglichkeit, Formalrechte zu mißbrauchen? GRUR 1994, 679; ders. Spekulationsmarken und ihre Löschung, WRP 1995, 378; Funk/Zeifang TV Werbeblocker stehen im Einklang mit dem Wettbewerbsrecht, MMR 2004, 665; Gaedertz Das „Anzapfen“ in wettbewerbsrechtlicher Sicht, WRP 1973, 250; Geradin/Petit Price Discrimination under EC Competition Law: Another Antitrust Doctrine in Search of Limiting Principles? 2 J. Competition L. & Econ. 479 (2006); Giefers Schutz der Außenwerbung auf Abbildungen, WRP 1966, 162; Gilbert Die rechtliche Bewertung des sog. Anzapfens (1980); Gillert Handelsfunktion und Nebenleistung, BB 1981, 702; Glassmann Hausfriedensbruch von Testkäufern, MDR 1964, 374; Glöckner Richtlinienvorschlag über unlautere Geschäftspraktiken, deutsches UWG oder die schwierige Umsetzung von europarechtlichen Generalklauseln, WRP 2004, 936; Gloy Zur Beurteilung gezielter Kampfpreise nach Kartell- und Wettbewerbsrecht, FS Gaedertz (1992) 209; ders./Loschelder/ Erdmann Handbuch des Wettbewerbsrechts, 4. Aufl. (2010); Goerke Abwerben von Personal, WRP 1955, 12; ders. Preisunterbietung nach neuem Wettbewerbsrecht, WRP 1955, 61; Goldbeck Der „umgekehrte“ Wettbewerbsprozess (2008); Götz Zivilrechtliche Schadensersatzansprüche bei schädigender Rechtsverfolgung (1989); Grabitz/Hilf/Nettesheim Das Recht der Europäischen Union (2011); Grabrucker Die bösgläubige Markenanmeldung und das Löschungsverfahren, Mitt. 2008, 532; Graeff Konsumgenossenschaftlichgemeinwirtschaftlicher Einzelhandel und BGH-Funktionstheorie, BB 1981, 1801; Groh Sittenwidrige Erfüllungsvereitelung, in: Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben, Band III (1929) 119; Gröner/Köhler Der Selbstbedienungshandel zwischen Rechtszwang und Wettbewerb (1986); Grünberger Die Gleichbehandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft im Zusammenspiel von Unionsrecht und nationalem Verfassungsrecht. Das Urteil des BVerfG zur VBL-Hinterbliebenenrente, FPR 2010, 203; ders. Personale Gleichheit. Der Grundsatz der Gleichbehandlung im Zivilrecht, Habil. Köln 2011; Gudden Abwerbung von Arbeitskräften, Diss. Erlangen (1961); Gumpert Rechtsbehelfe gegen Abwerbung von Arbeitnehmern und Ausscheiden von Arbeitnehmern unter Vertragsbruch, BB 1955, 964; Günther Ja, wo laufen sie denn? – Sanktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers gegen unlauteres Abwerben von Mitarbeitern, WRP 2007, 240; Gütebier Das Abwerben von Gefolgsleuten und ihre Verleitung zum Vertragsbruch und Geheimnisverrat, GRUR 1938, 954; Hackbarth Erste Anmerkungen zu Bananabay II – Gelöste Probleme und offene Fragen, WRP 2010, 1124; Haedicke/Nemeczek Die Verdinglichung von B2B-Verträgen im Lauterkeitsrecht, FS Bornkamm (2014) 353; Hagenkötter Die Unlauterkeit von Testfotos, WRP 2008, 39; Hamacher/Leinhos Zur Frage der Unlauterkeit nicht genehmigter Gewinnspiele, SpuRt 2012, 210; Hanack Hausfriedensbruch durch Testkäufer – Anmerkung zu LG Frankfurt 17.12.1962 – 5/7 Qs 298/62 – NJW 1963, 1022, JuS 1964, 352; Hans Abwerbung von Arbeitskräften, Diss. Köln (1958); Harrison A Positive Externalities Approach to Copyright Law: Theory and Application 13 J. Intell. Prop. L. 1 (2005); HarteBavendamm Günstige Winde für den selektiven Vertrieb, FS Erdmann (2002) 571; ders./Kreutzmann Neue Entwicklungen in der Beurteilung selektiver Vertriebssysteme, WRP 2003, 682; Härting Rotlichtgerüchte: Haftet Google? K&R 2012, 633; Haslinger Wie weit ist der Ausschluss moderner Vertriebsformen beim selektiven Vertrieb möglich? WRP 2009, 279; Heermann Ambush-Marketing anlässlich Sportgroßveranstaltungen, GRUR 2006, 359; ders. Anmerkung zu BGH 11.9.2008 – I ZR 74/06 – GRUR 2009, 177; ders. Sind nicht autorisierte Ticket-Verlosungen lauterkeitsrechtlich unzulässiges Ambush-Marketing? GRUR-RR 2012, 313; ders. Ambush Marketing durch Gewinnspiele? WRP 2012, 1035; Hefermehl Grenzen des Lauterkeitsschutzes, GRUR Int. 1983, 507; Heim Die Einflussnahme auf Trefferlisten von Internet-Suchdiensten aus markenund wettbewerbsrechtlicher Sicht (2004); Helle Boykott und Meinungskampf, NJW 1964, 1497; Helm Die bösgläubige Markenanmeldung, GRUR 1996, 593; Henning-Bodewig „AdWords“ und der Werbende – Verwirrung (nicht nur) im französischen Recht, GRUR Int. 2011, 592; dies. Richtlinienvorschlag über unlautere Geschäftspraktiken und UWG-Reform, GRUR Int. 2004, 183; Henseler Hausfriedensbruch beim Testkauf? WRP 1962, 325; Herrmann Verleitung zum Vertragsbruch, GRUR 1955, 21; Hesse Die Verwarnung der Abnehmer wegen Patent- oder Gebrauchsmusterverletzung, GRUR 1967, 557; Hetmank Im Korsett der UGPRichtlinie, GRUR 2015, 323; Heydt Anmekung zu BGH 16.10.1962 – I ZR 162/60 – Mampe Halb und Halb II, GRUR 1963, 222; Hoeren Das neue UWG und dessen Auswirkungen auf den B2B-Bereich, WRP 2009, 789; ders. Anmerkung zu BGH, 22.11.2001 – I ZR 138/99 – shell.de, MMR 2002, 386; ders. Rechtsfragen des Inter349
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
net (1998); Hohlweck Vom Pflügen mit fremdem Kalbe und anderen anstößigen Verhaltensweisen – Der Schutz bekannter Produkte durch § 4 Nr. 9 lit. b UWG, WRP 2015, 934; Holcombe/Sobel Public Policy Toward Pecuniary Externalities, Pub. Finan. Rev. 29 (2001), 304; Holzhäuser Zur Frage des Wettbewerbsverstoßes durch anlehnende Werbung, SpuRt 2012, 120; Hölzler/Satzky Wettbewerbsverzerrungen durch nachfragemächtige Handelsunternehmen (1980); Hoppmann Behinderungsmissbrauch (1980); Hopt Schadensersatz aus unberechtigter Verfahrenseinleitung (1968); Horn Die höchstrichterliche Rechtsprechung zur unberechtigten Verwarnung, GRUR 1971, 442; ders. Die unberechtigte Verwarnung aus gewerblichen Schutzrechten (1971); Hösl Kostenerstattung bei außerprozessualer Verteidigung gegen unberechtigten Rechtsverfolgung (2004); Hubmann Das Recht am Unternehmen, ZHR 117 (1955) 41; ders. Zur wettbewerbsrechtlichen Zulässigkeit des Verkaufs von Markenartikeln unter Einstandspreis, Anmerkung zu BGH 6.10.1983 – I ZR 39/83 – Verkauf unter Einstandspreis II, JZ 1984, 335; Hühner Google Adwords-Markenbeschwerde: Unlautere Behinderung des Mitbewerbers? GRUR-Prax 2012, 369; Hüsch Der Gebrauch geschützter Kennzeichen als Advertising Keywords (AdWords), K&R 2006, 223; ders. Keyword-Advertising – Rechtmäßigkeit suchwortabhängiger Werbebanner in der aktuellen Rechtsprechung, MMR 2006, 357; Hugueney Responsabilité du tierce complice de la violation d’une obligation contractuelle, Thése Dijon (1910); Hummel-Liljegren Boykott durch Verbraucherverbände (1985); Illmer Keyword Advertising – Quo vadis? WRP 2007, 399; Immenga Ökonomie und Recht in der europäischen Wettbewerbspolitik, ZWeR 2006, 346; Isay Das Recht am Unternehmen (1910); Isele Mitbewerberbehinderung durch versehentliche Vertragspflichtverletzung, GRUR 2009, 727; Jäger Fluktuation und Rechtsordnung, WRP 1961, 142; Jansen Principles of European Tort Law? Grundwertungen und Systembildung im europäischen Haftungsrecht, RabelsZ 70 (2006) 732; Johannes Die Überwachung der Preisbindung durch Testkäufe, BB 1961, 577; Jonas/ Schmitz Neue Möglichkeiten für den Kennzeichenmißbrauch? – Zur Einordnung von sogenannten VanityRufnummern, GRUR 2000, 183; Jörgens Das Abwerben von Beschäftigten im deutschen und französischen Recht (1971); Jungk Die Ausübung wirtschaftlicher Macht als unlauterer Wettbewerb? (1997); Kartte Zum Boykottverbot des § 26 Abs. 1 GWB, WuW 1961, 170; Katzenberger Recht am Unternehmen und unlauterer Wettbewerb (1967); Kicker Problematik des Beschäftigungsverbotes als Nachlese zum „López-Szenario“, FS Piper (1996) 273; Kienzle Beschäftigungs-, Bezugs- und Belieferungsverbote als Sanktion von UWGVerstößen (1994); Kiethe/Groeschke Die „Classe E“-Entscheidung des BGH als Ausgangspunkt für den Rechtsschutz gegen das Domain-Grabbing, WRP 2002, 27; dies. Die sittenwidrige Markenanmeldung und die Rechtsschutzmöglichkeiten des § 1 UWG, WRP 1997, 269; Kirchhoff Die UWG-Novelle 2015 – nur Kodifizierung der Rechtsprechung oder substantiell Neues? WRP 2015, 659; Kiss Verleitung zur Vertragsverletzung, FS Zitelmann (1913) 1; Klaas Die Abwerbung von Arbeitskräften und unlauterer Wettbewerb, NZA 1984, 313; Klaka Anmerkung zu BGH 19.11.1965 – Ib ZR 122/63 – GRUR 1966, 266; Klein The Microsoft Case: What Can a Dominant Firm Do to Defend Its Position, 15 JEP 45 (2001); Kleinmann Rabattgestaltung durch marktbeherrschende Unternehmen, EWS 2002, 466; Klett/Apetz Nochmals: Adword-Werbung unter Verwendung fremder Kennzeichen – markenrechtsverletzend? K&R 2010, 289; Klinkert/Schwab Markenrechtlicher Raubbau an gemeinfreien Werken – ein richtungsweisendes „Machtwort“ durch den Mona Lisa-Beschluss des Bundespatentgerichts? GRUR 1999, 1067; Köhler Der Regierungsentwurf zur UWGNovelle 2015: Nur Klarstellungen oder doch tiefgreifende Änderungen? WRP 2015, 275; ders. „Verkauf unter Einstandspreis“ im neuen GWB, BB 1999, 697; ders. Das neue UWG, NJW 2004, 2121; ders. Das Verhältnis des Wettbewerbsrechts zum Recht des geistigen Eigentums – Zur Notwendigkeit einer Neubestimmung auf Grund der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, GRUR 2007, 548; ders. Der Markenartikel und sein Preis, NJW-Sonderheft 2003, 28; ders. Die „Beteiligung an fremdem Vertragsbruch“ – eine unerlaubte Handlung? FS Canaris (2007) 591; ders. Die Unlauterkeitstatbestände des § 4 UWG und ihre Auslegung im Lichte der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, GRUR 2008, 841; ders. Dogmatik des Beispielskatalogs des § 4 UWG. Die Ausstrahlung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken auf die Tatbestände des § 4 UWG, WRP 2012, 638; ders. Durchsetzung von Vorzugsbedingungen durch marktmächtige Nachfrager, BB 1999, 1017; ders. Unzulässige geschäftliche Handlungen bei Abschluss und Durchführung eines Vertrags, WRP 2009, 898; ders. Vom deutschen zum europäischen Lauterkeitsrecht – Folgen der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken für die Praxis, NJW 2008, 3032; ders. Was ist „vergleichende Werbung“? GRUR 2005, 273; ders. Wettbewerbs- und kartellrechtliche Kontrolle von Nachfragemacht (1979); ders. Zur Auslegung, Anwendung und Reform des § 20 Abs. 3 GWB, FS Tilmann (2003) 693; ders. Zur Konkurrenz lauterkeitsrechtlicher und kartellrechtlicher Normen, WRP 2005, 645; ders. Zur Kontrolle der Nachfragemacht nach dem neuen GWB und dem neuen UWG, WRP 2006, 139; ders. Zur wettbewerbsrechtlichen Zulässigkeit der telefonischen Ansprache von Beschäftigten am Arbeitsplatz zum Zwecke der Ab-
Dornis
350
Gezielte Behinderung
§4
werbung, WRP 2002, 1; ders. Funktion und Anwendungsbereich des Mitbewerberbegriffs im UWG, GRUR 2019, 123; ders./Bornkamm/Henning-Bodewig Vorschlag für eine Richtlinie zum Lauterkeitsrecht und eine UWG-Reform, WRP 2002, 1317; ders./Lettl Das geltende europäische Lauterkeitsrecht, der Vorschlag für eine EG-Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken und die UWG-Reform, WRP 2003, 1019; Koenigs Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und das Recht des unlauteren Wettbewerbs unter besonderer Berücksichtigung der Wettbewerbsregeln, GRUR 1958, 589; Körber/Mann Werbefreiheit und Sponsoring – Möglichkeiten und Grenzen von Ambush Marketing, GRUR 2008, 737; Körner Der Rechtsschutz des Unternehmens nach § 823 Abs. 1 (1959); Kohler Der unlautere Wettbewerb, Darstellung des Wettbewerbsrechts (1914); Kolb Gezielte Behinderung konkurrierender Anzeigenblätter durch Verteilen von Briefkastenaufklebern, GRUR-Prax 2015, 384; Koppensteiner Marktbezogene Unlauterkeit und Missbrauch von Marktmacht, WRP 2007, 475; Kotthoff Fremde Kennzeichen in Metatags: Marken- und Wettbewerbsrecht, K&R 1999, 157; Koziol Die Beeinträchtigung fremder Forderungsrechte (1967); Kraßer Anmerkung zu SchweizBG 24.3.1988, GRUR Int. 1988, 709; Krasser Der Schutz vertraglicher Rechte gegen Eingriffe Dritter und der Schutz von Preis- und Vertriebsbindungen gegenüber Außenseitern (1971); Kreuzpointer Boykottaufrufe und Verbraucherorganisationen (1980); Krings Haben §§ 14 Abs. 2 Nr. 3 und 15 Abs. 3 MarkenG den Schutz der berühmten Marke sowie des berühmten Unternehmenskennzeichens aus §§ 12, 823 Abs. 1, 1004 BGB ersetzt? GRUR 1996, 624; ders. Zur wettbewerbsrechtlichen Beurteilung des Fotografierens von Testkäufern zu Wettbewerbszwecken in den Geschäftsräumen des eines Wettbewerbsverstoßes verdächtigten Kaufmanns, Anmerkung zu BGH 25.4.1991 – I ZR 283/89 – GRUR 1991, 844; Kübler Wirtschaftsordnung und Meinungsfreiheit (1966); ders./Lerche Boykott gegen Presse, AfP 1973, 405; Kühling/Gauß Suchmaschinen – eine Gefahr für den Informationszugang und die Informationsvielfalt? ZUM 2007, 881; Kunath Kostenerstattung bei ungerechtfertigter Verwarnung, WRP 2000, 1074; Kupke Die rechtswidrige Abwerbung von Arbeitskräften und ihre Rechtsfolgen, Bl. f. Steuerrecht, Sozialvers. und Arbeitsrecht 1960, 349; Kur Internet Domain Names – Brauchen wir strengere Zulassungsvorschriften für die Datenautobahn? CR 1996, 325; dies. Kennzeichenkonflikte im Internet, FS Beier (1996) 262; dies. Namens- und Kennzeichenschutz im Cyberspace, CR 1996, 590; Laas Entfernung von Herstellungsnummern – Ein Vergleich der Rechtsprechung in Deutschland und den USA am Beispiel der Entfernung von Produktionsnummern von kosmetischen Artikeln, GRUR Int. 2002, 829; Lademann Nachfragemacht von Handelsunternehmen (1986); ders. Schutzzweck- und Rechtstatsachenprobleme bei der Untersagung von Verkäufen unter dem Einstandspreis nach § 37a Abs. 3 GWB, DB 1984, 763; Ladeur Der rechtliche Schutz der Fernsehwerbung gegen technische Blockierung durch die „Fernsehfee“ – Zur Einwirkung der Rundfunkfreiheit auf das Lauterkeitsrecht, GRUR 2005, 559; Larenz/Canaris Lehrbuch des Schuldrechts, Band II/2 (1994); Lehmann Wettbewerbs- und warenzeichenrechtliche Bemerkungen zur Entscheidung des BGH vom 6.10.1983 – Verkauf unter Einstandspreis II, GRUR 1984, 313; ders. Die wettbewerbswidrige Ausnutzung und Beeinträchtigung des guten Rufs bekannter Marken, Namen und Herkunftsangaben, GRUR Int. 1986, 6; ders. Domains – weltweiter Schutz für Name, Firma, Marke, geschäftliche Bezeichnung im Internet, WRP 2000, 947; Leible/ Sosnitza Sniper-Software und Wettbewerbsrecht, CR 2003, 344; Leistner Richtiger Vertrag und unlauterer Wettbewerb (2007); Lettl Kartell- und wettbewerbsrechtliche Schranken für Angebote unter Einstandspreis, JZ 2003, 662; Lindacher Der Gegenschlag des Abgemahnten, FS von Gamm (1990) 83; ders. Die Haftung wegen unberechtigter Schutzrechtsverwarnung oder Schutzrechtsklage, ZHR 144 (1980) 350; ders. Headhunting am Arbeitsplatz, FS Erdmann (2002) 647; Lindow Marktstörung als UWG-Tatbestand (2005); Lingenberg Kreditschutzlisten als unzulässiger Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, NJW 1954, 449; Lobe Der unlautere Wettbewerb nach der neueren Rechtsprechung des RG, MuW 9, 327; ders. Die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs, Band III: Materialien (1907); Löbl Geltendmachung fremder Forderungsrechte im eigenen Namen – Ein Beitrag zur Lehre von der Innen- und Außenwirkung der Obligation, AcP 129 (1928) 257 (Teil I), AcP 130 (1929) 1 (Teil II); Löhr Boykottaufruf und Recht auf freie Meinungsäußerung, WRP 1975, 581; ders. Einsatz von Testpersonen zur Ermittlung von Warenunterschiebungen, WRP 1976, 599; Loewenheim „Eintrittsgelder“ und Sittenwidrigkeit, GRUR 1976, 224; ders. Die berühmte Marke im europäischen Spannungsfeld, MA 1991, 238; Löwisch Deliktsschutz relativer Rechte (1969); Lubberger Alter Wein in neuen Schläuchen – Gedankenspiele zum Nachahmungsschutz, WRP 2007, 873; ders. Die neue Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Vertriebsbindungsschutz – praktische Konsequenzen, WRP 2000, 139; ders. Neue Koordinaten des Vertriebsbindungsschutzes – Bestandsaufnahme und Kritik, NJW-Sonderheft 2003, 49; Ludwig Zur Zulässigkeit von Keyword-Advertising mit Konkurrenz-Marken – „Interflora“, Anmerkung zu EuGH vom 22.9.2011 – C-323/09, K&R 2011, 719; Lufft Beschäftigungsverbot und Entlassungsgebot bei Beschäftigung sittenwidrig abgeworbener Arbeitnehmer,
351
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
BB 1962, 186; ders. Planmäßiges Abwerben von Arbeitskräften, NJW 1961, 2000; Lux Der Tatbestand der allgemeinen Marktbehinderung (2006); Machill/Neuberger/Schindler Transparenz im Netz. Funktionen und Defizite von Internet-Suchmaschinen (2002); Malzer Anmerkung zu BGH 16.3.1973 – I ZR 154/71 – „Betriebsspionage“, GRUR 1973, 486; Mann/Smid Preisunterbietung von Presseprodukten, WM 1997, 139; Markert Aufforderung zu Liefer- und Bezugssperren, BB 1989, 921; Marlow Captain Boycott and the Irish (1973); Martinek/Semler/Habermeier/Flohr/Krüger/Biehler Handbuch des Vertriebsrechts, 3. Aufl. (2010); Marwitz Das System der Domainnamen, ZUM 2001, 398; Mayer Zutritt für Tester verboten? Zur Verhinderung von Testmaßnahmen des Konkurrenten, GRUR-Prax 2011, 545; Mayer-Maly Zum deliktischen Schutz relativer Rechte, Anmerkung zu BGH 19.9.1995 – VI ZR 377/94 – JZ 1996, 419; Mayer/Burgsmüller Virtuelles Hausverbot für Konkurrenten, MMR-Aktuell 2010 Heft 23 S. XIII; McGee Predatory Price Cutting: The Standard Oil (NJ) Case, 1 J. L. Econ. 137–169 (1958); Mees Preisunterbietungen als Behinderungen aus wettbewerbsrechtlicher und kartellrechtlicher Sicht in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, WRP 1992, 223; Meier Maßnahmen des Nebenleistungswettbewerbs als unlauteres und marktmißbräuchliches Verhalten im Lebensmittel-Einzelhandel, DB 1980, 721; ders. Nochmals – Wettbewerbsrecht und Nebenleistungswettbewerb, WRP 1982, 135; Meier-Beck Die unberechtigte Schutzrechtsverwarnung als Eingriff in das Recht am Gewerbebetrieb, WRP 2006, 790; ders. Die Verwarnung aus Schutzrechten – mehr als eine Meinungsäußerung! GRUR 2005, 535; Meissner Das Institut des „Refus de Vente“ im französischen Recht, RIW 1991, 13; Menke Die Verwendung fremder Kennzeichen in Meta-Tags: Ein Fall für das Kennzeichenund/oder das Wettbewerbsrecht? WRP 1999, 982; Merkel Der Außenseiter einer lückenlosen Preisbindung und das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, NJW 1961, 1751; Merz Die Vorfeldthese (1988); Mes Arbeitsplatzwechsel und Geheimnisschutz, GRUR 1979, 584; Mestmäcker Der verwaltete Wettbewerb (1984); ders./Schweitzer Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. (2004); Meyer Probekäufe zur Sicherung lückenloser Preisbindung, MA 1962, 431; ders. Google AdWords: Wer haftet für vermeintliche Rechtsverletzungen? K&R 2006, 557; Michaelis Das Recht am Unternehmen (1937); Micklitz/Keßler Europäisches Lauterkeitsrecht – Dogmatische und ökonomische Aspekte einer Harmonisierung des Wettbewerbsverhaltensrechts im europäischen Binnenmarkt, GRUR Int. 2002, 885; Mishan The Postwar Literature on Externalities: An Interpretative Essay J. Econ. Lit. 9 (1971) 1; Möllers Zur Zulässigkeit des Verbraucherboykotts – Brent Spar und Mururoa, NJW 1996, 1374; Monjau Die Abwerbung von Arbeitskräften, DB 1961, 98 (Teil I), 135 (Teil II); Möschel Die Idee der rule of law und das Kartellrecht heute – Am Beispiel der gezielten Kampfpreisunterbietung, ORDO Band 30 (1979) 295; ders. Juristisches versus ökonomisches Verständnis eines Rechts der Wettbewerbsbeschränkungen, FS Tilmann (2003) 705; ders. Recht der Wettbewerbsbeschränkungen (1983); ders. Zum Boykott-Tatbestand des § 26 Abs. 1 GWB, FS Benisch (1989) 339; Moser von Filseck Anmerkung zu BGH 5.11.1962 – I ZR 39/61 – „Kindernähmaschinen“ – GRUR 1963, 260; Motta Competition Policy (2004); Müller-Erzbach Erhaltung des Unternehmens, ZHR 61 (1908) 357; Nägele Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Internet-Domains, WRP 2002, 138; Nerreter Allgemeine Grundlagen eines deutschen Wettbewerbsrechtes (1936); Nipperdey Boykott und freie Meinungsäußerung, DVBl 1958, 445; ders. Wettbewerb und Existenzvernichtung (1930); Nordemann Mona Lisa als Marke, WRP 1997, 389; ders. Internet-Domains und zeichenrechtliche Kollision, NJW 1997, 1891; Ohl Der Rechtsschutz gegenüber unberechtigter Geltendmachung gewerblicher Schutzrechte, GRUR 1966, 172; Ohlgart Hausverbot gegen Testkäufer? Anmerkung zu BGH 13.7.1979 – I ZR 138/77 – GRUR 1979, 861; Ohly Unlauteres Verhalten als Voraussetzung für wettbewerbsrechtlichen Nachahmungsschutz – Segmentstruktur, GRUR 2017, 79; ders. Anmerkung zu BGH 28.10.2010 – I ZR 60/09 – GRUR 2011, 439; ders. Anmerkung zu EuGH 22.9.2011 – C323/09 – Interflora, GRUR 2011, 1131; ders. Die Verleitung zum Vertragsbruch im englischen und deutschen Recht: Zukunfts- oder Auslaufmodell? FS Spellenberg (2010) 617; ders. Hartplatzhelden.de oder: Wohin mit dem unmittelbaren Leistungsschutz? GRUR 2010, 487; ders. Keyword Advertising auf dem Weg zurück von Luxemburg nach Paris, Wien, Karlsruhe und Den Haag, GRUR 2010, 776; ders. Keyword-Advertising auf dem Weg von Karlsruhe nach Luxemburg, GRUR 2009, 709; ders. Irreführende vergleichende Werbung, Anmerkungen zu EuGH „Pippig Augenoptik/Hartlauer“, GRUR 2003, 641; Omsels Die Kennzeichenrechte im Internet, GRUR 1997, 328; Omsels Zur Unlauterkeit der gezielten Behinderung von Mitbewerbern (§ 4 Nr. 10 UWG), WRP 2004, 136; Ordover/Willig An Economic Definition of Predation: Pricing and Product Innovation 91 Yale L.J. 8, 9 (1981); Osenberg Markenschutz für urheberrechtlich gemeinfreie Werkteile, GRUR 1996, 101; Osterloh Zur bösgläubigen Markenanmeldung, FS Ullmann (2006) 347; Ott Verwendung fremder Marken als Keywords, Anmerkung zu LG Braunschweig 15.11.2006 – 9 O 1840/06 – MMR 2007, 123; ders. WRP 2009, 351; ders./Schubert Verletzung der herkunftshinweisenden Funktionen einer Marke im Rahmen des Keyword-Advertising – Anmerkung zum Beschluss des Obersten Gerichtshofs Wien vom
Dornis
352
Gezielte Behinderung
§4
21.6.2010 (17 Ob 3/10f; MMR 2010, 754), MMR 2010, 755; dies. Fremde Marken als Keywörter – Orakelsprüche des EuGH als Antwort auf biblische Fragen, MarkenR 2010, 160; Paul Abwerbung durch Arbeitnehmer, Verleitung zum Vertragsbruch, Bl. f. Steuerrecht, Sozialvers. und Arbeitsrecht, 226; ders. Behinderungsmissbrauch nach Art. 82 EG und der „more economic approach“ (2008); Pauly Der Schutz von Kontrollnummernsystemen vor und nach der Cartier-Entscheidung, WRP 1997, 15; Payne The Tort of Interference with Contract (1954); Peifer „Hartplatzhelden.de“ – Das Ende des unmittelbaren Leistungsschutzes? GRURPrax 2011, 181; ders. Aufräumen im UWG – Was bleibt nach der Kodifikation zum irreführenden Unterlassen für § 4 Nr. 1, 4, 5 und 6 UWG? WRP 2010, 1432; ders. Die Zukunft subjektiver Kriterien im UWG – „Atemtest“ und objektives Marktverhaltensrecht, Mitt. 2007, 200; ders. Gesetzliche Schuldverhältnisse, 3. Aufl. (2012); ders. Individualität im Zivilrecht (2001); ders. Internet-Suchmaschinen und das Recht auf freie Meinungsäußerung, FS Schricker (2005) 137; ders. Vergleichende Werbung und sonst nichts? WRP 2011, 1; ders. Verträge – das Eigentum des 21. Jahrhunderts? GedS Ulrich Hübner (2012) 411; ders. Verleitung zum Vertragsbruch beim Handel mit virtuellen Gütern, juris-PR-WettbR 1/2012 Anm. 2; ders. Lauterkeitsrecht (2011); Perlman Interference with Contract and Other Economic Expectancies: A Clash of Tort and Contract Theory, 49 U. Chi. L. Rev. 61 (1982); Pernice/Pröpper Funktionen des Einzelhandels und UWG-Relevanz, WRP 1979, 272; Peters Boykott und Liefersperre im Wettbewerbsrecht (1957); Peukert Änderung der Rechtsprechung zur unberechtigten Schutzrechtsverwarnung? Mitt. 2005, 73; ders. Güterzuordnung als Rechtsprinzip (2008); ders. hartplatzhelden.de – Eine Nagelprobe für den wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz, WRP 2010, 316; Piper Der Schutz der bekannten Marken, GRUR 1996, 429; ders. Zur Wettbewerbswidrigkeit des Einbrechens in fremde Vertragsbeziehungen durch Abwerben von Kunden und Mitarbeitern, GRUR 1990, 643; Pischel Kartellrechtliche Aspekte des Selektivvertriebs über das Internet, GRUR 2008, 1066; Pohle Zur Verwendung sachfremder Metatags, Anmerkung zu OLG Düsseldorf, 1.10.2002 – 20 U 93/02 – MMR 2003, 408; Posner Economic Analysis of Law, 9. Aufl. (2014); ders. Antitrust Law (2001); Preusche Unternehmensschutz und Haftungsbeschränkungen im Deliktsrecht (1974); Prinz/Strüwer Die Einführung neuer Top-Level-Domains durch die ICANN – Kennzeichen-, namens- und lauterkeitsrechtliche Aspekte und die Gefahr potenzieller Rechtsverletzungen, WRP 2012, 920; Prosser/Keeton Law of Torts (1984); Quiring Die Abwerbung von Mitarbeitern im Licht der UWG-Reform – und vice versa, WRP 2003, 1181; ders. Muss die telefonische Anwerbung von Mitarbeitern verboten werden? WRP 2000, 33; Raiser Das Unternehmen als Organisation (1969); Rasch Die Kartellsperre (1930); ders. Preisstellung unter Selbstkosten, WuW 1953, 387; ders. Vereinbarungen zur Sicherung lauteren Wettbewerbes, BB 1954, 509; Rath Das Recht der Internet-Suchmaschine (2005); ders. Suchmaschinen sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren, WRP 2005, 826; Rehbein Die Verletzung von Forderungsrechten durch Dritte, Diss. Freiburg (1968); Reimann Der Sonderrabatt im Einzelfall, NJW 1956, 332; ders. Preisbindung als Schutz gegen „Diskriminierung“ von Markenwaren, BB 1956, 674; Reinholz Marketing mit der FIFA WM 2006 – Werbung, Marken, Tickets, Public Viewing, WRP 2005, 1485; Renck Kennzeichenrechte versus Domain-Names – Eine Analyse der Rechtsprechung, NJW 1999, 3587; Renner Metatags und Keyword Advertising mit fremden Kennzeichen im Marken- und Wettbewerbsrecht, WRP 2007, 49; Reufels Neue Fragen der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung von „Headhunting“, GRUR 2001, 214; Reuß Der sogenannte „Käuferstreik“ – Der Boykott als wirtschaftliches Kampfmittel, AcP 156 (1957) 89; Reuthal Die unberechtigte wettbewerbsrechtliche Abmahnung unter besonderer Berücksichtigung der unberechtigten Schutzrechtsverwarnung (1985); Rheinfels Wann ist Preisschleuderei sittenwidrig? WuW 1956, 785; Riha Anmerkungen zur Headhunter-Entscheidung des BGH aus ökonomischer Sicht, WRP 2004, 1250; Rittner/Kulka Wettbewerbs- und Katellrecht. Eine systematische Darstellung des deutschen und europäischen Rechts, 7. Aufl. (2008); Rogge Zur rechtlichen Bewertung der unberechtigten Verwarnung, WRP 1965, 40; Röhl Nutzung von AdWords nach Bananabay II, NJW 2011, 3005; Rohnke Wie weit reicht "Dimple"? GRUR 1991, 284; Rojahn Testkäufe – Rechtliche Würdigung einer ungeliebten Kundschaft, WRP 1984, 241; Rosenthal Der Standpunkt des RG gegenüber Beeinflussungen des Abnehmerkreises eines Gewerbetreibenden, LZ 1910, 407; ders. Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 8. Aufl. (1930); Rössel Der Wettlauf um Suchmaschinen – Wettbewerbswidrige Einflussnahme auf Suchmaschinen, CR 2003, 349; Sack Der Verkauf unter Selbstkosten im Einzelhandel, WRP 1983, 63; ders. Der Verkauf unter Selbstkosten in Handel und Handwerk, BB 1988 Beilage 3 zu Heft 11 S. 16; ders. Die Haftung für unbegründete Schutzrechtsverwarnungen, WRP 1976, 733; ders. Vertriebsbindungen und Außenseiter, WRP 2000, 447; ders. Anspruchskonkurrenzen im Marken- und Kennzeichenrecht, WRP 2000, 854; ders. Die Haftung für unbegründete Schutzrechtsverwarnungen, WRP 2005, 253; ders. Die lückenfüllende Funktion der Generalklausel des § 3 UWG, WRP 2005, 531; ders. Notwendige Differenzierungen bei unbegründeten Arbeitnehmerverwarnungen, WRP 2007, 708; ders. Sonderschutz bekannter 353
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
Marken, GRUR 1995, 81; ders. Unbegründete Schutzrechtsverwarnungen – lückenloser Unternehmensschutz durch das UWG seit 2004, NJW 2009, 1642; ders. Unbegründete Schutzrechtsverwarnungen (2006); Säcker Das UWG zwischen den Mühlsteinen europäischer Harmonisierung und grundrechtsgebotener Liberalisierung, WRP 2004, 1199; ders./Mohr Forderung und Durchsetzung ungerechtfertigter Vorteile, WRP 2010, 1; Sajuntz Perlentaucher – Die Kunst der verkürzten Wiedergabe von Buchrezensionen, NJW 2011, 729; Salger/Breitfeld Regelungen zum Schutz von betrieblichem Know-how – die Abwerbung von Mitarbeitern, WRP 2004, 2574; Sandrock Die Liefersperre in kartell- und zivilrechtlicher Hinsicht, JuS 1971, 57; Sasse/Thiemann Die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit eigennütziger Hilfe bei der Vertragskündigung, GRUR 2003, 921; Schad Die Verleitung zum Vertragsbruch – eine unerlaubte Handlung? (2010); Schaefer Kennzeichenrechtliche Haftung von Suchmaschinen für AdWords – Rechtsprechungsüberblick und kritische Analyse, MMR 2005, 807; Schaffert Die Ansprüche auf Drittauskunft und Schadensersatz im Fall der Beeinträchtigung schutzwürdiger Kontrollnummernsysteme durch Entfernen oder Unkenntlichmachen der Kontrollnummern, FS Erdmann (2002) 719; Scherer Verleiten zum Vertragsbruch – Neukonzeption aufgrund § 4 Nr. 10 UWG und der RL-UGP, WRP 2009, 518; Schippel Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (1956); Schloßer Effektiver Schutz der Belegschaft durch vertragliche Abwehrverbote, BB 2003, 1382; Schlötter Der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen und die Abwerbung von Arbeitnehmern (1997); Schmelz Keyword-Advertising als Markenverletzung – Ende der Diskussion oder Diskussion ohne Ende? MarkenR 2008, 196; Schmidt Telefonische Abwerbung – neue Sitten braucht das Land? WRP 2001, 1138; Schmidt Integritätsschutz von Unternehmen nach § 823 – Zum „Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb“, JuS 1993, 985; Schmidt-Bogatzky Die Verwendung von Gattungsbegriffen als Internetdomains – Zur „Mitwohnzentrale.de“ – Entscheidung des BGH, GRUR 2002, 941; Schmiedl Mitarbeiterabwerbung durch Kollegen während des laufenden Arbeitsverhältnisses, BB 2003, 1120; Schneider Überarbeitete Auslegungsgrundsätze des Bundeskartellamts zum Angebot unter Einstandspreis, WRP 2004, 171; Schramm Der Vertragsbruch – Ausnutzung und Verleiten, GRUR 1961, 328; ders. Preisschleudern als Wettbewerbsproblem, GRUR 1940, 133; Schrauder Wettbewerbsverstöße als Eingriffe in das Recht am Gewerbebetrieb (1970); Schricker/Henning-Bodewig Elemente einer Harmonisierung des Rechts des unlauteren Wettbewerbs in der Europäischen Union, WRP 2001, 1367; Schröder Abwerbung und Abwerbungsschutz, DB 1964, 1289 (Teil I), 1334 (Teil II); Schröter/Jakob/Mederer Kommentar zum Europäischen Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. (2012); Schulte Zur Zulässigkeit der Verwendung generischer Internetadressen, Anmerkung zu LG Erfurt 21.10.2004 – 2 HK O 77/04 – MMR 2005, 123; Schultz/Störing Die wettbewerbsrechtliche Beurteilung von Keyword-Advertising mit fremden Marken, WRP 2008, 741; Schulze zur Wiesche Anmerkung zu BGH 29.3.2007 – I ZR 164/04 – MMR 2007, 707; Schumacher Social Tagging und Keywords – Neue Gefahren für Plattformbetreiber und Werbende, in: Taeger (Hrsg.), Tagungsband der Herbsttagung 2012 der Deutschen Stiftung für Recht und Informatik (DSRI) (2012) S. 81; Schürholz Zur Zulässigkeit des Boykotts, Diss. Münster 1953; Schwalbe/Zimmer Kartellrecht und Ökonomie (2006); Scitovsky Two Concepts of External Economies, J. Pol. Econ. 62 (1954), 143; Scriba Anwendungsbereich und Konkretisierung des deliktsrechtlichen Unternehmensschutzes aus § 823 Abs. 1, Diss. Hamburg (1970); Seichter Der Umsetzungsbedarf der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, WRP 2005, 1087; ders. Markenrecht und Internetrecht, MarkenR 2006, 375; Seidler Die Schutzrechtsverwarnung als wettbewerbsrechtliches Kampfmittel, FS Wendel (1969) 46; Seitz Anmerkung zu OLG Köln, Urteil vom 10. Mai 2012 – 15 U 199/11 – Suchergänzungsvorschläge in Internetsuchmaschine – ZUM 2012, 994; Semler Die Missachtung vertraglicher Bindungen Dritter als Wettbewerbsverstoß, GRUR 1983, 625; Sessinghaus Abschied von der unberechtigten Schutzrechtsverwarnung – auf Wiedersehen im UWG? WRP 2005, 823; Siebeneck Verstoß gegen Einzelhandelsfunktion als Art unlauteren Wettbewerbs? BB 1979, 1475; Simmler Der wirtschaftliche Boykott als Kartellordnungswidrigkeit und Straftat (1981); Sinnecker Die Verrufserklärung, Diss. Darmstadt 1969; Sirch Zur Problematik der Direktverkäufe, BB 1956, 1049; Sosnitza Gattungsbegriffe als Domain-Namen im Internet, K&R 2000, 209; ders. K&R-Kommentar zu LG München 16.11.2000 – 7 O 5570/00 – K&R 2001, 111; ders. Verleiten zum Vertragsbruch – Berechtigte Fallgruppe oder alter Zopf? WRP 2009, 373; ders. Wettbewerbsbeschränkungen durch die Rechtsprechung (1995); ders./Kostuch Telefonische Mitarbeiterabwerbung am Arbeitsplatz, WRP 2008, 166; Spengler Boykottprobleme, WuW 1953, 195; ders. Die Bekämpfung der Preisschleuderei, eine rechtsvergleichende Betrachtung, WuW 1953, 5; ders. Preisschleuderei, Preisdiskriminierung und Wettbewerbsregeln (1955); Spindler/Leistner Die Verantwortlichkeit für Urheberrechtsverletzungen im Internet – Neue Entwicklungen in Deutschland und in den USA, GRUR Int. 2005, 773; Starck Bemerkungen zum Regelungsumfang von § 2 MarkenG, FS Erdmann (2002) 485; Steinacker Verleitung zum Vertragsbruch, Diss. Konstanz (2001); Steinbeck Der Atemtest und seine Dornis
354
Gezielte Behinderung
§4
Auswirkungen, WRP 2005, 1351; Steinberg/Jaeckel Die bösgläubige Markenanmeldung, MarkenR 2008, 296; Steindorff Das Verbot der Preisbindung für Markenartikel nach geltendem Recht, BB 1955, 1004; ders. Zur Abwehr des Preisschleuderns ohne vertragliche Preisbindung, BB 1956, 675; Steinhaus Abwerbung von Arbeitnehmern, Diss. Köln (1960); Steinle Verleitung zum Vertragsbruch (2001); Stiglitz Volkswirtschaftslehre, 2. Aufl. (1999) dt. Ausgabe, Übs. von Kleber/Lechner; Sturn Grenzen zulässiger Werbung von Versicherungsnehmern und Arbeitskräften, Zf.Vers.Wesen 1966, 781; Summerer Rechtsform und wirtschaftliche Bedeutung des Verbots der Preisdiskriminierung, WuW 1955, 353; Suppes Die Rechtsprechung des BGH zum Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (1956); Teplitzky Die prozessualen Folgen der Entscheidung des Großen Senats für Zivilsachen zur unberechtigten Schutzrechtsverwarnung, WRP 2005, 1433; ders. Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren (2002); ders. Zur Frage der Rechtmäßigkeit unbegründeter Schutzrechtsverwarnungen – Zugleich eine Besprechung von BGH „Verwarnung aus Kennzeichenrecht“, GRUR 2005, 9; Thiele/Rohlfing Gattungsbezeichnungen als Domain-Namen, MMR 2000, 591; Tiedemann/Vogel Strafrecht: Parfum im Supermarkt, JuS 1988, 295; Tiemann Das Ende der Unlauterkeit des „Verleitens zum Vertragsbruch“ bei selektiven Vertriebsbindungen? WRP 2004, 289; Tilmann Anwendungsbereich und Bindungswirkung der Richtlinie Vergleichende Werbung, GRUR 1999, 546; Tirole Industrieökonomie, 2. Aufl. (1999); Toporkoff Droit de la concurrence déloyale (2010); Treis Zur Erklärung von Händlerverhalten mittels der Lehre von den Handelsfunktionen, GRUR 1985, 955; Triebold Kartellsperre-Erpressung, WuW 1954, 178; Trube Zur telefonischen Abwerbung von Beschäftigten, WRP 2001, 97; Ubber Rechtsschutz bei Mißbrauch von Internet-Domains, WRP 1997, 497; Uhlitz Gewerbeschädigende Werturteile, NJW 1966, 2097; Ullmann Die bösgläubige Markenanmeldung und die Marke des Agenten – überschneidende Kreise, GRUR 2009, 364; ders. Die Verwarnung aus Schutzrechten – mehr als eine Meinungsäußerung? GRUR 2001, 1027; ders. Wer sucht, der findet – Kennzeichenverletzung im Internet, GRUR 2007, 633; ders. Eine unberechtigte Abmahnung – Entgegnung, WRP 2006, 1070; Ulmer Das Recht des unlauteren Wettbewerbs in den Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Band 1: Vergleichende Darstellung mit Vorschlägen zur Rechtsangleichung (1965) (zit. Ulmer, Gutachten); ders. Der Begriff „Leistungswettbewerb“ und seine Bedeutung für die Anwendung von GWB und UWG-Tatbeständen, GRUR 1977, 565; ders. Wettbewerbsrechtliche Schranken für die Händlerwerbung mit bekannten Herstellermarken? WRP 1987, 299; ders. Das Recht des unlauteren Wettbewerbs in den Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Band 3: Deutschland (1968); Varadinek Trefferlisten von Suchmaschinen im Internet als Werbeplatz für Wettbewerber – Zugleich ein Beitrag zum Erfordernis des kennzeichenmäßigen Gebrauchs nach neuem Markenrecht, GRUR 2000, 279; Veelken Kundenfang gegenüber dem Verbraucher – Bemerkungen zum EG-Richtlinienentwurf über unlautere Geschäftspraktiken WRP 2004, 1; Viefhues Domain-Name-Sharing, MMR 2000, 334; ders. Internet und Kennzeichenrecht: MetaTags, MMR 1999, 336; Vogel Maßnahmen zur Verhinderung der Abwerbung? FS Traub (1994) 437; Völker/ Elskamp Die neuen Markenfunktionen des EuGH, WRP 2010, 64; Völker/Weidert Domain-Namen im Internet, WRP 1997, 652; von Bar Gemeineuropäisches Deliktsrecht (1996/1999); ders. Konturen des Deliktsrechtskonzeptes des Study Group on a European Civil Code – Ein Werkstattbericht, ZEuP 2001, 515; ders./ Clive (Hrsg.) Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law, Draft Common Frame of Reference, Vol 4 (2009); von Caemmerer Wandlungen des Deliktsrechts, FS zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages 1860–1960, Band II (1960) 49 (zit. von Caemmerer FS 100 Jahre DJT); von Dam European Tort Law (2007); von Falck Anmerkung zu BGH 18.2.1972 – I ZR 82/70 – GRUR 1972, 560; von Gamm Die neuere Rechtsprechung zum Wettbewerbsrecht, GRUR 1979, 680; ders. Neuere Rechtsprechung zum Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht, GRUR 1989, 377; ders. Rufausnutzung und Beeinträchtigung bekannter Marken und geschäftlicher Bezeichnungen, FS Piper (1996) 537; ders. Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. (1987); von Köller Meinungsfreiheit und unternehmensschädigende Äußerung (1971); von Linstow Ist die Offensivmarke ein absolutes Schutzhindernis? Fragen zu § 50 Absatz 1 MarkenG, MarkenR 1999, 81; von Maltzahn Wettbewerbsrechtliche Probleme beim Arbeitsplatzwechsel, GRUR 1981, 788; von Metzen Verwarnung mit Schutzrechten, FS Werner vom Stein (1961) 80; von Schultz Wohin geht das berühmte Kennzeichen? GRUR 1994, 85; von Stechow Das Gesetz zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs vom 27. Mai 1896 (2002); Vygen Die Verleitung zum Vertragsbruch im anglo-amerikanischen und deutschen Recht, Diss. Bonn (1970); Waberbeck Verkäufe unter Einstandspreis – Gelöste und ungelöste Auslegungsprobleme des § 20 Abs. 4 S. 2 GWB, WRP 2006, 991; Wagner Abschied von der unberechtigten Schutzrechtsverwarnung? Zugleich Besprechung BGH 12.8.2004 – I ZR 98/02 – ZIP 2005, 49; ders./Thole Kein Abschied von der unberechtigten Schutzrechtsverwarnung, NJW 2005, 3470; Wahlers Wettbewerbswidrige Abwerbung von Arbeitnehmern über soziales Netzwerk XING, jurisPR-ITR 22/2012 Anm. 2; Weber Rechts355
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
fragen rund um Suchmaschinen (2003); Wedemeyer Beschäftigungsverbot trotz Beschäftigungspflicht, FS Traub (1994) 437; Weick Der Boykott zur Verfolgung nichtwirtschaftlicher Interessen (1971); Weitnauer Schadensersatz aus unberechtigter Verfahrenseinleitung, AcP 170 (1970) 437; Wendlandt Cybersquatting, Metatags und Spam (2002); Werner Wettbewerbsrecht und Boykott (2008); Whinston Exclusivity and Tying in U.S. v. Microsoft: What We Know, and Don’t Know, 15 JEP 63 (2001); ders. Tying, Foreclosure, and Exclusion, 80 Am. Econ. Rev. 837 (1990); Wiemann Der Deliktsschutz des Unternehmens im deutschen und französischen Recht (1970); Wiethölter Zur politischen Funktion des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, KritJ 1970, 121; Wildanger Hausfriedensbruch bei Testkauf? BB 1962, 769; Wilhelm Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb, FS Canaris (2007) 1293; Willert Wettbewerbsverstoß durch Mitarbeiterabwerbung über soziales Netzwerk, K&R 2012, 539; Wirtz Der unlautere Handel mit dem Handel, GRUR 1985, 15; Wittneben/Soldner Der Schutz von Veranstaltern und Sponsoren vor Ambush Marketing bei Sportgroßveranstaltungen, WRP 2006, 1175; Wolf Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, FS von Hippel (1967) 665; Wulf Direktansprache am Arbeitsplatz I, NJW 2004, 2424; Wüstenberg Das Namensrecht der Domainnamen, GRUR 2003, 109; Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs 10,– DM für fremde Kataloge, WRP 1981, 126; Zimmermann Die unberechtigte Schutzrechtsverwarnung (2008); Zimmermann Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts (2003); Zitzlaff Ausspannen von Arbeitnehmern und Kunden, BB 1951, 674. § 4 Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen Gezielte Behinderung Dornis
A.
Systematische Übersicht Einführung | 1 I. Entstehung und Entwicklung des Tatbestands | 1 1. UWG 1896 und 1909 | 1 2. UWG 2004, 2008 und 2015 | 4 3. Bewertung und Kritik | 8 a) Individualbezogener Charakter | 8 b) Unbestimmbarkeit und Unbestimmtheit | 11 c) „Platzhalterfunktion“ und Redundanz | 13 II. Völker- und Europarecht | 16 1. PVÜ und TRIPs | 16 2. Europarecht | 17 III. Systematik, Ratio und Anspruchsberechtigung | 23 1. Überblick | 23 2. Systematik | 25 3. Regelungszwecke: Strukturen und ökonomische Analyse | 28 4. Anspruchsberechtigung | 39 IV. Anwendungsbereich und Abgrenzungen | 40 1. Bürgerliches Recht | 41 a) Vertragsrecht | 41 b) Deliktsrecht | 44 2. Lauterkeitsrecht | 49 a) Rechtsbruch (§ 3a) | 49 b) Aggressive geschäftliche Handlungen, Irreführung und unzumutbare Belästigung (§§ 4a, 5, 5a und 7) | 50
Dornis
c)
B.
Herabsetzung (§ 4 Nr. 1) und Anschwärzung (§ 4 Nr. 2) | 55 d) Unlautere Nachahmung (§ 4 Nr. 3) | 56 e) Vergleichende Werbung (§ 6 Abs. 2 Nr. 4 und Nr. 5) | 58 f) Lauterkeitsrechtliche Generalklausel (§ 3 Abs. 1) | 59 3. Kartellrecht | 61 a) Grundsatz der Doppelkontrolle | 61 b) Kartellrechtliche Behinderungstatbestände | 63 Tatbestand | 67 I. Struktur und Systematik | 67 II. Allgemeine Tatbestandsvoraussetzungen | 69 1. Geschäftliche Handlung (§ 2 Abs. 1 Nr. 1) | 69 2. Mitbewerber (§ 2 Abs. 1 Nr. 3) | 73 3. Spürbarkeit der Interessenbeeinträchtigung (§ 3 Abs. 1) | 74 III. Behinderung | 75 IV. Zielgerichtetheit | 77 1. Allgemeines | 77 2. Subjektive Kriterien | 81 3. Kriterien zur Feststellung der Unlauterkeit | 83 4. Unlauterkeit und ökonomische Analyse | 85
356
Gezielte Behinderung
V.
357
Fallgruppen | 89 1. Horizontalverhältnis | 90 a) Charakterisierung: Schutzgegenstände und Handlungsmodalitäten | 90 b) Unlauterkeitskriterien | 95 c) Fallgruppen | 98 aa) Physische Eingriffe | 98 (1) Allgemeines | 98 (2) Testkäufe und Testmaßnahmen | 102 (a) Definition | 102 (b) Grundsatz | 105 (c) Grenzen | 109 (d) Abwehrmaßnahmen | 114 (e) Kostenerstattung für rechtmäßige Testmaßnahmen | 116 (3) Abwerben von Mitarbeitern | 117 (4) Abwerben von Kunden | 118 bb) Psychisch vermittelte Eingriffe | 120 cc) Ausspähung und Aneignung von Betriebswissen (Betriebsspionage) | 121 (1) Allgemeines | 121 (2) Unlauterkeitskriterien | 123 dd) Blockade: Rechteerwerb und -ausübung in Behinderungsabsicht | 125 (1) Allgemeines | 125 (2) Abgrenzung: Kennzeichenrecht und lauterkeitsrechtliche Behinderung | 127 (3) Fallgruppen | 131 (a) Grundsatz: Priorität | 132
§4
(b)
Ausnahmen | 134 (aa) Angriff auf schutzwürdigen Besitzstand | 136 (bb) Behinderung bei grenzüberschreitendem Wettbewerb | 142 (cc) Erwerb von Kennzeichen zu Spekulationszwecken | 144 (c) Kennzeichenäquivalenz: InternetDomains und Vanity-Telefonnummern | 148 ee) Rechtsdurchsetzung: Schutzrechtsverwarnung und lauterkeitsrechtliche Abmahnung | 153 (1) Grundlegung und Überblick | 153 (2) Konzeption: Abmahnung und Schutzrechtsverwarnung als Betriebsstörung | 156 (3) Allgemeine Voraussetzungen: Unlauterkeitskriterien | 158 (a) Grundsatz | 158 (b) Tatbestand und Rechtswidrigkeit | 159 (c) Prozessprivileg | 162 (4) Besondere Merkmale und Rechtsfolgen | 163 (a) Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung | 163 (aa) Verletzungshandlung und Kausalität | 163 (bb) Güter- und Interessenabwägung | 166
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
ff)
Dornis
(cc) Verschulden | 169 (dd) Rechtsfolgen | 170 (b) Unberechtigte lauterkeitsrechtliche Abmahnung | 172 Beeinträchtigung von Vertragsbeziehungen | 176 (1) Grundlagen | 176 (a) Dogmatik: Deliktsund Lauterkeitsrecht | 176 (b) Rechtsvergleich (Überblick) | 183 (c) Vertragsbruch als gezielte Behinderung | 185 (aa) Vertragsbruch und Einwirkung auf Verträge | 186 (bb) Verleitung zum Vertragsbruch | 188 (d) Besondere Unlauterkeitsmerkmale | 190 (2) Abwerben von Kunden | 193 (a) Grundsatz | 193 (b) Besondere Unlauterkeitsmerkmale | 194 (3) Selektive Vertriebsbindungssysteme | 196 (a) Allgemeines | 196 (b) Wettbewerbsverhältnis | 199 (c) Kartellrechtliche Zulässigkeit des selektiven Vertriebs | 200 (d) Obsolet: Reines Ausnutzen eines Vertragsbruchs | 201 (e) Noch aktuelle Fallgruppen | 202
2.
(aa) Schleichbezug | 202 (bb) Verleitung zum Vertragsbruch | 203 (cc) Beseitigung von Kontrollnummern | 204 (4) Abwerben von Mitarbeitern | 205 (a) Grundsatz | 205 (b) Besondere Unlauterkeitsmerkmale | 206 Vertikalverhältnis | 211 a) Grundsatz und Fallkonstellationen | 211 b) Werbebehinderung | 212 aa) Allgemeines | 212 bb) Marktfunktionale Grundlegung | 213 cc) Unter-Fallgruppen | 214 (1) Beeinträchtigung fremder Werbung | 214 (2) Aufkaufen fremder Waren | 217 (3) Veränderung fremder Produkte, Kennzeichenentfernung und Blockadevorrichtungen | 219 (4) Verschaffung von Priorität für den eigenen Marktauftritt | 223 (a) Grundlagen | 223 (b) Fallgruppen | 225 (aa) Vorrang in Adressverzeichnissen | 225 (bb) Gattungsbezeichnungen als Domains oder AppNamen | 226 (cc) Manipulation des Ergebnisses von Suchmaschinen | 229
358
Gezielte Behinderung
c)
3.
Nachfrage- und Bezugsbehinderung | 240 d) Absatzbehinderung | 241 aa) Grundsatz | 241 bb) Produktbezogene Behinderung | 242 cc) Kundenbezogene Behinderung (Abwerben und Abfangen) | 243 Kartellrechtlich geprägte Tatbestände | 248 a) Allgemeines und Grundlagen | 248 b) Boykott | 252 aa) Begriffliche Grundlagen | 252 bb) Abgrenzung: Verhältnis zu anderen Vorschriften | 254 cc) Tatbestandsmerkmale | 258 (1) Boykottaufruf: Aufforderung | 258 (2) Person des Boykottierten und des Adressaten | 263 (3) Ziel: Sperre des Boykottierten | 264
§4
(4)
c)
d)
e)
f)
Unlauterkeit: fehlende Rechtfertigung | 265 (5) Subjektiver Tatbestand? | 269 Diskriminierung | 270 aa) Begriff | 270 bb) Diskriminierung als Behinderung | 272 cc) Abgrenzungen | 273 dd) Unlauterkeit | 277 Missbrauch der Nachfragemacht | 279 aa) Allgemeines und Abgrenzungen | 279 bb) Tatbestandsmerkmale | 283 Verdrängungs- und Vernichtungsstrategien (insbesondere Kampfpreisstrategien) | 287 aa) Allgemeines | 287 bb) Regelungszwecke und Tatbestandsvoraussetzungen | 289 cc) Sonderfall: Kampfpreisstrategien | 297 Allgemeine Marktbehinderung (Marktstörung) | 303
A. Einführung1 I. Entstehung und Entwicklung des Tatbestands 1. UWG 1896 und 1909. Die Vorschrift des § 4 Nr. 10 UWG 2004 (die sich unverän- 1 dert in § 4 Nr. 4 wiederfindet) gründet auf einem Vorschlag der Wissenschaft,2 der an die bereits zuvor unter der Generalklausel des § 1 UWG 1909 von Rechtsprechung und Schrifttum entwickelten Fallgruppe der sogenannten individuellen Behinderung anknüpfte. Unter Geltung des UWG 1896 gab es noch kein allgemeines Behinderungsverbot sondern lediglich Verbote für eindeutige Fälle der gezielten Behinderung, so vor allem die Anschwärzung und die geschäftliche Verleumdung sowie den Diebstahl von Geschäftsgeheimnissen.3 Diese Konstellationen überführte der Gesetzgeber in die Vorschriften der §§ 14, 17 ff. UWG 1909. Infolge der Kodifikation des Irreführungstatbestandes als zentraler Säule des Lauterkeitsrechts (vgl. § 1 Abs. 1 UWG 1896), entwickelte sich im Schrifttum die theoretische Konzeption einer Zweiteilung der Tatbestände in die Ka-
_____
1 Dieser Text ist eine weitgehende Neukommentierung. Teilweise wurde mit freundlicher Zustimmung des Autors auf die Vorauflage (GK-UWG/Peifer2 § 4 Nr. 10) zurückgegriffen. 2 Vgl. Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig WRP 2002, 1317, 139 und 1326. 3 Vgl. hierzu GK-UWG/Schünemann Einl. B 14; ausführlich zudem von Stechow.
359
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
tegorien der Irreführungen und der Feindseligkeiten.4 Diese strukturelle Divergenz ist bis heute sowohl in der Theorie als auch in der Praxis auffindbar. 2
Nerreter bezeichnete Konstellationen der sogenannten Feindseligkeiten soweit erkennbar als erster mit dem Begriff der „Behinderung“.5 Die von Nipperdey begründete Unterscheidung in den grundsätzlich als zulässig anzusehenden Leistungswettbewerb und den als unzulässig anzusehenden Behinderungswettbewerb6 ist der Grund, dass die Fallgruppe bis in die jüngste Zeit als geradezu klassische Form des Mitbewerberschutzes im UWG verankert blieb. Kohler fasste unter die nicht näher definierte Überschrift der „feindseligen Geschäftshemmung“ eine Reihe von Verhaltensweisen wie die Erpressung des Konkurrenten,7 den Eingriff in die Geschäftsabläufe durch Täuschung oder Bestechung, den Boykott, das Abwerben von Mitarbeitern, die Verleitung des Kunden zum Vertragsbruch, das Weglocken von Kunden und die Führung verbotener Geschäfte zur Erzielung eines Wettbewerbsvorsprungs.8 Alle diese Verhaltensweisen werden bis heute als gezielte Behinderung angesehen.9
3
Eine weitergehende Auffächerung von Kategorien der Behinderung im Wettbewerb unterblieb in der Folge allerdings. Aufgrund der Einführung der Generalklausel des § 1 UWG 1909 fehlte es vielmehr vor allem in der Rechtsprechung am Bewusstsein der Notwendigkeit einer präzisen Definition. Auch der Gesetzgeber blieb lange Zeit untätig.
2. UWG 2004, 2008 und 2015. Eine ausdrückliche Norm zur Behinderung findet sich erstmals in § 4 Nr. 10 UWG 2004. Die kurze Vorschrift ist inhaltsgleich mit dem Vorschlag der Arbeitsgruppe Unlauterer Wettbewerb, die beim Bundesministerium der Justiz eingesetzt worden war, um den Entwurf eines UWG vorzubereiten.10 Die Grundlagen der Vorschrift wurden weder in den veröffentlichten Unterlagen der Arbeitsgruppe noch im Gesetzgebungsverfahren ausführlich analysiert.11 Die Begründung des Regierungsentwurfs 2003 (RegE 2003) übernahm die Begründung des Entwurfs der Arbeitsgruppe mit lediglich kleinen redaktionellen Änderungen vollständig. Die Begründung des Entwurfs der Arbeitsgruppe lautete wie folgt:12 5
4
„Der Beispielstatbestand des Artikels 5 Nr. 313 bezieht sich auf die sog. „individuelle Mitbewerberbehinderung“. Die weite, generalklauselartige Fassung stellt sicher, dass alle Erscheinungsformen des Behinderungswettbewerbs einbezogen werden, einschließlich des Boykotts, des Vernichtungswettbewerbs, aber auch z.B. des Missbrauchs von Nachfragemacht zur Ausschaltung von Mitbewerbern. Durch das Tatbestandsmerkmal des „gezielten“ Handelns wird klargestellt, dass eine Behinderung von Mitbewerbern als bloße Folge des Wettbewerbs nicht ausreicht, um den Tatbestand zu verwirklichen. Es wird Aufgabe der Rechtsprechung sein, typische Formen des unlauteren Behinderungswettbewerbs herauszuarbeiten und sie von den kartellrechtlichen, Marktmacht voraussetzenden Behinderungstatbeständen abzugrenzen. Entsprechendes gilt für die so genannte allgemeine Marktbehinderung („Markt-
_____
4 Kohler S. VI und 24, 104 sowie 235 ff.; ähnlich Callmann S. 52 f. 5 Nerreter S. 84, 107. 6 Nipperdey S. 19, 23. 7 Kohler S. 235 mit Hinweis auf RG 20.9.1904 – II 580/03 – RGZ 59, 1 (Drohung mit prozessualem Vorgehen und Denunziation gegenüber den Kunden). 8 Kohler S. 273 ff. 9 Siehe unten Rn. 89 ff. 10 Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig WRP 2002, 1317, 1319 (hervorgegangen aus den Erörterungen der Arbeitsgruppe Wettbewerbsrecht beim BMJ, in WRP 2002 jedoch als persönliche Meinung der Verfasser gekennzeichnet). 11 Omsels WRP 2004, 136, 137; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 5. 12 Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig WRP 2002, 1317, 1326 unter Tz. 19. 13 Der Entwurf nummerierte anders als das spätere Gesetz. Der Art. 5 Nr. 3 des Entwurfs wurde im Gesetz § 4 Nr. 10.
Dornis
360
Gezielte Behinderung
§4
störung“), die zwar nicht als Beispielstatbestand aufgeführt ist, aber gleichwohl unter die Generalklausel des Artikels 3 fallen kann.“
Der Regierungsentwurf zum UWG wurde weitgehend identisch begründet:
6
„Der Tatbestand der Nummer 10 bezieht sich auf die sog. individuelle Mitbewerberbehinderung. Die weite, generalklauselartige Fassung stellt sicher, dass alle Erscheinungsformen des Behinderungswettbewerbs einbezogen werden, einschließlich des Boykotts, des Vernichtungswettbewerbs, aber auch z.B. des Missbrauchs von Nachfragemacht zur Ausschaltung von Mitbewerbern. Erfasst werden sollen somit auch Handlungen im Verhältnis zweier Unternehmer auf verschiedenen Wirtschaftsstufen. Durch das Tatbestandsmerkmal des gezielten Handelns wird klarstellt, dass eine Behinderung von Mitbewerbern als bloße Folge des Wettbewerbs nicht ausreicht, um den Tatbestand zu verwirklichen. Die Rspr. hat in der Vergangenheit bereits typische Formen des unlauteren Behinderungswettbewerbs herausgearbeitet. Ihre Aufgabe wird es weiterhin sein, die Abgrenzung von den kartellrechtlichen Behinderungstatbeständen, die das Vorliegen von Marktmacht voraussetzen, vorzunehmen. Entsprechendes gilt für die sogenannte Marktbehinderung, die zwar nicht als Beispielstatbestand aufgeführt ist, aber – entsprechend des nicht abschließenden Charakters der Beispielstatbestände – gleichwohl unter die Generalklausel des § 3 fallen kann.“
Mit der UWG-Novelle 2008 haben sich die inhaltlichen Anforderungen an den Tatbe- 7 stand der gezielten Behinderung nicht verändert.14 Die Gerichte griffen auch unter der Neufassung weiterhin auf den gesamten Bestand der Judikatur vor 2008 zurück. Die Kodifikation hat darum bis heute kaum Veränderungen bewirkt.15 Auch die letzte Neufassung des UWG im Jahr 2015 hat schließlich am Tatbestand des Behinderungsverbotes sprachlich und inhaltlich nichts geändert.16 Die Norm findet sich als Nr. 4 in den Fallgruppen der als mitbewerberschützend bezeichneten Norm des § 4. Nach überwiegender Auffassung soll darum auch weiterhin auf die unter § 4 Nr. 10 UWG 2004 und die davor in der Rechtsprechung geltenden Grundsätze zurückgegriffen werden können.17 3. Bewertung und Kritik a) Individualbezogener Charakter. Die Frage der genauen Ausdifferenzierung und 8 Beschreibung des Behinderungstatbestandes war zu jeder Zeit in erster Linie ein Anliegen der Wissenschaft. Die Vielzahl divergierender Ansätze, vor allem aber die Offenheit des Tatbestandes konnten allerdings nie überwunden werden. Insoweit spiegelt das Behinderungsverbot ein ubiquitäres Dilemma des Lauterkeitsrechts. Die Entscheidung zwischen einer übermäßig genauen und detaillierten (und damit zwangsläufig lückenhaften) sowie einer offenen und weiten (und damit scheinbar überschießenden) Fassung des Tatbestandes war und ist stets begleitet von der Warnung vor einer unbeherrschbaren Unsicherheit bei der Rechtsanwendung. In dieser Hinsicht wurde bereits die von Kohler an die Gerichte adressierte Forderung zur „Freirechtsbildung“18 als problematisch angesehen. Das Schrifttum kritisierte insbesondere, dass die Gerich-
_____
14 BGH 11.1.2007 – I ZR 96/04 – BGHZ 171, 73 Tz. 12 = GRUR 2007, 800 – Außendienstmitarbeiter; BGH 29.3.2007 – I ZR 164/04 – GRUR 2007, 987 Tz. 32 – Änderung der Voreinstellung I; BGH 5.2.2009 – I ZR 119/06 – GRUR 2009, 786 Tz. 12 – Änderung der Voreinstellung II; BGH 29.6.2010 – KZR 24/08 – MMR 2010, 786 Tz. 41 – GSM-Wandler; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.1. 15 Juris-PK/Müller-Bidinger/Seichter3 § 4 Nr. 10 Rn. 8. 16 Allg. A., vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.1. 17 Siehe z.B. nur Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn 4/4. 18 Kohler S. 43 mit scharfer Kritik an der eine Fortentwicklung des Lauterkeitsrechts blockierenden Rechtsprechung des RG zwischen 1880 und 1896 nach RG 30.11.1880 – II 295/80 – RGZ 3, 67, 69 – Apollinaris-Brunnen.
361
Dornis
9
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
te die kasuistischen Einzelregelungen des UWG 1896 und des UWG 1909 oft zugunsten neuer Generaltatbestände unter das Dach des § 1 a.F. fassten: „Wer wollte sich etwa noch der Mühe entziehen, nachzuprüfen, ob kritische vergleichende Reklame als Geschäftsehrenkränkung dem § 14 unterstellt werden konnte, wenn sich im Rahmen der Generalklausel unschwer hierfür ein eigenes Rechtsinstitut schaffen ließ?“19 Die Kritik begünstigte zwar die Entwicklung der Systematisierung des § 1 a.F. durch die Wissenschaft und die Bildung von Oberbegriffen wie etwa des Kundenfangs, der Ausbeutung, des Vorsprungs durch Rechtsbruch und der (individuellen) Behinderung, die neben der allgemeinen Marktbehinderung bis zur UWG-Modernisierung 2004 den Kern der von Lobe, Nerreter, Callmann und anderen angestoßenen sowie von Baumbach20 und Hefermehl weiterentwickelten Strukturierung des § 1 UWG 1909 bildeten.21 Dennoch konnten zu keiner Zeit trennscharfe Kriterien zur umfassenden Beschreibung und Ausgestaltung des Tatbestandes und zur Vereinfachung und Vereinheitlichung der Rechtsanwendung formuliert werden. Die Doktrin verharrt vielmehr seit jeher in einem Graubereich wenig präziser, vor allem ethisch fundierter und individualrechtlich orientierter Schutzreflexe. Nachdem sich die Lehre Kohlers, dass das Lauterkeitsrecht die Persönlichkeit des Unternehmers schütze,22 nicht durchgesetzt hatte, wurde Behinderung vielmehr allgemein als Mittel zur Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Leistung23 charakterisiert, das „sich darauf [beschränkt], den Mitbewerber in seiner Handlungsfreiheit zu beeinträchtigen, um durch das Mittel der Behinderung freie Bahn für die eigene Absatztätigkeit zu schaffen“.24 Rosenthal formulierte – und das ist für die rechtsethische Argumentation bis heute durchaus repräsentativ – Behinderung sei „ein Tun, das der eigenen Erwerbstätigkeit nicht dienlich, vielmehr in erster Linie darauf gerichtet ist, den Mitbewerber zu schädigen“.25 In dieser Tradition wird das Behinderungsverbot auch heute noch ganz überwiegend im Lichte eines Verbots der grundlosen Fremdschädigung interpretiert.26
10
Im Ergebnis spiegelt der Tatbestand die historischen Wurzeln des Lauterkeitsrechts mit besonderer Deutlichkeit: in seiner immer noch vorhandenen, ganz überwiegenden Ausrichtung auf das Verhältnis der Mitbewerber untereinander – unter häufig weitgehender Ausblendung der wettbewerbsökonomischen Strukturen – erweist sich die Norm als ein Relikt des ursprünglich rein individualschützenden Charakters des Lauterkeitsrechts.27
11
b) Unbestimmbarkeit und Unbestimmtheit. Neben der vorrangigen Ausrichtung auf den Individualschutz zeigt sich das wohl grundlegende Problem bei der Anwendung des Behinderungstatbestandes in der Auslegung des Tatbestandsmerkmals der „Behinderung“ eines „Mitbewerbers“, konkret: der „Behinderung im Wettbewerb“.28 Der Widerspruch zwischen der ausdrücklichen Inkriminierung von Behinderungshandlungen zu einem Modell des Wettbewerbs mit expliziter Ausrichtung auf die im freien Marktgeschehen unvermeidbare (und durchaus gewünschte) Beeinträchtigung von Mitbewerbern wurde dabei von Anfang an durchaus klar erkannt.
_____
19 Nerreter S. 77. 20 Vgl. Baumbach JW 1930, 1643. 21 Vgl. aufschlussreich vor allem GK-UWG/Peifer2 § 4 Nr. 10 Rn. 3. 22 Kohler S. 17; dagegen Nerreter S. 97. 23 Nerreter S. 82. 24 Nipperdey S. 16. 25 Rosenthal § 1 Rn. 34. 26 Vgl. ausführlich zur Entwicklung GK-UWG/Peifer2 § 4 Nr. 10 Rn. 4. 27 Vgl. die Materialien zum UWG 1896 bei Lobe Die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs, Bd. III S. 46, 50; ferner Baumbach Das gesamte Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. (1931) S. 128 („grundlegender, nicht auszurottender Irrtum, dass das deutsche Wettbewerbsrecht auch das Publikum, den Verbraucher“ schütze); zudem zur Entwicklung (und rechtsvergleichend) Dornis S. 9 ff. 28 Vgl. instruktiv z.B. Emmerich § 6 Rn. 2.
Dornis
362
Gezielte Behinderung
§4
So wurde bereits bei der Kodifikation des UWG 1896 hervorgehoben, dass die dem Wettbewerb eigene Behinderungswirkung nicht unlauter sei, denn: „Es kann nicht in der Absicht liegen, den Wettbewerb als solchen einzuschränken oder ihn in der Anwendung von Mitteln zu behindern, welche, ohne gegen die Gepflogenheiten eines ehrbaren Geschäftsmanns zu verstoßen, anderen Gewerbetreibenden lästig oder unbequem sein mögen“.29 Diese noch überwiegend an der Geltung wettbewerbsethischer und individualschützender Strukturen ausgerichtete Erkenntnis wurde in jüngerer Zeit erweitert und um das Merkmal einer Entziehung oder Blockade von angemessenen Marktentfaltungschancen des Mitbewerbers, also die Behinderung seiner Sichtbarkeit am Markt, ergänzt.30 Dennoch fehlt es auch in den modernen Fassungen des UWG seit 2004 an einer normativen Fundierung oder Begründung, was eine gezielte Behinderung sein soll. Die Begründung zu § 4 Nr. 10 UWG 2004 stellte klar, dass es sich bei der Norm um eine Generalklausel mit Auffangcharakter handeln sollte. Der Begriff „gezielt“ sollte auf das Erfordernis ergänzender unlauterer Umstände hinweisen. Das Tatbestandsmerkmal „gezielt“ wurde damit zum einen als Synonym für „unlauter“ bestimmt, zum anderen als Mittel zur Abgrenzung der individuellen von der allgemeinen Marktbehinderung nach § 3 UWG gesehen.31
12
c) „Platzhalterfunktion“ und Redundanz. In der Gesamtschau zeigt sich, dass die 13 gezielte Behinderung wenig reflektiert und vor allem im Hinblick auf fehlende praktische Relevanz vorschnell kodifiziert wurde.32 Zunächst wurde es versäumt, das genaue Verhältnis zwischen Individual- und Kollektivschutz zu klären. Die seit der erstmaligen Beschreibung der Fallgruppe im Raum stehende Grundfrage, inwieweit das Lauterkeitsrecht die Aufgabe übernehmen muss, die Mitbewerber in ganz allgemeiner Form vor „Schädigungen im Wettbewerb“ zu schützen, blieb weitgehend unerörtert. Der Behinderungstatbestand scheint darum jedenfalls auf den ersten Blick bestenfalls als Platzhalter und Reserveinstrument zu fungieren. Er ist weitgehend ohne Funktion, es besteht aber noch die Möglichkeit (oder Hoffnung) eines sinnvollen Einsatzes in der Zukunft.33 Der Tatbestand der gezielten Behinderung trägt gegenwärtig kaum effektiv zur Re- 14 gulierung des Marktverhaltens bei. Die wenigen Fallgruppen, in denen die Norm ein Verbotspotential entfalten könnte, werden bereits durch kartellrechtliche oder andere UWG-Tatbestände abgedeckt.34 Als jedenfalls in der Rechtsprechung zur Anwendung gebrachte Verbotstatbestände kann aber auf die Fallgruppen des unmittelbaren Eingriffs in Betriebseinrichtungen und der Verleitung zum Vertragsbruch verwiesen werden.35 Für diese Konstellationen wird im Schrifttum allerdings zutreffend auf die Überlappung und fehlende Abstimmung mit §§ 823 und 826 BGB verwiesen.36 Im Ergebnis erschöpft sich der Tatbestand in den meisten Fällen in einer bestenfalls idealkonkurrierenden Anwendung ohne rechtspraktischen Effekt.37 Vor diesem Hintergrund erhellt sich auch, dass eine rechtsvergleichende Untersu- 15 chung des UWG-Verbots der Mitbewerberbehinderung kaum möglich ist.38 Die Disparität
_____
29 So die bei Lobe Die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs, Bd. III S. 17 zitierte Denkschrift zum Gesetzesentwurf zum UWG 1896. 30 Vgl. GK-UWG/Brandner/Bergmann § 1 Rn. 3 und dem folgend BGHZ 17.5.2001 – I ZR 216/99 – BGHZ 148, 1 = GRUR 2001, 1061, 1062 – mitwohnzentrale.de; zudem GK-UWG/Peifer2 § 4 Nr. 10 Rn. 4. 31 Siehe unten Rn. 77 ff. 32 Vgl. zur Kritik nur Omsels WRP 2004, 136; GK-UWG/Peifer2 § 4 Nr. 10 Rn. 12; anders aber z.B. juris-PK/ Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 6 („erhebliche Bedeutung“). 33 GK-UWG/Peifer2 § 4 Nr. 10 Rn. 12. 34 Siehe unten Rn. 61 ff. und Rn. 49 ff. 35 Siehe unten Rn. 98 ff. und Rn. 176 ff. 36 Vgl. bereits GK-UWG/Peifer2 § 4 Nr. 10 Rn. 17. 37 Im Schrifttum wird allerdings zum Teil gerade die Offenheit des Tatbestandes als besonders nützlich für die Erfassung möglichst vieler Unlauterkeitsverstöße angesehen. Siehe z.B. juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 6. 38 So auch zutreffend Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn 11.
363
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
des Tatbestandes mit den zahlreichen heterogenen Unter-Fallgruppen der Behinderung knüpft das Urteil der Unlauterkeit an eine Vielzahl unterschiedlicher Aspekte an. Eine einheitlich zu vergleichende Regelungsmaterie kann nicht definiert werden. Zusätzlich erschwert wird der Rechtsvergleich auch durch die weitreichende Doppelung des Behinderungsverbots mit Tatbeständen des Kartell- und Immaterialgüter- sowie des Lauterkeits- und des Zivilrechts. Je nach Fallkonstellation steht die UWG-Behinderung im Schatten dieser Regelungsmaterien. Mangels Existenz vergleichbar heterogener und potentiell weitreichender Tatbestände ist ein Rechtsvergleich mit den meisten Jurisdiktionen darum auf eine konkrete Betrachtung des jeweils betroffenen Teilsegments beschränkt.39 II. Völker- und Europarecht 16
1. PVÜ und TRIPs. In der Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums (PVÜ) bildet Art. 10bis die Grundlage des lauterkeitsrechtlichen Schutzes. Die Vorschrift wurde durch die Brüsseler Revisionsfassung im Jahr 1900 eingefügt.40 Vorgaben für einen allgemeinen Tatbestand der unlauteren Behinderung gibt es dort nicht. Der Normgehalt beschränkt sich auf eine lauterkeitsrechtliche Generalklausel, die der Regelung des Art. 5 UGP-RL strukturell ähnelt und für die Norm auch Pate stand.41 Zusätzlich finden sich seit der Haager Revisionskonferenz 1925 und der Londoner Revisionskonferenz 1934 in Art. 10bis Abs. 3 PVÜ Beispiele unlauteren Wettbewerbs.42 So enthält Art. 10bis Abs. 3 PVÜ neben dem Verbot der Herbeiführung von Verwechslungen (Nr. 1) und der Irreführung (Nr. 3) auch ein Verbot der Herabsetzung durch falsche Tatsachenbehauptungen (Nr. 2). Genaue Vorgaben für einen allgemeinen Tatbestand der Behinderung oder dessen besondere Varianten ergeben sich daraus für das deutsche Recht allerdings nicht. Auch das TRIPs-Abkommen enthält keine Richtlinie für die inhaltliche Ausgestaltung eines Behinderungstatbestandes.
2. Europarecht. Das primäre Unionsrecht bekennt sich zwar zu einem System des unverfälschten (vgl. Art. 101 und Art. 102 AEUV) und redlichen Wettbewerbs (Präambel). Vorgaben für einen Schutz gegen die Behinderung von Mitbewerbern gibt es aber nicht. Das Unionsrecht verfolgt für das Lauterkeitsrecht vielmehr eine kollektiv verbraucherschützende Ausrichtung und berücksichtigt den Individualschutz vorrangig im Kartellrecht. Dennoch sind Verbote der individuellen Behinderung, soweit sie sich auf den grenzüberschreitenden Handel auswirken, einer Kontrolle am Maßstab der Grundfreiheiten zu unterwerfen (vor allem den Vorschriften zur Freiheit des Warenverkehrs in Art. 34 ff. und zur Dienstleistungsfreiheit in Art. 56 ff. AEUV). Im sekundären Unionsrecht taucht der Mitbewerberschutz zunächst in der Har18 monisierung der Vorschriften über die vergleichende Werbung auf. Nach Art. 2 lit. b Werbe-RL ist vom Begriff der „irreführenden Werbung“ jede Werbung umfasst, „die in irgendeiner Weise … die Personen, an die sie sich richtet oder die von ihr erreicht werden, täuscht oder zu täuschen geeignet ist und die infolge der ihr innewohnenden Täuschung ihr wirtschaftliches Verhalten beeinflussen kann oder aus diesen Gründen einen Mitbewerber schädigt oder zu schädigen geeignet ist.“ Art. 4 Werbe-RL enthält Verbote 17
_____
39 Vgl. zutreffend Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn 11. Ausführlich zum Vergleich des europäischen und US-amerikanischen Rechts siehe z.B. Dornis S. 295 ff. 40 Bodenhausen S. 122; Ulmer Gutachten, Nr. 33. 41 GK-UWG/Peifer2 § 4 Nr. 10 Rn. 18. 42 Bodenhausen S. 122.
Dornis
364
Gezielte Behinderung
§4
für Werbevergleiche, durch die Kennzeichen, Produkte (Waren und Dienstleistungen) oder geschäftliche Verhältnisse eines Mitbewerbers herabgesetzt oder verunglimpft werden (vgl. Art. 4 lit. d). Diese Regeln lassen sich als Tatbestände mit einem Behinderungsverbot im zumindest weitesten Sinne verstehen, sie sind allerdings abschließend in § 6 Abs. 2 Nr. 4 und Nr. 5 umgesetzt.43 Die UGP-RL schützt mittelbar über den Verbraucherschutz auch die Interessen von 19 Mitbewerbern (vgl. Erwägungsgrund 8). Allerdings ist der reine Konkurrentenschutz ausgespart.44 Die Richtlinie berührt nämlich nicht die „nationalen Rechtsvorschriften in Bezug auf unlautere Geschäftspraktiken, die lediglich die wirtschaftlichen Interessen von Mitbewerbern schädigen oder sich auf ein Rechtsgeschäft zwischen Gewerbetreibenden beziehen“ (vgl. Erwägungsgrund 6 S. 3).45 Daraus kann zunächst gefolgert werden, dass das sekundäre Unionsrecht (mit Ausnahme der Regelungen über vergleichende Werbung) keine ausdrücklichen Vorgaben für die Gestaltung von Tatbeständen des genuinen Konkurrentenschutzes macht. Die deutschen Gerichte gehen darum auch grundsätzlich zutreffend davon aus, dass die UGP-RL „einer Anwendung des § 4 Nr. [4] nicht entgegen [steht]“, soweit die zu beurteilende Verhaltensweise allein die wirtschaftlichen Interessen eines Mitbewerbers und nicht auch die Interessen von Verbrauchern betrifft.46 Die Zusammenhänge sind allerdings komplexer, wenn es um Konstellationen ei- 20 ner gleichzeitigen Beeinträchtigung von Mitbewerber- und Verbraucherinteressen geht.47 Aufgrund des vollharmonisierenden Charakters der UGP-RL verkompliziert sich die Antwort auf die Frage nach dem anwendbaren Prüfungsmaßstab. Die Problematik wird besonders dort virulent, wo ein Sachverhalt der individuellen und gezielten Behinderung zugleich auch durch einen Tatbestand der UGP-RL erfasst wird (sog. doppelrelevante Handlung), und das Verbot des nationalen Rechts über den Richtlinienrahmen hinausgeht. Im Schrifttum wird für diese Konstellationen gefordert, die Wertungen der UGP-RL auch bei der Auslegung des § 4 Nr. 4 zu berücksichtigen.48 Nach Köhler sind für derartige Konkurrenzkonstellationen vor allem drei Fälle als Beispiel zu nennen:49 das Abwerben von Kunden durch Verleitung zum Vertragsbruch, die Werbe- oder Absatzbehinderung sowie die Irreführung des Verbrauchers über die Leistungen des Mitbewerbers. Die Verleitung zum Vertragsbruch ist in der UGP-RL tatsächlich nicht erwähnt. Für die übrigen Verhaltensweisen stellt die Richtlinie eigene und wohl abschließende Zulässigkeitsvoraussetzungen auf, die durch § 4 Nr. 4 nicht unterlaufen werden dürfen.50 Zum Konflikt kommt es, wenn der Verbraucher durch ein Verleiten zum Vertragsbruch einen Vorteil erlangt, er dabei aber gleichzeitig weder irregeführt noch in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt wird. Würde man in einem solchen Fall von einer abschließenden Regelung der UGP-RL ausgehen und das Verhalten für zulässig halten, so bliebe der Konkurrentenschutz
_____
43 Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/5. Siehe zudem auch unten Rn. 58. 44 Vgl. zur Kritik z.B. juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 7. 45 Siehe z.B. EuGH 9.11.2010 – C-540/08 – GRUR 2011, 76 Tz. 21 – Mediaprint; vgl. zudem Hoeren WRP 2009, 789, 793; Scherer WRP 2009, 518, 522; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/5. 46 Vgl. nur BGH 7.10.2009 – I ZR 150/07 – GRUR 2010, 346 Tz. 10 – Rufumleitung; BGH 16.7.2009 – I ZR 56/07 – GRUR 2009, 1075 Tz. 15 – Betriebsbeobachtung; BGH 5.2.2009 – I ZR 119/06 – GRUR 2009, 876 Tz. 26 – Änderung der Voreinstellung II; vgl. zudem Köhler GRUR 2008, 841, 846 f.; Köhler WRP 2015, 275, 281; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/5; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 9. 47 MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 7; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 10 ff. 48 Vgl. Köhler GRUR 2008, 841, 847; Scherer WRP 2009, 518, 522; Köhler WRP 2015, 275, 281; Kirchhoff WRP 2015, 659, 662; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 7; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/5; kritisch jurisPK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 13 f. 49 Köhler GRUR 2008, 841, 846 f. 50 So z.B. zutreffend GK-UWG/Peifer2 § 4 Nr. 10 Rn. 24; wohl auch juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 16.
365
Dornis
21
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
auf der Strecke.51 Im Ergebnis erhielte der EuGH damit die Auslegungshoheit auch über rein mitbewerberschützende Vorschriften. Da das Gericht in seiner aktuellen Rechtsprechung allerdings stets ausdrücklich auf die betroffenen Regelungszwecke der Richtlinie abstellt, sollte dies bezweifelt werden.52
22
Keine Sperrwirkung entfaltet die UGP-RL schließlich in Bereichen, in denen das (europäische) Kartellrecht eigene Verhaltensmaßstäbe setzt, also etwa in Fällen des Boykotts, der Diskriminierung und der Verdrängungs- und Vernichtungsstrategien.53 III. Systematik, Ratio und Anspruchsberechtigung
23
1. Überblick. Der Gesetzgeber hat den Tatbestand der individuellen gezielten Behinderung von Mitbewerbern nicht definiert. In der Sache setzt dieses Versäumnis die Tradition einer unklaren Abgrenzung zwischen den Kategorien des zulässigen Leistungswettbewerbs und des unzulässigen Behinderungswettbewerbs fort, die in dem 1930 von Nipperdey zum sogenannten Benrather Tankstellenfall verfassten Gutachten seinen Ausgang nahm.54 Während der Leistungswettbewerb in der Förderung des eigenen Absatzes mit Mitteln der eigenen Leistung bestehe (und darum zulässig sein soll), liege das Wesen des Behinderungswettbewerbs in der Behinderung der Mitbewerber, „um dadurch erst freie Bahn für den eigenen Absatz zu schaffen“.55 Mehr als eine begriffliche Unterscheidung war damit allerdings nicht erreicht. Seit jeher ist zudem umstritten, ob unter „gezielt“ nur die absichtliche Schädigung eines Mitbewerbers fallen soll, oder ob eine Behinderung auch bereits für sich genommen unlauter sein kann, wenn sie nur objektiv gezielt erfolgt.56 Ebenso war eine Abgrenzung auf der Grundlage objektiver Kriterien stets problematisch. In der Begründung zum UWG 2004 nennt der Gesetzgeber zwar als konkrete „Erscheinungsformen des Behinderungswettbewerbs“ den Boykott, den Vernichtungswettbewerb und den Missbrauch von Nachfragemacht. Im Übrigen nimmt er aber lediglich eine negative Abgrenzung vor.57 An einer trennscharfen und treffsicheren Kategorisierung fehlt es auch insoweit immer noch. Nur wenige Grundlagen können als gesichert und unbestritten angesehen werden. Dies gilt vor allem für die Tatsache, dass die Behinderung von Mitbewerbern nicht per se als unlauter oder unerlaubt eingeordnet werden kann, sondern als eine grundsätzlich gewollte und notwendige Folge des Wettbewerbs anzusehen ist.58 Selbst gezielt auf einen Mitbewerber
_____
51 Vgl. Hetmank GRUR 2015, 323, 325 f.; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 11b; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/5; GK-UWG/Peifer2 § 4 Nr. 10 Rn. 24; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 13 ff.; a.A. aber noch im Ergebnis Köhler GRUR 2008, 841, 846. 52 Vgl. hierzu v.a. EuGH 8.9.2015 – C-13/15 – GRUR Int. 2015, 1149 Tz. 26, 32 – Cdiscount; EuGH 17.10.2013 – C-391/12 – GRUR Int. 2013, 1158 Tz. 34 ff. – RLvS/Stuttgarter Wochenblatt; zudem Scherer WRP 2009, 518, 522; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 5; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/5; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 11b; GK-UWG/Peifer2 § 4 Nr. 10 Rn. 24; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 16. 53 Köhler GRUR 2008, 841, 847; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.3a; GK-UWG/Peifer2 § 4 Nr. 10 Rn. 24. Siehe hierzu auch unten Rn. 248 ff. 54 Vgl. Nipperdey S. 26 ff.; zudem RG 18.12.1931 – II 514/30 – RGZ 134, 342, 353 f. – Benrather Tankstellenfall. 55 Vgl. nochmals RG 18.12.1931 – II 514/30 – RGZ 134, 342, 353 – Benrather Tankstellenfall. 56 Vgl. zu subjektiven Merkmalen und der Behandlung in der Rechtsprechung siehe z.B. Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn 16. 57 Siehe oben Rn. 12. 58 Vgl. bereits die bei Lobe Die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs, Bd. III S. 17 zitierte Denkschrift zum Gesetzesentwurf zum UWG 1896 (oben Rn. 10); vgl. zudem BVerfG 14.9.2010 – 1 BvR 1054/10 – GRUR-RR 2011, 217 (Eintragung von WM-Marken) und BGH 12.11.2009 – I ZR 183/07 – GRUR 2010, 626 Tz. 60 – WM-Marken; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/2; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 15 f.
Dornis
366
Gezielte Behinderung
§4
ausgerichtete, behindernde Verhaltensweisen, z.B. das Unterbieten von Preisen oder das Abwerben von Mitarbeitern, sind darum als solche grundsätzlich zulässig.59 Die Unlauterkeit kann stets nur bei Vorliegen weiterer Umstände festgestellt werden.60 In der Rechtsprechung hat sich dem (wenngleich bescheidenen) Wandel bei der 24 Beurteilung des Zusammenhangs von „Behinderung“ und „freiem Wettbewerb“ entsprechend auch eine jedenfalls terminologische Wende vollzogen. Neuerdings ist nicht mehr von der „gezielten“, sondern von der „unlauteren“ Behinderung die Rede.61 In der Sache ist die Abgrenzung zwischen zulässigem und unzulässigem Wettbewerb auf der Grundlage einer Kategorisierung nach Leistung und Behinderung aber nach wie vor hochgradig unberechenbar. Die mittlerweile als ständige Rechtsprechung bezeichnete Allgemeinformel lautet: Eine unlautere Behinderung von Mitbewerbern … setzt eine Beeinträchtigung der wettbewerblichen Entfaltungsmöglichkeiten der Mitbewerber voraus, die über die mit jedem Wettbewerb verbundene Beeinträchtigung hinausgeht und bestimmte Unlauterkeitsmerkmale aufweist. Unlauter ist die Beeinträchtigung im Allgemeinen dann, wenn gezielt der Zweck verfolgt wird, Mitbewerber an ihrer Entfaltung zu hindern und sie dadurch zu verdrängen, oder wenn die Behinderung dazu führt, dass die beeinträchtigten Mitbewerber ihre Leistung am Markt durch eigene Anstrengung nicht mehr in angemessener Weise zur Geltung bringen können. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, lässt sich nur auf Grund einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Interessen der Mitbewerber, Verbraucher und sonstiger Marktteilnehmer sowie der Allgemeinheit beurteilen.62
2. Systematik. Der Tatbestand des § 4 Nr. 4 ist nach dem Willen des Gesetzgebers 25 eine Generalklausel für alle Fälle der unzulässigen individuellen Behinderung von Mitbewerbern.63 Systematisch muss die Vorschrift darum zunächst als Auffangklausel für all jene individuellen Behinderungen angesehen werden, die nicht bereits durch Sonderverbote erfasst sind. Zu den speziellen Verboten gehören vor allem Einschränkungen für vergleichende Werbung (§ 6 Abs. 2 Nr. 4 und 5)64 sowie für Anschwärzung und Herabsetzung (§ 4 Nr. 1 und 2).65 Lange Zeit wurden auch der ergänzende sowie der unmittelbare Leistungsschutz (§§ 4 Nr. 3, 3 Abs. 1) als Tatbestände der Behinderung angesehen.66 Als weitere Spezialtatbestände anzusehen sind schließlich markenrechtliche Vorschriften, so insbesondere zur Verhinderung der Anmeldung von Sperrmarken (§§ 50, 8 Abs. 2 Nr. 14 MarkenG).67
_____
59 GK-UWG/Schünemann Einl. Rn. A 9; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/2. Siehe zudem ausführlich unten Rn. 205 f. und 248 ff. 60 BGH 21.2.2002 – I ZR 281/99 – GRUR 2002, 902, 905 – Vanity-Nummer; BGH 17.5.2001 – I ZR 216/99 – BGHZ 148, 1 = GRUR 2001, 1061 – mitwohnzentrale.de; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 2. 61 Siehe z.B. BGH 22.1.2014 – I ZR 164/12 – GRUR 2014, 393 Tz. 28 – wetteronline.de; BGH 30.4.2014 – I ZR 224/12 – GRUR 2014, 785 Tz. 23 – Flugvermittlung im Internet; BGH 12.3.2015 – I ZR 188/13 – GRUR 2015, 607 Tz. 16 – Uhrenankauf im Internet; BGH 23.6.2016 – I ZR 137/15 – GRUR 2017, 92 Tz. 16 – FremdcouponEinlösung. 62 Vgl. z.B. BGH 12.3.2015 – I ZR 188/13 – GRUR 2015, 607 Tz. 16 – Uhrenankauf im Internet; BGH 23.6.2016 – I ZR 137/15 – GRUR 2017, 92 Tz. 16 – Fremdcoupon-Einlösung. 63 Vgl. Beater WRP 2011, 7; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/2; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 2. 64 Siehe unten Rn. 58. 65 Vgl. insoweit noch Rosenthal § 1 Rn. 34, der unter die Behinderung neben der allgemeinen Konkurrentenschädigung noch die Anschwärzung und die vergleichende Werbung fasste. Siehe zudem unten Rn. 55. 66 Vgl. z.B. Nerreter S. 82; ebenso GK-UWG/Brandner/Bergmann § 1 Rn. A 3. Zur Abgrenzung siehe zudem GK-UWG/Dornis § 4 Nr. 3 Rn. 163. 67 Siehe unten Rn. 125 ff.
367
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
26
Darüber hinaus ist eine Abgrenzung im Hinblick auf die allgemeine Marktbehinderung erforderlich. Diese fällt weiterhin ausschließlich unter die Generalklausel des § 3 Abs. 1.68 Die allgemeine Marktbehinderung ist dadurch gekennzeichnet, dass sie sich nicht gegen individuell bestimmte Mitbewerber richtet, sondern eine allgemeine Störung des Wettbewerbs und der Marktverhältnisse bewirkt.
27
Die Fallgruppe der Marktstörung behandelte schon Hefermehl systematisch als eigenständige Gruppe der Unlauterkeit neben Irreleitungen, Ausbeutung, Behinderung, und Vorsprung durch Rechtsbruch.69 Sie wurde als Funktionsbeeinträchtigung im Vorfeld des Rechts gegen Wettbewerbsbeschränkungen beschrieben.70 Im Unterschied dazu handelt es sich bei der gezielten Behinderung um eine konkrete Schädigung von Mitbewerbern. Die Nähe zum Deliktsrecht ist erkennbar.71
3. Regelungszwecke: Strukturen und ökonomische Analyse. Die Spezialfälle der Mitbewerberbehinderung (siehe oben vorige Rnrn. 25 ff.) haben gemeinsam, dass die dort beschriebenen Verhaltensweisen einen anderen Marktteilnehmer beeinträchtigen. Ihnen ist ferner gemein – und das ist entscheidend – dass die eingesetzten Mittel nicht primär auf die Förderung der eigenen Leistung und den Erhalt oder Ausbau der eigenen Marktposition ausgerichtet sind. Alle Konstellationen der Behinderung weisen ein Element der gezielten Umleitung von Aufwand und Einsatz zur wettbewerbsfremden Beeinträchtigung eines anderen auf. Für den Tatbestand des § 4 Nr. 4 geht es folglich allgemein darum, die vorwiegend fremdschädigende und nicht mehr nur den eigenen Wettbewerb fördernde Tendenz einer Handlung festzustellen. Die Rechtsprechung bedient sich zu dieser Prüfung zweier „Faustformeln“.72 Eine unlautere Behinderung liegt nach Aufteilung dieser Faustformeln vor, wenn (1) 29 gezielt der Zweck verfolgt wird, den Mitbewerber an seiner Entfaltung zu hindern und ihn dadurch zu verdrängen, oder (2) die Behinderung (auch ohne Verdrängungstendenz) dazu führt, dass der beeinträchtigte Mitbewerber seine Leistung am Markt durch eigene Anstrengung nicht mehr in angemessener Weise zur Geltung bringen kann. Die Prüfung erfordert in beiden Fällen eine Gesamtwürdigung der Einzelumstände unter Abwägung der widerstreitenden Interessen der Beteiligten und des Wettbewerbs.73 Die erste Fallgruppe der gezielten Schädigung oder Verdrängung steht in der zi30 vilrechtlichen Tradition der actio de dolo,74 die schikanöses und ausschließlich fremdschädigendes Verhalten als Rechtsverletzung ansieht (vgl. §§ 226, 826 BGB).75 Der Kern der Unlauterkeit besteht in diesen Fällen in der bewussten Schädigung des Mitbewerbers 28
_____
68 So nicht nur die Gesetzesbegründung RegE UWG 2003, S. 19, sondern auch die allgemeine Ansicht, vgl. nur Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.2 und Rn. 4.12; MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 4 Rn. 1. Siehe zudem unten Rn. 303. 69 Hefermehl GRUR Int. 1983, 507, 510. 70 Ulmer GRUR 1977, 565, 577 („Präventivschutz gegenüber leistungsfremden Vermachtungstendenzen im Vorfeld (des GWB)“). 71 GK-UWG/Peifer2 § 4 Nr. 10 Rn. 29. Zur Abgrenzung der Bereiche siehe zudem oben Rn. 8 ff. und unten Rn. 44 ff. 72 Beater WRP 2011, 7, 8. 73 Vgl. z.B. nur BGH 21.2.2002 – I ZR 281/99 – GRUR 2002, 902 – Vanity-Nummer; BGH 17.5.2001 – I ZR 216/99 – BGHZ 148, 1 = GRUR 2001, 1061 – mitwohnzentrale.de; BGH 7.10.2009 – I ZR 150/07 – GRUR 2010, 346 Tz. 12 – Rufumleitung; BGH 15.1.2009 – I ZR 123/06 – GRUR 2009, 878 Tz. 13 – Fräsautomat; BGH 29.6.2010 – KZR 31/08 – MMR 2010, 786 Tz. 58 – GSM-Wandler; BGH 22.1.2014 – I ZR 164/12 – GRUR 2014, 393 Tz. 28 – wetteronline.de; BGH 30.4.2014 – I ZR 224/12 – GRUR 2014, 785 Tz. 23 – Flugvermittlung im Internet; BGH 12.3.2015 – I ZR 188/13 – GRUR 2015, 607 Tz. 16 – Uhrenankauf im Internet; BGH 23.6.2016 – I ZR 137/15 – GRUR 2017, 92 Tz. 16 – Fremdcoupon-Einlösung. 74 Dazu Kiss FS Zitelmann S. 1, 4. 75 Kohler S. 28; Nipperdey S. 12 f.; in jüngerer Zeit Gloy FS Gaedertz S. 209, 221.
Dornis
368
Gezielte Behinderung
§4
ohne eigenen Vorteil. Das entspricht der zivilrechtlichen Missbilligung unzulässiger Rechtsausübung (§§ 242, 226 BGB).76 Diese Regel kann als Relikt der deliktsrechtlichen Wurzeln des Lauterkeitsrechts erklärt werden.77 Bei genauer Betrachtung ist allerdings zu bezweifeln, ob es zur Feststellung eines derartigen Lauterkeitsverstoßes einer Abwägung der widerstreitenden Interessen bedarf. In der Regel fehlt es in Konstellationen dieser Art bereits an einem sachlich gerechtfertigten Grund zur Schädigung des Mitbewerbers.78 Die Unlauterkeit ist dann bereits mit der subjektiven Tatseite indiziert. Ob diese in erster Linie rechtsethische Wurzel des Behinderungstatbestandes noch eine Berechtigung hat, muss bezweifelt werden. Bereits Kohler war der Auffassung, dass eine Schädigung des Mitbewerbers wettbewerbseigen sei und daher ein Verhalten nicht allein deswegen unlauter werde, weil eine schädigende Motivation hinzukomme.79 Auch im modernen Schrifttum wird gefordert, die Wettbewerbswidrigkeit nicht von der Motivation des Handelnden abhängig zu machen.80 Die Rechtsprechung verabschiedet sich dennoch nur zögerlich von dieser Perspektive. Zwar soll bei einer Handlung, die eindeutig wettbewerbsgefährdend ist, der „subjektive Kenntnisstand des Handelnden ohne Bedeutung“ sein.81 Zudem soll der Tatbestand der individuellen Behinderung nicht „von subjektiven Erfordernissen, insbesondere einer auf die Behinderung gerichteten Absicht, abhängig sein.“82 Dennoch soll ein Verhalten, das nur der Schädigung dient, gerade aufgrund des Fehlens einer sonstigen Motivation als unlauter eingeordnet werden können.83
31
Die zweite Fallgruppe der Behinderung orientiert sich am allgemeinen Schutz- 32 zweck des Lauterkeitsrechts.84 Ziel ist die Regulierung des Marktverhaltens im Interesse eines freien und unverfälschten Wettbewerbs. In dieser Konstellation schützt der Tatbestand des Behinderungsverbotes nicht nur die Interessen der Mitbewerber, sondern auch und vor allem die der Marktteilnehmer auf der Gegenseite, nämlich der Abnehmer und Verbraucher. Diesen soll die Möglichkeit erhalten bleiben, konkurrierende Angebote von Mitbewerbern zur Kenntnis zu nehmen und sie in die eigene Auswahlentscheidung einzubeziehen. Im Zentrum der Beurteilung steht die Schiedsrichterfunktion der Abnehmer und Verbraucher. Die Beeinträchtigung der Freiheit der Mitbewerber zur Betätigung am Markt beschränkt zugleich auch die Freiheit der Marktgegenseite in der Ausübung ihrer für den Wettbewerbsprozess essentiellen Funktion als Schiedsrichter.85 Die unter den Behinderungstatbestand fallenden Konstellationen sind allerdings auch unter dieser modernen Perspektive nicht leicht zu beurteilen und nur schwer von lauterkeitsrechtlich zulässigen Verhaltensweisen abzugrenzen. Dennoch ermöglicht der Fokus auf das Marktgeschehen und die den Wettbewerb konstituierenden Entscheidungen der Abnehmer und Verbraucher eine verobjektivierte Beurteilung der Zulässigkeit und Unzulässigkeit. Für die Umsetzung mag es in der Praxis der Gerichte häufig an
_____
76 Vgl. z.B. RG 18.12.1931 – II 514/30 – RGZ 134, 342, 354; ferner OLG Frankfurt 12.4.2000 – 6 W 33/00 – WRP 2000, 645–647 – weideglueck.de; aus dem Schrifttum zudem z.B. aufschlussreich Nipperdey S. 12 f. 77 Siehe oben Rn. 8 ff. 78 So zutreffend GK-UWG/Peifer2 § 4 Nr. 4 Rn. 33. 79 Kohler S. 28. 80 Beater Rn. 1019 und 1156. 81 BGH 11.1.2007 – I ZR 96/04 – BGHZ 171, 73 = GRUR 2007, 800 Tz. 21 – Außendienstmitarbeiter; BGH 30.3.2006 – I ZR 144/03 – GRUR 2006, 596 Tz. 22 – 10% billiger. 82 BGH 11.1.2007 – I ZR 96/04 – BGHZ 171, 73 = GRUR 2007, 800 Tz. 22 – Außendienstmitarbeiter. 83 Siehe oben Rn. 28 ff. und unten Rn. 77 ff. Zur Irrelevanz subjektiver Faktoren im ökonomischen Wettbewerbsmodell siehe zudem GK-UWG/Dornis3 § 4 Nr. 3 Rn. 84 f. 84 Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn 17. 85 Zur Schiedsrichterfunktion siehe z.B. Micklitz/Keßler GRUR Int. 2002, 885, 890; zuvor bereits Böhm S. 260 ff.; ausführlich (auch rechtsvergleichend) Dornis S. 280 ff.
369
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
umfassenden Informationen über die Marktbedingungen und sonstigen relevanten Umstände fehlen. Jedenfalls im Vergleich zur Abgrenzung nach den obsoleten Kategorien des Leistungs- und Behinderungswettbewerbs oder auf der Grundlage rechtsethischer Erwägungen erweist sich die Ausrichtung an den Wettbewerbsfunktionen aber durchaus als Fortschritt. Die Überlagerung des nach wie vor geltenden Paradigmas eines individuell ori33 entierten Mitbewerberschutzes durch moderne marktfunktionsorientierte Schutzzwecke wirft Abgrenzungsfragen auf. Der Gesetzgeber wollte mit der Modernisierung des UWG im Jahr 2004 nichts am individualrechtlich konzipierten Schutzkonzept des Mitbewerberschutzes ändern. Die Reform 2008 verpflichtete ausschließlich zur Vollharmonisierung im Bereich der Unternehmer-Verbraucher-Beziehungen. Und auch bei nachfolgenden Reformen waren inhaltliche Veränderungen nicht beabsichtigt.86 Daher bildet der genuin individuell orientierte Mitbewerberschutz unverändert ein wesentliches Standbein der UWG-Schutzzwecke. Die zunehmend marktfunktionsorientierte Ausrichtung des Lauterkeitsrechts hat darum kaum zu einer Begrenzung der tatbestandlichen Reichweite des § 4 Nr. 4 geführt. Zwar wird ein more economic approach auch für das Lauterkeitsrecht diskutiert.87 Dabei stellt sich unter anderem die Frage, ob und inwieweit eine Schädigung der Güter und Interessen eines Mitbewerbers hingenommen werden sollte, wenn die Marktgegenseite oder die Allgemeinheit von diesem Verhalten profitieren. Der originär deliktsrechtliche und individuell orientierte Fokus des § 4 Nr. 4 steht einer kosten-nutzen-basierten Beantwortung aber im Weg.88 Trotz dieser konzeptionellen Hindernisse erweist sich eine marktfunktionsorientierte Betrachtung als einzig erfolgversprechender Ausgangspunkt für die Strukturierung des Behinderungstatbestandes. Sie erfordert die klare Benennung und bereitet damit auch den Weg zur sinnvollen Abgrenzung der Schutzzwecke und der Schutzbereiche der Norm auf der Grundlage einer Unterteilung der relevanten Fallkonstellationen in Eingriffe mit und ohne unmittelbaren Marktbezug. 34 Für die Abgrenzung von Eingriffen mit und ohne unmittelbaren Marktbezug und die daran anknüpfende Kategorisierung der Fallgruppen (auf der Vertikal- und der Horizontalebene zwischen den Mitbewerbern)89 erweist sich das ökonomische Konzept der sogenannten Externalitäten als hilfreiche Leitlinie.90 Der Begriff der Externalität (auch externer Effekt) ist allgemein definiert als die unfreiwillige und nicht-zufällige Anlastung von Kosten bei Dritten oder als die Nutzung von Gütern durch Dritte ohne eine dafür geleistete Zahlung oder einen Ausgleich.91 Weiter wird nach der Zielrichtung einer das Anfallen von Externalitäten verursachenden Handlung oder Aktivität differenziert: Beeinflusst ein Akteur die Produktion oder den Absatz eines Mitbewerbers durch unmittelbaren Eingriff in dessen Betriebsabläufe (z.B. durch Sabotage), liegt eine technologische Externalität vor. Der Eingriff in den zugewiesenen Eigentumsbereich ist dann unmittelbar. Bewirkt der Handelnde bei seinem Mitbewerber eine Absenkung des Preises, eine Erhöhung der Inputpreise oder eine sonstige Veränderungen der Betriebspara-
_____
86 Siehe oben Rn. 4 f. 87 Vgl. etwa Gloy/Loschelder/Leistner § 4 Rn. 16 m.w.N.; zur Entwicklung zudem Dornis S. 273 ff. 88 Siehe z.B. GK-UWG/Peifer2 § 4 Nr. 10 Rn. 88. Siehe zudem oben Rn. 8 ff. 89 Zur Unterscheidung der Horizontal- und der Vertikalbeziehungen und die daran ausgerichtete Aufteilung der Fallgruppen siehe unten Rn. 67 ff. 90 Vgl. zu Externalitäten grundlegend z.B. Demsetz 57 Am. Econ. Rev. 347, 350 (1967); für die immaterialgüterrechtliche Analyse auf der Grundlage einer Externalitätentheorie siehe z.B. Frischmann/Lemley 107 Colum. L. Rev. 257, 265 (2007); Harrison 13 J. Intell. Prop. L. 1 (2005); Barnes 10 Yale J. L. & Tech. 1 (2007). 91 Siehe grundlegend Buchanan/Stubblebine Externality, in: Economica 29 (1962), 371 ff.
Dornis
370
Gezielte Behinderung
§4
meter hingegen lediglich durch sein Verhalten am Markt und damit über das Marktgeschehen, so handelt es sich um eine pekuniäre Externalität.92 In diesem Fall vollzieht sich kein unmittelbarer Eingriff in einen exklusiv dem Mitbewerber zugewiesenen Bereich von Rechten und Interessen. Im Unterschied zu den technologischen Externalitäten werden pekuniäre Externalitäten als Folge funktionierender Märkte beschrieben. Anders als die technologischen Externalitäten begründen sie kein Marktversagen. Nach der ökonomischen Theorie soll darum auch nur bei Vorliegen technologischer Externalitäten regulierend eingegriffen werden.93 Im Schrifttum wird der Unterschied zwischen technologischen und pekuniären Externalitäten eingängig am Beispiel konkurrierender Tankstellen beschrieben: Um eine technologische Externalität handelt es sich bei Beschädigung der Zapfsäulen oder sonstiger Betriebseinrichtungen eines Mitbewerbers. Dabei wird außerhalb des Marktgeschehens unmittelbar auf die Produktion eingewirkt. Ein allein auf den Wettbewerb im Markt zurückzuführender Umsatzrückgang, so z.B. im Rahmen des Wettkampfes auf der Grundlage von Qualität und Preis, ist hingegen als pekuniäre Externalität einzuordnen.94
35
Für Fälle eines direkten Eingriffs in die Betriebssphäre oder Betriebsabläufe ei- 36 nes Mitbewerbers steht das noch bürgerlich-rechtlich verwurzelte Modell des Individualschutzes mit der ökonomischen Theorie weitgehend in Einklang. Insoweit gilt, dass die Schädigung eines Mitbewerbers nicht erst dann „regulierungsbedürftig“ ist, wenn daraus zugleich eine unmittelbare Marktauswirkung resultiert. Ein Eingreifen des Gesetzgebers ist vielmehr bereits durch die Beeinträchtigung einer Eigentumsposition (property right) als solches indiziert. Typische Beispiele für derartige Eingriffe finden sich in Fallgruppen der individualbezogenen Behinderung, bei denen der Handelnde schädigend auf Einrichtungen, Strukturen oder Abläufe im Betrieb eines Mitbewerbers einwirkt.95 Die Einwirkung erfolgt jeweils nicht über eine Aktivität am Markt und ist darum nicht als natürliche Folge des Wettbewerbs anzusehen. Sie richtet sich unmittelbar gegen Gegenstände, Rechtspositionen oder Interessen, die dem Wettbewerb und Marktgeschehen entzogen sind. Das gesetzgeberische Ziel bei der Regulierung technologischer Externalitäten ist eine Internalisierung in der Form, dass der Handelnde die von ihm verursachten Kosten zu tragen hat.96 Gelingt dieser Ausgleich, sind nach der ökonomischen Theorie die Voraussetzungen für effizienten Wettbewerb und einen funktionierenden Markt gegeben: das individuelle Interesse an einer Maximierung des privaten Nutzens ist im Gleichlauf mit dem Interesse der Allgemeinheit an einer Maximierung der Gesamtwohlfahrt.97 Schwieriger in Einklang zu bringen sind die traditionelle Schutzzweckpluralität des 37 UWG und das ökonomische Modell in Fällen eines Eingriffs in die wirtschaftliche Handlungsfreiheit eines Mitbewerbers, mit dem nicht zugleich auch eine unmittelbare Beeinträchtigung von property rights (in Form eines Substanzeingriffs oder eines Eingriffs in betriebliche Abläufe) einhergeht. In einigen Fällen ist die Einwirkung auf den
_____
92 Scitovsky J. Pol. Econ. 62 (1954), 143 ff. Ferner zudem z.B. Holcombe/Sobel Pub. Finan. Rev. 29 (2001), 304 ff. 93 Siehe z.B. allgemein Mishan J. Econ. Lit. 9 (1971) 1 ff.; ausführlich überdies z.B. Frischmann/Lemley 107 Colum. L. Rev. 257, 262 ff. (2007). 94 So instruktiv Posner § 1.1. 95 Siehe zu diesen Fallgruppen unten Rn. 98 ff. 96 Bei negativen Externalitäten geht es um die Kostentragung für Eingriffe in Eigentumspositionen (property rights). Bei positiven Externalitäten wird der von einem anderen durch einen Eingriff gezogene Nutzen durch Erstattung ausgeglichen. 97 Siehe z.B. Cooter/Ulen S. 154 f.; Frischmann/Lemley 107 Colum. L. Rev. 257, 265 (2007).
371
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
Mitbewerber als eine prima facie pekuniär zu beschreibende Externalität einzuordnen: Sofern eine Behinderung ihre Wirkungen erst als Folge der Entscheidungsfindung von Akteuren auf der Marktgegenseite entfaltet, kann nicht ohne weiteres von einer technologischen Externalität und damit der Indikation eines regulierenden Eingriffs durch das Lauterkeitsrecht ausgegangen werden.98 Vollzieht sich eine Behinderung jedenfalls auch über das Marktgeschehen, ist grundsätzlich in beide Richtungen weiter zu ermitteln. Hält sich das beanstandete Verhalten im Rahmen des durch das Paradigma einer freien und unmanipulierten Entscheidungsfindung auf der Marktgegenseite vorgegebenen Maßstabes, liegt eine nicht zu regulierende Erscheinung des freien Wettbewerbs im Sinne einer pekuniären Externalität vor. Erst wenn die Schiedsrichterfunktion der Marktgegenseite gestört ist, kann auch insoweit eine zu regulierende technologische Externalität angenommen werden. 38
Als Beispiele für pekuniäre Externalitäten (und damit nicht regulierungsbedürftige Handlungen) sind etwa zu nennen das Abwerben oder Abfangen von Mitarbeitern oder Kunden ohne manipulierende Einwirkung auf die freie Entscheidung sowie ohne sonstigen Eingriff in den Betrieb der Gegenseite.99 Ebenfalls lediglich als pekuniäre Externalitäten anzusehen sind die Auswirkungen eines ohne Manipulation der Entscheidungsprozesse auf der Marktgegenseite bewirkten „Kommunikationswettbewerbs“ in Form einer Nutzung von Gattungsbezeichnungen als Domains oder bei der nicht irreführenden Beeinflussung der Ergebnisse von Internet-Suchmechanismen.100 Schließlich fallen Konstellationen des Preisund Konditionenwettbewerbs (soweit nicht durch Markmacht verschoben) in die Kategorie der Handlungen, die lediglich pekuniäre Externalitäten nach sich ziehen.101
39
4. Anspruchsberechtigung. Der als vorrangig individual- und mitbewerberschützend verstandene Charakter des Tatbestandes hat schließlich auch Auswirkungen auf die Frage, wer gegen eine gezielte Behinderung vorgehen kann. Dabei wird überwiegend vertreten, dass nur der betroffene Mitbewerber selbst anspruchsberechtigt sein könne. Dies gelte jedenfalls dann, wenn ausschließlich die individuellen Interessen des Mitbewerbers betroffen sind.102 Weil die Entscheidung über ein Vorgehen gegen gezielte Behinderungen allein in der Entscheidungsmacht des Mitbewerbers liegen dürfe, sei eine teleologische Reduktion des § 8 Abs. 3 geboten.103 Anders sei nur bei Beeinträchtigung weiterer Interessen, z.B. der Verbraucher, und der Verletzung zusätzlicher Tatbestände (z.B. §§ 4a, 5, 5a) zu entscheiden.104 Dieser Ansicht ist nicht zu folgen.105 Gerade in den Grenzbereichen zum Kartellrecht wird erkennbar, dass die Begrenzung der Anspruchsberechtigung die prozessuale Durchsetzung von Ansprüchen und damit die Effektivität der Marktverhaltenskontrolle erheblich einschränkt. In der Praxis sind Konstellationen einer Waffenungleichheit zwischen den Mitbewerbern (etwa aufgrund vorhandener Abhängigkeiten) keine Seltenheit und verlangen eine Ausweitung des Krei-
_____
98 Siehe oben Rn. 34 f. 99 Siehe zu diesen Fallgruppen unten Rn. 176 ff. 100 Siehe zu diesen Fallgruppen unten Rn. 223 ff. 101 Siehe zu diesen Fallgruppen unten Rn. 287 ff. 102 BGH 28.10.2010 – I ZR 174/08 – GRUR 2011, 543 Tz. 8 – Änderung der Voreinstellung III; BGH 2.10.2008 – I ZR 48/06 – GRUR 2009, 416 Tz. 22 – Küchentiefstpreis-Garantie; Beater Rn. 1680; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.219; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 29. 103 juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 29. 104 BGH 28.10.2010 – I ZR 174/08 – GRUR 2011, 543 Tz. 8 – Änderung der Voreinstellung III; BGH 2.10.2008 – I ZR 48/06 – GRUR 2009, 416 Tz. 22 – Küchentiefstpreis-Garantie; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.219; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 29. 105 So auch zutreffend MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 170.
Dornis
372
Gezielte Behinderung
§4
ses der Anspruchs- und Klageberechtigten.106 So darf die Anspruchsberechtigung der Berufsverbände nicht eingeschränkt werden. Diese müssen befugt sein, gezielte Behinderungen ihrer Mitglieder abzuwehren. Vor allem Fälle des „Anzapfens“ haben gezeigt, dass Markenartikelverbände durchaus ein Interesse daran haben können, gegen die Behinderung ihrer Mitglieder durch Einzelhandelsmärkte vorzugehen.107 Eine individuelle Behinderung kann in der Gesamtbetrachtung, vor allem mit Blick auf Gefahren der Nachahmung, dazu geeignet sein, auch die kollektiven Interessen der Verbandsmitglieder zu beeinträchtigen.108 Schließlich ist zu beachten, dass jede Behinderung der Entfaltungsmöglichkeiten eines Mitbewerbers unmittelbar die Auswahlmöglichkeiten und damit den Entscheidungsprozess der Marktteilnehmer auf der Gegenseite beschränkt und beeinträchtigt.109 Im Ergebnis droht damit auch eine Verzerrung des Wettbewerbs zu Lasten der anderen Marktteilnehmer. Im Hinblick auf die Verbraucher geht es sowohl um eine Verknappung des Angebots als auch um eine Erhöhung der Preise. Deshalb müssen auch Verbraucherverbände gegen behindernde Praktiken vorgehen können.110 IV. Anwendungsbereich und Abgrenzungen Viele Konstellationen einer individuellen Beeinträchtigung von Mitbewerbern kön- 40 nen – neben der Beurteilung als gezielte Behinderung nach § 4 Nr. 4 – zudem als Tatbestände einer Vertragsverletzung oder einer deliktischen Schädigung eingeordnet werden. Zudem kann die gezielte Behinderung eines Mitbewerbers weitere Tatbestände des UWG oder des Kartellrechts verwirklichen. In diesen Fällen ist eine Abgrenzung der Anwendungsbereiche, vor allem aber eine Bestimmung der tatbestandlichen Konkurrenzen gefordert. 1. Bürgerliches Recht a) Vertragsrecht. Ein Lauterkeitsverstoß kann darin liegen, dass auf die Vertrags- 41 beziehungen eines Mitbewerbers eingewirkt wird.111 Das kann Fälle der Verleitung zu einer Vertragsverletzung umfassen, aber auch Konstellationen der Ausnutzung einer solchen.112 Die Vertragsverletzung als solche ist allerdings nicht als Behinderung einzuordnen. Sie kann zwar geschäftliche Handlung sein (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 1). Als Vertragsverletzung gegenüber einem Kunden oder Zulieferer ist sie jedoch selbst grundsätzlich noch keine Behinderung im Sinne des UWG. Erst wenn die konsequente Fortsetzung von Vertragsverletzungen (z.B. die Verweigerung oder Verzögerung der Bearbeitung von Kündigungen) dazu führt, dass der Mitbewerber seine eigene Leistung nicht absetzen kann, liegt in der daraus resultierenden Auswirkung auf den Wettbewerb eine gezielte Behinderung nach § 4 Nr. 4.113 Die Vertragsverletzung ist dann aber nur das Mittel zur Behinderung, nicht die Behinderung selbst.
_____
106 Vgl. insoweit zu § 8 Abs. 3 auch oben GK-UWG/Dornis § 4 Nr. 3 Rn. 278 ff. 107 Vgl. BGH 17.12.1976 – I ZR 77/75 – GRUR 1977, 619 – Eintrittsgeld. 108 So auch OLG Frankfurt/Main 6.3.2014 – 6 U 246/13 – GRUR-RS 2014, 08610. 109 Siehe oben Rn. 37. 110 So auch im Ergebnis MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 170; juris-PK/Müller-Bidinger/Seichter3 § 4 Nr. 10 Rn. 19. 111 Vgl. z.B. nur BGH 23.6.2016 – I ZR 137/15 – GRUR 2017, 92 Tz. 16 ff. – Fremdcoupon-Einlösung; zudem umfassend z.B. GK-UWG/Peifer2 § 4 Nr. 10 Rn. 44 ff. 112 Siehe unten Rn. 176 ff. 113 Vgl. BGH 29.3.2007 – I ZR 164/04 – GRUR 2007, 987 Tz. 32 – Änderung der Voreinstellung I.
373
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
42
Für die Fallgruppe der Einwirkung auf Vertragsverhältnisse ist anerkannt, dass die Ausnutzung fremden Vertragsbruchs grundsätzlich nicht als unlauter anzusehen ist.114 Das gilt auch für das Ausnutzen von Verstößen gegen selektive und Direktvertriebssysteme115 und für das Abwerben von Mitarbeitern.116 Auch das Abwerben von Kunden ist grundsätzlich nicht unlauter. Ein Marktteilnehmer darf insoweit zu allen legalen Mitteln einer Vertragsbeendigung raten, sogar bei der Kündigung helfen117 oder die Kosten einer legalen Vertragsbeendigung für den Abgeworbenen übernehmen.118 Die Grenze zur Unlauterkeit ist nach herrschender Ansicht allerdings überschritten, wenn durch aktives Tätigwerden zum Vertragsbruch verleitet wird. Dies kann durch Anstiftung aber auch bereits durch Bestärkung eines bereits gefassten Entschlusses erfolgen.119 Konstellationen des Verleitens oder des Abwerbens können zusätzlich weitere 43 Tatbestände des UWG erfüllen, z.B. wenn der Vertragsbruch des Kunden, Mitarbeiters oder Abnehmers durch Irreführung (§§ 5, 5a), durch aggressive Einwirkung auf die Entscheidungsfreiheit (§ 4a Abs. 1) oder durch Belästigung (§ 7) erreicht wird. Der Behinderungstatbestand soll dann als subsidiär zurücktreten.120 44
b) Deliktsrecht. Aus der historischen Entwicklung heraus erklärt sich die Schaffung des Tatbestandes der Behinderung als ein Instrument zur Lückenfüllung in Fällen, die vor Inkrafttreten des UWG 1909 und auch vor Inkrafttreten des BGB 1900 dem zivilrechtlichen Unternehmensschutz zugeordnet waren.121 Ohne lauterkeitsrechtlichen Schutz waren Konstellationen wie Boykott, Diskriminierung, Bestreikung, Schutzrechtsverwarnung, Verwässerung berühmter Marken und ähnliche Fälle nicht wirksam bekämpfbar. Das Inkrafttreten des BGB 1900 konnte die Schutzlücken nicht füllen, weil sein Schutzansatz das Vermögen und Geschäftschancen als Schutzgüter entweder ausklammerte (§ 823 Abs. 1 BGB)122 oder aber hohe (subjektive) Anforderungen stellte (§ 826 BGB). Bereits vor Inkrafttreten des UWG 1909 half die Rechtsprechung darum mit dem gewohnheitsrechtlich entwickelten Instrument des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb.123 Der Tatbestand griff vor allem in Fällen der unberechtigten Schutzrechtsverwarnung124 und der Verteidigung berühmter Kennzei-
_____
114 BGH 16.3.2006 – I ZR 92/03 – GRUR 2006, 829 Tz. 12 – Flüssiggastank; Peifer GedS U. Hübner S. 411, 413. Siehe unten Rn. 176 ff. 115 BGH 11.1.2007 – I ZR 96/04 – BGHZ 171, 73 = GRUR 2007, 800 Tz. 19 – Außendienstmitarbeiter; vorher bereits BGH 15.7.1999 – I ZR 130/96 – GRUR 1999, 1113 –Außenseiteranspruch; BGH 15.7.1999 – I ZR 14/97 – BGHZ 142, 192, 201 = GRUR 1999, 1109, 1112 – Entfernung der Herstellungsnummer; BGH 1.12.1999 – I ZR 130/96 – BGHZ 143, 232 = GRUR 2000, 724 – Außenseiteranspruch II. Siehe unten Rn. 196 ff. 116 BGH 11.1.2007 – I ZR 96/04 – BGHZ 171, 73 = GRUR 2007, 800 Tz. 15 – Außendienstmitarbeiter. 117 BGH 7.4.2005 – I ZR 140/02 – GRUR 2005, 603, 604 – Kündigungshilfe. Siehe unten Rn. 194. 118 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.43; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/56. Siehe unten Rn. 194. 119 BGH 11.1.2007 – I ZR 96/04 – BGHZ 171, 73 = GRUR 2007, 800 Tz. 14 – Außendienstmitarbeiter; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 21; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 36; Harte/Henning/Brüning/Ahrens Einl. F Rn. 141. 120 Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/13; GK-UWG/Peifer2 § 4 Nr. 10 Rn. 46. 121 Vgl. Preusche S. 63; Schrauder S. 224 f.; zudem oben Rn. 8 ff. 122 Zum Versuch der Anerkennung des Unternehmens als Rechtsgegenstand Isay S. 21; Brecher S. 130; Forkel FS Neumayer S. 229, 245; Hubmann ZHR 117 (1955) 41; dagegen bereits Michaelis S. 48 ff., 92; von Caemmerer FS 100 Jahre DJT S. 49, 89. 123 RG 27.10.1888 – I 228/88 – RGZ 22, 93, 96 (Abmahnung aus behauptetem Markenrecht). 124 RG 27.2.1904 – 418/03 – RGZ 58, 24 – Jutefaser (Klage gegen unberechtigte Schutzrechtsberühmung und darauf folgende unberechtigte Abmahnung); BGH 11.12.1973 – BGHZ 62, 29 = GRUR 1974, 290 – Maschenfester Strumpf; BGH 5.11.1962 – I ZR 39/61 – BGHZ 38, 200 = GRUR 1963, 255 – Kindernähmaschinen; BGH 4.5.1954 – I ZR 149/52 – BGHZ 13, 210 = GRUR 1954, 391 – Prallmühle; BGH 15.6.1951 – I ZR 59/50 – BGHZ 2, 387 = GRUR 1951, 452 – Mülltonnen.
Dornis
374
Gezielte Behinderung
§4
chen,125 bei rechtswidrigen Streiks,126 Blockaden127 und Boykottaufrufen128 sowie bei Gewerbekritik durch Werturteile129 oder übermäßig scharf herausgestellte Tatsachendarstellungen.130 Die Voraussetzungen des § 4 Nr. 4 stimmen darum auch weitgehend mit denen zum Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs durch § 823 Abs. 1 BGB überein: Das Erfordernis des „gezielten“ Vorgehens entspricht dem des betriebsbezogenen Eingriffs.131 Auch verlangt § 823 Abs. 1 BGB die Gesamtabwägung der konfligierenden Interessen zweier Akteure (Behindernder und Behinderter), weil das Recht am Unternehmen ein Rahmenrecht ist, bei dem die Verletzungshandlung nicht bereits die Rechtswidrigkeit indiziert, sondern diese positiv (durch eine Gesamtabwägung) festgestellt werden muss.132 Da das Recht am Unternehmen sowohl geschäftliche als auch sonstige Handlungen schützt, wird vereinzelt gefordert, die Fallgruppe des § 4 Nr. 4 in das BGB zurückzuführen.133 Wenngleich sich auf der Ebene der Tatbestandsvoraussetzungen hieraus keine grundstürzenden Veränderungen ergeben würden, wären doch Änderungen bei den Rechtsfolgen und im Prozess zu beachten. Gegen eine Rückverlagerung in das BGB spricht vor allem, dass der effektive Schutz des lauterkeitsrechtlichen Instrumentariums verloren ginge. Zu den Vorteilen des UWG-Schutzes gehören unter anderem die Klagebefugnis für Verbände (§ 8 Abs. 3 Nr. 2),134 die negatorische Haftung des Unternehmensinhabers für seine Mitarbeiter und Beauftragten (§ 8 Abs. 2)135 und die erleichterten Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung (§ 12 Abs. 2).136
45
46
Nach ganz überwiegender Ansicht verdrängen die UWG-Vorschriften zur Abwehr 47 gezielter Behinderungen den Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB für den Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes.137 Ansprüche aus der Verletzung anderer nach § 823 Abs. 1 und Abs. 2 BGB geschützter Rechte und Rechtsgüter stehen mit den UWG-Ansprüchen hingegen in Konkurrenz.138 Die unberechtigte Schutzrechtsverwarnung wird zudem ungeachtet einer möglichen Anwendbarkeit des § 4 Nr. 4 nach den Grundsätzen des Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb beur-
_____
125 BGH 6.12.1990 – BGHZ 113, 115 = GRUR 1991, 609 – SL und OLG Hamburg 12.9.1997 – 3 U 202/97 – NJW-RR 1998, 552. 126 Vgl. bereits RG 29.5.1902 – VI 50/02 – RGZ 51, 369. 127 BGH 30.5.1972 – VI ZR 6/71 – BGHZ 59, 30. 128 BGH 29.1.1985 – VI ZR 130/83 – GRUR 1985, 470 – Mietboykott; BGH 7.2.1984 – VI ZR 193/82 – BGHZ 90, 113; BGH 13.11.1979 – KZR 1/79 – GRUR 1980, 242 – Denkzettel-Aktion; OLG Düsseldorf 19.11.1996 – U Kart 14/96 – NJW-RR 1997, 1045. 129 BGH 25.11.1986 – VI ZR 269/85 – GRUR 1987, 187 – ANTISEPTICA; BGH 18.12.1962 – VI ZR 220/61 – GRUR 1963, 277 – Maris. 130 OLG München 9.7.1993 – 21 U 6720/92 – NJW 1994, 1964, 1965 – Pygmäen-Lokal; OLG Frankfurt 24.11.1989 – 6 W 122/89 – NJW 1990, 2002. 131 BGH 8.6.1976 – VI ZR 50/75 – BGHZ 66, 388, 393 – Stromunterbrechung; BGH 9.12.1958 – VI ZR 199/ 57 – BGHZ 29, 65, 74; GK-UWG/Peifer2 § 4 Nr. 10 Rn. 50. 132 Allg. A., vgl. nur Buchner S. 115; GK-UWG/Peifer2 § 4 Nr. 10 Rn. 50. 133 Vgl. hierzu GK-UWG/Peifer2 § 4 Nr. 10 Rn. 50. 134 Vgl. BGH 26.6.1997 – I ZR 53/95 – GRUR 1998, 498, 499 – Fachliche Empfehlung III; BGH 11.7.1996 – I ZR 183/93 – GRUR 1997, 145, 146 – Preisrätselgewinnauslobung IV; OLG Köln 30.10.1996 – 6 U 185/95 – GRUR 1997, 316, 317; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 3.4. 135 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.23. 136 Beier GRUR Int. 1984, 61, 62. 137 OLG Köln 10.2.2012 – 6 U 187/11 – MMR 2012, 462, 463; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.23; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/18; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 6; Harte/Henning/ Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 8; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 16; Götting/Nordemann/Wirtz § 4 Nr. 4 Rn. 4.10. 138 So zutreffend MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 6; a.A. GK-UWG/Schünemann Einf. Rn. E 70, 74.
375
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
teilt.139 Für die Verjährung ist zu beachten, dass die kurze Verjährungsfrist (§ 11) auch für konkurrierende deliktische Ansprüche gilt.140 Soweit eine gezielte Behinderung des Konkurrenten darin gesehen wird, dass das 48 einzige oder das vorherrschende Motiv des Handelnden darin liegt, den Mitbewerber zu schädigen, liegen regelmäßig auch die Voraussetzungen des § 826 BGB vor.141 Der zivilrechtliche und der lauterkeitsrechtliche Tatbestand sollen in diesen Fällen konkurrierend zur Anwendung kommen.142 2. Lauterkeitsrecht 49
a) Rechtsbruch (§ 3a). Der Behinderungstatbestand des § 4 Nr. 4 kann sich im Anwendungsbereich mit dem Rechtsbruchtatbestand des § 3a überschneiden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das im Rechtsbruchtatbestand betroffene Verbot auch dem Schutz der Mitbewerber dient. Ein Verstoß gegen Marktverhaltensnormen, z.B. wenn der Zugang zu Infrastruktureinrichtungen verweigert wird, zu denen aus gesetzlichen Gründen Zugang zu gewähren ist, kann sowohl Rechtsbruch im Sinne des § 3a als auch Behinderung nach § 4 Nr. 4 sein.143 Der Unterschied zwischen Rechtsbruch und Behinderung liegt darin, dass die Beachtung von Rechtsvorschriften, die im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten regeln, ganz allgemein auf die Gleichheit der Wettbewerbschancen abzielt (par condicio concurrentium). Die Schädigung eines konkreten Mitbewerbers ist darum bei § 3a im Unterschied zu § 4 Nr. 4 nicht gefordert.
b) Aggressive geschäftliche Handlungen, Irreführung und unzumutbare Belästigung (§§ 4a, 5, 5a und 7). Das Verbot der gezielten Behinderung betrifft das horizontale Verhältnis unter Mitbewerbern, die Vorschriften der §§ 4a, 5, 5a und 7 beziehen sich dagegen auf die vertikale Beziehung zu Lieferanten, Abnehmern und Verbrauchern als den Marktteilnehmern auf der Gegenseite.144 Der Schutz der Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer kann nicht direkt über § 4 Nr. 4 erfolgen. Insoweit sind die Vorschriften der §§ 4a, 5, 5a und 7 stets unabhängig und damit jedenfalls grundsätzlich in Konkurrenz zum Behinderungstatbestand anwendbar.145 Für das Abfangen und Ausspannen von Kunden ist nach der Art und Weise des 51 Vorgehens zu unterscheiden. Eine Maßnahme ist dabei nicht schon deshalb als unlauter anzusehen, weil sie sich auf den Absatz des Mitbewerbers nachteilig auswirken kann. Die Einordnung als unlautere Behinderung kommt erst dann in Betracht, wenn das Verhalten auf die Verdrängung des Mitbewerbers abzielt oder den Kunden unzumutbar be-
50
_____
139 Vgl. BGH (GSZ) 15.7.2005 – GSZ 1/04 – GRUR 2005, 882, 883 f. – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung; BGH 1.12.2015 – X ZR 170/12 – GRUR 2016, 630 Tz. 15 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung II; siehe überdies z.B. auch Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 16. 140 BGH 22.12.1961 – I ZR 152/59 – BGHZ 36, 252 = GRUR 1962, 310, 313 f. – Gründerbildnis; zudem Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.23. 141 Emmerich FS Erdmann S. 561, 569. 142 Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/18; Götting/Nordemann/Wirtz § 4 Nr. 4 Rn. 4.10; a.A. (§ 4 Nr. 4 ist vorrangig) GK-UWG/Peifer2 § 4 Nr. 10 Rn. 53. 143 BGH 29.6.2010 – KZR 24/08 – K&R 2010, 586 = GRUR Int. 2011, 165 Tz. 26 – GSM-Wandler (Behinderungsmissbrauch durch Geschäfts- oder Lieferungsverweigerung); OLG Hamburg 28.5.2009 –3 U 191/08 – MMR 2010, 178 (Verweigerung des Zugangs zu Flugbuchungsdienstleistungen). 144 Vgl. BGH 5.2.2009 – I ZR 119/06 – GRUR 2009, 876 Tz. 26 – Änderung der Voreinstellung II; zudem z.B. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.14, Rn. 4.17 und Rn. 4.25 ff. 145 So auch zutreffend Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 6 und 7; a.A. aber z.B. Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/13; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 12; GK-UWG/Peifer2 § 4 Nr. 10 Rn. 61; Götting/Nordemann/ Wirtz § 4 Nr. 4 Rn. 4.11.
Dornis
376
Gezielte Behinderung
§4
lästigt oder unangemessen unsachlich beeinflusst. Die Rechtsprechung sieht eine Behinderung nach § 4 Nr. 4 dementsprechend insbesondere dann als gegeben, wenn in unangemessener Weise auf die Kunden eingewirkt wird.146 Dies kann in Form einer unzumutbaren Belästigung (§ 7), durch aggressive Beeinflussung (§ 4a) oder durch Irreführung (§§ 5, 5a) erfolgen.147 Auch die Ausübung von unangemessenem unsachlichem Einfluss durch missbräuchliche Ausübung von Nachfragemacht, etwa durch die Erzwingung von Regalmieten oder Kostenbeiträgen gegenüber Herstellern im Lebensmittelhandel („Anzapfen“), fällt nach allgemeiner Ansicht unter § 4a.148 Soweit die missbräuchliche Ausübung von Nachfragemacht oder das unange- 52 messene Einwirken auf Lieferanten, Abnehmer, Kunden und Verbraucher das Mittel zur Behinderung von Mitbewerbern ist, soll nach umstrittener aber zutreffender Meinung im Einsatz solcher im Vertikalverhältnis als unlauter anzusehender Mittel neben den Tatbeständen der §§ 4a ff. auch eine Behinderung im horizontalen Verhältnis der Mitbewerber untereinander gegeben sein und damit der Tatbestand des § 4 Nr. 4 verwirklicht werden können.149 Zwar können die meisten Tatbestände der §§ 4 ff. nicht in Bezug auf einzelne Schutzsubjekte und Regelungszwecke aufgespalten werden. Die daraus resultierende getrennte Beurteilung der in Frage kommenden Tatbestände führt aber als solches noch nicht zu einem Zurücktreten des Behinderungstatbestandes im Wege der Spezialität oder Subsidiarität. Eine Täuschung oder aggressive geschäftliche Handlung gegenüber Abnehmern und Verbrauchern kann darum zugleich auch gezielte Behinderung von Mitbewerbern sein. Durch die Einwirkung auf die Marktgegenseite werden nicht nur deren Entscheidungsparameter verfälscht. Zugleich besteht die Gefahr, dass sich der Handelnde damit einen unlauteren Vorsprung im Wettbewerb mit potentiell behindernden Auswirkungen verschafft. Die Überlagerung der Schutzzwecke ist Folge der historischen Entwicklung des Lauterkeitsrechts von einer individualschützenden zur marktregulierenden Materie. Sämtliche mit der Zeit hinzugekommenen Schutzzwecke ergänzen den Individualschutz, sie ersetzen ihn aber nicht.150 Ein Verhältnis der Spezialität oder Subsidiarität muss darum gerade nicht postuliert werden.151 Der Gefahr einer unangemessenen Einschränkung von Liberalisierungsten- 53 denzen im Gewande des Behinderungstatbestandes, etwa im Hinblick auf die neuere Rechtsprechung zum übermäßigen Anlocken, kann durch eine Orientierung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 4 Nr. 4 an den modernen Regelungszwecken des Lauterkeitsrechts begegnet werden.152 Sieht man darum etwa eine Gratiszugabe zu einem Presseprodukt als nicht übermäßig anlockend an, dann kann der Umstand, dass durch den Einsatz solcher Zugaben Kunden von einem Mitbewerber abgeworben werden
_____
146 Siehe z.B. BGH 22.1.2009 – I ZR 30/07 – GRUR 2009, 500 Rn. 23 – Beta-Layout; BGH 22.1.2014 – I ZR 164/12 – GRUR 2014, 393 Tz. 35 ff. – wetteronline.de; BGH 21.1.2016 – I ZR 274/14 – GRUR 2016, 825 Tz. 22 – Tarifwechsel; BGH 23.6.2016 – I ZR 137/15 – GRUR 2017, 92 Tz. 14 – Fremdcoupon-Einlösung. 147 Vgl. BGH 2.10.2008 – I ZR 48/06 – GRUR 2009, 416 Tz. 16 – Küchentiefstpreis-Garantie; OLG Frankfurt/M. 6.10.2016 – 6 U 61/16 – GRUR-RR 2017, 278 Tz. 16 ff., insb. Tz. 20 – Belästigung in Fahrzeugschlange; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.25; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 7. 148 Vgl. nur Omsels WRP 2004, 136, 138; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 140. 149 Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.14; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 6 f.; jurisPK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 16; teilweise a.A. MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 19; ablehnend zudem GK-UWG/Peifer2 § 4 Nr. 10 Rn. 59. 150 Vgl. z.B. umfassend GK-UWG/Peifer2 § 4 Nr. 10 Rn. 60 f.; zur historischen Entwicklung (und rechtsvergleichend) siehe auch Dornis S. 6–50 sowie 273 ff. 151 So auch zutreffend Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 6; a.A. aber z.B. Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/13; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 12; GK-UWG/Peifer2 § 4 Nr. 10 Rn. 61; Götting/Nordemann/Wirtz § 4 Nr. 4 Rn. 4.11. 152 Siehe oben Rn. 28 ff. Kritisch aber insoweit GK-UWG/Peifer2 § 4 Nr. 10 Rn. 61.
377
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
als solcher – ohne das Hinzutreten weiterer Unlauterkeitsmerkmale – auch nicht selbstständig die unlautere Behinderung begründen. Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, ob die Kombination mehrerer Unlauter54 keitskriterien, die für sich genommen nicht genügen, um die jeweilige Spezialnorm zu erfüllen, sich zu einer unlauteren Behinderung „aufaddieren“ kann. Die Möglichkeit einer kombinierten Betrachtung ist zwar grundsätzlich zuzulassen. Die Tatbestandsvoraussetzungen sind aber streng an den Vorgaben des § 4 Nr. 4 auszurichten. Die Unlauterkeit der Behinderung kann darum auch in derartigen Fällen immer nur auf der Grundlage der Kriterien einer Schädigungsabsicht oder einer übermäßig wettbewerbsbehindernden Wirkung festgestellt werden.153 Diese Voraussetzungen sind grundsätzlich unabhängig von den Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 4a ff. zu prüfen und festzustellen. 55
c) Herabsetzung (§ 4 Nr. 1) und Anschwärzung (§ 4 Nr. 2). Die Herabsetzung und Anschwärzung von Konkurrenten sind kodifizierte Sonderfälle der gezielten Behinderung. § 4 Nr. 1 und Nr. 2 gehen § 4 Nr. 4 darum nach allgemeiner Ansicht vor.154 Letztlich spricht auch hier nichts gegen eine Anspruchsnormenkonkurrenz,155 sofern die Schutzzwecke und deren jeweilige Grenzziehung im Behinderungstatbestand beachtet werden. Die Äußerung über den Konkurrenten, sei es Werturteil oder unwahre Tatsachenbehauptung, folgt den äußerungsrechtlichen Regeln, insbesondere den Wertungen des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. Ist eine Äußerung nach diesen Grundsätzen als lauter oder unlauter einzuordnen, kann unter § 4 Nr. 4 keine abweichende Beurteilung erfolgen. Eine zusätzliche Anwendung des Behinderungstatbestandes kommt allerdings in Betracht, wenn über die Herabsetzung oder Anschwärzung hinaus ein zusätzliches Element der Unlauterkeit tritt.156
56
d) Unlautere Nachahmung (§ 4 Nr. 3). Bis heute werden zumindest einige der nun in § 4 Nr. 3 erfassten Fallgruppen der unlauteren Nachahmung als Sonderfälle der Behinderung von Mitbewerbern angesehen.157 Dies gilt z.B. für Fälle einer sogenannten unmittelbaren Leistungsübernahme, bei der die Unlauterkeit bereits durch die Vorgehensweise der identischen und unveränderten Übernahme der Leistung eines Mitbewerbers indiziert sein soll.158 Ebenso wird die Fallgruppe des § 4 Nr. 3 lit. b als besonderer Tatbestand der Mitbewerberbehinderung angesehen.159 Dieses Verständnis ist wohl eine Folge der historischen Entwicklung unter der Generalklausel des § 1 a.F.,160 bei der sich
_____
153 Zu den Tatbestandsvoraussetzungen und Fallgruppen der Rechtsprechung siehe oben Rn. 28 ff. und unten Rn. 67 ff. 154 BGH 10.12.2009 – I ZR 46/07 – BGHZ 183, 309 = GRUR 2010, 253 Tz. 27 – Fischdosendeckel; Ohly/ Sosnitza § 4.4 Rn. 4/14; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 12. 155 So (ohne Begründung) auch Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 7; in diesem Sinne zudem wohl auch BGH 29.7.2009 – I ZR 77/07 – GRUR 2010, 349 Tz. 38 – EKW-Steuerberater („Unterfall der gezielten Behinderung“). 156 So zutreffend Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/14; vgl. insoweit auch OLG Frankfurt/M. 3.8.2004 – 11 U 17/04 – GRUR-RR 2005, 197, 198 – Vertragshändlernetz. 157 Vgl. ausführlich GK-UWG/Peifer2 § 4 Nr. 10 Rn. 67 ff. 158 Vgl. z.B. BGH 24.6.1966 – Ib ZR 32/64 – GRUR 1966, 617, 620 – Saxophon; BGH 3.5.1968 – I ZR 66/66 – GRUR 1968, 591, 592 – Pulverbehälter; zudem Götting/Nordemann3 § 4 Nr. 3 Rn. 3.45 mit Beispielen aus der Rechtsprechung (in Rn. 3.46); MünchKommUWG/Wiebe2 § 4 Nr. 9 Rn. 67 und 68. 159 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 3.51; Köhler GRUR 2007, 548, 552; Hohlweck WRP 2015, 934, 935; wohl auch MünchKommUWG/Wiebe2 § 4 Nr. 9 Rn. 174; kritisch auch Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/14a und 4/14b; a.A. aber z.B. Rohnke GRUR 1991, 284, 293. 160 Siehe oben Rn. 1 ff.
Dornis
378
Gezielte Behinderung
§4
die Ausbeutung erst über die Zeit als besondere Ausprägung der umfassenden Kategorie der Feindseligkeiten zu einer eigenen Fallgruppe entwickelte.161 Umgekehrt ordneten Rechtsprechung und Schrifttum bislang die durch eine Nach- 57 ahmung bewirkte Behinderung des Herstellers eines Originalprodukts als zur Begründung der Unlauterkeit im Sinne des § 4 Nr. 3 geeignet ein.162 Nach der SegmentstrukturEntscheidung des Bundesgerichtshofs kann eine Nachahmung den Tatbestand der Behinderung allerdings nur noch unter den Voraussetzungen des § 4 Nr. 4 oder des § 3 Abs. 1 erfüllen.163 Es gibt keinen eigenen Fall der „behindernden Nachahmung“ nach § 4 Nr. 3 mehr.164 Der Behinderungstatbestand des § 4 Nr. 4 kann allerdings wohl auch weiterhin noch durch ein „systematisches Nachahmen“ erfüllt werden. Insoweit kommt es darauf an, ob eine Mehrzahl wettbewerblich eigenartiger Produkte eines Mitbewerbers gleichzeitig oder in enger Abfolge nachgeahmt wird. Die Rechtsprechung hat dem „systematischen Nachbau“ einer Vielzahl eigenartiger Erzeugnisse eines Mitbewerbers im Sinne eines planmäßigen und gezielten Anhängens an die fremde Leistung regelmäßig einen „gesteigerten Behinderungseffekt“ zugeschrieben.165 Und auch bei systematischer Nachahmung nicht wettbewerblich eigenartiger Produkte (sogenannter Dutzendware oder Allerweltserzeugnisse) kann unter § 4 Nr. 4 kein anderer Maßstab gelten. Der Behinderungstatbestand setzt nämlich gerade keine wettbewerbliche Eigenart voraus.166 Ebenso kommt eine gezielte Behinderung in Betracht, wenn dauerhaft und in Schädigungsabsicht die Produktinnovationen oder sonstige kreative Leistungen eines Mitbewerbers nachgeahmt werden.167 e) Vergleichende Werbung (§ 6 Abs. 2 Nr. 4 und Nr. 5). § 6 Abs. 2 Nr. 4 und 5 sind 58 Spezialregelungen zu § 4 Nr. 1 und 2, die ihrerseits gegenüber anderen Beispielsfällen des § 4 spezieller sind, sofern sie im Umfeld einer vergleichenden Werbung auftauchen.168 Da die Tatbestände der § 4 Nr. 1 und Nr. 2 vertypte Spezialfälle der gezielten Behinderung sind,169 müssen zwangsläufig auch die Regelungen in § 6 Abs. 2 Nr. 4 und Nr. 5 als Spezialvorschriften gegenüber § 4 Nr. 4 angesehen werden.170 Ohne zusätzliche besondere Unlauterkeitsumstände kann der Behinderungstatbestand nicht weiter reichen.
_____
161 Vgl. hierzu Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/15; zudem z.B. BGH 9.12.1982 – I ZR 133/80 – GRUR 1983, 247, 248 – Rolls Royce; BGH 29.11.1984 – I ZR 158/82 – GRUR 1985, 550, 553 – DIMPLE. 162 Siehe z.B. BGH 11.1.2007 – I ZR 198/04 – GRUR 2007, 795 Tz. 51 – Handtaschen; BGH 26.6.2008 – I ZR 170/05 – GRUR 2008, 1115 Tz. 32 – ICON. Aus dem Schrifttum siehe z.B. Sack WRP 2005, 531, 536; Ohly/ Sosnitza § 4.3 Rn. 3/74; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 178 ff.; kritisch aber z.B. Peifer GRUR-Prax 2011, 181, 184. 163 BGH 4.5.2016 – I ZR 58/14 – GRUR 2017, 79, 87 Tz. 78 f. – Segmentstruktur. Vgl. zudem BGH 11.1.2007 – I ZR 198/04 – GRUR 2007, 795 – Handtaschen; BGH 28.10.2010 – I ZR 60/09 – GRUR 2011, 436 – Hartplatzhelden.de; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 3 Rn. 3.65; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 3 Rn. 111. 164 Ohly GRUR 2017, 90, 91. Siehe zudem oben GK-UWG/Dornis § 4 Nr. 3 Rn. 256 f. 165 Vgl. z.B. BGH 27.11.1959 – I ZR 24/58 – GRUR 1960, 244, 245 f. – Simili-Schmuck; BGH 6.2.1986 – I ZR 243/83 – GRUR 1986, 673, 675 – Beschlagprogramm; BGH 14.12.1995 – I ZR 240/93 – GRUR 1996, 210, 212 – Vakuumpumpen; zudem auch ausführlich MünchKommUWG/Wiebe § 4 Nr. 9 Rn. 225 f. und Rn. 229 ff.; Harte/Henning/Sambuc § 4 Nr. 3 Rn. 180 ff. 166 Siehe hierzu GK-UWG/Dornis § 4 Nr. 3 Rn. 176 ff. 167 Vgl. Köhler GRUR 2007, 548, 553. 168 Vgl. nur Ohly/Sosnitza § 6 Rn. 17. 169 Siehe oben Rn. 55. 170 So z.B. Peifer WRP 2011, 1, 2; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/14.
379
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
59
f) Lauterkeitsrechtliche Generalklausel (§ 3 Abs. 1). Für § 3 Abs. 1 verbleibt nach allgemeiner Ansicht und nach der Gesetzesbegründung ein Anwendungsbereich eröffnet, wenn es um Fälle der sogenannten allgemeinen Marktbehinderung (Marktstörung) geht.171 Bei der Marktstörung richtet sich das beanstandete Verhalten nicht gegen einen oder mehrere individuelle Mitbewerber.172 Es geht vielmehr um Wettbewerbsverhalten, das die strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb am Markt nachhaltig gefährdet.173 Dies umfasst vor allem die Errichtung von Marktzutrittsschranken für potentielle Wettbewerber. In der Vergangenheit genannt wurden etwa die massenhafte Gratisverteilung von Originalwaren174 und die dauerhafte Gratisverteilung von Presseprodukten.175
60
Berührt ein Verhalten im Wettbewerb nicht nur die Interessen eines Mitbewerbers, sondern auch die Interessen Dritter, so insbesondere des unmittelbaren Adressaten einer geschäftlichen Handlung, greift der Bundesgerichtshof auf § 3 Abs. 1 zurück.176 Das betrifft vor allem Fälle des Abwerbens von Mitarbeitern durch Ansprache am Arbeitsplatz, etwa durch telefonische Kontaktaufnahme auf dienstlichen Telefonen oder unmittelbares Aufsuchen im Büro. Die Ansprache des Mitarbeiters kann neben der betrieblichen Interessensphäre des Mitbewerbers auch die persönliche Sphäre des angesprochenen Mitarbeiters beeinträchtigen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sollen die rechtlich geschützten Interessen aller Beteiligten nur angemessen „auf der Grundlage der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel (§ 1 UWG a.F., § 3) … abgewogen werden können“.177 Diese Lösung mag die Frage der genauen Abgrenzung im praktischen Interesse vermeiden. Im Ergebnis verunklart sie aber die systematische und teleologische Einordnung. Eine geschäftliche Handlung kann sowohl belästigen als auch behindern. Gegen beides kann sich der Mitbewerber zur Wehr setzen. Allerdings ergibt sich die Unlauterkeit nicht aus der Kombination und dem „Summieren“ der Effekte von Belästigung auf der einen und Behinderung auf der anderen Seite.178 Werden die verschiedenen Unlauterkeitskriterien dennoch undifferenziert zusammengefasst und gewichtet, dient die Generalklausel des § 3 Abs. 1 entgegen der eigentlich geforderten schutzzweckbezogenen Ausrichtung einer unstrukturierten „Gesamtabwägung“.
3. Kartellrecht 61
a) Grundsatz der Doppelkontrolle. Das Kartellrecht enthält spezielle Behinderungsverbote. Dies umfasst insbesondere das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung durch unmittelbare oder mittelbare unbillige Behinderung (vgl. § 19 GWB). Zudem ist Unternehmen mit relativer Marktmacht der Einsatz behindernder
_____
171 Vgl. nur Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 5.1 ff.; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 8; monografisch hierzu Lux und zum früheren Recht Lindow. 172 OLG Köln 22.11.2004 – 6 W 115/04 – GRUR-RR 2005, 168, 169 (relativ wertvolle Gratiszugabe zu Presseprodukt); Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig WRP 2002, 1317 Tz. 19 und dem folgend RegE UWG 2003, S. 19. 173 GK-UWG/Brandner/Bergmann § 1 Rn. A 205. 174 BGH 22.1.1969 – I ZR 49/67 – GRUR 1969, 295 – Goldener Oktober (4.5 Mio. Gutscheine für 1/4 l Wein); BGH 26.2.1965 – Ib ZR 51/63 – BGHZ 43, 278 = GRUR 1965, 489, 491 – Kleenex (Reinigungstücher zu Probezwecken gebilligt); BGH 22.2.1957 – I ZR 68/56 – GRUR 1957, 365, 366 – SUWA (Waschmittelgutscheine). 175 Praktisch aufgegeben durch BGH 20.11.2003 – I ZR 151/01 – BGHZ 157, 155 = GRUR 2004, 602, 603 – 20 Minuten Köln; BGH 13.7.1981 – I ZR 84/79 – BGHZ 81, 291, 295 = GRUR 1982, 53 – Bäckerfachzeitschrift; BGH 18.12.1979 – KVR 2/79 – BGHZ 76, 55, 74 = GRUR 1980, 734 – Anzeigenmarkt. Vgl. auch OLG Hamburg 28.9.2006 – 3 U 78/05 – WRP 2007, 210 (kostenloser Abdruck privater Gelegenheitsanzeigen in einer Fachzeitschrift). 176 BGH 22.11.2007 – I ZR 183/04 – GRUR 2008, 262 Tz. 8 – Direktansprache am Arbeitsplatz III; BGH 9.2.2006 – I ZR 73/02 – GRUR 2006, 426 Tz. 16 – Direktansprache am Arbeitsplatz II. 177 BGH 9.2.2006 – I ZR 73/02 – GRUR 2006, 426 Tz. 16 – Direktansprache am Arbeitsplatz II. 178 Siehe zur Kritik insoweit oben Rn. 54.
Dornis
380
Gezielte Behinderung
§4
Praktiken verboten (vgl. § 20 GWB). Gleichfalls verboten sind Boykottaufrufe (§ 21 GWB). Das UWG ist grundsätzlich neben den Tatbeständen des GWB anwendbar. Die überwiegende Ansicht geht darum von einem System der Doppelkontrolle durch Lauterkeits- und Kartellrecht aus.179 Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass die beiden Rechtsgebiete keine gegensätzlichen Ziele, 180 sondern vielmehr gleichgerichtete Schutzzwecke verfolgen.181 Insoweit kann tatsächlich von einer zunehmenden Annäherung und Angleichung gesprochen werden. Ob man mit Blick auf die Ausrichtung des modernen Lauterkeitsrechts in Richtung eines Systems marktfunktionsorientierter Regulierung des Marktgeschehens noch von einem Unterschied in den Ansätzen sprechen kann, muss überdies bezweifelt werden. Vor allem die Unterscheidung zwischen Institutionenschutz (nach GWB) und Individualschutz (nach UWG) kann kaum überzeugen.182 Allerdings ist zu beachten, dass sich die Schutzbereiche des GWB und des UWG 62 zwar überschneiden, aber nicht vollständig decken. Die §§ 19, 20 GWB und Art. 102 AEUV gelten nämlich nur für marktbeherrschende oder marktstarke Unternehmen, wohingegen die §§ 3 Abs. 1 und 4 Nr. 4 für alle Unternehmen und (bei Förderung fremden Wettbewerbs sogar) nicht-unternehmerisch tätige Akteure gelten.183 Für die UWGVorschriften ist zudem zu beachten, dass das Lauterkeitsrecht bei Behinderungen auf vor- oder nachgelagerten Märkten meist mangels eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses nicht zur Anwendung kommt.184 Die kartellrechtlichen Wertungen sind darum im Lauterkeitsrecht nach der ganz überwiegenden Ansicht grundsätzlich zu berücksichtigen.185 Eine autonome UWG-Kontrolle kommt aber nur in Betracht, wenn zusätzlich ergänzende unlauterkeitsbegründende Umstände vorliegen, die bei der kartellrechtlichen Prüfung nicht erfasst werden.186 Ist ein Verhalten aus kartellrechtlicher Sicht zudem gerechtfertigt oder nicht unbillig (vgl. z.B. §§ 19 Abs. 2 Nr. 1, 20 Abs. 3 GWB), kommt in der Regel keine Einordnung als unlauter im Sinne des § 4 Nr. 4 in Betracht.187
_____
179 BGH 5.2.2009 – I ZR 119/06 – GRUR 2009, 876 Tz. 10 – Änderung der Voreinstellung II; BGH 7.2.2006 – KZR 33/04 – BGHZ 166, 154 = GRUR 2006, 773 Tz. 17 – Probeabonnement; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/15; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 3; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.18; Henning/Harte/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 9; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 3; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 14; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 21. 180 So aber z.B. früher noch Koenigs GRUR 1958, 589 f. 181 Vgl. z.B. BGH 18.12.1981 – I ZR 34/80 – BGHZ 82, 375 = GRUR 1982, 425, 430 – BrillenSelbstabgabestellen; BGH 10.12.1985 – KZR 22/85 – GRUR 1986, 397, 399 – Abwehrblatt II; BGH 21.2.1989 – KZR 7/88 – BGHZ 107, 40, 41 = NJW 1989, 2325 – Krankentransportbestellung; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 4. 182 So aber z.B. Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 13. Zum Verhältnis des Individualschutzes und sonstiger Schutzzwecke siehe oben Rn. 28 ff. 183 Köhler WRP 2005, 645; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4/18; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 3; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 14. 184 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4/18; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 4. 185 Vgl. z.B. BGH 21.2.1989 – KZR 7/88 – BGHZ 107, 40, 41 = NJW 1989, 2325 – Krankentransportbestellung; BGH 14.7.1998 – KZR 1–97 – NJW 1998, 3778, 3779 f. – Schilderpräger im Landratsamt; Köhler WRP 2005, 645 ff.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4/18; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/15; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 4 f.; Henning/Harte/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 12. 186 BGH 4.4.1995 – KZR 34/93 – BGHZ 129, 203 = GRUR 1995, 690, 692 a.E. – Hitlisten-Platten; Köhler WRP 2005, 645, 647; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/15; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 5. 187 BGH 10.12.1985 – KZR 22/85 – GRUR 1986, 397, 399 – Abwehrblatt II; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4/18; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/15; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 4; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 13a.
381
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
63
b) Kartellrechtliche Behinderungstatbestände. Von den UWG-Regelungen unterscheiden sich die GWB-Vorschriften vor allem dadurch, dass sie nur für bestimmte, typischerweise marktstarke Unternehmen oder Vereinigungen gelten. Die Marktstärke kann aus einer absolut marktbeherrschenden Position (vgl. § 18 GWB), aus einer relativen Marktstärke im horizontalen Verhältnis zu kleinen und mittleren Unternehmen oder daraus resultieren, dass Lieferanten oder Abnehmer im Vertikalverhältnis abhängig sind (vgl. § 20 GWB). Schließlich kann die Marktstärke auch aus einer Position als freigestelltes Kartell oder einer gesetzlich zugelassenen Preisbindung folgen (vgl. § 19 Abs. 3 GWB). Im europäischen Recht ist der Missbrauch einer beherrschenden Position nur marktbeherrschenden Unternehmen verboten (vgl. Art. 102 AEUV). § 19 Abs. 1 GWB verbietet den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. 64 Nach § 19 Abs. 2 Nr. 1 ist von diesem Verbot insbesondere der sogenannte Behinderungsmissbrauch umfasst, bei dem ein marktbeherrschendes Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen ein anderes Unternehmen unmittelbar oder mittelbar unbillig behindert oder ohne sachlich gerechtfertigten Grund unmittelbar oder mittelbar anders behandelt als gleichartige Unternehmen. Dieses Verbot betrifft sowohl das Verhältnis gegenüber Wettbewerbern als auch in vertikalen Verhältnissen.188 Ein entsprechendes Verbot gilt im europäischen Recht nach Art. 102 AEUV. Verstöße sind durch Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche der Betroffenen sanktioniert (vgl. § 33 GWB).189 Dieser Tatbestand ist zwar im Hinblick auf das sanktionierte Verhalten grundsätzlich deckungsgleich mit der gezielten Behinderung nach § 4 Nr. 4. Allerdings findet das Kartellrecht nur Anwendung, wenn der Handelnde auch eine marktbeherrschende Stellung hat. Das UWG setzt zudem das Bestehen eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses voraus, woran es im Vertikalverhältnis fehlen kann. Die Vorschrift des § 20 GWB dehnt das Verbot des Missbrauchs einer überlegenen 65 Marktmacht auf marktstarke, im Verhältnis zu kleineren und mittleren Unternehmen relativ mächtige Anbieter aus und nennt als Beispiel das auch im Lauterkeitsrecht thematisierte Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis.190 Auch hier ergeben sich die Rechtsfolgen aus § 33 GWB. 66 Schließlich ist der Boykott verboten (vgl. § 21 GWB). Die Fallgruppe wird sowohl kartell- als auch lauterkeitsrechtlich erfasst.191 Ein Boykott ist damit auch Behinderung im Sinne des § 4 Nr. 4. Die eigenständige kartellrechtliche Regelung eröffnet allerdings die zusätzliche Möglichkeit eines kartellbehördlichen Eingreifens, was insbesondere dann erforderlich sein kann, wenn die von einem Boykott Betroffenen zu schwach sind, sich zur Wehr zu setzen. Die UWG-Regelung kann allerdings unter bestimmten Umständen effektiver sein, z.B. im Hinblick auf die Möglichkeit, nach § 12 Abs. 2 eine einstweilige Verfügung zu erlangen. Auch greift das UWG bereits dann, wenn eine geschäftliche Handlung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 vorliegt. Die Anwendung des § 21 GWB verlangt hingegen, dass alle Beteiligten des Boykotts Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen sind.
_____
188 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.20. 189 Vgl. auch EuGH 20.9.2001 – C-453/99 – EuZW 2001, 715 – Courage; EuGH 13.7.2006 – C-295/04 bis C-298/04 – EuZW 2006, 529 – Manfredi. 190 BGH 12.11.2002 – KVR 5/02 – GRUR 2003, 363 – WalMart; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4/21; Henning/Harte/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 10. 191 Siehe unten Rn. 252 ff.
Dornis
382
Gezielte Behinderung
§4
B. Tatbestand I. Struktur und Systematik Die zahlreichen und heterogenen Fallgruppen des Tatbestandes der gezielten Be- 67 hinderung haben sich aus dem Bedürfnis nach Systematisierung des § 1 UWG 1909 entwickelt.192 Sie sind historisch gewachsen, Produkt der Rechtsprechung und bilden darum weniger ein dogmatisch klares System als vielmehr eine den Realitäten der Praxis angepasste Substanz zumindest potentiell fluktuierender Regelungsstandards.193 Sucht man nach klaren Strukturen für den rudimentär kodifizierten Tatbestand, ist nicht zwanghaft an den in der Praxis gewachsenen Fallgruppen festzuhalten. Es bedarf vielmehr einer Systematisierung auf der Grundlage des Paradigmas der Einschränkung der Entfaltungsmöglichkeiten im Wettbewerb. Dabei muss zwischen unmittelbaren Eingriffen in die Betriebssphäre oder -abläufe und Eingriffen in die Position am Markt und den vorhandenen Handlungsspielraum des Mitbewerbers unterschieden werden.194 In der erstgenannten Fallgruppe handelt es sich um Störungen im Horizontalverhältnis. Es geht dabei um unternehmensbezogene Eingriffe, bei denen die Unlauterkeit sich auf der Grundlage der deliktsrechtlichen Wurzel des Tatbestandes nach den Kriterien von Schutzgut und Rechtwidrigkeit des Eingriffs bemisst.195 Die zweitgenannte Fallgruppe umfasst Störungen im Vertikalverhältnis und bezieht ihre Struktur aus dem Paradigma der freien Entscheidungsbildung auf der Marktgegenseite. Diese Kategorisierung der Fallgruppen ist auf Grundlage der Unterscheidung zwischen Eingriffen in zugewiesene Eigentumspositionen und einer Beeinträchtigung von Mitbewerbern „über das Marktgeschehen“ auch ökonomisch begründbar.196 Als letzte Fallgruppe verbleiben Konstellationen einer kartellrechtlich geprägten Unlauterkeit, bei denen der Handelnde aufgrund seiner Marktposition oder besonderer Marktstrukturen in der Lage ist, in besonders effektiver Weise auf den individuellen Wettbewerb einzuwirken. Im Überblick resultiert folgende Einteilung der Fallgruppen (und eine entsprechen- 68 de Gliederung der Kommentierung): (1) Horizontalverhältnis – Eingriffe in Betriebsabläufe (Rn. 98 ff.) – Ausspähung und Aneignung von Betriebswissen (Rn. 121 ff.) – Blockade durch Rechteerwerb und Ausübung in Behinderungsabsicht (Rn. 125 ff.) – unberechtigte Abmahnung und Schutzrechtsverwarnung (Rn. 153 ff.) – Beeinträchtigung von Vertragsbeziehungen (Rn. 176 ff.)
– – –
(2) Vertikalverhältnis Werbebehinderung (Rn. 212 ff.) Bezugsbehinderung (Rn. 240) Absatzbehinderung (Rn. 241 ff.)
_____
192 Siehe oben Rn. 1 ff. 193 Zur historischen Entwicklung siehe oben Rn. 1 ff. Zur Funktion des Lauterkeitsrechts als „Werkstatt“ zur Ausbildung praktisch funktionaler Standards der Regulierung von Marktverhalten siehe zudem GK-UWG/Dornis § 4 Nr. 3 Rn. 89 ff. 194 Vgl. hierzu auch Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.8 ff. 195 Siehe hierzu oben Rn. 28 ff. 196 Siehe oben Rn. 32 ff.
383
Dornis
§4
– – – –
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
(3) Kartellrechtlich geprägte Tatbestände Boykott (Rn. 252 ff.) Diskriminierung (Rn. 270 ff.) Missbrauch von Nachfragemacht (Rn. 279 ff.) Verdrängungs- und Vernichtungsstrategien (Rn. 287 ff.) II. Allgemeine Tatbestandsvoraussetzungen
1. Geschäftliche Handlung (§ 2 Abs. 1 Nr. 1). Eine gezielte Behinderung nach § 4 Nr. 4 kann nur in Form einer geschäftlichen Handlung nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 erfolgen. Darum ist ein objektiver und direkter Zusammenhang zwischen der Handlung und der zugunsten des Handelnden oder zugunsten eines Dritten bewirkten Absatz- oder Bezugsförderung erforderlich.197 Keinen derartigen Zusammenhang haben rein private, hoheitlich-behördliche 70 oder ideelle Handlungen.198 Ebenso fehlt es an einem objektiven Zusammenhang bei weltanschaulichen, wissenschaftlichen, redaktionellen oder verbraucherpolitischen Zwecken dienendem Verhalten.199 Damit fallen insbesondere Boykottaufforderungen, die nicht der Absatzförderung dienen, nicht unter § 4 Nr. 4. Der Boykott zu außerkommerziellen Zwecken oder die Aufforderung hierzu lässt sich allerdings als ein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nach § 823 Abs. 1 BGB erfassen.200 Gleichfalls soll es an einem objektiven Zusammenhang mit der Förderung des Ab71 satzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen fehlen, wenn Arbeitsabläufe, deren Auswirkungen zu einer Behinderung führen, lediglich Folge einer technischen oder betrieblichen Störung (z.B. des Ausfalls von Personal) sind.201 Ein Beispiel ist die unterbliebene oder verzögerte Umstellung einer dauerhaften Voreinstellung für die Anwahl eines Telekommunikationsdienstleisters (preselection).202 Eine derartige Freistellung unabsichtlicher Organisationsversehen oder -versäumnisse vom Anwendungsbereich des UWG und des Behinderungstatbestandes überzeugt nicht. Dies gilt jedenfalls dann, wenn man davon ausgeht, dass eine Behinderung im Sinne des § 4 Nr. 4 auch ohne das Vorliegen subjektiver Tatbestandsmerkmale möglich ist.203 Die marktfunktionsorientierte Ratio der Vorschrift kann nur dann effektiv verwirklicht werden, wenn auch unbeabsichtigte Störungen erfasst sind.204 Allerdings kann in bestimmten Konstellationen die Spürbarkeit der Wettbewerbsbeeinträchtigung im Sinne des § 3 Abs. 1 zu
69
_____
197 Siehe z.B. nur Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.4; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 13; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 17. 198 BGH 5.2.1980 – VI ZR 174/78 – GRUR 1980, 309 – Straßen- und Autolobby; BGH 28.11.1969 – I ZR 139/67 – NJW 1970, 378, 380 (Mitgliederwerbung eines Vereins); BGH 6.10.1964 – VI ZR 176/63 – BGHZ 42, 210, 218 (Gewerkschaft ÖTV). 199 Begründung zu § 5 UWG 2008 BTDrucks. 16/10145, S. 21. 200 Siehe oben Rn. 44 und unten Rn. 252 ff. 201 BGH 29.3.2007 – I ZR 164/04 – GRUR 2007, 987 Tz. 22, 24 – Änderung der Voreinstellung; BGH 5.2.2009 – I ZR 119/06 – GRUR 2009, 876 Tz. 27 – Änderung der Voreinstellung II; Isele GRUR 2009, 727, 730; zudem auch Berneke FS Doepner (2008) S. 3, 11; Schulze zur Wiesche MMR 2007, 707, 708. 202 BGH 29.3.2007 – I ZR 164/04 – GRUR 2007, 987, 988 f. – Änderung der Voreinstellung; BGH 5.2.2009 – I ZR 119/06 – GRUR 2009, 876 Tz. 27 – Änderung der Voreinstellung II. 203 Vgl. Berneke FS Doepner S. 3, 11 ff.; Schulze zur Wiesche MMR 2007, 707, 708; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.4; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/6; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 32. Siehe zudem zu den subjektiven Merkmalen unten Rn. 81 f. 204 Siehe zu den Regelungszwecken oben Rn. 28 ff.
Dornis
384
Gezielte Behinderung
§4
verneinen sein.205 Das setzt aber voraus, dass sich die unbeabsichtigten Fälle der Behinderung nicht häufen, sondern Ausreißer bleiben.206 Auch kann eine gezielte Behinderung nicht verneint werden, weil das Versehen „nur“ eine Vertragsverletzung ist. Zwar ging die Rechtsprechung vor der Reform 2008 noch davon aus, dass Vertragsverstöße lauterkeitsrechtlich erst relevant sind, wenn sie systematisch erfolgen.207 Diese Begründung ist mit § 2 Abs. 1 Nr. 1, der ausdrücklich auch das Verhalten nach dem Geschäftsabschluss der lauterkeitsrechtlichen Kontrolle unterwirft, überholt.208 Auch technische oder betriebliche Störungen in der Vertragsabwicklung können daher grundsätzlich als geschäftliche Handlungen qualifiziert werden. Sie können folglich auch als gezielte Behinderung anzusehen sein, wenn sie entweder Ausdruck grundloser Schädigung sind oder so gehäuft auftreten, dass sie einem Mitbewerber die Marktentfaltung erschweren, ohne dass dies durch überwiegende Interessen des „Störenden“ gerechtfertigt ist.
72
2. Mitbewerber (§ 2 Abs. 1 Nr. 3). Mitbewerber ist nach der Legaldefinition des § 2 73 Abs. 1 Nr. 3 jeder Unternehmer, der mit einem oder mehreren Unternehmern als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis steht. Für § 4 Nr. 4 genügt es, wenn sich die Akteure in ihrem Absatz- oder Nachfrageverhalten „ins Gehege“ kommen oder kommen können. Eine Mitbewerberbehinderung kann darum auch auf den Faktormärkten (z.B. dem Arbeits- oder Kapitalmarkt) in Betracht kommen.209 Zudem kann neben Ausbeutungshandlungen im Horizontalverhältnis auch ein Verhalten im Vertikalverhältnis behindernde Auswirkungen haben.210 Wer Lieferanten oder Abnehmer durch Ausübung von Druck bindet, zieht Kundenbeziehungen ebenso an sich wie durch die Gewährung von Rabatten oder Sonderangeboten. In beiden Fällen kann es zur Einbuße von Marktanteilen bei den Mitbewerbern kommen.211 Die Behinderung muss zudem individuell sein, d.h. einen oder mehrere bestimmte oder bestimmbare (also identifizier- oder individualisierbare) Mitbewerber um denselben Abnehmer- oder Nachfragerkreis betreffen.212 Hierdurch wird § 4 Nr. 4 von der allgemeinen Marktbehinderung oder Marktstörung abgegrenzt.213 Diese fällt nicht unter § 4 Nr. 4, sondern unter die Generalklausel des § 3 Abs. 1.214 3. Spürbarkeit der Interessenbeeinträchtigung (§ 3 Abs. 1). Nach § 3 Abs. 1 muss 74 eine gezielte Behinderung eine spürbare Interessenbeeinträchtigung zur Folge haben.215 Die Spürbarkeit wird kaum jemals fehlen, wenn eine Abwägung der konfligierenden Interessen zur Feststellung einer gezielten und unlauteren Behinderung und damit im-
_____
205 Vgl. auch BGH 4.10.2007 – I ZR 182/05 – GRUR 2008, 442 – Fehlerhafte Preisauszeichnung. 206 Vgl. zutreffend GK-UWG/Peifer2 § 4 Nr. 10 Rn. 74. 207 So BGH 27.6.2002 – I ZR 86/00 – GRUR 2002, 1093, 1094 – Kontostandsauskunft; BGH 11.1.2007 – I ZR 87/04 – GRUR 2007, 805 Tz. 13 f. – Irreführender Kontoauszug. 208 GK-UWG/Peifer2 § 4 Nr. 10 Rn. 74. 209 Vgl. nur BGH 4.3.2004 – I ZR 221/01 – BGHZ 158, 174 = GRUR 2004, 696, 697 – Direktansprache am Arbeitsplatz I; Piper GRUR 1990, 643, 644; Trube WRP 2001, 97, 99 f.; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/7. 210 Vgl. z.B. EuGH 21.2.1973 – 6/22 – Slg. 1973, 215 Tz. 26 – Continental Can Company und Europenballage/Kommission; zudem Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.5; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 14; ausführlich und kritisch auch MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 9. 211 Vgl. EuG 7.10.1999 – T-228/97 – Slg. 1999, II-2969 Tz. 167 – Irish Sugar/Kommission. 212 OLG Köln 22.11.2004 – 6 W 115/04 – GRUR-RR 2005, 168; vgl. auch OLG Köln 10.2.2012 – 6 U 187/11 – MMR 2012, 462; LG Frankfurt/M. 22.4.2005 – 3/11 O 133/04 – MMR 2005, 551, 553; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 6. 213 Vgl. z.B. Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/7; Götting/Nordemann/Wirtz § 4 Nr. 4 Rn. 4.8. 214 Siehe unten Rn. 303. 215 Vgl. nur MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 8.
385
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
plizit zur Verneinung des Bagatellcharakters geführt hat.216 Darum kann die Spürbarkeit lediglich ausnahmsweise und einzig in Fällen vereinzelter und versehentlicher Vertragsverletzungen entfallen.217 III. Behinderung Dem Begriff der Behinderung fehlt es an Struktur und Trennschärfe.218 Er konkretisiert letztlich nur die bereits in § 3 Abs. 1 enthaltene Wertung, dass unlauter nur sein kann, was die Interessen eines Schutzsubjektes (hier des Mitbewerbers) nachteilig beeinflusst. Die im Schrifttum geäußerte Kritik an der Fortschreibung einer Fallgruppe ohne wachsenden Erkenntnisgewinn mag deshalb auch in der Sache durchaus zutreffen.219 Der Mangel an klaren Normstrukturen prägte den theoretischen wie den praktischen Umgang mit dem Tatbestand von Anfang an. Dennoch hat das Verbot der gezielten Behinderung eine Daseinsberechtigung im Gesamtgefüge des UWG. Der Blick auf die historische Entwicklung offenbart, dass der allgemeine und weit gefasste Tatbestand der Behinderung zu allen Zeiten eine Keimzelle für konkretisierte Fallgruppen und damit auch für die Herausbildung einer systematischen und teleologischen Grobstruktur war. Ein Beispiel für diesen Zusammenhang ist die Entwicklung der ehemals unter § 1 UWG 1909 sortierten Fallgruppen, vor allem der vergleichenden Werbung oder der Herabsetzung, zu eigenständig im UWG 2004 erfassten und ausdifferenzierten Tatbeständen. Andere Fälle der einst als Behinderung eingeordneten Verstöße gegen die Lauterkeit haben sich ins Kennzeichenrecht verlagert220 oder werden in § 823 Abs. 1 BGB unter der Überschrift des Eingriffs in den ausgeübten und eingerichteten Gewerbebetrieb geführt.221 Wie alle Generalklauseln ist darum auch der Tatbestand der gezielten Behinderung eine Norm, die im Rahmen der sogenannten Schrittmacherfunktion des UWG als Keimzelle und Werkstatt für die schrittweise Konsolidierung der lauterkeitsrechtlichen Rahmenordnung angesehen werden kann.222 Für die Feststellung des Vorliegens einer „Behinderung“ als einem besonderen 76 Merkmal des Tatbestandes des § 4 Nr. 4 ist nach der ganz allgemeinen Ansicht nach einer nachteiligen Einwirkung auf die wirtschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten eines Mitbewerbers zu fragen.223 Der Begriff umfasst sowohl Verhaltensweisen, die tatsächlich eine solche Wirkung haben, als auch lediglich potentiell nachteilige Einwirkun75
_____
216 Vgl. zutreffend Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 19; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 22. 217 Siehe oben Rn. 41. 218 Siehe oben Rn. 11 f. 219 Vgl. z.B. GK-UWG/Peifer2 § 4 Nr. 10 Rn 97. 220 Z.B. der Einsatz von Metatags oder Keywords, vgl. Ohly GRUR 2010, 776 m.w.N. und EuGH 23.3.2010 – C-236/08 bis C-238/08 – GRUR 2010, 445 Tz. 51 und 52 – Google und Google France; EuGH 8.7.2010 – C558/08 – GRUR Int. 2010, 841 Tz. 27 – Portakabin/Primakabin. Zudem unten Rn. 125 ff. 221 Vgl. z.B. BGH 30.1.2007 – X ZR 53/04 – GRUR 2007, 313 – Funkuhr II; BGH 19.1.2006 – I ZR 98/02 – GRUR 2006, 432 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht II; BGH 19.1.2006 – I ZR 217/03 – GRUR 2006, 433 – Abnehmerverwarnung; BGH 21.12.2005 – X ZR 72/04 – GRUR 2006, 219 – Detektionseinrichtung II; BGH 15.7.2005 – GSZ 1/04 – GRUR 2005, 882 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung. 222 Zur Schrittmacherfunktion ausführlich GK-UWG/Dornis § 4 Nr. 3 Rn. 89 ff. 223 Vgl. BGH 29.6.2010 – KZR 24/08 – K&R 2010, 586 Tz. 42 – GSM-Wandler; BGH 24.6.2004 – I ZR 26/02 – GRUR 2004, 877, 879 – Werbeblocker; BGH 21.2.2002 – I ZR 281/99 – GRUR 2002, 902, 905 – VanityNummer; BGH 17.5.2001 – I ZR 216/99 – BGHZ 148, 1 = GRUR 2001, 1061, 1062 – mitwohnzentrale.de; BGH 22.1.2014 – I ZR 164/12 – GRUR 2014, 393 Tz. 28 – wetteronline.de; BGH 30.4.2014 – I ZR 224/12 – GRUR 2014, 785 Tz. 23 – Flugvermittlung im Internet; BGH 12.3.2015 – I ZR 188/13 – GRUR 2015, 607 Tz. 16 – Uhrenankauf im Internet; BGH 23.6.2016 – I ZR 137/15 – GRUR 2017, 92 Tz. 16 – Fremdcoupon-Einlösung; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/8; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.6; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 10; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 19.
Dornis
386
Gezielte Behinderung
§4
gen.224 Die wirtschaftliche Entfaltungsfreiheit ist in jeder Phase der Produktion und Marktteilnahme, von der Planung über den Einkauf, die Werbung und den Absatz sowie die nachfolgende Bereitstellung von Service- und Beratungsleistungen geschützt.225 IV. Zielgerichtetheit 1. Allgemeines. Über das Merkmal „gezielt“ heißt es in der Begründung des RegE 77 2003 in Anlehnung an die Vorarbeiten des Arbeitskreises Wettbewerbsrecht: „Durch das Tatbestandsmerkmal des ‚gezielten‘ Handelns wird klargestellt, dass eine Behinderung von Mitbewerbern als bloße Folge des Wettbewerbs nicht ausreicht, um den Tatbestand zu verwirklichen.“226 Mit dem Merkmal sind darum die wettbewerbskonformen von den unlauteren Methoden abzugrenzen. Im Wortlaut der Norm kommt dies allerdings nicht zum Ausdruck, denn „gezielt“ sind selbstverständlich auch alle Handlungen, die dem wettbewerbseigenen und lauteren Fortkommen dienen.227 Im Ergebnis muss „gezielt“ darum als „unbillig“ oder „ohne sachlich gerechtfertigten Grund“ verstanden werden. Die Rechtsprechung spricht darum zutreffend (wenngleich mit Blick auf den Gesetzeswortlaut in gewisser Weise tautologisch) seit einiger Zeit von der „unlauteren“ Behinderung.228 Als „unlauter“ im Sinne der „Faustformeln“ der Rechtsprechung ist eine geschäftli- 78 che Handlung zum einen dann anzusehen, wenn sie bei objektiver Würdigung aller Umstände des Einzelfalles „in erster Linie nicht auf die Förderung der eigenen wettbewerblichen Entfaltung, sondern auf die Beeinträchtigung der wettbewerblichen Entfaltung des Mitbewerbers gerichtet“ ist.229 Dann überwiegt das Schädigungsziel.230 Diese Einordnung ist problematisch, denn Wettbewerb dient naturgemäß der Schädigung des oder der Konkurrenten. Diese erfolgt auch in der Regel absichtsvoll und zielgerichtet. Vernichtung und Verdrängung sind folglich als legitime Ziele des Wettbewerbs anzusehen. Unlauter wird diese Schädigung nur, wenn der Schädiger nichts oder nur wenig von ihr hat, wenn es ihm also nur auf die Vernichtung oder Schädigung eines anderen ankommt. Die Fälle werden nicht allzu häufig sein. Sie überhaupt (noch) als Teil des lauterkeitsrechtlichen Instrumentariums einzuordnen, ist auf die nicht überwundene rechtsethische Grundwertung des deutschen Lauterkeitsbegriffs zurückzuführen.231
_____
224 Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig WRP 2002, 1317 Rn. 19; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.6. 225 Hefermehl GRUR Int. 1983, 507, 501; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.6; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 19. 226 RegE UWG 2003, S. 19; siehe überdies auch BGH 22.1.2014 – I ZR 164/12 – GRUR 2014, 393 Tz. 28 – wetteronline.de; Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig WRP 2002, 1317 Tz. 19; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/9; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.7; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 11. 227 Vgl. bereits Kohler S. 28; Nipperdey S. 17 und 24. 228 Siehe oben Rn. 24. 229 Vgl. z.B. BGH 10.1.2008 – I ZR 38/05 – GRUR 2008, 621 Tz. 32 – AKADEMIKS; BGH 11.1.2007 – I ZR 96/04 – BGHZ 171, 73 = GRUR 2007, 800 Tz. 21 – Außendienstmitarbeiter; BGH 20.1.2005 – I ZR 29/02 – GRUR 2005, 581, 582 – The Colour of Elégance; KG 21.9.2007 – 5 U 199/06 – GRUR-RR 2008, 171 (Aufstellung von Zeitungsverteilboxen); Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 15. 230 So BGH 10.12.1985 – KZR 22/85 – GRUR 1986, 397, 399 – Abwehrblatt II; BGH 31.1.1979 – I ZR 21/77 – GRUR 1979, 321, 322 – Verkauf unter Einstandspreis; BGH 22.1.2014 – I ZR 164/12 – GRUR 2014, 393 Tz. 28 – wetteronline.de; BGH 30.4.2014 – I ZR 224/12 – GRUR 2014, 785 Tz. 23 – Flugvermittlung im Internet; BGH 12.3.2015 – I ZR 188/13 – GRUR 2015, 607 Tz. 16 – Uhrenankauf im Internet; BGH 23.6.2016 – I ZR 137/15 – GRUR 2017, 92 Tz. 16 – Fremdcoupon-Einlösung; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/10; GKUWG/Brandner/Bergmann § 1 Rn. A 204. 231 Siehe oben Rn. 8 ff.
387
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
79
Das für die zweite „Faustformel“ relevante Kriterium der Unlauterkeit kann stark vereinfacht mit dem Etikett „Übermaß“ gekennzeichnet werden. Es betrifft Fälle, in denen eine Schädigungs- oder Vernichtungsabsicht nicht eindeutig feststellbar ist, ein Verhalten aber gleichwohl bei Abwägung der konfligierenden Handlungsfreiheiten der Beteiligten als übermäßige Beschränkung anzusehen ist. Entscheidend für die Feststellung der Unlauterkeit ist dann, dass Mittel eingesetzt werden, „die dazu führen, dass der Mitbewerber seine Leistung am Markt durch eigene Anstrengung nicht mehr in angemessener Weise zur Geltung bringen kann“.232
80
Bei dieser Zweck-Mittel-Betrachtung wird trotz der vordergründigen Ausrichtung an den Interessen verschiedenster Beteiligter, den beeinträchtigten und kollidierenden Grundrechten sowie dem Interesse der Allgemeinheit, im Ergebnis häufig ein auch den Maßstäben einer marktfunktionalen Betrachtung entsprechendes Ergebnis erzielt.233 Dies ist keinesfalls selbstverständlich, wenn man berücksichtigt, dass der Wettbewerbsprozess nicht direkt von den Grundrechtspositionen (etwa der Meinungsfreiheit) beeinflusst ist. Auch kann die Berücksichtigung von Interessen der Mitbewerber und der Verbraucher sowie der Allgemeinheit insoweit zu verzerrten Ergebnissen führen, als manche dieser Interessen sich decken (so z.B. auf Seiten des günstigen Newcomers und der preissensitiven Verbraucher) und eine formale Gewichtung und Abwägung darum das Risiko mit sich bringt, Belange doppelt oder sogar mehrfach in Ansatz zu bringen. Die konsequente Ausrichtung am Paradigma der Entfaltungsfreiheit der Mitbewerber sichert vor diesem Hintergrund ein Mindestmaß an ökonomischer Rationalität: Im Topos der Freiheit des Zur-Geltung-Bringens der eigenen Leistung spiegelt sich das für den Wettbewerbsprozess essentielle Element der freien Entscheidung aller Marktteilnehmer, vor allem der Teilnehmer auf der Marktgegenseite. Die Abnehmer und Verbraucher agieren im ökonomischen Modell als „Schiedsrichter“ im Wettbewerb. Diese Funktion können sie nur erfüllen, wenn die Entscheidungsgrundlagen möglichst umfassend und vor allem unverfälscht präsentiert werden. Damit wird die Freiheit zur informierten und unmanipulierten Entscheidung – in ihrer besonderen Ausprägung als Möglichkeit zur uneingeschränkten Auswahl – zu einem zumindest in den Grundlinien verlässlichen Prüfmaßstab des Mitbewerberverhaltens.234
81
2. Subjektive Kriterien. Es ist umstritten, ob das Merkmal der Zielgerichtetheit auch subjektive Kriterien enthält. Die Frage ist insbesondere deshalb relevant, weil § 2 Abs. 1 in seiner durch die UWG-Reform 2008 geänderten Fassung die geschäftliche Handlung definiert als „jedes Verhalten einer Person, das zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens unmittelbar mit der Förderung des Absatzes … zusammenhängt.“ Die ganz überwiegende Ansicht sieht hierin eine Absage an subjektive Kri-
_____
232 BGH 11.1.2007 – I ZR 96/04 – BGHZ 171, 73 = GRUR 2007, 800 Tz. 22 – Außendienstmitarbeiter; ebenso BGH 29.6.2010 – KZR 24/08 – K&R 2010, 586 Tz. 42 – GSM-Wandler; BGH 12.11.2009 – I ZR 183/07 – GRUR 2010, 642 Tz. 53 – WM-Marken; BGH 7.10.2009 – I ZR 150/07 – GRUR 2010, 346 Tz. 18 – Rufumleitung; BGH 22.1.2014 – I ZR 164/12 – GRUR 2014, 393 Tz. 28 – wetteronline.de; BGH 30.4.2014 – I ZR 224/12 – GRUR 2014, 785 Tz. 23 – Flugvermittlung im Internet; BGH 12.3.2015 – I ZR 188/13 – GRUR 2015, 607 Tz. 16 – Uhrenankauf im Internet; BGH 23.6.2016 – I ZR 137/15 – GRUR 2017, 92 Tz. 16 – FremdcouponEinlösung. 233 Vgl. zur formalen Abwägung der betroffenen Interessen „der Mitbewerber, der Verbraucher, der sonstigen Marktteilnehmer und der Allgemeinheit“ im Rahmen eines „offenen Tatbestandes“ siehe z.B. BGH 30.4.2014 – I ZR 224/12 – GRUR 2014, 785 Tz. 23 – Flugvermittlung im Internet; BGH 12.3.2015 – I ZR 188/13 – GRUR 2015, 607 Tz. 16 – Uhrenankauf im Internet; BGH 23.6.2016 – I ZR 137/15 – GRUR 2017, 92 Tz. 30 – Fremdcoupon-Einlösung; zudem aus dem Schrifttum etwa Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/10; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.10 ff.; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 11; zur funktionellen Betrachtung zudem auch Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 17; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 19c. 234 Siehe hierzu (auch rechtsvergleichend) Dornis 275 ff.
Dornis
388
Gezielte Behinderung
§4
terien zugunsten einer objektiven Theorie der Lauterkeit.235 Der Bundesgerichtshof und einige Stimmen im Schrifttum folgern daraus, dass auch für § 4 Nr. 4 eine „objektiv zielgerichtete Beeinträchtigung“ genüge.236 Auch die wettbewerbsökonomische Betrachtung bezweifelt, dass subjektive Kriterien eine Rolle spielen sollten.237 Nach anderer Ansicht sind bei § 4 Nr. 4 die Motive der Behinderung nach wie vor von Bedeutung. „Gezielt“ setzt danach auch voraus, dass der Handelnde mit Behinderungsabsicht agiert.238 Die Entscheidung des Streits hängt davon ab, ob man das UWG in erster Linie als ein Instrument mit marktfunktionsbezogener Ratio betrachtet oder ob man ihm auch eine sonderdeliktische Schutzfunktion zugunsten von Konkurrenten zuschreibt.239 Nach dem ökonomischen Modell sind die Auswirkungen auf den Wettbewerb nicht davon abhängig, ob ein Konkurrent mit oder ohne Behinderungsabsicht handelt. Richtig ist zudem, dass jedes wettbewerbliche Handeln auf die Überflügelung und gegebenenfalls auch Verdrängung des Gegners angelegt ist. Ein unverhältnismäßiger Eingriff in die wirtschaftliche Handlungsfreiheit eines Mitbewerbers, der dazu führt, dass dieser seine Leistungen nicht mehr angemessen am Markt präsentieren kann, genügt in seiner objektiven Finalität, um die Marktfunktionen zu schwächen und aus dem Tritt zu bringen. Der Feststellung einer subjektiven Motivationslage bedarf es dafür nicht. Auf den subjektiven Tatbestand kommt es allerdings nach dem immer noch veran- 82 kerten Paradigma einer rechtsethischen Betrachtung in all jenen Fällen an, in denen der Handelnde ausschließlich danach strebt, seinen Mitbewerber zu schädigen, aber kein darüber hinausgehendes Interesse verfolgt.240 Der Vorwurf kann ohne Blick auf subjektive Kriterien nicht erhoben werden. Besonders problematisch sind dabei diejenigen Fälle, in denen das eingesetzte Mittel (z.B. eine Preisunterbietung) zwar objektiv wettbewerbskonform ist, das Mittel aber ausschließlich eingesetzt wird, um den Mitbewerber zu schädigen. Hält man subjektive Kriterien für nicht entscheidend, muss man auch die absichtliche Vernichtung des Mitbewerbers für zulässig erachten, selbst wenn der Handelnde an ihr kein anderes als das Schädigungsinteresse hat.241 3. Kriterien zur Feststellung der Unlauterkeit. Das Merkmal „gezielt“ ermöglicht 83 und erfordert eine normative Bewertung des Verhaltens als unlauter. Fälle, in denen die Schädigungsabsicht tatsächlich nachgewiesen werden kann, sind in der Praxis höchst selten. Es muss vielmehr regelmäßig von den eingesetzten Mitteln auf die angestrebten Zwecke geschlossen werden.242 Bei dieser Analyse der Behinderungsmittel muss in einem ersten Prüfungsschritt zwischen wettbewerbseigenen und wettbewerbsfremden
_____
235 So bereits vor der Umsetzung 2008 (zu § 4 Nr. 11) BGH 23.6.2005 – I ZR 194/02 – BGHZ 163, 265 = GRUR 2005, 778, 779 – Atemtest m. zust. Anm. Steinbeck WRP 2005, 1351; ferner Emmerich § 5 Rn. 38; Fezer FS Schricker S. 161; Peifer Mitt. 2007, 200; a.A. Erdmann WRP 2005, 663, 665. Nach der Umsetzung klargestellt durch RegE UWG 2008 BTDrucks. 16/10145, S. 20. 236 BGH 10.1.2008 – I ZR 38/05 – GRUR 2008, 621 Tz. 32 – AKADEMIKS; BGH 11.1.2007 – I ZR 96/04 – BGHZ 171, 73 = GRUR 2007, 800 Tz. 22 – Außendienstmitarbeiter; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.10; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 16; Beater Rn. 1737 und Rn. 1753; vor der UWG-Reform 2008 in der Rechtsprechung BGH 21.2.2002 – I ZR 281/99 – GRUR 2002, 902, 905 – Vanity-Nummer, wohl auch BGH 20.3.2006 – I ZR 144/03 – GRUR 2006, 596, 598 – 10% billiger. 237 Paul S. 146; Beater Rn. 1737. 238 Vgl. etwa Omsels WRP 2004, 136, 139; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 21; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 12b und Rn. 12c; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 7. 239 Siehe oben Rn. 8 ff. 240 Siehe oben Rn. 30 f. 241 So Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.9; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/11. 242 OLG Hamm 5.10.2004 – 4 U 96/04 – WRP 2005, 525; Köhler NJW 2004, 2121, 2122; ausführlich auch Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.15 ff.
389
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
Mitteln unterschieden werden. Als wettbewerbseigen anzusehen ist die Ausübung der eigenen Entfaltungsfreiheit des Handelnden. Sie ist grundsätzlich lauterkeitsrechtlich unbedenklich und zwar auch dann, wenn sie einen Mitbewerber im Ergebnis behindert. Die Vermutung der Zulässigkeit wettbewerbseigener Mittel gilt zunächst für Maßnahmen des unmittelbaren Qualitäts- und Preiswettbewerbs, vor allem der Preisherabsetzung, ferner für Maßnahmen der informierenden Werbung sowie Public-RelationsAktivitäten, sofern es um eine Darstellung der eigenen Produkte, Leistungen oder geschäftlichen Verhältnisse geht. Auch die werbende Einflussnahme auf Kunden und Mitarbeiter von Mitbewerbern gehört in diese Kategorie. Entscheidet sich der Kunde für eine neue Geschäftsbeziehung, so ist an der Ausnutzung dieser Kundenentscheidung nichts Unlauteres zu finden. Die Grenze zur Unlauterkeit ist bei dieser genuin „marktvermittelten“ Behinderung erst dann überschritten, wenn unlauter auf den Entscheidungsprozess der Gegenseite eingewirkt wird.243 Als wettbewerbsfremd sind vor diesem Hintergrund vor allem ungesetzliche Mit84 tel einzuordnen, insbesondere soweit sie aus Gewalt oder Nötigung bestehen. Diese Art des Wettbewerbs fällt zwingend aus dem Repertoire der zulässigen Freiheitsentfaltung heraus.244 Es bedarf insoweit auch keiner besonderen Abwägung, um diese Mittel als unlauter zu kennzeichnen. Typischerweise fallen diese Mittel zudem auch unter die §§ 4a und 7. Schwieriger zu beurteilen sind psychisch wirkende Beeinträchtigungen. Diese sind nicht wettbewerbstypisch, aber auch nicht stets unlauter. In diese Kategorie fallen etwa die Ankündigung rechtlicher Schritte oder die Androhung geschäftlicher Nachteile.245 Alle diese Mittel sind nicht per se unlauter, können es aber sein, wenn sie in der Anwendung unverhältnismäßig sind.246 Dies bestimmt sich für den Behinderungstatbestand nach den Kriterien der Erforderlichkeit und Angemessenheit.247 Die Schädigungsabsicht ist zu vermuten, wenn die Mittel nicht sachangemessen, weil überzogen sind. Dies gilt für die unangemessen aggressive wie auch die irreführende und täuschende Einwirkung auf die Marktgegenseite. Entsprechend muss der Maßstab mit den Grenzziehungen der §§ 4a, 5, 5a und 7 übereinstimmen. 85
4. Unlauterkeit und ökonomische Analyse. Die Wettbewerbsökonomie hat sich bislang ganz überwiegend mit der Einordnung der missbräuchlichen Ausübung einer marktbeherrschenden Stellung im Kartellrecht auseinandergesetzt.248 Lauterkeitsrechtliche Wertungen sind davon betroffen, soweit die kartellrechtliche Fallgruppe des Behinderungsmissbrauchs parallel zu § 4 Nr. 4 ausgestaltet ist. Hier wie dort wird der Begriff der Behinderung verwendet.249 Für das Kartellrecht wird ausdrücklich gefordert, die Marktauswirkungen des Behinderungsmissbrauchs durch eine ökonomische Begleitforschung zu prognostizieren. Die EU-Kommission drängt darum auch bereits seit
_____
243 Siehe oben Rn. 32 ff. 244 Für Nötigung und Drohung etwa Beater Rn. 1775 und 1777. 245 BGH 12.3.1965 – KZR 8/63 – GRUR 1965, 440, 442 – Milchboykott (Androhung von Liefereinschränkung zur Erreichung gesetzlich zulässiger Preisverhandlung). 246 BGH 27.6.1975 – I ZR 97/74 – GRUR 1976, 427 – Einfirmenvertreter (Drohung, Verstöße gegen ein Konkurrenzverbot zur Anzeige zu bringen, unlauter); RG 20.9.1904 – II 580/03 – RGZ 59, 1 (allgemeine Drohung mit rechtlichen Schritten gegen interessenverletzendes Verhalten); Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.17; zudem bereits Kohler S. 32. 247 BGH 12.3.1965 – KZR 8/63 – GRUR 1965, 440, 443 – Milchboykott; BGH 10.5.1957 – I ZR 234/55 – BGHZ 24, 200 = GRUR 1957, 494, 496 – Spätheimkehrer. 248 Motta S. 411 ff.; Tirole S. 836. 249 Siehe oben Rn. 61 ff.
Dornis
390
Gezielte Behinderung
§4
längerer Zeit auf einen sogenannten more economic approach.250 Auf diese Weise soll vor allem verhindert werden, dass durch vorschnelle und überschießende Regulierung von Marktmacht möglicherweise wohlfahrtssteigernde Anpassungs- und Veränderungsprozesse auf den Märkten erschwert oder verhindert werden. Das wettbewerbsökonomische Instrumentarium bezieht sich zunächst auf neoklassische Verhaltensannahmen aber auch zunehmend auf Prognosen der Verhaltenspsychologie und spieltheoretische Modelle mit jeweils empirischer Absicherung.251 Dieser Ansatz strebt nach gesicherten Erkenntnissen darüber, ob Verhaltensweisen zur Abschottung von Märkten oder zur Erhöhung von Marktzutrittsschwellen führen können, ohne dass zugleich wettbewerbsfreundliche Auswirkungen zu verzeichnen sind.252
86
Eine wettbewerbsökonomische Betrachtung dieser Art impliziert, dass marktstarke 87 Unternehmen einen nicht hinreichend durch Marktkräfte kontrollierten erweiterten Verhaltensspielraum haben, der sie in die Lage versetzt, Marktzutrittsbarrieren zu errichten oder sich gegen Konkurrenz abzusichern.253 Eine verdrängende oder behindernde Wirkung kann allerdings durch wettbewerbsfreundliche Effekte kompensiert werden. Das setzt voraus, dass die Effizienzvorteile der Strategie nachgewiesen werden oder dass dargelegt wird, welche Vorteile für die Verbraucher erzielt werden.254 Diese Analyse konzentriert sich beim Behinderungsmissbrauch auf Strategien der Preisunterbietung,255 der Gewährung von Ziel- oder Schwellenrabatten mit Sogwirkung256 sowie der Koppelungsangebote257 und Ausschließlichkeitsbindungen.258 Dabei ist abzuwägen, inwiefern solche Praktiken negative verdrängende oder marktzutrittshemmende Wirkungen haben, und in welchem Umfang sie ungeachtet dessen zur Absicherung von Investitionen, die ohne solche Absicherung unterbleiben, angemessen sind. Für das Lauterkeitsrecht sollte grundsätzlich auf die im Kartellrecht entwickelten 88 Regelszenarien zurückgegriffen werden können.259 Ein Fall der schädlichen Marktabschottung – und damit auch der gezielten Behinderung – wäre demnach zu vermuten, wenn eine bestimmte Strategie nicht unter Rückgriff auf die betriebswirtschaftlichen Parameter erklärt werden kann, sondern nur vor dem Hintergrund ihrer verdrängenden oder behindernden Wirkung. Ein Indiz für Behinderungswettbewerb ist, dass sich die Vorteile für den Handelnden erst nach dem Erfolg der Behinderung (konkret: der Verdrängung des Mitbewerbers und der nachfolgend gesteigerten Marktmacht) ergeben.260 Einer
_____
250 Vgl. insoweit z.B. European Commission/DG Competition DG Competition Discussion paper on the application of Article 82 of the Treaty to exclusionary abuses (December 2005) sowie die Mitteilung der Kommission „Erläuterungen zu den Prioritäten der Kommission bei der Anwendung von Artikel 82 des EGVertrags auf Fälle von Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende Unternehmen“, ABl. EU C 45 v. 24.2.2009, S. 7. 251 Vgl. Schwalbe/Zimmer. 252 Motta S. 412. 253 Siehe nur Aghion/Bolton 77 Am. Econ. Rev. 388 (1987). 254 Vgl. EuGH 15.3.2007 – C-95/04 P – Slg. 2007, I-2331 Tz. 86 – British Airways/Kommission. 255 Vgl. hierzu Mestmäcker/Schweizer § 18 Rn. 2. 256 Bsp.: EuG 7.10.1999 – T-228/97 – Slg. 1999, II-2969 – Irish Sugar/Kommission; EuGH 9.11.1983 – 322/81 – Slg. 1983, 3461 – Michelin I. 257 EuG 12.12.1991 – T-30/89 – Slg. 1991, II-1439 – Hilti/Kommission. 258 EuGH 3.7.1991 – C-62/86 – Slg. 1991, I-3359 – AKZO/Kommission; EuGH 13.2.1979 – 85/76 – Slg. 1979, 461 – Hoffmann-LaRoche/Kommission. 259 Zum Gleichlauf von Kartell- und Lauterkeitsrecht siehe oben Rn. 61 ff. und unten Rn. 248 ff. 260 Berücksichtigt wird dabei, dass eine Verdrängungsstrategie zunächst Kosten erzeugt. Können diese Kosten nicht betriebswirtschaftlich erklärt werden, liegt die Behinderungsabsicht nahe. Wettbewerbsfunktional ist diese Strategie problematisch, weil zu befürchten ist, dass die Abnehmer nach
391
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
unmittelbaren Übernahme der ökonomisch determinierten Schutzzweckbestimmung und -abgrenzung steht allerdings die immer noch zögerliche Haltung der wohl überwiegenden Meinung im Schrifttum und in der Rechtsprechung entgegen. Nach wie vor sollen die Grenzen des Tatbestands der gezielten Behinderung auch und vor allem durch Zwecke des Individual- und Mitbewerberschutzes bestimmt werden. Bei Kollision der ökonomischen und der traditionell individualschützenden Schutzzwecke kann darum noch nicht von einem umfassenden Vorrang des Effizienzgedankens gesprochen werden.261 V. Fallgruppen 89
Für die verschiedenen Fallgruppen der Behinderung ist nach dem jeweiligen Schutzgegenstand und der Handlungsweise der Behinderung zu differenzieren. Dabei sind drei Kategorien zu unterscheiden.262 Die Fallgruppe der Eingriffe im Horizontalverhältnis umfasst zunächst alle unmittelbar zwischen den Mitbewerbern stattfindenden Transaktionen unter Beeinträchtigung des einer Seite bereits zugewiesenen Bestandes an Rechten und Vermögen. Entscheidend hierfür ist eine hinreichende Verdichtung und Zuordnung von Rechten und Vermögensbestandteilen, so dass tatsächlich von einem Teil des Betriebsvermögens auf der Seite des Betroffenen gesprochen werden kann. Hiervon zu unterscheiden sind die beiden anderen Kategorien des Eingriffs, bei denen die jeweils betroffene Position des Mitbewerbers immer noch im Bereich der sogenannten Entfaltungsfreiheit liegt. Diese ist grundsätzlich uneingeschränkt dem Wechselspiel der Wettbewerbskräfte und damit auch dem Zugriff der Mitbewerber ausgesetzt. Für die erste Kategorie muss von Eingriffen im Vertikalverhältnis gesprochen werden. Sie betrifft alle Konstellationen einer Behinderung, die unmittelbar im Verhältnis zur Marktgegenseite umgesetzt wird. Typischerweise sind dies Verhaltensweisen im Markt, die sich an die Abnehmer oder Verbraucher des Produkts eines Mitbewerbers richten. Hier gilt zunächst die Vermutung der lauterkeitsrechtlichen Unbedenklichkeit. Schließlich ist es das Wesen des Wettbewerbs, dass die Mitbewerber hierdurch in ihrer Entfaltungsfreiheit eingeschränkt werden.263 Die Grenze zur Unlauterkeit ist überschritten, wenn sich die eingesetzten Mittel als unangemessen erweisen. Zum Teil überschneiden sich Fallgruppen dieser Kategorie mit unmittelbaren Eingriffen in das Betriebsvermögen oder die Betriebsabläufe, insbesondere dann, wenn der Eingriff in einen auf der Gegenseite zu verortenden Rechts- und Vermögensbestand erfolgt, so z.B. bei der Anschwärzung, Eingriffen in den goodwill (guten Ruf) eines Mitbewerbers oder dem Verleiten zum Vertragsbruch. Eine zweite Kategorie des Eingriffs in die Entfaltungsfreiheit ist vom individuellen Schutzbereich des behinderten Mitbewerbers noch weiter entfernt. Diese Fallgruppe ist durch die Nähe zum Kartellrecht und das Bestreben einer Regulierung von Marktstrukturen charakterisiert und wird für Fälle des Boykotts, der Diskriminierung, des Missbrauchs von Nachfragemacht sowie Verdrängung- und Vernichtungsstrategien diskutiert.264
_____
einer Phase der Preissenkung schlechtere Marktbedingungen vorfinden werden. Siehe z.B. Areeda/Turner 88 Harv. L. Rev. 697, 698 (1975); Bork S. 144. Siehe zudem unten Rn. 248 ff. 261 Siehe zur ökonomischen Analyse der Regelungszwecke zudem oben Rn. 28 ff. 262 Siehe oben Rn. 67 ff. 263 Siehe oben Rn. 77 ff. 264 Siehe unten Rn. 248 ff.
Dornis
392
Gezielte Behinderung
§4
1. Horizontalverhältnis a) Charakterisierung: Schutzgegenstände und Handlungsmodalitäten. Fälle ei- 90 ner individualbezogenen Behinderung im Horizontalverhältnis zwischen Mitbewerbern umfassen zunächst typischerweise Eingriffe in die betriebliche Integrität und Störungen der betrieblichen Abläufe.265 Dies betrifft jede unmittelbar gegen die persönlichen und sachlichen Ressourcen sowie gegen die betrieblichen Abläufe im Unternehmen des Mitbewerbers gerichtete Störung. Erfasst ist die physische Einwirkung auf Gegenstände des Unternehmensvermögens (z.B. Beschädigung) oder Mitarbeiter (z.B. Körperverletzung) sowie auf die Abläufe der Produktion (z.B. körperlich wirkende Eingriffe in Informations- oder Kommunikationstechnologien). Die Betriebsstörung steht in engem Zusammenhang zu zivilrechtlichen Tatbeständen der Eigentums- und Besitzverletzung. Wie beim Schutz des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nach § 823 Abs. 1 BGB liegt der Kern des deliktischen Vorwurfs darin, dass die Handlung sich unmittelbar gegen den Betrieb richtet, also betriebsbezogen ist.266 Wird die Handlung von einem Mitbewerber vorgenommen, wird der Betriebsbezug vermutet. Eine lediglich mittelbare Beeinträchtigung der betrieblichen Entfaltung als Nebenfolge eines erlaubten Verhaltens im Wettbewerb (z.B. die fahrlässige Kappung der Stromversorgung infolge von Bauarbeiten) fällt nicht in den Schutzbereich.267 Hierfür ist auf deliktische Tatbestände des bürgerlichen Rechts zurückzugreifen. In die Betriebssphäre kann auch bereits dann körperlich eingegriffen werden, wenn 91 Gegenstände erfasst sind, die dem Betroffenen durch die Rechtsordnung noch nicht vollständig dinglich zugeordnet sind. Dazu gehören z.B. Eingriffe in die IT-Struktur des Unternehmens oder seine Kommunikationsanlagen. Zum Betriebsvermögen in diesem weiteren Sinne gehören auch die inneren Produktionsabläufe, nicht offensichtliches betriebliches Wissen (unterhalb der Schwelle des Betriebsgeheimnisses) sowie Anwartschaften auf immaterielle Güter (z.B. noch nicht erworbene Registerrechte). Für diese Gegenstände ist bereits eine verfestigte Bindung zum Betrieb feststellbar. Sie sind stärker verdichtet als die jedem Mitbewerber zustehende wirtschaftliche Entfaltungsfreiheit. Gegenstand einer Betriebsstörung können vor diesem Hintergrund auch Eingriffe in konkretisierte Formen des immateriellen Unternehmensvermögens sein, so z.B. bei der Schädigung des goodwills eines Mitbewerbers (im Sinne seines guten Rufs und Ansehens im Markt). Ebenso können Vertragsbeziehungen mit Mitarbeitern, Kunden und Geschäftspartnern gegen „Betriebsstörungen“ geschützt sein, so nach noch vertretener Ansicht jedenfalls bei der Verleitung zum Vertragsbruch.268 Bei den Eingriffen in das Betriebsvermögen kann man körperlich wirkende Ein- 92 griffe (Beschädigung, Zerstörung) von rein psychisch wirkenden Störungen abgrenzen. Zu den ersten gehören Testmaßnahmen im Betrieb eines Mitbewerbers,269 Anrufe am Arbeitsplatz270 und Eingriffe in Kommunikationseinrichtungen. Eine Störung dieser Art erfolgt auch bei der Betriebsspionage durch Aneignung immaterieller Vermögensgegenstände. Zu den rein psychisch wirkenden Eingriffen zählen die sogenannte Aufwiegelung und Unruhestiftung sowie schädliche Äußerungen über Mitbewerber (oder deren Leistungen), zudem Erpressung oder Nötigung von Mitarbeitern eines Mitbewerbers.
_____ 265 266 267 268 269 270
393
Siehe z.B. nur Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/19; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 45. Henning/Harte/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 52; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/19. Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 52. Siehe unten Rn. 176 ff. Siehe unten Rn. 102 ff. Siehe unten Rn. 117 und 205 f.
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
93
Besonderen Regeln unterliegen Handlungen, die in Geltendmachung und Verteidigung der eigenen Rechte des Handelnden erfolgen. Typische Fälle sind die Ausübung oder Verteidigung von gewerblichen Schutzrechten oder Urheberrechten, insbesondere die Schutzrechtsverwarnung oder die Abmahnung wegen unlauterer Praktiken,271 ferner die Anmaßung von Kennzeichen in Sperrabsicht und die Eintragung von Defensivzeichen.272 94 Von den tatsächlich verdinglichten oder hinreichend verdichteten Bestandteilen des Unternehmensvermögens zu unterscheiden ist die reine Entfaltungsfreiheit des Mitbewerbers am Markt. Sie mag verfassungsrechtlich durch Art. 12 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG geschützt sein, fällt aber nicht in eine Enklave des Bestandsschutzes wie das tatsächlich vorhandene oder hinreichend verdichtete Betriebsvermögen. Die Entfaltungsfreiheit unterliegt vielmehr umfassend dem Wettbewerbsprozess und ist folglich auch uneingeschränkt dem Zugriff der Konkurrenz ausgesetzt.273 b) Unlauterkeitskriterien. Betriebsstörungen durch physische Einwirkungen werden ganz überwiegend als unlauter angesehen.274 Zum Teil wird darüber hinaus gefordert, dass die Störung vorsätzlich erfolgen müsse.275 Bei physischen Eingriffen folgt die Unlauterkeit bereits daraus, dass ein Unternehmen betriebsbezogene Mittel gegen einen Mitbewerber anwendet. In der Regel ist diese Beeinträchtigung weder rechtmäßige Ausübung der eigenen Entfaltungsfreiheit noch kann sie gerechtfertigt werden. Hier muss kein Schädigungsvorsatz nachgewiesen werden; dieser ist vielmehr zu vermuten.276 Rein psychische Einwirkungen unterliegen hingegen keiner vergleichbaren per se-Regel. Hier verlangt die Feststellung der Unlauterkeit eine Abwägungsentscheidung. Dabei spielt die Verhältnismäßigkeit des angewendeten Mittels eine besondere Rolle.277 96 Für Eingriffe in immaterielle Güter des Unternehmens ist grundsätzlich kein Unterschied zu physischen Eingriffen in das Betriebsvermögen zu sehen. Dies gilt uneingeschränkt für die Betriebsspionage, die stets als unlauter angesehen wird.278 Und auch im Hinblick auf die Abgrenzung zum Immaterialgüterrecht ist grundsätzlich keine Einschränkung des Behinderungstatbestandes vorzunehmen.279 Selbstverständlich sollten Positionen im Vorfeld des Immaterialgüterrechtsschutzes nicht mit einem per se-Schutz ausgestattet werden, wenn dadurch die Schutzschwellen des Sonderrechtsschutzes (z.B. Registrierung oder Verkehrsgeltung) überflüssig werden. Eine derartige konfligierende Überlappung ist aber ausgeschlossen, wenn man sowohl für den Sonderrechtsschutz als auch für § 4 Nr. 4 präzise nach den Schutzzwecken differenziert. Der Behinderungstatbestand dient nicht der Schaffung oder Absicherung von immaterialgüterrechtlichen Eigentumspositionen oder Anwartschaften. Sanktioniert wird die Behinderung als solche. 95
_____
271 Siehe unten Rn. 153 ff. 272 Siehe unten Rn. 125 ff. 273 Siehe oben Rn. 28 ff. 274 Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/19; Henning/Harte/Omsels § 4 Nr. 10 Rn. 50; Götting/Nordemann/Wirtz § 4 Nr. 4 Rn. 4.13; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 183; Ekey/Klippel/Kotthoff/Meckel/Plaß § 4 Rn. 477. 275 So wohl MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 76; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.160; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 45. 276 Unklar insoweit aber z.B. MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 76; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 4.160; Götting/Nordemann/Wirtz § 4 Nr. 4 Rn. 4.12. 277 Siehe oben Rn. 84. 278 BGH 16.3.1973 – I ZR 154/71 – GRUR 1973, 483, 485 – Betriebsspionage; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 77; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 66 f.; Ekey/Klippel/Kotthoff/Meckel/Plaß § 4 Rn. 478; Götting/Nordemann/Wirtz § 4 Nr. 4 Rn. 4.15. 279 A.A. aber z.B. GK-UWG/Peifer2 § 4 Nr. 10 Rn. 206.
Dornis
394
Gezielte Behinderung
§4
Die dabei betroffenen Immaterialgüter und deren Vorstufen sind lediglich Ausgangspunkt des Lauterkeitsverstoßes. Es kann darum auch eine behindernde Einwirkung auf den Anmeldeprozess für ein Sonderrecht oder eine Behinderung des Aufbaus einer Sonderrechtsposition (z.B. goodwill) als unlauter behindernd angesehen werden.280 Auf den Abschluss der sonderrechtlichen Zuordnung, etwa durch Eintrag ins Register oder Erreichen der Schutzschwellen, kommt es dabei nicht an. Für Verwarnungen eines Mitbewerbers, sei es aus Schutzrechten oder zur Ahn- 97 dung behaupteter Lauterkeitsverstöße, ist zu differenzieren: Diese sind zunächst ungeachtet ihres Betriebs- und Mitbewerberbezuges grundsätzlich erlaubt, weil jedermann um Rechtsschutz nachsuchen oder seine Rechte verteidigen darf. Besonderheiten gelten allerdings, wenn das objektive Behinderungspotential besonders hoch ist, so z.B. bei Schutzrechtsverwarnungen.281 c) Fallgruppen aa) Physische Eingriffe (1) Allgemeines. Physische Betriebsstörungen sind typische Formen des Behinde- 98 rungswettbewerbs, so insbesondere die Zerstörung und Beschädigung von Sach- und Betriebsmitteln,282 das Zumauern des Geschäftslokals,283 Blockaden des Betriebs284 oder des Zugangs zum Werkseingang.285 Die Behandlung dieser Fälle ist unstreitig, aber praktisch selten. Zu den weicheren, aber ebenfalls physischen Formen der Behinderung gehört z.B. das Einschieben von nachgeahmten Leergutcontainern in das für Außenseiter nicht offene System eines Mineralwasserverbandes, wenn solche Container das Rücklaufsystem stören, weil die eingeschobenen Kisten manuell aussortiert werden müssen.286 Ausnahmsweise zulässig sein soll ein Einschieben allerdings, wenn es als Abwehrverhalten gegen eine diskriminierende Zugangsverweigerung durch marktbeherrschende Betreiber zum Einsatz kommt.287 Einem physischen Eingriff in den Betrieb gleichgestellt ist der Einbruch in die IT- 99 Infrastruktur eines Mitbewerbers,288 sei es durch Löschen von Daten oder durch gezieltes und massives Abfragen von Netzressourcen, wenn dies objektiv geeignet ist, die Website des Opfers zu schädigen, andere Abfragen zu blockieren oder sie zu behindern. Das Umleiten von Homepage-Adressen durch gezielt eingeschaltete Zwischenserver gehört zu den physischen Blockadehandlungen, sofern dazu in die Serverstruktur eingegriffen wird („Hacken“). Die virtuelle Infrastruktur ist ebenfalls Teil der Betriebsressour-
_____
280 Siehe unten Rn. 125 ff. 281 Siehe unten Rn. 153 ff. 282 BGH 24.6.2004 – I ZR 26/02 – GRUR 2004, 877, 879 – Werbeblocker; GK-UWG/Brandner/Bergmann § 1 Rn. A 248; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.160; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/19; Henning/ Harte/Omsels § 4 Nr. 10 Rn. 50; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 52. 283 Beater WRP 2011, 7, 11; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.160; vgl. auch RG 13.2.1911 – VI 652/09 – RGZ 76, 35. 284 BGH 30.5.1972 – VI ZR 6/71 – BGHZ 59, 30 = GRUR 1973, 90; RG 29.5.1902 – VI 50/02 – RGZ 51, 369, 374. 285 Götting/Nordemann/Wirtz § 4 Nr. 4 Rn. 4.13; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 45. 286 OLG Frankfurt 3.2.1972 – 6 U 68/71 – GRUR 1973, 83 (Kunststoffkästen); zudem auch MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 76; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.160; juris-PK/ Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 183; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 50; Götting/Nordemann/Wirtz § 4 Nr. 4 Rn. 4.13. 287 OLG Frankfurt 3.2.1972 – 6 U 68/71 – GRUR 1973, 83, 84; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 183. 288 Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 52; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 184.
395
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
cen, auch wenn sie nicht körperlich fassbar ist (wie z.B. Hardware). Daher kann auch ein Eingriff in „Cloud-Systeme“ eine Betriebsstörung sein. Keine gezielte Behinderung von Online-Börsen ist allerdings der Vertrieb von Software, die eine gleichzeitige Suchanfrage bei mehreren Online-Börsen ermöglicht.289 Der Eingriff in den Betriebsablauf ist auch das maßgebliche Unlauterkeitselement 100 bei unerwünschten Werbeanrufen oder sonstiger Werbekommunikation. Dieser in § 7 Abs. 2 besonders erfasste Fall ist dadurch gekennzeichnet, dass Betriebsressourcen wie die Ablauforganisation, aber auch körperliche Ressourcen, wie das Papier eines Fernkopierers oder die Datenleitungen und Speicherkapazitäten des Angerufenen, blockiert werden.290 Qualitativ unterscheidet sich das Verhalten nicht von der Blockade des Zugangs zu einem physischen Betriebsort. In beiden Fällen wird der betroffene Mitbewerber daran gehindert, seiner eigentlichen Tätigkeit nachzugehen. Die Wertungen der beiden Vorschriften decken sich. Mit dem Verbot der Anwendung physischer Blockademittel lassen sich schließlich 101 auch zwei geradezu klassische Fälle der Betriebsstörung erklären. So ist bei Testmaßnahmen die Störung der Betriebsabläufe das zentrale Unlauterkeitskriterium.291 Gleiches gilt für das Abwerben von Mitarbeitern an ihrem Arbeitsplatz und das Abwerben bereits zum Kauf entschlossener Kunden in den Geschäftsräumen oder auf dem Grundstück eines Mitbewerbers.292 (2) Testkäufe und Testmaßnahmen 102
(a) Definition. Die meisten Testmaßnahmen eines Unternehmers gegen Mitbewerber sind mit unmittelbaren physischen Auswirkungen verbunden, weil sich der Testende in den Betrieb oder in den Bereich der Geschäftsabläufe des Getesteten begeben muss. Testmaßnahmen sind z.B. zu Testzwecken vorgenommene Käufe, Interviews oder Befragungen von Mitarbeitern oder Geschäftspartnern, das Anfertigen von Fotos oder die Abfrage von Internetseiten. Alle diese Maßnahmen dienen der Überwachung des Verhaltens von Mitbewerbern, etwa um Wettbewerbsverstöße aufzuspüren oder um die Einhaltung von Vertragsbindungen zu kontrollieren.293 Sie können aber auch schlicht dazu dienen, die Angebotskonditionen eines Mitbewerbers in Erfahrung zu bringen. In diesem Fall sind sie Teil des natürlichen Wettbewerbsgeschehens.294
103
Testmaßnahmen werden insbesondere von Markenartikelherstellern295 und von den Betreibern von Vertriebsbindungssystemen eingesetzt, die nach früherer Rechtsprechung die praktische Lückenlosigkeit ihrer Systeme nachzuweisen hatten.296 Eine große Rolle spielten zeitweise auch Verstöße gegen Bindun-
_____
289 BGH 22.6.2011 – I ZR 159/10 – GRUR 2011, 1018 Tz. 73 – Automobil-Onlinebörse; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.160; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 46a. 290 BGH 25.10.1995 – I ZR 255/93 – GRUR 1996, 208, 209 – Telefax-Werbung (erhöhter Arbeits- und Zeitaufwand); OLG Hamm 17.5.1990 – 4 U 22/90 – GRUR 1990, 689, 690; auch nach Umstellung der Technologien noch relevant BGH 1.6.2006 – I ZR 167/03 – GRUR 2007, 164 Tz. 9 – Telefax-Werbung II (Belastung von Betriebsabläufen). 291 Siehe unten Rn. 102 ff. 292 Siehe unten Rn. 117 f. und Rn. 243 ff. 293 BGH 14.4.1965 – Ib ZR 72/63 – BGHZ 43, 359 = GRUR 1965, 612, 613– Warnschild; von Gamm Kap. 30 Rn. 17, S. 577; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/20; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.161. 294 Ohly GRUR 2003, 641, 645 f.; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/20; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.161; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 79; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 54; a.A. OLG Saarbrücken 2.8.2000 – I U 1086/99–265 – GRUR 2001, 175, 176. 295 BGH 18.5.1966 – Ib ZR 60/64 – GRUR 1966, 564 – Hausverbot I. 296 BGH 26.6.1981 – I ZR 71/79 – GRUR 1981, 827 – Vertragswidriger Testkauf.
Dornis
396
Gezielte Behinderung
§4
gen des Personenbeförderungsgesetzes im Taxiverkehr, die dazu führten, dass Konkurrenten Taxifahrten beauftragten, die nach den dortigen Regeln nicht direkt, sondern nur über die Vermittlung einer Taxizentrale vergeben werden durften.297 Auch die Aufdeckung von Rechtsverstößen in regulierten Berufen, etwa bei Apothekern298 oder Ärzten,299 beschäftigte die Gerichte zeitweise ganz erheblich.
Ein Mitbewerber profitiert zunächst vom allgemeinen Einverständnis eines Un- 104 ternehmers in die Einwirkung auf seine Betriebsabläufe durch die Kunden. Dies gilt allerdings nur, solange er sich nicht störend verhält, also nicht offensichtlich die Grenzen dieses Einverständnisses überschreitet. Wer sich störend verhält, muss als Kunde wie auch als Mitbewerber vom Inhaber der Betriebsstätte Ordnungsrufe oder Platzverweise befürchten.300 Diese Erwägungen bestimmen die Beurteilung von Testmaßnahmen. (b) Grundsatz. Testmaßnahmen der vorgenannten Art sind nach übereinstimmen- 105 der Ansicht in Rechtsprechung und Schrifttum zulässig, solange sich der Tester wie ein normaler Kunde verhält.301 Zwei Gründe werden hierfür genannt. Der erste stellt darauf ab, dass es bei „Normalverhalten“ bereits an einer Störung fehlt. Ein Unternehmer, der die dem allgemeinen Verkehr offenstehenden Räumlichkeiten eines Mitbewerbers betritt oder telefonischen Zugang zu ihm sucht, greift nicht anders in die Betriebsabläufe ein als dies auch ein Kunde tun würde.302 Auch er darf sich darum auf das allgemeine Einverständnis berufen. Ein Unternehmer, der seine Betriebsräume oder Betriebseinrichtungen öffentlich zugänglich macht, verhält sich darum widersprüchlich, wenn er die Zugangserlaubnis an den von außen kaum je erkennbaren Zweck knüpft, der mit der Nutzung verfolgt wird.303 Der zweite Grund stellt darauf ab, dass der Unternehmer (oder ein Verband) sich wettbewerbsfunktionsgemäß verhält, wenn er das Marktverhalten seines Mitbewerbers überwacht und zu diesem Zweck Testmaßnahmen ergreift. Da das deutsche Wettbewerbsrecht allein auf die Durchsetzung durch Mitbewerber und Verbände setzt, müssen diese berechtigt sein, zur Erfüllung ihrer Aufgabe auf allgemein zugängliche Betriebsmittel des zu Überwachenden zuzugreifen.304 Testmaßnahmen sind darum Teil des Systems einer sogenannten regulation through litigation: die Umsetzung des Lauterkeitsrechts gründet auf dem Konzept der dezentralen Überwachungen der Marktteilnehmer durch ihre Mitbewerber (und Verbände).305
106
Die Testmaßnahme bleibt daher zulässig, sofern der Konkurrent sich auf die zur 107 Überwachung notwendigen Handlungen beschränkt und die Betriebsabläufe nicht stär-
_____
297 BGH 3.11.1988 – I ZR 231/86 – GRUR 1989, 113 – Mietwagen-Testfahrt; BGH 2.4.1965 – Ib ZR 71/63 – GRUR 1965, 607, 609 – Funkmietwagen. 298 BGH 13.7.1979 – I ZR 138/77 – GRUR 1979, 859, 860 – Hausverbot II. 299 OLG Karlsruhe 23.6.1993 – 6 U 184/92 – GRUR 1994, 130 (Testpatient). 300 GK-UWG/Brandner/Bergmann § 1 Rn. A 256; Ohlgart GRUR 1979, 861. 301 BGH 3.11.1988 – I ZR 231/86 – GRUR 1989, 113, 114 – Mietwagen-Testfahrt; BGH 26.6.1981 – I ZR 71/79 – GRUR 1981, 827, 828 – Vertragswidriger Testkauf; BGH 14.4.1965 – Ib ZR 72/63 – BGHZ 43, 359 = GRUR 1965, 612, 614 – Warnschild; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.161 f.; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/20; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 79; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 60; Harte/ Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 55. 302 BGH 13.7.1979 – I ZR 138/77 – GRUR 1979, 859, 860 – Hausverbot II; BGH 14.4.1965 – Ib ZR 72/63 – BGHZ 43, 359 = GRUR 1965, 612, 614 – Warnschild; im Grundsatz auch Ohlgart GRUR 1979, 861. 303 BGH 14.4.1965 – Ib ZR 72/63 – BGHZ 43, 359 = GRUR 1965, 612, 614 – Warnschild; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/20; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 56. 304 BGH 26.6.1981 – I ZR 71/79 – GRUR 1981, 827, 828 – Vertragswidriger Testkauf; OLG Hamburg 18.4.2007 – 5 U 190/06 – GRUR-RR 2007, 365, 366. 305 BGH 26.6.1981 – I ZR 71/79 – GRUR 1981, 827, 828 – Vertragswidriger Testkauf; OLG Hamburg 18.4.2007 – 5 U 190/06 – GRUR-RR 2007, 365, 366; zudem auch Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 60; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 54.
397
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
ker beeinträchtigt als dies auch ein Kunde tun würde.306 Zu diesem „normalen“ Kundenverhalten gehören das Betreten des Geschäfts, die Befragung von Mitarbeitern nach Waren, die Bestellung und der Erwerb von Waren, ihr Test oder Vergleich. Auch wer das Geschäft des Mitbewerbers nur aufsucht, um dessen Preise oder Konditionen in Erfahrung zu bringen, verhält sich noch nicht atypisch, also auch nicht betriebsstörend.307 108 Grundsätzlich nicht als Betriebsstörung einzuordnen ist darum auch die Beobachtung eines Mitbewerbers von außerhalb der Geschäfts- und Betriebsräume oder -grundstücke. Hier fehlt es zunächst an einem physischen Eingriff.308 Erfolgt diese Art der externen Beobachtung hingegen systematisch und planmäßig, ist danach zu unterscheiden, ob sich aus der „Überwachungssituation“ als solcher die ernsthafte Gefahr einer Störung (etwa der Abschreckung von Kunden) ergeben kann.309 Ist dies der Fall, muss wohl von einer gezielten Behinderung ausgegangen werden.310 (c) Grenzen. Eine Testmaßnahme wird zur Betriebsstörung, wenn sich der Mitbewerber nicht so verhält, wie sich ein normaler Kunde verhalten würde. Dies gilt zunächst in Fällen, in denen die Testmaßnahme den Zweck hat, Unternehmensgeheimnisse auszukundschaften.311 Als Betriebsstörung anzusehen ist darüber hinaus auch allgemein jedes Verhalten, das zu Auseinandersetzungen mit dem Personal oder mit den Kunden führen kann oder so ungewöhnlich ist, dass die Aufmerksamkeit der Kunden mit der Folge möglicher Rufbeeinträchtigungen für den Mitbewerber erregt wird, oder das bei den Kunden den Verdacht erregen kann, dass sich der Mitbewerber unrechtmäßig verhält.312 Da die Testmaßnahme vom allgemeinen Einverständnis gegenüber dem Publikum 110 oder einer besonderen Einwilligung gegenüber dem Testenden313 abhängt, ist sie auch dann als Betriebsstörung einzuordnen, wenn sich der Unternehmer die Einwilligung erschlichen hat.314 Davon geht die Praxis etwa aus, wenn eine Bestellung oder Befragung ausschließlich zu dem Zweck durchgeführt wird, den Unternehmer „hereinzulegen“.315 Die allgemeine Einwilligung gegenüber dem Publikum genügt zudem nicht, wenn strafbare Verhaltensweisen angewendet werden,316 so vor allem bei einer betrü-
109
_____
306 OLG Nürnberg 25.5.1982 – 3 U 928/82 – GRUR 1982, 571 (Testbeobachtung). 307 Vgl. aber OLG Saarbrücken 2.8.2000 – I U 1086/99–265 – GRUR 2001, 175, 176 (unlauter, weil nicht auf die Feststellung von Wettbewerbsverstößen gerichtet). 308 BGH 16.7.2009 – I ZR 56/07 – GRUR 2009, 1075 Tz. 23 – Betriebsbeobachtung; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/21c. 309 Offengelassen in BGH 16.7.2009 – I ZR 56/07 – GRUR 2009, 1075 Tz. 23 – Betriebsbeobachtung. 310 Vgl. auch Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/21c; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.163; Harte/ Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 61. 311 Braundau/Gal GRUR 2009, 118, 119 f.; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/21; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 61; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 59. 312 BGH 25.4.1991 – I ZR 283/89 – GRUR 1991, 843, 844 – Testfotos I. 313 Dazu OLG Karlsruhe 24.2.1993 – 6 U 96/92 – GRUR 1994, 62 (Zustimmung des Unternehmers zur Teilnahme eines Mitarbeiters des Mitbewerbers an einem Werbegespräch mit Kunden). 314 Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/21; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.162; Harte/Henning/ Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 59. 315 BGH 3.11.1988 – I ZR 231/86 – GRUR 1989, 113, 114 – Mietwagen-Testfahrt; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.162. 316 BGH 3.11.1988 – I ZR 231/86 – GRUR 1989, 113, 114 – Mietwagen-Testfahrt; BGH 19.12.1984 – I ZR 181/82 – GRUR 1985, 447, 450 – Provisionsweitergabe durch Lebensversicherungsmakler; BGH 14.4.1965 – Ib ZR 72/63 – BGHZ 43, 359 = GRUR 1965, 612, 614 – Warnschild; BGH 2.4.1965 – Ib ZR 71/63 – GRUR 1965, 607, 609 – Funkmietwagen; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.162.
Dornis
398
Gezielte Behinderung
§4
gerischen, erpresserischen oder nötigenden Einwirkung oder bei der unbemerkten Aufnahme von Tonbandaufzeichnungen von Gesprächen.317 Überdies hat die Rechtsprechung für den Wegfall der Einwilligung auch die „Anwendung besonderer Verführungskunst“ genügen lassen.318 In einer früheren Entscheidung hat der BGH dazu ausgeführt, die Anwendung „besonderer Mittel“ könne die Testmaßnahme unzulässig machen und dabei auf Mittel verwiesen, die der typische Kunde nicht anwenden würde.319 In einer weiteren Entscheidung hat das Gericht dies dahingehend konkretisiert, dass es sich um Mittel handeln müsse, die „derart extrem“ seien und so wenig dem wirklichen Alltagsgeschehen entsprächen, „dass nicht davon gesprochen werden könne, eine Rechtsverletzung der mit der Klage geltend gemachten Art habe bereits stattgefunden“.320 Es geht also um Mittel, durch welche der Rechtsverstoß nicht nur registriert, sondern erst in einer Art und Weise provoziert wird, die nach den Umständen allein durch den getesteten Betrieb so nicht vorgenommen worden wäre, wenn nicht der Tester einen Mitarbeiter dazu verleitet oder überredet hätte.321 Insoweit ist zu beachten, dass provozierte Rechtsverstöße stets als Form des Rechtsmissbrauchs anzusehen sind.322 Praktische Fälle sind selten. Im Schrifttum wird als Beispiel der Notfall genannt, der nur vorgetäuscht wird, um eine unzulässige Dienstleistung zu erhalten.323
111
Testmaßnahmen, die lediglich dazu dienen, Rechtsverstöße aufzudecken, sind al- 112 lerdings weder als Provokation noch als unzulässige „Verführung“ anzusehen.324 Ein besonderes Problem in der Praxis bildete lange Zeit die Frage der Zulässigkeit 113 des Fotografierens in Geschäftsräumen. Insoweit wurde in Fällen, in denen die Anfertigung einer Fotografie als nicht kundenübliches Verhalten angesehen werden kann, etwa bei Gefahr von Auseinandersetzungen mit dem Verkaufspersonal oder der Möglichkeit, dass anwesende Kunden die Maßnahme zum Anlass nehmen können, am guten Ruf eines Kaufmanns zu zweifeln, von einer grundsätzlich als unlauter einzuordnenden Testmaßnahme ausgegangen.325 Dies ist zwar bis heute der Ansatz der Rechtsprechung,326 doch sehen die Gerichte das Fotografieren in Geschäften mittlerweile nicht mehr als generell unüblich und damit unlauter an.327 Dabei spielt die entscheidende Rolle, dass das Anfertigen von Fotografien unter Verwendung von Smartphones auch für Kunden üblich geworden ist, so etwa zur Weiterleitung an „Kaufberater“ aus dem Familien- oder Freundeskreis, vor allem aber zur Illustration des eigenen Konsumverhaltens in sozialen Netzwerken. Die Anfertigung von Fotografien als solche ist daher nicht mehr
_____
317 Bartl WRP 1996, 386, 389. 318 BGH 25.2.1992 – X ZR 41/90 – BGHZ 117, 264 = GRUR 1992, 612, 614 – Nicola; BGH 19.12.1984 – I ZR 181/82 – GRUR 1985, 447, 450 – Provisionsweitergabe durch Lebensversicherungsmakler; zustimmend Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/21; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 62. 319 BGH 14.4.1965 – Ib ZR 72/63 – BGHZ 43, 359 = GRUR 1965, 612, 614 – Warnschild. 320 BGH 2.4.1965 – Ib ZR 71/63 – GRUR 1965, 607, 609 – Funkmietwagen. 321 BGH 3.11.1988 – I ZR 231/86 – GRUR 1989, 113, 114 – Mietwagen-Testfahrt; BGH 2.4.1965 – Ib ZR 71/63 – GRUR 1965, 607, 609 – Funkmietwagen; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/21. 322 Vgl. Friedrich FS Sandrock S. 321, 330; zudem z.B. OLG Hamm 3.5.2011 – 4 U 9/11 – GRUR-RR 2011, 329, 331; OLG Hamm 13.7.2010 – 4 U 21/10 – GRUR-RR 2011, 17, 19; allg. auch Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.162. 323 Friedrich FS Sandrock S. 321, 329. 324 Vgl. Friedrich FS Sandrock S. 321, 328. 325 BGH 25.4.1991 – I ZR 283/89 – GRUR 1991, 843, 844 – Testfotos; BGH 23.5.1996 – I ZR 122/94 – WRP 1996, 1099, 1101 – Testfotos II; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.163; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 82; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 64; vgl. auch kritisch Krings GRUR 1991, 844. 326 Vgl. BGH 25.1.2007 – I ZR 133/04 – GRUR 2007, 802 Tz. 28 – Testfotos III; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 82; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 60. 327 BGH 25.1.2007 – I ZR 133/04 – GRUR 2007, 802 Tz. 27 – Testfotos III; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 64; zuvor auch bereits Krings GRUR 1991, 844.
399
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
ohne weiteres verboten. Die Grenze zur Unlauterkeit wird allerdings auch heute noch überschritten, wenn die Situation bei Abwägung der beteiligten Interessen nach den Gesamtumständen, etwa mit Blick auf die Art der Ware oder der Geschäftsräume, ungewöhnlich ist, und darum die Gefahr einer Störung in sich trägt.328 (d) Abwehrmaßnahmen. Die Zulässigkeit entfällt, wenn die Einwilligung entzogen wird. Ebenso wie der Kaufmann das Recht hat, einem Kunden Hausverbot zu erteilen oder den Vertragsschluss mit ihm abzulehnen, kann er seine Einwilligung auch von bestimmten Verhaltensregeln abhängig machen. 329 Darum ist es grundsätzlich möglich, Testkäufern den Zutritt zu verbieten und erkannten Testkäufern Hausverbot zu erteilen („Aussperren von Wettbewerbern“).330 Ein generelles Hausverbot für Testkäufer ist allerdings nicht zulässig, sondern nur bei auffälligem und ungewöhnlichem Verhalten, welches als Störung eingeordnet werden kann.331 Darum ist auch die Verankerung eines Verbots in AGB eines Großhändlers unzulässig, dessen Geschäft nur nach Erwerb einer Einkaufsberechtigung soll betreten werden dürfen.332 Gleiches gilt für ein individualisiertes Hausverbot gegenüber einem namentlich bekannten Testkäufer.333 Derartige „Abwehrmaßnahmen“ können ihrerseits als gezielte Behinderung des testenden Mitbewerbers angesehen werden. Diese immanente Beschränkung des unternehmerischen Hausrechts resultiert zwingend aus der Struktur des sogenannten regulation through litigation.334 Ein einschränkungsloses Hausrecht würde einen safe haven in Form eines von der Kontrolle durch Mitbewerber isolierten Betriebsbereichs schaffen. Wird eine Internetseite durch einen Mitbewerber „gestört“, etwa in Form systema115 tisch gehäufter Aufrufe, kann darauf mit einer Sperrung von IP-Adressen reagiert werden („virtuelles Hausverbot“). Die Grenze zur Störung ist allerdings erst dann überschritten, wenn die Nutzung der Internetseite (durch den Inhaber oder seine Kunden) durch das störende Verhalten erheblich eingeschränkt ist.335
114
116
(e) Kostenerstattung für rechtmäßige Testmaßnahmen. Kosten für Testkäufe, die der allgemeinen Marktbeobachtung dienen, sind nicht erstattungsfähig.336 Dies ist anders, wenn der Test bereits insoweit prozessbezogen erfolgt, als damit ein konkreter Wettbewerbsverstoß dargelegt und bewiesen werden soll. In diesem Fall sind die erfor-
_____
328 Vgl. zur Störungsgefahr oben Rn. 101 und 105 ff. Zudem z.B. Hagenkötter WRP 2008, 39, 43; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.163; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 60. 329 GK-UWG/Brandner/Bergmann § 1 Rn. A 256; Ohlgart GRUR 1979, 861. 330 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.163; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 84a. 331 Vgl. insoweit oben Rn. 101 und 105 ff. Zudem z.B. BGH 18.5.1966 – Ib ZR 60/64 – GRUR 1966, 564, 565 – Hausverbot I; BGH 13.7.1979 – I ZR 138/77 – GRUR 1979, 859, 860 – Hausverbot II; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/20; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.161; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 84a; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 60; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 58. 332 BGH 26.6.1981 – I ZR 71/79 – GRUR 1981, 827, 829 – Vertragswidriger Testkauf; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/20; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.161; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 60; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 58. 333 BGH 13.7.1979 – I ZR 138/77 – GRUR 1979, 859, 860 – Hausverbot II; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 58. 334 Siehe oben Rn. 39. 335 Vgl. z.B. OLG Hamburg 18.4.2007 – 5 U 190/06 – MMR 2008, 58 f.; OLG Hamm 10.6.2008 – 4 U 37/08 – MMR 2009, 269 f.; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 84a; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 58; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 201. 336 Siehe z.B. OLG Zweibrücken 1.4.2004 – 4 W 42/04 – GRUR-RR 2004, 343; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 209.
Dornis
400
Gezielte Behinderung
§4
derlichen Kosten im Festsetzungsverfahren nach § 91 Abs. 1 ZPO erstattungsfähig.337 Hinsichtlich des Umfangs ist ein Maßstab der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit anzulegen.338 In allen Fällen, in denen insoweit Kostenersatz gefordert wird, hängt der Anspruch davon ab, dass Rückgabe der Testware Zug um Zug gegen Kostenerstattung angeboten wird.339 Im Bereich der materiell-rechtlichen Erstattungsansprüche ist an Schadensersatz nach § 9 zu denken sowie an einen Anspruch auf Aufwendungsersatz aus §§ 670, 677, 683 BGB.340 (3) Abwerben von Mitarbeitern. Die vorgenannten Wertungen lassen sich auf das 117 Abwerben von Mitarbeitern an ihrem Arbeitsplatz übertragen.341 Der Unternehmer eröffnet seinen Abnehmern die Möglichkeit, seine Mitarbeiter anzurufen. Er bringt damit zum Ausdruck, dass er eine Kontaktaufnahme generell duldet. Zu berücksichtigen ist allerdings das Interesse des Unternehmers, zu verhindern, „dass zum Zweck der Abwerbung Mittel seines Betriebs in Anspruch genommen werden und der Arbeitsablauf in seinem Betrieb gestört wird.“342 Daher darf eine Kontaktaufnahme nur zur kurzen Anknüpfung der Kommunikation genutzt werden.343 Der Sache nach handelt es sich nämlich um eine physische Betriebsstörung, die nach den Grundsätzen des Übermaßverbots beurteilt werden muss.344 (4) Abwerben von Kunden. Beim Abwerben von Kunden unmittelbar im Geschäft 118 oder Betrieb eines Mitbewerbers zeigt sich die Problematik der Frage einer hinreichenden Verdichtung und Zuordnung von Vermögenspositionen im Wettbewerb besonders deutlich.345 Möglicherweise kann der unmittelbare Zugriff auf Kunden in der Betriebssphäre eines Mitbewerbers als physische Betriebsstörung und darum auch als gezielte Behinderung eingeordnet werden. Allerdings ist zu beachten, dass der Kundenstamm und die Kundenbeziehungen dem Unternehmer nicht in der Weise als Vermögensgegenstand zugeordnet sind, dass Mitbewerber hierauf nicht zugreifen dürften.346 Die Grenze zwischen der Zone einer freien Entfaltung im Wettbewerb und dem Bereich exklusiv zugewiesener Vermögenspositionen ist fließend. Für Fälle des Abwerbens von Kunden ist danach zu differenzieren, inwieweit zusätzlich (neben dem Abwerben als solchem) in die
_____
337 Vgl. z.B. BGH 20.10.2005 – I ZB 21/05 – WRP 2006, 237 – Geltendmachung der Abmahnkosten; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/20; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 84; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 205. 338 Vgl. z.B. OLG Frankfurt/M. 18.1.1985 – 6 W 170/84 – GRUR 1985, 401; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 65. 339 OLG Stuttgart 29.4.1986 – 8 W 61/86 – NJW-RR 1986, 978; KG 23.1.1976 – 1 W 955/75 – JurBüro 1976, 668; a.A. OLG Koblenz 2.2.1979 – 14 W 41/79 – WRP 1979, 813; zudem z.B. MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 84; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 206. 340 Vgl. z.B. OLG Karlsruhe 25.11.1987 – 6 U 129/86 – WRP 1988, 381; OLG Frankfurt/M. 18.1.1985 – 6 W 170/84 – WRP 1985, 349; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 210; Erman/Dornis § 683 Rn. 43. 341 Siehe zum Abwerben von Mitarbeitern ausführlich unten Rn. 205 ff. 342 BGH 4.3.2004 – I ZR 221/01 – GRUR 2004, 696, 698 – Direktansprache am Arbeitsplatz I; ebenso BGH 9.2.2006 – I ZR 73/02 – GRUR 2006, 426 Tz. 20 – Direktansprache am Arbeitsplatz II; BGH 22.11.2007 – I ZR 183/04 – GRUR 2008, 262 Tz. 12 – Direktansprache am Arbeitsplatz III. 343 BGH 4.3.2004 – I ZR 221/01 – GRUR 2004, 696, 698 – Direktansprache am Arbeitsplatz I; BGH 9.2.2006 – I ZR 73/02 – GRUR 2006, 426 Tz. 19 – Direktansprache am Arbeitsplatz II; BGH 22.11.2007 – I ZR 183/04 – GRUR 2008, 262 Tz. 12 – Direktansprache am Arbeitsplatz III. 344 Siehe oben Rn. 101. 345 Siehe zum ökonomischen Modell der Regelungszwecke oben Rn. 32 ff. 346 BGH 22.1.2009 – I ZR 30/07 – GRUR 2009, 500 Tz. 22 – Beta Layout; BGH 30.10.1962 – I ZR 128/61 – GRUR 1963, 197, 200 – Zahnprothesen-Pflegemittel; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.24; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/44; Lehmler § 4 Rn. 22; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 67; Ekey/Klippel/Kotthoff/Meckel/Plaß § 4 Rn. 425; Götting/Nordemann/Wirtz § 4 Nr. 4 Rn. 4.61.
401
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
Betriebsabläufe eingegriffen wird. In der Praxis erfolgt diese Abgrenzung mit Blick auf die eingesetzten Mittel. Das entscheidende Unlauterkeitskriterium wird darin gesehen, dass der Mitbewerber „sich gewissermaßen zwischen den Kaufinteressenten und den Mitbewerber schiebt, um ersteren noch vor dem Betreten der Verkaufsstätte, also vor dem beabsichtigten Geschäftsabschluss, abzufangen, um ihm eine Änderung seines Kaufentschlusses aufzudrängen.“347 119 Diese auf die räumlichen Gegebenheiten ausgerichteten Kriterien beschreiben im Ergebnis eine Zone der exklusiven Zuweisung von Kundenbeziehungen in den Räumen und innerhalb der Abläufe des Betriebs des beeinträchtigten Mitbewerbers („wettbewerbsfreie Zone“).348 Räumlich sind dem Unternehmer demnach aber nur die Geschäftsräume, nicht hingegen der öffentliche Straßenraum um die Geschäftsräume herum zugeordnet. Daher ist das Ansprechen von Kunden in unmittelbarer räumlicher Nähe zum Geschäft nicht unzulässig.349 Ein Recht auf eine konkurrenzfreie und nur vom Unternehmer allein nutzbare Werbezone außerhalb der Betriebsräume existiert nicht.350 Jenseits dieser engen Ausnahmefälle sind darum auch sämtliche Arten der Werbung im sachlichen oder zeitlichen Zusammenhang mit der Werbung eines Mitbewerbers grundsätzlich zulässig. Dies gilt z.B. für die Werbung in einem Branchenverzeichnis unter dem Anfangsbuchstaben einer anderen Sparte.351 Im Internet betrifft es vor allem die an eine Suchworteingabe geknüpfte Schaltung von Werbebannern oder Trefferlisten.352 120
bb) Psychisch vermittelte Eingriffe. In der Praxis sind rein psychisch vermittelte Eingriffe selten. Als Beispiele werden etwa das Aufwiegeln von Mitarbeitern genannt.353 Auch kann an die Streuung von Gerüchten bei Kunden oder in der Öffentlichkeit gedacht werden. In diesen Fällen ist die Ähnlichkeit zum Boykott evident.354 Auch für diese Fälle ist für die Beurteilung auf die Gefahr der Störung von Betriebsabläufen als Maßstab zurückzugreifen. Vor allem bei der Einflussnahme auf Mitarbeiter, die in die Betriebsorganisation eingegliedert sind und Einfluss auf betriebliche Abläufe haben, ist die Schwelle zur Unlauterkeit darum unter Umständen schnell überschritten. Zudem ist die Konkurrenz zu § 4 Nr. 1 und 2 zu beachten.355 Wie bei allen äußerungsbasierten Tatbeständen sind dann vor allem die Grundrechte der Meinungs- und der Pressefreiheit zu berücksichtigen.356 cc) Ausspähung und Aneignung von Betriebswissen (Betriebsspionage)
121
(1) Allgemeines. Als typischer Fall der Betriebsstörung gilt die Betriebsspionage.357 Sie geht zunächst in den meisten Fällen mit einer kurzfristigen Blockade betrieblicher
_____
347 BGH 8.4.1960 – I ZR 24/59 – GRUR 1960, 431, 433 – Kraftfahrzeugnummernschilder; BGH 22.1.2009 – I ZR 30/07 – GRUR 2009, 500 Tz. 23 – Beta Layout; BGH 27.2.1986 – I ZR 210/83 – GRUR 1986, 547, 548 – Handzettelwerbung; zudem Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/45. 348 Siehe z.B. OLG Brandenburg 19.12.1995 – 6 U 200/95 – NJW-RR 1996, 1514; vgl. zudem allerdings kritisch Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/47. 349 Vgl. BGH 12.5.2010 – I ZR 214/07 – GRUR 2011, 166 Tz. 30 – Rote Briefkästen; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/47; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.29. 350 OLG Hamm 14.1.2010 – 4 U 199/09 – BeckRS 2010, 03257; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/47. 351 Siehe hierzu BGH 24.11.2011 – I ZR 154/10 – GRUR 2012, 645 Tz. 17 f. – Mietwagenwerbung. 352 Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/49. Siehe hierzu auch unten Rn. 223 ff. 353 Siehe z.B. MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 76; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 68. 354 Siehe unten Rn. 252 ff. 355 Siehe oben Rn. 55. 356 Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 68. 357 Vgl. z.B. BGH 16.7.2009 – I ZR 56/07 – GRUR 2009, 1075 Tz. 20 – Betriebsbeobachtung.
Dornis
402
Gezielte Behinderung
§4
Ressourcen einher, insbesondere wenn Mitarbeiter während der Arbeitszeit ausspioniert und dadurch von ihren eigentlichen Aufgaben abgehalten werden, oder wenn ein Spion die betrieblichen Ressourcen zu betriebsfremden Zwecken nutzt. Zudem ist zu beachten, dass die Aneignung von Wissen über die Betriebsabläufe dem Betrieb auch mittel- bis langfristig schaden kann.358 Die Betriebsspionage ist darum grundsätzlich mit der Beschädigung körperlicher Betriebsmittel vergleichbar: durch unlautere Erweiterung des Kreises derjenigen, die Kenntnis haben, wird das Wissen des Betriebsinhabers als immaterielle Ressource entwertet. Das im Rahmen des Behinderungstatbestandes geschützte Betriebswissen umfasst 122 allgemein die vorhandenen Kenntnisse um technische und kaufmännische Grundlagen der individuellen Unternehmenstätigkeit. Der Begriff ist wohl weiter gefasst als der des Geschäfts- und Betriebsgeheimnisses. Letzterer umfasst als Schutzgut nämlich nur „jede im Zusammenhang mit einem Betrieb stehende Tatsache, die nicht offenkundig, sondern nur einem eng begrenzten Personenkreis bekannt ist und nach dem bekundeten, auf wirtschaftlichen Interessen beruhenden Willen des Betriebsinhabers geheim gehalten werden soll.“359 Zum weiter gefassten Begriff des Betriebswissens gehören hingegen auch Informationen, deren Kenntnis im Unternehmen nicht auf bestimmte Mitarbeiterkategorien begrenzt ist, die gleichwohl aber nicht öffentlich bekannt sind. Zu den demnach geschützten Informationen zählen darum etwa auch allgemein die Daten von Kunden, zu denen bereits eine Geschäftsbeziehung besteht, und die daher auch in Zukunft als Abnehmer in Frage kommen. Entscheidend ist, dass diese Daten nicht offenkundig sind, also nicht jederzeit ohne großen Aufwand aus allgemein zugänglichen Quellen geschöpft werden können.360 (2) Unlauterkeitskriterien. Die Aneignung von Betriebswissen ist für sich genom- 123 men nicht per se unlauter. Es ist vielmehr eine abgestufte Prüfungsreihenfolge zu beachten. Die Sonderregelungen zum Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen (bislang §§ 17 ff., neuerdings §§ 1 ff. GeschGehG)361 sind auf Geheimnisse im engeren Sinn bezogen.362 Unterhalb der sondergesetzlichen Grenzen ist als gezielte Behinderung außerdem anerkannt das Ausspähen von internen Betriebsverhältnissen und -vorgängen, wenn hierin die Vorbereitung künftigen Wettbewerbs auf Basis des so erlangten Wissens liegt.363 Nach der Gegenansicht soll eine derartige Ausdehnung des Behinderungstatbestandes abzulehnen sein, weil es weniger um die Störung betrieblicher Abläufe als um die Aneignung offenkundiger Informationen gehe.364 Dem wäre zuzustimmen, wenn der Schutzzweck des Behinderungstatbestandes nicht tatsächlich auch und insbesondere als auf die Abwehr physischer Betriebsstörungen gerichtet ange-
_____
358 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.164. 359 BGH 27.4.2006 – I ZR 126/03 – GRUR 2006, 1044 Tz. 19 – Kundendatenprogramm; BGH 7.11.2002 – I ZR 64/00 – GRUR 2003, 356, 358 – Präzisionsmessgeräte; BGH 1.7.1960 – I ZR 72/59 – GRUR 1961, 40, 43 – Wurftaubenpresse; BGH 15.3.1955 – I ZR 111/53 – GRUR 1955, 424, 425 – Möbelwachspaste. 360 Vgl. z.B. BGH 16.7.2009 – I ZR 56/07 – GRUR 2009, 1075 Tz. 20 – Betriebsbeobachtung; zudem auch MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 77. 361 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/943 zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung, BTDrucks. 19/4724 (4.10.2018). 362 Siehe GK-UWG/Dornis § 4 Nr. 3 Rn. 244 ff. 363 BGH 4.2.1993 – I ZR 319/90 – WRP 1993, 396, 397 – Maschinenbeseitigung; BGH 16.7.2009 – I ZR 56/07 – GRUR 2009, 1075 Tz. 20 – Betriebsbeobachtung; OLG Düsseldorf 25.11.1953 – 2 W 182/53 – GRUR 1954, 74 (Aushorchen von Mitarbeitern); MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 77; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.164; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 66. 364 Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/19a.
403
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
sehen werden müsste.365 Es geht für die Bestimmung des inkriminierten Verhaltens primär um den Eingriff in die Betriebsabläufe und gerade nicht um den Schutz von Geheimnissen. Darum fehlt es aber auch an einer Überschneidung der Schutzzwecke und am befürchteten Wertungswiderspruch. Der Eingriff in den Geheimnisbereich ist lediglich ein Phänotyp von vielen denkbaren Formen der physischen Invasion. Wer Mitarbeiter oder Detektive in das Geschäft des Konkurrenten einschleust, stört die Betriebsabläufe schon deswegen, weil sich der „Spion“ nicht der Förderung der Belange des ausgespähten Konkurrenten, sondern vorrangig der unberechtigten Aufdeckung von Wissen widmet. Er beansprucht insoweit Ressourcen des ausgespähten Unternehmers, ohne seine Arbeitskraft vollständig zur Verfügung zu stellen. Daher ist der Eingriff in die Betriebsabläufe durch Entsenden von Mitarbeitern zur Ausspähung betrieblicher Interna als Fall der unlauteren Behinderung anzusehen.366 Keine unlautere Betriebsstörung ist hingegen die reine Konkurrenzbeobachtung, 124 also die Informationseinholung und Analyse des Marktverhaltens der Mitbewerber, insbesondere mit Blick auf Preis und Qualität.367 Darum fällt das Befragen von Mitarbeitern außerhalb des Betriebsgeländes und außerhalb der Arbeitszeit grundsätzlich nicht unter den Tatbestand. Durch dieses Verhalten wird nicht in Betriebsabläufe eingegriffen.368 Ganz allgemein fallen die Beobachtung und Befragung mit Mitteln, die dem allgemeinen Publikum offenstehen, also dem normalen Kundenverhalten entsprechen, nicht unter den Begriff der unlauteren Betriebsstörung.369 Es gelten insoweit die Grundsätze, die auch beim Einsatz von Testmaßnahmen anzuwenden sind.370 Die Unlauterkeit kann aber daraus resultieren, dass der angesprochene Mitarbeiter dazu verleitet wird, Gegenstände aus dem Betrieb zu entwenden und auszuhändigen;371 ferner daraus, dass dem Mitarbeiter geschützte Betriebsgeheimnisse entlockt werden oder dass eine Vertraulichkeitsvereinbarung gebrochen wird. dd) Blockade: Rechteerwerb und -ausübung in Behinderungsabsicht 125
(1) Allgemeines. Die Wahrnehmung von Eigentums- und Besitzrechten sowie von Immaterialgüterrechten, insbesondere durch eine Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen, ist stets mit einem Eingriff in die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit der Gegenseite verbunden. Diese Behinderungswirkung ist unvermeidlich, allerdings zugleich gewollte Folge der Ausschließlichkeits- und Abwehrwirkung von subjektiven Rechten. Im Grundsatz darf jedermann die ihm zustehenden Rechte auch ausüben und verteidigen. Die Grenze der Ausübungsbefugnis ist aber erreicht – und die Schwelle zur Unlauterkeit damit überschritten – wenn ein Recht nur ausgeübt wird, um einen Mitbe-
_____
365 Siehe oben Rn. 90 ff. 366 BGH 16.3.1973 – I ZR 154/71 – GRUR 1973, 483, 485 – Betriebsspionage; Malzer GRUR 1973, 486; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 77; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.164 f.; jurisPK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 185; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 64; Ekey/Klippel/Kotthoff/ Meckel/Plaß § 4 Rn. 478; Götting/Nordemann/Wirtz § 4 Nr. 4 Rn. 4.15. 367 Siehe auch Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 67. 368 Vgl. aber a.A. RG 11.12.1936 – II 177/36 – GRUR 1937, 559; RG 2.7.1937 – II 23/72 – GRUR 1938, 906, 910; OLG Düsseldorf 25.11.1953 – 2 W 182/53 – GRUR 1954, 74; OLG Saarbrücken 2.8.2000 – I U 1086/99–265 – GRUR 2001, 175, 176; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.165. 369 A.A. OLG Dresden 6.10.1925 – 4 O 266/25 – MuW XXVI, S. 57 (Besichtigung und Auskundschaftung einer Maschine unter dem Vorwand, Kaufinteressent zu sein); Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.165. 370 Siehe oben Rn. 102 ff. 371 BGH 4.2.1993 – I ZR 319/90 – WRP 1993, 396, 397– Maschinenbeseitigung.
Dornis
404
Gezielte Behinderung
§4
werber zu behindern, insbesondere ihn zu schädigen.372 Hier greift die im Zivilrecht allgemein geltende, rechtsethisch motivierte Grundregel des Schikaneverbots (vgl. § 226 BGB). Praktische Beispiele sind rar. Diskutiert wurde etwa ein Fall, in dem eine Brauerei auf einem Grundstück eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit des Inhalts eintragen ließ, die dem künftigen Grundstückseigentümer die Errichtung und den Betrieb einer Wirtschaft, Ausschankstelle oder Verkaufsstelle verbot.373 Dabei wurde es aber als nicht sachfremd angesehen, eine Lieferbeziehung über die Ausübung von Eigentumsrechten zu verfestigen, solange damit eigene wirtschaftliche Interessen geschützt werden und das Ziel der Schädigung eines Mitbewerbers nicht vorherrschend ist.374 Allgemein wird eine unlautere Behinderung angenommen, wenn durch die Aus- 126 übung von Rechten „gezielt der Zweck verfolgt wird, den Mitbewerber an seiner Entfaltung zu hindern und ihn dadurch zu verdrängen“.375 Überdies kann die Unlauterkeit folgen, wenn die Rechteausübung zur Folge hat, „dass der beeinträchtigte Mitbewerber seine Leistung am Markt durch eigene Anstrengung nicht mehr in angemessener Weise zur Geltung bringen kann“.376 Rechtsprechung und Schrifttum haben die Blockadesituationen in verschiedene Kategorien differenziert. Hierzu zählen die Fallgruppen des Angriffs auf einen bereits erworbenen wertvollen Besitzstand durch die Anmeldung und Ausübung von Kennzeichenrechten,377 die Behinderung des Markteintritts durch den Erwerb von Sperrzeichen (typischerweise im Verhältnis zu Mitbewerbern aus dem Ausland)378 und des Erwerbs von formalen Rechtspositionen ohne Benutzungsabsicht zur Spekulation.379 Diese Fallgruppen wurden im Kennzeichenrecht entwickelt. Sie beanspruchen aber auch Anwendung für Fälle der missbräuchlichen Rechtsausübung und der Marktbehinderung bei Erwerb und Ausübung von Rechten an Sacheigentum oder faktischen Blockadepositionen, wie Internetdomains oder Vanity-Rufnummern.380 (2) Abgrenzung: Kennzeichenrecht und lauterkeitsrechtliche Behinderung. Die 127 Fallgruppe der Behinderung durch Erwerb und Geltendmachung von Kennzeichenrechten wird häufig in Zusammenhang gebracht mit Fällen einer umgekehrten Wirkung und Richtung der Behinderung. Im ersten Fall geht es um den „Schutz vor dem Rechteinhaber“. Hier ist zu klären, inwieweit der Erwerb und die Ausübung von formalen Rechtspositionen als Behinderung eines Mitbewerbers im Sinne des § 4 Nr. 4 einzuordnen ist. Im zweiten Fall geht es um den „Schutz des Rechteinhabers“ vor einer Beeinträchtigung seiner Rechtsposition.381 In diese Fallgruppe gehören Konstellationen einer „Behinderung“ von Kennzeichen, etwa durch die Annäherung an diese sowie die Ausnutzung oder Beeinträchtigung des im Kennzeichen verkörperten Rufs. Auch die Beschädigung oder Entfernung von Kennzeichen auf Originalwaren mag hierunter fallen. Diese Formen der Kennzeichenschädigung sind durchaus auch als Betriebsstörungen anzusehen, denn durch solche Verhaltensweisen werden Bestandteile des Unterneh-
_____
372 MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 78; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 51. 373 BGH 6.12.1961 – V ZR 186/60 – GRUR 1962, 198 – Franziskaner. 374 BGH 6.12.1961 – V ZR 186/60 – GRUR 1962, 198, 200 – Franziskaner; vgl. auch GK-UWG/Brandner/ Bergmann § 1 Rn. A 277. 375 Siehe oben Rn. 28 ff. 376 Siehe oben Rn. 28 ff. 377 Siehe unten Rn. 136 ff. 378 Siehe unten Rn. 142 f. 379 Siehe unten Rn. 144 ff. 380 Siehe unten Rn. 148 ff. 381 Siehe treffend MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 50.
405
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
mens beeinträchtigt, die zum unkörperlichen Vermögen gehören und den goodwill des Unternehmens mitbestimmen. Sofern das Verhalten mitbewerberbezogen ist, gehört es dem Typus nach zum Tatbestand einer gezielten Behinderung. Vorab zu klären ist dabei allerdings immer, ob ein lauterkeitsrechtlicher Schutz für Kennzeichen, seien es Marken, Geschäftsbezeichnungen, Werktitel oder geographische Herkunftsangaben, überhaupt neben den spezialgesetzlichen Abwehrmechanismen in Betracht kommt. Entscheidend für die Antwort ist die Reichweite der sogenannten Vorrangthese, wonach Vorschriften des UWG hinter die spezialgesetzlichen Tatbestände zurücktreten.382 128
Der Streit hat seinen Ursprung in der Zeit vor Inkrafttreten des Markengesetzes 1995 und einer als unzureichend angesehenen Schutzwirkung des alten Warenzeichengesetzes, soweit es um bekannte und berühmte Kennzeichen ging.383 Das UWG und §§ 823 Abs. 1, 826 BGB (für den nichtgeschäftlichen Verkehr) stellten einen ergänzenden Schutz gegen Rufbeeinträchtigung und Rufausbeutung bereit. Die Lücken wurden durch Einführung der §§ 14 Abs. 2 Nr. 3, 15 Abs. 3, 127 Abs. 2 MarkenG weitgehend beseitigt. Entsprechend wurde längere Zeit überwiegend vertreten, für eine gleichzeitige Anwendung des UWG oder des § 823 BGB sei im Anwendungsbereich des Markengesetzes kein Raum.384 Diese Vorrangthese ist allerdings zunehmend in Zweifel geraten und nach Inkrafttreten der UGP-RL nicht mehr uneingeschränkt aufrechtzuerhalten.385
129
Von einem allgemeinen Vorrang des Markenrechts vor dem Lauterkeitsrecht kann darum mittlerweile nicht mehr ausgegangen werden. § 4 Nr. 4 ist deshalb zwar sowohl im Verhältnis zum MarkenG als auch zu den Spezialtatbeständen des UWG als ein Auffangtatbestand anzusehen.386 Allerdings gilt dies nicht uneingeschränkt und umfassend. Fällt ein Verhalten nämlich unter einen kennzeichenrechtlichen (oder lauterkeitsrechtlichen) Spezialtatbestand, erfüllt aber dessen besondere Voraussetzungen nicht, kommt ein Rückgriff auf den allgemeinen UWG-Behinderungstatbestand gerade nicht in Betracht. Anders ist nur zu entscheiden, wenn ein vom kennzeichenrechtlichen Tatbestand nicht erfasstes Unlauterkeitselement hinzutritt. Dann kommt neben der Kennzeichenverletzung auch die Unlauterkeit auf Grundlage des UWG-Tatbestandes in Betracht.387 Keinesfalls darf § 4 Nr. 4 aber dazu benutzt werden, als abgrenzend zu verstehende Tatbestandsvoraussetzungen der Spezialvorschriften zu umgehen und damit etwa einen Schutz für Kennzeichen unterhalb der Bekanntheitsschwelle des § 14 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG zu eröffnen.388
_____
382 Vgl. hierzu z.B. ausführlich Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.77; MünchKommUWG/ Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 51. 383 Vgl. z.B. nur BGH 9.12.1982 – I ZR 133/80 – BGHZ 86, 90 = GRUR 1983, 247, 248 – Rolls Royce; BGH 6.12.1990 – I ZR 297/88 – BGHZ 113, 115 = GRUR 1991, 609, 612 – SL; BGH 29.11.1984 – I ZR 158/82 – BGHZ 93, 96 = GRUR 1985, 550, 553 – Dimple. 384 Vgl. nur BGH aaO; bestätigt durch BGH 17.1.2002 – I ZR 290/99 – GRUR 2002, 426, 427 – Champagner bekommen, Sekt bezahlen (geographische Herkunftsangabe); BGH 1.3.2001 – I ZR 205/98 – BGHZ 147, 56 = GRUR 2001, 1050, 1051 – Tagesreport (Werktitel); BGH 20.10.1999 – I ZR 110/97 – GRUR 2000, 608, 610 – ARD-1 (Unternehmenskennzeichen); BGH 14.1.1999 – I ZR 149/96 – GRUR 1999, 992, 995 – BIG PACK (Marke). 385 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.77; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 51; zudem z.B. GK-UWG/Dornis § 4 Nr. 3 Rn. 159 f. 386 Siehe auch oben Rn. 25. 387 Vgl. z.B. BGH 1.3.2001 – I ZR 211/98 – GRUR 2001, 1050, 1051 – Tagesschau; BGH 22.11.2001 – I ZR 138/99 – GRUR 2002, 622, 623 – shell.de; BGH 6.12.2007 – I ZR 169/04 – GRUR 2008, 628 Tz. 14 – Imitationswerbung; zudem z.B. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.77; noch weiter zudem z.B. Fezer MarkenG § 2 Rn. 3 ff.; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 51. 388 Vgl. hierzu z.B. BGH 27.4.2000 – I ZR 236/97 – GRUR 2000, 875, 877 – Davidoff; EuGH 9.1.2003 – C-292/00 – GRUR 2003, 240 – Davidoff/Gofkid.
Dornis
406
Gezielte Behinderung
§4
Der vor diesem Hintergrund neben dem Sonderrechtsschutz verbleibende prak- 130 tische Anwendungsbereich des Behinderungstatbestandes ist gering. Für die Anwendung des § 4 Nr. 4 diskutiert werden Fälle, in denen ein Kennzeichen nicht kennzeichenmäßig benutzt wird. Eine derartige nicht kennzeichenmäßige Benutzung setzt voraus, dass eine Benutzung keine der Funktionen des Kennzeichens und damit kein geschütztes Interesse auf Seiten des Inhabers beeinträchtigt.389 Dies ist vor dem Hintergrund der weiten Auslegung des Begriffs der kennzeichenmäßigen Benutzung allerdings nur noch eingeschränkt denkbar und kann wohl nur noch in Fällen einer rein beschreibenden Benutzung angenommen werden.390 Ähnliches mag gelten, wenn das Kennzeichen lediglich als Ornament benutzt wird.391 Eine weitere Konstellation der Behinderung mag schließlich in Fällen zu sehen sein, in denen es um die Verunglimpfung von Kennzeichen geht.392 Diese Handlungen fallen allerdings nur dann unter § 4 Nr. 4, wenn sie auch gezielt vorgenommen werden, um einen Mitbewerber zu schädigen.393 Dies mag bei Markenverunglimpfungen und -parodien je nach Sachverhaltskonstellation in Betracht kommen. Allerdings ist dabei stets die grundrechtlich geschützte Freiheitssphäre von Information, Meinung und Kritik zu beachten. Als Behinderung mag schließlich auch noch die Entfernung einer Marke von Originalwaren eingeordnet werden. Dies gilt allerdings nur dann, wenn diese Handlung für sich genommen nicht bereits eine Benutzung des Kennzeichens ist.394 Die Entfernung von Kennzeichen auf erworbenen Waren ist zudem aufgrund Erschöpfung des Kennzeichenrechts in der Regel zulässig, solange nicht durch die Entfernung die Gefahr von Herkunftstäuschungen oder Rufbeeinträchtigungen geschaffen wird.395 Ebenfalls aufgrund fehlender Zielgerichtetheit einer etwaigen Behinderung nicht unter § 4 Nr. 4 (allerdings möglicherweise unter § 4 Nr. 3) fällt die unterhalb der Verkehrsbekanntheitsschwelle des Markenrechts verbleibende Annäherung an den Ruf eines Kennzeichens, sei es durch Verwendung einer fremden Ware und/oder eines fremden Kennzeichens in der eigenen Werbung oder durch Nutzung eines nicht geschützten Zeichens.396 (3) Fallgruppen. Im Unterschied zur Fallgruppe des „Schutzes des Rechteinha- 131 bers“,397 bei der die Anwendung des lauterkeitsrechtlichen Behinderungstatbestandes durch vorrangige Regelungen des Sonderrechtsschutzes weitgehend ausgeschlossen
_____
389 EuGH 18.6.2009 – C-487/07 – GRUR 2009, 756 Tz. 60 – L’Oréal; EuGH 23.3.2010 – C-236/08 bis C238/08 – GRUR 2010, 445 Tz. 75 ff. – Google und Google France; zudem z.B. MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 52. 390 EuGH 18.6.2009 – C-487/07 – GRUR 2009, 756 Tz. 61 – L’Oréal. 391 BGH 16.12.2004 – I ZR 177/02 – GRUR 2005, 419, 422 – Räucherkate; BGH 24.3.1994 – I ZR 152/92 – GRUR 1994, 635, 636 – Pulloverbeschriftung; OLG Dresden 4.4.2000 – 14 U 3611/99 – NJW 2001, 615, 616 – Johann Sebastian Bach. 392 BGH 19.10.1994 – I ZR 130/92 – GRUR 1995, 57, 60 – Markenverunglimpfung II; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 53. 393 Zur Zielgerichtetheit siehe oben Rn. 77 ff. 394 BGH 13.10.2004 – I ZR 277/01 – GRUR 2004, 1039, 1041 – SB-Beschriftung; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 53. 395 BGH 13.10.2004 – I ZR 277/01 – GRUR 2004, 1039, 1041– SB-Beschriftung; BGH 24.6.2004 – I ZR 44/02 – GRUR 2005, 162, 163 – SodaStream; BGH 10.2.1987 – KZR 43/85 – BGHZ 100, 51 = GRUR 1987, 438, 439 – Handtuchspender; BGH 10.4.1956 – I ZR 165/54 – GRUR 1957, 84, 85 – Einbrandflaschen; OLG Düsseldorf 31.10.2000 – 20 U 73/00 – WRP 2001, 289, 291; OLG Frankfurt 18.11.1999 – 6 U 93/99 – GRUR 2000, 1062; OLG Zweibrücken 8.1.1999 – 2 U 21/98 – GRUR 2000, 511, 512; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 53. 396 So z.B. in BGH 8.5.2003 – I ZR 287/02 – GRUR 2003, 973 – tupperwareparty. Siehe zudem GKUWG/Dornis § 4 Nr. 3 Rn. 159 ff. 397 Siehe oben Rn. 127.
407
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
und auf wenige Ausnahmekonstellationen beschränkt ist, findet sich ein weiterreichendes Anwendungsgebiet für § 4 Nr. 4 bei Einsatz von Marken und anderen Kennzeichen als Behinderungsinstrumenten im Wettbewerb. Dabei ist aber auch in Konstellationen des „Schutzes vor dem Rechteinhaber“ stets von der grundsätzlichen Zulässigkeit des Erwerbs und der Ausübung von Ausschließlichkeitsrechten auszugehen. Die Anwendung des Behinderungstatbestandes ist insoweit auf einige wenige und klar definierte Fallgruppen begrenzt. 132
(a) Grundsatz: Priorität. Jedermann darf sich aus dem allgemein zur Verfügung stehenden Zeichenschatz bedienen, um sein Unternehmen und seine Waren und Dienstleistungen zu kennzeichnen. Zur Verfügung stehen sowohl Registerrechte als auch Rechte, die durch Benutzung erworben werden. Um diese Navigationsinstrumente konkurrieren die Marktakteure nach dem Prioritätsgrundsatz.398 Wer die Kennzeichnung als erster besetzt, sei es durch Registrierung, sei es durch Benutzung und Erlangung von Verkehrsgeltung, der erwirbt das ausschließliche Recht an einer Verwendung in kennzeichnender Funktion.399 Dies gilt auch im Verhältnis zu Mitbewerbern und Rechten im Ausland.400 Ein allgemeiner Besitzstandsschutz unterhalb der Voraussetzungen der Verkehrsgeltung (vgl. § 4 Nr. 2 MarkenG) ist nicht anerkannt. Aus dem Prioritätsgrundsatz resultierende Behinderungen sind Folge der Gewährung ausschließlicher Rechte und darum als systemimmanent grundsätzlich einschränkungslos hinzunehmen.401
133
Daraus ergibt sich, dass derjenige, der es versäumt, das von ihm benutzte Zeichen rechtzeitig einzutragen, riskiert, dass ihm ein Konkurrent mit einer solchen Eintragung zuvorkommt. Dies gilt im Grundsatz ebenso für denjenigen, der zwar im Ausland einen Kennzeichenschutz erworben hat, es aber versäumt, diesen Zeichenschutz auch im Inland zu erwirken, sei es durch fehlende Eintragung oder fehlende inländische Benutzung durch einen Lizenznehmer. In solchen Fällen bleibt es bei der nur territorialen Wirkung des ausländischen Zeichenrechts, das „bei Grenzübertritt“ erlischt und allenfalls in Fällen der notorischen Bekanntheit (Art. 6bis PVÜ)402 im Inland Beachtung findet.
134
(b) Ausnahmen. Der Prioritätsgrundsatz erfordert allerdings Ausnahmen für bestimmte Konstellationen. Dies gilt vor allem in Fällen, in denen der Erwerb von Kennzeichen ausschließlich oder vorrangig dem Zweck dient, Mitbewerber auszuschließen. Man spricht in diesen Fällen von einem sogenannten Sperrzeichen, wenn ein Unternehmer ein Kennzeichen anmeldet oder auf sonstige Weise erwirbt und/oder in der Absicht einsetzt, um „unter Berufung auf seine formale Rechtsposition einen Dritten an der Benutzung des von diesem bereits zuvor in Gebrauch genommenen Zeichens zu hindern“.403 Die Ausübung von Rechten aus Sperrzeichen gibt dem in Anspruch Genommenen eine materiell-rechtliche Einrede gegen kennzeichenrechtliche Ansprüche aus
_____
398 BGH 17.5.2001 – I ZR 216/99 – BGHZ 148, 1, 10 = GRUR 2001, 1061 – mitwohnzentrale.de. 399 BGH 9.10.1997 – I ZR 95/95 – GRUR 1998, 412, 414 – Analgin; BGH 27.10.1983 – I ZR 146/81 – GRUR 1984, 210, 211 – AROSTAR; BGH 28.9.1979 – I ZR 125/75 – GRUR 1980, 110, 111 – TORCH; BGH 26.2.1971 – I ZR 67/69 – GRUR 1971, 251 – Oldtimer; BGH 24.2.1961 – I ZR 15/60 – GRUR 1961, 413, 416 – Dolex; RG 30.4.1931– II 298/30 – RGZ 132, 374, 382 – Manon; Fezer MarkenG, § 1 Rn. 23, § 4 Rn. 12; Ingerl/Rohnke MarkenG, § 4 Rn. 6, § 14 Rn. 31; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 56a. 400 EuGH 11.6.2009 – C-529/07 – GRUR 2009, 763 Tz. 40 – Lindt & Sprüngli; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 56a. 401 Vgl. nur MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 54. 402 Busch GRUR Int. 1971, 293. 403 GK-UWG/Brandner/Bergmann § 1 Rn. A 259.
Dornis
408
Gezielte Behinderung
§4
§ 242 BGB.404 Zugleich kann der in Anspruch Genommene die Einwilligung in die Löschung eines registrierten Rechts verlangen. Dabei besteht bei grundsätzlich identischen Voraussetzungen für die Feststellung der Bösgläubigkeit und damit der Behinderungsabsicht und des Rechtsmissbrauchs einfache Konkurrenz zwischen den kennzeichen-, lauterkeits- und zivilrechtlichen Ansprüchen.405 Die Anspruchsgrundlagen für den lauterkeitsrechtlichen Mitbewerberschutz finden sich in den §§ 8, 3, 4 Nr. 4 (Beseitigung und Unterlassung), ggf. auch in § 9.406 Jenseits des wettbewerbsbezogenen Schutzes wird die Abwehr rechtsmissbräuchlicher Angriffe auf die §§ 823 Abs. 1, 826 BGB gestützt.407 Daneben besteht zusätzlich die kennzeichenrechtliche Möglichkeit, ein bösgläubig angemeldetes Registerrecht nach § 8 Abs. 2 Nr. 14 MarkenG mit §§ 50 Abs. 1, 54 Abs. 1 MarkenG im amtlichen Löschungsverfahren zu Fall zu bringen.408 Für Unionsmarken gilt dies entsprechend (vgl. Art. 59 Abs. 1 lit. b UMVO).409 Die Entwicklung und Ausbildung der Fallgruppen im Lauterkeitsrecht nahm ihren 135 Ausgangspunkt im Gedanken der kennzeichenrechtlichen Verwirkung. Dieser findet sich darum auch in der modernen lauterkeitsrechtlichen Doktrin zur Behinderung durch Kennzeichenerwerb. Die Vorbenutzung eines Zeichens allein kann demnach zwar nicht zum Schutz führen und andere auch nicht daran hindern, das Zeichen im eigenen Namen anzumelden. 410 Dennoch kann derjenige, der ein Kennzeichen in Kenntnis eines wertvollen Besitzstandes registriert, bei Vorliegen weiterer Unlauterkeitsmerkmale an der Ausübung der so erworbenen formalen Rechte gehindert werden und dieses Recht auch wieder verlieren.411 Eine weitere Fallgruppe betrifft Sachverhalte, bei denen ein Zeichenerwerb nur erfolgt, um die Rechte aus dem Zeichen „zweckfremd als Mittel des Wettbewerbskampfes“ einzusetzen.412 Mit der Zeit wurden die Fallgruppen weiter ausdifferenziert: Der Angriff auf einen wertvollen Besitzstand413 wurde um die Sonderkonstellation einer grenzüberschreitenden Behinderung erweitert.414 Die Fallgruppe der Zweckentfremdung wurde durch den Spezialtatbestand der Anmeldung sogenannter Hinterhalts- oder Spekulationsmarken ergänzt.415
_____
404 BGH 19.2.1998 – I ZR 138/95 – GRUR 1998, 1034, 1037 – Makalu. 405 BGH 30.1.2014 – I ZR 107/10 – GRUR 2014, 385 Rn. 23 – H 15; zudem z.B. Ullmann GRUR 2009, 364, 369; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/78; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.85; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 56. 406 BGH 26.6.2008 – I ZR 190/05 – GRUR 2008, 917 Tz. 19 – EROS; BGH 10.8.2000 – I ZR 283/97 – GRUR 2000, 1032, 1034 – EQUI 2000; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 273 ff. 407 BGH 12.7.2007 – I ZR 148/04 – BGHZ 173, 230 = GRUR 2008, 10 Tz. 18 – CORDARONE; BGH 11.11.1966 – Ib ZR 91/64 – GRUR 1967, 304, 306 – Siroset; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/83; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 275. 408 BGH 2.4.2009 – I ZB 8/06 – GRUR 2009, 780 Tz. 10 – Ivadal; BGH 23.9.2015 – I ZR 105/14 – GRUR 2015, 1214 Rn. 58 – Goldbären; zudem EuGH 27.6.2013 – C-320/12 – GRUR 2013, 919 Tz. 30 ff. – Malaysia Dairy Industries; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/83. 409 Vgl. Osterloh FS Ullmann S. 347; Ullmann GRUR 2009, 364, 369; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.84 f. 410 Vgl. nur BGH 24.2.1961 – I ZR 15/60 – GRUR 1961, 413, 416 – Dolex (unter Verweis auf RG 30.4.1931– II 298/30 – RGZ 132, 374, 382 – Manon); zudem z.B. Götting/Nordemann/Wirtz § 4 Nr. 4 Rn. 4.86. 411 BGH 12.7.2007 – I ZR 148/04 – BGHZ 173, 230 = GRUR 2008, 10 Tz. 18 – CORDARONE; BGH 9.10.1997 – I ZR 95/95 – GRUR 1998, 412, 414 – Analgin; BGH 10.10.1985 – I ZR 135/83 – GRUR 1986, 74 – Shamrock III; BGH 27.10.1983 – I ZR 146/81 – GRUR 1984, 210, 211 – AROSTAR; BGH 11.11.1966 – Ib ZR 91/64 – GRUR 1967, 304, 306 – Siroset; BGH 23.3.1966 – Ib ZR 120/63 – GRUR 1967, 298, 300 – Modess; BGH 8.7.1964 – Ib ZR 177/62 – GRUR 1967, 490, 492 – Pudelzeichen; BGH 24.2.1961 – I ZR 15/60 – GRUR 1961, 413, 416 – Dolex. 412 BGH 28.9.1979 – I ZR 125/75 – GRUR 1980, 110, 111 – TORCH. 413 Siehe unten Rn. 136 ff. 414 Siehe unten Rn. 142 f. 415 Siehe unten Rn. 144 ff.
409
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
136
(aa) Angriff auf schutzwürdigen Besitzstand. Als erste Fallgruppe der missbräuchlichen Ausübung von Kennzeichenrechten haben die Gerichte den Angriff auf den wertvollen, nicht durch formalen Kennzeichenschutz gesicherten Besitzstand eines konkurrierenden Zeichennutzers durch Registrierung anerkannt.416 Eine Behinderung liegt vor, „wenn sich der Zeicheninhaber in Kenntnis des wertvollen Besitzstandes des Vorbenutzers an einer schutzwürdigen Kennzeichnung ohne zureichenden Grund für gleiche oder gleichartige Waren die gleiche oder doch eine zum Verwechseln ähnliche Bezeichnung als Warenzeichen hat eintragen lassen“.417 In jüngeren Entscheidungen hat der Bundesgerichtshof die Wendung hinzugefügt, dass diese Registrierung „mit dem Ziel der Störung des Besitzstands des Vorbenutzers oder in der Absicht, für diesen den Gebrauch der Bezeichnung zu sperren“ erfolgen müsse.418 Für die Feststellung des Vorliegens besonderer Umstände müssen bei der Anmel137 dung eines identischen oder verwechslungsfähig ähnlichen Zeichens drei Voraussetzungen erfüllt sein: (1) es muss zunächst ein wertvoller Besitzstand beim Vorbenutzer bestehen, (2) der Zeichenanmelder muss von diesem Besitzstand Kenntnis haben und (3) es muss an einem sachlichen Grund für die Zeichenanmeldung fehlen. Fehlt ein sachlicher Grund, wird die Schädigungsabsicht vermutet. Liegt ein sachlicher Grund für die Registrierung vor und kann die Schädigungsabsicht nachgewiesen werden, müssen der sachliche Grund und die Behinderungswirkung gegeneinander abgewogen werden, um einen unlauteren Angriff feststellen zu können. Ein wertvoller Besitzstand liegt vor, wenn ein Zeichen für den Verwender eine ge138 wisse inländische Bekanntheit erworben hat. Das Attribut „wertvoll“ bringt zum Ausdruck, dass eine Mindestschwelle der Bekanntheit erreicht werden muss, die naturgemäß unterhalb der von § 4 Nr. 2 MarkenG geforderten Verkehrsgeltung liegt. Der wertvolle Besitzstand ist eine Argumentationsfigur, die dem Markenrecht entstammt.419 Daher ist die markenrechtliche Rechtsprechung auch im UWG anwendbar.420 Es kommt danach auf den Grad der Bekanntheit innerhalb der maßgeblichen Verkehrskreise an, den die Praxis aus dem produktbezogenen Umsatz und der produktbezogenen Werbung schließt.421 Der Zeichenanmelder muss diesen Besitzstand kennen. Zusätzlich ist erforderlich, 139 dass die Registrierung in Sperrabsicht erfolgt.422 Kenntnis heißt positive Kenntnis, nicht nur fahrlässige Unkenntnis,423 denn nur so kann auf die Sperrabsicht geschlossen werden.424 Die positive Kenntnis kann sich aus dem dokumentierten Verhalten des Zeichenanmelders im Zeitraum vor der Registrierung ergeben (z.B. dem Schriftwechsel der Mit-
_____
416 Ansatzweise schon in RG 30.4.1931– II 298/30 – RGZ 132, 374, 382 – Manon; erstmals BGH 14.2.1961 – I ZR 15/60 – GRUR 1961, 413, 416 – Dolex. 417 BGH 14.2.1961 – I ZR 15/60 – GRUR 1961, 413, 416 – Dolex; BGH 3.2.2005 – I ZR 45/03 – GRUR 2005, 414, 417 – Russisches Schaumgebäck; BGH 9.10.1997 – I ZR 95/95 – GRUR 1998, 412, 414 – Analgin; EuGH 11.6.2009 – C-529/07 – GRUR 2009, 763 Tz. 34 ff. – Lindt & Sprüngli; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.84a; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 57; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 283. 418 BGH 12.7.2007 – I ZR 148/04 – BGHZ 173, 230 = GRUR 2008, 160 Tz. 18 – CORDARONE; BGH 12.11.2009 – I ZR 183/07 – GRUR 2010, 642 Rn. 51 – WM-Marken; zudem Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/79; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.84a. 419 BGH 2.2.1989 – I ZR 183/86 – GRUR 1989, 449, 451; BGH 26.5.1988 – I ZR 227/86 – GRUR 1988, 776, 778 – PPC; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 284. 420 juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 284. 421 BGH 26.5.1988 – I ZR 227/86 – GRUR 1988, 776, 778 – PPC; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 285 f. 422 BGH 10.8.2000 – I ZR 283/97 – GRUR 2000, 1032, 1034 – EQUI 2000; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.84b. 423 juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 292. 424 So ausdrücklich BGH 8.7.1964 – Ib ZR 177/62 – GRUR 1967, 490, 492 – Pudelzeichen.
Dornis
410
Gezielte Behinderung
§4
bewerber).425 Zudem kann auch aus dem vorhandenen Besitzstand des beeinträchtigten Mitbewerbers auf die Kenntnis des Handelnden geschlossen werden: je größer und schutzwürdiger der Besitzstand des Vorbenutzers, desto näher liegt die Annahme einer Kenntnis des Anmelders.426 Vereinzelt wird gefordert, dass die Sperrabsicht das einzige Handlungsmotiv sein müsse,427 teilweise lässt man es genügen, dass die Absicht vorherrschendes oder bestimmendes Motiv ist.428 Darüber hinaus ist nach sachlichen Gründen für die Registrierung zu fragen. Da je- 140 dermann ein freies Zeichen für sich registrieren darf, kann aus der Registrierung allein keine Behinderungsabsicht und auch keine Unlauterkeit geschlossen werden, mag sie auch in Kenntnis eines wertvollen Besitzstandes erfolgen.429 Der Schlüssel zur Annahme einer gezielten Behinderung ist vielmehr die Prüfung, ob sachliche Motive des Registrierenden bestehen. Fehlt es daran, kann geschlossen werden, dass die Nutzung des Kennzeichenrechts zweckfremd als Mittel des Wettbewerbskampfes erfolgt.430 Ein sachliches Motiv ist insbesondere dann gegeben, wenn der Anmelder das Kennzeichen sinnvoll für den eigenen Wettbewerb nutzt, z.B. für die eigenen Produkte verwendet oder verwenden kann.431 Im Ergebnis wird man eine Behinderungsabsicht nur feststellen können, wenn Motive dieser Art gänzlich fehlen oder aber so untergeordnet und schwach sind, dass das Behinderungsziel dominiert.432 Die Prüfung verlangt stets eine Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalls.433 Unmittelbarer Anhaltspunkt für ein Überwiegen der Behinderungsabsicht kann sein, dass der Anmelder bereits in der Vergangenheit Kennzeichen in Sperrabsicht hat registrieren lassen.434 Ebenso ist die Rechtsprechung von fehlender Rechtfertigung ausgegangen, wenn ein Lizenznehmer nach Auslaufen der Lizenzbeziehung eine Marke angemeldet hat, oder bei eigenmächtiger Anmeldung durch eines von mehreren an der Entwicklung des Produkts beteiligten Unternehmen.435 Als sachlicher Grund anzuerkennen ist es z.B., wenn ein Zeicheninhaber, der ein Stammzeichen bereits besitzt (Bsp. „Elégance“), Erweiterungen dieses Stammzeichens in dem Moment vornimmt („The Colour of Elégance“, „Casual Elégance“, „New Elégance“), in dem ein Konkurrent die Nutzung des Zeichenbestandteils mit ähnlichen Erweiterungen („Great Elegance“, „Casual Elegance“, „Young Elegance“, „New Elegance“) ankündigt.436
_____
425 BGH 10.10.1985 – I ZR 135/83 – GRUR 1986, 74, 76 – Shamrock III. 426 Vgl. z.B. BGH 23.3.1966 – Ib ZR 120/63 – GRUR 1967, 298, 301 – Modess; BGH 19.2.1998 – I ZR 138/95 – GRUR 1998, 1034, 1037– Makalu; zudem Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/80. 427 BGH 10.8.2000 – I ZR 283/97 – GRUR 2000, 1032, 1034 – EQUI 2000. 428 BGH 9.10.1997 – I ZR 95/95 – GRUR 1998, 412, 414 – Analgin. 429 BGH 10.10.2002 – I ZR 235/00 – GRUR 2003, 428, 431 – BIG BERTHA; EuGH 11.6.2009 – C-529/07 – GRUR 2009, 763 Tz. 40 – Lindt & Sprüngli. 430 Vgl. hierzu insbesondere BGH 28.9.1979 – I ZR 125/75 – GRUR 1980, 110, 111 – TORCH; BGH 9.10.1997 – I ZR 95/95 – GRUR 1998, 412, 414 – Analgin; BGH 3.2.2005 – I ZR 45/03 – GRUR 2005, 414, 417 – Russisches Schaumgebäck; zudem z.B. MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 58 m.w.N. 431 BGH 20.1.2005 – I ZR 29/02 – GRUR 2005, 581, 582 – The Colour of Elégance; Ohly/Sosnitza § 4.4. Rn. 4/80. 432 BGH 26.6.2008 – I ZR 190/05 – GRUR 2008, 917 Tz. 23 – EROS; BGH 10.1.2008 – I ZR 38/05 – GRUR 2008, 621 Tz. 32 – AKADEMIKS; BGH 3.2.2005 – I ZR 45/03 – GRUR 2005, 414, 417 – Russisches Schaumgebäck; BGH 9.10.1997 – I ZR 95/95 – GRUR 1998, 412, 414 – Analgin; kritisch zur „Billigkeitskontrolle“ der Rechtsprechung MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 58. 433 BGH 9.10.1997 – I ZR 95/95 – GRUR 1998, 412, 414 – Analgin; BGH 10.8.2000 – I ZR 283/97 – GRUR 2000, 1032, 1034 – EQUI 2000; BGH 3.2.2005 – I ZR 45/03 – GRUR 2005, 414, 417 – Russisches Schaumgebäck; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 117; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 296 ff. 434 juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 296 f. 435 BGH 19.2.1998 – I ZR 138/95 – GRUR 1998, 1034, 1037– Makalu; BGH 26.6.2008 – I ZR 190/05 – GRUR 2008, 917 Tz. 26 – EROS. 436 BGH 20.1.2005 – I ZR 29/02 – GRUR 2005, 581, 582 – The Colour of Elégance; Ohly/Sosnitza § 4.4. Rn. 4/80.
411
Dornis
141
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
Eine solche Registrierung dient der Abwehr eines Angriffs auf eine Markenfamilie, ist sachlich im Eigeninteresse sinnvoll und geboten, und darum auch keine unlautere Behinderung der Gegenseite. Ebenso ist die Anmeldung sachlich gerechtfertigt, wenn die Nutzung für zulässigerweise parallel importierte Güter beabsichtigt ist.437 Schließlich kann auch das Interesse, eine beschreibende Angabe allgemein verwendbar zu erhalten und deren Monopolisierung durch einen Mitbewerber vorzubeugen, als berechtigt angesehen werden.438
(bb) Behinderung bei grenzüberschreitendem Wettbewerb. Während der Angriff auf einen wertvollen Besitzstand im Inland eine tatsächlich vorhandene wettbewerbliche Position im Vorfeld des Kennzeichenrechts schützt, nimmt die Rechtsprechung ein unlauteres Vorgehen auch dann an, wenn die Sperrabsicht isoliert und ohne bereits im Inland vorhandenen Besitzstand festgestellt werden kann.439 Es handelt sich um Konstellationen, in denen einem ausländischen Kennzeicheninhaber der Zugang zum inländischen Markt erschwert440 oder versperrt werden soll.441 Diese Konstellationen verdeutlichen die Spannung zwischen der territorialen Wirkung von Kennzeichenrechten und der lauterkeitsrechtlichen Anerkennung (und damit grenzüberschreitenden Erstreckung) ausländischer Besitzstände. In der „Modess“-Entscheidung sah der BGH das unlautere Verhalten darin, dass sich der Angriff gegen eine ausländische Kennzeichnung richtete, die zwar im Inland nicht oder kaum benutzt wurde, außerhalb Deutschlands aber überragende Verkehrsgeltung genoss, und bei der konkrete Hinweise auf eine Expansion ins Inland erkennbar waren.442 Man erkennt hier eine Schutzebene unterhalb der notorischen Bekanntheit nach Art. 6bis PVÜ, die gerade deswegen sowohl Kenntnis als auch Fehlen eines sachlichen Grundes für die Registrierung erfordert, um als gezielte Behinderung angesehen zu werden.443 Allgemein formulieren die Gerichte, dass es unlauter ist, wenn „die Marke gerade 143 in der Absicht angemeldet [wurde, um] die Marke [des Vorbenutzers] durch ihre Mitbenutzung [im Inland] zu schädigen und damit konkret [den Vorbenutzer] im Wettbewerb zu behindern“.444 Allein die Kenntnis einer Vorbenutzung des Kennzeichens im Ausland begründet noch nicht den Vorwurf der Bösgläubigkeit und damit der unlauteren Behinderung.445 Zusätzlich zur Kenntnis ist deshalb auch noch das subjektive
142
_____
437 BGH 12.7.2007 – I ZR 148/04 – GRUR 2008, 160 Tz. 22 – CORDARONE; Ohly/Sosnitza § 4.4. Rn. 4/80. 438 Vgl. BGH 24.2.1994 – I ZR 230/91 – GRUR 1994, 905, 908 – Schwarzwald Sprudel. 439 Vgl. z.B. BGH 28.9.1979 – I ZR 125/75 – GRUR 1980, 110, 111 – TORCH. Siehe zudem zur Entstehung des Besitzstandes auch GK-UWG/Dornis § 4 Nr. 3 Rn. 188 ff. 440 BGH 28.9.1979 – I ZR 125/75 – GRUR 1980, 110, 111 – TORCH (Durchsetzung eines Alleinvertriebsrechts); BGH 11.11.1966 – Ib ZR 91/64 – GRUR 1967, 304, 306 – Siroset (Stärkung der Verhandlungsposition für Vertragsverhandlungen mit dem Vorbenutzer). 441 BGH 19.2.1998 – I ZR 138/95 – GRUR 1998, 1034, 1037– Makalu; auf der Grenze zur Hinterhaltsmarke steht OLG Karlsruhe 18.12.1996 – 6 U 154/95 – GRUR 1997, 373, 374; vgl. auch ÖOGH 13.7.1999 – 4 Ob 310/98 – GRUR Int. 2000, 560, 562. 442 BGH 23.3.1966 – Ib ZR 120/63 – GRUR 1967, 298 – Modess; ebenso BGH 10.1.2008 – I ZR 38/05 – GRUR 2008, 621 Tz. 21, 26 – AKADEMIKS; BGH 6.11.1986 – I ZR 196/84 – GRUR 1987, 292, 294 – KLINT; BGH 10.10.1985 – I ZR 135/83 – GRUR 1986, 74, 76 – Shamrock III; zudem OLG Frankfurt 23.9.2004 – 6 U 130/03 – GRUR-RR 2005, 184 – Depo-Provera (Zweimarkenstrategie ohne Absicht zur Zeichenverwendung im Inland); OLG Hamburg 27.2.2003 – 5 U 44/02 – GRUR-RR 2003, 307, 308 – Gezuckerte Kondensmilch (Import zum Erliegen gekommen und Nutzung des Zeichens nicht absehbar). 443 So auch MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 59. 444 BGH 29.11.1990 – I ZR 13/89 – GRUR 1991, 465, 467 – Salomon; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.84b; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 59. 445 EuGH 11.6.2009 – C-529/07 – GRUR 2009, 763 Tz. 40 – Lindt & Sprüngli; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 59.
Dornis
412
Gezielte Behinderung
§4
Tatbestandsmerkmal einer Absicht zur gezielten Behinderung zu prüfen.446 Bei der dabei vorzunehmenden Abwägung unter Berücksichtigung der Rechtfertigung des Vorgehens des Markenanmelders müssen vor allem die Größe und Schutzwürdigkeit des ausländischen Besitzstandes sowie die Wahrscheinlichkeit des „Grenzübertritts“ der Benutzung berücksichtigt werden. Je näher ein Übertritt bevorsteht und je weiter fortgeschritten die Vorbereitungen des ausländischen Mitbewerbers, desto weniger gerechtfertigt ist eine Blockade des nationalen Marktes.447 (cc) Erwerb von Kennzeichen zu Spekulationszwecken. Die Auflösung der einst 144 vorhandenen Bindung zwischen der Zeicheninhaberschaft und -benutzung sowie dem Geschäftsbetrieb und die Möglichkeit eines Markenerwerbs durch Privatpersonen (vgl. §§ 27, 30 MarkenG) hat das Risiko des Missbrauchs durch Eintragung und Geltendmachung sogenannter Spekulations- oder Hinterhaltsmarken geschaffen.448 Dabei handelt es sich um Sachverhalte, „bei denen Privat- oder Geschäftsleute bestimmte Bezeichnungen als ‚Hinterhaltsmarken‘ schützen lassen, um ihre formelle Rechtsposition zur Geltendmachung ungerechtfertigter Lizenz- oder Abmahnkostenerstattungsansprüche auszunutzen“.449 Paradigmatisch ist der Fall „Classe E“.450 Gegenstand der Entscheidung war die Anmeldung der Marke „Classe E“ in Frankreich und deren spätere Erstreckung über eine IR-Marke unter anderem auf das Gebiet der Bundesrepublik. Dies geschah noch bevor das Kennzeichen für die E-Klasse-Produktlinie des klagenden Automobilherstellers tatsächlich benötigt wurde. Verhandlungen über die Lizenzierung für Deutschland scheiterten. Auf die Klage des Herstellers im Fall „Classe E“ entwickelten Theorie und Praxis Kriterien, anhand derer die berechtigte Anmeldung von Marken zu Vorratszwecken und zu späterer Lizenzierung vom reinen Erwerb einer Hinterhaltsmarke abgegrenzt werden können.451
145
Unlauter ist eine Registrierung demnach vor allem dann, wenn der Anmelder eine 146 Vielzahl von Marken für sehr unterschiedliche Waren oder Dienstleistungen anmeldet, ein ernsthafter eigener Benutzungswille für die fragliche Marke oder ein konkretes Konzept für die Nutzung durch Dritte fehlt und die Anmeldung ausschließlich und vornehmlich zu dem Zweck erfolgt, Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche gegen Dritte geltend zu machen, sobald diese die Marke benutzen (wollen).452 Dem Betroffenen wird die Einrede aus § 242 BGB bei Inanspruchnahme, ferner ein Löschungsanspruch im Amtsverfahren sowie zur Durchsetzung nach §§ 8, 3, 4 Nr. 4 gewährt.453 Das
_____
446 MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 59. 447 Vgl. BGH 6.11.1986 – I ZR 196/84 – GRUR 1987, 292, 294 – KLINT; BGH 10.1.2008 – I ZR 38/05 – GRUR 2008, 621, 623 – AKADEMIKS; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/80; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 59. 448 Vgl. zur Entwicklung z.B. BGH 23.11.2000 – I ZR 93/98 – GRUR 2001, 242, 244 – Classe E; zudem z.B. Helm GRUR 1996, 593, 600; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.86. 449 Begr. RegE zum Geschmacksmusterreformgesetz BTDrucks. 15/1075, S. 67; BGH 2.4.2009 – I ZB 8/06 – GRUR 2009, 780 Tz. 13 – Ivadal; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 60; Götting/Nordemann/Wirtz § 4 Nr. 4 Rn. 4.87; ausführlich zudem juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 309 ff. 450 BGH 23.11.2000 – I ZR 93/98 – GRUR 2001, 242, 244 – Classe E. 451 Vgl. aus dem Schrifttum z.B. Füllkrug WRP 1995, 378; Helm GRUR 1996, 593, 600; Kiethe/Groeschke WRP 1997, 269. 452 BGH 23.11.2000 – I ZR 93/98 – GRUR 2001, 242, 244 – Classe E; BGH 2.4.2009 – I ZB 8/06 – GRUR 2009, 780 Tz. 13 – Ivadal; OLG Frankfurt/M. 23.9.2004 – 6 U 130/03 – GRUR-RR 2005, 184, 185 – DepoProvera; Helm GRUR 1996, 593, 596 f.; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/81. 453 BGH 23.11.2000 – I ZR 93/98 – GRUR 2001, 242, 244 – Classe E; BGH 10.8.2000 – I ZR 283/97 – GRUR 2000, 1032, 1034 – EQUI 2000; von Linstow MarkenR 1999, 81, 83; Helm GRUR 1996, 593, 600; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/78.
413
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
DPMA hat offensichtlich zu Spekulationszwecken angemeldete Marken zudem bereits im Eintragungsverfahren nach § 8 Abs. 2 Nr. 14 MarkenG abzuweisen.454 147
Der Beweis der Spekulationsabsicht ist in der Praxis nicht immer einfach, wenn der Anmelder über eigene Markenkonzepte verfügt. Als verdächtig gelten aber z.B. Markenagenturen, die gezielt Bezeichnungen anmelden, von denen ersichtlich ist, dass sie nur für wenige, sogar nur für einzelne Unternehmen (z.B. im Arzneimittelbereich) verwendbar sind.455 Ein Spekulationszweck liegt überdies nahe, wenn gemeinfreie Bezeichnungen, etwa die Namen berühmter Persönlichkeiten456 sowie gemeinfreier Figuren aus der Literatur457 oder Kunst458 registriert werden, ohne dass Benutzungsabsichten nachgewiesen oder Lizenzkonzepte vorgelegt werden können. Als Indiz wird auch die längere Registrierung ohne Benutzungs- oder Lizenzbemühungen angesehen.459
148
(c) Kennzeichenäquivalenz: Internet-Domains und Vanity-Telefonnummern. Die Zeichenfolge von Internet-Domains und von sogenannten Vanity-Telefonnummern, bei denen die Abfolge der Zahlen über die Zuordnung der Telefontasten auch eine sprachliche Kennzeichnung ermöglicht (z.B. für die Telefonnummer 0800-8294-7378423 die Umsetzung 0800-TAXI-SERVICE),460 haben die Eigenschaft, dass sie aus technischen Gründen immer nur einmal vergeben werden können.461 Beide haben die Funktion einer Adressangabe und damit auch der unmittelbaren Identifikation. Da sie den in den jeweiligen Namensräumen unter der virtuellen Adresse Erreichbaren identifizierbar machen, besitzen sie die Funktion einer Kennzeichnung. Rechtsprechung und Schrifttum sehen darum sowohl in der Registrierung als auch der Verwendung von Internet-Domains und Vanity-Nummern eine kennzeichenmäßige oder namensmäßige Nutzung.462 In der Praxis stellt sich die Frage, ob der tatsächliche Namensträger oder Kennzeicheninhaber ein exklusives Recht auf die Nutzung der ihm zuzuordnenden Internet-Domain oder VanityTelefonnummer hat und einem lediglich formal Eingetragenen die Verwendung untersagen kann. 149 Auch bei Internet-Domains und Vanity-Telefonnummern führt die mit dem Prioritätsgrundsatz verbundene Ausschließlichkeit der Zuweisung als solche nicht ohne weiteres zur Unlauterkeit und zur Unzulässigkeit etwaiger behindernder Auswirkungen.463 Lauterkeitsrechtliche Ansprüche kommen zunächst nur insoweit in Betracht, als die Registrierung oder Nutzung der Internet-Domain oder Vanity-Telefonnummer nicht als kennzeichenmäßiger Gebrauch eines Sonderrechts anzusehen ist. Ein kennzeichenmäßiger Gebrauch dieser Art ist anzunehmen, wenn der Verkehr darin keine bloße Adress- oder Kontaktnummernbezeichnung erkennt, sondern auf das dahinterste-
_____
454 BGH 2.4.2009 – I ZB 8/06 – GRUR 2009, 780 – Ivadal; Grabrucker Mitt. 2008, 532, 537; Steinberg/Jaeckel MarkenR 2008, 296, 297; Ullmann GRUR 2009, 364, 365. 455 BGH 2.4.2009 – I ZB 8/06 – GRUR 2009, 780 Tz. 17 und 20 – Ivadal. 456 OLG Dresden 4.4.2000 – 14 U 3611/99 – NJW 2001, 615, 616 – Johann Sebastian Bach. 457 Bsp.: BPatG 26.7.2005 – 27 W (pat) 182/04 – juris Rn. 24, 28 – Pinocchio. 458 BPatG 25.11.1997 – 24 W (pat) 188/96 – GRUR 1998, 1021 – Mona Lisa; vgl. zum Problem Fezer S. 525; ders. WRP 1997, 887; Klinkert/Schwab GRUR 1999, 1067; Nordemann WRP 1997, 389; Osenberg GRUR 1996, 101. 459 Füllkrug GRUR 1994, 679, 686. 460 BGH 21.2.2002 – I ZR 281/99 – GRUR 2002, 902 – Vanity-Nummer; Jonas/Schmitz GRUR 2000, 183. 461 Zu den technischen Hintergründen ausführlich juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 317 ff.; Bettinger/Freytag CR 1999, 28, 29; Marwitz ZUM 2001, 398; Ubber WRP 1997, 497. 462 OLG München 23.9.1999 – 29 U 4357/99 – GRUR 2000, 518, 519; Fezer WRP 2000, 669; ders. WRP 2000, 863; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.87. 463 BGH 19.2.2009 – I ZR 135/06 – GRUR 2009, 685 Tz. 42 – ahd.de; zudem z.B. allgemein zur Domaineintragung Bettinger/Freytag CR 1999, 28 ff.; Ubber WRP 1997, 497 ff.; Marwitz ZUM 2001, 398 ff.; siehe zudem oben Rn. 125 ff.
Dornis
414
Gezielte Behinderung
§4
hende Unternehmen oder die Herkunft von Waren oder Dienstleistungen schließt.464 In diesem Fall kann die Usurpation einer Domain oder Vanity-Nummer mit dem kennzeichenrechtlichen Instrumentarium der §§ 14 f., 127 f. MarkenG aus der Welt geschaffen werden. Lauterkeitsrechtliche Ansprüche bestehen nur, wenn das beanstandete Verhalten nicht Gegenstand der kennzeichenrechtlichen Regulierung ist.465 Ansprüche nach § 12 BGB kommen in Betracht, wenn eine Domain ausschließlich im privaten Verkehr oder außerhalb der erforderlichen Branchennähe benutzt wird.466 Ein Rückgriff auf § 4 Nr. 4 ist darum im Ergebnis nur ausnahmsweise möglich und auch nur selten erforderlich.467 Anders kann der Fall liegen, wenn eine Gattungsbezeichnung als Internet- 150 Domain, App-Name oder Vanity-Telefonnummer angemeldet wird (z.B. buecher.de, rechtsanwalt.de oder Wetter-App).468 Zwar liegt in der Anmeldung und Registrierung als solcher (trotz eines in gewisser Hinsicht möglicherweise kanalisierenden Effekts) noch kein unlauteres Verhalten.469 Allein das Abfangen von Kunden durch Umleiten mithilfe der Vereinfachung der Internet-Suche genügt nicht, um von einer Behinderung auszugehen.470 Die Grenze zur Unlauterkeit ist aber überschritten, wenn die Verwendung der Gattungsbezeichnung beim angesprochenen Publikum die Gefahr einer Irrführung (§ 5, z.B. bei Eindruck einer Alleinstellung) hervorruft.471 Auch eine Mehrfachregistrierung ist zunächst grundsätzlich nicht zu beanstanden, z.B. wenn verschiedene Schreibweisen (Umlaute) oder naheliegende Eingabefehler berücksichtigt werden.472 Eine Einordnung als unlauter kommt allerdings in Betracht, wenn eine sogenannte Bündel- oder Clusterregistrierung verschiedener Schreibweisen eines Gattungsbegriffs so lückenlos durchgeführt wird, dass Alternativen für die durch generische Begriffe ausgewiesene InternetPräsenz unzumutbar verknappt werden.473 Ebenso kann eine lauterkeitsrechtliche Behinderung in Fällen des sogenannten 151 Domain-Grabbings in Betracht kommen. Dabei handelt es sich (vergleichbar zur Sperr-
_____
464 BGH 19.2.2009 – I ZR 135/06 – GRUR 2009, 685 Tz. 20 – ahd.de; BGH 24.2.2005 – I ZR 161/02 – GRUR 2005, 871, 873 – Seicom; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.89; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 64. 465 BGH 30.10.2003 – I ZR 236/97 – GRUR 2004, 235, 238 – Davidoff II; BGH 19.2.2009 – I ZR 135/06 – GRUR 2009, 685 Tz. 38 – ahd.de; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.90; MünchKommUWG/ Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 64. 466 BGH 22.11.2001 – I ZR 138/99 – BGHZ 149, 191 = GRUR 2002, 622, 624 – shell.de; BGH 22.1.2014 – I ZR 164/12 – GRUR 2014, 393 Tz. 16 – wetteronline.de; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.90; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 64. 467 MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 64. 468 BGH 17.5.2001 – I ZR 216/99 – BGHZ 148, 1 = GRUR 2001, 1061, 1063 – mitwohnzentrale.de. 469 BGH 19.2.2009 – I ZR 135/06 – GRUR 2009, 685 Rn. 45 – ahd.de; BGH 2.12.2004 – I ZR 207/01 – GRUR 2005, 687, 688 – weltonline.de; OLG Frankfurt 12.9.2002 – 6 U 128/01 – WRP 2002, 1452, 1455 – drogerie.de; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.95; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 65; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 76. 470 BGH 17.5.2001 – I ZR 216/99 – GRUR 2001, 1061, 1063 – Mitwohnzentrale.de; BGH 2.12.2004 – I ZR 207/01 – GRUR 2005, 687, 688 – weltonline.de; Beater JZ 2002, 275 ff.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.95; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 65; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 76. 471 BGH 17.5.2001 – I ZR 216/99 – GRUR 2001, 1061, 1063 – Mitwohnzentrale.de; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.95. 472 BGH 22.1.2014 – I ZR 164/12 – GRUR 2014, 393 Tz. 41 – wetteronline.de; BGH 16.12.2004 – I ZR 69/02 – GRUR 2005, 217 – Literaturhaus; OLG Hamburg 14.4.2005 – 5 U 74/04 – GRUR-RR 2006, 193; OLG Köln 2.9.2005 – 6 U 39/05 – GRUR-RR 2006, 19 – schlüsselbänder.de und LG Frankenthal 29.9.2005 – 2 HKO 55/05 – GRUR-RR 2006, 13, 14 – guenstig.de/günstig.de; kritisch aber z.B. MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 65. 473 So wohl auch MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 65; a.A. aber z.B. juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 76.
415
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
marken-Konstellation)474 um den Erwerb einer Domain ohne ernsthafte Nutzungsabsicht allein zum Zweck, sich die Domain später vom Berechtigten (Kennzeicheninhaber) abkaufen zu lassen oder zu lizenzieren.475 Die Regeln über Hinterhaltsmarken lassen sich auch auf die zu Spekulationszwecken erfolgende Blockade anderer exklusiv nutzbarer Informationsmittel und -werkzeuge wie Domain-Adressen anwenden. 476 Konkurrentenbezogen ist die Handlung, weil der Erwerber und der berechtigt Interessierte nach Prioritätsregeln um die Inhaberschaft wetteifern. Für den Domain-Grabber ist der geschäftliche Charakter seines Handelns offensichtlich, soweit er die Domain in ihrem wirtschaftlichen Tauschwert einzusetzen beabsichtigt.477 152 Sowohl nach Kennzeichen- als auch nach Lauterkeitsrecht kann im Fall einer Rechtsverletzung die Unterlassung der Domain- und Vanity-Nummern-Verwendung sowie die Beseitigung durch Abgabe einer Löschungs- oder Verzichtserklärung gegenüber dem Registrar verlangt werden.478 Eine Domain-Übertragung geht hingegen darüber hinaus und kann darum nicht gefordert werden.479 Registrierungsstellen haften als Beteiligte oder Störer im Falle offensichtlich unberechtigter Domainregistrierungen. Ausreichend ist bereits die Kenntnis eines Rechtsverstoßes oder dessen billigende Inkaufnahme. Dies kann bei Vorlage eines rechtskräftigen Titels gegen den Anmelder oder einer unbestrittenen Unterwerfungserklärung angenommen werden. 480 Für VanityTelefonnummern gilt nichts anderes.481 ee) Rechtsdurchsetzung: Schutzrechtsverwarnung und lauterkeitsrechtliche Abmahnung 153
(1) Grundlegung und Überblick. Jedermann hat das Recht, Ansprüche zur Verteidigung seiner Rechte und Interessen gerichtlich und außergerichtlich durchzusetzen. Die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen ist auch im Lauterkeitsrecht als Ausübung eines grundgesetzlich verbürgten Anspruchs auf Rechtsschutz (vgl. Art. 20 Abs. 3 und Art. 103 Abs. 1 GG) anzusehen, vor dem nicht abgeschreckt werden darf.482 Für die Rechtsverfolgung ist deshalb zu beachten, dass eine daraus resultierende Behinderung als grundsätzlich wettbewerbskonform anzusehen und darum von den betroffenen Mitbewerbern hinzunehmen ist. Grundsätzlich ist darum weder die gerichtliche noch die außergerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen aus Schutzrechten,
_____
474 Siehe oben Rn. 144 ff. 475 So die Definition z.B. bei MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 66. 476 Vgl. z.B. BGH 19.2.2009 – I ZR 135/06 – GRUR 2009, 685 Tz. 42 – ahd.de; OLG Karlsruhe 12.2.2003 – 6 U 1/02 – WRP 1998, 900 – zwilling.de; OLG Frankfurt 4.5.2000 – 6 U 81/99 – WRP 2000, 772, 774 – alcon.de; OLG München 12.8.1999 – 6 U 4484/98 – GRUR 2000, 519 – rollsroyce.de; OLG Dresden 20.10.1998 – 14 U 3613/97 – NJWE-WettbR 1999, 133, 135; OLG München 2.4.1998 – 6 U 4798–97 – NJW-RR 1998, 984 – freundin.de; ÖOGH 13.9.1999 – 4 Ob 180/99w und 4 Ob 202/99f – MMR 2000, 352 – format.at; GK-UWG/Brandner/Bergmann § 1 Rn. A 271; Kiethe/Groeschke WRP 2002, 27; Nordemann NJW 1997, 1891, 1896; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.94. 477 BGH 19.2.2009 – I ZR 135/06 – GRUR 2009, 687 Tz. 40 – ahd.de; LG Düsseldorf 4.4.1997 – 34 O 191/96 – GRUR 1998, 159, 164 – epson.de; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/85. 478 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.97; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 326 und Rn. 371. 479 BGH 22.11.2001 – I ZR 138/99 – GRUR 2002, 622, 626 – shell.de; Hoeren MMR 2002, 386; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.97; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 371. 480 BGH 17.5.2001 – I ZR 251/99 – BGHZ 148, 13 = GRUR 2001, 1038, 1040 – ambiente.de; Nägele WRP 2002, 138, 144; Renck NJW 1999, 3587, 3593; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.99. 481 BGH 21.2.2002 – I ZR 281/99 – GRUR 2002, 902, 905 – Vanity-Nummer. 482 Siehe z.B. BGH 22.1.1998 – I ZR 177/95 – GRUR 1998, 587, 589 – Bilanzanalyse Pro 7; Deutsch GRUR 2006, 374, 376; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.166.
Dornis
416
Gezielte Behinderung
§4
selbst wenn sich diese letztlich als unbegründet erweisen sollte, als rechtswidrig anzusehen.483 Gleiches gilt für die Geltendmachung von Ansprüchen wegen Verstoßes gegen Vorschriften des Lauterkeitsrechts.484 Anders ist die sogenannte unberechtigte Schutzrechtsverwarnung oder Abmah- 154 nung zu beurteilen. Die Berechtigung einer Rechtsverfolgung fehlt, wenn der geltend gemachte Anspruch nicht (mehr) besteht, etwa wegen fehlender Rechtsinhaberschaft. Gleiches gilt, wenn die vorgebrachte Verletzungshandlung nicht vom Schutzbereich des Rechts oder der lauterkeitsrechtlichen Norm umfasst ist, oder der geltend gemachte Anspruch daraus nicht hergeleitet werden kann. Ebenso ist ein Vorgehen unberechtigt, wenn der geltend gemachte Verstoß gerechtfertigt oder ein Anspruch bereits verjährt ist.485 Hinsichtlich der Rechtsfolgen einer unberechtigten Geltendmachung von Rechten oder Ansprüchen ist nach überwiegender Ansicht zwischen Fällen der gerichtlichen oder behördlichen und der außergerichtlichen Durchsetzung zu unterscheiden. Eine unerlaubte Handlung soll demnach auch bei fehlender Berechtigung grundsätzlich nicht vorliegen, wenn eine Klage erhoben oder ein behördliches Verfahren zur Rechtsverfolgung angestrengt wird, ohne dass dessen Substanz zuvor gehörig geprüft wurde.486 Eine deliktische Haftung nach § 826 BGB kommt lediglich dann in Betracht, wenn das Verfahren vorsätzlich und zur Schädigung des Anspruchsgegners betrieben wird.487 Dieser Grundsatz einer prozessualen oder verfahrensrechtlichen Privilegierung soll allerdings nicht für die außergerichtliche Durchsetzung gelten, z.B. für das Verfahren der lauterkeitsrechtlichen Abmahnung oder die Verwarnung wegen einer Schutzrechtsverletzung. Unberechtigte Verwarnungen und Abmahnungen können darum jedenfalls grundsätzlich als rechtswidrige Eingriffe in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb oder als unlautere geschäftliche Handlungen einzuordnen sein.488 Der Tatbestand des Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb weist eine Reihe von Besonderheiten auf, die bisher dafür gesorgt haben, dass er vorrangig in § 823 Abs. 1 BGB
_____
483 Vgl. nur BGH 10.10.1991 – I ZR 147/89 – GRUR 1993, 34, 37 – Bedienungsanweisung; BGH 23.2.1995 – I ZR 15/93 – GRUR 1995,– 424, 425 – Abnehmerverwarnung; BGH 12.8.2004 – I ZR 98/02 – GRUR 2004, 958, 959 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 181. 484 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.166; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/43. 485 Siehe z.B. BGH 11.1.2018 – I ZR 178/16 – GRUR 2018, 832 Tz. 70 – Ballerina; Ullmann GRUR 2001, 1027 ff.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.170; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/33; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 196. 486 BGH 25.3.2003 – VI ZR 175/02 – BGHZ 154, 269; BGH 13.3.1979 – VI ZR 117/77 – BGHZ 74, 9, 15; BGH 3.10.1961 – VI ZR 242/60 – BGHZ 36, 18, 20; BGH 7.3.1956 – V ZR 106/54 – BGHZ 20, 169, 172; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.166. 487 BGH 3.10.1961 – VI ZR 242/60 – BGHZ 36, 18, 20. 488 Vgl. z.B. RG 27.10.1888 – I 228/88 – RGZ 22, 93, 96; RG 27.2.1904 – I 418/03 – RGZ 58, 24, 30 – Jutefaser; RG 19.12.1918 – VI 279/18 – RGZ 94, 248, 250; RG 8.7.1933 – I 95/33 – RGZ 141, 336, 338; BGH 15.6.1951 – I ZR 59/50 – BGHZ 2, 387, 393 = GRUR 1951, 452 – Mülltonnen; BGH 4.5.1954 – I ZR 149/52 – BGHZ 13, 210, 216 f. = GRUR 1954, 391 – Prallmühle; BGH 13.7.1954 – I ZR 14/53 – BGHZ 14, 286, 291 = GRUR 1955, 150 – Farina-Belgien; BGH 5.11.1962 – I ZR 39/61 – BGHZ 38, 200, 205 = GRUR 1963, 255 – Kindernähmaschinen; BGH 11.12.1973 – X ZR 14/70 – BGHZ 62, 29, 33 = GRUR 1974, 290 – Maschenfester Strumpf; BGH 22.6.1976 – X ZR 44/74 – GRUR 1976, 715 – Spritzgießmaschine; BGH 24.2.1978 – X ZR 19/76 – BGHZ 71, 86 = GRUR 1978, 492, 493 – Fahrradgepäckträger II; BGH 19.1.1979 – I ZR 166/76 – GRUR 1979, 332 – Brombeerleuchte; BGH 24.2.1983 – I ZR 207/80 – GRUR 1983, 467, 468 – Photokina; BGH 17.4.1997 – X ZR 2/96 – GRUR 1997, 741 – Chinaherde; BGH 23.2.1995 – I ZR 15/93 – GRUR 1995, – 424, 425 – Abnehmerverwarnung; BGH 13.4.2000 – I ZR 220/97 – GRUR 2001, 54, 55 – SUBWAY/Subwear; BGH 12.8.2004 – I ZR 98/02 – GRUR 2004, 958 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht; BGH 15.7.2005 – GSZ 1/04 – GRUR 2005, 882 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung.
417
Dornis
155
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
verortet und nicht in § 4 Nr. 4 überführt wurde.489 Die Problematik ist seit jeher und in vielerlei Hinsicht umstritten.490 Unsicherheit besteht insbesondere bei der systematischen und dogmatischen Einordnung. So wird z.B. bereits bezweifelt, dass eine Sonderregel für Abmahnungen und Schutzrechtsverwarnungen im Vorfeld von Prozessen benötigt wird.491 Überdies wird die Verortung der Sonderregel im allgemeinen Deliktsrecht kritisiert und ein Rückgriff auf Anspruchsgrundlagen des Lauterkeitsrechts gefordert.492 Noch grundlegender wird die gewohnheitsrechtliche Anerkennung eines Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als solches in Frage gestellt.493 Vor allem wird bezweifelt, ob eine Abmahnung oder Klage überhaupt als betriebsbezogener Eingriff oder als rechtswidrig oder schuldhaft eingeordnet werden kann, wenn doch der Verwarnte die gleichen Informationen über die Schutzrechtslage besitzt wie der Verwarner.494 In der Praxis hat diese Kritik keinen nachhaltigen Niederschlag gefunden. Der Große Senat für Zivilsachen hat vielmehr auf Vorlage deutlich gemacht, an der bereits vom Reichsgericht eingeschlagenen Linie festzuhalten: Als entscheidenden Gesichtspunkt verweist das Gericht darauf, dass Ausschließlichkeitsrechte mit einschneidender Wirkung vom Wettbewerb ausschließen und darum nach einem Korrelat verlangen. Erforderlich sei ein Ausgleich zwischen dem durch Art. 14 GG geschützten Interesse des Schutzrechtsinhabers und dem als Ausfluss der allgemeinen Handlungsfreiheit geschützten Interesse an einem freien und möglichst unregulierten Wettbewerb. Wäre es möglich, aus einem Recht darüberhinausgehenden Schutz zu beanspruchen, vielleicht sogar wirtschaftlichen Nutzen aus einer schuldhaften Verkennung des Schutzumfangs zu ziehen, ohne für den verursachten Schaden der Mitbewerber einstehen zu müssen, wäre der Ausgleich verfehlt. Dies gelte in besonderem Maße bei der Abnehmerverwarnung. Getroffen werde in dieser Situation nämlich nicht der Abnehmer, sondern der ihn beliefernde Hersteller und Mitbewerber des Verwarners. Ohne das Institut der unberechtigten Schutzrechtsverwarnung fehle die wirksame Handhabe, einem möglicherweise existenzgefährdenden Eingriff in die Kundenbeziehungen entgegenzutreten. Zwar sei zutreffend, dass nicht rechtswidrig in Rechtsgüter des Gegners eingreife, wer ein staatliches, gesetzlich eingerichtetes und geregeltes Verfahren einleite oder betreibe, auch wenn sein Begehren letzten Endes sachlich nicht gerechtfertigt sei. Für die Folgen einer nur fahrlässigen Fehleinschätzung der Rechtslage werde grundsätzlich nicht gehaftet. Für die Abmahnung und Schutzrechtsverwarnung könne eine Privilegierung allerdings nicht gefordert werden. Andernfalls werde dem Abmahnenden die außergerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen zu sehr erleichtert. Insoweit seien auch und insbesondere Informa-
_____
489 BGH 12.8.2004 – I ZR 98/02 – GRUR 2004, 958 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht I; BGH 15.7.2005 – GSZ 1/04 – GRUR 2005, 882 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung; zust. Staudinger/Hager Eckpfeiler des Zivilrechts, S. 929 Nr. 8c; Staudinger/Schäfer 12. Aufl. (1986) § 823 Rn. 165; Erman/Schiemann § 823 Rn. 68; Palandt/Sprau § 823 Rn. 132; Jauernig/Teichmann § 823 Rn. 101; kritisch Soergel/Beater § 823 Anh. V Rn. 69; MünchKommBGB/Wagner § 823 Rn. 191, 199; Prütting/Wegen/Weinreich/Schaub § 823 Rn. 95; Bamberger/Roth/Spindler § 823 Rn. 120. 490 Vgl. zur Kritik (mit zahlreichen Nachweisen) vor allem BGH 12.8.2004 – I ZR 98/02 – GRUR 2004, 958, 958 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht; BGH 19.1.2006 – I ZR 217/03 – GRUR 2006, 433 – Unbegründete Abnehmerverwarnung; BGH 19.1.2006 – I ZR 98/02 – GRUR 2006, 432 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht II; BGH 21.12.2005 – X ZR 72/04 – BGHZ 165, 305 = GRUR 2006, 219 – Detektionseinrichtung II; BGH 15.7.2005 – GSZ 1/04 – GRUR 2005, 882 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung; BGH 1.12.2015 – X ZR 170/12 – GRUR 2016, 630 Tz. 15 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung II. 491 OLG Düsseldorf 20.2.2003 – 2 U 135/02 – GRUR 2003, 814, 816 – Unberechtigte Abnehmerverwarnung; Ahrens/Deutsch Kap. 3 Rn. 19; Kunath WRP 2000, 1074, 1075; Sack S. 16 ff., 197 ff.; Ullmann GRUR 2001, 1027, 1028; Deutsch GRUR 2006, 374 ff. 492 Vgl. z.B. nur BGH 12.8.2004 – I ZR 98/02 – GRUR 2004, 958, 960 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht; zudem Beater Rn. 1791; Blaurock S. 70 ff.; Brüggemeier Deliktsrecht Rn. 354 ff.; ders. Haftungsrecht, S. 362; Deutsch WRP 1999, 25, 26; Horn S. 188 ff.; ders. GRUR 1971, 442, 451; Katzenberger S. 130; Larenz/Canaris § 81 III 4, S. 554 f.; Lindacher ZHR 144 (1980) 350, 355 ff.; Sack WRP 1976, 733, 735 f.; ders. WRP 2005, 253, 257; Ullmann GRUR 2001, 1027, 1029; Wagner ZIP 2005, 49, 51; Wilhelm FS Canaris S. 1293, 1299 ff.; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/38; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 78. 493 Larenz/Canaris aaO; Wagner aaO; vgl. auch bereits Wiethölter KritJ 1970, 126; krit. Soergel/Beater § 823 Anh. V Rn. 69; MünchKommBGB/Wagner § 823 Rn. 191, 199; Prütting/Wegen/Weinreich/Schaub § 823 Rn. 95; Bamberger/Roth/Spindler § 823 Rn. 120. 494 Vgl. z.B. Horn GRUR 1971, 442, 446 f.; Reuthal S. 10; Staudinger/Hager § 823 Rn. D 53 f.; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 180; MünchKommBGB/Wagner § 823 Rn. 191.
Dornis
418
Gezielte Behinderung
§4
tionsasymmetrien zu berücksichtigen: Meist sei der verwarnte Abnehmer nämlich nicht zur Prüfung im Stande, der betroffene Lieferant nicht sofort zur Wahrnehmung seiner Rechte in der Lage. Zudem seien Informationen über die Schutzrechtslage in den meisten Fällen ungleich verteilt. Sei dies ausnahmsweise doch einmal der Fall, könne flexibel mit dem Einwand des Mitverschuldens geholfen werden. Zu beachten sei allerdings, dass derjenige, der fahrlässig zu Unrecht ein Ausschließlichkeitsrecht geltend mache, „näher dran“ sei, den resultierenden Schaden zu tragen.495
(2) Konzeption: Abmahnung und Schutzrechtsverwarnung als Betriebsstö- 156 rung. Der Umstand, dass jedermann seine Rechte durchsetzen darf, bringt es mit sich, dass hierdurch in die Rechtsgüter oder Interessen des Betroffenen eingegriffen wird. Die Geltendmachung eines Unterlassungs- oder Schadensersatzanspruchs gegen ein Unternehmen führt in den meisten Fällen zwangsläufig zu einem Eingriff in dessen Handlungsfreiheit, teilweise auch in die betrieblichen Abläufe und Organisation. Wird einem Unternehmen verboten, ein (angeblich) patentverletzendes Produkt herzustellen, so wird ihm der Gebrauch zumindest eines Teils seiner betrieblichen Einrichtungen untersagt.496 Werden Abnehmer verwarnt, wird in die Kundenbeziehungen in einer Weise eingegriffen, die der Mitbewerber mit wettbewerblichen Mitteln kaum kompensieren kann.497 Klagen oder Abmahnungen dieser Art sind darum grundsätzlich als betriebsbezogene Eingriffe einzuordnen, weil es sich um gezielte Angriffe handelt, die meist primär, jedenfalls aber auch darauf angelegt sind, den Betriebsablauf zu stören, Produktionsmittel zu blockieren oder Kundenbeziehungen zu erschüttern.498 Die Einordnung von Fällen der Schutzrechtsverwarnung und der Abmahnung als Konstellationen der Betriebsstörung scheitert auch nicht an der Tatsache, dass zur Entfaltung der Blockadewirkung eine eigene Willensentscheidung des Betroffenen (z.B. zur Einstellung der Produktion oder des Vertriebs) hinzutreten muss.499 Besonders deutlich wird die betriebsstörende Wirkung, wenn ein Fachverband pauschal darauf hinweist, dass der Einsatz einer Maschine Patent- und Markenrechte der Mitglieder des Verbandes verletzen kann, ohne dass die Abnehmer der Maschine diese Behauptung überprüfen können.500 Hier kann der Hersteller der Maschine seine Leistung nicht mehr angemessen durch seine eigenen Anstrengungen vermarkten, denn die verunsicherten Abnehmer werden schon den Verdacht zum Anlass nehmen, ihn zu meiden. Das Reichsgericht hat die Verwarnung eines Mitbewerbers früh als Eingriff in den 157 eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb charakterisiert501 und dabei argu-
_____
495 BGH 15.7.2005 – GSZ 1/04 – GRUR 2005, 882, 883 ff. – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung. Vgl. zudem BGH 19.1.2006 – I ZR 98/02 – GRUR 2006, 432 Tz. 23 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht II; BGH 19.1.2006 – I ZR 217/03 – GRUR 2006, 433 Tz. 20 – Unbegründete Abnehmerverwarnung; BGH 21.12.2005 – X ZR 72/04 – GRUR 2006, 219 Tz. 14 – Detektionseinrichtung II; BGH 1.12.2015 – X ZR 170/12 – GRUR 2016, 630 Tz. 15 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung II. 496 BGH 17.4.1997 – X ZR 2/96 – GRUR 1997, 741, 742 – Chinaherde; RG 5.7.1927 – II 506/26 – RGZ 117, 408, 412. 497 BGH 19.1.2006 – I ZR 217/03 – GRUR 2006, 433 Tz. 18 – Unbegründete Abnehmerverwarnung; BGH 24.5.1963 – I b ZR 213/62 – WRP 1968, 50, 51 – Spielautomat; ebenso LG Düsseldorf 17.1.1967 – 4 O 297/65 – GRUR 1968, 156, 158; Ulmer/Reimer Unlauterer Wettbewerb, Bd. III Deutschland, Nr. 494; Hesse GRUR 1967, 557, 559; Horn GRUR 1971, 442, 451; Metzen FS Werner vom Stein S. 80, 82; Moser von Filseck GRUR 1963, 260, 263; von Rogge WRP 1965, 40, 41. 498 In dieser Zielrichtung wird der Betriebsbezug gesehen bei BGH 29.6.1977 – I ZR 186/75 – GRUR 1977, 805, 807 – Klarsichtverpackung; zudem treffend GK-UWG/Peifer2 § 4 Nr. 10 Rn. 264. 499 Vgl. BGH 11.12.1973 – X ZR 14/70 – BGHZ 62, 29 = GRUR 1974, 290, 291 – Maschenfester Strumpf; Staudinger/Hager Eckpfeiler des Zivilrechts, S. 930 (unten Nr. 8d); Bamberger/Roth/Spindler § 823 Rn. 120; zudem Horn GRUR 1971, 442, 443. 500 BGH 15.1.2009 – I ZR 123/06 – GRUR 2009, 878 Tz. 17 – Fräsautomat. 501 Erstmals RG 27.10.1888 – I 228/88 – RGZ 22, 93 (Abmahnung aus behauptetem Markenrecht).
419
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
mentiert, durch die Verwarnung werde dem Betroffenen das Recht zur Produktion abgesprochen, womit der Gewerbebetrieb in seinem Bestand getroffen sei.502 Vor diesem Hintergrund ist die Vergleichbarkeit zur Zerstörung oder Beschädigung körperlicher Gegenstände des Betriebsvermögens evident.503 Neuere Entscheidungen des Bundesgerichtshofs und Stimmen im Schrifttum stützen Ansprüche aus Schutzrechtsverwarnungen und vergleichbaren Maßnahmen zusätzlich auf Anspruchsgrundlagen des UWG (§§ 3, 4, 8 f.).504 Dies hat vor allem Konsequenzen für die Verjährung.505 Bei den DreiecksKonstellationen der sogenannten Abnehmerverwarnung506 ist bei falschen Tatsachenbehauptungen zudem an die Tatbestände des § 4 Nr. 1 und Nr. 2 zu denken.507 (3) Allgemeine Voraussetzungen: Unlauterkeitskriterien 158
(a) Grundsatz. Die Verfolgung eigener Rechte und Ansprüche ist nicht per se unlauter und sie ist auch nicht rechtswidrig, sondern ein grundgesetzlich geschütztes Vorgehen.508 Das steht nicht im Gegensatz zur Wertung, dass dieses Vorgehen in eine betriebsbezogene Behinderung umschlagen kann. Insoweit ist das Interesse an der möglichst umfassenden Rechtsdurchsetzung auf Seiten des Rechteinhabers oder Geschädigten mit dem Belang einer verfahrensökonomisch effizienten Vorabklärung sowie eines vorprozessualen Informationsaustauschs zwischen den Beteiligten in Ausgleich zu bringen mit dem Interesse des Betroffenen, vor zu weitreichenden Eingriffen in seine Betriebsabläufe geschützt zu sein.509
159
(b) Tatbestand und Rechtswidrigkeit. Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ist ein sogenanntes Rahmenrecht, dessen Verletzung bereits auf der Ebene des Tatbestandes und nicht erst im Rahmen der Rechtswidrigkeit durch eine Abwägung der Interessen von Handelndem und Betroffenem festgestellt werden muss.510 Die sonst im Bereich des § 823 Abs. 1 BGB angewendete Regel, dass bereits der Eingriff die Rechtswidrigkeit indiziert, gilt hier ebenso wenig wie bei Eingriffen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Die Interessenabwägung führt zur Anwendung eines Prinzips der Verhältnismäßigkeit als Maßstab für den Verletzungstatbestand.
_____
502 RG 27.10.1888 – I 228/88 – RGZ 22, 93, 96: Störung in „rechtlich erlaubten Verfügungen“; RG 3.2.1910 – VI 28/09 – RGZ 73, 107, 112: „Eingriff […] unmittelbar gegen den Bestand des Gewerbebetriebs […], sei es, dass dieser tatsächlich gehindert, oder daß seine rechtliche Zulässigkeit verneint und seine Schließung oder Einschränkung verlangt wird“. 503 Vgl. auch GK-UWG/Peifer2 § 4 Nr. 10 Rn. 265. 504 So z.B. in BGH 15.1.2009 – I ZR 123/06 – GRUR 2009, 878 – Fräsautomat; vgl. hierzu aus dem Schrifttum z.B. Peukert Mitt. 2005, 73 ff.; Sack WRP 2005, 252, 259 ff.; Meier-Beck WRP 2006, 790, 792; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/39. 505 Siehe unten Rn. 171. 506 Siehe hierzu unten Rn. 160 und 167 f. 507 BGH 19.1.2006 – I ZR 217/03 – GRUR 2006, 433 Tz. 16 – Unbegründete Abnehmerverwarnung; Ullmann GRUR 2001, 1027, 1030; Sack WRP 2007, 708, 712; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/39. 508 Siehe oben Rn. 153 f. 509 Siehe z.B. BGH 15.7.2005 – GSZ 1/04 – GRUR 2005, 882, 883 ff. – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung; BGH 12.8.2004 – I ZR 98/02 – GRUR 2004, 958, 959 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht I; Ullmann GRUR 2001, 1027 ff.; Wagner ZIP 2005, 49 ff.; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/34. 510 So z.B. BGH 13.3.1979 – VI ZR 117/77 – BGHZ 74, 9, 15 und für die Schutzrechtsverwarnung BGH 19.1.2006 – I ZR 98/02 – GRUR 2006, 432 Tz. 23 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht II; BGH 19.1.2006 – I ZR 217/03 – GRUR 2006, 433 Tz. 20 – Unbegründete Abnehmerverwarnung; vgl. zudem z.B. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.177 ff.; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/38.
Dornis
420
Gezielte Behinderung
§4
Die ganz überwiegende Ansicht unterscheidet für die Interessenabwägung bei der 160 Schutzrechtsverwarnung in scheinbar klarer Abgrenzung zwischen der sogenannten Herstellerverwarnung, die gegen denjenigen gerichtet ist, der ein rechtsverletzendes Produkt primär zu verantworten hat, weil er es produziert oder erstmalig (etwa als Importeur) in den Warenkreislauf gebracht hat (dann auch Lieferantenverwarnung), und der Abnehmer- und Händlerverwarnung, die sich gegen den Vertriebspartner des Herstellers oder Lieferanten richtet.511 Die Abnehmer- und Händlerverwarnung ist für den Zulieferer besonders gefährlich, weil Abnehmer und Händler meist keine Kenntnisse über die Produktion und die Rechtslage bezüglich des vertriebenen Produkts haben und nicht ohne weiteres bereit sind, sich in einen Rechtsstreit zwischen zwei Herstellern einzumischen.512 Sie werden darum meist den Vertrieb einstellen oder den Zulieferer wechseln.513 Darum gilt die Regel, dass zunächst vorrangig der Hersteller als Verantwortlicher in Anspruch zu nehmen ist, sofern dies zur effektiven Rechtsverfolgung ausreicht. Erst wenn die Herstellerverwarnung erfolglos geblieben oder unzumutbar ist, soll eine Verwarnung der Abnehmer zulässig sein.514 Im Vergleich zur Schutzrechtsverwarnung privilegiert ist die lauterkeitsrechtliche 161 Abmahnung, die grundsätzlich auch in Fällen eines unberechtigten Vorgehens als zulässig angesehen wird.515 Für eine deliktsrechtliche Haftung und die Einordnung als unlautere Behinderung im Sinne des § 4 Nr. 4 müssen zur unberechtigten Abmahnung stets besondere Unlauterkeitsumstände hinzutreten.516 (c) Prozessprivileg. Für die Rechtsverfolgung in den prozessual vorgegebenen 162 Strukturen der gerichtlichen Klage oder des Antrags auf einstweilige Verfügung gilt ein verfahrensrechtliches Privileg.517 Die Interessen der Beteiligten werden insoweit primär durch die Verfahrensvorschriften gewahrt.518 Eine Rechtsverfolgung dieser Art ist darum grundsätzlich weder rechtswidrig noch unlauter. Entsprechend kommt zwischen den am Prozess Beteiligten keine Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB oder aus § 4 Nr. 4 in Betracht. Die Parteien haften untereinander nur nach den im Verfahrensrecht vorgesehenen Sanktionen. Sie haben dabei ein weitreichendes „Recht auf Irrtum“ insofern als auch das Anstrengen unbegründeter Klagen keine privatrechtlichen Haftungsfolgen hat. Den Ausgleich für daraus resultierende Schäden schafft ausschließlich die prozessuale
_____
511 Siehe hierzu ausführlich unten Rn. 167 f. 512 Vgl. BGH 15.7.2005 – GSZ 1/04 – GRUR 2005, 882, 885 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/34. 513 BGH 15.1.2009 – I ZR 123/06 – GRUR 2009, 878 Tz. 17 – Fräsautomat; BGH 15.7.2005 – GSZ 1/04 – GRUR 2005, 882 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung; Soergel/Beater § 823 Rn. 73; Staudinger/Hager Eckpfeiler des Zivilrechts, S. 930 Nr. 8 e; Prütting/Wegen/Weinreich/Schaub § 823 Rn. 90; MünchKommBGB/Wagner § 823 Rn. 203; Meier-Beck GRUR 2005, 535, 539; Teplitzky GRUR 2005, 9, 12; jurisPK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 220. 514 BGH 19.1.1979 – I ZR 166/76 – GRUR 1979, 332, 336 – Brombeerleuchte; Gloy/Loschelder/Hasselblatt § 45 Rn. 122; Hesse GRUR 1967, 557; Horn GRUR 1971, 442, 452; Ohl GRUR 1966, 172, 173; Rogge WRP 1965, 40, 43; Schrauder S. 270 f.; Seidler FS Wendel S. 56 f.; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/40. 515 BGH 5.10.2000 – I ZR 224/95 – GRUR 2001, 354, 355 – Verbandsklage gegen Vielfachabmahner; BGH 30.6.1994 – I ZR 40/92 – GRUR 1994, 841, 843 – Suchwort; BGH 13.12.1984 – I ZR 107/82 – GRUR 1985, 571, 573 – Feststellungsinteresse; BGH 8.2.1963 – Ib ZR 132/61 – WRP 1965, 97, 99 – Kaugummikugeln; OLG Köln 10.8.2012 – 6 U 17/12 – GRUR-RR 2013, 24, 28; Teplitzky Kap. 41 Rn. 75. 516 BGH 22.7.2010 – I ZR 139/08 – GRUR 2011, 152 Tz. 62 – Kinderhochstühle im Internet; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.167. Siehe zudem unten Rn. 163 ff. 517 BGH 15.7.2005 – GSZ 1/04 – GRUR 2005, 882, 884 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung. Anders noch RG 28.3.1939 – I 221/38 – GRUR 1939, 787, 789; BGH 5.11.1962 – I ZR 39/61 – BGHZ 38, 200 = GRUR 1963, 255, 258 – Kindernähmaschine. 518 BGH 3.10.1961 – VI ZR 242/60 – BGHZ 36, 18, 20; BGH 13.3.1979 – VI ZR 117/77 – BGHZ 74, 9, 15.
421
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
Kostenerstattungspflicht der §§ 91 ff. ZPO und die Risikohaftung aus §§ 717 Abs. 2, 945 ZPO. Anderes gilt allerdings in Fällen der sittenwidrigen vorsätzlichen Rechtsverletzung nach § 826 BGB und wenn eine Klage Schäden bei Dritten erzeugt, weil diese nicht durch Verfahrensvorschriften geschützt sind.519 (4) Besondere Merkmale und Rechtsfolgen (a) Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung 163
(aa) Verletzungshandlung und Kausalität. Die unberechtigte Verwarnung aus Schutzrechten ist grundsätzlich rechtswidrig nach § 823 Abs. 1 BGB. Dabei wird nicht nach den verschiedenen Kategorien von Schutzrechten differenziert. Die Grundsätze der unberechtigten Schutzrechtsverwarnung gelten darum für die nationalen gewerblichen Schutzrechte (Patent, Gebrauchsmuster, Design- und Kennzeichenrechte) und das Urheberrecht (mit verwandten Schutzrechten) ebenso wie für die EU-einheitlichen Rechte (vor allem Unionsmarke und Gemeinschaftsgeschmacksmuster).520 Das Vorgehen wegen eines (angeblichen) Diebstahls oder Verrats von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen ist allerdings abweichend einzuordnen. Insoweit finden die Grundsätze zur unberechtigten lauterkeitsrechtlichen Abmahnung Anwendung. 521 Unberechtigt ist eine Verwarnung, wenn das Schutzrecht materiell (noch) nicht oder nicht mehr besteht, ferner wenn es die begehrte Unterlassung inhaltlich, d.h. von seiner Reichweite her nicht trägt oder der Verwarnende nicht berechtigt ist, die Unterlassung zu verlangen, etwa weil er nicht Schutzrechtsinhaber ist.522 Eine Verwarnung ist das ernsthafte und endgültige Unterlassungsbegehren im 164 Hinblick auf die Produktion, den Import oder den Vertrieb einer Ware, die Anwendung eines Verfahrens sowie die Verwendung von urheber-, design- oder geschmacksmusterrechtlich geschützten Werken oder von Marken- und Kennzeichen.523 Entscheidend sind Bestimmtheit der Aufforderung und des Unterlassungsverlangens. Daher ist als Verwarnung anzusehen noch nicht die bloße Anfrage über die Schutzrechtslage (im Sinne einer sogenannten Berechtigungsanfrage)524 oder die bloße Äußerung einer (Rechts-) Meinung darüber, dass der Mitbewerber das Schutzrecht verletze.525 Auch scheinbar unverbindliche Einschätzungen der Rechtslage können aber wie eine Verwarnung wirken, so etwa wenn ein Fachverband Abnehmer pauschal vor dem Bezug von Maschinen warnt und dabei darauf hinweist, durch deren Einsatz könnten Patente oder Marken-
_____
519 BGH 21.12.2005 – X ZR 72/04 – GRUR 2006, 219 Tz. 14 – Detektionseinrichtung II; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/40. 520 Allg. A. Siehe z.B. Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 188; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/33. Für Ansprüche aus UWG-Nachahmungsschutz nach § 4 Nr. 3 siehe unten Rn. 175. 521 Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 188. 522 Siehe oben Rn. 154. 523 BGH 7.2.1975 – I ZR 103/73 – GRUR 1975, 315 – Metacolor; BGH 5.11.1962 – I ZR 39/61 – BGHZ 38, 200, 204 = GRUR 1963, 255 – Kindernähmaschinen; OLG Karlsruhe 12.10.1983 – 6 U 119/83 – GRUR 1984, 143, 144 (bloße Berechtigungsanfrage); Bußmann GRUR 1969, 482; Soergel/Beater § 823 Anh. V Rn. 70; Palandt/Sprau § 823 Rn. 132; MünchKommBGB/Wagner § 823 Rn. 199; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.169; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/33; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 188. 524 BGH 10.7.1997 – I ZR 42/95 – GRUR 1997, 896, 897 – Mecki-Igel III; BGH 23.2.1995 – I ZR 15/93 – GRUR 1995, 424, 425 – Abnehmerverwarnung; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.169. 525 BGH 5.11.1962 – I ZR 39/61 – BGHZ 38, 200, 203 = GRUR 1963, 255 – Kindernähmaschinen; Staudinger/Hager Eckpfeiler des Zivilrechts S. 929 Nr. 8b; Prütting/Wegen/Weinreich/Schaub § 823 Rn. 89; Bamberger/Roth/Spindler § 823 Rn. 120; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/33.
Dornis
422
Gezielte Behinderung
§4
rechte der Mitglieder des Verbandes verletzt werden.526 Hier ist es gerade die Pauschalität des Vorwurfs, die eine Überprüfung erschwert und das Schadenspotential erhöht. Zum Teil wird bezweifelt, dass die Betriebsstörung unmittelbar durch die Schutz- 165 rechtsverwarnung ausgelöst wird. Dabei wird darauf verwiesen, dass derjenige, der aufgrund der Verwarnung seine Produktion oder seinen Vertrieb einstellt, aufgrund eigener Willensbildung handele.527 Solange auf seinen freien Willen nicht durch Täuschung, Drohung oder Arglist eingewirkt werde, sei die Verleitung zu selbstbestimmten Handlungen keine kausale Verletzungshandlung.528 Der Gesichtspunkt wird vor allem angeführt, um die Herstellerverwarnung durch einen Mitbewerber aus der Haftungszone herauszunehmen. Sie sei im Ergebnis keine unzumutbare Belastung für den betroffenen Hersteller, der in der Praxis weiterproduzieren und für eventuelle Schadensersatzpositionen Rückstellungen treffen könne.529 Diese Argumentation überzeugt nicht. Wer unbegründet auf Unterlassung in Anspruch genommen wird, kann sich zwar gegen den Vorwurf zur Wehr setzen und negative Feststellungsklage erheben,530 doch wird die prozessuale Verteidigung Zeit in Anspruch nehmen. Parallel dazu droht eine Beeinträchtigung von Produktion und Vertrieb. Das gilt nicht nur bei der Abnehmerverwarnung. Dagegen riskiert der Abmahnende zunächst nichts, wenn argumentiert wird, die Abmahnung sei für die genannten Ereignisse nicht einmal kausal.531 An dieser Stelle gewinnt der vom Reichsgericht betonte Gedanke Bedeutung, dass die Schutzrechtsverwarnung beträchtliches Drohpotential und Hebelwirkung hat. Folglich darf auch nicht grundsätzlich an der Kausalität der Verwarnung für die Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Entfaltung gezweifelt werden.532 Eine Berücksichtigung der Position und des Verhaltens des Verwarnten im Rahmen der Güter- und Interessenabwägung sowie der Mitverschuldensprüfung ist allerdings in jedem Fall geboten.533 (bb) Güter- und Interessenabwägung. Zur Feststellung einer gezielten Behinde- 166 rung oder eines rechtswidrigen Eingriffs ist eine umfassende Güter- und Interessenabwägung durchzuführen.534 Während die Gerichte in der Vergangenheit dazu neigten, die unberechtigte Schutzrechtsverwarnung als per se rechtswidrig anzusehen,535 betont der Bundesgerichtshof in jüngerer Zeit den Grundsatz, dass die Rechtswidrigkeit nicht bereits durch den Eingriff indiziert ist, sondern positiv festgestellt werden muss.536 Auch das Schrifttum verweist auf den Charakter des § 823 Abs. 1 BGB als offenen Tatbe-
_____
526 BGH 15.1.2009 – I ZR 123/06 – GRUR 2009, 878 Tz. 17 – Fräsautomat; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.169; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 189 f. 527 Horn GRUR 1971, 442, 446. 528 Horn aaO. 529 Moser von Filseck GRUR 1963, 260; kritisch auch Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 3/38. 530 BGH 21.12.2005 – X ZR 17/03 – GRUR 2006, 217 – Detektionseinrichtung I; BGH 16.4.1969 – I ZR 59– 60/67 –GRUR 1969, 479, 481 – Colle de Cologne m. Anm. Bußmann; OLG Düsseldorf 20.2.2003 – 2 U 135/02 – GRUR 2003, 814, 815 – Unberechtigte Abnehmerverwarnung; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.166; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/43. 531 Vgl. treffend hierzu Meier-Beck GRUR 2005, 535, 538. 532 BGH 11.12.1973 – X ZR 14/70 – BGHZ 62, 29 = GRUR 1974, 290, 291 – Maschenfester Strumpf; Staudinger/Hager Eckpfeiler des Zivilrechts S. 930 (Nr. 8 d); Bamberger/Roth/Spindler § 823 Rn. 120. 533 Siehe nachfolgend Rn. 166. 534 Vgl. z.B. Sack S. 54; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.180; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 197; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 229; vgl. aber z.B. auch kritisch Meier-Beck WRP 2006, 790, 792; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 128a. 535 BGH 4.5.1954 – I ZR 149/52 – BGHZ 13, 210, 216 f. = GRUR 1954, 391 – Prallmühle; BGH 15.6.1951 – I ZR 59/50 – BGHZ 2, 387, 393 = GRUR 1951, 452 – Mülltonnen. 536 BGH 19.1.2006 – I ZR 98/02 – GRUR 2006, 432 Tz. 23 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht II; BGH 19.1.2006 – I ZR 217/03 – GRUR 2006, 433 Tz. 20 – Unbegründete Abnehmerverwarnung.
423
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
stand oder Rahmenrecht.537 Für § 4 Nr. 4 sei zudem gleichfalls auf eine Abwägung der Entfaltungsinteressen von Verwarner und Verwarntem abzustellen.538 Bei der Abwägung der betroffenen Interessen ist nach überwiegender Ansicht zwi167 schen Fällen der Hersteller- und der Abnehmerverwarnung zu differenzieren.539 Bei der Herstellerverwarnung bestehe grundsätzlich Waffengleichheit in Form in etwa ausgeglichener Information über die Schutzrechtslage. Daher sei nicht einzusehen, warum dem Verwarner hier eine Schadensersatzlast aufgebürdet würde, wenn der Verwarnte die Risiken einer Unterwerfung oder einer Fortsetzung der Produktion selbst einschätzen könne.540 Anders liege der Fall bei der Abnehmerverwarnung. Sie wird als wesentlich gefährlicher angesehen, weil der abgemahnte Abnehmer regelmäßig nicht nur weniger Informationen zur Sach- und Rechtslage in Bezug auf die behauptete Schutzrechtsverletzung, sondern zudem meist auch kein Interesse habe, das Risiko eines Prozesses einzugehen. Er sei folglich in der Regel schneller geneigt, den Vertrieb zu unterlassen; zudem er auch häufig ohne großen Aufwand den Lieferanten wechseln könne.541 Das habe für den Hersteller insbesondere auch deshalb fatale Folgen, weil er von der schädlichen Abnehmerverwarnung häufig erst mit zeitlicher Verzögerung erfahre.542 Diese Differenzierung überzeugt nicht. Wenn der tragende Gesichtspunkt des Haf168 tungstatbestandes darin liegt, dass der Verwarnende daran gehindert werden soll, gesetzliche Schutzrechte um den „Preis einer Briefmarke“ geltend zu machen und „kreativ auszudehnen“, 543 dann gilt dies grundsätzlich in allen Fällen. 544 Die verschiedenen Konstellationen unterscheiden sich in der Regel nur graduell. Natürlich mag die Abmahnung von Abnehmern auf der Grundlage eines technischen Schutzrechts ihr schädliches Potential in vielen Fällen tatsächlich aus einem Informationsungleichgewicht beziehen. Je nach technischer Expertise auf Seiten der Abnehmer kann das Gefälle aber auch weniger stark oder gar nicht vorhanden sein. Dies dürfte unabhängig von speziellen Kenntnissen auf Seiten der Abnehmer in der Regel auch bei der Geltendmachung von nicht-technischen Schutzrechten (z.B. Marken) gelten. Die Beurteilung der Sachund Rechtslage ist in diesen Fällen weniger von privaten und exklusiven Informationen abhängig. Überdies dürfte „Waffengleichheit“ beim Vorgehen gegen Hersteller kaum als Regelfall anzusehen sein. So kann ein marktmächtiger Akteur im Verhältnis zu schwächeren Mitbewerbern durch ein außerprozessuales, wohl sogar durch ein prozessuales (und damit eigentlich privilegiertes)545 Vorgehen aus Schutzrechten einen ganz erheblichen chilling effect – im Sinne einer Lähmung und Störung der Betriebsabläufe auf der
_____
537 Teplitzky GRUR 2005, 9, 15; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 197; RGRK/Steffens § 823 Rn. 46; Soergel/Beater BGB § 823 Anh. V Rn. 39 ff., 71; MünchKommBGB/Wagner § 823 Rn. 195, 201. 538 Vgl. z.B. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.177 f.; weniger deutlich aber z.B. jurisPK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 229. 539 Vgl. z.B. Teplitzky GRUR 2005, 9, 13; Sack S. 1 ff.; Zimmermann S. 77, 312; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.180d; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 121 f. und Rn. 124; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 73. 540 BGH 12.8.2004 – I ZR 98/02 – GRUR 2004, 958, 959 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht I; Ullmann GRUR 2001, 1027, 1028; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/38. 541 BGH 15.1.2009 – I ZR 123/06 – GRUR 2009, 878 Tz. 17 – Fräsautomat; BGH 15.7.2005 – GSZ 1/04 – GRUR 2005, 882 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung; Meier-Beck GRUR 2005, 535, 539; Teplitzky GRUR 2005, 9, 12; Soergel/Beater § 823 Rn. 73; Staudinger/Schäfer § 823 Rn. 166; Prütting/Wegen/Weinreich/Schaub § 823 Rn. 90; Bamberger/Roth/Spindler § 823 Rn. 121; MünchKommBGB/Wagner § 823 Rn. 203; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/34. 542 Vgl. z.B. Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/34; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 73. 543 Meier-Beck GRUR 2005, 535, 538. 544 Vgl. insoweit auch OLG Hamburg 21.9.2000 – 3 U 43/00 – OLGR Hamburg 2001, 111, 113. 545 Siehe oben Rn. 153.
Dornis
424
Gezielte Behinderung
§4
Gegenseite – bewirken und damit den Wettbewerb behindern.546 Berücksichtigt man die Kontextabhängigkeit und Varianz bei der Interessenabwägung ist klar, dass die verschiedenen Fallkonstellationen sich entlang eines Kontinuums mit unterschiedlichem Gefährdungspotential bewegen. Entsprechend muss auch das Ergebnis der Abwägung variieren. Letztlich dient die von der Rechtsprechung entwickelte Einteilung in Fallgruppen (inklusive des Verfahrensprivilegs) in erster Linie der praktischen und prozessualen Vereinfachung. Dies verbietet es aber nicht, im Einzelfall abweichend zu entscheiden. Zwei Kriterien sind allerdings essentiell: es ist stets der Verwarnende, der das Risiko einer unlauteren Behinderung im Wettbewerb verursacht. Daher ist es angemessen, Entscheidungen über die Geltendmachung von Rechten jedenfalls grundsätzlich mit einem flankierenden Schadensersatzrisiko zu belasten und dadurch für eine vorherige ernsthafte Prüfung auf Seiten des (scheinbar) berechtigten Akteurs zu sorgen. Die Rechtsprechung bringt dies allgemein mit der Erwägung zum Ausdruck, der Verwarnende sei „näher dran“, das Risiko seines Vorgehens zu tragen.547 Unter rechtsökonomischer Perspektive wird man ihn darum als cheapest cost avoider bezeichnen können: er kann sich durch gründliche Vorabprüfung am einfachsten einen Überblick über die Sach- und Rechtslage verschaffen. Als Korrektiv ist bei der Interessenabwägung aber zudem auch die Möglichkeit der Schadensvermeidung auf der Gegenseite zu berücksichtigen. Konkret bedeutet dies, dass auch der Verwarnte zur Prüfung der Sach- und Rechtslage und darum zu einer sachlich gerechtfertigten Reaktion auf die Verwarnung angehalten ist.548 Sofern er z.B. auf eine unberechtigte Verwarnung übervorsichtig und im Ergebnis grundlos die Produktion oder den Vertrieb einstellt, muss dieser Umstand auf Ebene des Mitverschuldens (§ 254 BGB) berücksichtigt werden.549 (cc) Verschulden. Die Schadensersatzhaftung ist Verschuldenshaftung; sowohl 169 nach § 823 Abs. 1 BGB als auch nach den §§ 9, 3 Abs. 1 und § 4 Nr. 4. Es handelt sich nicht um einen Tatbestand der Gefährdungshaftung.550 Eine Ausdehnung der verschuldensunabhängigen Risikotatbestände in §§ 717 Abs. 2, 945 ZPO kommt nicht in Betracht.551 Daher muss der Abmahnende zumindest fahrlässig bei der Einschätzung der Begrenzungen des von ihm reklamierten Schutzrechtes gehandelt haben. Die danach gebotene Sorgfalt verlangt, dass der Verwarnende sich seine Überzeugung von der Schutzrechtsverletzung „durch gewissenhafte Prüfung gebildet“552 oder er sich bei seinem Vorgehen von „vernünftigen und billigen Überlegungen“ hat leiten lassen.553 Dabei hat der
_____
546 Zu kartellrechtlich geprägten Tatbeständen der Behinderung siehe unten Rn. 248 ff. 547 Siehe oben Rn. 155. 548 Zur angemessenen Sorgfalt des Verwarnten siehe ausführlich Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 90. 549 BGH 15.7.2005 – GSZ 1/04 – GRUR 2005, 882, 885 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung; BGH 5.11.1962 – I ZR 39/61 – BGHZ 38, 200 = GRUR 1963, 255, 260 – Kindernähmaschinen; Staudinger/Hager Eckpfeiler des Zivilrechts S. 930 Nr. 8h; Prütting/Wegen/Weinreich/Schaub § 823 Rn. 93; Bamberger/Roth/Spindler § 823 Rn. 123; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.181. 550 BGH 17.4.1997 – X ZR 2/96 – GRUR 1997, 741, 742 – Chinaherde; Sack WRP 2005, 253, 254; Wagner ZIP 2005, 49, 52 f.; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/41; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.180a; Harte/ Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 207. 551 BGH 5.11.1962 – I ZR 39/61 – BGHZ 38, 200, 205 – GRUR 1963, 255 – Kindernähmaschinen; BGH 3.10.1961 – VI ZR 242/60 – BGHZ 36, 18, 20; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/41. 552 RGZ 10.1.1919 – II 220/18 – RGZ 94, 271, 276 – Sprechmaschine. 553 RG 6.3.1931 – II 281/30 – GRUR 1931, 640, 641; zust. zu beiden Kriterien im Grundsatz BGH 11.12.1973 – X ZR 14/70 – BGHZ 62, 29 = GRUR 1974, 290, 291– Maschenfester Strumpf; vgl. zudem BGH 11.1.2018 – I ZR 178/16 – GRUR 2018, 832 Rn. 88 – Ballerina; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.180b.
425
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
Handelnde durchaus ein „Recht auf Irrtum“,554 er darf sich insbesondere auch auf den Bestand eines erst nach behördlicher Prüfung gewährten Schutzrechts verlassen, und zwar sowohl bei einem eingetragenen Patent,555 als auch bei einem eingetragenen Kennzeichen, etwa im Hinblick auf das Fehlen absoluter Schutzhindernisse.556 Anders ist es nur, wenn der Verwarnende weiterreichende Kenntnisse über den Schutzrechtsbestand hat als die Eintragungsbehörde, etwa weil ihm die Vorveröffentlichung einer Technologie mitgeteilt wurde oder aus anderen Gründen bekannt ist.557 Bei ungeprüften Schutzrechten (Geschmacksmuster, Gebrauchsmuster) oder nicht im Verfahren überprüften Umständen (relative Schutzhindernisse bei Kennzeichen) entfällt das Vertrauen auf die Behördenentscheidung. Hier muss derjenige, der ein Schutzrecht reklamiert, vor einer Abmahnung selbst prüfen, ob das Schutzrecht besteht und ob es die Reichweite hat, die in einer Abmahnung behauptet wird.558 170
(dd) Rechtsfolgen. Der Verwarnende kann nach § 823 BGB sowie gegebenenfalls nach § 826 BGB auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden. Zu ersetzen ist der gesamte durch die Verwarnung verursachte Schaden beim Mitbewerber (vgl. § 252 BGB).559 Trifft den Verwarnten bei der Beurteilung der Rechtslage ein Mitverschulden dahingehend, dass er sich zu schnell und ohne die ihm obliegende Prüfung gefügt hat, ist der Anspruch nach § 254 BGB zu reduzieren.560 Zudem besteht ein Anspruch auf Unterlassung der Inanspruchnahme nach §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB (analog).561 Dem Verwarnenden wird aber nur die außergerichtliche Durchsetzung, nicht die gerichtliche Geltendmachung verboten.562 Für die Unterlassung genügt schließlich bereits die Rechtswidrigkeit, die sich aus der fehlenden Berechtigung der Verwarnung ergibt.563 Betrachtet man die Verwarnung als Geschäftsführung ohne Auftrag, kann der unberechtigt Verwarnte zudem Aufwendungen aus der Haftung für Übernahmeverschulden (§ 678 BGB) geltend machen.564
_____
554 BGH 30.11.1995 – IX ZR 115/94 – GRUR 1996, 812, 814 – Unterlassungsurteil gegen Sicherheitsleistung; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/41. 555 BGH 22.6.1976 – X ZR 44/74 – GRUR 1976, 715, 717 – Spritzgießmaschine; MünchKommBGB/Wagner § 823 Rn. 202. 556 BGH 19.1.2006 – I ZR 98/02 – GRUR 2006, 432 Tz. 25 – Verwarnung aus Kennzeichenrecht II; BGH 11.1.2018 – I ZR 178/16 – GRUR 2018, 832 Tz. 88 f. – Ballerina; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/41. 557 BGH 21.12.2005 – X ZR 72/04 – BGHZ 165, 305 = GRUR 2006, 219 Tz. 18 – Detektionseinrichtung II; MünchKommBGB/Wagner § 823 Rn. 202; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/41. 558 BGH 17.4.1997 – X ZR 2/96 – GRUR 1997, 741, 742 – Chinaherde; BGH 19.1.1979 – I ZR 166/76 – GRUR 1979, 332, 336 – Brombeerleuchte; BGH 11.1.2018 – I ZR 178/16 – GRUR 2018, 832 Rn. 88 f. – Ballerina; Horn GRUR 1971, 442, 447; Soergel/Beater § 823 Anh. V Rn. 72; Bamberger/Roth/Spindler § 823 Rn. 123; MünchKommBGB/Wagner § 823 Rn. 202; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/41. 559 Siehe ausführlich Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 89. 560 BGH 5.11.1962 – I ZR 39/61 – BGHZ 38, 200, 205 = GRUR 1963, 255, 260 – Kindernähmaschinen; BGH 19.1.1979 – I ZR 166/76 – GRUR 1979, 332, 337 – Brombeerleuchte; BGH 15.7.2005 – GSZ 1/04 – GRUR 2005, 882, 885 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/41; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 211; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.181. 561 Siehe z.B. BGH 5.11.1962 – I ZR 39/61 – BGHZ 38, 200 = GRUR 1963, 255, 258 – Kindernähmaschinen; Teplitzky WRP 2005, 1433, 1435 f.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.175. 562 BGH 15.7.2005 – GSZ 1/04 – GRUR 2005, 882, 884 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung; Teplitzky WRP 2005, – 1433, 1435; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.175; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/42. 563 BGH 19.1.2006 – I ZR 217/03 – GRUR 2006, 433 Rn. 17 – Unbegründete Abnehmerverwarnung. Siehe zudem oben Rn. 154. 564 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.183; siehe zudem Kunath WRP 2000, 1074, 1076; Selke WRP 1999, 286.
Dornis
426
Gezielte Behinderung
§4
Eine Schutzrechtsverwarnung ist zudem regelmäßig geschäftliche Handlung im 171 Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1. Darum kommen neben dem Anspruch wegen Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb auch lauterkeitsrechtliche Ansprüche in Betracht.565 Mangels Klärung der Frage durch den Großen Senat566 ist einstweilen von Anspruchskonkurrenz auszugehen.567 Für die Verjährung gilt dann für alle Ansprüche einheitlich § 11 (außer für § 826 BGB).568 Bei der Herstellerverwarnung ist die unberechtigte Schutzrechtsverwarnung unter § 4 Nr. 4 einzuordnen, in Fällen der Abnehmerverwarnung kommen (im Verhältnis zum Hersteller oder Lieferanten) zudem § 4 Nr. 1 und Nr. 2 sowie möglicherweise die §§ 4a sowie 5, 5a in Betracht.569 (b) Unberechtigte lauterkeitsrechtliche Abmahnung. Auch die unberechtigte 172 Abmahnung wegen eines Lauterkeitsrechtsverstoßes ist jedenfalls dem Grunde nach als Betriebsstörung anzusehen.570 Auch durch sie wird dem Betroffenen eine Befugnis streitig gemacht, die Teil seiner unternehmerischen Entfaltungsfreiheit ist, und zum Bestand seines Gewerbebetriebes gehört. Die Verletzungshandlung unterscheidet sich insoweit nicht grundsätzlich von der unbegründeten Schutzrechtsverwarnung. Von einem prozessualen Privileg profitiert auch die unbegründete lauterkeitsrechtliche Abmahnung nicht, denn auch sie ist nicht Teil des Klageverfahrens, sondern der vor- und außerprozessualen Mechanismen. Sofern sie rechtswidrig ist, kann sie durch einen Unterlassungsanspruch abgewehrt werden, der sich allerdings nur auf außerprozessuale Handlungen erstreckt.571 Die unberechtigte Abmahnung folgt allerdings nach der ganz überwiegenden An- 173 sicht anderen Regeln als die Schutzrechtsverwarnung.572 Sie gilt nicht als vergleichbar gefährlich und schadensbegründend, weil der Abmahnende nicht von dem besonderen Drohpotential eines Schutzrechts Gebrauch macht, sondern nur allgemein rügt, dass der Abgemahnte sich unlauter verhalte. Insbesondere soll der Gedanke, dass die Haftung Korrelat für das in seinem Schutzbestand und Schutzumfang nicht klar zu ermessende Ausschließlichkeitsrecht ist, für die lauterkeitsrechtliche Abmahnung keine Bedeutung haben. Der entscheidende Aspekt für die Sonderbehandlung der unbegründeten Schutzrechtsverwarnung, die mit dem weiten Schutzrechtsgehalt korrelierende Haftung, soll darum nicht tragen.573 Ein weiteres Argument ist, dass die Abmahnung lediglich Äuße-
_____
565 Vgl. auch BGH 15.1.2009 – I ZR 123/06 – GRUR 2009, 878 Tz. 13 – Fräsautomat; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.176a. 566 Siehe hierzu oben Rn. 155. 567 Vgl. BGH 19.1.2006 – I ZR 217/03 – GRUR 2006, 433 Tz. 16 – Unbegründete Abnehmerverwarnung; Meier-Beck WRP 2006, 790, 793; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.176a; abweichend aber MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 127; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 241 (Vorrang des UWG); zur Kritik siehe zudem Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 80. 568 So zutreffend juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 243; vgl. auch allgemein zur einheitlichen Verjährungsfrist: BGH 28.9.1973 – I ZR 136/71 – GRUR 1974, 99, 100 – Brünova; a.A. MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 130; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.180 (§§ 195, 199 BGB). 569 BGH 15.1.2009 – I ZR 123/06 – GRUR 2009, 878 Tz. 13 – Fräsautomat; Ullmann GRUR 2001, 1027, 1030; Sack 152 ff.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.178 f.; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 124 ff.; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 199; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 245 ff. 570 Vgl. hierzu oben Rn. 156 f. 571 Zum prozessualen Privileg siehe oben Rn. 153. 572 BGH 22.7.2010 – I ZR 139/08 – GRUR 2011, 152 Tz. 23 – Kinderhochstühle im Internet; OLG Köln 10.8.2012 – 6 U 17/12 – GRUR-RR 2013, 24, 28; Goldbeck S. 186; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.166; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/43; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 109. 573 BGH 20.1.2011 – I ZR 31/10 – GRUR-RR 2011, 343 (Ls.) = BeckRS 2011, 3867 – Unberechtigte Abmahnung; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/43; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 250.
427
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
rung einer „Rechtsmeinung“ sei, und darum der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) des Abmahnenden unterfalle. 574 Daher soll die unberechtigte Abmahnung nur ausnahmsweise unlauter sein.575 Als eine gezielte Behinderung ist sie jedenfalls nur dann anzusehen, wenn der Abmahnende von der fehlenden Berechtigung Kenntnis hat oder er sich dieser Kenntnis bewusst verschließt.576 Im Ergebnis erfährt die lauterkeitsrechtliche Abmahnung deshalb keine Sonderbehandlung: auch bei ihr ist, wie allgemein für betriebsbezogene Eingriffe sowie sonstige gezielte Behinderungen nach § 4 Nr. 4, stets nach Maßgabe einer Interessenabwägung zu entscheiden.577 Der zu Unrecht Abgemahnte kann sich mit einer negativen Feststellungsklage 174 zur Wehr setzen. Das erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben. Eine (Gegen-)Abmahnung ist zur Vermeidung der Kostenfolgen des § 93 ZPO nicht erforderlich.578 Materiell-rechtlich kann ein zu Unrecht und unlauter abgemahnter Mitbewerber neben den deliktischen Anspruchsgrundlagen (§§ 823, 826 BGB) auf die lauterkeitsrechtlichen Tatbestände der §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 4 und § 4 Nr. 1 und Nr. 2 zurückgreifen.579 Es bestehen Unterlassungs-, Beseitigungs- und Schadensersatzansprüche. Zudem ist über § 678 BGB ein Anspruch gegen den Abmahnenden auf Schadensersatz wegen Übernahmeverschuldens möglich.580 Von der allgemeinen lauterkeitsrechtlichen Abmahnung zu unterscheiden ist aller175 dings eine Abmahnung auf der Grundlage der Vorschriften zum lauterkeitsrechtlichen Leistungsschutz (§ 4 Nr. 3 lit. a und lit. b). Die Interessenlage ist insoweit mit der Verwarnung aus einem Schutzrecht zu vergleichen.581 Im Schrifttum wird zwar davon ausgegangen, dass die Grundsätze nicht übertragbar seien.582 Die in der obergerichtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum vertretene Gegenansicht bejaht hingegen die
_____
574 BGH 16.4.1969 – I ZR 59–60/67 – GRUR 1969, 479, 481 – Colle de Cologne; Staudinger/Schäfer § 823 Rn. 171; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.166; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 111; jurisPK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 250. 575 BGH 30.6.1994 – I ZR 40/92 – GRUR 1994, 841, 843 – Suchwort; BGH 13.12.1984 – I ZR 107/82 – GRUR 1985, 571, 573 – Feststellungsinteresse; BGH 16.4.1969 – I ZR 59–60/67 – GRUR 1969, 479, 481 – Colle de Cologne; BGH 8.2.1963 – Ib ZR 132/61 – WRP 1965, 97, 99 – Kaugummikugeln; OLG Hamburg 24.7.2008 – 3 U 216/06 – WRP 2008, 1569; OLG Hamburg 19.9.2002 – 3 U 54/99 – NJW-RR 2003, 857; OLG Frankfurt 7.12.1989 – 6 U 160/88 – NJW-RR 1991, 1006; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.166; Ohly/ Sosnitza § 4.4 Rn. 4/43; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 109; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 182. 576 BGH 9.9.2010 – I ZR 98/08 – GRUR 2010, 1133 Tz. 24 – Bonuspunkte; Ullmann GRUR 2001, 1027, 1030; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.167; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/43. 577 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.166 f.; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 251; LG Augsburg 29.5.2012 – 2 HK O 323/12 – DS 2012, 403. 578 BGH 12.7.1995 – I ZR 85/93 – GRUR 1995, 697, 699 – FUNNY PAPER; BGH 29.4.2004 – I ZR 233/01 – GRUR 2004, 790, 792 – Gegenabmahnung; BGH 5.10.2000 – I ZR 224/95 – GRUR 2001, 354, 355 – Verbandsklage gegen Vielfachabmahner; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.166; Harte/ Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 182. 579 Siehe aber z.B. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.168 und Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/43 (kein Rückgriff auf § 823 BGB). 580 Vgl. z.B. BGH 29.4.2004 – I ZR 233/01 – GRUR 2004, 790, 792 – Gegenabmahnung; OLG München 8.1.2008 – 29 W 2738/07 – GRUR-RR 2008, 461, 462 – Gegenabmahungskosten; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.168; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/43; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 185; Erman/Dornis § 683 Rn. 25 f. 581 Siehe z.B. auch OLG Frankfurt/M. 7.12.1989 – 6 U 160/88 – GRUR 1990, 642; OLG Stuttgart 10.9.2009 – 2 U 11/09 – GRUR-RR 2010, 298, 300 – Dampfdruckbügeleisen; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.169; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 109; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 250. 582 Siehe z.B. Götting/Nordemann3 § 4 Nr. 3 Rn. 3.100 unter Verweis auf BGH 22.7.2010 – I ZR 139/08 – GRUR 2011, 152 Tz. 63 – Kinderhochstühle im Internet.
Dornis
428
Gezielte Behinderung
§4
Anwendung der Grundsätze unter Verweis auf die vergleichbare Interessenlage jedenfalls für Fälle der Herkunftstäuschung und der Rufausbeutung, möglicherweise auch beim unmittelbaren Leistungsschutz nach § 3 Abs. 1.583 Dieser Ansicht ist mit Blick auf die Ähnlichkeit von Immaterialgüterrecht und UWG-Nachahmungsschutz584 zuzustimmen.585 Letztlich zeigt sich an dieser Fallgruppe die Notwendigkeit einer kontextorientierten Betrachtung: auch im Bereich der unberechtigten lauterkeitsrechtlichen Abmahnung können Konstellationen bestehen, die aufgrund der konkreten Umstände eine abweichende Beurteilung rechtfertigen. ff) Beeinträchtigung von Vertragsbeziehungen (1) Grundlagen (a) Dogmatik: Delikts- und Lauterkeitsrecht. Verträge und vertragliche Beziehun- 176 gen berechtigen und verpflichten nur die am Vertrag Beteiligten. Nach der ganz herrschenden Ansicht sind Verträge und Forderungen keine sonstigen Rechte im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB. Sie genießen daher keinen deliktischen Außenschutz.586 Vertragliche Bindungen kommen aufgrund privatautonomen Verhaltens zustande und können darum Dritten, die diese Bindungen nicht mitgestaltet haben, nicht aufgezwungen werden.587 Noch nicht vertraglich abgesicherte Geschäftsbeziehungen im Sinne bloßer Erwerbschancen gehören nicht zu den verfestigten Rechtsgütern oder Rechten, welche Dritte zu respektieren haben.588 Nur vereinzelt wird vertreten, dass Vertragsbeziehungen und Forderungen eines Unternehmens jedenfalls insoweit zu achten seien, als sie dem Gläubiger zugeordnet sind, was zur Folge habe, dass ein Dritter sich weder in die Forderungszuständigkeit einmischen,589 noch Forderung oder Vertrag durch sein Verhalten wissentlich „entwerten“ dürfe.590 Nach der ganz überwiegenden Ansicht binden Verträge allerdings nur die Beteiligten. Allerdings wird ein Außenschutz von vertraglichen und geschäftlichen Beziehungen ausnahmsweise dann angenommen, wenn der Eingriff eines Dritten als sittenwidrige vorsätzliche Schädigung nach § 826 BGB anzusehen ist. Dabei sind zunächst weder die Ausnutzung eines Vertragsbruchs noch die Verleitung zum Vertragsbruch als solche sittenwidrig.591 Eine Verleitung wird allerdings dann als sittenwid-
_____
583 OLG Stuttgart 10.9.2009 – 2 U 11/09 – GRUR-RR 2010, 298 – Dampfdruckbügeleisen; GKUWG/Leistner2 § 4 Nr. 9 Rn. 278. 584 Siehe GK-UWG/Dornis § 4 Nr. 3 Rn. 48 ff. sowie Rn. 106 ff. 585 Vgl. hierzu GK-UWG/Dornis § 4 Nr. 3 Rn. 288. 586 Vor allem zurückgehend auf Motive zu dem Entwurfe eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band II (1888) 727; vgl. nur BGH 24.2.1954 – II ZR 3/53 – BGHZ 12, 308, 319 (Verletzung gesellschaftsrechtlicher Treuepflichten mit dem Ziel, den einzigen Vermögensgegenstand eines Unternehmens den übrigen Gesellschaftern zu entziehen); BGH 2.6.1981 – VI ZR 28/80 – NJW 1981, 2184, 2185 (Grundstücks-Doppelverkauf); Bucher S. 145; Enneccerus/Lehmann S. 943; Enneccerus/Nipperdey S. 471 § 5 I 2; Löwisch S. 23, 141; Piper GRUR 1990, 643; Schramm GRUR 1961, 328, 329. 587 Löwisch S. 23; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 53. 588 Schramm GRUR 1961, 328, 329. 589 H. G. Ficker FS Ficker S. 158, 179; Larenz/Canaris § 76 II 4g, S. 397; Löbl AcP 129 (1928) 257, 295 und 130 (1929) 1. 590 O. Chr. Fischer S. 81; Groh S. 119, 122 f.; Koziol S. 7; Rehbein S. 260 (Forderung subjektives Recht). 591 BGH 1.4.1992 – IV ZR 332/90 – NJW 1992, 2152, 2153 (Vereitelung eines Vermächtnisanfalls); BGH 2.6.1981 – VI ZR 28/80 – NJW 1981, 2184, 2185 (Grundstücks-Doppelverkauf); BGH 23.2.1970 – II ZR 252/67 – WM 1970, 245, 246; RG 25.1.1924 – II 286/23 – RGZ 108, 58, 59 (Doppelverkauf eines Gegenstandes); RG 23.1.1922 – VI 481/21 – RGZ 103, 419, 421 (ebenso); Kiss FS Zitelmann S. 1, 14; Krasser S. 311, 317.
429
Dornis
177
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
rig angesehen, wenn der Einbrechende ein besonders illoyales Verhalten592 oder eine gesteigerte Rücksichtslosigkeit an den Tag legt.593 Entscheidend ist die Anwendung rechtlich missbilligter Mittel, eine explizit sittenwidrige Zwecksetzung des Handelnden oder die Unverhältnismäßigkeit der Mittel-ZweckRelation. Typisch sind Fälle, in denen der Vertragsgebundene getäuscht oder bedroht wird oder in denen ein kollusives Zusammenwirken zwischen Vertragspartner und Drittem zum Schaden des Vertragstreuen vorliegt.594
178
Die für das bürgerliche Recht durchaus als geklärt anzusehende Kategorisierung und Grenzziehung ist im Lauterkeitsrecht (überwiegend historisch bedingt) immer noch mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Im Lauterkeitsrecht ging man zunächst davon aus, dass die Verleitung zum Vertragsbruch stets als unlautere Wettbewerbshandlung anzusehen sei, weil unter Unternehmern, insbesondere unter Konkurrenten, strengere Verhaltensregeln gelten sollten als im allgemeinen Deliktsrecht. Unter Kaufleuten sollte nicht nur die allgemeine Sozialmoral, sondern auch eine besondere Geschäftsmoral als Leitbild dafür gelten, was den Inhalt der „guten Sitten“ ausmacht.595 Diese Einschätzung ist zwar mittlerweile überholt, weil der Begriff des Verstoßes gegen die „guten Sitten“ durch den der „Unlauterkeit“ ersetzt wurde. Damit konzentriert sich die Betrachtung nicht mehr auf die Gebräuche unter Kaufleuten, sondern auf wettbewerbsfunktionale Aspekte.596 Die Berücksichtigung wettbewerbsfunktionaler Aspekte bereitet aber im Bereich des Eingriffs in vertragliche Beziehungen, die typischerweise im Grenzbereich zwischen reinen Geschäftsaussichten sowie Chancen und bereits eigentumsrechtlich zugeordneten Bestandteilen des Geschäftsbetriebes liegen, naturgemäß große Probleme. Die ubiquitäre Arbeitsteilung in einer modernen Wirtschaftsordnung wird durch ein umfangreiches Geflecht von horizontalen und vertikalen Vertragsbeziehungen koordiniert. Das Bedürfnis nach Absicherung der Vertragsstrukturen gegen Eingriffe von außen ist darum ökonomisch zumindest prima facie durchaus gerechtfertigt. Sofern die Regeln zu Sach- und Immaterialgüterrechten keine Absicherung bieten, drängt sich ein Rückgriff auf das Lauterkeitsrecht darum geradezu auf. Im Rahmen des Konkurrentenschutzes spielt dabei auch eine Rolle, dass der auf Verträge eines Mitbewerbers Einwirkende typischerweise durch dieses Verhalten einen Vorsprung vor seinen die Vertragsbindung respektierenden Mitbewerbern erzielt („Vorsprung durch Vertragsbruch“). Dieser Vorsprung wurde und wird als unlauter angesehen.597 Insbesondere in
_____
592 Bamberger/Roth/Spindler § 826 Rn. 27 (Eingriff in eine besonders intensive, durch gegenseitiges Vertrauen geprägte Bindung der Vertragspartner). 593 BGH 19.10.1993 – XI ZR 184/92 – NJW 1994, 128, 129 („besonderes Maß an Rücksichtslosigkeit“); ebenso bereits RG 23.1.1922 – VI 481/21 – RGZ 103, 419, 421 (besonders verwerfliche Handlungen darzulegen); BGH 23.4.1999 – V ZR 62/98 – NJW-RR 1999, 1186 f.; BGH 19.9.1995 – VI ZR 377/94 – JZ 1996, 416, 418 m. Anm. Mayer-Maly; BGH 1.4.1992 – IV ZR 332/90 – NJW 1992, 2152, 2153; BGH 2.6.1981 – VI ZR 28/80 – NJW 1981, 2184, 2185; Staudinger/Oetker § 826 Rn. 226; Prütting/Wegen/Weinreich/Schaub § 826 Rn. 18; Erman/Schiemann § 826 Rn. 4; Palandt/Sprau § 826 Rn. 23; MünchKommBGB/Wagner § 826 Rn. 54; Larenz/Canaris § 78 II 1b, S. 451; Köhler FS Canaris S. 591, 595. 594 BGH 19.9.1995 – VI ZR 377/94 – JZ 1996, 416, 418; BGH 19.10.1993 – XI ZR 184/92 – NJW 1994, 128, 129. 595 Vgl. BGH 19.10.1966 – Ib ZR 156/64 – GRUR 1967, 138, 141 – Streckenwerbung (Kenntnis von Ausschließlichkeitsbindungen einer Art, wie sie der Kläger selbst verwendet); BGH 20.11.1964 – Ib ZR 15/63 – GRUR 1965, 310 – Speisekartoffeln (besondere geschäftliche Gepflogenheit zur Berücksichtigung von Vertragsbindungen); BGH 16.10.1956 – I ZR 2/55 – GRUR 1957, 219, 221 – Bierbezugsvertrag (Branchenüblichkeit von ausschließlichen Bierbezugsverpflichtungen); noch weitergehend Rosenthal § 1 Rn. 88 („gemeines deutsches Gewohnheitsrecht“). 596 Scherer WRP 2009, 518, 522. 597 Vgl. z.B. GK-UWG/Brandner/Bergmann § 1 Rn. A 217; ebenso Krasser S. 211.
Dornis
430
Gezielte Behinderung
§4
Fällen des Abwerbens von Mitarbeitern oder der Schädigung selektiver Vertriebsbindungssysteme kommt noch hinzu, dass ein Vorgehen gegen den Vertragsbrüchigen zwar möglich, doch meist mangels „Haftungsmasse“, oder weil insbesondere einem abgeworbenen Arbeitnehmer die Tätigkeit beim neuen Arbeitgeber nicht untersagt werden kann, nicht erfolgversprechend ist.598 Ähnliches gilt, wenn der Beeinträchtigte an einem spezifischen Leistungsgegenstand ein besonderes Interesse hat, welches die sekundäre Schadensersatzhaftung nicht befriedigen kann.599 Schließlich ist auch allgemein ein Bedürfnis nach effektiver Abwehr von Eingriffen zu beachten: ein sukzessives Vorgehen gegen viele einzelne Vertragsbrüchige ist meist sehr aufwändig. Der Veranlasser der Vertragsbrüche ist demgegenüber meist mit weitaus geringerem Aufwand zu erlangen. Dennoch stehen einem uneingeschränkten Rückgriff auf das Lauterkeitsrecht zur 179 Absicherung vertraglicher Beziehungen und sich daraus ergebender Rechtspositionen und Interessen erhebliche Bedenken entgegen. Mit Blick auf die dogmatischen Grundlagen des Lauterkeitsrechts als Sondermaterie des Privatrechts muss zunächst berücksichtigt werden, dass ein Interesse daran, einen bestimmten Gegenstand zu erhalten, im bürgerlichen Recht in erster Linie durch dingliche Ansprüche geschützt ist.600 Für Konstellationen jenseits der dinglichen Absicherung ist zu beachten, dass der Schadenersatzanspruch wegen Nichterfüllung den Vertragsgläubiger jedenfalls nach dem konzeptionellen Verständnis der Rechtezuweisung nicht schlechter stellt als die unterbliebene Erfüllung.601 Wollte man über das Deliktsrecht eine Besserstellung erzielen, würde das System der dinglichen Rechte entwertet. Auch dient das Lauterkeitsrecht als besonderes Deliktsrecht nicht in erster Linie der Bestandssicherung, sondern vorrangig der Regelung des Wettbewerbsverhaltens. Besonders problematisch ist die Ausweitung des Lauterkeitsrechts in den Bereich des Vertragsrechts hinein zudem mit Blick darauf, dass ein zu weitreichender Schutz vertraglicher Beziehungen die Gefahr mit sich bringt, dass private Akteure die Marktstrukturen und den Wettbewerb nach eigenen Vorstellungen gestalten.602 Evident ist dies bei Bindungen, die das Kartellrecht untersagt.603 Um eine Überlagerung und damit die Gefahr der Aushöhlung kartellrechtlicher Wertungen durch das Lauterkeitsrecht zu vermeiden, darf letzteres bei der Frage des Schutzes vertraglicher Beziehungen deshalb nur bei Vorliegen besonderer Unlauterkeitsmerkmale zur Einschränkung des freien Wettbewerbs führen. Insoweit ist insbesondere auch eine durch das europäische Lauterkeitsrecht ge- 180 zogene Grenze bei der Einschränkung der Entscheidungsfreiheit auf Verbraucherseite zu beachten: Soweit Sachverhalte der Beeinträchtigung von Vertragsbeziehungen mit der Einwirkung auf den Entscheidungsprozess der Verbraucher einhergehen (z.B. beim Abwerben von Kunden), ist zu beachten, dass die UGP-RL ausdrücklich die Implementierung eines grundsätzlich umfassend harmonisierten Höchstschutzstandards verfolgt.604 Reduziert man die „Freiheit zum Vertragsbruch“ bei Gestaltungen mit Verbraucherbetei-
_____
598 Vgl. z.B. OLG Frankfurt/M. 16.12.1993 – 6 U 190/93 – WM 1994, 862; Ohly FS Spellenberg S. 617, 628; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/28a; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.114; anders aber möglicherweise MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 106 f. 599 GK-UWG/Brandner/Bergmann § 1 Rn. A 233; MünchKommBGB/Wagner § 826 Rn. 57. 600 Krasser S. 106 ff. 601 Köhler FS Canaris S. 591, 598. 602 Emmerich FS Erdmann S. 561; ebenso Deutsch JZ 1973, 585, 586. 603 Fikentscher S. 55 f.; Koziol S. 191; Merkel NJW 1961, 1751, 1752; vgl. auch OGH 18.12.1957 – GRUR Ausland 1959, 243, 251 („Absatzsysteme, die die freie Preisbildung unmöglich machen sollen, muss niemand respektieren, der nicht selbst die Vorteile dieses Absatzsystems auf sich genommen hat“). 604 Vgl. Erwägungsgründe 5, 11, 12 und 17 UGP-RL.
431
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
ligung im Wege des Rückgriffs auf den Behinderungstatbestand, droht ein Abweichen von den Richtlinienvorgaben.605 Es überrascht vor dem Hintergrund dieser zunehmend marktfunktional begrün181 deten Reduktion des Anwendungsbereichs des Lauterkeitsrechts darum auch kaum, dass die Fallgruppe des Vertragsbruchs erheblich an Bedeutung verloren hat. Sie ist zwar dogmatisch durchaus als Unterfall der Betriebsstörung einzuordnen.606 Verträge mögen zwar nicht den gleichen Zuordnungsgehalt haben wie das Eigentum an körperlichen Gegenständen. Auch sind sie als solche nicht durch Immaterialgüterrechte geschützt. Die Vertragsbeziehungen eines Unternehmens gehören aber zu seinem Vermögen, weil sie in wesentlichem Maße den Unternehmenswert, insbesondere die künftigen Chancen der Geschäftsentwicklung bestimmen. Wer in Verträge eingreift, greift darum durchaus in das organisierte und bewertbare Betriebsvermögen ein. Zur Beantwortung der Frage, ob ein Eingriff unlauter ist, muss allerdings gleichwohl berücksichtigt werden, dass Vertragsverhältnisse gerade keinen Außenschutz genießen. Daher trägt nur die Anwendung besonderer unlauterer Mittel oder die Verfolgung missbilligter Ziele die Annahme einer gezielten Behinderung, nicht bereits der Einbruch als solcher. Der Bundesgerichtshof hat diesen Zusammenhang dahingehend formuliert, dass „die schuldrechtliche Bindung zwischen dem Wettbewerber (= Hersteller) und seinem Vertragspartner im allgemeinen Dritten gegenüber keine rechtlichen Wirkungen zu entfalten vermag und daß die Annahme eines Wettbewerbsverstoßes schon bei einem Ausnutzen fremden Vertragsbruchs gewissermaßen zu einer – im Interesse der Verkehrsfähigkeit unerwünschten – Verdinglichung der schuldrechtlichen Verpflichtungen führen würde.“607 Ein rechtlicher Schutz einer solchen Verdinglichung würde in unerwünschter Weise den freien Waren-, Dienstleistungs- und Niederlassungsverkehr behindern, weil Leistungen mit einer vertraglichen Last belegt würden.608 Das ist nicht nur wettbewerbspolitisch, sondern auch europarechtlich unerwünscht.609 Für das Lauterkeitsrecht sind vor diesem Hintergrund lediglich (allerdings auch im182 mer noch) drei Tatbestände einer gezielten Behinderung von praktischer Bedeutung: Zunächst ist ein Abwerben von Kunden als grundsätzlich wettbewerbskonform anzusehen, denn keinem Unternehmer ist sein Kundenstamm oder die Summe der Vertragsbeziehungen zu den Kunden exklusiv zugeordnet. Ein Abwerben von Kunden ist aber unter besonderen Voraussetzungen als Lauterkeitsverstoß einzuordnen.610 Ähnlich muss die lauterkeitsrechtliche Bewertung des Eindringens in Vertriebssysteme erfolgen. Auch selektive Vertriebsverträge sowie Preisbindungs- und sonstige Ausschließlichkeitsverträge binden (sofern sie kartellrechtlich zulässig sind) nur die daran beteiligten Parteien, nicht aber Außenseiter, die versuchen, gebundene Waren aus nicht vertriebsgebundenen Gebieten zu importieren oder von gebundenen Händlern zu erwerben.611 Schließlich hat
_____
605 Siehe z.B. instruktiv MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 21; jedenfalls im Ergebnis gleich Fezer/ Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 111. 606 Siehe hierzu oben Rn. 90 ff. 607 BGH 15.7.1999 – I ZR 130/96 – GRUR 1999, 1113, 1115 – Außenseiteranspruch (zu selektiven Vertriebssystemen); BGH 1.12.1999 – I ZR 130/96 – BGHZ 143, 232 = GRUR 2000, 724, 726 – Außenseiteranspruch II; bestätigt in BGH 11.1.2007 – I ZR 96/04 – BGHZ 171, 73 = GRUR 2007, 800 Tz. 15 – Außendienstmitarbeiter; BGH 11.9.2008 – I ZR 74/06 – BGHZ 178, 63 = GRUR 2009, 173 Tz. 35 – bundesligakarten.de (Direktvertrieb). 608 Vgl. BGH 15.7.1999 – I ZR 130/96 – GRUR 1999, 1113, 1116 – Außenseiteranspruch. 609 Vgl. insofern EuGH 4.10.2011 – C-403/08 und 429/08 – AfP 2011, 462 Tz. 86–88 – FAPL/Karen Murphy; EuGH 13.10.2011 – C-439/09 – GRUR Int. 2011, 1077 Tz. 54 – Pierre Fabre Dermo-Cosmétique. 610 Siehe unten Rn. 193 ff. 611 Siehe unten Rn. 196 ff.
Dornis
432
Gezielte Behinderung
§4
ein Unternehmer auch grundsätzlich keinen Anspruch gegen ein Abwerben von Mitarbeitern. Der Mitarbeiterstamm selbst ist kein Immaterialgut des Betriebes. Die Mitarbeiter dürfen auch im Interesse ihrer eigenen Entfaltungsfreiheit selbst darüber entscheiden, wem sie ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen.612 (b) Rechtsvergleich (Überblick). Die Verleitung zum Vertragsbruch wird auch in 183 anderen Rechtsordnungen als Delikt oder Lauterkeitsverstoß angesehen. Das französische Recht kennt die Fallgruppe der tierce complicité à la violation d’un contrat als Anwendungsfall der deliktischen Generalklausel in Art. 1382 code civil.613 Das englische Recht hat in der Entscheidung Lumley v. Gye614 etwa die Haftung eines Konzertveranstalters wegen des Abwerbens einer Sängerin von einem Konkurrenten als inducement to breach of a contract anerkannt, weil der Konkurrent gezielt und wissentlich auf den Vertrag eingewirkt habe, selbst wenn das von ihm gewählte Mittel des Angebots einer höheren Gage hierzu für sich genommen nicht rechtswidrig war.615 Das US-amerikanische Recht hat das Delikt einer interference with contractual relations in § 766 Restatement (Second) of Torts (1979) zudem wie folgt definiert: „… one who, without a privilege to do so, induces or otherwise purposely causes a third person not to (a) perform a contract with another, or (b) enter into or continue a business relation with another is liable to the other for the harm caused thereby“.616
Allerdings ist die Bestimmung der Rechts- oder Sittenwidrigkeit oder der Unlauter- 184 keit des Verhaltens auch in den genannten Rechtsordnungen keinesfalls unproblematisch. Das französische Recht verlangt teilweise die Absicht zur Desorganisation des Konkurrentenbetriebes, etwa durch Absaugen von Know-how oder Herabwürdigung des Geschäftsinhabers.617 Das englische Recht bringt mit dem Erfordernis gezielten und wissentlichen Handelns gleichfalls ein subjektives Merkmal in die Bewertung ein.618 Im USamerikanischen Schrifttum wird schließlich darauf hingewiesen, dass der Kern der Unlauterkeit in „der feindseligen und als unlauter angesehenen Motivation des Handelnden“ liege.619 Gelegentlich wird auch angeführt, dass das anglo-amerikanische Recht von einem weiten Eigentumsbegriff ausgehe, der als property bereits gefestigte vertragliche Gewinnerwartungen anerkenne.620 (c) Vertragsbruch als gezielte Behinderung. Die Einwirkung auf Vertragsbezie- 185 hungen durch einen außenstehenden Dritten ist grundsätzlich zulässig. Richtet sich das Vorgehen gegen einen Mitbewerber und liegen zusätzlich besondere Unlauterkeitsmerkmale vor, kann aus der Verleitung zum Vertragsbruch oder der Ausnutzung des Vertragsbruchs allerdings eine gezielte Behinderung resultieren.
_____
612 Siehe unten Rn. 205 ff. 613 Vgl. hierzu schon P. Hugueney; Peifer GedS U. Hübner S. 411, 418. 614 2 El. & Bl. 216; 118 Eng. Rep. 749 (1853); in jüngerer Zeit z.B. Lonmar Global Risks Ltd v West & Ors [2010] EWHC 2878 (QB); vgl. auch die Auflistung der Business Torts in Norris v. Government of the United States of America and others [2008] 1 AC 920, 2 All ER 1103. 615 Vgl. hierzu Ohly FS Spellenberg S. 617. Als Ausnahmefall wird die Haftung bezeichnet bei Atiyah/Smith S. 368. 616 Vgl. hierzu Prosser/Keeton § 129 S. 978; kritisch Dobbs 34 Ark. L. Rev. 335 (1980); Perlman 49 U.Chi.L.Rev. 61 (1982). 617 Vgl. hierzu mit Nachweisen GK-UWG/Peifer2 § 4 Nr. 10 Rn. 306. 618 Ohly FS Spellenberg S. 617, 620 m.w.N. 619 Prosser/Keeton § 129 S. 979. 620 H. G. Ficker FS Ficker S. 152, 164.
433
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
186
(aa) Vertragsbruch und Einwirkung auf Verträge. Der Vertragsbruch als solcher kann seit der UWG-Reform 2008 ein geschäftliches Verhalten und damit ein Lauterkeitsverstoß sein (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 1, „bei oder nach einem Geschäftsabschluss“). Als Vertragsbruch im Sinne des Behinderungstatbestandes ist hingegen nicht der Vertragsbruch des vertraglichen Gegenübers gemeint, wenngleich dieser Vertragsbruch das Ergebnis einer vorangegangenen Behinderung sein mag. Der Tatbestand der gezielten Behinderung des § 4 Nr. 4 bezieht sich vielmehr auf den Einbruch in einen fremden Vertrag durch Dritte, also einen Vertragseinbruch von außen.621 Ein Vertragsbruch setzt zunächst das Bestehen eines wirksamen Vertrages vor187 aus.622 Nicht als Vertragsbruch anzusehen ist darum die ordentliche Beendigung des Vertrages durch Kündigung oder nach Ablauf der Vertragszeit. Wer als außenstehender Dritter in diesen Fällen zu einer Kündigung auffordert oder sich das zeitige Ende des Vertrages zunutze macht, handelt nicht sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB und nicht unlauter. Anerkannt ist zudem (wohl unter Rückgriff auf § 3 Abs. 1), dass die Vertragsverletzung des Gebundenen eine wesentliche Pflicht betreffen623 und nicht nur vorübergehenden, sondern nachhaltigen Charakter haben muss.624 Nebenpflichtverletzungen genügen darum grundsätzlich nicht. Die Rechtsprechung und überwiegende Meinung im Schrifttum verlangen auf Seiten des handelnden Mitbewerbers zudem Kenntnis oder Bewusstsein, dass ein Vertragsbruch provoziert oder ausgenutzt wird.625 (bb) Verleitung zum Vertragsbruch. Eine Verleitung zum Vertragsbruch liegt vor, 188 wenn ein außenstehender Dritter den Willen eines vertraglich Gebundenen dahingehend zu beeinflussen sucht, dass dieser bestehende und wesentliche Vertragspflichten verletzt.626 Einigkeit besteht darüber, dass das bloße Ausnutzen eines Vertragsbruchs, das „Ergreifen der Gelegenheit beim Schopfe“, für sich genommen nicht unlauter sein kann.627 Es ist darum eine wie auch immer geartete tatsächliche Einwirkung auf den Vertrag gefordert. Anders gesehen wurde dies eine Zeit lang für die Ausnutzung von Vertragsbrüchen gebundener Händler in selektiven Vertriebssystemen.628
_____
621 So zutreffend Friedrich AcP 178 (1978) 468, 479; auch Löwisch S. 139. 622 Friedrich AcP 178 (1978) 468, 479; Piper GRUR 1990, 643. 623 BGH 4.5.1973 – I ZR 11/72 – GRUR 1974, 97, 98 – Spielautomaten II; BGH 20.5.1960 – I ZR 93/59 – GRUR 1960, 558, 560 – Eintritt in Kundenbestellung; Herrmann GRUR 1955, 21; Schramm GRUR 1961, 328, 329; Semler GRUR 1983, 625, 627. 624 Friedrich AcP 178 (1978) 468, 477. 625 BGH 11.1.2007 – I ZR 96/04 – GRUR 2007, 800 Tz. 19 – Außendienstmitarbeiter; BGH 6.6.2002 – I ZR 79/00 – GRUR 2002, 795, 798 – Titelexklusivität; BGH 1.12.1999 – I ZR 130/96 – BGHZ 143, 232, 240 = GRUR 2000, 724 – Außenseiteranspruch II; RG 30.10.1913 – VII 185/13 – RGZ 83, 237, 239; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/29; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 29; vgl. aber noch RG 9.12.1905 – V 216/05 – RGZ 62, 137, 139; RG 11.10.1935 – II 198/35 – RGZ 148, 364, 369; BGH 4.5.1973 – I ZR 11/72 – GRUR 1974, 97, 98 – Spielautomaten II; BGH 30.1.1976 – I ZR 108/74 – GRUR 1976, 372, 374 f. – Möbelentwürfe; vgl. auch BGH 19.10.1966 – Ib ZR 156/64 – GRUR 1967, 138, 141– Streckenwerbung. 626 Vgl. z.B. BGH 17.2.1956 – I ZR 57/64 – GRUR 1956, 273, 275 – Drahtverschluss; LG Berlin 11.2.2003 – 15 O 704/02 – ZUM-RD 2003, 314, 315; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/28. 627 BGH 11.1.2007 – I ZR 96/04 – BGHZ 171, 73 = GRUR 2007, 800 Tz. 15 – Außendienstmitarbeiter; BGH 6.6.2002 – I ZR 79/00 – GRUR 2002, 795, 798 – Titelexklusivität; BGH 1.12.1999 – I ZR 130/96 – BGHZ 143, 232, 240 – Außenseiteranspruch II; BGH 8.3.1962 – KZR 8/61 – BGHZ 37, 30 = GRUR 1962, 426, 427 – Selbstbedienungsgroßhandel; BGH 16.10.1956 – I ZR 2/55 – GRUR 1957, 219, 221 – Bierbezugsvertrag; BGH 17.2.1956 – I ZR 57/54 – GRUR 1956, 273, 275 – Drahtverschluss; OLG Hamm 9.5.2003 – 35 U 59/02 – GRURRR 2004, 27, 28; Herrmann GRUR 1955, 21, 25; Piper GRUR 1990, 643, 645; Schramm GRUR 1961, 328, 330; von Maltzahn GRUR 1981, 788, 790; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.109; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/29; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 37. 628 So noch BGH 14.6.1963 – KZR 5/62 – BGHZ 40, 135 = GRUR 1964, 154, 157 – Trockenrasierer II; BGH 9.11.1967 – KZR 9/65 – GRUR 1968, 272, 275 – Trockenrasierer III; BGH 19.3.1992 – I ZR 122/90 – GRUR 1992, 627, 629 – Pajero.
Dornis
434
Gezielte Behinderung
§4
Diese Rechtsprechung hat der BGH allerdings mittlerweile aufgegeben.629 Die Einwirkung kann nach der Rechtsprechung in beliebiger Form erfolgen; Voraussetzungen einer Anstiftung im strafrechtlichen Sinne werden nicht verlangt.630 Seit der „Zeiss Brillengläser“-Entscheidung des Reichsgerichts631 umfasst der Tatbestand darum „jedes bewusste Hinwirken auf den Vertragsbruch.“632 Ein Verleiten wurde in der Rechtsprechung teilweise selbst für Fälle angenommen, in denen „der andere bereits entschlossen [war], seine bestehenden Vertragspflichten nicht zu erfüllen.“633 Die Rechtsprechung geht noch immer davon aus, dass die Verleitung zum Ver- 189 tragsbruch per se als sittenwidrig anzusehen ist, auch wenn keine zusätzlichen besonderen Unlauterkeitsmerkmale vorliegen.634 Das Ergebnis wird im Schrifttum kritisiert.635 Folgt man der dogmatischen Richtlinie eines lediglich ausnahmsweise gewährten Außenschutzes, kann der weiten Tatbestandsauslegung der Rechtsprechung in der Tat nicht gefolgt werden.636 Ebenso kann allein ein Handeln im Vorfeld der Entschlussfassung noch nicht zur Tatbestandserfüllung ausreichen. Dies gilt insbesondere in Konstellationen, wo der Einwirkende noch keine konkreten Maßnahmen ergriffen hat, auf individuelle Verträge und Vertragsbeziehungen einzuwirken. Nicht ausreichend ist darum insbesondere ein zunächst lediglich an die Allgemeinheit gerichtetes Angebot, vertriebsgebundene Waren (z.B. Bundesligakarten) erwerben zu wollen, wenn dabei die in Frage kommenden Verkäufer noch gar nicht feststehen.637 Im Ergebnis kann die Verleitung zum Vertragsbruch grundsätzlich nur dann als unlauter angesehen werden, wenn entweder das Mittel der Einwirkung oder ihr Zweck oder die Zweck-MittelRelation ein missbräuchliches Vorgehen erkennen lassen, also weitere besondere Unlauterkeitsmerkmale zur Verleitungshandlung hinzutreten. Dieses Ergebnis stimmt mit der Auslegung des § 826 BGB überein, denn auch dort werden neben der Verleitung weitere Sittenwidrigkeitsumstände verlangt.638
_____
629 BGH 15.7.1999 – I ZR 130/96 – GRUR 1999, 1113 – Außenseiteranspruch; BGH 15.7.1999 – I ZR 14/97 – BGHZ 142, 192 = GRUR 1999, 1109, 1112 – Entfernung der Herstellungsnummer; BGH 1.12.1999 – I ZR 130/96 – BGHZ 143, 232 = GRUR 2000, 724. 630 BGH 20.5.1960 – I ZR 93/59 – GRUR 1960, 558, 559 – Eintritt in Kundenbestellung; Herrmann GRUR 1955, 21. 631 RG 2.11.1938 – II 70/38 – GRUR 1939, 562, 566; BGH 17.2.1956 – I ZR 57/64 – GRUR 1956, 273, 275 – Drahtverschluss; BGH 20.5.1960 – I ZR 93/59 – GRUR 1960, 558, 559 und 560 – Eintritt in Kundenbestellung; BGH 15.1.1987 – I ZR 215/84 – GRUR 1987, 532 – Zollabfertigung. 632 Piper GRUR 1990, 643, 646. 633 BGH 24.2.1994 – I ZR 74/92 – GRUR 1994, 447, 448 – Sistierung von Aufträgen. 634 Vgl. bereits RG 9.12.1905 – V 216/05 – RGZ 62, 137, 139 (zu § 826 BGB); RG 10.12.1912 – II 333/12 – RGZ 81, 86, 91 (Verleitung zur Verletzung eines Wettbewerbsverbots eines Handelsvertreters); RG 11.10.1935 – II 198/35 – RGZ 148, 364, 369 – GRUR 1935, 990 (Schleichbezug von vertriebsgebundenen Markenparfums); BGH 17.2.1956 – I ZR 57/54 – GRUR 1956, 273, 275 – Drahtverschluss; BGH 25.9.1970 – I ZR 72/69 – GRUR 1971, 121, 122 f. – Gummischutzmittelautomaten; BGH 15.3.2012 – I ZR 125/11 – GRUR-RR 2012, 312; LG Hamburg 30.6.2011 – 327 O 741/10 – GRUR-RR 2011, 478 (Ls.) = BeckRS 2011, 23091 m. zust. Anm. Czernik GRUR-Prax 2011, 481 und abl. Anm. Peifer juris-PR-WettbR 1/2012 Anm. 2; in der Literatur z.B. Callmann § 1 Anm. 90; Herrmann GRUR 1955, 21, 23; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/27; ders. FS Spellenberg S. 617, 627; Reimer S. 515; Piper GRUR 1990, 643, 645 f. 635 GK-UWG/Brandner/Bergmann § 1 Rn. A 233; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.108; Beater Rn. 833, 1163 f., 1169 f., 1815; Köhler FS Canaris S. 591, 595 (für § 826 BGB); ders. GRUR 2008, 841, 847; ders., NJW 2008, 3032, 3036; Peifer GedS U. Hübner S. 411, 423; Piper GRUR 1990, 643; Scherer WRP 2009, 518, 521; Schramm GRUR 1961, 328, 329; Steinle S. 272 f.; in der Rechtsprechung OLG Oldenburg 15.2.2007 – 1 U 97/06 – WRP 2007, 460, 462. 636 Siehe oben Rn. 176 ff. 637 BGH 11.9.2008 – I ZR 74/06 – BGHZ 178, 63 = GRUR 2009, 173 Tz. 32 – bundesligakarten.de. 638 Vgl. RG 23.1.1922 – VI 481/21 – RGZ 103, 419, 421 (besonders verwerfliche Handlungen darzulegen); BGH 23.4.1999 – V ZR 62/98 – NJW-RR 1999, 1186 f.; BGH 19.9.1995 – VI ZR 377/94 – JZ 1996, 416, 418 m. Anm.
435
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
190
(d) Besondere Unlauterkeitsmerkmale. Geht man richtigerweise davon aus, dass weder die Verleitung zum Vertragsbruch noch dessen Ausnutzung per se unlauter sind,639 so kommt es für die lauterkeitsrechtliche Betrachtung darauf an, ob überdies besondere Unlauterkeitsmerkmale vorliegen. Das Verbot des Einbruchs in Vertragsbeziehungen ist sowohl Ausdruck eines rechtsethisch motivierten Schädigungsverbots als auch einer wettbewerbsfunktionalen Wertung. Letztere basiert auf der Erkenntnis, dass bestimmte Formen des Vertragsbruchs im Ergebnis (wenngleich auch möglicherweise Vorteile für den Wettbewerb resultieren mögen) nicht als wohlfahrtssteigernd angesehen werden können. Vergleichbar zum Modell des sogenannten efficient breach (und der Begrenzung effizienter Vertragsbruchtatbestände) muss auch im Lauterkeitsrecht und damit in der Gesamtbetrachtung aller unmittelbaren und mittelbaren sowie langfristigen Vor- und Nachteile des Vertragsbruchs eine Grenze gezogen werden.640 Jenseits dieser Zulässigkeitsgrenze liegt der Bereich all jener Konstellationen, deren Kosten-Nutzen-Analyse einen negativen Saldo aufweist. Naturgemäß fehlt es bei dieser Betrachtung in der Regel an zuverlässigen Informationen zur genauen Grenzziehung zwischen zulässigem und unzulässigem Vertragsbruch. Vor dem Hintergrund des Konzepts eines freien Wettbewerbs ist aber zumindest grundsätzlich davon auszugehen, dass die Einwirkung auf fremde Verträge zulässig ist. Neben der unmittelbaren wettbewerbssteigernden und darum zulässigen Wirkung des Werbens um vertraglich gebundene Parteien kann auch der Fall gegeben sein, dass ein Unterlaufen von Vertragsbeziehungen möglicherweise vorhandene Marktzutrittssperren lockert und Wettbewerbsbeschränkungen abbaut. Lediglich dann, wenn als Konsequenz eines Vertragseingriffs (gedacht als ein universeller Verhaltensstandard im Wettbewerb) die Gefahr einer Verzerrung der Marktabläufe oder aber einer in der Gesamtbetrachtung negativen Kosten-Nutzen-Bilanz entsteht, kommt ein Verdikt der Unlauterkeit in Betracht. Eine in der Gesamtbetrachtung negative Kosten-Nutzen-Bilanz findet sich z.B. in 191 Sachverhalten, in denen die Einwirkung auf Vertragsverhältnisse unmittelbar mit der Schädigung von Betriebsmitteln oder Gegenständen des Unternehmens einhergeht. In diesen Fällen liegt bereits in den technologischen Externalitäten des Eingriffs als solchem eine unter ökonomischer Betrachtung unbedingt zu regulierende Maßnahme.641 Ein Beispiel für diese Fallgruppe ist das Abwerben von Mitarbeitern, wenn dieses im Betrieb des Mitbewerbers erfolgt und dabei Betriebsmittel beschädigt oder Arbeitsabläufe gestört werden, so insbesondere wenn mit den abgeworbenen Mitarbeitern auch gezielt Know-how des Betriebes abgeschöpft wird. Darüber hinaus sind als unlauterkeitsqualifizierende Merkmale auch Aspekte anzusehen, die bereits als solche als rechts- oder wettbewerbswidrig anzusehen sind. In diese Kategorie fallen z.B. die auch in der Rechtsprechung als unlauter angesehenen Fälle des Versprechens oder Gewährens gesetzwidriger Vorteile (Bestechung, rechtswidrige Rabatte),642 der Täuschung oder Irreführung des Vertragspartners eines Konkurrenten,643 der Herabsetzung oder Anschwärzung des Kon-
_____
Mayer-Maly; BGH 19.10.1993 – XI ZR 184/92 – NJW 1994, 128, 129; BGH 1.4.1992 – IV ZR 332/90 – NJW 1992, 2152, 2153; BGH 2.6.1981 – VI ZR 28/80 – NJW 1981, 2184, 2185; Staudinger/Oetker § 826 Rn. 224; Erman/ Schiemann § 826 Rn. 4, 28; Bamberger/Roth/Spindler § 826 Rn. 27; Palandt/Sprau § 826 Rn. 23; MünchKommBGB/Wagner § 826 Rn. 54; Köhler FS Canaris S. 591, 595; Larenz/Canaris § 78 II 1b S. 451. 639 Siehe oben Rn. 176 ff. 640 Zur rechtsökonomischen Betrachtung des efficient breach siehe z.B. ausführlich Cooter/Ulen S. 317 ff. 641 Siehe oben Rn. 32 ff. 642 BGH 22.9.1983 – I ZR 166/81 – GRUR 1984, 129 – shop-in-the-shop (Personalwerbung unter Hinweis auf die Gewährung gesetzwidriger Einkaufsvorteile); GK-UWG/Brandner/Bergmann § 1 Rn. A 245. 643 BGH 23.5.1975 – I ZR 39/74 – GRUR 1975, 555 – Speiseeis; BGH 25.9.1970 – I ZR 72/69 – GRUR 1971, 121, 121 – Gummischutzmittelautomaten; BGH 3.2.1988 – I ZR 183/85 – GRUR 1988, 764, 766 f. –
Dornis
436
Gezielte Behinderung
§4
kurrenten oder seiner Leistungen,644 der unangemessenen Einwirkung auf die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners eines Konkurrenten,645 insbesondere durch die Gewährung von besonderen Vergünstigungen646 oder durch die Erschütterung besonderer Vertrauensbeziehungen zwischen den Parteien des beeinträchtigten Vertrages.647 Unter Rückgriff auf den rechtsethisch fundierten Begriff der Behinderung und zur 192 Gewähr eines Gleichlaufs mit § 826 BGB kann sich die Unlauterkeit schließlich auch aus dem kollusiven Zusammenwirken zwischen dem eingreifenden Dritten und dem Vertragsbrüchigen ergeben. Dies setzt voraus, dass beide einvernehmlich in Kenntnis und mit Bewusstsein der Schädigung des Vertragspartners handeln. Dafür genügen im Rahmen des § 826 BGB bereits Indizien, wie die Zahlung eines Aufschlages durch den Verleitenden oder die Freistellung von Schadensersatzansprüchen.648 Dies gilt grundsätzlich auch im Rahmen der lauterkeitsrechtlichen Beurteilung nach § 4 Nr. 4. Allerdings muss beachtet werden, dass die genannten Mittel des Zusammenwirkens für sich genommen nicht zwingend den Regeln eines freien Wettbewerbs widersprechen. So ist es durchaus möglich, dass sich das Einbrechen in fremde Verträge betriebswirtschaftlich rechtfertigen lässt. (2) Abwerben von Kunden (a) Grundsatz. Das sogenannte Abwerben (oder Ausspannen) von Kunden ist vom 193 sogenannten Abfangen zu unterscheiden. Während der Handelnde beim Abfangen das Zustandekommen eines geschäftlichen Kontakts zwischen einem potentiellen Kunden und einem Mitbewerber verhindert, greift er beim Abwerben in eine bereits angebahnte oder schon bestehende vertragliche Beziehung zwischen dem Kunden und dem Mitbewerber ein.649 Betroffen ist der Kundenstamm des Mitbewerbers. Dieser Kundenstamm ist kein immaterielles Gut, das einem Unternehmer als ausschließliche Rechtsposition oder Vermögensbestandteil zugewiesen ist, selbst wenn er ihn mit Mühe, Aufwand und Kosten über einen langen Zeitraum aufgebaut und gepflegt hat.650 In einer auf Wettbewerb setzenden Wirtschaftsordnung besteht vielmehr die grundsätzlich umfassende
_____
Krankenkassen-Fragebogen; LG Frankfurt/M. 2.4.1986 – 2/6 O 576/85 – VersR 1987, 73; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/30. 644 OLG Köln 23.11.1984 – 6 U 217/84 – WRP 1985, 233, 234. 645 BGH 4.5.1973 – I ZR 11/72 – GRUR 1974, 97, 98 – Spielautomaten II (Darlehensgewährung als Mittel, um Bruch einer Alleinstellungsvereinbarung auszunutzen); OLG Karlsruhe 23.1.1962 – 6 U 7/61 – GRUR 1963, 80 – Verzahnmaschinen (dto.); OLG Celle 25.3.1961 – 3 U 94/60 – GRUR 1962, 366 (u.a. Aufsuchen abzuwerbender Mitarbeiter in Privatwohnungen); Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/30. 646 BGH 19.9.1995 – VI ZR 377/94 – JZ 1996, 416, 418 m. Anm. Mayer-Maly (Freistellung von Schadensersatzansprüchen); OLG Celle 17.8.1961 – 3 U 133/61 – GRUR 1962, 528, 529 (Angebot der Inzahlungnahme von bereits bei Konkurrenten bezogenen Leistungen). 647 BGH 23.11.1979 – I ZR 60/77 – GRUR 1980, 296 – Konfektions-Stylist (Anstellung eines kreativen Mitarbeiters im Modebereich ohne Nachforschung über das Maß der vertraglichen Gebundenheit). 648 Vgl. zur Freistellung z.B. BGH 19.9.1995 – VI ZR 377/94 – JZ 1996, 416, 418. 649 Zum Abfangen siehe unten Rn. 243 ff. 650 BGH 7.10.2009 – I ZR 150/07 – GRUR 2010, 346 Tz. 15 – Rufumleitung; BGH 7.4.2005 – I ZR 140/02 – GRUR 2005, 603, 604 – Kündigungshilfe; BGH 22.4.2004 – I ZR 303/01 – GRUR 2004, 704, 705 – Verabschiedungsschreiben; BGH 8.11.2001 – I ZR 124/99 – GRUR 2002, 548, 549 – Mietwagenkostenersatz; BGH 17.2.1986 – I ZR 210/83 – GRUR 1986, 547, 548 – Handzettelwerbung; BGH 5.10.1966 – Ib ZR 136/64 – GRUR 1967, 104, 106 – Stubenhändler; BGH 19.11.1965 – Ib ZR 122/63 – GRUR 1966, 263, 265 – Bau-Chemie; BGH 30.10.1962 – I ZR 128/61 – GRUR 1963, 197, 201 – Zahnprothesen-Pflegemittel; BGH 8.4.1952 – I ZR 80/51 – GRUR 1952, 582, 584 – Sprechstunden; OLG Hamburg 27.8.2004 – 5 U 192/03 – GRUR 2005, 53, 54 – Insulinspritze; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.33; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/54; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 17; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 91.
437
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
und uneingeschränkte Freiheit, sich um die Kunden eines Mitbewerbers zu bemühen und sie diesem abzuwerben. Das Abwerben ist für sich genommen darum auch zulässig. Das Umschlagen in eine gezielte Behinderung verlangt das Hinzutreten besonderer Unlauterkeitsmerkmale.651 194
(b) Besondere Unlauterkeitsmerkmale. Nach wohl noch überwiegender Ansicht, vor allem in der Rechtsprechung, ist es bereits als Behinderung einzuordnen, wenn Kunden zum Vertragsbruch mit dem Mitbewerber verleitet werden.652 Das Vorliegen zusätzlicher besonderer Unlauterkeitsmerkmale scheint insoweit nicht erforderlich.653 Dieser Schutz des Kundenstammes geht zu weit. Durch die lauterkeitsrechtliche Verdinglichung des Grundsatzes pacta sunt servanda droht nicht nur eine Verkürzung der Wettbewerbsfreiheit,654 sondern auch eine Umgehung der Schranken des europäischen Lauterkeitsrechts: auch die Freiheit zur Beendigung von Verträgen ist als Teil der im europäischen Lauterkeitsrecht garantierten Entscheidungsfreiheit auf Verbraucherseite anzusehen. Wird der Verbraucher mittelbar über § 4 Nr. 4 enger an seinen Vertragspartner gebunden als es in den §§ 3 bis 7 in Umsetzung der UGP-RL gefordert und erlaubt ist, wird das Ziel einer europäischen Harmonisierung von Höchstschutzstandards verfehlt.655 Im Interesse der Wettbewerbsfreiheit ist darum ein mit Blick auf die eingesetzten Mittel und sonstigen Umstände engerer, europäisch-marktfunktionsorientierter Fokus zu ziehen: sofern der Handelnde nicht unrechtmäßig, irreführend, unangemessen aggressiv oder belästigend auf die Kunden einwirkt, scheidet eine Einordnung seines Handelns als unlautere Behinderung aus.656 Insbesondere ist das Abwerben von Kunden nicht bereits deshalb unlauter, weil dabei planmäßig, bewusst und systematisch gehandelt wird,657 oder frühere Mitarbeiter des Konkurrenten zur Abwerbung eingespannt werden,658 denn gerade im Bereich der Werbung um Abnehmer ist dieses Mittel notwendige Wettbewerbsstrategie jedes Unternehmens. Kündigungshilfen und die Beratung hin zum Wechsel des bisherigen Vertragspartners sind ebenso zulässig659 wie die Verleitung zur Vertragsauflösung unter Einhaltung der gesetzlichen oder vertraglichen Bestimmun-
_____
651 Siehe oben Rn. 190. 652 Siehe bereits oben Rn. 189. 653 Vgl. z.B. BGH 17.2.1956 – I ZR 57/54 – GRUR 1956, 273, 275 – Drahtverschluss; BGH 28.3.1969 – I ZR 33/67 – GRUR 1969, 474, 475 – Bierbezug; BGH 23.5.1975 – I ZR 39/74 – GRUR 1975, 555, 556 – Speiseeis; BGH 24.2.1994 – I ZR 74/92 – GRUR 1994, 447, 448 – Sistierung von Aufträgen; LG Düsseldorf 10.9.2004 – 38 O 109/04 – WRP 2005, 528, 529; Piper GRUR 1990, 643, 646; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 21; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/56; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 43 ff., Rn. 48. 654 Siehe oben Rn. 176 ff. 655 So zutreffend MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 21; vgl. zudem Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 111. 656 So z.B. Beater Rn. 1170; Scherer WRP 2009, 518, 520 ff.; Hoeren WRP 2009, 789, 793; Haedicke/ Nemeczek FS Bornkamm S. 353, 358 ff.; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 111 ff.; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.35 f.; kritisch aber z.B. auch juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 51. Siehe zudem oben Rn. 32 ff. 657 BGH 8.11.2001 – I ZR 124/99 – GRUR 2002, 548, 549 – Mietwagenkostenersatz; BGH 27.2.1986 – I ZR 210/83 – GRUR 1986, 547, 548 – Handzettelwerbung; OLG Hamburg 27.8.2004 – 5 U 192/03 – GRUR 2005, 53, 54 – Insulinspritze; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 18. 658 Vgl. hierzu BGH 22.4.2004 – I ZR 303/01 – GRUR 2004, 704, 705 – Verabschiedungsschreiben; zudem Piper GRUR 1990, 643, 646; zutreffend vor allem Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/57. 659 BGH 7.4.2005 – I ZR 140/02 – GRUR 2005, 603, 604 – Kündigungshilfe; Sasse/Thiemann GRUR 2003, 921; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 22 f.; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/56; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.39.
Dornis
438
Gezielte Behinderung
§4
gen660 oder unter Versprechen des Ersatzes von Kosten oder Schäden, die der Kunde durch den Wechsel erleidet.661 Nicht per se unlauter ist es schließlich auch, wenn sich der Kunde selbst und ohne Einwirkung zum Vertragsbruch entschließt und der Handelnde dies lediglich weiß und ausnutzt.662 In der Fallgruppe des Abwerbens von Kunden als relevante Unlauterkeitsmerk- 195 male zu beachten sind darum neben einer expliziten Zwecksetzung der Mitbewerberschädigung663 die unangemessene Einwirkung auf die Entscheidungsfreiheit,664 die Täuschung oder Irreführung665 und die Belästigung des Kunden.666 Zudem sind Herabsetzung oder Anschwärzung des Mitbewerbers beim Kunden als unlautere Mittel des Abwerbens anzusehen.667 In allen diesen Fällen liegt neben einem Lauterkeitsverstoß nach § 4 Nr. 1 und Nr. 2 sowie den §§ 4a, 5, 5a, 6 oder § 7 auch eine individuelle gezielte Behinderung nach § 4 Nr. 4 vor. (3) Selektive Vertriebsbindungssysteme (a) Allgemeines. Selektive Vertriebsbindungssysteme sind Verträge zwischen Her- 196 stellern und nach bestimmten Kriterien ausgewählten Händlern, die einerseits das Recht erhalten, die Produkte des Herstellers ausschließlich zu beziehen, sich andererseits aber dazu verpflichten müssen, technischen Sachverstand, eine bestimmte Verkaufsatmosphäre und ausgewähltes Fachpersonal beim Vertrieb dieser Waren einzusetzen (vgl. Art. 1 lit. e VertikalGVO 330/2010, § 2 Abs. 2 GWB). Wer die Verpflichtungen nicht eingeht, erhält keine Ware.668 Selektive Vertriebssysteme betreffen ganz überwiegend Marken- und Luxusprodukte. Die Exklusivität der Vermarktung bewirkt nicht nur ein höheres Preisniveau, sie produziert in der Regel auch einen Mehrwert für den Verbraucher, insbesondere in Form besonderen Produkt-goodwills (v.a. Luxusimage), besonderer Verkaufsatmosphäre oder besonderer Qualität der vor- und nachvertraglichen Serviceleis-
_____
660 BGH 8.11.2001 – I ZR 124/99 – GRUR 2002, 548, 549 – Mietwagenkostenersatz; BGH 24.4.1997 – I ZR 210/94 – GRUR 1997, 920, 921 – Automatenaufsteller. 661 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.43; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/56; überholt OLG Celle 17.8.1961 – 3 U 133/61 – GRUR 1962, 528. 662 BGH 16.3.2006 – I ZR 92/03 – GRUR 2006, 879 Tz. 12 – Flüssiggastank; BGH 1.12.1999 – I ZR 130/96 – GRUR 2000, 724, 726 – Außenseiteranspruch II; Sasse/Thiemann GRUR 2003, 921; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.36; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 55. 663 Vgl. Ackermann ZfPW 2018, 54; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.36a. 664 BGH 25.1.1990 – I ZR 19/87 – BGHZ 110, 156 = GRUR 1990, 522, 527 – HBV-Familien- und Wohnungsrechtsschutz; überholt sein dürften die Fälle des „übermäßigen Anlockens“: BGH 24.7.1990 – 3 U 1817/90 – GRUR 1998, 500, 502 – Skibindungsmontage; BGH 14.12.2000 – I ZR 147/98 – GRUR 2001, 752, 754 – Eröffnungswerbung; BGH 22.9.1983 – I ZR 166/81 – GRUR 1984, 129, 130 – shop-in-the-shop; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 19; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 99; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/56; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.36a. 665 BGH 15.3.2012 – I ZR 125/11 – GRUR-RR 2012, 312 (Ls.); BGH 8.11.2001 – I ZR 124/99 – GRUR 2002, 548, 549 – Mietwagenkostenersatz; OLG München 17.4.1958 – 6 U 2045/57 – GRUR 1959, 248; OLG Düsseldorf 4.10.2001 – 2 U 48/01 – GRUR-RR 2002, 234, 235; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 20; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.38; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/56; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 99. 666 BGH 24.11.2011 – I ZR 154/10 – GRUR 2012, 645 Tz. 17 f. – Mietwagenwerbung; BGH 5.2.2009 – I ZR 119/06 – GRUR 2009, 876 Tz. 21 – Änderung der Voreinstellung II; BGH 17.5.2001 – I ZR 216/99 – BGHZ 148, 1, 8 – mitwohnzentrale.de; BGH 27.2.1986 – I ZR 210/83 – GRUR 1986, 547, 548 – Handzettelwerbung; BGH 30.10.1962 – I ZR 128/61 – GRUR 1963, 197, 200 – Zahnprothesen-Pflegemittel. 667 BGH 8.11.2001 – I ZR 124/99 – GRUR 2002, 548, 549 – Mietwagenkostenersatz; OLG Köln 23.11.1984 – 6 U 217/84 – WRP 1985, 233, 234; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.37. 668 Vgl. z.B. auch Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/67; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 34.
439
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
tungen.669 Das Hauptproblem für die Hersteller besteht darin, ihre Systeme gegen ungebundene Händler (Außenseiter) und sogenannten Schleichbezug abzuschotten. Zu diesem Zweck wird den gebundenen Händlern meist die Verpflichtung auferlegt, Waren nur an Letztverbraucher und nicht an Händler außerhalb des selektiven Systems zu veräußern. Oft wird der Händler zudem verpflichtet, Produkte einer bestimmten Kategorie nur vom Hersteller zu beziehen und nicht zusammen mit konkurrierenden Produkten zu vermarkten. Wer als Händler gegen diese Bindung verstößt, begeht einen Vertragsverstoß. Bezieht ein Außenseiter Waren aus dem System, verstößt er zwar gegen keine eigene vertragliche Bindung. Gleichwohl spricht man von einem Schleichbezug, der (nach noch herrschender Ansicht) unlauter ist, wenn ihm die Bindung bekannt war und er den Vertragsverstoß provoziert hat. Die bloße Ausnutzung eines Vertragsbruchs des gebundenen Händlers ist dagegen nicht unlauter. 197 Für die ökonomische Beurteilung solcher Vertriebssysteme sind verschiedene Aspekte von Bedeutung. Einerseits werden derartige Systeme als durchaus wünschenswertes Anreizinstrument zur Schaffung besonderer Produkte angesehen.670 Andererseits kann die Befugnis des Herstellers, mit diesem Instrument den Absatzweg der gelieferten Waren zu bestimmen und inhaltlich auszugestalten, durchaus auch als ein ökonomisch bedenklicher Eingriff in die Dispositionsfreiheit der vertragsgebundenen Händler und der Außenseiter und damit in den Wettbewerb angesehen werden. In der Konsequenz sind die Nachteile durch ein höheres Preisniveau stets gegen die möglichen Effizienzsteigerungen abzuwägen.671 Das Immaterialgüterrecht bietet für die Hersteller ein lediglich eingeschränktes In198 strumentarium zur Regulierung und Sicherung ihrer Vertriebsbindungssysteme. Die Absicherung durch Sonderrechte (z.B. Marken) erlaubt es nämlich nicht, Waren nach dem erstmaligen Inverkehrbringen zu kontrollieren. Die markenrechtlichen Befugnisse sind durch den rechtmäßigen Erstvertrieb erschöpft (vgl. § 24 MarkenG). Jede Erweiterung des „Markenschutzes“ durch das Lauterkeitsrecht schafft deshalb die Gefahr einer quasidinglichen Überdehnung bereits abschließend sondergesetzlich austarierter Schutzbereiche. 199
(b) Wettbewerbsverhältnis. Um eine gezielte Behinderung im Sinne des § 4 Nr. 4 kann es sich handeln, wenn ein Mitbewerber des Herstellers den Vertragsbruch provoziert, denn dann liegt ein konkretes Wettbewerbsverhältnis vor.672 Ein Fall dieser Art ist gegeben, wenn ein Hersteller versucht, seine Waren an einen bereits in das Ausschließlichkeitssystem eines Mitbewerbers eingebundenen Unternehmer abzusetzen.673 Ein Eingriff kann allerdings auch darin zu sehen sein, dass ein Akteur auf der Abnehmerstufe versucht, an die gebundenen Waren zu gelangen. Ein Teil des Schrifttums ordnet die Verleitung zum Vertragsbruch und den Schleichbezug in diesen Konstellationen allerdings nicht unter § 4 Nr. 4, sondern unter § 3 Abs. 1 oder § 823 Abs. 1 BGB
_____
669 MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 34. 670 Fezer GRUR 1990, 551, 552 („Ausdruck der unternehmerischen Autonomie in den Wirtschaftsstufen“) und 554 („sichert Qualitätswettbewerb“); ders. GRUR 1999, 99; Bayreuther WRP 2000, 349, 350 („in ihrem Bestand und ihrer Funktionsfähigkeit schutzwürdig“); Busche WRP 1999, 1231, 1232 („nicht mehr hinwegzudenken“); Sack WRP 2000, 447, 448 („mehr Qualitäts- und Servicewettbewerb“). 671 Vgl. insbesondere Erwägungsgrund 6 VertikalGVO 330/2010; zudem z.B. Fezer GRUR 1990, 551, 552; Emmerich FS Erdmann S. 561; zudem z.B. Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/67; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 34. 672 Siehe oben Rn. 73. 673 Vgl. nur BGH 16.10.1956 – I ZR 2/55 – GRUR 1957, 219 – Bierbezugsvertrag; BGH 4.5.1973 – I ZR 11/72 – GRUR 1974, 97 – Spielautomaten II.
Dornis
440
Gezielte Behinderung
§4
ein.674 Richtigerweise ist Wettbewerb und das Bestehen eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses zwischen Hersteller und Außenseiter allerdings auch denkbar, wenn beide auf unterschiedlichen Wirtschaftsstufen tätig sind.675 (c) Kartellrechtliche Zulässigkeit des selektiven Vertriebs. Der lauterkeitsrechtli- 200 che Schutz selektiver Vertriebssysteme hängt von der kartellrechtlichen Zulässigkeit solcher Systeme ab.676 Zwar bezwecken diese Systeme eine Beschränkung des Wettbewerbs auf der Abnehmerebene, so dass sie unter § 1 GWB sowie Art. 101 Abs. 1 AEUV fallen, doch sollen bestimmte Vereinbarungen den Verbotsbereich dieser Normen zunächst gar nicht berühren. Nach der Rechtsprechung des EuGH677 sind dafür drei Zulässigkeitsvoraussetzungen zu erfüllen:678 (1) Die Beschaffenheit des Produktes muss einen selektiven Vertrieb erfordern, d.h. zur Wahrung der Qualität des Produkts und zur Gewährleistung des richtigen Gebrauchs erforderlich sein. (2) Die Wiederverkäufer müssen aufgrund objektiver Kriterien qualitativer Art ausgewählt werden, die einheitlich festzulegen und unterschiedslos anzuwenden sind. (3) Die aufgestellten Kriterien dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Zielerreichung erforderlich ist. Darüber hinaus ermöglicht die auch für das deutsche Kartellrecht maßgebliche VertikalGVO 330/2010 eine Freistellung von Systemen, die dem Verbotstatbestand unterfallen (vgl. § 2 Abs. 1 GWB bzw. Art. 101 Abs. 3 AEUV). Die VertikalGVO definiert derartige selektive Vertriebssysteme in Art. 1 lit. e in Einklang mit den Leitlinien, welche die Kommission für die Zulässigkeit solcher Bindungen bereits zuvor aufgestellt hatte.679 Eine Freistellung greift dabei allerdings nur dann, wenn der Anteil des Herstellers und des Abnehmers auf dem relevanten Markt jeweils nicht mehr als 30% beträgt (Art. 3 Abs. 1 GVO 330/2010). Die VertikalGVO verbietet überdies bestimmte Kernbeschränkungen, wie Preisbindungen der zweiten Hand (Art. 4 lit. a), bestimmte Gebietsbeschränkungen oder Beschränkungen der jeweiligen Kundengruppe (Art. 4 lit. b), Beschränkungen des aktiven oder passiven Verkaufs an Endverbraucher durch Einzelhändler (Art. 4 lit. c), die Beschränkung von Querlieferungen unter den Händlern des Systems (Art. 4 lit. d) sowie Beschränkungen in der Ersatzteillieferung (Art. 4 lit. e). Art. 5 verbietet zudem Wettbewerbsverbote von mehr als fünf Jahren und Bezugs-, Herstellungs- oder Lieferverbote nach Ende der Bindung. Für den lauterkeitsrechtlichen Schutz nicht erforderlich ist, dass die Systeme in der Praxis lückenlos funktionieren.680
_____
674 Omsels WRP 2004, 136, 141; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 44. 675 BGH 15.7.1999 – I ZR 14/97 – BGHZ 142, 192 = GRUR 1999, 1109, 1111 f. – Entfernung der Herstellungsnummer; OLG Karlsruhe 27.9.1995 – 6 U 102/95 – WRP 1996, 122, 124 – Davidoff Cool Water; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.64; wohl auch Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/72; Gloy/Loschelder/Erdmann/Hasselblatt § 57 Rn. 62. 676 Vgl. nur BGH 1.12.1999 – I ZR 130/96 – BGHZ 143, 232 = GRUR 2000, 724, 727 – Außenseiteranspruch II; BGH 15.7.1999 – I ZR 14/97 – BGHZ 142, 192 = GRUR 1999, 1109, 1111 – Entfernung der Herstellungsnummer; Harte-Bavendamm/Kreutzmann WRP 2003, 682, 684; Sack WRP 2000, 447, 448 f.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.65; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/72; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 35 ff. 677 EuGH 5.6.1997 – C-41/96 – Slg. 1997, I-3123 = GRUR Int. 1997, 907 Tz. 12 – VAG-Händlerbeirat/SYDConsult; EuGH 25.10.1983 – 107/82 – Slg. 1983, 3351 = GRUR Int. 1984, 28 Tz. 35 – AEG-Telefunken; EuGH 11.12.1980 – 31/80 – Slg. 1980, 3775 = GRUR Int. 1981, 315 Tz. 15 – L’Oréal; EuGH 25.10.1977 – 26/76 – Slg. 1977, 1875 = GRUR Int. 1978, 254 Tz. 20 – Metro I. 678 Kommission, Leitlinien für vertikale Beschränkungen 2000/C EG 291/01, ABl. EG C 291 v. 13.10.2000, Rn. 185. 679 Kommission, Leitlinien für vertikale Beschränkungen 2000/C EG 291/01, ABl. EG C 291 v. 13.10.2000, Rn. 184, 185. 680 Vgl. BGH 5.10.2000 – I ZR 1/98 – GRUR 2001, 448, 449 – Kontrollnummernbeseitigung; BGH 1.12.1999 – I ZR 130/96 – BGHZ 143, 232 = GRUR 2000, 724, 725 – Außenseiteranspruch II; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/70; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.65.
441
Dornis
§4
201
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
(d) Obsolet: Reines Ausnutzen eines Vertragsbruchs. Die frühere Rechtsprechung hatte auch die Ausnutzung eines Vertragsbruchs stets als unlauter angesehen, wenn das System nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch lückenlos war.681 Dem lag die Überlegung zugrunde, dass in diesen Fällen ein Bezug überhaupt nur über einen Vertragsbruch möglich war.682 Allerdings hat der Bundesgerichtshof diese Rechtsprechung aufgegeben. Allein die bloße Ausnutzung eines Vertragsbruchs des Händlers kann die Unlauterkeit des Bezuges darum nicht mehr begründen.683 (e) Noch aktuelle Fallgruppen
202
(aa) Schleichbezug. Fälle des sogenannten Schleichbezugs können als Behinderung einzuordnen sein, wenn der Abnehmer den Hersteller oder einen gebundenen Händler über die Bezugsberechtigung irreführt, z.B. weil er sich als Letztverbraucher oder vertriebsberechtigter Händler ausgibt.684 Gleiches gilt, wenn ein Unternehmen im Rahmen des sogenannten Direktvertriebes nicht an Händler, sondern nur an Verbraucher verkaufen will.685 Relevanz erlangt die Fallgruppe etwa dann, wenn Anfragen an eine Online-Verkaufsplattform über ein Computersystem erfolgen, bei dem entweder massenhafte Einzelanfragen durch automatisierten Zugriff durchgeführt werden (und der Anbieter den Zugreifenden gerade wegen der Automatisierung nicht identifizieren kann) oder technische Schutzschranken des Anbieters auf andere Art überwunden werden.686 Sofern der Anbieter nicht an Händler abgeben will, liegt in der Täuschung über die Händlereigenschaft zugleich eine Irreführung (§§ 5, 5a).687 Beim Ankauf von Bundesligakarten, die nur an Verbraucher oder autorisierte Händler vertrieben werden, liegt in der Vorspiegelung der Verbrauchereigenschaft darum eine lauterkeitswidrige Irreführung oder Vorenthaltung wesentlicher Informationen. Anders ist es, wenn die Karten von Privatpersonen bezogen werden, denen Verkaufsbeschränkungen regelmäßig nicht wirksam auferlegt werden können.688 An den Voraussetzungen der §§ 5, 5a wird es überdies fehlen, weil es den Verkäufer dann in der Regel nicht interessiert, an wen er veräußert.689
_____
681 BGH 19.3.1992 – I ZR 122/90 – GRUR 1992, 627, 629 – Pajero; BGH 9.11.1967 – KZR 9/65 – GRUR 1968, 272, 275 – Trockenrasierer III; BGH 14.6.1963 – KZR 5/62 – BGHZ 40, 135, 138 = GRUR 1964, 154, 157 – Trockenrasierer II. 682 Busche WRP 1999, 1231, 1237; Ensthaler NJW 2000, 2482. 683 BGH 1.12.1999 – I ZR 130/96 – BGHZ 143, 232 = GRUR 2000, 724, 726 – Außenseiteranspruch II; BGH 15.7.1999 – I ZR 130/96 – GRUR 1999, 1113, 1116 – Außenseiteranspruch; BGH 15.7.1999 – I ZR 14/97 – BGHZ 142, 192 = GRUR 1999, 1109, 1112 – Entfernung der Herstellungsnummer; vorher bereits SchweizBG 24.3.1988 – GRUR Int. 1988, 706, 708 – Dior-Vertriebsbindung m. Anm. Kraßer; zudem z.B. Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.63. 684 BGH 11.9.2008 – I ZR 74/06 – BGHZ 178, 63 = GRUR 2009, 173 Tz. 22 – bundesligakarten.de; Lubberger NJW-Sonderheft 2003, 49, 57; Heermann GRUR 2009, 177, 178; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.63; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/76. 685 BGH 11.9.2008 – I ZR 74/06 – BGHZ 178, 63 = GRUR 2009, 173 Tz. 27 – bundesligakarten.de; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 63a. 686 Vgl. BGH 30.4.2014 – I ZR 224/12 – GRUR 2014, 785 Tz. 35 ff. – Flugvermittlung im Internet; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 63a; zudem z.B. OLG Hamburg 28.5.2009 – 3 U 191/08 – MMR 2010, 178, 179; OLG Frankfurt 5.3.2009 – 6 U 221/08 – CR 2009, 390; BGH 11.9.2008 – I ZR 74/06 – BGHZ 178, 63 = GRUR 2009, 173 – bundesligakarten.de m. Anm. Bandehzadeh/Plog CR 2009, 175. 687 Vgl. auch Ensthaler NJW 2000, 2482; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 63a; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/76. 688 Ensthaler/Zech NJW 2005, 3389, 3390; Heermann GRUR 2009, 177, 178; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 63a. 689 Vgl. auch Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/76.
Dornis
442
Gezielte Behinderung
§4
(bb) Verleitung zum Vertragsbruch. Wird ein wirksam gebundener Händler dazu 203 verleitet, seine vertraglichen Bindungen aus dem Zuliefervertrag mit dem Hersteller zu missachten, liegt darin nach der wohl überwiegenden Ansicht eine unlautere geschäftliche Handlung.690 Allerdings ist auch hier nicht jede Einwirkung auf einen Vertrag eine Verleitung zum Vertragsbruch. Entscheidend ist, dass „gezielt und bewusst“ auf die Vertragsverletzung des anderen hingewirkt wird.691 Daran fehlt es etwa bei der einfachen Lieferanfrage,692 aber auch beim bloßen Einkauf bei einem vertragsbrüchigen Händler.693 Auch aus der Kenntnis der Vertriebsbindung allein lässt sich noch nicht auf ein unlauteres Verleiten zum Vertragsbruch schließen.694 Richtigerweise sollte die Verleitung zum Vertragsbruch zumindest grundsätzlich nicht als unlautere gezielte Behinderung angesehen werden. Die Gründe, die zur Rechtfertigung eines fehlenden Außenschutzes von Verträgen und Forderungen geführt haben, gelten auch hier.695 Auch die Begründung des BGH zur fehlenden per se-Unlauterkeit trifft zu, weil „die schuldrechtliche Bindung zwischen dem Wettbewerber [= Hersteller] und seinem Vertragspartner im allgemeinen Dritten gegenüber keine rechtlichen Wirkungen zu entfalten vermag und […] die Annahme eines Wettbewerbsverstoßes schon bei einem Ausnutzen fremden Vertragsbruchs gewissermaßen zu einer – im Interesse der Verkehrsfähigkeit unerwünschten – Verdinglichung der schuldrechtlichen Verpflichtungen führen würde“.696 (cc) Beseitigung von Kontrollnummern. Hersteller sichern ihre Vertriebssysteme 204 regelmäßig durch die Anbringung von Kontrollnummern auf der Ware, um Vertragsbrüche der Händler (meist durch Testkäufe) nachweisen zu können.697 Wer als Händler diese Kontrollnummern entfernt, verhält sich darum zunächst gegenüber dem Hersteller vertragswidrig. Wer sie als Erwerber entfernt, beschädigt möglicherweise die Originalverpackung und verhindert hierdurch die Erschöpfung des Markenrechts auf der Originalware (vgl. § 24 Abs. 2 MarkenG).698 Sofern diese Wirkung nicht eintritt, sollen die Entfernung der Kontrollnummer und der Vertrieb „decodierter“ Ware jedenfalls bei schutzwürdigen Vertriebs- und Kontrollnummernsystemen699 als gezielte Behinderung nach § 4
_____
690 Vgl. z.B. BGH 15.7.1999 – ZR 130/96 – GRUR 1999, 1113, 1114 – Außenseiteranspruch I; BGH 9.11.1967 – KZR 9/65 – GRUR 1968, 272, 274 – Trockenrasierer III (Verleitung zum Vertragsbruch und Ausnutzung unlauter); BGH 11.9.2008 – I ZR 74/06 – BGHZ 178, 63 = GRUR 2009, 173 Tz. 31 – bundesligakarten.de; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 136; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 142; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 133; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/77. 691 BGH 11.1.2007 – I ZR 96/04 – BGHZ 171, 73 = GRUR 2007, 800 Tz. 14 – Außendienstmitarbeiter und daran anknüpfend BGH 11.9.2008 – I ZR 74/06 – BGHZ 178, 63 = GRUR 2009, 173 Tz. 31 – bundesligakarten.de. 692 OLG Düsseldorf 30.4.2002 – 20 U 15/02 – GRUR-RR 2003, 89; dagegen aber Tiemann WRP 2004, 289, 295 („versuchtes Eindringen“). 693 Lubberger WRP 2000, 139, 142. 694 BGH 11.1.2007 – I ZR 96/04 – BGHZ 171, 73 = GRUR 2007, 800 Tz. 19; BGH 16.3.2006 – I ZR 92/03 – GRUR 2006, 879 Tz. 12 – Flüssiggastank. 695 Siehe oben Rn. 176 ff. 696 BGH 15.7.1999 – I ZR 130/96 – GRUR 1999, 1113, 1115 – Außenseiteranspruch; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/77. 697 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.64; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 38. 698 BGH 21.2.2002 – I ZR 140/99 – GRUR 2002, 709, 711 – Entfernung der Herstellungsnummer III; BGH 5.10.2000 – I ZR 1/98 – GRUR 2001, 448, 450 – Kontrollnummernbeseitigung II; BGH 1.12.1999 – I ZR 130/96 – BGHZ 143, 232 = GRUR 2000, 724, 727 – Außenseiteranspruch II; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 137; Bayreuther WRP 2000, 349, 357; Laas GRUR Int. 2002, 829, 835; Sack WRP 2000, 447, 458; krit. auch Emmerich FS Erdmann S. 561, 568 („Waffe zur Durchsetzung von Wettbewerbsbeschränkungen“). 699 Siehe hierzu oben Rn. 200.
443
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
Nr. 4 einzuordnen sein.700 Das überzeugt nicht uneingeschränkt. Erwirbt der Abnehmer Eigentum an den Originalwaren, so ist er in der Verfügung über sein Eigentum zunächst grundsätzlich frei. Auch die Befreiung von Kontrollmechanismen ist dem Eigentümer einer Ware darum gestattet, sofern keine Rechtsvorschrift eine solche Entfernung verbieten,701 z.B. bei Arzneimitteln oder Kosmetikartikeln (vgl. § 10 AMG, § 5 KosmetikV).702 In diesem Fall ist § 3a in Erwägung zu ziehen.703 Sofern der Endverbraucher aufgrund der Entfernung von Kontrollmarkierungen Garantieansprüche verliert, kommt zudem eine Irreführung nach § 5a Abs. 2 in Betracht.704 (4) Abwerben von Mitarbeitern 205
(a) Grundsatz. Das Abwerben von Mitarbeitern eines Mitbewerbers ist für sich genommen grundsätzlich nicht als unlauter einzuordnen.705 Zwar ist der Wettbewerbsbezug des Abwerbens aufgrund des identischen Nachfragemarkts in der Regel unproblematisch festzustellen.706 Der Grundsatz der Abwerbefreiheit ist allerdings sowohl Bestandteil der Wettbewerbsfreiheit auf Arbeitgeberseite als auch Ausdruck der Entfaltungsfreiheit im Rahmen der Berufswahl der Mitarbeiter (vgl. Artt. 12 und 2 Abs. 1 GG).707 Jeder Arbeitgeber kann und muss sich darum selbst durch Vertragsklauseln und durch Vertragsstrafen abgesicherte Wettbewerbsverbote schützen.708 Ein „Nichtangriffspakt“ unter Konkurrenten, d.h. eine Vereinbarung, keine Mitarbeiter abzuwerben, bezweckt eine kartellrechtswidrige Wettbewerbsbeschränkung auf dem Beschäftigungsmarkt und ist allenfalls dann zulässig, wenn sie notwendig ist, um ein Wettbewerbsverbot im Hauptvertrag zu schützen und wenn hieran keine formularmäßigen und übermäßig
_____
700 BGH 1.12.1999 – I ZR 130/96 – BGHZ 143, 232 = GRUR 2000, 727, 727 – Außenseiteranspruch II; BGH 15.7.1999 – I ZR 14/97 – BGHZ 142, 192 = GRUR 1999, 1109, 1112 – Entfernung der Herstellungsnummer; Sack WRP 2000, 447, 451; Ensthaler NJW 2000, 2482, 2483; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/71; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 64; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 136. 701 So schon Kohler S. 31 („niemand muss sich eine private Kontrolle gefallen lassen“); ebenso Emmerich FS Erdmann S. 561, 568; wohl auch MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 45. 702 Vgl. z.B. BGH 21.2.2002 – I ZR 140/99 – GRUR 2002, 709 – Entfernung der Herstellungsnummer III; BGH 17.5.2001 – I ZR 291/98 – BGHZ 148, 26 = GRUR 2001, 841, 843 – Entfernung der Herstellungsnummer II; BGH 21.4.1994 – I ZR 271/91 – GRUR 1994, 642, 644 – Chargennummer; OLG Karlsruhe 27.9.1995 – 6 U 102/95 – WRP 1996, 122, 124; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.67. 703 BGH 17.5.2001 – I ZR 291/98 – BGHZ 148, 26 = GRUR 2001, 841, 843 – Entfernung der Herstellungsnummer II; BGH 21.4.1994 – I ZR 271/91 – GRUR 1994, 642, 644 – Chargennummer; OLG Karlsruhe 27.9.1995 – 6 U 102/95 – WRP 1996, 122, 124; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/73; MünchKommUWG/ Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 46. 704 Vgl. zur Interessenabwägung z.B. BGH 15.7.1999 – I ZR 204/96 – GRUR 1999, 1017, 1018 f. – Kontrollnummernbeseitigung; überdies z.B. Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/74; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.66; zutreffend kritisch auch MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 49. 705 Vgl. nur BGH 9.2.2006 – I ZR 73/02 – GRUR 2006, 426 Tz. 18 – Direktansprache am Arbeitsplatz II; BGH 4.3.2004 – I ZR 221/01 – BGHZ 158, 174 = GRUR 2004, 696, 697 – Direktansprache am Arbeitsplatz I; früher bereits BGH 17.3.1961 – I ZR 26/60 – GRUR 1961, 482, 483 – Spritzgussmaschine; BGH 19.11.1965 – Ib ZR 122/63 – GRUR 1966, 263, 264 – Bau-Chemie; BGH 22.9.1983 – I ZR 166/81 – GRUR 1984, 129, 130 – shopin-the-shop; Piper GRUR 1990, 643, 647; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 47; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 85; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.103; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/22; Harte/ Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 25; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 36. 706 Vgl. nur MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 87; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.104; Bettin S. 36. 707 Günther WRP 2007, 240, 241; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 47; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 85; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 25; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.103 und Rn. 107 ff. (mit Nachweisen zur abweichenden Rspr. unter § 1 UWG 1909). 708 Vgl. OLG Brandenburg 6.3.2007 – 6 U 34/06 – WRP 2007, 1368, 1370; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.103.
Dornis
444
Gezielte Behinderung
§4
hohen Vertragsstrafen geknüpft werden (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB).709 Damit ein Abwerben als gezielte Behinderung eingeordnet werden kann, müssen besondere Unlauterkeitsmerkmale hinzutreten. (b) Besondere Unlauterkeitsmerkmale. Die Schwelle zur gezielten Behinderung 206 wird nicht allein dadurch überschritten, dass das Abwerben von Mitarbeitern bewusst und planmäßig erfolgt.710 Zielgerichtetes Handeln gehört zu jeder wirtschaftenden Tätigkeit. Der Hinzuerwerb von Fähigkeiten und Fertigkeiten durch Einstellung von Mitarbeitern eines Konkurrenten ist auch dann immer primär Förderung eigener Interessen, wenn dadurch die Leistungsfähigkeit des Mitbewerbers, sei es auch erheblich bis hin zur Existenzgefährdung, beeinträchtigt wird.711 Dies gilt auch beim Abwerben mehrerer oder wichtiger Mitarbeiter.712 Auch der Einsatz professioneller Abwerbeunternehmen (Headhunter)713 oder früherer Mitarbeiter des Konkurrenten ist zulässig.714 Ebenfalls zulässig ist es, dem Arbeitnehmer eines Konkurrenten Hilfe bei der vertragsgemäßen Beendigung des Arbeitsverhältnisses, z.B. durch Vorformulierung eines Kündigungsschreibens, Hinweis auf eine Kündigungsfrist oder das Ende einer Befristung zu leisten715 oder ihn zur einer ordentlichen Kündigung zu motivieren.716 Ist die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Betroffenen zulässig, so wird sie nicht dadurch unlauter, dass ein Mitbewerber bei dieser Beendigung hilft. Unlauter ist heute auch nicht mehr das Inaussichtstellen eines erheblichen Mehrverdienstes, selbst wenn sie eine besondere Verlockung darstellt.717 Wer Mitarbeiter (zulässigerweise) abgeworben hat, der darf auch im Außenverkehr darauf hinweisen, dass die betreffenden Mitarbeiter früher bei der Konkurrenz beschäftigt waren,718 sofern hierin nicht eine unzulässige vergleichende Werbung (§ 6 Abs. 2 Nr. 4, 5) oder Herabsetzung oder Verunglimpfung (§ 4 Nr. 1) liegen.
_____
709 Vgl. BGH 12.5.1998 – KZR 18/97 – NJW-RR 1998, 1508, 1509 (durch Wettbewerbsverbot abgesicherter Subunternehmervertrag); Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.103; a.A. Schloßer BB 2003, 1382; kritisch zudem MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 85. 710 BGH 21.12.1966 – Ib ZR 146/64 – GRUR 1967, 428, 429 – Anwaltsberatung; BGH 19.11.1965 – Ib ZR 122/63 – GRUR 1966, 263, 265 – Bau-Chemie; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 85; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 26; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.105; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/22. 711 Wohl ebenso Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.106; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 56; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/2; vgl. zudem BGH 19.11.1965 – Ib ZR 122/63 – GRUR 1966, 263, 266 – BauChemie m. zust. Anm. Klaka S. 266, 267. 712 OLG Brandenburg 6.3.2007 – 6 U 34/06 – WRP 2007, 1368, 1370; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.103; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/23; vgl. aber auch Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 28 ff. 713 Vgl. BGH 22.11.2007 – I ZR 183/04 – GRUR 2008, 262 – Direktansprache am Arbeitsplatz III; BGH 9.2.2006 – I ZR 73/02 – GRUR 2006, 426 – Direktansprache am Arbeitsplatz II; BGH 4.3.2004 – I ZR 221/01 – BGHZ 158, 174 = GRUR 2004, 696, 697 – Direktansprache am Arbeitsplatz I; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 94; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.103 und Rn. 1.112; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/22. 714 MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 95; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 30 f.; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.110; überholt RG 25.10.1935 – II 106/35 – RGZ 149, 114, 118. 715 Vgl. zur Kündigungshilfe für Kunden eines Mitbewerbers ähnlich BGH 7.4.2005 – I ZR 140/02 – GRUR 2005, 603, 604; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.39; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/30; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 34. 716 OLG Brandenburg 6.3.2007 – 6 U 34/06 – WRP 2007, 1368, 1370 („Überrumpelung des Arbeitnehmers ohne Möglichkeit einer ruhigen Überlegung“). 717 Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/30. Anders noch für die Gewährung damals unzulässiger Rabatte: BGH 22.9.1983 – I ZR 166/81 – GRUR 1984, 129, 130 – shop-in-the-shop. 718 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.106; a.A. aber noch BGH 5.6.1956 – I ZR 4/55 – GRUR 1957, 23, 24 – Bünder Glas.
445
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
207
Das Abwerben von Mitarbeitern überschreitet allerdings dann die Grenze zur Unlauterkeit im Sinne des § 4 Nr. 4, wenn unangemessen oder unzulässig auf die Entscheidungsfreiheit der Abgeworbenen eingewirkt wird, z.B. indem ihnen eine schnelle Entscheidung ohne Überlegungsfrist abverlangt wird.719 Gleiches gilt, wenn über die Verhältnisse des aktuellen oder künftigen Arbeitgebers getäuscht oder irregeführt wird.720 Auch die Herabsetzung des aktuellen Arbeitgebers kann als gezielte Behinderung eingeordnet werden.721 Unlauter nach § 4 Nr. 4 wird ein Abwerben schließlich auch dann, wenn Mitarbeiter unzumutbar belästigt, etwa in ihrer Privatwohnung aufgesucht oder dort angerufen werden.722 Insoweit ist zu beachten, dass neben dem Tatbestand der Behinderung zugleich auch die Fallgruppen des Mitbewerberschutzes (§ 4 Nr. 1 und Nr. 2), der aggressiven geschäftlichen Handlung (§ 4a), der Irreführung (§§ 5, 5a) sowie der unzumutbaren Belästigung (§ 7) in Betracht kommen. Die Wertungen sind jeweils deckungsgleich mit dem Maßstab für die Feststellung einer gezielten Behinderung.723 Unlauter ist das Abwerben von Arbeitnehmern überdies nach allgemeinen Grund208 sätzen, wenn sie zu einer unmittelbaren Betriebsstörung führt. Einen direkten physisch wirkenden Eingriff in betriebliche Einrichtungen oder Kommunikationsanlagen muss der Unternehmer nicht dulden.724 So erklärt sich die Unzulässigkeit des Abwerbens, sofern Arbeitnehmer persönlich an ihrem Arbeitsort zum Zwecke eines Abwerbegesprächs aufgesucht werden. Bei Telefonanrufen hat sich die Praxis auf eine vermittelnde Lösung verständigt. Da der Telefonanschluss des Unternehmers für betriebliche Kontaktaufnahmen offensteht, ist nicht jeder Anruf bereits eine Betriebsstörung. Eine erste kurze Kontaktaufnahme zur Erörterung des Gesprächsgegenstandes und des Austauschs von Kontaktdaten ist grundsätzlich immer zulässig.725 Unzulässig ist es aber, wenn der Headhunter den Angerufenen „ausführlich mit Daten aus dessen Lebenslauf konfrontiert oder wenn der Berater das Gespräch zur Ausforschung nach potentiellen Abwerbekandidaten nutzt“.726 Zwar kann man im Anruf eines Headhunters eine Betriebsstörung sehen,727 doch würde eine zu starre Haltung die Interessen des Arbeitnehmers, der möglicherweise nur über die berufliche Adresse erreichbar ist und privat nur in den Grenzen des § 7 überhaupt kontaktiert werden darf, unzumutbar beeinträchtigen. Das Abwerben von Arbeitnehmern zum Zwecke der Erlangung von Know-how ist 209 nicht in jedem Falle Betriebsstörung, denn sie erfordert nicht immer einen unmittelbaren
_____
719 OLG Brandenburg 6.3.2007 – 6 U 34/06 – WRP 2007, 1368, 1370; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.108b; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 33 ff. 720 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.108b; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/30; Harte/Henning/ Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 33. 721 Vgl. Lindacher FS Erdmann S. 647, 652 (zum UWG 2000); Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.108b. 722 BGH 19.11.1965 – Ib ZR 122/63 – GRUR 1966, 263, 265 – Bau-Chemie; OLG Karlsruhe 23.1.1962 – 6 U 7/61 – GRUR 1963, 80, 81; OLG Celle 25.3.1961 – 3 U 94/60 – GRUR 1962, 366, 367; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 34; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 98. 723 Zum grundsätzlichen Gleichlauf der Schutzzwecke siehe oben Rn. 28 ff. 724 Siehe oben Rn. 98 ff. 725 BGH 22.11.2007 – I ZR 183/04 – GRUR 2008, 262 Tz. 12 – Direktansprache am Arbeitsplatz III; BGH 9.2.2006 – I ZR 73/02 – GRUR 2006, 426 – Direktansprache am Arbeitsplatz II; BGH 4.3.2004 – I ZR 221/01 – BGHZ 158, 174 = GRUR 2004, 696, 697 und 699 – Direktansprache am Arbeitsplatz I (Verhältnismäßigkeit entscheidend); Lindacher FS Erdmann S. 647, 655; Quiring WRP 2000, 33, 38; Reufels GRUR 2001, 214, 217; Wulf NJW 2004, 2424, 2425; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.112; ders. WRP 2002, 1; Fezer/ Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 49 f.; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/31; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 96. 726 BGH 22.11.2007 – I ZR 183/04 – GRUR 2008, 262 Tz. 12 – Direktansprache am Arbeitsplatz III; Ohly/ Sosnitza § 4.4 Rn. 4/31. 727 So juris-PK/Müller-Bidinger/Seichter3 § 4 Nr. 10 Rn. 110.
Dornis
446
Gezielte Behinderung
§4
Eingriff in die betrieblichen Einrichtungen des Mitbewerbers.728 Zudem darf ein Arbeitnehmer rechtmäßig erlangtes Betriebs- und Erfahrungswissen grundsätzlich auch im Rahmen einer neuen Tätigkeit verwerten.729 Dennoch ist Know-how als Teil des immateriellen Betriebsvermögens jedenfalls gegen die in den Vorschriften zum Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen aufgeführten Handlungen (vgl. bislang §§ 17 ff., neuerdings §§ 1 ff. GeschGehG)730 geschützt. Daneben besteht der ergänzende Schutz über § 4 Nr. 4 jedenfalls gegen denjenigen, der durch Abwerben betriebliches Know-how erwirbt, welches der abgeworbene Arbeitnehmer nicht weiterverwenden darf.731 Die Rechtsprechung hat die Grenze der lauteren Weiterverwendung von betrieblich erlangtem Wissen insbesondere dort als überschritten angesehen, wo der Arbeitnehmer nur durch Einblick in schriftliche Unterlagen (z.B. Kundenlisten) in der Lage ist, das erlangte Wissen zu verwerten.732 Die Feststellung der Unlauterkeit erfordert dabei allerdings stets eine Interessenabwägung: zugunsten des früheren Arbeitgebers sind Art und Dauer der Beschäftigung, insbesondere eine etwa vorhandene Vertrauensstellung, ausdrücklich vereinbarte vertragliche und nachvertragliche Verschwiegenheitspflichten sowie die Bedeutung des Beitrags des Arbeitnehmers zur Know-how-Gewinnung einzustellen.733 Auf der Seite des Arbeitnehmers ist zu gewichten, in welchem Maße dieser auf die Verwendung des Wissens angewiesen ist, um seine Tätigkeit künftig noch ausüben zu können.734 Als rechtsethisch begründetes Unlauterkeitskriterium verbleibt schließlich auch 210 beim Abwerben von Mitarbeitern ein Handeln mit dem einzigen oder vorwiegenden Ziel der Schädigung, Existenzgefährdung oder Verdrängung des Mitbewerbers.735 Eine Schädigungsabsicht dieser Art liegt vor, wenn das Handeln des Abwerbenden nicht oder in lediglich geringstem Umfang das eigene Fortkommen fördert, sondern in erster Linie und ganz überwiegend dazu führt, dass die Leistungsfähigkeit des Mitbewerbers sinkt. Ein typisches Beispiel ist das Abwerben von Mitarbeitern, die der Abwerbende nicht benötigt und nicht einsetzt.736 In die Betrachtung einzustellen sind Anzahl und Bedeutung der abgeworbenen Mitarbeiter.737 Ist die Vermutung begründet, dass zu Schädigungszwecken gehandelt wird, muss der Handelnde diese widerlegen.
_____
728 Siehe aber oben zur Betriebsspionage Rn. 121 ff. 729 BGH 3.5.2001 – I ZR 153/99 – GRUR 2002, 91, 92 – Spritzgießwerkzeuge; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.106; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/27; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 57. 730 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/943 zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung, BTDrucks. 19/4724 (4.10.2018). 731 Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/27; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 57 f.; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 101 f. 732 BGH 27.4.2006 – I ZR 126/03 – GRUR 2006, 1044 Tz. 19 – Kundendatenprogramm (Kundenlisten, die nur unter Rückgriff auf schriftliche Unterlagen aus dem Bereich des früheren Arbeitgebers memoriert werden können); BGH 19.12.2002 – I ZR 119/00 – GRUR 2003, 453 – Verwertung von Kundenlisten; BGH 3.5.2001 – I ZR 153/99 – GRUR 2002, 91, 93 – Spritzgießwerkzeuge; OLG Brandenburg 12.6.2001 – 11 U 151/00 – VersR 2002, 759, 760 f.; so auch Gloy/Loschelder/Erdmann/Hasselblatt § 57 Rn. 189. 733 BAG 15.12.1987 – 3 AZR 474/86 – NJW 1988, 1686, 1687 (Verschwiegenheit auch ohne vertragliche Vereinbarung); BGH 3.5.2001 – I ZR 153/99 – GRUR 2002, 91, 92 – Spritzgießwerkzeuge; weitergehend im Arbeitsvertragsrecht BAG 16.3.1982 – 3 AZR 83/79 – NJW 1983, 134, 135. 734 So BGH 3.5.2001 – I ZR 153/99 – GRUR 2002, 91, 93 – Spritzgießwerkzeuge. 735 BGH 19.11.1965 – Ib ZR 122/63 – GRUR 1966, 263, 265 – Bau-Chemie; OLG Brandenburg 6.3.2007 – 6 U 34/06 – WRP 2007, 1368, 1370; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.105; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 29; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/23; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 89. 736 BGH 19.11.1965 – Ib ZR 122/63 – GRUR 1966, 263, 265 – Bau-Chemie; Lindacher FS Erdmann S. 647, 652; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 100; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 29; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.105; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/26. 737 BGH 19.11.1965 – Ib ZR 122/63 – GRUR 1966, 263, 266 – Bau-Chemie: Abwerben eines einzelnen Mitarbeiters könne genügen, wenn dies den „Beginn der Ausführung eines auf einen größeren Umfang angelegten und das Unternehmen des Mitbewerbers ernstlich gefährdenden Abwerbungsplans“ darstelle;
447
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
2. Vertikalverhältnis 211
a) Grundsatz und Fallkonstellationen. Üblicherweise werden über die beiden Fallgruppen der Betriebsstörung738 und des Missbrauchs von Marktmacht739 hinaus weitere Tatbestände der Behinderung definiert. Diese betreffen das Stadium der Vermarktung im Zeitraum nach der Produktion im Betrieb und damit ein Einwirken auf die konkrete Tätigkeit eines Mitbewerbers auf dem Marktplatz und im Marktgeschehen. Im Unterschied zur unmittelbaren Einwirkung auf den Betrieb und dessen Abläufe im horizontalen Verhältnis der Mitbewerber untereinander handelt es sich bei der Störung der Werbe-, Bezugs- und Absatztätigkeit um einen Tatbestand der vorrangigen Behinderung im vertikalen Verhältnis von Mitbewerber und Marktgegenseite. Dabei wird für die Störung im vertikalen Verhältnis weiter danach unterschieden, ob die Marktkommunikation, die Produkte oder die Kundenbeziehungen eines Mitbewerbers gestört werden. Man unterscheidet entsprechend Werbebehinderungen740 sowie Bezugs- und Absatzbehinderungen741 und differenziert damit zugleich zwischen verschiedenen zeitlichen Stadien des Wettbewerbsprozesses. Völlig trennscharf ist diese Abgrenzung naturgemäß nicht, so kann z.B. mancher Fall der Absatzbehinderung zugleich auch als Werbebehinderung angesehen werden.742 Vor allem darf aus der in erster Linie zu terminologischen Zwecken und zur Verbesserung der praktischen Einteilung und Handhabbarkeit der Fallgruppen vorgenommenen Kategorisierung nicht geschlossen werden, dass Eingriffe in die Bezugs- oder Absatztätigkeit als gravierender und damit möglicherweise unter niedrigeren Voraussetzungen als unlauter anzusehen sein sollten als Störungen der Werbetätigkeit eines Mitbewerbers. b) Werbebehinderung
212
aa) Allgemeines. Unter die Fallgruppe der Werbebehinderung fallen Verhaltensweisen, durch die die Marktkommunikation des Mitbewerbers zu einem Zeitpunkt behindert wird, zu dem er noch keinen bindenden Vertrag mit einem Kunden geschlossen oder er sein Produkt noch nicht abgesetzt hat. Diese Fälle sind im Kern durch eine Störung oder Unterbrechung der Marktinformationskanäle – d.h. der Möglichkeiten der Kommunikation mit der Marktgegenseite – gekennzeichnet. Wenngleich es Fälle geben mag, bei denen im beanstandeten Verhalten zugleich auch eine unmittelbare Betriebsstörung gesehen werden kann (und damit ein horizontaler Eingriff vorliegt),743 geht es bei der Werbebehinderung vorrangig um einen Eingriff in die vertikalen Beziehungen zwischen dem Mitbewerber und der Marktgegenseite. Als typische Beispiele zu nennen sind Fälle, in denen die Werbeplakate des Mitbewerbers überklebt oder abgerissen,744 Kennzeichen oder Aufdrucke auf Waren entfernt745 oder unkenntlich ge-
_____
ebenso OLG Brandenburg 6.3.2007 – 6 U 34/06 – WRP 2007, 1368, 1370; vgl. zudem auch Lindacher FS Erdmann S. 647, 652; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.105. 738 Siehe oben Rn. 89 ff. 739 Siehe unten Rn. 248 ff. 740 Siehe unten Rn. 212 ff. 741 Siehe unten Rn. 240 ff. 742 Siehe unten Rn. 241. 743 Siehe oben Rn. 90 f. 744 Beispiel OLG Karlsruhe 9.4.2008 – 6 U 20/08 – GRUR-RR 2008, 350, 351 (auch in Ausübung von Selbsthilfe unzulässig). 745 Z.B. BGH 12.10.1989 – I ZR 80/88 – GRUR 1990, 1010 – Klinikpackung; BGH 8.2.1972 – I ZR 82/70 – GRUR 1972, 558 – Teerspritzmaschinen; OLG Köln 26.3.1999 – 6 U 184/94 – GRUR 2000, 81.
Dornis
448
Gezielte Behinderung
§4
macht werden, sowie Fälle, in denen keywords gebucht werden, um eigene Produkte über die Anlockwirkung von Marken und Geschäftsbezeichnungen in den Kommunikationskanal zum Kunden zu drängen.746 Auch in Fällen, in denen sich der Handelnde gezielt Priorität bei der Registrierung von Kennzeichen oder Domains sowie oberste Listenplätze in Adressverzeichnissen747 oder bei Suchmaschinenergebnissen verschafft, liegt eine Störung der Kommunikationsmöglichkeiten all derjenigen vor, die diese Priorität gleichfalls anstreben. bb) Marktfunktionale Grundlegung. Eine Störung der Marktkommunikation von 213 Mitbewerbern bei der Bewerbung oder beim Vertrieb der eigenen Produkte ist nicht unüblich und gehört zum Wettbewerb um Aufmerksamkeit. Die Schwelle zur Unlauterkeit wird allerdings überschritten, wenn einem Marktbeteiligten durch den Eingriff Möglichkeiten vorenthalten werden, seine Leistungen angemessen zu präsentieren.748 Eine derartige Beeinträchtigung der Kommunikation im Wettbewerb ist bei einer marktfunktionalen Betrachtung auch dann als für den Wettbewerb nachteilig anzusehen, wenn sie nicht in Schädigungsabsicht, sondern ausschließlich zur Verfolgung eigener Interessen erfolgt. Zwar mag die Informationslage nicht verfälscht werden (wie z.B. bei einer Irreführung). Es kommt aber zu einer Verkürzung und Reduzierung der vorhandenen Informationen. Die Marktgegenseite ist in der Folge nicht mehr im eigentlich möglichen Umfang über die zur Verfügung stehenden Entscheidungsalternativen informiert. Insbesondere für die Beurteilung der Verwendung von Suchbegriffen im Internet hat die Praxis insoweit eine auch ökonomisch zutreffende Faustformel formuliert: Es hilft den Marktabläufen, wenn die Aufmerksamkeit auf weitere Informationen hingelenkt wird, nicht aber, wenn die Aufmerksamkeit von Informationen abgelenkt wird. Wörtlich: „Wenn ein Wettbewerber … Interessenten auch auf andere Angebote aufmerksam macht, liegt darin noch kein unzulässiges Ablenken, sondern allenfalls ein wettbewerbsrechtlich nicht zu beanstandendes Hinlenken von potentiellen Kunden.“749 cc) Unter-Fallgruppen (1) Beeinträchtigung fremder Werbung. Eine typische Fallgruppe der Beeinträch- 214 tigung der Marktinformationen ist die unmittelbar körperlich wirkende Beeinträchtigung fremder Werbung, insbesondere soweit dies durch Zerstörung, Beschädigung oder Überdeckung der Werbemittel eines Mitbewerbers erfolgt. Solche Handlungen sollen nach der überwiegenden Ansicht regelmäßig unlauter sein.750 Fälle der Werbebeein-
_____
746 Für Unternehmenskennzeichen BGH 22.1.2009 – I ZR 30/07 – GRUR 2009, 500 Tz. 22 – Beta Layout; für Marken EuGH 23.3.2010 – C-236/08 bis 238/08 – GRUR 2010, 445 – Google und Google France. 747 OLG Celle 19.11.1998 – 9 W 150/98 – NJW-RR 1999, 543 (Versuch der Eintragung der Bezeichnung „AAA AAA AAA AB Lifesex-TV“ ins Handelsregister). 748 Siehe allgemein oben Rn. 28 ff. und Rn. 32 ff. 749 So z.B. OLG Karlsruhe 26.9.2007 – 6 U 69/07 – WRP 2008, 135, 138; vgl. auch LG Hamburg 30.6.2000 – 416 O 91/00 – CR 1999, 617, 618 (lastminute.de/lastminute.com): Durch die Registrierung der Bezeichnung „lastminute.de“ als Domain „werden [die interessierten Kreise …] nicht von einem bestimmten Anbieter abgelenkt, sondern auf das Angebot eines bestimmten Anbieters hingelenkt“; zustimmend BGH 24.11.2011 – I ZR 154/10 – GRUR 2012, 645 Tz. 18 – Mietwagenwerbung; BGH 17.5.2001 – I ZR 216/99 – BGHZ 148, 1 = GRUR 2001, 1061, 1063 – mitwohnzentrale.de; OLG Düsseldorf 1.10.2002 – 20 U 93/02 – GRUR-RR 2003, 48; OLG Hamm 12.6.2012 – 4 U 9/12 – BeckRS 2012, 16361; Menke WRP 1999, 982, 989. 750 Siehe z.B. Giefers WRP 1966, 162, 163; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.71; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/63; vgl. auch BGH 24.6.2004 – I ZR 26/02 – GRUR 2004, 877, 879 – Werbeblocker; BGH 23.6.2016 – I ZR 137/15 – GRUR 2017, 92 Tz. 20 ff. – Fremdcoupon-Einlösung; BGH 19.4.2018 – I ZR 154/16 – GRUR
449
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
trächtigung sind in der Praxis stets einfach zu lösen, wenn sich der beeinträchtigte Werbeträger noch im Eigentum oder Besitz des Werbenden befindet, denn dann ist bereits die Anwendung des gewählten Mittels eine Verletzung der eigentums- oder besitzrechtlichen Position des Mitbewerbers.751 Hat der Einwirkende das Eigentum an den beeinträchtigten Werbeträgern allerdings erworben, kann die Einwirkung als solche ein Unlauterkeitsurteil noch nicht rechtfertigen. Der Eigentümer darf mit seiner Sache grundsätzlich nach Belieben verfahren. Eine gezielte Behinderung lässt sich in diesem Fall allenfalls damit begründen, dass eine betriebswirtschaftliche Begründung und Rechtfertigung für das Vorgehen kaum zu finden sein dürfte. Die Einwirkung wäre dann als Indiz für eine grundlose Schädigung anzusehen. Das Verbot im Rahmen des § 4 Nr. 4 müsste entsprechend rechtsethisch begründet werden.752 Die Platzierung eigener Werbung ist als grundsätzlich zulässig anzusehen, mag die215 se auch die Aufmerksamkeit von der Werbung des Mitbewerbers ablenken und dadurch schwächen oder sperren,753 wie etwa der mit Werbung des Herausgebers versehene Aufkleber „Keine Werbung“.754 Diese Beeinträchtigung muss im Wettbewerb grundsätzlich hingenommen werden.755 Anders sieht es die Praxis allerdings bei der Verteilung von Briefkastenaufklebern mit der Aufschrift „Keine Werbeprospekte, außer …“ (oder mit ähnlicher Formulierung). Hierin soll eine unzulässige „Kanalisierung“ und damit auch eine unlautere Behinderung zu sehen sein.756 Dieses Ergebnis ist mit Blick auf die Tatsache, dass es die Verbraucher sind, die bewusst und unmanipuliert über die Anbringung derartiger Aufkleber entscheiden, zu bezweifeln. Ebenfalls nur ausnahmsweise als unlautere Behinderung anzusehen ist das Aufkaufen von Werberaum, so dass die betreffende Fläche für Werbung eines Mitbewerbers nicht mehr zur Verfügung steht. Sofern nicht zusätzliche Merkmale unzulässiger Marktmachtausübung hinzutreten, kann darum im gezielten Erwerb von Marktkommunikationsmöglichkeiten keine gezielte Behinderung eines Mitbewerbers gesehen werden. Folglich ist es auch zulässig, einem Händler Regalprämien oder Werbeprämien dafür zu bezahlen, dass die eigenen Waren prominent platziert werden.757 Unlauter kann dieses Verhalten allenfalls dann werden, wenn die Blockade von Werberaum mit Marktmacht einhergeht.758 Unter dem Begriff des sogenannten ambush marketing wird Werbung beschrieben, 216 die sich im zeitlich-räumlichen und medialen Umfeld bestimmter Ereignisse (z.B. Sport-
_____ 2018, 1251 Tz. 23 ff. – Werbeblocker II; ebenso GK-UWG/Brandner/Bergmann § 1 Rn. A 274; Fezer/Götting/ Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 143. 751 OLG Karlsruhe 9.4.2008 – 6 U 20/08 – GRUR-RR 2008, 350, 351. 752 So wohl auch Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.71 mit Hinweis auf Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs WRP 1981, 126 (Aufforderung eines Versandhändlers an Verbraucher, ihm gültige Kataloge anderer Versandhändler gegen Zahlung von 10 DM zu übersenden); ebenso wohl Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/63. Zur rechtsethischen Basis siehe oben Rn. 8 ff. und Rn. 30. 753 Siehe z.B. nur BGH 23.6.2016 – I ZR 137/15 – GRUR 2017, 92 Tz. 21 ff. – Fremdcoupon-Einlösung; Broemel ZUM 2012, 866, 869; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/63; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.73; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 71. 754 Vgl. hierzu ablehnend OLG Stuttgart 2.4.1993 – 2 W 19/93 – NJW-RR 1993, 1455; für Zulässigkeit allerdings z.B. Kolb GRUR-Prax 2015, 384; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.73; kritisch aber z.B. Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 78. 755 Siehe oben Rn. 28 ff. 756 Siehe z.B. OLG Brandenburg 22.12.2014 – 6 U 142/13 – BeckRS 2015, 01288; OLG Koblenz 16.1.2013 – 9 U 982/12 – BeckRS 2013, 3115; zustimmend Kolb GRUR-Prax 2015, 384. 757 BGH 17.12.1976 – I ZR 77/75 – GRUR 1977, 619, 621 – Eintrittsgeld (Regalmiete); BGH 3.12.1976 – I ZR 34/75 – GRUR 1977, 257 – Schaufensteraktion (Prämie für die Zurverfügungstellung von Schaufensterflächen durch Händler); OLG München 21.5.1992 – 6 U 4016/91 – GRUR 1992, 712. 758 So BGH 7.10.1958 – I ZR 62/57 – GRUR 1959, 138, 142 – Italienische Note.
Dornis
450
Gezielte Behinderung
§4
veranstaltungen) bewegt, ohne dass der Werbende als Sponsor oder auf sonstige Art Mitwirkender einen Anteil an der Veranstaltung des Ereignisses hätte.759 Typische Erscheinungsformen sind Plakat-, Handzettel- sowie sonstige Aktionswerbung an Zuwegen zu Sportstadien oder im Luftraum, aber auch Fernseh-, Radio- und Internet-Werbung im zeitlichen Zusammenhang mit der öffentlichen Berichterstattung über Großereignisse. Wenngleich die Terminologie der „Hinterhaltswerbung“ (in der deutschen Übersetzung) eine Unlauterkeit zu implizieren scheint, ist ambush marketing unter dem Aspekt der gezielten Behinderung grundsätzlich nicht zu beanstanden.760 Bürgerlich-rechtliche oder lauterkeitsrechtliche Abwehransprüche kommen nur dann in Betracht, wenn die Gefahr der Irreführung (etwa über die Sponsorenstellung) oder einer Verletzung der Marken oder Werktitelrechte für die Veranstaltung besteht, oder wenn das Hausrecht der Veranstalter verletzt wird.761 (2) Aufkaufen fremder Waren. Als besondere Form der Absatzbehinderung gilt das 217 Aufkaufen von Waren eines Mitbewerbers. Dabei ist allerdings zunächst zu beachten, dass allein das Aufkaufen von Waren durch einen Mitbewerber den Absatz nicht behindern kann. Der Absatz wird hierdurch vielmehr erst zum Erfolg geführt. Die Einordnung als gezielte Behinderung kann beim Aufkaufen fremder Produkte lediglich in ihren Auswirkungen liegen: durch das Aufkaufen wird die Ware „aus dem Wirtschaftsleben herausgenommen und der normale Weg zum Verbraucher unterbrochen“.762 Der Schwerpunkt des Unlauterkeitsurteils liegt folglich nicht in der Absatz-, sondern in der Werbebehinderung. Mit dem Abzug der im Markt vorhandenen Waren wird der Kommunikationskanal des Mitbewerbers zum Publikum unterbrochen oder zu dessen Nachteil manipuliert. Grundsätzlich ist das Aufkaufen fremder Waren als zulässig anzusehen, solange es 218 nicht in Ausübung von Marktmacht und zu Verdrängungszwecken erfolgt.763 Wer seine Waren einmal veräußert hat, kann den Weiterverkauf zunächst nicht unterbinden. Selbst eine zulässige Vertriebsbindung führt nur zu vertraglichen Unterlassungspflichten beim Weiterverkauf, sie sorgt aber nicht dafür, dass die Ware dem freien Handelsverkehr mit dinglicher Wirkung entzogen wird.764 Ein Konkurrent darf Waren eines Mitbewerbers darum ebenso ankaufen wie er sie als Gebrauchtwaren in Zahlung nehmen darf.765 Allerdings kann das Aufkaufen von Ware ein Indiz dafür sein, dass der Konkurrent seinen Mitbewerber schädigen möchte und damit gegen das Verbot grundloser Schädigung verstößt. Das gilt insbesondere dann, wenn das Aufkaufen dazu führt, dass Kunden Grund haben, an der Lieferbereitschaft oder -fähigkeit des Mitbewerbers zu zweifeln.766 Ebenso
_____
759 Siehe z.B. Heermann GRUR 2006, 359; Körber/Mann GRUR 2008, 737; Reinholz WRP 2005, 1485, 1491 f.; Wittneben/Soldner WRP 2006, 1175. 760 Heermann GRUR 2006, 359, 364; Körber/Mann GRUR 2008, 737, 741; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/66; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.74; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 73. 761 Heermann WRP 2012, 1035, 1040, 1041 ff.; Reinholz WRP 2005, 1485, 1492; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/66; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.74; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 73. 762 Vgl. BGH 17.3.1998 – I ZR 98/86 – GRUR 1988, 619, 620 – Lieferantenwechsel. 763 BGH 17.3.1988 – I ZR 98/86 – GRUR 1988, 619, 620 – Lieferantenwechsel; GK-UWG/Brandner/ Bergmann § 1 Rn. A 251; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.49; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 125. 764 Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/62; Ekey/Klippel/Kotthoff/Meckel/Plaß § 4 Rn. 450. 765 BGH 9.11.1951 – I ZR 32/51 – GRUR 1952, 193, 194; vgl. aber auch OLG Celle 17.8.1961 – 3 U 133/61 – NJW 1961, 1773. 766 Vgl. BGH 25.3.1987 – I ZR 61/85 – GRUR 1987, 835, 837 – Lieferbereitschaft; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 109.
451
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
kann das Aufkaufen preisgünstig angebotener Ware, zum Zweck, die Lieferfähigkeit eines Mitbewerbers einzuschränken und den Eindruck eines Lockvogelangebots zu erwecken, als Behinderung angesehen werden.767 Gleiches gilt, wenn das massenhafte Aufkaufen dazu dient, die Waren des Mitbewerbers soweit vom Markt zu nehmen, dass seine Kunden und potentielle Abnehmer sich anderen Anbietern zuwenden.768 (3) Veränderung fremder Produkte, Kennzeichenentfernung und Blockadevorrichtungen. Werden Waren eines Mitbewerbers nach der Veräußerung beeinträchtigt, kann streng genommen nicht mehr von einer Absatzbehinderung gesprochen werden. Für eine Beurteilung der Behinderungswirkung entscheidend ist auch hier die Einwirkung auf die Kommunikationswirkung der Produkte am Markt. Es handelt sich darum in diesen Fällen um eine besondere Form der Werbebehinderung. Dies ist z.B. der Fall, wenn von veräußerten Produkten die Kennzeichen oder Gütesiegel entfernt werden,769 wenn die Warengestaltung oder -ausstattung verändert wird770 oder das Produkt erneut in den Verkehr gebracht wird, so etwa beim Wiederbefüllen von rücknehmbaren Behältern.771 Der Kern der Unlauterkeit ist darin zu sehen, dass die unveränderte Produktbeschaffenheit eine auch über den Zeitpunkt des Markteintritts und über den point of sale hinaus fortwirkende Werbekraft entfaltet.772 Bei Veränderungen der Warenbeschaffenheit wird überdies darauf hingewiesen, dass auch Haftungsrisiken und Rufbeeinträchtigungen für den Originalhersteller resultieren können.773 Bei der Wiederbefüllung von Behältnissen eines Mitbewerbers geht es zudem um die Vermeidung einer Irreführung, sowohl mit Blick auf die §§ 5, 5a als auch auf § 14 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 MarkenG.774 In der Praxis stehen dem beeinträchtigten Mitbewerber mehrere Möglichkeiten zur 220 Abwehr zur Verfügung. In erster Linie kann nach eigentumsrechtlichen Ansprüchen gefragt werden. Diese existieren insbesondere dann, wenn die Ware nicht veräußert, sondern nur vermietet oder verliehen wird, also im Eigentum des Originalherstellers verbleibt.775 Markenrechtliche Ansprüche helfen, wenn die Veränderung der Ware die Erschöpfung hindert oder entfallen lässt (vgl. § 24 Abs. 2 MarkenG). Abwehrbefugnisse können schließlich auch auf spezialgesetzlicher Grundlage bestehen, etwa wenn das Gesetz den Schutz technischer Sicherheitssysteme vorsieht, z.B. bei urheberrechtlichen 219
_____
767 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.50. 768 Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/62. 769 BGH 13.10.2004 – I ZR 277/01 – GRUR 2004, 1039 – SB-Beschriftung; OLG Düsseldorf 22.9.1988 – 2 U 14/88 – NJW-RR 1989, 240 (Entfernung eines GS-Zeichens des TÜV). 770 BGH 18.2.1972 – I ZR 82/70 – GRUR 1972, 558 – Teerspritzmaschinen (Entfernung einer Explosionssicherung); BGH 12.10.1989 – I ZR 80/88 – PharmaR 1990, 50 – Klinikpackung (Entfernung eines Aufdrucks auf Arzneimittelpackungen). 771 BGH 24.6.2004 – I ZR 44/02 – GRUR 2005, 162, 163 – SodaStream; BGH 10.2.1987 – KZR 43/85 – BGHZ 100, 51 = GRUR 1987, 438 – Handtuchspender; BGH 10.4.1956 – I ZR 165/54 – GRUR 1957, 84 – Einbrandflaschen (Mineralwassermehrwegflaschen); OLG Frankfurt 18.11.1999 – 6 U 93/99 – GRUR 2000, 1062 (Tonerkartuschen); OLG Zweibrücken 8.1.1999 – 2 U 21/98 – GRUR 2000, 511 (Mineralwasserflaschen); Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.48. 772 BGH 18.2.1972 – I ZR 82/70 – GRUR 1972, 558, 559 – Teerspritzmaschinen („Erinnerungswerbung bei den Erwerbern“); OLG Düsseldorf 22.9.1988 – 2 U 148/88 – NJW-RR 1989, 240; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 121. 773 OLG Düsseldorf 11.7.1969 – 2 U 132/68 – GRUR 1970, 248, 250 (Vertrieb von Elektrogeräten mit unkenntlich gemachter Fabrikationsnummer); OLG Düsseldorf 22.9.1988 – 2 U 148/88 – NJW-RR 1989, 240; von Falck GRUR 1972, 560. 774 BGH 10.2.1987 – KZR 43/85 – BGHZ 100, 51 = GRUR 1987, 438, 439 – Handtuchspender; BGH 18.2.1972 – I ZR 82/70 – GRUR 1972, 558, 559 – Teerspritzmaschinen; vgl. auch Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.72. 775 So die Konstellation bei BGH 10.4.1956 – I ZR 165/54 – GRUR 1957, 84 – Einbrandflaschen.
Dornis
452
Gezielte Behinderung
§4
Werken und Kopierschutzmechanismen in den §§ 95a ff. UrhG.776 Wenn keine spezialgesetzliche Regelung zur Verfügung steht, wird schließlich auch der Vertrieb von Geräten, die den Zugang zu einem technisch gesicherten Produkt eröffnen (z.B. Piratenkarten), als unlautere Behinderung angesehen.777 Bei fehlender technischer Sicherung ist allerdings zweifelhaft, ob ein einmal abge- 221 setztes Produkt unverändert bleiben muss.778 Nach dem mit dem Vertrieb in der Regel verbundenen Eigentums- und Besitzübergang fehlt es an sachenrechtlichen Befugnissen. Eine der markenrechtlichen Erschöpfung entgegenstehende Erschöpfung wird zudem insbesondere beim Wiederbefüllen von Behältern nicht beeinträchtigt, sofern dies zum bestimmungsgemäßen Gebrauch gehört.779 Würde man dem Hersteller einen darüber hinausgehenden, fortdauernden Einfluss auf das bereits in Verkehr gebrachte Produkt zugestehen, wäre vor allem der Markt für Ergänzungs- und Serviceleistungen gegen einen Zutritt isoliert.780 Jenseits des Gefüges möglicherweise in den nachgelagerten Markt hineinragender kennzeichen- und lauterkeitsrechtlicher Ansprüche, insbesondere zur Abwehr von Irreführungen über die Herkunft, ist es daher ausgeschlossen, bei Veränderungen des Originalproduktes im Zuge der Lieferung von Ergänzungsprodukten und der Erbringung von Zusatzdienstleistungen von einer gezielten Behinderung auszugehen. Als weitere Fallgruppe eines Einwirkens auf fremde Produkte wird zudem der Ver- 222 trieb und die Bereitstellung von sogenannten Werbe- oder Ad-Blockern genannt. Diese Produkte und ihr Vertrieb sind allerdings (ungeachtet der nicht unproblematischen Frage des Wettbewerbsverhältnisses)781 grundsätzlich nicht als unlautere Behinderung anzusehen.782 Insoweit ist zunächst zu beachten, dass immer das Angebot eines eigenen Produkts (in Form der Blockade-Vorrichtung) im Vordergrund steht, nicht aber die Behinderung des Mitbewerbers.783 Der Anbieter der Blockade-Vorrichtung verfolgt in erster Linie sein Interesse am Produktabsatz und gerade nicht das Ziel einer Schädigung des oder der unter Einsatz des Produkts blockierten Mitbewerber. Überdies fehlt es an einer
_____
776 Vgl. Arlt MMR 2005, 148, 153; Spindler/Leistner GRUR Int. 2005, 773, 791; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 117 f. 777 BGH 19.4.2018 – I ZR 154/16 – GRUR 2018, 1251 Tz. 31 – Werbeblocker II; BGH 12.1.2017 – I ZR 253/14 – GRUR 2017, 397 Tz. 68 – World of Warcraft II; OLG Hamburg 8.2.2006 – 5 U 78/05 – GRUR-RR 2006, 148, 154 – Cybersky (Vertrieb von Software zur Entschlüsselung von Pay-TV-Programmen); OLG Frankfurt 13.6.1995 – 6 U 14/95 – NJW 1996, 264 (Piratenkarten zur Verschaffung des Zugangs zu Pay-TV-Angeboten vor Inkrafttreten des ZKDSG); LG Hamburg 3.5.2005 – 312 O 75/05 – GRUR-RR 2006, 27, 28 (Angebot von Chipkartengeräten zur Umgehung der Pay-TV-Zugangskontrolle). 778 Vgl. OLG Köln 8.10.2004 – 6 U 113/04 – GRUR-RR 2005, 228 (Vertrieb von Set-Top-Boxen, die Zusatzleistungen auf dem Bildschirm eines Fernsehgeräts bereitstellen und dadurch die Integrität der Ursprungssendung stören); OLG Hamburg 8.2.2006 – 5 U 78/05 – GRUR-RR 2006, 148, 154 – Cybersky (Vertrieb von Entschlüsselungszubehör als Verstoß gegen § 3; Werbung hierfür als Behinderung). 779 Vgl. BGH 24.6.2004 – I ZR 44/02 – GRUR 2005, 162, 163 – SodaStream; abweichend noch OLG Frankfurt 18.11.1999 – 6 U 93/99 – GRUR 2000, 1062; OLG Zweibrücken 8.1.1999 – 2 U 21/98 – GRUR 2000, 511 (Wiederbefüllung von Mineralwasserflaschen durch Konkurrenten als „Eingriff in die markenmäßige Produktidentität“). 780 Vgl. z.B. OLG Düsseldorf 31.10.2000 – 20 U 73/00 – WRP 2001, 289, 291. 781 Vgl. hierzu BGH 19.4.2018 – I ZR 154/16 – GRUR 2018, 1251 Tz. 17 ff. – Werbeblocker II; ausführlich und kritisch zudem Köhler GRUR 2019, 123 ff. 782 BGH 24.6.2004 – I ZR 26/02 – GRUR 2004, 877, 879 – Werbeblocker; BGH 19.4.2018 – I ZR 154/16 – GRUR 2018, 1251 Tz. 22 ff. – Werbeblocker II; Ernst ZUM 2004, 755 ff.; Funk/Zeifang MMR 2004, 665, 666; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.48; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/64; a.A. aber z.B. Ladeur GRUR 2005, 559, 562. 783 Vgl. nur BGH 19.4.2018 – I ZR 154/16 – GRUR 2018, 1251 Tz. 22 ff. – Werbeblocker II; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/64.
453
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
unmittelbaren Einwirkung auf das Produkt des Mitbewerbers, weil der Einsatz der Blockade-Vorrichtung der Entscheidung des Nutzers vorbehalten ist.784 Insoweit ist zu beachten, dass die Interessenabwägung neben den beiden beteiligten Marktakteuren auf der Angebotsseite maßgeblich unter Beachtung der Interessen der Verbraucherseite auf Schutz vor aufgedrängter Werbung und aufgedrängten Informationen (als Teil der verfassungsrechtlich geschützten negativen Informationsfreiheit) erfolgen muss.785 Darüber hinaus verdeutlicht eine marktfunktionsorientierte Betrachtung, dass die letztlich behindernde Auswirkung der Blockade-Vorrichtung ausschließlich auf die Entscheidung der Abnehmer und Verbraucher zurückzuführen ist. Soweit diese Entscheidungsfindung frei und unmanipuliert ist, erweist sich die Auswirkung als natürliches Ergebnis des Wettbewerbsprozesses, das einer Regulierung durch das Lauterkeitsrecht entzogen ist.786 In der Sache handelt es sich bei den vertriebenen Blockadevorrichtungen um nichts anderes als technische Innovationen, die ein tatsächlich vorhandenes Bedürfnis befriedigen. Wenn sich als Folge dieses gewünschten Fortschritts strukturelle Veränderungen der Märkte einstellen, sind diese hinzunehmen. Einem Strukturwandel kann das Lauterkeitsrecht nicht entgegengehalten werden. (4) Verschaffung von Priorität für den eigenen Marktauftritt 223
(a) Grundlagen. Die Marktteilnehmer agieren bei der Suche nach Transaktionen typischerweise unter Zeitdruck. Sie wenden darum meist nur begrenzte Geduld und Sorgfalt für die Sammlung von Marktinformationen und die Ermittlung aller auf dem Markt vorhandenen Alternativen auf. Dies hat zur Folge, dass es für Anbieter neben der tatsächlichen Möglichkeit, ihre Produkte im Markt zu präsentieren, zusätzlich auf die möglichst prominente und damit leicht aufzufindende Position ankommt. Die leichte Auffindbarkeit ist gewährleistet, wenn es gelingt, das eigene Angebot im Vordergrund des Marktgeschehens zu platzieren. Dies bedingt die Notwendigkeit der Priorität bei einer alphabetischen Auflistung von Unternehmen in Fernsprechverzeichnissen,787 bei der Wahl einer Unternehmensbezeichnung,788 bei der Buchung von Werberaum,789 bei der Wahl von Gattungsbezeichnungen als Internet-Domains,790 bei der Verwendung von Un-
_____
784 BGH 19.4.2018 – I ZR 154/16 – GRUR 2018, 1251 Tz. 29 ff. – Werbeblocker II. 785 BGH 19.4.2018 – I ZR 154/16 – GRUR 2018, 1251 Tz. 38 ff. – Werbeblocker II; zudem z.B. Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 75. 786 Mit diesem Ergebnis auch für die Installation einer Preisvergleichssoftware Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 71. 787 OLG Hamm 5.10.2004 – 4 U 96/04 – WRP 2005, 525 (Vorwegstellen der Buchstaben „AA“ vor der Firmenbezeichnung im Branchenbuch). 788 OLG Celle 19.11.1998 – 9 W 150/98 – NJW-RR 1999, 543 (Anmeldung der Firmenbezeichnung AAA AAA AAA AB Lifesex-TV beim Handelsregister). 789 OLG Bamberg 16.9.1992 – 3 U 63/92 – NJW-RR 1993, 50 (Anzeige eines Funkmietwagenunternehmens mit der Firmenbezeichnung „Funkauto 2000“ im amtlichen Telefonbuch beim Buchstaben „T“). 790 BGH 22.1.2009 – I ZR 139/07 – GRUR 2009, 502 – pcb (als beschreibender Teil einer Kennzeichnung); BGH 17.5.2001 – I ZR 216/99 – BGHZ 148, 1 = GRUR 2001, 1061 – mitwohnzentrale.de; OLG Karlsruhe 26.9.2007 – 6 U 69/07 – WRP 2008, 135 (stellen-online.de als Domain); OLG Jena 23.3.2005 – 2 U 1019/04 – MMR 2005, 776 mit LG Erfurt 21.10.2004 – 2 HK O 77/04 – MMR 2005, 121 (deutsche.anwalthotline.de als Firmenbezeichnung); OLG Frankfurt 12.9.2002 – 6 U 12/01 – WRP 2002, 1452 (drogerie.de als Domain); OLG Braunschweig 20.7.2000 – 2 U 260/00 – MMR 2000, 610 (stahlguss.de als Domain); OLG Frankfurt 13.2.1997 – 6 W 5/97 – GRUR 1997, 481 (wirtschaft-online.de als Domain); LG München I 16.11.2000 – 7 O 5570/00 – MMR 2001, 179 (rechtsanwaelte.de); LG Hamburg 30.6.2000 – 416 O 91/00 – CR 1999, 617, 618 (lastminute.de/lastminute.com); LG Hamburg 13.9.1999 – 315 O 258/99 – MMR 2000, 46 (galerie d’histoire als Metatag); LG Hamburg 25.3.1998 – 315 O 792/97 – CR 1999, 47 (eltern.de).
Dornis
454
Gezielte Behinderung
§4
ternehmenskennzeichen791 oder Marken792 als Suchbegriffe (metatags) oder Schlüsselwörter (keywords) in der Anzeige von Suchmaschinentrefferlisten, zum Teil flankiert durch Nutzung von Begriffen in anderen Schreibweisen793 oder die Belegung ganzer Wortgruppen oder Begriffsfamilien um einen relevanten Suchbegriff herum.794 In allen diesen Fällen geht es darum, die Aufmerksamkeit auf das eigene Angebot zu lenken, um die Chance auf einen Vertragsschluss zu erhöhen. Der lauterkeitsrechtliche Mitbewerberschutz nach § 4 Nr. 4 hat auch die Aufgabe, 224 das Funktionieren der Informationsmechanismen im Wettbewerb zu sichern. Das Behinderungsverbot soll die Marktteilnehmer darum auch vor Praktiken schützen, die die Freiheit zur Information beeinträchtigen. Dabei geht es neben der Frage der Vollständigkeit und Korrektheit von Informationen auch darum, eine Verkürzung und Unterdrückung von Informationen zu verhindern. In der Praxis wird die Auseinandersetzung um die Vorrangstellung in der Marktkommunikation meist im Marken- und Kennzeichenrecht entschieden. Letztlich geht es um die Reichweite des Kennzeichenrechts und die Frage, ob die Nutzung der Marke nur in ihrer Herkunfts- oder auch in ihrer Suggestivfunktion (Werbefunktion) dem Kennzeicheninhaber zusteht, und unlizenzierte Nutzungen untersagt werden können. Das Lauterkeitsrecht wird darum in der Regel nur ergänzend herangezogen. Es füllt Lücken des Sonderrechtsschutzes im Hinblick auf eine Vorenthaltung oder Reduzierung nicht kennzeichenbasierter Möglichkeiten der Marktkommunikation. Die in der Praxis entwickelten Fallgruppen sind alle im Bereich der Frage angesiedelt, inwieweit ein Mitbewerber Informations- und Kommunikationskanäle für sich soll „monopolisieren“ können. (b) Fallgruppen (aa) Vorrang in Adressverzeichnissen. Die Sicherung des Vorrangs in Adressver- 225 zeichnissen erfolgt zunächst im Eigeninteresse und ist darum jedenfalls nicht per se als gezielte Schädigung dadurch benachteiligter Mitbewerber anzusehen. Maßnahmen zur Sicherung einer möglichst „hohen“ Platzierung, die dazu dienen, die Aufmerksamkeit des Publikums auf das eigene Angebot zu lenken, sind darum grundsätzlich nicht als unlautere gezielte Behinderung anzusehen. Dies gilt z.B. für das Voranstellen der Buchstaben „AA“ vor den Firmennamen. Die daraus möglicherweise resultierende Behinderung von nachrangig platzierten Mitbewerbern ist hinzunehmen.795 Ebenso zulässig ist die Platzierung von Anzeigen in Branchenverzeichnissen an Positionen, an denen das
_____
791 BGH 22.1.2009 – I ZR 30/07 – GRUR 2009, 500 – Beta Layout (Keyword); OLG Dresden 9.1.2007 – 14 U 1958/06 – K&R 2007, 29 (deejay als Adword und Domain gegenüber Firmenbezeichnung djshop.de); LG Mannheim 1.8.1997 – 7 O 291/97 – K&R 1998, 119 (Unternehmenskennzeichen ARWIS als Metatag). 792 EuGH 26.3.2010 – C-91/09 – GRUR 2010, 641 – Bananabay; EuGH 25.3.2010 – C-278/08 – GRUR 2010, 451 – BergSpechte/trekking.at Reisen; EuGH 23.3.2010 – C-236/08 bis 238/08 – GRUR 2010, 445 – Google und Google France (Keyword); BGH 8.2.2007 – I ZR 77/04 – GRUR 2007, 784 – AIDOL; BGH 18.5.2006 – I ZR 183/03 – BGHZ 168, 28 = GRUR 2007, 65 – Impuls; OLG Frankfurt 26.2.2008 – 6 W 17/08 – WRP 2008, 830 (Marke als keyword); OLG Köln 31.8.2007 – 6 U 48/08 – GRUR-RR 2008, 160 (FunFactory als Adword). 793 OLG Köln 2.9.2005 – 6 U 39/05 – GRUR-RR 2006, 19 (schlüsselbänder.de als Domain in verschiedenen Schreibweisen); LG Frankenthal 29.9.2005 – 2 HK O 55/05 – GRUR-RR 2006, 13 (guenstig.de neben günstig.de als Unternehmenskennzeichnung für ein Preisvergleichsportal); ÖOGH 12.7.2005 – 4 Ob 131/05a – MMR 2005, 750 („whirlpool“ in unterschiedlichen Wortkombinationen als Domain). 794 BGH 16.12.2004 – I ZR 69/02 – GRUR 2005, 517, 518 – Literaturhaus. 795 OLG Hamm 5.10.2004 – 4 U 96/04 – WRP 2005, 525; a.A. OLG Celle 19.11.1998 – 9 W 150/98 – NJWRR 1999, 543.
455
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
werbende Unternehmen bei einer streng alphabetischen Listung nicht auftauchen würde.796 (bb) Gattungsbezeichnungen als Domains oder App-Namen. Die Möglichkeit der Verwendung von Gattungsbezeichnungen als Internet-Domains (z.B. „buecher.de“ oder „rechtsanwalt.de“) hatte und hat auch für den Wettbewerb erhebliche Bedeutung solange es Personen gibt, die auf die einfachste denkbare Weise, nämlich durch direkte Eingabe einer Domainadresse in die Kopfzeile eines Internetprogramms (browser), nach Angeboten suchen.797 Eine Zeit lang wurde diese Strategie der Marktkommunikation als ein „Abfangen“ von Kunden durch denjenigen angesehen, der die Gattungsbezeichnung in seiner Adresszeile führt.798 Begründet wurde dies mit dem Hinweis darauf, dass derjenige, der die Gattungsbezeichnung verwende, sich zwischen den suchenden Kunden und andere Unternehmen stelle, und auf diese Weise Kundenströme unlauter kanalisiere, indem er „durch zielgerichtete Monopolisierung des Gattungsbegriffs […] einen denkbar einfachen Weg zu [einer] Homepage [ebne]“.799 Mittlerweile ist allerdings anerkannt, dass die mit der Verwendung von Gattungsbezeichnungen verbundene Behinderung der Mitbewerber, die in der Folge andere Möglichkeiten der Aufmerksamkeitsgewinnung nutzen müssen, jedenfalls grundsätzlich nicht als gezielte unlautere Behinderung angesehen werden kann.800 Das Streben nach Priorität in diesem Feld steht jedem offen. Wer sie erreicht, handelt nicht per se unlauter. Gegen eine Einordnung derartiger Sachverhalte als „Abfangen“ spricht dabei zunächst allgemein, dass der Suchende zum Zeitpunkt der Online-Recherche noch kein „Kunde“ ist. Als noch nicht zum Kauf entschlossener Marktteilnehmer ist er auch noch keinem Unternehmen „zugewiesen“ und kann daher auch nicht „abgefangen“ werden.801 Unter dieser Perspektive zeigt sich, dass die Registrierung von Domains allenfalls als Taktik im Bereich der Werbe-, nicht der Absatzbehinderung eingeordnet werden kann. Die Reservierung von Gattungsbezeichnungen ist darum nach den allgemeinen Regeln kein unter § 4 Nr. 4 fallender Sachverhalt, solange alternative Suchwege offenbleiben.802 Gleiche Grundsätze gelten für die Verwendung von Gattungsbezeichnungen als App-Namen (z.B. Wetter-App) und für Vanity-Telefonnummern.803 Die Rechtsprechung ging allerdings zeitweise davon aus, dass die Reservierung 227 von generischen Domains als ein Anwendungsfall irreführender Alleinstellungs- oder
226
_____
796 BGH 24.11.2011 – I ZR 154/10 – GRUR 2012, 645 Tz. 17 – Mietwagenwerbung; OLG Bamberg 16.9.1992 – 3 U 63/92 – NJW-RR 1993, 50. 797 OLG Frankfurt 12.9.2002 – 6 U 128/01 – WRP 2002, 1452, 1454; LG München I 16.11.2000 – 7 O 5570/00 – MMR 2001, 179, 180 („denkbar einfacher Weg zur Homepage“). 798 Vgl. z.B. LG Erfurt 21.10.2004 – 2 HK O 77/04 – MMR 2005, 121, 123; bestätigt durch OLG Jena 23.3.2005 – 2 U 1019/04 – MMR 2005, 776, 778; LG München I 16.11.2000 – 7 O 5570/00 – MMR 2001, 179, 180 („denkbar einfacher Weg zur Homepage“ werde monopolisiert). 799 LG München I 16.11.2000 – 7 O 5570/00 – MMR 2001, 179, 180; Thiele/Rohlfing MMR 2000, 591, 595. 800 Siehe nur BGH 17.5.2001 – I ZR 216/99 – BGHZ 148, 1 = GRUR 2001, 1061, 1063 – mitwohnzentrale.de; BGH 2.12.2004 – I ZR 207/01 – GRUR 2005, 687, 688 – weltonline.de; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.95; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 88; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 76. 801 Siehe unten Rn. 243 ff. 802 Vgl. BGH 17.5.2001 – I ZR 216/99 – BGHZ 148, 1 = GRUR 2001, 1061, 1063 – mitwohnzentrale.de; OLG Frankfurt 12.9.2002 – 6 U 128/01 – WRP 2002, 1452, 1454; OLG Braunschweig 20.7.2000 – 2 U 26/00 – MMR 2000, 610; OLG Frankfurt 13.2.1997 – 6 W 5/97 – GRUR 1997, 481, 482 – wirtschaft-online.de; LG Hamburg 30.6.2000 – 416 O 91/00 – CR 1999, 617, 618; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 66; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.95; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/52; Ernst MMR 2001, 181, 182; U.W. Schulte MMR 2005, 123, 124. 803 Siehe z.B. OLG Köln 5.9.2014 – 6 U 205/13 – GRUR 2014, 1111 – Wetter-App; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 77.
Dornis
456
Gezielte Behinderung
§4
Spitzenstellungswerbung angesehen werden könne.804 Diese Einordnung ist als Folge des Wandels der Nutzervorstellungen im Internet aber mittlerweile ebenfalls überholt. Kaum ein moderner Internetnutzer (konkret: durchschnittlich informierter und verständiger Verbraucher) dürfte davon ausgehen, dass der Bestand an beschreibenden Domainnamen einen umfassenden oder zuverlässigen Überblick über die im Netz vorhandenen Angebote bietet.805 Vor allem ist hinreichend bekannt, dass allein das Innehaben einer aussagekräftigen Domain noch keinen Hinweis auf die Qualität oder das Produktportfolio eines Anbieters oder auf seine Stellung im Feld der Mitbewerber geben kann. Das bedeutet allerdings nicht, dass eine Irreführung des Verkehrs ausscheidet, wenn ein Angebot mit dem generischen Begriff der Domainbezeichnung überhaupt nichts zu tun hat.806 Noch nicht abschließend geklärt ist zudem die Frage, ob die gleichzeitige Reser- 228 vierung verschiedener Schreibweisen eines Begriffs einschließlich naheliegender fehlerhafter und Tippfehler-Versionen (sogenannte Bündel- oder Clusterreservierung) die verbleibenden Ausweichmöglichkeiten für Mitbewerber unlauter verknappt oder versperrt.807 Der Sache nach kann eine lückenlose Reservierung von Begriffen durchaus zur gezielten Behinderung von Mitbewerbern eingesetzt werden.808 Es genügt aber wohl noch nicht, einen aus Umlauten gebildeten Begriff mit und ohne Umlautschreibweise zu registrieren, denn an diesem Vorgehen hat der prioritätserste Unternehmer ein berechtigtes Eigeninteresse.809 Die Grenze kann allenfalls dann überschritten sein, wenn ein Akteur alle in Betracht kommenden Gattungsbegriffe sichert.810 (cc) Manipulation des Ergebnisses von Suchmaschinen. In einer Gegenwart des 229 universell genutzten Internets, ist die Technik der Suchmaschinenoptimierung ein essentieller Bestandteil des Marketings in zahlreichen Branchen. Für die Optimierung stehen verschiedene Techniken zur Wahl. Ohne Mitwirkung des Suchmaschinenbetreibers ließ und lässt sich die Trefferhäufigkeit etwa durch vermehrte Verwendung eines Begriffs im sicht- oder unsichtbaren Teil einer Website steigern. Dies umfasst etwa die Unterbringung von Informationen in der sogenannten Hypertext Markup Language (HTML) einer Website oder im Quelltext, so etwa die Verwendung in sogenannter Weißauf-Weiß-Schrift. In den Frühzeiten des Internets ermittelten Suchmaschinen-Crawler
_____
804 Vgl. z.B. BGH 17.5.2001 – I ZR 216/99 – BGHZ 148, 1 = GRUR 2001, 1061, 1063 – mitwohnzentrale.de. 805 Vgl. nur BGH 17.5.2001 – I ZR 216/99 – BGHZ 148, 1 = GRUR 2001, 1061, 1063 – mitwohnzentrale.de; abweichend wohl noch Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.95 f.; zutreffend hingegen z.B. Beater JZ 2002, 275, 279; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 162. 806 Vgl. hierzu z.B. OLG Nürnberg 6.11.2001 – 3 U 2393/01 – GRUR 2002, 460 – steuererklaerung.de; Biermann WRP 1999, 997, 1004; Kur CR 1996, 325, 329; Ubber WRP 1997, 497, 510; Schmidt-Bogatzky GRUR 2002, 941, 951. 807 Vgl. z.B. Fallenböck/Stockinger MMR 2001, 403; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 65; Fezer/ Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 162; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 76; zudem z.B. auch OLG Köln 10.2.2012 – 6 U 187/11 – MMR 2012, 462 m. Anm. Freytag GRUR-Prax 2012, 243. 808 Vgl. z.B. BGH 16.12.2004 – I ZR 69/02 – GRUR 2005, 517, 518 – Literaturhaus; OLG Frankfurt 12.9.2002 – 6 U 128/01 – WRP 2002, 1452, 1454; LG München 9.2.2012 – 6 U 2488/11 – MMR 2012, 463 Tz. 11; ebenso ÖOGH 12.7.2005 – 4 Ob 131/05a – MMR 2005, 750 für die Blockade mehrerer Begriffe rund um den generischen Begriff „whirlpools“ mit der Folge, dass bei Einwahl dieses Begriffs eine Umleitung auf die Seite der Beklagten erfolgt; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 65; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.95b; kritisch allerdings (mit Blick auf die Vielzahl der vorhandenen Domain-Alternativen) Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 90. 809 OLG Köln 2.9.2005 – 6 U 39/05 – GRUR-RR 2006, 19 (schlüsselbänder.de); LG Frankenthal 29.9.2005 – 2 HKO 55/05 – GRUR-RR 2006, 13, 14 (guenstig.de bzw. günstig.de). 810 Für möglich gehalten durch BGH 16.12.2004 – I ZR 69/02 – GRUR 2005, 517, 518 – Literaturhaus (Sicherung von literaturhaus.com, literaturhaus.org und literaturhaus.net).
457
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
die Relevanz eines Suchbegriffes ganz überwiegend anhand der Häufigkeit seiner Verwendung. Techniken der Begriffsvermehrung in Form sogenannten spamdexing oder keyword-stuffing waren darum verbreitet.811 Bereinigte der Betreiber einer Suchmaschine die so manipulierten Suchergebnisse nicht, blieb die Frage, ob die beeinträchtigten Mitbewerber hiergegen vorgehen konnten. Diese Art der Manipulation hat allerdings in jüngerer Zeit aus technischen Gründen, infolge der Weiterentwicklung der Suchmaschinenalgorithmen, an Bedeutung verloren.812 Anders verhält es sich mit der Beeinflussung von Suchergebnissen unter Beteili230 gung des Betreibers der Suchmaschine. Die Betreiber finanzieren sich zu einem erheblichen Teil aus den Einnahmen der Verbindung von Suchanfragen und Werbung. Das Geschäftsmodell basiert auf der Vermarktung der Möglichkeit des „Erwerbs“ bestimmter Begriffe als sogenannte keywords.813 Bei den Suchmaschinenergebnissen werden natürliche (d.h. objektiv durch den Algorithmus des Betreibers ausgewählte Ergebnisse) von den durch die gezielte Buchung von keywords angezeigten Werbeergebnissen unterschieden und räumlich getrennt aufgelistet. Die Listen beider Ergebnisse geben eine Rangfolge wieder. Da der Suchmaschinenbetreiber an der Gestaltung der Ergebnisse mitwirkt, beteiligt er sich jedenfalls grundsätzlich als Teilnehmer oder Störer an einer möglichen Verletzungshandlung durch keyword advertising. Es sind verschiedene Konstellationen der Suchmaschinenbeeinflussung zu unterscheiden: Sofern die gebuchten Schlüsselwörter keine Gattungsbegriffe, sondern Kenn231 zeichen oder Marken sind, stellt sich die Frage, ob die Verwendung als keyword als kennzeichenmäßige Benutzung anzusehen und ob darüber hinaus die Voraussetzungen eines Verletzungstatbestands erfüllt sind. Während die Benutzung beschreibender Begriffe bereits von Anfang an ganz überwiegend als unproblematisch angesehen wurde,814 war die Einordnung der Nutzung von Marken- und Kennzeichen lange umstritten.815 Die Praxis ging zunächst vereinzelt davon aus, dass es an einer solchen Benutzung fehle, weil der angesprochene Verkehr wisse, dass die Trefferliste nicht nur die Angebote des Rechteinhabers wiedergebe oder dass eine Nutzung zur Präsentation einer Eigenwerbung keine Verwechslungsgefahren erzeuge, sofern die Werbung als solche erkennbar und von den natürlichen Suchergebnissen abgegrenzt sei.816 Überwiegend wurde die marken- und kennzeichenmäßige Nutzung allerdings schon früh bejaht,817 insbesondere mit dem Argument, dass sich der Manipulator durch die Verwendung gezielt die „Lotsenfunktion“818 der Marke oder des Kennzeichens zunutze mache. Ob die Technik der Beeinflussung der Suchmaschine für den Nutzer erkennbar sei oder unbemerkt blei-
_____
811 Vgl. z.B. Machill/Neuberger/Schindler S. 23; Ullmann GRUR 2007, 633, 636; Peifer FS Schricker S. 137, 139; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 70. 812 Siehe nachfolgend Rn. 230 ff. Vgl. aber auch noch BGH 9.11.2017 – I ZR 134/16 – GRUR 2018, 417 Tz. 44 ff. – Resistograph. 813 Vgl. zur Funktionsweise u.a. EuGH 23.3.2010 – C-236/08 bis 238/08 – GRUR 2010, 445 – Google und Google France; noch einprägsamer ÖOGH 20.3.2007 – 17 Ob 1/07f – MMR 2007, 497, 498; zudem z.B. MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 68; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/53b. 814 Vgl. etwa BGH 22.1.2009 – I ZR 139/07 – GRUR 2009, 502 Tz. 25 – pcb; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/53b; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 82. 815 Vgl. z.B. Ohly GRUR 2009, 709 ff.; Ott WRP 2009, 351, 355 ff.; Ekey/Jansen MarkenR 2013, 93 ff. 816 So z.B. OLG Frankfurt 26.2.2008 – 6 W 17/08 – WRP 2008, 830, 832. 817 BGH 18.5.2006 – I ZR 183/03 – BGHZ 168, 28 = GRUR 2007, 65 Tz. 17 – Impuls; LG Hamburg 13.9.1999 – 315 O 258/99 – MMR 2000, 46, 47 (Metatag „galérie d’histoire“ in Anlehnung an Unternehmenskennzeichen); LG Mannheim 8.1.1997 – 7 O 291/97 – K&R 1998, 119, 120 (ARWISUnternehmenskennzeichen als Metatag); Menke WRP 1999, 982, 989. 818 Den Begriff verwenden z.B. OLG Frankfurt 26.2.2008 – 6 W 17/08 – WRP 2008, 830, 832; OLG München 6.12.2007 – 29 U 4013/07 – MMR 2008, 334.
Dornis
458
Gezielte Behinderung
§4
be (wie bei metatags), sei dabei nicht relevant.819 Die offenen Fragen wurden zwar durch eine Reihe von EuGH- und BGH-Entscheidungen820 zum Teil beantwortet, sind aber nicht umfassend geklärt.821 Nach der Rechtsprechung ist der Begriff der kennzeichenmäßigen Benutzung zunächst grundsätzlich weit zu verstehen,822 so dass im Ergebnis sowohl die Nutzung von metatags als auch die Buchung von keywords als Benutzung anzusehen sind.823 Der bei keywords einvernehmlich an dem Suchverfahren beteiligte Suchmaschinenbetreiber benutzt das Zeichen allerdings selbst nicht kennzeichenmäßig.824 Darüber hinaus stellt sich die Frage nach einer Verletzung geschützter Marken- 232 funktionen. Für eine Schädigung der Werbefunktion kommt es darauf an, ob durch die Benutzung die Möglichkeit, das Zeichen als Element der Verkaufsförderung oder als Instrument der Handelsstrategie einzusetzen, beeinträchtigt wird.825 Bei der keywordBuchung soll es an einer Beeinträchtigung fehlen, weil der Nutzer durch die Eingabe des Suchwortes zwar dafür sorgt, dass der Werbelink erscheint, gleichfalls aber auch der Markeninhaber durch das natürliche Suchergebnis sichtbar wird.826 Ein Wiederverkäufer könne sich zudem auf Schranken des Markenrechts (v.a. die Erschöpfung nach § 24 MarkenG) berufen. Allerdings bestehe die Gefahr, dass sich der Erwerber des keywords, sofern er auch Nachahmungen des Originalproduktes bereitstelle, in die „Sogwirkung dieser Marke“ begebe, was als grundsätzlich rechtsverletzend anzusehen sei.827 Es fehle aber jedenfalls dann an einer unzulässigen Funktionsbeeinträchtigung, soweit die durch das keyword bewirkte Ergebnisveränderung und Werbung lediglich Alternativen zum Originalprodukt aufzeige.828 Für den Suchmaschinenbetreiber ergebe sich schließlich nur dann eine Haftung, wenn er Einfluss auf die Abfassung der den Werbelink begleitenden Werbebotschaft habe.829 Der EuGH hat diese Fragen im Zusammenhang mit bekannten Marken beantwortet. Darum ist davon auszugehen, dass ein Schutz der Werbefunktion auch nur bei solchen Zeichen in Betracht kommt.830
_____
819 BGH 22.1.2009 – I ZR 125/07 – GRUR 2009, 498 Tz. 15 – Bananabay; Meyer K&R 2006, 557, 561; M. Schaefer MMR 2005, 807, 808; Ullmann GRUR 2007, 633, 638; a.A. Kotthoff K&R 1999, 157, 161 (für Metatags). 820 Vgl. EuGH 23.3.2010 – C-236/08 bis 238/08 – GRUR 2010, 445– Google und Google France; EuGH 25.3.2010 – C-278/08 – GRUR 2010, 451 – BergSpechte/trekking.at Reisen (Wort-Bild-Marke wird mit Keyword in Bezug genommen, Verwechslungsschutz wie Identitätsschutz); EuGH 26.3.2010 – C-91/09 – GRUR 2010, 641 – Bananabay; EuGH 8.7.2010 – C-558/08 – GRUR 2010, 841 – Portakabin/Primakabin. 821 Für unübersichtlich halten die Rechtslage z.B. Henning-Bodewig GRUR Int. 2011, 592, 595 f.; Ohly GRUR 2011, 1131, 1132; Röhl NJW 2011, 3005, 3007. 822 Vgl. EuGH 12.7.2011 – C-324/09 – EuZW 2011, 754 Tz. 87 – L’Oréal/eBay. 823 EuGH 23.3.2010 – C-236/08 bis 238/08 – GRUR 2010, 445 Tz. 71 – Google und Google France; EuGH 11.7.2013 – C-657/11 – GRUR 2013, 1049 Tz. 57 – Belgian Electronic Sorting Technology; ebenso für Keywords BGH 18.5.2006 – I ZR 183/03 – BGHZ 168, 28 = GRUR 2007, 65 Tz. 17 – Impuls; und für Metatags BGH 8.2.2007 – I ZR 77/04 – GRUR 2007, 784 Tz. 18 – AIDOL. 824 EuGH 23.3.2010 – C-236/08 bis 238/08 – GRUR 2010, 445 Tz. 58 – Google und Google France; BGH 13.1.2011 – I ZR 125/07 – GRUR 2011, 828 Tz. 20 – Bananabay II; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/53b. 825 EuGH 8.7.2010 – C-558/08 – GRUR Int. 2010, 841 Tz. 27 – Portakabin/Primakabin; EuGH 26.3.2010 – C-91/09 – GRUR 2010, 641 Tz. 24 – Bananabay; EuGH 25.3.2010 – C-278/08 – GRUR 2010, 451 Tz. 30 f. – BergSpechte/trekking.at Reisen; EuGH 23.3.2010 – C-236/08 bis 238/08 – GRUR 2010, 445 Tz. 92 – Google und Google France. 826 EuGH 23.3.2010 – C-236/08 bis 238/08 – GRUR 2010, 445 Tz. 97 mit 98 – Google und Google France. 827 EuGH 23.3.2010 – C-236/08 bis 238/08 – GRUR 2010, 445 Tz. 102 f. – Google und Google France. 828 EuGH 22.9.2011 – C-323/09 – GRUR 2011, 1124 Tz. 91 – Interflora; BGH 20.2.2013 – I ZR 172/11 – GRUR 2013, 1044 Tz. 23 – Beate Uhse; Ohly GRUR 2011, 1131 f.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.31b. 829 EuGH aaO Tz. 118; für den Betreiber einer Auktionsplattform bejaht: EuGH 12.7.2011 – C-324/09 – GRUR Int. 2011, 839 Tz. 113, 116. 830 Engels MarkenR 2010, 233, 235; Ott/Schubert MarkenR 2010, 160, 163 f.
459
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
233
Im Übrigen kommt unabhängig von der Kennzeichnungsstärke des beeinträchtigen Kennzeichens stets eine Schädigung der Herkunftsfunktion als der Hauptfunktion von Marken und Kennzeichen in Betracht. Die Verletzung dieser Funktion hängt davon ab, „wie die Werbeanzeige gestaltet ist“, insbesondere ob „für den normal informierten und angemessen unterrichteten Internetnutzer nicht nur schwer erkennbar ist“, ob die durch den Suchbegriff angezeigten Waren vom Markeninhaber oder von einem Dritten stammen.831 Die nationalen Gerichte sollen prüfen, ob im Einzelfall unrichtigerweise eine wirtschaftliche oder geschäftliche Verbindung suggeriert wird, oder ob die Werbung so unklar gehalten ist, dass der gewöhnliche Internetnutzer nicht erkennen kann, ob tatsächlich eine solche Verbindung besteht.832 Dabei ist insbesondere zu prüfen, ob der typische Internetnutzer aus dem Inhalt der (Such-)Anzeige Kenntnis über die Marktbeteiligten und ihr Verhältnis zueinander erhält.833 Die kennzeichenrechtliche Verwechslungsgefahr wird für den Einsatz von metatags stets, für die Buchung von keywords hingegen nur dann bejaht, wenn Werbefeld und natürliche Suchtreffer nicht klar voneinander getrennt sind.834 Der Nutzer verstehe keywords, die zu einem klar angezeigten Werbelink führen, nämlich in der Regel nicht als Herkunftshinweis.835 Anders kann dies ausnahmsweise aber selbst bei klarer Trennung gesehen werden, falls der Internetnutzer fälschlich annehmen kann, dass der Werbende dem Vertriebssystem des Rechteinhabers angehört.836 Die Frage der Beeinträchtigung der sogenannten Investitionsfunktion der Marke 234 wurde erstmals in den Schlussanträgen des Generalanwalts Jacobs in der Sache C-337/95 erwähnt, dort als synonyme Bezeichnung für die Werbefunktion oder die Kommunikationsfunktion der Marke benutzt und wohl als Ausdruck der Herkunftsfunktion der Marke angesehen.837 Allerdings findet sich die Investitionsfunktion als Begriff später ebenso
_____
831 EuGH 26.3.2010 – C-91/09 – GRUR 2010, 641 Tz. 24 – Bananabay; EuGH 23.3.2010 – C-236/08 bis 238/08 – GRUR 2010, 445 Tz. 83 f. – Google und Google France; vgl. hierzu Hackbarth WRP 2010, 1124, 1126. 832 EuGH 23.3.2010 – C-236/08 bis 238/08 – GRUR 2010, 445 Rn. 89 ff. – Google und Google France; EuGH 26.3.2010 – C-91/09 – GRUR 2010, 641 Tz. 26 f. – Bananabay; EuGH 25.3.2010 – C-278/08 – GRUR 2010, 451 Tz. 36 – BergSpechte/trekking.at Reisen; siehe zudem z.B. Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/53b. 833 EuGH 22.9.2011 – C-323/09 – GRUR 2011, 1124 Tz. 51 – Interflora/M&S Interflora; verschärfte Transparenzpflichten sehen hierin Ludwig K&R 2011, 724, 726; Henning-Bodewig GRUR Int. 2011, 592, 596. 834 BGH 22.1.2009 – I ZR 30/07 – GRUR 2009, 500 Tz. 16 – Beta Layout; KG 9.9.2008 – 5 U 163/07 – GRUR-RR 2009, 61, 63; OLG München 6.12.2007 – 29 U 4013/07 – MMR 2008, 334, 335; OLG Stuttgart 9.8.2007 – 2 U 23/07 – WRP 2007, 1265, 1267 – PCB-Pool; LG Braunschweig 15.11.2006 – 9 O 1840/06 (261), 9 O 1840/06 – MMR 2007, 121 f.; LG Hamburg 21.12.2004 – 312 O 950/04 – MMR 2005, 629 f.; Illmer WRP 2007, 399, 403 f.; Ott MMR 2007, 121, 123; Renner WRP 2007, 49, 51; weitergehend: OLG Braunschweig 5.12.2006 – 2 W 23/06 – WRP 2007, 435, 436; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/53a; Büscher/Dittmer/Schiwy § 14 MarkenG Rn. 126; Chr. Dietrich K&R 2006, 71, 73; M. Dörre/Jüngst K&R 2007, 239, 242; Hüsch MMR 2006, 357; Schaefer MMR 2005, 807, 809; Schmelz MarkenR 2008, 196, 198; Seichter MarkenR 2006, 375, 379. 835 BGH 13.1.2011 – I ZR 125/07 – GRUR 2011, 828 Tz. 22 ff. – Bananabay II; BGH 13.12.2012 – I ZR 217/10 – GRUR 2013, 290 Tz. 26 – MOST-Pralinen; BGH 20.2.2013 – I ZR 172/11 – GRUR 2013, 1044 Tz. 14 – Beate Uhse; OLG Frankfurt 26.2.2008 – 6 W 17/08 – WRP 2008, 830, 831; OLG Köln 31.8.2007 – 6 U 48/07 – GRUR-RR 2008, 160; OLG Düsseldorf 23.1.2007 – 20 U 79/06 – WRP 2007, 440, 442; OLG Dresden 9.1.2007 – 14 U 1958/06 – K&R 2007, 269, 270; Illmer WRP 2007, 399, 404; Ullmann GRUR 2007, 633, 638; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/53b. 836 Vgl. BGH 27.6.2013 – I ZR 53/12 – GRUR 2014, 182 Tz. 32 ff. – Fleurop; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/53b. 837 Schlussanträge zu EuGH 4.11.1997 – C-337/95 – Slg. 1997, I-6013 Tz. 42 – Dior/Evora: „Es wird auch die Ansicht vertreten, die Marken hätten noch andere Funktionen, die als Kommunikations-, Investitionsoder Werbefunktionen bezeichnet werden könnten. Diese Funktionen sollen sich daraus ergeben, daß die Investition in die Förderung eines Erzeugnisses um die Marke herum aufgebaut werde. Dementsprechend wird gefolgert, daß diese Funktionen Werte seien, die als solche Schutz verdienten, selbst wenn kein Mißbrauch aufgrund von Fehldarstellungen der Herkunft oder der Qualität vorliege. Meines Erachtens scheinen diese Funktionen jedoch lediglich aus der Herkunftsfunktion abgeleitet zu sein …“.
Dornis
460
Gezielte Behinderung
§4
in den Urteilsgründen der L’Oréal/Bellure-Entscheidung wie die Kommunikationsfunktion.838 Zudem wird sie in der Rechtssache Interflora erstmals als selbständige Funktion neben der Herkunfts- und der Werbefunktion genannt und zugleich von beiden unterschieden.839 Eine Beeinträchtigung soll vorliegen, wenn die Verwendung einer identischen Marke für identische Produkte „es […] dem Markeninhaber wesentlich erschwert, seine Marke zum Erwerb oder zur Wahrung eines Rufs einzusetzen, der geeignet ist, Verbraucher anzuziehen und zu binden“.840 Von Klarheit über die genauen Konturen und Grenzen dieser neuen Funktionen kann kaum eine Rede sein. Es besteht aber Einigkeit, dass auch diese Funktion (wie die Werbefunktion)841 durch keyword-Nutzung in der Regel nicht beeinträchtigt wird.842 Für die lauterkeitsrechtliche Beurteilung ist die Frage der markenrechtlichen Ein- 235 ordnung zunächst dahingehend zu beachten, als der Anwendungsbereich des UWG nur insoweit eröffnet ist, als das Marken- und Kennzeichenrecht nicht vorrangig anzuwenden sind. Wenn keine marken- und kennzeichenrechtlichen Ansprüche bestehen, so vor allem bei Fehlen einer marken- oder kennzeichenmäßigen Benutzung, kommt eine Anwendung lauterkeitsrechtlicher Tatbestände zwar grundsätzlich in Betracht. Es fehlt dann an einer Sperrwirkung des Sonderrechtsschutzes.843 Allerdings greift der lauterkeitsrechtliche Schutz nach § 4 Nr. 4 meist nicht.844 Auch die lauterkeitsrechtliche Beurteilung orientiert sich dabei entlang der Konturen des informationsökonomischen Modells des Marken- und Kennzeichenrechts. Demnach gilt, dass – sofern die Zuweisung eines exklusiven Schutzbereichs nicht aus Gründen der Marktinformationsmehrung (zum Schutz gegen Irreführung oder zur Gewähr ausreichender Anreize für die Schaffung von Kennzeichen-goodwill) erforderlich ist845 – der Wettbewerb um Aufmerksamkeit als grundsätzlich uneingeschränkt zulässig anzusehen ist.846 Insbesondere wird eine Einordnung in die Fallgruppe des Abwerbens oder Abfangens von Kunden deshalb abgelehnt, weil der Suchende eben gerade noch kein Kunde ist und auch noch keinen Kaufentschluss gefasst hat, von dessen Umsetzung man ihn wieder abbringen könnte.847 Auch auf eine Schädigungsabsicht kann bei der Verwendung von Marken und Kennzei-
_____
838 EuGH 18.6.2009 – C-487/07 – GRUR 2009, 756 Tz. 58 – L’Oréal/Bellure: „Kommunikations-, Investitions- oder Werbefunktionen“; ebenso EuGH 25.3.2010 – C-236/08 bis 238/08 – GRUR 2010, 445 Tz. 77 – Google und Google France; zust. Fezer WRP 2010, 179; krit. Ingerl/Rohnke MarkenG § 14 Rn. 304; Ohly GRUR 2011, 1131, 1132: „black box“. 839 EuGH 22.9.2011 – C-323/09 – GRUR 2011, 1124 Tz. 60 f. – Interflora/M&S Interflora. 840 EuGH 22.9.2011 – C-323/09 – GRUR 2011, 1124 Tz. 62 – Interflora. 841 Siehe oben Rn. 232. 842 Siehe z.B. EuGH 25.3.2010 – C-236/08 bis 238/08 – GRUR 2010, 445 Tz. 91 ff. – Google und Google France; EuGH 22.9.2011 – C-323/09 – GRUR 2011, 1124 Tz. 54 ff. – Interflora; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/53b. 843 Siehe oben Rn. 224. 844 BGH 22.1.2009 – I ZR 30/07 – GRUR 2009, 500 Tz. 23 – Beta Layout; OLG Düsseldorf 23.1.2007 – 20 U 79/06 – WRP 2007, 440, 442 = MMR 2007, 247; Hüsch K&R 2006, 223, 224; Menke WRP 1999, 982, 989; Varadinek GRUR 2000, 279, 285; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/53b; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 87. 845 Zum informationsökonomischen Modell siehe zudem oben GK-UWG/Dornis § 4 Nr. 3 Rn. 58 ff. und Rn. 61 ff. 846 BGH 22.1.2009 – I ZR 30/07 – GRUR 2009, 500 Tz. 23 – Beta Layout; OLG Frankfurt 26.2.2008 – 6 W 17/08 – WRP 2008, 830, 832; OLG Karlsruhe 26.9.2007 – 6 U 69/07 – WRP 2008, 135, 138; OLG Köln 31.8.2007 – 6 U 48/07 – GRUR-RR 2008, 160; Hüsch K&R 2006, 223, 224; Illmer WRP 2007, 399, 405; Ohly GRUR 2009, 709, 717; Schultz/Störing WRP 2008, 741, 743; Ullmann GRUR 2007, 633, 638. 847 BGH 22.1.2009 – I ZR 30/07 – GRUR 2009, 500 Tz. 23 – Beta Layout; OLG Frankfurt 26.2.2008 – 6 W 17/08 – WRP 2008, 830, 832; OLG Karlsruhe 26.9.2007 – 6 U 69/07 – WRP 2008, 135, 138; OLG Köln 31.8.2007 – 6 U 48/07 – MMR 2008, 50, 51; S. Meyer K&R 2006, 557, 561; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/53b; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 87; a.A. aber z.B. Illmer WRP 2007, 399, 406.
461
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
chen im Suchmechanismus nicht geschlossen werden, denn die Platzierung erfolgt meist primär, um eigene Interessen zu verfolgen.848 Die keyword-Nutzung führt darum grundsätzlich zu einem Mehrangebot an Marktinformationen, denn zu den „natürlichen Suchergebnissen“ tritt das konkurrierende Angebot in der Werbeleiste. Typischerweise wird diese Konkurrenz das natürliche Suchergebnis nicht verdrängen, verdecken oder blockieren. Damit wird die Leistung des Konkurrenten allenfalls systemgerecht (Wettbewerb), nicht aber unlauter (Blockade) behindert.849 Bei der Verwendung von fremden Marken oder Kennzeichen als metatags gin236 gen die Gerichte zeitweise davon aus, dass hierin eine gezielte Behinderung liege, weil „zum Nachteil eines in derselben Branche tätigen Konkurrenten auf eine bestimmte Homepage hingewiesen“,850 also Aufmerksamkeit vom Mitbewerber abgeleitet werde.851 Zum Teil wurde allerdings auch vertreten, dass ein Abfangen von Kunden allenfalls in den Fällen in Betracht komme, in denen ein Kunde schon vor der Suche zum Kauf bei einem bestimmten Anbieter entschlossen ist und durch die Eingabe eines Suchwortes, das ein Konkurrent als metatag verwendet, abgefangen wird.852 Insoweit wurde auf die Ähnlichkeit des Sachverhalts zu Konstellationen eines Abfangens von Kunden vor einem bestimmten Ladenlokal verwiesen.853 Dieser Ansicht ist grundsätzlich zuzustimmen. Dabei ist aber zu beachten, dass die Technik des metatagging mittlerweile aufgrund verbesserter Suchalgorithmen kaum mehr relevant ist.854 Der Sache nach gilt aber durchaus: Durch den Einsatz von metatags und durch keyword-stuffing wird die Aufmerksamkeit bei Netzangeboten gesteuert und damit kanalisiert. Soweit Suchmaschinen die Relevanz mit Zählmechanismen beurteilen, können die Ergebnisse ganz erheblich beeinflusst werden. Wird das Angebot eines beeinträchtigten Mitbewerbers dann auf hintere Trefferplätze verschoben, wird es der Aufmerksamkeit des Suchenden entzogen.855 Eine relevante Verschiebung wird man mit Blick auf das von Zeitdruck und mangelnder Sorgfalt geprägte Suchverhalten des durchschnittlichen Internetnutzers wohl bereits für die Verdrängung von der ersten auf die zweite Trefferseite annehmen müssen.856 Gleich ist zu entscheiden, wenn ein Anbieter durch sogenanntes search engine spamming (auch indexspamming, spamdexing oder linkspamming),857 d.h. den massiven Einsatz von Schlüsselwörtern zur Überflutung von Suchmaschinen und entsprechender Verfälschung der Suchergebnisse, die Informationssuche im Netz so beeinflusst, dass eine Wahrnehmung
_____
848 OLG Frankfurt 26.2.2008 – 6 W 17/08 – WRP 2008, 830, 832; OLG Karlsruhe 26.9.2007 – 6 U 69/07 – WRP 2008, 135, 138; Ullmann GRUR 2007, 633, 638. 849 Vgl. hierzu auch EuGH 22.9.2011 – C-323/09 – GRUR 2011, 1124 Tz. 91 – Interflora; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/53b; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 72. 850 So LG Mannheim 8.1.1997 – 7 O 291/97 – K&R 1998, 119, 120; Bornkamm/Seichter CR 2005, 747, 751; Wendtlandt S. 558. 851 LG Hamburg 13.9.1999 – 315 O 258/99 – MMR 2000, 46, 47. 852 OLG Düsseldorf 14.2.2006 – 20 U 195/05 – GRUR-RR 2006, 265, 267; Menke WRP 1999, 982, 990. 853 Renner WRP 2007, 49, 53; im Ergebnis auch Fezer/Mankowski § 4-S12 Rn. 88. 854 Vgl. z.B. Kühling/Gauß ZUM 2007, 881, 884; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 71. 855 Vgl. EuGH 11.7.2013 – C-657/11 – GRUR 2013, 1049 Tz. 57 – BEST/Vissy. 856 Vgl. z.B. Machill/Neuberger/Schindler S. 245 f., wonach mehr als die Hälfte der Internetnutzer bereits vor einigen Jahren nur die ersten Treffer überhaupt konsultiert haben sollen; zudem auch Rath S. 74 ff.; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/53. 857 Siehe z.B. LG Frankfurt/M. 5.9.2001 – 3/12 O 107/01 – CR 2002, 220 = GRUR-RR 2002, 81 – Wobenzym N III (gezielte Behinderung durch DocMorris aufgrund der „Überschwemmung“ des Netzes mit Einträgen, die jeweils zu den Angeboten der Internetapotheke führten); LG Frankfurt/M. 10.8.2001 – 3/12 O 96/01 – CR 2002, 222 = GRUR-RR 2002, 83 – Wobenzym N II (keine Haftung des Suchmaschinenbetreibers); Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.31; Ekey/Klippel/Kotthoff/Meckel/Plaß § 4 Rn. 435; Heim S. 224.
Dornis
462
Gezielte Behinderung
§4
des Angebots der Mitbewerber verhindert wird.858 Die Verwendung von metatags ist demnach grundsätzlich anders zu beurteilen als der Einsatz von keywords.859 Gegen die unzulässige Reservierung und Verwendung von Kennzeichen als key- 237 words bieten die Betreiber von Suchmaschinen mittlerweile auch Abwehrmechanismen an. Insbesondere besteht die Möglichkeit, durch die Einlegung einer sogenannten Markenbeschwerde beim Suchmaschinenbetreiber zu verhindern, dass ein Dritter das durch eine solche Beschwerde bezeichnete Kennzeichen für sich nutzen kann. Die Einlegung der Beschwerde führt dazu, dass Aufträge zur Reservierung zugunsten werbewilliger Unternehmen nicht mehr ausgeführt werden.860 In der umgekehrten Konstellation stellt sich die Frage, ob die Einlegung einer Markenbeschwerde durch den Rechteinhaber ihrerseits eine unlautere gezielte Behinderung von Mitbewerbern sein kann, die das Kennzeichen verwenden wollen. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn sich die Verweigerung der Zustimmung durch den Markeninhaber im Verfahren aufgrund der marken- und lauterkeitsrechtlichen Zulässigkeit der geplanten Werbung als unlauter erweist.861 Schließlich können Suchworte im Internet auch zu sogenanntem social tagging, 238 d.h. einer Verschlagwortung im gesellschaftlich relevanten Bereich eingesetzt werden.862 Die Wirkungen des social tagging werden durch die sogenannte autocomplete-Funktion von Suchmaschinen gesteigert. Die Eingabe weniger Zeichen in das Suchfeld wird dabei zu einem Treffervorschlag (prediction) vervollständigt, der auf Basis vorangegangener Nutzeranfragen ermittelt wird. Die Vervollständigung erfolgt bereits bei Eingabe weniger und für sich allein genommen nicht sinnvoller Zeichen (so z.B. bei Eingabe der Buchstabenfolge „unl“, die automatisch zu „unlauterer Wettbewerb“ vervollständigt wird). Der Nutzer erhält dann die Möglichkeit, einen der üblicherweise zahlreichen Suchvorschläge zu übernehmen. Auf diese Art wird er möglicherweise ganz ohne eine anfängliche Suchintention zu verbundenen und naheliegenden Sachverhalten und Zusammenhängen geführt. Im Lauterkeitsrecht ist diese Technik der Suchoptimierung im Internet in Fällen der Verknüpfung von bestimmten Marktakteuren mit geschäftsschädigenden Informationen von Bedeutung.863 Wird die Verknüpfung durch einen Mitbewerber verursacht, wird der Nutzer gerade nicht zu diesem hingelenkt, sondern vielmehr auf den betroffenen Mitbewerber selbst aufmerksam – und zwar im Zusammenhang mit unvorteilhaften Informationen. Dieses Vorgehen kann insbesondere unter § 4 Nr. 1 und Nr. 2 oder unter die §§ 5 und 5a fallen. Sofern das Handeln rein publizistisch motiviert ist, wird es meist bereits an einer geschäftlichen Handlung fehlen. Im Übrigen kommt es auf eine Abwägung zwischen den Äußerungsinteressen und den Abwehrinteressen des Betroffenen an.864 Fraglich ist, ob die Bereitstellung der autocomplete-Funktion Haftungsfolgen für 239 den Suchmaschinenbetreiber hat.865 Dagegen spricht, dass diese Funktion zunächst
_____
858 Vgl. Peifer FS Schricker S. 137, 143; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/53a; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 107. 859 BGH 22.1.2009 – I ZR 30/07 – GRUR 2009, 500 Tz. 16 – Beta Layout. 860 Siehe z.B. Hühner GRUR-Prax 2012, 369. 861 Vgl. BGH 12.3.2015 – I ZR 188/13 – GRUR 2015, 607 Tz. 15 ff. – Uhrenankauf im Internet. 862 M. Schumacher Tagungsband DSRI 2012, S. 81. 863 Zur Verknüpfung der Suchergebnisse für einen Akteur mit Berichten über sogenannten Adressbuchschwindel im Rahmen eines Anspruchs nach § 12 BGB siehe z.B. OLG München 9.2.2012 – 6 U 2488/13 – GRUR-RR 2012, 346, 348 f. 864 OLG München 9.2.2012 – 6 U 2488/11 – GRUR-RR 2012, 346, 348. 865 Siehe vor allem BGH 14.5.2013 – VI ZR 269/12 – NJW 2013, 2348; zudem z.B. Engels/Kleinschmidt AfP 2012, 25; Härting K&R 2012, 633.
463
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
nur technischer Natur ist, und damit keine Verbreitung von Informationen und keine Kommunikation im Sinne einer unmittelbar durch eine menschliche Entscheidung bewirkten Handlung vorliegt.866 Ferner ist zu beachten, dass die Sammlung und Verwertung der Informationen aus vorangegangenen Nutzeranfragen in der Regel nach rein quantitativen Kriterien erfolgt und nicht redaktionell aufbereitet wird. Nach dem Verständnis eines informierten und verständigen Internetnutzers kann es sich folglich bei autocomplete predictions nicht um eigenständige Meinungsäußerungen handeln.867 Für die Verantwortlichkeit des Suchmaschinenbetreibers spricht hingegen, dass dieser die Funktionen seiner Suchmaschine der Öffentlichkeit ganz gezielt und uneingeschränkt zur Verfügung stellt, und sowohl die Herrschaft über den Einsatz des Algorithmus als auch die dadurch erzeugten und verbreiteten Daten und Informationen behält.868 Für Aussagen und Informationen, die eine Suchmaschine nach Eingabe der Suchanfrage anzeigt, ist der Betreiber darum jedenfalls nach den Grundsätzen der Störerhaftung verantwortlich.869 Während eine umfassende präventive Überwachung der Ergebnisse und der autocomplete predictions nur schwer möglich sein dürfte, besteht jedenfalls ab der Kenntniserlangung von einer Rechtsverletzung die Pflicht, weitere Verstöße zu verhindern.870 Dies erfordert auch im Bereich des Lauterkeitsrechts wohl eine Bereinigung der Suchergebnisse oder der autocomplete predictions.871 240
c) Nachfrage- und Bezugsbehinderung. Eine gezielte Behinderung beim Bezug von Waren oder Dienstleistungen kann darin gesehen werden, dass ein Hersteller vom Zugriff auf für die Produktion benötigte Rohstoffe und Ausgangswaren oder ein Händler vom Bezug der für sein Geschäft benötigten Handelswaren ausgeschlossen wird. Das kann durch umfangreiches Aufkaufen von Rohstoffen oder Handelswaren erfolgen, wenn dies zur Folge hat, dass ein Bezug durch den Betroffenen nicht mehr möglich ist.872 Im gleichen Zusammenhang werden der Erwerb oder die Anmietung nicht benötigter Geschäftsräume873 sowie die Bestellung von persönlichen Dienstbarkeiten auf Grundstücken zum Zweck des Ausschlusses einer Konkurrenztätigkeit genannt.874 Vor allem der Erwerb von Ressourcen, die für die eigene Tätigkeit überhaupt nicht benötigt werden, kann als unlauter einzuordnen sein, wenn dabei das Ziel verfolgt wird, einem Mitbewerber den Bezug unmöglich zu machen oder zu erschweren.875 In der Praxis finden sich Fälle dieser Art allerdings meist nur bei Kombination mit der Ausübung von Marktmacht oder Marktstärke zum Zwecke der Verdrängung.876
_____
866 Vgl. BGH 14.5.2013 – VI ZR 269/12 – NJW 2013, 2348 Tz. 18 ff.; zudem z.B. Härting K&R 2012, 633, 634. 867 OLG Köln 10.5.2012 – 15 U 199/11 – GRUR-RR 2012, 486, 488; OLG Hamburg 26.5.2011 – 3 U 67/11 – MMR 2011, 685; zudem OLG Nürnberg 22.6.2008 – 3 W 1128/08 – MMR 2009, 131. 868 Vgl. insoweit Seitz ZUM 2012, 994, 995. 869 BGH 14.5.2013 – VI ZR 269/12 – NJW 2013, 2348 Tz. 24 ff. 870 BGH 14.5.2013 – VI ZR 269/12 – NJW 2013, 2348 Tz. 30. 871 Vgl. allgemein auch ausführlich Spindler/Schuster/Mann/Smid, Recht der elektronischen Medien (3. Aufl. 2015), Rn. 82 ff. 872 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.69; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/62. 873 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.69. 874 Vgl. BGH 6.12.1961 – V ZR 186/60 – GRUR 1962, 198 – Franziskaner (dort für grundsätzlich zulässig gehalten); Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.69; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 77; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 127. 875 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.69; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/62. 876 Siehe hierzu unten Rn. 279 ff.
Dornis
464
Gezielte Behinderung
§4
d) Absatzbehinderung aa) Grundsatz. Bei Fällen der sogenannten Absatzbehinderung sind zwei Katego- 241 rien zu unterscheiden. Zunächst ist zu fragen, ob und wie lange Waren und Dienstleistungen auf dem Vertriebsweg der Kontrolle des Produzenten unterliegen, und wie lange eine Einwirkung der Mitbewerber ausgeschlossen ist. Zudem geht es darum, ob und ab wann dem Mitbewerber eine wettbewerbsfreie Zone zuzugestehen ist, in der er Kunden für sich beanspruchen kann, und innerhalb derer ein Mitbewerber diese Kunden nicht mehr abwerben oder abfangen darf. In beiden Kategorien betrifft die Einwirkung auf den ersten Blick die Vertriebsbemühungen und damit den Absatz des beeinträchtigten Mitbewerbers. Bei der Einwirkung auf Waren oder Dienstleistungen liegt der Schwerpunkt der Unlauterkeit allerdings regelmäßig (über die tatsächliche Beeinträchtigung der Substanz von Produkten hinausgehend) in der gleichzeitigen oder sich anschließenden Beeinträchtigung der Kommunikations- und damit der Werbewirkung. Diese Konstellationen sind darum vorrangig als Werbebehinderungen anzusehen und werden als solche an anderer Stelle kommentiert.877 Davon zu unterscheiden ist das Eingreifen in bestehende oder angebahnte Kundenbeziehungen. In diesen Konstellationen geht es um das Ab- und Umleiten konkreter Transaktionen. Dabei liegt der Schwerpunkt der Unlauterkeitsprüfung in der Beurteilung der Auswirkungen auf konkrete Vertriebs- und Absatzbemühungen. Zum Teil nähern sich diese Szenarien den Fallgruppen des unmittelbaren Eingriffs in die Betriebsabläufe an.878 Eine Beeinträchtigung der Werbefunktion von Waren und Dienstleistungen nach dem point of sale ist insoweit zweitrangig. bb) Produktbezogene Behinderung. Für Konstellationen einer sogenannten pro- 242 duktbezogenen Behinderung ist im Grundsatz davon auszugehen, dass Waren und Dienstleistungen, sofern sie einmal in den Markt entlassen wurden, von allen Marktteilnehmern frei benutzt werden dürfen. Die Produkte eines Unternehmers dürfen darum – soweit keine besonderen Unlauterkeitsmerkmale hinzutreten – von den Mitbewerbern gekauft werden.879 Auch ist die Inzahlungnahme gebrauchter Konkurrenzprodukte durch einen Mitbewerber prinzipiell zulässig, ebenso wie die nachträgliche Veränderung dieser Waren durch das Entfernen der Kennzeichen eines Originalhersteller oder das Aufbringen eigener Kennzeichen.880 Die Sachherrschaft des Herstellers endet mit der Eigentumsübertragung, seine gewerblichen Schutzrechte mit der Erschöpfung. Ebenso können die Leistungen eines Mitbewerbers durch den Vertrieb von Blockadevorrichtungen beeinträchtigt werden. Auch insoweit ist aber nur ausnahmsweise von einer gezielten und damit unlauteren Behinderung auszugehen.881 cc) Kundenbezogene Behinderung (Abwerben und Abfangen). Der Wettbewerb 243 um Kunden ist grundsätzlich frei. Deshalb können selbst bereits „gewonnene“ Kunden oder der vorhandene Kundenstamm nicht zum Eigentum eines Unternehmers werden.882 Die Kunden eines Mitbewerbers dürfen folglich grundsätzlich mit Werbung versorgt und auch noch vor dessen Geschäftsräumen angesprochen und abgefangen werden. Sogar ein bereits geschlossener Vertrag isoliert den Unternehmer nicht umfassend vom Wett-
_____ 877 878 879 880 881 882
465
Siehe oben Rn. 212 ff. Siehe oben Rn. 98 ff. Siehe oben Rn. 217 f. Siehe oben Rn. 219 ff. Siehe oben Rn. 222. Siehe oben Rn. 176 ff.
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
bewerbsgeschehen.883 Allerdings haben die Rechtsprechung und das Schrifttum Ausnahmen formuliert: ein Abwerben von Kunden soll etwa dann unzulässig sein, wenn und soweit die Kunden vom Mitbewerber zum Vertragsbruch verleitet werden. Verträge genießen demnach einen beschränkten Außenschutz. Diese Verdichtung vertraglicher und damit lediglich relativ wirkender Bindungen ist allerdings sowohl dogmatisch als auch ökonomisch zweifelhaft.884 244 Eine weitere Fallgruppe unlauterer Einwirkung auf Kunden ist das sogenannte Abfangen von Kunden im Vorfeld des Abwerbens. Hierunter fallen Einwirkungen, die darauf abzielen, potentielle Kunden, die sich bereits einem Vertragsschluss mit dem Mitbewerber annähern, durch ein Dazwischentreten in ihrem Entschluss zu beeinflussen. Die Bemühung um einen erfolgreichen Vertragsschluss soll jedenfalls ab dem Moment unzulässig werden, ab dem der Kunde einen Entschluss zugunsten des Mitbewerbers getroffen hat. Ein solcher Kunde sei „bereits dem Wettbewerber zuzurechnen“.885 Daher sei es unlauter, „wenn sich der Abfangende gewissermaßen zwischen den Mitbewerber und dessen Kunden stellt, um diesem eine Änderung seines Entschlusses, die Waren oder Dienstleistungen des Mitbewerbers in Anspruch zu nehmen, aufzudrängen“.886 In der Sache kann es dabei nicht ausschließlich um die Frage gehen, ob ein unlauteres Mittel im Sinne der §§ 4a, 5, 5a oder § 7 vorliegt.887 Zwar sind die Maßstäbe dieser überwiegend auf den Verbraucherschutz ausgerichteten Tatbestände auch für die Anwendung des § 4 Nr. 4 fruchtbar zu machen.888 Das Verdikt der Unlauterkeit kann überdies aber auch darauf gestützt werden, dass der Mitbewerber daran gehindert wird, sein bereits im Markt platziertes und vom Kunden ausgewähltes Angebot tatsächlich abzusetzen, oder dass der Kunde so abgeschirmt wird, dass die Leistungen des Mitbewerbers nicht mehr zu ihm gelangen können.889 In diesen Konstellationen muss darum nicht immer auch eine verbraucherschutzkonträre Auswirkung im Raum stehen. Dieses Konzept einer quasi „wettbewerbsfreien“ Zone ist aber ökonomisch bedenklich und deshalb vorsichtig zu handhaben. Wird nicht unlauter auf den Entscheidungsprozess des Kunden eingewirkt, kann jedenfalls unter einer marktfunktionalen Perspektive kaum von einem Bestandsschutz für angebahnte Transaktionen ausgegangen werden.890 Dies mag
_____
883 Siehe oben Rn. 185 ff. 884 Siehe oben Rn. 189 ff. 885 BGH 29.3.2007 – I ZR 164/04 – GRUR 2007, 987 Tz. 25 – Änderung der Voreinstellung; BGH 5.2.2009 – I ZR 119/06 – GRUR 2009, 786 Rn. 21 – Änderung der Voreinstellung II; BGH 24.11.2011 – I ZR 154/10 – GRUR 2012, 645 Rn. 17 – Mietwagenwerbung; BGH 22.1.2014 – I ZR 164/12 – GRUR 2014, 393 Tz. 35 – wetteronline.de; BGH 23.6.2016 – I ZR 137/15 – GRUR 2017, 92 Tz. 14 – Fremdcoupon-Einlösung; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.25. 886 Siehe v.a. BGH 8.4.1960 – I ZR 24/59 – GRUR 1960, 431, 433 – Kraftfahrzeugnummernschilder; seither stRspr BGH 30.10.1962 – I ZR 128/61 – GRUR 1963, 197, 201 – Zahnprothesen-Pflegemittel; BGH 27.2.1986 – I ZR 210/83 – GRUR 1986, 547, 548 – Handzettelwerbung; BGH 17.5.2001 – I ZR 216/99 – BGHZ 148, 1 = GRUR 2001, 1061, 1062 – mitwohnzentrale.de; BGH 29.3.2007 – I ZR 164/04 – GRUR 2007, 987 Tz. 25 – Änderung der Voreinstellung; BGH 22.1.2009 – I ZR 30/07 – GRUR 2009, 500 Tz. 23 – Beta Layout; BGH 7.10.2009 – I ZR 150/07 – GRUR 2010, 346 Tz. 15 – Rufumleitung; BGH 24.11.2011 – I ZR 154/10 – GRUR 2012, 645 Tz. 17 – Mietwagenwerbung; aus dem Schrifttum z.B. Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/45; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 97; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 62 ff. 887 Vgl. BGH 29.3.2007 – I ZR 164/04 – GRUR 2007, 987 Tz. 25 – Änderung der Voreinstellung; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.25; a.A. aber wohl z.B. juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 66. 888 Vgl. zutreffend Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 98; zudem oben Rn. 32 ff. 889 So im Fall BGH 25.1.1990 – I ZR 19/87 – BGHZ 110, 156 = GRUR 1990, 522, 527 – HBV-Familien- und Wohnungsrechtsschutz (Verkoppelung der Gewerkschaftszugehörigkeit mit einem Versicherungsangebot, das konkurrierende Versicherungsangebote für Gewerkschaftsmitglieder uninteressant macht). 890 Vgl. zur Kritik auch Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/47. Zudem oben Rn. 178 ff.
Dornis
466
Gezielte Behinderung
§4
allenfalls dann in Betracht kommen, wenn das beanstandete Verhalten nicht nur gelegentlich, sondern massenhaft erfolgt, so dass der Unternehmer geradezu körperlich von seinen Kunden abgeschottet wird. Hier und in den meisten als tatbestandsrelevant angesehenen Fällen dieser Art liegt dann allerdings eine Einordnung als unmittelbare Betriebsstörung nahe. Ein Einbruch in die einem Unternehmer zugewiesene Sphäre in diesem Sinne liegt etwa vor, wenn es dem Handelnden gelingt, sein Produkt in eine fehlgeleitete Bestellung einzuschleusen, und er damit die vom Kunden eigentlich an einen Mitbewerber gerichtete Bestellung selbst ausführt.891 Gleiches gilt, wenn Aufträge der Kunden nicht fehlgeleitet, sondern aktiv abgefangen und selbst ausgeführt werden.892 Im Telekommunikationsbereich geht es etwa um die Möglichkeit, aufgrund eines Rahmenvertrages mit dem Kunden die individuelle Auswahl der Konkurrentenleistung (Pre-Selection-Voreinstellungen) abfangen und selbst ausführen zu können.893 Damit trifft sich diese Fallgruppe mit sonstigen Sachverhalten, in denen der Konkurrent dafür sorgt, dass dem Kunden auf eine Bestellung der Mitbewerberleistung die eigenen Waren untergeschoben werden.894 Dies gilt auch, wenn ein bestelltes Produkt (Original-Arzneimittel) durch ein Computerprogramm gegen ein Generikum ausgetauscht wird.895 Nicht grundsätzlich unter § 4 Nr. 4 fällt allerdings der Fall, in dem ein Versicherungsunternehmen seinen Versicherten Leistungen eines Unternehmens empfiehlt, an dem es beteiligt ist. Die Unlauterkeit kann aber daraus folgen, dass den Kunden der unrichtige Eindruck vermittelt wird, bei Wahl eines anderen Unternehmens sei der Versicherungsschutz gefährdet (§§ 5, 5a).896 Gleiches gilt, wenn der Handelnde Marktstärke besitzt und in der Empfehlung eine auch kartellrechtlich zu missbilligende Behinderung in einem Folgemarkt liegt.897 Unlauter wird das Dazwischentreten des Konkurrenten zwischen Mitbewerber und Kunden schließlich, wenn diese Handlung darauf zielt, Einblick in vertrauliche Kundendaten zu erhalten,898 doch liegt dann in der Regel zugleich auch eine Betriebsstörung durch unlautere Verschaffung von Know-how vor.899 Nicht (mehr) als unlauter angesehen wird es, in der Nähe des Ladengeschäfts eines Mitbewerbers zu werben, insbesondere dort Handzettel über das eigene Angebot zu verteilen900 oder den Kunden auf dem Weg zum Konkurrenten auf öffentlichen Verkehrsflächen anzusprechen oder abzufangen.901 Daher darf z.B. ein Standortvorteil bei Kfz-Schilderunternehmen, die ihr Ladenlokal nicht in unmittelbarer Nähe zur Straßenverkehrsbehörde unterhalten, dadurch ausgeglichen werden, dass der Unternehmer
_____
891 BGH 7.10.1982 – I ZR 93/08 – GRUR 1983, 34, 36 – Bestellschreiben (durch Postnachsendeantrag im Ergebnis fehlgeleitete Bestellung des Kunden); Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/50. 892 BGH 7.10.2009 – I ZR 150/07 – GRUR 2010, 346 Tz. 20 – Rufumleitung; BGH 15.1.1987 – I ZR 215/84 – GRUR 1987, 532, 533 – Zollabfertigung; OLG Köln 30.3.2007 – 6 U 182/06 – WRP 2007, 1008 (Ls.) = GRURRR 2007, 367. 893 BGH 7.10.2009 – I ZR 150/07 – GRUR 2010, 346 Tz. 15 – Rufumleitung; BGH 29.3.2007 – I ZR 164/04 – GRUR 2007, 987 Tz. 25 – Änderung der Voreinstellung; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/50. 894 BGH 16.10.1962 – I ZR 162/60 – GRUR 1963, 218, 222 – Mampe Halb und Halb II m. zust. Anm. Heydt. 895 Vgl. hierzu OLG Hamburg 15.2.2001 – 3 U 126/99 – GRUR 2002, 278, 279 – AKUmed; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/50; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 92. 896 OLG Düsseldorf 17.3.1995 – 20 U 1/95 – WRP 1995, 639, 642. 897 OLG Düsseldorf 17.3.1995 – 20 U 1/95 – WRP 1995, 639, 643; ähnlich BGH 25.1.1990 – I ZR 19/87 – BGHZ 110, 156 = GRUR 1990, 522, 528 – HBV-Familien- und Wohnungsrechtsschutz. 898 BGH 30.10.1962 – I ZR 128/61 – GRUR 1963, 197, 202 – Zahnprothesen-Pflegemittel; BGH 2.10.2008 – I ZR 48/06 – GRUR 2009, 416 Tz. 18, 20 (Vertraulichkeitsvereinbarung erforderlich). 899 Siehe oben Rn. 121 ff. 900 Vgl. BGH 27.2.1986 – I ZR 210/83 – GRUR 1986, 547, 548 – Handzettelwerbung; zudem z.B. Schultz/Störing WRP 2008, 741, 742 f.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.28; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/47; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 82. 901 BGH 12.5.2010 – I ZR 214/07 – GRUR 2011, 166 Tz. 30 – Rote Briefkästen (Aufstellen von Briefkästen in unmittelbarer Nähe der Briefkästen der Deutschen Post AG); vgl. bereits KG 7.2.1984 – 5 W 68/84 – GRUR 1984, 601, 602; OLG Hamm 13.6.1972 – 4 U 56/72 – GRUR 1973, 424; OLG Hamburg 2.6.1954 – 5 U 19/54 – GRUR 1954, 409; GK-UWG/Brandner/Bergmann § 1 Rn. A 250; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.28.
467
Dornis
245
246
247
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
dem Kunden „entgegen kommt“.902 Auch darf die Kundschaft des Konkurrenten gezielt angesprochen werden.903 Dieser Grundsatz endet erst dann, wenn das Eigentum oder der Besitz des Mitbewerbers gestört wird.904 In diesem Fall handelt es sich auch um eine unmittelbare Betriebsstörung; zudem stehen dem beeinträchtigten Mitbewerber möglicherweise sachenrechtliche und deliktische Ansprüche zu. Zulässig ist es allerdings, Gratiswaren im Zusammenhang mit dem Verkauf der Waren des Mitbewerbers zu verteilen.905 Die dafür heute noch in der Rechtsprechung betonte Grenze, dass der Konkurrent generell nicht zwischen den Kunden und den bereits ausgewählten Unternehmer treten dürfe,906 wäre nur dann überschritten, wenn der Kunde sich bereits angeschickt hätte, die Schwelle zum Ladenlokal des Mitbewerbers zu überschreiten.907 Allerdings ist auch insoweit zu beachten, dass es nicht als unlauter eingeordnet werden darf, wenn dem Kunden alternative Informationen zur Verfügung gestellt werden, sei es auch unmittelbar vor dem Betreten der Geschäftsräume eines Mitbewerbers.908
3. Kartellrechtlich geprägte Tatbestände 248
a) Allgemeines und Grundlagen. Einige Konstellationen des behindernden Wettbewerbsverhaltens sind in besonderem Maße durch einen Missbrauch von Marktmacht geprägt und finden sich darum sowohl im Kartell- als auch im Lauterkeitsrecht. Dabei handelt es sich um die Fallgruppen des Boykotts,909 der Diskriminierung,910 des Missbrauchs von Nachfragemacht911 und des Einsatzes von Verdrängungs- und Vernichtungsstrategien.912 Diese Fallgruppen verdanken ihre Existenz dem Umstand, dass es um Verhaltensweisen geht, die unzweifelhaft zur Verdrängung geeignet sind, und die diese Wirkung zudem in der Kombination mit Marktstärke oder -macht sehr viel effektiver entfalten können als in wettbewerbsstrukturell ausgeglichenen Märkten.913 Dabei ist zu beachten: in den meisten Konstellationen des Missbrauchs von Marktmacht fehlt es an einer unmittelbaren Behinderung im Horizontalverhältnis der Beteiligten. Der betroffene Mitbewerber wird nicht direkt in seinen Rechtsgütern und Betriebsabläufen gestört. Die Behinderung entfaltet sich über die Einwirkung auf den Markt. Dabei ist allerdings meist auch kein direkter Eingriff in das Verhältnis des betroffenen Mitbewer-
_____
902 Vgl. z.B. OLG Hamm 13.6.1972 – 4 U 56/72 – GRUR 1973, 424; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.28 f.; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/47; anders noch BGH 8.4.1960 – I ZR 24/59 – GRUR 1960, 431, 432 – Kraftfahrzeugnummernschilder (mit dem Argument der zu erheblichen Belastungen führenden Nachahmungsgefahr). 903 Anders noch OLG Hamburg 2.6.1954 – 5 U 19/54 – GRUR 1954, 409: „auf den Kunden des Wettbewerbers konzentrierte Reklame […] sittenwidrig“; ebenso OLG Hamburg 10.11.1954 – 5 U 36/54 – GRUR 1955, 434. 904 BGH 11.5.2006 – I ZR 250/03 – GRUR 2006, 872 Tz. 16 – Kraftfahrzeuganhänger mit Werbeschildern; OLG Brandenburg 19.12.1995 – 6 U 200/95 – NJW-RR 1996, 1514 (Abstellen eines LKW mit Werbeplakat auf dem Kundenparkplatz des Konkurrenten); ebenso OLG Stuttgart 19.1.1996 – 2 U 164/95 – NJW-RR 1996, 1516 (Grenze: § 826 BGB); OLG Hamm 10.8.1989 – 4 U 138/89 – GRUR 1989, 924, 924 (Parkbucht vor dem Grundstück des Konkurrenten); OLG Düsseldorf 20.9.1983 – 2 U 37/84 – WRP 1985, 217 (zulässige Werbung auf öffentlichem Straßenland in der Nähe des Konkurrenten); OLG Hamm 31.3.1981 – 4 U 240/80 – WRP 1981, 658; OLG Koblenz 8.2.1974 – 2 U 808/73 – WRP 1974, 283, 285; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/48. 905 BGH 30.10.1962 – I ZR 128/61 – GRUR 1963, 197, 200 – Zahnprothesen-Pflegemittel. 906 BGH 29.3.2007 – I ZR 164/04 – GRUR 2007, 987 Tz. 25 – Änderung der Voreinstellung. 907 Vgl. BGH 30.10.1962 – I ZR 128/61 – GRUR 1963, 197, 201 – Zahnprothesen-Pflegemittel (Abfangen des Kunden „vor dem Betreten des Geschäftslokals“). 908 MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 25; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.29; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/47. 909 Siehe unten Rn. 252 ff. 910 Siehe unten Rn. 270 ff. 911 Siehe unten Rn. 279 ff. 912 Siehe unten Rn. 287 ff. 913 Vgl. bereits GK-UWG/Brandner/Bergmann § 1 Rn. A 7.
Dornis
468
Gezielte Behinderung
§4
bers zu seinen Kunden (Abnehmern, Verbrauchern, etc.) gegeben. Die Fallgruppe ist vielmehr grundsätzlich von Konstellationen der Werbe-, Bezugs- und Absatzbehinderung abzugrenzen.914 Eine Ausnahme bildet insoweit allerdings der Boykott, wo unmittelbar auf (mögliche) Transaktionen des betroffenen Mitbewerbers mit der Marktgegenseite eingewirkt wird. Der Schwerpunkt der Unlauterkeit liegt aber auch hier auf dem unlauteren Einsatz einer überlegenen Marktposition.915 Da es in allen Fallgruppen vorrangig um die Kontrolle der Ausübung von Markt- 249 macht und -stärke geht, konkurrieren das Kartell- und das Lauterkeitsrecht miteinander. Konzeptionell hat das Kartellrecht Vorrang, weil es viele Verhaltensweisen nicht per se verbietet, sondern nur, wenn sie mit Marktstärke kombiniert sind.916 Marktmacht und -stärke begründen dabei ein Aufgreifkriterium und einen Anfangsverdacht, dass Verhaltensweisen möglich sind, die bei ausgeglichenem Wettbewerb nicht auftreten könnten. Für das Lauterkeitsrecht kann dies allerdings nur eingeschränkt gelten. Hier begründen allein die Marktmacht oder -stärke keine Vermutung für die Unlauterkeit.917 Zusätzlich müssen besondere Unlauterkeitsmerkmale hinzutreten, so insbesondere der Einsatz von Mitteln, die Behinderungszwecken dienen. Der Gesetzgeber hat zu § 4 Nr. 10 UWG 2004 allerdings klargestellt, dass Vernichtungswettbewerb und Missbrauch der Nachfragemacht auch durch das UWG erfasst bleiben sollen.918 Dies gilt auch für die Neufassung des UWG. Unter ökonomischer Perspektive ist eine lauterkeitsrechtliche Erfassung der ge- 250 nannten Behinderungspraktiken unterhalb der Schwelle der Marktmacht zweifelhaft. Einen erfolgversprechenden Vernichtungswettbewerb kann nur anstreben, wer eine starke Marktposition innehat. Dies gilt auch beim Missbrauch von Nachfragemacht und für Diskriminierungsstrategien. Lediglich in Konstellationen des Boykotts kann auf das Merkmal der Marktmacht zumindest nach der Definition verzichtet werden.919 Allerdings kann in der Praxis auch beim Boykott wohl nur dann von einer tatsächlichen Bedrohung ausgegangen werden, wenn der Boykottierer und/oder der Ausführer ein Mindestmaß an wirtschaftlichem Einfluss haben. Dies wird bestätigt durch die Praxis, in der UWGBoykottfälle kaum auftreten sollen.920 Gleiches soll für Fälle des Verdrängungs- und Vernichtungswettbewerbs sowie den Missbrauch von Nachfragemacht gelten.921 Wenngleich die Doppelung der Fallgruppen im Kartell- und Lauterkeitsrecht 251 zumindest auf den ersten Blick keinen Vorteil bietet, ergibt es Sinn, die Instrumentarien beider Gebiete gleichberechtigt zur Anwendung bereit zu halten. Neben der zum Teil weiteren Fassung der lauterkeitsrechtlichen Tatbestände (vor allem im Bereich des Boykotts)922 ist eine Kombination der Instrumente und Sanktionen des Kartellrechts (mit zivilrechtlicher Klage und kartellbehördlichem Vorgehen) und des Lauterkeitsrechts im Interesse einer möglichst effektiven Regulierung des Markverhaltens wünschenswert.
_____
914 Siehe hierzu oben Rn. 211 ff. 915 Siehe unten Rn. 252 ff. 916 Siehe oben Rn. 61 ff. 917 GK-UWG/Brandner/Bergmann § 1 Rn. A 7. 918 RegE 2003 S. 19 unter Übernahme des Vorschlags von Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig WRP 2002, 1317 Tz. 19; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/86. 919 Siehe z.B. Immenga/Mestmäcker/Markert § 21 GWB Rn. 11. 920 So GK-UWG/Peifer2 § 4 Nr. 10 Rn. 121. Vgl. zudem z.B. OLG Jena 2.11.2005 – 2 U 418/05 – GRUR-RR 2006, 134 – sportwetten.de (zulässiger Abwehrboykott). 921 GK-UWG/Peifer2 § 4 Nr. 10 Rn. 121. 922 Siehe unten Rn. 252 ff.
469
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
b) Boykott 252
aa) Begriffliche Grundlagen. Der Boykott wird definiert als Aufforderung an Dritte, einzelne oder alle geschäftlichen Beziehungen zu einem Unternehmer zu meiden oder abzubrechen.923 Der Boykott setzt ein Dreiecksverhältnis voraus, bestehend aus dem Boykottierer (auch Auffordernder oder Verrufer), der einen anderen zur Bezugsoder Liefersperre auffordert, dem Adressaten (auch Ausführer oder Sperrer), der die Sperre ausführt oder ausführen soll, und dem Boykottierten (auch Verrufenen oder Gesperrten), gegen den sich die Sperre richtet.924
253
Der Begriff des Boykotts geht auf die Vorgehensweise der irischen Landliga gegen einen wegen seiner Härte gegen Arbeiter und Pächter gefürchteten Gutsverwalter (Charles Cunningham Boycott) in den späten 1870er und 1880er Jahren zurück. Die Landliga erlaubte den Arbeitern und Pächtern des Betroffenen die Niederlegung ihrer Tätigkeit und das Verlassen ihres Arbeitsplatzes. Im Anschluss vermieden es auch andere Akteure, so z.B. die Eisenbahn, Geschäfte mit Boycott zu machen.925 Bereits der historische Ausgangsfall mit dem im Ergebnis weitreichenden Ausschluss des Boykottierten vom geschäftlichen (und gesellschaftlichen) Verkehr illustriert das Zerstörungspotential des Boykotts.
bb) Abgrenzung: Verhältnis zu anderen Vorschriften. Nicht als Boykott im Sinne des Tatbestandes einzuordnen sind die Verweigerung oder der Abbruch von Geschäftsbeziehungen bei lediglich zwei Beteiligten. Dies wird teilweise als „Abkehr“ oder „einfacher Boykott“ bezeichnet.926 Diese Form der Ablehnung oder Diskriminierung im Zwei-Personen-Verhältnis unterscheidet sich vom Boykott darin, dass nicht versucht wird, gezielt auf die Entscheidungsfreiheit eines Dritten einzuwirken. Darum handelt auch derjenige, der einen Boykott befolgt, nicht allein deswegen unlauter, weil er mitwirkt. Verantwortlich wird er erst bei kollusivem Zusammenwirken mit dem Boykottierer.927 Ist klar, dass die Beteiligten vollkommen unabhängig voneinander handeln, verbleibt es bei der Einordnung als diskriminierende Abkehr. Die Rechtsprechung lässt allerdings eine stillschweigende Vereinbarung genügen, die bereits in einem bewussten und planmäßigen Zusammenarbeiten zum Ausdruck kommen kann.928 Die im Kartellrecht von § 21 Abs. 1 GWB erfassten Sachverhalte des Boykotts fallen 255 zugleich auch unter § 4 Nr. 4 und umgekehrt. Es besteht Anspruchskonkurrenz.929 Die Tatbestände sind allerdings nicht deckungsgleich: Der Anwendungsbereich des lauterkeitsrechtlichen Boykott-Tatbestands ist zunächst insoweit enger, als im GWB jedes Unternehmen Opfer eines Boykotts sein kann, im UWG hingegen gerade ein konkreter Mit-
254
_____
923 Vgl. nur RG 13.2.1911 – VI 652/09 – RGZ 76, 35; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.116; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/86. 924 Siehe z.B. Immenga/Mestmäcker/Markert § 21 GWB Rn. 1; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.117; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 141; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 376. 925 Immenga/Mestmäcker/Markert § 21 GWB Rn. 1; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.116. Vgl. zum historischen Geschehen z.B. J. Marlow Captain Boycott and the Irish (1973). 926 BGH 12.3.1965 – KZR 8/63 – GRUR 1965, 440, 442 – Milchboykott mit Hinweis auf BGH 17.5.1960 – VI ZR 90/59 – GRUR 1960, 505, 507 – Inseratensperre; Henning/Harte/Omsels § 4 Nr. 10 Rn. 220; so auch die Definition bei Posner S. 238. 927 BGH 25.1.1983 – KZR 12/81 – GRUR 1983, 259, 261 – Familienzeitung (§ 26 Abs. 1 a.F. – § 21 Abs. 1 GWB); Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.116; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 233. 928 BGH 12.3.1965 – KZR 8/63 – GRUR 1965, 440, 442 – Milchboykott; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 377. 929 BGH 28.9.1999 – KZR 18/98 – GRUR 2000, 344, 347 – Beteiligungsverbot für Schilderpräger; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.127; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4.87; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 159; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 26.
Dornis
470
Gezielte Behinderung
§4
bewerber getroffen werden muss.930 Zugleich reicht der lauterkeitsrechtliche Tatbestand aber insoweit weiter als es sich beim Boykottierer und Adressaten nicht um ein Unternehmen oder eine Unternehmensvereinigung handeln muss.931 Zu beachten ist überdies, dass das europäische Kartellrecht kein ausdrückliches Boykottverbot vorsieht. Die Aufforderung zur Einschränkung des Geschäftsverkehrs kann also nur erfasst werden, wenn sie Teil einer Absprache oder eines abgestimmten Verhaltens ist (Art. 101 Abs. 1 AEUV) oder wenn sie durch ein marktmächtiges Unternehmen ausgesprochen wird (Art. 102 AEUV).932 Weder dem Kartell- noch dem Lauterkeitsrecht unterfallen Boykotte zu politi- 256 schen, weltanschaulichen oder religiösen Zwecken. Für eine Anwendung des lauterkeitsrechtlichen Tatbestandes fehlt es an der geschäftlichen Handlung.933 Ein derartiger Boykott, ebenso wie ein Boykottaufruf durch die Presse,934 eine ideelle Vereinigung935 oder Privatpersonen936 kann allerdings von § 823 Abs. 1 BGB937 und in Fällen vorsätzlicher Schädigung auch von § 826 BGB erfasst sein.938 Der Werbevergleich, der mit der Aufforderung verbunden ist, eine Ware oder Leis- 257 tung beim Werbenden und nicht beim Mitbewerber zu beziehen, fällt nicht unter § 4 Nr. 4, sondern unter § 6. Die harmonisierten Vorschriften zur vergleichenden Werbung sind abschließend.939 cc) Tatbestandsmerkmale (1) Boykottaufruf: Aufforderung. Boykott im lauterkeitsrechtlichen Sinne ist die 258 Aufforderung im geschäftlichen Verkehr, die den Adressaten veranlassen soll, eine mit dem Mitbewerber des Boykottierers bestehende Geschäftsverbindung zu lösen oder keine neue Geschäftsverbindung mit ihm einzugehen.940 Erforderlich und ausreichend
_____
930 Vgl. hierzu z.B. Immenga/Mestmäcker/Markert § 21 GWB Rn. 16; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.117; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 146 und Rn. 159; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 228 und Rn. 234; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 385. 931 Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/86; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.127; MünchKommUWG/ Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 159; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 381. 932 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.127. 933 Vgl. nur MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 149; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.118, Ohly/Sosnitza § 4.4. Rn. 4/88. 934 BGH 29.1.1985 – VI ZR 130/83 – GRUR 1985, 470 – Mietboykott; BGH 10.5.1957 – I ZR 234/55 – BGHZ 24, 200 = GRUR 1957, 494 – Spätheimkehrer. 935 OLG Stuttgart 15.9.2005 – 2 U 60/05 – GRUR-RR 2006, 20 (Verkleben von Kühltruhen mit Absperrband durch Umweltschutzorganisation, um auf Umweltschutzanliegen aufmerksam zu machen); OLG München 14.1.1999 – 29 W 3470/98 – NJWE-WettbR 1999, 274 (Aufruf eines Tierschutzbundes, Tierversuche für Kosmetikprodukte nicht durch Kauf zu fördern). 936 OLG Köln 29.3.1965 – 12 U 30/65 – NJW 1965, 2345 (Privater Aufruf zu Anzeigenboykott als Protest „gegen die Tendenz auf dem Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt zur Schund- und Schmutzliteratur“). 937 BGH 29.1.1985 – VI ZR 130/83 – GRUR 1985, 470, 471; BGH 12.3.1965 – KZR 8/63 – GRUR 1965, 440, 442 – Milchboykott; OLG Stuttgart 15.9.2005 – 2 U 60/05 – GRUR-RR 2006, 20, 21; Gloy/Loschelder/ Erdmann/Hasselblatt § 57 Rn. 86; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 237; Beater Rn. 2135; Möllers NJW 1996, 1374; Wagner ZIP 2005, 49, 52. 938 Vgl. BGH 12.3.1965 – KZR 8/63 – GRUR 1965, 440, 442 – Milchboykott; BGH 29.1.1985 – VI ZR 130/83 – GRUR 1985, 470 – Mietboykott; zudem Larenz/Canaris § 81 III 3e, S. 553 f.; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/86; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.128; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 149; Fezer/ Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 27. 939 Vgl. nur Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.126; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4.87. 940 Vgl. BGH 27.4.1999 – KZR 54/97 – GRUR 1999, 1031, 1032 – Sitzender Krankentransport; Ohly/ Sosnitza § 4.4 Rn. 4/89; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.119a; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 238.
471
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
ist, dass eine Aufforderung erfolgt, die zur Beeinflussung geeignet ist.941 Ob der Adressat die Sperre tatsächlich umsetzt sowie die Frage der Ursächlichkeit der Aufforderung für eine Sperre ist unerheblich.942 Zur Bestimmung der notwendigen Form und des notwendigen Inhalts der Aufforde259 rung bezieht sich die allgemeine Ansicht immer noch auf die bereits unter § 1 GWG a.F. formulierte Wendung, dass unter den Begriff alle Handlungsweisen fallen, die als Versuch anzusehen sind, auf die freie Willensentscheidung der Adressaten, mit Dritten Lieferbeziehungen aufzunehmen oder aufrechtzuerhalten, Einfluss zu nehmen, soweit diese auf eine Aufhebung oder Verhinderung abzielen, und hierzu auch geeignet sind.943 Für die Bestimmung des Inhalts einer Aufforderung kommt es darauf an, wie der Adressat die Äußerung nach den Gesamtumständen und der Interessenlage verstehen muss. Entscheidend ist eine objektive Auslegung des Aussageinhalts (§§ 133, 157 BGB analog).944 Demnach ist nicht als Aufforderung anzusehen die Äußerung einer Meinung, auch 260 wenn diese kritisch oder herabsetzend ist, z.B. im Rahmen einer Beratung.945 Ebenfalls nicht als Aufforderung anzusehen ist die bloße Anregung zum Nachdenken.946 Auch ein Unternehmer oder ein Unternehmerverband darf Meinungen äußern.947 Gleiches gilt für die Information über alternative Bezugsquellen an Händler, die ihre Waren bisher bei einem bestimmten Hersteller beziehen, auch wenn dabei ergänzend darauf hingewiesen wird, dass „immer mehr Händler … von sich aus das Handtuch [werfen] und … sich nach neuen Fabrikaten um[sehen]“.948 Die Schwelle zur Aufforderung ist überschritten beim Vorschlag konkreter Maß261 nahmen, der entweder eine Lösung oder Verweigerung von Geschäftsbeziehungen mit einem Mitbewerber zur Folge hat („Beliefern Sie nicht mehr“), jedenfalls aber geeignet ist, auf die Willensentscheidung des Ausführenden einzuwirken.949 Aufgefordert werden kann darum auch dann, wenn lediglich „gebeten“ wird, ein bestimmtes, konkret vorgeschlagenes Verhalten zu überdenken oder zu korrigieren,950 wenn Fachhändlern na-
_____
941 BGH 13.11.1979 – KZR 1/79 – GRUR 1980, 242, 244 – Denkzettel-Aktion; BGH 28.9.1999 – KZR 18/98 – GRUR 2000, 344, 345 – Beteiligungsverbot für Schilderpräger; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.119d; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 152; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 30. 942 BGH 13.11.1979 – KZR 1/79 – GRUR 1980, 242, 244 – Denkzettel-Aktion; Immenga/Mestmäcker/ Markert § 21 GWB Rn. 24; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.119d. 943 BGH 7.12.1962 – I ZR 71/61 – WuW/E BGH 575, 578 Möbelhersteller-Genossenschaft und auch BGH 22.1.1985 – KZR 4/84 – GRUR 1985, 468, 469 – Ideal Standard; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 153; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/89; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 29; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 244; Beater Rn. 2141. 944 Vgl. etwa OLG Stuttgart 21.1.2010 – 2 U 8/09 – BeckRS 2011, 3888; zudem z.B. Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.119c; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 240. 945 Vgl. OLG Jena 8.4.2009 – 2 U 901/08 – GRUR-RR 2010, 211, 212 f.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.119c. 946 BGH 27.4.1999 – KZR 54/97 – GRUR 1999, 1031, 1033 – Sitzender Krankentransport; Immenga/ Mestmäcker/Markert § 21 GWB Rn. 30; von Gamm GRUR 1989, 377, 379. 947 Immenga/Mestmäcker/Markert § 21 GWB Rn. 29: legitime Verbands- und Pressetätigkeit; abweichend BGH 22.1.1985 – KZR 4/84 – GRUR 1985, 468, 469 – Ideal Standard. 948 Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/89; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.119e; MünchKommUWG/ Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 153; a.A. aber noch BGH 24.11.1983 – I ZR 192/81 – GRUR 1984, 214 – Copy-Charge (von dort auch das Zitat). 949 So im GWB BGH 13.11.1979 – KZR 1/79 – GRUR 1980, 242, 244 – Denkzettel-Aktion; BGH 27.4.1999 – KZR 54/97 – GRUR 1999, 1031, 1033 – Sitzender Krankentransport. 950 Immenga/Mestmäcker/Markert § 21 GWB Rn. 31; BGH 27.4.1999 – KZR 54/97 – GRUR 1999, 1031, 1032 – Sitzender Krankentransport („Bitte“ an Ärzte, Krankentransporte nur an bestimmte Taxiunternehmen zu vergeben).
Dornis
472
Gezielte Behinderung
§4
hegelegt wird, bestimmte Hersteller zu „entlisten“,951 oder wenn konkrete Vorschläge dazu unterbreitet werden, wie man Serviceangebote gegenüber den von einem „KaffeeRöster“ vertriebenen Uhren verweigern kann.952 Die Ausübung von Druck ist nicht erforderlich. Die reine Willensbeeinflussung oder 262 der Versuch dazu genügen.953 Das setzt allerdings voraus, dass der Adressat die Freiheit zur Entscheidung auch im Verhältnis zum Boykottierenden besitzt. Muss der Ausübende aufgrund gesetzlicher Bestimmungen so handeln, wie vom Boykottierer verlangt, fehlt es an einer Aufforderung im Sinne des Tatbestandes.954 Erfüllt der Ausübende nur Konzernweisungen oder vertragliche Pflichten, kann ebenfalls kein Boykott vorliegen.955 Schließlich muss die Aufforderung nicht erfolgreich sein; der Versuch zur Beeinflussung des Ausführenden genügt.956 (2) Person des Boykottierten und des Adressaten. Im Rahmen des Tatbestandes 263 des § 4 Nr. 4 muss die Person des Boykottierten benannt werden, jedenfalls aber erkennbar und bestimmbar sein.957 Es genügt nicht, lediglich die eigenen Leistungen hervorzuheben.958 Andernfalls wäre jede Werbung versteckte Boykottaufforderung. Die Aufforderung muss so individualisiert sein, dass für einen objektiven Beobachter erkennbar ist, gegen wen sie sich richtet. Vor diesem Hintergrund problematisch ist die Beurteilung der Aufforderung eines Verbandes, nur bestimmte Waren (z.B. deutscher Herkunft oder von ortsansässigen Bauern oder Produzenten) zu erwerben.959 An der Bestimmbarkeit fehlt es wohl jedenfalls dann, wenn die Aufforderung alle Unternehmenszweige betrifft, also nicht auf Mitbewerber beschränkt ist.960 Auch die Person des Adressaten muss bestimmt oder bestimmbar sein. Dies ist bei klarer Zielrichtung der Aufforderung meist unproblematisch. Allerdings muss derjenige, der den Boykott ausführt, im Zeitpunkt der Aufforderung noch nicht feststehen.961
_____
951 BGH 13.11.1979 – KZR 1/79 – GRUR 1980, 242, 243 – Denkzettel-Aktion. 952 BGH 2.2.1984 – I ZR 4/82 – GRUR 1984, 461, 462 – Kundenboykott; ähnlich OLG Frankfurt 3.8.2004 – 11 U Kart17/04 – GRUR-RR 2005, 197, 198 (Empfehlung, dass Kfz-Reparaturen nur durch Vertragswerkstätten erfolgen sollen, als Boykottaufforderung zu Lasten eines gekündigten Vertragshändlers). 953 BGH 22.1.1985 – KZR 4/84 – GRUR 1985, 468, 469 – Ideal Standard; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 244 f. 954 Vgl. z.B. KG 2.2.1976 – Kart 32/74 – WuW/E OLG 1687, 1699 – Laboruntersuchungen; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.119b; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 153; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 29; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 244. 955 BGH 26.10.1972 – KZR 54/71 – GRUR 1973, 277 – Ersatzteile für Registrierkassen; BGH 18.11.1955 – I ZR 176/53 – BGHZ 19, 72 = GRUR 1956, 118, 121; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/89; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.119b; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 29. 956 Vgl. nur BGH 13.11.1979 – KZR 1/79 – GRUR 1980, 242, 244 – Denkzettel-Aktion; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 153; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.119a. 957 Vgl. nur BGH 13.11.1979 – KZR 1/79 – GRUR 1980, 242, 244 – Denkzettel-Aktion; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.120; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/89; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 152; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 232. 958 BGH 22.7.1999 – KZR 13/97 – GRUR 2000, 340 – Kartenlesegerät (Ls.). 959 Vgl. EuGH 24.11.1982 – 249/81 – Slg. 1982, 4005 = NJW 1983, 2755 – Kommission/Irland; EuGH 5.11.2002 – C-325/00 – Slg. 2002, I-9977 = GRUR Int. 2002, 1021 – Kommission/Deutschland; anders in Deutschland BGH 9.2.1995 – I ZR 44/93 – GRUR 1995, 742 – Arbeitsplätze bei uns; OLG Rostock 19.7.1995 – 2 U 98/94 – WRP 1995, 970, 971; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.120. 960 Vgl. OLG München 14.12.1989 – U Kart 5926/89 – WuW/E OLG 4622, 4623 (Aufforderung „am Ort“ zu kaufen, lasse den Boykottierten nicht ausreichend erkennbar werden). 961 BGH 2.2.1984 – I ZR 4/82 – GRUR 1984, 461, 462 – Kundenboykott; OLG Frankfurt 3.8.2004 – 11 U Kart 17/04 – GRUR-RR 2005, 197, 198.
473
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
264
(3) Ziel: Sperre des Boykottierten. Im Kartellrecht ist Ziel des Boykotts eine Lieferoder Bezugssperre des Boykottierten.962 Diese beiden Varianten der Störung fallen auch im UWG unter den Behinderungstatbestand. Sie sind nicht nur gegeben, wenn aufgefordert wird, den Betroffenen dauernd und vollständig auszuschließen. Auch die bloße Beschränkung einer Bestellung, ohne diese ganz auszusetzen,963 die Verschärfung der Liefer- oder Bezugsbedingungen zu Lasten des Boykottierten,964 die zeitweise Aussetzung der Belieferung965 und die mengenmäßige Beschränkung von Bestellungen966 können Boykottgegenstand sein.967
265
(4) Unlauterkeit: fehlende Rechtfertigung. Der Boykott ist als grundsätzlich unlauter anzusehen.968 Allerdings kann ein Boykott ausnahmsweise gerechtfertigt sein. Dabei ist umstritten, ob die Unlauterkeit erst nach einer umfassenden Interessenabwägung festgestellt werden kann,969 oder ob eine Regelvermutung für die Unlauterkeit spricht, so dass eine Rechtfertigung jeweils nur ausnahmsweise in Betracht kommt.970 Für die Notwendigkeit einer Interessenabwägung spricht zwar zunächst, dass die Parallelregelung im Kartellrecht einen Boykott erst als wettbewerbswidrig ansieht, wenn der Aufruf „unbillig“ ist.971 Andererseits ist der Boykott auch im Kartellrecht als grundsätzlich wettbewerbsfremd anzusehen. Eine Rechtfertigung ist darum insoweit nur ausnahmsweise oder unter besonderen Umständen möglich.972 Richtigerweise ist der Boykott darum als per se unbillig und unlauter anzusehen. Die Unlauterkeit entfällt nur, wenn besondere Umstände gegeben sind, die das Handeln im Einzelfall als gerechtfertigt erscheinen lassen. Die Vortrags- und Beweislast für diese Umstände liegt beim Boykottierer.973
_____
962 Vgl. nur BGH 22.7.1999 – KZR 13/97 – GRUR 2000, 340, 342 – Kartenlesegerät; BGH 1.3.1984 – 4 U 241/83 – GRUR 1984, 669, 672 – Innungskrankenkassen; Immenga/Mestmäcker/Markert § 21 GWB Rn. 20; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/89; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 154. 963 KG 2.12.1977 – Kart 14/76 – WuW/E OLG 1965 (Sperre hinsichtlich bestimmter Warengruppen); Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/89; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.121. 964 Z.B. BGH 9.7.2002 – KZR 30/00 – GRUR 2003, 77, 79 – Fernwärme für Börnsen. 965 OLG Düsseldorf 17.3.1969 – W Kart 4/68 – GRUR 1970, 148 – Vorspielklauseln (Vorführung bestimmter Filme vor konkurrierenden Filmtheatern). 966 OLG Frankfurt 23.9.1997 – 11 U Kart 18/97 – WRP 1998, 98, 99; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.121. 967 Zu weiteren sogenannten boykottähnlichen Maßnahmen siehe juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 378 mit weiteren Nachweisen. 968 Vgl. z.B. BGH 1.3.1984 – 4 U 241/83 – GRUR 1984, 669, 672 – Innungskrankenkassen; OLG Frankfurt 3.8.2004 – 11 U Kart 17/04 – GRUR-RR 2005, 197, 198; Kohler S. 274; Beater Rn. 2137. 969 So insbesondere MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 156; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 246. 970 Siehe z.B. BGH 13.11.1979 – KZR 1/79 – GRUR 1980, 242, 244 – Denkzettel-Aktion; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.122; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/86; Lehmler § 4 Rn. 180; Götting/Nordemann/Wirtz § 4 Nr. 4 Rn. 4.40; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 33; juris-PK/MüllerBidinger § 4 Nr. 4 Rn. 402. 971 MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 156; zu § 21 GWB insoweit allg. A.: BGH 28.9.1999 – KZR 18/98 – GRUR 2000, 344, 346 – Beteiligungsverbot für Schilderpräger; BGH 27.4.1999 – KZR 54/97 – GRUR 1999, 1031, 1033; BGH 2.7.1996 – KZR 20/91 – GRUR 1996, 920, 923 – Fremdleasingboykott II; MünchKommGWB/Neef § 21 Rn. 32; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff § 21 GWB Rn. 18; Immenga/Mestmäcker/Markert § 21 GWB Rn. 37; FK-GWB/Rixen § 20 Rn. 62; Langen/Bunte/Schultz § 21 GWB Rn. 35 f. 972 Loewenheim/Meessen/Riesenkampff § 21 GWB Rn. 18; Immenga/Mestmäcker/Markert § 21 GWB Rn. 37. 973 OLG Stuttgart 28.9.2001 – 2 U 220/00 – GRUR-RR 2003, 21, 22; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 402.
Dornis
474
Gezielte Behinderung
§4
Die Rechtfertigung eines Boykotts setzt zunächst grundsätzlich voraus, dass das 266 Verhalten, zu dem aufgefordert wird, rechtmäßig ist. Nicht gerechtfertigt werden kann die Aufforderung zu gesetzwidrigem Verhalten, z.B. Verstöße gegen gesetzliche Preisbindungen oder gegen Vertriebsverbote.974 Zudem darf nicht zu Praktiken aufgefordert werden, die bereits als solche wettbewerbswidrig sind, etwa zum Abschluss von Kartellvereinbarungen. Wird zu einem zulässigen Verhalten aufgefordert, muss die Maßnahme überdies verhältnismäßig sein. Dies wird im Rahmen einer Abwägung der beteiligten Interessen festgestellt. Mit Blick auf die wettbewerbsschädlichen Auswirkungen des Boykotts ist zudem gefordert, dass auf Seiten des Boykottierers besonders schutzwürdige Interessen berührt sind.975 Eine Rechtfertigungslage besteht vor diesem Hintergrund etwa in Fällen eines sogenannten Abwehrboykotts, d.h. in Situationen, in denen der Boykottierer seinerseits Opfer eines wettbewerbswidrigen Angriffs wurde, jedenfalls soweit keine Interessen dritter Parteien berührt werden.976 Ebenso kann ein Boykott zur Warnung der Verbraucher vor dem Erwerb gesundheitsgefährdender Produkte gerechtfertigt sein.977 Allgemein ist zudem zu beachten: Sofern mildere Mittel zur Verfügung stehen, etwa die Anzeige des Verhaltens bei einer Behörde, die Verfolgung im Wege der Abmahnung, einstweiligen Verfügung oder Unterlassungsklage, müssen diese Mittel gewählt und ausgeschöpft werden. Niemals darf der Boykott über das hinausgehen, was zur Abwehr des Angriffs erforderlich ist. Er bleibt stets dem Gebot der Verhältnismäßigkeit unterworfen und damit ultima ratio.978 Tritt der Boykottierer zu Zwecken der Meinungsäußerung als Presse, Rundfunk 267 oder sonstiger institutioneller oder privater Multiplikator auf, fehlt es bereits an einer geschäftlichen Handlung. In Betracht kommen dann nur deliktische Ansprüche.979 Anderes gilt, wenn die Meinung von einem Mitbewerber zu kommerziellen Zwecken geäußert wird.980 Erfolgt die Boykottaufforderung durch Presseorgane, die kommerzielle Interessen, etwa die Interessen von Einzel- oder Fachhändlern oder Markenartikelproduzenten vertreten (z.B. Brancheninformationsdienste),981 liegt ebenfalls ein Handeln zu kommerziellen Zwecken vor. Schwierig zu beurteilen ist allerdings häufig, ob eine gezielte Behinderung von Mitbewerbern vorliegt. Davon wird man meist nur dann ausgehen können, wenn sich ein Konkurrent des Presseorgans bedient.982 Bei der Interessenabwägung stehen sich der Boykott als geschützte Meinungs- 268 äußerung und die wirtschaftliche Entfaltungsfreiheit des betroffenen Unterneh-
_____
974 Vgl. Immenga/Mestmäcker/Markert § 21 GWB Rn. 43. 975 BGH 2.2.1984 – I ZR 4/82 – GRUR 1984, 461, 463 – Kundenboykott; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.122; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 247. 976 BGH 21.11.1958 – I ZR 115/57 – GRUR 1959, 244, 247 – Versandbuchhandlung; OLG Jena 2.11.2005 – 2 U 418/05 – GRUR-RR 2006, 134; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 158; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.124; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/90; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 241. 977 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.122. 978 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.122; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 158; Fezer/ Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 33. 979 Siehe oben Rn. 69 ff. 980 OLG München 23.5.1996 – 29 U 5936/95 – NJW-RR 1997, 105; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.122. 981 So insbesondere die markt-intern-Fälle, vgl. BVerfG 15.11.1982 – 1 BvR 108, 437 und 438/80 – BVerfGE 62, 230 = GRUR 1984, 357 – markt-intern; BGH 2.2.1984 – I ZR 4/82 – GRUR 1984, 461, 462 – Kundenboykott; BGH 13.11.1979 – KZR 1/79 – GRUR 1980, 242, 243 – Denkzettel-Aktion; vgl. auch EGMR 20.11.1989 – Nr. 10572/83 – Serie A Nr. 165 Tz. 36 – markt intern Verlag/Deutschland. 982 MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 152; ebenso EGMR 20.11.1989 – Nr. 10572/83 – Serie A Nr. 165 Tz. 36 – markt intern Verlag/Deutschland.
475
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
mens gegenüber. Das BVerfG hat die Zulässigkeit eines Boykottaufrufs an drei Voraussetzungen geknüpft: (1) Die Äußerung darf „ihren Grund nicht in eigenen Interessen wirtschaftlicher Art, sondern [muss ihn] in der Sorge um politische, wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Belange der Allgemeinheit [haben]“.983 (2) Sie darf „das Maß der nach den Umständen notwendigen und angemessenen Beeinträchtigung des Angegriffenen oder des Betroffenen nicht überschreiten“ und (3) „der Verrufer [muss] sich gegenüber dem Adressaten auf den Versuch geistiger Einflussnahme und Überzeugung, also auf Mittel beschränk[en], die den geistigen Kampf der Meinungen gewährleisten.“ „Dagegen ist die Ausübung wirtschaftlichen Drucks, der für die Adressaten eines Boykottaufrufs schwere Nachteile bewirkt und ihnen demgemäß die Möglichkeit nimmt, ihre Entscheidung in voller innerer Freiheit zu treffen, nicht durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützt.“984 269
(5) Subjektiver Tatbestand? Der kartellrechtliche Boykott-Tatbestand erfordert die Absicht, bestimmte Unternehmen unbillig zu beeinträchtigen.985 Im Unterschied dazu kommt es für lauterkeitsrechtliche Tatbestände der Behinderung grundsätzlich nicht auf subjektive Kriterien an.986 Der Gleichlauf der Vorschriften kann hierdurch kaum in Gefahr geraten. Im Kartellrecht genügt nämlich, dass es sich bei der Beeinträchtigung um einen von mehreren verfolgten Zwecken handelt, und dass dieser gegenüber den sonstigen Zielen nicht völlig zurücktritt.987 Zudem wird in der Kartellrechtspraxis regelmäßig von den objektiven Zwecken eines Verhaltens auf die Behinderungsabsicht geschlossen.988 c) Diskriminierung
270
aa) Begriff. Unter Diskriminierung im lauterkeitsrechtlichen Sinne ist die ungleiche Behandlung im geschäftlichen Verkehr ohne sachlich gerechtfertigten Grund zu verstehen.989 Meist wird sich eine Diskriminierung im Austauschverhältnis abspielen, also in Verträgen mit Lieferanten oder Abnehmern. Sie kann bereits in der Werbung angekündigt werden, z.B. bei Inaussichtstellen eines dem Lebensalter entsprechenden Rabatts beim Verkauf von Brillengläsern oder bei der Ankündigung einer „Ladies’ Night“ mit freiem Eintritt für Frauen. Vom Boykott im Dreiecksverhältnis unterscheidet sich die Diskriminierung dadurch, dass nur zwei Beteiligte mitwirken.990 Eine Diskriminierung kann jedoch Teil einer Boykottstrategie sein, wenn der Diskriminierende vom Boykottierer dazu aufgefordert wird.991
_____
983 BVerfG 15.11.1982 – 1 BvR 108, 437 und 438/80 – GRUR 1984, 357, 359. 984 BVerfG 15.11.1982 – 1 BvR 108, 437 und 438/80 – GRUR 1984, 357, 359, 360. Siehe hierzu auch EGMR 20.11.1989 – Nr. 10572/83 – Serie A Nr. 165 Tz. 37 – markt intern Verlag/Deutschland. 985 BGH 27.4.1999 – KZR 54/97 – GRUR 1999, 1031, 1033 – Sitzender Krankentransport; BGH 2.7.1996 – KZR 20/91 – GRUR 1996, 920, 923 – Fremdleasingboykott II; OLG Düsseldorf 9.9.2009 – VI Kart 13/08 – LRE 59, 259 = GRUR-RR 2010, 116 (Ls.) (Boykottaufruf durch Bundesverband Deutscher Milchviehhalter e.V.); OLG Düsseldorf 16.11.2004 – VI Kart 24–27/03 – WuW/E DE-R 1381 – DSD (Boykottaufruf durch marktbeherrschendes Unternehmen); Immenga/Mestmäcker/Markert § 21 GWB Rn. 33. 986 Vgl. für den Boykott z.B. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.122. Allgemein siehe zudem oben Rn. 81 f. 987 Siehe z.B. Immenga/Mestmäcker/Markert § 21 GWB Rn. 34. 988 BGH 27.4.1999 – KZR 54/97 – GRUR 1999, 1031, 1033 – Sitzender Krankentransport. 989 Vgl. nur GK-UWG/Peifer2 § 4 Nr. 10 Rn. 147 mit weiteren Nachweisen. 990 Fikentscher BB 1958, 201, 202; siehe zudem oben Rn. 252 ff. 991 Siehe oben Rn. 258 ff.
Dornis
476
Gezielte Behinderung
§4
Als Mittel der Diskriminierung kommen die Gestaltung von Preisen und sonstigen 271 Konditionen in Betracht, darunter vor allem die Koppelung von Leistungen und die Ablehnung oder der Abbruch von Geschäftsbeziehungen (Liefer- oder Bezugssperre). Die Diskriminierung ist auch ein Mittel zur Durchsetzung von Ausschließlichkeitsvereinbarungen,992 insbesondere in selektiven Vertriebsbindungssystemen.993 bb) Diskriminierung als Behinderung. Soweit eine Diskriminierung als Ungleich- 272 behandlung lediglich das Austauschverhältnis der Beteiligten betrifft, wirkt sie unmittelbar nur im Vertikalverhältnis. Es sind allerdings Konstellationen denkbar, in denen einem Mitbewerber der Zugang zu Leistungen eines Konkurrenten verwehrt wird, so etwa wenn ein Presseunternehmen die Annahme von Anzeigen der Mitbewerber verweigert.994 Die gleiche Wirkung hat es, wenn ein Verband oder eine Unternehmensvereinigung die Aufnahme bestimmter Mitbewerber (z.B. eine Taxigenossenschaft die Aufnahme ausländischer Taxifahrer)995 verweigert. Horizontale Wirkung hat eine Diskriminierung zudem dann, wenn sie dazu dient, den Marktzutritt des Diskriminierers vorzubereiten oder abzusichern,996 z.B. wenn ein Werbezeitenvermarkter, der in der Vergangenheit eine Agentur mit der Platzierung beauftragt hat, das Geschäft selbst übernimmt.997 Diskriminierungen im Vertikalverhältnis können schließlich auch ein Instrument zur strategischen Erschließung von Verhaltensräumen im Horizontalverhältnis sein.998 Insbesondere kann die Diskriminierung auf einem bestimmten Markt zur Quersubventionierung des Verhaltens auf Nachbarmärkten führen.999 cc) Abgrenzungen. Der Tatbestand der Diskriminierung entstammt dem Kartell- 273 recht. Marktbeherrschenden Unternehmen sind diskriminierende Praktiken nach den §§ 19 Abs. 2, 20 Abs. 1 GWB und Art. 102 Abs. 1 Satz 2 lit. c AEUV verboten. Auch marktstarke Unternehmen unterliegen Beschränkungen (§ 20 Abs. 1, Abs. 3 GWB). Selbst die passive Diskriminierung ist erfasst (§ 20 Abs. 2 GWB).1000 Die nicht sachlich gerechtfertigte Verweigerung der Aufnahme in eine wirtschaftliche Vereinigung, auf die ein Mitbewerber angewiesen ist, ist missbräuchlich nach § 20 Abs. 5 GWB. Das europäische Kartellrecht enthält zwar kein ausformuliertes Diskriminierungsverbot, behandelt die Diskriminierung aber als Sonderfall des Missbrauchs (Art. 102 Abs. 1 AEUV).1001 Da das Verbot nur marktbeherrschende Unternehmen trifft, ist Diskriminierung im Übrigen nicht verboten. Eine gewisse Rolle spielt sie bei der Preisdiskriminierung für marktbeherrschende Unternehmen auf verschiedenen Märkten.1002
_____
992 Z.B. OLG Jena 30.9.2009 – 2 U 188/09 – GRUR-RR 2010, 113, 115 (Vereinbarung mit Anzeigenkunden, dass diese gegen die Gewährung von Rabatten nicht bei Mitbewerbern annoncieren). 993 Paul S. 269. 994 KG 25.8.1982 – U Kart 2756/82 – NJW 1984, 1123 (Diskriminierung verneint). 995 OLG Düsseldorf 28.5.1999 – 14 U 238/98 – ZIP 1999, 1357. 996 Paul S. 270. 997 EuGH 3.10.1985 – 311/84 – Slg. 1985, 261 Tz. 27 – CBEM/CLT und IPB (Missbrauchsvermutung). 998 Motta S. 411; Kleinmann EWS 2002, 466. 999 Fikentscher BB 1958, 201, 202; Motta S. 413. 1000 BGH 24.9.2002 – KVR 8/01 – GRUR 2003, 80 – Konditionenanpassung. 1001 EuGH 14.2.1978 – 27/76 – Slg. 1978, 207 Tz. 227 – United Brands; EuGH 16.12.1975 – 40 bis 48, 50, 54 bis 56, 111, 113 und 114/73 – Slg. 1975, 1663 Tz. 525 – Suiker Unie; vgl. auch Immenga/Mestmäcker/Markert § 20 GWB Rn. 114. 1002 EuGH 14.2.1978 – 27/76 – Slg. 1978, 207 Tz. 248/257 – United Brands/Kommission; EuG 7.10.1999 – T-228/97 – Slg. 1999, II-2969 Tz. 188 – Irish Sugar/Kommission; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Jung Art. 102 Rn. 305; Mestmäcker/Schweitzer § 18 Rn. 9 f.; kritisch Geradin/Petit 2 J. Competition L. & Econ. 479 (2006); Paul S. 195.
477
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
274
Die Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit (Nichtbelieferung von oder Konditionendiskriminierung gegenüber Angehörigen bestimmter Mitgliedstaaten) verstößt unmittelbar gegen Art. 18 AEUV und läuft dem Binnenmarktziel zuwider.1003 Im bürgerlichen Recht hat die Diskriminierung mit Inkrafttreten des Antidiskrimi275 nierungsgesetzes (AGG)1004 Aufmerksamkeit erfahren. Die Verletzung der Benachteiligungsverbote nach § 19 Abs. 1 AGG soll als Verletzung einer Marktverhaltensnorm in Betracht kommen und unter § 3a fallen.1005 Die sachlich nicht gerechtfertigte Verweigerung der Aufnahme in Vereinigungen mit überragend wichtiger Stellung im wirtschaftlich-sozialen Bereich kann zudem nach § 826 BGB zu sanktionieren sein, wenn der Bewerber zur Verfolgung oder Wahrung wesentlicher Interessen auf die Mitgliedschaft angewiesen ist, oder er ein wesentliches und grundlegendes Interesse an dem Erwerb der Mitgliedschaft hat.1006 Das betrifft insbesondere die Aufnahme in Gewerkschaften oder Sportverbände.1007 Die Pflicht zur sachlichen Rechtfertigung der Verweigerung von Geschäftsabschlüs276 sen kann sich schließlich aus gesetzlichen Kontrahierungspflichten (z.B. § 12 UrhWahrnG) ergeben. Allerdings ist die Verweigerung des Abschlusses von Gesamtverträgen durch eine Verwertungsgesellschaft dann nicht sachwidrig, wenn die Lizenz keine nennenswerten Vorteile bietet, weil die Lizenznehmerin die Nutzungsrechte nicht für eigene Zwecke benötigt, sondern sie nur an ihre wenigen Mitglieder weitergeben möchte. Die Mitglieder können sich in einem solchen Fall unmittelbar an die Verwertungsgesellschaft richten.1008 277
dd) Unlauterkeit. Ein allgemeines Diskriminierungsverbot existiert nicht.1009 Es gilt vielmehr im Gegenteil, dass eine grundlose Ungleichbehandlung von Zulieferern und Abnehmern sowie anderer Marktteilnehmer grundsätzlich zulässig ist. Eine Differenzierung unter Lieferanten und Abnehmern gehört zum üblichen Instrumentarium des Wettbewerbs.1010 Insoweit ist vor allem zu beachten, dass die Diskriminierung als Ausdruck des Prinzips der Vertragsfreiheit angesehen werden muss: jeder Marktteilnehmer ist im Verhältnis zu anderen frei, die Bedingungen der von ihm angestoßenen und durchgeführten Markttransaktionen zu setzen und durchzusetzen.1011 Jede Form eines Diskriminierungsverbots und damit eines Kontrahierungszwangs ist als Eingriff in diese Freiheit anzusehen. Birgt dies doch unmittelbar die Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen und einer damit einhergehenden Fehlallokation von Ressourcen.1012 Ein regulatives Einschreiten gegen Ungleichbehandlungen im Wettbewerb ist darum allenfalls dann
_____
1003 EuG 21.10.1997 – T-229/94 – Slg. 1997, II-1689 Tz. 93 – Deutsche Bahn. 1004 Vgl. Gesetz zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Durchsetzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung vom 14.8.2006, BGBl. I 1897. 1005 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3a Rn. 1.294; vgl. zudem Köhler WRP 2009, 898, 906. 1006 BGH 14.11.1968 – KZR 3/67 – GRUR 1969, 242 – Landessportbund m. Anm. Heydt; BGH 10.12.1985 – KZR 2/85 – GRUR 1986, 332 – Aikido-Verband; BGH 23.11.1998 – II ZR 54/98 – NJW 1999, 1326. 1007 BGH 10.12.1984 – II ZR 91/84 – GRUR 1985, 569, 570 – Gewerkschaftsbeitritt. 1008 BGH 14.10.2010 – I ZR 11/08 – GRUR 2011, 61 Tz. 19 mit Tz. 45 – Musikabrufdienst. 1009 Vgl. nur BGH 18.4.1958 – I ZR 158/56 – GRUR 1958, 487, 489 – Antibiotica (für die Preissetzung); GK-UWG/Brandner/Bergmann § 1 Rn. A. 32; Bechtold GWB § 20 Rn. 3. 1010 Rittner/Kulka § 10 Rn. 33. 1011 GK-UWG/Brandner/Bergmann § 1 Rn. A. 32; Rittner/Kulka § 10 Rn. 33. 1012 Vgl. zu diesem Zusammenhang z.B. Dornis RLR 2015, 73, 82 f. („Freedom of contract is the foundation of a free economy. … free and unmanipulated contracting guarantees the optimal allocation of resources. Contractual agreements among individuals represent the quantum part of a market economy. Any surrogate to free transactions will only approximate the ideal result.“).
Dornis
478
Gezielte Behinderung
§4
gerechtfertigt, wenn der Handelnde eine besondere Marktposition innehat, die wiederum die Gefahr eines durch privates Handeln verzerrten Wettbewerbs in sich trägt. Lauterkeitsrechtlich hat die Fallgruppe der Diskriminierung außerhalb des Kartell- 278 rechts kaum Relevanz. Sie ist als Unterfall derjenigen Konstellationen anzusehen, die in deliktsrechtlicher Tradition durch das rechtsethisch fundierte Schädigungs- und Schikaneverbot erfasst werden.1013 In der Gerichtspraxis kann Diskriminierung darum auch nur bei Nachweis einer Schädigungsabsicht sanktioniert werden. Diese ist zu vermuten, wenn systematisch und gezielt gegen einzelne Mitbewerber gehandelt wird.1014 Darüber hinaus spielt das Diskriminierungsverbot im Bereich von selektiven Vertriebsbindungssystemen eine Rolle. Die Rechtsprechung geht insoweit nur dann von der Zulässigkeit aus, wenn das System diskriminierungsfrei gehandhabt wird.1015 d) Missbrauch der Nachfragemacht aa) Allgemeines und Abgrenzungen. Der Missbrauch von Nachfragemacht ist eine 279 Strategie zur Herbeiführung eines Diskriminierungszustandes durch den Abnehmer gegenüber seinen Zulieferern und zum Nachteil der Mitbewerber auf der eigenen Marktstufe. Das erkennen die §§ 19 Abs. 2 Nr. 5, 20 Abs. 2 GWB für das Kartellrecht ausdrücklich an.1016 Es geht um Konstellationen, in denen sich ein Unternehmer von seinen Zulieferern besondere Konditionen gewähren lässt und dadurch mittelbar die Position seiner Mitbewerber auf der Marktstufe der Abnehmer verschlechtert.1017 Im Ergebnis wird der Handelnde „positiv diskriminiert“, nämlich gegenüber allen Mitbewerbern, die den Vorzug nicht erhalten. Die Praktik erlangte in den 1970er Jahren Bedeutung, als Lebensmitteleinzelhändler als Ergebnis erheblicher Konzentration besondere Einkaufsmacht erhielten und diesen Einfluss ausnutzten, um von den Zulieferern zusätzlich zu bereits gewährten Preisnachlässen weitere Leistungen in Form von „Eintrittsgeldern“,1018 „Regalmieten“ oder „Kostenbeiträgen“ zu Sonderaktionen1019 zu fordern.1020
280
Die Bewertung hängt von der Marktmacht des Handelnden ab.1021 § 4 Nr. 4 konkur- 281 riert dabei mit den §§ 19, 20 GWB.1022 Danach wird entweder eine marktbeherrschende Stellung des Nachfragers oder eine relative Marktstärke gegenüber abhängigen kleinen oder mittleren Unternehmen als Schwelle für die Annahme eines Missbrauchs vorausgesetzt. Der Tatbestand ist allerdings vorrangig im Kartellrecht zu verorten: Zunächst zeigt
_____
1013 Siehe oben Rn. 8 ff. und Rn. 30. 1014 OLG Jena 30.9.2009 – 2 U 188/09 – GRUR-RR 2010, 113, 115; GK-UWG/Brandner/Bergmann § 1 Rn. A. 15. 1015 Vgl. BGH 15.7.1999 – I ZR 14/97 – BGHZ 142, 192 = GRUR 1999, 1109, 1112 – Entfernung der Herstellungsnummer; BGH 5.10.2000 – I ZR 1/98 – GRUR 2001, 448, 449 – Kontrollnummernbeseitigung II. Siehe auch oben Rn. 196 ff. 1016 Vgl. zum Kartellrecht z.B. Lettl WRP 2017, 641 ff. 1017 Vgl. etwa BGH 24.9.2002 – KVR 8/01 – BGHZ 152, 97 = GRUR 2003, 80. 1018 BGH 17.12.1976 – I ZR 77/75 – GRUR 1977, 619 – Eintrittsgeld; OLG Hamm 16.5.2003 – 19 U 147/02 – GRUR-RR 2003, 288 – Sortimentsoptimierung („Listungsentgelt“); Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 43. 1019 BGH 16.12.1982 – I ZR 163/80 – GRUR 1983, 374 – Spendenbitte; BGH 9.6.1982 – I ZR 96/80 – GRUR 1982, 737 – Eröffnungsrabatt. 1020 Vgl. Gaedertz WRP 1973, 250; Wirtz GRUR 1985, 15 ff.; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 42; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.130. 1021 BGH 9.6.1982 – I ZR 96/80 – GRUR 1982, 737, 738 – Eröffnungsrabatt; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 44. 1022 BGH 24.9.2002 – KVR 8/01 – BGHZ 152, 97 = GRUR 2003, 80 – Konditionenanpassung; wohl auch Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 44.
479
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
sich in der Praxis, dass die betroffenen Lieferanten meist in erheblichem Umfang von dem Abnehmer abhängig sind (oder sich abhängig fühlen) und deshalb davor zurückschrecken, individuell gegen ihn vorzugehen.1023 Insoweit ist regelmäßig ein behördliches Eingreifen gefordert, was nur über das kartellrechtliche Instrumentarium möglich ist. Allein die Möglichkeiten des lauterkeitsrechtlichen Zivilprozesses gewährleisten keinen ausreichenden Schutz der Betroffenen. 282
Das europäische Kartellrecht hat den Tatbestand nicht ausdrücklich normiert. Der Missbrauch von Nachfragemacht ist allerdings anerkannt und verlangt eine marktbeherrschende Stellung (Art. 102 Abs. 1 Satz 2 lit. a AEUV: Erzwingung unangemessener Einkaufsbedingungen).1024 Das europäische Recht präkludiert weitergehende nationale Regeln zur Erfassung solcher Verhaltensweisen nicht (vgl. Art. 3 Abs. 3 Satz 2 Kartell-VO 1/2003).
bb) Tatbestandsmerkmale. Der lauterkeitsrechtliche Tatbestand des § 4 Nr. 4 ist anwendbar, wenn die Ausübung von Nachfragemacht Auswirkungen auf das horizontale Wettbewerbsverhältnis hat. Zudem kann aber auch der Wettbewerb unter Zulieferern betroffen sein. Listet ein nachfragemächtiger Abnehmer Zulieferer bei Nichtgewährung von Vorzügen aus, schaltet er sich auch unmittelbar in den Wettbewerb auf der vorangehenden Marktstufe ein.1025 Dies wäre eigentlich als Fall der Förderung fremden Wettbewerbs anzusehen.1026 Es wird allerdings bezweifelt, ob dies unter § 4 Nr. 4 fallen kann. Es ist nämlich zu beachten, dass der Arbeitskreis Wettbewerbsrecht gerade empfohlen hat, den „Missbrauch von Nachfragemacht zur Ausschaltung von Mitbewerbern“ zu regeln.1027 Auch wenn die eingrenzende Formulierung in der Begründung des Regierungsentwurfs nicht mehr auftaucht, ist wohl zu Recht davon auszugehen, dass nur die gezielte Behinderung von Mitbewerbern auf der Abnehmerstufe erfasst sein sollte.1028 Der Wettbewerb auf Ebene der Zulieferer wird nur mittelbar beeinträchtigt und ist darum nicht umfasst.1029 In Betracht kommt allerdings eine Anwendung des § 4a, jedenfalls soweit die Vorzugsstellung durch Ausübung von Druck oder Einsatz von Nötigungsmitteln erreicht wird.1030 284 Für die Beurteilung der Unlauterkeit ist zu beachten, dass Verhandlungen und Vereinbarungen über Vorzüge ebenso wie die Auswahl von Vertragspartnern sowie die Fortsetzung oder der Abbruch von Geschäftsbeziehungen als Ausdruck der Vertragsfreiheit anzusehen sind.1031 Ein Vorgehen wird darum nicht allein dadurch unlauter, dass mit dem Abbruch von Geschäftsbeziehungen gedroht wird.1032 Das Urteil der Unlauter283
_____
1023 Zur sogenannten Ross-und-Reiter-Problematik siehe z.B. auch Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.130. 1024 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.132. 1025 Wirtz GRUR 1985, 15, 19; zustimmend Omsels WRP 2004, 136, 139; wohl auch Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.133. 1026 Vgl. BGH 16.12.1982 – I ZR 163/80 – GRUR 1983, 374, 376; OLG Hamm 16.5.2003 – 19 U 147/02 – GRUR-RR 2003, 288. 1027 Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig WRP 2002, 1317 Tz. 19 (Hervorhebung nicht im Original). 1028 Vgl. auch Immenga/Mestmäcker/Markert § 20 Rn. 252; Säcker/Mohr WRP 2010, 1, 2. 1029 Vgl. auch Immenga/Mestmäcker/Markert § 20 Rn. 252.; a.A. (im Rahmen des § 20 Abs. 1 GWB) aber z.B. Köhler FS Tilmann S. 693, 694; Köhler WRP 2006, 139, 140; Langen/Bunte/Schultz § 20 GWB Rn. 208; Möschel Rn. 662. 1030 Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 44. 1031 BGH 17.12.1976 – I ZR 77/75 – GRUR 1977, 619, 621 – Eintrittsgeld; BGH 9.6.1982 – I ZR 96/80 – GRUR 1982, 737, 738 – Eröffnungsrabatt; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 43. 1032 BGH 9.6.1982 – I ZR 96/80 – GRUR 1982, 737, 738 – Eröffnungsrabatt; OLG Hamm 16.5.2003 – 19 U 147/02 – GRUR-RR 2003, 288, 289; OLG Zweibrücken 16.5.2002 – 4 U 170/01 – GRUR-RR 2003, 17; Fezer/ Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 43.
Dornis
480
Gezielte Behinderung
§4
keit muss vielmehr stets aus dem Vorliegen besonderer Unlauterkeitsmerkmale hergeleitet werden. Zeitweise wurde ein Unlauterkeitsmerkmal darin gesehen, dass der die besonderen Leistungen und das Entgegenkommen der Zulieferer provozierende Händler mit einem solchen Verhalten seiner im Allgemeininteresse liegenden Funktion innerhalb der Wirtschaftsordnung in schwerwiegender Weise zuwiderhandele. Er sei nämlich nicht bereit, die Angebote aller konkurrierenden Hersteller objektiv im Hinblick auf Qualität und Preis zu prüfen, sondern ziehe ohne Rücksicht auf diese Kriterien nur solche Waren in die Auswahl ein, deren Anbieter bereit seien, ihm eine Sonderzuwendung zu zahlen. Dabei bestehe zudem in erheblichem Umfang die Gefahr der Nachahmung.1033 Diese Betrachtung konnte sich allerdings nicht durchsetzen. Das System eines freien Wettbewerbs gründet gerade nicht auf einer systematischen und im Voraus festgelegten Einteilung von „Funktionen“ oder „Rollen“ der Marktteilnehmer. Diese entwickeln sich vielmehr gerade autonom als eine Folge des Wettbewerbsprozesses.1034
285
Ganz überwiegend wird zur Begründung der Unlauterkeit mittlerweile auf die 286 Marktstrukturen geblickt.1035 Die Rechtsprechung und das Schrifttum stellen dabei konkret auf die Marktmacht oder relative Marktstärke des Handelnden ab.1036 Zum Teil wird gefordert, die Kategorie des Missbrauchs von Marktmacht in § 4 Nr. 4 zu Gunsten einer ausschließlichen Beurteilung nach kartellrechtlichen Grundsätzen aufzugeben.1037 Dem ist nicht zu folgen. Wenngleich durchaus auf das Zusammenspiel und die Abgrenzung von Kartell- und Lauterkeitsrecht geachtet werden muss,1038 ist aus der parallelen Anwendbarkeit doch jedenfalls kein Nachteil zu befürchten.1039 e) Verdrängungs- und Vernichtungsstrategien (insbesondere Kampfpreisstrategien) aa) Allgemeines. Die freie Gestaltung von Preisen ist die typische Erscheinungsform 287 eines natürlichen Wettbewerbsverhaltens der Marktteilnehmer. Sie ist essentieller Bestandteil eines freien und ungehinderten Wettbewerbs und rechtlich als ein Teilaspekt der Vertragsfreiheit geschützt.1040 Gleiches gilt für die Gestaltung der anderen wettbewerblichen Parameter, insbesondere der Konditionen von Warenlieferungen oder der Erbringung von Dienstleistungen. Es besteht darum grundsätzlich kein lauterkeits-
_____
1033 BGH 17.12.1976 – I ZR 77/75 – GRUR 1977, 619, 621; vgl. zudem BGH 3.12.1976 – I ZR 34/75 – GRUR 1977, 257, 258 – Schaufensteraktion; OLG München 21.5.1992 – 6 U 4016/91 – GRUR 1992, 712, 713; von Gamm GRUR 1979, 680, 681. 1034 Vgl. z.B. BGH 9.6.1982 – I ZR 96/80 – GRUR 1982, 737, 738 (Aushandeln besonderer Preise ist keinVerstoß gegen Einzelhandelsfunktionen); OLG Zweibrücken 16.5.2002 – 4 U 170/01 – GRUR-RR 2003, 17, 18; zudem Dietrich DB 1978, 525; Gillert BB 1981, 702; Graeff BB 1981, 1801; G. Meier DB 1980, 721 und WRP 1982, 135; Pernice/Pröpper WRP 1979, 272; Siebeneck BB 1979, 1475, 1477; Wirtz GRUR 1985, 15, 18; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.134. 1035 Vgl. hierzu aufschlussreich (aus kartellrechtlicher Perspektive) Lettl WRP 2017, 641, 641 f.; zudem z.B. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.136. 1036 Vgl. BGH 17.12.1976 – I ZR 77/75 – GRUR 1977, 619, 621; BGH 9.6.1982 – I ZR 96/80 – GRUR 1982, 737, 738 – Eröffnungsrabatt; OLG Düsseldorf 9.3.1973 – 2 U 84/72 – GRUR 1974, 161; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 44. 1037 Siehe z.B. Säcker/Mohr WRP 2010, 1, 3; Siebeneck DB 1979, 1475, 1476. 1038 Siehe oben Rn. 61 ff. 1039 So wohl im Ergebnis auch Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.136. 1040 Vgl. nur Lehmann GRUR 1984, 313; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/91; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 161; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 36; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.184 f.; juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 411; zudem z.B. BGH 31.3.2010 – I ZR 75/08 – GRUR 2010, 1022 Tz. 20 – Ohne 19% Mehrwertsteuer; BGH 30.3.2006 – I ZR 144/03 – GRUR 2006, 596 Tz. 13 – 10% billiger; zudem auch bereits RG 18.12.1931 – II 514/30 – RGZ 134, 342, 350 f. – Benrather Tankstellenfall.
481
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
rechtlicher Schutz gegen eine aggressive Gestaltung von Preisen und sonstigen Wettbewerbsparametern. Eine Gestaltungspraktik kann nur ausnahmsweise und unter Hinzutreten besonderer, die Unlauterkeit begründender Umstände als Behinderung angesehen werden. Für Fälle der Verdrängung und Vernichtung ist nach einer Kategorisierung als Marktverhalten zu fragen, welches die wirtschaftliche Entfaltung der Mitbewerber derart zu beeinträchtigen geeignet ist, dass diese ihre Leistung am Markt nicht mehr in angemessener Weise zur Geltung bringen können.1041 Bei der Fallgruppe der sogenannten Verdrängungs- und Vernichtungsstrategien 288 geht es um Ausschlusspraktiken durch Einsatz wettbewerblicher Parameter, die geeignet sind, Mitbewerber aus dem Markt zu verdrängen oder deren Markteintritt zu blockieren.1042 Die Ausschlusspraxis der Preisgestaltung, vor allem durch Preisunterbietung und Verkauf unter Selbstkosten, ist die praktisch häufigste, besonders klare und einfach zu definierende Erscheinungsform dieser Strategien. Zudem werden weitere, nicht auf den Preis bezogene Praktiken diskutiert, so insbesondere Investitionen zur Abschreckung von Mitbewerbern, Ausschließlichkeitsbindungen,1043 Koppelungspraktiken1044 und Vertriebsbindungen sowie Zugangssperren zu Produkten, die auf Ergänzung angelegt sind.1045 Diese Nichtpreispraktiken betreffen Werbe-, Absatz- und Bezugsbehinderungen, welche an anderer Stelle kommentiert werden.1046 bb) Regelungszwecke und Tatbestandsvoraussetzungen. Die Unterschreitung gesetzlich gebundener Preise (vgl. z.B. RVG i.V.m. § 49b BRAO) oder behördlich genehmigter Tarife (vgl. § 39 PBefG) kann nach § 3a lauterkeitswidrig sein.1047 In diesen Fällen sind vom Gesetzgeber festgesetzte Gebühren-, Preis- und Tarifgestaltungsverbote betroffen. Die Feststellung eines Verstoßes und die Sanktionierung sind dabei nicht primär auf den Schutz der freien Preisgestaltung als essentiellem Aspekt des Wettbewerbsgeschehens bezogen. Es geht um die Sicherung gleicher Wettbewerbschancen durch Konsolidierung des Gebühren-, Preis- oder Tarifniveaus.1048 Dies ist anders für die Fallgruppe der Verdrängungs- und Vernichtungsstrategien: die jenseits gesetzlicher Bindungssysteme grundsätzlich uneingeschränkt gewährte Freiheit der Preis- und Konditionengestaltung wird dabei gerade aus Gründen des freien Wettbewerbs (genauer: zur Sicherung auch künftig uneingeschränkter Preisbildungsmechanismen) reguliert. Die Einschränkung des freien Wettbewerbs zur Sicherung der Freiheit des 290 Wettbewerbs beruht auf einem einfachen Zusammenhang: In der anfänglichen „Kampfphase“ einer Verdrängungs- und Vernichtungsstrategie bieten sich für Abnehmer und andere Marktteilnehmer Gelegenheiten, Wohlfahrtsgewinne zu erzielen, typischerweise als Folge des kampfbedingt niedrigen Preisniveaus. Zugleich bringt diese Art des Kampfwettbewerbs allerdings die Gefahr mit sich, dass nach erfolgreicher Verdrängung oder Vernichtung des oder der Mitbewerber die Preise wieder ansteigen 289
_____
1041 Siehe hierzu allgemein oben Rn. 28 ff. 1042 Motta S. 411 („exclusionary practices“). 1043 EuGH 13.2.1979 – 85/76 – Slg. 1979, 461 Tz. 90 – Hoffmann-LaRoche/Kommission. 1044 Kommission, WuW/E EU-V 931 (Microsoft): Koppelung des Betriebssystems mit dem Vertrieb von Browsern als missbräuchliche Ausnutzung der marktbeherrschenden Stellung auf dem Markt für Betriebssysteme für Arbeitsgruppenserver und auf dem Markt für Medienabspielprogramme. 1045 Motta S. 412. 1046 Siehe oben Rn. 211 ff. 1047 Vgl. z.B. BGH 2.5.1991 – I ZR 227/89 – GRUR 1991, 769, 772 – Honoraranfrage; BGH 29.3.2018 – I ZR 34/17 – NJW 2018, 2484 Tz. 21 ff. – Bonusaktion für Taxi App; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 154; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/93; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.203. 1048 Siehe oben Rn. 49.
Dornis
482
Gezielte Behinderung
§4
(oder andere Konditionen sich nachteilig entwickeln). Dies ist vom Handelnden durchaus beabsichtigt. Im Kartellrecht wird darum gerade bei Einsatz von Preissenkungsstrategien mit Verdrängungstendenz vermutet, dass die Absicht der Preisunterbietung ausschließlich darauf zielt, die Preise nach der Verdrängungsphase zu erhöhen.1049 Die sich zunächst einstellenden Wohlfahrtssteigerungen gehen in der Folge mittel- bis langfristig wieder verloren. Für die Beurteilung der ökonomischen Vor- und Nachteile kommt es folglich darauf an, die Gefahren einer dem primären Strategieverhalten nachfolgenden Überkompensation mit korrespondierender Störung der Wettbewerbsfunktionen zu bewerten. Zum Teil wird bezweifelt, dass Kampfstrategien eine besondere Gefahr mit sich bringen. Die den Kampf eröffnenden Unternehmen müssten sich nämlich auf teils erhebliche Profiteinbußen und gleichzeitig große Unsicherheit darüber, ob die Verluste jemals wieder kompensiert werden können, einrichten.1050 Zudem sei zu beachten, dass der Markt nach einer erfolgreichen Verdrängung von Mitbewerbern und im Nachgang erhöhten Preisen einen besonderen Reiz für den Einstieg neuer Mitbewerber biete.1051 Beides spreche im ökonomischen Modell gegen den regelmäßigen Einsatz von Verdrängungs- und Vernichtungsstrategien. Gleichwohl überwiegt die Ansicht, dass insbesondere der Einsatz von Kampfpreisen zur Verdrängung von Wettbewerbern kein unrealistisches und auch kein tolerierbares Phänomen ist.1052 Der Preiskampf gehört zu den Standardsachverhalten unbilliger Behinderung in vielen Rechtsordnungen.1053 Dies gilt insbesondere in zeitweise durch Monopole geprägten Märkten mit auch nach der Deregulierung noch marktstarken Akteuren (z.B. im Post-, Telekommunikations- und Transportmarkt). Gleiches kann für sogenannte neue Märkte gelten, sofern dort starke Netzwerkeffekte zu beobachten sind (z.B. Computer- und Internetdienstleistungsmärkte).1054
291
Gefordert ist darum eine Betrachtung der Marktumstände und der Rahmenbe- 292 dingungen. Es wird gefragt, wie wahrscheinlich der Erfolg einer Strategie ist. Das erfordert zunächst die Eignung zur Verdrängung oder Vernichtung von Mitbewerbern. Diese Eignung ist auf der Grundlage der konkreten Umstände auf dem betroffenen Markt festzustellen.1055 Für die Bestimmung des relevanten Marktes ist auf Grundsätze des Kartellrechts zurückzugreifen.1056 Nach den Erkenntnissen der Wettbewerbsökonomie sollen Kampfpreisstrategien etwa dann erfolgversprechend sein, wenn es an Informationen über die zur Bestreitung der Verluststrategie vorhandenen Ressourcen fehlt. Die Mitbewerber sind dann abgeschreckt, weil Unsicherheit besteht, wie lange der Angreifer die Strategie durchhalten wird.1057 Ein die Eignung steigerndes Potential soll überdies bestehen, wenn
_____
1049 So bereits RG 18.12.1931 – II 514/30 – RGZ 134, 342, 354 – Benrather Tankstellenfall; zudem EuGH 3.7.1991 – C-62/86 – Slg. 1991, I-3359 Tz. 71 – AKZO/Kommission; Brooke Group Ltd. v. Brown & Williamson Tobacco Corp. 509 U.S. 209, 224 (1993); siehe auch Mestmäcker/Schweizer § 18 Rn. 2; Motta S. 412. 1050 Easterbrook 48 U. Chi. L. Rev. 263, 264 (1981); ähnlich Bork S. 145; hierzu Möschel ORDO 30 (1979) 295, 298. Aus lauterkeitsrechtlicher Sicht im Grundsatz ebenso Beater Rn. 1150 mit Rn. 162. 1051 Posner S. 215. 1052 Paul S. 177 m.w.N. Siehe zudem unten Rn. 297 ff. 1053 Vgl. nur Mogul Steamship Co. v. McGregor, Gow & Co. et. al. [1892] A.C. 25 (H.L.); Standard Oil Co. of New Jersey v. United States 221 U.S. 1 (1911); EuGH 3.7.1991 – C-62/86 – Slg. 1991, I-3359 – AKZO/Kommission; RG 18.12.1931 – II 514/30 – RGZ 134, 342 – Benrather Tankstellenfall. 1054 Motta S. 411. 1055 Vgl. hierzu z.B. BGH 29.3.2018 – I ZR 34/17 – NJW 2018, 2484 Tz. 46 f. – Bonusaktion für Taxi App; zudem z.B. Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 168; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 38; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.191; ausführlich auch juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 419 ff. 1056 OLG Stuttgart 30.1.1998 – 2 U 151/97 – NJWE-WettbR 1999, 200, 201 – Übernahme von Telefonbuchanzeigen; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 168. 1057 Motta S. 416.
483
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
dem Geschädigten im Vergleich zum Verdränger geringere Finanzressourcen zur Verfügung stehen oder wenn Netzwerk- oder Lock-in-Effekte zur Steigerung des Verdrängungseffekts beitragen können. Insoweit ist das Vorliegen von Marktmacht oder Marktstärke (wenngleich nicht unabdingbar) jedenfalls grundsätzlich zu beachten.1058 Darüber hinaus ist zu beachten, dass Verdrängungs- und Vernichtungsstrategien 293 nur dann sinnvoll sind, wenn es im Zeitraum nach der Räumung des Marktes gelingt, die Preise für einen gewissen Zeitraum zu erhöhen und die durch Marktaustritt des Mitbewerbers (oder der Mitbewerber) freigewordenen Umsätze zu binden. Das funktioniert umso besser, je höher die Schranken des Markteintritts für Newcomer sind. Die Rechtsprechung und das Schrifttum tendieren für diese Beurteilung zu Recht zur Betrachtung der wirtschaftlichen Bedeutung des Preisunterbieters auf dem relevanten Markt: je stärker dessen Position, desto höher die Wahrscheinlichkeit einer anschließenden „Amortisation“ der eingesetzten Kampfmittel, und desto höher die Erfolgswahrscheinlichkeit der Verdrängung oder Vernichtung.1059 Für die Frage der Berücksichtigung der ökonomischen Grundlagen ist zwar zu be294 achten, dass Gerichte meist nur begrenzten Zugriff auf relevante Marktinformationen haben. Die Kartellbehörden sind insoweit besser gerüstet (vgl. z.B. § 59 Abs. 1 Nr. 1 GWB). Dennoch erlaubt auch das zivilprozessuale Instrumentarium eine effektive Sachverhaltsermittlung. Nur auf den ersten Blick problematisch ist dabei, dass die Vortragsund Beweislast nach den allgemeinen Grundsätzen beim Kläger (als Geschädigtem) liegt, und der Beklagte (als Verdränger) nicht ohne weiteres gehalten sein soll, seine Kostenund Kalkulationsstrukturen offen zu legen.1060 Dem Geschädigten obliegt es darum nach den allgemeinen Grundsätzen, die Markt- und Wettbewerbsparameter darzulegen und zu beweisen, so insbesondere das allgemeine Preisniveau und die konkreten (darunterliegenden) Preise des Verdrängers.1061 Letzterem ist allerdings, weil dies zu seinen Betriebsinterna zählt, nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast auferlegt, nähere Angaben zur eigenen Kostenstruktur und Preiskalkulation zu machen. Diese Erleichterung zu Gunsten des Geschädigten darf nicht zur Ausforschung führen.1062 Sein Vortrag muss deshalb konkrete und greifbare Anhaltspunkte im Sinne von Anknüpfungstatsachen für die Behauptung einer Verdrängungs- oder Vernichtungsstrategie enthalten.1063 Nur in diesem Fall muss der Handelnde seinerseits substantiiert erwidern und Umstände aufzeigen, warum der Schluss auf eine Verdrängungs- oder Vernichtungsstrategie nicht zulässig sein soll.1064 Überdies ist zu beachten, dass zu manchen Tatbestandsmerkmalen (z.B. der Absicht des Verdrängers) häufig leicht greifbare Indizien vorliegen werden, die eine Feststellung ermöglichen, z.B. die Dauer und Intensität einer Kampfmaßnahme, die Differenz der Kampfpreise zu den Selbstkosten oder der
_____
1058 Vgl. allgmein Bolton/Brodley/Riordan 88 Geo. L.J. 2239, 2285 (2000); aus der jüngeren Praxis zu digitalen Plattformen siehe insbesondere auch BGH 29.3.2018 – I ZR 34/17 – NJW 2018, 2484 – Bonusaktion für Taxi App (mit Anm. Richter, 2489); zudem z.B. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.191. 1059 Siehe z.B. BGH 12.11.1991 – KZR 18/90 – GRUR 1992, 191 193 – Amtsanzeiger; BGH 29.3.2018 – I ZR 34/17 – NJW 2018, 2484 Tz. 46 – Bonusaktion für Taxi App; vgl. auch Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 168; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/94; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 167. 1060 BGH 12.11.1991 – KZR 18/90 – GRUR 1992, 191 193 – Amtsanzeiger; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/94; Götting/Nordemann/Wirtz § 4 Nr. 4 Rn. 4.50. 1061 Zu den Preisen siehe hierzu unten Rn. 297 ff. 1062 Vgl. allgemein zur sekundären Darlegungslast (m.w.N.): Zöller/Greger Vor § 284 ZPO Rn. 34. 1063 Siehe z.B. allgemein BGH 13.6.2012 – I ZR 87/11 – NJW 2012, 3774 Tz. 17; BGH 17.12.2014 – I ZR 90/13 – NJW 2015, 947 Tz. 21. 1064 So zutreffend auch MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 165; vgl. zudem Kroitzsch GRUR 1985, 885, 886; Sack WRP 1998, 683, 690; Sack WRP 1983, 63, 66; a.A. wohl Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 40; Götting/Nordemann/Wirtz § 4 Nr. 4 Rn. 4.50.
Dornis
484
Gezielte Behinderung
§4
zeitliche Ablauf und der räumlich-geographische Einsatzbereich von Kampfmaßnahmen, insbesondere als Reaktion auf den Markteintritt von Mitbewerbern.1065 Schließlich ist auch zu beachten, dass Zivilrichter gerade nicht gehindert sind, sachverständige Hilfe zu Rate zu ziehen. Ökonomische Fragen und eine Marktstrukturanalyse können insoweit durchaus zum Gegenstand der lauterkeitsrechtlichen Abwägung gemacht werden.1066 Schließlich sollte sich der Richter auch in lauterkeitsrechtlichen Verfahren auf die 295 kartellrechtliche Doktrin stützen können, dass ein Verkauf unter Einkaufs- oder Einstandspreis die Vermutung für das Verdrängungsziel mit sich bringt.1067 Überdies begründet § 20 Abs. 4 GWB eine Anscheinsvermutung zu Lasten marktmächtiger Unternehmen. Der Gedanke einer Betrachtung nach Verantwortungssphären rechtfertigt eine entsprechende Anwendung dieser Grundsätze im Lauterkeitsrecht.1068 Gerade für Konstellationen der Verdrängungs- und Vernichtungsstrategien wird das 296 Verhältnis von Kartell- und Lauterkeitsrecht ganz überwiegend als problematisch angesehen.1069 Geht man davon aus, dass das Lauterkeitsrecht jedenfalls grundsätzlich keine strengeren Verbotsanforderungen formulieren darf als das Kartellrecht,1070 wird man stets das Vorliegen von Marktmacht oder eines bestimmten Grades an Marktstärke beim Verdrängenden verlangen müssen.1071 Ein unterhalb dieser marktstrukturellen Minima-Schwelle ansetzender lauterkeitsrechtlicher Schutz ist zumindest prima facie wettbewerbsökonomisch bedenklich. Mit Blick auf die ökonomische Begründung des Tatbestandes eines allgemeinen Schädigungsverbots als Instrument zur Regulierung negativer Externalitäten kann aber zusätzlich durchaus auch – und damit nicht zwingend an die kartellrechtlichen Schwellen gebunden – auf die rechtsethisch fundierte Begründung zurückgegriffen werden.1072 Dies erfolgt dogmatisch unter Rückgriff auf das Deliktsrecht sowie das Erfordernis zusätzlicher besonderer Unlauterkeitsmerkmale.1073
_____
1065 BGH 26.4.1990 – I ZR 99/88 – BGHZ 111, 188, 190 = GRUR 1990, 685, 686 – Anzeigenpreis I; OLG Stuttgart 30.1.1998 – 2 U 151/97 – NJWE-WettbR 1999, 200, 201 – Übernahme von Telefonbuchanzeigen; BGH 29.3.2018 – I ZR 34/17 – NJW 2018, 2484 Tz. 47 – Bonusaktion für Taxi App; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/94; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 167; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 38. 1066 Vgl. z.B. BGH 12.11.1991 – KZR 18/90 – GRUR 1992, 191 194 – Amtsanzeiger; zudem zutreffend MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 165; wohl auch Götting/Nordemann/Wirtz § 4 Nr. 4 Rn. 4.50. Vgl. zu den Möglichkeiten der Berücksichtigung interdisziplinärer – insbesonderer ökonomischer – Hintergründe und Zusammenhänge in Immaterialgüterrechtsstreitigkeiten z.B. Dornis ZGE 2018, 341, 371 ff. 1067 Vgl. EuGH 2.4.2009 – C-202/07 P – Slg. 2009, I-2369 Tz. 109 – France Télécom/Kommission; EuGH 14.11.1996 – C-333/94 – Slg. 1996, I-5951 Tz. 41 – Tetra Pak/Kommission (Verkauf unter Einstandspreis); EuGH 3.7.1991 – C-62/86 – Slg. 1991, I-3359 = EuZW 1992, 21 Tz. 71 – AKZO/Kommission. 1068 So wohl auch Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 174; vgl. zudem Kroitzsch GRUR 1985, 885, 886; Sack WRP 1983, 63, 66; a.A. aber z.B. juris-PK/Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 431. Zur kartellrechtlichen Ratio siehe zudem z.B. Immenga/Mestmäcker/Markert § 20 GWB Rn. 121. 1069 Siehe allgemein zum Verhältnis von Kartell- und Lauterkeitsrecht oben Rn. 61 ff. 1070 BGH 26.4.1990 – I ZR 99/88 – BGHZ 111, 188, 190 = GRUR 1990, 685, 686 – Anzeigenpreis I; vgl. ausdrücklich und apodiktisch auch MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 162. 1071 Vgl. BGH 12.11.2002 – KVR 5/02 – GRUR 2003, 363, 368 – Wal*Mart; BGH 27.10.1988 – I ZR 29/87 – GRUR 1990, 371, 372 – Preiskampf; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 168; a.A. MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 168. 1072 Zur ökonomischen Begründung siehe oben Rn. 28 ff. Vgl. aus der Rechtsprechung zudem z.B. BGH 30.3.2006 – I ZR 144/03 – GRUR 2006, 596 Tz. 13 – 10% billiger; BGH 29.6.2000 – I ZR 128/98 – GRUR 2001, 80, 81 – ad-hoc-Mitteilung; BGH 31.1.1979 – I ZR 21/77 – GRUR 1979, 321, 322 – Verkauf unter Einstandspreis I; zudem ausdrücklich (unter Verzicht auf das Marktmacht-Kriterium) MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 168. 1073 Vgl. RG 18.12.1931 – II 514/30 – RGZ 134, 342, 350 – Benrather Tankstellenfall; OLG Frankfurt 12.4.2000 – 6 W 33/00 – WRP 2000, 645 – weideglueck.de; zudem Nipperdey S. 12 f.; neuerdings juris-PK/ Müller-Bidinger § 4 Nr. 4 Rn. 21.
485
Dornis
§4
Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen
Bei ökonomischer Betrachtung ist von Bedeutung, dass verdrängende und vernichtende Eingriffe in die Entfaltungsmöglichkeiten eines Mitbewerbers grundsätzlich unter Umgehung der freien Marktmechanismen erfolgen, und als negative technologische Externalität darum durchaus auch jenseits einer unmittelbar auf die Marktstrukturen bezogenen, kartellrechtlichen Betrachtung zu regulieren sind.1074 297
cc) Sonderfall: Kampfpreisstrategien. Als eine besondere Verdrängungs- oder Vernichtungsstrategie wird der sogenannte Verkauf unter Einkaufs- oder Einstandspreis (d.h. Anschaffungskosten abzüglich etwa gewährter Nachlässe) oder unter Selbstkosten (d.h. Einkaufspreis nebst weiteren Bezugskosten sowie anteiligen Gemeinkosten) beschrieben. Auch der Verkauf unter Einkaufs- und Einstandspreis oder unter Selbstkosten ist allerdings grundsätzlich zulässig.1075 Dies gilt im Grundsatz auch für die kostenlose Abgabe von Waren oder Erbringung von Dienstleistungen.1076
298
Zeitweise wurde diese Art der Preisunterschreitung als kaufmännisch unvernünftig und daher „leistungswettbewerbswidrig“ angesehen.1077 Befürchtet wurde insbesondere eine Verdrängung schwächerer Mitbewerber als Folge der Anlockwirkung günstiger Preise und der zugleich bestehenden Nachahmungsanreize für andere Mitbewerber.1078 Im europäischen Kartellrecht wird es als wettbewerbswidrig angesehen, wenn der Angebotspreis unter den durchschnittlichen variablen Kosten für jede produzierte Einheit liegt. Dann gilt eine unwiderlegliche Vermutung, dass der Anbietende seine Mitbewerber verdrängen möchte.1079 Voraussetzung ist aber, dass es sich beim Handelnden um ein marktbeherrschendes Unternehmen handelt. Im deutschen Kartellrecht liefert § 20 Abs. 3 GWB Regelbeispiele für diese Fallgruppe als unbillige Behinderung. Es kommt dabei weder auf die Verdrängungsabsicht noch auf den Nachweis von Marktfolgen im Sinne einer Beeinträchtigung der Wettbewerbsverhältnisse an.1080
299
Unlauter kann eine Preisunterbietung allerdings sein, wenn besondere Umstände hinzutreten, die die Unlauterkeit begründen.1081 Die Rechtsprechung geht insoweit von einer individuellen Behinderung durch Preisunterbietung aus, wenn der angebotene Preis nicht kostendeckend und die Unterbietung objektiv geeignet ist und gezielt dazu eingesetzt wird, einen oder mehrere Mitbewerber vom Markt zu verdrängen.1082 Hierin spiegelt sich die allgemeine Struktur der Prüfung objektiver und subjekti-
_____
1074 Siehe hierzu auch oben Rn. 32 ff. 1075 Vgl. nur BGH 26.4.1990 – I ZR 71/88 – GRUR 1990, 685, 686 – Anzeigenpreis I; BGH 31.1.1979 – I ZR 21/77 – GRUR 1979, 321, 322 – Verkauf unter Einstandspreis I; BGH 6.10.1983 – I ZR 39/83 – GRUR 1984, 204, 206 – Verkauf unter Einstandspreis II; BGH 29.3.2018 – I ZR 34/17 – NJW 2018, 2484 Tz. 46 – Bonusaktion für Taxi App; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 162; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/91; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 162; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 37; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.187. 1076 Vgl. z.B. unter Hinweis auf Online-Geschäftsmodelle und deren ausschließliche Finanzierung durch Werbung Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/91; ebenso Götting/Nordemann/Wirtz § 4 Nr. 4 Rn. 4.44. 1077 BGH 6.10.1983 – I ZR 39/83 – GRUR 1984, 204, 206 – Verkauf unter Einstandspreis II; Fikentscher BB 1958, 201, 202; Schramm GRUR 1940, 133, 136; GK-UWG/Brandner/Bergmann § 1 Rn. A 38. 1078 BKartA 5.5.1983 – B9-712000-T-1019/81 – WuW/E BKartA 2029, 2037 – Coop Bremen; dagegen Lademann DB 1984, 763, 764; Eser BB 1985, 699, 701. 1079 EuGH 3.7.1991 – C-62/86 – Slg. 1991, I-3359 = EuZW 1992, 21 Tz. 71 – AKZO/Kommission; bestätigt durch EuGH 2.4.2009 – C-202/07 P – Slg. 2009, I-2369 Tz. 109 – France Télécom/Kommission. 1080 Vgl.den Bericht des Wirtschaftsausschusses BT-Drucks. 13/10633, S. 72 sowie BGH 12.11.2002 – KVR 5/02 – GRUR 2003, 363, 368 – Wal*Mart; zudem z.B. Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/92. 1081 BGH 27.10.1988 – I ZR 29/87 – GRUR 1990, 371, 372 – Preiskampf; BGH 6.10.1983 – I ZR 39/83 – GRUR 1984, 204, 206 – Verkauf unter Einstandspreis II; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 163; MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 163. 1082 BGH 26.4.1990 – I ZR 99/88 – GRUR 1990, 687, 688 – Anzeigenpreis II; BGH 26.4.1990 – I ZR 71/88 – GRUR 1990, 685, 686 – Anzeigenpreis I; BGH 29.6.2000 – I ZR 128/98 – GRUR 2001, 80, 81 – ad-hoc-
Dornis
486
Gezielte Behinderung
§4
ver Tatbestandsmerkmale bei Verdrängungs- und Vernichtungsstrategien.1083 Ein Verkauf unterhalb des Einstandspreises soll demnach als unlauter anzusehen sein, „wenn [das Angebot] geeignet und dazu bestimmt ist, Mitbewerber aus dem Markt zu drängen“ und die Preise nicht „nach kaufmännischen Grundsätzen vertretbar kalkuliert sind“.1084 Man mag es als kritisch ansehen, dass aggressive Preispraktiken von der Rechtsprechung und im Schrifttum auf diese Art als zumindest grundsätzlich problematische Strategien eingeordnet werden, und zugleich von demjenigen, der sie gebraucht, in vielen Fällen eine betriebswirtschaftliche Rechtfertigung für den Einsatz gefordert wird.1085 Dies zeigt sich in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach bereits der Verkauf unter Selbstkosten1086 als unlauter anzusehen sein soll, wenn er zur Verdrängung von Mitbewerbern geeignet ist und in Verdrängungsabsicht erfolgt oder kein anderer nachvollziehbarer Grund erkennbar ist als die Schädigung von Mitbewerbern unter Inkaufnahme eigener Verluste.1087 Die Entlastung dürfte einem lauter Handelnden allerdings in der Regel gerade nicht schwerfallen.1088
300
Richtet sich eine Kampfstrategie durch Preisunterbietung nicht gegen einen oder 301 mehrere konkrete Mitbewerber, kann allenfalls eine Schädigung der Marktstrukturen als solche sanktioniert werden. Insoweit kommt lediglich der Tatbestand der allgemeinen Marktbehinderung nach § 3 Abs. 1 UWG in Betracht.1089 Als Rechtfertigungsgründe für den Wettbewerb mit Preisunterschreitungen wer- 302 den insbesondere Lager-, Liquiditäts- und Absatzschwierigkeiten, Sortimentsveränderungen am Markt (z.B. Wechsel der Mode), der drohende Verderb, die Reaktion auf eine Sortimentsverbesserung oder Preissenkung beim Konkurrenten sowie der Eintritt in einen neuen Markt angeführt.1090 Für die Abwehr rechtswidriger Angriffe ist eine rechtfertigende Wirkung hingegen nicht anerkannt. Wie bei der Abwehr eines Boykotts besteht nämlich ein Gebot der Verhältnismäßigkeit, das vorrangig dazu verpflichtet, gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.1091 Die Beweislast für solche Rechtfertigungen liegt nach den allgemeinen Beweislastregeln beim Beklagten (als Verdränger). f) Allgemeine Marktbehinderung (Marktstörung). Die „gezielte“ Behinderung 303 nach § 4 Nr. 4 richtet sich gegen einen oder mehrere Mitbewerber und beeinträchtigt diese individuell in ihren Entfaltungsmöglichkeiten am Markt. Wenngleich Überschneidungen mit kartellrechtlichen Tatbeständen zahlreich und unvermeidbar sind, ist die lauterkeitsrechtliche Sanktionierung von individuellen Behinderungen grundsätzlich streng
_____
Mitteilung; BGH 29.3.2018 – I ZR 34/17 – NJW 2018, 2484 Tz. 46 – Bonusaktion für Taxi App; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.191; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 164; Ohly/Sosnitza § 4.4 Rn. 4/94. 1083 Siehe oben Rn. 287 ff. 1084 BGH 2.10.2008 – I ZR 48/06 – GRUR 2009, 416 Tz. 13 – Küchentiefstpreis-Garantie; BGH 30.3.2006 – I ZR 144/03 – GRUR 2006, 596 Tz. 13 – 10% billiger. 1085 Vgl. zur Darlegungs- und Beweislast oben Rn. 294 f. 1086 Vgl. zur Definition oben Rn. 297. 1087 BGH 29.3.2018 – I ZR 34/17 – NJW 2018, 2484 Tz. 46 – Bonusaktion für Taxi App. 1088 Zur Aufteilung der Darlegungs- und Beweislast und zur sekundären Darlegungslast siehe oben Rn. 294 f. 1089 Siehe hierzu unten Rn. 303. 1090 Kohler S. 27 f.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Nr. 4 Rn. 4.187; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 162; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 37. 1091 Vgl. BGH 26.4.1990 – I ZR 71/88 – GRUR 1990, 685, 686 – Anzeigenpreis I; BGH 27.10.1988 – I ZR 29/87 – GRUR 1990, 371, 372 – Preiskampf; Harte/Henning/Omsels § 4 Nr. 4 Rn. 173; kritisch allerdings auch MünchKommUWG/Jänich § 4 Nr. 10 Rn. 169. Siehe zudem oben Rn. 266.
487
Dornis
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
vom Kartellrecht abzugrenzen.1092 Dies gilt auch im Verhältnis zum Tatbestand der sogenannten allgemeinen Marktbehinderung oder Marktstörung. Dieser erfasst die marktstrukturelle Komponente eines störenden und behindernden Verhaltens: umfasst sind darum nur Maßnahmen, die den Wettbewerb auf einem bestimmten Markt als solchen in der Funktion oder im Bestand beeinträchtigen.1093 Nach der Gesetzesbegründung soll die allgemeine Marktbehinderung deshalb auch nicht vom Tatbestand der gezielten Behinderung in § 4 Nr. 4 erfasst, sondern hiervon vielmehr abzugrenzen sein. Die allgemeine Marktbehinderung fällt unter die Generalklausel des § 3 Abs. 1.1094
§ 4a Aggressive geschäftliche Handlungen § 4a Aggressive geschäftliche Handlungen Schrifttum Dornis/Pahlow https://doi.org/10.1515/9783110545944-006
(1) 1 Unlauter handelt, wer eine aggressive geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die dieser andernfalls nicht getroffen hätte. 2 Eine geschäftliche Handlung ist aggressiv, wenn sie im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller Umstände geeignet ist, die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers oder sonstigen Marktteilnehmers erheblich zu beeinträchtigen durch 1. Belästigung, 2. Nötigung einschließlich der Anwendung körperlicher Gewalt oder 3. unzulässige Beeinflussung. 3 Eine unzulässige Beeinflussung liegt vor, wenn der Unternehmer eine Machtposition gegenüber dem Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zur Ausübung von Druck, auch ohne Anwendung oder Androhung von körperlicher Gewalt, in einer Weise ausnutzt, die die Fähigkeit des Verbrauchers oder sonstigen Marktteilnehmers zu einer informierten Entscheidung wesentlich einschränkt. (2) 1 Bei der Feststellung, ob eine geschäftliche Handlung aggressiv im Sinne des Absatzes 1 Satz 2 ist, ist abzustellen auf 1. Zeitpunkt, Ort, Art oder Dauer der Handlung; 2. die Verwendung drohender oder beleidigender Formulierungen oder Verhaltensweisen; 3. die bewusste Ausnutzung von konkreten Unglückssituationen oder Umständen von solcher Schwere, dass sie das Urteilsvermögen des Verbrauchers oder sonstigen Marktteilnehmers beeinträchtigen, um dessen Entscheidung zu beeinflussen; 4. belastende oder unverhältnismäßige Hindernisse nichtvertraglicher Art, mit denen der Unternehmer den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer an der Ausübung seiner vertraglichen Rechte zu hindern versucht, wozu auch das Recht gehört, den Vertrag zu kündigen oder zu einer anderen Ware oder Dienstleistung oder einem anderen Unternehmer zu wechseln; 5. Drohungen mit rechtlich unzulässigen Handlungen.
_____
1092 Siehe oben Rn. 61 ff. 1093 BGH 29.6.2000 – I ZR 128/98 – GRUR 2001, 80, 81 – ad-hoc-Mitteilung; BGH 20.11.2003 – I ZR 151/01 – BGHZ 157, 155 = GRUR 2004, 602, 603 – 20 Minuten Köln; Fezer/Götting/Hetmank § 4 Nr. 4 Rn. 165. 1094 BTDrucks.15/1497, S. 10 (zu § 4 Nr. 10 UWG a.F.).
Dornis/Pahlow https://doi.org/10.1515/9783110545944-006
488
Schrifttum
§ 4a
2
Zu den Umständen, die nach Nummer 3 zu berücksichtigen sind, zählen insbesondere geistige und körperliche Beeinträchtigungen, das Alter, die geschäftliche Unerfahrenheit, die Leichtgläubigkeit, die Angst und die Zwangslage von Verbrauchern. Pahlow
Schrifttum Ackermann Die deutsche Umweltrechtsprechung auf dem Weg zum Leitbild des verständigen Verbrauchers? WRP 1996, 502; Ahrens Benetton und Busengrapscher – ein Test für die wettbewerbsrechtliche Sittenwidrigkeitsklausel und die Meinungsfreiheit, JZ 1995, 1096; ders. Die Benetton-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und die UWG-Fachgerichtsbarkeit, JZ 2004, 763; ders. Menschenwürde als Rechtsbegriff im Wettbewerbsrecht, FS Schricker (2005) 619; Albrecht Telefax in der Rechtsprechung des Bundespatentgerichts, GRUR 1999, 649; Alexander Anmerkungen zum Referentenentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des UWG, WRP 2014, 1384; ders. Anmerkung zu OLG Köln: Internet-Werbeblocker mit Whitelisting-Funktion – Adblock Plus, GRUR 2016, 1089; Apetz Das Verbot aggressiver Geschäftspraktiken. Herkunft, Inhalt, Umsetzung und Zukunftsperspektiven eines neuen Verbotskonzepts des europäischen Lauterkeitsrechts (2011); Augsburger Lauterkeitsrechtliche Beurteilung von Corporate Responsibility Codes – Verbindliche Standards im Wettbewerb?, MMR 2014, 427; Bamberger Mitleid zu Zwecken des Eigennutzes? FS Piper (1996) 41; Baudenbacher Suggestivwerbung und Lauterkeitsrecht (1978); Beater Die stillen Wandlungen des Wettbewerbsrechts. Zugleich ein Beitrag zur Orient-Teppichmuster-Entscheidung des BGH, JZ 2000, 973; ders. Verbraucherverhalten und Wettbewerbsrecht, FS Tilmann (2003) 87; ders. Unlauterer Wettbewerb, 2011; Beier/Schricker Stellungnahme des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht zur Novellierung des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb, GRUR 1993, 880; Benz Werbung vor Kindern unter Lauterkeitsgesichtspunkten. Zum Entwurf eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, § 4 Nr. 2, WRP 2003, 1160; Berlit Auswirkungen der Aufhebung des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung auf die Auslegung von § 1 UWG und § 3 UWG, WRP 2001, 349; ders. Gewinnspiel im Einzelhandel: Stornierung des Kassenbons, WRP 2009, 1188; Berneke Zum Lauterkeitsrecht nach einer Aufhebung von Zugabeverordnung und Rabattgesetz, WRP 2001, 615; Bernreuther Neues zur Telefonwerbung, WRP 2009, 390; Birk Corporate Responsibility, unternehmerische Selbstverpflichtungen und unlauterer Wettbewerb, GRUR 2011, 196; Böhler Wettbewerbsrechtliche Schranken für Werbemaßnahmen gegenüber Minderjährigen, WRP 2011, 1028; Boesche Über die Folgen der Vollharmonisierung und die vergebliche Rettung der Zugabeverbote, WRP 2009, 661; Borck Freie Fahrt für die Fahrtkostenvergütung?, WRP 1993, 1; ders. Mehr über miles & more und „die Moral von der Geschicht“, WRP 2002, 1131; Bottenschein „Regenwald Projekt“ und der Kaufzwang bei der akzessorischen Werbung, WRP 2002, 1107; Böttner 80 Jahre „Gute Sitten“. Zum 80. Geburtstag des UWG, WRP 1989, 433; Brändel Jugendschutz im Wettbewerbsrecht, FS von Gamm (1990) 9; Brömmelmeyer E-Mail-Werbung nach der UWG-Reform, GRUR 2006, 285; Büscher Aus der Rechtsprechung des EuGH und des BGH zum Lauterkeitsrecht seit Ende 2015, GRUR 2017, 105; Burckhardt Telefonwerbung und Haustürwiderrufsgesetz, WRP 1996, 659; Burmeister/Alexander Weniger Staat, mehr Markt wagen. Das Zusammenspiel staatlicher Aufsicht und privatrechtlicher Kontrolle im Wettbewerb am Beispiel des Schutzes von hilfs- und pflegebedürftigen Personen, WRP 2009, 159; Busche/Kraft Werbung per electronic mail: Eine neue Herausforderung für das Wettbewerbsrecht, WRP 1998, 1142; Cordes Die Gewährung von Zugaben und Rabatten und deren wettbewerbsrechtliche Grenzen nach Aufhebung von Zugabeverordnung und Rabattgesetz, WRP 2001, 867; Dembowski Kinder und Jugendliche als Werbeadressaten, FS Ullmann (2006) 599; Dietlein/Hecker Die Vermittlung von Oddset-Wetten zwischen Gefahrenabwehr und Wettbewerbsschutz, WRP 2003, 1175; Drexl Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998; Eisenhardt Werbung gegenüber Kindern, WRP 1997, 283; Emmerich Übertriebenes Anlocken – was ist das eigentlich?, FS Piper (1996) 171; ders. Unlauterer Wettbewerb, FS 50 Jahre Bundesgerichtshof (2000) 627; Engels Wettbewerbsrechtliche Grenzen der Fernsehwerbung für Kinder, WRP 1997, 6; ders./Salomon Vom Lauterkeitsrecht zum Verbraucherschutz: UWG-Reform 2003 (2004) 32; Eppe Der lauterkeitsrechtliche Tatbestand des übertriebenen Anlockens im Wandel am Beispiel der Wertreklame, WRP 2004, 153; Fezer Diskriminierende Werbung – das Menschenbild der Verfassung im Wettbewerbsrecht, JZ 1998, 265; ders. Modernisierung des deutschen Rechts gegen den unlauteren Wettbewerb auf der Grundlage einer Europäisierung des Wettbewerbs. Arbeitsunterlage für die Arbeitsgruppe des Bundesministerium der Justiz zur Modernisierung des Rechts
489
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
gegen den unlauteren Wettbewerb und zur Erarbeitung von Vorschlägen für eine Harmonisierung des Rechts gegen den unlauteren Wettbewerb auf europäischer Ebene (AG-UWG) (2001); ders. Modernisierung des deutschen Rechts gegen den unlauteren Wettbewerb auf der Grundlage einer Europäisierung des Wettbewerbsrechts, WRP 2001, 989; ders. Die Nichtigkeit der Folgeverträge unlauterer Telefonwerbung. Ein Gesetzesvorschlag zur vertragsrechtlichen Ergänzung des Telefonwerbeverbots nach § 7 Abs. 2 Nr. 2, 1. Alt. UWG, WRP 2007, 855; Fischer Politische Aussagen in der kommerziellen Produktwerbung, GRUR 1995, 641; Fritzsche Aggressive Geschäftspraktiken nach dem neuen § 4a UWG, WRP 2016, 1; ders. Miles and More. Wettbewerbsrechtliche Probleme der Bonussysteme, BB 1999, 273; ders. Überlegungen zum Referentenentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des UWG, WRP 2014, 1392; ders. Anmerkung zum Urteil des OLG Köln vom 24.6.2016 (6 U 149/15) – Zur Wettbewerbswidrigkeit von Adblocker Plus, WRP 2016, 1036; ders./Frahm Zahlen schon fürs Bieten – Internetauktionen mit kostenpflichtigen Gebotsrechten, WRP 2008, 22; Fuchs Wettbewerbsrechtliche Schranken bei der Werbung gegenüber Minderjährigen, WRP 2009, 255; Gaedertz/Steinbeck Diskriminierende und obszöne Werbung, WRP 1996, 978; Glöckner UWG-Novelle mit Konzept und Konsequenz. Anmerkungen zum Referentenentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, WRP 2014, 1399; ders. Über die Schwierigkeit, Proteus zu beschreiben – die Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken in Deutschland, GRUR 2013, 224; ders./Henning-Bodewig EG-Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken: Was wird aus dem „neuen“ UWG? WRP 2005, 1311; Gloy Neuere Rechtsprechung zu unlauteren Vertriebsmethoden auf dem Pressemarkt, GRUR 1996, 585; Groeschke/Kiethe Die Ubiquität des europäischen Verbraucherleitbildes. Der europäische Pass des informierten und verständigen Verbrauchers, WRP 2001, 230; Gruber Die Erstattung von Fahrt- und Parkkosten im Lichte des Wettbewerbsrechts. Zugleich eine Anmerkung zum Urteil des BGH vom 18.10.1990, WRP 1992, 429; Günther/Beyerlein Zur Zulässigkeit von Zugaben nach dem Wegfall der Zugabenverordnung, WRP 2004, 1142; Haberkamm Wirklich nichts Neues? Das EuGH-Urteil Mediaprint und seine Implikationen für die UGP-Richtlinie, WRP 2011, 296; Hartlage Progressive Kundenwerbung – immer wettbewerbswidrig?, WRP 1997, 1; Hartwig Über das Verhältnis von informativer und suggestiver Werbung – Anmerkungen zur „Benetton-Werbung“, WRP 1997, 825; ders./Ferschl Werbung per Telefon – Kostenlose Telefongespräche dank Werbung? WRP 1999, 1083; ders. Moralischer Kaufzwang. Zugleich Anmerkung zu LG Siegen, Urteil vom 25. Juni 2002 – 7 O 75/02, WRP 2002, 1371; ders. Der BGH und das Ende des Verbots „gefühlsbetonter Werbung“, NJW 2006, 1326; Hecker Die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken: Einige Gedanken zu den „aggressiven Geschäftspraktiken“ – Umsetzung in das deutsche Recht, WRP 2006, 640; Heermann Garantien, Rückgabe- und Umtauschrechte, Kopplungsgeschäfte – Die ZugabeVO als „Hemmschuh wahrer Leistungssteigerungen“?, WRP 1999, 130; ders. Prämien, Preise, Provisionen. Zur lauterkeitsrechtlichen Beurteilung von Absatzförderungsmaßnahmen im Handel gegenüber Nichtverbrauchern, WRP 2006, 8; ders. Rabattgesetz und Zugabeverordnung ade! Was ist nun erlaubt? Was ist nun verboten?, WRP 2001, 855; ders./Ruess Verbraucherschutz nach RabattG und ZugabeVO – Schutzlücke oder Freiheitsgewinn?, WRP 2001, 883; Heil Gewinnspiele – eine unendliche Geschichte? Anmerkung zum BGH-Urteil vom 5.2.1998 (I ZR 151/95) – Rubbelaktion, WRP 1998, 724, WRP 1998, 839; Heinen Käufersouveränität, in: Tietz (Hrsg.) Handwörterbuch der Absatzwirtschaft (1974), Sp. 951; Henning-Bodewig Die Tarnung von Werbung, GRUR Int. 1991, 858; dies. Schockierende Werbung, WRP 1992, 533; dies. „Werbung mit der Realität“ oder wettbewerbswidrige Schockwerbung?, GRUR 1993, 950; dies. Neue Aufgaben für die Generalklausel des UWG? Von „Benetton“ zu „ Busengrapscher“, GRUR 1997, 180; dies. Das neue Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, GRUR 2004, 713; dies. Neuorientierung von § 4 Nr. 1 und 2 UWG, WRP 2006, 621; Hilty/Henning-Bodewig Corporate Social Responsibility (2014); dies. Law against unfair competition (2007); Hösch Meinungsfreiheit und Wettbewerbsrecht am Beispiel der „Schockwerbung“, WRP 2003, 936; Hoffmann-Riem Kommunikationsfreiheit für Werbung – Zugleich Anmerkung zu den Benetton-Entscheidungen des BGH, ZUM 1996, 1; Hug/Gaugenrieder Cold Calls in der Marktforschung?, WRP 2006, 1420; Isele Das gezielte und individuelle Ansprechen von Passanten in öffentlichen Verkehrsräumen, GRUR 2008, 1061; Jahn/Gonzalez Wettbewerbsvorteil und Gewinnerzielungsinteresse contra personales Selbstbestimmungsrecht – Briefkastenwerbung durch Wurfsendung vor Gericht, WRP 1991, 1; Janz Rechtsfragen der Vermittlung von Oddset-Wetten in Deutschland, NJW 2003, 1694; John Zur Frage der Unlauterkeit von Verkaufsförderungsmaßnahmen gegenüber drittverantwortlichen Marktteilnehmern. Zugleich Anmerkung zu BGH, Urteil vom 24.6.2010 – I ZR 182/08 – Brillenversorgung II, WRP 2011, 147; Kappes Gutschein- und Bonussysteme im Apothekenwesen, WRP 2009, 250; Kaulmann Der Schutz des Werbeslogans vor Nachahmungen, GRUR 2008, 854; Keßler Wettbewerbsrechtliche Grenzen sozial orientierter Absatzsysteme, WRP 1999, 146; Kirchhoff Die UWG-Novelle 2015 – nur Kodifizierung der Pahlow
490
Schrifttum
§ 4a
Rechtsprechung oder substantiell Neues?, WRP 2015, 659; Kisseler Das Bild der Frau in der Werbung, FS Gaedertz (1992) 283; ders. Ein Meilenstein für den Verbraucherschutz, WRP 1997, 625; Klein/Insam Telefonische Abwerbung von Mitarbeitern am Arbeitsplatz und im Privatbereich nach dem neuen UWG, GRUR 2006, 379; Köhler Wettbewerbsrechtliche Grenzen des Mitgliederwettbewerbs der gesetzlichen Krankenkassen, WRP 1997, 373; ders. Zum Anwendungsbereich der §§ 1 und 3 UWG nach Aufhebung von RabattG und ZugabeVO, GRUR 2001, 1067; ders. Zur wettbewerbsrechtlichen Zulässigkeit der telefonischen Ansprache von Beschäftigten am Arbeitsplatz zum Zwecke der Abwerbung, WRP 2002, 1; ders./Lettl Das geltende europäische Lauterkeitsrecht, der Vorschlag für eine EG-Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken und die UWG-Reform, WRP 2003, 1019; ders. UWG-Reform und Verbraucherschutz, GRUR 2003, 265; ders. Zur Konkurrenz lauterkeitsrechtlicher und kartellrechtlicher Normen, WRP 2005, 645; ders. Zur Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, GRUR 2005, 793; ders. Minderjährigenschutz im Lauterkeitsrecht, FS Ullmann (2006) 685; ders. Zur Kontrolle der Nachfragemacht nach dem neuen GWB und dem neuen UWG, WRP 2006, 139; ders. Vertragsrechtliche Sanktionen gegen unerwünschte Telefonwerbung, WRP 2007, 866; ders. Zur richtlinienkonformen Auslegung und Neuregelung der „Bagatellklausel“ in § 3 UWG, WRP 2008, 10; ders. Spendenwerbung und Wettbewerbsrecht, GRUR 2008, 281; ders. Werbung gegenüber Kindern: Welche Grenzen zieht die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken?, WRP 2008, 700; ders. Die Unlauterkeitstatbestände des § 4 UWG und ihre Auslegung im Lichte der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, GRUR 2008, 841; ders. Die UWG-Novelle 2008, WRP 2009, 109; ders. Der „Mitwettbewerber“. Vom schwierigen Umgang mit einer Legaldefinition, WRP 2009, 499; ders. Unzulässige geschäftliche Handlungen bei Abschluss und Durchführung eines Vertrags, WRP 2009, 898; ders. Preisinformationspflichten, FS Loschelder (2010) 151; ders. Kopplungsangebote neu bewertet. Zugleich Besprechung der „Plus Warenhandelsgesellschaft“-Entscheidung des EuGH, GRUR 2010, 177; ders. Neujustierung des UWG am Beispiel der Verkaufsförderungsmaßnahmen, GRUR 2010, 767; ders. Die Kopplung von Gewinnspielen an Umsatzgeschäfte: Wende in der lauterkeitsrechtlichen Beurteilung, GRUR 2011, 478; ders. „Fachliche Sorgfalt“ – Der weiße Fleck auf der Landkarte des UWG, WRP 2012, 22; ders. Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des UWG, WRP 2014, 1410; ders. Das neue UWG 2015: Was ändert sich für die Praxis?, NJW 2016, 593; ders. Der Regierungsentwurf zur UWG-Novelle 2015: Nur Klarstellungen oder doch tiefgreifende Änderungen? WRP 2015, 275; ders. Zur „geschäftlichen Relevanz“ unlauterer geschäftlicher Handlungen gegenüber Verbrauchern, WRP 2014, 259; ders. Alternativentwurf (UWG-AE) zum Regierungsentwurf (UWG-E) eines 2. Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, WRP 2015, 1311; ders. Zur Neuvermessung der Tatbestände der unzumutbaren Belästigung (§ 7 UWG) § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG, WRP 2017, 253; Kort Zur wettbewerbsrechtlichen Beurteilung gefühlsbetonter Werbung, WRP 1997, 526; ders. Grenzstreitigkeiten im UWG, WRP 2010, 1293; Kroeber-Riel Konsumentenverhalten, 3. Aufl. (1984); Kübler/Kübler Werbefreiheit nach „Benetton“, FS Ulmer (2003) 914; Kulka Der Entwurf eines „ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb“, DB 2008, 1548; Ladeur Das Werberecht der elektronischen Medien (2004); Lange Verhindern die Zivilgerichte das soziale Engagement von Unternehmen? WRP 1999, 893; ders. Wettbewerbliche Grenzen gekoppelter Stromverträge, WRP 2002, 10; Lehmann Die Werbung mit Geschenken. Eine juristische Analyse der abstrakten Wertreklame unter besonderer Berücksichtigung der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung (1974); Leible Multi-Level-Marketing ist nicht wettbewerbswidrig! Einige (zustimmende) Anmerkungen zu LG Offenburg, WRP 1998, 18; ders./Sosnitza Virtuelle Einkaufsgemeinschaften. Zur wettbewerbsrechtlichen Beurteilung von „Powershopping“ im Internet, ZIP 2000, 732 ; Lettl Rechtsfragen des Direktmarketings per Telefon und e-mail, GRUR 2000, 977; ders. Versteigerung im Internet, JuS 2002, 219; ders. Der Schutz der Verbraucher nach der UWG-Reform, GRUR 2004, 449; ders. Werbung mit einem Telefonanruf gegenüber einem Verbraucher nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 UWG n.F., WRP 2009, 1315; Leupold Die massenweise Versendung von Werbe-eMails: Innovatives Direktmarketing oder unzumutbare Belästigung des Empfängers? WRP 1998, 270; Lindacher Gefühlsbetonte Werbung nach BVerfG GRUR 2002, 455 – Tierund Artenschutz. Geklärte und offene Fragen, FS Tilmann (2003) 195; Lutz Veränderungen des Wettbewerbsrechts im Zuge der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, GRUR 2008, 908; Maluga Der „Frequent-Flyer“ – „Jäger und Sammler“ im 20. Jahrhundert, WRP 1996, 184; Mankowski Was ist ein „Kind“? Zum Begriff des Kindes in der deutschen und europäischen black list, WRP 2007, 1398; ders. Klingeltöne auf dem wettbewerbsrechtlichen Prüfstand, GRUR 2007, 1013; ders. Ist die Bagatellklausel des § 3 UWG bei belästigender Werbung (§ 7 UWG) zu beachten? WRP 2008, 15; Mankowski „Hol es dir und zeig es deinen Freunden“ – Der Schutz von Kindern und Jugendlichen im Werberecht, in: Bork/Repgen, Das Kind im Recht (2009) 51; Mees Einsatz und Verwendung von Gutscheinen sowie Leistungen Dritter beim Verkauf 491
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
im Preis gebundener Bücher, GRUR 2012, 353; Menke Zur Fallgruppe „Gefühlsbetonte Werbung“ – Bemerkungen aus Anlaß der „Arbeitsplätze bei uns“-Entscheidung des BGH, GRUR 1995, 534; ders. Die Voraussetzungen der ausnahmsweisen Zulässigkeit von Vorspannangeboten nach § 1 UWG, WRP 1997, 532; Micklitz/Keßler Funktionswandel des UWG, WRP 2003, 919; Möller Laienwerbung, WRP 2007, 6; Nacken Fahrpreiserstattung, WRP 1991, 212; Neef Zur Wettbewerbswidrigkeit einer exklusiven Vereinbarung zugunsten eines Mobilfunknetzbetreibers im Rahmen eines Kundenbindungssystems durch Bonusflugmeilen. Zugleich Anmerkung zu LG Düsseldorf 34 O (Kart) 189/02 – Kundenbindungssystem, WRP 2003, 844; Nees/Sauberschwarz Verkaufseinheiten – Komplettangebote – Kopplung, WRP 1993, 369; Nippe Belästigende Wettbewerbshandlungen – Tatbestände, Rechtfertigungsgründe, Rechtsprechung, WRP 2007, 19; Ohly Das neue UWG – Mehr Freiheit für den Wettbewerb? GRUR 2004, 889; ders. Nach der Reform ist vor der Reform. Anmerkungen zum Referentenentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des UWG, GRUR 2014, 1137; ders. Alternativentwurf („Große Lösung“) zum Regierungsentwurf eines 2. Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, WRP 2015, 1443; ders. Das neue UWG im Überblick, GRUR 2016, 3; Paefgen Psychologischer Kaufzwang – A quo venis et quo vadis? WRP 1990, 85; ders. Ist die Telefonwerbung noch zu retten? Agonie eines Direktmarketinginstruments, WRP 1994, 73; Palzer Und willst kein braver Schuldner du sein, dann meldʼ ich bei der SCHUFA dich ein! Ein lauterkeitsrechtlicher Blick auf ein ambivalentes Phänomen, WRP 2016, 427; Paschke Zur Liberalisierung des Rechts des Telefonmarketings, WRP 2002, 1219; Pauli Direktmarketing und die Gewinnung von Kundendaten: Ist die Veranstaltung eines Gewinnspiels ein geeigneter Weg? WRP 2009, 245; ders. Die Einwilligung in Telefonwerbung per AGB bei der Gewinnspielteilnahme – Trotz verschärfter Gesetze ein „Lichtblick“ für werbende Unternehmen, WRP 2009, 1192; Peifer Aufräumen im UWG – Was bleibt nach der Kodifikation zum irreführenden Unterlassen für § 4 Nr. 1, 4, 5 und 6 UWG? WRP 2010, 1432; Peterek Ausnutzen der Rechtsunkenntnis – Anwendungsfall des § 4 Nr. 2 UWG?, WRP 2008, 714; ders. Der Schutz erwachsener Verbraucher vor der Ausnutzung ihrer geschäftlichen Unerfahrenheit oder Leichtgläubigkeit gem. § 4 Nr. 2 (2008); Peters Zur wettbewerbsrechtlichen Zulässigkeit sog. „Kundenkarten“, WRP 1998, 576; Pfeiffer Markteinführung neuer Produkte – was ist wettbewerbsrechtlich zulässig? WRP 2000, 371; Pfuhl Von erlaubter Verkaufsförderung und strafbarer Korruption. Lauterkeitsrechtliche Analyse der Wertreklame gegenüber Weiterveräußerern und Leitfaden für die werbende Praxis (2010); Piper Fahrpreiserstattung und Kundenbeförderung als Werbemittel, GRUR 1993, 276; Pluskat Das kombinierte Warenangebot – dieses Mal als unzulässiges verdecktes Kopplungsgeschäft, WRP 2002, 789; dies. Zur Zulässigkeit von Kopplungsgeschäften. Zugleich Besprechung des Urteils BGH WRP 2002, 1256 – Kopplungsangebot I, WRP 2002, 1381; dies. Kopplungsangebote und kein Ende. Zugleich Besprechung des Urteils des BGH vom 27.2.2003 – I ZR 253/00 – WRP 2003, 743, WRP 2004, 282; Quiring Muss die telefonische Anwerbung von Mitarbeitern verboten werden? Zugleich Anmerkung zu LG Heilbronn, Urteil vom 21. Mai 1999 – 1 KfH O 152/99, WRP 2000, 33; ders. Gedanken zur Mitarbeiteranwerbung per Telefon. Zugleich Anmerkungen zu OLG Stuttgart, WRP 2000, 318 ff. und Trube, WRP 2001, 97 ff., WRP 2001, 470; ders. Die Abwerbung von Mitarbeitern im Licht der UWGReform – und vice versa, WRP 2003, 1181; Reichelsdorfer „eMails“ zu Werbezwecken – ein Wettbewerbsverstoß?, GRUR 1997, 191; Reichold Unlautere Werbung mit der „Realität“? Unlauterkeitsmaßstäbe bei produktunabhängiger Image-Werbung, WRP 1994, 219; Ruttig „Verkaufsverlosungen“: Verkaufsförderung zwischen Gewinnspiel und Sonderangebot, WRP 2005, 925; Sack Individualschutz gegen unlauteren Wettbewerb. Anmerkungen zur BGH-Entscheidung „E-Mail-Werbung II“ vom 20. Mai 2009, WRP 2009, 1330; Salje Wettbewerbsprobleme im Kreditkartengeschäft, WRP 1990, 807; Schaar Rechtliche Grenzen des „InGame-Advertising“, GRUR 2005, 912; Schaffert Der Schutz älterer Menschen und die Anwendung der Beweislastregel des § 22 AGG im Lauterkeitsrecht, FS Büscher (2018) 373; Scharf Auswirkungen der Briefkastenwerbung in der Praxis, WRP 1996, 393; Schaub Sponsoringverträge und Lauterkeitsrecht, GRUR 2008, 955; Scherer Schutz „leichtgläubiger“ und „geschäftlich unerfahrener“ Verbraucher in § 4 Nr. 2 UWG n.F. – Wiederkehr des alten Verbraucherleitbildes „durch die Hintertür“?, WRP 2004, 1355; dies. Die Werbung zur Ausnutzung der Angst von Verbrauchern nach § 4 Nr. 2 UWG n.F. – Neukonzeption eines altvertrauten Tatbestandes, WRP 2004, 1426; dies. Abschied vom „psychischen Kaufzwang“ – Paradigmenwechsel im neuen Unlauterkeitsrecht, WRP 2005, 672; dies. Die „unsachliche“ Beeinflussung in § 4 Nr. 1 UWG, WRP 2007, 723; dies. Verletzung der Menschenwürde durch Werbung, WRP 2007, 594; dies. Kinder als Konsumenten und Kaufmotivatoren, WRP 2008, 430; dies. Die „wesentliche Beeinflussung“ nach der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, WRP 2008, 708; dies. Die „Verbrauchergeneralklausel“ des § 3 II 1 UWG – eine überflüssige Norm, GRUR 2010, 586; dies. Was bringt die „schwarze Liste“ tatsächlich? Bestandsaufnahme und Konsequenzen, WRP 2011, 393; dies. Wohin mit der „Insolvenzmasse“? – GrundsätzPahlow
492
Schrifttum
§ 4a
liches zum geplanten Wegfall von § 4 Nr. 1, Nr. 2 UWG § 4 a UWG-RefE (UWG § 4 a), WRP 2015, 148; dies. Die Neuregelung der aggressiven geschäftlichen Handlungen in § 4a UWG, GRUR 2016, 233; dies. Das Chamäleon der Belästigung – Unterschiedliche Bedeutungen eines Zentralbegriffs des UWG, WRP 2017, 891; dies. Unternehmerische Freiheit contra Verbraucherschutz? Beurteilung von Verkaufsförderungsmaßnahmen nach der jüngsten EuGH-Rechtsprechung, GRUR 2017, 580; Schloßer Telefonische Direktansprache – unlautere Personalwerbung i.S.v. § 1 UWG? WRP 2002, 1349; Schmidt Unlauter und darüber hinaus …, GRUR 2009, 353; Schöttle Aus eins mach zwei – die neuen Generalklauseln im Lauterkeitsrecht, GRUR 2009, 546; ders. Die Schwarze Liste – Übersicht über die neuen Spezialtatbestände zu § 3 Abs. 3 UWG, WRP 2009, 673; Scholz Ist Werbung für den Verkauf von Waren mit der Behauptung, der Verkauf erfolge ohne Mehrwertsteuer, zulässig? WRP 2008, 571; Schünemann Angstwerbung im Versicherungsmarketing, FS Köhler (2014), 663; Schwab Denn sie wissen, was sie tun – notwendige wettbewerbsrechtliche Neubewertung des Anreißens bei unaufgefordertem Ansprechen von Passanten in der Öffentlichkeit, GRUR 2002, 579; Schwippert Vom Elend eines Tatbestandsmerkmals. Zur „Entscheidungsfreiheit“ i.S.d. § 4 Nr. 1 UWG, FS Samwer (2008) 197; Seichter Der Umsetzungsbedarf der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, WRP 2005, 1087; ders. „20% auf alles – nur heute!“ – Zur wettbewerbsrechtlichen Beurteilung von kurzfristigen Rabattaktionen, WRP 2006, 628; ders. Das Regenwaldprojekt – Zum Abschied von der Fallgruppe der gefühlsbetonten Werbung, WRP 2007, 230; ders./Witzmann Die Einwilligung in die Telefonwerbung, WRP 2007, 699; Sokolowski E-Mail-Werbung als Spamming, WRP 2008, 888; Sosnitza Wettbewerbsbeschränkungen durch die Rechtsprechung: Erscheinungsformen und Ursachen auf dem Gebiet des Lauterkeitsrechts (1995); ders. Zulässigkeit und Grenzen der sogenannten Image-Werbung, WRP 1995, 786; ders. Das Koordinatensystem des Rechts des unlauteren Wettbewerbs im Spannungsfeld zwischen Europa und Deutschland. Zum Regierungsentwurf zur Reform des UWG vom 9.5.2003, GRUR 2003, 739; ders./Kostuch Telefonische Mitarbeiterwerbung am Arbeitsplatz. Ein Beitrag zum Verhältnis von §§ 3, 4 Nr. 10 und 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG, WRP 2008, 166; ders. Der Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, WRP 2008, 1014; ders. Der Regierungsentwurf zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, GRUR 2015, 318; ders. Lauterkeitsrecht gestern, heute und morgen, GRUR 2018, 255; ders. An Kinder gerichtete Online-Werbung für Lebensmittel, Festschrift für Preuß (2018) 135; Steckler Die wettbewerbsrechtlichen Unlauterkeitskriterien bei Verwendung teletechnischer Kommunikationsmedien im Direktmarketing, GRUR 1993, 865; Steinbeck Aleatorische Reize beim CommunityShopping, WRP 2002, 604; dies. Die Dreieckskoppelung – ein Fall des übertriebenen Anlockens? GRUR 2005, 15; dies. Übertriebenes Anlocken, psychischer Kaufzwang etc. … gibt es sie noch?, GRUR 2005, 540; dies. Die Zukunft der aggressiven Geschäftspraktiken, WRP 2008, 865; dies. Der Beispielskatalog des § 4 UWG – Bewährungsprobe bestanden, GRUR 2008, 848; Steingass/Teworte Stellung und Reichweite des Transparenzgebots im neuen UWG, WRP 2005, 676; Tawanti Gesamtpreis, Zugabe oder übertriebenes Anlocken – Handy und Playstation für DM 1,– auch nach der Abschaffung der Zugabeverordnung unzulässig?, WRP 2001, 977; Teichmann/van Krüchten Kriterien gefühlsbetonter Werbung, WRP 1994, 704; Teplitzky Die große Zäsur. Zur Neubearbeitung des Kommentars zum Wettbewerbsrecht von Baumbach/ Hefermehl durch Helmut Köhler und Joachim Bornkamm, GRUR 2004, 900; Thume Multi-Level-Marketing, ein stets sittenwidriges Vertriebssystem? WRP 1999, 280; Trube Zur telefonischen Abwerbung von Beschäftigten. Schutzinteressen in wettbewerbsrechtlichen Dreieckssituationen, WRP 2001, 97; ders. Preisangaben nach Wegfall des RabattG, WRP 2001, 878; Ulbrich Der BGH auf dem Weg zum normativen Verbraucherleitbild? WRP 2005, 940; Ullmann Das Koordinatensystem des Rechts des unlauteren Wettbewerbs im Spannungsfeld von Europa und Deutschland, GRUR 2003, 817; P. Ulmer Der Begriff „Leistungswettbewerb“ und seine Bedeutung für die Anwendung von GWB und UWG-Tatbeständen, GRUR 1977, 565; Ulrich Die Laienwerbung, FS Piper (1996) 496; ders. Die Telefonwerbung, das Haustürwiderrufsgesetz und die Ineffizienz der Rechtsprechung, WRP 1996, 1011; Veelken Kundenfang gegenüber dem Verbraucher. Bemerkungen zum EG-Richtlinienentwurf über unlautere Geschäftspraktiken, WRP 2004, 1; Vehslage Auswirkungen der Fernabsatzrichtlinie auf die Telefon- und E-Mail-Werbung, GRUR 1999, 656; Wassermeyer Schockierende Werbung, GRUR 2002, 126; Wegmann Anforderungen an die Einwilligung in Telefonwerbung nach dem UWG, WRP 2007, 1141; Weiler Psychischer Kaufzwang – Ein Abschiedsplädoyer, WRP 2002, 871; ders. Ein lauterkeitsrechtliches Vertragslösungsrecht des Verbrauchers? WRP 2003, 423; Wenzel Nochmals: Fahrpreiserstattung, WRP 1991, 545; Wiebe Zur „ökologischen Relevanz“ des Wettbewerbsrechts – Lauterkeitsrechtliche Grenzen der Umweltwerbung, WRP 1993, 798; Wuttke Die Bedeutung der Schutzzwecke für ein liberales Wettbewerbsrecht (UWG). Zugleich eine Anmerkung zu BGH I ZR 234/03 – Warnhinweis II, WRP 2007, 119; Yankova/Hören Besondere Schutzbedürftigkeit von Senioren nach dem 493
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
UWG? WRP 2011, 1236; Zagouras Werbung für Mobilfunkmehrwertdienste und die Ausnutzung der geschäftlichen Unerfahrenheit von Kindern und Jugendlichen nach § 4 Nr. 2 UWG, GRUR 2006, 731; Zöller Telefonwerbung ist nicht grundsätzlich unzulässig, GRUR 1992, 297.
Gesetzgebungsmaterialien Gesetzesentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Rabattgesetzes und zur Anpassung anderer Rechtsvorschriften, BTDrucks 14/5441; Gesetzesentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, BTDrucks 16/10145; Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, in: BTDrucks. 18/4535; Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, in: BTDrucks. 18/6571.
Systematische Übersicht A. B. C.
D.
E.
F.
Systematische Übersicht Entstehungsgeschichte | 1 Schutzzweck | 3 Systematik | 6 I. Überblick | 6 II. Verhältnis zu anderen Bestimmungen des UWG | 7 1. §3|8 2. § 7 | 10 3. § 4 Nr. 4 | 16 4. §§ 18 ff. GWB | 17 Auslegungsfragen | 18 I. Umsetzung der UGPRL | 18 II. Anwendbarkeit der älteren Rechtsprechung | 21 1. Rechtslage unter § 1 a.F. | 22 2. Rechtslage nach Aufhebung von RabattG und ZugabeVO | 23 3. UWG 2004 | 24 4. UGPRL und UWG 2008 | 25 Tatbestandsvoraussetzungen | 28 I. Geschäftliche Handlung | 29 II. Aggressives Mittel | 31 III. Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit und Erheblichkeit | 35 1. Bewertungsmaßstab | 35 2. Voraussetzungen | 36 Belästigung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 1) | 39 I. Begriff | 39 II. Anwendungsbereiche | 40 1. Hausbesuche | 40 2. Ansprechen in der Öffentlichkeit | 41 3. Unerbetene Fernkommunikation | 42 4. Unbestellte Waren oder Dienstleistungen | 43 5. Laienwerbung | 44
Pahlow
G.
H.
Nötigung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 2) | 45 I. Begriff | 45 II. Physischer Zwang | 47 III. Drohung | 51 IV. Psychische Zwangssituation | 54 1. Allgemeines | 54 2. Psychischer Kaufzwang | 55 a) Unentgeltliche Zuwendungen | 59 b) Kundenbeförderungen, Werbe- und Verkaufsfahrten | 61 c) Solidarität gegenüber Dritten | 63 d) Überrumpelung | 65 Unzulässige Beeinflussung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3) | 69 I. Voraussetzungen | 69 1. Machtposition | 70 2. Ausübung von Druck | 73 3. Ausnutzung | 74 II. Verkaufsförderungsmaßnahmen | 79 1. Verbraucher | 80 2. Sonstige Marktteilnehmer | 86 III. Werbung mit emotionalen Faktoren | 88 1. Erscheinungsformen und Abgrenzung | 88 2. Entwicklung in Rechtsprechung und Literatur | 90 3. Aufmerksamkeitswerbung | 95 a) Begriff | 95 b) Lauterkeitsrechtliche Beurteilung | 96
494
Systematische Übersicht
IV.
V.
495
aa) Allgemeines | 96 bb) Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3) | 98 cc) Rechtsbruch | 100 dd) Verbrauchergeneralklausel | 101 4. Gefühlsbetonte Werbung | 102 a) Bedeutung | 102 b) Rechtsentwicklung | 103 c) Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3) | 105 d) Irreführung | 109 e) Verbrauchergeneralklausel | 110 f) Grenzfälle | 111 aa) Werbung für Waren und Dienstleistungen von Schwerbehinderten | 111 bb) Umweltbezogene Werbung | 112 cc) Gesundheitsbezogene Werbung | 116 Werbung mit Autoritäten | 120 1. Erscheinungsformen | 120 2. Rechtsentwicklung | 122 3. Lauterkeitsrechtliche Beurteilung | 124 a) Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3) | 124 aa) Autorität | 124 bb) Zur Ausübung von Druck | 126 (1) Krankenkassen, Ärzte, Apotheken | 127 (2) Handel, Gewerbe | 130 (3) Öffentliche Hand, Schule | 131 (4) Sonstige Marktteilnehmer | 132 b) Irreführung | 133 c) Mitbewerberbehinderung | 134 d) Verbrauchergeneralklausel | 135 Werbung gegenüber drittverantwortlichen Personen (sog. Dreieckskopplung) | 136
§ 4a
Begriff | 136 Lauterkeitsrechtliche Beurteilung | 137 a) Rechtsprechung | 137 b) Kritik | 141 c) Eigenbedarf | 143 VI. Laienwerbung | 144 1. Begriff und Bedeutung | 144 2. Erscheinungsformen und Abgrenzung | 146 a) Partywerbung | 147 b) Verdeckte Laienwerbung | 148 c) Progressive Kundenwerbung | 149 d) Multi-Level-Marketing (Strukturvertrieb) | 150 e) Handelsvertreter | 151 3. Rechtsentwicklung | 152 a) § 1 a.F. | 152 b) UWG-Reform | 153 4. Lauterkeitsrechtliche Beurteilung | 154 a) Belästigung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 1) | 155 b) Unzulässige Beeinflussung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3) | 157 c) Irreführung | 161 d) Rechtsbruch | 162 e) Verbraucherklausel | 163 f) Sonderfälle | 164 aa) Verdeckte Laienwerbung | 164 bb) Progressive Kundenwerbung | 165 cc) Multi-Level Marketing (Strukturvertrieb) | 166 dd) Arbeitsplatzwerbung | 167 ee) Sammelbestellung | 168 VII. Appelle an die Solidarität | 169 1. Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3) | 169 2. Verbrauchergeneralklausel (§ 3 Abs. 2) | 175 VIII. Versteigerungen | 176 1. Begriff und Erscheinungsformen | 176 2. Lauterkeitsrechtliche Beurteilung | 178 1. 2.
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
a)
I.
Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3) | 178 b) Irreführung | 181 c) Rechtsbruch (§ 3a) | 182 d) Verbrauchergeneralklausel (§ 3 Abs. 1, Abs. 2 S. 1) | 183 Feststellung der Aggressivität (§ 4a Abs. 2) | 184 I. Normzweck und Systematik | 184 II. Handlungsbezogene Umstände (Nr. 1) | 186 III. Drohungen oder Beleidigungen (Nr. 2) | 187 IV. Unglückssituationen und Umstände solcher Schwere (Nr. 3) | 190 1. Situative Kriterien | 190 2. Verbraucherschützende Kriterien nach § 4a Abs. 2 S. 2 | 193 a) Entstehungsgeschichte | 193 b) Richtlinienkonformität | 194 c) Geistige und körperliche Beeinträchtigungen | 198 d) Alter | 200 e) Geschäftliche Unerfahrenheit | 202 aa) Kinder und Jugendliche | 203 (1) Gesellschaftspolitische Dimension | 203 (2) Lauterkeitsrechtliche Beurteilung | 205 (a) Rechtsentwicklung | 205 (b) Ausnutzen der geschäftlichen Unerfahrenheit | 207 (c) Bargeschäfte des täglichen Bedarfs, Kopplungsangebote, Rabatte | 208 (d) Preisausschreiben und Gewinnspiele | 213 (e) Werbung mit Idolen und Autoritäten | 215
Pahlow
(f)
Kaufappelle | 216 (g) Suggestive Werbung | 220 (h) Datenerhebung | 222 (i) Medienrecht | 224 bb) Erwachsene | 228 (1) Allgemeines | 228 (2) Geschäftliche Unerfahrenheit | 230 f) Leichtgläubigkeit | 238 g) Angst | 241 aa) Begriff | 242 bb) Währungsstabilität | 245 cc) Umwelt | 246 dd) Gesundheit | 247 ee) Unfall | 250 ff) Status | 251 h) Zwangslage | 252 aa) Begriff | 252 bb) Ansprechen am Unfallort | 254 cc) Werbung im Trauerfall bzw. mit Bestattungsdienstleistungen | 256 dd) Ansprechen auf der Straße | 261 ee) Erschlichene Vertreterbesuche | 263 ff) Räumliche Zwangslage | 265 gg) Ausnutzen | 267 3. Beeinträchtigung des Urteilsvermögens | 269 V. Hindernisse (Nr. 4) | 271 1. Hindernisse nichtvertraglicher Art | 272 2. Ausübung vertraglicher Rechte | 275 VI. Drohung mit rechtlich unzulässigen Handlungen (Nr. 5) | 277 1. Drohung | 278 2. Rechtlich unzulässige Handlung | 279 VII. Sonstige Umstände | 282
496
Alphabetische Übersicht
Alphabetische Übersicht aggressive Geschäftspraxis 45, 76, 81 f., 98, 255 Alter 19, 71, 73, 112, 193 f., 196, 200 f., 204, 206 f., 209 f., 212, 214 f., 217 f., 220 ff. alterstypischer Entwicklungsstand 207 Anfechtung 276 Angst 19 f., 193 f., 201, 241 ff., 250 f., 267 f. Angstwerbung Alphabetische Übersicht Ansprechen 14, 39, 41, 93, 102, 104, 186, 254, 261 f. Anwalt 52, 56, 142 Arbeitsplatzwerbung 167 Aufmerksamkeitswerbung 89, 95 ff., 99, 102 Ausnutzen, Ausnutzung 32, 34, 57, 65, 74, 76 f., 82, 102 f., 122, 131, 157 f., 172, 190, 194, 198, 201, 207 ff., 221 ff., 230 ff., 244, 247, 250 f., 255 f., 265, 267 f., 270 Autorität 78, 120 ff., 124 ff., 130, 132, 136, 142, 144, 157 f., 215 Beförderungszuwendung 61 Belästigung 7, 10, 12 ff., 18, 25 f., 28, 31 ff., 39 ff., 76, 81, 91, 152, 154 ff., 186 f., 255, 260, 262 Bestattungsdienstleistung 256, 260 Daten, Datenerhebung 54, 84, 138, 164, 214, 222 f., 279 Dreieckskopplung 121, 136 f. Druck 17, 32, 37, 46, 52, 54 ff., 61 ff., 69 f., 73, 76 ff., 81, 83, 99, 124, 126 ff., 130, 132, 142, 157, 160, 169, 171 ff., 190, 231, 281 geistige oder körperliche Gebrechen 71, 198 Geldwertstabilität 245 Generalklausel 81 f., 90, 152, 205, 263 geschäftliche Unerfahrenheit 19, 193 f., 201, 202, 208, 217 f., 229, 230, 232 geschmacklose Werbung 103 Gesundheit 88, 112, 116 ff., 243, 247, 267 Getränke, alkoholische 118, 225, 227 Gewalt, körperliche 31, 45, 47, 69, 73 Gewinnspiel 26, 84 f., 87, 138, 205, 213 f., 222 Gruppenzwang 64, 172 f. Gutschein 80, 87, 219 Heilmittel, Heilmittelwerbegesetz 119 Honorar 52 Immobilien 61, 145 Inflation, siehe Geldwertstabilität 243, 245 Internet 40, 77, 87, 132, 146, 173, 176 f., 181, 183, 216, 223, 273, 279 Jugendliche 73, 84, 170 ff., 196, 200, 203 ff., 213 ff., 218, 222 ff., 228, 230 Kaffeefahrten 60, 82, 231, 239, 280 Kaufappelle 215 ff. Kaufmotivatoren 170 Kinder 63 f., 131, 170 ff., 200, 203 ff., 220, 222 ff., 228, 230 Kindergarten 63, 171
497
§ 4a
Konsument 13, 35, 48 f., 88, 112, 152, 237, 260 Kopplungsangebot 23, 80, 87, 141, 208 f. Kopplungsgeschäfte, siehe Kopplungsangebot Krankenkasse 127, 129, 214 Kundenbeförderung 62 Kundenbindungssystem, siehe Verkaufsförderungsmaßnahme Kündigung 73, 232, 252, 276 Laienwerbung 33, 44, 78, 144 ff., 148, 152 f., 156 f., 159 f., 164, 168 Leichtgläubigkeit 19, 71, 73, 165, 193 f., 201, 225, 229, 231, 238 f. Leistungswettbewerb 23, 92, 94, 122 Lotterie 80 Machtposition 83 f., 107, 120, 130 ff., 157, 160, 169, 171, 174, 190 Marktteilnehmer, sonstige 1 ff., 5 f., 12, 17 f., 28, 30, 35 ff., 39, 47, 51, 60, 69 f., 72 ff., 77, 79, 86 f., 102, 104, 125 f., 132, 141 f., 164, 180, 185, 188, 190 f., 197, 273, 275 f., 278 Medienrecht 50, 219, 224 Missbrauchskontrolle 23 Misserfolg, wirtschaftlicher oder sozialer 35, 251 Mitbewerber 2, 4, 7, 16, 22 ff., 90, 99, 104, 134, 152, 165, 167 Multi-Level-Marketing 150, 166 Nötigung 18, 25, 28, 31 ff., 45 ff., 49, 52, 61, 65, 73, 81, 185, 187, 266, 277 Partywerbung 147 Persönlichkeitssphäre 48 Powershopping 177, 179 f. Preisausschreiben 26, 80, 85, 87, 213 Preisnachlass 21, 26, 80, 179, 109 Preisnachlass, siehe Rabatte Provision 137, 139, 144, 160, 168, 173 psychischer Kaufzwang 55, 58 f., 63 Rabatt 24, 83, 87, 136, 140, 208, 210 RabattG 21, 23, 27, 153, 179, 206 Rechtsunkenntnis 232, 234 ff. Rücktritt 276 Rundfunk 50, 99, 216, 224, 226 Sammelbestellung 168 Sammelleidenschaft 205 Schockwerbung 89 Schwerbehinderte 111 Sexualität 88, 104 Solidarität 63 f., 78, 88, 169 f., 174 Sonderpreis 119 Sperrvermerk 39 Sponsoring 99, 108, 217 subliminale Werbung 48 suggestive Werbung 220 Taschengeld 208, 210, 213 Telemedien 50, 226
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
Teleshopping 50 Transparenzgebot 23, 62, 83, 99, 112, 178 Trauerfall 252, 256 Überrumpelung 65, 254, 262, 264 übertriebenes Anlocken 205 Umwelt, Umweltschutz 93 f., 103, 108, 112 ff., 246 Unfall 76, 250, 252, 254 f. Unfallopfer 76, 191, 250, 254 f. Unfallort 76, 254 f. Verbrauchergeneralklausel 6, 8, 34, 101, 110, 135, 141, 163, 175, 183 Verkaufsfahrten 41, 59, 62, 231 Verkaufsförderungsmaßnahme 22, 26, 33 f., 73, 78 ff., 88, 141 f., 222 f. Verkaufsveranstaltung 62, 177, 198, 230 f., 265 Versandhandel 87, 168 Versicherung 56, 140, 142, 145, 167, 271
Vertreter, Vertreterbesuch 65, 67 f., 144, 151, 167 f., 202, 256, 258 ff., 263 f. Vertrieb 60, 125, 132, 145, 150, 165 f., 177, 179, 183, 211 Werbegeschenke 24, 26 Werbung 10 f., 13, 26, 33, 35, 39, 42, 44, 48 ff., 60, 66, 76 ff., 84, 86 ff., 102 ff., 111 ff., 115 ff., 126, 131 f., 136, 140, 143 ff., 156 ff., 164 ff., 170, 174, 186, 191, 203, 205 ff., 215, 217, 219 f., 224 ff., 231, 239, 244 ff., 261, 268 Wertreklame 22 ff., 26, 79 Whitelisting 77 Widerruf 65, 232 ff., 276 Zugabe 21, 23, 80, 87, 136 f., 140, 209 f., 219 ZugabeVO 21, 23, 27, 153, 206 Zwang 22 f., 27, 45 ff., 48, 55 f., 58 ff., 81, 108, 172 f., 179 Zwangslage 19 f., 51, 54, 59 ff., 76, 108, 193 f., 241
A. Entstehungsgeschichte § 4a regelt die Unlauterkeit bei sog. aggressiven geschäftlichen Handlungen gegenüber Verbrauchern und sonstigen Marktteilnehmern. Die Vorschrift dient der Umsetzung der Art. 8 und 9 UGPRL und ist erst durch das UWG 2015 (dazu Einl. B Rn. 59) eingeführt worden. Die UWG-Reform 2008 begnügte sich noch mit dem Gebot einer richtlinienkonformen Auslegung der §§ 4 Nr. 1 und Nr. 2 a.F. (Voraufl. § 4 Nr. 1 Rn. 4); in diesem Sinne hatte der BGH die Bestimmungen auch ausgelegt.1 Das entsprach nicht den Vorgaben des europäischen Rechts.2 Das UWG 2015 diente daher dazu, systematische Klarstellungen vorzunehmen, um eine vollständige Rechtsangleichung im Sinne der Richtlinie 2005/29/EG zu erreichen.3 Der zunächst vorgelegte Referentenentwurf zur Änderung des UWG aus dem Jahr 2 2014 sah vor, den Schutz nicht nur auf sonstige Marktteilnehmer, sondern auch auf Mitbewerber zu erstrecken.4 Der sich anschließende Regierungsentwurf5 rückte davon wieder ab. Im Gesetzgebungsverfahren erhielt § 4a aufgrund der Beschlüsse des Rechtsausschusses6 eine stark vom ursprünglichen Regierungsentwurf abweichende Fassung. Dazu wurde der Wortlaut des § 4a stärker an die Art. 8 und 9 der UGPRL angepasst, der Anwendungsbereich auf den Schutz der Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer beschränkt und in § 4a Abs. 2 S. 2 eine Regelung eingefügt, die in der Sache an § 4 Nr. 2 UWG 2008 angelehnt ist. Demgegenüber wurden die verbraucherbezogenen Tatbestände 1
_____
1 BGH 3.3.2011 – I ZR 167/09 – WRP 2011, 1054 Tz. 26 – Kreditkartenübersendung; BGH 24.6.2010 – I ZR 182/08 – WRP 2010, 1139 Tz. 13 – Brillenversorgung II; BGH 31.3.2010 – I ZR 75/08 – WRP 2010, 1388 Tz. 16 – Ohne 19% Mehrwertsteuer; BGH 29.10.2009 – I ZR 180/07 – GRUR 2010, 455 Tz. 17 – Stumme Verkäufer II. 2 Vgl. nur EuGH 10.5.2001 – C-144/99 Tz. 21 – NJW 2001, 2244 f. 3 BT-Drucks. 18/6571, S. 1; BT-Drucks. 18/4535, S. 8. 4 Abgedruckt in WRP 2014, 1373; siehe dazu die Stellungnahmen und Anmerkungen von Alexander WRP 2014, 1384; Glöckner WRP 2014, 1399; Köhler WRP 2014, 1410; Ohly GRUR 2014, 1137; s. ferner die Stellungnahmen der Verbände in WRP 2015, 46 (Markenverband), 177 (Verbraucherzentrale Bundesverband e.V.), 180 (Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft ZAW e.V.). 5 BT-Drucks. 18/4535; dazu Kirchhoff WRP 2015, 659; Köhler WRP 2015, 275; ders. WRP 2015, 1311; Ohly WRP 2015, 1443; Sosnitza GRUR 2015, 318. 6 BT-Drucks. 18/6571.
Pahlow
498
C. Systematik
§ 4a
des alten § 4 Nr. 1 bis Nr. 6 UWG 2008 gestrichen bzw. in die §§ 4a, 5 und 5a überführt. § 4 betrifft nun ausschließlich mitbewerberbezogene Tatbestände, die früher in § 4 Nr. 7–10 a.F. geregelt waren.7 Mit dieser Umstrukturierung des UWG sollten keine materiellen Änderungen verbunden sein, sondern stattdessen eine stärkere Angleichung des UWG an die UGPRL erfolgen.8 B. Schutzzweck § 4a schützt Verbraucher oder sonstige Marktteilnehmer vor aggressiven Geschäfts- 3 praktiken, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit führen und sie zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlassen, die sie sonst nicht getroffen hätten. Schutzzweck des § 4a ist damit die Gewährleistung der freien und autonomen Entscheidung des Verbrauchers bzw. sonstigen Marktteilnehmers im Markt (vgl. auch Erwägungsgrund Nr. 16 UGPRL). Im Schutz dieser Entscheidungsfreiheit manifestiert sich der vom Unionsgesetzgeber bezweckte Schutz der „wirtschaftlichen Interessen“ der Verbraucher (Erwägungsgrund Nr. 6 S. 1 und 8 S. 1 UGPRL).9 Zumindest mittelbar bezweckt § 4a sowohl den Schutz bzw. die Interessen der 4 rechtmäßig handelnden Mitbewerber als auch das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten (§ 1 S. 2) und damit lauteren Wettbewerb (Erwägungsgrund Nr. 8 S. 2 UGPRL). Dieser Wettbewerb kann die an ihn gestellten Erwartungen nur dann erfüllen, wenn die potenziellen Marktakteure ihre Entscheidung frei und an ihren Vorstellungen und Bedürfnissen ausgerichtet treffen und damit ihre „Schiedsrichterfunktion“ im Markt erfüllen können.10 § 4a bezweckt dagegen keinen individuellen Schutz der Verbraucher oder sons- 5 tigen Marktteilnehmer. Einen solchen Schutz verlangt auch die UGPRL nicht (vgl. Erwägungsgrund Nr. 9, S. 1). Er wird vielmehr durch die Vorschriften des Bürgerlichen Rechts (u.a. §§ 119 ff., 134, 138, 312 ff., 355 ff. BGB) und des Kartellrechts (Art. 102 AEUV; §§ 19–21 GWB) gewährleistet.11 C. Systematik C. Systematik I. Überblick Aggressive Geschäftspraktiken gegenüber Verbrauchern und sonstigen Marktteil- 6 nehmern werden im UWG 2015 an verschiedenen Stellen geschützt; zudem bestehen Konkurrenzen zu Regelungen außerhalb des UWG. Das UWG unterscheidet in §§ 3 u. 4a graduelle Stufen der Unlauterkeit, die für den Schutz der Entscheidungsfreiheit von Verbrauchern und sonstigen Marktteilnehmern in Konkurrenz zueinander stehen. Der Verstoß gegen einen der Tatbestände der sog. Schwarzen Liste in den Nrn. 12, 17, 25–30 Anhang § 3 Abs. 3 führt stets zur Unzulässigkeit. Erfüllt die Handlung keines dieser Tatbestände, dann stellt § 4a die nächst niedrigere Stufe der Unlauterkeit dar. Im Verbotssystem des UWG nimmt die Regelung die gleiche Stellung ein wie die Art. 8 und 9 UGPRL: § 4a normiert einen Spezialtatbestand der aggressiven Beeinflussung der Ent-
_____
7 BT-Drucks. 18/6571, S. 14 f. 8 BT-Drucks. 18/4535, S. 8 f.; inzwischen auch BGH 22.3.2018 – I ZR 25/17 – GRUR 2018, 1063 Tz. 9 – Zahlungsaufforderung; BGH 24.11.2016 – I ZR 163/15 – GRUR 2017, 635 Tz. 53 – Freunde werben Freunde. 9 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.2. 10 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.2; Beater FS Tilmann, S. 87. 11 Köhler GRUR 2003, 265, 266 f.; Sosnitza GRUR 2003, 739, 744 f.
499
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
scheidungsfreiheit von Verbrauchern und sonstigen Marktteilnehmern. Fehlt es an einem der genannten Voraussetzungen, dann kommt nur noch die Verbrauchergeneralklausel des § 3 Abs. 2 gegenüber Verbrauchern, und im Verhältnis zu sonstigen Marktteilnehmern § 3 Abs. 1 in Betracht (dazu unten Rn. 8).12 II. Verhältnis zu anderen Bestimmungen des UWG 7
Über den Begriff der Unlauterkeit ist § 4a an § 3 Abs. 1 gebunden, wonach unlautere geschäftliche Handlungen hinsichtlich der Rechtsfolge unzulässig sind. Aggressive geschäftliche Handlungen können mit anderen Tatbeständen des UWG 2015 konkurrieren. Das gilt z.B. im Rahmen des § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 vor allem gegenüber der unzumutbaren Belästigung des § 7 (dazu Rn. 10ff.). Dieselbe geschäftliche Handlung kann neben dem § 4a auch den Rechtsbruchtatbestand des § 3a erfüllen, etwa bei einer Drohung mit rechtlich unzulässigen Handlungen (§ 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 5). Auch kann eine aggressive geschäftliche Handlung gleichzeitig den Tatbestand der Mitbewerberbehinderung des § 4 Nr. 4 erfüllen (unten Rn. 16). Schließlich ist es auch möglich, dass aggressive geschäftliche Handlungen eine Irreführung nach § 5 oder eine Verschleierung einer Werbemaßnahme i.S.d. § 5a Abs. 6 (früher § 4 Nr. 3 a.F.) darstellen (dazu § 5a Rn. 171ff.).
1. § 3. Unlautere geschäftliche Handlungen sind gemäß § 3 Abs. 1 unzulässig, ohne dass weitere Umstände hinzutreten müssen. Aus § 3 Abs. 1 folgt daher die Unzulässigkeit sämtlicher durch § 4a als unlauter beurteilten Verhaltensweisen. § 3 Abs. 1 ist zudem Auffangnorm für all diejenigen Fälle, die von den §§ 3a ff. nicht erfasst werden und auch nicht im Anwendungsbereich der UGPRL oder der Werberichtlinie liegen, sodass der Norm die Funktion einer Generalklausel zukommt. Soweit es das Verhältnis zu Verbrauchern betrifft und § 4a nicht greift, stellt die Verbrauchergeneralklausel des § 3 Abs. 2 eine Auffangvorschrift bereit.13 § 3 Abs. 4 stellt einen Beurteilungsmaßstab für alle Arten von Geschäftspraktiken 9 dar.14 Die Norm findet nicht nur im Rahmen der Generalklausel, sondern auch für die Spezialtatbestände Anwendung, also auch für § 4a. § 3 Abs. 4 passt die Regelungen zu den besonders schutzbedürftigen Verbrauchern sprachlich enger an Art. 5 Abs. 3 UGPRL an. Eine Regelung für besonders schutzbedürftige Verbraucher wurde in § 4a Abs. 2 S. 2 integriert. Der Regelung kommt im Verhältnis zu § 3 Abs. 4 S. 2 aber lediglich deklaratorische Wirkung zu (unten Rn. 19).15
8
10
2. § 7. Der Begriff der Belästigung des § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 konkurriert im UWG mit der unzumutbaren Belästigung des § 7. Das Verhältnis der beiden Tatbestände wird unterschiedlich beurteilt: Eine verbreitete Auffassung geht davon aus, dass der Begriff der Belästigung in § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und § 7 identisch ist.16 Bei der Belästigung nach der UGPRL handele es sich zwar um einen Begriff des Unionsrechts, der autonom auszulegen sei. Diese Terminologie umfasse aber zugleich den Begriff der Belästigung im Sinne
_____
12 Köhler WRP 2010, 1293, 1298. 13 Vgl. zu Art. 5 UGPRL EuGH 19.9.2013 – C-435/11 – GRUR 2013, 1157, 1158 Tz. 31 – CHS/Team4 Travel; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.8. 14 BT-Drucks 16/10145, 43; Scherer WRP 2015, 148 Rn. 10; dies. GRUR 2016, 233; Köhler GRUR 2010, 767, 772. 15 Krit. Fritzsche WRP 2016, 1 Rn. 44. 16 Gloy/Loschelder/Erdmann/Hasselblatt Handbuch des Wettbewerbsrechts § 61 Rn. 2, 6 ff.; juris-PK/ Koch § 7 Rn. 8; juris-PK/Seichter § 4a Rn. 28 f.; Harte/Henning/Picht § 4a Rn. 18 f.; Apetz S. 225 f.
Pahlow
500
C. Systematik
§ 4a
des § 7. Ohly17 hingegen differenziert auch im europäischen Recht zwischen der Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit durch aufdringliche Geschäftspraktiken (Art. 8 UGPRL) und der reinen Störung der Privat- oder Geschäftssphäre durch belästigende Werbung (Art. 13 DatenschutzRL für elektronische Kommunikation). Daraus folgert er eine kumulative Anwendungsoption: Sofern sich bei getrennter Betrachtung eine Unlauterkeit weder mit § 7 Abs. 1 UWG noch mit § 4a UWG begründen ließe, könne die Kombination beider Aspekte in Ausnahmefällen das Verdikt der Unlauterkeit begründen. Andere18 hingegen unterscheiden deutlich zwischen einer Belästigung im Sinne des § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und einer Belästigung im Sinne des § 7; beide Begriffe seien daher nicht identisch, sondern folgen unterschiedlichen Tatbestandsvoraussetzungen. Für die letztgenannte Auffassung sprechen zunächst die unterschiedlichen 11 Schutzzwecke. § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 setzt Art. 8 UGPRL um, der die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher vor einer erheblichen Beeinträchtigung durch aggressive Geschäftspraktiken des Unternehmers schützt. Der Verbraucher soll davor bewahrt werden, dass er eine geschäftliche Entscheidung trifft, die er ohne diese aggressive geschäftliche Handlung nicht getroffen hätte.19 § 7 Abs. 1 schützt dagegen den Verbraucher gegen Werbung, die er nicht wünscht, bzw. vermittelt ihm das Recht, „in Ruhe gelassen“20 zu werden. Es geht also um den Kontakt des Verbrauchers mit Werbung, gerade nicht um eine konkrete geschäftliche Entscheidung. Die unterschiedlichen Schutzzwecke wirken sich auf die jeweiligen Belästigungstat- 12 bestände aus. Bei § 7 muss sich der Begriff der Belästigung auf die Kontaktaufnahme durch den Werbenden beziehen: Die Art und Weise der Kontaktaufnahme muss vom Adressaten als störend empfunden werden.21 Dagegen geht § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 weit darüber hinaus: Hier muss die geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers oder sonstigen Marktteilnehmers tangiert sein und zwar mit einer derartigen Intensität, dass sie den rationalen Bezug für ein Produkt verliert. § 4a Abs. 1 erfasst also nicht jede Belästigung, sondern nur eine solche, welcher der Adressat nicht mit zumutbaren Mitteln ausweichen kann. Das ist anzunehmen, wenn dem Kunden ein einfach auszuübendes Widerspruchsrecht belassen wird, so dass die Belästigung gerade nicht unausweichlich ist.22 Es muss also ein durch die Belästigung ausgelöstes Bedrängungspotenzial für die 13 Konsumentenentscheidung relevant sein, nicht die Art und Weise der Kontaktaufnahme.23 Bei § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 ist daher lediglich für die Belästigung relevant, ob die geschäftliche Entscheidung ein Bedrängungspotenzial entfalten kann. Beide Tatbestände sind unabhängig voneinander zu beurteilen: Weder spielt es eine Rolle für die Belästigung nach § 7 Abs. 1, ob der unerwünschten Werbung ein Bedrängungspotenzial hinsichtlich einer geschäftlichen Entscheidung des Adressaten innewohnt, noch ist für die Belästigung nach § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 relevant, ob die Art und Weise der Kontaktaufnahme als störend empfunden wird.24 Daraus folgt aber zugleich, dass auch keine kumulative Anwendungsoption eine Unlauterkeit begründen kann bzw. diese dann nur aus
_____
17 Ohly/Sosnitza § 7 Rn. 16. 18 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.38; Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer § 4a Rn. 62; Glöckner GRUR 2013, 224, 237; Fritzsche WRP 2016, 1 Rn. 17 ff.; MünchKommUWG/Leible § 7 Rn. 1; Götting/ Nordemann/Menebröcker § 7 Rn. 22; Burmeister S. 105. 19 Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer, § 4a Rn. 57; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.38; Fritzsche WRP 2016, 1 Rn. 17; siehe auch Vorauflage § 7 Rn. 20 f. 20 BT-Drucks. 18/4535, S. 14 f. 21 Scherer WRP 2017, 894. 22 OLG Köln 2.2.2018 – 6 U 85/17 – WRP 2018, 498 Tz. 32 – WiFi-Hotspot. 23 Scherer WRP 2017, 894. 24 Scherer WRP 2017, 894.
501
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
der Generalklausel gefolgert werden kann.25 Natürlich schließt das nicht aus, dass beide Tatbestände in einer geschäftlichen Handlung zusammenfallen können; § 7 und § 4a können also durch eine Handlung erfüllt werden und deren Unlauterkeit begründen. Prozessual ist in diesen Fällen von einem einheitlichen Streitgegenstand auszugehen.26 Eine Differenzierung folgt auch aus den unionsrechtlichen Vorgaben: Da § 4a 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 auf Art. 8 UGPRL beruht, ist die Auslegung des Begriffs der Belästigung zudem an das Unionsrecht, insbesondere die Rechtsprechung des EuGH gebunden. Dagegen bleibt die unzumutbare Belästigung im Sinne des § 7 auch den nationalen Gerichten vorbehalten, wie sich aus Erwägungsgrund Nr. 7 S. 3 u. 4 UGPRL z.B. für das Ansprechen von Personen auf der Straße zu Verkaufswecken ergibt, was in den Mitgliedsstaaten aus kulturellen Gründen unterschiedlich gehandhabt wird.27 Lediglich § 7 Abs. 2 Nr. 1 dient in begrenztem Umfang der Umsetzung der Nr. 26 S. 1 Anhang zu § 3 Abs. 3. Das Unionsrecht unterscheidet daher zwischen der Störung der privaten und geschäftlichen Sphäre einerseits und der Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit andererseits.28 Gegen eine Vermischung der unterschiedlichen Schutzzwecke kann auch Art. 2 15 lit. k) UGPRL nicht ins Feld geführt werden. Der EuGH hat sich aus Gründen eines hohen Verbraucherschutzniveaus für eine weite Auslegung des Begriffs der geschäftlichen Entscheidung ausgesprochen. Unter den Begriff der „geschäftlichen Entscheidung“ fällt daher nicht nur die Entscheidung des Verbrauchers hinsichtlich des Produkterwerbs, sondern auch die damit unmittelbar zusammenhängenden Entscheidungen wie insbesondere das Betreten des Geschäfts.29 Im Umkehrschluss bedeutet das, dass damit das individuelle Verbraucherverhalten im Vorfeld dieses Zeitpunkts nicht von Art. 2 lit. k) UGPRL erfasst wird. Werbemaßnahmen des Unternehmers, die jeder geschäftlichen Entscheidung des Verbrauchers vorgelagert sind, fallen also nicht unter § 4a UWG. Es ist also zu unterscheiden zwischen dem Stadium der (unerwünschten) Kontaktaufnahme zum Verbraucher und dem Stadium der dadurch ausgelösten Einwirkung auf die geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers. Der Bereich der Kontaktaufnahme unterliegt allein § 7, der Bereich der Einwirkung auf die geschäftliche Entscheidung folgt dagegen aus § 4a.30 16
3. § 4 Nr. 4. Mitbewerber werden nicht vom Schutzzweck des § 4a erfasst; aggressive geschäftliche Handlungen gegenüber Mitbewerbern können daher allein über §§ 4 Nr. 4, 3 Abs. 1 verboten werden.31 Die gezielte Mitbewerberbehinderung des § 4 Nr. 4 kann aber mit § 4a Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 4 kollidieren. So können z.B. neben dem Verbraucher auch andere vertraglich gebundene Adressaten durch Drohungen oder Einschüchterungen dazu veranlasst werden, den Vertrag mit einem Mitbewerber zu kündigen, um mit dem Unternehmer neu zu kontrahieren.32 § 4a und § 4 Nr. 4 sind in solchen Fällen gleichwertig nebeneinander anwendbar. Beide Normen verfolgen unterschiedli-
_____
25 A.A. Ohly/Sosnitza § 7 Rn. 16. 26 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.15. 27 BGH 22.4.2010 – I ZR 29/09 – GRUR 2010, 1113, 1113 f. Tz. 14 – Grabmalwerbung. 28 Vorauflage § 7 Rn. 20. 29 EuGH 19.12.2013 – C-281/12 – WRP 2014, 161 Tz. 36 – Trento Sviluppo. 30 Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer, § 4a Rn. 57 ff., 60 ff.; dies. WRP 2017, 893; Fritzsche WRP 2016, 1 Rn. 17; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.38; BGH 21.4.2016 – I ZR 276/14 – GRUR 2016, 831 Tz. 24 – Lebens-Kost. 31 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.27; Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 7. 32 Beispiel nach Scherer GRUR 2016, 235.
Pahlow
502
D. Auslegungsfragen
§ 4a
che Schutzzwecke und haben unterschiedliche Tatbestandsvoraussetzungen. Die Tatbestände sind daher unabhängig voneinander zu prüfen. 4. §§ 18 ff. GWB. Im Hinblick auf sonstige Marktteilnehmer ist auch das Verhältnis 17 des § 4a zu den Regelungen der §§ 18 ff. GWB zu bestimmen. Diese Konkurrenz ist in abgeschwächter Form in Art. 8 i.V.m. Art. 2 lit. j UGPRL enthalten. Das Problem weitet sich im Hinblick auf §§ 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 5, 20 Abs. 1 und 2 GWB auch deshalb aus, weil der deutsche Gesetzgeber § 4a auch auf sonstige Marktteilnehmer erstreckt hat.33 Üben marktbeherrschende Unternehmen (§ 18 GWB) Druck auf sonstige Marktakteure aus, kann es auch zu Fällen des Machtmissbrauchs kommen (§ 19, 20 GWB).34 Werden z.B. Liefer- oder Bezugspersonen angedroht, verstößt das nicht nur gegen kartellrechtliche Verbotsvorschriften, sondern kann zugleich den Tatbestand des § 4a erfüllen, wenn vom Marktpartner eine geschäftliche Entscheidung (§ 2 Abs. 1 Nr. 9) verlangt wird. Unternehmen ohne Marktmacht unterfallen nicht den Regelungen der §§ 18 ff. GWB; wollte man deren Verhalten über § 4a verbieten, selbst im sog. Vorfeld der kartellrechtlichen Tatbestände („Vorfeldthese“),35 würden die gesetzgeberischen Wertungen des GWB konterkariert.36 Die §§ 18 ff. GWB gehen daher als speziellere Regelungen vor; § 4a ist insoweit subsidiär.37 Liegt demnach nach dem GWB keine ausreichende Marktmacht vor, kann eine Unlauterkeit gemäß § 4a nur dann bejaht werden, wenn zwingende sonstige unlauterkeitsbegründende Umstände (z.B. Beleidigungen, Tätlichkeiten, Drohungen mit Anschwärzungen bei Dritten etc.) hinzutreten, da die bloße Druckausübung durch Androhung von wirtschaftlichen Nachteilen ohne entsprechende Marktmacht nach den Wertungen des GWB nicht kartellrechtswidrig ist. Liegen keine sonstigen unlauterkeitsbegründenden Umstände vor, was explizit festzustellen wäre, ist das Verhalten des Unternehmens (etwa das sog. Anzapfen) zulässig.38 D. Auslegungsfragen D. Auslegungsfragen I. Umsetzung der UGPRL Die Frage, ob § 4a eine richtlinienkonforme Umsetzung der Art. 8 und 9 UGPRL dar- 18 stellt, wird in der Literatur unterschiedlich beurteilt. Während die einen von einer adäquaten Umsetzung ausgehen,39 monieren andere durchaus Unterschiede und mahnen weiterhin eine richtlinienkonforme Auslegung an.40 Zwar sind einzelne Abweichungen nicht von der Hand zu weisen, sie lassen sich aber methodisch bewältigen. In § 4a Abs. 1 S. 2 sind alle Tatbestandsalternativen (Belästigung, Nötigung, unzulässige Beeinflussung) des Art. 8 UGPRL wörtlich übernommen. Die Definition der unzulässigen Beeinflussung des Art. 2 lit. j UGPRL erscheint nahezu wortidentisch in § 4a Abs. 1 S. 3 wieder auf. Der an sich überflüssige Passus „im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller Umstände“ aus Art. 8 UGPRL wurde in § 4a Abs. 1 S. 2 ebenfalls normiert. Aus der semantischen Begrenzung auf die Entscheidungsfreiheit (statt „Entscheidungs- und Verhal-
_____
33 Fritzsche WRP 2016, 1 Rn. 29. 34 Fritzsche WRP 2016, 1 Rn. 29; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.16 ff. 35 Ulmer GRUR 1977, 565, 577 ff. 36 Dazu Scherer GRUR 2016, 235 f.; Ohly/Sosnitza Einf D Rn. 74. 37 Fritzsche WRP 2014, 1392 Rn. 38. 38 BGH 7.2.2006 – KZR 33/04 – GRUR 2006, 773 Tz. 15 ff. – Probeabonnement; Scherer GRUR 2016, 236. 39 Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 4; Scherer GRUR 2016, 234; Ohly GRUR 2016, 3, 5. 40 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.4; Fritzsche WRP 2016, 1 Rn. 44–47; Alexander WRP 2014, 1384 Rn. 43 („unzulässige tatbestandliche Verengung“).
503
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
tensfreiheit“ nach Art. 8 UGPRL) folgt keine unzulässige tatbestandliche Verengung. Denn eine kausale geschäftliche Entscheidung muss in jedem Fall ausgelöst werden können (Erwägungsgrund Nr. 7 S. 1 UGPRL).41 Größeren Handlungsbedarf sehen daher auch die Kritiker nicht. Sollte eine richtlinienkonforme Auslegung in Erwägung gezogen werden, gilt sie ohnehin nur für geschäftliche Handlungen gegenüber Verbrauchern, nicht aber gegenüber sonstigen Marktteilnehmern.42 19 Problematisch ist allerdings die Übernahme persönlicher oder situativer Defizite des Art. 5 Abs. 3 durch § 4a Abs. 2 S. 2, was zuvor in § 4 Nr. 2 a.F. geregelt war. Der Gesetzgeber will damit die in seinen Augen besonders schutzbedürftigen Verbrauchergruppen auch in der Neuregelung des § 4a berücksichtigt wissen.43 Art. 5 Abs. 3 UGPRL erwähnt allerdings nicht die in Abs. 2 S. 2 genannte „geschäftliche Unerfahrenheit“ sowie die Situationen der „Angst“ und der „Zwangslage“. Unabhängig davon, ob man die „geschäftliche Unerfahrenheit“ als durch das „Alter“ oder die „Leichtgläubigkeit“ mitumfasst sehen will, ist aber zu beachten, dass die „geschäftliche Unerfahrenheit“ des § 4a Abs. 2 S. 2 keinen den Art. 8 und 9 UGPRL in Verbindung mit Art. 5 Abs. 3 UGPRL widersprechenden Regelungsrahmen bedeuten muss, da die genannten persönlichen Defizite ebenfalls davon sinngemäß mitumfasst wird.44 Da Art. 5 Abs. 3 UGPRL den weiteren Regelungsrahmen bildet, ist § 4a Abs. 2 S. 2 insoweit unschädlich. Für die aufgrund der situativen Gründe, nämlich der „Angst“ oder einer „Zwangslage“ besonders schutzbedürftigen Verbrauchergruppen stellt die explizite Erwähnung lediglich eine „Doppelung“ dar, da diese situativen Ursachen als „Umstände“ im Sinne der Nr. 3, die die Aggressivität der geschäftlichen Handlung begründen Berücksichtigung finden können.45 § 4a hält daher einer Umsetzung des Art. 8 UGPRL stand. Gleiches gilt auch für Art. 9, dessen Kriterien in § 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 1–5 nahezu wört20 lich und vollständig übernommen worden sind. Zwar bezieht sich Art. 9 UGPRL seinem Wortlaut nach nur auf die Feststellung eines Einsatzes der Ausübungsmittel, während § 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 1–5 umfassend bei der Feststellung der in Abs. 1 S. 2 genannten Kriterien einzusetzen sei. Die letzten beiden Tatbestandsalternativen des § 4 Nr. 2 a.F. („Angst“ und „Zwangslage“) sind der Regelung des Art. 8 und 9 UGPRL zuzuordnen: Beide verwirklichen Art. 9 lit. c) UGPRL.46 Das Vorliegen einer Ausnahmesituation begründet hier die Schutzbedürftigkeit der Verbraucher aus situativen Gründen. Insoweit besteht tatbestandlich eine vollständige Überschneidung zu § 4a, was Abs. 2 S. 2 ausdrücklich hervorhebt, der eine besondere Verknüpfung der genannten Umstände zu Abs. 2 S. 1 Nr. 3 herstellen will. Die Fallgestaltungen der persönlichen Defizite werden in Art. 5 Abs. 3 UGPRL geregelt, der als Beurteilungsmaßstab für sämtliche Geschäftspraktiken Anwendung findet.47 Die Feststellung eines Einsatzes der Mittel wird man daher in der konkreten Lebensrealität nicht von ihrer Wirkung her trennen können. In Art. 8 UGPRL wird dies angesprochen durch die Wendung „im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände“. Ein Verstoß gegen die Richtlinie bei der Umsetzung des Art. 9 UGPRL in § 4a Abs. 2 besteht daher nicht.48
_____
41 42 43 44 45 46 47 48
Ebenso Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 2; Fritzsche WRP 2014, 1392 Rn. 33. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.5. Gesetzentwurf des Rechtsausschusses, BT-Drucks 18/6571, S. 15. Scherer GRUR 2016, 234. Scherer GRUR 2016, 234. Köhler WRP 2015, 275 Rn. 32; Scherer WRP 2015, 148 Rn. 26; dies. GRUR 2016, 235. Scherer GRUR 2016, 235. Scherer GRUR 2016, 234; a.A. Köhler WRP 2015, 275 Rn. 20 ff.
Pahlow
504
D. Auslegungsfragen
§ 4a
II. Anwendbarkeit der älteren Rechtsprechung Mit der Europäisierung und Liberalisierung des Lauterkeitsrechts haben sich die 21 Grundkoordinaten der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung der „wirtschaftlichen Interessen“ der Verbraucher in vielen Bereichen verschoben. Waren bis 2001 z.B. Preisnachlässe oder Zugaben durch das RabattG und die ZugabeVO grundsätzlich untersagt, ist mit der Abschaffung beider Regelwerke und dem Wandel des europäischen Verbraucherleitbildes eine prinzipielle Liberalisierung einhergegangen (Einl. B Rn. 52 ff.). Mit der Einführung der UGPRL haben sich die Maßstäbe für Verbraucher nochmals verändert. Die Anwendbarkeit der älteren Rechtsprechung in Bezug auf eine Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit von Verbrauchern hängt daher entscheidend davon ab, in welcher der Entwicklungsperioden des UWG sie verankert ist. 1. Rechtslage unter § 1 a.F. Bis in die 1990er Jahre bewertete die Rechtsprechung 22 zahlreiche Reklameformen lauterkeitsrechtlich erheblich restriktiver.49 Damals wurde es bereits als unlauter angesehen, wenn die angesprochenen Verkehrskreise durch Art und Ausgestaltung einer Wertreklame in ihren wirtschaftlichen Entschließungen in unsachlicher Weise beeinflusst wurden. Eine solche Beeinflussung war u.a. dann gegeben, wenn der umworbene Verbraucher dazu verleitet wurde, seine Nachfrageentscheidung nicht nach Preiswürdigkeit und Qualität der angebotenen Ware zu treffen, sondern von der Gewährung zusätzlicher Vergünstigungen bei Vertragsschluss abhängig zu machen.50 Dabei war entscheidend, ob die Vergünstigung die Nachfrageentscheidung des Verbrauchers in diesem Sinne entscheidend beeinflusste und ihn davon abhielt, sich mit den Angeboten von Mitbewerbern zu befassen.51 Wettbewerbswidrigkeit wurde z.B. angenommen, wenn der Kunde durch eine Verkaufsförderungsmaßnahme „übertrieben angelockt“ wurde 52 oder durch die geldwerte Vergünstigung einem „psychischen Kaufzwang“ unterliegen konnte.53 Dagegen sollte die Wertreklame gegenüber Wiederverkäufern wegen deren größerer Geschäftsgewandtheit milder als gegenüber Verbrauchern beurteilt werden.54 Die Literatur hat die Fallgruppe des übertriebenen Anlockens
_____
49 Vgl. BGH 23.2.1989 – I ZR 138/86 – GRUR 1989, 366, 367 f. – Wirtschaftsmagazin; BGH 13.6.1973 – I ZR 65/72 – GRUR 1974, 345 – Geballtes Bunt; OLG München 27.6.1996 – 6 U 2323/96 – NJWE-WettbR 1996, 245 – Handy für 1 Mark; OLG München 7.12.1995 – 29 U 2210/95 – NJWE-WettbR 1996, 131 – Film-Entwicklung im Nacht-Service; OLG München 29.10.1992 – 29 U 2385/92 – WRP 1993, 197, 201 – Geld gespart dank AutoCard. 50 Vgl. BGH 26.3.1998 – I ZR 231/95 – GRUR 1998, 1037, 1038 – Schmuck-Set; BGH 7.5.1992 – I ZR 176/90 – GRUR 1992, 621, 622 – Glücksball-Festival; BGH 13.6.1973 – I ZR 65/72 – GRUR 1974, 345 – Geballtes Bunt; s.a. Baumbach/Hefermehl § 1 Rn. 90. 51 BGH 28.1.1999 – I ZR 192/96 – GRUR 1999, 755, 757 – Altkleider-Wertgutscheine; BGH 26.3.1998 – I ZR 231/95 – GRUR 1998, 1037, 1038 – Schmuck-Set. 52 BGH 31.1.1997 I ZR 226/94 – GRUR 1997, 380 – Füllanzeigen; BGH 9.2.1995 – I ZR 35/93 – GRUR 1995, 353, 354 – Super-Spar-Fahrkarten; BGH 29.4.1993 – I ZR 92/91 – GRUR 1993, 774, 775 – Hotelgutschein; BGH 7.5.1992 – I ZR 176/90 – GRUR 1992, 621 – Glücksball-Festival; BGH 22.2.1990 – I ZR 78/88 – GRUR 1990, 611, 616 – Werbung im Programm; BGH 29.6.1989 – I ZR 180/87 – GRUR 1989, 757, 758 – McBacon; BGH 16.3.1973 – I ZR 20/72 – GRUR 1973, 591, 593 – Schatzjagd; BGH 26.1.1973 – I ZR 21/72 – GRUR 1973, 418, 419 – Das goldene A; OLG Hamburg 5.2.1998 – 3 U 101/97 – WRP 1999, 374 – Nulltarif; OLG Bremen 31.10.1996 – 2 U 71/96 – WRP 1997, 87 – Fantastische Reiseerinnerungen; OLG München 27.6.1996 – 6 U 2323/96 – NJWE-WettbR 1996, 245 – Handy für 1 Mark; OLG Saarbrücken 27.7.1994 – 1 U 482/94 – WRP 1994, 840, 843 – Gastgeber-Gewinnspiel; OLG München 1.7.1993 – 29 U 2421/93 – WRP 1994, 133, 134 – Verschenkaktion; OLG Frankfurt a.M. 26.1.1989 – 6 U 224/87 – WRP 1989, 666 – Übertriebenes Anlocken bei Gemeinschaftswerbung. 53 Baumbach/Hefermehl § 1 Rn. 89 m.w.N. 54 BGH 22.6.1979 – I ZR 70/77 – GRUR 1979, 779, 780 – Wert-Coupons.
505
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
teilweise vehement kritisiert, vor allem, weil der von der Rechtsprechung zugrunde gelegte Leistungsbegriff zu eng sei und zudem keine klaren Maßstäbe zur Abgrenzung der Fallgruppe existieren würden.55 23
2. Rechtslage nach Aufhebung von RabattG und ZugabeVO. Im Zuge der Aufhebung von RabattG und ZugabeVO 2001 aufgrund europarechtlicher Vorgaben (dazu oben Einl. B, Rn. 54) änderten sich auch die Maßstäbe der lauterkeitsrechtlichen Bewertung.56 Der BGH erachtete sie in weit größerem Umfang als bisher für „nicht schlechthin wettbewerbswidrig“ und verlangte zur Begründung der Unzulässigkeit i.S.d. § 1 a.F. zusätzliche Umstände. Zwar konnten die Wettbewerbswidrigkeit begründenden Umstände auch weiterhin darin bestehen, dass die Art und der Umfang der unentgeltlichen Leistung den Empfänger in unsachlicher Weise zum Abschluss entgeltlicher Verträge veranlassen oder sein Verhalten derart bestimmen, dass er davon absieht, Leistungsangebote der Mitbewerber zu prüfen.57 Der BGH rückte aber zunehmend von grundsätzlichen Verboten ab und verlangte z.B. bei Kopplungsangeboten zusätzlich eine „Art Missbrauchskontrolle“. Dabei standen die Einhaltung des Transparenzgebots und die Sicherung der Nachfrageentscheidung im Vordergrund.58 Die überkommenen Wertungskriterien und Fallgruppen etwa des „psychischen Kaufzwangs“ oder des „übertriebenen Anlockens“ wurden zwar weiterhin herangezogen, aber deutlich zurückhaltender angewendet. Die Anlockwirkung, die von einem attraktiven Angebot ausgehe, sei „grundsätzlich nicht wettbewerbswidrig, sondern gewollte Folge des Leistungswettbewerbs“.59 Unabhängig davon wurde die Wertreklame auch unter dem Aspekt der Irreführung, der individuellen Mitbewerberbehinderung oder der Marktstörung geprüft.60 Mit der Aufhebung der ZugabeVO hat sich im Grunde auch die lauterkeitsrechtliche Bedeutung des Zugabebegriffs und seine präzise Definition erledigt; selbst in den gesetzlichen Spezialtatbeständen des § 7 HWG bzw. § 56a Abs. 1 S. 1 GewO taucht er nicht mehr auf.
24
3. UWG 2004. Zwar hat das neue UWG von 2004 einzelne Spezialtatbestände wie § 4 Nr. 4 bis 6 a.F. geschaffen, die auf besondere Aspekte der Verkaufsförderung abstellten. Die allgemeine Beurteilung von Maßnahmen der Verkaufsförderung blieb jedoch § 4 Nr. 1 a.F. überlassen. Die Motive hoben nunmehr ausdrücklich hervor, dass auch Maßnahmen der Wertreklame unter § 4 Nr. 1 fallen können, „wenn sie bezwecken, die Rationalität der Verbraucherentscheidung auszuschalten“.61 Damit konnten bestimmte Werbemaßnahmen, u.a. Rabatte oder Werbegeschenke nur noch eingeschränkt als
_____
55 Vgl. Emmerich FS Piper, S. 171; Schwippert FS Samwer, S. 197, 200 f.; Sosnitza Wettbewerbsbeschränkung, S. 42 ff., 56 f. m.w.N. 56 Zu den Änderungen näher Heermann/Ruess WRP 2001, 883; Trube WRP 2001, 878. 57 BGH 6.6.2002 – I ZR 45/00 – GRUR 2002, 1000, 1002 – Testbestellung; BGH 26.3.1998 – I ZR 222/95 – GRUR 1999, 256, 257 – 1000,- DM-Umwelt-Bonus; zurückhaltend auch: KG 11.2.2000 – 5 U 103/00 – GRUR 2000, 624 – Gratisverteilung von Tageszeitungen; OLG München 18.3.1999 – 6 U 6063/98 – GRUR 2000, 80 – Probestunde-kostenlos. 58 Vgl. BGH 13.6.2002 – I ZR 71/01 – GRUR 2002, 979, 981 – Kopplungsangebot II; BGH 13.6.2002 – I ZR 173/01 – GRUR 2002, 976, 978 – Koppelungsangebot I; BGH 11.4.2002 – I ZR 225/99 – GRUR 2002, 1003, 1004 – Gewinnspiel im Radio. 59 BGH 8.10.1998 – I ZR 147/97 – WRP 1999, 517, 518 – Am Telefon nicht süß sein?; BGH 8.10.1998 – I ZR 72/97 – WRP 1999, 505, 507 – Nur 1 Pfennig; OLG Stuttgart 27.2.1998 – 2 U 179/97 – NJWE-WettbR 1999, 30 – Jahreskarten eines Verkehrsverbunds; KG 27.2.1998 – 5 W 1306/88 – NJWE-WettbR 1998, 273 – Abendschnäppchen; OLG Schleswig 14.10.1997 – 6 U 52/97 – NJWE-WettbR 1998, 50 – Handy für 1 DM. 60 BGH 26.3.1998 – I ZR 222/95 – GRUR 1999, 256, 258 – 1000,- DM-Umwelt-Bonus; OLG Frankfurt a.M. 13.2.2002 – 6 W 5/02 – GRUR 2002, 460 – 10% Barzahlungsrabatt. 61 RegE UWG 2003 S. 17.
Pahlow
506
D. Auslegungsfragen
§ 4a
unlauter angesehen werden. Selbst besonders attraktive Vergünstigungen und wertvolle Zuwendungen führten nicht mehr ohne Weiteres zu einem wettbewerbswidrigen Angebot. Entscheidend für die lauterkeitsrechtliche Beurteilung war u.a., ob die geschäftliche Maßnahme geeignet war, bei einem verständigen Durchschnittsverbraucher die Rationalität seiner Nachfrageentscheidung vollständig in den Hintergrund treten zu lassen.62 Das wurde nur in eng begrenzten Einzelfällen angenommen, so z.B. wenn von der Vergünstigung eine derart starke Anlockwirkung ausgeht, dass der Kunde davon abgehalten wird, sich mit den Angeboten anderer Mitbewerber zu befassen.63 4. UGPRL und UWG 2008. Mit der Einführung der Richtlinie gegen unlautere Ge- 25 schäftspraktiken 2005 waren Werbemaßnahmen gegenüber Verbrauchern ausschließlich nach den dortigen Regelungen zu bewerten. Der Gesetzgeber hat im UWG 2008 die Artt. 8 und 9 UGPRL durch § 4 Nr. 1 und 2 a.F. für umgesetzt erachtet. Danach erfasste § 4 Nr. 1 sog. aggressive Geschäftspraktiken nach Art. 8 UGPRL, wozu neben der Belästigung und der Nötigung auch die unzulässige Beeinflussung (Art. 2 lit. j) UGPRL) gehöre. Darüber hinausgehende Einflussmittel wurden durch Art. 5 Abs. 2 UGPRL erfasst, sofern sie nicht als aggressive Irreführung (Artt. 6 und 7 UGPRL) angesehen oder unter einen Verbotstatbestand des Anhang zu Art. 5 Abs. 5 UGPRL zu subsumieren waren.64 Der BGH hat sich diesem Gebot richtlinienkonformer Auslegung angeschlossen.65 Vor allem für den Bereich der sog. Verkaufsförderungsmaßnahmen waren nun lau- 26 terkeitsrechtliche Schranken nach Art. 8 und 9 UGPRL kaum noch vorstellbar. Verkaufsförderungsmaßnahmen (Wertreklame) werden daher seit 2005 auch nach europäischem Recht nur in Ausnahmefällen als unlauter angesehen. Entscheidend war, ob die Werbung bei einem verständigen Durchschnittsverbraucher die Rationalität seiner Nachfrageentscheidung vollständig in den Hintergrund treten lässt bzw. die Entscheidungsfreiheit durch Belästigung oder durch unzulässige Beeinflussung erheblich beeinträchtigt wird.66 Das wurde weder bei Werbegeschenken oder Preisnachlässen, noch bei war auch bei Preisausschreiben und Gewinnspielen angenommen. Zwar ging § 4 Nr. 6 a.F. noch davon aus, dass an den Erwerb einer Ware oder an der Inanspruchnahme einer Leistung gekoppelte Preisausschreiben und Gewinnspiele gegenüber Verbrauchern ausdrücklich unzulässig seien. Der EuGH hat die Regelung des § 4 Nr. 6 in Form eines grundsätzlichen Verbotstatbestandes als mit der UGPRL unvereinbar angesehen.67 Mit dem UWG 2015 hat der Gesetzgeber daher diese Regelung gestrichen. Aus den unterschiedlichen historischen Entwicklungsphasen folgt, dass die frühe- 27 ren Grundsätze der Rechtsprechung nur unter Berücksichtigung der jeweiligen gesetzli-
_____
62 BGH 22.9.2005 – I ZR 28/03 – GRUR 2006, 161 Tz. 17 – Zeitschrift mit Sonnenbrille; BGH 9.6.2004 – I ZR 187/02 – GRUR 2004, 960 – 500 DM-Gutschein für Autokauf. 63 BGH 8.11.2007 – I ZR 60/05 – GRUR 2008, 530 Tz. 19 – Nachlass bei der Selbstbeteiligung; BGH 23.2.2006 – I ZR 245/02 – GRUR 2006, 511 Tz. 21 – Umsatzsteuererstattungs-Modell. 64 Köhler GRUR 2010, 177, 182; ders. GRUR 2010, 767, 771; ders. WRP 2012, 22, 27. 65 BGH 3.3.2011 – I ZR 167/09 – WRP 2011, 1054 Tz. 26 – Kreditkartenübersendung; BGH 24.6.2010 – I ZR 182/08 – WRP 2010, 1139 Tz. 13 – Brillenversorgung II; BGH 31.3.2010 – I ZR 75/08 – WRP 2010, 1388 Tz. 16 – Ohne 19% Mehrwertsteuer; BGH 29.10.2009 – I ZR 180/07 – GRUR 2010, 455 Tz. 17 – Stumme Verkäufer II. 66 BGH 3.4.2014 – I ZR 96/13 – GRUR 2014, 1117 Tz. 27 – Zeugnisaktion; BGH 12.7.2012 – I ZR 54/11 – GRUR 2013, 301 Tz. 40 – Solarinitiative; Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 40. 67 EuGH 14.1.2010 – C-304/08 – GRUR 2010, 244 Tz. 47 – Plus Warenhandelsgesellschaft; ebenso nunmehr BGH 5.10.2010 – I ZR 4/06 – GRUR 2011, 532 Tz. 23 ff. – Millionen-Chance II; dazu auch: Köhler GRUR 2011, 478; ders. GRUR 2010, 177; Sosnitza LMK 2010, 298886.
507
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
chen Rahmenbedingungen herangezogen werden können. Danach haben die zu den §§ 1 und 3 a.F. entwickelten Beurteilungsmaßstäbe der Rechtsprechung nach Aufhebung von ZugabeVO und RabattG zum Teil ihre Bedeutung verloren. Rechtsprechung und Schrifttum aus der Zeit vor Aufhebung dieser Regelungen sind daher heute kaum noch anwendbar. Um deutlich zu machen, dass die früheren, restriktiven Grundsätze nicht mehr gelten, sollte auf die frühere Terminologie des „übertriebenen Anlockens“ oder eines „psychischen Kaufzwanges“ in Zukunft verzichtet werden.68 E. Tatbestandsvoraussetzungen E. Tatbestandsvoraussetzungen 28
Nach § 4a Abs. 1 S. 1 handelt unlauter, wer eine aggressive geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. § 4a schützt im Unterschied zu Art. 8 und 9 UGPRL nicht nur Verbraucher, sondern auch sonstige Marktteilnehmer. Die Regelung setzt also zunächst eine geschäftliche Handlung (Rn. 29) gegenüber einem Verbraucher (§ 13 BGB) oder einem sonstigen Marktteilnehmer (§ 2 Nr. 2) voraus. Die geschäftliche Handlung muss gem. § 4a Abs. 1 S. 1 zudem „aggressiv“ (Rn. 31), d.h. durch eine Belästigung, Nötigung oder unzulässige Beeinflussung erfolgt und geeignet sein, die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers oder sonstigen Marktteilnehmers erheblich zu beeinträchtigen (Rn. 35). Fehlt es an einem der genannten Voraussetzungen, dann kommt nur noch der Auffangtatbestand des § 3 Abs. 2 gegenüber Verbrauchern, und im Verhältnis zu sonstigen Marktteilnehmern § 3 Abs. 1 in Betracht.69 I. Geschäftliche Handlung
§ 4a setzt zunächst eine geschäftliche Handlung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 voraus. Die Handlung kann unmittelbar durch einen Unternehmer als Täter erfolgen, wenn er zugunsten des eigenen Unternehmens handelt. Werden von ihm Dritte (z.B. Beauftragte, Angestellte) eingesetzt, ist er für deren Verhalten nach § 8 Abs. 2 verantwortlich. Daneben haften ggf. auch Dritte persönlich, wenn sie zugunsten eines fremden Unternehmens handeln (§ 8).70 Über Art. 8 UGPRL hinaus sanktioniert § 4a auch Handlungen, die der Förderung 30 des Absatzes oder Bezugs von Waren oder Dienstleistungen dienen. Dazu genügt es, wenn sie objektiv darauf gerichtet ist, Verbraucher oder sonstige Marktteilnehmer zum Abschluss eines entgeltlichen Vertrages über eine Ware oder Dienstleistung zu veranlassen.71 Eine geschäftliche Handlung kann auch mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrages zusammenhängen, indem sie z.B. den Verbraucher dazu veranlassen sollen, einen konkreten Vertrag mit bestimmten Bedingungen (etwa im Rahmen von AGB) abzuschließen, zu ändern oder zu beenden.72 29
_____
68 Berlit WRP 2001, 349, 352; Köhler GRUR 2003, 729, 736; Ohly GRUR 2004, 889, 897; juris-PK/Seichter § 4 Nr. 1 Rn. 93, 105; Steinbeck GRUR 2008, 540, 545 (für Werbegeschenke). 69 Köhler WRP 2010, 1293, 1298. 70 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.26. 71 BGH 10.1.2013 – I ZR 190/11 – GRUR 2013, 945, 946 Tz. 17 – Standardisierte Mandatsbearbeitung. 72 BGH 19.3.2015 – I ZR 157/13 – GRUR 2015, 1134 Tz. 15ff – Schufa-Hinweis; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 4a Rn. 1.25; Ohly/Sosnitza § 2 Rn. 22 ff.
Pahlow
508
E. Tatbestandsvoraussetzungen
§ 4a
II. Aggressives Mittel § 4a setzt voraus, dass der Unternehmer ein bestimmtes Mittel der Beeinflussung verwendet. Darunter fällt nach § 4a Abs. 1 S. 2 die Belästigung (Rn. 39), die Nötigung einschließlich der Anwendung körperlicher Gewalt (Rn. 45) und die unzulässige Beeinflussung (Rn. 69). Diese Kriterien sind abschließend. Eine präzise Abgrenzung ist angesichts der Vielfalt möglicher Fallvarianten im täglichen Geschäftsverkehr weder möglich noch erforderlich, da die Rechtsfolge jeweils identisch ist. Folgerichtig stehen die drei Mittel weder in einem bestimmten Rangverhältnis noch ist eine bestimmte Prüfungsreihenfolge einzuhalten.73 Belästigung und Nötigung stellen spezielle Formen aggressiver Geschäftspraktiken dar; liegen sie vor, ist stets auch eine unzulässige Beeinflussung anzunehmen. Nicht aus jeder unzulässigen Beeinflussung folgt im Gegenzug eine Nötigung oder Belästigung.74 Die unzulässige Beeinflussung stellt demnach einen Auffangtatbestand dar; sie ist das mildeste der aggressiven Mittel. Ihr kommt subsidiärer Charakter zu. Für ihre Annahme als aggressives Mittel i.S.d. § 4a ist zumindest die Ausnutzung einer Machtposition zur Ausübung von Druck gegenüber dem Verbraucher erforderlich (§ 4a Abs. 1 S. 3). Ein aggressives Verhalten i.S.d. § 4a setzt damit grundsätzlich eine „negative“ Einwirkung durch einen Unternehmer voraus.75 Daraus schließen einige im Umkehrschluss, dass nicht § 4a, sondern allein § 3 Anwendung finden könne, wenn eine „rein positive, fördernde, anspornende, androhende, informierende Einwirkung“ gegeben sei.76 Zwar wird diese Überlegung explizit nur im Zusammenhang mit der unzulässigen Beeinflussung erörtert (unten Rn. 80 ff.). Jedoch seien die Belästigungen gemäß § 4a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 sowie die Nötigung gemäß § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 lediglich besondere Ausprägungen der unzulässigen Beeinflussung, sodass die „negative“ Einwirkung auch auf die sog. unzulässige Beeinflussung ausstrahle.77 Sowohl bei der bedrängenden Wirkung als auch durch die Ausübung oder Androhung physischer Gewalt werde in jedem Fall ein „Nachteil“ für den Adressaten in Aussicht gestellt oder ihm zugefügt. Der Nachteil sei daher das verbindende Element aller drei Ausübungsmittel der aggressiven Geschäftspraxis. In der Folge werden daher u.a. Verkaufsförderungsmaßnahmen, die Werbung mit emotionalen Faktoren oder die Laienwerbung als prinzipiell „nicht nachteilige“ Werbemaßnahmen aus § 4a herausgenommen und dem § 3 zugewiesen.78 Gegen diese Auffassung spricht aber zumindest, dass der Wortlaut der Richtlinie hierfür keine eindeutigen Aussagen bereithält. Im Gegenteil: Da es nach Art. 8 UGPRL immer auf alle tatsächlichen Umstände des konkreten Falles ankommt, lässt sich eine apodiktische Differenzierung in „vorteilhafte“ bzw. „nachteilige“ Wirkungen nicht aus dem Willen des europäischen Normgebers ableiten. Auch lässt sich aus Art. 9 lit. a UGPRL folgern, dass die reine Dauer von Werbemaßnahmen, ihre Art und Weise oder deren örtliche Lokalisierung als Beurteilungskriterium herangezogen werden können, was auch rein begünstigende Maßnahmen betreffen kann, die deswegen aber durchaus
_____
73 Scherer GRUR 2016, 236. 74 Scherer GRUR 2016, 236; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Nr. 1.29. 75 Scherer, WRP 2016, 1441 Rn. 17; dies. GRUR 2017, 585; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.59; ders. GRUR 2010, 772; Apetz, S. 337; Haberkamm WRP 2011, 296, 299. 76 Apetz, S. 337; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.60. 77 Scherer WRP 2016, 1441 Rn. 17; Palzer WRP 2016, 427 Rn. 28 („Überlagerung“). 78 Köhler GRUR 2010, 772; ders./Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 6.23 ff., 8.1 ff., 9.1 ff., wo neben Verkaufsförderungsmaßnahmen inzwischen auch eine Reihe weiterer Fallgruppen des früheren § 4 Nr. 1 a.F. behandelt werden.
509
Pahlow
31
32
33
34
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
belästigend wirken können. Auch das Ausnutzen von Unglückssituationen kann im Ergebnis für den Verbraucher „vorteilhafte“ Leistungen enthalten, bleibt nach dem Wortlaut aber dennoch unlauter (§ 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 3). Zudem erfasst § 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 4 auch Verhaltensweisen nach Vertragsschluss, was die Frage nach dem Beurteilungszeitpunkt bei der ohnehin schwierigen Abgrenzung von „vorteilhaft“ und „nachteilig“ aufwirft: Ein z.B. im Rahmen von Verkaufsförderungsmaßnahmen eingeräumter Vorteil kann dennoch dazu führen, dass der Verbraucher später nach § 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 4 behindert oder sogar schikaniert wird.79 Die qualitative Relativierung bestimmter Werbemaßnahmen und deren Verortung unter die Verbrauchergeneralklausel des § 3 Abs. 2 birgt letztlich die Gefahr, dass der Tatbestand des § 4a für bestimmte Marketingmaßnahmen ausgeklammert wird, was weder mit der Systematik noch mit der Intention der UGPRL konform gehen würde. III. Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit und Erheblichkeit 35
1. Bewertungsmaßstab. Ausgangspunkt für die Bestimmung einer Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Adressaten ist eine funktionale Betrachtung, da die UGPRL – wie auch das UWG – ein Instrument zum Schutz der Funktionsbedingungen des Wettbewerbs ist.80 Die Gewährleistung der Entscheidungsautonomie der Marktgegenseite ist dabei das zentrale Momentum; Verbraucher und sonstige Marktteilnehmer übernehmen die Rolle eines Schiedsrichters im Wettbewerb.81 Erst die Konsumentenentscheidung bestimmt über Erfolg und Misserfolg von Leistungen im Markt; der Konsument übt damit eine unerlässliche, ja zentrale Funktion der Wettbewerbsordnung aus.82 Diese Schiedsrichterfunktion setzt allerdings die Entscheidungsfreiheit des Adressaten voraus; sie ist damit unabdingbare Funktionsvoraussetzung für die Erfüllung seiner zentralen Aufgabe im Wettbewerbsgeschehen. Demgegenüber setzt die Marktgegenseite, also insbesondere Unternehmer, autonom ihre Parameter der Beeinflussung, insbesondere durch Werbung, Marketing, Images etc. Der Adressat muss daher immanent auch die Freiheit zu einer unsachlichen Entscheidung haben. Bei der Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit durch aggressive geschäftliche Handlungen geht es daher nicht um die Qualität der Motive, sondern lediglich um die Intensität der Einflussnahme.83 Folglich muss zwischen einer zulässigen Beeinflussung einerseits und einer unzulässigen Beeinflussung andererseits ein tragfähiges Abgrenzungskriterium gefunden werden. Die Beherrschbarkeit der Beeinflussung durch den Adressaten bzw. die Freiheit der geschäftlichen Entscheidung kann nur dann als gewahrt angesehen werden, wenn er überhaupt noch eine Option zu einer anderen Entscheidung hat, als die unternehmerische Kommunikation von ihm verlangt.84 Mit anderen Worten: Der Appell, der an den Verbraucher gerichtet wird (z.B. ein Kaufappell) muss bei Mobilisierung seiner Gegenkräfte noch beherrschbar sein. Er muss also noch die Möglichkeit haben, dass von ihm geforderte geschäftliche Verhalten abzulehnen; anderenfalls ist seine Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt.85
_____
79 Ein geschäftliches Verhalten kann vor, bei oder nach Geschäftsabschluss erfolgen, vgl. Ohly/ Sosnitza, § 2 Rn. 22 ff.; BGH 19.3.2015 – I ZR 157/13 – GRUR 2015, 1134 Tz. 12, 15 ff. – Schufa-Hinweis. 80 Harte/Henning/Glöckner Einleitung B Rn. 488. 81 Vorauflage § 4 Nr. 1 Rn. 1; Scherer GRUR 2016, 237. 82 Peterek, S. 20; Beater Unlauterer Wettbewerb Rn. 111 f., 1175 ff.; Scherer GRUR 2016, 237. 83 Scherer GRUR 2016, 237. 84 Scherer WRP 2008, 708, 712; dies. GRUR 2016, 237; Harte/Henning/Glöckner Einleitung B Rn. 488 ff., 492 ff.; Fritzsche WRP 2016, 1 Rn. 33. 85 Scherer GRUR 2016, 237.
Pahlow
510
E. Tatbestandsvoraussetzungen
§ 4a
2. Voraussetzungen. Liegt eines der drei genannten Mittel und damit eine aggres- 36 sive geschäftliche Handlung vor (oben Rn. 31), dann muss diese ferner geeignet sein, die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers oder sonstigen Marktteilnehmers erheblich zu beeinträchtigen. Eine Beeinträchtigung liegt immer dann vor, wenn der Adressat zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst wird, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Die Beantwortung der Frage, wann eine solche Beeinträchtigung durch eine Geschäftspraxis gegeben ist, das eine geschäftliche Entscheidung getroffen wird, die ohne die Geschäftspraxis nicht getroffen worden wäre, muss an erster Stelle stehen.86 Das Kriterium der Veranlassung ist dabei so auszulegen, dass eine normative Bewertung zwischen Beeinflussungsmittel und Beeinflussungsfolge daraus resultiert: Das Auswirkungskriterium der Veranlassung kann daher nur in Interdependenz zum Einwirkungskriterium der Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit gesehen werden.87 Die Entscheidungsfreiheit ist die Freiheit, eine andere als die vom Unternehmer 37 angestrebte geschäftliche Entscheidung zu treffen;88 sie bezieht sich auf alle geschäftlichen Entscheidungen des Verbrauchers und sonstigen Marktteilnehmers für ein bestimmtes Produkt, wozu auch das Aufsuchen eines Geschäftslokals gehört (vgl. § 2 Nr. 9).89 Die Entscheidungsfreiheit muss erheblich beeinträchtigt worden sein. Hier ist insbesondere danach zu fragen, wie der verständige Durchschnittsverbraucher (bzw. das durchschnittliche Mitglied der angesprochenen Verbrauchergruppe) oder der durchschnittliche sonstige Marktteilnehmer auf die konkrete Maßnahme voraussichtlich reagiert; eine objektive Wahrscheinlichkeit genügt.90 Von einer erheblichen Beeinträchtigung ist schon dann auszugehen, wenn ein verständiger Durchschnittsverbraucher oder ein verständiger durchschnittlicher sonstiger Marktteilnehmer davon ausgeht, dass er sich dem ausgehenden Druck nicht entziehen kann und daher zumindest ernsthaft in Erwägung zieht, die von ihm erwartete geschäftliche Entscheidung zu treffen (oder sich in der erwarteten Weise zu verhalten), um die ihn sonst drohenden Nachteile abzuwenden.91 Es darf sich also nicht um eine bloß geringfügige Einwirkung handeln, durch die sich ein Durchschnittsverbraucher oder durchschnittlicher sonstiger Marktteilnehmer voraussichtlich nicht in seinen Entscheidungen oder seinem Verhalten beeinflussen lässt.92 Da es insoweit auch auf die Intensität oder Nachhaltigkeit des eingesetzten Mittels ankommt, kommt insbesondere § 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 („Zeitpunkt, Ort, Art oder Dauer“) des Einsatzes besondere Bedeutung zu. Bei der Beurteilung spielt auch der Umfang der Gegenleistung des Verbrauchers 38 eine Rolle. Zieht die geschäftliche Entscheidung erhebliche finanzielle Aufwendungen nach sich, investiert der Verbraucher gar in einer Größenordnung, die nach der allgemeinen Lebenserfahrung erst nach reiflicher Überlegung entschieden wird, wird sich der Durchschnittsverbraucher auch nur schwerer sachfremd beeinflussen lassen.93
_____
86 Scherer GRUR 2016, 237. 87 Köhler WRP 2014, 259 Rn. 7; Scherer GRUR 2016, 237. 88 Vgl. Köhler GRUR 2010, 767, 772. 89 EuGH 13.12.2013 – C-281/12 – GRUR 2014, 196, 198 Tz. 36 – Trento Sviluppo/AGCM. 90 OLG Frankfurt 4.8.2005 – 6 U 225/04 – GRUR 2005, 1064, 1065; OLG München 2.7.2009 – 29 U 3992/08 – GRUR-RR 2010, 53, 56 – Treuebonus II. 91 OLG Stuttgart 30.10.2008 – 2 U 25/08 – GRUR-RR 2008, 429, 434 – eyemedics. 92 OLG München 9.6.2011 – 29 U 2026/08 – GRUR-RR 2012, 260, 262 – Arzt-Seminare 2007. 93 BGH 12.7.2012 – I ZR 54/11 – GRUR 2013, 301 Tz. 41 – Solarinitiative; BGH 21.7.2011 – I ZR 192/09 – GRUR 2012, 402 Tz. 34 – Treppenlift.
511
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
F. Belästigung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 1) F. Belästigung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 1) I. Begriff 39
Der Begriff der Belästigung ist Art. 8 und 9 UGPRL entnommen, aber weder dort noch im UWG definiert. Unter einer Belästigung ist der Eingriff in die Privatsphäre des Verbrauchers bzw. die geschäftliche Sphäre des sonstigen Marktteilnehmers gegen oder ohne dessen Willen zu verstehen.94 Im Unterschied zur Belästigung des § 7 (dazu oben Rn. 10) muss im Rahmen des § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 die Maßnahme geeignet sein, die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers erheblich zu beeinträchtigen. Damit eine Belästigung den Tatbestand des Art. 8 UGPRL erfüllen kann, muss sie daher von einer gewissen Intensität und Nachhaltigkeit sein („Bedrängungspotential“).95 Bloße Werbemaßnahmen im Vorfeld eines geschäftlichen Kontakts, z.B. Lautsprecherdurchsagen oder das Einwerfen von Werbematerial in einen Briefkasten trotz Sperrvermerk, genügen dafür nicht (§ 7 Rn. 128).96 Es muss vielmehr die objektive Wahrscheinlichkeit bestehen, dass der Verbraucher eine geschäftliche Entscheidung nur deshalb trifft, um sich der Belästigung zu entziehen, oder um „seine Ruhe“97 zu haben. Das ist allerdings nicht der Fall, wenn der Verbraucher sich von der Belästigung in seiner geschäftlichen Entscheidung nicht beeinflusst werden kann, z.B. weil er darum weiß, dass ihm in einem Geschäftslokal der Kauf eines Produkts empfohlen werden kann, er deswegen aber nicht kaufen muss. Ebenso scheidet eine Belästigung aus, wenn der Verbraucher in eine geschäftliche Maßnahme in Kenntnis ihrer Bedeutung eingewilligt hat. Nicht als belästigend sind ferner solche minderen Formen der Einwirkung anzusehen, denen sich der Verbraucher ohne Weiteres durch Wegsehen, Weghören oder Weggehen entziehen kann, z.B. Ansprechen auf der Straße durch Werber, Werbeplakate, Werbung im Fernsehen, Werbung mittels Lautsprecherdurchsagen. Hierbei ist auf das Empfinden des verständigen Durchschnittsverbrauchers bzw. des verständigen durchschnittlichen Mitglieds der angesprochenen Verbrauchergruppe (§ 3 Abs. 4 S. 1) abzustellen. Ob im Einzelfall die Grenzen des sozial adäquaten Umgangs gegenüber Verbrauchern überschritten sind, ist entsprechend Erwägungsgrund Nr. 18 S. 2 UGPRL anhand der sozialen, kulturellen und sprachlichen Faktoren zu berücksichtigen und zu entscheiden (vgl. auch Erwägungsgrund Nr. 7 S. 4 UGPRL zum Ansprechen von Personen auf der Straße). Dazu kommt es auf den konkreten Fall unter Berücksichtigung aller Umstände an, insbesondere der in § 4a Abs. 2 S. 1 geschilderten Beurteilungskriterien (dazu unten Rn. 184ff.). Anhaltspunkte für die Beurteilung sind daher insbesondere Zeitpunkt, Ort, Art und Dauer der Handlung (§ 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 1). Der Eingriff kann in einem tatsächlichen Verhalten (z.B. Aufsuchen des Verbrauchers in seiner Wohnung) oder in einer Äußerung (anrufen, ansprechen, schriftliche Mitteilung) bestehen. Unerheblich ist es auch, ob sich die Maßnahme an einen oder mehrere Verbraucher oder an eine bestimmte Vielzahl von Verbrauchern richtet.98 II. Anwendungsbereiche
40
1. Hausbesuche. Hausbesuche von Unternehmen oder deren Beauftragten verlieren im Zeitalter des Internets zwar an Bedeutung, stellen aber dennoch einen klassischen
_____
94 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.40; Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 11. 95 Scherer WRP 2017, 894. 96 BGH 3.3.2011 – I ZR 167/09 – GRUR 2011, 747, 748 Tz. 17 – Kreditkartenübersendung; OLG Köln 24.6.2016 – 6 U 149/15 – GRUR 2016, 1082, 1087 Tz. 56 – Adblock Plus. 97 BT-Drucks. 18/4535, S. 14 f. 98 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.40.
Pahlow
512
G. Nötigung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 2)
§ 4a
Fall der Belästigung dar. Unlauter werden solche Hausbesuche i.S.d. § 4a aber nur dann, wenn weitere Umstände hinzutreten. Bleibt die Aufforderung, die Wohnung zu verlassen oder nicht zu ihr zurückzukehren, unbeachtet, liegt nach Nr. 25 Anhang § 3 Abs. 3 stets ein unlauteres aggressives Verhalten vor. Auch in anderen Fällen müssen besondere Umstände hinzutreten, wofür u.a. der Anlass, der Zeitpunkt und die Dauer des Besuchs (§ 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 1) sowie das Auftreten des Besuchers Bedeutung erlangen können. Kommen besondere situative Besonderheiten hinzu, etwa Unglücksituationen, schwere Erkrankungen von nahen Angehörigen oder Todesfälle (§ 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 3), können sich belästigende Wirkungen auch aus diesem Grund ergeben. 2. Ansprechen in der Öffentlichkeit. Das bloße Ansprechen von Verbrauchern in 41 der Öffentlichkeit führt in der Regel nicht zu einer Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit, da sich der Angesprochene ohne weiteres durch Weitergehen entziehen kann. Etwas anderes gilt dann, wenn der Werbende insistiert und der angesprochene Verbraucher sich nicht ohne weiteres der Ansprache entziehen kann. Hier kann eine Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit dann anzunehmen sein, wenn ihm der Werber nachfolgt oder der Verbraucher sich nicht entfernen kann.99 Gleiches gilt, wenn der Kunde längere Zeit dem Einfluss des Werbers ausgesetzt ist, wie etwa auf mehrtägigen Verkaufsfahrten.100 Zur unzumutbaren Belästigung vgl. auch § 7 Rn. 81 ff. 3. Unerbetene Fernkommunikation. Auch bei unerbetener Fernkommunikation 42 wie Telefon, Telefax, E-Mail, Brief oder Postwurfsendung ist eine Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit kaum denkbar, da der Adressat sich dem weitgehend entziehen kann. Das gilt selbst bei Telefonwerbung, die jederzeit einseitig beendet werden kann. Eine andere Frage ist, ob § 7 betroffen ist, dazu § 7 Rn. 138ff. 4. Unbestellte Waren oder Dienstleistungen. Eine belästigende Wirkung besteht 43 bei unbestellten Waren oder Dienstleistungen darin, dass der Verbraucher mit der Ungewissheit belastet wird, wie er mit der Ware verfahren soll: Zum einen kennt er den Grund der Zusendung nicht, zum anderen kann er in der Regel die Rechtslage nicht richtig einschätzen.101 Der Verbraucher wird also mit der Ungewissheit belastet, ob er aus rechtlichen Gründen zur Zahlung verpflichtet ist, ob später noch eine Zahlungsaufforderung bzw. Mahnung erfolgt oder ob er aus moralischen Gründen zahlen soll (vgl. auch Nr. 30 Anhang § 3 Abs. 3). 5. Laienwerbung. Zur Laienwerbung unten Rn. 144 ff.
44
G. Nötigung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 2) G. Nötigung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 2) I. Begriff Eine aggressive Geschäftspraxis kann nach Art. 8 UGPRL auch durch eine „Nöti- 45 gung“ vorgenommen werden, die von der RL allerdings nicht definiert wird. Aus Art. 8 UGPRL lässt sich entnehmen, dass unter die Nötigung die „Anwendung körperlicher Gewalt“ fallen soll; körperliche Gewalt kann sich sowohl in einer physischen Einwir-
_____
99 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.43. 100 Steinbeck GRUR 2005, 540, 545 f. 101 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.45.
513
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
kung als auch in einem psychischen Zwang äußern.102 Unter die Nötigung fallen auch die Spezialtatbestände aggressiver Geschäftspraktiken nach Nr. 24 Anhang I der UGPRL sowie die in Art. 9 UGPRL erwähnten Fälle der „Verwendung drohender oder beleidigender Formulierungen oder Verhaltensweisen“ (lit. b) und die „Drohungen mit rechtlich unzulässigen Handlungen“ (lit. e). Maßgebend ist also nicht der strafrechtliche Begriff der Nötigung (§ 240 StGB), auch ist unerheblich, ob zugleich der Tatbestand einer Nötigung nach § 240 StGB erfüllt wird. Der Begriff ist vielmehr unionsrechtlicher Natur und daher autonom auf der Grundlage der UGPRL auszulegen. Die Nötigung kann danach durch die Anwendung körperlicher Gewalt, durch Drohung oder mittels psychischem Zwang ausgeübt werden.103 Nötigung und unzulässige Beeinflussung überschneiden sich, da jeder Nötigung 46 zwangsläufig auch eine Machtposition zur Ausübung von Druck immanent ist. Eine trennscharfe Abgrenzung ist aber weder möglich noch erforderlich. Entscheidend ist nur, dass die Schwelle der Aggressivität nicht zu niedrig angesetzt wird, weil eine gewisse Form der Einflussnahme auf die Marktgegenseite dem lauteren Wettbewerb eigen ist und § 4a insoweit als unangemessene und damit unzulässige Wettbewerbsbeschränkung wirken würde.104 II. Physischer Zwang Die Ausübung physischer Gewalt, um einen Verbraucher zu einer bestimmten geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, ist stets unlauter. Das folgt inzwischen nicht nur aus Art. 8 UGPRL („Nötigung, einschließlich der Anwendung körperlicher Gewalt“), sondern auch aus Nr. 26 Anhang zu § 3 Abs. 3. Auf die Verwirklichung einer strafbaren Nötigung wie auch anderer Straftatbestände (z.B. Körperverletzung, Freiheitsberaubung oder Hausfriedensbruch) kommt es aber nicht an.105 Gleiches gilt für ein entsprechendes Verhalten gegenüber sonstigen Marktteilnehmern. Eine besondere Form des physischen Zwangs ist auch die sog. subliminale Wer48 bung. Werbung zielt zwar auf das Bewusstsein und Unterbewusstsein des Konsumenten. Das ist wettbewerbsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden, auch soweit die Werbeaussage nicht rational erfasst und reflektiert wird. Das setzt aber voraus, dass der Umworbene überhaupt in der Lage ist, die Werbebotschaft als solche bewusst wahrzunehmen. Werbung ist daher dem Adressaten als solche kenntlich zu machen. Die auf Täuschung angelegte Tarnung einer Werbemaßnahme wird regelmäßig weder dem das Wettbewerbsrecht beherrschenden Wahrheitsgrundsatz noch dem Gebot der Achtung der Persönlichkeitssphäre des Umworbenen gerecht, weil letztere durch Beeinflussungen des Adressaten nur dann nicht in unzulässiger Weise angetastet wird, wenn der Umworbene erkennt, dass es sich um eine Werbemaßnahme handelt, und er seine Entscheidung bewusst auf der Grundlage dieser Kenntnis treffen kann.106 Ist die freie Entscheidung der bewussten Wahrnehmung von Werbung dadurch 49 ausgeschlossen, dass Werbetexte, Bilder, Slogans oder Marken z.B. in Fernseh- und Ki47
_____
102 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.48; ähnlich Steinbeck WRP 2008, 865, 866, die allerdings vom strafrechtlichen Begriff der Nötigung (Anwendung von Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel) ausgeht; zu eng auch Veelken (WRP 2004, 1, 23), der nur physische Gewalt als Nötigung verstehen will. 103 Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 14; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.48. 104 Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 13. 105 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.50; Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 16. 106 BGH 6.7.1995 – I ZR 58/93 – GRUR 1995, 744, 747 – Feuer, Eis und Dynamit I; Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 15.
Pahlow
514
G. Nötigung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 2)
§ 4a
nofilmen so kurzzeitig (für eine 1/3.000 Sekunde) eingeblendet werden, dass man sie zwar optisch, aber nicht bewusst wahrnehmen kann,107 ist eine Unlauterkeit nach § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 anzunehmen. Denn die Möglichkeit einer bewusstseinskontrollierenden Entscheidung, sich auch einer solchen Werbung zu entziehen, besteht dann nicht mehr; vielmehr soll der Konsument gezielt manipuliert werden. Eine solche Vorgehensweise, die das Handeln des Umworbenen fremdbestimmt macht, missachtet dessen allgemeine Handlungsfreiheit und sein allgemeines Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 GG; sie wurde daher zutreffend als menschenverachtend für unzulässig erklärt.108 Dieser Eingriff in die selbstbestimmte Entscheidungsfreiheit ist nach § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 als Nötigung und damit als aggressiv anzusehen. Dementsprechend verbieten auch medienrechtliche Bestimmungen derartige Wer- 50 beformen. Nach §§ 7 Abs. 3 S. 2, 58 Abs. 1 S. 2 RStV (Rundfunk-Staatsvertrag) bzw. § 13 Abs. 1 S. 2 MDStV dürfen in der Fernsehwerbung, im Teleshopping und in der Werbung in Telemedien keine unterschwelligen Techniken eingesetzt werden. Sie stellen Marktverhaltensregelungen dar, deren Verstoß auch ein Vorgehen aus § 3a begründen (§ 3a Rn. 260). III. Drohung Unter eine Drohung gegenüber Verbrauchern (vgl. Art. 9 lit. b) und e) UGPRL) fällt 51 auch das Inaussichtstellen eines Nachteils für den Fall, dass die gewünschte geschäftliche Entscheidung nicht getroffen wird.109 Die Herbeiführung einer solchen Entscheidungssituation ist demnach unlauter, wenn sie dazu führen kann, dass sich der Bedrohte zwecks Vermeidung der ihm angedrohten Nachteile der Drohung beugt.110 Ob die Drohung ausdrücklich oder versteckt ausgesprochen wird, ob sie vom Unternehmer oder von einem Dritten ausgeht oder ob der in Aussicht gestellte Nachteil materieller oder ideeller Natur ist, kann – wie auch bei § 123 Abs. 1 BGB – nicht erheblich sein.111 Entscheidend ist für § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 2, dass der Verbraucher oder sonstige Marktteilnehmer in eine Zwangslage versetzt wird, die seine Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt.112 Die Drohung ist rechtswidrig (vgl. Art. 9 lit. e) UGPRL), wenn entweder das Mittel 52 oder der Zweck der Drohungshandlung bereits für sich rechtswidrig oder der Einsatz dieses Mittels im Verhältnis zum verfolgten Zweck unangemessen ist.113 Grundsätzlich ist eine Inadäquanz von Mittel und Zweck zu verneinen, wenn der Drohende an der Erreichung des Zwecks ein berechtigtes Interesse hat und die Drohung nach Treu und Glauben als ein angemessenes Mittel zur Erreichung dieses Zwecks anzusehen ist.114 So ist z.B. die Drohung eines Anwalts, er werde das Mandat kündigen, wenn das Honorar nicht auf einen bestimmten Betrag erhöht werde, nicht ohne Weiteres, sondern nur dann
_____
107 Vgl. die Nachw. bei Baudenbacher Suggestivwerbung und Lauterkeitsrecht, 1991, S. 89. 108 Das gemeinschaftsrechtliche Verbot der subliminalen Werbung folgt aus Art. 9 Abs. 1 lit. b) AVMD (2010/13/EU) und Art. 6 Abs. 1 lit. a) der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr (2000/13/EG), nach dem kommerzielle Kommunikation klar zu erkennen sein muss; vgl. auch BGH 6.7.1995 – I ZR 58/93 – GRUR 1995, 744, 747 – Feuer, Eis und Dynamit I; Henning-Bodewig GRUR Int. 1991, 858, 859; Schricker/Henning-Bodewig WRP 2001, 1367, 1386; Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 15; für einen Verstoß gegen § 5a Abs. 6 bzw. § 3 Abs. 1 Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer § 4a Rn. 179 u. 303. 109 MünchKommUWG/Heermann § 4 Nr. 1 Rn. 42; Lettl § 6 Rn. 17. 110 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.49; Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 16. 111 Voraufl. § 4 Nr. 1 Rn. 47. 112 BGH 19.3.2015 – I ZR 157/13 – GRUR 2017, 1134 Tz. 14 – Schufa-Hinweis. 113 Gloy/Loschelder/Erdmann/Hasselblatt § 48 Rn. 40; Lettl § 6 Rn. 17. 114 Voraufl. § 4 Nr. 1 Rn. 48.
515
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
unlauter, wenn der Anwalt nach den Umständen des Einzelfalles kein berechtigtes Interesse an einer zusätzlichen Vergütung hat.115 Auf das Vorliegen von Straftatbeständen wie der Nötigung oder der Erpressung (§§ 240, 253 StGB) kommt es daher nicht an. Steht ein entsprechender Straftatbestand allerdings fest, dann liegt darin freilich stets auch eine rechtswidrige Drohung und damit eine unlautere Druckausübung i.S.d. § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 2, weil der Umworbene Gefahr läuft, aus sachfremden Gesichtspunkten, nämlich aus Furcht vor (auch nur wirtschaftlichen) Nachteilen, eine geschäftliche Entscheidung zu treffen;116 Gleiches gilt, wenn dem Umworbenen mit einer Strafanzeige gedroht wird, weil angeblich ein Betrug vorliege.117 53 Stets unzulässig ist auch die ausdrückliche Drohung, dass der Arbeitsplatz oder Lebensunterhalt des Unternehmers gefährdet sei, wenn der Verbraucher die Ware oder Dienstleistung nicht annehme (Nr. 30 Anhang § 3 Abs. 3). IV. Psychische Zwangssituation 54
1. Allgemeines. Neben einer physischen Drucksituation kann auch eine psychische Zwangslage als unlauter einzustufen sein, wenn sich der Umworbene unter dem Eindruck drohender Nachteile zu einem Geschäftsabschluss veranlasst sieht, der sonst nicht stattgefunden hätte. Wer dementsprechend mittelbar durch Beeinflussung seines Willens mit Mitteln, die ihn psychisch unter Druck setzen, zu einem bestimmten Kaufentschluss gezwungen wird, oder sich nur wegen des Drucks, der auf ihn ausgeübt wird, zur Annahme des Angebots des Nötigenden entschließt, kann sich auf § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 berufen. Der Adressat befindet sich in derartigen Fällen in einer Zwangssituation, aus der er sich nur dadurch befreien zu können glaubt, dass er auf das Ansinnen des Handelnden eingeht. Dementsprechend ist es z.B. als unlauter anzusehen, wenn ein Verein zur Eintreibung rückständiger Forderungen schwarz gekleidete Männer zu Schuldnern schickt, um sie zur Bezahlung ihrer Schulden zu nötigen. Die damit verbundene Bloßstellung in der Öffentlichkeit macht die Schuldner – schon um die Verfolger abzuschütteln – ohne Weiteres willfährig zur Schuldentilgung. Wer auf diese Weise Forderungen durch die Erzeugung psychischen Drucks eintreibt, handelt demnach unlauter.118 Unlauter handelt bei einer Zahlungsaufforderung auch, wer mit der Weitergabe von Verbraucherdaten an die Schufa droht, falls eine geltend gemachte Forderung nicht innerhalb einer gesetzten Frist erfüllt werde. Das gilt allerdings dann nicht, wenn die Ankündigung den in § 28a Abs. 1 BDSG geregelten Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Übermittlung entspricht. Eine Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit der Verbraucher sei hinzunehmen, wenn es sich um die Unterrichtung über die Übermittlung von Daten unter den Voraussetzungen des § 28a Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BDSG handele.119 Ebenso ist auch eine Zahlungsaufforderung dann keine Ausübung eines unzulässigen Druckmittels, wenn das Schreiben nicht mehr als eine mit bestimmten Zahlungsvorschlägen verbundene Zahlungsaufforderung sowie die Androhung gerichtlicher Schritte und anschließender Vollstreckungsmaßnahmen enthält.120
_____
115 BGH 12.1.1978 – III ZR 53/76 – DB 1978, 1174 f.; MünchKommBGB/Armbrüster § 123 Rn. 121. 116 Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 16; LG Ellwangen 18.9.2006 – 10 O 72/06 – WRP 2007, 467, 469. 117 LG Mannheim 12.5.2009 – 2 O 268/08 – MMR 2009, 568 f. (falsche Angabe des Geburtsdatums als vermeintlicher Betrug). 118 LG Bonn 29.11.1994 – 4 T 742/94 – NJW-RR 1995, 1515, 1516 – Schwarze Männer; LG Leipzig 31.8.1994 – 6 O 4342/94 – NJW 1995, 3190, 3191 f. – Schwarze Schatten; Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 18. 119 BGH 19.3.2015 – I ZR 157/13 – GRUR 2017, 1134 Tz. 20 – Schufa-Hinweis; LG Düsseldorf 26.4.2017 – 12 O 227/16 – VuR 2017, 429 Tz. 58. 120 BGH 22.3.2018 – I ZR 25/17 – GRUR 2018, 1063 Tz. 7 – Zahlungsaufforderung.
Pahlow
516
G. Nötigung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 2)
§ 4a
2. Psychischer Kaufzwang. Unter der Fallgruppe des sog. psychischen (psychologischen, moralischen) Kaufzwangs wurde in der früheren Rechtsprechung eine Drucksituation verstanden, die für sich zwar nicht rechtswidrig war, bei der sich der Kunde aber moralisch oder aus Anstandsgründen verpflichtet fühlte, seine geschäftliche Entscheidung in der gewünschten Weise zu treffen. In den bisherigen Fällen handelte es sich dabei häufig um die „Einflußnahme auf die Willensentscheidung des Umworbenen mit außerhalb der Sache liegenden Mitteln, Umständen und Auswirkungen in einem solchen Ausmaß, daß der Umworbene aufgrund dessen zumindest anstandshalber nicht umhin kann, auf das Angebot einzugehen“.121 Die Fallgruppe des psychischen Kaufzwangs ist in der älteren Literatur vielfach kritisiert worden.122 Mit dem Wandel des europäischen Verbraucherleitbildes und der UWG-Reform 2008 haben sich die Beurteilungsmaßstäbe ohnehin grundlegend verändert. Der durchschnittlich verständige, informierte und aufmerksame Verbraucher und Marktteilnehmer weiß in der Regel um sein Recht, auch entgegen moralischer oder anstandsbezogener Appelle seine Entscheidung selbständig zu fällen. Finanzielle Anreize eines Rechtsschutzversicherers im Rahmen der Selbstbeteiligung bei der freien Anwaltswahl begründen z.B. keinen unzulässigen psychischen Druck mehr, die die Rationalität der Entscheidung eines Versicherungsnehmers für oder gegen die Beauftragung eines Rechtsanwalts vollständig in den Hintergrund treten lassen.123 Für die Beurteilung müssen gegenüber Verbrauchern nach dem Gebot einer richtlinienkonformen Auslegung die Voraussetzungen des Art. 8 UGPRL beachtet werden, d.h. es muss eine unzulässige Beeinflussung i.S.d. Art. 2 lit. j) UGPRL gegeben sein, welche die Entscheidungs- oder Verhaltensfreiheit des verständigen Durchschnittsverbrauchers tatsächlich oder voraussichtlich erheblich beeinträchtigt oder ihn tatsächlich oder voraussichtlich dazu veranlasst hat, eine geschäftliche Entscheidung zu treffen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Neben „Zeitpunkt, Ort, Art oder Dauer“ der Beeinflussung (Art. 9 lit. a) UGPRL) ist auf die „Ausnutzung von Umständen von solcher Schwere“ abzustellen, „dass sie das Urteilsvermögen der Verbraucher beeinträchtigen“ (Art. 9 lit. c) UGPRL). Dementsprechend können die bisherigen unter dem sog. psychischen Kaufzwang abgehandelten Fallgruppen auf der Grundlage des europäischen Lauterkeitsrechts nicht mehr überzeugen.124 Entscheidend für die lauterkeitsrechtliche Bewertung ist die Intensität des moralischen Drucks,125 die den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts entsprechen muss (oben Rn. 18 ff., 21 ff.). Unter Berücksichtigung der bisherigen Fallgruppen (unten Rn. 59 ff.) wird ein sog. psychischer Kaufzwang aber im Rahmen des § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 kaum noch eine Rolle spielen können:
_____
121 BGH 17.2.2000 – I ZR 239/97 – GRUR 2000, 820, 821 – Space Fidelity Peep-Show; BGH 29.6.1989 – I ZR 180/87 – GRUR 1989, 757, 758 – McBacon; BGH 18.9.1970 – I ZR 123/69 – GRUR 1971, 322 – LichdiCenter; OLG München 7.12.1995 – 29 U 2210/95 – WRP 1996, 598, 599 – Filmentwicklung im Nachtservice; OLG Saarbrücken 27.7.1994 – 1 U 482/94 – WRP 1994, 840, 843 – Gastgeber-Gewinnspiel; zum psychischen Zwang, sich als Laienwerber zu betätigen OLG Saarbrücken 27.10.1999 – 1 U 498/99–128 – WRP 2000, 791, 793 – Gewinnreise; OLG Köln 22.1.1988 – 6 U 112/87 – WRP 1989, 411, 413 – ParisGewinnspiel. 122 Zur Kritik vgl. Bottenschein S. 200; Emmerich FS 50 Jahre BGH, S. 627, 641 ff.; ders. § 12 Rn. 35 ff. m.w.N.; Lehmann Werbung mit Geschenken, 1974, S. 154; Paefgen WRP 1990, 85; Schuhlert S. 47; Sosnitza S. 22 ff., 40; Weiler WRP 2002, 871. 123 BGH 4.12.2013 – IV ZR 215/12 – NJW 2014, 422 Tz. 56 – Rechtsschutzversicherung; für den Fall einer Krankenversicherung BGH 24.6.2010 – I ZR 182/08 – GRUR 2010, 850 Tz. 13 – Brillenversorgung II. 124 Zu weitgehend Steinbeck WRP 2008, 870, die von einem „Fortleben der Fallgruppe“ auch unter der UGPRL ausgeht. 125 Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 22–24.
517
Pahlow
55
56
57
58
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
59
a) Unentgeltliche Zuwendungen. Psychischer Kaufzwang wurde häufig angenommen, weil der Umworbene durch den Erhalt einer unentgeltlichen Zuwendung in eine psychische Zwangslage gerate, in der er es als unanständig oder jedenfalls peinlich empfinden müsse, nichts zu kaufen. Der Kunde könne das Gefühl haben, sich wegen der gewährten Zuwendung erkenntlich zeigen zu müssen. Die Ware oder Dienstleistung werde dann nicht wegen ihrer Güte und Preiswürdigkeit, sondern aus einem Gefühl der Dankbarkeit heraus, d.h. „anstandshalber“ gekauft.126 Das wurde vor allem dann angenommen, wenn der Umworbene dem Werbenden bekannt war, mit ihm in persönlichem Kontakt stand oder sonst ihm oder dessen Angestellten gegenüber aus der Anonymität heraustrat.127 Geringwertige Geschenke waren dagegen im Allgemeinen nicht geeignet, den Kunden in eine solche psychische Zwangslage zu versetzen.128 Das OLG München sah die Gefahr eines psychischen Kaufzwanges auch dann als gegeben an, wenn der Kunde suggestiven Beeinflussungen ausgesetzt wurde, wie z.B. bei Verkaufsfahrten oder Werbeveranstaltungen.129 Im Übrigen war ein psychischer Kaufzwang regelmäßig dann zu verneinen, wenn kein persönlicher Kontakt zwischen dem Werbenden bzw. seinem Personal und dem Kunden stattfand oder jedenfalls nicht erforderlich war, der Kunde also nicht aus seiner Anonymität heraustreten musste.130 Spätestens nach 2004 ist die Annahme, der Empfänger einer Zuwendung sehe sich 60 moralisch verpflichtet, einen Anstandskauf zu tätigen, mit dem europäischen Leitbild des verständigen Durchschnittsverbrauchers nicht mehr zu vereinbaren. Gerade bei unentgeltlichen Zuwendungen, die unabhängig von einer Kaufentscheidung gewährt werden und zunehmend Verbreitung finden, kann die Fallgruppe des psychischen Kaufzwanges nicht mehr aufrecht erhalten werden.131 Demnach reicht es z.B. nicht aus, dass sich Kunden zu einem bloßen Gelegenheits- oder Verlegenheitskauf hingerissen fühlen,132 oder dass Verbraucher bzw. sonstige Marktteilnehmer aus Bequemlichkeit oder sonstigen praktischen Gründen (etwa Portokosten) eine nur zur Ansicht bestellte Ware nicht zurückschicken und deshalb kaufen.133 Von einem psychischen Kaufzwang kann bei unentgeltlichen Zuwendungen daher nur noch dann ausgegangen werden, wenn darüber hinaus weitere Umstände hinzutreten, die die Unlauterkeit begründen (z.B. im Rahmen von § 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 4; dazu auch oben Rn. 55 ff.). Der BGH stellte daher noch unter § 1 a.F. sehr strenge Anforderungen an die Bejahung eines psychischen Kauf-
_____
126 BGH 6.6.2002 – I ZR 45/00 – GRUR 2002, 1000, 1002 – Testbestellung; BGH 5.2.1998 – I ZR 151/95 – GRUR 1998, 735, 736 – Rubbelaktion; BGH 18.9.1997 – I ZR 119/95 – GRUR 1998, 475, 476 – Erstcoloration; BGH 7.5.1992 – I ZR 176/90 – GRUR 1992, 621, 622 – Glücksball-Festival; BGH 29.6.1989 – I ZR 180/87 – GRUR 1989, 757, 758 – McBacon; BGH 4.12.1986 – I ZR 170/84 – GRUR 1987, 243, 244 – Alles frisch; BGH 16.3.1973 – I ZR 20/72 – GRUR 1973, 591, 593 – Schatzjagd; BGH 5.5.1972 – I ZR 124/70 – GRUR 1972, 603, 604 – Kunden-Einzelbeförderung. 127 BGH 29.6.1989 – I ZR 180/87 – GRUR 1989, 757, 758 – McBacon; BGH 4.12.1986 – I ZR 170/84 – GRUR 1987, 243, 244 – Alles frisch. 128 BGH 26.2.1965 – Ib ZR 51/63 – GRUR 1965, 489, 491 f. – Kleenex; OLG Stuttgart 10.11.1995 – 2 U 275/94 – WRP 1996, 246, 248 – Bewertung durch Auktionshaus. 129 OLG München 13.7.2000 – 6 U 1791/00 – WRP 2000, 1321, 1322 – Kinder-Gewinnspiel. 130 BGH 6.6.2002 – I ZR 45/00 – GRUR 2002, 1000, 1002 – Testbestellung; BGH 17.2.2000 – I ZR 239/97 – GRUR 2000, 820, 821 f. – Space Fidelity Peep-Show; BGH 5.2.1998 – I ZR 151/95 – GRUR 1998, 735, 736 – Rubbelaktion; BGH 26.1.1973 – I ZR 21/72 – GRUR 1973, 418, 419 – Das goldene A; BGH 26.2.1965 – Ib ZR 51/63 – GRUR 1965, 489, 492 – Kleenex; OLG Frankfurt a.M. 24.8.1989 – 6 U 62/89 – WRP 1990, 343 – Gewinnspiel in Kundenzeitschrift. 131 Berlit WRP 2001, 349, 352; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.49; Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 24; Weiler WRP 2002, 871; Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer § 4a Rn. 187; a.A. Henning-Bodewig WRP 2006, 621, 627; Steinbeck WRP 2008, 865, 870. 132 BGH 17.2.2000 – I ZR 239/97 – GRUR 2000, 820, 822 – Space Fidelity Peep-Show. 133 BGH 6.6.2002 – I ZR 45/00 – GRUR 2002, 1000, 1002 – Testbestellung.
Pahlow
518
G. Nötigung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 2)
§ 4a
zwanges und nahm grundsätzlich eine Gesamtwürdigung des Falles vor. Dabei waren insbesondere der Anlass und der Wert einer Zuwendung, die Art des Vertriebs, der angesprochene Personenkreis sowie die begleitende Werbung zu berücksichtigen.134 Diese Rechtsprechung kann durch den Wandel des europäischen Verbraucherleitbildes und den europäischen Gesetzgeber (oben Rn. 21 ff.) keine Gültigkeit mehr beanspruchen. Etwas anderes kann allerdings dann gelten, wenn der Kunde sich der Beeinflussung durch das Verkaufspersonal, wie etwa bei einer Kaffeefahrt, nicht mehr ohne Weiteres entziehen kann,135 sich gegebenenfalls sogar in einer räumlichen Zwangssituation befindet. Dann greift aber ohnehin Nr. 25 Anhang zu § 3 Abs. 3 ein. b) Kundenbeförderungen, Werbe- und Verkaufsfahrten. Die frühere Rechtspre- 61 chung sah auch in einer Beförderungszuwendung einen moralischen Druck, wenn der Kunde glaube, aus einem Gefühl der Verpflichtung heraus („anstandshalber“) bei dem Unternehmen kaufen zu müssen, das die kostenlose Beförderung gewährt hat.136 Auch diese ältere Rechtsprechung ist mit dem UWG 2015 nicht mehr vereinbar.137 Der europäische Durchschnittsverbraucher betrachtet eine unentgeltliche Beförderung – egal ob einzeln oder linienförmig – als zusätzliches Serviceangebot, ohne sich allein dadurch zu einem Vertragsabschluss verpflichtet zu fühlen. Die Unlauterkeit kann daher nur aus weiteren Umständen folgen, etwa im Fall einer Nötigung (oben Rn. 45), Irreführung (§§ 5, 5a) oder einer räumlichen Zwangssituation (vgl. Nr. 25 Anhang § 3 Abs. 3).138 Auch die Kostenübernahme, -erstattung oder -ermäßigung für Besichtigungsreisen, die erforderlich sind, um Kaufinteressenten die notwendigen Informationen über ein Immobilienobjekt zu verschaffen, setzt den Kunden keiner psychischen Drucksituation aus. Werbemaßnahmen dieser Art sind daher nicht ohne Weiteres unlauter.139 Nahe verwandt mit der Fallgruppe der unentgeltlichen Kundenbeförderungen sind 62 auch Werbe- und Verkaufsfahrten. Sie sind grundsätzlich nicht mehr zu beanstanden.140 Vielmehr müssen auch in diesen Fällen erst weitergehende Umstände hinzutreten, u.a. im Hinblick auf das lauterkeitsrechtliche Transparenzgebot (Irreführung). Unter den Tatbestand der Irreführung durch Unterlassen (§ 5a) fällt es demnach, wenn der Veranstalter nicht mit aller Deutlichkeit auf die Werbe- und Verkaufsveranstaltung hinweist, z.B darf der Eindruck einer preisgünstigen Ausflugsfahrt nicht entstehen, wenn es in Wirklichkeit um den Besuch einer Verkaufsveranstaltung geht.141 Der Hinweis „Werbefahrt“ verdeutlicht diesen Charakter nicht hinreichend.142 Notwendig ist ein eindeutiger, unmissverständlicher und unübersehbarer Hinweis darauf, dass es sich um
_____
134 BGH 6.6.2002 – I ZR 45/00 – GRUR 2002, 1000, 1001 f. – Testbestellung; BGH 26.3.1998 – I ZR 231/95 – GRUR 1998, 1037, 1038 – Schmuck-Set. 135 Pluskat WRP 2003, 18, 21; Steinbeck GRUR 2005, 540, 545 f. 136 BGH 2.2.1984 – I ZR 190/81 – GRUR 1984, 463, 464 – Mitmacher-Tour; BGH 19.11.1971 – I ZR 69/70 – GRUR 1972, 364, 365 f. – Mehrwert-Fahrten; BGH 18.9.1970 – I ZR 123/69 – GRUR 1971, 322 – Lichdi-Center; Piper GRUR 1993, 276, 281 ff. 137 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.49; Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 25. 138 Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 25. 139 BGH 3.12.1971 – I ZR 46/69 – GRUR 1972, 367, 368 – Besichtigungsreisen. 140 Anders noch zu § 1 a.F. BGH 21.6.1990 – I ZR 303/88 – GRUR 1990, 1020, 1021 f. – Freizeitveranstaltung; BGH 7.7.1988 – I ZR 36/87 – GRUR 1988, 829, 830 – Verkaufsfahrten II; BGH 8.10.1987 – I ZR 184/85 – GRUR 1988, 130, 131 f. – Verkaufsreisen; BGH 10.10.1985 – I ZR 240/83 – GRUR 1986, 318, 320 – Verkaufsfahrten; BGH 23.3.1962 – I ZR 138/60 – GRUR 1962, 461, 464 f. – Werbeveranstaltung mit Filmvorführung. 141 So zu § 1 a.F. OLG Celle 23.3.1982 – 13 W 2/82 – WRP 1982, 329. 142 BGH 7.7.1988 – I ZR 36/87 – GRUR 1988, 829, 830 – Verkaufsfahrten II.
519
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
eine Verkaufsfahrt handelt.143 Ist dem Teilnehmer aufgrund eindeutiger Aufklärung der Charakter der Verkaufsfahrt aber bekannt und nimmt er freiwillig teil, dann ist eine während der Fahrt durchgeführte Verkaufsaktion nicht schon deshalb unlauter, weil sich die Teilnehmer dabei einem gewissen Druck zum Erwerb von Seiten des Veranstalters ausgesetzt sehen könnten. Zur räumlichen Zwangslage vgl. auch Rn. 61 f. c) Solidarität gegenüber Dritten. In der älteren Rechtsprechung wurde psychischer Kaufzwang auch dann angenommen, wenn an die Solidarität des Umworbenen gegenüber Dritten appelliert wurde. So wurde es als unlauter angesehen, wenn ein Spielzeughersteller zur Förderung seines Absatzes einen Kindergartenmalwettbewerb veranstaltet, bei dem möglichst viele Kinder teilnehmen sollen und die Geschenke dem Kindergarten zugutekommen. Die Maßnahme sei geeignet, die Eltern zu veranlassen, ihre Kinder an dem Malwettbewerb teilnehmen zu lassen, um dem Vorwurf mangelnder Hilfsbereitschaft und fehlender Solidarität mit der Gemeinschaft des Kindergartens zu entgehen.144 Auch der Hinweis eines Kaufmanns, an bestimmten Tagen würden alle Einnahmen an seine Mitarbeiter ausgeschüttet, wurde als wettbewerbswidrig angesehen, weil an das „Solidaritätsgefühl der Arbeitnehmer-Käuferschichten“ appelliert würde und dies die Kaufentscheidung beeinflusse.145 Unter Berücksichtigung des europäischen Verbraucherleitbildes ist bei Werbemaß64 nahmen mit solidarischem Charakter zu differenzieren. Im Allgemeinen reicht danach die bloße Druckausübung von Kindern gegenüber ihren Eltern nicht aus, weil vernünftige Eltern auch bei starkem Kaufdruck ihrer Kinder grundsätzlich nicht an einer rationalen Entscheidung gehindert werden.146 Vielmehr müssen weitere Umstände hinzukommen. Das hat die Rechtsprechung dann angenommen, wenn durch die Werbemaßnahme ein „erheblicher Gruppendruck“ z.B. auf Schüler ausgeübt wird. Wirbt ein Unternehmen gegenüber Schülern für seine Produkte mit Punkten, die in der Schule gesammelt werden sollen und für die es Prämien in Form von verbilligten Klassenreisen oder einer Spende von Sportgeräten gibt, dann schafft dies einen Gruppenzwang zu einem solidarischen Verhalten innerhalb der Klassen. Dieser Druck kann von den Schülern an die Eltern weitergegeben werden. Darin kann eine Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit der Schüler oder der Eltern liegen (unten Rn. 131, 169 ff.).147 Werden die Kinder dagegen unmittelbar dazu aufgefordert, ihre Eltern zum Kauf von beworbenen Produkten zu veranlassen, ist die Unlauterkeit bereits nach Nr. 28 Anhang zu § 3 Abs. 3 gegeben. Der bloße Appell an die Hilfsbereitschaft und Solidarität gegenüber einer unbestimmten Vielzahl von Verbrauchern reicht dagegen nicht aus, um eine moralische Zwangslage zu schaffen. Anders dagegen der Spezialtatbestand der Nr. 30 des Anhanges zu § 3 Abs. 3. 63
65
d) Überrumpelung. Eine psychische Druckausübung liegt regelmäßig in der Überrumpelung eines potentiellen Vertragspartners, der sich in einer seelischen, geistigen oder körperlichen Ausnahmesituation befindet. Allerdings gehört zu einem Überrumpeln nicht die Konfrontation des Verbrauchers mit Offerten in Situationen, in denen er mit geschäftlichen Angeboten nicht rechnet, da er insoweit durch Widerrufsrechte
_____
143 BGH 10.10.1985 – I ZR 240/83 – GRUR 1986, 318, 320 – Verkaufsfahrten. 144 BGH 3.11.1978 – I ZR 90/77 – GRUR 1979, 157, 158 – Kindergarten-Malwettbewerb. 145 BGH 29.11.1990 – I ZR 241/88 – GRUR 1991, 545 – Tageseinnahme für Mitarbeiter. 146 BGH 12.7.2007 – I ZR 82/05 – GRUR 2008, 183 Tz. 21 – Tony Taler. 147 BGH 12.7.2007 – I ZR 82/05 – GRUR 2008, 183 Tz. 21 ff. – Tony Taler; OLG Celle 21.7.2005 – 13 U 13/05 – GRUR-RR 2005, 387, 388 – Klassensparbuch.
Pahlow
520
G. Nötigung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 2)
§ 4a
(§ 312g BGB) geschützt ist. Es geht also vielmehr um die Fälle der Herbeiführung oder Ausnutzung einer konkreten Situation – z.B. eines seelischen Schocks oder einer sonst für den Betroffenen hilflosen Situation oder Zwangslage – der der Angesprochene mehr oder weniger hilflos gegenübersteht und in der er zu einer rationalen Entscheidung nicht mehr in der Lage ist (§ 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 3). Hier liegt eine Nötigung nach Nr. 2, zumindest aber eine unzulässige Beeinflussung nach Nr. 3 vor, wenn Trauernden unmittelbar nach dem Verlust eines Angehörigen Bestattungsdienste angeboten wurde148 oder alte bzw. kranke Menschen unaufgeforderte Vertreterbesuche von Bestattungsunternehmen erhielten, um entsprechende Verträge abzuschließen.149 Liegen die genannten geschäftlichen Handlungen in zeitlicher Nähe zum Todes- 66 fall, dann ist ein naher Angehöriger typischerweise nicht in der Lage, geschäftliche Dinge mit der gebotenen Nüchternheit zu behandeln. Seine emotionale Verfassung und die damit einhergehende Orientierungslosigkeit in der Bewältigung der alltäglichen Bedürfnisse schaffen eine psychische Ausnahmesituation für den trauernden Verbraucher.150 Geschäftliche Handlungen sind in dieser Situation daher geeignet, die Trauer und die damit verbundene psychische Ausnahmesituation der Hinterbliebenen auszunutzen. Auch dem verständigen und situationsangemessen aufmerksamen Verbraucher fehlt in dieser Lage die Möglichkeit, die Werbung mit der erforderlichen Kritikfähigkeit aufzunehmen und unter Abwägung der für ihn relevanten Informationen die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Insoweit liegt eine spürbare Beeinträchtigung der Fähigkeit des Verbrauchers zu einer informierten Entscheidung vor.151 Werden aufgrund einer Vereinbarung zwischen einem Bestattungsunternehmen mit Alten- und Pflegeheimen sowie Krankenhäusern Verstorbene bereits zwei Stunden nach dem Todesfall vom Bestattungsunternehmen abgeholt, liegt darin ein Verstoß gegen § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 2, Abs. 2 S. 1 Nr. 3 vor. Denn die Angehörigen werden damit ohne sachlich gerechtfertigten Grund in eine besondere, über das notwendige Maß hinausgehende Zwangslage gebracht.152 Anders wird der verständige Durchschnittsverbraucher dagegen reagieren, wenn der 67 unmittelbare Trauerzeitraum abgeklungen ist. Üblicherweise wird ein verständiger Mensch nach einiger Zeit von selbst damit beginnen, die mit dem Todesfall zusammenhängenden wirtschaftlichen Dinge zu ordnen. Nach einer abstrakten Betrachtungsweise anhand des normativen Maßstabs eines verständigen Durchschnittsverbrauchers kann hierfür ein Zeitraum von ca. vier Wochen angesetzt werden, so dass innerhalb dieses Zeitraums ein unaufgeforderter Vertreterbesuch zur Erlangung eines Auftrags durch die Hinterbliebenen gegen § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 bzw. 3 verstößt.153 Nach diesem Zeitraum ist der Verbraucher dagegen in der Lage, sich angemessen 68 mit der neuen Lebenssituation auseinanderzusetzen. Unerbetenen Vertreterbesuch wird er dann wieder wie jeder verständige, durchschnittlich informierte und situationsangemessen aufmerksame Verbraucher ablehnen können. 154 Daher kann die beschriebene Situation bei einem verständigen Verbraucher, der ein derartiges Gespräch nicht
_____
148 BVerfG 8.2.1972 – 1 BvR 170/71 – GRUR 1972, 358 ff. – Grabsteinwerbung; BGH 12.3.1971 – I ZR 119/69 – GRUR 1971, 317 – Grabsteinwerbungen II; BGH 1.2.1967 – Ib ZR 3/65 – GRUR 1967, 430 – Grabsteinaufträge; nicht dagegen bei „taktvoller Werbung“, vgl. OLG Zweibrücken 26.4.1996 – 2 U 34/95 – WRP 1996, 951 – Taktvolle Werbung. 149 BGH 8.7.1955 – I ZR 52/54 – GRUR 1955, 541; Gloy/Loschelder/Erdmann/Hasselblatt § 61 Rn. 72 ff.; Harte/Henning/Schöler § 7 Rn. 102; dazu auch Widmann S. 141 ff. 150 Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer § 4a Rn. 202. 151 MünchKommUWG/Heermann § 4 Nr. 1 Rn. 105; Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer § 4a Rn. 202. 152 LG Berlin 19.1.2010 – 18 O 249/08 – WRP 2010, 955, 956 – Kühlmanagement für Verstorbene. 153 Ebenso Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer § 4a Rn. 203. 154 Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer § 4a Rn. 203.
521
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
wünscht, gar nicht erst entstehen. Demnach ist es wettbewerbsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn ein Durchschnittsverbraucher nach vier Wochen mit geschäftlichen Handlungen konfrontiert wird. H. Unzulässige Beeinflussung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3) H. Unzulässige Beeinflussung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3) I. Voraussetzungen 69
Eine unzulässige Beeinflussung liegt gem. § 4a Abs. 1 S. 3 vor, „wenn der Unternehmer eine Machtposition gegenüber dem Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zur Ausübung von Druck, auch ohne Anwendung oder Androhung von körperlicher Gewalt, in einer Weise ausnutzt, die die Fähigkeit des Verbrauchers oder sonstigen Marktteilnehmers zu einer informierten Entscheidung wesentlich einschränkt“. Die Vorschrift beruht auf Art. 2 lit. j) UGPRL. Die Regelungen dienen dem generellen Ziel eines wirksamen Verbraucherschutzes und sind im Interesse eines solchen nach den europarechtlichen Vorgaben auszulegen.155
1. Machtposition. Dem Tatbestandsmerkmal der Machtposition kommt innerhalb des § 4a Abs. 1 Nr. 3 zentrale Bedeutung zu; es ist im Interesse eines umfassenden Verbraucherschutzes auszulegen. Da § 4a Abs. 1 S. 3 zugleich auch für sonstige Marktteilnehmer gilt, sollte entsprechend differenziert werden. Eine Machtposition gegenüber einem Verbraucher liegt bereits dann vor, wenn der Unternehmer dadurch aus einer Position der Überlegenheit über das wettbewerbsimmanente Maß hinaus agieren kann. Hier kommt es auf die „Sicht des Verbrauchers als des Adressaten und Opfers unlauterer Geschäftspraktiken“ an.156 Die Überlegenheit des Unternehmers gegenüber dem Verbraucher kann aber nicht allein in der generellen Asymmetrie ihres Verhältnisses im Markt gesehen werden, sondern es müssen über dieses wettbewerbsimmanente Verhältnis hinausgehende Aspekte hinzukommen. Es reicht also nicht aus, dass der Verbraucher grundsätzlich in einer wirtschaftlich schwächeren Position agiert als der Unternehmer.157 Eine Machtposition ist aber stets dann anzunehmen, wenn der Unternehmer aus der Sicht der angesprochenen Verbraucher (§ 3 Abs. 4) im konkreten Fall in der Lage ist, auf den Verbraucher Druck auszuüben, um ihn zu einer bestimmten geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen. Auf welcher Grundlage diese Machtposition beruht, ist unerheblich.158 Es geht also nicht darum, ob der Unternehmer gegenüber dem Verbraucher Wei71 sungsbefugnisse wahrnehmen oder ob er durch eine bestimmte Unternehmensgröße Marktmacht ausüben kann.159 Das lässt sich auch aus einer Gesamtschau der einschlägigen Spezialtatbestände in Anhang I ermitteln, die zur Auslegung herangezogen werden können.160 Ob die weit zu verstehende Überlegenheit gegenüber allen oder nur einzelnen Verbrauchern besteht, spielt keine Rolle. Die Unterlegenheit des Verbrauchers kann
70
_____
155 Glöckner/Henning-Bodewig WRP 2005, 1311, 1332 f.; Henning-Bodewig WRP 2006, 621, 625; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.57; Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 36. 156 EuGH 16.4.2015 – C-388/13 – WRP 2015, 698 Tz. 52 – UPC. 157 EuGH 3.10.2013 – C-59/12 –WRP 2013, 1454 Tz. 35 – BKK MOBIL OIL; EuGH 16.4.2015 – C-388/13 – WRP 2015, 698 Tz. 53 – UPC. 158 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.57. 159 Köhler/Lettl WRP 2003, 1019, 1046; Fritzsche WRP 2016, 1 Rn. 27; a.A. MünchKomm UWG/Micklitz EG D Art. 8–9 Rn. 24; wie hier Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 36. 160 Glöckner/Henning-Bodewig WRP 2005, 1333.
Pahlow
522
H. Unzulässige Beeinflussung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3)
§ 4a
situativ oder strukturell begründet sein,161 sich u.a. aus rechtlichen (z.B. im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses), wirtschaftlichen (z.B. einer marktbeherrschenden Stellung), ferner aber auch intellektuellen, sozialen, physischen oder psychischen Gesichtspunkten ergeben.162 Eine intellektuelle Überlegenheit des Unternehmers kann gegenüber solchen Verbrauchern angenommen werden, die „aufgrund von geistigen oder körperlichen Gebrechen, Alter oder Leichtgläubigkeit … besonders schutzbedürftig sind“ (Art. 5 Abs. 3 S. 1 UGPRL). Situationsbedingt kann die Unterlegenheit des Verbrauchers insbesondere in „konkreten Unglückssituationen unter Umständen von solcher Schwere“ sein, dass sie das Urteilsvermögen des Verbrauchers beeinträchtigen, worüber sich der Gewerbetreibende bewusst ist (Art. 9 lit. c UGPRL). Andere Maßstäbe gelten im Verhältnis zu sonstigen Marktteilnehmern, wie sie 72 etwa zwischen Unternehmern (B2B) gelten. Sie stehen sich grundsätzlich auf Augenhöhe gegenüber, so dass nicht von einer entsprechenden Schutzbedürftigkeit auszugehen ist. In diesen Fällen findet die UGPRL ohnehin keine Anwendung (oben Rn. 18). Zudem gehen die kartellrechtlichen Vorschriften (Art. 102 AEUV, §§ 19, 20 Abs. 1 GWB) denen des UWG vor.163 Daher können sich kleinere und mittlere Unternehmen gegenüber einer Überlegenheit von Großunternehmen nicht auf § 4a berufen.164 2. Ausübung von Druck. Die Machtposition muss ferner gegenüber dem Verbrau- 73 cher zur Ausübung von Druck ausgenutzt worden sein. Durch die Ausübung des Drucks muss das Urteilsvermögen des Verbrauchers (vgl. Art. 9 lit. c) UGPRL), also seine Fähigkeit, eine rationale geschäftliche Entscheidung zu treffen, beeinträchtigt sein. Davon ist grundsätzlich auszugehen, wenn der Verbraucher dem Eindruck unterliegt, er müsse mit Nachteilen rechnen, wenn er das Geschäft nicht abschließt.165 Ob eine Ausübung von Druck vorliegt, beurteilt sich danach, wie ein Durchschnittsverbraucher oder ein sonstiger Marktteilnehmer mit einer entsprechenden Situation umgeht. Die Androhung konkreter Nachteile ist nicht erforderlich. Es genügt vielmehr, wenn der Verbraucher mit körperlichen, gesundheitlichen, rechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen, emotionalen oder sonstigen Nachteilen rechnen muss. Darunter fallen u.a. auch „Hindernisse nichtvertraglicher Art“ i.S.d. Art. 9 lit. d) UGPRL, also vertraglich nicht vorgesehene Erschwernisse (z.B. Verlangen der Vorlage von nicht relevanten Dokumenten)166 oder die Androhung eines Übels für den Fall der Kündigung.167 Der Nachteil kann auch durch den Entzug bisher gewährter Vorteile entstehen. Die Druckausübung kann, muss aber nicht in der Anwendung oder Androhung von körperlicher Gewalt bestehen (Art. 2 lit. j) UGPRL). Auch die Nötigung erfasst eine Druckausübung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 2), die nur tendenziell stärker ist als die unzulässige Beeinflussung und sich mit dieser natürlicherweise überschneide. Keine Druckausübung liege nach überwiegender Auffassung vor, wenn lediglich Vorteile offeriert bzw. Kaufanreize geschaffen würden wie etwa bei Verkaufsförderungsmaßnahmen.168 Das ist zwar zutreffend, jedoch ist bei pauschalen Kategorisierungen Vorsicht geboten (dazu oben). Sie greifen ohnehin nicht, wenn sich die
_____
161 BGH 19.4.2018 – I ZR 154/16 – GRUR 2018, 1251 Tz. 60 – Werbeblocker II. 162 Vgl. Hecker WRP 2006, 640, 642; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.58; ders./Lettl WRP 2003, 1019, 1046; Steinbeck WRP 2008, 865, 866. 163 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.57. 164 Fritzsche WRP 2016, 1 Rn. 29. 165 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.59. 166 Vgl. Nr. 27 des Anhanges zu § 3 Abs. 2. 167 Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer § 4a Rn. 278. 168 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.60; BGH 12.12.2013 – I ZR 192/12 – GRUR 2014, 831 Tz. 35 – Goldbärenbarren.
523
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
Verkaufsförderungsmaßnahmen an eine Verbrauchergruppe wendet, die aufgrund von geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen, Alter oder Leichtgläubigkeit im Hinblick auf solche Geschäftspraktiken besonders schutzbedürftig ist (§ 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 2 S. 2 bzw. § 3 Abs. 4 S. 2), wie insbesondere Kinder und Jugendliche. In diesen Fällen kann auch einer Verkaufsförderungsmaßnahme eine strukturelle Überlegenheit und damit eine Machtposition (siehe auch Nr. 28 Anhang § 3 Abs. 3) begründen. 3. Ausnutzung. Eine Ausnutzung liegt vor, wenn der Handelnde seine Überlegenheit in der Weise zielgerichtet einsetzt, dass die Fähigkeit des Verbrauchers oder sonstigen Marktteilnehmers zu einer informierten Entscheidung wesentlich eingeschränkt wird. Der Unternehmer muss also zum einen um seine Überlegenheit wissen und sie zum anderen dazu benutzen, eine bestimmte geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers oder sonstigen Marktteilnehmers hervorzurufen. Die Fähigkeit des Verbrauchers zu einer informierten Entscheidung muss we75 sentlich eingeschränkt worden sein. Es geht um die geschäftliche Entscheidung nach Art. 2 lit. k) UGPRL. Danach ist es unerheblich, ob diese Entscheidung in einem Tun oder Unterlassen besteht. Informiert ist die Entscheidung, wenn sie auf Informationen beruht, die der Verbraucher zulässigerweise erwarten darf. Entsprechend wird die Fähigkeit zu einer informierten Entscheidung dann eingeschränkt, wenn der Verbraucher die für seine Entscheidung erforderlichen Informationen weder erlangen169 noch sie angemessen nutzen kann.170 Diese Beschränkung seiner Entscheidungsfindung muss wesentlich und damit mehr als nur spürbar i.S.d. Art. 5 Abs. 2 i.V.m. Art 2 lit. e) UGPRL sein. Die Einschränkung kann auch darin bestehen, dass der Unternehmer für die von 76 ihm angestrebte Entscheidung des Verbrauchers irrationale Motive in den Vordergrund rückt.171 Das gilt auch, wenn der Handelnde eine Situation ausnutzt, die das Urteilsvermögen des Verbrauchers beeinträchtigt. Ist die Fähigkeit zu einer informierten Entscheidung durch Druckausübung wesentlich eingeschränkt, so wird in der Regel auch die Entscheidungsfreiheit erheblich beeinträchtigt sein.172 Eine wesentliche Einschränkung der Fähigkeit zu einer informierten Entscheidung ist dann anzunehmen, wenn die geschäftliche Handlung das Urteilsvermögen des Verbrauchers (Art. 9 lit. c UGPRL), also seine Fähigkeit, seine Entscheidung auch aufgrund von Informationen und damit aufgrund von rational-kritischen Erwägungen über deren Vor- und Nachteile zu treffen, beeinträchtigt wird. Zur Beurteilung ist auf den Durchschnittsverbraucher sowie auf die gesamten Umstände des Einzelfalles und auf die Stärke der jeweiligen Machtposition des Unternehmers abzustellen.173 Werden Unfallopfer noch an der Unfallstelle zum Abschluss u.a. von Reparatur-, Abschlepp- oder Mietverträgen für einen Ersatzwagen angesprochen, kann darin ebenfalls ein Verstoß gegen § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3 liegen. Denn der verständige und situationsangemessen aufmerksame Verbraucher hat aufgrund der mit dem Unfallereignis einhergehenden Traumatisierung häufig keine Möglichkeit, mit klarem Kopf eine geschäftliche Entscheidung zu treffen; das lässt sich selbst in den Fällen feststellen, in denen das Unfallopfer keine physischen Verletzungen erlitten hat.174 Der
74
_____
169 Hier ergeben sich zweifellos Überschneidungen mit dem Transparenzgebot, das über die irreführenden Geschäftspraktiken (Art. 6 und 7 UGPRL) geschützt wird. 170 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.65. 171 EuGH 18.10.2012 – C-428/11 – WRP 2012, 1509 Tz. 49 – Purely Creative. 172 BGH 19.3.2015 – I ZR 157/13 – GRUR 2015, 1134 Tz. 14 – Schufa-Hinweis; zurückhaltender BGH 22.3.2018 – I ZR 25/17 – GRUR 2018, 1063 Tz. 14 – Zahlungsaufforderung („jedenfalls dann…“). Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.65. 173 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.66. 174 MünchKommUWG/Heermann § 4 Nr. 1 Rn. 109; Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer § 4a Rn. 195 f.
Pahlow
524
H. Unzulässige Beeinflussung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3)
§ 4a
verständige Durchschnittsverbraucher befindet sich unmittelbar nach einem Unfall regelmäßig in einem Zustand der Verwirrung und der Hilflosigkeit, demnach in einer Zwangslage, die ausgenutzt werden kann, da die Unfähigkeit zu kritischem Denken häufig die typische Folge dieser mentalen Verfassung ist. In dieser Situation fehlt es an einem aufmerksamen und verständigen, alle Informationen abwägenden Verbraucher. Als Unfallopfer ist er dann nicht mehr in der Lage, seinen Willen frei zu bilden. Das bestätigt auch Art. 9 lit. c) UGPRL, wonach eine aggressive Geschäftspraxis schon dem Wortlaut nach bei Ausnutzung von „Unglückssituationen“ oder „Umständen von solcher Schwere“ als unlauter angesehen wird, weil sie das Urteilsvermögen des Verbrauchers beeinträchtigt. Eine Werbung am Unfallort kann also nach § 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 unlauter sein.175 Zur Belästigung in solchen Fällen § 7 Rn. 96. Die Prüfung, ob durch die Ausübung von Druck die Fähigkeit zu einer informierten 77 Entscheidung wesentlich eingeschränkt ist, hat auch bei sonstigen Marktteilnehmern nach einem durchschnittlichen Adressaten dieser Gruppe zu erfolgen.176 Die Fähigkeit zu einer informierten Entscheidung ist danach wesentlich eingeschränkt, wenn die geschäftliche Handlung das Urteilsvermögen des sonstigen Marktteilnehmers beeinträchtigt, er also die Vor- und Nachteile des Geschäfts nicht mehr hinreichend wahrnehmen und gegeneinander abwägen kann.177 Hierbei ist bei einer geschäftlichen Handlung gegenüber sonstigen Marktteilnehmern von einer durchschnittlichen geschäftlichen Erfahrenheit der beteiligten Unternehmen auszugehen.178 Das kostenlose Angebot einer Software, die Werbung im Internet grundsätzlich blockiert, aber den Betreibern werbefinanzierter Seiten die Möglichkeit eröffnet, die Blockierung gegen Entgelt zu vermeiden („Whitelisting“), beeinträchtigt die Urteilsfähigkeit der handelnden Personen nicht und verleitet auch nicht zu irrationalen Handlungen. Denn der Nachteil der werbefinanzierten Seitenbetreiber besteht lediglich darin, dass sie sich weiterhin mit der lauterkeitsrechtlich zulässigen Situation der Blockierung ihrer Werbung abfinden müssen, weil sie mit dem Werbeblocker keine „Whitelistvereinbarung“ getroffen haben. Darin liegt aber nicht das Ausnutzen einer Drucksituation.179 Als subsidiärer Auffangtatbestand (Rn. 32) kann die unzulässige Beeinflussung bei 78 verschiedenen Fallgruppen und Marketingmaßnahmen relevant werden, u.a. bei Verkaufsförderungsmaßnahmen (Rn. 79 ff.), der Werbung mit emotionalen Faktoren (Rn. 88 ff.), einer Werbung mit Autoritäten (Rn. 120 ff.) bzw. drittverantwortlichen Personen (Rn. 136 ff.), der Laienwerbung (Rn. 144 ff.), Appellen an die Solidarität (Rn. 169 ff.) oder Versteigerungen (Rn. 176 ff.). Sie sind im Folgenden näher zu betrachten: II. Verkaufsförderungsmaßnahmen Verkaufsförderungsmaßnahmen umfassen alle zur Förderung des Absatzes von 79 Waren oder Dienstleistungen gewährten geldwerten Vergünstigungen, die die
_____
175 Emmerich § 12 Rn. 59; Lettl § 6 Rn. 25; Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer § 4a Rn. 195 ff.; Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 34. 176 BGH 19.4.2018 – I ZR 154/16 – GRUR 2018, 1251 Tz. 68 – Werbeblocker II; Alexander GRUR 2016, 1089, 1090; Fritzsche WRP 2016, 1036 Rn. 17. 177 BGH 19.4.2018 – I ZR 154/16 – GRUR 2018, 1251 Tz. 68 – Werbeblocker II. 178 BGH 19.4.2018 – I ZR 154/16 – GRUR 2018, 1251 Tz. 71 – Werbeblocker II 179 BGH 19.4.2018 – I ZR 154/16 – GRUR 2018, 1251 Tz. 71 – Werbeblocker II; OLG München 17.8.2017 – U 2225/15 Kart – GRUR 2017, 1147 Tz. 191 – Whitelisting I; OLG München 17.8.2017 – U 2184/15 Kart – WRP 2017, 1365 Tz. 127 f. – Whitelisting II; OLG Hamburg 15.3.2018 – 5 U 152/15 – WRP 2018, 604 Tz. 148 f. – Adblock Plus.
525
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
Kaufentscheidung des Verbrauchers oder sonstigen Marktteilnehmers beeinflussen können.180 Dem Umworbenen kann z.B. eine Vergünstigung schenkweise gewährt werden181 oder der Kunde erhält mit dem Abschluss eines Geschäfts eine andere Ware verbilligt oder kann sie sogar ganz unentgeltlich erhalten.182 Der Unternehmer wirbt also nicht mit Worten, sondern mit Werten (daher auch Wertreklame). Daher muss es sich auch um die Absatzförderung einer entgeltlichen Leistung handeln. Fehlt es daran, so scheidet die Beurteilung einer Wettbewerbshandlung unter dem Gesichtspunkt der Verkaufsförderung oder Wertreklame aus.183 1. Verbraucher. Der europäische Gesetzgeber hat Verkaufsförderungsmaßnahmen gegenüber Verbrauchern erhebliche Aufmerksamkeit gewidmet: Neben der UGPRL, wo im Anhang in Nr. 5 (Lockangebote), Nr. 7 (Sonderangebote), Nr. 19 (Wettbewerbe und Preisausschreiben), Nr. 20 (Gratisangebote) und Nr. 31 (Preisgewinne) einzelne Erscheinungsformen bereits sanktioniert werden, spielen solche Werbeformen auch in anderen Regelwerken eine Rolle: Art. 6 lit. c ECommerceRL (2000/31/EG) stellt besondere Informationspflichten für „Angebote zur Verkaufsförderung wie Preisnachlässe, Zugaben und Geschenke“ auf. In der neuen Leitlinie der Kommission zur Umsetzung bzw. Anwendung der UGPRL werden unverbindliche Hinweise gegeben, wie sich die Kommission die Anwendung der UGPRL in praxi vorstellt. Dort werden Verkaufsförderungsmaßnahmen beschrieben als „Kopplungsangebote oder gebundene Angebote, Nachlässe, Preisermäßigungen, Werbeangebote, gewerbliche Lotterien, Wettbewerbe und die Verwendung von Gutscheinen“.184 Für die Frage, ob bestimmte Maßnahmen eine unzulässige Beeinflussung darstellen, 81 sind gegenüber Verbrauchern allein die Vorgaben der UGPRL zu beachten. Verkaufsförderungsmaßnahmen unterfallen – wie sich schon aus der historischen Rekonstruktion ergibt (oben Rn. 21 ff.) – nur unter bestimmten Umständen den Artt. 8 und 9 UGPRL bzw. dem § 4a, weil deren Einstufung als „aggressiv“ nicht mehr ohne weiteres dem europäischen Verbraucherleitbild entsprechen. Von daher geht inzwischen auch die Rechtsprechung davon aus, dass es sich grundsätzlich nicht mehr um Fälle „aggressiver Geschäftspraktiken“ handele: Ohne das Hinzutreten weiterer Umstände wie etwa irreführender oder aggressiver Elemente beurteilt der EuGH die oben genannten Fälle von Verkaufsförderungsmaßnahmen alleine nach der Generalklausel des Art. 5 Abs. 2 UGPRL; die Bestimmungen über aggressive Geschäftspraktiken wie Art. 8 und 9 UGPRL spielten dagegen keine Rolle.185 Der BGH führte dagegen noch explizit aus, dass z.B. eine Gewinnspielkoppelung nicht als aggressive Geschäftspraxis angesehen werden könne, da durch sie weder eine Belästigung noch eine Nötigung noch eine unzulässige Beein-
80
_____
180 BGH 11.3.2009 – I ZR 194/06 – GRUR 2009, 1064 Tz. 22 – Geld-zurück-Garantie II; OLG Frankfurt a.M. 19.10.2006 – 6 U 73/06 – GRUR-RR 2007, 156 – Geld-zurück-Garantie; Emmerich § 12 Rn. 18; Köhler GRUR 2010, 767, 768; Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 38; Scherer GRUR 2017, 581. 181 BGH 26.3.1998 – I ZR 231/95 – GRUR 1998, 1037, 1038 – Schmuck-Set. 182 BGH 28.1.1999 – I ZR 192/96 – GRUR 1999, 755 – Altkleider-Wertgutscheine; Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 38. 183 BGH 20.11.2003 – I ZR 120/00 – WRP 2004, 746, 747 – Zeitung zum Sonntag: Dauernd unentgeltliche Abgabe von Zeitungen durch allein über Anzeigen finanzierten Zeitungsbetrieb; ferner BGH 20.11.2003 – I ZR 151/01 – GRUR 2004, 602, 603 – 20 Minuten Köln. 184 KOM (2016) 320, Abschn. 1.3.1., 13. 185 EuGH 7.9.2016 – C-310/15 – GRUR 2016, 1180 Tz. 33 ff., 38 ff. – Deroo Blanquart/Sony; EuGH 9.11.2010 – C-540/08 – GRUR 2011, 76 Tz. 43 ff. – Mediaprint; EuGH 23.4.2009 – C-261/01, C-299/07 – GRUR 2009, 599 Tz. 57 ff. – VTB-VAB/Galatea; EuGH 14.1.2010 – C-304/08 – GRUR 2010, 244 Tz. 51 ff. – Plus Warenhandelsgesellschaft.
Pahlow
526
H. Unzulässige Beeinflussung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3)
§ 4a
flussung vorliege; für den Verbraucher gehen davon nur konkrete Anreize aus, ohne dass er dadurch unter Druck gesetzt werde.186 Auch die Gewährung von kostenlosen Waren und Dienstleistungen zum Zwecke des Kaufanreizes, die früher unter den Begriff des „psychischen Kaufzwanges“ (oben Rn. 55) gefasst wurden, werde nicht mehr von § 4a erfasst.187 Stattdessen prüft der BGH die Fälle anhand der Generalklausel des § 3 Abs. 2.188 Allerdings lässt sich die Generalklausel nur bei den oben genannten Varianten von Verkaufsförderungsmaßnahmen annehmen, und auch nur dann, wenn keine weiteren Umstände hinzutreten. Nur insoweit lässt sich im europäischen Recht, sowohl durch die unionrechtlichen Bestimmungen als auch die Spruchpraxis des EuGH, die Annahme rechtfertigen, dass sie für sich nicht von § 4a umfasst werden. Vor Pauschalisierungen muss allerdings im Hinblick auf die Dynamiken und Ver- 82 zahnungen moderner Marketing- und Werbeaktionen gewarnt werden. Verkaufsförderungsmaßnahmen entwickeln sich in einer innovativen und wettbewerbsorientierten Werbewirtschaft ständig weiter. Typischerweise können die Übergänge dieser Erscheinungsformen fließend sein, ineinandergreifen und häufig mit Befristungen (z.B. Happyhour-Aktionen u.ä.), d.h. mit zeitlichen Beschränkungen, mit räumlich-beklemmenden Methoden (z.B. auf „Kaffeefahrten“), mit bedrängenden, d.h. belästigenden Umständen, mit aleatorischen Reizen oder mit gefühlsausnutzenden Werbemaßnahmen verbunden sein.189 Viele dieser Fälle unterfallen daher auch § 4a. Sie von vornherein über die Generalklausel zu erfassen, würde auch dem systematischen Anspruch der UGPRL wie auch des UWG widersprechen. Es ist daher gerade nicht ausgeschlossen, dass auch im Rahmen der oben genannten Verkaufsförderungsmaßnahmen für den Verbraucher aggressive Verhaltensweisen auftreten oder enthalten sein können, die dann unter Umständen eine aggressive Geschäftspraxis des § 4a darstellen können. Dafür genügt bereits die Erfüllung einer aggressiven Handlung i.S.d. § 4a. Eine wirtschaftliche Betrachtung etwa im Sinne einer Aufrechnung mit bereits erhaltenen Vergünstigungen verbietet sich schon deshalb, weil damit ein erhebliches Umgehungspotential der lauterkeitsrechtlichen Verbotstatbestände verbunden wäre. Unlauterkeit kann z.B. bei Rabattaktionen dann anzunehmen sein, wenn kein 83 sachlicher Grund der Befristung vorliegt und der Verbraucher in eine Situation gebracht wird, in der er keine ausreichende und zumutbare Möglichkeit mehr hat, sich die für eine informierte Entscheidung erforderlichen Informationen zu beschaffen.190 Hierin dürfte durchaus auch eine Machtposition zu sehen sein, die zur Ausübung von Druck ausgenutzt wird. Entscheidend ist also, ob der Verbraucher bei Verkaufsförderungsmaßnahmen Gelegenheit hatte, sich vor der Kaufentscheidung über zeitliche Befristungen der Aktion zu informieren (Transparenzgebot).191 Die zeitliche Befristung muss also bei Beginn der Verkaufsförderungsmaßnahme für den Verbraucher erkennbar gewesen sein. Eine Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit kann auch darin liegen, wenn ein
_____
186 BGH 5.10.2010 – I ZR 4/06 – GRUR 2011, 532 Tz. 22, 23 – Millionen-Chance II; BGH 12.12.2013 – I ZR 192/12 – GRUR 2014, 686 Tz. 38 – Goldbärenbarren. 187 OLG Frankfurt a.M. 3.8.2017 – 6 U 35/17 – GRUR-RR 2018, 197 Tz. 4 – Hörzentrum. 188 BGH 5.10.2010 – I ZR 4/06 – GRUR 2011, 532 Tz. 22, 23 – Millionen-Chance II; BGH 12.12.2013 – I ZR 192/12 – GRUR 2014, 686 Tz. 21 ff. – Goldbärenbarren; OLG Frankfurt a.M. 3.8.2017 – 6 U 35/17 – GRUR-RR 2018, 197 Tz. 4 – Hörzentrum. 189 Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 39. 190 Köhler GRUR 2010, 767, 774; Fritzsche/Frahm WRP 2008, 22, 36 für Internetauktionen mit kostenpflichtigen Gebotsrechten. 191 BGH 11.3.2009 – I ZR 194/06 – GRUR 2009, 1064 Tz. 28 – Geld-zurück-Garantie II; Seichter WRP 2006, 628, 631; Fezer/Büscher/Obergfell/Steinbeck, Anh. 2 § 4a Rn. 224.
527
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
Marktteilnehmer durch eine Vertragsstrafenvereinbarung gehindert wird, Fremdbezüge zu tätigen.192 Werden Jugendliche durch ein Gewinnspiel zur Angabe ihrer persönlichen Daten 84 und zur Einwilligung in Direktwerbung mobilisiert, so liegt in der attraktiven Wirkung des Gewinnspiels bereits eine „Machtposition“ des werbenden Versicherers. Da zugleich gem. § 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 und Abs. 2 S. 2 die Unerfahrenheit der Jugendlichen im Umgang mit personenbezogenen Daten zu berücksichtigen ist, kann der Fall – vorbehaltlich abweichender Entscheidungen des EuGH – auch unter § 4a UWG als unlauter beurteilt werden.193 Bei Preisausschreiben und Gewinnspielen kommt zudem dem Anhang zu § 3 Abs. 3 85 besondere Bedeutung zu: Nach Nr. 20 Anhang § 3 Abs. 3 ist das Angebot eines Wettbewerbs- oder Preisausschreibens stets unlauter, wenn weder die in Aussicht gestellten Preise noch ein angemessenes Äquivalent vergeben werden. Unzulässig ist auch eine Angabe, durch eine bestimmte Ware oder Dienstleistung ließen sich die Gewinnchancen bei einem Glückspiel erhöhen (Nr. 16 Anhang § 3 Abs. 3). Das Gleiche gilt für die unwahre Angabe oder das Erwecken des unzutreffenden Eindrucks, der Verbraucher habe bereits einen Preis gewonnen oder werde ihn gewinnen oder werde durch eine bestimmte Handlung einen Preis gewinnen oder einen sonstigen Vorteil erlangen, wenn es einen solchen Preis oder Vorteil tatsächlich nicht gibt, oder es wenn jedenfalls die Möglichkeit, einen Preis oder sonstigen Vorteil zu erlangen, von der Zahlung eines Geldbetrages oder der Übernahme von Kosten abhängig gemacht wird (Nr. 17 Anhang § 3 Abs. 3). Sie gehen auf Nr. 19 und Nr. 31 Anhang UGPRL zurück. 2. Sonstige Marktteilnehmer. Da die UGPRL ein besonders hohes Schutzniveau für Verbraucher sicherstellen will, können für sonstige Marktteilnehmer zumindest keine strengeren Maßstäbe gelten. Eine Unlauterkeit nach § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3 ist daher entsprechend der bisherigen Rechtsprechung dann gegeben, wenn die Maßnahme geeignet ist, die Rationalität der Nachfrageentscheidung der angesprochenen Marktteilnehmer vollständig in den Hintergrund treten zu lassen.194 Dazu ist wiederum eine Gesamtwürdigung des Angebots vorzunehmen, die u.a. auf den Anlass, auf die Person des Gebers und Empfängers, auf den Wert der Leistungen, deren Verwendbarkeit, auf die Art und Weise ihrer Gewährung, d.h. die Art der begleitenden Werbung, aber auch die Intensität der Werbewirkung und deren Zweck abstellt. Maßgeblich ist auch hier § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3. Rabatte sind für sich genommen nicht geeignet, die Nachfrageentscheidung von 87 sonstigen Marktteilnehmern zu beeinträchtigen; sie sind vielmehr erwünschte Folge des Wettbewerbs.195 Eine unangemessene unsachliche Beeinflussung liegt nicht vor bei der Versendung von Einkaufsgutscheinen über 30 DM durch einen Internet-Versandhandel
86
_____
192 OLG Jena 30.9.2009 – 2 U 188/09 – GRUR-RR 2010, 113, 115 – Anzeigen-Treuerabatt. 193 BGH 22.1.2014 – I ZR 218/12 – GRUR 2014, 682 Tz. 21 ff., 35 – Nordjob-Messe; Ohly GRUR 2016, 3, 5. 194 BGH 29.10.2009 – I ZR 180/07 – GRUR 2010, 455 Tz. 17 – Stumme Verkäufer II; BGH 8.11.2007 – I ZR 60/05 – GRUR 2008, 530 Tz. 13 – Nachlass bei der Selbstbeteiligung; BGH 22.9.2005 – I ZR 28/03 – GRUR 2006, 161 Tz. 17 – Zeitschrift mit Sonnenbrille; BGH 9.6.2004 – I ZR 187/02 – GRUR 2004, 960 – 500 DMGutschein für Autokauf; BGH 13.3.2003 – I ZR 212/00 – GRUR 2003, 626, 627 – Umgekehrte Versteigerung II; BGH 13.6.2002 – I ZR 71/01 – GRUR 2002, 979, 981 – Kopplungsangebot II; BGH 13.6.2002 – I ZR 173/01 – GRUR 2002, 976, 978 – Koppelungsangebot I. 195 BGH 22.5.2003 – I ZR 8/01 – GRUR 2003, 1057 – Einkaufsgutschein; BGH 13.6.2002 – I ZR 71/01 – GRUR 2002, 979, 981 – Kopplungsangebot II; BGH 8.11.2001 – I ZR 124/99 – GRUR 2002, 548, 549 – Mietwagenkostenersatz.
Pahlow
528
H. Unzulässige Beeinflussung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3)
§ 4a
für Büroartikel an 1,5 Millionen Gewerbetreibende196 oder bei der Versendung von Geburtstagsgutscheinen im Wert von 10 DM durch einen Versandhändler.197 Entsprechend sind auch gegenüber sonstigen Marktteilnehmern Kopplungsangebote und Zugaben grundsätzlich wettbewerbskonform. Die Werbung mit Preisausschreiben und Gewinnspielen ist für sich nicht geeignet, bei einem verständigen Durchschnittsmarktteilnehmer die Rationalität seiner Nachfrageentscheidung vollständig in den Hintergrund treten zu lassen.198 III. Werbung mit emotionalen Faktoren 1. Erscheinungsformen und Abgrenzung. Die Kaufentscheidung des Verbrauchers 88 wird im modernen Wettbewerb nicht nur durch Qualität und Preis des Produkts bzw. zusätzliche geldwerte Vergünstigungen (Verkaufsförderungsmaßnahmen) beeinflusst. Die Werbewirtschaft berücksichtigt zunehmend auch produktfremde, insbesondere auf die Emotionen des Konsumenten einwirkende Anreize. Es gehört zum „Bild der modernen Werbung“, so der BGH, „bei den Umworbenen auf die unterschiedlichste Weise auch auf deren Gefühle einzuwirken“.199 Nicht nur in der Image-Werbung, sondern auch in der Produktwerbung ist dies eine weithin verbreitete Praxis.200 Dazu werden nicht primär Eigenschaften eines Produkts beworben, sondern auch an außerhalb von Ware oder Dienstleistung stehende, nicht an einen materiellen Wert gebundene Aspekte abgestellt. Es geht in diesen Fällen um Emotionen im weiteren Sinne, u.a. Gefühle, Wünsche, Wertvorstellungen, Triebe, Motive, Ziele, Hoffnungen, Tabus, Ressentiments, Vorurteile. Z.B. können die Sehnsucht nach Freiheit, Sicherheit oder Gesundheit, oder Emotionen, die innerhalb der Sexualität, die durch Aggression, Mitleid, Solidarität und Nächstenliebe hervorgerufen werden sowie patriotische, ethische oder religiöse Gefühle vom Werbenden angesprochen und genutzt werden. Die Werbung mit emotionalen Faktoren kann einerseits „gefühlsbetont“ und ande- 89 rerseits allein „aufmerksamkeitsbezogen“ auftreten. Merkmal der gefühlsbetonten Werbung ist es, dass dem Umworbenen der Eindruck vermittelt wird, er könne mit dem Kauf des beworbenen Produkts helfen und dazu beitragen, einen dargestellten Missstand zu beheben oder zu lindern.201 Deshalb muss bei der gefühlsbetonten Werbung das in Aussicht gestellte Verhalten in einem nachvollziehbaren Zusammenhang mit dem Kauf des Produkts stehen, da die Werbung nur so eine Kaufentscheidung auslösen kann. Dieser Zusammenhang fehlt bei der sog. Aufmerksamkeitswerbung (unten Rn. 95), die zwar auch auf Emotionen abstellt, diese aber in keinem erkennbaren Zusammenhang mit dem Produkt stehen und der Kunde daher davon ausgehen kann, dass er z.B. bestimmte soziale oder karitative Zwecke mit dem Kauf der Produkte gerade nicht erfüllen kann.202 Die hier geweckten Emotionen oder Reize haben vielmehr allein das Ziel, Aufmerksamkeit beim Kunden hervorzurufen. Allerdings sind die Grenzen zwischen pro-
_____
196 Anders noch OLG Hamburg 28.11.2001 – 5 U 111/01 – GRUR-RR 2002, 203 – Büroartikel-Gutschein. 197 BGH 22.5.2003 – I ZR 8/01 – GRUR 2003, 1057 – Einkaufsgutschein. 198 BGH 22.9.2005 – I ZR 28/03 – GRUR 2006, 161 Tz. 17 – Zeitschrift mit Sonnenbrille; BGH 9.6.2004 – I ZR 187/02 – GRUR 2004, 960 – 500 DM-Gutschein für Autokauf. 199 Vgl. BGH 25.3.1999 – I ZR 77/97 – GRUR 1999, 1100 – Generika-Werbung; ähnlich auch BVerfG 12.12.2000 – I BvR 1762/95 – GRUR 2001, 170, 174 – Schockwerbung. 200 BVerfG 6.2.2002 – 1 BvR 2151/96 – GRUR 2002, 455, 456 f. – Tier- und Artenschutz; Sosnitza WRP 1995, 786. 201 Fezer/Büscher/Obergfell/Steinbeck Anh. 2 § 4a Rn. 426; zum verfassungsrechtlichen Hintergrund Hösch WRP 2003, 936, 942. 202 OLG Frankfurt a.M. 10.2.1994 – 6 W 11/94 – WRP 1994, 407 – Paradise now.
529
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
duktfremden und produktbezogenen Emotionen im Fluss. Im Folgenden soll an der herkömmlichen Unterscheidung jedoch festgehalten werden. 90
2. Entwicklung in Rechtsprechung und Literatur. Die unter der früheren Generalklausel des § 1 a.F. anerkannte Lehre vom Leistungswettbewerb (oben Rn. 21 ff.) hat die lauterkeitsrechtliche Beurteilung solcher Werbeformen lange Zeit kritisch gesehen. Werbemaßnahmen wurden dann als unlauter bewertet, wenn ein sachlicher Zusammenhang zwischen dem in der Werbung dargestellten sozialen Engagement und der beworbenen Ware oder Leistung nicht bestand.203 War das zu bejahen, dann war die Grenze zur wettbewerbsrechtlichen Unzulässigkeit überschritten, wenn die Werbung geeignet war, den Verbraucher zu veranlassen, beim Werbenden gerade wegen der von diesem betonten sozialen Gesichtspunkte zu kaufen, ohne die Angebote der Mitbewerber zu berücksichtigen.204 Darüber hinaus wurde § 1 a.F. nicht nur auf den Schutz der Verbraucher bezogen, 91 sondern auch dann für anwendbar erklärt, wenn Wettbewerb unter „Missachtung gewichtiger Interessen der Allgemeinheit“ betrieben wurde.205 Eine Beeinträchtigung von gewichtigen Allgemeininteressen sollte demnach vorliegen, wenn eine bestimmte Werbung „Verrohungs- und Abstumpfungstendenzen“ in der Gesellschaft fördere und einer „Kultur der Mitmenschlichkeit“ im Umgang mit Leid abträglich sei oder wenn mit ihr eine nicht mehr hinnehmbare Belästigung des Publikums verbunden sei. Unlauter war danach eine Werbung auch dann, wenn bei Teilen des Verkehrs vorhandene Vorurteile beispielsweise gegenüber Religion oder Herkunft einer bestimmten Bevölkerungsgruppe zu Zwecken des Wettbewerbs ausgenutzt wurde, zumal hier bereits der „ethische Minimalkonsens“ verletzt werde, der auch dem § 1 a.F. als Mindestmaß rechtlich-sittlichen Verhaltens zugrunde zu legen sei.206 Das Schrifttum hat diese Interpretation des § 1 a.F. überwiegend gebilligt,207 zum Teil sogar von „diskriminierender Werbung“ gesprochen.208 Zurückhaltender reagierte die Rechtsprechung dagegen auf Werbeformen, die lediglich gegen den „guten Ton“ bzw. den „guten Geschmack“ verstießen.209 Diese Maßstäbe haben sich mit der Veränderung des europäischen Lauterkeits92 rechts und einer marktliberalen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erheblich gewandelt. Danach können die früheren Grundsätze des Leistungswettbewerbs und damit der reinen Leistungswerbung keine Gültigkeit mehr beanspruchen. Ebenso wie
_____
203 BGH 25.3.1999 – I ZR 77/97 – GRUR 1999, 1100 – Generika-Werbung; KG 23.1.1996 – 5 U 7117/95 – WRP 1996, 750 – Für den Schutz der Umwelt. 204 BGH 18.10.1990 – I ZR 113/89 – GRUR 1991, 542 – Biowerbung mit Fahrpreiserstattung; BGH 12.3.1987 – I ZR 40/85 – GRUR 1987, 534 – McHappy-Day; BGH 16.1.1976 – I ZR 32/75 – GRUR 1976, 308 – UNICEF-Grußkarten; ähnlich Teichmann/van Krüchten WRP 1994, 704; differenzierend zur Schockwerbung: Henning-Bodewig WRP 1992, 533; dies. GRUR 1993, 950; Kort WRP 1997, 526; Sosnitza WRP 1995, 786. 205 BGH 6.12.2001 – I ZR 284/00 – GRUR 2002, 360, 362 – H.I.V. POSITIVE II; BGH 6.10.1999 – I ZR 46/97 – WRP 2000, 170, 172 – Giftnotrufbox; OLG Frankfurt a.M. 13.8.1992 – 6 W 72/92 – WRP 1993, 35 – Geschmacklose Werbung; Henning-Bodewig WRP 1992, 533. 206 OLG Frankfurt a.M. 13.8.1992 – 6 W 72/92 – WRP 1993, 35 – Geschmacklose Werbung; HenningBodewig WRP 1992, 533; Reichol WRP 1994, 219, 224; abgelehnt in BGH 15.5.1997 – I ZR 10/95 – GRUR 1997, 761 – Politikerschelte. 207 Bamberger FS Piper, S. 41, 54 ff.; Gaedertz/Steinbeck WRP 1996, 978; Henning-Bodewig GRUR 1997, 180, 189 ff.; Kisseler FS Gaedertz, S. 284; durchaus differenzierend Ahrens JZ 1995, 1096; kritisch dagegen Hartwig WRP 1997, 825; Hoffmann-Riem ZUM 1996, 1, 10. 208 Fezer JZ 1998, 265, 275. 209 BGH 6.7.1995 – I ZR 110/93 – GRUR 1995, 595, 596 – Kinderarbeit; BGH 18.5.1995 – I ZR 91/93 – GRUR 1995, 592, 594 – Busengrapscher; BGH 29.5.1970 – I ZR 25/69 – GRUR 1970, 557, 558 – Erotik in der Ehe; OLG Frankfurt a.M. 13.8.1992 – 6 W 72/92 – WRP 1993, 35 – Geschmacklose Werbung.
Pahlow
530
H. Unzulässige Beeinflussung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3)
§ 4a
andere Meinungsäußerungen mit wertendem Inhalt unterliegt auch die Wirtschaftswerbung dem grundrechtlichen Schutz der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG). Als einfaches Gesetz kann das UWG zwar die Meinungsfreiheit beschränken, das setzt aber eine Beeinträchtigung eines „hinreichend wichtigen, durch diese Norm geschützten Belang[es]“ voraus, d.h. eine konkrete Beeinträchtigung des Wettbewerbs als Schutzgut des UWG. Denn das UWG schützt die Lauterkeit eines marktgerichteten Vorgehens nicht als solches, sondern immer nur als Grundlage für die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs.210 Die UWG-Reform 2004 enthielt dementsprechend auch kein Verbot der gefühlsbe- 93 tonten Werbung. Entsprechend sahen Rechtsprechung und Literatur im Sachzusammenhang zwischen Werbung und Angebot kein ausreichendes Kriterium mehr für die Abgrenzung der lauteren von der unlauteren Werbung mit emotionalen Faktoren, so dass auch das Ansprechen z.B. eines sozialen Engagements auch ohne inhaltlichen Bezug zum beworbenen Angebot lauterkeitsrechtlich grundsätzlich zulässig war. Nach der neueren Rechtsprechung ist es nicht nur mit dem Lauterkeitsrecht vereinbar, wenn Gefühle der Kunden angesprochen werden, sondern es ist dem Werbenden auch erlaubt, sein soziales Engagement von der Kaufentscheidung des Kunden abhängig zu machen.211 Eine Werbeaussage kann demnach nicht schon dann als unlauter angesehen werden, wenn das Kaufinteresse durch Ansprechen des sozialen Verantwortungsgefühls, der Hilfsbereitschaft, des Mitleids oder des Umweltbewusstseins geweckt werden soll, ohne dass ein sachlicher Zusammenhang zwischen dem in der Werbung angesprochenen Engagement und der beworbenen Ware besteht, bzw. nur zielbewusst und planmäßig an Gefühle appelliert wird, um diese im eigenen wirtschaftlichen Interesse als entscheidende Kaufmotivation auszunutzen.212 Es sei daher „wettbewerbsrechtlich grundsätzlich unbedenklich“, wenn sich Werbung nicht auf Sachangaben des Produkts beschränkt, sondern Gefühle anspricht.213 Zutreffend stellt der BGH neuerdings fest, dass die freie Entscheidung des Verbrauchers nicht dadurch gefährdet wird, dass seine Kaufentscheidung nicht ausschließlich auf wirtschaftlichen Überlegungen, sondern auch auf der Möglichkeit beruht, sich durch die vom Werbenden versprochene Förderung eines Dritten oder sonstiger Belange mittelbar für das damit verbundene Ziel zu engagieren.214 Die Schwelle zur Unlauterkeit sei aber dann als überschritten anzusehen, wenn die Werbung geeignet sei, einen unangemessenen unsachlichen Einfluss auf den umworbenen Kunden auszuüben und dies in einem solchen Maß, dass sie auch geeignet sei, die freie Entscheidung der Verbraucher zu beeinträchtigen.215
_____
210 BVerfG 11.3.2003 – 1 BvR 426/02 – GRUR 2003, 442 – Benetton-Werbung II; BVerfG 12.12.2000 – I BvR 1762/95 – GRUR 2001, 170, 173 – Schockwerbung; BVerfG 6.2.2002 – 1 BvR 2151/96 – GRUR 2002, 455, 456 f. – Tier- und Artenschutz. 211 BVerfG 6.2.2002 – 1 BvR 2151/96 – GRUR 2002, 455, 456 – Tier- und Artenschutz; BGH 26.10.2006 – I ZR 97/04 – GRUR 2007, 251 Tz. 16 – Regenwaldprojekt II; BGH 26.10.2006 – I ZR 33/04 – GRUR 2007, 247 Tz. 19 – Regenwaldprojekt I; BGH 22.9.2005 – I ZR 55/02 – GRUR 2006, 75 Tz. 17 – Artenschutz; OLG Hamm 12.11.2002 – 4 U 109/02 – GRUR 2003, 975, 976 – Regenwald-Projekt. 212 BGH 26.10.2006 – I ZR 97/04 – GRUR 2007, 251 Tz. 16 – Regenwaldprojekt II; BGH 26.10.2006 – I ZR 33/04 – GRUR 2007, 247 Tz. 19 – Regenwaldprojekt I; BGH 22.9.2005 – I ZR 55/02 – GRUR 2006, 75 Tz. 18 – Artenschutz; Fezer/Büscher/Obergfell/Steinbeck Anh. 2 § 4a Rn. 432. 213 BGH 22.9.2005 – I ZR 55/02 – GRUR 2006, 75 Tz. 17 – Artenschutz; differenzierend noch HenningBodewig WRP 1992, 533, 539. 214 BGH 26.10.2006 – I ZR 97/04 – GRUR 2007, 251 Tz. 22 – Regenwaldprojekt II; BGH 26.10.2006 – I ZR 33/04 – GRUR 2007, 247 Tz. 21 – Regenwaldprojekt I; zum Wandel der Rechtsprechung auch Seichter WRP 2007, 230. 215 BGH 22.9.2005 – I ZR 55/02 – GRUR 2006, 75 Tz. 17 – Artenschutz.
531
Pahlow
§ 4a
94
Aggressive geschäftliche Handlungen
Die neuere Rechtsprechung entspricht den Anforderungen an ein modernes Werbemarketing. Die moderne Werbewirtschaft greift heute in einer Vielzahl von Fällen auf Werbeinstrumente zurück, bei denen ein sachlicher Bezug zwischen Werbung und Produkt fehlt. Würde das Lauterkeitsrecht diese Arten der Werbung verbieten wollen, dann läge darin ein Eingriff in die durch Art. 12 GG geschützte Rechtssphäre des Werbenden, sich im sozialen Bereich oder im Umweltschutz zu engagieren, zumindest aber in seiner Werbefreiheit als Ausdruck der Meinungsfreiheit des Art. 5 GG. Das Lauterkeitsrecht rechtfertigt einen solchen Eingriff nicht, da auch das soziale Engagement eines Unternehmens sachlicher Grund für die Kaufentscheidung des Umworbenen sein kann.216 Darüber hinaus entspricht es auch der Idee des Leistungswettbewerbs in einem weiteren Sinne, wenn es allein Sache des Kunden ist, frei zu entscheiden, ob er sich durch dieses Motiv zum Kauf anregen lassen möchte oder nicht. Tut er dies, dann ist die Kaufentscheidung nicht unsachlich, da sowohl von Unternehmerseite als auch von der Nachfrageseite die Verbindung mit einem sozialen Motiv gewünscht wird.217 Auch das Bild des Unternehmens in der Öffentlichkeit, sein soziales Engagement, der Ausdruck von Lifestyle durch eine Marke etc. (sog. Produkt- oder Unternehmensimage) können ein Kriterium der Leistung sein, mit dem es werben will und werben darf. 3. Aufmerksamkeitswerbung
95
a) Begriff. Die sog. Aufmerksamkeitswerbung hat keinen Bezug zum konkreten Waren- oder Leistungsangebot des Werbenden. Sie ist aber geeignet, den Namen des werbenden Unternehmens im Verkehr bekannt zu machen oder dessen Verkehrsbekanntheit zu steigern, was zugleich ein marktgerichtetes Handeln im geschäftlichen Verkehr und damit eine geschäftliche Handlung i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 darstellt.218 Derartige Werbehandlungen beschränken sich also in der Regel darauf, die Aufmerksamkeit des Publikums auf das werbende Unternehmen im Hinblick auf eine spätere Kaufentscheidung zu lenken. Da die Verkehrsbekanntheit von Name und Firma eines Unternehmens für dessen Werbewert von herausragender Bedeutung ist, sind auch solche Maßnahmen, die allein oder hauptsächlich der Pflege des Namens oder des Image eines Unternehmens dienen (wie z.B. Stellenanzeigen), wettbewerbliche Handlungen, die der Lauterkeitsprüfung nach dem UWG unterliegen.219 b) Lauterkeitsrechtliche Beurteilung
96
aa) Allgemeines. Die ältere Rechtsprechung, die eine Unlauterkeit der Aufmerksamkeitswerbung auch bei einer Missachtung „gewichtiger Allgemeininteressen“ angenommen hat (oben Rn. 91), ist überholt. Auf einen sachlichen Zusammenhang zwischen dem beworbenen Produkt und dem mit der Aufmerksamkeitswerbung verfolgten Zweck
_____
216 Seichter WRP 2007, 230, 234; Fezer/Büscher/Obergfell/Steinbeck Anh. 2 § 4 Rn. 435 f. 217 OLG Hamm 12.11.2002 – 4 U 109/02 – GRUR 2003, 975, 976 – Regenwald-Projekt; Bottenschein WRP 2002, 1107. 218 BGH 5.12.2002 – I ZR 115/00 – GRUR 2003, 540, 541 – Stellenanzeige; BGH 15.5.1997 – I ZR 10/95 – GRUR 1997, 761 – Politikerschelte; BGH 6.7.1995 – I ZR 239/93 – GRUR 1995, 598, 599 – Ölverschmutzte Ente; BGH 6.7.1995 – I ZR 110/93 – GRUR 1995, 595, 596 – Kinderarbeit; OLG Frankfurt a.M. 13.8.1992 – 6 W 72/92 – WRP 1993, 35; Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 104. 219 BGH 5.12.2002 – I ZR 115/00 – GRUR 2003, 540, 541 – Stellenanzeige; BGH 6.7.1995 – I ZR 239/93 – GRUR 1995, 598, 599 – Ölverschmutzte Ente; BGH 6.7.1995 – I ZR 110/93 – GRUR 1995, 595, 596 – Kinderarbeit.
Pahlow
532
H. Unzulässige Beeinflussung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3)
§ 4a
kommt es daher nicht mehr an.220 Zwar schützt das UWG in § 1 S. 2 auch „das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb“. Damit sind aber gerade nicht „gewichtige Allgemeininteressen“ außerhalb des Interesses an einem unverfälschten Wettbewerb gemeint. Dies geht auch eindeutig aus der amtlichen Begründung hervor.221 Die hier umschriebene Aufmerksamkeits- bzw. Imagewerbung ist daher grundsätz- 97 lich als wettbewerbskonform zu beurteilen, auch wenn sich die Werbehandlung nicht unmittelbar auf das Waren- oder Dienstleistungsangebot des werbenden Unternehmens bezieht und keinen konkreten Sachzusammenhang mit dem Angebot aufweist.222 Die Zulässigkeit der Aufmerksamkeitswerbung ist davon unabhängig, gerade weil die Werbung nicht mehr leistungsbezogen sein muss (dazu oben Rn. 92 ff.). Dementsprechend sind auch Maßnahmen, die der Verbreitung der Bekanntheit eines Unternehmens und damit der Pflege von dessen Unternehmensimage dienen, grundsätzlich zulässig, da sie mangels eines konkreten Produktbezugs regelmäßig nicht geeignet sind, den Verbraucher unzulässig zu beeinflussen und die Rationalität seiner Entscheidung in den Hintergrund treten zu lassen. Aufmerksamkeits- bzw. Imagewerbung ist daher nicht schon deshalb unlauter, weil sie sich auf das Waren- oder Dienstleistungsangebot des werbenden Unternehmens nicht unmittelbar bezieht und keinen konkreten Sachzusammenhang mit dessen Produktportfolio aufweist. Die Zulässigkeit der Aufmerksamkeitswerbung ist auch nicht davon abhängig, dass leistungs- bzw. produktbezogen geworben wird.223 Eine Unlauterkeit kann sich aber dann ergeben, wenn die Aufmerksamkeitswerbung nach ihrem Inhalt menschenverachtend ist.224 bb) Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3). Eine ag- 98 gressive Geschäftspraxis wird bei allgemeinen Werbemaßnahmen (z.B. durch Plakate oder im Fernsehen), bei denen der Verbraucher in der Regel ohnehin keine geschäftliche Entscheidung trifft, sondern Zeit zum Überlegen hat, kaum vorliegen.225 Dementsprechend haben bereits das Bundesverfassungsgericht und mit ihm der BGH festgestellt, dass eine solche Werbung weder gegen die Grundsätze des lauteren Wettbewerbs noch gegen Grundrechtspositionen oder Interessen Dritter verstößt. Die Werbung sei als ein Beitrag zur geistigen Auseinandersetzung zu verstehen, unabhängig davon, ob dieser rational oder emotional, begründet oder grundlos, nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos sei. Die Werbung mit politischen und gesellschaftskritischen Aussagen, die in keinerlei Sachzusammenhang mit dem beworbenen Produkt stehen, sei daher nicht geeignet, die Rationalität der Nachfrageentscheidung zu beeinträchtigen.226 Dementsprechend ist auch das sog. Sponsoring als besondere Erscheinungsform 99 der Aufmerksamkeits- bzw. Imagewerbung lauterkeitsrechtlich zulässig. Es ist vor allem bei sportlichen oder kulturellen Veranstaltungen, aber auch im Bereich der elektroni-
_____
220 Hösch WRP 2003, 936, 944; Ullmann GRUR 2003, 817, 821. 221 Vgl. RegE UWG 2003 S. 16: „Der Schutz sonstiger Allgemeininteressen ist weiterhin nicht Aufgabe des Lauterkeitsrechts“. 222 BGH 26.10.2006 – I ZR 97/04 – GRUR 2007, 251 Tz. 16 – Regenwaldprojekt II; BGH 26.10.2006 – I ZR 33/04 – GRUR 2007, 247 Tz. 19 – Regenwaldprojekt I; BGH 22.9.2005 – I ZR 55/02 – GRUR 2006, 75 Tz. 18 – Artenschutz; Fezer/Büscher/Obergfell/Steinbeck Anh. 2 § 4a Rn. 432. 223 BGH 6.7.1995 – I ZR 110/93 – GRUR 1995, 595, 596 – Kinderarbeit; BGH 6.7.1995 – I ZR 239/93 – GRUR 1995, 598, 599 – Ölverschmutzte Ente; BGH 15.5.1997 – I ZR 10/95 – GRUR 1997, 761, 764 – Politikerschelte. 224 Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 107. 225 Lindacher FS Tilmann, S. 195, 202; Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 108; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 1.18 u. 9.1 ff. 226 BGH 15.5.1997 – I ZR 10/95 – GRUR 1997, 761 – Politikerschelte; Henning-Bodewig GRUR 1997, 180, 186 u. 189; Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 108.
533
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
schen Medien im Rahmen der redaktionellen Werbung inzwischen von herausragender Bedeutung. Der Unternehmer (Sponsor) gewährt finanzielle Mittel z.B. für Rundfunksendungen in Hörfunk und Fernsehen, um dafür im Zusammenhang mit der Sendung oder einer Veranstaltung vom Gesponserten mit Namen, Firma, Marke, Unternehmensemblem usw. bekannt gemacht zu werden. Selbstverständlich hat Sponsoring den wettbewerbsrechtlichen Transparenzgebot Rechnung zu tragen (vgl. § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 4; § 5 Rn. 1034ff.). Spezielle Bestimmungen bestehen für die Zulässigkeit des Sponsorings im Rundfunkbereich (§§ 2 Abs. 2 Nr. 7, 8 Rundfunkstaatsvertrag i.d.F. v. 8.12.2016).227 Rechtsanwälten ist das Sponsoring berufsrechtlich (§ 43b BRAO, § 6 Abs. 1 BORA) und damit auch wettbewerbsrechtlich grundsätzlich erlaubt.228 Ohne das Hinzutreten besonderer Umstände wird dadurch die Rationalität der Nachfrageentscheidung nicht in erheblicher Weise beeinträchtigt. Der Verbraucher ist inzwischen hinreichend an eine Werbung von Sponsoren gewöhnt.229 Anders ist es dagegen zu beurteilen, wenn auf den Verbraucher zusätzlich Druck ausgeübt wird, sich am Sponsoring durch den Erwerb eines Produkts zu beteiligen.230 Auch aus einer pauschalen Herabsetzung von Mitbewerbern (§ 4 Nr. 4) kann ein entsprechendes Unwerturteil folgen.231 100
cc) Rechtsbruch. Vgl. § 3a Rn. 119, 220 u. 246.
101
dd) Irreführung. Vgl. § 5a Rn. 20, 23, 141. 4. Gefühlsbetonte Werbung
102
a) Bedeutung. Neben der Aufmerksamkeits- bzw. Imagewerbung ist auch das Ansprechen und Ausnutzen von produktbezogenen Emotionen ein wirksames Mittel, die Aufmerksamkeit des Verbrauchers auf das Waren- oder Leistungsangebot des Werbenden zu lenken. Gefühlsbetonte Werbung ist grundsätzlich in der Lage, den Umworbenen zu einer emotional motivierten Kaufentscheidung zu bewegen. Regelmäßig soll diese Werbung emotionale Bindungen und immaterielle Wertvorstellungen des Verbrauchers oder sonstigen Marktteilnehmers zum jeweiligen Produkt ansprechen.232 Unternehmenskommunikation hat vor allem in den letzten Jahren unter den Schlagworten der Ethik, Nachhaltigkeit und eines Corporate Social Responsibility (CSR) an erheblicher praktischer Bedeutung gewonnen.233 Die sog. gefühlsbetonte Werbung gehört inzwischen zu einem festen Bestandteil der Werbewirtschaft. Verbraucher und sonstige Markt-
_____
227 Z.B. GVBl. Bayern 2017, 56 ff. 228 BVerfG 17.4.2000 – 1 BvR 721/99 – WRP 2000, 720, 721 – Sponsoring: Sponsern kultureller Veranstaltungen durch Anwaltskanzlei; dazu auch Steinbeck NJW 2003, 1481, 1483. 229 Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 108; Steinbeck NJW 2003, 1481, 1483. 230 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 9.24. 231 Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 107. 232 BGH 25.3.1999 – I ZR 77/97 – GRUR 1999, 1100 – Generika-Werbung; BGH 5.12.1996 – I ZR 140/94 – NJW-RR 1997, 1192 – Umweltfreundliche Reinigungsmittel; BGH 14.12.1995 – I ZR 213/93 – GRUR 1996, 367 – Umweltfreundliches Bauen; BGH 9.2.1995 – I ZR 44/93 – WRP 1995, 487, 488 – Arbeitsplätze bei uns; BGH 29.11.1990 – I ZR 241/88 – GRUR 1991, 545 – Tageseinnahme für Mitarbeiter; BGH 20.10.1988 – I ZR 219/87 – GRUR 1991, 548 – Umweltengel; BGH 12.3.1987 – I ZR 40/85 – GRUR 1987, 534 – McHappy-Tag; BGH 16.1.1976 – I ZR 32/75 – GRUR 1976, 308 – UNICEF-Grußkarten; zum Ganzen auch Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 109; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 9.1. 233 Dazu Birk GRUR 2011, 196; Hilty/Henning-Bodewig Law agains unfair competition, passim; ders./dies. Corporate social responsibilty, passim; Augsburger MMR 2014, 427; Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 3 Rn. 9.1.
Pahlow
534
H. Unzulässige Beeinflussung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3)
§ 4a
teilnehmer sind daher mit den Erscheinungsformen der gefühlsbetonten Werbung vertraut, ohne diese als prinzipiell anstößig zu empfinden. b) Rechtsentwicklung. Bereits die Rechtsprechung zu § 1 a.F. hat daher das Aus- 103 nutzen von Emotionen des Werbeempfängers auch keineswegs als grundsätzlich wettbewerbswidrig angesehen.234 Ebenso wenig galt eine emotional-geschmacklose Werbung prinzipiell als wettbewerbsrechtlich anstößig.235 Ausnahmen ergaben sich in der Vergangenheit allerdings dann, wenn mit entwürdigenden sexuellen Motiven236 geworben wurde. Unlauterkeit wurde auch dann angenommen, wenn ein sachlicher Zusammenhang zwischen dem in der Werbung hergestellten sozialen Engagement und der beworbenen Ware oder Leistung nicht bestand. War die Werbung z.B. geeignet, den Verbraucher unter Vernachlässigung der Prüfung von Qualität und Preis alternative Angebote gerade wegen der von werbenden betonten sozialen oder umweltbezogenen Aspekte zum Kauf zu veranlassen, wurde unlauteres Verhalten angenommen.237 Hierbei ist darauf hinzuweisen, dass nicht das soziale Engagement zu missbilligen war, wohl aber dessen Ausnutzung im Wettbewerb als insoweit unsachlicher, mit Güte und Preis der Ware in keinerlei Zusammenhang stehender Vorspann für die Verfolgung privater kommerzieller Interessen.238 Diese Rechtspraxis kann unter dem Aspekt der gefühlt betonten Werbung heutigen 104 Maßstäben im Hinblick auf das gewandelte Verbraucherleitbild und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr uneingeschränkt angewendet werden. Auch die Wirtschaftswerbung unterliegt inzwischen dem grundrechtlichen Schutz der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG). Durch das UWG als einem allgemeinen Gesetz kann sie zwar beschränkt werden, dafür ist aber eine konkrete Beeinträchtigung des Wettbewerbs als des Schutzguts des UWG Voraussetzung.239 Das UWG schützt nicht generell die Lauterkeit eines marktgerichteten Vorgehens als solches, sondern immer nur als Grundlage für die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs (oben Rn. 35). Nach Auffassung des BVerfG wie auch des BGH wird diese aber nicht gefährdet, wenn sich eine Werbung nicht allein auf leistungseigene Merkmale wie Qualität und Preis bezieht, sondern auch durch andere Gesichtspunkte Kaufanreize schaffen will. Ein Sachzusammenhang zwischen Werbung und Angebot bzw. zwischen Werbeaussage und sachlichem Produkt ist damit kein ausreichendes Kriterium mehr für die Abgrenzung der lauteren von der unlauteren gefühlsbetonten Werbung, sodass auch das Ansprechen sozialen Engagements ohne inhaltlichen Bezug zum beworbenen Angebot lauterkeitsrechtlich grundsätzlich zulässig ist (Rn. 22). Angesichts der Enttabuisierung, die das Sexualleben in den letzten Jahren erfahren hat und der damit einhergehenden Erörterung von Fragen der Sexualität in aller Offenheit in den Print- und elektronischen Medien ist bei der lauter-
_____
234 BGH 25.3.1999 – I ZR 77/97 – GRUR 1999, 1100 – Generika-Werbung; BGH 9.2.1995 – I ZR 44/93 – WRP 1995, 487, 488 – Arbeitsplätze bei uns; BGH 29.11.1990 – I ZR 241/88 – GRUR 1991, 545 – Tageseinnahme für Mitarbeiter; BGH 16.1.1976 – I ZR 32/75 – GRUR 1976, 308 – UNICEF-Grußkarten; s.a. Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 109. 235 BGH 18.5.1995 – I ZR 91/93 – GRUR 1995, 592, 594 – Busengrapscher; BGH 29.5.1970 – I ZR 25/69 – GRUR 1970, 557 – Erotik in der Ehe. 236 BGH 18.5.1995 – I ZR 91/93 – GRUR 1995, 592, 594 – Busengrapscher. 237 BGH 19.2.1965 – Ib ZR 45/63 – GRUR 1965, 485, 487 – Versehrten-Betrieb; BGH 19.5.1976 – I ZR 35/75 – GRUR 1976, 699, 701 – Die 10 Gebote heute; BGH 12.3.1987 – I ZR 40/85 – GRUR 1987, 534, 535 – McHappy-Tag; BGH 18.10.1990 – I ZR 113/89 – GRUR 1991, 542, 543 – Biowerbung mit Fahrpreiserstattung; BGH 25.3.1999 – I ZR 77/97 – GRUR 1999, 1100 – Generika-Werbung. 238 BGH 25.3.1999 – I ZR 77/97 – GRUR 1999, 1100 – Generika-Werbung. 239 Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 111.
535
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
keitsrechtlichen Beurteilung von Werbung mit sexuellen Motiven Zurückhaltung geboten. Es obliegt demnach allein dem Verbraucher zu entscheiden, durch welche Motive er sich zum Kauf anregen lassen will.240 Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Werbung auch einen verständigen Verbraucher von einer sachgerechten Prüfung des Angebotes etwa in Bezug auf Qualität und Preiswürdigkeit bzw. der Prüfung von Mitbewerberangeboten abzuhalten droht. Eine solche Werbung, die die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers bzw. sonstigen Marktteilnehmers zu beeinträchtigen sucht, richtet sich gegen den Normzweck des UWG und rechtfertigt im Rahmen der Sanktionen des Gesetzes den Eingriff in die grundrechtlich geschützte Werbefreiheit (Art. 5 Abs. 2 GG). c) Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3). Werbung beschränkt sich heute nicht mehr nur auf Sachinformationen über die Qualität und Preiswürdigkeit eines angebotenen Produkts oder die Leistungsfähigkeit des Unternehmens. Sie spricht vielmehr auch darüber hinausgehende Bedürfnisse der Verbraucher an.241 Unternehmen werben u.a. damit, dass Verkaufserlöse ganz oder teilweise für „gute Zwecke“ verwendet werden. Der Unternehmer kann z.B. den Produktabsatz mit der Förderung sozialer, sportlicher, gesundheitlicher, kultureller oder ökologischer Belange verbinden.242 Wettbewerbswidrig ist das grundsätzlich nicht.243 Die Grenze zur Unlauterkeit wird aber überschritten, wenn besondere Umstände hinzutreten und dadurch die Einwirkung auf den Verbraucher ein Ausmaß annimmt, das aus der Sicht der Rechtsordnung nicht mehr hinnehmbar ist. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalles, insbesondere Anlass, Zweck, eingesetzte Mittel, Begleitumstände und Auswirkungen der Maßnahme, sowie die Schutzzwecke des UWG und die Grundrechte der Beteiligten zu berücksichtigen.244 Eine unzulässige Beeinflussung (§ 4a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3) der rationalen Nachfrage106 entscheidung durch gefühlsbetonte Werbung kann nur anhand des konkreten Einzelfalles beurteilt werden. Grundsätzlich steht es dem Unternehmer frei, den Produktabsatz mit der Förderung sozialer, sportlicher, kultureller oder ökologischer Belange zu verbinden;245 das gilt im Übrigen auch für gesundheitsbezogene Werbemaßnahmen.246 Zudem trifft den Unternehmer auch nicht die generelle Pflicht, über die Art und Weise der Unterstützung oder die Höhe bzw. den Wert der Zuwendung an Dritte aufzuklären.247 Eine Unlauterkeit setzt nach § 4a Abs. 1 S. 3 voraus, dass der Werbende gegenüber 107 dem Verbraucher eine Machtposition innehat. Da gefühlsbetonte Werbung für sich aber keine Machtposition des Werbenden gegenüber dem Verbraucher begründet, ist eine unzulässige Beeinflussung grundsätzlich nicht gegeben. Von daher ist auch eine Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit von Verbrauchern nach § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3, 105
_____
240 Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 111. 241 Kübler/Kübler FS Ulmer, S. 914 f.; Lindacher FS Tilmann, S. 195, 199. 242 BGH 26.10.2006 – I ZR 97/04 – GRUR 2007, 251 Tz. 18 – Regenwaldprojekt II; BGH 26.10.2006 – I ZR 33/04 – GRUR 2007, 247 Tz. 21 – Regenwaldprojekt I; LG Ulm 16.1.2007 – 10 O 157/06 – GRUR-RR 2007, 300, 301 – WORLD IN BALANCE. 243 BGH 22.9.2005 – I ZR 55/02 – GRUR 2006, 75 Tz. 17 – Artenschutz; Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 111; Fezer/ Büscher/Obergfell/Steinbeck Anh. 2 § 4a Rn. 445. 244 BGH 22.9.2005 – I ZR 55/02 – GRUR 2006, 75 Tz. 19 – Artenschutz; BGH 6.12.2001 – I ZR 284/00 – GRUR 2002, 360, 363 – H.I.V. POSITIVE II. 245 BGH 26.10.2006 – I ZR 33/04 – GRUR 2007, 247 Tz. 21 – Regenwaldprojekt I; BGH 26.10.2006 – I ZR 97/04 – GRUR 2007, 251 Tz. 18 – Regenwaldprojekt II; Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 112 246 LG Ulm 16.1.2007 – 10 O 157/06 – GRUR-RR 2007, 300, 301 – World in Balance. 247 BGH 26.10.2006 – I ZR 33/04 – GRUR 2007, 247 Tz. 22 – Regenwaldprojekt I; BGH 26.10.2006 – I ZR 97/04 GRUR 2007, 251 Tz. 19 ff. – Regenwaldprojekt II.
Pahlow
536
H. Unzulässige Beeinflussung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3)
§ 4a
Abs. 1 S. 3 grundsätzlich nicht denkbar.248 Dazu müssen über die gefühlsbetonte Werbung hinaus Umstände vorliegen, die geeignet sind, die Entscheidungsfreiheit zu beeinträchtigen. Aus der früheren Fallgruppe des sog. psychischen Kaufzwangs (oben Rn. 55) kann 108 heute kein anderes Ergebnis mehr abgeleitet werden. Keine Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit nach § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3 liegt damit vor, wenn der Verbraucher vor die Alternative gestellt wird, das Produkt zu kaufen oder aber die Umwelt o.ä. ihrem Schicksal zu überlassen.249 Beim sog. social sponsoring besteht eine solche Zwangslage schon deshalb nicht, weil der Kunde auch ohne Entscheidung für das Produkt die Möglichkeit hat, für die soziale Organisation zu spenden. Die mit dieser Werbung verbundene Anregung, den „guten Zweck“ mittelbar dadurch zu unterstützen, dass man bei Werbenden einkauft, lässt die freie Entscheidung des Umworbenen daher unberührt.250 Moralisch richtige, volkspädagogisch erwünschte und gesundheitspolitisch angestrebte Entscheidungen können daher grundsätzlich nicht über § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3 erzwungen werden.251 d) Irreführung. Zur Irreführung vgl. § 5 Rn. 33 ff., 497 ff., 1033 ff.
109
e) Verbrauchergeneralklausel. Zur Verbrauchergeneralklausel § 3 Rn. 720 ff.
110
f) Grenzfälle aa) Werbung für Waren und Dienstleistungen von Schwerbehinderten. Werden 111 Waren durch Schwerbehinderte hergestellt, galten dafür in der Vergangenheit besondere Regelungen. Da die Regelungen des Schwerbehindertengesetzes (§ 9 Abs. 4, §§ 52 ff. idF v. 26.8.1986) ersatzlos gestrichen worden sind (Art. 63 SGB IX v. 19.6.2001), richtet sich Werbung für Schwerbehindertenware nach den allgemeinen Grundsätzen der gefühlsbetonten Werbung.252 Dasselbe gilt für die Werbung für Blindenwaren.253 bb) Umweltbezogene Werbung. Der Umweltschutz gehört für eine wachsende 112 Gruppe von Konsumenten – unabhängig von Alter und Herkommen – zu einem bedeutsamen Anliegen, das auch deren Nachfrageverhalten beeinflusst. Dieses gesteigerte Umweltbewusstsein nutzen Unternehmen inzwischen auf vielfältige Weise aus. Gefördert wird ein solches Verhalten durch den Umstand, dass sich Werbemaßnahmen, die an den Umweltschutz anknüpfen, als besonders geeignet erweisen, Emotionen im Menschen hervorzurufen und anzusprechen, die von der Besorgnis um die eigene Gesundheit bis hin zum Verantwortungsgefühl für spätere Generationen reichen.254 Dement-
_____
248 BGH 29.10.2009 – I ZR 180/07 – GRUR 2010, 455 Tz. 17 – Stumme Verkäufer II; BGH 8.11.2007 – I ZR 60/05 – GRUR 2008, 530 Tz. 13 – Nachlass bei der Selbstbeteiligung; BGH 22.9.2005 – I ZR 28/03 – GRUR 2006, 161 Tz. 15 – Zeitschrift mit Sonnenbrille; BGH 9.6.2004 – I ZR 187/02 – GRUR 2004, 960 – 500 DMGutschein für Autokauf. 249 LG Siegen 7.8.2003 – 7 O 100/03 – GRUR-RR 2003, 379 – Regenwaldprojekt II. 250 BGH 22.9.2005 – I ZR 55/02 – GRUR 2006, 75 Tz. 20 – Artenschutz. 251 Schwippert FS Samwer, S. 197, 203; Ohly/Sosnitza § 4a Tz. 112. 252 Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 113; anders noch z.B. BGH 27.2.1980 – I ZR 155/77 – GRUR 1980, 800, 801 – Schwerbeschädigtenhilfe e.V. 253 Das Blindenwarenvertriebsgesetz vom 9.4.1965 (BGBl I, S. 311; vgl. zu § 1 a.F. BGH 14.11.1958 – I ZR 91/51 – GRUR 1959, 143, 144 f. – Blindenseife; BGH 25.1.2001 – I ZR 53/99 – GRUR 2001, 1181, 1183 – Telefonwerbung für Blindenwaren) ist zum 14.9.2007 außer Kraft getreten (BGBl I, 2007, 2246, 2262). 254 BGH 18.10.1990 – I ZR 113/89 – GRUR 1991, 542 – Biowerbung mit Fahrpreiserstattung; BGH 20.10.1988 – I ZR 219/87 – GRUR 1991, 548, 549 – Umweltengel; BGH 20.10.1988 – I ZR 238/87 – GRUR 1991,
537
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
sprechend finden sich im Marketing der Unternehmen inzwischen häufig Hinweise auf die Umweltfreundlichkeit von Produkten oder auf die Herstellungsart, wie z.B. „umweltfreundlich“, „umweltgerecht“, „umweltschonend“, „umweltschützend“, „Bio-“ oder „Öko-“, die jeweils eine starke suggestive Anziehungskraft auf den Verbraucher ausüben. Meist wird der Verkehr aus solchen Hinweisen auf bestimmte Eigenschaften oder die Beschaffenheit einer Ware schließen können, so dass es für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung in erster Linie auf eine Frage der Irreführung (§§ 5, 5a) ankommt. Aufgrund der erheblichen emotionalen Wirkung und im Hinblick auf die Komplexität des Umweltschutzes gelten strenge Anforderungen,255 insbesondere in Bezug auf das Transparenzgebot. Vgl. dazu unter § 5a Rn. 97, 118. Da irreführende Angaben aber die Rationalität der Verbraucherentscheidung er113 heblich beeinträchtigen können, spielen diese Erwägungen stets auch für § 4a eine Rolle.256 Inhalt und Umfang der Aufklärungspflicht hängen von Art und Anpreisung des Produkts und dessen Auswirkungen auf die Umwelt ab.257 Die Verwendung von Begriffen wie „umweltfreundlich“ sind zwar nicht per se unzulässig, aber mehrdeutig. Sie können einerseits als uneingeschränkt umweltfreundlich, andererseits aber auch lediglich als geringer umweltbelastend verstanden werden. Daher ist es erforderlich, sofern nicht weitere Umstände hinzutreten, dass die Angabe, ob und inwieweit ein Produkt „umweltfreundlich“, „biologisch“ oder „naturgemäß“ ist, hinzugefügt werden muss.258 Umweltfreundlichkeit ist insoweit allenfalls relativ, nicht absolut zu verstehen. Eine absolute Umweltverträglichkeit gibt es nicht; eine gewisse Belastung der Umwelt mit Schadstoffen ist stets in Rechnung zu stellen, sodass auch der Verbraucher nicht von einer völligen schadstofffreien Umwelt ausgeht. Daher hindern auch geringste Mengen von Schadstoffen (z.B. Blei, Kadmium, Pestizide), die weit unterhalb der gesetzlich zulässigen Höchstmengen liegen, eine Marmeladenwerbung nicht, die aufgrund der allgemeinen Umweltkontamination in vernachlässigbarem Umfang mit Schadstoffen belastet ist, als „naturrein“. 259 Ein als umweltfreundlich bezeichnetes Produkt muss also nicht schlechthin und in jeder Hinsicht schadstofffrei sein. Geht es um die umweltfreundliche Verwendung einer Ware oder Dienstleistung, 114 bedarf es eindeutiger, Unklarheiten vermeidender Werbeformulierungen. Zwar ist eine Aufklärung über allgemein bekannte und vom Verkehr als selbstverständlich vorausgesetzte Gegebenheiten Verwendungsbeschreibungen regelmäßig entbehrlich.260 Die herausgestellte Angabe „umweltbewusst“ für ein KFZ-Pflegemittel verlangt ein besonderes Maß an Umweltverträglichkeit und Umweltfreundlichkeit hinsichtlich der Wirkstoffe, der Verpackung und der Verwendungsart.261
_____ 546, 547 – … aus Altpapier; OLG Hamburg 9.3.1989 – 3 U 182/88 – WRP 1989, 809, 810 – Jede Mark zugunsten des Umweltschutzes; zur älteren Rechtsprechung auch Wiebe WRP 1993, 798. 255 BGH 5.12.1996 – I ZR 140/94 – NJW-RR 1997, 1192 – Umweltfreundliche Reinigungsmittel; BGH 14.12.1995 – I ZR 213/93 – GRUR 1996, 367 – Umweltfreundliches Bauen; BGH 20.10.1988 – I ZR 219/87 – GRUR 1991, 548, 549 – Umweltengel; BGH 20.10.1988 – I ZR 238/87 – GRUR 1991, 546, 547 – … aus Altpapier; Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 117. 256 Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 117 a.E. 257 BGH 20.10.1988 – I ZR 219/87 – GRUR 1991, 548, 549 – Umweltengel. 258 BGH 14.12.1995 – I ZR 213/93 – GRUR 1996, 367, 368 – Umweltfreundliches Bauen; OLG Frankfurt 13.10.1988 – 6 U 144/87 – GRUR 1989, 358 – biologisch düngen; OLG Nürnberg 18.4.1989 – 3 U 2642/77 – GRUR 1989, 686 – baubiologisch. 259 EuGH 4.4.2000 – C-465/98 – GRUR Int. 2000, 756, 758 – naturrein; Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 117 m.w.N. 260 BGH 9.6.1994 – I ZR 116/92 – GRUR 1994, 828, 829 – Unipor-Ziegel. 261 OLG Stuttgart 7.10.1988 – 2 U 197/88 – NJW-RR 1989, 556, 557 – umweltbewußt.
Pahlow
538
H. Unzulässige Beeinflussung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3)
§ 4a
Eine Verwendung des Umweltzeichens enthält die Behauptung einer generellen 115 Umweltverträglichkeit des beworbenen Produkts insoweit, dass sich dieses nach Eigenschaften und Beschaffenheit von einem gleichartigen, aber nicht als umweltfreundlich eingestuften Angebotes abhebt.262 An diesen Maßstäben ist festzuhalten. Eine Werbung mit dem Umweltzeichen, für dessen Verwendung der Grund nicht ersichtlich war, ist unlauter;263 erst recht, wenn die für das Umweltzeichen erforderlichen Voraussetzungen nicht eingehalten werden.264 Die Umstände, die zu einer konkreten Umweltverträglichkeit führen, müssen konkret feststellbar sein. Die Werbeangabe „schützt unsere Umwelt wie wir“ ist daher unzulässig, weil zu pauschal.265 Unzulässig ist eine Werbung für ein Altpapierprodukt, das lediglich zu 80 Prozent aus Altpapier hergestellt war und nicht, wie vom Verkehr erwartet, zu 100 Prozent.266 Diese Maßstäbe dürften sich in Zukunft nicht deshalb relativieren, weil der Verbraucher angesichts der jüngsten Skandale um gefälschte Grenzwerte ein verstärktes Bemühen der Industrie nicht mehr erwartet, sich an entsprechende Vorgaben zu halten. Nicht zu beanstanden ist der Hinweis „ausgezeichnet mit dem ,Blauen Engel‘“, wenn dem entgeltlichen Zeichenbenutzungsvertrag des Herstellers mit dem deutschen Institut für Gütesicherung und Kennzeichnung (RAL) eine sachliche Prüfung durch eine unabhängige, qualifiziert besetzte Prüfungskommission vorausgegangen ist.267 Fraglich ist, ob eine umweltschutzbezogene Werbung für ein Produkt ohne Hinweis darauf, dass die Gewinnung der für das Produkt benötigten Rohstoffe Eingriffe in die Natur erfordert (z.B. beim Abbau von Bodenbestandteilen) zulässig sein kann, auch wenn dem Verkehr nach der Art der beworbenen Ware bekannt ist, dass es zu Umwelteingriffen kommt.268 Zum EU-Umweltzeichen „Europäische Blume“ s. auch VO (EG) Nr. 66/2010 v. 25.11.2009,269 durch die ein gemeinschaftsrechtliches System der Vergabe eines EU-Umweltzeichens besteht. Zu Werbung mit Güte-, Qualitäts- u.ä. Zeichen vgl. auch Nr. 2 Anhang § 3 Abs. 3. cc) Gesundheitsbezogene Werbung. Die Werbung mit Bezügen zur menschlichen 116 Gesundheit wird neben dem UWG von den Spezialgesetzen des HWG bzw. des LFGB erfasst; sie schließen das allgemeine Lauterkeitsrecht aber nicht aus.270 Aufgrund der besonderen Schutzwürdigkeit der menschlichen Gesundheit unterlag die gesundheitsbezogene Werbung unter § 1 a.F. strengen Anforderungen an die Transparenz, insbesondere hinsichtlich der Korrektheit der gemachten Angaben.271 Diese Grundsätze sind grundsätzlich auch im UWG 2015 zu berücksichtigen. Angesichts der überragenden Bedeutung hat auch der grundgesetzliche Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) bei der gefühlsbetonten gesundheitsbezogenen Werbung zurückzutreten
_____
262 BGH 20.10.1988 – I ZR 219/87 – GRUR 1991, 548, 549 – Umweltengel; BGH 24.3.1994 – I ZR 62/92 – GRUR 1994, 523, 524 – Ölbrennermodelle. 263 BGH 20.10.1988 – I ZR 219/87 – GRUR 1991, 548, 549 – Umweltengel. 264 BGH 19.2.2014 – I ZR 230/12 – WRP 2014, 697 Tz. 11 – Umweltengel für Tragetasche. 265 KG 15.6.1990 – 5 U 1397/90 – WRP 1991, 30. 266 BGH 20.10.1988 – I ZR 238/87 – GRUR 1991, 546, 547 f. – … aus Altpapier. 267 BGH 4.10.1990 – I ZR 39/89 – GRUR 1991, 550, 552 – Zaunlasur. 268 BGH 9.6.1994 – I ZR 116/92 – GRUR 1994, 828, 829 – Unipor-Ziegel. 269 ABl. Nr. 1127 v. 30.1.2010 270 BGH 3.5.2001 – I ZR 318/98 – GRUR 2002, 182, 184 – Das Beste jeden Morgen; BGH 22.4.1999 – I ZR 159/96 – GRUR 1999, 1007, 1008 – Vitalkost; Wuttke WRP 2007, 119, 125. 271 BGH 3.5.2001 – I ZR 318/98 – GRUR 2002, 182, 184 – Das Beste jeden Morgen; BGH 7.3.1991 – I ZR 127/89 – GRUR 1991, 848, 850 – Rheumalind II; BGH 27.2.1980 – I ZR 8/78 – GRUR 1980, 797, 799 – TopfitBoonekamp; BGH 11.7.1975 – I ZR 78/74 – GRUR 1975, 664, 665 – Idee-Kaffee III; BGH 23.2.1973 – I ZR 117/71 – GRUR 1973, 429, 431 – Idee-Kaffee; BGH 22.2.1967 – Ib ZR 32/65 – GRUR 1967, 592, 593 – Gesunder Genuss.
539
Pahlow
§ 4a
117
118
118a
119
Aggressive geschäftliche Handlungen
(Art. 5 Abs. 2 GG). Grund dafür ist die starke Werbewirksamkeit einer gesundheitsbezogenen Reklame, die erhebliche Gefahren für die Gesundheit des einzelnen Kunden, aber auch für die Volksgesundheit mit sich bringen kann.272 Das hat vor allem Bedeutung für die Werbung für Genussmittel wie Zigaretten und Spirituosen. Weist eine Werbemaßnahme pauschal auf geschmacksfördernde und gesundheitlich unbedenkliche Wirkungen solcher Genussmittel hin, ist sie unlauter. Auch hier gilt aber, dass der Verkehr eine umfassende Aufklärung die weniger vorteilhaften Seiten des Produkts durch den Werbenden nicht erwartet. Eine Verpflichtung, negative Eigenschaften des eigenen Angebots in der Werbung zu offenbaren, besteht nur insoweit, als das gesetzlich vorgeschrieben oder zum Schutz des Verbrauchers auch unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Werbenden unerlässlich ist.273 Die Grenze zur Unlauterkeit wird bei gesundheitsbezogener Werbung aber stets dann überschritten, wenn mit ihr eine konkrete Gefährdung des Wettbewerbs verbunden ist.274 Schon früher hat die Rechtsprechung mehrdeutige Werbeaussagen für unlauter erklärt;275 daran ist auch heute im Interesse eines allgemeinen Gesundheitsschutzes festzuhalten. Unzulässig sind daher Werbeaussagen, die die negativen Wirkungen vernachlässigen, verschweigen oder die positiven Wirkungen eines Produkts verallgemeinern.276 Bei der Zigarettenwerbung sind gebotene Warnhinweise anzubringen (z.B. „Rauchen gefährdet die Gesundheit“ );277 eine Verharmlosung liegt in der alleinigen Verwendung des Wortes „mild“.278 Werbung für Zigaretten oder alkoholische Getränke in Jugendzeitschriften ist unzulässig.279 Grundsätzlich kann beim in Verkehr bringen frei verkäuflicher Produkte, deren Ge- oder Verbrauch mit Risiken für die Sicherheit oder Gesundheit verbunden ist, eine Beeinträchtigung der Verbraucherentscheidung gegeben sein, wenn bestehende Sicherheits- oder Gesundheitsrisiken verharmlost werden oder wenn der unzutreffende Eindruck der gesundheitlichen Unbedenklichkeit des Produkts erweckt wird oder ein gebotener Warnhinweis unterbleibt.280 Für gesundheitsbezogene Werbung gilt zudem, dass dahingehende Aussagen stets einer gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisgrundlage bedürfen. 281 Gegenüber substantiiert vorgetragenen Zweifeln, dass der Werbebehauptung des Beklagten die wissenschaftliche Grundlage fehle, obliegt es der Beweislast des Beklagten, die wissenschaftliche Absicherung der umstrittenen Werbeaussage nachzuweisen.282 Gerade im Gesundheitswesen hat der Gesetzgeber durch das Heilmittelwerbegesetz (HWG) eine Reihe von Werbebeschränkungen spezialgesetzlich normiert, und im
_____
272 BGH 3.5.2001 – I ZR 318/98 – GRUR 2002, 182, 185 – Das Beste jeden Morgen. 273 BGH GRUR 1999, 1122, 1123 – EG-Neuwagen I; BGH GRUR 1999, 1125, 1126 – EG-Neuwagen II; BGH GRUR 2002, 182, 185 – Das Beste jeden Morgen. 274 Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 121. 275 BGH 23.2.1973 – I ZR 117/71 – GRUR 1973, 429, 431 – Idee-Kaffee; BGH 25.11.1977 – I ZR 62/76 – GRUR 1978, 252, 253 – Kaffee-Hörfunk-Werbung. 276 BGH 3.5.2001 – I ZR 318/98 – GRUR 2002, 182, 185 – Das Beste jeden Morgen; OLG Köln 12.6.2015 – 6 U 188/14 – GRUR-RR 2016, 32, 33 Tz. 31 – Gräserwiese mit Pollen. 277 BGH 25.11.1993 – I ZR 259/91 – GRUR 1994, 219, 220 – Warnhinweis. 278 BGH 14.1.1993 – I ZR 301/90 – GRUR 1993, 756, 757 – Mild-Abkommen. 279 BGH 9.12.1993 – I ZR 276/91 – GRUR 1994, 304, 305 f. – Zigarettenwerbung in Jugendzeitschriften. 280 BGH 20.6.1996 – I ZR 113/94 – GRUR 1996, 793, 795 – Fertiglesebrillen; BGH 13.7.2006 – I ZR 234/03 – GRUR 2006, 953, 954 Tz. 16 – Warnhinweis II. 281 BGH 23.10.1970 – I ZR 86/69 – GRUR 1971, 153, 155 – Tampax; BGH 7.3.1991 – I ZR 127/89 – GRUR 1991, 848, 849 f. – Rheumalind II; BGH 6.2.2013 – I ZR 62/11 – GRUR 2013, 649, 651 Tz. 16 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil. 282 BGH 6.2.2013 – I ZR 62/11 – GRUR 2013, 649, 653 Tz. 32 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil.
Pahlow
540
H. Unzulässige Beeinflussung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3)
§ 4a
Bereich der Lebensmittelwerbung trifft das Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) bestimmte Herstellungs- und Behandlungsverbote. Die Health-Claims-Verordnung (VO EG Nr. 1924/2006) sieht besondere Vorgaben für Nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben bei Lebensmitteln vor. Die Nährwert-Kennzeichenverordnung enthält weitere Sonderregelungen.283 § 3a, bzw. 4a werden ebenso wie § 5 durch derartige Spezialvorschriften grundsätzlich nicht ausgeschlossen, da diese für gewöhnlich lediglich Ausprägungen des auch in den §§ 3a, 4a und § 5 zugrundeliegenden Rechtsgedankens sind.284 Erfasst allerdings eine Sonderregelung einen bestimmten Lebenssachverhalt in erschöpfender Weise, steht dies der Heranziehung der Vorschriften des UWG im Einzelfall entgegen. So etwa bei § 22 Abs. 2 Nr. 1a LMBG für die Beurteilung der Tabakwerbung, die die Anwendung der UWG-Vorschriften erst bei Vorliegen zusätzlicher, die Unlauterkeit begründender Umstände zulässt.285 IV. Werbung mit Autoritäten 1. Erscheinungsformen. Werbung kann sich auch besonderer Vertrauens- und Au- 120 toritätspersonen oder -verhältnisse bedienen. Das Vertrauen des Verbrauchers kann an das Ansehen oder die Vertrauensstellung des Werbenden selbst oder auch an eine fremde Autoritäts- oder Vertrauensperson anknüpfen. Der Werbende oder der Dritte muss dazu für den Umworbenen über eine besondere amtliche, politische, kirchliche, fachberufliche, soziale, geschäftliche oder unternehmerische Kompetenz verfügen, wie z.B. bei Vorgesetzten, Lehrern, Ärzten, Geistlichen, Autoritätspersonen der öffentlichen Hand oder bei bestimmten, für besonders vertrauenswürdig gehaltenen Berufsgruppen wie Polizei oder Feuerwehr der Fall ist.286 Das Bedenkliche eines solchen Handelns besteht darin, dass der Werbende umso weniger mit seinem Angebot zu überzeugen braucht, je größer das Vertrauen ist, dass der Umworbene ihm oder einem anderen entgegenbringt. Der Missbrauch dieses Vertrauens kann zu einer Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit führen, wenn die Angaben des Werbenden so gestaltet sind, dass der Werbeadressat glaubt, sich ohne Weiteres auf sie verlassen zu können. Das muss dann angenommen werden, wenn der Adressat die Empfehlungen als unabhängige, neutrale oder objektive Stellungnahme auffassen darf. Letzteres ist gerade bei prominenten Persönlichkeiten aus dem Bereich des Sports, der Unterhaltung, der Mode oder der Kunst nicht gegeben, die nur aufgrund ihrer Bekanntheit und Beliebtheit als Produktempfehler („Starwerbung“, Influencer-Marketing) eingesetzt werden. Daher verstößt es nicht gegen § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3, wenn prominente Persönlichkeiten zur Werbung in den Medien für ein bestimmtes Unternehmen eingesetzt werden, weil der Verkehr in solchen Fällen den Werbecharakter der Stellungnahme erkennt und von einer Ausübung einer Machtposition oder einer verschleierten Werbung keine Rede sein kann.287 Bei der Werbung mit Autoritäten sind zwei unterschiedliche Verhältnisse zu unter- 121 scheiden: Zum einen kann die Autoritätsperson selbst als Werbender gegenüber Verbrauchern auftreten (dazu sogleich), zum anderen kann der Werbende sich aber auch
_____
283 BGH 2.5.1991 – I ZR 258/89 – GRUR 1992, 70, 71 – 40% weniger Fett; BGH 27.1.1994 – I ZR 1/92 – GRUR 1994, 387, 388 – Back-Frites. 284 BGH 1.12.1988 – I ZR 160/86 – GRUR 1989, 440, 441 – Dresdner Stollen; BGH 2.5.1991 – I ZR 258/89 – GRUR 1992, 70, 71 – 40% weniger Fett. 285 BGH 15.10.1987 – I ZR 180/85 – WRP 1988, 237, 239 – in unserem Haus muß alles schmecken. 286 Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 128; Fezer/Büscher/Obergfell/Steinbeck Anh. 2 § 4a Rn. 452. 287 OLG Hamburg 26.8.1993 – 3 U 89/93 – NJW-RR 1994, 110, 111.
541
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
direkt an die Autorität wenden, um sein Produkt an andere zu vertreiben (sog. Werbung mit Drittverantwortlichen bzw. Dreieckskopplung; dazu unten Rn. 136 ff.). 2. Rechtsentwicklung. Die frühere Rechtsprechung zu § 1 a.F. hat Werbung mit Autoritäten gegenüber Dritten grundsätzlich als unzulässig angesehen, weil es nicht im Sinne des Leistungswettbewerbs sei, wenn der Eindruck erweckt werde, die Autorität stehe hinter dieser Werbung.288 Hoheitliche Institutionen durften z.B. den ihnen entgegengebrachten Vertrauensvorschuss nicht auf unsachliche Weise dazu ausnutzen, um sich Vorteile im Wettbewerb zu verschaffen.289 Das Empfehlen der Leistungen eines privaten Unternehmens durch eine staatliche Stelle verstieß demnach gegen § 1 a.F., wenn dadurch das der öffentlichen Verwaltung entgegengebrachte Vertrauen in die Objektivität und Neutralität ihrer Amtsführung missbraucht wurde. 123 Die Maßstäbe für die lauterkeitsrechtliche Beurteilung haben sich allerdings vor dem Hintergrund der europarechtlichen Grundlagen erheblich verändert.290 Eine Unlauterkeit nach dem reformierten UWG 2015 kommt nur noch in engen Ausnahmefällen in Betracht.
122
3. Lauterkeitsrechtlicher Beurteilung a) Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3) aa) Autorität. Die Werbung mit Autoritäten ist nicht per se unlauter, sondern erst dann, wenn sie zur Ausübung von Druck herangezogen wird. Das wäre etwa dann der Fall, wenn die angesprochenen Personen davon ausgehen müssen, dass eine Ablehnung der erwünschten geschäftlichen Entscheidung möglicherweise rechtliche, wirtschaftliche, berufliche, gesundheitliche, schulische, soziale oder sonstige Nachteile mit sich bringen kann.291 Dementsprechend scheidet eine Drucksituation aus, wenn die Umworbenen lediglich auf die Sachkunde der Autoritätsperson (z.B. Lehrer, Feuerwehr) vertrauen und auch kein Vertrauensmissbrauch stattfindet. Insoweit kann aber § 3 Abs. 2 eingreifen. Unterliegt der Angesprochene einem Irrtum über den autoritären Druck, kann § 4a nur dann greifen, wenn der Werbende den Irrtum des Verbrauchers kennt.292 Die Nachfrageentscheidung von Verbrauchern und sonstigen Marktteilnehmern 125 kann im Vertrauen auf den Rat oder die Empfehlung einer besonderen personellen oder institutionellen Autorität getroffen werden. Die Autoritätsstellung kann aus unterschiedlichen Gründen bestehen: Zum einen kann der Umworbene von dieser Autorität in irgendeiner Form abhängig sein (z.B. als Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber). Zum anderen kommen als Autorität auch Personen oder Institutionen in Betracht, die ein gesteigertes Vertrauen in Anspruch nehmen, wie z.B. Betriebsräte,293 Gewerkschaften,
124
_____
288 BGH 4.4.1984 – I ZR 9/82 – GRUR 1984, 665, 666 – Werbung in Schulen; a.A. OLG Hamburg 3.5.1979 – 3 U 213/78 – WRP 1979, 729, 731 – Einspannen fremder Autoritäten bei einer Zeitschriftenwerbung; OLG Frankfurt a.M. 7.7.1977 – 6 U 153/76 – WRP 1977, 726 – Einspannen des Betriebsrats. 289 BGH 20.12.1955 – I ZR 24/54 – GRUR 1956, 216, 217 – Auskünfte einer staatlichen Kurverwaltung; OLG Köln 25.1.1995 – 6 U 178/94 – GRUR 1995, 433, 435 – Drittwerbung durch Ersatzkasse. 290 Vgl. OLG Hamburg 9.9.2004 – 3 U 17/04 – GRUR-RR 2005, 224, 225 – Stern; Fezer/Büscher/Obergfell/Steinbeck Anh. 2 § 4a Rn. 452. 291 OLG München 10.12.2009 – 29 U 3789/09 – WRP 2010, 299, 300 – Patienteninformation zur Krankenkassenwahl; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.67. 292 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.67. 293 OLG Zweibrücken 16.4.1999 – 2 U 41/98 – NJWE-WettbR 2000, 40, 41 – Prämienwerbung des Arbeitgebers für Betriebskrankenkasse.
Pahlow
542
H. Unzulässige Beeinflussung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3)
§ 4a
Parteien, Schulen bzw. Lehrer, Kindergärten bzw. Erzieher, Trainer, Vereinsvorstände,294 Behörden oder Geistliche.295 Wird eine solche Autorität zum Produktvertrieb eingesetzt, besteht die Gefahr, dass der Beworbene sich nicht aufgrund einer sachlichen Prüfung des Angebots zum Kauf entschließt, sondern weil er entweder das Wohlwollen der Autorität nicht verlieren möchte oder weil er dieser Autorität bei seiner Nachfrageentscheidung besonderes Gewicht beimisst. bb) Zur Ausübung von Druck. In Betracht kommt bei einer Werbung durch Autori- 126 täten insbesondere eine unzulässige Beeinflussung,296 wenn der Umworbene sich infolge der Autoritätsstellung in einer Drucksituation befindet, die seine Nachfrageentscheidung beeinträchtigt. Ein autoritärer Druck liegt vor, wenn eine kraft amtlicher, politischer, verbandsrechtlicher, geschäftlicher, beruflicher, kirchlicher, gesellschaftlicher oder einer ähnlichen Stellung bestehende eigene oder fremde Autorität dazu benutzt wird, auf die geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers oder sonstigen Marktteilnehmers Einfluss zu nehmen. Stets unzulässig wäre die Angabe, dass der Arbeitsplatz oder Lebensunterhalt des Unternehmers gefährdet sei, wenn der Verbraucher die Waren oder Dienstleistung nicht abnehme (Nr. 30 Anhang § 3 Abs. 3). Die Vorschrift ist allerdings eng auszulegen, da sich der durchschnittlich aufmerksame und verständige Verbraucher kaum von angeblichen Gefährdungen des Gewerbetreibenden zu einer Kaufentscheidung bestimmen lassen wird.297 (1) Krankenkassen, Ärzte, Apotheken. In jedem Einzelfall muss geprüft werden, 127 ob der Umworbene tatsächlich um das Wohlwollen der Autorität fürchtet oder seine Entscheidungsfreiheit in anderer Weise unsachlich beeinflusst wird. Zahlt der Arbeitgeber z.B. seinen Mitarbeitern eine Anerkennungsprämie für die Zugehörigkeit zu Krankenkassen mit niedrigen Beitragssätzen, versetzt dies die Arbeitnehmer, die Mitglied in einer anderen Krankenkasse mit höheren Beitragssätzen sind, nicht in eine entsprechende Drucksituation. Das gilt zumindest dann, wenn die Prämie nicht unangemessen ist (€ 100 im Jahr), sie nur an die Zugehörigkeit zu einer beliebigen Krankenkasse mit günstigem Beitragssatz anknüpft, nicht aber den Wechsel zu einer konkreten Krankenkasse voraussetzt und zudem für den Arbeitnehmer nicht der Eindruck entsteht, er müsse bei unterlassenem Wechsel mit weiteren Repressalien rechnen.298 Legt aber ein Unternehmen seinen Mitarbeitern nahe, aus der bisherigen Krankenkasse in die eigene Betriebskrankenkasse zu wechseln, kann darin ein Missbrauch der Autorität des Arbeitgebers liegen.299 Eine Drucksituation und damit eine Beeinträchtigung der Nachfrageentscheidung 128 kann aber nicht deshalb angenommen werden, weil ein Patient das Wohlwollen seines Arztes im Hinblick auf künftige Terminvergaben für sich und seine Familie nicht verlieren will.300
_____
294 OLG Celle 9.5.2002 – 13 U 125/02 – GRUR-RR 2003, 91 – Abwerbung von Versicherungskunden. 295 OLG München 22.6.1995 – 29 U 5516/94 – NJWE WettbR 1997, 1, 2 – Gruppenreise-Freiplätze. 296 BGH 24.6.2010 – I ZR 182/08 – WRP 2010, 1139 Tz. 13 – Brillenversorgung II; BGH 29.10.2009 – I ZR 180/07 – GRUR 2010, 455 Tz. 17 – Stumme Verkäufer II. 297 Sosnitza WRP 2008, 1014, 1027; Scherer NJW 2009, 324, 331; Ohly/Sosnitza Anh. zu § 3 Abs. 3 Rn. 81. 298 OLG Hamm 13.7.2004 – 4 U 76/04 – GRUR-RR 2006, 30 – Krankenkassenprämie. 299 OLG Düsseldorf 28.12.2001 – 20 U 119/01 – WRP 2002, 479, 481 f. – Unzulässige Druckausübung des Arbeitgebers bei Krankenkassenwahl; OLG Zweibrücken 16.4.1999 – 2 U 41/98 – NJWE-WettbR 2000, 40 – Prämienwerbung des Arbeitgebers für Betriebskrankenkasse. 300 Wenig überzeugend daher OLG Stuttgart 30.10.2008 – 2 U 25/08 – GRUR-RR 2008, 429, 434 – eyemedics.
543
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
129
Unlauter ist eine sog. Patienteninformation des Hausarztes, in der Patienten ein Wechsel zu einer bestimmten Krankenkasse nahegelegt wird, und die mit dem Hinweis auf den Erhalt einer guten hausärztlichen Versorgung verbunden ist.301 Eine unzulässige Beeinflussung ist auch dann anzunehmen, wenn Patienten Rezepte oder medizinische Unterlagen nur unter der Bedingung ausgehändigt bekommen, dass sie bei bestimmten Apotheken302 oder Optikern303 Folgegeschäfte abschließen; ein solches Verhalten wäre zugleich berufsrechtswidrig (vgl. §§ 30ff. MBO-Ä 2018).
130
(2) Handel, Gewerbe. Kommt es lediglich zu Empfehlungen an Verbraucher, fehlt es in der Regel an einer unzulässigen Beeinflussung i.S.d. § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3. Denn eine Ausübung von Druck gegenüber dem Verbraucher in einer Weise, die die Fähigkeit des Verbrauchers zu einer informierten Entscheidung wesentlich einschränkt (§ 4a Abs. 1 S. 3), kann bei freiwilligen Entscheidungsoptionen nicht ohne weiteres angenommen werden. Zulässig ist es entgegen dem OLG Saarbrücken daher, wenn ein Baumarkt in einem Werbeprospekt eine Informationsveranstaltung der örtlichen Feuerwehr über Brandschutzfragen in seinen Verkaufsräumen ankündigt und gleichzeitig verschiedene Produkte aus dem Brandschutzsektor bewirbt. In der Informationsveranstaltung liegt keine suggestive Wirkung, wenn die Feuerwehr „produktneutral“ informiert, also weder Produktempfehlungen noch Produktbewertungen abgibt.304 Ebenso beeinträchtigt das Verteilen von Werbematerial durch Gewerkschaften noch nicht die Kritik- und Entschlussfähigkeit des Durchschnittsverbrauchers, so dass keine Machtposition begründet wird.305 Unlauter handelt die Vertrauens- und Autoritätsperson aber dann, wenn sie für ihre Empfehlung bezahlt wird oder sonstige Vergütungen (Spenden, Zuschüsse etc.) erhält. Entsprechend zu beurteilen sind Empfehlungen von Dienstvorgesetzten gegenüber Untergebenen.306
131
(3) Öffentliche Hand, Schule. Die hier aufgestellten Grundsätze gelten grundsätzlich auch für die öffentliche Hand. Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalles. Hat die für die öffentliche Hand handelnde Vertrauensperson gerade die Aufgabe zu beraten, und fehlt es im Übrigen an Umständen, die für ein wettbewerbswidriges Ausnutzen einer Machtposition sprechen, wird die Beratungstätigkeit des Empfehlenden regelmäßig nicht zu beanstanden sein. Allerdings ist es wettbewerbswidrig, wenn amtlich erlangte Informationen über Namen und Adressen von Kindern unter acht Jahren durch die Verwendung von Briefen mit der Absenderangabe des Amtes für soziale Dienste ausgenutzt werden.307 Dagegen ist es grundsätzlich zulässig, wenn die öffentliche Tätigkeit deutlich von der privaten getrennt und der Eindruck vermieden wird, die erwerbswirtschaftliche Betätigung sei noch Teil der hoheitlichen Aufgabenerfüllung, etwa wenn amtliche Veröffentlichungen durch die entgeltliche Aufnahme privater Werbeanzeigen wirtschaftlich ausgenutzt werden, um die so erzielten Mittel für die Erfüllung öf-
_____
301 OLG München 10.12.2009 – 29 U 3789/09 – WRP 2010, 299, 300 – Patienteninformation zur Krankenkassenwahl. 302 OLG Frankfurt a.M. 23.3.1978 – 6 U 157/77 – GRUR 1978, 541 – Rezeptsammelstelle. 303 LG Düsseldorf 22.2.2012 – 12 O 9/11 – WRP 2012, 1162 – Refraktionswerte. 304 Zweifelhaft daher OLG Saarbrücken 3.11.2004 – 1 U 125/04 – WRP 2005, 759 – Beratung durch die Feuerwehr. 305 OLG Nürnberg 20.12.1962 – 3 U 99/62 – BB 1963, 166 – Einschaltung von Gewerkschaften im Kaufscheinhandel. 306 Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 130. 307 BGH 18.10.2001 – I ZR 193/99 – GRUR 2002, 550, 553 – Elternbriefe.
Pahlow
544
H. Unzulässige Beeinflussung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3)
§ 4a
fentlicher Aufgaben zu verwenden.308 Zulässig ist es auch, wenn Angebote an Lehrer gerichtet werden, um zeitlich befristete vergünstigte Schülerabonnements einer Zeitschrift zu vergeben.309 Die Unlauterkeit wurde verneint bei der Verteilung von Werbung und Bestellformularen an Schulen mit Genehmigung der Schulverwaltung, sofern keine besonderen Umstände hinzutreten.310 Ebenso zulässig ist es, wenn ein PC an eine Schule gespendet wird für die Vermittlung einer gewerblichen Fotoaktion.311 Unzulässig war es dagegen, wenn Schüler zum Sammeln von Wertpunkten animiert werden, die über die Schule unter Einschaltung eines Lehrers beim Werbenden einzureichen sind, um für die Schule Prämien zu erlangen.312 (4) Gegenüber sonstigen Marktteilnehmern ist zwar nicht auf Art. 8 UGPRL abzu- 132 stellen, dennoch können sich hier ähnliche Drucksituationen ergeben. Eine Unlauterkeit nach § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3 ist auch hier dann gegeben, wenn die Maßnahme geeignet ist, die Rationalität der Nachfrageentscheidung der angesprochenen Marktteilnehmer vollständig in den Hintergrund treten zu lassen.313 Im Ergebnis werden sich aber auch gegenüber sonstigen Marktteilnehmern zumindest keine strengeren Regeln für die Werbung mit Autoritäten ergeben. Nicht wettbewerbswidrig sind z.B. Werbeanschreiben an Ärzte, die ohne Inaussichtstellung von Vorteilen für den Arzt und ohne Aufforderung zu einem bestimmten Handeln lediglich über Eigenschaften und Preiswürdigkeit bestimmter Produkte informieren; sie sind auch nicht geeignet, den ärztlichen Adressaten unter Verstoß gegen ärztliches Berufsrecht (u.a. § 32 MBO-Ä 2018) zu veranlassen, Patienten an die Absender der Werbeschreiben zur Bedarfsdeckung bei diesen zu verweisen.314 Eine unzulässige Beeinflussung ist auch beim kostenlosen Vertrieb eines InternetWerbeblockers abzulehnen, mit dem Werbung auf Internetseiten unterdrückt wird, interessierte Unternehmen sich aber gegen Umsatzbeteiligung in einer „whitelist“ davon ausnehmen lassen können. Es fehlt insoweit an einer unzulässigen Beeinflussung dieser Unternehmen, da der Anbieter eine ihm etwaig zukommende Machtposition jedenfalls nicht in der Weise ausnutzt, dass die Fähigkeit der Unternehmen zu einer informierten Entscheidung wesentlich eingeschränkt wird (dazu oben Rn. 77).315 b) Irreführung. Zur Irreführung näher unter § 5a Rn. 19 ff.
133
c) Mitbewerberbehinderung. Zur Mitbewerberbehinderung vgl. § 4 Nr. 4 Rn. 50.
134
d) Verbrauchergeneralklausel. Zur Verbrauchergeneralklausel § 3 Rn. 720 ff.
135
_____
308 BGH 18.10.2001 – I ZR 193/99 – GRUR 2002, 550, 553 – Elternbriefe; BGH 22.9.1972 – I ZR 73/71 – GRUR 1973, 530, 531 – Crailsheimer Stadtblatt. 309 OLG Hamburg 9.9.2004 – 3 U 17/04 – GRUR-RR 2005, 224, 225 – Stern. 310 BGH 4.4.1984 – I ZR 9/82 – GRUR 1984, 665 – Werbung in Schulen. 311 BGH 20.10.2005 – I ZR 112/03 – GRUR 2006, 77 Tz. 16 ff. – Schulfotoaktion. 312 BGH 12.7.2007 – I ZR 82/05 – GRUR 2008, 183 Tz. 21 – Tony Taler. 313 BGH 29.10.2009 – I ZR 180/07 – GRUR 2010, 455 Tz. 17 – Stumme Verkäufer II; BGH 8.11.2007 – I ZR 60/05 – GRUR 2008, 530 Tz. 13 – Nachlass bei der Selbstbeteiligung; BGH 22.9.2005 – I ZR 28/03 – GRUR 2006, 161 Tz. 15 – Zeitschrift mit Sonnenbrille; BGH 9.6.2004 – I ZR 187/02 – GRUR 2004, 960 – 500 DMGutschein für Autokauf. 314 BGH 28.9.2000 – I ZR 141/98 – GRUR 2001, 255, 256 – Information über Null-Tarif; Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 129. 315 BGH 19.4.2018 – I ZR 154/16 – GRUR 2018, Tz. 60 – Werbeblocker II.
545
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
V. Werbung gegenüber drittverantwortlichen Personen (sog. Dreieckskopplung) 136
1. Begriff. Von der Werbung mit Autoritäten ist die Werbung gegenüber drittverantwortlichen Personen zu unterscheiden. Der Werbende versucht etwa den Vergünstigungsempfänger mit dem Versprechen einer vermögenswerten Leistung (Zugabe oder Rabatt) dazu zu veranlassen, das beworbene Produkt einem Dritten (meist einem Verbraucher) zum Bezug zu empfehlen. Problematisch ist eine solche Dreieckskopplung dann, wenn die umworbene Person die Interessen Dritter oder der Allgemeinheit zu wahren hat. In diesen Fällen besteht die Gefahr, dass der Umworbene sich bei seiner Entscheidung nicht ausschließlich von den Interessen des Dritten oder der Allgemeinheit, sondern auch von der Erwartung leiten lässt, dass ihm ein versprochener Vorteil oder eine Vergünstigung zufließt.316 2. Lauterkeitsrechtliche Beurteilung
a) Rechtsprechung. Die lauterkeitsrechtliche Beurteilung solcher Dreieckskopplungen ist umstritten. Die Rechtsprechung sah einen Verstoß gegen § 4 Nr. 1 a.F. regelmäßig dann als gegeben an, wenn der Drittverantwortliche bei Empfehlung oder Vermittlung eines Produkts mit dem Versprechen oder Gewähren einer Zugabe belohnt wird.317 Die Zugabe an den Drittverantwortlichen könne in einem Geschenk oder einer Provision bestehen. Das Versprechen oder Gewähren eines geldwerten Vorteils könne Drittverantwortliche dazu veranlassen, ihre Entscheidung nicht allein am Interesse des Dritten auszurichten. Vielmehr bestehe die Gefahr, dass sich der Drittverantwortliche von dem zu erwartenden Vorteil leiten lasse. Damit würden sie ihre Interessenwahrungspflicht gegenüber Dritten verletzen.318 Regelmäßig handelt es sich bei den drittverantwortlichen Personen daher um Unternehmer, die aufgrund gesetzlicher oder vertraglicher Verpflichtung gehalten sind, fremde Interessen zu berücksichtigen. Dazu gehören typischerweise die Angehörigen freier Berufe, wie z.B. Ärzte, Apotheker, Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater. 138 Als unlauter hat es der BGH daher angesehen, wenn Augenärzte Patientendaten an einen Brillenhersteller weitergeben und eine Vergütung von bis zu € 160 fällig wird, sofern der Patient eine entsprechende Brille bestellt. Art und Umfang der Vergünstigung sind für die Beurteilung ebenso unerheblich wie die Frage, ob im Einzelfall gegen berufsrechtliche Vorschriften verstoßen wird, die die Wahrung der beruflichen Unabhängigkeit des Beraters zum Gegenstand haben. Insbesondere hat der BGH eine unzulässige Beeinflussung i.S.v. § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3, Abs. 1 S. 3 schon angenommen, wenn die beanstandete Werbemaßnahme geeignet ist, die angesprochenen Berater auch ohne Eingehen 137
_____
316 BGH 2.7.2009 – I ZR 147/06 – WRP 2009, 1227 Tz. 10 – Winteraktion; Fezer/Büscher/Obergfell/ Steinbeck Anh. 2 § 4a Rn. 259 ff. 317 BGH 29.7.2009 – I ZR 166/06 – GRUR 2009, 1077 – Finanz-Sanierung; BGH 2.7.2009 – I ZR 147/06 – WRP 2009, 1227 Tz. 10 – Winteraktion; BGH 26.3.2009 – I ZR 99/07 – WRP 2009, 1385 Tz. 18 – DeguSmiles & more; OLG Köln 16.5.2008 – 6 W 38/08 – GRUR-RR 2008, 446, 447 – All-inclusive-Testwochen. 318 BGH 24.6.2010 – I ZR 182/08 – WRP 2010, 1139 Tz. 17 – Brillenversorgung II; BGH 2.7.2009 – I ZR 147/06 – WRP 2009, 1227 Tz. 10 – Winteraktion; BGH 21.4.2005 – I ZR 201/02 – GRUR 2005, 1059, 1060 – Quersubventionierung von Laborgemeinschaften; OLG Köln 16.5.2008 – 6 W 38/08 – GRUR-RR 2008, 446, 447 – All-inclusive-Testwochen; OLG München 3.12.2009 – 29 U 3781/09 – GRUR-RR 2010, 305, 307 – Arzneimitteldatenbank; OLG Stuttgart 30.10.2008 – 2 U 25/08 – WRP 2009, 229 – Sehhilfen vom Augenarzt; OLG Karlsruhe 13.11.2002 – 6 U 93/02 – GRUR-RR 2003, 191, 192 – Schulschließfächer; differenzierend Heermann WRP 2006, 8.
Pahlow
546
H. Unzulässige Beeinflussung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3)
§ 4a
einer Bindung i.S.v. § 43a Abs. 1 BRAO im Hinblick auf die angebotene Teilnahme an dem Gewinnspiel zu einer Vermittlung des beworbenen Produkts zu veranlassen.319 Der Vorteil könne auch in der Erbringung einer Dienstleistung unter Selbstkosten bestehen. So wurde es als unlauter angesehen, dass ein Laborarzt niedergelassenen Ärzten die Durchführung von Laboruntersuchungen, die diese selbst gegenüber der Kasse abrechnen können, unter Selbstkosten in der Erwartung anbot, dass diese ihm dafür Patienten für Untersuchungen überweisen, die nur von einem Laborarzt vorgenommen werden können. Dem Angebot unter Selbstkosten stand die unentgeltliche oder verbilligte Überlassung von freien Laborkapazitäten gleich.320 Ebenso zu beanstanden sei es, wenn Zahnärzte an einem Dentallabor beteiligt sind, mit dem sie exklusiv zusammenarbeiten.321 Ähnliche Grundsätze seien anzuwenden, wenn es zur Beeinflussung der Nachfrage- 139 entscheidung der öffentlichen Hand komme, die ebenfalls eine Pflicht zu einer objektiven und neutralen Entscheidung trifft. Wettbewerbswidrig sei z.B. das Angebot einer Provision dafür, dass eine Schule gegenüber dem Schulträger eine bestimmte Schließfachanlage empfiehlt. Das Gericht sah eine unlauterkeitsbegründende Besonderheit in diesem Fall darin, dass nicht ein privates Unternehmen, sondern die Schule als öffentliche Behörde in die Absatzkette zwischengeschaltet wurde.322 Aufgrund der Behördeneigenschaft seien an die Verpflichtung zur Sachlichkeit und Unparteilichkeit besonders hohe Anforderungen zu stellen. Demgegenüber sah es der BGH nicht als unsachliche Einflussnahme an, wenn ein Fotostudio einer Schule einen PC überlässt und die Schule eine Schulfotoaktion vermittelt, bei der die angefertigten Fotos Eltern und Schülern zum Kauf angeboten werden, wenn Eltern und Schüler völlig frei sind, die Fotos zu beziehen.323 Tatsächlich werden die Eltern der Schule hier im Blick auf die Auswahl des Fotografen kein gesondertes Vertrauen entgegenbringen und selbst beurteilen können, ob die Fotos gelungen sind. Als Drittverantwortliche konnten aber auch gewerbliche Unternehmer (B2B) in 140 Betracht kommen, soweit sie kraft Vertrages die Wahrung der Interessen ihrer Kunden übernommen haben, wie z.B. Vermögensberater, Versicherer oder Makler.324 Im Verhältnis zwischen dem Werbenden und dem umworbenen Drittverantwortlichen komme es damit nicht auf die UGPRL an, da an diesem Verhältnis kein Verbraucher beteiligt sei.325 Zur Fallgruppe der Werbung gegenüber drittverantwortlichen Personen gehört nach der Rechtsprechung auch die Werbung mit Zugaben oder Rabatten gegenüber Versicherungsnehmern zum Nachteil der Versicherer. Im Kfz-Reparaturgewerbe werde gerne gegenüber voll- oder teilkaskoversicherten Kunden mit geldwerten Vorteilen geworben, die nicht in der Rechnung ausgewiesen würden. Hintergrund sei, dass die Versicherung dem Kunden die Reparaturkosten zwar gegen Rechnung erstattet, davon aber den sog. Selbstbehalt abziehe. Der Kunde habe daher an sich keinen Nutzen von günstigeren Angeboten konkurrierender Werkstätten. Aus diesem Grund werden dem Kunden
_____
319 BGH 2.7.2009 – I ZR 147/06 – WRP 2009, 1227 Tz. 15 – Winteraktion. 320 BGH 21.4.2005 – I ZR 201/02 – GRUR 2005, 1059, 1060 – Quersubventionierung von Laborgemeinschaften. 321 BGH 23.2.2012 – I ZR 231/10 – GRUR 2012, 1050, 1052 Tz. 26 ff. – Dentallaborleistungen. 322 OLG Karlsruhe 13.11.2002 – 6 U 93/02 – GRUR-RR 2003, 191, 192 – Schulschließfächer. 323 BGH 20.10.2005 – I ZR 112/03 – GRUR 2006, 77 Tz. 16–20 – Schulfotoaktion. 324 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 6.4 ff.; Fezer/Büscher/Obergfell/Steinbeck Anh. 2 § 4a Rn. 261 ff. 325 Dass der Dritte aber möglicherweise Verbraucher sein kann, spielt insoweit keine Rolle, vgl. BGH 2.7.2009 – I ZR 147/06 – WRP 2009, 1227 Tz. 9 – Winteraktion; John WRP 2011, 147, 150; missverständlich dagegen BGH 24.6.2010 – I ZR 182/08 – WRP 2010, 1139 Tz. 13 – Brillenversorgung II.
547
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
besondere Vergünstigungen angeboten, um die Belastung durch den Selbstbehalt auszugleichen oder zu verringern. Diese Vergünstigungen gehen zu Lasten der Versicherung, da diese nur die tatsächlich entstandenen Kosten abzgl. des Selbstbehalts zu erstatten habe.326 Soweit Versicherungsnehmer einer Kfz-Versicherung die Interessen des Versicherers wahrzunehmen haben, verstieße das Versprechen eines Vorteils zu seinen Gunsten nach Auffassung des BGH gegen § 4 Nr. 1 a.F., wenn der Versicherungsnehmer dadurch veranlasst werden könne, auf das Angebot einzugehen, ohne den Vorteil an den Versicherer weiterzureichen.327 Die nach dem Versicherungsvertrag gebotene objektive Entscheidung werde durch die vom Werbenden versprochene Barvergütung eines Teils des Selbstbehalts beeinträchtigt. Der Kunde habe i.d.R. durch die Beauftragung einer günstigeren Werkstatt keine wirtschaftlichen Vorteile. Demgegenüber profitiere er von dem versprochenen Rabatt unmittelbar, wenn er bereit sei, diesen seinem Versicherer zu verschweigen. Eine andere Beurteilung sei nur dann geboten, wenn der Werbende ausschließlich an Kunden von Versicherern heranträte, die über die Art der Abrechnung informiert und mit ihr einverstanden wären. In solchen Fällen werde der Kunde nicht unangemessen unsachlich beeinflusst, da er aufgrund des Einverständnisses des Versicherers nicht dessen Interessen zuwiderhandele.328 b) Kritik. Diese Rechtsprechung überzeugt nicht.329 Problematisch ist die Verortung von Kopplungsangeboten unter § 4a (wie auch unter § 4 Nr. 1 a.F.) schon deshalb, weil die Entscheidungsfreiheit des zur Wahrung von Drittinteressen Verpflichteten durch die in Rede stehenden Praktiken nicht beeinträchtigt wird. Daher sollte diese Fallgruppe besser unter die Verbrauchergeneralklausel des § 3 Abs. 2 eingeordnet werden.330 Insoweit setzt sich der BGH auch zu seinen bisherigen Grundsätzen zu Verkaufsförderungsmaßnahmen in Zweipersonenverhältnissen, wie sie gegenüber sonstigen Marktteilnehmern gelten, in Widerspruch. Danach kann von einer Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit gem. § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3 im Zweipersonenverhältnis nur noch ausgegangen werden, wenn die Rationalität der Nachfrageentscheidung völlig in den Hintergrund tritt.331 Diese Grundsätze gegenüber Verkaufsförderungsmaßnahmen sind auch im Verhältnis zu drittverantwortlichen Marktteilnehmern anzuwenden.332 Ein Verstoß gegen § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3 liegt daher wie bei sonstigen Verkaufsförderungsmaßnahmen gegenüber Drittverantwortlichen nicht vor, wenn diese lediglich besondere Vergünstigungen erhalten. 142 Zutreffend ist es daher, zwischen den einzelnen Geschäftsbeziehungen auch lauterkeitsrechtlich zu unterscheiden. Zwischen dem Werbenden und dem umworbenen Drittverantwortlichen sind dann insoweit keine anderen Maßstäbe anzulegen als gegenüber 141
_____
326 Vgl. die Nachw. in der Voraufl. § 4 Nr. 1 Rn. 235. 327 Vgl. BGH 8.11.2007 – I ZR 192/06 – WRP 2008, 780 Tz. 16 – Hagelschaden; BGH 30.1.2003 – I ZR 142/00 – GRUR 2003, 624, 626 – Kleidersack; ähnlich BGH 21.4.2005 – I ZR 201/02 – GRUR 2005, 1059, 1060 – Quersubventionierung von Laborgemeinschaften. 328 BGH 8.11.2007 – I ZR 192/06 – WRP 2008, 780 Tz. 17 und 19 – Hagelschaden; ähnlich BGH 8.11.2007 – I ZR 60/05 – GRUR 2008, 530 Tz. 18 – Nachlass bei der Selbstbeteiligung. 329 Köhler GRUR 2003, 729, 732. 330 John WRP 2011, 147; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 6.14 ff.; 4a Rn. 1.8; Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 136; ähnlich Schwippert FS Samwer, S. 197, 199 f. 331 BGH 29.10.2009 – I ZR 180/07 – GRUR 2010, 455 Tz. 17 – Stumme Verkäufer II; BGH 8.11.2007 – I ZR 60/05 – GRUR 2008, 530 Tz. 13 – Nachlass bei der Selbstbeteiligung; BGH 22.9.2005 – I ZR 28/03 – GRUR 2006, 161 Tz. 15 – Zeitschrift mit Sonnenbrille; BGH 9.6.2004 – I ZR 187/02 – GRUR 2004, 960 – 500 DMGutschein für Autokauf. 332 MünchKommUWG/Heermann § 4 Nr. 1 Rn. 228; John WRP 2011, 147, 150 f.; Pfuhl S. 39 f. m.w.N.
Pahlow
548
H. Unzulässige Beeinflussung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3)
§ 4a
anderen unternehmerisch handelnden Marktteilnehmern. Konsequenterweise müssen dann aber auch solche Verkaufsförderungsmaßnahmen als zulässig angesehen werden, sofern sich nicht aus besonderen Regelungen (u.a. § 7 Abs. 1 HWG) weitere Beschränkungen ergeben. Es geht in diesen Fällen ohnehin nicht um den Schutz der Entscheidungsfreiheit der Verkaufsförderer als Drittverantwortliche in deren Interesse, sondern um den Schutz ihrer Kunden vor nicht sachgerechter Beratung und vor nicht objektiver Empfehlung.333 Ein Schutz der Patienten, Mandanten etc. kann aber durch das Verhältnis zwischen ihnen und dem Drittverantwortlichen lauterkeitsrechtlich ausreichend beurteilt werden. Insoweit gelten die oben gegenüber Autoritäten dargestellten Maßstäbe (Rn. 124 ff.). Die Entscheidungsfreiheit beispielsweise von Patienten wird nicht schon dann erheblich beeinträchtigt, wenn sie sich bei ihrer Entscheidung möglicherweise von der Erwägung leiten lassen, den Arzt nicht zu enttäuschen oder ihn – etwa für künftige Terminabsprachen – wohlwollend zu stimmen. 334 Finanzielle Anreize eines Rechtsschutzversicherers im Rahmen der Selbstbeteiligung bei der freien Anwaltswahl begründen keinen unzulässigen psychischen Druck, die die Rationalität der Entscheidung eines Versicherungsnehmers für oder gegen die Beauftragung eines Rechtsanwalts vollständig in den Hintergrund treten lassen.335 Von derartigen Werbemaßnahmen geht vielmehr lediglich eine bloße Anlockwirkung aus, für die § 4a ohnehin nur in Ausnahmefällen anwendbar ist. c) Eigenbedarf. Zu unterscheiden sind davon Fälle der Werbung für den Absatz von 143 Produkten für den Eigenbedarf der Drittverantwortlichen.336 Art. 9 Abs. 1 RL 92/82/EWG über die Werbung für Humanarzneimittel vom 21. März 1992 hatte es für unzulässig erklärt, dass den zur Verschreibung oder zur Abgabe von Arzneimitteln berechtigten Personen im Rahmen der Verkaufsförderung Vorteile gewährt, angeboten oder versprochen wurden. Art. 9 RL 92/82/EWG bezog sich – anders als § 7 Abs. 1 HWG – nicht auf die Verkaufsförderung durch Werbegaben, sondern auf finanzielle oder materielle Vorteile jeder Art. Sie werden von § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3 durchaus abgedeckt, der neben § 7 HWG anwendbar ist. Dementsprechend sah der BGH zu Recht eine unzumutbare Beeinflussung von Zahnärzten darin, dass ihnen beim Kauf bestimmter Fertigarzneimittel ein Kleidersack zu einem besonders günstigen Preis angeboten wurde.337 Dagegen sind allgemeine Werbeanschreiben an Ärzte, die ohne Inaussichtstellen von Vorteilen für den Arzt und ohne Aufforderung zu einem bestimmten Handeln lediglich mit Eigenschaften und Preiswürdigkeit bestimmter Produkte werben, nicht wettbewerbswidrig, insbesondere auch nicht geeignet, den ärztlichen Adressaten unter Verstoß gegen ärztliches Berufsrecht zu veranlassen, Patienten an die Absender der Werbeschreiben zu verweisen.338
_____
333 Fritzsche JZ 2010, 575, 577; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 6.16; Schwippert FS Samwer, S. 197, 199 f.; Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 136. 334 BGH 24.6.2010 – I ZR 182/08 – WRP 2010, 1139 Tz. 17 – Brillenversorgung II. 335 BGH 4.12.2013 – IV ZR 215/12 – NJW 2014, 422 Tz. 56 – Rechtsschutzversicherung; für den Fall einer Krankenversicherung BGH 24.6.2010 – I ZR 182/08 – GRUR 2010, 850 Tz. 13 – Brillenversorgung II. 336 Dazu etwa BGH 26.3.2009 – I ZR 99/07 – WRP 2009, 1385 – DeguSmiles & more; BGH 30.1.2003 – I ZR 142/00 – GRUR 2003, 624, 626 – Kleidersack; OLG München 3.12.2009 – 29 U 3781/09 – GRUR-RR 2010, 305, 307. 337 BGH 30.1.2003 – I ZR 142/00 – GRUR 2003, 624, 626 – Kleidersack; OLG Köln 16.5.2008 – 6 W 38/08 – GRUR-RR 2008, 446, 447 – All-inclusive-Testwochen. 338 BGH 28.9.2000 – I ZR 141/98 – GRUR 2001, 255, 256 – Augenarztanschreiben.
549
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
VI. Laienwerbung 1. Begriff und Bedeutung. Besondere Qualität erlangen Vertrauens- oder Autoritätsverhältnisse dann, wenn die darin begründeten privaten oder persönlichen Beziehungen zur gezielten Absatzvermittlung genutzt werden. Unter Laienwerbung ist der Einsatz von Privatleuten als Kundenwerber gegen Gewährung einer Werbeprämie zu verstehen.339 Laienwerbung scheidet daher aus, wenn prominente Persönlichkeiten in den Medien werben, da sie keine konkreten Vertragsbeziehungen zwischen Unternehmen und Verbrauchern anbieten und realisieren. Keine Laienwerber sind ferner Handelsvertreter (§§ 84 ff. HGB), die per se gewerblich tätig sind. Da sich das Tätigkeitsfeld der Laienwerber zumeist auf den Bekannten- oder Verwandtenkreis beschränkt, werden gerade die persönlichen oder privaten Beziehungen des Werbers zu Dritten für die Kundenwerbung nutzbar gemacht.340 Der Laienwerber wirbt bei Verwandten, Freunden, Mitarbeitern, Nachbarn oder sonstigen Bekannten und Personen für den Absatz von Waren oder Dienstleistungen gegen eine Leistung des Unternehmens, die meist in einer Provision oder Prämie besteht. Der wirtschaftliche Vorteil der Laienwerbung liegt darin, dass der Unternehmer 145 sich nicht nur die Kosten eines von ihm sonst zu organisierenden Außendienstes erspart, sondern zugleich auch die potentiellen Kunden direkter, schneller und intensiver erreicht, als es ihm mit einer anderen Art der Werbung möglich wäre. Das erklärt die weite Verbreitung dieser Vertriebsform, vor allem bei Versicherungen, bei Immobilien, bei Haushaltswaren, bei kosmetischen Erzeugnissen und natürlich bei Zeitungen und Zeitschriften.341
144
146
2. Erscheinungsformen und Abgrenzung. Die sog. Laienwerbung kann auf eine lange Tradition in der Werbewirtschaft zurückblicken und hat demzufolge eine ganze Reihe von Erscheinungsformen ausgebildet.342 Auch die umfangreiche Rechtsprechung zeigt, dass Laienwerbung in vielen Wirtschaftszweigen anzutreffen ist. Sogar im Internet hat die Laienwerbung inzwischen Einzug gehalten.
147
a) Partywerbung. Bei der Partywerbung erklären sich Private dazu bereit, eine private Veranstaltung (Party, Kaffeekränzchen usw.) zu veranstalten, auf der Produkte des
_____
339 Vgl. BGH 29.9.1994 – I ZR 138/92 – WRP 1995, 104 – Laienwerbung für Augenoptiker; OLG Saarbrücken 27.7.1994 – 1 U 482/94 – WRP 1994, 840, 842 – Gastgeber-Gewinnspiel; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 6.23; Fezer/Büscher/Obergfell/Steinbeck Anh. 2 § 4a Rn. 467. 340 Möller WRP 2007, 6, 7; Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 138, Fezer/Büscher/Obergfell/Steinbeck Anh. 2 § 4a Rn. 467. 341 BGH 29.9.1994 – I ZR 138/92 – WRP 1995, 104 – Laienwerbung für Augenoptiker (Brillen); BGH 14.5.1992 – I ZR 204/90 – GRUR 1992, 622, 624 – Verdeckte Laienwerbung (Automobile); BGH 10.2.1994 – I ZR 16/92 – GRUR 1994, 443 – Versicherungsvermittlung im öffentlichen Dienst (Versicherungen); BGH 27.9.1990 – I ZR 213/89 – WRP 1991, 154, 155 – Laienwerbung für Kreditkarten; BGH 27.2.1981 – I ZR 75/79 – GRUR 1981, 655 – Laienwerbung für Makleraufträge (Immobilien und Wohnungen); BGH 14.12.1973 – I ZR 36/72 – GRUR 1974, 341 – Campagne (Kosmetika); OLG Zweibrücken 16.4.1999 – 2 U 41/98 – WRP 1999, 967 – Prämienwerbung einer Betriebskrankenkasse (Versicherung); OLG Düsseldorf 24.11.1998 – 20 U 176/97 – WRP 1999, 568 – Laienwerbung einer Krankenkasse; OLG Frankfurt a.M. 11.1.1996 – 6 U 185/94 – NJWEWettbR 1996, 109 – Freundschaftswerbung; OLG Karlsruhe 12.7.1995 – 4 W 45/95 – WRP 1995, 960 – Prämie für Adressenmitteilung (Zeitungen); OLG München 22.6.1995 – 29 U 5516/94 – NJWE-WettbR 1997, 1 – Gruppenreise-Freiplätze (Reisen); KG 30.6.1987 – 5 U 1966/87 – GRUR 1988, 139 – KreditkartenLaienwerbung (Kreditkarten). 342 Dazu auch Ulrich FS Piper, S. 495, 502 ff.
Pahlow
550
H. Unzulässige Beeinflussung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3)
§ 4a
beworbenen Unternehmens vorgeführt und ggf. zum Kauf angeboten werden. Bekannt geworden sind u.a. die Tupper(ware)-Partys und die Herbalife-Veranstaltungen.343 b) Verdeckte Laienwerbung. Bei der sog. verdeckten Laienwerbung werden dem 148 Unternehmen die Adressen potentieller Kunden ohne deren Einverständnis und Wissen durch den Laienwerber übermittelt (dazu unten Rn. 164).344 c) Progressive Kundenwerbung. Bei der progressiven Kundenwerbung (Schnee- 149 ballsystem, Pyramidensystem) werden u.a. Verbraucher zur Abnahme von Waren, Dienstleistungen oder Rechten durch das Versprechen veranlasst, sie würden entweder vom Veranstalter selbst oder von einem Dritten besondere Vorteile erlangen, wenn sie andere zum Abschluss gleichartiger Geschäfte veranlassen. Diese sollen dann nach dem Konzept dieses Werbesystems ihrerseits derartige Vorteile für eine entsprechende Werbung weiterer Abnehmer erlangen (dazu näher unter § 16). d) Multi-Level-Marketing (Strukturvertrieb). Im Gegensatz zur progressiven Kun- 150 denwerbung wird dem Laienwerber beim Multi-Level-Marketing-System lediglich die Möglichkeit eingeräumt, sich durch Anwerbung weiterer Werber und Abnehmer einen zusätzlichen Verdienst zu verschaffen. Der Kunde wird also nicht veranlasst, Waren über den eigenen Bedarf hinaus zu erwerben. e) Handelsvertreter. Handelsvertreter (§§ 84 ff. HGB) sind keine Laienwerber, da 151 sie gewerblich tätig sind. 3. Rechtsentwicklung a) § 1 a.F. Die Rechtsprechung und auch die ihr folgende Literatur standen dem Ein- 152 satz von Laienwerbern unter der Generalklausel des § 1 a.F. lange Zeit kritisch gegenüber. Das hing mit den Gefahren und Risiken zusammen, die damals im Mittelpunkt der lauterkeitsrechtlichen Bewertung der Laienwerbung standen. In Bezug auf die Beeinflussung der Nachfrageentscheidung lassen sich mehrere Gesichtspunkte unterscheiden: Erstens wurde befürchtet, dass sich die vom Laienwerber adressierten Konsumenten nicht so sehr aufgrund der Qualität und der Preiswürdigkeit des Angebots entscheiden, sondern mit Rücksicht auf die persönliche Beziehung zum Laienwerber. Naturgemäß werde sich der Laienwerber vor allem an Personen aus seinem Bekanntenkreis wenden und seine persönlichen Beziehungen nutzbar machen (sog. Kommerzialisierung der Privatsphäre).345 Zweitens bestehe die Gefahr, dass der Werber zu unsachlichen Mitteln
_____
343 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 6.26; Fezer/Büscher/Obergfell/Steinbeck Anh. 2 § 4a Rn. 483. 344 BGH 14.5.1992 – I ZR 204/90 – GRUR 1992, 622 – Verdeckte Laienwerbung; OLG München 12.8.1999 – 6 U 6374/98 – WRP 2001, 979 – Busfahrerbonus; OLG Karlsruhe 12.7.1995 – 4 W 45/95 – WRP 1995, 960 – Prämie für Adressenmitteilung; OLG Stuttgart 28.7.1989 – 2 U 86/89 – GRUR 1990, 205 – Werbung über Altkunden; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 6.28; Fezer/Büscher/Obergfell/Steinbeck Anh. 2 § 4a Rn. 484; missverständlich daher die Ausführungen des BGH (6.7.2006 – I ZR 145/03 – GRUR 2006, 949 Tz. 17 – Kunden werben Kunden), der auch im Falle einer Verschleierung des Prämieninteresses von einer „verdeckten Laienwerbung“ spricht. 345 BGH 29.9.1994 – I ZR 138/92 – WRP 1995, 104 – Laienwerbung für Augenoptiker; BGH 14.5.1992 – I ZR 204/90 – GRUR 1992, 622 – Verdeckte Laienwerbung; BGH 27.9.1990 – I ZR 213/89 – WRP 1991, 154, 155 – Laienwerbung für Kreditkarten; BGH 27.2.1981 – I ZR 75/79 – GRUR 1981, 655, 656 – Laienwerbung für Makleraufträge; OLG Saarbrücken 27.7.1994 – 1 U 482/94 – WRP 1994, 840, 843 – Gastgeber-Gewinnspiel; krit. dazu schon Emmerich Unlauterer Wettbewerb5 § 19, 3 (S. 302 f.).
551
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
greift, um die Prämie zu erlangen. Der Laienwerber könne sein Prämieninteresse verschleiern oder zu verheimlichen versuchen, um seine Empfehlung als uneigennützigen Rat erscheinen zu lassen und ihr dadurch ein besonderes Gewicht zu verleihen. Dabei könne es auch zu einer sachlich unzureichenden Beratung kommen. Diese Gefahr sei umso höher zu veranschlagen, als das Werbegespräch in der Privatsphäre stattfindet und sich damit einer öffentlichen Kontrolle entzieht.346 Je höher und attraktiver die Vergütung für das Zustandekommen eines Geschäfts, desto intensiver falle das Bemühen des Werbers aus, den Umworbenen doch noch zum Geschäftsabschluss zu bringen.347 Bei umsatzabhängigen Prämien war von der Anreizwirkung der Höchstprämie auszugehen, auch wenn sie realistisch betrachtet nicht erreichbar war.348 Daher wurde vorrangig auf das Verhältnis des Wertes der Prämie zum abzuschließenden Geschäft abgestellt.349 Und drittens sollte die Gefahr einer unsachlichen Beeinflussung aus der Person des Laienwerbers herrühren können, wie z.B. einer mangelnden Eignung oder Schulung.350 Darüber hinaus könnten sich viertens nach Auffassung der Rechtsprechung Mitbewerber veranlasst sehen, diese Werbemethode nachzuahmen, so dass eine unzumutbare Belästigung der Allgemeinheit zu befürchten sein könnte.351 153
b) UWG-Reform. Nach der UWG-Reform 2004 hat die Rechtsprechung ihre früheren Vorbehalte weitgehend aufgegeben. Mit der Abschaffung des RabattG und der ZugabeVO einerseits, dem gewandelten Verbraucherleitbild andererseits (dazu oben Rn. 21 ff.) könne an der strengen Beurteilung der Laienwerbung heute nicht mehr festgehalten werden.352 Die Anreizwirkung, die von einer auch nicht unerheblichen Prämie ausgehe, könne als solche die Wettbewerbswidrigkeit der Laienwerbung nicht begründen. Ebenso wenig sei Laienwerbung schon deshalb wettbewerbsrechtlich bedenklich, weil die Entscheidung des geworbenen Kunden dadurch beeinflusst werden könne, dass für den Laienwerber eine nicht unerhebliche Prämie ausgesetzt sei und zwischen der beworbenen Ware und der angebotenen Werbeprämie ein sachlicher Zusammenhang nicht gegeben ist.353 Selbst wenn für die Kaufentscheidung des Neukunden die Erwägung, dem Laienwerber die ausgesetzte Prämie zu verschaffen, Bedeutung erlange und der Einsatz von
_____
346 OLG München 12.8.1999 – 6 U 6374/98 – WRP 2001, 979 – Busfahrerbonus; OLG Zweibrücken 16.4.1999 – 2 U 41/98 – WRP 1999, 967 – Prämienwerbung einer Betriebskrankenkasse; OLG Düsseldorf 24.11.1998 – 20 U 176/97 – WRP 1999, 568 – Laienwerbung einer Krankenkasse; OLG München 6.7.1995 – 29 U 2847/94 – WRP 1996, 42, 44 – Vertriebssystem; OLG Saarbrücken 27.7.1994 – 1 U 482/94 – WRP 1994, 840, 843 – Gastgeber-Gewinnspiel. 347 BGH 27.9.1990 – I ZR 213/89 – WRP 1991, 154, 156 – Laienwerbung für Kreditkarten; OLG Saarbrücken 27.10.1999 – 1 U 498/99–128 – WRP 2000, 791, 793 – Gewinnreise; OLG München 12.8.1999 – 6 U 6374/98 – WRP 2001, 979 – Busfahrerbonus; OLG München 20.10.1988 – 29 U 2069/88 – GRUR 1989, 354, 355 – Kunden-Vermittlungsaktion; OLG Karlsruhe 13.2.1968 – 6 U 39/67 – GRUR 1969, 224, 225 – Karlsruher-Tageblatt. 348 BGH 29.9.1994 – I ZR 138/92 – WRP 1995, 104 – Laienwerbung für Augenoptiker; OLG Saarbrücken 27.7.1994 – 1 U 482/94 – WRP 1994, 840, 843 – Gastgeber-Gewinnspiel; OLG München 20.10.1988 – 29 U 2069/88 – GRUR 1989, 354, 355 – Kunden-Vermittlungsaktion. 349 BGH 29.9.1994 – I ZR 138/92 – WRP 1995, 104 – Laienwerbung für Augenoptiker; BGH 27.9.1990 – I ZR 213/89 – WRP 1991, 154, 156 – Laienwerbung für Kreditkarten; OLG Düsseldorf 9.5.2000 – 20 U 34/00 – GRUR-RR 2001, 171, 172 – Laienwerbung für Zeitschriften; OLG Karlsruhe 17.6.1992 – 4 U 1/92 – WRP 1993, 340, 341. 350 BGH 27.9.1990 – I ZR 213/89 – WRP 1991, 154, 155 – Laienwerbung für Kreditkarten; BGH 23.1.1959 – I ZR 130/58 – GRUR 1959, 285, 287 – Bienenhonig. 351 BGH 27.2.1981 – I ZR 75/79 – GRUR 1981, 655, 656 – Laienwerbung für Makleraufträge; OLG Saarbrücken 27.7.1994 – 1 U 482/94 – WRP 1994, 840, 843 – Gastgeber-Gewinnspiel. 352 BGH 6.7.2006 – I ZR 145/03 – GRUR 2006, 949 Tz. 16 – Kunden werben Kunden. 353 BGH 6.7.2006 – I ZR 145/03 – GRUR 2006, 949 Tz. 16 – Kunden werben Kunden.
Pahlow
552
H. Unzulässige Beeinflussung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3)
§ 4a
Laienwerbern im Einzelfall auf eine solche Beeinflussung abziele, sei dies für die wettbewerbsrechtliche Bewertung ohne Bedeutung.354 Dementsprechend sei eine Anreizwirkung, die von einer nicht unerheblichen Prämie (€ 430 für den Verkauf einer Brille im Wert von € 100) ausgeht, nicht wettbewerbswidrig. Es könne auch bei einer solchen Prämie nicht davon ausgegangen werden, dass der Werbende seine persönlichen Beziehungen durch den Einsatz unlauterer Mittel missbraucht, um in den Besitz der Prämie zu gelangen.355 Auch die mit der Laienwerbung einhergehende unerwünschte Kommerzialisierung der Privatsphäre rechtfertige keine Unlauterkeit.356 4. Lauterkeitsrechtliche Beurteilung. Die gesetzlichen und europarechtlichen Ver- 154 änderungen führen dazu, dass der Einsatz von Laienwerbern grundsätzlich zulässig ist.357 Eine Unlauterkeit nach § 4a kann sich nur aus besonderen Umständen ergeben, insbesondere einer Belästigung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 1) oder einer unzulässigen Beeinflussung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3).358 Zunächst ist genau zu untersuchen, ob der Laienwerber überhaupt eine geschäftliche Handlung i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 vornimmt. Wer einmalig oder nur gelegentlich in einem Freundes- oder Bekanntenkreis für eine Ware oder Dienstleistung wirbt, verlässt dadurch regelmäßig noch nicht den privaten Bereich (dazu § 2 Nr. 6). Anders ist es dagegen zu beurteilen, wenn der einzelne Laienwerber systematisch und wiederholt die Ware oder Dienstleistung des Unternehmers anpreist. a) Belästigung (§ 4a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1). Eine Belästigung liegt noch nicht darin, 155 dass sich der Laienwerber an Personen wendet, zu denen er eine besondere (verwandtschaftliche, nachbarschaftliche, freundschaftliche, berufliche etc.) Beziehung hat. Der Laienwerber muss vielmehr in einer Weise vorgehen, dass sich der umworbene Verbraucher seine Entscheidung deshalb trifft, um der Belästigung zu entgehen. Es muss also ein gewisses „Bedrängungspotential“ vorliegen (dazu oben Rn. 39). Auch der Unternehmer hinter dem Laienwerber ist verantwortlich, wenn die Lai- 156 enwerbung von vornherein auf eine unzumutbare Belästigung der Umworbenen (§ 7) abzielt,359 etwa wenn die Laien gezielt instruiert werden, ihr Umfeld mittels Telefon, Telefax oder elektronische Post ohne vorheriges Einverständnis (§ 7 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3) anzusprechen (dazu auch § 7 Rn. 138 ff., 203 ff.).360 Denn hier wird bewusst darauf spekuliert, dass der Umworbene rational-kritische Erwägungen zurückstellt und sich vor allem deshalb zum Kauf entschließt, weil er dem Laienwerber einen Gefallen erweisen oder ihn nicht brüskieren möchte.361 Zu § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 kommt es nur dann, wenn dadurch auch die Entscheidungsfreiheit der Umworbenen selbst erheblich beeinträchtigt wird.
_____
354 BGH 6.7.2006 – I ZR 145/03 – GRUR 2006, 949 Tz. 19 – Kunden werben Kunden. 355 BGH 6.7.2006 – I ZR 145/03 – GRUR 2006, 949 Tz. 18 – Kunden werben Kunden. 356 Hartwig NJW 2006, 1326, 1329. 357 Vgl. BGH 6.7.2006 – I ZR 145/03 – GRUR 2006, 949 Tz. 13 – Kunden werben Kunden; BGH 20.12.2001 – I ZR 227/99 – GRUR 2002, 637, 639 – Werbefinanzierte Telefongespräche; BGH 29.9.1994 – I ZR 138/92 – WRP 1995, 104 – Laienwerbung für Augenoptiker; BGH 23.1.1959 – I ZR 130/58 – GRUR 1959, 285, 287 – Bienenhonig. 358 BGH 6.7.2006 – I ZR 145/03 – GRUR 2006, 949 Tz. 17 – Kunden werben Kunden. 359 BGH 6.7.2006 – I ZR 145/03 – GRUR 2006, 949 Tz. 17 – Kunden werben Kunden. 360 OLG München 6.7.1995 – 29 U 2847/94 – WRP 1996, 42, 44 – Vertriebssystem; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 6.35 u. 6.38. 361 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 6.38 unter Verweis auf BGH 27.2.1981 – I ZR 75/79 – GRUR 1981, 655, 656 – Laienwerbung für Makleraufträge; OLG Karlsruhe 17.6.1992 – 4 U 1/92 – WRP 1993, 340, 341.
553
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
157
b) Unzulässige Beeinflussung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3). Eine unzulässige Beeinflussung setzt die Ausnutzung einer Machtposition zur Ausübung von Druck voraus (§ 4a Abs. 1 S. 3). Denkbar ist etwa der gezielte Einsatz von Arbeitgebern, Betriebsräten, Lehrern, der Feuerwehr oder auch Geistlichen durch den Unternehmer. In diesen Fällen kann die Konzeption der Laienwerbung durch eine Ausnutzung von Autoritäten unlauter sein (dazu oben Rn. 120 ff.). Hier besteht die Gefahr, dass der Laienwerber seine Machtposition aufgrund seiner Autoritäts- oder Vertrauensstellung zur Ausübung von Druck einsetzt, um sie zu der gewünschten geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen. 158 Allerdings kommt es hier auf die Umstände des Einzelfalles an. Das kann bei dem Ausnutzen privater Beziehungen nicht vorschnell angenommen werden. Wenden sich Laienwerber an ihr berufliches oder privates Umfeld, um es auf das Angebot des Unternehmers anzusprechen, ist darin noch kein unlauteres Verhalten zu sehen. Vielmehr ist dieser Umstand der Werbung immanent und daher noch kein unzulässiger Einfluss im Sinne des § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3. Auch die früher häufig herangezogene „Kommerzialisierung der Privatsphäre“ kam angesichts des gewandelten Verbraucherleitbildes eine Unlauterkeit für sich nicht mehr begründen, da durchschnittlich verständige Verwandte, Nachbarn, Freunde und Berufskollegen durchaus in der Lage sind, Verkaufsofferten auch im privaten Bereich zurückzuweisen.362 Informiert die Autoritäts- oder Vertrauensperson produktneutral, so kann dadurch zwar ein Kaufanreiz geschaffen werden; das reicht aber nicht aus, um die Fähigkeit des Verbrauchers zu einer informierten Entscheidung wesentlich einzuschränken und damit seine Entscheidungsfreiheit erheblich einzuschränken.363 Werden im Wege der Laienwerbung Waren angeboten, für die besondere Maßstäbe 159 gelten (z.B. rezeptpflichtige Medikamente), dann kann darin durchaus eine unzulässige Beeinflussung im Sinne des § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3 liegen.364 Besteht die beanstandete Einflussnahme in der Gewährung eines preisrechtlich unzulässigen Vorteils, kommt es darauf an, ob eine Preisbindung von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, die von einer im Gebiet der Europäischen Union ansässigen Versandapotheke an deutsche Kunden geliefert wird, im Sinne von Art. 36 AEUV gerechtfertigt ist.365 Dagegen kann allein die Prämie keine Machtposition zur Ausübung von Druck be160 gründen. Anders als die Rechtsprechung im Rahmen von § 1 a.F. sieht der BGH in der Gewährung von absolut oder relativ hohen Prämien an den Laienwerber für sich allein keine Gefahr einer unzulässigen Beeinflussung.366 Der verständige Durchschnittsverbraucher wird sich allein wegen der dem Laienwerber versprochenen Prämie bei seiner Entscheidung nicht unangemessen unsachlich beeinflussen lassen. Dies auch dann nicht, wenn er bei seiner Entscheidung von dem Wunsch beeinflusst ist, dem Laienwerber die Prämie zukommen zu lassen.367 Die Prämie stellt sich damit lediglich als Gegenleistung für die Absatzvermittlung dar. Ihre Höhe spielt für die Zulässigkeit der Laienwerbung ebenso wenig eine Rolle wie die Handelsspanne oder Provision bei gewerblich
_____
362 Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 143 a.E. 363 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 6.38; a.A. OLG Saarbrücken 3.11.2004 – 1 U 125/04 – WRP 2005, 759 – Beratung durch die Feuerwehr. 364 BGH 6.7.2006 – I ZR 145/03 – GRUR 2006, 949 Tz. 22 – Kunden werben Kunden; BGH 24.11.2016 – I ZR 163/15 – GRUR 2017, 635 Tz. 54 – Freunde werben Freunde. 365 BGH 24.11.2016 – I ZR 163/15 – GRUR 2017, 635 Tz. 54 – Freunde werben Freunde. 366 BGH 6.7.2006 – I ZR 145/03 – GRUR 2006, 949 Tz. 17 – Kunden werben Kunden. 367 BGH 6.7.2006 – I ZR 145/03 – GRUR 2006, 949 Tz. 19 – Kunden werben Kunden; Hartwig NJW 2006, 1326, 1328 f.
Pahlow
554
H. Unzulässige Beeinflussung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3)
§ 4a
tätigen Absatzmittlern.368 Es reicht auch nicht aus, dass ein übermäßiger Prämienanreiz die abstrakte Gefahr des Einsatzes unlauterer Mittel hervorruft.369 c) Irreführung. Zur Irreführung näher § 5a Rn. 145, 180, 187.
161
d) Rechtsbruch. Zum Rechtsbruch vgl. § 3a Rn. 210.
162
e) Verbraucherklausel. Zur Verbrauchergeneralklausel § 3 Rn. 720 ff.
163
f) Sonderfälle aa) Die verdeckte Laienwerbung (oben Rn. 148) ist bereits nach § 3a i.V.m. § 28 164 BDSG/Art. 9 DSGVO unlauter. Demgegenüber liegt kein Fall des § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3 vor, da es nicht zu einer Beeinflussung der Entscheidungsfreiheit von Verbrauchern und sonstigen Marktteilnehmern kommt, sondern diese erst noch durch die Verwendung der rechtswidrig erlangten Daten erfolgen muss. bb) Die Unlauterkeit der progressiven Kundenwerbung (oben Rn. 149) ergibt sich 165 neben § 16 Abs. 2 bzw. § 5 regelmäßig auch eine unzulässige Beeinflussung i.S.v. § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3, Abs. 1 S. 3 vor. Denn sie zielt darauf ab, die Leichtgläubigkeit, Unerfahrenheit und Spiellust auszunutzen.370 Die zivilrechtlichen Vereinbarungen zwischen den Beteiligten sind in der Regel nach §§ 134, 138 BGB nichtig.371 Das Vertriebssystem der progressiven Kundenwerbung begründet seiner Anlage nach für die Teilnehmer zudem die Gefahr von Vermögenseinbußen und für die Mitbewerber die Gefahr einer Behinderung bis hin zur Marktverstopfung. Progressive Kundenwerbung ist daher strafbar; anders als früher ist der adressierte geschützte Personenkreis nun auf Verbraucher beschränkt (§ 16 Abs. 2). cc) Multi-Level-Marketing (Strukturvertrieb; oben Rn. 150) ist grundsätzlich zuläs- 166 sig.372 Jedoch muss stets geprüft werden, ob das betreffende System im Einzelfall bestimmte Unlauterkeitskriterien aufweist. Der Variantenreichtum der Erscheinungsformen ist beträchtlich. Neben § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3, Abs. 1 S. 3 kann auch §§ 3, 3a bzw. § 16 Abs. 2 einschlägig sein.373 dd) Arbeitsplatzwerbung. Der Laienwerber kann auch von seinem Arbeitsplatz aus 167 Produkte des Unternehmens bewerben. Bei der lauterkeitsrechtlichen Bewertung kommt es nicht darauf an, ob der Laienwerber damit seine arbeitsvertraglichen oder dienstlichen Pflichten verletzt, da dies allein das Verhältnis zu seinem Arbeitgeber betrifft. Doch soll es nach der Rechtsprechung des BGH unlauter sein, wenn der Laienwerber dem öffentlichen Dienst angehört und während der Dienstzeit tätig wird, weil er sich damit auf
_____
368 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 6.33. 369 Missverständlich insoweit BGH 6.7.2006 – I ZR 145/03 – GRUR 2006, 949 Tz. 17 – Kunden werben Kunden. 370 BGH 22.4.1997 – XI ZR 191/96 – WRP 1997, 783, 785 – Schneeballprinzip; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 6.29. 371 BGH 22.4.1997 – XI ZR 191/96 – WRP 1997, 783, 784 – Schneeballprinzip; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 6.46. 372 Hartlage WRP 1997, 1; Leible WRP 1998, 18; differenzierend auch Thume WRP 1999, 280, 284 f. 373 Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 103; vgl. zu § 1 a.F. LG Offenburg 7.8.1997 – 2 O 60/96 – WRP 1998, 85, 86 – Multi-Level-Marketing; Leible WRP 1998, 18, 18 ff.; Thume WRP 1999, 280, 280 ff.
555
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
Kosten der Allgemeinheit, die ihn und seinen Arbeitsplatz finanziert, einen Wettbewerbsvorsprung vor seinen Mitbewerbern (z.B. privaten Versicherungsvertretern) verschaffe.374 Der Schutz dieses Allgemeininteresses ist indessen nicht mehr Aufgabe des UWG, wie sich aus § 1 S. 2 ergibt. Es ist daher allein Sache des Arbeitgebers bzw. des Dienstherrn, gegen die Arbeitsplatzwerbung vorzugehen. 168
ee) Sammelbestellung. Eine atypische Form der Laienwerbung liegt bei Sammelbestellern vor. Der Sammelbesteller wird für ein Versandhandelsunternehmen in der Weise tätig, dass er auf Provisionsbasis in seinem Bekanntenkreis Sammelbestellungen aufnimmt und weiterleitet.375 Anders als bei der progressiven Kundenwerbung trägt der Sammelbesteller kein finanzielles Risiko, da er die Ware erst bestellt und abnimmt, wenn er entsprechende Bestellungen aus seinem Umkreis aufgenommen hat. Während Handelsvertreter gewerblich tätig sind, ist das bei Sammelbestellern nicht generell der Fall. Ob ein Sammelbesteller als Gewerbetreibender anzusehen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Der Einsatz von Sammelbestellern ist zulässig, wenn das Versandhandelsunternehmen alles ihm Zumutbare tut, um mögliche Gesetzesverletzungen zu verhindern, insbesondere seine Sammelbesteller auf die aus gewerblicher Betätigung entstehenden Pflichten hinweist (u.a. §§ 55 Abs. 1 Nr. 1, 55c GewO). Grundsätzlich ist der Einsatz von Sammelbestellern nicht wettbewerbswidrig.376 VII. Appelle an die Solidarität
1. Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3). Eine Machtposition kann sich auch aus solidarischen oder moralischen Erwägungen der Verbraucher ergeben. So kann sich der Verbraucher aus moralischen, sozialen oder sittlichen Überlegungen zur Unterstützung von Personen oder Einrichtungen verpflichtet fühlen. Die Ausübung des Drucks muss in einer Weise erfolgen, die geeignet ist, die Fähigkeit des Verbrauchers zu einer informierten Entscheidung und damit seine Entscheidungsfreiheit erheblich zu beeinträchtigen. Zur Beurteilung sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. 170 Besondere Bedeutung erlangen in diesem Zusammenhang auch direkte und indirekte Appelle an die Solidarität. Sie hängen davon ab, in welchem Verhältnis der Umworbene zum Werber (Arbeitskollege, Verwandte, Nachbarn, Mitschüler usw.) steht, unter welchen Umständen der Appell erfolgt und welche Mitteln der Werber nutzt.377 Häufig werden in der Werbung unmittelbar Kinder und Jugendliche angesprochen, um sie nicht nur als Käufer zu gewinnen, sondern um durch die Angesprochenen die Kaufentscheidung Dritter zu beeinflussen (sog. Kinder als Kaufmotivatoren).378 Die Rechtsprechung beurteilte diese Werbeformen am Maßstab der potentiellen Käufer, also z.B. der erwachsenen Eltern.379 Dagegen stellten Teile der Literatur auch auf die Relevanz der kindlichen
169
_____
374 BGH 10.2.1994 – I ZR 16/92 – GRUR 1994, 443 – Versicherungsvermittlung im öffentlichen Dienst. 375 BGH 29.5.1963 – Ib ZR 155/61 – GRUR 1963, 578 – Sammelbesteller; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 6.25; a.A. Fezer/Büscher/Obergfell/Steinbeck Anh. 2 § 4a Rn. 485, die allerdings Sammelbesteller nicht als Laienwerber einordnet. 376 BGH 29.5.1963 – Ib ZR 155/61 – GRUR 1963, 578, 585 – Sammelbesteller; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 6.25; Fezer/Büscher/Obergfell/Steinbeck Anh. 2 § 4a Rn. 485. 377 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.78; Steinbeck, WRP 2008, 865. 378 Dazu näher Benz, WRP 2003, 1160, 1161; Brändel FS von Gamm, S. 9 f.; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 7.20; Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer § 4a Rn. 380 ff. 379 BGH 12.7.2007 – I ZR 82/05 – GRUR 2008, 183 Tz. 14 – Tony Taler; BGH 8.6.1956 – I ZR 175/54 – GRUR 1957, 40, 43 f. – Puppenservice.
Pahlow
556
H. Unzulässige Beeinflussung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3)
§ 4a
Vorstellung ab.380 Nimmt man die „Schiedsrichterrolle“ des Verbrauchers im Wettbewerb allerdings ernst, dann kommt es darauf an, wer als Reaktion auf eine geschäftliche Handlung die Nachfrageentscheidung zu treffen hat. In den Kaufmotivatorenfällen sind das insoweit nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern auch und vor allem die Eltern bzw. erwachsene Vertrauenspersonen als Vertragspartner.381 Stets unzulässig ist daher eine in der Werbung unmittelbar einbezogene Aufforderung an Kinder, ihre Eltern zum Erwerb einer Ware oder zur Inanspruchnahme einer Dienstleistung zu veranlassen (Nr. 28 Anhang § 3 Abs. 3). Soweit es daher das Ziel der geschäftlichen Handlung ist, durch Einschaltung der Kinder gleichsam als Absatzhelfer geschäftliche Entscheidungen der Eltern zu beeinflussen, kann daher nur § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3, Abs. 1 S. 3 oder § 3 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Beurteilungsmaßstab sein.382 Es kommt darauf an, ob der von Kindern und Jugendlichen ausgeübte Druck auf die 171 Eltern ein solches Ausmaß erreicht, dass darin eine unzulässige Beeinflussung nach Art. 2 lit. j) UGPRL gesehen werden kann. Das ist in der Regel zu verneinen. Es gehört zu den Grundlagen jeder Erziehung, Kindern verständlich zu machen, dass nicht alle Wünsche erfüllt werden können. Ein vernünftiger Erziehungsberechtigter ist daher im Allgemeinen in der Lage, Kaufwünschen seiner Kinder und Jugendlichen auch ablehnend gegenüberzustehen. Eine Machtposition des Werbenden, oder gar der Kinder und Jugendlichen i.S.d. Art. 2 lit. j) UGPRL, kann daher nicht angenommen werden. Veranstaltet ein Spielzeughersteller einen Kindergarten-Malwettbewerb, bei dem möglichst viele Kinder teilnehmen sollen und die Geschenke dem Kindergarten zugutekommen, handelt es sich noch nicht um einen Druck kraft solidarischer Verbundenheit mit dem Kindergarten. Zwar mag es die Eltern veranlassen, ihre Kinder an dem Malwettwerb teilnehmen zu lassen; das genügt aber nicht, um die Eltern derartig unter Druck zu setzen, dass sie im Ergebnis gezwungen sind, Produkte des Veranstalters zu erwerben.383 Eine Unlauterkeit kommt in solchen Fällen daher nur ausnahmsweise aufgrund be- 172 sonderer Umstände in Betracht.384 Darunter fällt z.B. die Ausnutzung eines Gruppenzwangs bei den angesprochenen Kindern und Jugendlichen385. Wirbt ein Unternehmen gegenüber Schülern für seine Produkte mit einem Punktesystem, deren Punkte in der Schule gesammelt werden sollen und für die Prämien (z.B. Spende von Sportgeräten, verbilligte Klassenreisen) in Aussicht gestellt werden, schafft dies dagegen einen Gruppenzwang zu solidarischem Verhalten innerhalb der Klassen. Dieser Druck kann von den Schülern an die Eltern weitergegeben werden. Das kann zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit der Schüler und ihrer Eltern führen.386 Gibt ein Förderverein einer Schule allerdings Kaufempfehlungen für einen be- 173 stimmten Buchhändler ab, von dem er selbst – abhängig vom monatlichen Umsatz – 5– 9% des Kaufpreises als Provision erhält, liegt darin keine unzulässige Beeinflussung der Eltern.387 Ein Gruppenzwang scheidet aus, weil der Kauf über den Link auf der Internet-
_____
380 So Benz WRP 2003, 1160, 1166; Brändel FS von Gamm, S. 9, 16; Eisenhardt WRP 1997, 283, 290. 381 Dembowski FS Ullmann, S. 599, 600 f.; Harte/Henning/Picht/Stuckel § 4a Rn. 134. 382 BGH 12.7.2007 – I ZR 82/05 – GRUR 2008, 183 Tz. 14 – Tony Taler; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.78 u. § 3 Rn. 7.20; Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer § 4a Rn. 381; anders dagegen Harte/Henning/Picht/Stuckel § 4a Rn. 134. 383 Anders noch BGH 3.11.1978 – I ZR 90/77 – GRUR 1979, 157, 158 – Kindergarten-Malwettbewerb. 384 BGH 12.7.2007 – I ZR 82/05 – GRUR 2008, 183 Tz. 17 – Tony Taler; BGH 6.7.2006 – I ZR 145/03 – GRUR 2006, 949 Tz. 19 – Kunden werben Kunden; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.78. 385 BGH 12.7.2007 – I ZR 82/05 – GRUR 2008, 183 Tz. 19 – Tony Taler. 386 BGH 12.7.2007 – I ZR 82/05 – GRUR 2008, 183 Tz. 19 ff. – Tony Taler; OLG Celle 21.7.2005 – 13 U 13/05 – GRUR-RR 2005, 387, 388 – Klassensparbuch. 387 BGH 21.7.2016 – I ZR 127/15 – GRUR 2017, 199 Tz. 31 ff. – Förderverein.
557
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
seite des Fördervereins anonym bleibt.388 Auch ein Verstoß gegen das BuchpreisBindG erfolgt hier nicht, da es nicht um eine Verhinderung des Preiswettbewerbs gegenüber den Letztabnehmern ging.389 Eine unlautere Druckausübung auf die Eltern liegt auch nicht darin, dass beim Kauf bei einem anderen Buchhändler die Begünstigung der eigenen Kinder unterbleibe.390 Der bloße Appell an die Hilfsbereitschaft und Solidarität gegenüber einer unbe174 stimmten Vielzahl von Verbrauchern (z.B. Werbung für Blindenwaren oder Werbung mit dem Versprechen einen Teil des Verkaufserlöses für gute Zwecke zur Verfügung zu stellen) reicht grundsätzlich nicht aus, um eine Machtposition gegenüber dem Verbraucher zu begründen.391 175
2. Verbrauchergeneralklausel (§ 3 Abs. 2). Zur Verbrauchergeneralklausel vgl. § 3 Rn. 720 ff. VIII. Versteigerungen
1. Begriff und Erscheinungsformen. Versteigerungen erfreuen sich als besondere Absatzform durch die Unterstützung des Internets zunehmender Beliebtheit. Grundsätzlich wird bei einer Versteigerung das Geschäft mit dem Meistbietenden abgeschlossen, wobei der Vertrag i.d.R. erst durch den Zuschlag zustande kommt (§ 156 S. 1 BGB). Im Verkehr haben sich inzwischen unterschiedliche Formen etabliert: Bei der öffentlichen Versteigerung (vgl. §§ 383, 753, 966, 979, 983, 1219, 1233 BGB; §§ 373, 376 HGB; § 815 ZPO) wird das Bieterverfahren durch eine hoheitliche Institution durchgeführt. Bei den sog. freiwilligen Versteigerungen (Auktion) handelt es sich dagegen um private Versteigerungen, die auch in Form umgekehrter Versteigerungen möglich sind. Dabei ermäßigt sich der Preis in gewissen Zeitabständen solange, bis jemand die Ware oder die Dienstleistung erwirbt.392 Gewerbsmäßige Versteigerungen sind grundsätzlich genehmigungspflichtig (§ 34b GewO). Davon zu unterscheiden sind sog. Internetauktionen, bei denen das Höchstgebot nicht in einem offenen Bieterwettbewerb bestimmt wird, sondern der Verkauf erfolgt an denjenigen, der innerhalb eines bestimmten Zeitraums das höchste Gebot abgegeben hat.393 Beim Powershopping beteiligen sich mehrere Kaufinteressenten zwecks Erzielung 177 eines für die Teilnehmer möglichst günstigen Kaufpreises an einer Internet-Verkaufsveranstaltung. Der Powershopping-Anbieter offeriert dem Kunden innerhalb eines bestimmten Zeitraums eine bestimmte Ware mit einer bestimmten Stückzahl zum Kauf mit der Maßgabe, dass dem als Ausgangspreis genannten normalen Grundpreis (z.B. 1.000 Euro) je nach der Anzahl der sich einfindenden Warenkäufer (10, 20, 30 usw. bis 60 Käufer) Abschläge in einer bestimmten angegebenen Höhe (100, 200, 300 usw. bis 600 Euro) gewährt werden, sodass sich der günstigste Preis auf eine bestimmte Euromenge ein-
176
_____
388 BGH 21.7.2016 – I ZR 127/15 – GRUR 2017, 199 Tz. 37 – Förderverein. 389 BGH 21.7.2016 – I ZR 127/15 – GRUR 2017, 199 Tz. 39 – Förderverein; KG 2.6.2015 – 5 U 108/14 – GRUR-RR 2016, 126 – Afiliate-Programm; dazu auch Büscher GRUR 2017, 105, 111; Mees GRUR 2012, 353. 390 BGH 21.7.2016 – I ZR 127/15 – GRUR 2017, 199 Tz. 35 – Förderverein. 391 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.78. 392 BGH 13.11.2003 – I ZR 40/01 – GRUR 2004, 249, 251 – Umgekehrte Versteigerung im Internet; OLG Hamburg 25.4.2002 – 3 U 190/00 – GRUR-RR 2002, 232 – Umgekehrte Internet-Auktion; OLG Hamburg 7.12.2000 – 3 U 116/00 – GRUR-RR 2001, 113 – Befristete Verkaufsaktion. 393 OLG Frankfurt a.M. 1.3.2001 – 6 U 64/00 – GRUR-RR 2001, 317 – Internet-„Auktion“; Fritzsche/Frahm WRP 2008, 22; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 8.88; zur zivilrechtlichen Beurteilung vgl. auch BGH 7.11.2001 – VIII ZR 13/01 – NJW 2002, 363; KG 15.8.2001 – 29 U 30/01 – NJW 2002, 1583; Lettl JuS 2002, 219.
Pahlow
558
H. Unzulässige Beeinflussung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3)
§ 4a
stellt.394 In keinem Fall ist aber mehr als der für die gewählte Preisstufe festgesetzte Preis zu entrichten. Derartige Vertriebssysteme verbinden zum einen das Interesse des Verkäufers an einer Steigerung des Warenabsatzes, zum anderen das Interesse des Käufers an möglichst niedrigen Preisen, die der Powershopping-Anbieter gewähren kann, weil er aufgrund der durch die Nachfragebündelung erreichten Absatzsteigerungen bei seinem Lieferanten Mengennachlässe erzielt, die eine Verbilligung der Ware je nach Beteiligung der Kaufinteressenten am Powershopping ermöglichen. Typischerweise werden beim Powershopping daher stufenweise Preise gebildet, je nach der Anzahl der Käufer, begrenzt durch die Stückzahl und die Dauer der Veranstaltung.395 2. Lauterkeitsrechtliche Beurteilung a) Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3). Versteige- 178 rungen gegenüber Verbrauchern stellen grundsätzlich keine „unzulässige Beeinflussung“ (Art. 2 lit. j) UGPRL) dar; insoweit scheidet eine Unlauterkeit gegenüber Verbrauchern nach § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3, Abs. 1 S. 3 regelmäßig aus.396 Das gilt auch für sog. umgekehrte Versteigerungen trotz des von ihnen ausgehenden aleatorischen Charakters.397 Denkbar ist eine Unlauterkeit allerdings dann, wenn der Anbieter seinen Kunden „Sonderauktionen“ anbietet, indem er dem Gewinner die Rückerstattung verbrauchter Gebotsrechte oder gar den Erlass des eigentlich zu zahlenden Kaufpreises verspricht bzw. nur ein in dem Angebot genannter „Festpreis“ von z.B. € 1 zu zahlen ist und nicht der Auktionsendpreis. Scheinbar wird für den Verbraucher damit das finanzielle Risiko reduziert: je länger man bietet, desto höher scheint die Gewinnchance und desto geringer das finanzielle Risiko zu sein. Freilich gilt das nicht für den nicht zum Zuge kommenden Verlierer einer Auktion, sondern nur für den sog. Gewinner. Gesteigert wird dieser Effekt teils auch durch werbende Hinweise darauf, dass ein gleichartiges Produkt zuletzt zu einem besonders günstigen Preis versteigert worden ist, z.B. ein Fünfhunderteuroschein für € 23,30.398 Allerdings sollte hier weniger auf die alte Fallgruppe des übertriebenen Anlockens399 als vielmehr auf einen Verstoß gegen das Transparenzgebot und damit auf eine Irreführung (§§ 5, 5a) abgestellt werden. Seit Aufhebung des RabattG ist auch das sog. Powershopping grundsätzlich unbe- 179 denklich. Mögliche Preisnachlässe von 40 oder 50% machen das Vertriebssystem nicht per se unlauter.400 Auch führt dieses System nicht dazu, dass Kaufinteressenten psychisch in eine Situation gedrängt würden, in der die Kaufentschließung nicht mehr von einer sachlichen Abwägung abhängt, der Käufer vielmehr unter einen unzulässigen Zeitdruck und Entschließungszwang gesetzt oder dessen Spiellust ausgenutzt würde.401 Eine solche Einordnung ist vor dem Hintergrund des gewandelten Verbraucherleitbildes nicht mehr überzeugend (oben Rn. 21 ff.).402 Es widerspräche auch der Rechtsprechung
_____
394 OLG Hamburg 18.11.1999 – 3 U 230/99 – WRP 2000, 412, 412 f. – Powershopping, mit einer „Anleitung“. 395 Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 97; Leible/Sosnitza ZIP 2000, 732, 733. 396 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 8.89; Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 95. 397 A.A. noch LG Dresden 24.9.2002 – 43 O 0187/02 – WRP 2003, 403 – Umgekehrte Versteigerung. 398 Fritzsche/Frahm WRP 2008, 36 m.w.N. 399 In diese Richtung Fritzsche/Frahm WRP 2008, 22, 36. 400 Ohly/Sosnitza, § 4a Rn. 98. 401 OLG Köln 1.6.2001 – 6 U 204/00 – GRUR-RR 2002, 40, 41 f. – Powershopping; Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 99. 402 Leible/Sosnitza ZIP 2000, 732, 736.
559
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
zu den ähnlich gelagerten umgekehrten Versteigerungen, die die Rechtsprechung ebenfalls für unbedenklich hält.403 Preisangabenrechtlich liegt auch das Powershopping nicht außerhalb der lau180 terkeitsrechtlichen Transparenzkriterien. Das Angebot enthält sowohl den Ausgangspreis als auch die unter der aufschiebenden Bedingung des Erreichens der vorgelegten Einkaufsgruppengrößen stehenden etwaigen weiteren Preise.404 Vielmehr geht es um die Angabe fester Preise und der jeweiligen Voraussetzungen, unter denen diese gelten. Der Normzweck der PAngV, der Verbraucherinformation durch Preistransparenz, Preisklarheit und Preiswahrheit sicherstellen will, wird dadurch nicht beeinträchtigt.405 Zwar ist die Beurteilung nach § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3 gegenüber sonstigen Marktteilnehmern nicht an die richtlinienkonforme Auslegung der UGPRL gebunden, doch wird auch hier die lauterkeitsrechtliche Beurteilung nicht anders ausfallen. 181
b) Irreführung. Versteigerungen können u.U. irreführend und damit unlauter sein. Dafür genügt es allerdings nicht, wenn die Bezeichnung „Auktion“ oder „Versteigerung“ für Verkäufe im Internet auftaucht, obwohl es sich um keine herkömmliche Versteigerung i.S.d. § 34b GewO handelt und sie damit nicht den Regeln der Versteigerungsverordnung unterliegt. Da der Begriff im Laufe der Zeit vieldeutig geworden ist und der Erwerb sich nach den konkreten Versteigerungsbedingungen richtet, kann nicht ohne weiteres von einer irreführenden Angabe ausgegangen werden.406 Irreführend ist es aber, wenn eine öffentliche Versteigerung vorgetäuscht wird, während es sich in Wahrheit um eine private Versteigerung handelt.407 Denn bei einer amtlichen Versteigerung rechnet der Verbraucher mit besonders günstigen Erwerbschancen, da sie gewöhnlich ohnehin unter dem gewöhnlichen Verkehrswert angeboten werden.
182
c) Rechtsbruch (§ 3a). § 34b Abs. 6 GewO stellt eine Marktverhaltensregelung zugunsten von Verbrauchern dar, bei deren Verstoß zugleich nach § 3a vorgegangen werden kann. Näher unter § 3a Rn. 169.
183
d) Verbrauchergeneralklausel (§ 3 Abs. 1, Abs. 2 S. 1). Versteigerungen gehören heute zu einem anerkannten Instrument des Vertriebs und begründen daher für sich keinen Verstoß gegen die unternehmerische Sorgfalt nach § 3 Abs. 2 S. 1. Das gilt auch für umgekehrte Versteigerungen, die sich in ihrem Charakter nicht von öffentlichen oder freiwilligen Versteigerungen unterscheiden. Eine umgekehrte Versteigerung ist grundsätzlich nicht wettbewerbswidrig, wenn der Zuschlag für den Teilnehmer nicht verbindlich ist, er vielmehr die freie Wahl hat, ob er den ersteigerten Gegenstand erwerben will.408 Ähnliches gilt für sog. Internet-Auktionen, wenn der Verkäufer mehrere Preisstufen angibt und je nach Gesamtabnahme durch mehrere Käufer (PowerShopping; Community-Shopping) einen niedrigeren Preis anbietet.409 Entsprechend sind
_____
403 BGH 13.11.2003 – I ZR 40/01 – GRUR 2004, 249, 251 – Umgekehrte Versteigerung im Internet. 404 Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 100. 405 Ohly/Sosnitza aaO. 406 OLG Frankfurt a.M. 1.3.2001 – 6 U 64/00 – GRUR-RR 2001, 317 – Internet-„Auktion“. 407 BGH 3.3.1988 – I ZR 69/86 – GRUR 1988, 838 – Kfz-Versteigerung; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 8.91. 408 BGH 13.11.2003 – I ZR 40/01 – GRUR 2004, 249, 251 – Umgekehrte Versteigerung im Internet. 409 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 8.93; Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 95; zu § 1 a.F. vgl. OLG Hamburg 25.4.2002 – 3 U 190/00 – GRUR-RR 2002, 232 – Umgekehrte Internet-Auktion; Ladeur Rn. 142 ff.; Leible/ Sosnitza ZIP 2000, 732, 735 f.
Pahlow
560
I. Feststellung der Aggressivität (§ 4a Abs. 2)
§ 4a
solche Absatzmaßnahmen auch nicht geeignet, die Fähigkeit des Verbrauchers, sich aufgrund von Informationen zu entscheiden, spürbar zu beeinträchtigen. Ausnahmen können sich freilich dann ergeben, wenn sich die Maßnahme speziell an eine Gruppe schutzbedürftiger Verbraucher richtet (§ 3 Abs. 2 S. 3). Außerhalb dieser besonderen Verkehrskreise wird sich der informierte, situationsadäquat aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher nicht durch das aleatorische Moment von einer reiflichen Prüfung der Preiswürdigkeit eines Angebots unter Vergleich mit Konkurrenzangeboten abhalten lassen.410 Er wird sich dabei auch nicht dadurch beeinträchtigen lassen, dass er befürchten muss, dass potentielle Mitstreiter ihm bei weiterem Zuwarten zuvorkommen könnten, da es sich dabei um das Wesen eines jeden Angebots gegenüber einem bestimmten Gegenstand und damit um das normale Risiko einer Versteigerung handelt.411 I. Feststellung der Aggressivität (§ 4a Abs. 2) I. Feststellung der Aggressivität (§ 4a Abs. 2) I. Normzweck und Systematik § 4a Abs. 2 S. 1 normiert Beurteilungskriterien für die Feststellung der Aggressivi- 184 tät. Die Vorschrift stellt fünf Kriterien auf, aufgrund derer eine geschäftliche Handlung als „aggressiv“ im Sinne des § 4a Abs. 1 S. 2 charakterisiert werden kann. Umstr. ist, ob die fünf Beurteilungskriterien abschließend sind. Die überwiegende Auffassung im Schrifttum spricht sich dagegen aus412 und beruft sich auf die Sprachfassung des Art. 9 UGPRL (englisch „account shall be taken off“; frz.; „sans prix en considération“). Gemeint ist also nichts anderes, als dass diese fünf Kriterien zu berücksichtigen sind, nicht aber, dass es ausschließlich auf sie ankäme. Ihnen kommt lediglich Indizwirkung zu.413 Sosnitza414 verweist zudem auf den Wortlaut des Art. 8 UGPRL („unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände“) sowie die begrenzte und zum Teil sehr spezielle Auflistung, in der beispielsweise die Umstände der Marktverhältnisse oder der Art der Ware oder Dienstleistung fehlen. Die Bestimmung enthält keinen Hinweis darüber, wann daraus eine erhebliche Be- 185 einträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers oder sonstigen Marktteilnehmers folgt. Grundsätzlich gilt, dass die Aggressivität einer geschäftlichen Handlung umso eher diese Eignung angenommen werden kann, je schwerer bzw. intensiver die negativen Umstände wiegen. Die unterschiedlichen Kriterien stehen in einem Verhältnis der Wechselwirkung zueinander: Sowohl ein einzelner, schwerwiegender Umstand als auch die Kombination mehrerer, weniger intensiver Kriterien können die Aggressivität begründen; es ist also stets eine Abwägung und Gewichtung aller Umstände des Einzelfalles erforderlich. Da aus Art. 9 UGPRL bzw. § 4a Abs. 2 S. 1 nicht eindeutig hervorgeht, welche der fünf Beurteilungskriterien für welches Mittel (§ 4a Abs. 1 S. 1 Nr. 1–3) relevant sein können, ist von einem flexiblen System auszugehen. In der Regel wird im Falle von § 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 u. 4 zugleich eine erhebliche Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit gegeben sein.415 § 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ist für alle drei Mittel des § 4a
_____
410 BGH 13.11.2003 – I ZR 40/01 – GRUR 2004, 249, 251 – Umgekehrte Versteigerung im Internet; BGH 13.3.2003 – I ZR 212/00 – GRUR 2003, 626, 627 – Umgekehrte Versteigerung II. 411 BGH aaO; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 8.93. 412 MünchKommUWG/Micklitz EG D Rn. 27; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.83; Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 147; a.A. Scherer GRUR 2016, 239 (die aber in § 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 eine „Auffangfunktion“ sehen will). 413 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.83. 414 Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 147. 415 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.82.
561
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
Abs. 1 relevant, § 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 5 dagegen nur für die Nötigung. Bei § 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 2 kommt eine Drohung bei allen Mitteln des § 4a Abs. 1 in Betracht, bei § 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 und 4 wohl nur die unzulässige Beeinflussung. II. Handlungsbezogene Umstände (Nr. 1) 186
Das Kriterium „Zeitpunkt, Ort, Art und Dauer der Handlung“ folgt bereits aus dem Gebot der „Berücksichtigung aller Umstände“ im konkreten Fall (§ 4a Abs. 1 S. 2 bzw. Art. 8 UGPRL) und kann bei allen Mitteln ein aggressives Handeln begründen. Diesem Kriterium kommt erhebliche praktische Bedeutung zu. Der Zeitpunkt bezieht sich auf die Vornahme der geschäftlichen Handlung und kann beispielsweise dann unlauter sein, wenn eine Werbemaßnahme bestimmte Karenzzeiten zu beachten hat. Nach Nr. 1 kann daher eine Bestattungswerbung innerhalb der ersten zwei Wochen nach dem Todesfall unlauter sein, ohne dass es noch auf Nr. 3 zwingend ankäme.416 Auch kann ein unerbetener Hausbesuch in den Abendstunden im Hinblick auf Ort und Zeitpunkt der Handlung eine relevante Belästigung begründen.417 Der Ort spielt etwa beim Ansprechen von Kunden eine besondere Rolle: Während ein solches Ansprechen innerhalb von Geschäftsräumen grundsätzlich als zulässig erachtet wird, gilt dies im öffentlichen Verkehrsraum außerhalb von Jahrmärkten, Wochenmärkten und Messen nur dann, wenn der Werbende als solcher erkennbar ist.418 Die Art bezieht sich darauf, „wie“ die geschäftliche Handlung vorgenommen wird. Die Dauer betrifft den zeitlichen Umfang der konkreten Handlung, z.B. einer Werbeaktion. Hiervon werden auch „hartnäckige“ bzw. wiederholte Handlungen umfasst (vgl. Nr. 26 Anhang 1 UGPRL).419 III. Drohungen oder Beleidigungen (Nr. 2)
Auch Drohungen und Beleidigungen können bei allen Mitteln des § 4a Abs. 1 S. 2 deren Aggressivität begründen. Drohende Formulierungen oder Verhaltensweisen können bei der Prüfung der Nötigung und der unzulässigen Beeinflussung, beleidigende Formulierungen oder Verhaltensweisen insbesondere bei der Prüfung der Belästigung von Bedeutung sein. Ob eine Formulierung oder eine Verhaltensweise beleidigend oder drohend ist, ist zunächst aus der Sichtweise der angesprochenen Verkehrskreise zu beurteilen (§ 3 Abs. 4 S. 2). Die Drohung muss – anders als bei § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 – für sich gesehen nicht rechtswidrig sein.420 Es können daher auch bewusst unbestimmte Formulierungen einen drohenden Charakter annehmen, sofern sie die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers beeinträchtigen können. Auch die Drohung mit einer rechtlich zulässigen Handlung (Vertragsbeendigung) kann ausnahmsweise die Aggressivität begründen, wenn die Handlung im Verhältnis zum objektiv erkennbaren Zweck der Handlung nicht interessengerecht erscheint.421 188 Unerheblich ist es, gegen wen die Drohung oder Beleidigung gerichtet ist. Die Drohung oder Beleidigung muss aber geeignet sein, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Die Unterscheidung von Formulierungen und Verhaltensweisen zeigt, 187
_____ 416 417 418 419 420 421
BGH 22.4.2010 – I ZR 29/09 – GRUR 2010, 1113 Tz. 16 – Grabmalwerbung. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.85. BGH 1.4.2004 – I ZR 227/01 – GRUR 2004, 699, 700 – Ansprechen in der Öffentlichkeit I. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.85. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.86; a.A. Scherer GRUR 2016, 233, 239. Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 155; a.A. Scherer GRUR 2016, 239.
Pahlow
562
I. Feststellung der Aggressivität (§ 4a Abs. 2)
§ 4a
dass es auch unerheblich ist, ob die Drohung bzw. Beleidigung ausdrücklich oder konkludent erfolgt.422 § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 sieht für die Drohung mit rechtlich unzulässigen (d.h. rechts- 189 widrigen) Handlungen einen eigenen Tatbestand vor, der von Nr. 2 vollständig umfasst ist.423 Eine eigenständige Bedeutung kommt der Vorschrift daher nicht zu. Dazu zählt insbesondere das in Aussicht stellen von Vertragsbrüchen, wie ungerechtfertigte Nichtbelieferungen oder Erhebungen zu hoher Entgelte. IV. Unglückssituationen und Umstände von solcher Schwere (Nr. 3) 1. Situative Kriterien. § 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 begründet die Aggressivität einer ge- 190 schäftlichen Handlung dadurch, dass ein gezieltes Ausnutzen von konkreten Unglückssituationen oder Umständen von solcher Schwere vorliegt, dass sie das Urteilsvermögen des Verbrauchers oder sonstigen Marktteilnehmers beeinträchtigen. Die beanstandete geschäftliche Handlung muss dazu geeignet sein, die Rationalität der Nachfrageentscheidung der angesprochenen Verbraucher vollständig in den Hintergrund treten zu lassen.424 Wird dagegen eine Preisreduzierung von zwei Euro für jede eins im Zeugnis versprochen, wird also Ehrgeiz und Stolz der Werbeadressaten ausgenutzt, liegt darin keine Aggressivität im Sinne der Nr. 3.425 Dieses Beurteilungskriterium kann vor allem bei der Prüfung der unzulässigen Beeinflussung im Sinne des § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3 (Ausnutzung einer Machtposition zur Ausübung von Druck) eine Rolle spielen. Konkrete Unglückssituationen sind plötzlich eintretende, vom normalen Lauf der 191 Dinge abweichende Ereignisse, die für den betroffenen Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer erhebliche Nachteile oder Belastungen mit sich bringen. Sie müssen objektiv vorliegen und von einer solchen Schwere sein, dass sie das Urteilsvermögen beeinträchtigen können.426 Das können u.a. Unfälle mit einem Kraftfahrzeug (Werbung am Unfallort), ein erheblicher Hausbrand, Naturkatastrophen oder eine sonstige Notsituation sein. Ob die Personen die Unglückssituationen selbst herbeigeführt oder verschuldet haben oder nicht, ist dabei unerheblich. Allerdings muss es sich um eine konkrete Unglückssituation handeln, d.h. ein einzelnes Ereignis darstellen. Von Nr. 3 ausgenommen sind andauernde Zustände, die als Unglück empfunden werden, wie beispielsweise zunehmende Klimaverschlechterung, Kriminalität, Geldentwertung, Altersarmut.427 Umstände von solcher Schwere sind in ihrer Wirkung einem Unglück vergleich- 192 bare negative oder positive Ereignisse, die sich wiederum auf das Urteilsvermögen des Verbrauchers bei einer anstehenden geschäftlichen Entscheidung auswirken können. Darunter fallen z.B. Börsenkrach, ein Lottogewinn, der Tod eines nahen Angehörigen, die Geburt eines Kindes oder der Verlust eines Arbeitsplatzes oder der eigenen Wohnung.428
_____
422 Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 154. 423 Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 155 und 189; Scherer GRUR 2016, 239. 424 BGH 19.3.2015 – I ZR 157/13 – GRUR 2015, 1134 Tz. 14 – Schufa-Hinweis; BGH 3.4.2014 – I ZR 96/13 – GRUR 2014, 1117 Tz. 27 – Zeugnisaktion. 425 BGH 3.4.2014 – I ZR 96/13 – GRUR 2014, 1117 Tz. 27 – Zeugnisaktion. 426 Scherer GRUR 2016, 239; Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 157; Apetz, S. 517 f. 427 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.89. 428 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.90.
563
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
2. Verbraucherschützende Kriterien nach § 4a Abs. 2 S. 2 193
a) Entstehungsgeschichte. § 4a Abs. 2 S. 2 erweitert die situativen Umstände, die nach § 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 zu berücksichtigen sind (oben Rn. 190), um in der Person des Adressaten liegende Besonderheiten. § 4a Abs. 2 S. 2 wurde erst aufgrund der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zur UWG-Novelle 2015 in das Gesetz aufgenommen (oben Rn. 1). Damit sollte sichergestellt werden, dass die bisher in § 4 Nr. 2 „gesondert geschützten besonders verletzbaren Verbraucher auch nach § 4a angemessen vor aggressiven geschäftlichen Handlungen geschützt sind“.429 Vor allem die Verbraucherschutzverbände befürchteten, dass die Aufhebung des § 4 Nr. 2 a.F. eine Absenkung des bisherigen Verbraucherschutzniveaus zur Folge haben würde.430 Das gilt vor allem für die früher in § 4 Nr. 2 erfassten Merkmale „Alter“, „geschäftliche Unerfahrenheit“, „Leichtgläubigkeit“, „Angst“, „Zwangslage“.
b) Richtlinienkonformität. § 4a Abs. 2 S. 2 konkurriert mit § 3 Abs. 4 S. 2, der Art. 5 Abs. 3 UGPRL umsetzt. Anders als § 3 Abs. 4 S. 2 bezieht § 4a Abs. 2 S. 2 zusätzlich die „geschäftliche Unerfahrenheit“, die „Angst“ und die „Zwangslage“ von Verbrauchern ein, die weder in Art. 5 Abs. 3 UGPRL noch Art. 9 lit.c UGPRL enthalten sind. Zudem sei § 4a Abs. 2 S. 2 auf das Beurteilungskriterium des § 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 beschränkt, der ein „bewusstes Ausnutzen“ verlangt, wohingegen § 3 Abs. 4 S. 2 auf alle verbraucherrelevanten Tatbestandsmerkmale des § 4a Abs. 1 Anwendung finde.431 Einige sehen darin einen Verstoß gegen das Gebot der richtlinienkonformen Umsetzung, da § 4a Abs. 2 S. 2 insoweit mit Art. 5 Abs. 3 S. 1 und Art. 9 lit. c) UGPRL unvereinbar sei.432 Die Bestimmung sei „entbehrlich“, da der Regelungszweck durch § 3 Abs. 2 in Verbindung mit § 3 Abs. 4 S. 2 ein viel schärferes Schwert zum Schutz der besonders schutzbedürftigen Verbraucher zur Verfügung stelle als § 4a.433 Folglich sei § 4a Abs. 2 S. 2 mit Art. 5 Abs. 3, Art. 8 und 9 lit. c) UGPRL „unvereinbar“ und richtlinienkonform in der Weise auszulegen, dass sie nicht auf „geistige und körperliche Beeinträchtigungen, das Alter, die geschäftliche Unerfahrenheit, die Leichtgläubigkeit“ von Verbrauchern angewendet werden könne.434 Der Gesetzgeber wollte mit § 4a Abs. 2 S. 2 aber nicht den Verbraucherschutz be195 schränken, sondern klarstellend auch im Rahmen des § 4a verankern und unterstreichen. Von daher besteht kein unmittelbarer Grund, § 4a Abs. 2 S. 2 um personenbezogene Kriterien zu kürzen bzw. auf situative Merkmale zu reduzieren. Vielmehr muss die Regelung in der Weise richtlinienkonform ausgelegt werden, dass keine Inkohärenzen mit Art. 3 Abs. 4 S. 2 entstehen. Das deren Ergebnis eine deklaratorische „Doppelregelung“ als Ausdruck des gesetzgeberischen Willens hervorbringt, erscheint nicht unverhältnismäßig und auch nicht europarechtswidrig.435 Eine konsistente Abgrenzung zwischen Art. 5 Abs. 3 UGPRL/§ 3 Abs. 4 UWG und 196 Art. 9 lit.c) UGPRL/§ 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 2 S. 2 kann ohnehin kaum gefunden wer-
194
_____
429 BT-Drucks. 18/6571, S. 15. 430 Vgl. WRP 2015, 177. 431 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 2.9. 432 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 2.11; Köhler NJW 2016, 593, 596; Fritzsche WRP 2016, 1 Rn. 47; relativierend wohl ders., FS Fezer, 885, 899, wonach § 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 in Verbindung mit S. 2 die Vorgaben der UGPRL „eher zum Ausdruck“ bringt als § 4 Nr. 2 a.F.; a.A. Scherer WRP 2016, 1441. 433 Schaffert, FS Büscher, 2018, S. 373, 376. 434 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 2.11. 435 Scherer GRUR 2016, 233, 242; dies. WRP 2016, 1441 Rn. 16; Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 159 f.; Ohly GRUR 2016, 3, 5.
Pahlow
564
I. Feststellung der Aggressivität (§ 4a Abs. 2)
§ 4a
den. Die in Art. 9 lit.c UGPRL bzw. § 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 2 S. 2 genannten „Umstände“ können nicht strikt getrennt werden von Defiziten oder Befindlichkeiten in der Person des Adressaten. Von daher sind durchaus auch geistige oder körperliche Beeinträchtigungen bzw. altersbedingte Defizite unter § 4a Abs. 2 S. 2, Abs. 2 S. 1 Nr. 3 zu erfassen.436 Auch die Auffassung, die eine Abgrenzung zwischen der Schutzbedürftigkeit gemäß Art. 9 lit.c) und Art. 5 Abs. 3 vornehmen will, kann kaum schlüssig erklären, warum zwar eine länger dauernde, schwere Krankheit als „Umstand“ im Sinne des Art. 9 lit. c) UGPRL anzusehen sei, nicht aber altersbedingte Ausfallerscheinungen oder jugendliche Unerfahrenheit. Ganz abgesehen davon, dass Altersdemenz u.a. als Krankheit angesehen wird, sind alle genannten Defizite gleichermaßen keine äußeren Umstände. Zudem stellen sie tendenziell dauerhafte Beeinträchtigungen dar, da sie sich allenfalls sehr langsam verändern. §§ 4 Abs. 2 S. 2, Abs. 2 S. 1 Nr. 3 erfassen also sowohl situative wie auch personengebundene Merkmale; richtigerweise ist nach § 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 i.V.m. § 3 Abs. 4 S. 2 bei der Prüfung, ob ein Umstand von solcher Schwere vorliegt, dass er das Urteilsvermögen des Verbrauchers beeinträchtigen kann, auf die Sicht eines durchschnittlichen Mitglieds dieser Gruppe besonders schutzbedürftiger Verbraucher abzustellen. § 4a Abs. 2 S. 2 stellt sich daher insgesamt als richtlinienkonform dar und enthält gegenüber § 3 Abs. 4 S. 2 lediglich eine unschädliche Doppelregelung, die kongruent zu § 3 Abs. 4 S. 2 UWG bzw. Art. 5 Abs. 3 UGPRL angewendet werden muss.437 Die Regelung des § 3 Abs. 4 beschränkt sich auf Verbraucher; sonstige Marktteil- 197 nehmer im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 (Unternehmen, Idealvereine, Stiftungen, Öffentliche Hand) genießen daher Schutz grundsätzlich nur nach § 4a Abs. 1, Abs. 2 S. 1. c) Geistige und körperliche Beeinträchtigungen. Das Merkmal der geistigen und 198 körperlichen Beeinträchtigungen erkennt auch Art. 5 Abs. 3 S. 1 UGPRL („geistige oder körperliche Gebrechen“) an. Sie müssen dazu führen, dass die Fähigkeit, eine informierte geschäftliche Entscheidung im Hinblick auf ein bestimmtes Produkt zu treffen, hinter der eines Durchschnittsverbrauchers deutlich zurückbleibt.438 Dementsprechend ist Analphabetismus und Sprachunkundigkeit ein relevantes Defizit von solchem Gewicht, dass die betreffende Verbrauchergruppe damit gehindert wird, sich relevante Informationen zu verschaffen. Damit können sie klar von den übrigen Verbrauchern abgegrenzt werden. Werden daher Verbraucher in Kenntnis dieser massiven Defizite vom Wettbewerber durch seine geschäftliche Handlung angesprochen, liegt eine Ausnutzung der Sprach-, Lese- und Schreibunkundigkeit vor.439 Verkaufsveranstaltungen in Aussiedleroder Asylantenwohnheimen oder ähnlich gelagerte Fälle, in denen die Adressaten schon der Sprache nicht mächtig sind, können nach §§ 4a Abs. 2 S. 2, Abs. 2 S. 1 Nr. 3 als unlauter angesehen werden.440 Ebenso können psychische Störungen (z.B. Depressionen, Autismus, Zwangsstö- 199 rungen) oder sonstige die Psyche beeinträchtigende Erkrankungen, wie Altersdemenz etc. massive Defizite begründen, die die betreffenden Verbraucher daran hindern, sich relevante Informationen zu verschaffen oder sie adäquat zu verarbeiten. Die Geschäftsfähigkeit als solche ist unerheblich, aber ein Indiz. Eine derartige Verbrauchergruppe ist demnach auch klar von den übrigen Durchschnittsverbrauchern abzugrenzen. Entspre-
_____
436 Scherer GRUR 2016, 233, 242. 437 Scherer WRP 2016, 1441 Rn. 16; Kirchhoff WRP 2015, 659 Rn. 26; Ohly GRUR 2016, 3, 5. 438 Fritzsche, FS Fezer, S. 886. 439 Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 161. 440 BGH 7.5.1998 – I ZR 85/96 – GRUR 1998, 1041, 1042 – Verkaufsveranstaltung in Aussiedlerheim; Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 167.
565
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
chendes gilt für Verbraucher mit bestimmten körperlichen Behinderungen, durch die ihre Fähigkeit, sich zu informieren oder die erhaltenen Informationen aufmerksam und verständig zu würdigen, schwerwiegend beeinträchtigt wird. Solche körperlichen Beeinträchtigungen wie etwa Blindheit, Taubheit oder starke Seh- oder Hörbehinderungen lassen ebenfalls eine klare Unterscheidung von den übrigen Durchschnittsverbrauchern zu.441 Werden derartige Verbraucher in Kenntnis der durch ihre Behinderung verminderten Informationsmöglichkeit im Wettbewerb angesprochen, ist dies unzulässig nach §§ 4a Abs. 2 S. 2, Abs. 2 S. 1 Nr. 3. Etwas anderes gilt freilich bei solchen Behinderungen, die keine Auswirkung auf die Fähigkeit des Verbrauchers haben, sich zu informieren und sich angemessen aufmerksam und verständig zu verhalten. Darunter fällt z.B. eine Querschnittslähmung oder eine Knieverletzung. Da derartige Behinderungen in keiner Weise zu einer reduzierten Informiertheit, Aufmerksamkeit und Verständigkeit führen können, können sie den Schutz des UWG nicht begründen.442 d) Alter. Das Tatbestandsmerkmal des „Alters“ hat der nationale Gesetzgeber im Zuge der Umsetzung der UGPRL eingeführt; es ist aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 UGPRL übernommen. Aus dem Gebot der richtlinienkonformen Auslegung folgt, dass sich das Tatbestandsmerkmal auf alle Personengruppen erstreckt, die altersbedingt vom normativen Maß des verständigen Durchschnittsverbrauchers abweichen. Das ist bezogen auf das Lebensalter zwar vor allem bei Kindern und Jugendlichen (Minderjährigen) denkbar; präziser ist es, diese Fälle unter das Merkmal der „geschäftlichen Unerfahrenheit“ (dazu unten Rn. 202 ff.) zu subsumieren. Soweit es um ältere Verbraucher (z.B. Senioren) geht, kann allein wegen des Alters in lauterkeitsrechtlicher Hinsicht keine besondere Schutzbedürftigkeit angenommen werden.443 201 Ein besonderer lauterkeitsrechtlicher Schutz käme nur dann in Betracht, wenn diese Personen über das bloße Alter hinaus nicht mehr die Kenntnisse und Fähigkeiten eines Durchschnittsverbrauchers besitzen würden und insoweit daher für bestimmte Geschäftspraktiken eine Schutzwürdigkeit anzunehmen wäre.444 Neben geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen (oben Rn. 198) kommt hierfür in Ausnahmefällen auch die geschäftliche Unerfahrenheit (Rn. 202ff.) bzw. Leichtgläubigkeit in Betracht. Beides ist aber dann von den entsprechenden Tatbestandsmerkmalen des § 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 2 S. 2 zu erfassen. Werden Senioren z.B. gezielt zu Verträgen mit Pflegeheimträgern veranlasst, indem gezielt ihre Angst angesprochen wird, in einer privaten Wohnung könne jederzeit etwas passieren, während in einem Pflegeheim schnelle Hilfe bereitstehe, kann darin ein unlauteres Ausnutzen der Angst liegen.445
200
202
e) Geschäftliche Unerfahrenheit. Geschäftliche Unerfahrenheit liegt dann vor, wenn eine personenbezogene Beeinträchtigung des eigenen Urteilsvermögens durch den Mangel an Lebenserfahrung einen Adressaten daran hindert, die wirtschaftliche Bedeutung bzw. Konsequenzen des eigenen geschäftlichen Handelns sachgerecht so einschätzen zu können wie ein verständiger Durchschnittsverbraucher des angesprochenen Verkehrskreises. Allerdings ist eine geschäftliche Handlung, die sich an solche Personen richtet, nicht per se unlauter. Die Maßnahme muss vielmehr geeignet
_____
441 442 443 444 445
Fritzsche FS Fezer, S. 886. Peterek S. 140; Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer § 4a Rn. 360 f.; dies. WRP 2008, 563, 568. juris-PK/Seichter § 4a Rn. 154; Yankova/Hoeren WRP 2011, 1236, 1241. Vgl. Erwägungsgrund Nr. 19 UGPRL; Fritzsche, FS Fezer, S. 887. Beispiel nach Burmeister/Alexander WRP 2009, 159, 167.
Pahlow
566
I. Feststellung der Aggressivität (§ 4a Abs. 2)
§ 4a
sein, die geschäftliche Unerfahrenheit auszunutzen (dazu oben Rn. 74).446 Maßgebend dafür ist stets die konkrete Lebenssituation. Diese Eignung fehlt allerdings dann, wenn der Werbende den Vertragsschluss erkennbar von der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters eines Minderjährigen (§ 107 BGB) oder des Betreuers eines Volljährigen (§ 1903 BGB) abhängig macht. Dagegen ist es unerheblich, dass der abzuschließende Vertrag mangels Einwilligung (§ 107 BGB) oder mangels Erfüllung (§ 110 BGB) zunächst nach § 108 BGB schwebend unwirksam ist.447 Denn die Eltern oder Betreuer als gesetzliche Vertreter können sich moralisch genötigt sehen, den abgeschlossenen Vertrag zu erfüllen, oder sie können die Unannehmlichkeiten einer Rückabwicklung (§§ 812 ff. BGB) scheuen.448 aa) Kinder und Jugendliche (1) Gesellschaftspolitische Dimension. Die Werbung gegenüber Kindern und Ju- 203 gendlichen ist ein gesellschaftliches Reizthema. Kinder und Jugendliche erfreuen sich in der Wirtschaft einer wachsenden Beliebtheit. Gleichzeitig mehren sich aber die kritischen Stimmen vieler Eltern, Pädagogen und Psychologen, die gegen die Werbeflut, die über Minderjährige hereinbricht, vorgehen. Aus einem zwar nachfühlbaren, aber nur schwer begründbaren Unbehagen heraus wird Werbung für Kinder als „unmoralisch“ abqualifiziert,449 oder von Verführung und Programmierung zum Konsum gesprochen,450 zuweilen werden sogar Werbeverbote gegenüber Minderjährigen gefordert.451 Obwohl man über diese Stimmen geteilter Meinung sein kann, hat der Gesetzgeber in den letzten Jahren doch den bestehenden Gefahren von Werbung gegenüber Minderjährigen Rechnung getragen (Rn. 205 ff.). Als Kinder werden lauterkeitsrechtlich grundsätzlich natürliche Personen bis zum 204 14. Lebensjahr erfasst.452 Für diese Altersbegrenzung lassen sich auch Hinweise in den gemeinschaftsrechtlichen Grundlagen finden. Vor allem die Bestimmungen der AVMDRL wie z.B. in Art. 9 Abs. 2 oder die Aussagen in Erwägungsgrund 47, 60 oder 61 sprechen dafür, dass hiervon nur Minderjährige bis zum 14. Lebensjahr erfasst werden. Auf diese Bestimmungen nimmt auch Nr. 28 S. 2 Anhang I zur UGPRL Bezug. Jugendliche sind demnach alle Verbraucher, die ab dem 14. bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres am Geschäftsverkehr teilnehmen.453 (2) Lauterkeitsrechtliche Beurteilung (a) Rechtsentwicklung. Werbung gegenüber Kindern und Jugendlichen wurde be- 205 reits unter der Generalklausel des § 1 a.F. streng beurteilt. Hierzu konnte auf relevante
_____
446 BGH 17.7.2008 – I ZR 160/05 – GRUR 2009, 71, 72 Tz. 14 – Sammelaktion für Schoko-Riegel; BGH 6.4.2006 – I ZR 125/03 – GRUR 2006, 776 Tz. 22 – Werbung für Klingeltöne; BGH 22.9.2005 – I ZR 28/03 – GRUR 2006, 161 Tz. 21 – Zeitschrift mit Sonnenbrille; OLG Frankfurt a.M. 4.8.2005 – 6 U 224/04 – GRUR 2005, 1064, 1065 – Lion-Sammelaktion; OLG Frankfurt a.M. 12.5.2005 – 6 U 24/05 – GRUR 2005, 782, 783 – Milchtaler. 447 Köhler FS Ullmann, S. 685, 688 f.; Mankowski GRUR 2007, 1013, 1015. 448 Lettl GRUR 2004, 449, 457. 449 Felser Trierer Psychologische Berichte 21 (1994), 1, 26. 450 Benz WRP 2003, 1160; Eicke S. 56 ff.; Felser, Trierer Psychologische Berichte 21 (1994), 1, 26. 451 Brändel FS v. Gamm, S. 9, 25; Bülow FS Piper, S. 121; Eisenhardt WRP 1997, 283, 293. 452 Vgl. Baukelmann FS Ullmann, S. 587, 589; Fuchs WRP 2009, 255, 263; Köhler FS Ullmann, S. 685, 698; ders. WRP 2008, 700, 703; ders. NJW 2008, 3032, 3033; Scherer WRP 2008, 430, 432; dies. NJW 2009, 324, 330; Sosnitza WRP 2008, 1014, 1026; a.A. Mankowski WRP 2007, 1398, 1404 f.; ders. in Bork/Repgen S. 51, 66 ff. (Personen unter 18 Jahren). 453 Fuchs WRP 2009, 255, 263; Köhler WRP 2008, 702 f.; Scherer WRP 2008, 430, 432.
567
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
Fallgruppen wie auf das sog. übertriebene Anlocken oder auf sog. aleatorische Reize abgestellt werden. Aussagen zur geschäftlichen Unerfahrenheit von Kindern und Jugendlichen betrafen vor allem Werbung, die an eine besondere Sammelleidenschaft von Kindern und Jugendlichen anknüpfte bzw. die eine Aussicht auf attraktive Gewinnchancen enthielt. Das OLG München hat es z.B. als sittenwidrig angesehen, in Comic-Heften für Kinder und Jugendliche damit zu werben, dass in jedem dieser Hefte ein Sammelschnipsel enthalten ist. Gegen eine bestimmte Anzahl dieser Sammelschnipsel konnten die jugendlichen Leser dann bestimmte Gegenstände erwerben. Wegen der mangelnden Beurteilungsfähigkeit der Kinder sei diese Werbung geeignet, die minderjährigen Verbraucher bei ihrer Kaufentscheidung von der Qualität der Hauptware abzulenken.454 In ähnlicher Weise urteilte der BGH in einem Fall, bei dem im Rahmen einer Gewinnspielaktion die Teilnehmer entweder zehn Verpackungspapiere eines Schokoladenriegels einsenden oder den Namen des Schokoriegels zehnmal in roten Blockbuchstaben auf Papier geschrieben einsenden sollten. Da ein relevanter Teil der angesprochenen Verkehrskreise die zweite Teilnahmemöglichkeit „entweder als eine Zumutung oder nicht ernstnehmen“ werde, sei angesichts der attraktiven Preise (es ging um fünf Reisen für zwei Wochen in die USA) ein übertriebenes Anlocken zu bejahen.455 Auch das OLG Düsseldorf beurteilte es als unlauter, wenn für eine bestimmte Anzahl von Verpackungspapieren eines Schokoriegels bestimmte Gegenstände unentgeltlich zu erwerben waren. Der Werbende mache sich damit nicht nur den Spieltrieb, sondern auch die Unerfahrenheit und mangelnde Beurteilungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen zunutze. Sie ließen sich durch „unsachliche Momente“ leichter beeinflussen.456 Die Literatur hat diese restriktive Judikatur weitgehend gebilligt,457 ging sogar z.T. darüber hinaus.458 Diese Beurteilungen haben sich mit der Aufhebung von RabattG und ZugabeVO und 206 der Etablierung eines europäischen Verbraucherleitbildes zum Teil verschoben. Zwar ist Werbung gegenüber Minderjährigen grundsätzlich zulässig. Anders als bei Erwachsenen stellen die § 4a Abs. 2 S. 2 bzw. § 3 Abs. 4 S. 2 aber andere, strengere Anforderungen auf, weil Kinder (bis 14 Jahre) und Jugendliche (bis 18 Jahre) regelmäßig geschäftlich unerfahren und daher besonders schutzwürdig sind.459 Selbstverständlich liegt darin bei Jugendlichen keine zwingende, sondern eine widerlegbare Annahme, die aber stets im Einzelfall eine genaue Prüfung des Erfahrungshorizonts und des Unternehmerverhaltens voraussetzt.460 Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass Kinder und Jugendliche altersbedingt zu einer kritisch-rationalen Einschätzung bzw. der wirtschaftlichen Tragweite ihrer Entscheidungen nicht in der Lage sind und den Risiken und Verlockungen von Werbung und Konsum eher unterliegen als erwachsene Verbraucher.461 Die Beurtei-
_____
454 OLG München 30.6.1983 – 6 U 3450/82 – WRP 1984, 46 – Werbung mit einer „SammelschnipselAktion“. 455 BGH 21.2.1975 – I ZR 46/74 – WRP 1976, 100, 101 – Gewinnspiel. 456 OLG Düsseldorf 17.5.1974 – 2 U 123/73 – GRUR 1975, 267, 268 f. – Milky Way. 457 Benz S. 61 ff., 87 ff., 112 ff.; dies. WRP 2003, 1160; Brändel FS v. Gamm, S. 9; Bülow FS Piper S. 121; Eisenhardt WRP 1997, 283; Engels WRP 1997, 6; Harte/Henning/Picht/Stuckel § 4a Rn. 133 ff.; kritisch teilweise Heermann FS Raiser, S. 681, 694 ff.; Steinbeck GRUR 2006, 163 f. 458 Für eine „grundsätzliche Unlauterkeit“ Albert S. 132 ff., 137 ff. 459 BGH 22.1.2014 – I ZR 218/12 – GRUR 2014, 682 Tz. 35 – Nordjob-Messe; OLG Nürnberg 22.7.2003 – 3 U 1036/03 – GRUR-RR 2003, 315, 316 – Werbeschreiben an Jugendliche; OLG Hamburg 10.4.2003 – 5 U 97/02 – GRUR-RR 2003, 317, 318 – BRAVO-Girl. 460 Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 164; Böhler WRP 2011, 1028, 1030. 461 BGH 22.1.2014 – I ZR 218/12 – GRUR 2014, 682 Tz. 35 – Nordjob-Messe; OLG Nürnberg 22.7.2003 – 3 U 1036/03 – GRUR-RR 2003, 315, 316 – Werbeschreiben an Jugendliche; OLG Hamburg 10.4.2003 – 5 U 97/02 – GRUR-RR 2003, 317, 318 – BRAVO-Girl.
Pahlow
568
I. Feststellung der Aggressivität (§ 4a Abs. 2)
§ 4a
lung im Einzelfall kann allerdings auch zu dem Ergebnis kommen, dass der mit dem Alter zunehmende Reifeprozess bei Minderjährigen zu berücksichtigen ist.462 (b) Ausnutzen der geschäftlichen Unerfahrenheit. Maßgeblich für die Beurtei- 207 lung der geschäftlichen Unerfahrenheit von Kindern und Jugendlichen nach § 4a Abs. 2 S. 2 ist, ob sich der Umstand, dass Minderjährige typischerweise noch nicht in ausreichendem Maße in der Lage sind, Waren- oder Dienstleistungsangebote kritisch zu beurteilen, auf die Entscheidung für ein unterbreitetes Angebot auswirken kann.463 Für Kinder und Jugendliche muss wegen deren entwicklungstypischem Wahrnehmungs- und Verarbeitungsdefizit464 anhand der Zielgruppe der Kinder das maßgebliche Leitbild nach dem alterstypischen Entwicklungsstand bestimmt werden.465 In diesem Rahmen allerdings ist ein durchschnittlich informiertes, aufmerksames und verständiges Kind der jeweiligen Altersgruppe als normativer Maßstab maßgeblich (§ 3 Abs. 4 S. 2).466 Dazu wurden in den vergangenen Jahren in der Literatur unterschiedliche Ansichten vertreten. Da Kinder bzw. Jugendliche im fortgeschrittenen Alter (etwa 10. bis 15. Lebensjahr) zunehmend in der Lage seien, verschiedene Standpunkte gleichzeitig zu koordinieren und eine „Dritte-Person-Perspektive“ oder die Sichtweise eines „generalisierenden Dritten“ einzunehmen, bestünde ab diesem Alter nach Frank Albert entwicklungspsychologisch kein Unterschied mehr zu Erwachsenen.467 Von daher seien Minderjährige ab dem 14. Lebensjahr im Hinblick auf die Verarbeitung von Werbung Erwachsenen gleichzustellen.468 Dagegen gehen die überwiegende Meinung in der Literatur und auch die Rechtsprechung zutreffend davon aus, dass auch Jugendliche von 14 bis 17 Jahren aufgrund ihrer altersbedingt fehlenden Lebens- und damit auch Geschäftserfahrenheit stärkeren Schutz benötigen als Erwachsene. Sie sind typischerweise noch nicht in ausreichendem Maße in der Lage, Waren- oder Dienstleistungsangebote kritisch zu beurteilen und unterfallen daher ebenfalls als besonders schutzbedürftige Verbraucher dem § 4a Abs. 2 S. 2 bzw. § 3 Abs. 4 S. 2.469 (c) Bargeschäfte des täglichen Bedarfs, Kopplungsangebote, Rabatte. Grund- 208 sätzlich zulässig ist die Werbung für Produkte des täglichen Bedarfs (z.B. Zeitschriften, Getränke, Bücher, Lebensmittel, Kinobesuche oder Sportveranstaltungen), die Minderjährige nach ihrem Nutzen und Wert beurteilen und regelmäßig auch mit ihrem Taschengeld finanzieren können. Das entspricht für beschränkt Geschäftsfähige bereits
_____
462 OLG Hamm 20.9.2012 – 4 U 85/12 – WRP 2013, 375 Tz. 31 – Unzulässigkeit der Datenerhebung zu Werbezwecken; Mankowski, in: Bork/Repgen, S. 51, 59 f. 463 BGH 17.7.2008 – I ZR 160/05 – GRUR 2009, 71, 72 Tz. 16 – Sammelaktion für Schoko-Riegel; BGH 6.4.2006 – I ZR 125/03 – GRUR 2006, 776 Tz. 22, 23 – Werbung für Klingeltöne; BGH 22.9.2005 – I ZR 28/03 – GRUR 2006, 161 Tz. 22 – Zeitschrift mit Sonnenbrille. 464 Vgl. hierzu Albert S. 39 ff.; Charlton/Neumann-Braun/Aufenanger/Hoffmann-Riem S. 324 ff., 376 ff. 465 Vgl. Erwägungsgrund 18 UGPRL; BGH 6.4.2006 – I ZR 125/03 – GRUR 2006, 776 Tz. 19 – Werbung für Klingeltöne; OLG Frankfurt a.M. 4.8.2005 – 6 U 224/04 – GRUR 2005, 1064, 1065 – Lion-Sammelaktion; Köhler FS Ullmann, S. 685, 686; Lehmler § 4 Nr. 2 Rn. 16. 466 BGH 6.4.2006 – I ZR 125/03 – GRUR 2006, 776 Tz. 19 – Werbung für Klingeltöne; OLG Frankfurt a.M. 4.8.2005 – 6 U 224/04 – GRUR 2005, 1064, 1065 – Lion-Sammelaktion. 467 Albert S. 44. 468 Albert S. 44. 469 BGH 21.1.2014 – I ZR 218/12 – GRUR Tz. 35 – Nordjob-Messe; BGH 6.4.2006 – I ZR 125/03 – GRUR 2006, 776 Tz. 22 – Werbung für Klingeltöne; Fuchs WRP 2009, 255, 259 ff.; Köhler FS Ullmann, S. 685, 690; Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer § 4a Rn. 430 ff.
569
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
der Wertung des § 110 BGB.470 Hier liegt weder eine geschäftliche Unerfahrenheit vor noch wird diese in irgendeiner Weise „ausgenutzt“.471 Im Ergebnis gilt das aber grundsätzlich auch für Minderjährige unter sieben Jahren, sofern keine weiteren unlauterkeitsbegründenden Umstände hinzukommen. Grundsätzlich kommt es dazu auch auf die Erziehungspflicht der Eltern (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) an, denen es allein obliegt, ihre Kinder mit dem alltäglichen Marktgeschehen vertraut zu machen und mit ihnen den Umgang mit der jeder Werbung immanenten Beeinflussung der Umworbenen zu üben.472 Eltern bestimmen nicht zuletzt durch die Höhe und den Zeitpunkt der Aushändigung von Taschengeld ganz wesentlich das Konsumverhalten ihrer Kinder. Es kann aber nicht Aufgabe des Lauterkeitsrechts sein, diesen Erziehungsauftrag der Eltern durch einen Schutz der Kinder zu ersetzen. Ein Ausnutzen der geschäftlichen Unerfahrenheit liegt grundsätzlich nicht darin, 209 wenn mit (auch wertvollen oder attraktiven) Kopplungsangeboten bzw. Zugaben oder mit Preisnachlässen geworben wird, wenn von einer ausreichenden Kenntnis des Marktes und der Werthaltigkeit der Angebote ausgegangen werden kann und keine nennenswerten wirtschaftlichen Belastungen mit dem Kauf verbunden sind.473 Daher ist das Angebot einer Jugendzeitschrift mit Sonnenbrille kein Ausnutzen von geschäftlicher Unerfahrenheit, wenn auch eine gewisse Anlockwirkung nicht zu leugnen ist.474 Zwar kann bei einer Werbung gegenüber besonders schutzbedürftigen Verbraucherkreisen (z.B. Kinder und Jugendliche) bereits eine geringere Anlockwirkung die Unlauterkeit begründen. Allerdings ist selbst bei einer Werbung an Fahrschulinteressenten im Alter von 17–20 Jahren nicht davon auszugehen, dass sie sich bei der Wahl der Fahrschule vorrangig von der Aussicht auf die angebotene Vergünstigung beeinflussen lassen.475 Daran ändert sich auch nichts, wenn mit dem Produkt oder der Zugabe ein mögli210 cher Sammeltrieb des Minderjährigen befriedigt wird. Allein die Tatsache, dass die Ware aufgrund des alterstypischen Sammeltriebes der Kinder von diesen begehrt wird, stellt keine Ausnutzung von geschäftlicher Unerfahrenheit als entwicklungstypisches Defizit dar, denn die Kinder sollen ja gerade mit ihrem Taschengeld lernen, Kaufentscheidungen zu treffen und den Nutzen, den die Ware für sie hat, im Vergleich zu dem Preis abzuwägen. Die von der älteren Rechtsprechung476 geäußerte Überlegung, die Zugabe lenke von Güte und Preiswürdigkeit der Hauptware ab, ist nicht stichhaltig, da die Schiedsrichterfunktion des Verbrauchers es erfordert, dass er autonom die Wertmaßstäbe seiner Verbraucherentscheidung bestimmt, und dies auch lernt. In Einklang mit der neueren Rechtsprechung ist es daher den Kindern zu überlassen, ihrem alterstypischen Sammeltrieb zu frönen und eine Hauptware zu erwerben, um die Zugabe zu erhalten und dafür auf Eis oder Kinobesuch evtl. zu verzichten.477 Darin liegt kein Ausnutzen der ge-
_____
470 Vgl. BGH 22.9.2005 – I ZR 28/03 – GRUR 2006, 161 Tz. 19 – Zeitschrift mit Sonnenbrille; Harte/Henning/Picht/Stuckel § 4a Rn. 136. 471 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 7.14. 472 Darauf weist zu Recht Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer § 4a Rn. 433 hin. 473 BGH 17.7.2008 – I ZR 160/05 – GRUR 2009, 71, 72 Tz. 15 – Sammelaktion für Schoko-Riegel (Anschaffung von 25 Schokoriegeln zum Preis von je € 0,40); BGH 22.9.2005 – I ZR 28/03 – GRUR 2006, 161 Tz. 17 – Zeitschrift mit Sonnenbrille; Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 164. 474 BGH 22.9.2005 – I ZR 28/03 – GRUR 2006, 161 Tz. 18 – Zeitschrift mit Sonnenbrille; BGH 13.6.2002 – I ZR 173/01 – GRUR 2002, 976, 979 – Koppelungsangebot I. 475 BGH 9.6.2004 – I ZR 187/02 – GRUR 2004, 960 – 500 DM-Gutschein für Autokauf. 476 Vgl. OLG München 30.6.1983 – 6 U 3450/82 – WRP 1984, 46 – Werbung mit einer „SammelschnipselAktion“; OLG Düsseldorf 17.5.1974 – 2 U 123/73 – GRUR 1975, 267, 268 f. – Milky Way. 477 BGH 17.7.2008 – I ZR 160/05 – GRUR 2009, 71, 72 Tz. 18 – Sammelaktion für Schoko-Riegel; OLG Frankfurt a.M. 4.8.2005 – 6 U 224/04 – GRUR 2005, 1064, 1065 – Lion-Sammelaktion; OLG Frankfurt a.M.
Pahlow
570
I. Feststellung der Aggressivität (§ 4a Abs. 2)
§ 4a
schäftlichen Unerfahrenheit von Heranwachsenden. Auch das Versprechen eines Rabatts von 2€ für jede Eins im Zeugnis nutzt die Unerfahrenheit von Schulkindern nicht unlauterer Weise aus.478 Unerheblich ist auch, ob das Produkt im Verhältnis zu seinem Preis dem Wert der 211 Ware aus Erwachsenensicht entspricht. Die Grenzen sind freilich dann überschritten, wenn das Produkt ungeeignet oder überteuert ist, also zu einem wesentlich höheren als dem Marktpreis angeboten wird479 und der Minderjährige dies mangels Kenntnis des Marktes und der Werthaltigkeit des Angebots nicht beurteilen kann.480 Solange dieser Rahmen aber nicht überschritten ist, die Anschaffung aus Erwachsenensicht vielleicht nur als wenig sinnvoll erscheint, kann darin kein Ausnutzen der geschäftlichen Unerfahrenheit Minderjähriger gesehen werden. Denn die Wertvorstellungen Minderjähriger sind andere als die der Erwachsenen; was Erwachsenen geringwertig erscheint, hat häufig für Kinder erheblichen Wert (und umgekehrt). Ziel der lauterkeitsrechtlichen Kontrolle darf daher keine Bevormundung, sondern nur der Schutz von geschäftlich unerfahrenen Minderjährigen sein. § 4a kann also nicht dazu herangezogen werden, den Vertrieb bestimmter Produkte schon deshalb zu unterbinden, weil ihre Anschaffung aus der Sicht der Erziehungsberechtigten unvernünftig erscheint.481 Dagegen kann der Umstand, dass Minderjährige zu einer kritischen Beurteilung von 212 Waren- und Dienstleistungsangeboten typischerweise noch nicht in ausreichendem Maße in der Lage sind, sich in anderen Fällen durchaus auf die Zulässigkeit eines Angebotes auswirken.482 Unlauter ist es danach, wenn Kinder im Grundschulalter in Jugendzeitschriften aufgefordert werden, durch gebührenpflichtige Telefonanrufe beim Hersteller oder Händler Neuerscheinungen von Spielzeug abzufragen.483 Ebenso unzulässig ist es, wenn in der Werbung für Klingeltöne, SMS-Bildern u.ä. nicht auf die voraussichtlich entstehenden Kosten, sondern eben nur der Minutenpreis angeben wird.484 Entsprechend wird man auch Klingelton-Abonnements („Sparabo“) beurteilen müssen, bei denen die Minderjährigen nicht die sich summierenden Kosten häufig nicht abschätzen können.485 (d) Preisausschreiben und Gewinnspiele sind nach § 4a Abs. 2 S. 2, Abs. 2 S. 1 213 Nr. 3 als wettbewerbswidrig anzusehen, wenn sie die Unerfahrenheit von Kindern und Jugendlichen ausnutzen.486 Handelt es sich um ein Gewinnspiel, das aus der Sicht der Kinder besonders attraktive Gewinne in Aussicht stellt, oder ist der Informationsstand des durchschnittlichen Kindes hinsichtlich der beworbenen Ware oder Dienstleistung etwaiger Konkurrenzangebote niedriger als bei einem Erwachsenen, so kann diese Kopplung durchaus gegen § 3 Abs. 2 S. 1 und S. 3 verstoßen.487 Besondere Kriterien für
_____
12.5.2005 – 6 U 24/05 GRUR 2005, 782 – Milchtaler; Fuchs WRP 2009, 255, 260 ff., 262; Steinbeck WRP 2008, 865, 869. 478 BGH 3.4.2014 – I ZR 96/13 – GRUR 2014, 1117 Tz. 31 – Zeugnisaktion. 479 OLG Frankfurt a.M. 12.5.2005 – 6 U 24/05 – GRUR 2005, 782, 784 – Milchtaler; OLG Frankfurt a.M. 4.8.2005 – 6 U 224/04 – GRUR 2005, 1064, 1065 – Lion-Sammelaktion. 480 BGH 17.7.2008 – I ZR 160/05 – GRUR 2009, 71, 72 Tz. 17 und 18 – Sammelaktion für Schoko-Riegel. 481 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 7.15. 482 BGH 3.4.2014 – I ZR 96/13 – GRUR 2014, 1117 Tz. 20 – Zeugnisaktion; BGH 22.1.2014 – I ZR 218/12 – GRUR 2014, 682 Tz. 25 – Nordjob-Messe. 483 OLG Frankfurt a.M. 24.3.1994 – 6 W 213/93 – GRUR 1994, 522, 523 – LEGO-Hotline. 484 BGH 6.4.2006 – I ZR 125/03 – GRUR 2006, 776 Tz. 24 – Werbung für Klingeltöne. 485 Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 164; Mankowski GRUR 2007, 1013, 1017 ff.; Zagouras GRUR 2006, 731. 486 BGH 17.7.2008 – I ZR 160/05 – GRUR 2009, 71, 72 Tz. 16 – Sammelaktion für Schoko-Riegel; BGH 22.9.2005 – I ZR 28/03 – GRUR 2006, 161 Tz. 21 – Zeitschrift mit Sonnenbrille. 487 Köhler aaO.
571
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
eine Unlauterkeit können darin liegen, dass die Aktion Kinder und Jugendliche unter besonderen Zeitdruck setzt oder zu einem Kauf über Bedarf veranlasst,488 was auf eine gewisse Anlockwirkung hindeutet. Unlauter ist daher die Auslobung eines Gewinnspiels durch eine Fast-Food-Kette gegenüber Minderjährigen mit Preisen bis zu einer Million Euro, bei dem der Erhalt der zur Teilnahme am Gewinnspiel erforderlichen Rubbelkarten an den Kauf von bestimmten Produkten in einer der Filialen gekoppelt ist, auch wenn die alternative Teilnahmemöglichkeit über eine Telefon-Hotline besteht.489 Ist dagegen eine Teilnahme an einem Gewinnspiel an den Kauf von Fruchtgummi-Produkten gekoppelt, kann eine Unauterkeit dann verneint werden, da es sich bei den beworbenen Fruchtgummis um Produkte handelt, die regelmäßig auch von Kindern und Jugendlichen gekauft werden, und deren Eigenschaften und Preiswürdigkeit ihnen daher hinreichend bekannt sind; auch wird die Gesamtbelastung einer Teilnahme an einem Gewinnspiel deutlich, das sich im Rahmen eines üblichen Taschengeldes halte.490 Verteilt eine Krankenkasse auf einer „Job-Messe“ für Schüler Teilnahmekarten für 214 ein Gewinnspiel, auf deren Rückseite die Teilnehmer über 15 Jahren selbständig Angaben zu Namen, Vornamen, Geburtsdatum, Anschrift, Telefonnummer, E-Mail-Adresse und Krankenkasse machen sollten, nutzt dieses Verhalten ebenfalls die Unerfahrenheit von Minderjährigen aus. Jugendliche im Alter von 15 bis 17 Jahren besitzen noch nicht die nötige Reife, um die Tragweite der Herausgabe ihrer Daten zu Werbezwecken absehen können.491 Auf einen konkreten Nachteil kam es hier nicht an; entscheidend waren allein die (alterstypischen) Defizite der besonders schutzbedürftigen Verbraucher. 215
(e) Werbung mit Idolen und Autoritäten. Werden bei Kindern und Jugendlichen beliebte Stars wie z.B. Sportler, Sänger, Film- oder Fernsehstars oder (vor allem bei kleineren Kindern) beliebte Comicfiguren oder ähnliches zur Werbung eingesetzt, ist zu differenzieren: Grundsätzlich liegt in dem Aufmerksamkeit erregenden Einsatz solcher Idole kein Ausnutzen eines altersbedingten entwicklungstypischen Defizits von Minderjährigen.492 Jugendlichen ab 14 Jahren ist der Einsatz von Stars in der Werbung vertraut. Jüngere Kinder hingegen verstehen entweder noch gar nicht, dass es sich um Werbung handelt, oder aber können sich zumindest mit der Werbung nicht auseinandersetzen. Allerdings sollte berücksichtigt werden, dass es dem Wettbewerber möglich sein muss, die Aufmerksamkeit der umworbenen Zielgruppe zu erlangen – ansonsten wäre jede Werbung gegenüber Minderjährigen sinnlos.493 Grundsätzlich ist eine Produktwerbung mit Idolen und Autoritäten daher mit § 4a Abs. 2 S. 2 vereinbar.494 Etwas anderes gilt aber dann, wenn die Idole direkte Kaufappelle (unten Rn. 216) an Kinder richten oder Kindern suggeriert wird, dass sie durch den Erwerb des Produkts ihrem Idol einen Gefallen tun würden etc.495 Zum Einsatz von Autoritätspersonen zur Werbung gegenüber Kindern (z.B. durch Kindergartenbetreuer, Lehrer) bereits oben Rn. 124 ff.
_____
488 BGH 17.7.2008 – I ZR 160/05 – GRUR 2009, 71, 72 Tz. 19 – Sammelaktion für Schoko-Riegel. 489 LG München I 25.2.2003 – 33 O 1562/03 – NJW 2003, 3066, 3067 – Rubbel-Gewinnspiel. 490 BGH 12.12.2013 – I ZR 192/12 – GRUR 2014, 831 Tz. 35 – Goldbärenbarren; BGH 17.7.2008 – I ZR 160/05 – GRUR 2009, 71, 72 Tz. 16 – Sammelaktion für Schoko-Riegel; BGH 22.9.2005 – I ZR 28/03 – GRUR 2006, 161 Tz. 19, 22 – Zeitschrift mit Sonnenbrille. 491 BGH 21.1.2014 – I ZR 218/12 – GRUR Tz. 35 – Nordjob-Messe. 492 Krit. dagegen Benz WRP 2003, 1160, 1171 f.; dies. S. 101 ff.; Eisenhardt WRP 1997, 283, 293. 493 Albert S. 145 f.; Benz S. 101 f., 106 f.; Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer § 4a Rn. 424. 494 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 7.18; Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer § 4a Rn. 424; Harte/Henning/Picht/Stuckel § 4a Rn. 142. 495 Ähnlich Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer § 4a Rn. 425.
Pahlow
572
I. Feststellung der Aggressivität (§ 4a Abs. 2)
§ 4a
(f) Kaufappelle. Direkte Kaufappelle (Kaufaufforderung) erfordern einen Bezug 216 zu einem konkreten Produkt.496 Neben der persönlichen Ansprache von Verkäufern (z.B. im Rahmen einer Veranstaltung oder im Ladenlokal) fallen darunter auch Werbeformate, die imperative Formulierungen („Hol‘ sie Dir“, „Jetzt zugreifen“, Sammelt mit“, „Schnapp‘ Dir“) verwenden.497 Erfasst werden auch Kaufaufforderungen im Internet bzw. in sozialen Netzwerken wie auch anderen Massenmedien (Rundfunk, Fernsehen). Unter die in Art. 2 lit. i) UGPRL genannte „Aufforderung zum Kauf“ fällt jede kommerzielle Kommunikation, die die Merkmale des Produkts und den Preis in einer Weise angibt, die den Mitteln der verwendeten kommerziellen Kommunikation angemessen ist und den Verbraucher dadurch in die Lage versetzt, einen Kauf zu tätigen.498 Die Ansprache in der zweiten Person („Du“ oder „Ihr“) genügt unabhängig vom Kontext nicht.499 Bereits nach Nr. 28 Anhang zu § 3 Abs. 3 ist es stets unlauter, wenn Kinder unmittelbar aufgefordert werden, selbst eine Ware zu erwerben oder die beworbene Dienstleitung in Anspruch zu nehmen. Bis zum Vorschulalter erkennen Kinder Werbung als solche nicht, so dass sie be- 217 reits die Beeinflussungsabsicht nicht erkennen können.500 In diesem Alter wirkt sich Werbung unmittelbar auf die freie Willensentschließung aus. Bei älteren Kindern bis zum 14. Lebensjahr kann Werbung zwar als solche erkannt werden, jedoch können sie sich häufig noch nicht mit den durch die Werbung an sie gestellten Anforderungen auseinandersetzen. In der Regel ist ihre Persönlichkeitsentwicklung noch nicht so weit fortgeschritten, um einen direkten Kaufappell kritisch zu würdigen.501 Da §§ 4a Abs. 2 S. 2, 3 Abs. 4 S. 2 grundsätzlich von der Zulässigkeit von Werbehandlungen auch gegenüber Kindern ausgeht, müssen weitere Umstände hinzutreten, die eine Unlauterkeit begründen. Eine Ausnutzung dieser altersbedingten Unerfahrenheit liegt dementsprechend vor, wenn an Kinder direkte Kaufappelle gerichtet werden, die sie von sonstigen Aufforderungen nicht unterscheiden können. Das gilt insbesondere für Aufwendungen, deren Kosten Minderjährige aufgrund ihres Alters gar nicht abschätzen können, wie z.B. bei Aufforderungen an Kinder im Grundschulalter, eine bestimmte Telefonnummer zu wählen, um auf Kosten ihrer Eltern zu erfahren, welche „tollen“ neuen Spielzeuge des Werbenden angeboten werden.502 Dagegen liegen keine direkten Kaufappelle vor, wenn lediglich die Aufmerksamkeit der Kinder auf ein bestimmtes Produkt, eine Marke etc. gerichtet werden soll, etwa durch Sponsoring, Merchandising oder sog. KinderKundenclubs.503 Letztere geben an die Angesprochenen auf ihren Namen ausgestellte Mitgliedskarten aus, oder versenden eigens an die Mitglieder adressierte Post etc. Mit einer solchen Werbestrategie soll in der Regel aber nur die Aufmerksamkeit der Kinder auf den Werbenden gelenkt werden, ohne dass damit direkte Kaufappelle an die Kinder verbunden sind. Eine solche Werbung ist daher nicht geeignet, die alterstypische geschäftliche Unerfahrenheit von Kindern auszunutzen.504 Handelt es sich aber um direkte
_____
496 BGH 3.4.2014 – I ZR 96/13 – GRUR 2014, 1117 Tz. 19 – Zeugnisaktion. 497 BGH 17.7.2013 – I Zr 34/12 (KG) – GRUR 2014, 298 Tz. 20 – Runes of Magic; BGH 12.12.2013 – I ZR 192/12 – GRUR 2014, 831 Tz. 28 – Goldbärenbarren; BGH 12.7.2007 – I ZR 82/05 – GRUR 2008, 183 Tz. 15 – Tony Taler. 498 Voraufl. § 3 (E) Anhang Nr. 28 Rn. 8 f.; Sosnitza, FS Preuß, S. 142. 499 BGH 17.7.2013 – I Zr 34/12 (KG) – GRUR 2014, 298 Tz. 19 – Runes of Magic. 500 Baukelmann FS Ullmann, S. 587, 590; Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer § 4a Rn. 415. 501 Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer § 4a Rn. 416. 502 OLG Frankfurt a.M. 24.3.1994 – 6 W 213/93 – GRUR 1994, 522 – LEGO-Hotline; dazu auch Engels WRP 1997, 6 ff., 13. 503 Eisenhardt WRP 1997, 283, 286. 504 Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer § 4a Rn. 425.
573
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
Kaufappelle, kann eine Unlauterkeit von derartigen Werbemaßnahmen durchaus gegeben sein.505 Ein anderes Ergebnis ergibt sich dagegen für Jugendliche von 14 bis 17 Jahren. Bei 218 ihnen muss davon ausgegangen werden, dass der Werbeappell aufgrund der Persönlichkeitsentwicklung der Umworbenen von diesen beherrscht werden kann: Sie können ähnlich wie Erwachsene dem Kaufappell den richtigen Stellenwert als werbliche Beeinflussung einräumen und ihn kritisch würdigen; eine geschäftliche Unerfahrenheit als altersbedingtes entwicklungstypisches Defizit, das ausgenutzt werden könnte, ist daher bei Jugendlichen genauso wenig vorhanden wie bei Erwachsenen. Eine Unlauterkeit scheidet gegenüber dieser Altersgruppe daher aus.506 Dem steht auch Nr. 28 Anhang zu § 3 Abs. 3 nicht entgegen, da hier nur von Kindern die Rede ist. Ausnahmen ergeben sich freilich dann, wenn der Minderjährige die mit dem Rechts219 geschäft verbundenen finanziellen Belastungen und Risiken gar nicht klar erkennen und beurteilen kann. Dabei sind bei einer Werbung gegenüber Minderjährigen höhere Anforderungen an die Transparenz zu stellen als bei einer Werbung gegenüber Erwachsenen.507 Ihnen muss ausreichend deutlich gemacht werden, welche finanziellen Belastungen auf sie zukommen.508 In derartigen Fällen ist aber primär eine Anwendung der §§ 5, 5a i.V.m. § 3 Abs. 2 S. 3 sowie § 3a i.V.m. PAngV zu prüfen.509 Z.B. wurde eine Werbung für das kostenpflichtige Herunterladen von Handy-Klingeltönen als unlauter angesehen, wenn nur der nicht unerhebliche Minutenpreis angegeben wurde, nicht aber die voraussichtlich entstehenden, aber nicht abschätzbaren höheren tatsächlichen Kosten.510 Ebenso unlauter ist eine Werbung mit „Sonderpreisen“, Zugaben oder anderen Vergünstigungen zum Abschluss von Dauerverträgen. Hierher gehört etwa der Fall, dass eine Bank mittels Gutscheinen und sonstigen Vorteilen Minderjährige veranlasst, ihre Geschäftsräume aufzusuchen und einen Girovertrag abzuschließen, ohne in der Werbung deutlich das Zustimmungserfordernis der Eltern hervorzuheben.511 Zu den medienrechtlichen Verbotstatbeständen der § 6 JMStV, § 7 Abs. 1 RStV bzw. Art. 9 Abs. 1 lit. g, Abs. 2 AVMD-RL vgl. unten Rn. 224 ff. (g) Suggestive Werbung. Ähnliche altersbedingte Maßstäbe müssen angelegt werden, wenn durch die Werbung dem Minderjährigen suggeriert wird, seine Akzeptanz in einer Gruppe oder unter Gleichaltrigen sei davon abhängig, dass ein bestimmtes Produkt erworben werde. Kinder sind regelmäßig nicht in der Lage, sich mit den durch die Werbung an sie gestellten Anforderungen auseinander zu setzen. Sie verfügen noch nicht über das erforderliche Mindestmaß an Persönlichkeitsentwicklung, um eine derartige Werbesuggestion kritisch abzuwägen. Derartige Werbesuggestionen sind daher geeignet, die alterstypische Unreife und damit ein altersbedingt entwicklungstypisches Defizit von Kindern auszunutzen. Sie ist unlauter i.S.d. § 4a Abs. 2 S. 2, § 3 Abs. 4 S. 2.512 Dagegen können Minderjährige ab dem 14. Lebensjahr den Stellenwert und die 221 Bedeutung der Werbesuggestion in der Regel erkennen und entsprechend mit ihrem
220
_____
505 Baukelmann FS Ullmann, S. 587, 590; Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer § 4a Rn. 415. 506 Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer § 4a Rn. 418. 507 BGH 17.7.2008 – I ZR 160/05 – GRUR 2009, 71 Tz. 20 – Sammelaktion für Schoko-Riegel. 508 BGH 6.4.2006 – I ZR 125/03 – GRUR 2006, 776 Tz. 24 – Werbung für Klingeltöne. 509 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 7.16. 510 BGH 6.4.2006 – I ZR 125/03 – GRUR 2006, 776 Tz. 24 – Werbung für Klingeltöne; KG 2.8.2005 – 5 U 95/04 – WRP 2005, 1183 – Werbung für Handy-Klingeltöne in Jugendzeitschriften. 511 OLG Nürnberg 22.7.2003 – 3 U 1036/03 – GRUR-RR 2003, 315, 316 – Werbeschreiben an Jugendliche; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 7.16. 512 Ebenso Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer § 4a Rn. 420 f.
Pahlow
574
I. Feststellung der Aggressivität (§ 4a Abs. 2)
§ 4a
Konsumverhalten abwägen. Eine Ausnutzung der altersbedingten Unerfahrenheit scheidet insoweit aus (zu den Ausnahmen z.B. Rn. 222). (h) Datenerhebungen. Unternehmen sind daran interessiert, auch die Daten von 222 Kindern und Jugendlichen zu erlangen, um sie für Verkaufsförderungsmaßnahmen nutzen zu können. Häufig werden dazu im Rahmen von Gewinnspielen oder ähnlichen Verkaufsförderungsmaßnahmen werberelevante Daten der Minderjährigen bzw. sogar ihrer Eltern abgefragt. Kinder begreifen hier noch nicht, dass sie durch die Mitteilung der nachgefragten Daten außerordentlich wertvolle Informationen weitergeben und dass daher die Teilnahme an derartigen Aktionen für sie keineswegs „kostenlos“ ist.513 Aber auch Jugendliche durchschauen diese ökonomischen Zusammenhänge aufgrund ihrer gegenüber Erwachsenen geringeren Lebens- und Geschäftserfahrung meistens noch nicht. Jugendliche im Alter von 15 bis 17 Jahren besitzen noch nicht die nötige Reife, um die Tragweite der Herausgabe ihrer Daten zu Werbezwecken absehen können.514 Ein Ausnutzen der geschäftlichen Unerfahrenheit i.S.d. § 4a Abs. 2 S. 2 ist bei Kin- 223 dern und Jugendlichen dann anzunehmen, wenn sie zur Inanspruchnahme einer Verkaufsförderungsmaßnahme oder gegen Entgelt zur Überlassung ihrer Daten aufgefordert werden. Derartige Datenerhebungen widersprechen dem ausdrücklich vom Gesetzgeber formulierten Normzweck des § 4a Abs. 2 S. 2 (dazu oben Rn. 193 f.).515 Es ist daher als unlauter anzusehen, wenn bei Kindern zu Werbezwecken Daten erhoben werden, indem sie ohne Einschaltung der Eltern über das Internet zum Beitritt zu einer von einem Unternehmen angebotenen Clubmitgliedschaft veranlasst werden.516 Eine von Kindern ohne Zustimmung der Erziehungsberechtigten erteilte Einwilligung ist unwirksam. Wird der wahre Grund der Datenerhebung, die Verwertung der Daten zu Werbezwecken, verschwiegen und ist er auch nicht ohne weiteres erkennbar, ist auch der Tatbestand des § 5a Abs. 6 verwirklicht (unten § 5a Rn. 88 ff.). (i) Das Medienrecht stellt besondere Tatbestände zum Kinder- und Jugendschutz 224 bereit. Im Bereich der Werbung gegenüber Kindern und Jugendlichen enthalten der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) wie auch der Rundfunkstaatsvertrag (RStV). Produktplatzierungen im Rundfunk sind z.B. nach § 44 S. 1 Nr. 1 RStV in Kinofilmen, Filmen und Serien, Sportsendungen und Sendungen der leichten Unterhaltung unzulässig, wenn es sich um „Sendungen für Kinder“ handelt. Es handelt sich jeweils um Spezialvorschriften, deren Anwendbarkeit aber § 4a nicht ausschließen.517 § 6 Abs. 2 JMStV setzt insoweit Art. 9 Abs. 1 lit. g) AVMD-RL um. Nach § 6 Abs. 2 225 JMStV darf Werbung Kinder und Jugendliche weder körperlich noch seelisch beeinträchtigen, ferner darf sie nicht direkte Aufrufe zum Kaufen oder Mieten von Waren oder Dienstleistungen an Minderjährige enthalten, die deren Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit ausnutzen (Nr. 1), Kinder und Jugendliche unmittelbar auffordern, ihre Eltern oder Dritte zum Kauf der beworbenen Waren oder Dienstleistungen zu bewegen (Nr. 2), das besondere Vertrauen ausnutzen, das Kinder oder Jugendliche zu Eltern, Lehrern und anderen Vertrauenspersonen haben (Nr. 3), oder Kinder oder Minderjährige ohne be-
_____
513 OLG Frankfurt a.M. 30.6.2005 – 6 U 168/04 – GRUR 2005, 785, 787 – Skoda-Autokids-Club. 514 BGH 21.1.2014 – I ZR 218/12 – GRUR Tz. 22, 24 – Nordjob-Messe. 515 Buchner DuD 2010, 39; Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer § 4a Rn. 429; zur Datenerhebung gegenüber Erwachsenen BGH 11.11.2009 – VIII ZR 12/08 – NJW 2010, 864 Tz. 24 – Happy Digits; zu eng, da nur im Rahmen von § 3 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 7.25. 516 OLG Frankfurt a.M. 30.6.2005 – 6 U 168/04 – GRUR 2005, 785, 787 – Skoda-Autokids-Club. 517 Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 166; a.A. MünchKommUWG/Heermann § 4 Nr. 2 Rn. 82.
575
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
rechtigten Grund in gefährlichen Situationen zeigen (Nr. 4). Darüber hinaus enthält § 6 JMStV aber auch weitergehende Beschränkungen. Nach § 6 Abs. 3 JMStV muss Werbung, deren Inhalt geeignet ist, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen, getrennt von Angeboten erfolgen, die sich an Kinder oder Jugendliche richten. Ferner darf nach § 6 Abs. 5 JMStV Werbung für alkoholische Getränke weder an Kinder oder Jugendliche gerichtet noch durch die Art der Darstellung Kinder und Jugendliche besonders ansprechen oder diese beim Alkoholgenuss darstellen. Im Hinblick auf die Werbung gegenüber Kindern und Jugendlichen ist § 6 JMStV 226 spezieller als § 4a, in seinem Anwendungsbereich aber insoweit enger, als er nur für Rundfunk und Telemedien Geltungskraft entfaltet. § 6 JMStV stellt darüber hinaus auch eine Marktverhaltensregel i.S.v. § 3a dar, so dass Verstöße hiergegen auch Ansprüche nach den §§ 8 ff. nach sich ziehen können.518 Dies ist mit dem Europarecht vereinbar, da Art. 9 Abs. 1 lit. g) AVMD-RL eine vergleichbare Bestimmung enthält, die nach Art. 3 Abs. 4 UGPRL vorrangig ist. Da aber der Anwendungsbereich des JMStV weiter ist, bleibt ein wenn auch geringer Bereich, in dem das deutsche Recht über das europäische Recht hinausgeht. Das ist aus Sicht des Gemeinschaftsrechts aber unschädlich.519 Private Verhaltensregeln (z.B. Werberegeln der ZAW) sind außerhalb der Mitglied227 schaft der normsetzenden Verbände rechtlich nicht bindend und können daher auch nicht zur Konkretisierung von § 4a herangezogen werden. Das gilt grundsätzlich auch für den sog. „EU-Pledge“, einer Selbstverpflichtung von inzwischen 21 namhaften Unternehmen der Lebensmittelindustrie, auf die schätzungsweise über 90% der für die Werbung für Lebensmittel und Getränke in der EU getätigten Ausgaben entfällt.520 Allerdings ist nach § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 eine geschäftliche Handlung irreführend, wenn sie unwahre Angaben oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über die Einhaltung eines Verhaltenskodexes enthält und der Unternehmer darauf nicht hinweist.521 bb) Erwachsene 228
(1) Allgemeines. Im Gegensatz zu Kindern und Jugendlichen (oben Rn. 203 ff.) kann bei Erwachsenen ein Mangel geschäftlicher Erfahrung nicht ohne weiteres angenommen werden. Maßstab der lauterkeitsrechtlichen Beurteilung ist hier das Leitbild des verständigen Durchschnittsverbrauchers.522 Letzterem kommt normative Bedeutung zu.523 Der Durchschnittsverbraucher ist weder naiv noch ohne Kenntnis von Anforderungen des Geschäftslebens; er ist vielmehr mit dem Wirtschafts- und Rechtssystem vertraut und kann das Waren- und Dienstleistungsangebot kritisch beurteilen.524 Der verständige Durchschnittsverbraucher ist vom leichtgläubigen bzw. geschäftlich unerfahrenen Verbraucher deutlich zu unterscheiden.525
_____
518 BGH 18.10.2007 – I ZR 102/05 – GRUR 2008, 534 Tz. 50 – ueber18.de; BGH 12.7.2007 – I ZR 18/04 – GRUR 2007, 890 Tz. 35 – Jugendgefährdende Medien bei eBay. 519 juris-PK/Seichter § 4a Rn. 145. 520 http://www.eu-pledge.eu/sites/eu-pledge.eu/files/reports/EU_Pledge_2017_Monitoring_Report.pdf, S. 4. 521 Sosnitza FS Preuß, S. 145. 522 RegE UWG 2003 S. 19. 523 BTDrucks 14/5594 S. 7 („normativer Maßstab“). 524 Peterek WRP 2008, 714, 719 f.; ders. S. 104 ff. 525 Zum Ganzen vgl. Engels/Salomon WRP 2004, 32, 36; Peterek WRP 2008, 714, 720; ders. S. 105; Fezer/ Büscher/Obergfell/Scherer § 4-2 Rn. 95.; dies. WRP 2003, 1355 f.
Pahlow
576
I. Feststellung der Aggressivität (§ 4a Abs. 2)
§ 4a
Wollte man daher die Leichtgläubigkeit oder die geschäftliche Unerfahrenheit von 229 Verbrauchern generell schützen, würde dies in einem unlösbaren Widerspruch zum neuen Verbraucherleitbild stehen und das neue Verbraucherleitbild auf diese Weise im Ergebnis umgehen.526 Der scheinbare Widerspruch lässt sich jedoch über das Kriterium der Schutzwürdigkeit in den Griff bekommen. Wie sich bereits aus Art. 5 Abs. 3 der UGPRL ergibt, sollen solche Verbraucher gerade nicht geschützt werden, die lediglich zu gleichgültig, zu träge oder zu nachlässig sind, sich entsprechend zu informieren, erhaltene Informationen angemessen zur Kenntnis zu nehmen bzw. zu beurteilen.527 Dementsprechend kann es nur darauf ankommen, ob persönliche Eigenschaften bei den erwachsenen Verbrauchern bestehen, die sie daran hindern, sich zu informieren und sich angemessen aufmerksam und verständig zu verhalten. Nur in diesem Fall kommt diesen Verbrauchergruppen gegenüber dem Durchschnittsverbraucher eine besondere Schutzwürdigkeit zu. Eine richtlinienkonforme Auslegung des § 4a Abs. 2 Satz 2 (vgl. oben Rn. 194) muss daher der Frage nachgehen, ob in der Person des jeweiligen Verbrauchers bzw. der jeweiligen Verbrauchergruppe Gründe vorliegen, die sie daran hindern, die an sie gestellten Anforderungen zu erfüllen, sich also zu informieren und sich angemessen aufmerksam und verständig zu verhalten, obwohl sie dies wollen.528 Dazu können jedoch nur solche Defizite gegenüber dem Durchschnittsverbraucher beachtlich sein, die sich auf ihre Möglichkeiten, sich zu informieren, sich angemessen aufmerksam und verständig zu verhalten, deutlich negativ auswirken, und sie so hindern, dem europäischen Verbraucherleitbild gerecht zu werden.529 (2) Geschäftliche Unerfahrenheit. Die Annahme einer geschäftlichen Unerfah- 230 renheit bei erwachsenen Verbrauchern ist als Abweichung vom Verbraucherleitbild (oben Rn. 229) an strenge Voraussetzungen geknüpft. Das UWG 2015 hat auf der Grundlage von Erwägungsgrund Nr. 18 S. 3 UGPRL in § 3 Abs. 4 S. 2 ein weiteres Beurteilungskriterium eingefügt. Kann der Unternehmer vorhersehen, dass seine Werbemaßnahmen z.B. Kinder, Jugendliche oder Senioren in ihren geschäftlichen Entscheidungen wesentlich beeinflussen kann, so kommt es für die Beurteilung nach dem UWG auf das Verständnis eines Durchschnittsmitglieds dieser Personengruppe an und nicht auf den allgemeinen Durchschnittsverbraucher.530 Der BGH ging auch in § 3 Abs. 2 S. 3 a.F. davon aus, dass es um geschäftliche Handlungen geht, die sich ausschließlich oder zumindest auch an eine eindeutig identifizierbare Gruppe von Verbrauchern richten und voraussichtlich und vorhersehbar allein das geschäftliche Verhalten dieser Verbrauchergruppe wesentlich beeinflussen wird.531 Bei bestimmten Gruppen (z.B. Aussiedlern, Einwanderern, die noch nicht lange in Deutschland leben oder auch Betreuten) spricht die Lebenserfahrung für das Vorliegen von Unerfahrenheit. Unlauter ist eine Verkaufsveranstaltung in einem Übergangswohnheim für Aussiedler, wenn einer Aussiedlerin ein Kaufvertrag für ein Topf-Set für insgesamt DM 3.870 angeboten wurde.532 Der BGH begründete seine Entscheidung damit, dass Aussiedler keinerlei Erfahrungen mit dem hie-
_____
526 Engels/Salomon WRP 2004, 36; Scherer WRP 2008, 563, 568 f. 527 Peterek WRP 2008, 714, 721; Scherer. WRP 2008, 563, 568. 528 Peterek WRP 2008, 714, 721. 529 BGH 3.3.2011 – I ZR 167/09 – WRP 2011, 1054 Tz. 30 – Kreditkartenübersendung; BGH 3.5.2007 – I ZR 19/05 – GRUR 2007, 978 Tz. 27 – Rechtsberatung durch Haftpflichtversicherer; Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer § 4a Rn. 359 f. 530 Fritzsche FS Fezer, S. 893; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 5.15. 531 BGH 12.12.2013 – I ZR 192/12 – GRUR 2014, 831 Tz. 16 – Goldbärenbarren; BGH 24.7.2014 – I ZR 221/12 – GRUR 2014, 1013 Tz. 33 – Original Bach-Blüten; Fritzsche, FS Fezer, S. 893. 532 BGH 7.5.1998 – I ZR 85/96 – GRUR 1998, 1041 – Verkaufsveranstaltung in Aussiedlerheim.
577
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
sigen Wirtschafts- und Rechtssystem hätten und es daher nicht gewohnt seien, dass die Rechtsordnung gestatte, Preise ohne Rücksicht auf den tatsächlichen Wert der Ware festzusetzen; auch seien ihnen die ungefähr üblichen Marktpreise für derartige Waren noch nicht bekannt und die Sprache oft noch nicht vertraut. Diese Personengruppe bedürfe daher eines besonderen Schutzes vor einer gezielten Ausnutzung der Unkenntnis, der Ungewandtheit und Beeinflussbarkeit.533 Erforderlich ist, dass die angeschriebenen Verkehrskreise nicht über die Kenntnisse verfügen, die von einem durchschnittlich aufmerksamen, informierten und verständigen Verbraucher zu erwarten sind.534 Dagegen können andere Entscheidungen zu § 1 a.F. heute kaum noch herangezogen 231 werden. Das gilt etwa für die Beurteilung von Kaffeefahrten bzw. Werbeverkaufsfahrten. Hier stellte z.B. das OLG Celle bei der Beurteilung einer Werbung für eine sechstägige Busreise ans Mittelmeer zum Preis von DM 298 darauf ab, dass aufgrund der Leichtgläubigkeit und der geringen Kritikfähigkeit der angesprochenen Verkehrskreise („ältere Personen oder einfach strukturierte Menschen“) bei diesen der Eindruck erweckt werde, sie erhielten vom Veranstalter ein Geschenk oder einen übermäßigen Vorteil; dies sei reißerisch und damit sittenwidrig.535 Das OLG Frankfurt ging davon aus, dass die Teilnehmer des Schutzes vor ihrer eigenen Leichtgläubigkeit und Gutmütigkeit bedürften, da sie sich oft aus einem Gefühl der Dankbarkeit heraus nichts schenken lassen wollten und sie daher davor geschützt werden müssten, sich dem „psychologischen Druck“ einer „aggressiven Verkaufswerbung“ auszusetzen.536 Diese Urteile können heute nicht mehr überzeugen. Auch ältere Verbraucher wissen um die Besonderheiten derartiger Verkaufsveranstaltungen und können sich kaum auf Unerfahrenheit berufen. Geschäftliche Unerfahrenheit kann sich auch in Rechtsunkenntnis äußern. In Be232 tracht kommt ein Ausnutzen von Rechtsunkenntnis immer dann, wenn gesetzliche Informationspflichten umgangen bzw. verletzt werden, die zum Schutz der Rechte des Verbrauchers z.B. Belehrungspflichten (Widerruf, Kündigung etc.) enthalten. Es können aber auch bewusst unrichtige Angaben des Werbenden über die dem Kunden zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten betroffen sein, z.B. die Verwendung unwirksamer AGB. Bei außervertraglichen Behinderungen greift zudem § 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ein. Ausgangspunkt ist auch hier der durchschnittlich informierte und verständige Durchschnittsverbraucher, der aber nur dann seiner Schiedsrichterfunktion im Markt nachkommen kann, wenn er auf alle gesetzlich vorgeschriebenen Informationen zurückgreifen kann. Eine „marktpolizeiliche Ermittlungspflicht“ gehört aber nicht dazu und sollte ihm auch nicht unterstellt werden. Eine gesetzlich angeordnete Informationspflicht muss daher per se inhaltlich zutreffend, vollständig und unmissverständlich sein. Sie muss dem gesetzgeberischen Aufklärungsziel Rechnung tragen und das Wissen vermitteln, auf das die Belehrung abzielt.537 Zudem dürfen mit den gesetzlichen Informationspflichten keine anderen Erklärungen vermengt werden, die einen anderen Inhalt haben und weder für das Verständnis noch für die Wirksamkeit einer Widerrufsbelehrung von Bedeutung sind und von dieser eher ablenken sollen, wie z.B. beigelegte Emp-
_____
533 BGH 7.5.1998 – I ZR 85/96 – GRUR 1998, 1041, 1042 – Verkaufsveranstaltung in Aussiedlerheim. 534 BGH 3.3.2011 – I ZR 167/09 – WRP 2011, 1054 Tz. 30 – Kreditkartenübersendung; BGH 3.5.2007 – I RZ 19/05 – GRUR 2007, 978 Tz. 27 – Rechtsberatung durch Haftpflichtversicherer. 535 OLG Celle 10.8.1983 – 13 U 119/83 – WRP 1984, 148, 149 – Werbeverkaufsraten; ähnlich OLG Frankfurt a.M. 14.1.1971 – 6 U 81/70 – NJW 1971, 811, 812 – Werbung für Kaffeefahrten mit Verkaufswerbeveranstaltungen („meist Hausfrauen und ältere Leute“). 536 OLG Frankfurt a.M. 14.1.1971 – 6 U 81/70 – NJW 1971, 811, 812 – Werbung für Kaffeefahrten mit Verkaufswerbeveranstaltungen. 537 BGH 16.11.1995 – I ZR 175/93 – WRP 1996, 202, 203 – Widerrufsbelehrung II; BGH 16.11.1995 – I ZR 25/64 – WRP 1996, 204, 205 f. – Widerrufsbelehrung III; Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 171.
Pahlow
578
I. Feststellung der Aggressivität (§ 4a Abs. 2)
§ 4a
fangsbestätigungen.538 Widerrufsbelehrungen müssen den Verbraucher nicht nur über das Ende, sondern auch deren Beginn deutlich in Kenntnis setzen.539 Fehlt es hieran, befindet sich der Verbraucher in einer von § 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 umfassten Ausnahmesituation. Ein unlauteres Wettbewerbsverhalten kann danach vorliegen, wenn Verbraucher- 233 verträge über Rechte wie z.B. die Möglichkeit des Widerrufs (z.B. §§ 355 Abs. 1 S. 1, 312 Abs. 1 S. 1 BGB bzw. §§ 355 Abs. 1 S. 1, 495 Abs. 1 BGB) keine, falsche oder unvollständige Klauseln enthalten.540 Probleme bereiten regelmäßig auch die gesetzlich vorgeschriebenen Belehrungen über derartige Verbraucherrechte, denn oftmals fehlte ihnen die inhaltliche Vollständigkeit bzw. Unmissverständlichkeit.541 Unlauterkeit ist auch anzunehmen, wenn der Eindruck erweckt wird, es bestehe ein Anspruch auf die Erfüllung tatsächlich nicht bestehender Forderungen.542 Auch handelt derjenige wettbewerbswidrig, der unzulässige oder eindeutig und offenkundig unwirksame Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen verwendete.543 Die ober- und instanzgerichtliche Rechtsprechung hat es daher wiederholt als 234 unlauter bewertet, wenn eine unzureichende Belehrung über ein Widerrufsrecht stattgefunden hat und hierdurch die Gefahr begründet wird, dass der Kunde von seinem Widerrufsrecht keinen Gebrauch macht, und der Unternehmer diese Rechtsunkenntnis zu seinem Vorteil ausnutzt.544 Das Schrifttum nahm u.a. eine Ausnutzung der Rechtsunkenntnis i.S.d. § 4a Abs. 2 S. 2 dann an, wenn gesetzliche Informationspflichten eines Unternehmers gegenüber einem Verbraucher nicht oder nur unzureichend erfüllt wurden.545 Ferner bejahte man § 4 Nr. 2 a.F. dann, wenn unwirksame Vertragsklauseln verwendet wurden.546 Das OLG Hamburg nahm bei Verwendung unwirksamer AGB einen Verstoß gegen § 4 Nr. 2 an, lehnte aber das Tatbestandsmerkmal des Ausnutzens ab.547 Demgegenüber lehnte der BGH das Ausnutzen der geschäftlichen Unerfahrenheit 235 bzw. der Rechtsunkenntnis von Verbrauchern ab, wenn ein Haftpflichtversicherer gegen das Rechtsberatungsgesetz verstößt. Das UWG setzt voraus, dass die betroffenen Verkehrskreise nicht über die Kenntnisse verfügen, die von einem durchschnittlich aufmerksamen, informierten und verständigen Verbraucher zu erwarten seien.548 Von jedem Verbraucher kann das Ausmaß an Rechtskenntnis erwartet werden, das auch von einem
_____
538 BGH 8.7.1993 – I ZR 202/91 – GRUR 1994, 59, 60 – Empfangsbestätigung. 539 BGH 17.12.1992 – I ZR 73/91 –WRP 1993, 392, 393 f. – Widerrufsbelehrung I. 540 Köhler/Piper § 1 Rn. 32; von Criegern WRP 2003, 1065, 1069. 541 BGH 16.11.1995 – I ZR 25/94 – WRP 1996, 204, 206 – Widerrufsbelehrung III; BGH 7.6.1990 – I ZR 207/88 – GRUR 1990, 1015 – Order-Karte; BGH 7.12.1989 – I ZR 237/87 – GRUR 1990, 534 – Abruf-Coupon; BGH 7.5.1986 – I ZR 119/84 – GRUR 1986, 819, 820 – Zeitungsbestellkarte; OLG Karlsruhe 8.11.1989 – 6 U 276/88 – WRP 1990, 430, 432 – Vereinbarung von Hausbesuchen; OLG Karlsruhe 26.7.1989 – 6 U 257/88 – WRP 1990, 55, 56 – Vorformulierte Rückantwortkarte. 542 OLG Hamburg 12.10.1989 – 3 U 57/89 – WRP 1990, 353, 355 – Vergütung trotz Widerrufs; Baumbach/ Hefermehl20 § 1 Rn. 196. 543 OLG Stuttgart 1.6.1988 – 2 W 41/88 – WRP 1989, 201. 544 OLG Düsseldorf 13.4.2006 – U (Kart) 2305 – GRUR 2006, 782, 785 – Lottofonds; KG 4.2.2005 – 5 W 13/05 – WRP 2005, 522 – Ausschlussfrist für Mangelanzeige. 545 Becker/Föhlisch NJW 2005, 3377, 3380; Föhlisch MMR 2007, 139, 141. 546 Hansen ZGS 2006, 14, 16; Köhler NJW 2008, 177, 179 Fn. 16; Lettl Voraufl. § 4 Rn. 91; von Westphalen NJW 2007, 2228, 2231. 547 OLG Hamburg 13.11.2006 – 5 W 162/06 – NJW 2007, 2264, 2265 – Vertragsrechtlicher Verbraucherschutz und Marktverhalten; ähnlich OLG Köln 30.3.2007 – 6 U 249/06 – WRP 2007, 1111, 1113 f. – Beanstandung der AGB eines Mitbewerbers. 548 BGH 3.3.2011 – I ZR 167/09 – WRP 2011, 1054 Tz. 30 – Kreditkartenübersendung; BGH 3.5.2007 – I ZR 19/05 – GRUR 2007, 978 Tz. 27 – Rechtsberatung durch Haftpflichtversicherer.
579
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
Durchschnittsverbraucher verlangt werden kann. An diese Rechtskenntnisse dürfen keine allzu großen Anforderungen gestellt werden. Umgekehrt liegt aber eine unlautere Ausnutzung der geschäftlichen Unerfahrenheit vor, wenn der Unternehmer weiß oder zumindest damit rechnen muss, dass seine potentiellen Vertragspartner nicht die zur Beurteilung einer bestimmten Frage erforderlichen Rechtskenntnisse besitze.549 Ein Reiseveranstalter nutzt die Rechtsunkenntnis seiner Kunden unlauter aus, 236 wenn er ohne Übergabe eines Sicherungsscheins (§ 651k Abs. 4 BGB) oder ohne Nachweis sonstiger Sicherungsleistungen (§ 651k Abs. 5 BGB) bzw. die Gesetzeslage von seinen Vertragspartnern Zahlungen auf den Reisepreis fordert und annimmt. Die im Interesse eines effektiven Verbraucherschutzes zwingend ausgestalteten gesetzlichen Bestimmungen schaffen gleiche Wettbewerbsbedingungen unter allen Reiseveranstaltern, auch wenn durch § 651k BGB unmittelbar nur die Leistungsbeziehungen zwischen den Reisevertragspartnern geregelt werden.550 Unlauter ist es auch, wenn ein Reiseveranstalter eine Zahlungsverpflichtung für wechselkursbedingte Verluste unter dem Eindruck nachfordert, die Nachzahlung sei – obwohl freiwillig – vertraglich geschuldet.551 Wettbewerbswidrig ist zudem eine unzutreffende Mitteilung an den Verbraucher über Teilzahlungspreis und effektiven Jahreszins, die über die Berechtigung zur Geltendmachung tatsächlich nicht zustehender Rechte täuschen kann.552 Dagegen lässt sich außerhalb gesetzlicher Regelungen keine allgemeine Ver237 pflichtung begründen, den Vertragspartner über bestimmte Rechte zu belehren. Auch aus § 5a folgt keine allgemeine Hinweispflicht auf Umstände, die für die Motive des Konsumenten bedeutsam sein können. Auch wird ein Verbraucher nicht deswegen geschäftlich unerfahren, weil er keine Kenntnis von der Rechtsprechung zur Erstattung von Sachverständigenkosten hat.553 238
f) Leichtgläubigkeit. Eine Leichtgläubigkeit liegt vor, wenn der Verbraucher aufgrund fehlenden Urteilsvermögens nicht in der Lage ist, die Vor- und Nachteile eines Angebots richtig einzuschätzen und gegen abzuwägen, sondern den Angaben des Werbenden eher Glauben schenkt als ein Durchschnittsverbraucher.554 Dem entspricht auch Erwägungsgrund 19 der UGPRL bzw. die Leitlinien der Kommission.555 Die Leichtgläubigkeit ist anhand eines durchschnittlichen Mitglieds der angesprochenen Verbrauchergruppe (§ 3 Abs. 4 S. 2) zu bestimmen. Die Leichtgläubigkeit kann auch in einer geschäftlichen Unerfahrenheit (insbesondere bei Minderjährigen) bestehen (dazu oben Rn. 203 ff.); in diesen Fällen kommt ihr keine eigenständige Bedeutung zu.556 Denkbar sind aber auch Fälle, in denen der Adressat der Werbemaßnahme durchschnittlich geschäftserfahren ist, es sich aber um beratungsbedürftige Geschäfte handelt und sie den Behauptungen des Werbenden aufgrund seiner (bestehenden oder nur behaupteten) Kenntnisse und Fähigkeiten bzw. seiner beruflichen Stellung Glauben schenkt (dazu
_____
549 A.A. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 7.26; Gloy/Loschelder/Erdmann § 49 Rn. 23; Peterek WRP 2008, 714, 721 f. 550 BGH 24.11.1999 – I ZR 171/97 – GRUR 2000, 731, 733 – Sicherungsschein; Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 172. 551 LG Heidelberg 8.4.1998 – O 197/97 KfH I – NJWE-WettbR 1999, 222, 223 – Einseitige Preiserhöhung durch Reiseveranstalter. 552 BGH 17.5.1989 – I ZR 151/87 – GRUR 1989, 669, 672 – Zahl nach Wahl. 553 BGH 3.5.2007 – I ZR 19/05 – GRUR 2007, 978 Tz. 27 – Rechtsberatung durch Haftpflichtversicherer; Peterek WRP 2008, 721 f. 554 Fritzsche FS Fezer, S. 887; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 3 Rn. 5.25. 555 Leitlinien, SEK (2009) 1666 unter 2.3.2 c, S. 34 f. 556 Fritzsche FS Fezer, S. 887.
Pahlow
580
I. Feststellung der Aggressivität (§ 4a Abs. 2)
§ 4a
oben Rn. 124 ff.). Dies kommt z.B. bei Empfehlungen von Ärzten für bestimmte Arzneimittel oder Behandlungsmaßnahmen in Betracht.557 Beruht die Leichtgläubigkeit aber auf Nachlässigkeit, Gleichgültigkeit oder Träg- 239 heit, so ist der betreffende Verbraucher nicht schutzwürdig.558 Anders als in der älteren Rechtsprechung kann die Leichtgläubigkeit von bestimmten Verbrauchergruppen (es ging u.a. um Senioren, Hausfrauen, Gläubige) daher grundsätzlich nicht mehr als Defizit anerkannt werden, das nach §§ 4a Abs. 2 S. 2, Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ausgenutzt werden könnte. Die hier angesprochenen Personenkreise sind in keiner Weise gehindert, sich relevante Informationen zu verschaffen.559 Ihre von der Rechtsprechung postulierte Leichtgläubigkeit beruhte vor allem darauf, dass etwa die Teilnehmer von „Kaffeefahrten“ zu gleichgültig, zu unaufmerksam und zu wenig regsam sind, um sich zu informieren. Genau diese Verhaltensweisen werden aber von europäischen Verbraucherleitbild explizit nicht geschützt.560 Ebenso sind Gläubige nicht gehindert, sich relevante Informationen zu verschaffen. Daher verstößt es grundsätzlich nicht gegen § 4a Abs. 2 S. 2, Abs. 2 S. 1 Nr. 3, die religiösen Überzeugungen dieser Verbraucher in der Werbung anzusprechen und zum Absatz von Waren oder Dienstleistungen auszunutzen.561 Abergläubische Vorstellungen, etwa die Furcht vor magischen oder okkulten 240 Kräften bei bestimmten Verbraucherkreisen begründen ebenfalls keine Schutzwürdigkeit: der aufgeklärte, rational denkende Erwachsene weiß, dass magische Kräfte rein fiktiv sind und daher keinerlei Realitätsbezug haben.562 Diese Verbraucher könnten sich zwar informiert verständig verhalten, wollen dies jedoch nicht. Zeigen jedoch bestimmte Verbraucherkreise, die abergläubischen Vorstellungen anhängen, deutliche Anzeichen von psychischen Störungen, etwa (religiöse) Wahnvorstellungen oder Zwangsstörungen, gilt das zu körperlichen oder geistigen Gebrechen Ausgeführte (Rn. 198ff.). g) Angst. Die von § 4 Nr. 2 a.F. übernommenen Kriterien der „Angst“ finden sich 241 wörtlich in der UGPRL nicht. Es handelte sich schon im Rahmen des UWG 2008 um situationsbedingte Umstände, die Art. 9 lit. c) UGPRL zugeordnet werden können (oben Rn. 194; Voraufl. § 4 Nr. 2 Rn. 6). Danach ist für die Beurteilung darauf abzustellen, ob der Gewerbetreibende konkrete Unglückssituationen oder Umstände von solcher Schwere, dass sie das Urteilsvermögen des Verbrauchers beeinträchtigen, bewusst ausnutzt, um die Entscheidung des Verbrauchers in Bezug auf das Produkt zu beeinflussen. Darunter fallen sowohl Zwangslagen als auch Angstzustände. aa) Begriff. Der Begriff der Angst umschreibt eine Situation der unmittelbaren 242 Bedrängnis, die vom Betroffenen angesichts einer bestehenden oder vermeintlichen Gefahrenlage empfunden wird, weil sie die persönlichen oder allgemeinen Lebensverhältnisse zu bedrohen scheinen. Angst muss einen konkreten, personenbezogenen und unmittelbar bedrohenden Charakter haben, um das Urteilsvermögen und die damit die Fähigkeit des Verbrauchers zu einer freien und informierten (rationalen) geschäftlichen Entscheidung zu beeinträchtigen.
_____
557 Fritzsche FS Fezer, S. 887. 558 Scherer WRP 2004, 1355, 1356; Fritzsche, FS Fezer, S. 887. 559 Das Fallmaterial ist daher ohnehin eher schmal, vgl. MünchKommUWG/Heermann § 4 Nr. 2 Rn. 48 mit Nachw. aus der instanzgerichtlichen Rechtsprechung. 560 Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 177. 561 Peterek S. 144; Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer § 4a Rn. 482. 562 Peterek S. 144; Scherer WRP 2008, 563, 570.
581
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
243
Ein Angstzustand kann nur im Zusammenhang einer „konkreten Unglückssituation oder Umständen von solcher Schwere“ angenommen werden, wenn sie das Urteilsvermögen des Verbrauchers beeinträchtigen. Angst ist demzufolge die Vorstellung des Verbrauchers von einer ihm oder einem anderen unmittelbaren Bedrohung oder Gefahr, die von bestimmten Unglückssituationen oder anderen Umständen ausgeht.563 Von Bedeutung kann daher nur die Angst vor besonderen Gefahren, insbesondere die Gefahr einer besorgniserregenden Lebensbeeinträchtigung sein, nicht dagegen kleinere Unwägbarkeiten und besorgniserregende Umstände, wie sie alltäglich vorkommen können.564 Bezugspunkt der Angst können persönliche Verhältnisse des Umworbenen sein, wie z.B. die Sorge um die Beeinträchtigung von Ehre, Vermögen, Gesundheit, Aussehen, aber auch auf andere Werte abzielen. Soweit es sich dagegen um allgemeine Bedrohungsszenarien wie z.B. Klimakatastrophen, Inflation, Erschöpfung von Rohstoffquellen, Krieg, Terroranschläge, fallende Aktienkurse, das Aussterben von Tierarten etc. handelt, kommen §§ 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 2 S. 2 nicht in Betracht. Nach dem Leitbild des durchschnittlich informierten, situationsadäquat aufmerksa244 men und verständigen Verbrauchers kann von einem Ausnutzen von Angst nur in extremen Ausnahmesituationen ausgegangen werden, etwa in wirtschaftlich oder politisch instabilen Situationen.565 Zwar sind je nach Gefahrenlage bzw. Bedrohungspotential auch andere Fallgestaltungen denkbar. Sie können nur dann als unlauter angesehen werden, wenn andere unlauterkeitsbegründende Umstände wie z.B. eine Irreführung (§§ 5, 5a) oder etwa das Vorliegen anderer Fallvarianten des § 4a eine wettbewerbswidrige Ausnahmesituation begründen. Der Durchschnittsverbraucher lässt sich grundsätzlich nicht durch Werbung verängstigen und zu einem unüberlegten Verhalten verleiten. 245
bb) Währungsstabilität. Handelt es sich um äußere, nicht auf die Person bezogene Bedrohungs- bzw. Gefahrenpotentiale, so müssen diese bei verständigen Durchschnittsverbrauchern Angst auslösen oder zumindest mit der betreffenden Werbehandlung ein Angstzustand entstehen. Eine solche Angst der Verbraucher ist sicherlich bei der Frage der Geldwertstabilität gegeben, allerdings dürfte eine entsprechende geschäftliche Handlung kaum geeignet sein, die Inflationsängste der Verbraucher insoweit auszunutzen, um daraus wirtschaftliche Vorteile zugunsten des Werbenden zu erzielen. Ein verständiger Durchschnittsverbraucher, der Angst vor einer Geldentwertung hat, wird gerade deshalb unter Berücksichtigung dieser Besorgnis Wert auf stabile und sichere Geldanlagen legen und daher umso sorgfältiger abwägen, welches Angebot für ihn das Beste ist.566 Selbst wenn die Werbung besonders reißerisch aufgemacht ist oder auf die dramatische Finanzsituation und reale Inflationsgefahren hinweist,567 wird der Durchschnittsverbraucher umso vorsichtiger und damit situationsangemessen reagieren, um sein Geld nicht zusätzlich einer Gefahr auszusetzen.568
_____
563 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 2.24; Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 178. 564 BGH 12.6.1986 – I ZR 52/84 – GRUR 1986, 902 – Angstwerbung; BGH 22.4.1999 – I ZR 159/96 – GRUR 1999, 1007, 1008 – Vitalkost. 565 H.M., u.a. Beater § 16 Rn. 18 ff.; Boesche Rn. 328; MünchKommUWG/Heermann § 4 Nr. 2 Rn. 122; Lettl § 6 Rn. 35; Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer § 4a Rn. 254; dies. WRP 2004, 1426; Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 178 f.; differenzierend noch Lehmler UWG § 4 Nr. 2 Rn. 27 ff. 566 Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer § 4a Rn. 264 ff.; dies. S. 180 f.; dies. WRP 2004, 1426, 1428; Ohly/ Sosnitza § 4a, Rn. 178. 567 Vgl. etwa dazu LG Frankfurt a.M. 23.12.1970 – 2/6 O 331/70 – WRP 1971, 86 f. – Werbung mit der Angst vor Geldentwertung. 568 OLG Hamm 26.3.1974 – 4 U 25/74 – GRUR 1975, 318 – Mensch sei Fuchs; Scherer WRP 2004, 1426, 1428; OLG Hamburg GRUR 1984, 744 – Preis-Countdown.
Pahlow
582
I. Feststellung der Aggressivität (§ 4a Abs. 2)
§ 4a
cc) Umwelt. Ähnliches gilt für die umweltbezogene Werbung, bei der auf die 246 Besorgnis über die Zerstörung der Umwelt und der natürlichen Lebensgrundlagen abgestellt wird. Auch bei der Umweltfreundlichkeit eines Produktes wird der verständige Verbraucher seine Kaufentscheidung unter Abwägung aller für ihn relevanten Informationen, in der die Besorgnis um das Fortschreiten der Umweltzerstörung nur ein Aspekt von vielen ist, treffen. Jeder Verbraucher weiß heute, dass er durch seine Kaufentscheidung hinsichtlich der Umweltfreundlichkeit von Produkten auch zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen beitragen kann. Ebenso ist dem Verbraucher aber bewusst, dass die Umweltfreundlichkeit eines Produkts nur ein Kriterium seiner Kaufentscheidung sein kann. Aufgrund des bestehenden Entscheidungsspielraums kann demnach auch die Angst vor weiteren Umweltzerstörungen nicht geeignet sein, die vorhandene Besorgnis des verständigen Verbrauchers in eine Richtung auszunutzen.569 dd) Gesundheit. Handelt es sich um Risiken, die sich unmittelbar auf die Person 247 des Verbrauchers auswirken können, kann ebenfalls nicht ohne Weiteres von einer unlauteren Ausnutzung der Angst ausgegangen werden. Das gilt auch für die gesundheitsbezogene Werbung, bei der Lebens- oder Arzneimittel gerade unter dem Hinweis beworben werden, dass sie sich besonders positiv auf die Gesundheit auswirken können. Der verständige Durchschnittsverbraucher wird sorgfältig beim Kauf und der Einnahme von Arznei- und Lebensmitteln abwägen, weil er um die Kostbarkeit seiner Gesundheit weiß.570 Selbst bei besonders gefährlichen Krankheiten wird eine gesundheitsbezogene Werbung vom Durchschnittsverbraucher nicht derart eindimensional verstanden, dass ihm keinerlei Ausweg verbleibt, als auf das gemachte Angebot einzugehen.571 Eine Werbung mit Ängsten um die Gesundheit, die sich ausschließlich auf wahre Angaben stützt, ist daher wettbewerbsrechtlich unbedenklich. Spezielle Werbeverbote können sich aus § 11 Nr. 7 HWG, d.h. einem Verbot von Wer- 248 beaussagen, die geeignet sind, Angstgefühle hervorzurufen oder auszunutzen, ergeben. § 4a ist neben dieser Vorschrift anwendbar und greift auch dann ein, wenn die engeren Voraussetzungen dieser Regelungen nicht erfüllt sind.572 Zu unwahren Angaben vgl. § 5, Rn. 119 ff., 5a Rn. 88 ff. Zudem unterfallen unwahre Behauptungen dahingehend, eine Ware oder Dienstleis- 249 tung könne Krankheiten oder Funktionsstörungen heilen oder Missbildungen beseitigen, dem per se-Verbot der Nr. 18 des Anhanges zu § 3 Abs. 3 Eine entsprechende Werbemaßnahme wäre daher nach § 3 Abs. 3 gegenüber Verbrauchern stets unzulässig. ee) Unfall. Ängste können freilich auch geweckt werden, wenn technische Un- 250 glücksfälle oder Verkehrsunfälle in der Werbung dargestellt werden, z.B. die Explosion einer Heizungsanlage573 oder die Abbildung von Unfallopfern für die Sicherheit von
_____
569 Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer § 4a Rn. 273; dies. WRP 2004, 1426, 1429; OLG Saarbrücken 4.3.1992 – 1 U 175/91 – WRP 1992, 510, 511 – Damit Mensch und Natur eine Chance haben. 570 Scherer WRP 2004, 1426, 1428. 571 Anders dagegen Ekey/Klippel/Kotthoff/Meckel/Plaß § 4 Rn. 255, die u.a. darauf abstellt, wie gefährlich oder abstoßend die Krankheit ist. Es kann aber beim Durchschnittsverbraucher gerade nicht angenommen werden, dass es dann entsprechend auch zu kaufauslösenden Angstgefühlen kommt. 572 BGH 12.6.1986 – I ZR 52/84 – GRUR 1986, 902, 903 – Angstwerbung; BGH 22.4.1999 – I ZR 159/96 – GRUR 1999, 1007, 1008 – Vitalkost. 573 LG Hamburg 5.3.1987 – 12 O 14/87 – WRP 1987, 517 – Ölheizung.
583
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
Fahrzeugen bzw. Fahrzeugzubehör.574 Werden Senioren z.B. gezielt zu Verträgen mit Pflegeheimträgern veranlasst, indem gezielt ihre Angst angesprochen wird, in einer privaten Wohnung könne jederzeit etwas passieren, während in einem Pflegeheim schnelle Hilfe bereitstehe, kann darin ein unlauteres Ausnutzen der Angst liegen.575 Allerdings wird der verständige Durchschnittsverbraucher eine unfallbezogene Werbung und die Sorge um die vor Augen geführten Risiken zum Anlass nehmen, um sich über die vorhandenen tatsächlichen Gefahren bei vergleichbaren Systemen oder Kraftfahrzeugen zu informieren. Abwegig erscheint es aufgrund der unfallbezogenen Gefahren ein panikartiges Verhalten der Verbraucher anzunehmen, dass der Werbende ausnutzt. Zu einem solchen Verhalten wird sich der Verbraucher schon deshalb nicht verleiten lassen, weil er die verschiedenartigen Gefahren sämtlicher technischer Systeme bzw. von Verkehrsunfällen vor dem Erwerb des für seine Zwecke risikoärmsten Produkts kennenlernen will.576 Darüber hinaus dürfte gerade bei der Kraftfahrzeugwerbung auch der Anschaffungspreis den Verbraucher nicht zu voreiligen Schlüssen verleiten. Ausnahmen bestehen dann, wenn es sich um unwahre Angaben über eine Gefahr für die persönliche Sicherheit des Verbrauchers oder seiner Familie handelt. Nach Nr. 12 des Anhanges zu § 3 Abs. 3 ist eine solche Irreführung über die geschäftliche Handlung bei Vornahme gegenüber Verbrauchern gem. § 3 Abs. 3 stets unzulässig. 251
ff) Status. Auch Ängste vor wirtschaftlichem oder sozialem Misserfolg sind nicht zur Ausnutzung durch Werbehandlungen gegenüber Verbrauchern geeignet. Der verständige Verbraucher wird gerade bei der Sorge vor einem beruflichen Scheitern umso sorgfältiger alle Entscheidungen abwägen, die mit seiner Berufsausübung zusammenhängen, um auf diese Weise die für ihn vorteilhafteste Lösung zu finden. Selbst drastische Werbeformen werden aber kaum dazu geeignet sein, dass der verständige Durchschnittsverbraucher von der Einholung weiterer Informationen absieht und sich stattdessen zu einer „Panikaktion“ entsprechend dem Werbeappell verleiten lässt.577 Ähnliches gilt für die Angst vor einem sozialem Misserfolg bei körperlicher Ungepflegtheit.578 h) Zwangslage
252
aa) Begriff. Eine Zwangslage i.S.d. § 4a Abs. 2 S. 2 ist gegeben, wenn sich der Verbraucher in einer Situation befindet, in der er keine andere Möglichkeit hat oder sieht, als auf das Angebot des Werbenden einzugehen. Die Zwangslage kann auf der wirtschaftlichen Situation des Verbrauchers, seinem physischen oder psychischen Zustand oder sonstigen individuellen Problemen beruhen.579 Nach dem Wortlaut des § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ist auf konkrete Unglückssituationen und entsprechende Umstände von solcher Schwere abzustellen, die das Urteilsvermögen des Verbrauchers beeinträchtigen. Diese situationsbezogenen Umstände müssen von außen auf den Verbraucher einwirken und sein Urteilsvermögen beeinträchtigen können. Das unterscheidet § 4 Abs. 1 Nr. 3 von den körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen im Sinne des § 3 Abs. 4 S. 2. Eine situati-
_____
574 Henning-Bodewig GRUR 1997, 180, 190; Ekey/Klippel/Kotthoff/Meckel/Plaß § 4 Rn. 260; Schricker/ Henning-Bodewig WRP 2001, 1367, 1396. 575 Beispiel nach Burmeister/Alexander WRP 2009, 159, 167. 576 Scherer WRP 2004, 1426, 1428 f. 577 Scherer WRP 2004, 1426, 1429. 578 Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer § 4a Rn. 274 f. 579 Lettl § 6 Rn. 35; Gloy/Loschelder/Erdmann § 49 Rn. 29; Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 182.
Pahlow
584
I. Feststellung der Aggressivität (§ 4a Abs. 2)
§ 4a
ve Beeinträchtigung des Urteilsvermögens kann sich u.a. aus einem Unfall, einem Trauerfall, einer Trennung, einer Erkrankung, einer Verurteilung, einer Kündigung oder einer zeitlichen Bedrängnis (§ 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 1) ergeben. Die Schwere des Umstandes, um das Urteilsvermögen des Verbrauchers zu beeinträchtigen, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalles. Unerheblich ist, ob die Zwangslage selbst verschuldet ist, vom Unternehmer herbeigeführt wurde oder durch sonstige Ereignisse ausgelöst wurde.580 Die „Zwangslage“ im Sinne des § 4 Abs. 2 S. 2 unterscheidet sich von der Zwangslage 253 gem. § 138 Abs. 2 BGB. Letztere liegt nach herrschender Auffassung dann vor, wenn wegen einer erheblichen Bedrängnis ein zwingender Bedarf nach einer Geld- oder Sachleistung besteht.581 § 138 Abs. 2 BGB ist aber keine genuin verbraucherschützende Regelung; sie schützt – anders als § 4a – nicht die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers, sondern die Willensfreiheit des privatrechtlich Handelnden vor Ausbeutung. bb) Ansprechen am Unfallort. Das Ansprechen von Unfallopfern am Unfallort war 254 schon nach § 1 a.F. unzulässig, unabhängig davon, ob das Abschleppen vom Unfallort,582 der Abschluss eines Mietvertrages für einen Ersatzwagen583 oder ein Reparaturvertrag hinsichtlich des Unfallwagens584 angeboten wurde. Der Unfallgeschädigte stand nach der früheren Auffassung der Gerichte zumindest unter dem Eindruck eines Unfallschocks, der zu einer gewissen Labilität führe und daher den Angesprochenen außerstande setze, wirtschaftlichen Offerten mit der gebotenen Übersicht, Kritikfähigkeit und Besonnenheit zu begegnen.585 Von daher bestehe regelmäßig die Gefahr der Überrumpelung der Unfallbeteiligten.586 Die Literatur ist dem weitgehend gefolgt.587 Werden Unfallopfer noch an der Unfallstelle zum Abschluss u.a. von Reparatur-, 255 Abschlepp- oder Mietverträgen für einen Ersatzwagen angesprochen, lag darin auch nach § 4 Nr. 2 a.F. eine unlautere Ausnutzung einer Zwangslage. Denn der verständige und situationsangemessen aufmerksame Verbraucher hat aufgrund der mit dem Unfallereignis einhergehenden Traumatisierung häufig keine Möglichkeit, mit klarem Kopf eine geschäftliche Entscheidung zu treffen; das lässt sich selbst in den Fällen feststellen, in denen das Unfallopfer keine physischen Verletzungen erlitten hat.588 Der verständige Durchschnittsverbraucher befindet sich unmittelbar nach einem Unfall regelmäßig in einem Zustand der Verwirrung und der Hilflosigkeit, demnach in einer Zwangslage, die ausgenutzt werden kann, da die Unfähigkeit zu kritischem Denken häufig die typische Folge dieser mentalen Verfassung ist. In dieser Situation fehlt es an einem aufmerksamen und verständigen, alle Informationen abwägenden Verbraucher. Als Unfallopfer ist er dann nicht mehr in der Lage, seinen Willen frei zu bilden. Das bestätigt auch Art. 9
_____
580 LG Berlin 19.1.2010 – 18 O 249/08 – WRP 2010, 955, 956 f. – Kühlmanagement für Verstorbene; a.A. MünchKomm UWG/Heermann § 4 Nr. 2 Rn. 127. 581 Palandt/Ellenberger § 138 Rn. 70. 582 BGH 8.7.1999 – I ZR 118/97 – WRP 2000, 168 – Werbung am Unfallort IV; BGH 14.12.1979 – I ZR 29/78 – GRUR 1980, 790 f. – Werbung am Unfallort III; OLG Nürnberg 14.3.1967 – 3 U 74/66 – BB 1968, 1448. 583 BGH 22.11.1974 – I ZR 50/74 – GRUR 1975, 266 – Werbung am Unfallort II; OLG Nürnberg 14.3.1967 – 3 U 74/66 – BB 1968, 1448. 584 BGH 22.11.1974 – I ZR 23/74 – GRUR 1975, 264 f. – Werbung am Unfallort I. 585 BGH 22.11.1974 – I ZR 50/74 – GRUR 1975, 266 – Werbung am Unfallort II; BGH 22.11.1974 – I ZR 23/74 – GRUR 1975, 264 f. – Werbung am Unfallort I. 586 BGH 8.7.1999 – I ZR 118/97 – WRP 2000, 168 – Werbung am Unfallort IV; BGH 22.11.1974 – I ZR 23/74 – GRUR 1975, 264 f. – Werbung am Unfallort I. 587 Zustimmend Baumbach/Hefermehl20 § 1 Rn. 51; Schwab GRUR 2002, 579, 583 f. m.w.N.; kritisch dagegen Gaedertz Anm. zu BGH 14.12.1979 GRUR 1980, 792 – Werbung am Unfallort III; Schibel BB 1968, 1449. 588 MünchKommUWG/Heermann § 4 Nr. 1 Rn. 110; Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer § 4a Rn. 195 f.
585
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
lit. c) UGPRL, wonach eine aggressive Geschäftspraxis schon dem Wortlaut nach bei Ausnutzung von „Unglückssituationen“ oder „Umständen von solcher Schwere“ als unlauter angesehen wird, weil sie das Urteilsvermögen des Verbrauchers beeinträchtigt. Eine Werbung am Unfallort ist demnach grundsätzlich nach § 4a Abs. 2 S. 2, Abs. 2 S. 1 Nr. 3 unzulässig.589 Zur Belästigung in solchen Fällen § 7 Rn. 96. cc) Werbung im Trauerfall bzw. mit Bestattungsdienstleistungen. Rechtsprechung und Literatur nahmen unter § 1 a.F. ein unlauteres Ausnutzen einer Zwangslage dann an, wenn Trauernden nach dem Verlust eines Angehörigen Bestattungsdienste angeboten wurden590 oder alte bzw. kranke Menschen unaufgeforderte Vertreterbesuche von Bestattungsunternehmen erhielten, um entsprechende Verträge abzuschließen.591 Selbst wenn der Tod des nahen Angehörigen länger als vier Wochen zurückliege, sei zu berücksichtigen, dass die Angesprochenen als Hinterbliebene im Allgemeinen einem persönlichen Appell durch einen Vertreter nicht kritisch abwägend gegenüberstünden und einem Drängen des Vertreters eben wegen ihrer besonderen seelischen Verfassung weniger Widerstand entgegensetzen würden, als das im üblichen Alltagsablauf sonst bei ihnen der Fall sein mag.592 Für § 4a Abs. 2 S. 2 kommt es nach Maßgabe des europäischen Verbraucherleitbil257 des auf den Zeitpunkt der Werbehandlung an. Liegt diese in zeitlicher Nähe zum Todesfall, dann ist ein naher Angehöriger typischerweise nicht in der Lage, geschäftliche Dinge mit der gebotenen Nüchternheit zu behandeln. Seine emotionale Verfassung und die damit einhergehende Orientierungslosigkeit in der Bewältigung der alltäglichen Bedürfnisse schaffen eine psychische Ausnahmesituation für den trauernden Verbraucher.593 Geschäftliche Handlungen sind in dieser Situation daher geeignet, die Trauer und die damit verbundene psychische Ausnahmesituation der Hinterbliebenen auszunutzen. Auch dem verständigen und situationsangemessen aufmerksamen Verbraucher fehlt in dieser Lage die Möglichkeit, die Werbung mit der erforderlichen Kritikfähigkeit aufzunehmen und unter Abwägung der für ihn relevanten Informationen die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Insoweit liegt eine spürbare Beeinträchtigung der Fähigkeit des Verbrauchers zu einer informierten Entscheidung vor.594 Werden aufgrund einer Vereinbarung zwischen einem Bestattungsunternehmen mit Alten- und Pflegeheimen sowie Krankenhäusern Verstorbene bereits zwei Stunden nach dem Todesfall vom Bestattungsunternehmen abgeholt, liegt ein Verstoß gegen § 4 Nr. 2 vor. Denn die Angehörigen werden damit ohne sachlich gerechtfertigten Grund in eine besondere, über das notwendige Maß hinausgehende Zwangslage gebracht.595 Anders wird der verständige Durchschnittsverbraucher dagegen reagieren, wenn der 258 unmittelbare Trauerzeitraum abgeklungen ist. Üblicherweise wird ein verständiger 256
_____
589 Emmerich § 12 Rn. 59; Lettl § 6 Rn. 35; Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer § 4a Rn. 195 ff.; Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 157; unter § 4 Nr. 1 fassend dagegen MünchKommUWG/Heermann § 4 Nr. 1 Rn. 110. 590 BVerfG 8.2.1972 – 1 BvR 170/71 – GRUR 1972, 358 ff. – Grabsteinwerbung; BGH 12.3.1971 – I ZR 119/69 – GRUR 1971, 317 – Grabsteinwerbungen II; BGH 1.2.1967 – Ib ZR 3/65 – GRUR 1967, 430 – Grabsteinaufträge; nicht dagegen bei „taktvoller Werbung“, vgl. OLG Zweibrücken 26.4.1996 – 2 U 34/95 – WRP 1996, 951 – Taktvolle Werbung. 591 BGH 8.7.1955 – I ZR 52/54 – GRUR 1955, 541; Gloy/Loschelder/Erdmann/Hasselblatt § 61 Rn. 72 ff.; Harte/Henning/Schöler § 7 Rn. 102; dazu auch Widmann S. 141 ff. 592 BGH 12.3.1971 – I ZR 119/69 – GRUR 1971, 317 – Grabsteinwerbungen II; LG Berlin 19.1.2010 – 18 O 249/08 – WRP 2010, 955, 956 – Kühlmanagement für Verstorbene. 593 Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer § 4a Rn. 202. 594 MünchKommUWG/Heermann § 4 Nr. 1 Rn. 105; Ekey/Klippel/Kotthoff/Meckel/Plaß § 4 Rn. 275; Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer § 4a Rn. 202. 595 LG Berlin 19.1.2010 – 18 O 249/08 – WRP 2010, 955, 956 – Kühlmanagement für Verstorbene.
Pahlow
586
I. Feststellung der Aggressivität (§ 4a Abs. 2)
§ 4a
Mensch nach einiger Zeit von selbst damit beginnen, die mit dem Todesfall zusammenhängenden wirtschaftlichen Dinge zu ordnen. Nach einer abstrakten Betrachtungsweise anhand des normativen Maßstabs eines verständigen Durchschnittsverbrauchers kann hierfür ein Zeitraum von ca. vier Wochen angesetzt werden, so dass innerhalb dieses Zeitraums ein unaufgeforderter Vertreterbesuch zur Erlangung eines Auftrags durch die Hinterbliebenen gegen § 4a Abs. 2 S. 2 verstößt.596 Nach diesem Zeitraum ist der Verbraucher dagegen in der Lage, sich angemessen 259 mit der neuen Lebenssituation auseinanderzusetzen. Unerbetenen Vertreterbesuch wird er dann wieder wie jeder verständige, durchschnittlich informierte und situationsangemessen aufmerksame Verbraucher ablehnen können.597 Daher kann die beschriebene Situation bei einem verständigen Verbraucher, der ein derartiges Gespräch nicht wünscht, gar nicht erst entstehen. Demnach ist wettbewerbsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn ein Durchschnittsverbraucher nach vier Wochen mit geschäftlichen Handlungen konfrontiert wird. Ebenso kann nicht mehr ohne Weiteres ein Verstoß gegen § 4a Abs. 2 S. 2, Abs. 2 S. 1 260 Nr. 3 angenommen werden, wenn alte oder kranke Menschen mit Bestattungsdienstleistungen durch unaufgeforderte Vertreterbesuche konfrontiert werden. Handelt es sich nicht um einen Konsumenten aus dem geschützten Personenkreis des § 4a Abs. 2 S. 2, dann kann von einem verständigen Verbraucher – auch wenn er alt und krank ist – erwartet werden, dass er den geschäftlichen Kontakt verweigert und es daher gar nicht zu einem Hausbesuch des Vertreters kommt. Eine Unzulässigkeit eines solchen Vertreterhandelns besteht daher nicht.598 Zur Belästigung in solchen Fällen vgl. unten § 7 Rn. 78 ff. dd) Ansprechen auf der Straße. Als sittenwidrig nach § 1 a.F. und damit unlauter 261 wurde auch das Ansprechen von Verbrauchern auf der Straße beurteilt.599 Es entstehe dadurch eine Situation des Zwangs, weil sich der Verbraucher aus einem Gefühl der Peinlichkeit heraus und infolge des Überraschungseffekts erklären müsse und daher eher zum Vertragsschluss bereit sei, um dieser unangenehmen Situation zu entgehen.600 Zulässig waren Werbehandlungen dann, wenn die Passanten nicht angesprochen wurden und die Werbung auch nicht anreißerisch oder aufdringlich wirkte.601 Von dieser Beurteilung hat sich die neuere Rechtsprechung bereits unter § 4 Nr. 2 262 a.F. verabschiedet.602 Zwar sei das gezielte individuelle Ansprechen von Personen grundsätzlich als wettbewerbswidrig zu erachten. Allerdings könne nicht mehr davon ausgegangen werden, dass Passanten durch die persönliche Ansprache in eine subjektive Zwangslage versetzt würden, der sie sich nur dadurch entziehen zu können glauben, dass sie auf das beworbene Produkt eingehen. In bemerkenswerter Weise stellte der BGH fest, dass „die beteiligten Verkehrskreise heute stärker als früher auf die Wahrung eigener Interessen und weniger auf die Einhaltung bestimmter Umgangsformen bedacht sind“. Mit der Gefahr einer Verstrickung oder Überrumpelung des Verbrauchers lässt
_____
596 Ebenso Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer § 41 Rn. 203. 597 Ekey/Klippel/Kotthoff/Meckel/Plaß § 4 Rn. 275; Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer § 4a Rn. 202. 598 MünchKommUWG/Heermann § 4 Nr. 1 Rn. 107; Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer § 4a Rn. 205 f. 599 BGH 4.12.1964 – Ib ZR 38/63 – GRUR 1965, 315 – Werbewagen; BGH 8.4.1960 – I ZR 24/59 – GRUR 1960, 431 – Kraftfahrzeugnummernschilder; KG 11.4.1978 – 5 U 1511/78 – WRP 1978, 721 – Straßenwerbung durch Hochzeits-Photographen; zum Ganzen auch Baumbach/Hefermehl § 1 Rn. 60 ff. m.w.N. 600 BGH 4.12.1964 – Ib ZR 38/63 – GRUR 1965, 315 – Werbewagen. 601 BGH 10.3.1994 – I ZR 36/92 – GRUR 1994, 639, 640 – Pinguin-Apotheke. 602 BGH 9.9.2004 – I ZR 93/02 – GRUR 2005, 443, 444 – Ansprechen in der Öffentlichkeit II; BGH 1.4.2004 – I ZR 227/01 – GRUR 2004, 699, 700 – Ansprechen in der Öffentlichkeit.
587
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
sich die Unlauterkeit daher nicht mehr begründen.603 Der verständige und situationsangemessen aufmerksame Verbraucher wird eine derartige Situation nicht mehr als Zwangslage empfinden. Er hat vielmehr die Möglichkeit, ohne Begründung auszuweichen und weiterzugehen. Im Übrigen haben derartige Marketingmaßnahmen in Fußgängerzonen und auf Plätzen derart zugenommen, dass sich Verbraucher daran gewöhnt haben. Eine Zwangssituation i.S.d. § 4a Abs. 2 S. 2, Abs. 2 S. 1 Nr. 3 entsteht damit für den verständigen Durchschnittsverbraucher nicht mehr. Zur Frage der Belästigung unten § 7 Rn. 81 ff. ee) Erschlichene Vertreterbesuche. Als wettbewerbsrechtlich unzulässig wurden unter der alten Generalklausel des § 1 a.F. auch erschlichene Vertreterbesuche angesehen.604 Regelmäßig hatte dabei der Verbraucher postalisch oder telefonisch Produktinformationen angefordert, worauf dann Vertreter der jeweiligen Unternehmen beim Verbraucher auftauchten, ohne dass dieser danach verlangt hatte. Zentrales Argument für die Unlauterkeit war für die Gerichte, dass dem Umworbenen die Möglichkeit genommen werde, den u.U. mittelbar auch selbst verursachten Vertreterbesuch abzulehnen. Dadurch werde der Umworbene in eine Zwangslage versetzt. Mit dieser vom Wettbewerber künstlich geschaffenen Situation beraube er den Umworbenen zudem eines der beliebtesten und zugkräftigsten Argumente bei der Abwehr eines unerbetenen Vertreterbesuchs, nämlich der Behauptung, es interessiere ihn nicht. Dagegen war sich der Verbraucher nach dem europäischen Verbraucherleitbild 264 schon unter § 4 Nr. 2 a.F. der Verbraucher darüber bewusst, dass der Vertreter nicht von ihm bestellt wurde und er daher keinen Anlass hat, ihn zu empfangen. Der Überrumpelungsversuch wird dem verständigen Verbraucher vielmehr die Möglichkeit geben, sich durch eine starke Abwehrhaltung der Werbemaßnahme zu entziehen. Allein der Hinweis auf sein fehlendes Interesse am Vertreterbesuch als solchem reicht für eine Zurückweisung aus. Eine Zwangslage kann für den verständigen Durchschnittsverbraucher daher gar nicht erst entstehen. Deshalb ist eine solche geschäftliche Handlung auch nach § 4a Abs. 2 S. 2 unbedenklich.605 263
265
ff) Räumliche Zwangslage. Dagegen ist die Ausnutzung einer räumlichen Zwangslage auch nach dem reformierten UWG 2015 unter Umständen unzulässig. Findet z.B. eine Verkaufsveranstaltung in einem abgelegenen Gebäude statt, ohne dass die Kunden die Möglichkeit haben, von dort nach Hause zurückzukehren, und werden sie im Anschluss von den Veranstaltern zur Leistung einer Anzahlung gedrängt, um anschließend nach Hause gebracht zu werden, ist das wettbewerbswidrig. Bereits Nr. 25 und 26 des Anhanges zu § 3 Abs. 3 verbieten eine derartige Geschäftspraxis. Unabhängig von diesen Bestimmungen sind derartige Handlungen aber auch nach 266 § 4a Abs. 2 S. 2, Abs. 2 S. 1 Nr. 3 unlauter. Durch die beschriebene geschäftliche Handlung entsteht bei dem verständigen Verbraucher eine Zwangslage, die der Unternehmer ausnutzt.606 Der Verbraucher sieht sich hier mit einer für ihn äußerst misslichen Situa-
_____
603 BGH 1.4.2004 – I ZR 227/01 – GRUR 2004, 699, 700 – Ansprechen in der Öffentlichkeit. 604 Zum Folgenden vgl. BGH 4.6.1975 – I ZR 58/74 – GRUR 1976, 32 – Präsentation; BGH 22.9.1972 – I ZR 104/71 – GRUR 1973, 81 – Gewinnübermittlung; BGH 30.3.1971 – I ZR 130/09 – GRUR 1971, 320 – Schlankheitskur; BGH 15.5.1968 – I ZR 17/66 – GRUR 1968, 648, 649 – Farbbildangebot; OLG Karlsruhe 26.7.1989 – 6 U 257/88 – WRP 1990, 55 – Vorformulierte Rückantwortkarte; zustimmend Ekey/Klippel/ Kotthoff/Meckel/Plaß § 7 Rn. 25; Harte/Henning/Schöler § 7 Rn. 102. 605 Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer § 4a Rn. 225 f. 606 Ekey/Klippel/Kotthoff/Meckel/Plaß § 4 Rn. 100.
Pahlow
588
I. Feststellung der Aggressivität (§ 4a Abs. 2)
§ 4a
tion konfrontiert, nämlich dem Verlust seiner Bewegungsfreiheit, wobei die Wiedererlangung vom Wettbewerber von einer Befolgung des Werbeappells abhängig gemacht wird. Daneben kann auch eine Nötigung gegeben sein, die nach § 4a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ebenfalls unzulässig ist. gg) Ausnutzen. Die geschäftliche Handlung muss geeignet sein, die Angst oder 267 die Zwangslage von Verbrauchern auszunutzen; ob sie tatsächlich ausgenutzt wird oder ob die Verbraucher tatsächlich Angst haben, ist dagegen unerheblich.607 Ausnutzen verlangt also ein bewusstes, zielgerichtetes Verhalten des Unternehmers gegenüber dem Verbraucher. Der Unternehmer muss um die Angst des Verbrauchers wissen und sie gezielt als Mittel einsetzen, um dessen geschäftliche Entscheidung (§ 2 Abs. 1 Nr. 9) zu beeinflussen. Dabei ist es unerheblich, ob der Unternehmer eine vorhandene Angst beim Verbraucher schürt, ob er sie selbst schafft oder verstärkt, oder ob der Verbraucher die Angst selbst durch entsprechende Fragen an den Unternehmer hervorruft. Die Ausnutzungshandlung richtet sich stets an den durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher bzw. auf ein durchschnittliches Mitglied einer Gruppe von Verbrauchern (§ 3 Abs. 4 S. 1). Nicht jedes Verhalten des Unternehmers unter dem Hinweis auf die konkrete Angstsituation bzw. Zwangslage stellt ein Ausnutzen dar. Vielmehr muss der Hinweis dazu geeignet sein, das Urteilsvermögen des Verbrauchers zu beeinträchtigen und rationale Erwägungen weitgehend auszuschalten. Diese Frage ist je nach betroffenem Rechtsgut, dem Ausmaß der Gefahr, der Wahrscheinlichkeit ihrer Verwirklichung und vor allem auch der Intensität des Einwirkens auf den Verbraucher zu beurteilen. Hier spielen in Bezug auf die persönlichen Verhältnisse des Verbrauchers vor allem Leben, Gesundheit, Sicherheit, Anerkennung, Arbeitsplatz oder Vermögen eine besondere Rolle, die aber unmittelbar betroffen sein müssen. Zusätzlich sind die weiteren Umstände des Einzelfalles insbesondere also Anlass, Zweck, Inhalt, Art und Tragweite der geschäftlichen Handlung zu berücksichtigen. Soweit die Werbung sich auf sachliche Information über ein Produkt oder über die 268 Auswirkung einer Nachfrageentscheidung beschränkt und diese Information wahr (sonst § 5 Abs. 1) und für den Verbraucher nachprüfbar sind, ist sie grundsätzlich lauterkeitsrechtlich unbedenklich, weil sie eine rationale Entscheidung gerade fördert, aber nicht beeinträchtigt.608 Im Grunde liegt in diesen Fällen regelmäßig schon keine (richtlinienkonforme) Angst- oder Zwangslage. Die Grenze zur Unlauterkeit (Ausnutzung) ist aber überschritten, wenn die Informationen nicht nachprüfbar sind und das hervorgerufene oder verstärkte Angstgefühl so stark ist, dass das Urteilsvermögen beeinträchtigt wird, also z.B. bei einem Panikkauf, der unter Zeitdruck einer Entscheidung getroffen werden müsse.609 3. Beeinträchtigung des Urteilsvermögens. Das Urteilsvermögen des Verbrau- 269 chers muss durch die situativen und personenbezogenen Defizite beeinträchtigt worden sein. Das legen die englische und die französische Sprachfassung der UGPRL nahe (engl. „of such gravity as to impair the consumer’s judgement“; frz. „d’une gravité propre à altérer le jugement du consommateur“).610 Es geht also um die Fähigkeit, rational das Für und Wider einer bestimmten geschäftlichen Entscheidung abwägen zu können (Urteils-
_____
607 Fezer/Büscher/Obergfell/Scherer § 4a Rn. 257. 608 BGH 22.4.1999 – I ZR 159/96 – GRUR 1999, 1007, 1008 – Vitalkost; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 2.26; bedenkenswert für die Versicherungswerbung Schünemann FS Köhler 2014, 663, 670. 609 A.A. Scherer WRP 2004, 1426; Beater Unlauterer Wettbewerb Rn. 1669 ff. 610 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.91.
589
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
vermögen). Es muss – entgegen der Auffassung des BGH611 – nicht völlig ausgeschaltet sein. Art. 8 und 9 UGPRL gehen nur von einer Beeinträchtigung des Urteilsvermögens aus.612 Entscheidend ist, wie der Durchschnittsverbraucher bzw. das durchschnittliche Mitglied der angesprochenen Verbrauchergruppe auf das Verhalten des Unternehmers reagiert. Der Unternehmer muss die situativen oder personenbezogenen Umstände bewusst 270 ausnutzen. Ihm müssen die betreffenden Situationen oder Eigenschaften also bekannt sein; eine absichtliches, d.h. zielorientiertes Ausnutzen zur Beeinflussung der Verbraucherentscheidung ist allerdings nicht erforderlich.613 Unter Ausnutzen ist vielmehr nur das Gebrauchen des betreffenden Wissens um die besonderen Umstände zu verstehen. Ein objektiver Zusammenhang der Handlung mit den betreffenden Umständen muss gegeben sein, d.h. es genügt, wenn die Handlung des Unternehmers bei objektiver Betrachtung darauf gerichtet ist, die Verbraucherentscheidung zu beeinflussen.614 V. Hindernisse (Nr. 4) 271
Behinderungen des Verbrauchers an der Ausübung seiner vertraglichen Rechte können ebenfalls ein Aggressivitätskriterium sein. Dies gilt nach Nr. 4 aber nur für „belastende oder unverhältnismäßige Hindernisse nicht vertraglicher Art“.615 Nr. 27 Anhang § 3 Abs. 3 normiert einen Spezialtatbestand für Versicherungsverhältnisse, in denen die Vorlage von unnötigen Unterlagen verlangt wird oder Schreiben systematisch nicht beantwortet werden. Die Regelung führt stets zur Unlauterkeit und insoweit geht § 4a vor.
1. Hindernisse nichtvertraglicher Art. Als Hindernisse können alle Umstände angesehen werden, die es dem Verbraucher erschweren, seine vertraglichen Rechte auszuüben. Die Eignung dafür genügt.616 Diese Hindernisse müssen belastend oder unverhältnismäßig sein. Diese qualitative Schranke sollte nicht zu eng ausgelegt werden. Alle Behinderungen, die vom üblichen Aufwand der Ausübung von vertraglichen Rechten und Befugnissen zu deren Durchsetzung abweichen, fallen darunter. Dazu gehört z.B. Kosten für notwendige Dokumente, Zeitaufwand bei der Kommunikation, Kosten bei Telefonaten etc. Nichtvertraglicher Art sind diese Hindernisse, wenn sie auf Umständen beruhen, 273 die außerhalb des vertraglichen, also im Konsens zwischen Unternehmer und Verbraucher bzw. sonstigen Marktteilnehmer hergestellten Regelwerks liegen.617 Mit anderen Worten: Vertraglich ausbedungene Beschränkungen, die wirksam im Rahmen der zivilrechtlichen Bestimmungen (u.a. §§ 305 ff., 134, 138, 242 BGB) vereinbart wurden, fallen nicht darunter. Für diese Fälle stehen dem Verbraucher ohnehin die vertragsrechtlichen Abwehrrechte zur Verfügung. Das UWG will dagegen auch solche Fälle erfassen, gegen
272
_____
611 BGH 19.3.2015 – I ZR 157/13 – GRUR 2015, 1134 Tz. 14 – Schufa-Hinweis; vgl. auch BGH 13.6.2002 – I ZR 173/01 – GRUR 2002, 976, 979 – Koppelungsangebot I; BGH 22.9.2005 – I ZR 28/03 – GRUR 2006, 161 Tz. 17 – Zeitschrift mit Sonnenbrille; BGH 24.6.2010 – I ZR 182/08 – GRUR 2010, 850 Tz. 13 – Brillenversorgung II. 612 Zurückhaltend nunmehr BGH 22.3.2018 – I ZR 25/17 – GRUR 2018, 1063 Tz. 14 – Zahlungsaufforderung: „jedenfalls dann der Fall, wenn …“; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.93. 613 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.94. 614 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.95. 615 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.96. 616 Scherer GRUR 2016, 240. 617 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.97.
Pahlow
590
I. Feststellung der Aggressivität (§ 4a Abs. 2)
§ 4a
die dem Verbraucher keine vertraglichen Rechte zur Verfügung stehen, wie etwa im Fall des klassischen „Abwimmelns“ von Konsumenten, oder das Verlangen völlig unnötiger und irrelevanter Informationen bzw. das schlichte Nichtbeantworten von Anfragen des Verbrauchers (vgl. auch Nr. 27 Anhang § 3 Abs. 3).618 Internetwerbeblocker stellen kein belastendes oder unverhältnismäßiges Hindernis nichtvertraglicher Art i.S.d. § 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 4 dar, weil damit nur Hindernisse bei der Ausübung vertraglicher Rechte im Verhältnis zwischen dem Handelnden und dem Druckadressaten gemeint sind.619 Die Behinderungen müssen aus der Verantwortungs- und Risikosphäre des Un- 274 ternehmers stammen, d.h. in irgendeiner Weise auf dessen Verhalten zurückzuführen sein. Eine Baustelle vor dem Ladengeschäft eines Einzelhändlers begründet keinen hindernden Umstand i.S.d. § 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 4. Ungünstige Öffnungszeiten fallen regelmäßig nicht unter Nr. 4, da ihr objektiver Zweck nicht darauf gerichtet ist, sich den Forderungen der Kunden zu entziehen.620 Der Unternehmer muss das Hindernis nicht absichtlich auferlegt haben; es genügt vielmehr, dass die aufgestellten Hindernisse bei objektiver Betrachtung darauf gerichtet sind, den Verbraucher an der Ausübung seiner Rechte zu hindern. Der Unternehmer kann sich damit nicht auf den Einwand berufen, seine Maßnahmen sollten Betriebsabläufe rationalisieren bzw. auch im Interesse der Verbraucher Kosten einzusparen. Diese Grundsätze finden auch Anwendung im eigens eingerichteten Verfahren für „Beschwerden“ von Kunden, die ebenfalls den Anforderungen des § 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 4 entsprechen müssen. 2. Ausübung vertraglicher Rechte. Der Unternehmer muss die hindernde Wirkung 275 erkennen, mit Hilfe derer er versucht, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer an der Ausübung seiner vertraglichen Rechte zu hindern. Absicht oder Vorsatz ist hierfür nicht erforderlich. Es genügt, dass er Kenntnis von den objektiven Umständen hat, aus denen sich die Eignung zur entsprechenden Behinderung (Rn. 272 f.) hat.621 Unter die vertraglichen Rechte des Verbrauchers oder sonstigen Marktteilnehmers 276 fallen alle Rechte, die ihnen aus dem Vertragsverhältnis mit dem Unternehmer zustehen.622 Darunter fallen insbesondere Gestaltungsrechte wie Anfechtung, Widerruf, Kündigung, Rücktritt, Minderung, zudem Erfüllungs- und Schadensersatzansprüche oder Ansprüche auf Vertragsanpassung. Soweit darüber hinaus auch gesetzlich zugewiesene Rechte bestehen, sind diese miterfasst.623 Beispielhaft nennt Nr. 4 die Vertragskündigung und der Wechsel zu einer anderen Waren oder Dienstleistung bzw. einem anderen Unternehmer (Anbieter). Die Einwirkung auf die Ausübung von Rechten in einem Vertragsverhältnis, das zwischen dem von der geschäftlichen Handlung betroffenen Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer und einem Dritten besteht, unterfällt § 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 4 dagegen nicht.624 Ob ein solches Recht tatsächlich besteht, ist unerheblich; es genügt, wenn es seiner Art nach nicht ausgeschlossen ist. Bei § 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 4 geht es
_____
618 Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 187; krit. wegen der bloßen Passivität Fritzsche WRP 2016, 1, 6. 619 BGH 19.4.2018 – I ZR 154/16 – GRUR 2018, 1251 Tz. 66 – Werbeblocker II; OLG München 17.8.2017 – U 2225/15 Kart – GRUR 2017, 1147 Tz. 191 – Whitelisting I; OLG München 17.8.2017 – U 2184/15 Kart – WRP 2017, 1365 Tz. 128 – Whitelisting II; OLG München 17.8.2017 – 29 U 1917/16 – WRP 2017, 1377 Tz. 57 – Whitelisting III; a.A. OLG Köln GRUR 2016, 1082 Tz. 57 – Adblock Plus. 620 Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 187; Fritzsche WRP 2016, 1 Rn 39. 621 Ohly/Sosnitza § 4a Rn. 188. 622 BGH 19.4.2018 – I ZR 154/16 – GRUR 2018, 1251 Tz. 65 – Werbeblocker II; Alexander GRUR 2016, 1089, 1090; Fritzsche WRP 2016, 1036 Rn. 16. 623 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.106. 624 BGH 19.4.2018 – I ZR 154/16 – GRUR 2018, 1251 Tz. 66 – Werbeblocker II; OLG München 17.8.2017 – U 2225/15 Kart – GRUR 2017, 1147 Tz. 191 – Whitelisting I; Alexander GRUR 2016, 1089, 1090.
591
Pahlow
§ 4a
Aggressive geschäftliche Handlungen
nur darum, dem Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer die grundsätzliche Möglichkeit zu erhalten, vertragliche Rechte auszuüben. VI. Drohung mit rechtlich unzulässigen Handlungen (Nr. 5) 277
§ 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 5 bekräftigt die aggressive Bedeutung von Drohungen mit rechtswidrigen Handlungen, was aber im Grunde schon in Nr. 2 angelegt ist (dazu oben Rn. 187 ff.). Das Kriterium knüpft an die Nötigung des Abs. 1 S. 2 Nr. 2 an und trägt zu seiner Konkretisierung bei.
278
1. Drohung. Drohung ist die Ankündigung des Unternehmers oder eines von ihm beauftragten Dritten, der Verbraucher oder sonstige Marktteilnehmer müsse mit einer bestimmten Handlung rechnen, falls er eine bestimmte geschäftliche Entscheidung i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 9 nicht oder nicht bis zu einem bestimmten Termin trifft (u.a. Abschluss eines Kaufvertrages; Zahlung des Kaufpreises; Ausübung eines Rechtes etc.). Die Ankündigung kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen. Entscheidend ist, ob der Adressat das Verhalten dahingehend verstehen darf, dass der Unternehmer oder in seinem Auftrag ein Dritter die Handlung vornehmen werde. Die Handlung muss unmittelbar oder mittelbar zu einem Nachteil des Adressaten oder einem nahestehenden Dritten führen.625
279
2. Rechtlich unzulässige Handlung. Rechtlich unzulässig ist die Handlung, wenn sie gegen die Rechtsordnung verstößt. Ein Verstoß gegen zwingende Verbotsnormen ist dafür nicht erforderlich. Vielmehr genügt auch die Drohung mit einer Vertragsverletzung (§ 280 BGB), etwa der Einstellung von Reparatur- und Serviceleistungen, sofern nicht ein Ersatzteilpaket bestellt werde.626 Unlauter ist auch die Drohung eines Internetanbieters mit einer Strafanzeige wegen Betruges, wenn ein minderjähriger Vertragspartner sein Geburtsdatum falsch angibt, d.h. sich als Volljährige ausgeben.627 Ebenso rechtswidrig ist ein Mahnschreiben eines Mobilfunkunternehmens an seine Kunden mit der Drohung, „die unbestrittene Forderung der SCHUFA mitzuteilen“ und dem Hinweis auf die nachteiligen Folgen des SCHUFA-Eintrags für den Kunden, sofern der Kunde nicht darüber aufgeklärt wird, dass eine Datenübermittlung nur unter den Voraussetzungen des § 28a Abs. 1 Nr. 4 BDSG a.F., d.h. bei Bestreiten der Forderung, zulässig ist.628 Die Aufforderung zur Zahlung, Rücksendung oder Verwahrung eines nicht bestellten, aber gelieferten Produkts ist bereits in Nr. 29 Anhang § 3 Abs. 3 unzulässig; die Regelung geht insoweit § 4a vor (oben Rn. 6). 280 Es kommt auch nicht darauf an, ob sich der Drohende der Rechtswidrigkeit der angekündigten Handlung bewusst ist; er muss nicht vorsätzlich handeln.629 Die Drohung muss nur für den Adressaten ernsthaft und glaubwürdig erscheinen: Ein Unternehmer, der auf einer Kaffeefahrt den Teilnehmern mitteilt, dass sie nicht nach Hause gefahren werden, bevor alles „abverkauft“ ist, kann für die Adressaten daher bereits deshalb ernsthaft und glaubwürdig erscheinen, weil der Unternehmer faktisch den Zeitpunkt der Abfahrt bestimmen kann.630
_____ 625 626 627 628 629 630
Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.109. LG Ellwangen 18.9.2006 – 10 O 72/06 – WRP 2007, 467. LG Mannheim 12.5.2009 – 2 O 268/08 – MMR 2009, 568. BGH 19.3.2015 – I ZR 157/13 – GRUR 2015, 1134 Tz. 23 ff. – Schufa-Hinweis. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.110. Scherer GRUR 2016, 240.
Pahlow
592
Schrifttum
Vor §§ 5, 5a
Der Wortlaut des § 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 5 kennt eine Drohung mit rechtlich zulässigen 281 Handlungen nicht. Im Interesse eines hohen Verbraucherschutzniveaus scheidet aber auch in solchen Fällen eine Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit nicht aus. Auch die Drohung mit einer für sich gesehen rechtlich zulässigen Handlung kann im Einzelfall auf den Adressaten einen so nachhaltigen Druck ausüben, dass er die von ihm erwartete geschäftliche Entscheidung trifft. Dabei kommt es darauf an, welchen Gesamteindruck die Drohung auf die angesprochenen Verkehrskreise (§ 3 Abs. 4 S. 1) hervorruft.631 Entscheidend ist, ob die angedrohte rechtlich zulässige Handlung in keinem sachlichen Zusammenhang mit der angestrebten geschäftlichen Entscheidung steht (Inadäquanz von Mittel und Zweck).632 Dieser Schutz spielt vor allem bei besonders schutzbedürftigen Verbrauchern (§ 3 Abs. 4 S. 2) eine besondere Rolle. VII. Sonstige Umstände Da die Aufzählung in Nr. 1–5 nicht abschließend ist, steht es der Rechtsprechung 282 frei, auch weitere Kriterien zu entwickeln, die bei der Beurteilung der Aggressivität einer geschäftlichen Handlung berücksichtigt werden können. Pahlow/Lindacher/Peifer
Vorbemerkungen zu §§ 5, 5a Vor §§ 5, 5a Vorbemerkungen Schrifttum https://doi.org/10.1515/9783110545944-007
Schrifttum Apostolopoulos Das europäische Irreführungsverbot: Liberalisierung des Marktgeschehens oder Einschränkung für die Anbieterseite?, GRUR Int. 2005, 292; Bagwell The economic analysis of advertising, in: Handbook of Industrial Organization, Bd. 3 (2007) 1701; Bain Barriers to New Competition, 1956; Beater Europäisches Recht gegen unlauteren Wettbewerb – Ansatzpunkte, Entwicklungen, Erforderlichkeit, ZEuP 2009, 11; Bornkamm Entwicklungen der Rechtsprechung im Wettbewerbsrecht – Vergleichende Werbung, in: Schwarze (Hrsg.), Werbung und Werbeverbote im Lichte des europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, 134; ders. Wettbewerbs- und Kartellrechtsprechung zwischen nationalem und europäischem Recht, FS 50 Jahre BGH, 2000, 343; ders. Die Schnittstelle zwischen gewerblichem Rechtsschutz und UWG – Grenzen des lauterkeitsrechtlichen Verwechslungsschutzes, GRUR 2011, 1; ders. Irrungen, Wirrungen. Der Tatbestand der Irreführung durch Unterlassen, WRP 2012, 1; Brömmelmeyer Der Binnenmarkt als Leitstern der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, GRUR 2007, 295; Dana/Weber/Kuang Exploiting moral wiggle room: experiments demonstrating an illusory preference for fairness, Economic Theory 33 (2007) 67; Fezer Das wettbewerbsrechtliche Irreführungsverbot als ein normatives Modell des verständigen Verbrauchers im Europäischen Unionsrecht, WRP 1995, 671; ders. Das Informationsgebot der Lauterkeitsrichtlinie als subjektives Verbraucherrecht – Zur Umsetzung des Art. 7 der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken in § 5 UWG, WRP 2007, 1021; Galbraith The Affluent Society, 1958; ders. The New Industrial State, 1967; Hoeren Das neue UWG – der Regierungsentwurf im Überblick, BB 2008, 1182; Hösl Interessenabwägung und rechtliche Erheblichkeit der Irreführung bei § 3 UWG, 1986; Kessler Wettbewerbsrechtliches Irreführungsverbot und Freiheit des Warenverkehrs, EuZW 1991, 107; ders. Lauterkeitsschutz und Wettbewerbsordnung – zur Umsetzung der RL 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken in Deutschland und Österreich, WRP 2007, 714; Keyßner Täuschung durch Unterlassen – Informationspflichten in der Werbung, 1986; Leible Werbung für EG-Neuwagen, NJW 2000, 1242; Lettl Der lauterkeitsrechtliche Schutz vor irreführender Werbung in Europa, 2004; Lindacher Funktionsfähiger Wettbewerb als Final- und Beschränkungsgrund des lauterkeitsrechtlichen Irreführungsverbots, FS Nirk (1992) 587; ders. Allgemeines Irreführungsverbot und konditioniertes Informationsgebot – Doppelgleisiger lauterkeitsrechtlicher Schutz materialer Privatautonomie, FS Spellenberg (2010) 43; ders. Das lauterkeitsrechtliche Irreführungsverbot –
_____ 631 632
BGH 22.3.2018 – I ZR 25/17 – GRUR 2018, 1063 Tz. 17 – Zahlungsaufforderung. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4a Rn. 1.112.
593 https://doi.org/10.1515/9783110545944-007
Pahlow/Lindacher/Peifer
Vor §§ 5, 5a
Vorbemerkungen
Tatbestandsprägung durch empirische und normative Elemente, FS G.H. Roth (2011) 461; A. Meyer Die anlockende Wirkung der irreführenden Werbung, 1989; Peifer Die Zukunft der irreführenden Geschäftspraktiken, WRP 2008, 556; ders. Aufräumen im UWG – Was bleibt nach der Kodifikation zum irreführenden Unterlassen für § 4 Nr. 1, 4, 5 und 6 UWG? WRP 2010, 1432; ders. Lauterkeitsrechtliche Informationspflichten – Dogmatik und Verhältnis zu (lebensmittelrechtlichen) Kennzeichnungsgeboten, ZLR 2011, 161; Reese Grenzüberschreitende Werbung in der Europäischen Gemeinschaft, 1994; ders. Das „6-Korn-Eier“Urteil des EuGH – Leitentscheidung für ein Leitbild? WRP 1998, 1035; Nelson Information and Consumer Behavior, Journal of Political Economy 82 (1974), 729; ders. The economic value of advertising, in: Bronzen (Hg.), Advertising and Society (1974), S. 43; Rao/Wang Demand for „Healthy Products: False Claims and FTC Regulation, Journal of Marketing Research 2017, 968; Roderburg Das lauterkeitsrechtliche Irreführungsverbot in Deutschland und Belgien, Diss. Trier 2007; Sack Die Auswirkungen des europäischen Rechts auf das Verbot irreführender Werbung, in: Schwarze (Hrsg.), Werbung und Werbeverbote im Lichte des europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, 102; ders. Die Beurteilung irreführender Werbung für Importfahrzeuge aus EG-Staaten nach EG-Recht, WRP 2000, 23; ders. Immanente Schranken des Irreführungsverbots, FS Köhler (2014), S. 555; Steinbeck Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken: Irreführende Geschäftspraktiken – Umsetzung in das deutsche Recht, WRP 2006, 632; dies. Irrwege bei der Irreführung durch Unterlassen, WRP 2011, 1221; Stigler/Becker De Gustibus non est disputandum, American Economic Review 67 (1977) 76; Wuttke Die Konvergenz des nationalen und des europäischen Irreführungsbegriffs, WRP 2004, 820.
Lindacher/Peifer A.
B.
C.
D.
Systematische Übersicht Rechtsentwicklung: vom Irreführungsverbot als reinem Desinformationsverbot zum dualen lauterkeitsrechtlichen Schutz durch Anerkennung eines gemäßigten Informationsgebots | 1 Schutzzweckfrage | 6 I. Der Ausgangspunkt: das Konzept des Nur-Mitbewerberschutzes | 6 II. Die In-Frage-Stellung des Konzepts des Nur-Mitbewerberschutzes durch Rechtsprechung und Lehre | 7 III. Die Etablierung der Lehre von der Schutzzwecktrias | 8 IV. Individual-, Kollektiv- und Institutionenschutz | 10 V. Praktische Relevanz der Entscheidung zugunsten der Lehre von der Schutzzwecktrias | 11 Erkenntnisse der Informationsökonomik sowie der Marketingtheorie und der Kognitionspsychologie | 13 EU-Recht: Grundfreiheiten und unionsrechtliches Sekundärrecht | 16 I. Überblick | 16 II. Die Periode der Negativintegration: Marktfreiheiten als Beschränkungsverbote | 19 1. Entwicklung der Rechtsprechung zur Warenverkehrsfreiheit, Art. 34 AEUV (ex Art. 28 EG) | 19 a) Der Ausgangsbefund: stockende Harmonisierung | 19
Lindacher/Peifer
b)
III.
Richterrechtliche Neudefinition der Funktion der Warenverkehrsfreiheit: Dassonville und Cassis de Dijon | 20 c) Keck: warenbezogene Regelungen und „bestimmte Verkaufsmodalitäten“ betreffende Regelungen | 21 d) Ungeschriebene Rechtfertigungsgründe | 23 2. Entwicklung der Rechtsprechung zur Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV (ex Art. 49 EG) | 25 a) Gleichbehandlung von Ware und Dienstleistung | 25 b) Geschützte Formen der Dienstleistung | 27 c) Rechtfertigung | 28 Fortschreitende Positivharmonisierung | 29 1. Überblick | 29 2. Irreführungsrichtlinie und UGP-Richtlinie | 31 a) Irreführungsrichtlinie | 31 b) UGP-Richtlinie | 33 c) Abgrenzung des Geltungsbereichs beider Richtlinien | 38 3. Sekundärrechtliche Werbeverbote | 39 4. Spezielle sekundärrechtliche Irreführungsverbote | 40
594
Systematische Übersicht
5.
E. F. G.
595
Spezielle sekundärrechtliche Informationsgebote | 43 IV. Konsequenz: Aufwertung des Sekundärrechts als Kontrollmaßstab | 45 V. Richtlinienangelehntes Recht kraft überschießender Richtlinienumsetzung | 47 Systematische Übersicht VI. Relevanz EU-rechtlicher Bezeichnungsvorschriften | 50 1. Bezeichnungsrecht und akzessorische Verkehrsanschauung | 51 2. Bezeichnungsrecht und normativ bedingte Irreführung | 52 3. Produktbezeichnung als Mittel der Irreführungsgefahrausräumung | 53 EU-Recht: Grundrechte | 54 Nationales Verfassungsrecht | 58 Verbraucherleitbild/Unternehmerleitbild | 62 I. Verbraucherleitbild | 62 1. Überblick | 62 2. Frage nach dem „Verbraucherleitbild“ als Frage nach der „richtigen“ Schutz- bzw. Regulierungshöhe | 64 3. Leitbildwandel | 67 a) Ältere Rechtsprechung | 67 b) Schrittweise Annäherung an die EuGH-Linie | 70 c) Erledigung des „Leitbild“Streits: Maßgeblichkeit der Vorgabe der RL 2005/ 29/EG | 72 4. Informiertheit, Aufmerksamkeit, Verständigkeit | 73 a) Überblick | 73 b) Wissen und Intellekt | 75 aa) Vorwissen | 75 bb) Kritische Annäherung, Bereitschaft zur Wahrnehmung angebotener (Zusatz-)Information | 78 c) Die InvolvementFrage | 80 aa) Was heißt „angemessen“ aufmerksam? | 80
H.
Vor §§ 5, 5a
bb) Erkenntnisse der Informationsökonomie | 83 cc) Folgerungen | 86 5. Adressatenbezogene Bestimmung des Referenzverbrauchers | 92 6. Besonderheiten der nationalen Märkte: soziale, kulturelle und sprachliche Eigenheiten | 95 II. Unternehmerleitbild | 96 1. Bestimmung des „Unternehmerleitbilds“: EU-rechtliche Vorgabe, autonome nationale Entscheidung | 97 2. Informiertheit, Verständigkeit, Aufmerksamkeit | 99 3. Adressatenkreisbezogene Bestimmung des Referenzunternehmers | 100 Dogmatik und System | 102 I. Deliktstatbestandstypologie | 102 II. Binnensystemfragen | 105 1. Überblick | 105 2. Verhältnis zur Generalklausel | 108 3. Irreführungsverbot und „Schwarze Liste“ | 110 4. Binnenverhältnis § 5–§ 5a | 112 a) Überblick | 112 b) Irreführungsverbot – Informationsgebot | 114 c) Handeln und Unterlassen | 116 d) Verdeckte richterrechtliche Anerkennung fehlvorstellungsunabhängiger Informationspflichten unter altem Recht | 121 e) „Irreführende Handlungen“ und „irreführende Unterlassungen“ i.S. der RL 2005/29/EG | 123 f) Folgerungen für das Verhältnis von §§ 5, 5a | 127 g) Irreführungsverbot und konditioniertes Informationsgebot: sich überschneidende Schutzkreise | 128 h) Unklare, mehrdeutige und unvollständige Angaben | 129 5. Irreführungsverbot und vergleichende Werbung | 132
Lindacher/Peifer
Vor §§ 5, 5a
Vorbemerkungen
a)
Irreführung im Rahmen vergleichender Werbung | 132 b) Irreführung durch vergleichende Werbung: §§ 5 Abs. 2, 6 Abs. 2 Nr. 3 | 133 6. Verhältnis zu sonstigen Einzeltatbeständen | 134 a) Änderungen durch das UWG 2015 | 134 b) GetarnteWerbung, § 5a Abs. 6 | 136 c) Intransparenz bei Absatzförderungsmaßnahmen einschließlich Preisausschreiben und Gewinnspielen | 140 d) Verhältnis zu § 4 Nr. 2 | 142 e) Verhältnis zu § 4 Nr. 3 lit. a) | 144 III. Irreführungsverbote außerhalb des UWG | 146 IV. Informationsgebote außerhalb des UWG | 149 V. Irreführungsverbot und Kennzeichenrecht | 150 1. Grundaussagen | 150 2. Gleichrang statt Vorrang des Markenrechts | 152 3. Ausstrahlwirkung des Kennzeichenrechts | 154 VI. Geographische Herkunftsangaben | 157 1. Bedeutung | 157 2. Kennzeichenschutz und Schutz vor Irreführung mit geographischen Herkunftsangaben | 158 3. Folgerungen | 162 VII. Preisangabenverordnung | 164 VIII. Allgemeines Deliktsrecht | 166
Vertragsrecht | 167 1. Grundaussagen | 167 2. Leistungsstörungen | 170 a) Komplementärer lauterkeitsrechtlicher Schutz bei informationsasymmetriebedingter Gefahr der Nichtgeltendmachung der vertraglichen Behelfe | 171 b) Komplementärer lauterkeitsrechtlicher Schutz bei systematischer Minder- bzw. Schlechterfüllung | 172 Irreführungsverbot und Bezeichnungsrecht | 173 I. Verkehrsauffassungsprägung durch Bezeichnungsrecht | 174 II. Verkehrserwartungskonträre gesetzliche Bezeichnungen | 175 1. Problemstellung | 175 2. Verbotsimmune Verwendung gesetzlich vorgeschriebener oder gestatteter Bezeichnung | 177 a) Der Grundsatz: Vorrang des Kennzeichnungsrechts | 177 aa) Gesetzlich vorgegebene Angaben | 177 bb) Gesetzlich gestattete Angaben | 178 b) Lockerung des Grundsatzes | 181 aa) Die Ausnahme: einzelumstandsbedingte Unzulässigkeit der Bezeichnungsverwendung | 181 bb) Sonderlage: Nichtannahme der gesetzlichen Terminologie | 182 3. Schlichte legislatorische Bezeichnungsverwendung | 183 III. Bezeichnung und Obliegenheit zu ihrer Kenntnisnahme | 184 IX.
I.
Vor §§ 5, 5a Vorbemerkungen Alphabetische Übersicht Lindacher/Peifer Alphabetische Übersicht Akzessorische Verkehrsauffassung 51, 174 Aufmerksamkeit, situationsadäquate 73 f., 80 ff., 99 Bezeichnungsvorschriften, Produktbezeichnungen 50 ff. Cassis-Formel 20 Cheapest cost avoider 15 Dassonville-Formel 20 Dienstleistungsfreiheit 25 ff.
Lindacher/Peifer
EU-Grundfreiheiten 16 ff. EU-Grundrechte 54 ff. Geographische Herkunftsangaben 157 ff. Information chunks 15 Information overload 15 Informationsgebot 3 f., 104, 114 f., 121 f. Informationsgebote, spezielle 43 f., 149 Informationsökonomik 13, 15, 83 ff. Informiertheit 73 f., 75 ff., 99
596
A. Rechtsentwicklung
Institutionenschutz 10 Interessenabwägung 89 ff. Involvement 14, 80 ff. Irreführungsrichtlinie 31 f., 38 Irreführungsverbot – und allgemeines Deliktsrecht 166 – als reines Desinformationsverbot 114 – als konkretes Gefährdungsdelikt 102 f. – und konditioniertes Informationsgebot 3 f., 112 ff. – und Kennzeichenrecht 150 ff. – und Kennzeichnungsrecht 173 ff. – und Marktfreiheiten 19 ff. – und „Schwarze Liste“ 5, 110 – und vergleichende Werbung 132 f. – und Vertragsrecht 167 ff. Irreführungsverbote, spezielle 40 ff., 146 ff. Keck-Formel 21 f. Kennzeichenrecht – Beachtung grundlegender kennzeichenrechtlicher Wertungen 154 ff. – Gleichrang statt Vorrang des Markenrechts 152 f. Kognitionspsychologie 13 f. Kommunikationsgrundrecht 54, 58 Konkurrentenschutz 10 Konkurrenzfragen 134 ff. Leistungsstörungen 170 ff. Marktfreiheiten 19 ff. Mehrdeutige Angaben 129 ff. Negativintegration 19 ff. Normativbedingte Irreführung 52, 175 ff. Normengeschichte 1 ff.
Vor §§ 5, 5a
Positivharmonisierung 29 ff. Preisangabenverordnung 164 f. Produktbezeichnung – als Mittel der Irreführungsgefahrausräumung 53 – und Obliegenheit zur Wahrnehmung einer Bezeichnung 184 Referenzunternehmer 100 f. Referenzverbraucher 92 ff., 95 Schutzzwecktrias 8 ff., 11 f. Schutzzweckwandel 6 ff. „Schwarze Liste“ 5, 110 Such-, Erfahrungs-, Vertrauensgüter 15 überschießende Richtlinienumsetzung 29, 49 UGP-Richtlinie 33 ff., 38 Unklare Angaben 129 ff. Unterlassen und positives Tun 116 ff. Unternehmerleitbild 96 ff. Unvollständige Angaben 129 ff. UWG-Novelle 2 ff., 134 ff. Verbraucherleitbild 62 ff. Verfassungsrecht, nationales 58 ff. Verkehrsauffassung – akzessorische/abgeleitete 51 – normativ gesteuerte 174 – verweisende 174 – erwartungskonträre gesetzliche Bezeichnungen 175 ff. Verständigkeit 73 f., 78 f., 99 Warenverkehrsfreiheit 19 ff. Werbeverbote 39 f.
A. Rechtsentwicklung A. Rechtsentwicklung: vom Irreführungsverbot als reinem Desinformationsverbot zum dualen lauterkeitsrechtlichen Schutz durch Anerkennung eines gemäßigten Informationsgebots Werbung und sonstige geschäftliche Handlungen sprechen ihren Adressaten nicht 1 nur als vollständig rationalen und umfassend informierten homo oeconomicus an. Vor allem verbraucherbezogene geschäftliche Handlungen richten sich auch weithin an Gefühls- und Prestigewelten, indem der Produkterwerb einen „emotionalen Zusatznutzen“ in Aussicht stellt. Soweit Werbung den Anspruch sachlicher Information erhebt, muss sie diesen Anspruch einlösen, sie unterliegt daher unstreitig einem Wahrheitsgebot.1 Dieses Gebot ist nicht absolut zu verstehen. Es soll durch Täuschung verfälschte Marktentscheidungen der Abnehmer verhindern. Der Adressat irreführender Äußerungen soll
_____
1 BGH 6.7.1995 – I ZR 58/93, BGHZ 130, 205, 214 – Feuer, Eis & Dynamit I; Elster, GewRS2, § 58 II; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer § 5 Rn 1; Ohly/Sosnitza § 5 Rn 9; ebenso Köhler/Bornkamm/Feddersen § 5 Rn 1.171 und Rn 1.59 (mit der Modifikation, dass es nicht auf die objektive, sondern die durch das Verkehrsverständnis geprägte Wahrheit ankomme); Beater Rn. 1232 f. (keine „absolute Verifizierungsgarantie“). Aus ökonomischer Perspektive Nelson The economic value of advertising, S. 43: „advertising … is fundamentally an issue in how to establish truth in economics“.
597
Lindacher/Peifer
Vor §§ 5, 5a
Vorbemerkungen
davor bewahrt werden, aufgrund verfälschter Informationslage eine Wahlentscheidung zu treffen, die das Ziel optimierter Bedarfsdeckung verfehlt. Mittelbar betroffen ist dadurch auch jeder Konkurrent des irreführend Werbenden, weil auch insoweit die Gefahr besteht, dass durch die Täuschung Umsatz auf den irreführend agierenden Mitbewerber übergeleitet wird.2 Diese Form von Kundenfang geht typischerweise zulasten der Mitbewerber. Mittelbar betroffen ist auch das Allgemeininteresse an funktionsfähigem Wettbewerb: Die Schaffung von (zusätzlicher) Marktintransparenz (ver)hindert marktrationale Entscheidungen und beeinträchtigt damit die Steuerungsfunktion des Wettbewerbs. Weil und soweit sich Täuschungspraktiken „lohnen“, thematisieren sie zudem die Verteilungsfunktion des Wettbewerbs. „Unlauterkeitsrenten“ widersprechen dem bei unverfälschtem Wettbewerb realisierbaren Postulat der Leistungshonorierung. Auf der Zeitreise des deutschen Lauterkeitsrechts bildet das allgemeine Irrefüh2 rungsverbot eine Konstante. Es war allerdings lange auf die Publikumswerbung beschränkt. Sonstige geschäftliche Handlungen, wie das Vertragsverhalten, waren nicht erfasst. Bereits in § 1 UWG 18963 bildete das Irreführungsverbot die Zentralnorm. Mit Einführung des allgemeinen Verbots sittenwidriger Wettbewerbshandlungen durch das UWG 19094 rückte das Irreführungsverbot (mit geringfügigen textlichen Ergänzungen des Beispielskatalogs) als neuer § 3 zwar nominell ins zweite Glied, blieb indes sachlich als „kleine Generalklausel“ wichtigster Verbotstatbestand. Die Novelle 19695 brachte (neben diversen textlichen Klarstellungen) durch Streichung des Erfordernisses der öffentlichen Bekanntmachung oder Mitteilung an bzw. für einen größeren Personenkreis eine wichtige Erweiterung: die Verbotserstreckung auf irreführende individuelle Kundenansprache. Die Novelle 20006 stellte in Umsetzung der RL 97/55/EG mit einem Zusatz im seinerzeitigen § 3 klar, dass das Irreführungsverbot auch Angaben im Rahmen vergleichender Werbung erfasst. Die UWG-Reform 20047 verlagerte den bisherigen § 3 in § 5 und nahm eine Reihe textlicher, aber so gut wie keine sachlichen Neuerungen vor: Der Beispielskatalog derjenigen Umstände, über die getäuscht werden kann, wurde dem Wortlaut von Art. 2 RL 84/450/EWG angepasst. Am Grundsatz, dass jede Angabe im geschäftlichen Verkehr, gleichgültig mit welchem Mittel und in welcher Form sie stattfindet, irreführend sein kann, änderte sich nichts. Der Gesetzgeber schrieb mit dem § 5 Satz 2, der dem Problem der Irreführung durch Unterlassen gewidmet ist, bewusst8 die zum bisherigen Recht ergangene Rechtsprechung fort. Die UWG-Novelle 2004 erging geradezu am Vorabend des Inkrafttretens der Richtlinie gegen unlautere Geschäftspraktiken aus dem Jahr 2005.9 Die mit der Novelle 2004 erhoffte Vorwegnahme einer gesamteuropäischen Regelung erwies sich als zu optimistische Planung. Es war daher absehbar, dass das deutsche UWG bereits kurz nach seiner umfangreichen Reform erneut grundle-
_____
2 Den Versuch eines empirischen Nachweises für eine solche Irreführungsrente unternehmen Rao/Wang, JMarketingR 2017, 968. 3 Gesetz zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs vom 27.5.1896, RGBl. S. 145 = GRUR 1896, 178. 4 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom 7.6.1909, RGBl. S. 499 = GRUR 1909, 314, Entwurf mit Begründung in GRUR 1909, 39; Beratung, GRUR 1909, 106. 5 Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 26.6.1969, BGBl. I S. 633. 6 Gesetz zur vergleichenden Werbung und zur Änderung wettbewerbsrechtlicher Vorschriften vom 1.9.2000, BGBl. I 1374. 7 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom 3.7.2004, BGBl. I 1414. 8 RegE-Begr. BTDrucks. 15/1487 S. 19. 9 Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.5.2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rats sowie der Verordnung Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates, EG-Abl. L 149/22.
Lindacher/Peifer
598
A. Rechtsentwicklung
Vor §§ 5, 5a
gend reformiert werden musste. Dies geschah – allerdings wiederum etwas halbherzig – im Jahr 2008. Die durch die RL 2005/29/EG veranlasste strukturelle UWG-Änderung 200810 ersetzte 3 das Tatbestandsmerkmal der irreführenden Werbung durch das der irreführenden geschäftlichen Handlung. Damit wurde aus dem Verbot irreführender Werbung ein Verbot irreführenden geschäftlichen Verhaltens, das alle Phasen von der Publikumswerbung über die Vertragsanbahnung, den Vertragsschluss, die Vertragserfüllung und das nachvertragliche Service- und Reparaturverhalten einbezieht. Zudem wurde das klassische Irreführungsverbot durch ein (gemäßigtes) Informationsgebot ergänzt. Während ersteres unter massiver Textänderung in § 5 n.F. im Wesentlichen fortgeschrieben wird, statuiert der neue § 5a gestufte, dem bisherigen Recht in diesem Umfang fremde Hinweispflichten: Das auf Verhinderung von Marktintransparenz zielende Irreführungsverbot wird durch auf den Abbau existenter Marktintransparenz zielende Informationsgebote ergänzt. Neu ist die Etablierung einer „Schwarzen Liste“ von Per-se-Verbotstatbeständen. In Umsetzung der Vorgabe von Art. 5 Abs. 5 RL 2005/29/EG benennt der Anhang zu § 3 Abs. 3 Nr. 1–24 irreführende Geschäftspraktiken, die „unter allen Umständen“ unzulässig sind. Als strikte Verbote gehen die Vorschriften dieses Anhangs der Flexibilität zulassenden Prüfung des Irreführungsverbots nach § 5 vor. Die einschlägige Neuregelung basiert auf der Erkenntnis, dass der durch Werbung 4 Angesprochene seine Markt-Schiedsrichterrolle nur dann zu erfüllen vermag, wenn er in Kenntnis der für seine Marktentscheidung wesentlichen Punkte handelt, gepaart mit der Erwägung, dass die uneingeschränkte Zuweisung der Informationslast an den Adressaten der Werbebotschaft denselben unbillig hart träfe. Die Rechtsprechung hat unter Betonung des Grundsatzes der Selbstverantwortung bereits nach altem Recht in zurückhaltender Weise dem Werbenden gewisse Informationspflichten auferlegt. Das neue Recht hat die Risikozuweisungsgrenze zulasten des Werbenden verschoben. Die Regulierung auf nationaler und unionsrechtlicher Ebene setzt mittlerweile stärker auf Informationsgebote als auf Irreführungsverbote. Die UWG-Novelle 2008 hatte einige Richtlinienvorgaben, die für die Verbraucheran- 5 sprache zwingend vorgegeben sind, nicht korrekt umgesetzt. Dazu zählte die zwar stets als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal angesehene,11 aber nicht kodifizierte Kausalität der Irreführung für eine potentiell fehlerhafte Marktentscheidung des Abnehmers. Die UWG-Novelle 2015 brachte daher eine erneute Änderung des UWG unter Einbezug der §§ 5, 5a.12 Das Merkmal der Marktentscheidungsrelevanz findet sich nun im zweiten Halbsatz des § 5 Abs. 1 S. 1. Stärkere Texteingriffe erfuhren die §§ 5a Abs. 2 ff. Im UWG 2008 waren Teile des Richtlinientextes zur Erläuterung des Begriffs der Vorenthaltung (Art. 7 Abs. 2 RL) unberücksichtigt geblieben. So war die „Medienklausel“ in Art. 7 Abs. 3 unzureichend umgesetzt. Durch Ergänzungen in § 5a Abs. 2 S. 2 und die Anfügung eines Absatzes 5 wurde diese unzureichende Umsetzung nachgebessert, wenngleich dies durch Aufteilung auf zwei voneinander getrennten Absätzen zulasten von Aufbau und Systematik der Norm geschah. Eine weitere Textänderung betrifft getarnte kommerzielle
_____
10 Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, vom 22.12.2006, BGBl. I 2949, RegE BTDrucks. 16/10145. 11 BGH 13.3.1970 – I ZR 108/68, NJW 1970, 1186, 1187 – Vertragswerkstatt; BGH 6.6.1980 – I ZR 97/98, GRUR 1981, 71, 73 – Lübecker Marzipan, BGH 29.4.1982 – I ZR 111/80, GRUR 1982, 564, 566 – Elsässer Nudeln, BGH 15.9.1999 – I ZR 131/97, GRUR 2000, 436, 438 – Ehemalige Herstellerpreisempfehlung, Klette NJW 1986, 359, Hösl S. 190. 12 Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 2.12.2015, BGBl. I 2158, RegE, BTDrucks. 18/4535; Beschlussempfehlung und Ausschussbericht, BT-Drs. 18/6571; Gesetzentwurf nach Beratungen, BRDrucks. 26/15 (23.1.2015).
599
Lindacher/Peifer
Vor §§ 5, 5a
Vorbemerkungen
Handlungen, die nun in § 5a Abs. 6 geregelt werden. Dieser in Art. 7 Abs. 2 RL bei der Erläuterung des irreführenden Unterlassens mitberücksichtigte Regelungsgegenstand war in § 4 Nr. 3 UWG 2008 für das gesamte Lauterkeitsrecht enthalten. § 4 Nr. 3 wurde gestrichen und durch § 5a Abs. 6 UWG ersetzt. Diese Norm bezieht zwar richtlinienkonform die Verbraucheransprache ein, spart aber tarnende Praktiken unter Unternehmern, also im B2B-Verhältnis, scheinbar aus. Systematisch ist überdies unklar, ob die weiteren Voraussetzungen des § 5a, etwa die Medienklausel in Abs. 5, auch für getarnte geschäftliche Handlungen Bedeutung haben. Die UWG-Änderungen des Jahres 2015 werden daher umstritten bleiben und Anlass für Kontroversen geben. Die Einzelheiten werden unter § 5a behandelt (näher auch unten Rn. 136 und § 5a Rn. 10a, 95). B. Schutzzweckfrage B. Schutzzweckfrage I. Der Ausgangspunkt: das Konzept des Nur-Mitbewerberschutzes 6
Ob der Gesetzgeber das UWG ursprünglich wirklich als reines Mitbewerberschutzrecht konzipiert hatte, ist streitig.13 Fest steht jedenfalls, dass Rechtsprechung und Lehre es zunächst14 so gut wie einhellig dahin verstanden haben: Zeitgeist und das Bestreben der Wissenschaft, die Schutzgutfrage unter Rekurs auf die herkömmlichen Figuren wie Persönlichkeitsrechts-15 oder Unternehmensschutz16 zu beantworten, führten gleichermaßen dazu, ausschließlich auf den Schutz des einzelnen Konkurrenten abzustellen; alle anderen, konvergenten Interessen galten als lediglich reflexmäßig begünstigt. Die Klagebefugnis der Verbände zur Förderung gewerblicher Interessen stand solcher Deutung solange nicht entgegen, als man die einschlägige Verbandsklage schlicht als Einrichtung zur Durchsetzung von Mitbewerberunterlassungsansprüchen zurechtstutzte.17 II. Die In-Frage-Stellung des Konzepts des Nur-Mitbewerberschutzes durch Rechtsprechung und Lehre
7
Das Dogma, Wettbewerbsrecht sei reines Schutzrecht zugunsten des einzelnen Konkurrenten wurde zunächst und vor allem von der Rechtsprechung in Zweifel gezogen und sodann verworfen: In Anknüpfung an spärliche Vorläuferentscheidungen18 begann das RG in den dreißiger Jahren in einer Reihe von Urteilen,19 dem Schutz der „Allgemeinheit“ größere Bedeutung einzuräumen, um dem Gesichtspunkt „Allgemeininteresse“ schließlich mehr und mehr die Bedeutung eines umfassenden Auslegungs- und Begründungstopos beizumessen – im Rahmen der Anwendung von § 3 a.F. nicht zuletzt auch in Hinblick auf die Frage der „Verwirkbarkeit“ des Konkurrentenunterlassungsanspruchs.20 Im Schrifttum fand diese Entwicklung vor allem durch Nerreter21 und Eugen
_____
13 Bejahend z.B. Schricker GRUR Int. 1970, 32 f., verneinend z.B. Pastor GRUR 1969, 571, 574. 14 Repräsentativ zuletzt Callmann Der unlautere Wettbewerb, 2. Aufl. (1932) 43 m. Nachw. 15 So z.B. Lobe Die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs, Bd. I (1907) 145 ff. sowie Kohler Der unlautere Wettbewerb (1914) 17 ff. 16 So z.B. Baumbach Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. (1931) 84 ff., 91 ff. sowie Callmann aaO 31 ff. 17 In diesem Sinne – § 13 Abs. 1 UWG 1909 als Fall gesetzlicher Prozessstandschaft qualifizierend – denn auch Baumbach MuW 1931, 5 ff. 18 S. vor allem RG MuW XV (1915/1916), 48, 49. 19 Einschlägige Entscheidungsnachweise und -analyse: Schricker ZHR 139 (1975), 208, 213 (insbes. Fn. 20). 20 Umfassende Nachweise: Hösl S. 9 Fn. 16 und 17. 21 Allgemeine Grundlagen eines deutschen Wettbewerbsrechts (1936) 61 ff.
Lindacher/Peifer
600
B. Schutzzweckfrage
Vor §§ 5, 5a
Ulmer22 nachhaltige Unterstützung, wobei Letzterer in seinem Plädoyer für eine (auch) „sozialrechtliche“ Sichtweise bereits scharfsinnig herausstellte, dass unter dem (Ober-) Titel „Interesse der Allgemeinheit“ in der Rechtsprechung durchaus zweierlei erfasst werde: das Interesse der Abnehmer, des „Publikums“, und das Interesse des „Volksganzen an einer gesunden und sauberen Ordnung des Wirtschaftslebens“. III. Die Etablierung der Lehre von der Schutzzwecktrias Spätestens seit Erstreckung der Klagebefugnis auf Verbraucherverbände durch die 8 Novelle 1965 ließ sich kaum noch bezweifeln: Das allgemeine Lauterkeitsrecht (einschließlich des gebietsspezifischen Irreführungsverbots) ist auch Verbraucherschutzrecht. Das Gebot der Wertungskonsequenz legte nahe, neben den Interessen der Konsumenten auch die Interessen sonstiger Marktbeteiligter (gewerbliche Abnehmer, aber auch Lieferanten) in den Schutzbereich des Gesetzes einzubeziehen. Ein geschärftes Ordnungszielverständnis erlaubte und gebot schließlich die Präzisierung der Aussage vom Allgemeininteresse an der Einhaltung der lauterkeitsrechtlichen Ge- und Verbote jenseits der Verbraucherschutzfrage: Das allgemeine Lauterkeitsrecht gewährleistet auch und gerade die Funktionsfähigkeit von Wettbewerb.23 Der UWG-Gesetzgeber 2004 bestätigte mit der expliziten Schutzzweckbestimmung in § 1 ein zwischenzeitlich etabliertes Schutzzweckverständnis, der Novellengesetzgeber 2008 schrieb es unverändert fort: Wie das UWG als Ganzes dienen auch die §§ 5, 5a als Zentralbestimmungen des Lauterkeitsrechts – gleichrangig24 – dem Schutz der Mitbewerber und der Marktgegenseite (insbesondere der Verbraucher) sowie dem Schutz des Wettbewerbs als Institution. Daran änderte die UWG-Novelle 2015 nichts mehr. Dass die Richtlinien 2006/114/EG und 2005/450/EG anders als die Vorgängerrichtli- 9 nie 84/450/EWG im Richtlinien-Text nur die jeweilige Marktgegenseite als Schutzsubjekt benennen, stellt keine Absage an die Lehre von der Schutzzwecktrias dar, hinderte den deutschen Gesetzgeber mithin nicht daran, am überkommenen Schutzzweckverständnis festzuhalten:25 Erwägungsgrund 8 der UGP-RL stellt ausdrücklich klar, dass der Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher vor unlauteren Geschäftspraktiken Hand in Hand mit dem Schutz sich rechtstreu verhaltender Konkurrenten und der Gewährleistung lauteren Wettbewerbs geht. Der neuen Irreführungsrichtlinie liegt unausgesprochen das gleiche Schutzzweckkonzept zugrunde. IV. Individual-, Kollektiv- und Institutionenschutz Konkurrentenschutz bedeutet – als Konsequenz des Verständnisses von Lauter- 10 keitsrecht als Sonderdeliktsrecht – Individualrechtsschutz: Der verletzte Mitbewerber kann auf Unterlassung bzw. Beseitigung, gegebenenfalls auf Schadensersatz klagen. Mit Geltendmachung der Abwehransprüche schützt der Verletzte mittelbar zugleich die Marktgegenseite und das Allgemeininteresse an lauterem Wettbewerb. Den auf der Marktgegenseite Betroffenen, seien es Verbraucher, seien es Gewerbetreibende, stehen hingegen keine lauterkeitsrechtlichen Individualansprüche zu. Marktgegenseiteschutz
_____
22 GRUR 1937, 769, 772 f. 23 Zur Eigenständigkeit des einschlägigen Schutzziels zuletzt: Gloy/Loschelder/Erdmann/v. UngernSternberg § 27 Rn. 3. 24 RegE UWG 2004 zu § 1 BTDrucks. 15/1487, S. 16; Gloy/Loschelder/Erdmann/v.Ungern-Sternberg § 28 Rn. 1 f.; Büscher/Büscher § 5 Rn. 20. 25 Grundsätzlich und überzeugend Leistner ZEuP 2009, 56 ff.
601
Lindacher/Peifer
Vor §§ 5, 5a
Vorbemerkungen
ist bisher26 reiner Kollektivschutz. Das Irreführungsverbot ist insbesondere nicht Schutzgesetz i.S. von § 823 Abs. 2 BGB.27 Hinsichtlich des kollektiven Verbraucherschutzes und des Institutionenschutzes setzt das Gesetz auf das Rechtsverfolgungsinteresse seriöser und sachkundiger Einrichtungen, der nach § 8 Abs. 3 Nr. 2–4 abmahn- und klagebefugten Verbände und Kammern. Das deutsche Recht setzt damit immer noch sehr stark auf eine Selbstreinigungskraft der Marktbeteiligten. Versuche, auch Behörden, etwa das Bundeskartellamt, ergänzend zur Durchsetzung des Lauterkeitsrechts heranzuziehen, wurden diskutiert, bisher aber nur insoweit berücksichtigt als das Amt seit der 9. GWBNovelle28 Sektoruntersuchungen in Verbrauchermärkten durchführen (§ 32e Abs. 5 GWB) und Unterstützung in Gerichtsverfahren mit Bedeutung für eine Vielzahl von Verbrauchern leisten darf (§ 90 Abs. 6 GWB). Hier liegt ein wichtiger Unterschied zu manchen ausländischen Rechtsordnungen, etwa dem US-amerikanischen Lauterkeitsrecht, dessen Durchsetzung einer Bundesbehörde, der Federal Trade Commission, überantwortet ist.29 Auch das britische Lauterkeitsrecht setzt Marktverhaltensregelungen über die Competition and Markets Authority30 durch. Im italienischen Recht spielt die Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato eine ähnliche Rolle.31 Die Diskussion um die kollektive Durchsetzung wird angereichert um Forderungen nach Muster- oder Sammelklagen,32 die vor allem bei der Vermarktung von vermeintlich schadstoffarmen Dieselfahrzeugen auch zu gesetzlichen Reaktionen außerhalb des Lauterkeitsrechts geführt haben.33 Diese Debatte wird besondere Bedeutung haben, wenn die Durchsetzung durch Konkurrenten und Konkurrentenverbände erlahmt und Verbraucherschutzbehörden zu schwache Ressourcen haben. In einer solchen Situation wäre eine behördliche Durchsetzung sinnvoll, auch weil sie bei neuen Phänomen, wie etwa dem sog. Influencer-Marketing (dazu unten § 5a Rn. 89, 133, 136 ff., 150, 157) moderierend und schonend vorgehen könnte. Das Bewusstsein hierfür setzt sich aber erst langsam durch. V. Praktische Relevanz der Entscheidung zugunsten der Lehre von der Schutzzwecktrias 11
Normzwecke legitimieren die jeweilige Norm, dienen darüber hinaus zugleich und vor allem als Leitlinie für die Normauslegung und Rechtsfortbildung. Bei der im deutschen wie im Unionsrecht vorherrschenden hermeneutischen Auslegungsmethode steht der Telos einer Norm gleichberechtigt neben Wortlaut, Systematik und subjektivem Regelungswillen des Gesetzgebers, soweit sich dieser im objektiven Gesetzeswortlaut wie-
_____
26 Dagegen sieht Art. 11a des Entwurfs einer Richtlinie vom 17.4.2019 zur Änderung u.a. der RL 2005/ 29/EG, COM (2018) 185 die Einführung individualrechtlicher Ansprüche gegenüber unlauteren Geschäftspraktiken vor. Der Richtlinienvorschlag steht vor der Verabschiedung in 2019, vgl. oben Heinze, Einl. C Rn. 228. 27 RegE UWG 2004 zu § 8, BTDrucks. 15/1487 S. 22. 28 Neuntes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen v. 1.6.2017, BGBl. I 1416, RegE BTDrucks. 18/10207; Beschlussempfehlung, BTDrucks 18/11446. 29 FTC-Act, 15 U.S.C.A. §§ 41–77. 30 Die Behörde ist durch Zusammenlegung des früheren Office of Fair Trading und der Competition Commission 2013 entstanden, vgl. Sec. 25, 26 des Enterprise and Regulatory Reform Act 2013, abrufbar unter http://www.legislation.gov.uk/ukpga/2013/24/pdfs/ukpga_20130024_en.pdf. 31 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer § 5 Rn 137. 32 Vgl. MünchKommZPO/Micklitz/Rott § 79 Abs. 2 § 3 RBerG Rn 7. 33 Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage v. 12.7.2018, BGBl. I 1151; zur Debatte hierüber Tilp/Schiefer, VW Dieselgate – die Notwendigkeit zur Einführung einer zivilrechtlichen Sammelklage, NVZ 2017, 14; zum Gesetz Waclawik, Die Musterfeststellungsklage, NJW 2018, 2921.
Lindacher/Peifer
602
C. Erkenntnisse der Informationsökonomik sowie der Marketingtheorie
Vor §§ 5, 5a
derfindet.34 Traditionell kommt dem Normzweck allerdings eine besondere Bedeutung in der Rechtsanwendung zu. Dass § 5 (auch) Marktgegenseite- und Institutionenschutznorm ist, hat diverse prak- 12 tische Konsequenzen: Nach dem erweiterten Schutzzweckverständnis sind nicht nur Unternehmen, die auf dem relevanten Markt in einer Wettbewerbsbeziehung stehen, sondern auch Monopolisten Adressaten des Irreführungsverbots.35 Denn, dies zum Institutionenschutzaspekt: Eine Rechtsordnung die den Wettbewerb zum ordnungspolitischen Grundprinzip erhoben hat, würde inkonsequent, wenn sie den Monopolisten auch noch rechtlich günstiger stellte als den unter Wettbewerbsdruck Stehenden. Auch unter Verbraucherschutzgesichtspunkten ist evidenterweise für eine Privilegierung des Monopolisten kein Raum. Unlautere Praktiken eines Monopolisten sind, bei der wirtschaftlichen Potenz solcher Unternehmen, für die Gesamtverbraucherschaft oft gefährlicher, für den einzelnen betroffenen Konsumenten in den Folgen jedenfalls nicht weniger schwerwiegend. Oder: Rein individualrechtlichem Normzweckverständnis mochte es durchaus entsprechen, die Abwehransprüche der einzelnen Mitbewerber als isolierte Parallelberechtigungen zu begreifen und für jede Zweierbeziehung die Verwirkungsfrage gesondert zu stellen. Bei erweitertem Normzweckverständnis ist für die Figur der Verwirkung kein Raum.36 Allfällige Besitzstandsgesichtspunkte sind im Rahmen der besonderen Interessenabwägung zu berücksichtigen (hierzu i.E. § 5 Rn. 276 ff.). Ist unbeschadet des Besitzstandserwerbs in Hinblick auf das gegenläufige öffentliche Interesse eine rechtlich relevante Irreführung i.S. von § 5 zu bejahen, ist auch späte Rechtsausübung – eben in Hinblick darauf, dass sie vom öffentlichen Interesse her gefordert – noch nicht verspätet; dem Mitbewerber ist die Abmahn- und Klagebefugnis auch im Allgemeininteresse eingeräumt. Bei branchenweiten Täuschungspraktiken schließlich mag sich kein Wettbewerber einen ungerechtfertigten Vorsprung gegenüber der Konkurrenz verschaffen. Institutionen- und Marktgegenseiteschutz rechtfertigen und gebieten gleichwohl die Durchsetzung des Irreführungsverbotes auch in solchen Konstellationen. Bei schwacher Durchsetzung durch die Branchen selbst erlangen die Verbraucherschutzverbände eine besondere Bedeutung. In einer solchen Situation wird auch die Diskussion um behördliche Durchsetzung weiterhin zu führen sein (oben Rn 10). C. Erkenntnisse der Informationsökonomik sowie der Marketingtheorie C. Erkenntnisse der Informationsökonomik sowie der Marketingtheorie und der Kognitionspsychologie Unbeschadet des Primats des Rechts sind „Seitenblicke“ auf die Erkenntnisse der 13 Wirtschafts- und Sozialwissenschaften gerade im Wettbewerbsrecht nützlich, ja letztlich unerlässlich. Sie leisten Hilfestellung bei der Strukturierung rechtlicher Fragestellungen und liefern wichtige Argumentationstopoi für die Beantwortung der Frage, ob und inwieweit die Steuerungsfunktion der Irreführungsregeln funktionieren oder zu Fehlsteuerungen führen. Die ökonomische Betrachtung liefert insoweit nicht nur Modelle zur Wirkungs- und Folgenanalyse, sie erklärt auch die Funktion von Werbung als Orientierungs-, Informations- und Marktsteuerungsinstrument. Was die Ausformung des lauterkeitsrechtlichen Irreführungsverbots betrifft, 14 empfiehlt sich vor allem die (Mit-)Berücksichtigung der Erkenntnisse der betriebswirtschaftlichen Marketingforschung und der Kognitionspsychologie, vergröbert mit dem
_____
34 Vgl. insoweit nur EuGH 3.9.2014 – C-201/13, GRUR 2014, 912 Rn 19 – Deckmyn; BVerfG 19.3.2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168 Rn 66. 35 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 2 Rn. 44; Beater Rn. 863; Lindacher BB 1975, 1311, 1313. 36 Hösl S. 177 ff.; Teplitzky/Bacher Kap. 17 Rn. 18 ff.
603
Lindacher/Peifer
Vor §§ 5, 5a
Vorbemerkungen
Stichwort „Involvement“ umschrieben: Was bei Entfaltung des Merkmals der situationsadäquaten Aufmerksamkeit als eines zentralen Elements des modernen „Verbraucherleitbilds“ (s. Rn. 62 ff.) dem Verbraucher an Aufmerksamkeit rechtlich zuzumuten ist, sollte nicht ohne Nutzung der Ergebnisse der Konsumentenverhaltensforschung entschieden werden. Diese weiß um die Existenz einer Involvementskala, kennt Kriterien für die Bestimmung des Grads erwartbarer Aktiviertheit bei der Informationsaufnahme und -verarbeitung und vermag auf solcher Grundlage zumindest fallgruppenbezogen einschlägige „Regelaussagen“ zu treffen. Bei der Bestimmung von Umfang und Grenzen des lauterkeitsrechtlichen Infor15 mationsgebots empfiehlt sich demgegenüber vorzugsweise eine Anreicherung des rechtlichen Argumentationsfundus durch Einbeziehung von Erkenntnissen der am Faktum der Wissensasymmetrie ansetzenden Informationsökonomik. Dieser Zweig der Volkswirtschaftslehre spricht von drei Werbefunktionen: Information, Überzeugung und (immaterielle) Produktergänzung.37 Auch im Lauterkeitsrecht unbestritten ist die Informationsfunktion: Informationsdefizite hindern die optimale Ressourcenallokation. Der Abbau einschlägiger Defizite ist wirtschaftlich effizient, wenn er unter Belastung des cheapest cost avoiders erfolgt – ein Gesichtspunkt, dem auch eine gewisse rechtliche Relevanz kaum abzusprechen ist. Die informationsökonomische Unterscheidung zwischen Such-, Erfahrungs- und Vertrauensgütern verhält sich darüber, ob der Nachfrager in der Lage ist, vor oder nach dem Erwerb der Güter durch eigene Informationsanstrengungen seine Qualitätsunsicherheit zu reduzieren oder insoweit auf Fremdhilfe angewiesen ist.38 Das Interesse des Kunden an näherer Information ist geringer, wenn er die Möglichkeit hat, vor Erwerb des Guts die ihn interessierenden Eigenschaften durch Einsatz seiner Sinne bereits vor dem Erwerb ohne Produkttest abzuklären (Fallgruppe der Suchgüter).39 Der Informationsbedarf wächst bei Gütern, deren Qualität jedenfalls teilweise nach dem trial-and-error-Prinzip erst nach Produkterwerb ermittelt werden kann (Fallgruppe der Erfahrungsgüter) und erlangt besondere Bedeutung bei Gütern, bei denen auch längerer Gebrauch bestimmte Eigenschaften nicht ohne weiteres aufdeckt (Fallgruppe der Vertrauensgüter). Bei solchen Gütern spielt die Überzeugungswirkung von Werbung eine besondere Rolle. Während in den 1950er Jahren überwiegend die Verführung passiver Konsumenten durch Werbeversprechen befürchtet wurde,40 wurde später betont, dass Produktdifferenzierung durch Werbung zur Veränderung von Präferenzen führen kann.41 Neuere Ansätze sehen darin nicht nur Marktzutrittsschranken für Wettbewerber, sondern die Chance, Produkten einen immateriellen Zusatznutzen zu spenden, der selbständiges Produktmerkmal werden kann.42 Diese Werbefunktionen betreffen insbesondere die Image- und Reputationswerbung, darunter auch die Werbung mit umwelt- oder gesellschaftspolitischem Engagement, letztlich aber auch jedes Vertrauensgut. Neuerdings gewarnt wird davor, dass ein Zuviel an Information den beschränkt rational handelnden Konsumenten überfordert und zu strategischer Ignoranz
_____
37 Zu den in Volkswirtschaftslehre diskutierten Werbetheorien vgl. Bagwell, S. 1701, 1711. 38 Grundlegend Nelson J. Pol.Econ. 82 (1974), 729–754. 39 Mackaay, Economics of Information and Law, 1982, S. 146. 40 Galbraith The Affluent Society S. 149; ders. The New Industrial State S. 202; so auch in der soziologischen Forschung Hillmann Wörterbuch der Soziologie, 4. Aufl. 1994 – Stichwort Werbung S. 926, 927: „Die wirtschaftliche und politische Werbung fungieren als Mittel, den Einzelmenschen derartig zu beeinflussen, dass er den über ihn ausgeübten Einfluss möglichst wenig bemerkt und zugleich glaubt, über einen großen eigenen Entscheidungsspielraum zu verfügen.“ 41 Bain Barriers to New Competition 125: „the single most important basis of product differentiation in the consumer-good category is apparently advertising“. 42 Stigler/Becker Am.Econ.Rev. 67 (1977) 76, 84.
Lindacher/Peifer
604
D. EU-Recht: Grundfreiheiten und unionsrechtliches Sekundärrecht
Vor §§ 5, 5a
führt.43 Das trifft insbesondere auf die § 5a unterliegende Überzeugung zu, wonach mehr Information die Transparenz des Marktes für den Verbraucher erhöht, also Informationsverhalten durch Gebote angereizt werden sollte. Werbende versuchen allerdings auch ihrerseits, Signale zu Informationseinheiten (information chunks) zusammenzufügen, indem sie Informationen mit emotionalen Grundaussagen oder der Darstellung von Erlebniswelten verknüpfen, so dass der Werbeadressat mit der leichter zu erinnernden Erlebnissituation assoziativ bestimmte Produktaussagen oder Produktbeschreibungen verbindet. Schlüsselinformationen können Markennamen, Prominentenaussagen, Testurteile, aber auch Gütezeichen oder Verhaltenskodizes sein. Auf eine solchermaßen erfolgende Bekämpfung des „information overflow“ hat das UWG reagiert, indem es die Bereitstellung verkürzter Informationen für irreführungsgeeignet hält, wenn das dadurch gegebene Produktversprechen inhaltlich nicht eingehalten wird (vgl. § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 und 5 sowie Blacklist Nr. 1 und Nr. 2). Dieser Gesichtspunkt wird aber künftig noch wesentlich stärker verfolgt werden müssen. D. EU-Recht: Grundfreiheiten und unionsrechtliches Sekundärrecht D. EU-Recht: Grundfreiheiten und unionsrechtliches Sekundärrecht I. Überblick Nationales Lauterkeitsrecht steht mittlerweile in besonderem Maße unter EU-recht- 16 licher Vorgabe. Das gilt auch und gerade für das lauterkeitsrechtliche Irreführungsrecht. Die Harmonisierung des Lauterkeitsrechts in der Europäischen Union verlief in Schüben und Phasen, die zum Teil auch den Stand der Vertiefung des Unionsrechts reflektieren. Harmonisierungstriebfeder waren zunächst die aus den Marktfreiheiten resultieren- 17 den Verbotsbeschränkungen, zum anderen zahlreiche einschlägige sekundärrechtliche Vorgaben: produkt-, medien- und adressatenbezogene Werbeverbote, allgemeine und spezielle Irreführungsverbotstatbestände sowie diverse für die Verbotsfrage zumindest mittelbar bedeutsame Kennzeichnungs- und Informationsgebote. Spätestens mit Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages und der Umbildung der (Wirtschafts-)Gemeinschaften zu einer politischen Union gewinnt der unionsrechtliche Grundrechtsschutz – gestützt durch die Integration der Europäischen Menschenrechtskonvention in das Unionsrecht (Art. 6 Abs. 2 S. 1 EUV) – deutlich mehr Bedeutung. Das betrifft im Bereich der irreführenden Praktiken vor allem die Stärkung des Kommunikationsgrundrechts (dazu Rn. 54 ff.). Vorrang gegenüber dem nationalen Recht (unter Einschluss des nationalen Verfas- 18 sungsrechts) heißt: Nationales Recht ist unionsrechtskonform auszulegen; verbleibende Unverträglichkeit führt zwar nicht zur Nichtigkeit, wohl aber zur Unanwendbarkeit der nationalen Rechtsregel.44 II. Die Periode der Negativintegration: Marktfreiheiten als Beschränkungsverbote 1. Entwicklung der Rechtsprechung zur Warenverkehrsfreiheit, Art. 34 AEUV (ex Art. 28 EG) a) Der Ausgangsbefund: stockende Harmonisierung. Frühe Bestrebungen um 19 eine Gesamtharmonisierung des Rechts des unlauteren Wettbewerbs verebbten nach der
_____
43 44
605
Dana/Weber/Kuang Econ. Theory 33 (2007) 67, 71 ff. EuGH 18.7.2007 – C-119/05 – EuZW 2007, 511, 514 Rn. 61 – Luccini SpA.
Lindacher/Peifer
Vor §§ 5, 5a
Vorbemerkungen
ersten Beitrittsrunde: Die Erweiterung der Gemeinschaft um die common law-Staaten Großbritannien und Irland, die von ihrer Rechtstradition her genuin lauterkeitsrechtlichen Kodifikationsideen reserviert gegenüberstanden, nahm dem anspruchsvollen Projekt einer Europäisierung des Lauterkeitsrechts durch Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrags auf der Basis des Ulmer-Gutachtens45 die Realisierungschance. Die mit vielen Mühen zustande gekommene Irreführungsrichtlinie 198446 zog für den von ihr erfassten Bereich lediglich Mindeststandards ein, beließ es mithin bei der Möglichkeit von Rechtsgefällen zwischen den Mitgliedstaaten mit der Folge, dass im grenzüberschreitenden Verkehr im Herkunftsland erlaubtes geschäftliches Handeln nach dem Recht des Bestimmungslands verboten war. 20
b) Richterrechtliche Neudefinition der Funktion der Warenverkehrsfreiheit: Dassonville und Cassis de Dijon. Vor diesem Hintergrund erklärte sich der EuGH – kompetenzrechtlich alles andere als unanfechtbar47 – seinerseits zum „Integrationsmotor“. In Wahrnehmung seines Auslegungsmonopols sprach und spricht er in seit den 1970er-Jahren ständiger Rechtsprechung der Warenverkehrsfreiheit, ursprünglich nur als spezielles Diskriminierungsverbot verstanden, den Charakter eines allgemeinen Beschränkungsverbots zu: Zu den Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen nach Art. 34 AEUV (vormals Art. 28 EG bzw. Art. 30 EWG-Vertrag), mit der Zielsetzung eines funktionsfähigen Binnenmarkts unverträglich und deshalb unzulässig, zählt nach der vom Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung praktizierten Dassonville-Formel48 jede Regelung, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern; eine spürbare Beeinträchtigung ist nicht erforderlich. Erfasst werden insbesondere auch alle Regelungen, die bestimmte Formen der Werbung beschränken oder gar verbieten, da sie – via Beeinträchtigung der Absatzmöglichkeiten im Importland – mittelbar das Einfuhrvolumen reduzieren können. Seit der Cassis de Dijon-Entscheidung49 sieht der Gerichtshof konsequenterweise die Warenverkehrsfreiheit explizit auch durch Rechtsvorschriften thematisiert, die unterschiedslos für in- und ausländische Erzeugnisse gelten. In der Folgejudikatur50 hat er ergänzend klargestellt, dass schützenswerter grenzüberschreitender freier Warenverkehr i.S. von Art. 34 AEUV (ex Art. 28 EG, Art. 30 EWG-Vertrag) nicht nur der gewerbsmäßige grenzüberschreitende Warentransfer, sondern auch der Warenfluss, der vom Endverbraucher dadurch erzeugt wird, dass er die Ware jenseits der Grenze einkauft und sodann selbst in seinen Heimatstaat einführt.
21
c) Keck: warenbezogene Regelungen und „bestimmte Verkaufsmodalitäten“ betreffende Regelungen. Nach der Keck-Doktrin51 ist die Warenverkehrsfreiheit als Be-
_____
45 Ulmer/Reimer, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs in den Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Band III, 1968. 46 Richtlinie 84/450/EWG des Rates vom 10.9.1984 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung, ABl. EG Nr. L 250 S. 17 = GRUR Int. 1984, 688; Richtlinie 97/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6.10.1997 zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der vergleichenden Werbung, ABl. EG Nr. L 290 S. 81. 47 Dezidiert kritisch etwa M. Hoffmann Die Grundfreiheiten des EG-Vertrags als koordinationsrechtliche und gleichheitsrechtliche Abwehrrechte, 2000, 49 ff. 48 EuGH 11.7.1974 – Rs. 8/74, EuGHE 1974, 837 = GRUR Int. 1974, 467. 49 EuGH 20.2.1979 – Rs. 120/78, EuGHE 1979, 649 = GRUR Int. 1979, 468. 50 EuGH 7.3.1990 – C-362/88, EuGHE 1990, I-667 = GRUR Int. 1990, 955 – GB-Inno-BM. 51 EuGH 24.11.1993 – C-267/97 und C-268/91, EuGHE 1993, I-6097 = GRUR Int. 1994, 56 = WRP 1994, 99.
Lindacher/Peifer
606
D. EU-Recht: Grundfreiheiten und unionsrechtliches Sekundärrecht
Vor §§ 5, 5a
schränkungsnorm nationaler lauterkeitsrechtlicher Verbote diskriminierungsunabhängig freilich nur dann angesprochen, wenn es sich um eine produktbezogene Regelung handelt. Bei Regelungen, die nur „bestimmte Verkaufsmodalitäten“ betreffen, bleibt es dabei: sie stoßen sich dann und nur dann an der Warenverkehrsfreiheit, wenn sie ausschließlich zulasten eingeführter Erzeugnisse anwendbar sind (Fall sog. rechtlicher Diskriminierung) oder sich jedenfalls unterschiedlich auf inländische und importierte Produkte auswirken (Fall sog. faktischer Diskriminierung). Tragender Gedanke der Unterscheidung ist die Erwägung, dass produktbezogene Regelungen regelmäßig bereits den Marktzugang verhindern bzw. erschweren, vertriebsbezogene Reglungen demgegenüber nur die Absatzgestaltung beschränken.52 Euromarketing-Handeln dem Geltungsanspruch der Keck-Doktrin zu entziehen,53 geht kaum an. Dafür, dass es der EuGH für einen derart weiten, unter Binnenmarktaspekten zentralen Bereich bei der uneingeschränkten Geltung der Dassonville-Formel belassen wollte, fehlt jeder Anhalt.54 Zu den warenbezogenen Regelungen zählen Vorschriften über Bezeichnung, 22 Form, Abmessung, Gewicht, Zusammensetzung, Aufmachung, Ausstattung, Beschriftung und Verpackung von Waren.55 Erfasst sind insbesondere: Regelungen über irreführende Werbeaufdrucke auf der Verpackung56 oder die Benutzung geographischer Herkunftsangaben,57 nach teilweise vertretener, aber zweifelhafter Meinung auch die Herstellergarantie.58 Letzteres ist zweifelhaft, weil die Garantie der Ware nicht körperlich anhaftet, also nicht zum eigentlichen Kern der auf freie körperliche Bewegung gerichteten Vorschriften über die Warenverkehrsfreiheit gehört. Regelungen „bestimmter Verkaufsmodalitäten“ betreffen hingegen die Frage, wann, wo, wie, durch wen und zu welchem Preis das Produkt verkauft wird.59 Hierunter sollte man auch alle Dienstleistungen um die Ware herum, insbesondere also auch Garantien und Serviceversprechen gruppieren. Grenzfälle sind mit Blick auf die ratio der Zweiteilung zu entscheiden: Art. 34 AEUV (ex Art. 28 EG) sollte via Bejahung der Warenbezogenheit immer dann als thematisiert anzusehen sein, wenn die nationale Vorschrift den Zugang zum zugehörigen Markt gewissermaßen körperlich hemmt oder erschwert.60 Die Relevanz der Abgrenzung wird aber abgemildert, wenn man Waren- und Dienstleistungsfreiheit richtigerweise nach gleichen Regeln behandelt (unten Rn 25). d) Ungeschriebene Rechtfertigungsgründe. Im Ausgleich zur Ausweitung des 23 Tatbestandsmerkmals „Maßnahmen gleicher Wirkung“ auf nationale Verbotsnormen nicht diskriminierender Art anerkennt der Gerichtshof 61 ungeschriebene Rechtfertigungsgründe außerhalb von Art. 36 AEUV (ex 30 EG, Art. 36 EWG-Vertrag): Handels-
_____
52 Schlussanträge der GA Stix-Hackl Rs C-322/01 – Doc Morris, Slg 2003, I-14887 Tz. 77 f. 53 So Basedow EuZW 1994, 225; Leible/Sosnitza GRUR 1995, 799, 801. 54 Für uneingeschränkte Geltung der Keck-Doktrin denn auch beispielsweise OLG Hamburg GRUR Int. 1997, 640 ff.; Roderburg S. 55; Bornkamm GRUR 1994, 298; Tilmann BB 1994, 1793, 1799 Fn. 66. 55 EuGH 24.11.1993 – C-267/97 und C-268/91, EuGHE 1993, I-6097 Rn. 15 = GRUR Int. 1994, 56 = WRP 1994, 99 – Keck; EuGH 2.2.1994 – C-315/92, EuGHE 1994, I-317 Rn. 13 = GRUR Int. 1994, 231 = WRP 1994, 380 – Clinique. 56 EuGH 6.7.1995 – C-470/93, EuGHE 1995, I-1923 = GRUR Int. 1995, 804 = WRP 1995, 677 – Mars. 57 EuGH 13.3.1984 – Rs. 16/83, EuGHE 1984, 1299 = GRUR Int. 1984, 291 – Prantl. 58 Für Kfz-Garantien: Ohly/Sosnitza Einf C Rn. 15 („Grenzfall“); Leible WRP 1997, 517, 522; Heermann WRP 1999, 381, 382; a.A. OLG Dresden 24.1.1997 – 14 U 1405/96, GRUR 1997, 231, 233. 59 Schlussanträge des GA Tesauro Rs C-292/92 Hünermund, Slg 1993 I-6787 Tz. 20. 60 Beater Rn. 517; Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl UWG Rn. 3.26; Heermann WRP 1998, 381, 383; Sack EWS 2011, 265. 61 Leitentscheidung: EuGH 20.2.1979 – Rs. 120/78, EuGHE 1979, 649 = GRUR Int. 1979, 468 – Cassis de Dijon.
607
Lindacher/Peifer
Vor §§ 5, 5a
Vorbemerkungen
hemmende nationale Reglungen, die rechtlich unterschiedslos für reine Inlandsfälle und Fälle des innerkommunitären Warentransfers gelten, bleiben unbeanstandet, soweit sie im Allgemeininteresse zwingend erforderlich (Zielprüfung) und hinsichtlich der ZielMittel-Relation verhältnismäßig sind. Potentiell der Kategorie der „zwingend erforderlichen Maßnahmen“ zuzuordnen 24 sind auch und vor allem Maßnahmen zum Schutz der Lauterkeit des Handelsverkehrs und der Verbraucher.62 Der Verhältnismäßigkeitsvorbehalt für einschlägige Rechtfertigungsgründe läuft im Ergebnis auf eine Interessenabwägung hinaus. Zu gewichten und gegeneinander abzuwägen sind die drohende Beeinträchtigung der Marktfreiheit einerseits und die Gefahr der Irreführung von Abnehmern und einer damit einhergehenden Wettbewerbsverzerrung zulasten rechtstreuer Konkurrenten andererseits: Im System eines gemeinsamen Marktes kann und muss die Lauterkeit des Handelsverkehrs (und der einschlägige Verbraucherschutz) nur „unter allseitiger Achtung lauterer Praktiken und herkömmlicher Übungen in den verschiedenen Mitgliedstaaten“ gewährleistet werden.63 Das Gebot des mildesten Mittels misst dem Weg der Information eine zentrale Bedeutung bei: Entsprechen werbliche Angaben, die auf dem Inlandsmarkt zu Fehlvorstellungen Anlass geben, einer herkömmlichen und lauteren Praxis im Herkunftsland, ist jedenfalls dort, wo sich die einschlägigen Irreführungsgefahren durch klarstellende Hinweise reduzieren lassen, die bloße Klarstellungsverpflichtung das angemessene Mittel; die verbleibende Irreführungsgefahr muss hingenommen werden.64 Kasuistik: Nach den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften korrekt etikettierter Südtiroler Wein darf in der im Ursprungsgebiet seit mehr als hundert Jahren verwendeten Flaschenform auch in Deutschland vertrieben werden, obschon diese der in Franken üblichen Bocksbeutel-Flasche entspricht, mithin bei einem nicht unerheblichen Teil des deutschen Publikums die Fehlvorstellung fränkischer Provenienz auslöst.65 – Das Verbot, ein tiefgefrorenes Produkt unter der Bezeichnung „Joghurt“ zu vertreiben, ist unverhältnismäßig, da auch durch Kennzeichnung sichergestellt werden kann, dass Verbraucher über den Frischezustand nicht getäuscht werden.66 – Ein ausländischer Hersteller von Eiskonfekt, der im Rahmen einer kurzzeitigen europaweiten Werbeaktion die Produktmenge eines Eiskremriegels um 10% erhöht, darf dies werblich auf der Verpackung derart herausstellen, dass der Balken mit dem Hinweis „+10%“ einen größeren Raum als ein Zehntel der Gesamtfläche einnimmt. Der allfälligen Fehlvorstellung eines Teils des angesprochenen Verkehrs dahin, das Mehr entspreche der Größe des Werbeaufdrucks, mangelt die rechtliche Relevanz.67 2. Entwicklung der Rechtsprechung zur Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV (ex Art. 49 EG) 25
a) Gleichbehandlung von Ware und Dienstleistung. Aus der Perspektive des Binnenmarktkonzepts müssen Beeinträchtigungen des Waren- und des Dienstleistungsverkehrs grundsätzlich gleichbehandelt werden. Wenn man der Warenverkehrsfreiheit (auch) den Charakter eines allgemeinen Beschränkungsverbots zuspricht (s. Rn. 16 ff.),
_____
62 EuGH 20.2.1979 – Rs. 120/78, EuGHE 1979, 649 = GRUR Int. 1979, 468 – Cassis de Dijon; EuGH 9.7.1997 – C-34/95, C-35/95, C-36/95, EuGHE 1979, I-3843 = GRUR Int. 1997, 913 = WRP 1998, 145 – De Agostini. 63 EuGH 13.3.1984 – Rs. 16/83, EuGHE 1984, 1299 = GRUR Int. 1984, 291 – Prantl. 64 EuGH aaO. 65 EuGH 13.3.1984 – Rs. 16/83, EuGHE 1984, 1299 = GRUR Int. 1984, 291 – Prantl. 66 EuGH 14.7.1988 – Rs. 298/87, EuGHE 1988, 4489 – Smanor. 67 EuGH 6.7.1995 – C-470/93, EuGHE 1995, I-1923 = GRUR Int. 1995, 804 – Mars.
Lindacher/Peifer
608
D. EU-Recht: Grundfreiheiten und unionsrechtliches Sekundärrecht
Vor §§ 5, 5a
ist konsequenterweise auch der Dienstleistungsfreiheit die entsprechende Funktion beizumessen: Verboten sind Beschränkungen jeder Art, insbesondere Diskriminierungen zwischen In- und Ausländern, daneben aber auch – wie im Bereich des grenzüberschreitenden Warentransfers – alle Maßnahmen, die geeignet sind, den innerkommunitären Dienstleistungsverkehr unmittelbar oder mittelbar, aktuell oder potentiell zu behindern.68 Potentiell einschlägig sind deshalb wiederum auch und gerade Verbote des jeweiligen nationalen Lauterkeitsrechts.69 Streitig (und vom EuGH bislang zumindest nicht explizit entschieden) ist, ob neben 26 der Dassonville- und der Cassis-Doktrin auch die Keck-Rechtsprechung mit ihrer Differenzierung nach warenbezogenen Regelungen und Vertriebsmodalitäten entsprechend zu übertragen ist.70 Zumindest für Werbe- und Vertriebsdienstleister sollte allemal außer Frage stehen, dass von der Dienstleistungsfreiheit allein solche Regelungen erfasst werden, die ausländischen Anbietern dem Marktzugang in größerem Umfang erschweren als inländischen Anbietern.71 b) Geschützte Formen der Dienstleistung. Nationale lauterkeitsrechtliche Verbote 27 von Wettbewerbshandlungen können die Dienstleistungsfreiheit in zweierlei Hinsicht betreffen: aa) In den Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV (ex Art. 49 EG) fallen zunächst die Erbringung grenzüberschreitender Dienstleistungen und die zugehörige Werbung des Dienstleisters. Grenzüberschreitend im angesprochenen Sinn ist sowohl die Dienstleistung, bei der der Erbringer die Grenze überschreitet, als auch die Dienstleistung, die der Empfänger jenseits der Grenze nachsucht, schließlich die Dienstleistung, bei der Erbringer und Empfänger in ihrem jeweiligen Heimatstaat verbleiben, wohl aber die Leistung fernkommunikativ (per Internet, Telefon) über die Grenze hinweg erbracht wird.72 Werbung ist, was den Marktfreiheitenbezug anbelangt, akzessorisch anzuknüpfen: Sie fällt in den Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit, wenn sie den Absatz von Dienstleistungen, unter den Schutz der Warenverkehrsfreiheit (Art. 34 AEUV, ex Art. 28 EG), wenn sie den Vertrieb körperlicher Gegenstände fördern soll.73 – bb) Die Konzipierung und Verbreitung von Werbung für andere ist selbständige Dienstleistung, fällt allemal unter den Schutz der Dienstleistungsfreiheit: Beeinträchtigungen der Werbetätigkeiten selbständiger Dritter sind auch dann an Art. 56 AEUV (ex Art. 49 EG) zu messen, wenn der Vertrieb von Waren gefördert werden soll.74 c) Rechtfertigung. In Entsprechung zur warenverkehrsrechtlichen Cassis-Doktrin 28 anerkennt der EuGH in ständiger Rechtsprechung75 auch für den Bereich der Dienstleistungsfreiheit ungeschriebene Rechtfertigungsgründe: Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit sind gerechtfertigt, soweit sie durch „zwingende Gründe des Allgemeininteresses“ veranlasst sind, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügt wird und die Beschränkung nichtdiskriminierender Art ist. Zu den beachtlichen Gründen des Allge-
_____
68 Leitentscheidung: EuGH 30.11.1995 – C-55/94, EuGHE 1995, I-4165 – Gebhard. 69 EuGH 9.7.1997 – C-34/95, C-35/95, C-36/95, EuGHE 1997, I-3843 = GRUR Int. 1997, 913 = WRP 1998, 185 – De Agostini. 70 Bejahend: Köhler/Bornkamm/Feddersen § 5 Rn. 0.55; MünchKommUWG/Leible EG A Rn. 86; Götting/ Kaiser/Hetmank § 2 A. Rn. 5 ff.; ablehnend beispielsweise Ohly/Sosnitza Einf C Rn. 23. 71 Harte/Henning/Glöckner Einl B Rn. 41; Kugelmann EuR 2001, 363, 369. 72 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer § 5 Rn. 72; Sack WRP 1998, 101, 111. 73 Ohly/Sosnitza Einf C Rn. 24. 74 Ohly/Sosnitza Einf C Rn. 24. 75 EuGH 30.11.1995 – C-55/94, EuGHE 1995, I-4165 – Gebhard; EuGH 9.7.1997 – C-34/95, C-35/95, C-36/ 95, EuGHE 1997, I-3843 = GRUR Int. 1997, 913 = WRP 1998, 145 – De Agostini.
609
Lindacher/Peifer
Vor §§ 5, 5a
Vorbemerkungen
meininteresses zählen – wie im Bereich der Warenverkehrsfreiheit – anerkanntermaßen der Schutz der Lauterkeit des Wettbewerbs und der Verbraucherschutz.76 III. Fortschreitende Positivharmonisierung 1. Überblick. Die zentralen Richtlinien zum lauterkeitsrechtlichen Irreführungsverbot sind die RL 2006/114/EG über irreführende und vergleichende Werbung, Nachfolgerechtsakt der RL 84/450/EWG sowie der RL 97/55/EG (oben Rn. 19, unten Rn. 31), und die RL 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken (unten Rn. 31). Während die nunmehr auf den Unternehmer-Unternehmer-Bereich („B2B“) beschränkte Irreführungsrichtlinie nur hinsichtlich der vergleichenden Werbung EU-weit einheitliche Standards setzte und setzt, im Übrigen ausweislich ihres Art. 8 Abs. 1 (früher: Art. 7 Abs. 1 der RL 84/450/EWG) nur ein Mindestniveau statuiert,77 zielt die UGP-Richtlinie für den Unternehmer-Verbraucher-Bereich auf eine flächendeckende Vollharmonisierung. Auf eine de facto-PositivHarmonisierung zumindest im Verhältnis einzelner Mitgliedstaaten untereinander auch im B2B-Bereich läuft die – auch und gerade von Deutschland praktizierte – überschießende Umsetzung der UGP-Richtlinie (unten Rn. 47) hinaus: Die Abwehr der Spaltung des Lauterkeitsrechts in zwei selbständige Teilbereichen wird mit der Akzeptanz der festen Schutzstandards der UGP-Richtlinie in wesentlichen Bereichen auch für den beidseitigen Unternehmensverkehr erkauft. Unbeschadet des ursprünglichen Stockens des Harmonisierungsprozesses, ja letzt30 lich hierdurch nachhaltig befördert, kam es freilich schon vor Erlass der UGP-Richtlinie zu vielfältigen sektoralen Harmonisierungsakten: Bestimmte produkt-, medien- und adressatenbezogene Werbeverbote steuern allfällige Irreführungsgefahr, indem sie jegliche einschlägige kommerzielle Kommunikation untersagen. Spezielle produktbezogene Irreführungsverbote wirken als Sonderregelungen fort. Auch und nicht zuletzt durch die Etikettierungsrechtsprechung des EuGH animiert, hat der europäische Gesetzgeber zahlreiche – für das Irreführungsrecht zumindest mittelbar bedeutsame – Kennzeichnungspflichten statuiert (unten Rn. 52). 29
2. Irreführungsrichtlinie und UGP-Richtlinie 31
a) Irreführungsrichtlinie. Für das nationale Recht trifft die Irreführungsrichtlinie vor allem drei Aussagen: Art. 2 lit. a definiert den Begriff der Werbung, Art. 2 lit. b den Begriff der Irreführung, Art. 7 lit. a (ehemals Art. 6 RL 84/450/EWG) enthält eine – vage – Beweislastregel zulasten des Werbenden. Jenseits der 1997 angefügten Sonderregelung zur vergleichenden Werbung (hierzu sogleich Rn. 32) blieb und bleibt die Wirkmacht der Richtlinie, welche mit Erlass der UGP-Richtlinie auf den Business-to-BusinessBereich beschränkt ist, auch und gerade ob der Öffnungsklausel nach Art. 8 Abs. 1 (früher: Art. 7 Abs. 1) freilich eher bescheiden. Zur Richtlinie selbst gab es nicht von ungefähr nur ein Vorabentscheidungsverfahren, die einschlägige Entscheidung78 ist in der Sache letztlich eher eine Entscheidung zur Warenverkehrsfreiheit.
_____
76 EuGH 9.7.1997 – C-34/95, C-35/95, C-36/95, EuGHE 1997 I-3843 = GRUR Int. 1997, 913 = WRP 1998, 145 – De Agostini. 77 EuGH 13.12.1990 – C-238/89, EuGHE 1990, I-4827 = GRUR Int. 1991, 215 = WRP 1991. 562 – Pall/ Dahlhausen; EuGH 2.2.1994 – C-315/92, EuGHE 1994, I-317 = GRUR Int. 1994, 231 = WRP 1994, 380 – Clinique. Die ob der Entstehungsgeschichte der Richtlinie mehr als kühne These von Everling ZAW 1990, 43, 51 f., der Vorbehalt des Art. 8 Abs. 1 (seinerzeit: Art. 7 Abs. 1) beziehe sich allein auf die Rechtsfolgen (Sanktionen), nicht auf den materiellen Irreführungstatbestand, fand zu Recht keine Gefolgschaft. 78 EuGH 16.1.1992 – C-373/90, EuGHE 1992, I-131 = GRUR Int. 1993, 951 = WRP 1993, 233 – Nissan.
Lindacher/Peifer
610
D. EU-Recht: Grundfreiheiten und unionsrechtliches Sekundärrecht
Vor §§ 5, 5a
Von praktisch erheblicher Bedeutung war und ist demgegenüber der der Richtlinie 32 angefügte Teil zur vergleichenden Werbung (Nachweis oben Rn. 19). Der BGH nutzte mit der Entscheidung „Testpreis-Angebot“79 die Gelegenheit zur – überfälligen – Aufgabe seiner Rechtsprechung, nach der vergleichende Werbung grundsätzlich unzulässig und nur ausnahmsweise erlaubt ist. Der EuGH sorgte via extensiver Deutung von Art. 8 Abs. 2 RL für ein breites Anwendungsfeld des Sonderrechts der vergleichenden Werbung: In der Luxemburger Interpretation80 schreibt Art. 8 Abs. 2 RL auch in der Irreführungsfrage,81 selbst hinsichtlich nicht in den Vergleich aufgenommener Vorgaben,82 einen verbindlichen europäischen Standard (RL-Standard als Mindest- und Höchststandard) vor. b) UGP-Richtlinie. Kennzeichnend für die UGP-Richtlinie im Kontrast zur Irrefüh- 33 rungsrichtlinie ist zunächst der erweiterte sachliche Anwendungsbereich: Während die Irreführungsrichtlinie den Irreführungstatbestand auf irreführende Werbung beschränkt, erfasst die UGP-Richtlinie alle irreführenden Geschäftspraktiken i.S. von Art. 3 Abs. 1 RL, mithin auch irreführende Angaben bei oder nach Vertragsschluss (wie die Täuschung des Käufers über die Existenz vertraglicher Gewährleistungsrechte), ferner das Vorliegen eines Vertragsschlusses und damit die Existenz vertragliche Rechte lediglich vorspiegelnde Praktiken (wie das Versenden eines Leistungsentgelte benennenden Überweisungsträgers ohne vorgängigen Vertrag, vgl. dazu auch Nr. 21 der Anlage I der UGP-Richtlinie).83 Neu ist die Ergänzung des Irreführungsverbots klassischer Prägung (Art. 6 RL, um- 34 gesetzt in § 5 UWG) durch ein gestuftes Informationsgebot (Art. 7 RL, umgesetzt in § 5a UWG). Beide Definitionsnormen arbeiten explizit mit dem „Durchschnittsverbraucher“ als Referenzfigur. Wie die Irreführungsrichtlinie konkretisiert die UGP-Richtlinie das Irreführungsver- 35 bot durch Benennung diverser Fallreihen (Art. 6 Abs. 1 lit. a–g, Abs. 2 lit. a–b), bedient sich dabei freilich verstärkt der Methode, case law ohne Systematisierungsanspruch in Gesetzesrecht zu transformieren: Die Zahl benannter Bezugspunkte hat sich nachgerade inflationär erhöht.84 Dem Streit, ob der Bezugspunkte-Katalog wie bei der Irreführungsrichtlinie Beispielskatalog85 oder aber abschließender Natur ist,86 kommt – ganz abgesehen davon, dass die beiden wichtigsten Bezugspunkte nach der UGP-Richtlinie, mit denen die produktbezogene (Art. 6 Abs. 1 lit. b) und die unternehmensbezogene Irreführung (Art. 6 Abs. 1 lit. f.) erfasst wird, ihrerseits als offene Tatbestände ausgestaltet sind – gerade im Hinblick auf die ausführliche Bezugspunkteaufzählung kaum praktische Bedeutung zu. Methodisch sollte außer Frage stehen, dass der Vollharmonisierungsgedanke einem Verständnis der benannten Bezugspunkte als bloße Regelbeispiele solange nicht entgegensteht, als die Konkretisierung außerhalb des Katalogs euroautonom erfolgt. Für die Qualifikation der Aufzählung als abschließend spricht zwar der Richtlinien-Wortlaut, der Wille des Richtlinien-Gebers zeigt aber jedenfalls das Bestreben, alle
_____
79 BGH 5.2.1998 – I ZR 211/95, BGHZ 138, 55 = GRUR 1998, 828 = WRP 1998, 718 = DWiR 1998, 514 m. Anm. Lindacher. 80 EuGH 8.4.2003 – C-49/01 – EuGHE 2003, I-3095 = GRUR Int. 2003, 742 = WRP 2003, 3095– Pippig Augenoptik. 81 A.A. beispielsweise noch Gloy/Bruhn GRUR 1998, 226, 232. 82 A.A. insoweit noch Tilmann GRUR 1997, 790, 792 f. 83 Beispiel: BGH 30.6.2011 – I ZR 157/10, GRUR 2012, 184 – Branchenbuch Berg, m. Anm. Heil. 84 Kritisch zur einschlägigen Gesetzgebungstechnik: Köhler/Bornkamm/Feddersen § 5 Rn. 0.32. 85 So vor allem Köhler/Bornkamm/Feddersen § 5 Rn. 0.30 sowie Sosnitza WRP 2008, 1014, 1028. 86 So z.B. Harte/Henning/Dreyer § 5 B Rn. 208; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 4.
611
Lindacher/Peifer
Vor §§ 5, 5a
Vorbemerkungen
denkbaren relevanten Irreführungsfälle zu erfassen. Das spricht dafür, ungewöhnliche Fälle jedenfalls unter eine der vorhandenen Kategorien zu fassen. Das Verhältnis Irreführungsverbot – Kennzeichenrecht ist im Lichte der Vorgabe des 36 Art. 6 Abs. 2 lit. a zu bestimmen: Die zum alten Recht vertretene These vom Vorrang des Kennzeichenrechts ist vom BGH zwischenzeitlich fallengelassen worden.87 Damit dürfte die These vom Vorrang nicht mehr haltbar sein (unten Rn. 150), allerdings sind die kennzeichenrechtlichen Wertungen im Rahmen des Irreführungstatbestands zu berücksichtigen, was etwa dazu führt, dass eine irreführende Kennzeichnung, an welcher ein Besitzstand erworben wurde, weitergeführt werden kann, die insoweit bestehende Irreführung also zu tolerieren ist.88 Neu ist schließlich die Statuierung einer „Schwarzen Liste“: In einem Anhang er37 gänzt die UGP-Richtlinie die irreführenden Handlungen und Unterlassungen betreffenden Kerntatbestände um einen (weiteren) Beispielskatalog, in dem Verhaltensweisen benannt werden, die „unter allen Umständen“ als unlauter gelten. 23 der anhangsweise aufgeführten Praktiken thematisieren den Irreführungsaspekt. Statuiert werden per seVerhaltensverbote. Die Feststellung einschlägiger Tatbestandserfüllung dispensiert von der Prüfung konkreter Irreführungseignung und geschäftlicher Relevanz (deren Bejahung freilich in aller Regel auch im Rahmen der Prüfung des allgemeinen Verbotstatbestands unschwer möglich wäre). 38
c) Abgrenzung des Geltungsbereichs der beiden Richtlinien. Irreführende Geschäftspraktiken unterfallen nur der Irreführungsrichtlinie, wenn der Adressat Unternehmer ist. Irreführende, den Verbraucher ansprechende Geschäftshandlungen unterfallen demgegenüber insoweit und nur insoweit ausschließlich der UGP-Richtlinie, als es um den Schutz der Verbraucher vor Beeinträchtigung der Fähigkeit zur informierten Geschäftsentscheidung geht. Soweit es nur um Auswirkungen irreführender Verbraucheransprache auf Mitbewerber geht (Stichwort: Irreführung mit bloßem Anlockeffekt, s. § 5 Rn. 256 ff.), bleibt es bei der Maßgeblichkeit der Irreführungsrichtlinie.
39
3. Sekundärrechtliche Werbeverbote. Werbeverbote verbieten kommerzielle geschäftliche Handlungen ohne Rücksicht auf eine konkrete Irreführung, weil sie die Überzeugungswirkung von Werbeaussagen (oben Rn. 15) produkt-, adressaten- oder medienbezogen ausschließen oder jedenfalls begrenzen wollen. Auch zutreffende Aussagen sind insoweit unzulässig. Typischerweise betreffen solche Verbote nur die Publikumswerbung, nicht dagegen jede geschäftliche Handlung. Medienbezogene Verbote für Tabak, Alkohol und Arzneimittel, sowie Begrenzung der an Minderjährige gerichteten Medienwerbung finden sich u.a.: in der RL (EU) 2018/1808 über audiovisuelle Mediendienste.89 Für die Presse gibt es entsprechende Tabakwerbeverbote in der RL 2003/33/EG90 und Verbote der
_____
87 BGH 15.8.2013 – I ZR 188/11, GRUR 2013, 1161 Rn. 60 – Hard Rock Café (für § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1); Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 5 Rn. 0–104; ebenso bereits vorher Harte/Henning/Dreyer § 5 B Rn. 206; Gloy/ Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 4; anders noch BGH 22.11.2001 – I ZR 138/99, BGHZ 149, 191, 195 – shell.de. 88 BGH 7.11.2002 – I ZR 276/99, GRUR 2003, 628, 631 – Klosterbrauerei. 89 Art. 6a, 9, 10 Richtlinie 2018/1808/EU zur Änderung der Richtlinie 2010/13/EU zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste, ABl EU L 303/69; Vorläufer war die sog. Fernsehrichtlinie 89/552/EWG. 90 Richtlinie 2003/33/EG des EP und des Rates vom 26.5.2003 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Werbung und Sponsoring von Tabakerzeugnissen, ABl EG L 152/16.
Lindacher/Peifer
612
D. EU-Recht: Grundfreiheiten und unionsrechtliches Sekundärrecht
Vor §§ 5, 5a
Werbung für Arzneimittel in der RL 2001/83/EG.91 Die Umsetzungsnormen in den Mitgliedstaaten betreffen nicht das Verbot irreführenden Verhaltens, sondern die Erfordernisse der beruflichen Sorgfaltspflicht nach Art. 5 Abs. 2 UGP-RL bzw. § 3a UWG. Werbeverbote über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben enthält auch Art. 4 Abs. 4 der sog. Health-Claims-Verordnung.92 4. Spezielle sekundärrechtliche Irreführungsverbote. Neben der Irreführungs- 40 richtlinie und der UGP-Richtlinie enthält das sekundäre Gemeinschaftsrecht in Form von Verordnungen und Richtlinien zahlreiche spezielle Irreführungsverbote. Sämtliche Verbotstatbestände in Richtlinien setzen – wie die UGP-Richtlinie, aber anders als die Irreführungsrichtlinie – Mindest- und Höchststandards; die Irreführungsverbote in Verordnungen arbeiten der Natur des Rechtsakts nach von vornherein mit festen einheitlichen Standards. Sie flankieren oft Werbeverbote oder besondere Kennzeichnungsvorschriften, sind also vom Typus her Vorschriften, die sich gegen irreführendes Verhalten, sei es durch täuschende Angaben oder durch die Vorenthaltung wesentlicher Informationen richten. Solche Angaben betreffen bestimmte Produktgruppen, bei denen der Gesetzgeber von einer besonderen Täuschungsneigung, aber auch einem etwas leichtgläubigeren Verbraucher ausgeht. Diese Vorschriften betreffen die Werbung für Heilmittel, Kosmetika und Lebensmittel. Sie gehen regelmäßig dem allgemeinen Irreführungsverbot vor. Kennzeichnungsvorschriften betreffen wiederum bestimmte Produktgruppen, insbesondere Lebensmittel, Kosmetika und Heilmittel. Sie sollen Marktinformationen aus Transparenzgründen erzwingen und sind daher dem Irreführungsschutz häufig vorgelagert. Sie legen insbesondere auch das Verkehrsverständnis oft in einer normativ prägenden Weise fest. Wird die Kennzeichnung zutreffend verwendet, scheidet eine gleichwohl stattfindende Irreführung aus normativen Erwägungen aus. Eine Irreführung kann daher nur daraus resultieren, dass die gesetzlich vorgeschriebene Bezeichnung verkürzt oder mit weiteren Hinweisen kombiniert wird.93 Irreführungsverbote in Verordnungsform enthalten u.a.: die VO (EG) 1234/2007 über 41 die gemeinsame Marktorganisation für Wein (ABl. EG L 299/1); die VO (EG) 607/2009 über die Beschreibung, Bezeichnung, Aufmachung und Schutz bestimmter Weinbauerzeugnisse – EG-WeinBezO (ABl. EG L 193/60, ber. ABl. EG L, 248/67 v. 22.9.2010); die VO (EU) 1151/2012 über Qualitätsregeln für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel (ABl. EU L 343/1, welche die VO EG 510/2006 aufgehoben hat), die VO (EG) 834/2007 über die ökologische/biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen (ABl. EG L 189/1, welche die VO 2092/91 aufgehoben hat), sowie die VO (EG) Nr. 1169/2001 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel (LMIV, ABl. EG L 304/18, welche die RL 2000/31/EG ersetzt hat), die VO (EG) Nr. 1223/2009 über kosmetische Mittel (EG ABl. L 342/59, welche die RL 76/768/EWG ersetzt hat). Irreführungsverbote in Richtlinien finden sich u.a.: in der RL 200954/EG über die 42 Gewinnung von und den Handel mit natürlichen Mineralwässern (ABl. EG L 164/45, welche die RL 80/777/EWG neugefasst hat und in der RL 2001/111/EG über bestimmte Zuckerarten für die menschliche Ernährung (ABl. EG L 10/53).
_____
91 Richtlinie 2001/83/EG des EP und des Rates vom 6.11.2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel, ABl EG L. 311/67. 92 Verordnung (EG) 1924/2006 des Europäischen Parlaments und Rates vom 20.12.2006 über nährwertund gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel, ABl. EG L 12/3. 93 BGH 2.5.1991 – I ZR 258/89, GRUR 1992, 70, 71 – 40% weniger Fett.
613
Lindacher/Peifer
Vor §§ 5, 5a
Vorbemerkungen
43
5. Spezielle sekundärrechtliche Informationsgebote. Ein allgemeines konditioniertes Informationsgebot findet sich erstmals in der RL 2005/29/EG (s. Rn. 34). Sektorale Informationsgebote enthalten freilich bereits diverse – mit Beispielscharakter in den Anhang II zur RL 2005/29/EG eingestellte – Sekundärrechtsakte. Spezielle Informationsgebote statuieren u.a.: die RL 2011/83/EU über die Rechte der 44 Verbraucher (ABl. EG L 304/64, die diverse verbraucherbezogene Richtlinien ersetzt hat, nämlich die 97/7/EG – Fernabsatzrichtlinie, 1999/44/EG – Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, 85/577/EWG- Haustürgeschäfte-RL und 93/13/EWG – AGB-Richtlinie); die RL 2000/ 31/EG über den elektronischen Geschäftsverkehr (ABl. EG L 178/1); die RL 2008/48/EG – Verbraucherkreditrichtlinie (ABl. EG L 133/66); die RL 2014/65/EU über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU (ABl. EU L 173/349) und die RL 2009/138/EG betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und Rückversicherungstätigkeit (EG-ABl. L 335/1, welche die RL 2002/83/EG über Lebensversicherungen ersetzt hat). Keine Informationsgebote im Interesse des Verbrauchers sind Vorschriften über Ursprungs- und Herkunftsbezeichnungen insbesondere im Lebensmittelbereich.94 Sie dienen dem Bezeichnungsschutz und haben für die Irreführungsvorschriften nur mittelbare Bedeutungen etwa in der Form, dass geschützte vorgeschriebene Bezeichnungen aus normativen Gründen selbst dann zulässig bleiben, wenn sie tatsächlich Irreführungsgefahren erzeugen (unten Rn. 50, 52). IV. Konsequenz: Aufwertung des Sekundärrechts als Kontrollmaßstab Regelungen des nationalen Rechts, die kraft Richtlinien-Vorgabe lediglich Mindeststandards genügen müssen, sind, was ihre Unionsrechtsverträglichkeit betrifft, nur hinsichtlich der Einhaltung eben dieser Standards an der Richtlinie, im Übrigen an den Marktfreiheiten (Art. 34, 56 AEUV) und den Unionsgrundrechten (Art. 11 GrCh, unten Rn. 54) zu messen, soweit es um die Frage geht, ob ein höheres Schutzniveau gewährt werden darf. Nationales Recht ist unionsrechtskonform auszulegen sowie bei Verstößen in Fällen grenzüberschreitenden Bezugs nicht anzuwenden. Mit der Vorabentscheidungsvorlage nach Art. 267 AEUV (ex Art. 234 EG) erfragt der nationale Richter die Unionsrechtsverträglichkeit in Hinblick auf die thematisierte Marktfreiheit. Nationales Recht, das in Umsetzung einer auf Vollharmonisierung zielenden Richt46 linie ergangen ist, ist demgegenüber durchgängig vorrangig an eben dieser Richtlinie zu messen,95 die freilich ihrerseits marktfreiheiten- und unionsverfassungsrechtskonform auszulegen ist: Unionsrechtsverträglichkeit ist via richtlinienkonformer Auslegung zu leisten. Mit einer Vorlage nach Art. 267 AEUV (ex Art. 234 EG) erfragt der vorlegende Richter die autoritative Antwort des Gerichtshofs auf die Frage nach dem „richtigen“ Verständnis der Richtlinienvorgabe und „richtiger“ europäischer Einbettung der nationalen Regelung. Marktfreiheitenkonforme Auslegung der Richtlinie (und damit mittelbar der nationalen Rechtsregel) ist indiziert, wo die Konkretisierung der Richtlinienvorgabe ohne Berücksichtigung des Marktintegrationsgedankens jedenfalls faktisch den innerkommunitären Waren- bzw. Dienstleistungsverkehr hemmen würde. 45
_____
94 Z.B. Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.12.2013 über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 922/72/EWG, Nr. 234/79/EG, Nr. 1037/2001/EG und Nr. 234/200//EG, EU-ABl. L 347/671. 95 EuGH 16.7.2015 – C-95/14, EuZW 2015, 873 Rn. 33 – UNIC/FS Retail; EuGH 10.7.2014 – C-421/12, GRUR Int. 2014, 964 Rn. 63 – Kommission/Belgien; EuGH 11.12.2003 – C-322/01 – EuGHE 2003, I-14887 Rn. 64 = GRUR Int. 2004, 418 = WRP 2004, 205 – Doc Morris; Köhler/Bornkamm/Feddersen Einl UWG Rn. 3.13.
Lindacher/Peifer
614
D. EU-Recht: Grundfreiheiten und unionsrechtliches Sekundärrecht
Vor §§ 5, 5a
V. Richtlinienangelehntes Recht kraft überschießender Richtlinienumsetzung Im Interesse der Rettung eines einheitlichen Lauterkeitsrechts hat der Gesetzgeber 47 im UWG 2008 die UGP-Richtlinie überschießend umgesetzt: Die europarechtliche Aufteilung des Irreführungstatbestands in Abhängigkeit von den Adressaten (gegenüber Verbrauchern: UGP-Richtlinie; gegenüber Nichtverbrauchern: Irreführungsrichtlinie) wurde nicht übernommen, das integrierte Konzept vielmehr dadurch gerettet, dass die für den Business-to-Consumer-Bereich vorgegebenen Standards der UGP-Richtlinie in autonomer nationaler Entscheidung auf den Business-to-Business-Bereich erstreckt wurden. Wie das unter dem Geltungsregime der UGP-Richtlinie stehende nationale Recht ist 48 auch das lediglich an dieselbe angelehnte nationale Recht konform zu dieser auszulegen. Das einschlägige Gebot folgt – will man nicht gar eine entsprechende gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung annehmen96 – aus dem mitgliedschaftlichen Interesse, einer gespaltenen Auslegung des nach dem Willen des nationalen Gesetzgebers einheitlichen Rechts entgegen zu steuern.97 Zur richtlinienkonformen Auslegung sind zunächst und vor allem die nationalen Ge- 49 richte angehalten. Unter den sonstigen Voraussetzungen des Art. 267 Abs. 2 EG akzeptiert der EuGH in ständiger Rechtsprechung aber unbeschadet des Umstands, dass das anzuwendende Recht lediglich richtlinienangelehntes Recht darstellt, auch hier Vorabentscheidungsgesuche der nationalen Gerichte.98 Ob das Vorlagerecht der nationalen Gerichte mit einer Vorlagepflicht einhergeht, ist streitig.99 Wer die Pflicht zu richtlinienkonformer Auslegung im Unionsrecht gegründet sieht, hat allemal Anlass, auch eine Vorlagepflicht nach Maßgabe von Art. 267 Abs. 3 AEUV (ex Art. 234 Abs. 3 EG) zu bejahen.100 Aber auch derjenige, der die Pflicht zu richtlinienkonformer Interpretation – vorzugswürdig – ausschließlich im nationalen Recht verortet sieht, sollte eine Vorlagepflicht nicht vorschnell verneinen:101 Wenn und weil die richtlinienkonforme Auslegung zwingend mit einer Auslegung des Europarechts einhergeht, spricht vieles für eine unionsrechtliche Pflicht, die verbindliche Auslegung jenseits der acte claire-Fälle dem EuGH zu überlassen.102 Wer eine unionsrechtliche Vorlagepflicht verneint, sollte zumindest eine Vorlagepflicht nach nationalem Recht in Erwägung ziehen.103 VI. Relevanz EU-rechtlicher Bezeichnungsvorschriften Einen nicht unerheblichen Teil des unionsrechtlichen Normenbestands machen – 50 insbesondere auf den Gebieten des Wein- und Lebensmittelrechts – Bezeichnungsvorschriften in Verordnungsform aus (oben Rn 40). Lauterkeitsrechtliche Bedeutung kann ihnen, wie Bezeichnungsbestimmungen des nationalen Rechts, in dreifacher Hinsicht zukommen:
_____
96 So – allgemein – W.-H.Roth BGH-FGWiss, 2000, Bd. II 847, 883 ff. 97 Harte/Henning/Glöckner Einl B Rn. 217; Hommelhoff BGH-FGWiss, 2000, Bd. II 889, 915. 98 EuGH 18.10.1990 EuGHE 1990, I-3783 Rn. 41 – Dzodzi. 99 Einlässlich zum Streit- und Meinungsstand zuletzt Gsell Vorlageverfahren und überschießende Umsetzung von Europarecht, in: Gsell/Hau (Hrsg), Zivilgerichtsbarkeit und Europäisches Justizsystem, 2012, 123, 136 ff. 100 Konsequent: W.-H. Roth BGH-FGWiss Bd. II 885. 101 Gegen eine Vorlagepflicht bei Bejahung der Vorlagemöglichkeit freilich etwa Palandt/Grüneberg Einl Rn. 44 sowie Hirte RabelsZ 66 (2002), 553, 565. 102 So denn auch beispielsweise Gsell aaO 123, 138 f. 103 Für eine Vorlagepflicht nach nationalem Recht Harte/Henning/Glöckner Einl B Rn. 218 sowie Hess RabelsZ 66 (2002), 471, 487.
615
Lindacher/Peifer
Vor §§ 5, 5a
Vorbemerkungen
51
1. Bezeichnungsrecht und akzessorische Verkehrsanschauung. Der Verkehr erwartet, dass die ihm offerierten Wirtschaftsgüter den rechtlichen Standards genügen. Soweit die Bezeichnungsvorschrift bestimmte (Mindest-)Anforderungen hinsichtlich der Beschaffenheit, Herstellungsweise oder sonstiger Eigenschaften des betreffenden Produkts statuiert, schafft sie korrespondierende Verkehrserwartungen (sog. abgeleitete Verkehrsauffassung, s. auch Rn. 174). Entspricht das unter Verwendung der gesetzlichen Bezeichnung angebotene Erzeugnis nicht den einschlägigen gesetzlichen Anforderungen, liegt eine Irreführung i.S. von § 5 vor.
52
2. Bezeichnungsrecht und normativ bedingte Irreführung. Führt die Verwendung der gesetzlichen Bezeichnung als solche einen relevanten Verkehrsteil ausnahmsweise irre, weil die Bezeichnung Qualitätserwartungen weckt, die von einem (nur) dem zugehörigen gesetzlichen Standard entsprechenden Produkt nicht eingelöst werden (Phänomen der normativ bedingten Irreführung), ist die Irreführung hinzunehmen, wenn das Bezeichnungsrecht die Verwendung vorschreibt oder jedenfalls – ausdrücklich oder konkludent – gestattet. Die Bezeichnungsnorm beschränkt den Geltungsanspruch von § 5 (s. i.E. Rn. 175 ff.).
53
3. Produktbezeichnung als Mittel der Irreführungsgefahrausräumung. Animiert durch die Etikettierungsrechtsprechung („labelling-doctrine“) des EuGH104 und in der recht optimistischen Erwartung, der Produktnachfrager sei fähig und bereit, Produktbezeichnungen auf der Verpackung, auf Verpackungsbeilagen oder in sonstiger Form samt und sonders zur Kenntnis zu nehmen, verordnete und verordnet der EG- bzw. EUGesetzgeber in großem Stil produktspezifische Bezeichnungspflichten. Anbieter, die der entsprechende Bezeichnungspflicht nachkommen, stehen nach der Intention des europäischen Gesetzgebers auf der sicheren Seite, Fehlvorstellungen, die durch Nichtkenntnisnahme der Information entstehen, bleiben rechtlich irrelevant. E. EU-Recht: Grundrechte E. EU-Recht: Grundrechte
54
Zum primären Unionsrecht zählten von Anbeginn die allgemeinen Rechtsgrundsätze, die sich vor allem als Grundrechte rechtsvergleichend aus den Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten sowie aus der Europäischen Menschenrechtskonvention ergaben.105 Das Kommunikationsgrundrecht des Art. 10 EMRK erfasste und erfasst anerkanntermaßen auch die Wirtschaftswerbung.106 Art. 11 Abs. 1 GRCh entspricht nicht von ungefähr dem Wortlaut des Art. 10 Abs. 1 S. 1 und 2 EMRK, steht vielmehr auch inhaltlich in entsprechender Tradition: neben der Diskussion im Grundrechte-Konvent und der Rechtsprechung des EuGH zur Meinungsfreiheit als Gemeinschaftsgrundrecht ist die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 10 EMRK zu berücksichtigen.107 55 Wie die Grundrechte mitgliedstaatlichen Rechts stehen auch die Unionsgrundrechte im Allgemeinen und das Kommunikationsgrundrecht nach Art. 11 Abs. 1 GRCh im Be-
_____
104 EuGH 20.2.1979 – Rs. 120/78, Slg. 1979, 649 Rn 13 – Cassis de Dijon; EuGH 9.12.1981 – Rs 193/80, Slg. 1981, 3019 Rn 27 – Weinessig; EuGH 12.3.1987 – 178/84, Slg. 1987, 1227 Rn 35 – Reinheitsgebot für Bier; EuGH 13.11.1990 – C- 269/89, Slg. 1990, I-4169 Rn 15 – Bonfait; EuGH 18.6.1991 – C-369/89, Slg. 1991, I-2971 Rn 14 – Piageme I; EuGH 13.9.2000 – C-366/98, Slg. 2000, I-6579 Rn 23 und Rn 28 – Geffroy. 105 Zuletzt: EuGH 14.12.2006 – C-283/05 – NJW 2007, 825, 826 Rn. 26 – ASML/Semis m.w.N. 106 Aus der Rspr. des EuGH: EuGH 25.3.2004 – C-71/02, EuGHE 1994, I- 3025 Rn. 48 – Karner, aus der Rspr. des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte EGMR 20.11.89 – 3/1988/147/201, EuGRZ 1996, 302, 304 – markt intern. 107 Calliess in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. (2016), Art. 11 GRCh Rn. 5.
Lindacher/Peifer
616
F. Nationales Verfassungsrecht
Vor §§ 5, 5a
sonderen unter Schrankenvorbehalt:108 Schutz der Lauterkeit des Handelsverkehrs und Verbraucherschutz sind beschränkungsrechtfertigende Ziele, als die Kommunikationsfreiheit begrenzende Verbotssätze jedoch freilich i.S. der „Wechselwirkungslehre“ im Lichte der Grundrechte selbst zu sehen und zu interpretieren. In der EuGH-Rechtsprechung standen und stehen die Grundrechte bislang eher im 56 Schatten der Marktfreiheiten. Mit zunehmender Vollharmonisierung verschieben sich indes die Gewichte:109 Auf Vollharmonisierung angelegte Unionsrechtsakte sind auch und vor allem unionsgrundrechtskonform auszulegen; richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts ist mittelbar immer auch Auslegung in Achtung der unionsgrundrechtlichen Kommunikationsfreiheit. Aus lauterkeitsrechtlicher Perspektive kommt den Unionsgrundrechten Bedeutung 57 vor allem im Rahmen gebotener Interessenabwägung zu:110 Das in die Abwägung einzustellende Interesse des Werbenden, seine Produkte nach seinen Vorstellungen bewerben zu dürfen, ist im Ansatz auch grundrechtlich unterfüttert. F. Nationales Verfassungsrecht F. Nationales Verfassungsrecht Werbliche Äußerungen fallen ihrer Art nach in den Wirkbereich von Art. 12 GG,111 58 nach richtiger mittlerweile auch vom BVerfG geteilter Ansicht darüber hinaus aber auch in den Wirkbereich von Art. 5 Abs. 1 GG, weil auch Marktmeinungsbildung schützenswerte öffentliche Meinungsbildung ist:112 § 5 ist nicht nur eine die Berufsausübung regelnde Norm i.S. von Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG, sondern auch Erscheinungsform des allgemeinen Gesetzes i.S. von Art. 5 Abs. 2 GG. Konkretisierung der Vorschrift bedeutet immer auch Konkretisierung der Schranken verfassungsrechtlich verbürgter Handlungsfreiheit des Werbenden in Austarierung mit gegenläufigen Freiheitsrechten der angesprochenen Verkehrskreise sowie den Freiheits- und Eigentumsrechten der gewerblichen Konkurrenz. Wenn auch außer Frage steht, dass das Verbot irreführender Werbeangaben als solches verfassungskonform, ja letztlich grundrechtsprägend bei der Entfaltung der Verbotsnorm ist, bleibt der Rechtsanwender aufgerufen, zu berücksichtigen, dass Grundrechtsschrankennormen ihrerseits aus der Erkenntnis der wertsetzenden Bedeutung des jeweiligen Grundrechts auszulegen sind. Das Erfordernis, bei der Anwendung von § 5 in Hinblick auf besondere Belange des Werbenden bzw. der Gruppe gleichartig Werbender in eine Interessenabwägung einzutreten (s. § 5 Rn. 274 ff.), ist unter dem Geltungsregime des nationalen Verfassungsrechts (auch) verfassungsrechtlich indiziert. Eingedenk des Vorrangs des europäischen Rechts gegenüber dem nationalen Recht 59 (unter Einschluss des nationalen Verfassungsrechts, s. Rn. 18) führte und führt die fortschreitende „Europäisierung“ des Lauterkeitsrechts freilich zu einem schleichenden Bedeutungsverlust des nationalen Grundrechtsschutzes und Karlsruher Kontrollkompetenz: Kontrollmaßstab für EU-Verordnungsrecht, das im harmonisierten Bereich Sperrwirkung gegenüber dem nationalen Recht entfaltet, sind ausschließlich Gemeinschafts-
_____
108 Calliess aaO Rn. 30. 109 Treffende einschlägige Feststellung etwa durch Kingreen in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. (2016), Art. 36 AEUV Rn. 79. 110 Treffende Hervorhebung: Harte/Henning/Dreyer § 5 A Rn. 24. 111 BVerfG 13.7.1992 – 1 BvR 303/90, NJW 1993, 1969, 1970; BVerfG 23.7.2001 – 1 BvR 873/00, NJW 2001, 2788. 112 BVerfG 12.12.2000 – 1 BvR 1762/95 – BVerfGE 107, 347 = GRUR 2001, 170, 172 = WRP 2001, 129, 133 – Benetton-Werbung I; BVerfG 1.8.2001 – 1 BvR 1188/92 – GRUR 2001, 1058, 1059 = WRP 2001, 1160, 1161 – Therapeutische Äquivalenz.
617
Lindacher/Peifer
Vor §§ 5, 5a
Vorbemerkungen
grundrechte.113 Aber auch einfaches deutsches Recht, das auf zwingendem, Mindest- und Höchststandards setzendem Richtlinien-Recht beruht, ist nur an Unionsgrundrechten, nicht an den Grundrechten des GG zu messen.114 Im Klartext heißt dies, dass nicht nur die speziellen Irreführungsverbote auf EU-VO60 Basis ausschließlich an den Unionsgrundrechten zu messen sind, sondern – mit Blick auf den Charakter der UGP-Richtlinie als auf Vollharmonisierung angelegter Unionsrechtsakt – praktisch der gesamte Business-to-Consumer-Bereich, aber auch der Business-to-Business-Bereich, soweit der voll harmonisierte Bereich der vergleichenden Werbung und die durch die Irreführungsrichtlinie vorgegebenen Mindeststandards in Rede stehen. Verfassungskonforme Auslegung zediert zugunsten einer Auslegung, die auf Konformität des nationalen Rechts mit den Unionsgrundrechten setzt. Vorerst offen bleibt, wie das Konkurrenzverhältnis Unionsrecht – nationales Verfas61 sungsrecht im Bereich lediglich richtlinienangelehnten Rechts aufzulösen ist. Wer eine unionsrechtliche Pflicht zu richtlinienkonformer Auslegung freiwillig der UGP-Richtlinie unterstellten Rechts verneint (näher: Rn. 47 ff.), belässt dem nationalen Verfassungsrecht im beidseitigen Unternehmensbereich eine Restgeltung, dem BVerfG eine Residualkompetenz. Das Gebot der Grundrechtsachtung rechtfertigt im nicht aufhebbaren Konfliktfall die Hinnahme einer Rechtsspaltung. Verfassungskonforme Auslegung hat Vorrang gegenüber der richtlinienkonformen Auslegung. Bejahung einer unionsrechtlichen Pflicht zu richtlinienkonformer Auslegung und zur Vorabentscheidungsvorlage nach Art. 267 Abs. 3 AEUV (ex Art. 234 Abs. 3 EG) liefe demgegenüber auf ein flächendeckendes Zurückdrängen der nationalen gegenüber den unionsrechtlichen Grundrechtsverbürgungen hinaus. G. Verbraucherleitbild/Unternehmerleitbild G. Verbraucherleitbild/Unternehmerleitbild Schrifttum Ackermann Das Verbraucherleitbild im Lauterkeits- und Kennzeichenrecht, in: Baudenbacher/Simon (Hrsg), Neueste Entwicklungen im europäischen und internationalen Immaterialgüterrecht, 2001, 59; H.-J. Ahrens Verwirrtheiten juristischer Verkehrskreise zum Verbraucherleitbild einer „normativen“ Verkehrsauffassung, WRP 2000, 812; Böhler Verbraucherschützende Informationspflichten im Lauterkeitsrecht, 2017; Büttner Die Irreführungsquote im Wandel – Folgen eines sich ändernden Normverständnisses, GRUR 1996, 533; Doepner Verbraucherleitbilder zur Auslegung des wettbewerbsrechtlichen Irreführungsverbots – Anmerkungen zum Diskussionsstand, FS Lieberknecht, (1997) 165 und WRP 1997, 999; Gloy Verkehrsauffassung – Rechts- oder Tatfrage?, FS Erdmann (2002) 811; Helm Das Verbraucherleitbild des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesgerichtshofs im Vergleich, FS Tilmann (2003) 135; ders. Der Abschied vom „verständigen“ Verbraucher, WRP 2005, 931; ders. Hohes Verbraucherschutzniveau, WRP 2013, 710; Henning-Bodewig Abschied vom „verständigen Verbraucher?“, WRP 2013, 11; Leible Abschied vom „flüchtigen Verbraucher“?, DZWiR 1994, 178; Möstl Wandel des Verbraucherleitbilds? Eine Positionsbestimmung aus lebensmittelrechtlicher Perspektive, WRP 2014, 906; Reese Das „6-Kern-Eier“-Urteil des EuGH – Leitentscheidung für ein Leitbild?, WRP 1998, 1035; Sack Das Verbraucherleitbild und das Unternehmerleitbild im europäischen und deutschen Wettbewerbsrecht, WRP 1998, 264; ders. Die Auswirkungen des europäischen Rechts auf das Verbot der irreführenden Werbung, in: Schwarze (Hrsg.), Werbung und Werbeverbote im Lichte des europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, 102; Scherer Divergenz und Konvergenz der Rechtsprechung des EuGH und des BGH, WRP 1999, 991; dies. Der EuGH und der mündige Verbraucher – eine Beziehungskrise?, WRP 2013, 705; dies. Die Leerformel vom „hohen Verbraucherschutzniveau“, WRP 2013, 977; Schweizer Die „normative Verkehrsauffassung“ – ein doppeltes Missverständnis – Konsequenzen für das Leitbild des „durchschnittlich informierten, verständigen und aufmerk-
_____
113 114
Explizite einschlägige Klarstellung: Harte/Henning/Ahrens Einl G Rn. 78. Harte/Henning/Ahrens Einl G Rn. 78.
Lindacher/Peifer
618
G. Verbraucherleitbild/Unternehmerleitbild
Vor §§ 5, 5a
samen Durchschnittsverbrauchers“, GRUR 2000, 923; K. Seibt Das europäische Verbraucherleitbild – ein Abschied von der Verwechslungsgefahr als Rechtsfrage?, GRUR 2002, 465; Tilmann Der „verständige Verbraucher“, FS Piper (1996) 481.
I. Verbraucherleitbild 1. Überblick. Das geltende Recht zur Bekämpfung irreführender Geschäftspraktiken 62 ist inhaltlich und konzeptionell in nachhaltiger Weise durch die EuGH-Rechtsprechung zum sog. Verbraucherleitbild geprägt. In einer dem Binnenmarktziel verpflichteten Sicht hat der Gerichtshof zunächst in seiner Grundfreiheiten-Rechtsprechung einen mit bestimmten Mindesteigenschaften ausgestatteten „Durchschnittsverbraucher“ zur Referenzfigur erklärt,115 den „Durchschnittsverbraucher“ entsprechenden Zuschnitts sodann alsbald auch bei der Inhaltsbestimmung der diversen sektoralen gemeinschaftsrechtlichen Irreführungsverbote zur Maßfigur erhoben.116 In der Entscheidung „Gut Springenheide“117 findet sich sodann erstmals die Formel vom „durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher“. In jüngeren Entscheidungen118 ist dank geänderter, den Anschluss an die englisch- und französischsprachigen Fassungen herstellender Übersetzungspraxis vom „normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher“ die Rede.119 Der Richtlinien-Geber rekurriert in Art. 6 Abs. 1 und 2 sowie Art. 7 UGP-RL explizit 63 auf die Figur des „Durchschnittsverbrauchers“ (und damit indirekt auf die Luxemburger Rechtsprechung). Erwägungsgrund 18 spricht (grob) konkretisierend vom „Durchschnittsverbraucher, der angemessen gut unterrichtet und angemessen aufmerksam und kritisch ist“. 2. Frage nach dem „Verbraucherleitbild“ als Frage nach der „richtigen“ 64 Schutz- bzw. Regulierungshöhe. Die Frage nach dem „Verbraucherleitbild“ ist die Frage nach dem „richtigen“ Schutz- (Perspektive des irreführungsbedrohten Verbrauchers) bzw. Regulierungsniveau (Perspektive des in seiner Werbefreiheit beschränkten Anbieters) des jeweiligen Wettbewerbsrechts.120 Sie hat keinesfalls notwendigerweise, allenfalls höchst indirekt mit der (Streit-)Frage zu tun, ob die „Verkehrsauffassung“ normativ oder empirisch zu ermitteln ist, sie bestimmt vielmehr auch die verfassungsrechtlich auszutarierende Abwägung zwischen Schutz- und Entfaltungsinteressen. Gleichzeitig nimmt sie Rücksicht auf kulturelle Besonderheiten, die sich aus sprachlichen und landestypischen Erfahrungen der Verbraucher in den Mitgliedstaaten der EU ergeben.121 Bedeutsam sind überdies Umstände, die produkt- und situationstypische Abweichungen von einem vorgeblichen Standardverhalten oder –verständnis erforderlich machen122 oder adressatentypisch auf unterschiedliche Erfahrungs- oder Informationsniveaus konkret angesprochener Verbrauchergruppen abstellen (vgl. § 3 Abs. 4 S. 2).
_____
115 EuGH 7.3.1990 – C-362/88, EuGHE 1990, I-667 Rn. 16 = GRUR Int. 1990, 955 – GB-Inno-BM; 2.2.1994 – C-315/92, EuGHE 1994, I-317 Rn. 21 = GRUR Int. 1994, 231 = WRP 1994, 99 – Clinique; 6.7.1995 – C-470/93, EuGHE 1995, I-1923 Rn. 22–24 = GRUR Int. 1995, 804 = WRP 1995, 677 – Mars. 116 EuGH 16.7.1998 – C-210/96, EuGHE 1998, I-4657 Rn. 31 ff. = GRUR Int. 1998, 795 = WRP 1998, 848 – Gut Springenheide. 117 EuGH 16.7.1998 – C-210/96, aaO. 118 S. etwa EuGH 16.9.2004 – C 329/02 P – EuGHE 2004, I-8317 = GRUR Int. 2005, 44, 45 – SAT 1. 119 Hierzu Helm WRP 2013, 710, 715. 120 Möstl WRP 2014, 906, 910. 121 Vgl. EuGH 12.5.2011 – C-122/10, WRP 2012, 189 Rn. 22 sowie Erwägungsgrund 18 der UGP-Richtlinie. 122 BGH 19.4.2001 – I ZR 46/99, GRUR 2002, 81, 83 – Anwalts- und Steuerkanzlei.
619
Lindacher/Peifer
Vor §§ 5, 5a
Vorbemerkungen
65
Rechtspaternalistisches Denken wird dazu neigen, das Lauterkeitsrecht mit sozialen Schutzerwägungen aufzuladen.123 Verbraucherschutz heißt dann auch und in besonderer Weise Minderheitenschutz, nämlich Schutz der Gruppe der weniger kundigen und gewandten Verbraucher, die Gefahr laufen, eine nach dem Mehrheitsverständnis nicht zu beanstandende werbliche Äußerung in geschäftserheblicher Weise misszuverstehen – auch und gerade bei der allgemeinen Publikumswerbung. Nährboden des Leitbilds des „schutzbedürftigen Verbrauchers“ ist in besonderer Weise eine negative Grundeinstellung gegenüber der Werbung, wie sie in der Verbrauchersoziologie, aber auch in Teilen der verbraucherschutzorientierten rechtswissenschaftlichen Literatur der 1970er- und 1980er-Jahre begegnete,124 ja selbst in jüngerer Zeit noch gelegentlich vorzufinden ist: Wer Werbung primär als Manipulationsinstrument betrachtet, hat kaum Schwierigkeiten, die Schutzhöhe hoch anzusetzen. Auf Markt- und Werbefreiheit zielendes Denken wird auf die Kenntnisse sowie die 66 Fähigkeiten setzen, die den Mitgliedern des angesprochenen Verkehrskreises typischerweise eigen sind, strikten Minderheitenschutz durch Verbot der fraglichen Werbung mithin nur dann als indiziert ansehen, wenn sich die Werbung schwerpunktmäßig gerade an Verbraucher unterdurchschnittlicher intellektueller Fähigkeiten richtet. Drohenden Schutzlücken wird man durch Statuierung fehlvorstellungsunabhängiger Informationspflichten entgegen zu steuern versuchen. Bei Beantwortung der Frage, inwieweit vom „Durchschnittsverbraucher“ rechtlich erwartbar ist, dass er seine Kenntnisse und Fähigkeiten bei der Informationserlangung und -verarbeitung auch einsetzt, ersetzen Erkenntnisse der Verhaltenswissenschaften hinsichtlich des realen Involvements zwar nicht die wertende rechtliche Entscheidung, bieten sich freilich als mit zu berücksichtigend an. 3. Leitbildwandel a) Ältere Rechtsprechung. Nach älterer BGH-Rechtsprechung war es für die Bejahung einer Irreführung nach § 3 a.F. erforderlich, grundsätzlich aber auch ausreichend, dass ein „nicht völlig unerheblicher Teil“ des angesprochenen Verkehrs einer für die geschäftliche Entscheidung erheblichen Fehlvorstellung erlag.125 Bei der Ermittlung des in einem Korridor zwischen 10–15% angesiedelten Quorums zählten auch ferner liegende Fehlvorstellungen von Verbrauchern eher minderer intellektueller Ausstattung mit. Die Rechtsprechung bekannte sich ausdrücklich zum Schutz von „Bevölkerungskreisen mit weniger Erfahrung und weniger umfassender Kenntnis“,126 erleichterte zudem das Erreichen des Quorums ganz entscheidend dadurch, dass sie den Bedeutungsgehalt der zu beurteilenden Werbeaussage mehr oder weniger generalisierend danach bestimmte, wie sie von den angesprochenen Verkehrskreisen bei „ungezwungener und flüchtiger Wahrnehmung“ verstanden wird.127 Bereits lange vor dem Höhepunkt der von der EuGH-Rechtsprechung entfachten 68 „Leitbild“-Diskussion entschärften die deutschen Gerichte, unter Beibehalt des Systemansatzes, freilich ihre einschlägige Rechtsprechung: Man vernachlässigte nicht, dass je 67
_____
123 Vgl. Scherer WRP 2013, 705. 124 Näher zu einschlägigen Verbraucherschutztheorien mit Nachweisen und Antikritik Drexl Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, 124 ff. 125 Repräsentativ: BGH 11.5.1954 – I ZR 178/52, BGHZ 13, 244, 255 = GRUR 1955, 38, 40 – Cupresa-Seide. 126 BGH 5.5.1983 – I ZR 49/81, GRUR 1983, 512, 514 = WRP 1983, 489, 491– Heilpraktikerkolleg. 127 BGH 23.1.1959 – I ZR 14/58, GRUR 1959, 365, 366 – Englisch Lavendel; 26.2.1969 – I ZR 108/67, GRUR 1969, 415, 416 = WRP 1969, 239 – Kaffeerösterei.
Lindacher/Peifer
620
G. Verbraucherleitbild/Unternehmerleitbild
Vor §§ 5, 5a
nach Art der Werbung, den Besonderheiten von Angebot und Ware, den Eigenschaften des Werbeadressaten und sonstigen Umständen ausnahmsweise auch ein gesteigerter Grad an Aufmerksamkeit in Betracht zu ziehen war.128 Vor allem wurde dem Quorum nur noch der Charakter einer quantitativen Mindestaufgreifschwelle beigemessen, der Satz, dass marktentscheidungserhebliche Fehlvorstellungen von 10–15% des angesprochenen Verkehrs den Tatbestand der Irreführung erfüllen, unter Hinweis auf das Gebot der ergänzenden Interessenabwägung unter Korrekturvorbehalt gestellt.129 Das von Kritikern gezeichnete Bild der deutschen Praxis war deshalb bereits mit 69 Blick auf die ältere BGH-Rechtsprechung ein eher realitätsfernes Zerrbild. Der Abstand des „deutschen Verbraucherleitbilds“ zum „modernen“ Verbraucherleitbild „europäischer“ Prägung wurde zudem dadurch aufgebauscht, dass man unter Vernachlässigung gegenläufiger Sprachfassungen130 die (Alt-)Formel von der Maßgeblichkeit des „Durchschnittsverbrauchers, der durchschnittlich informiert, aufmerksam und verständig“ ist, fälschlicherweise dahin interpretierte, dass sich das Adverb „durchschnittlich“ nur auf das Momentum der Informiertheit beziehe, im Übrigen eine gewissermaßen idealtypische Aufmerksamkeit und Verständigkeit als eingefordert erachtete.131 b) Schrittweise Annäherung an die EuGH-Linie. Nach wie vor signifikante 70 Schutzhöhenunterschiede, die jenseits allfälliger Grundfreiheitenrelevanz europarechtlich mit Blick auf Art. 7 der RL 84/450/EWG nicht zu beanstanden waren, wurden vom BGH seit Anfang der 1990er-Jahre in einem Prozess des „Wandels in den Köpfen“ (Beater)132 systematisch und schrittweise abgebaut. Dies geschah zunächst unter Beibehaltung des traditionellen Systemansatzes, indem man dem Korrektiv der Interessenabwägung noch konsequenter den gebührenden Stellenwert beimaß und im Übrigen der Neigung entgegentrat, Täuschungsgefahren zu konstruieren, die sich erst aufgrund komplizierter Rückschlüsse und fernliegender Assoziationen ergeben, sowie bei Inkongruenzen des Aussageinhalts und der Realität vorschnell eine marktentscheidungsrelevante Irreführung zu unterstellen; ganz allgemein: bei der Anwendung der Regeldefinition die Ausnahmen aus dem Blick zu verlieren. In der Entscheidung Orient-Teppichmuster133 vollzog der BGH dann – klugerweise – 71 in Anlehnung an die EuGH-Rechtsprechung auch den Wechsel im Systemansatz: In seither ständiger Rechtsprechung134 rekurriert der BGH auf das Leitbild des „durchschnittlich informierten, situationsadäquat aufmerksamen und verständigen Verbrauchers“. Der Reformgesetzgeber 2004 bekannte sich (s. RegE Begr. BTDrucks 15/1487 S. 19) explizit zum einschlägigen Leitbild. c) Erledigung des „Leitbild“-Streits: Maßgeblichkeit der Vorgabe der RL 2005/ 72 29/EG. Mit Erlass der RL 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken hat sich die „Leitbild“-Diskussion (hier „deutsches“ Verbraucherleitbild, dort „europäisches“ Ver-
_____
128 Paradigmatisch: KG 23.10.1984 – 5 U 4205/84, WRP 1985, 558, 559 (Hauserwerb). 129 BGH 23.3.1966 – Ib ZR 28/64, GRUR 1966, 445 = WRP 1966, 340 – Glutamal; 12.3.1971 – I ZR 115/69, GRUR 1971, 313, 315 = WRP 1971, 266, 267 – Bocksbeutelflasche; 29.5.1991 – I ZR 204/89, GRUR 1991, 852, 855 = WRP 1993, 95, 98 f. – Aquavit. 130 Umfassende einschlägige Synopse bei Helm FS Tilmann 135, 140. 131 Exemplarisch: Ackermann WRP 2000, 807, 808. 132 Unlauterer Wettbewerb, 2002, § 5 Rn. 38. 133 BGH 20.10.1999 – I ZR 167/97, GRUR 2000, 619, 621 = WRP 2000, 517, 519 f. 134 BGH 17.2.2000 – I ZR 239/97 – GRUR 2000, 820, 821 = WRP 2000, 724, 726 – Space Fidelity PeepShow; 19.4.2001– I ZR 46/99 – GRUR 2002, 81, 83 = WRP 2002, 81, 84 – Anwalts- und Steuerkanzlei; 17.6.2004 – I ZR 284/01 – GRUR 2004, 786, 787 f. = WRP 2004, 1165, 1167 – Größter Online-Dienst.
621
Lindacher/Peifer
Vor §§ 5, 5a
Vorbemerkungen
braucherleitbild) erledigt: Als auf Totalharmonisierung angelegter Unionsrechtsakt bestimmt die UGP-Richtlinie für den B2C-Bereich in Verdrängung materiellen nationalen Rechts die Schutzhöhe. Die nähere Konkretisierung der Merkmale Informiertheit, Aufmerksamkeit und Verständigkeit ist richtlinienkonform vorzunehmen, die Auslegungsprärogative kommt dem EuGH zu. 4. Informiertheit, Aufmerksamkeit, Verständigkeit a) Überblick. Mit dem Leitbild des „normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers“ setzen EuGH und Richtliniengeber materiell-inhaltliche Standards. Die „sprachliche Konsolidierung“ der Formel, sprich: Anpassung der deutschsprachigen Textfassung an die Fassungen in anderen Sprachen (s. Rn. 62), erleichtert das Formelverständnis, enthebt freilich nicht von näherer inhaltlicher Konkretisierung. Allerdings suggeriert die Formel mehr Rechtssicherheit als tatsächlich vorhanden ist.135 Es gilt zwei Ebenen zu unterscheiden. Die erste betrifft den erwartbaren Wis74 sensstand und die „intellektuelle Ausstattung“ des durchschnittlichen Mitglieds des angesprochenen Verkehrskreises, die zweite die Intensität des Bemühens um korrekte Wahrnehmung und sachgerechte Einordnung der werblichen Botschaft. Was die Anforderungen an Wissen und Intellekt betrifft, darf man auf Konsens in den Kernaussagen und allmählichen Abbau von „Randunschärfen“ setzen. Die weitaus schwierigere Aufgabe besteht in der Herausarbeitung von Regeln in der Involvement-Frage: 73
b) Wissen und Intellekt aa) Vorwissen. Das Kriterium der Informiertheit bezieht sich auf den Kenntnisstand der Zielperson. Es geht um das Wissen, das von einem Durchschnittsmitglied der jeweiligen Verbrauchergruppe (ohne Einholung weiterer Informationen)136 zu erwarten ist. Das erwartbare Wissen mag Schulwissen, auf Aufklärung und Berichterstattung in 76 den Medien basierendes Wissen oder rollenbedingtes Alltagswissen sein.137 Wendet sich die werbliche Ansprache an einen engeren Personenkreis, zählt gegebenenfalls einschlägiges Spezialwissen.138 Wendet sich die Werbung gezielt an einen Personenkreis präsumtiv unterdurchschnittlichen Wissens, ist umgekehrt ein angepasster minderer Informationsgrad anzusetzen. Die erwartbare Wissenstiefe ist auch produktabhängig:139 Über Lebensmittel- und 77 Produkte mit Gesundheitsbezug weiß der Verbraucher – sei es aus alltäglicher Befassung, sei es ob eines gesteigerten Grundinteresses – tendenziell besser Bescheid als über manch andere Produkte.140 Bei neuartigen Produkten ist das Vorwissen typischerweise eher gering. 75
78
bb) Kritische Annäherung, Bereitschaft zur Wahrnehmung angebotener (Zusatz-)Information. Das Merkmal der Verständigkeit bezieht sich auf die Verarbeitung
_____
135 136 137 138 139 140
Vgl. Harte/Henning/Glöckner Einl B Rn. 429. Zutreffende einschlägige Klarstellung: Lettl GRUR 2004, 449, 454. Harte/Henning/Dreyer § 5 B Rn. 47; Lettl GRUR 2004, 454. Harte/Henning/Dreyer § 5 B Rn. 47. Roderburg S. 103. Roderburg S. 103.
Lindacher/Peifer
622
G. Verbraucherleitbild/Unternehmerleitbild
Vor §§ 5, 5a
und Einordnung der aufgenommenen Information:141 Der verständige Verbraucher hinterfragt, wenn und soweit eine nähere Befassung erwartbar ist (hierzu Rn. 80 ff.), dieselbe distanziert-kritisch, nimmt begleitende Informationsmöglichkeiten wahr, stellt schließlich erforderlichenfalls weitergehende Überlegungen an, um so in rationaler Weise geschäftshandlungsrelevante Schlüsse zu ziehen.142 Bildwerbung in Karikaturform wird er typischerweise als solche erkennen, auch satirische Wortwerbung nicht ohne weiteres strikt wörtlich nehmen.143 Der Grad der Kritikfähigkeit und -bereitschaft variiert freilich produkt- und situa- 79 tionsbezogen: Gesundheitsbezogene Werbung trifft typischerweise auf geringere kritische Distanz. Der Angesprochene will an die versprochene Wirkung glauben, weigert sich, die einschlägigen Verheißungen in Frage zu stellen. Teure Produkte werden sorgfältiger und länger geprüft, bevor es zu einer Marktentscheidung kommt,144 Zeitungsund Illustriertenbeilagen werden oft nur überflogen.145 c) Die Involvement-Frage aa) Was heißt „angemessen“ aufmerksam? Die im Rahmen der Leitbild-Konkre- 80 tisierung zentrale, letztlich nur durch Luxemburger Wort zu klärende Frage bezieht sich auf die bereits angesprochene (s. Rn. 74) Intensität des Wahrnehmens und Aufnehmens von Informationen. Die Frage lautet, was darunter zu verstehen ist, dass der „Durchschnittsverbraucher“ die werbliche Botschaft „angemessen“ aufmerksam (nach der englischsprachigen Fassung „reasonably“ observant, nach der französischen Fassung „raisonnablement“ attentif) zu registrieren und einzuordnen hat: Erheischt das Unionsrecht durchgängig volle Wachheit und uneingeschränkte Bereitschaft zur Ausschöpfung gegebener Informationsmöglichkeiten, oder konzediert es unter bestimmten Voraussetzungen vielleicht doch das eher flüchtige Befassen mit werblichen Äußerungen ohne einschlägiges „Nachfassen“? Die (ältere) Grundfreiheiten-Rechtsprechung des EuGH legt prima facie ersteres 81 nahe: Im Bestreben, die Gewährleistung der kommunitären Warenverkehrsfreiheit und das Gebot „hohen Verbraucherschutzes“ miteinander zu versöhnen, setzte er auf das „Informationsmodell“. Ein Binnenmarkt mit unterschiedlichem nationalen Schutzniveau konnte nur funktionieren, wenn den Anbietern Informationspflichten auferlegt, den um Wahlmöglichkeiten bereicherten Verbrauchern andererseits korrespondierende Informationslasten zugemutet werden. Die Inkaufnahme gewisser Irreführungsgefahren, resultierend aus der Nichtwahrnahme von Informationsmöglichkeiten wurde freilich nicht offen gerechtfertigt, stattdessen ein – nicht immer realitätsnahes – Bild des „Durchschnittsverbrauchers“ kreiert:146 Die Bereitschaft, Informationsmöglichkeiten wahrzunehmen und die jeweilige Marktentscheidung nach sorgfältiger Prüfung zu treffen, wurde dem „Durchschnittsverbraucher“ mehr oder weniger vorbehaltlos zugesprochen. Die zu erwartende Aufmerksamkeit, wurde vom gewünschten Ergebnis, der konkret befürworteten Zirkulationsfähigkeit der Ware bzw. Dienstleistung, bestimmt.
_____
141 Roderburg S. 105. 142 Harte/Henning/Dreyer § 5 B Rn. 48. 143 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 5 Rn. 1.130 f.; Götting/Nordemann § 5 Rn. 0.110; Lettl GRUR 2004, 449, 459. 144 BGH 20.10.1999 – I ZR 16//97, GRUR 2000, 619, 621 – Orient-Teppichmuster; BGH 17.3.2011 – I ZR 170/08, GRUR 2011, 1050 Rn. 24 – Ford-Vertragspartner. 145 BGH 5.2.2015 – I ZR 136/13, GRUR 2015, 906 Rn. 22 – TIP der Woche. 146 Treffende Betonung der einschlägigen Instrumentalisierung des „europäischen Verbraucherleitbilds“ durch W.-H. Roth FS Mestmäcker, 1996, 725, 728; Leible EuZW 1998, 528.
623
Lindacher/Peifer
Vor §§ 5, 5a
82
Vorbemerkungen
Neuere EuGH-Judikate im sekundärrechtlich voll harmonisierten Bereich deuten freilich auf eine Öffnung für Differenzierungen hin: In den zum Markenrecht ergangenen, wohl aber auf das Lauterkeitsrecht übertragbaren Entscheidungen „Lloyd“147 und „Arther“148 konzediert der EuGH explizit, dass die Aufmerksamkeit des „Durchschnittsverbrauchers“ je nach Art der betreffenden Waren oder Dienstleistungen unterschiedlich hoch sein kann. Umstritten ist die Reichweite und Bedeutung der Entscheidung „Purely Creative“.149 In dem britischen Fall ging es um die Zusendung von Gewinnmitteilungen, die den Gewinner aufforderten, Informationen über einen bereits erhaltenen Gewinn entweder über kostenpflichtige Mehrwertdienste oder günstigeren, normalen Postweg einzuholen. Bei empirischen Erhebungen stellte sich heraus, dass ein Großteil der Verbraucher die teurere Variante wählte, also scheinbar irrational handelte. Der EuGH konzedierte allerdings, dass auch der Referenzverbraucher irrational handeln könne und meinte, dies sei auch bei der Beurteilung unlauterer Praktiken zugrunde zu legen. Zum Teil wurde hierin ein Abrücken von einem normativen Leitbild des verständigen Verbrauchers gesehen,150 dies allerdings zu Unrecht, denn den Referenzverbraucher zu einem reinen Kunstwesen zu erklären, würde Erkenntnisgewinne auf empirischer (verhaltensökonomischer) Basis und das Bewusstsein dafür negieren, dass der Verbraucher nicht uneingeschränkt rational, sondern aus Zeit- und Ressourcengründen nur beschränkt rational agiert.151 Nicht einen künstlichen Verbraucher, sondern tatsächliche Marktteilnehmer muss man schützen, denn anhand ihrer Reaktionen, nicht anhand allein normativer Modellannahmen werden Marktprozesse gesteuert.152 Davon zu trennen ist die Frage, ob der Richter stets empirische Erhebungen anstellen muss, um die Verbraucherreaktion zu erheben, oder ob er sich auf sein Erfahrungswissen und seine Einschätzung als Wettbewerbsrichter verlassen darf. Letzteres ist richtig und entspricht auch der Rechtsprechung.153
bb) Erkenntnisse der Informationsökonomie. Interesse und Engagement des Konsumenten als Zielperson werblicher Information sind Gegenstand der betriebswirtschaftlichen Marketingtheorie zum Konsumentenverhalten. Angesprochen ist die Informationsökonomie (mit Schnittmengen zur angewandten Wirtschaftspsychologie). Für diese ist es gesicherte Erkenntnis, dass das einschlägige Involvement, die auf Informationserwerb und -verarbeitung gerichtete Aktiviertheit, keineswegs durchgängig von gleicher Höhe ist: High-Involvement wechselt – mit Zwischenformen im Sinne eines Kontinuums – mit Low-Involvement.154 High-Involvement-Käufe sind für den Konsumenten wichtig und stehen in enger 84 Verbindung mit seiner individuellen Persönlichkeit und Selbsteinschätzung (Personenbezug), bergen zudem typischerweise ein finanzielles, soziales (die Fremdeinschätzung 83
_____
147 EuGH 22.6.1999 EuGHE 1999, I-3819 Rn. 26 = GRUR Int. 1999, 734, 736 = WRP 1999, 806, 809. 148 EuGH 20.3.2003 – C-291/00 – EuGHE 2003, I-2799 Rn. 52 = GRUR Int. 2003, 533, 536. 149 EuGH 18.10.2012 – C-428/11, GRUR 2012, 1269. 150 Z.B Köhler GRUR 2012, 1211, 1212; Leible LMK 2012, 342067; Scherer WRP 2013, 705, 706; zustimmend zur Entscheidung des Gerichts Klamert EuZW 2013, 70, 71; Omsels, jurisPK-WettbR 12/2012 Anm. 1. 151 Vgl. Mackaay, Economics of Information and Law, 1982, S. 145. Dies sehen anders Vertreter, die von einem rein normativen Leitbild ausgehen, vgl. Harte/Henning/Dreyer, § 5 B Rn. 21 f.; Scherer WRP 2013, 977, 978. 152 A.A. Scherer WRP 2013, 977, 978. 153 BGHZ 156, 250 = GRUR 2004, 244, 245 – Marktführerschaft. 154 Instruktiver Überblick: Mackaay, Economics of Information and Law, 1982, S. 145; Trommsdorff Konsumentenverhalten, 6. Aufl. (2004) 54 ff.; Kroeber-Riel/Weinberg Konsumentenverhalten, 8. Aufl. (2003) 370 ff.
Lindacher/Peifer
624
G. Verbraucherleitbild/Unternehmerleitbild
Vor §§ 5, 5a
betreffendes), psychologisches (das Aufkommen von Dissonanzen betreffendes) oder gesundheitliches Risiko.155 Low-Involvement-Käufe sind hingegen aus Zielpersonensicht weniger wichtige und risikoreiche Geschäfte, so dass es bereits per se wenig sinnvoll (oder rational) erscheint, sich intensiv mit ihnen zu befassen. Es erfolgt nur eine flache Informationsverarbeitung mit Verwendung weniger Informationen, die eher zufällig aufgenommen werden.156 Selbst wo ein Informationsinteresse des Käufers an sich durchaus besteht, wird sein Informationsverhalten durch eine individuelle Nutzen-KostenBilanzierung (mit)bestimmt: Der (beschränkt) rational handelnde Käufer wird solange (und nur solange) weitere Informationen sammeln, als der daraus zu erwartende Ertrag in einem angemessenen Verhältnis zu den aufzuwendenden Kosten und der einzusetzenden Zeit steht.157 Zu den „klassischen“ Involvementdeterminanten zählt man vor diesem Hinter- 85 grund: die Produktart, das Medium, die Botschaft (sprich: die „Verpackung“ der Information).158 Als Produkte, die typischerweise High-Involvement auslösen, nennt man gemeinhin: Automobile, Eigenheime, Hobbyartikel, Urlaubsreisen, gewichtigere medizinische Dienstleistungen.159 Generell lasse sich feststellen, dass es sich bei der Mehrzahl der Kaufentscheidungen um Low-Involvement-Käufe handele.160 Was das Medieninvolvement betrifft, wird Printmedien eine bessere High-Involvement-Neigung nachgesagt als Funk und Fernsehen,161 dem Medium Plakat eher die Eigenschaft eines Low-Involvement-Mediums.162 Als involvementabsenkende situationsspezifische Umstände werden Entscheidungszeitdruck und Ad-hoc-Verfügbarkeit der Ware/Dienstleistung bei akutem Bedarf genannt.163 Plausibel wird endlich ein Zusammenhang zwischen Aktiviertheit und Kauftypus konstatiert: Bei Einmal- und Erstkäufen sei ein höheres Involvement zu erwarten als bei habitualisierten Käufen.164 Bei reizinduzierten Impulskäufen komme Kognition von vornherein nur ein untergeordneter Stellenwert zu.165 cc) Folgerungen. Die referierten wirtschaftswissenschaftlichen Erkenntnisse („Ge- 86 setzmäßigkeiten“) legen das Recht und den Rechtsanwender in der Frage, wie die mit der Verbotsfrage angesprochenen gegenläufigen Interessen zu gewichten und zur Entscheidung zu bringen sind, nicht fest, sollten indes bei Beantwortung der vorgelagerten Frage, wie der Durchschnittsverbraucher bestimmte werbliche Aussagen versteht, spezieller: mit welchem Involvement er denselben begegnet, berücksichtigt werden. Durchschnittsverbraucher verfügen über durchschnittliche Eigenschaften und ein 87 durchschnittliches Aufmerksamkeitspotential. Wer es mit dem Konzept des Durchschnittsverbrauchers ernst meint, hat Anlass, nach dem situativen Ist-Involvement zu fragen und dasselbe realitätsnah zu bestimmen. High-Involvement-Situationen lassen aktive Informationssuche, aktive Auseinandersetzung mit erhaltenen und geschaffenen
_____
155 Meffert/Burmann/Kirchgeorg Marketing, 10. Aufl. (2008) 109; Pepels Marketing, 4. Aufl. (2004) 143; Kuß/Tomczak Käuferverhalten, 3. Aufl. (2004) 66. 156 Pepels aaO 143 f.; Kuß/Tomczak aaO 66. 157 Explizite einschlägige Klarstellung: Meffert/Steffenhagen/Freder/Silberer Konsumentenverhalten und Information (1979) 85, 101; Kuß/Tomczak aaO 119. 158 Trommsdorff aaO 57; Foscht/Swoboda Käuferverhalten, 2. Aufl. (2005) 122. 159 Meffert/Burmann/Kirchgeorg aaO 110; Kuß/Tomczak aaO 67. 160 Kuß/Tomczak aaO 69. 161 Trommsdorff aaO 61. 162 Trommsdorff aaO 61. 163 Meffert/Burmann/Kirchgeorg aaO 110; Pepels aaO 145. 164 Scheuch Marketing, 6. Aufl. (2007) 79; dazu aus Sicht der für die Vertragswillensbildung maßgeblichen Umstände Mankowski.FS Köhler (2016) 477, 484 m.w.N. 165 Kuß/Tomczak aaO 101.
625
Lindacher/Peifer
Vor §§ 5, 5a
Vorbemerkungen
Informationen und eine gewisse Verarbeitungstiefe erwarten. In Low-InvolvementSituationen erfolgt die Informationsaufnahme typischerweise en passant, die Verarbeitung eher oberflächlich, ohne dass dem Angesprochenen Nachlässigkeit vorgeworfen werden könnte. Wer werbliche Botschaften und begleitende Informationen je nach Situation mit gestufter Aufmerksamkeit begegnet, handelt – will er in einer hochkomplexen Umwelt zurechtkommen – (wenn auch eingeschränkt, so doch) rational. 88 Die neuere, zwischenzeitlich auch vom österreichischen OGH166 übernommene BGHRechtsprechung trägt mit der Formel vom „situationsadäquat aufmerksamen“ Verbraucher167 dem vorstehend Ausgeführten Rechnung, erlaubt eine Konkretisierung unter Verwertung der Erkenntnisse der Informationsökonomie: Der BGH differenziert nicht von ungefähr nach der Bedeutung der beworbenen Ware bzw. Dienstleistung, speziell nach deren Wertigkeit. Die Aufmerksamkeit werde eher gering, d.h. flüchtig sein, wo es um den Erwerb geringwertiger Gegenstände des täglichen Bedarfs geht, durchaus höher, wo es sich um höherwertige Waren bzw. Dienstleistungen handelt.168 Der BGH unterstreicht zudem die Bedeutung des Mediums, mit dem der Werbende an den Adressaten herantritt.169 Einen Flyer könne der Kunde in die Hand nehmen, in Ruhe anschauen und mitnehmen.170 An einem Gehwegaufsteller gehe er hingegen in aller Regel schlicht vorbei, nehme hierauf enthaltene Informationen, wenn überhaupt, eher flüchtig wahr. Damit wird Bezug genommen auf die Erkenntnisse der Verhaltenswissenschaften; dieser Weg soll auch im Rahmen der Erläuterungen zu § 5 fruchtbar gemacht werden (Rn. 85 ff. ebda.). 89 Auch bei Akzeptanz des Konzepts der „situationsadäquaten Aufmerksamkeit“, verstanden als Orientierung am jeweiligen Ist-Involvement, ist in einem nicht nur empirischen, sondern auch der Abwägung kollidierender Freiheiten liegenden normativen Konzept zu berücksichtigten, dass eine irreführungsgeneigte Praktik gegebenenfalls zu tolerieren ist. Rechnung zu tragen ist etwa dem Allgemeininteresse an einem funktionsfähigen 90 Gemeinschaftsmarkt. Wo Irreführungsrisiken nur um den Preis der Beeinträchtigung des innerkommunitären Waren- und Dienstleistungsverkehrs hintangehalten werden können, ist die in Frage stehende Praktik gegebenenfalls hinzunehmen (i.E. § 5 Rn. 299). Wer den gesetzlichen – EU-rechtlichen oder nationalen – Kennzeichnungsvorschriften nachkommt, darf darauf setzen, dass die Nichtkenntnisnahme von einschlägiger Information grundsätzlich zulasten des angesprochenen Verbrauchers geht. Für einen Unterlassungsanspruch aus dem Gesichtspunkt konfundierender Werbung ist nur Raum, wo der Werbende Angaben macht, die im Gegensatz zur an- oder beigefügten Kennzeichnung stehen.
_____
166 öOGH 24.10.2000 ÖBl 2001, 18, 21 – Lego-Klemmbausteine; 8.4.2008 ÖBl 2008, 330, 334 – Die neue Nr. 1 des ÖAK. 167 Grundsatzentscheidung: BGH 20.10.1999 GRUR 2000, 619, 621 = WRP 2000, 517, 519 f. – OrientTeppichmuster, bestätigt u.a. durch BGH 2.10.2003 – I ZR 150/01 – GRUR 2004, 244, 245 = WRP 2004, 339, 341 – Marktführerschaft; 17.6.2004 – I ZR 284/01 – GRUR 2004, 786, 787 f. = WRP 2004, 1165, 1167 f. – Größter Online-Dienst; 30.6.2011 – I ZR 157/10, GRUR 2012, 184 Rn. 19 – Branchenbuch Berg; 8.3.2012 – I ZR 202/10, GRUR 2012, 1053, Rn. 19 – marktführer Sport; 5.2.2015 – I ZR 136/13, GRUR 2015, 906 Rn. 22 – TIP der Woche; 5.11.2015 – I ZR 182/14, GRUR 2016, 521 Rn. 10 – Durchgestrichener Preis II; 11.10.2017 – I ZR 78/16, PharmR 2018, 251, 253 – Mogelpackung. 168 BGH 20.10.1999 GRUR 2000, 619, 621 = WRP 2000, 517, 519 f. – Orient-Teppichmuster; 19.4.2001 – I ZR 46/99 – GRUR 2002, 81, 83 = WRP 2002, 81, 84 – Anwalts- und Steuerkanzlei. 169 BGH 5.2.2015 – I ZR 136/13, GRUR 2015, 906 Rn. 22 – TIP der Woche; OLG Hamburg 20.12.2006 – 5 U 209/06 – WRP 2007, 342, 344. 170 OLG Hamburg 20.12.2006 – 5 U 209/06 – WRP 2007, 342, 344.
Lindacher/Peifer
626
G. Verbraucherleitbild/Unternehmerleitbild
Vor §§ 5, 5a
Das deutsche Recht erreicht solche Ergebnisse zumeist durch eine nachgeschaltete 91 Interessenabwägung.171 Ob man eine solche generelle Prüfungsebene benötigt, ist zweifelhaft. Sinnvoller ist es, Wertungen, die bei der Abwägung von Verbots- und Freiheitsinteressen eine Rolle spielen, bereits in den Tatbestandselementen der Irreführung und Marktentscheidungsrelevanz zu berücksichtigen. Dieser Weg legt die Wertungen bei der Gewichtung der Tatbestände offen, ohne den Eindruck einer gefühlsgeleiteten Ergebniskorrektur zu erzeugen. 5. Adressatenkreisbezogene Bestimmung des Referenzverbrauchers. Verbrau- 92 cher als inhomogene Gattung zerfallen in diverse Gruppen. Der „Durchschnittsverbraucher schlechthin“ dient konsequenterweise nur dort als Referenzfigur, wo die Geschäftspraktik – vor allem in Form der allgemeinen Publikumswerbung – Verbraucher gruppenübergreifend anspricht. Wird nur eine bestimmte Verbrauchergruppe angesprochen, so kommt es – wie § 3 Abs. 4 S. 2 explizit klarstellt – auf die erwartbaren Fähigkeiten und das erwartbare Involvement des Durchschnittsmitglieds der jeweiligen Zielgruppe an. Verbraucher mit speziellen Interessen und Vorkenntnissen verstehen interessenge- 93 genstandsbezogene Aussagen, denen aus der Sicht des Allgemeinpublikums durchaus Irreführungsgefahr eignen mag, aufgrund besserer Informiertheit und gesteigerter Verständigkeit sowie eines höheren Involvements nicht selten unterschiedlich. Bezieht man diese Erkenntnis ein, so erhöht man die Verbotsschwelle.172 Für Werbung, die sich schwerpunktmäßig an einen Personenkreis mit unentwickelten bzw. rückentwickelten Fähigkeiten richtet, gilt das Gegenteil.173 Wendet sich die Werbung an die Allgemeinheit unter Einschluss von Verbrauchern 94 mit defizitärem Wissen und defizitären Fähigkeiten, zählt grundsätzlich das Verständnis des „Gesamtdurchschnittsverbrauchers“. Minderheiten, die nicht dem Standard genügen, bleiben grundsätzlich schutzlos.174 Ist für den Werbenden voraussehbar, dass seine Angaben nur das Verhalten einer Gruppe von Verbrauchern beeinflussen, die aufgrund von geistigen oder körperlichen Gebrechen, Alter oder Leichtgläubigkeit begründender Eigenschaft besonders schutzbedürftig sind, stellt sich freilich die Frage, ob noch von einer allgemeinen Publikumswerbung gesprochen werden kann oder ob es sich um eine auf die Gruppe zielende Werbung handelt, sodass die Perspektive des durchschnittlichen Mitglieds der Gruppe (§ 3 Abs. 4 S. 3 in Umsetzung von Art. 5 Abs. 3 UGP-RL) maßgebend ist. 6. Besonderheiten der nationalen Märkte: soziale, kulturelle und sprachliche 95 Eigenheiten. Wettbewerbshandeln ist seiner Natur nach marktbezogen, aus internationalrechtlicher Sicht auf nationale Märkte bezogenes Handeln – auch wenn die nationalen Märkte (wie in der EU) untereinander vernetzt sind. Solche Marktterritorialität spiegelt sich in der Verkehrsanschauung: In Anknüpfung an die EuGH-Entscheidung LiftingCreme175 betont Erwägungsgrund 18 der RL 2005/29/EG explizit das Gebot der (Mit-)Berücksichtigung sozialer, kultureller und sprachlicher Faktoren. Das Unionsrecht zwingt nicht zur Huldigung einer Kunstfigur des „europäischen Durchschnittsverbrauchers
_____ 171 172 173 174 175 292.
627
Klassisch Hösl, 1986, aus neuerer Zeit Ohly FS Bornkamm 423. Statt aller: Köhler/Bornkamm/Feddersen § 5 Rn. 1.67. Statt aller: Köhler/Bornkamm/Feddersen § 5 Rn. 1.68. Roderburg S. 71; Lettl GRUR 2004, 449, 454. EuGH 13.1.2000 – C-220/98 – EuGHE 2000, I-117 Rn. 29 = GRUR Int. 2000, 354, 355 = WRP 2000, 289,
Lindacher/Peifer
Vor §§ 5, 5a
Vorbemerkungen
(oben Rn. 82).176 Referenzfigur ist vielmehr die Durchschnittsperson des Personenkreises, der auf dem jeweiligen nationalen Markt von der streitgegenständlichen Werbung (tatsächlich) angesprochen wird. Dass die Durchschnittsperson derselben Personengruppe eines anderen Mitgliedstaats die werbliche Äußerung in einem nichtirreführenden Sinn versteht, hindert zwar nicht die Feststellung der Irreführungseignung,177 kann aber zur Zurückhaltung mahnen. II. Unternehmerleitbild 96
Die Leitbilddiskussion wurde und wird gemeinhin unter dem Stichwort „Verbraucherleitbild“, mithin für den Unternehmer-Verbraucher-Bereich geführt. Die Frage nach der „richtigen“ Schutz- bzw. Regulierungshöhe (Rn. 64 ff.) stellt sich indes auch für den beidseits unternehmerischen Bereich.
1. Bestimmung des „Unternehmerleitbilds“: EU-rechtliche Vorgabe, autonome nationale Entscheidung. Der EuGH formt das „europäische Unternehmerleitbild“ durch Transkription des von ihm entwickelten „Verbraucherleitbilds“: Aus dem „durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers“ wird so die „durchschnittlich informierte, aufmerksame und verständige Person“,178 die sich auch im B2B-Bereich heranziehen lässt. Unmittelbaren Geltungsanspruch erhebt das „europäische Unternehmerleitbild“ im 98 Bereich vollharmonisierten Rechts, mithin für den Fragenbereich der Irreführung durch vergleichende Werbung (Art. 8 Abs. 1 Unterabs. 2 RL 2006/114 EG, ex Art. 7 Abs. 2 RL 84/ 450 EG). Jenseits dieses Sonderbereichs ist die Entscheidung zugunsten des Konzepts des „Durchschnittsunternehmers“, d.h. der Referenzfigur eines Unternehmers, der durchschnittlich informiert, situationsadäquat aufmerksam und verständig ist, zwar nicht unionsrechtlich vorgegeben, aber nahe liegend.179 97
99
2. Informiertheit, Verständigkeit, Aufmerksamkeit. Die einheitliche Grundstruktur von „Verbraucher-“ und „Unternehmerleitbild“ darf nicht über signifikante Unterschiede hinwegtäuschen, die im Zuge der Konkretisierung der Kriterien Informiertheit, Verständigkeit und Aufmerksamkeit zutage treten: Unternehmer verfügen, in Sonderheit bei fachkreisbezogener Werbung, typischerweise über fundierteres themenbezogenes Vorwissen, kraft Profession zudem über eine gestärkte Urteilskraft, die sich themenbezugsunabhängig auch und gerade an Neuem bewährt. Sie begegnen werblichen Aussagen tendenziell mit gesunder Skepsis, fragen gebotene Zusatzinformation im Bewusstsein um deren Bedeutung verstärkt nach. Gesteigertes Wissen um die Fallstricke der Werbung wirkt aufmerksamkeitssteigernd, lässt freilich mitnichten durchgängig idealtypische Sorgfalt erwarten: Dass das Potential an Aufmerksamkeit endlich, gezielter Aufmerksamkeitseinsatz rational ist, gilt auch im beidseitigen Unternehmensverkehr. Die Grenze zwischen High-Involvement- und Low-Involvement-Entscheidungen verschiebt sich in Richtung der ersteren, wird aber nicht aufgehoben.
_____
176 Zumindest missverständlich Roderburg S. 70. 177 Götting/Nordemann § 5 Rn. 0.94; Köhler WRP 2003, 1019, 1032. 178 EuGH 25.10.2001 – C-112/99 – EuGHE 2001, I-7945 Tz. 52 = GRUR Int. 2002, 50, 54 – Toshiba/Katun (an Fachhändler gerichtete vergleichende Werbung). 179 Für ein strukturell einheitliches Leitbild denn auch explizit Köhler/Bornkamm/Feddersen § 5 Rn. 0.68; Lettl § 1 Rn. 66.
Lindacher/Peifer
628
H. Dogmatik und System
Vor §§ 5, 5a
3. Adressatenkreisbezogene Bestimmung des Referenzunternehmers. Der Ver- 100 ständnishorizont variiert je nach Adressatenkreis. Richtet sich die Werbung an einen engeren Kreis, zählt die Durchschnittsperson der entsprechenden Zielgruppe. Die Anforderungen an Kleinunternehmer, Handwerker und Freiberufler mögen des- 101 halb situativ niedriger anzusetzen sein, wenn und soweit die Werbung schwerpunktmäßig diesen Personenkreis anspricht. Als Teil der jeweils angesprochenen Gruppe erfahren sie keinen Sonderschutz: maßgeblich ist und bleibt das Verständnis der Durchschnittsperson der Gesamtgruppe. H. Dogmatik und System H. Dogmatik und System I. Deliktstatbestandstypologie Das allgemeine Verbot irreführender Geschäftspraktiken (§ 5) zielt auf Steue- 102 rung der Gefahr wettbewerbsrelevanter Irreführung: ausreichend ist die Irreführungseignung der Geschäftshandlung, die andererseits – anders als bei einschlägigen Sondernormen mit Per-se-Verbotscharakter (§ 3 Abs. 3 mit Anhang) – im zu beurteilenden Fall auch konkreter Feststellung bedarf (Irreführungsverbot nach § 5 als konkreter Gefährdungsdeliktstatbestand). Abstrakte Gefährdungsdeliktstatbestände sind dem Irreführungsverbot als konkre- 103 tem Gefährdungsdeliktstatbestand vorgelagert. Die potentielle Eignung bestimmter Praktiken zur Irreleitung ist zwar Motiv der Verbotsregelung, findet sich aber nicht im Tatbestand. Entsprechende Tatbestände kannte das deutsche Recht bis zur Novelle 2004 mit den Regelungen der §§ 6–8 UWG a.F. Mit Streichung der Vorschriften kommt es nun grundsätzlich auch insoweit darauf an, ob von den jeweiligen Geschäftspraktiken eine konkrete Irreführungsgefahr ausgeht. (Spuren-)Elemente der abstrakten Gefährdungstatbestände alten Rechts finden sich freilich im UWG 2008 nunmehr in den Per-seVerboten des Anhangs zu § 3 Abs. 3. Während das Gros der in der Schwarzen Liste in den Nummern 1–15 angehäuften Verbote fraglos gegebene konkrete Gefährdungslagen tatbestandlich vertypt, reetabliert beispielsweise Nr. 14 mit dem früher in § 6c UWG 2000 enthaltenen Verbot progressiver Kundenwerbung materiell ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Das konditionierte Informationsgebot nach § 5a entzieht sich demgegenüber von 104 vornherein der Einordnung in traditionelle deliktsrechtliche Muster: Es geht nicht um Schutz der Entscheidungsgrundlage, die Abwehr von Desinformation, sondern um Stärkung und Verbreiterung der Entscheidungsgrundlage. Ziel ist die Ermöglichung einer informationsgeleiteten Marktentscheidung. II. Binnensystemfragen 1. Überblick. Bis zur Reform 2004 wurde das Verhältnis des Irreführungsverbots zur 105 „großen“ Generalklausel als Frage der Anspruchskonkurrenz gesehen: Rechtsprechung und Lehre gingen in Einklang mit der einschlägigen gesetzlichen Ausgestaltung davon aus, dass § 3 a.F. ein eigenständiger Verbotstatbestand neben § 1 a.F. darstellte. Uneins war man sich freilich darüber, wann auf diese oder jene Verbotsnorm zurückzugreifen war. In der (Fehl-)Vorstellung befangen, dass die Wettbewerbswidrigkeit nach § 1 a.F. („Sittenwidrigkeit“) eine qualifizierte, gegenüber der Wettbewerbswidrigkeit nach § 3 a.F. gesteigerte, subjektiv gefärbte Wettbewerbswidrigkeit war, plädierte eine ältere Ansicht für die potentielle Miteinschlägigkeit von § 1 a.F. im Anwendungsbereich des § 3 a.F. § 1 a.F. wurde als Auffangtatbestand für alle Lücken verstanden, die die Einzeltatbe629
Lindacher/Peifer
Vor §§ 5, 5a
Vorbemerkungen
stände (einschließlich § 3 a.F.) ließen, § 3 a.F. als Ergänzung von § 1 a.F., weil und soweit Tatbestandsmäßigkeit nach dieser Vorschrift kein Unwerturteil über das Handeln beinhalte. Anspruchskonkurrenz sah man gegeben, wenn die irreführende Werbeangabe von den objektiven und subjektiven Voraussetzungen her das Verdikt qualifizierter Rechtswidrigkeit rechtfertigte. Die – vorzugswürdige – Gegenmeinung (ausführlich Erstauflage, § 3 a.F. Rn. 35 f. m.w.N.) sah hingegen in § 3 a.F. eine Konkretisierung der Generalklausel, sprach § 3 a.F. nach dem Satz vom Vorrang des Speziellen gegenüber dem Allgemeinen in seinem Anwendungsbereich verdrängenden Vorrang gegenüber § 1 a.F. zu, wies letzterem nur eine Auffangfunktion hinsichtlich nicht von § 3 a.F. erfasster Irreführungspraktiken zu. Das geltende Recht folgt dem Konzept der Generalklausel mit Regelbeispielen:180 106 Der Vorstellung einer gestuften Rechtswidrigkeit wird – beredtes Zeichen: der Abschied von der „Sittenwidrigkeit“-Formel – definitiv eine Absage erteilt. Die §§ 5, 5a werden, wie die sonstigen Einzeltatbestände, als spezialgesetzliche Ausprägung der Grundnorm des § 3 verstanden. Anspruchsnorm ist ausweislich der Bezugnahme der Rechtsfolgenanordnung in §§ 8 ff. die Grundnorm, gegebenenfalls in Verbindung mit der dieselbe konkretisierenden Beispielsnorm. Eine Anspruchskonkurrenz zwischen § 3 und §§ 5, 5a einerseits sowie §§ 5, 5a und den sonstigen Beispielsnormen ist aus systematischen Gründen ausgeschlossen.181 Als Sachproblem bleibt (nunmehr unter dem Stichwort Tatbestands- bzw. Anwen107 dungskonkurrenz anzusiedeln), ob und inwieweit Raum und Bedarf ist für den Rekurs auf § 3 als Auffangtatbestand, ferner die Frage nach dem Verhältnis des Irreführungsverbots zu den sonstigen Einzelverboten. 108
2. Verhältnis zur Generalklausel. Nach bis zur Novelle 2008 geltendem Recht blieb § 3 in seiner Funktion als Auffangtatbestand im Bereich von Irreführungspraktiken ein zwar schmales, aber praktisch bedeutsames Anwendungsfeld: Geschäftshandlungen, die keine Wettbewerbshandlungen darstellten (wie etwa die Täuschung Unerfahrener über gesetzliche Rechte durch gezielt unklare oder verfängliche Behauptungen oder das Vortäuschen eines schon getätigten Geschäfts durch Insertionsangebote in Form eines vorgefertigten Überweisungsträgers), waren nur durch die Generalklausel erfassbar. Mit der Ersetzung des Merkmals „Wettbewerbshandlung“ durch das Merkmal „Ge109 schäftshandlung“ und der damit verbundenen Ausweitung des Anwendungsbereichs von § 5 schrumpft der Anwendungsbereich der Generalklausel als Auffangtatbestand. Geschäftshandlungen mit Angabencharakter sind unter Irreführungsgesichtspunkten, sofern sie nicht gar in die „Schwarze Liste“ aufgenommen wurden, allein nach § 5 zu beurteilen. Allfällige Schutzlücken infolge Nichteinschlägigkeit des Bezugspunktekatalogs sind im Rahmen des § 5 zu schließen (§ 5 Rn. 306 ff.), für den Rückgriff auf § 3 besteht weder Anlass noch Raum. 110
3. Irreführungsverbot und „Schwarze Liste“. Das allgemeine Irreführungsverbot nach § 5 und die im Anhang zu § 3 Abs. 3 versammelten Verbote haben einen gemeinsamen Nenner: Sie benennen Regelbeispiele von Unlauterkeit nach § 3. Im Verhältnis untereinander kommt rechtssystematisch der „Schwarzen Liste“ als der spezielleren Regelung Prüf- und Anwendungsvorrang zu.182
_____
180 Allgemein – grundsätzlich und grundlegend – Schünemann JZ 2005, 271 ff. 181 Explizite einschlägige Klarstellung: MünchKommUWG/Ruess § 5 Rn. 126. 182 Allg.M.; statt vieler: Beater Rn. 1219; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 5 Rn. 0.123; Harte/HenningBodewig Anh § 3 Abs. 3 I. (Vorbem.) Rn. 6.
Lindacher/Peifer
630
H. Dogmatik und System
Vor §§ 5, 5a
Berücksichtigt man, dass die Ausformung der einzelnen Verbotstatbestände zwar in 111 der Regel, aber keineswegs durchgängig ein Mehr an Anwendungssicherheit schafft, mit der Verneinung des Katalogtatbestands im Übrigen kein Zulässigkeitstestat verbunden ist, so muss es dem Rechtsanwender allerdings erlaubt sein, die Frage der Unzulässigkeit nach dem Per-se-Verbot unter Verweisung auf die Einschlägigkeit von § 5 offen zu lassen. 4. Binnenverhältnis § 5–§ 5a Schrifttum Alexander Das Vorenthalten wesentlicher Informationen im Regelungssystem des UWG, FS Bornkamm (2004) 1384; Bergmann Richtlinienkonforme Auslegung im Unlauterkeitsrecht am Beispiel der Irreführung durch Unterlassen nach § 5a UWG, FS Krämer (2009) 163; Bornkamm Irrungen, Wirrungen. Der Tatbestand der Irreführung durch Unterlassen, WRP 2012, 1; Busch Informationspflichten im Wettbewerbsund Vertragsrecht, 2008; Daunicht-Hoffrichter Die halbe Wahrheit – Irreführung durch lückenhafte Werbung, Diss. Frankfurt/M. 1986; Fezer Das Informationsgebot der Lauterkeitsrichtlinie als subjektives Verbraucherrecht, WRP 2007, 1021; Keyßner Irreführung durch Unterlassen, 1986; Lindacher Funktionsfähiger Wettbewerb als Final- und Beschränkungsgrund des lauterkeitsrechtlichen Irreführungsverbots, FS Nirk (1992) 587; ders. Allgemeines Irreführungsverbot und konditioniertes Informationsgebot. Doppelgleisiger lauterkeitsrechtlicher Schutz materialer Privatautonomie, FS Spellenberg (2010) 43 ff.; von Oelffen § 5a UWG – Irrführung durch Unterlassung – ein neuer Tatbestand im UWG, 2012; Peifer Die Zukunft der irreführenden Geschäftspraktiken, WRP 2008, 556; Steinbeck Irrwege bei der Irreführung durch Unterlassen, WRP 2011, 1221.
a) Überblick. Angestoßen durch die RL 2005/29/EG hat der Novellengesetzgeber 112 2008 dem das klassische Irreführungsverbot ausformenden § 5 unter der Überschrift „Irreführung durch Unterlassen“ einen a-Paragraphen angefügt. Dessen Absätze 2–6 setzen in Anlehnung an den Wortlaut von Art. 7 UGP-RL für den Business-to-Consumer (B2C)Bereich die EU-rechtliche Vorgabe um. Absatz 1 bestimmt (ohne explizite Bereichsbeschränkung, also auch für den Business-to-Business-Bereich – B2B), dass bei der Beurteilung, ob das Verschweigen einer Tatsache „irreführend“ ist, insbesondere deren Bedeutung für die geschäftliche Entscheidung sowie die Eignung des Verschweigens zur Beeinflussung der Entscheidung zu berücksichtigen sind. Über die dogmatische Erfassung und Einbettung von § 5a sowie dessen Verhältnis 113 zu § 5 herrscht noch immer Unsicherheit. Sie gründet in divergenten Vorstellungen über den Inhalt der Richtlinien-Vorgabe, in der inhaltlichen Kargheit von § 5a, hinterund tiefergründig darin, dass nicht immer erkannt wird,183 dass das traditionelle Irreführungsverbot und allfällige Informationsgebote konzeptionell eigenständige Modelle des Schutzes materialer Privatautonomie darstellen. 184 Erschwerend wirkt sich die Überlagerung der Diskussion durch einen Uralt-Streit aus: die Kontroverse um die Abgrenzung der Irreführung durch aktives Tun und Unterlassen, genauer: die Kontroverse, inwieweit es bei der Beurteilung unklarer, mehrdeutiger und unvollständiger Angaben notwendig ist, auf die Figur der Irreführung durch Unterlassen zurückzugreifen.
_____
183 Paradigmatisch Lettl § 5 Rn. 8: § 5a diene wie § 5 der Verwirklichung des Wahrheitsgebots(!). 184 So i.E. Bergmann FS Krämer, 2009, 163, 169, 172; Fezer, WRP 2007, 1021; Lindacher FS Spellenberg, 2010, 43; Peifer, WRP 2008, 556.
631
Lindacher/Peifer
Vor §§ 5, 5a
Vorbemerkungen
114
b) Irreführungsverbot – Informationsgebot. Das klassische lauterkeitsrechtliche Irreführungsverbot ist Desinformationsverbot, kein Informationsgebot:185 Wer geschäftlich kommuniziert, muss zutreffende, klare und eindeutige Informationen vermitteln. Das Verbot zielt auf die Abwehr von Verfälschungen der Entscheidungsgrundlage durch Erwecken oder pflichtwidriges Aufrechterhalten einer Fehlvorstellung in einem entscheidungserheblichen Punkt. Die Informationslage der Gegenseite soll sich nicht verschlechtern. Als im Wahrheitsgebot gründend trägt das Irreführungsverbot seine Rechtfertigung in sich.186 Von der konkreten Irreführungsgefahr unabhängige Informationsgebote basieren 115 demgegenüber auf der Erkenntnis, dass der durch Werbung Angesprochene seine Marktschiedsrichterfunktion nur dann zu erfüllen vermag, wenn er in Kenntnis der für die Marktentscheidung wesentlichen Gesichtspunkte handelt, gepaart mit der Erwägung, dass die uneingeschränkte Zuweisung der Informationslast an den Adressaten der Werbebotschaft denselben unbillig hart träfe. Das allfällige Informationsgebot will die unzureichende Informationslage des Gegenübers verbessern, zielt auf Abbau informationsasymmetriebedingter Marktintransparenz.187 Es greift auch und gerade dann, wenn sich der Angesprochene keine Vorstellung über den geschäftserheblichen Punkt macht.188 Die Zuweisung der Informationslast ist ein Akt gesetzgeberischer bzw. richterrechtlicher Wertung. § 5a modifiziert mithin ein grundsätzliches Recht des Kaufmanns, über Umstände, die er nicht mitteilen möchte, zu schweigen. Wichtig bleiben daher zwei Fragen. Zum einen ist zu klären, welche Umstände die Informationspflicht auslösen, zum anderen ist eine Abgrenzung zwischen Handeln und Unterlassen vorzunehmen, wenn der Unternehmer bereits kommuniziert, die Kommunikation aber unklar, missverständlich, doppeldeutig oder fehlerhaft ist bzw. wird. Die Abgrenzung zwischen Handeln und Unterlassen, also zwischen § 5 und § 5a ist in solchen Fällen nicht immer einfach. Sie ist aber vorzunehmen, weil beide Vorschriften unterschiedliche Tatbestandsvoraussetzungen haben. Bei § 5 geht es um die Abwehr einer durch Irreführung provozierten fehlerhaften Marktentscheidung, bei § 5a um die Ermöglichung einer informierten Entscheidung.
116
c) Handeln und Unterlassen. Wie jedes auf Verhinderung eines negativen Erfolgs gerichtete deliktische Verbot kann auch das lauterkeitsrechtliche Irreführungsverbot durch positives Tun oder Unterlassen verletzt werden. Handeln ist jede vom Unternehmer ausgehende Kommunikation, Unterlassen liegt zweifelsohne vor, wenn gar nicht kommuniziert, also nichts gesagt wird. Um Handeln durch Unterlassen geht es zudem, wenn eine positive Angabe durch Veränderung der tatsächlichen Umstände erst nachträglich unrichtig geworden ist und nachwirkend irreführt.189 Hierbei geht es durchaus um die Beseitigung der Wirkung vorangegangenen rechtswidrigen Tuns.190 Unterlassen steht hier der Gefahrsetzung durch positive Angaben gleich, weil die frühere, aber unrichtige Kommunikation ohne Korrektur noch nachwirken kann und typischerweise
_____
185 BGH 14.12.1995 – I ZR 213/93, GRUR 1996, 367 = WRP 1996, 290, 291 – Umweltfreundliches Bauen; MünchKommUWG/Ruess § 5 Rn. 160; Lindacher FS Nirk (1992) 587, 590; Ahrens GRUR 1991, 500, 504; Fezer WRP 2007, 1021, 1024. 186 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer § 5 Rn. 48: Wahrheitsgebot tragender Pfeiler des Irreführungsverbots. 187 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer § 5a Rn. 1 und 12 ff.; Fezer WRP 2007, 1021, 1023. 188 Peifer WRP 2008, 556, 559; Fezer WRP 2007, 1021, 1028. 189 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer § 5 Rn. 254; Ohly/Sosnitza § 5 Rn. 204. 190 Etwas abweichend Vorauflage/Lindacher.
Lindacher/Peifer
632
H. Dogmatik und System
Vor §§ 5, 5a
auch wird. Sofern Unterlassen einem Tun entspricht, geht man auch im Zivilrecht (und im Strafrecht) von einer Aufklärungspflicht aus Ingerenz aus. Diese Idee liegt auch heute noch § 5a Abs. 1 zugrunde.191 Problematisch und nicht von ungefähr streitig ist die Bestimmung der Handlungsform, wenn der Werbende die – tatsächlich gegebenen – Vorzüge seines Produkts herausstellt, sich über eventuelle Nachteile indes in Schweigen hüllt. Gilt es, in solchen Fällen, in denen Reden und Schweigen gerade in ihrer spezifischen Verknüpfung ihre irreführende Wirkung entfalten, den Blick eher auf das Gesagte (Stichwort: unvollständige Angabe) oder auf das Verschwiegene (Stichwort: kontextuelles Schweigen) zu richten? Als Grundsatz gilt hier zunächst immer noch, dass der Unternehmer nicht die Pflicht hat, Nachteile seiner eigenen Leistungen zu kommunizieren. Allerdings muss er dem Adressaten diejenigen Informationen geben, die für dessen Marktentscheidung wesentlich sind, mögen sie auch für den Unternehmer nachteilig sein. Hier liegt der Kern des durch § 5a eingeleiteten Paradigmenwechsels. Rechtsprechung und Lehre arbeiten jedenfalls bei § 5a Abs. 1 ungeachtet dieses Wechsels weithin mit der Figur des Irreführens durch Unterlassen.192 Im Zentrum steht die Herausarbeitung der jeweiligen Aufklärungspflicht. Solch Rekurs auf die Handlungsform des Unterlassens ist unschädlich, solange an der Prüfung des Merkmals „konkrete Irreführungsgefahr“ festgehalten wird,193 freilich auch unnötig. Wenn es für die Fallgestaltungen halbwahrer und unvollständiger Angaben charakteristisch ist, dass die positiven und negativen Elemente erst in ihrem Zusammenspiel eine irreführende Wirkung entfalten, liegt nichts näher, als bei der dogmatischen Erfassung des Geschehens auf das Gesamtverhalten abzustellen, also darauf, ob der Schwerpunkt des (irreführenden) Verhaltens durch Tun oder Schweigen gesetzt wird:194 Wer das Entscheidende nicht sagt und dadurch die Marktgegenseite irreführt, setzt nicht den Doppeltatbestand einer Handlung im Sinne positiven Tuns und einer Handlung im Sinne einer Unterlassung. Die Hintanhaltung negativer Informationen hat zwar auch Auswirkung darauf, wie der Verkehr die gemachte (= positive) Angabe versteht (und damit auf den Inhalt der werblichen Äußerung). Geschuldet wird aber die Leistung einer für die Marktentscheidung wesentlichen Information.195 Wenn sich der Anbieter eines Produkts expliziter Aussagen enthält, freilich auch mit der Offenbarung negativer Abweichung vom Marktstandard hinter dem Berg hält, muss man dagegen nicht auf die Figur der Irreführung durch Unterlassen zurückgreifen: Wer Lebensmittel mit abgelaufenem Haltbarkeitsdatum anbietet, ohne auf diesen Umstand hinzuweisen, enttäuscht die Frischeerwartungen des angesprochenen Verkehrs, die in der vorbehaltlosen Präsentation frischer Ware liegt.196 Der Akzent liegt nicht auf dem Verschweigen der negativen Normabweichung,197 sondern auf der Täuschung durch vor-
_____
191 So die Position im Beitrag von Bornkamm WRP 2012, 1. 192 BGH 6.11.1981 – I ZR 164/79, GRUR 1982, 374, 376 = WRP 1982, 266, 267 – Skiauslaufmodelle; 3.12.1998 – I ZR 63/96, GRUR 1999, 757, 758 = WRP 1999, 839 f. – Auslaufmodell I; Ohly/Sosnitza § 5a Rn. 1 ff.; Jestaedt Rn. 591. 193 Die Austauschbarkeit der konkurrierenden Ansätze unter Ergebnisrelevanzgesichtspunkten betonend denn auch beispielsweise Keyßner S. 168; Harte/Henning/Glöckner Einl B Rn. 318. 194 Vgl. hierzu Schricker FS Zweigert (1981) 537, 570 f., ferner: MünchKommUWG/Ruess § 5 Rn. 160; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer § 5a Rn. 28; Kehl § 21 IV/2; Bornkamm WRP 2012, 1, 2. 195 Abweichend Vorauflage/Lindacher. 196 Ganz h.M., statt mancher: Köhler/Bornkamm/Feddersen § 5 Rn. 2.109; Harte/Henning/Dreyer § 5 C Rn. 65. A.A. Götting/Nordemann § 5 Rn. 0.161. 197 So OLG Köln 6.11.1987 – 6 U 45/97, GRUR 1988, 920; Busch S. 88 f.
633
Lindacher/Peifer
117
118
119
120
Vor §§ 5, 5a
Vorbemerkungen
behaltlose Präsentation, die den Eindruck erweckt, also kommuniziert, bei der angebotenen Ware handele es sich um reguläre Ware.198 d) Verdeckte richterrechtliche Anerkennung fehlvorstellungsunabhängiger Informationspflichten unter altem Recht. Nicht zu verkennen ist, dass die Figur der Irreführung durch Unterlassen von den Gerichten bereits unter altem Recht dazu genutzt wurde, verdeckterweise echte Informationspflichten zu schaffen, also vorzubereiten, was heute in § 5a kodifiziert ist. Statt die behutsame Anerkennung solcher Pflichten als Akt der Rechtsfortbildung offen auszuweisen, etikettierten sie dieselben schlicht als Aufklärungspflichten, deren Verletzung Schweigen dem Irreführen durch aktives Tun gleichstellt. Soweit die Rechtsprechung bei unvollständigen Angaben auf den Unterlassensan122 satz rekurrierte, benannte das als Obersatz dienende Argumentationsmuster zwar durchgängig das Erfordernis konkreter Irreführungsgefahr: Der Verneinung einer allgemeinen Offenbarungspflicht des Werbenden folgte der Satz, eine solche bestehe jedoch immer dann, wenn das Publikum bei Unterbleiben aufklärender Hinweise in einem wesentlichen Punkt getäuscht würde.199 Nur ein Teil der einschlägigen Entscheidungen ging indes auf der Folgestufe der mit Blick auf das Moment der Täuschung unerlässlichen Fehlvorstellungsfrage nach.200 Im Übrigen trat an die Stelle einer Subsumtion unter den benannten Obersatz eine Interessenabwägung im Rahmen eines neuen Obersatzes. Eine Verpflichtung, negative Eigenschaften des eigenen Angebots offen zu legen, wurde insoweit (und nur insoweit) bejaht, als dies zum Schutz der Marktgegenseite unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Werbenden unerlässlich war.201 Dabei blieb ausgeblendet, dass die Vorenthaltung nicht eine konkrete Marktentscheidung verfälscht, sondern die rationale Entscheidungsfindung erschwert. Es geht nicht um Desinformation, sondern um Nichtinformation. 121
e) „Irreführende Handlungen“ und „irreführende Unterlassungen“ i.S. der RL 2005/29/EG. Die kontrastierende Gegenüberstellung von „irreführenden Handlungen“ (Art. 6 UGP-RL) und „irreführenden Unterlassungen“ (Art. 7 UGP-RL) spricht dafür, dass Regelungsgegenstand des Art. 6 UGP-RL ausschließlich die Irreführung in der Form positiven Tuns ist. Die Figur der Irreführung durch Unterlassen ist bei diesem Ansatz dem Regime des Art. 7 UGP-RL zuzuschlagen bzw., so man Art. 7 UGP-RL regelungsgegenständlich auf das fehlvorstellungsunabhängige Vorenthalten für eine Marktentscheidung wesentlicher Informationen beschränkt, auch durch das „Informationsmodell“ des Art. 7 UGP-RL verdrängt. 124 In der Tat lässt sich Art. 7 UGP-RL als reines Informationsgebot verstehen. Bereits die Absätze 1–3 enthalten als Grundtatbestand ein konditioniertes Informationsgebot, 123
_____
198 Wie hier: OLG Hamburg 1.2.2001 – 3 U 187/99 – WRP 2001, 423, 424; Michalski/Riemenschneider BB 1994, 588, 590. 199 BGH 3.12.1998 – I ZR 63/96, GRUR 1999, 757, 758 = WRP 1999, 839 f. – Auslaufmodell I; 3.12.1998 – I ZR 74/96, GRUR 1999, 760, 761 = WRP 1999, 842, 843 – Auslaufmodell II; 15.7.1998 – I ZR 44/97, GRUR 1999, 1122, 1123 = WRP 1999, 1151, 1152 f. – EG-Neuwagen I; 5.10.1999 GRUR 2000, 616, 618 = WRP 2000, 514, 516 – Auslaufmodell III. 200 Korrekt – Täuschungseignung der unterlassenen Aufklärung bei Üblichkeit des Hinweises auf eine negative Produkteigenschaft – BGH 3.12.1998 – I ZR 63/96, GRUR 1999, 757, 758 = WRP 1999, 839 f. – Auslaufmodell I. 201 BGH 3.12.1998 – I ZR 74/96, GRUR 1999, 760, 761 = WRP 1999, 843, 843 – Auslaufmodell II; 15.7.1999 – I ZR 44/97, GRUR 1999, 1122, 1123 = WRP 1999, 151, 152 f. – EG-Neuwagen I; 6.10.1999 – I ZR 92/97, GRUR 2000, 616, 618 = WRP 2000, 514, 516 – Auslaufmodell III.
Lindacher/Peifer
634
H. Dogmatik und System
Vor §§ 5, 5a
Absatz 4 konkretisiert das Grundtatbestandsmerkmal „Wesentlichkeit“, Absatz 5 deklariert die die „kommerzielle Kommunikation“ betreffenden Informationspflichten aufgrund anderer Akte des Gemeinschaftsrechts zu lauterkeitsrechtlichen Akten, unterstellt Verletzungen derselben mithin den nationalen Sanktionsmechanismen. Allerdings ist auch bei dieser systematisch klaren Trennung noch zu berücksichtigen, dass Art. 6 UGPRL Irreführung durch Unterlassen insofern erfasst, als in unklarer und missverständlicher Kommunikation auch noch Elemente des Unterlassens enthalten sind. Ebenso ist es bei der unterlassenen Korrektur fehlerhaft gewordener vorausgegangener Kommunikation. Gleichwohl ist die Grenze zwischen Tun und Unterlassen deutlicher als dies bisher angenommen wurde. Diese Deutung akzeptiert, dass die Gesamtregelung einheitlich Transparenz fördern möchte, sie macht andererseits aber den aliud-Charakter des konditionierten Informationsgebots gegenüber dem Irreführungsverbot als Desinformationsverbot deutlich. Dass Art. 7 UGP-RL in der Überschrift rechtssystematisch fragwürdig von „irrefüh- 125 rendem Unterlassen“ spricht, sollte nicht den Blick dafür trüben, dass der Verstoß gegen ein Gebot, das nicht mehr auf die erweckte Bedeutungsvorstellung der Gegenseite abstellt, strukturell kein irreführendes Unterlassen, sondern die Verletzung einer das Marktverhalten regelnden Norm ist. Art. 7 UGP-RL fingiert denn auch („gilt“) nur die Irreführung: „Es wird nicht (unwiderleglich) vermutet, dass der Adressat aufgrund einer unzureichenden Information irregeleitet wird, sondern die Vorenthaltung selbst wird (auf der Rechtsfolgenseite) wie eine positive Irreführung behandelt, obgleich sie doch nur einen Verstoß gegen ein Informationsgebot darstellt“.202 Die auf den ersten Blick verwirrende Ausflaggung des Verstoßes gegen das konditionierte Informationsgebot erklärt sich schlicht aus dem Umstand, dass das europäische Lauterkeitsrecht bislang keine eigenständige Fallgruppe „Verletzung von Marktverhaltensregeln“ kennt, als besondere Fälle der Unlauterkeit vielmehr nur irreführende und aggressive Praktiken in den Blick nimmt. Das Vorenthalten geschäftsentscheidungserheblicher Informationen wird bei solcher Zweiteilung naheliegenderweise der Irreführung zugeschlagen. Zur Binnenabgrenzung zwischen den – nach hier propagiertem Ansatz gemeinsam 126 von Art. 6 UGP-RL erfassten – Handlungsformen Irreführung durch positives Tun und Irreführung durch Unterlassen trifft die Richtlinie keine Aussage. Die Austarierung im Einzelfall bleibt also dem Rechtsanwender überlassen. f) Folgerungen für das Verhältnis von §§ 5, 5a. Trägt man dem Gebot Rechnung, 127 die Systematik des nationalen Rechts mangels triftiger gegensteuernder Gründe an die Systematik des europäischen Rechts anzulehnen, lassen sich auf der Grundlage des vorab Konstatierten zu Inhalt und Verhältnis von §§ 5, 5a folgende Aussagen treffen: aa) § 5 erfasst als geschäftsentscheidungserhebliche Irreführung nur das Unterlassen klarstellender oder Unklarheiten beseitigender Zusätze, die vollständige Vorenthaltung ohne voraufgegangene unklare Kommunikation fällt dagegen unter § 5a.203 Die Relevanz der Zuordnung divergiert je nach Entscheidung in der (Streit-)Frage, wie die beiden Begehungsformen gegeneinander abzugrenzen sind: Zutreffender Ansicht nach (Rn. 119) handelt es sich beim Gros der als Irreführung durch Unterlassen gehandelten Fallgestaltungen um Fälle der Irreführung durch konkludenten, dem positiven Tun zuzuordnenden Erklärungsakt. – bb) § 5a statuiert in seinen Absätzen 2 (Grundtatbestand), 3 und 6
_____
202 Peifer WRP 2008, 556, 559. 203 Für die vollständige Ansiedlung der Irreführung durch Unterlassen in § 5a Abs. 1 Harte/Henning/ Dreyer § 5a Rn. 39 sowie Götting/Nordemann § 5a Rn. 4 ff., ferner – unter Aufgabe der Verortung derselben in § 5a Abs. 1 und 2 – nunmehr Köhler/Bornkamm/Feddersen § 5a Rn. 1.13 ff.
635
Lindacher/Peifer
Vor §§ 5, 5a
Vorbemerkungen
(Konkretisierung des Grundtatbestandsmerkmals der „wesentlichen Information“) sowie Abs. 5 (Konkretisierung des Merkmals der Vorenthaltung) in Umsetzung von Art. 7 Abs. 1–3 sowie Abs. 4 UGP-RL für den Business-to-Consumer-Bereich ein konditioniertes, vom Nachweis konkreter Irreführungsgefahr befreites Informationsgebot. Absatz 4 übernimmt in Umsetzung von Art. 7 Abs. 5 UGP-RL den aquis communitaire an Informationsgeboten im Bereich der „kommerziellen Kommunikation“ in das Lauterkeitsrecht (mit seinen genuinen Sanktionsmechanismen). Das richtliniengeleitete Recht ist richtlinienkonform auszulegen. Im Bedarfsfall ist Vorlage an den EuGH nach Art. 267 AUEV (ex Art. 234 EG) indiziert. – cc) § 5a Abs. 1 bestätigt und kodifiziert für den Business-toBusiness-Bereich bisheriges – den Business-to-Consumer- und den Business-to-Business-Bereich abdeckendes – Richterrecht: die zurückhaltende Anerkennung echter Informationspflichten, wo Informationsgewährung zur Sicherstellung einer informierten Marktentscheidung unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Anbieters, auch und gerade ohne Fehlvorstellung des Adressaten, unerlässlich ist. Die Konkretisierung der Vorschrift obliegt den nationalen Gerichten ohne unionsrechtliche Bindung: Der Seitenblick auf das richtliniengeleitete Business-to-Consumer-Recht (insbesondere auf § 5a Abs. 3) ist nützlich, verpflichtet aber unionsrechtlich nicht zu vorschneller Übernahme. Die informationelle Selbstverantwortung ist im Unternehmer-UnternehmerBereich durchaus höher anzusetzen. Allerdings wäre dieser Gedanke auch zu verwirklichen, wenn § 5a Abs. 1 und Abs. 2 modifiziert würde. 128
g) Irreführungsverbot und konditioniertes Informationsgebot: sich überschneidende Schutzkreise. Das Irreführungsverbot nach § 5 und das Informationsgebot nach § 5a ergänzen einander in dem Bemühen, richtige und informierte Marktentscheidungen zu treffen. Informationspflichten lösen geschäftliche Mitteilungen erst ab einem gewissen Konkretisierungsgrad aus: Für einen Schutz des Grundvertrauens, alle wesentlichen Informationen zu erhalten, ist nur Raum, wenn die Anbieterankündigung so konkret gefasst ist, dass sie nach der Verkehrsauffassung den Geschäftsabschluss ohne weiteres zulässt. Demgegenüber erfasst das Irreführungsverbot desinformierende Geschäftspraktiken, ehe sich die Anbieterangaben zu einem „konkreten Geschäftsangebot“ verdichtet haben (§ 5a Abs. 3), weil irreführende Angaben mit bloßer Anlockwirkung bereits relevant für die eigentliche Marktentscheidung sind (hierzu: § 5 Rn. 255, 256 ff.). Umgekehrt schützt das konditionierte Informationsgebot nach § 5a die Marktgegenseite, anders als das Irreführungsverbot nach § 5, auch dann, wenn diese sich über den für eine informationsgeleitete Marktentscheidung wesentlichen, im Dunkel gelassenen Umstand keine konkrete Vorstellungen macht. Nur in diesem Sinne stehen Irreführungsverbot und Informationsgebot in Konkurrenz zueinander. In der Praxis zählt, ob die Voraussetzungen dieser oder jener Schutznorm im Einzelfall leichter nachzuweisen sind.
129
h) Unklare, mehrdeutige und unvollständige Angaben. Unklaren, mehrdeutigen sowie unvollständigen Angaben kommt Relevanz als irreführende Angaben (§ 5) und im Kontext konstatierter Informationspflichten (§ 5a) zu. 130 Unklare Angaben erfüllen allemal den Tatbestand der Irreführung durch positives Tun, wenn der Verkehr – gerade aufgrund der Unklarheit – bestimmte Produkteigenschaften voraussetzt, die das beworbene Produkt nicht hat.204 Gleiches gilt anerkanntermaßen für objektiv mehrdeutige, zumindest in einer Deutungsalternative nicht der Reali-
_____
204 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 5 Rn. 1.110; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer § 5 Rn. 247; Harte/ Henning/Dreyer § 5 B. Rn. 109.
Lindacher/Peifer
636
H. Dogmatik und System
Vor §§ 5, 5a
tät entsprechende Angaben über geschäftserhebliche Umstände.205 Und, auch wer mit unvollständigen Angaben wirbt, führt nach hier favorisiertem Verständnis (Rn. 119) aktiv irre, wenn der angesprochene Verkehr auf der Basis des Gesagten konkrete geschäftserhebliche Vorstellungen bildet, die nicht der Wirklichkeit entsprechen. Für denjenigen, der hinsichtlich der Fallgruppe unvollständige Angaben – unnötigerweise – auf die Figur der Irreführung durch Unterlassen rekurriert, begründet bei potentiell irreführender Unvollständigkeit die Pflicht zu irreführungshindernder Aufklärung. Trifft den Anbieter nach konkreter Sachlage die Pflicht zu ergänzender Information, 131 muss die Information klar und eindeutig sowie vollständig sein: Unklare, mehrdeutige oder unvollständige Information steht – ebenso wie die nicht rechtzeitige Information – der schlichten Nichtinformation gleich. § 5a Abs. 2 mit Abs. 5 formulieren Anforderungen daran, wie eine aufgrund §§ 5a Abs. 2 und Abs. 6 geschuldete Information zu bewirken ist. Spiegelbildlich lässt sich daraus auch ablesen, wann die geschuldete Information noch nicht ausreichend kommuniziert wurde, also ein Verstoß gegen § 5a vorliegt. Während § 5a also klarstellt, wie eine Information zu bewirken ist, fokussiert § 5 die Frage, auf welche Weise eine existierende Täuschung (sei sie auch aufgrund missverständlicher oder unklarer Angaben entstanden) zu beseitigen, d.h. klarzustellen ist. Beseitigung von Intransparenz ist insoweit Richtigstellung des unklar Kommunizierten. 5. Irreführungsverbot und vergleichende Werbung a) Irreführung im Rahmen vergleichender Werbung. Irreführende Produktanga- 132 ben im Werbevergleich sind ausschließlich nach § 5 sowie gegebenenfalls nach spezialgesetzlichen Irreführungsverboten zu beurteilen.206 b) Irreführung durch vergleichende Werbung: §§ 5 Abs. 2, 6 Abs. 2 Nr. 3. Was 133 das Verhältnis von § 5 Abs. 2 zu § 6 Abs. 2 Nr. 3 (Unzulässigkeit vergleichender Werbung, wenn der Vergleich zu Verwechslungsgefahr zwischen dem Werbenden und einem Mitbewerber oder zwischen den von diesen angebotenen Waren oder Dienstleistungen oder den von ihnen verwendeten Kennzeichen führt) anbelangt, gilt es zu berücksichtigen, dass es sich bei beiden Vorschriften um Bestimmungen handelt, die in Umsetzung auf Totalharmonisierung angelegter Richtlinien ergangen sind: § 5 Abs. 2 setzt Art. 6 Abs. 2 lit. a UGP-RL, § 6 Abs. 2 Nr. 3 Art. 4 lit. h IrreführungsRL um. Nach der Konzeption der beiden Richtlinien verläuft die Trennlinie zwischen dem Schutz der Verbraucher und dem Schutz der Gewerbetreibenden. In richtlinienkonformer Auslegung wird man deshalb im Bereich tatbestandlicher Überschneidung den Anwendungsbereich des § 5 Abs. 2 auf das Verhältnis zu Verbrauchern, das des § 6 Abs. 2 Nr. 3 auf das Verhältnis zu Unternehmern zu beschränken haben.207 6. Verhältnis zu den sonstigen Einzeltatbeständen a) Änderungen durch das UWG 2015. Irreführung und mangelnde Transparenz er- 134 langten in diversen Fallgestaltungen Relevanz, die bis 2015 in § 4 UWG 2008 – gleich
_____
205 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 5 Rn. 1.108 f.; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer § 5 Rn. 248; Ohly/Sosnitza § 5 Rn. 181. 206 BGH 17.1.2002 – I ZR 191/99 – GRUR 2002, 633, 634 = WRP 2002, 828, 830 – Hormontherapie; 13.2.2003 – I ZR 41/00 – GRUR 2003, 800, 801 = WRP 2003, 1111, 1112 – Schachcomputerkatalog; Fezer/Büscher/Koos § 6 Rn. 43 ff.; Ohly/Sosnitza § 6 Rn. 14. 207 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 6 Rn. 142.
637
Lindacher/Peifer
Vor §§ 5, 5a
Vorbemerkungen
§§ 5, 5a – als Regelbeispiele für Unlauterkeit i.S. von § 3 benannt werden. Die dadurch provozierte Frage der Anwendungskonkurrenz ist durch die UWG-Reform 2015 erheblich entschärft worden. Sie stellt sich noch partiell bei den unternehmensbezogenen speziellen Behinderungsverboten des § 4 UWG 2015 sowie bei der neu gefassten Fallgruppe der getarnten geschäftlichen Praktiken (ehemals § 4 Nr. 3 UWG, jetzt § 5a Abs. 6 UWG 2015, unten Rn. 136 sowie § 5a Rn. 10a, 95). 135 Aus der funktionellen Gleichwertigkeit als Regelbeispiele folgt, dass gegen eine wahlweise oder kumulative Begründung der Unlauterkeit unter Irreführungsgesichtspunkten grundsätzlich keine Bedenken bestehen. Der Satz von der Gleichwertigkeit der Einzeltatbestände wird freilich durch den Satz vom Vorrang des Speziellen gegenüber dem Allgemeinen überlagert. Grundsätzlich sind aber kaum noch Überschneidungen außerhalb der §§ 5, 5a denkbar. 136
b) Getarnte Werbung, § 5a Abs. 6 (ehemals § 4 Nr. 3 UWG 2008). Wer den Werbecharakter geschäftlicher Handlungen verschleiert, führt damit noch nicht über sein Angebot irre. Der einschlägigen Irreführung kommt freilich zumindest potentielle geschäftliche Relevanz zu. Werbliche Äußerungen (in Werturteils- oder Angabenform), die sich äußerlich als objektive und neutrale Drittäußerungen darstellen, wird tendenziell ein größeres Vertrauen entgegengebracht. Die Ansprache verstärkt bzw. schafft nicht nur die Bereitschaft, sich mit dem verdeckt beworbenen Produkt- bzw. Leistungsangebot näher zu befassen. Sie führt vor allem zu einem Abbau gesunden Misstrauens. Der Angesprochene tritt der verdeckten Werbung weit weniger kritisch-distanziert entgegen als offener, als solcher erkannter Werbung. Der bisher in § 4 Nr. 3 bereichsübergreifend erfasste Fall des Tarnungsverbotes für kommerzielle Praktiken wurde 2015 in § 5a Abs. 6 verlagert, allerdings unglücklich nur auf die Verbraucheransprache begrenzt. Die vom Gesetzgeber in der Schlussphase der Umsetzung des UWG 2015 verfolgte – und insoweit durch Empfehlungen der Literatur unterstützte208 – Absicht bestand darin, den Regelungsgehalt des bisherigen § 4 Nr. 3 UWG 2008 vollständig in § 5a zu überführen.209 Motiviert war die Änderung insbesondere durch den Zweifel darüber, ob und inwieweit § 4 Nr. 3 richtlinienkonform im B2C-Verhältnis angewendet werden durfte oder insoweit § 5a Abs. 2 anzuwenden war. Dieses Problem ist durch Verlagerung des Regelungsgehaltes in § 5a Abs. 6 gelöst, andere Probleme sind allerdings geschaffen worden. Die von Teilen der Literatur pauschal und daher durchaus unreflektiert unterstützte210 Streichung des § 4 Nr. 3 UWG 2008 führt nunmehr dazu, dass unklar ist, was im B2B-Verhältnis gilt. Da der Gesetzgeber den gesamten Regelungsgehalt des § 4 Nr. 3 UWG 2008 in § 5a verlagern wollte,211 gibt es nunmehr zwei Lösungen: Entweder § 5a Abs. 6 wird analog auch auf den B2B-Verkehr angewendet oder der Fall der getarnten Werbung wird unter § 5a Abs. 1 gefasst.212 Letzteres ist nur sinnvoll, wenn man auch § 5a Abs. 1 klar als Informationsgebot begreift. Ersteres würde den Weg eröffnen, § 5a Abs. 1 künftig zu streichen und § 5a Abs. 6 als Unterfall der Vorenthaltung auch im B2B-Verkehr anzusehen. Die derzeitige Regelung lässt unklar, ob die Voraussetzungen der §§ 5a Abs. 2 bis 5 auch für die getarnte Werbung gelten (was nach der UGP-RL zwingend ist), ferner, ob die Verlagerung der
_____
208 Alexander FS Bornkamm (2004) 297, 303; vgl. auch zu den früheren Positionen in der Kommentarliteratur Fezer/Büscher/Obergfell § 5a Rn. 18. 209 Beschlussempfehlung, BTDrucks. 18/6571, S. 15. 210 Stellungnahme des GRUR-Fachausschusses, WRP 2015, 42, 45; Fritzsche WRP 2014, 1392, 1396; Henning-Bodewig WRP 2014, 1407, 1409; Ohly GRUR 2014, 1137, 1143. 211 Beschlussempfehlung, BTDrucks. 18/6571, S. 15. 212 Dafür Fezer/Büscher/Obergfell § 5a Rn. 19.
Lindacher/Peifer
638
H. Dogmatik und System
Vor §§ 5, 5a
getarnten Werbung im B2B-Bereich kausal für Marktentscheidungen sein muss oder nicht. Wäre dies nicht der Fall, wäre die getarnte Werbung im B2B-Bereich strenger als im B2CBereich. Das kann nicht als gesetzgeberisch gewollt angesehen werden. Dies kann nur durch die analoge Anwendung des § 5a Abs. 6 auch im B2B-Bereich verhindert werden. Sie ist daher vorzugswürdig (vgl. im Einzelnen die Kommentierung zu § 5a Rn. 10a, 95). Die – von Anh. Nr. 11 überlagerte – Vorschrift des § 5a steuert der Gefahr entgegen, 137 dass die Marktentscheidung infolge versäumter kritischer Hinterfragung der re vera werblichen Aussage auf falscher Grundlage getroffen wird. Sie ist im Lichte von Art. 7 Abs. 2 UGP-RL spezielles Informationsgebot, mithin Teil des § 5a: Wer Werbung nicht mit „offenem Visier“ betreibt, verstößt gegen das Transparenzgebot. 213 Eine solche Ansprache enthält der Marktgegenseite eine als wesentlich anzusehende Information vor. Ein Ausschnitt getarnter Werbung wird im Unternehmer-Verbraucher-Bereich vom 138 Per-se-Verbot nach Nr. 11 der „Schwarzen Liste“ erfasst: Der nicht kenntlich gemachte bezahlte Einsatz „redaktioneller Inhalte“ zu Zwecken der Absatzförderung ist „stets unzulässig“. Die in der Sache zum abstrakten Gefährdungsdelikt erstarkte Vorschrift verdrängt in ihrem Anwendungsbereich § 5a Abs. 6. Das allgemeine Irreführungsverbot nach § 5 bleibt – neben § 5a bzw. Anh. Nr. 11 – 139 thematisiert, wenn die als neutrale Drittäußerung getarnte Werbung irreführende Angaben über das Produkt/die Leistung selbst enthält.214 § 5a ist anstelle der Nr. 11 anzuwenden, wenn eine Praktik keinen redaktionellen Charakter hat. Das kann insbesondere für das Produktranking auf Internetdiensten der Fall sein, wenn diese nicht Bestandteil eines journalistischen Angebots sind, sondern auf einer Verkaufsplattform oder durch die Algorithmen von Suchmaschinen erzeugt werden. Die geplante Novellierung der UGPRichtlinie durch den sog. „New Deal for Consumers“ (oben Heinze Einl. C Rn. 228) möchte, um diese als Lücke empfundene Situation zu schließen, der Blacklist eine neue Nr. 11a anfügen, wonach stets unzulässig sein soll, die „Anzeige von Suchergebnissen nach einer Online-Suchanfrage des Verbrauchers ohne eindeutig offenzulegen, inwieweit es sich dabei um bezahlte Werbung handelt oder ob eigens Zahlungen geleistet wurden, damit die jeweiligen Produkte im Rahmen der Suchergebnisse ein höheres Ranking erhalten.“ 215 c) Intransparenz bei Absatzförderungsmaßnahmen einschließlich Preisaus- 140 schreiben und Gewinnspielen. Bei Verkaufsförderungsmaßnahmen wie Preisnachlässen, Zugaben oder Geschenken sowie Preisausschreiben oder Gewinnspielen mit Werbecharakter waren nach der bis 2015 geltenden Regelung in § 4 Nr. 4 und Nr. 5 UWG 2008 die Bedingungen für ihre Inanspruchnahme bzw. die Teilnahmebedingungen klar und eindeutig anzugeben. Das 2008 novellierte Recht übernahm die 2004 in das UWG eingefügten Vorschriften 141 unverändert, wies ihnen freilich mit Anerkennung eines umfassenden konditionierten Informationsgebots in § 5a einen veränderten Stellenwert zu: Ursprünglich als Ausnahmetatbestände konzipiert (Begr RegE UWG-2004, BTDrucks. 15/1487 S. 19), mutierten sie mit der Novelle 2008 zu Sonderausprägungen des Informationsgebots nach § 5a. In ihrem jeweiligen Anwendungsbereich erübrigten § 4 Nr. 4 und 5 den Rückgriff auf § 5a. Dass diese Doppelung zwar inhaltlich klarer, aber angesichts des Vollharmonisierungs-
_____
213 MünchKommUWG/Ruess § 5 Rn. 129. 214 MünchKommUWG/Ruess § 5 Rn. 129; Ohly GRUR 2014, 1137, 1143: „aktive Verschleierung“. 215 Vgl. das im Europäischen Parlament in erster Lesung verabschiedete Dokument vom 17.4.2019 mit der Nr. P8_TA-PROV(2019)0399.
639
Lindacher/Peifer
Vor §§ 5, 5a
Vorbemerkungen
auftrages durch die UGP-RL jedenfalls im B2C-Verhältnis intransparenter und auch riskanter war, erkannte der Novellierungsgesetzgeber des Jahres 2015. Beide Vorschriften wurden konsequenterweise gestrichten. Ihr Regelungsgehalt wurde damit §§ 5, 5a überlassen.216 In der Tendenz betreffen die bisherigen Normen allerdings eher § 5a als § 5, weil es um die Erzwingung transparenter Bedingungen für Absatzfördermaßnahmen, also Informationsgebote, geht. Allerdings fällt die Ankündigung eines Sonderverkaufs, der gar nicht stattfindet oder keine Sonderangebote liefert, nur unter § 5. d) Verhältnis zu § 4 Nr. 2. Für § 14 a.F. bzw. § 4 Nr. 8 UWG 2008, Vorgängervorschriften von § 4 Nr. 2, stand außer Frage: Das Verbot der Behauptung und Verbreitung unwahrer oder jedenfalls nicht erweislich wahrer geschäftsschädigender Tatsachen war rein individualschützender Art. Allfällige mit der Anschwärzung verbundene Irreführung der Marktgegenseite war nach § 3 a.F. zu beurteilen. Das Anschwärzungs- und das Irreführungsverbot standen in Konkurrenz (Erstaufl. § 3 a.F. Rn. 39). Für das Verhältnis von § 5 zu § 4 Nr. 2 gilt richtigerweise nichts anderes:217 Nach der 143 Begründung zum Gesetzentwurf UWG 2004218 entspricht die von den Novellen 2008 und 2015 unberührt belassene Vorschrift des § 4 Nr. 2 unverändert der Regelung des § 14 a.F. Auch Verbänden den Anspruch nach §§ 8 Abs. 1, 3 Abs. 1, 4 Nr. 2 zuzusprechen (und damit von der Beweiserleichterung nach eben dieser Vorschrift profitieren zu lassen),219 besteht von der Sache her kein Anlass. Irreführungsschutz unter Einschaltung von Verbänden ist über § 5 nach dessen Voraussetzungen zu leisten.
142
e) Verhältnis zu § 4 Nr. 3 lit. a). Der mit vermeidbarer Täuschung der Abnehmer über die betriebliche Herkunft einhergehende Vertrieb von Nachahmungsprodukten (§ 5 Abs. 2) tangiert das Interesse des Originalherstellers auf Schutz seiner Leistung und das Interesse der Marktgegenseite auf Schutz vor geschäftsentscheidungserheblicher Irreführung. Leistungsschutz (jenseits des Kennzeichenschutzes) gewährt § 4 Nr. 3 lit. a: Die Vorschrift ist in Fortschreibung bisheriger höchstrichterlicher Rechtsprechung nach wie vor reine Individualschutznorm.220 Unter Geltung der These vom Vorrang des Kennzeichenschutzes (Rn. 151) lag es 145 nahe, auch dem lauterkeitsrechtlichen ergänzenden Leistungsschutz Vorrang gegenüber dem lauterkeitsrechtlichen Irreführungsschutz zuzusprechen: Die Entscheidung, den Vertrieb zu tolerieren oder zu unterbinden, blieb dem Hersteller des Originals vorbehalten. Unterlassungsansprüche sonstiger Mitbewerber (§ 8 Abs. 3 Nr. 1) und der Einrichtungen nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 bis 4 aus dem Gesichtspunkt einer Irreführung der Marktgegenseite wurden verneint.221 Der – auch und nicht zuletzt EU-rechtlich – vorgegebene Abschied von der Vorrangthese (eingehend: Rn. 152 ff.) verlangt auch ein Neuverständnis des Verhältnisses von § 4 Nr. 3 lit. a zu § 5: Die beiden Vorschriften werden konsequen-
144
_____
216 Beschlussempfehlung, BTDrucks. 18/6571, S. 15; dafür votierte auch das Schrifttum, vgl. nur Stellungnahme GRUR, WRP 2015, 42, 45. 217 Zu den Rechtsfolgen Ohly/Sosnitza § 4.2 Rn. 2/18; MünchKommUWG/Brammsen/Doehner, 2. Aufl. § 4 Nr. 8 Rn. 60. 218 BTDrucks. 15/1487 S. 18. 219 So freilich beispielsweise Harte/Henning/Bruhn § 4 Nr. 2 Rn. 9. 220 Im Anschluss an Begr. RegE BTDrucks. 16/10145 S. 17 ganz h.M., statt vieler: Ohly/Sosnitza § 4.3Rn. 3/4. sowie Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.15, 3.100. A.A. – § § 4 Nr. 9a zur speziellen Irreführungsschutznorm auffüllend – freilich Köhler GRUR 2007, 548, 551 f. sowie Scherer WRP 2009, 1446, 1448. 221 Hefermehl/Köhler/Bornkamm, 26. Aufl. § 5 Rn. 172; Piper/Ohly, 4. Aufl. § 4.9 Rn. 108.
Lindacher/Peifer
640
H. Dogmatik und System
Vor §§ 5, 5a
terweise als in Normanwendungskonkurrenz stehende Schutznormen angesehen.222 Der Umstand, dass sowohl die RL 2005/29/EG als auch – beschränkt auf die vergleichende Werbung – die RL 2006/114/EG auf Vollharmonisierung angelegte Rechtsakte sind, zwingt sogar zu einem Vorrang der in Umsetzung derselben ergangenen Vorschriften der § 5 und § 6: Soweit das Anbieten einer Produktnachahmung nach §§ 5, 6 verbotsfrei ist, kann es nicht nach § 4 Nr. 3a unlauter sein.223 Lediglich bei Unlauterkeit nach §§ 5, 6 kann § 4 Nr. 3 lit. a zusätzlich unlauterkeitsbegründend wirken – mit dem Vorteil für den Hersteller der Originalware, dass das Privileg der dreifachen Schadensberechnung greift.224 III. Irreführungsverbote außerhalb des UWG Neben dem allgemeinen lauterkeitsrechtlichen Irreführungsverbot des § 5 gibt es 146 zahlreiche bereichsspezifische Irreführungsverbote außerhalb des UWG. Sie basieren als Irreführungsverbote deutschen Rechts fast durchgängig auf europäischem Sekundärrecht (Richtlinien), sind darüber hinaus – in Verordnungsform gegossen – zunehmend unmittelbar Regelungen europäischen Sekundärrechts. Die zu § 5 entwickelten und zu entwickelnden Grundsätze finden – kraft Entscheidung des EuGH für einen einheitlichen Irreführungsbegriff – regelmäßig auch bei den außerhalb des UWG angesiedelten Konfusionsverboten Anwendung. Allerdings enthalten die Sonderregeln des EU-Rechts vielfach kein Relevanzkriterium, die dort angegebenen Irreführungsverbote sind also vielfach strenger als die aus § 5 folgenden. Einschlägige Verbote (gleich § 5 als konkrete Gefährdungstatbestände ausgestaltet) 147 begegnen als unionsrechtlich vorgegebenes oder beeinflusstes deutsches Recht u.a. in § 11 Abs. 1 LFGB (für die Bewerbung und den Vertrieb von Lebensmitteln), § 3 HWG (für die Heilmittelwerbung) und § 8 AMG (für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln). Direkt aus dem Unionsrecht folgt das Verbot irreführender Bezeichnungen bei der Vermarktung von Kosmetika (Art. 20 I KosmetikVO 1223/2009; bis 10.7.2013: § 27 LFGB). Ein umfassendes Verbot irreführender Werbung enthält auch § 25 WeinG, ergänzt durch § 26 WeinG, die freilich – soweit es um Traubenmost und Wein geht – vom einschlägigen bezeichnungsrechtlichen Täuschungsverbot der VO (EU) 1308/2013 über eine gemeinsame Marktordnung für landwirtschaftliche Erzeugnisse (ABl. EG L 347/671) überlagert werden. Nach § 43 Abs. 2 Mess- und EichG 2013 (ehemals § 17 EichG) müssen Fertigpackungen so gestaltet sein, dass sie keine größere Füllmenge vortäuschen, als in ihnen enthalten ist. Die benannten spezialgesetzlichen Irreführungsverbote sind sämtlich Ordnungswid- 148 rigkeitstatbestände. Der zivilrechtliche Abwehranspruch der Mitbewerber und Verbände besteht, wenn und weil der Tatbestand der §§ 5, 3 erfüllt ist.225 Ein uneingeschränktes Nebeneinander der beiden Irreführungstatbestände existiert freilich nur, wenn das spezielle Irreführungsverbot (wie das Verbot nach § 3 HWG) gleich dem allgemeinen lauterkeitsrechtlichen Irreführungsverbot hinreichend breit formuliert ist, die einschlägigen Verbotsvoraussetzungen sich deshalb letztlich decken. Anders ist es, wenn das spezialgesetzliche Irreführungsverbot (wie das Verbot nach § 11 Abs. 1 LFGB) eng und bestimmt formuliert ist. Die beiden Irreführungstatbestände stehen hier im Verhältnis einwirken-
_____
222 Harte/Henning/Dreyer § 5 J Rn. 27; Ohly/Sosnitza § 4.3 Rn. 3/19, 3/22; Götting/Nordemann § 4 Nr. 3 Rn. 3.17. 223 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 4 Rn. 4.208; Scherer WRP 2009, 1445, 1449. 224 Treffende einschlägige Klarstellung: Köhler GRUR 2009, 445, 450; Scherer WRP 2009, 1446, 1454. 225 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer § 5 Rn. 39.
641
Lindacher/Peifer
Vor §§ 5, 5a
Vorbemerkungen
der Konkurrenz: Fällt das Verhalten in den Anwendungsbereich des besonderen Irreführungstatbestands, ohne dessen strengere tatbestandlichen Voraussetzungen zu erfüllen, schließt die spezialgesetzliche Regelung die Bejahung von § 5 aus.226 IV. Informationsgebote außerhalb des UWG 149
Neben dem konditionierten allgemeinen lauterkeitsrechtlichen Informationsgebot des § 5a gibt es – vorzugsweise für den Unternehmer-Verbraucher-Verkehr – zahlreiche bereichsspezifische Informationsgebote außerhalb des UWG. Sie gründen als Informationsgebote deutschen Rechts fast durchgängig auf europäischen Richtlinien, begegnen darüber hinaus zunehmend als unmittelbar geltendes Recht in EU-Verordnungsform. § 5a Abs. 4 inkorporiert in Umsetzung von Art. 7 Abs. 5 UGP-RL die unionsrechtlichen bzw. unionsrechtlich fundierten Informationsgebote im Bereich kommerzieller Kommunikation ins Lauterkeitsrecht: Die spezialgesetzlich geschuldete Information gilt als wesentliche Information i.S. von § 5a Abs. 2. V. Irreführungsverbot und Kennzeichenrecht Schrifttum Bärenfänger Symbiotische Theorie zum Kennzeichen- und Lauterkeitsrecht, WRP 2011, 16/160; Bornkamm Kennzeichenschutz und Irreführungsverbot – Zur wettbewerbsrechtlichen Bedeutung der irreführenden Kennzeichenbenutzung, FS von Mühlendahl (2005) 9; ders. Die Schnittstellen zwischen gewerblichem Rechtsschutz und UWG – Grenzen des lauterkeitsrechtlichen Verwechslungsschutzes, GRUR 2011, 1; Büscher Schnittstellen zwischen Markenrecht und Wettbewerbsrecht, GRUR 2009, 230; Fezer Normenkonkurrenz zwischen Kennzeichenrecht und Lauterkeitsrecht – Kritik an der Vorrangthese des BGH zum MarkenG, WRP 2008, 1; Ingerl Der wettbewerbsrechtliche Kennzeichenschutz und sein Verhältnis zum MarkenG in der neueren Rechtsprechung des BGH und in der UWG-Reform, WRP 2004 809; Pahlow Die Emanzipation des Warenzeichens. Rechtshistorische Überlegungen zum Verhältnis von Warenzeichen- und Wettbewerbsrecht, in: Lange/Klippel/Ohly, Geistiges Eigentum und Wettbewerb, 2009, 69; Sack Markenschutz und UWG, WRP 2004, 1405; Sambuc Was heißt „Verwechslungsgefahr mit einer andere Waren oder Dienstleistung“ in § 5 II UWG?, FS Köhler (2014) 577; M. Schmidt Verschiebung markenrechtlicher Grenzen lauterkeitsrechtlicher Ansprüche nach Umsetzung der UGP-Richtlinie, GRUR-Prax 2011, 159; Sosnitza Markenschutz im UWG?, MA 2015, 104.
1. Grundaussagen. Kennzeichen begegnen in Form von Produktkennzeichen (Marken, § 3 MarkenG) und Unternehmenskennzeichen (§ 5 MarkenG). Ihnen kommt zunächst eine Identifikationsfunktion für die markierten Produkte bzw. Unternehmen zu. Verwechslungsfähiger Gebrauch beeinträchtigt diese Funktion. Das Gesetz gewährt dem Kennzeichenberechtigten deshalb Ausschließlichkeitsrechtsschutz: Der Inhaber der Marke/des Unternehmenskennzeichens hat Anspruch auf Unterlassung des verwechslungsträchtigen Gebrauchs (§§ 14 Abs. 2 Nr. 2, 15 Abs. 2 MarkenG). Das Verhältnis des Kennzeichenschutzes wegen Verwechslungsgefahr zum lauter151 keitsrechtlichen Irreführungsschutz zählt seit alters zu den klassischen Streitfragen, wurde und wird auf der Zeitschiene unterschiedlich beantwortet:227 Maß man dem Markenschutzgesetz von 1874 bei Absenz einer lauterkeitsrechtlichen Kodifikation noch durchaus Schutzfunktion zugunsten der Konkurrenten und Verbraucher zu,228 versteht man Kennzeichenschutz heute allgemein als Schutz des Kennzeichenberechtigten. Mit-
150
_____
226 227 228
Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer § 5 Rn. 39; Ohly/Sosnitza § 5 Rn. 22; Sosnitza ZLR 2018, 743, 758. Instruktiv: Pahlow Die Emanzipation des Warenzeichens, 2009, 69 ff. RT-Drucks. 1874 Nr. 20, 634.
Lindacher/Peifer
642
H. Dogmatik und System
Vor §§ 5, 5a
bewerber und Verbraucher profitieren von der Rechtsverteidigung des Kennzeicheninhabers lediglich reflexmäßig. Bestimmungsgemäßen Konkurrenten- und Verbraucherschutz (mit Interventionsbefugnis der Mitbewerber und der nach § 8 Abs. 2 Nr. 4 legitimierten Verbände) leistet das Lauterkeitsrecht und nur das Lauterkeitsrecht. 2. Gleichrang statt Vorrang des Markenrechts. Vor diesem Hintergrund war das 152 in den 1990er-Jahren entwickelte Dogma vom verdrängenden Vorrang des Markenrechts gegenüber dem Lauterkeitsrecht229 bereits nach seinerzeitigem Recht wenig plausibel: Dass es allein Sache des Kennzeichenberechtigten sein müsse, darüber zu entscheiden, ob eine Verletzung des Kennzeichenrechts verfolgt werden soll oder nicht,230 war seinerseits eher Behauptung denn Begründung. Die Einschränkung des Vorrangdogmas dahin, dass für lauterkeitsrechtlichen Schutz ausnahmsweise Raum, wenn das fragliche Zeichen kennzeichnungsrechtlich geschützt ist und der Verkehr mit der bezeichneten Ware besondere Gütevorstellungen verbindet,231 blieb halbherzig und wenig plausibel.232 Spätestens mit Ablauf der Umsetzungsfrist der RL 2005/29/EG ließ sich die Vorrang- 153 these traditioneller Prägung europarechtlich nicht länger halten. § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1/Abs. 2 stellt in Umsetzung von Art. 6 Abs. 1 lit. b/Abs. 2 lit. a UGP-RL klar, dass der lauterkeitsrechtliche Irreführungsschutz selbständig neben den zeichenrechtlichen Individualschutz tritt.233 Soweit sich die Verwechslungsgefahr nach §§ 14 Abs. 2 Nr. 2, 15 Abs. 2 MarkenG in einer Zuordnungsverwirrung erschöpft, bleibt es mangels Tatbestandsmäßigkeit nach § 5 beim zeichenrechtlichen Unterlassungsanspruch. Sind auch Fehlvorstellungen über geschäftsentscheidungserhebliche Produkt- oder Unternehmenseigenschaften im Spiel, greift dagegen typischerweise auch der lauterkeitsrechtliche Irreführungsschutz (mit Interventionsbefugnis der Mitbewerber und Verbände). Den Schutz der Konkurrenten und der Verbraucher in das Belieben des Zeicheninhabers zu stellen, liefe auf die Zulassung von Entscheidungen zulasten Dritter hinaus. 3. Ausstrahlwirkung des Kennzeichenrechts. Lauterkeitsrechtlicher Irreführungs- 154 schutz bei verwechslungsträchtigem Kennzeichengebrauch bleibt freilich insoweit relativ, als dem Kennzeichenrecht eine spezifische, wenn auch begrenzte Ausstrahlungswirkung zukommt: Die Vorrangthese mutiert zum Gebot der Beachtung grundlegender kennzeichenrechtlicher Wertungen.234 Markenmäßige Kennzeichnung von Produkten beschneidet den Rechteinhaber nicht 155 in der Freiheit, die Beschaffenheit derselben zu ändern. Die in der Marketing-Lehre235 viel beschworene „Garantiefunktion“ kommt der Marke grundsätzlich nicht im Rechtssinn
_____
229 BGH 22.11.2001 – I ZR 138/99 – BGHZ 149, 191, 195 f. = GRUR 2002. 622, 623 = WRP 2002, 694, 696 – shell.de; Piper/Ohly, 4. Aufl., § 5 Rn. 27; Ingerl WRP 2004, 805, 815; Bornkamm FS v. Mühlendahl, 2005, 9, 19 ff. 230 So Bornkamm aaO. 231 BGH 20.3.1997 GRUR 1997, 754 = WRP 1997, 748 – grau/magenta. 232 Gegen die einschlägige Ausnahme – ansatzkonsequent – denn auch Bornkamm aaO. 233 BGH 15.8.2013 – I ZR 188/11, GRUR 2013, 1161 Rn. 60 – Hard Rock Café (unter ausdrücklicher Aufgabe der früheren Rechtsprechung); BGH 24.1.2013 – I ZR 60/11, GRUR 2013, 397 Rn. 44 – Peek & Cloppenburg III; BGH 23.6.2016 – I ZR 241/14, GRUR 2016, 965 – Baumann II (Leitsatz); Harte/Henning/Dreyer § 5 J Rn. 2 ff.; Götting/Nordemann § 5 Rn. 8.10; Köhler GRUR 2007, 548, 553; Fezer WRP 2008, 1, 7 f.; Loschelder/Dörre KSzW 2010, 242, 244 ff.; jetzt auch Ohly/Sosnitza § 5 Rn. 708 f. 234 BGH 15.8.2013 – I ZR 188/11, GRUR 2013, 1161 Rn. 64 – Hard Rock Café; ebenso BGH 15.2.2018 – I ZR 138/16, GRUR 2018, 924 Rn. 65 – Ortlieb; 15.2.2018 – I ZR 201/16, GRUR 2018, 935 Rn. 57 – goFit; Büscher/ Büscher § 5 Rn. 105 und Rn. 375. Treffend: Köhler/Bornkamm/Feddersen § 5 Rn. 0.112; Loschelder/Dörre KSzW 2010, 242, 246 f. 235 Statt mancher: Pepels Handbuch des Marketing, 6. Aufl. (2012), 62 f.
643
Lindacher/Peifer
Vor §§ 5, 5a
Vorbemerkungen
zu: Markenführung als solche verbürgt keine gleichbleibende Beschaffenheit der gekennzeichneten Ware. Den Markeninhaber trifft keine aus dem Irreführungsverbot abgeleitete Hinweispflicht. Allfällige Fehlvorstellungen des Verkehrs bleiben rechtlich irrelevant.236 Anderes gilt nur, wenn der Markeninhaber in der Vergangenheit die nun nicht mehr vorhandene, den früheren Qualitätsstandard begründende Eigenschaft durch seine Werbung fest mit der Marke verbunden hat.237 Anderes kann zudem im Rahmen der Unionsgewährleistungsmarke (Art. 83 VO 2017/1001) gelten,238 insbesondere wenn auch das nationale Recht Gewährleistungsmarken mit satzungsmäßig festgelegten Qualitätsanforderungen anerkennt.239 156 Zählt man das Fehlen aller Bindungen der Marke an den Geschäftsbetrieb zu den prägenden Elementen des geltenden Markenrechts, spricht zudem viel für die lauterkeitsrechtliche Unbeachtlichkeit einer weiteren Fehlvorstellungsvariante: Soweit eine Lizenzerteilung kennzeichenrechtlich zulässig ist, muss die allfällige Fehlvorstellung, das mit dem Kennzeichen versehene Produkt entstamme der Herstellung des Lizenzgebers hingenommen werden.240 Die lauterkeitsrechtliche Zulässigkeit der Zeichennutzung durch den Lizenznehmer hängt nicht von der Existenz eines aufklärenden Hinweises ab.241 VI. Geographische Herkunftsangaben 157
1. Bedeutung. Geographische Herkunftsangaben kommunizieren die örtliche Herkunft eines Produkts, sind bedeutsame werbliche Kennzeichnungsmittel mit typischerweise erheblicher Auswirkung auf die Kaufentscheidung des angesprochenen Verkehrs. Dieser verbindet mit ihnen bestimmte Gütevorstellungen, häufig besonderer Art.
158
2. Kennzeichenschutz und Schutz vor Irreführung mit geographischen Herkunftsangaben. Geographische Herkunftsangaben werfen in zweifacher Hinsicht die Schutzfrage auf: Die Kommunikationsfunktion verlangt die Unterbindung von Praktiken, die die Individualisierungskraft der jeweiligen Angabe schwächen – auch und gerade von Täuschungspraktiken usurpatorischer Art durch Gebietsfremde. Weil und soweit der unberechtigte Gebrauch einer geographischen Herkunftsangabe von wettbewerbsrechtlicher Relevanz ist, thematisiert er aber auch den Schutz der Mitbewerber und der Marktgegenseite vor Irreführung mit geographischen Herkunftsangaben. Das deutsche Recht folgte (wie das österreichische und schweizerische Recht und 159 anders als die einem immaterialgüterrechtlichen Ansatz verpflichteten Rechte des französischen Rechtskreises) traditionellerweise und lange Zeit unangefochten einem rein lauterkeitsrechtlichen Ansatz. Man verfolgte das Konzept eines mittelbaren Kennzeichenschutzes durch unmittelbar wettbewerbsrechtlichen Irreführungsschutz. Ergänzend wurden bekannte geographische Herkunftsangaben gegen Anlehnung und Rufausbeutung sowie gegen eine Verwässerung der Werbekraft zum Nachteil der ortsansässigen Mitbewerber lauterkeitsrechtlich nach § 1 a.F. geschützt (s. Erstaufl. § 3 a.F. Rn. 551). Bereits die Einstellung der geographischen Herkunftsangaben in das Markengesetz 160 1994 weckte freilich Zweifel am Fortbestand des Konzepts des Schutzes geographischer Herkunftsangaben allein durch lauterkeitsrechtlichen Irreführungsschutz. Beachtliche
_____
236 237 238 239 240 241
Köhler/Bornkamm/Feddersen § 5 Rn. 0.112. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 5 Rn. 2.101. Dissmann/Somboonvong GRUR 2016, 657. Grabrucker GRUR 2018, 53. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 5 Rn. 0.112. A.A. Harte/Henning/Dreyer § 5 J Rn. 11 a.E.
Lindacher/Peifer
644
H. Dogmatik und System
Vor §§ 5, 5a
Literaturstimmen242 sahen darin eine Entscheidung zugunsten des Schutzes geographischer Herkunftsangaben als solcher, befürworteten einen Kollektivschutz der Gebietsansässigen, der neben den lauterkeitsrechtlichen Schutz tritt. Der BGH243 und das überwiegende Schrifttum244 meinten freilich einerseits, am herkömmlichen Schutzverständnis festhalten zu sollen: Individualschutz ergebe sich – so der BGH – nach wie vor nur reflexartig aus dem seiner Natur nach wettbewerbsrechtlichen Schutz. Die Vorstellung, dass keine Individualrechte begründet werden, liege auch der Regelung des § 128 Abs. 1 MarkenG zugrunde, nach der Verstöße gegen § 127 MarkenG auch von Mitbewerbern und Verbänden verfolgt werden können. Ebenso unbekümmert bejahte man freilich andererseits den Schutz der geographischen Herkunftsangabe unabhängig davon, ob die Herkunft für die Marktentscheidung des Verbrauchers von Bedeutung ist245 – eine Betrachtungsweise, die ersichtlich nur auf der Basis einer immaterialgüterrechtlichen Qualifikation geographischer Herkunftsangaben schlüssig ist. Die zwischenzeitliche gemeinschafts- bzw. unionsrechtliche Entwicklung verstärkt 161 das Unbehagen am rein lauterkeitsrechtlichen Ansatz: Der EuGH qualifiziert geographische Herkunftsangaben im Anschluss an die Entscheidung „Turrón“246 in ständiger Rspr.247 als gewerbliches und kommerzielles Eigentum. Im Kontext mit der Verabschiedung der RL 2004/48/EG („Enforcement“-RL) bestätigte die Kommission explizit die einschlägige unionsrechtliche Sicht. Der Hinweis auf die Klagebefugnis-Regelung in § 128 Abs. 1 MarkenG248 verliert damit zunehmend an argumentativer Kraft. Näherliegend als das Festhalten am überkommenen lauterkeitsrechtlichen Ansatz in Abkopplung von der europäischen Entwicklung erscheint eine Ergänzung des lauterkeitsrechtlichen Schutzes vor irreführenden geographischen Herkunftsangaben um einen selbständigen immaterialgüterrechtlichen Kennzeichenschutz249 bei teleologischer Reduktion von § 128 Abs. 1 MarkenG, nämlich Beschränkung der Klagebefugnis auf die kennzeichenführungsberechtigten Ortsansässigen und die mit dem Schutz des Kennzeichens betrauten Einrichtungen. 3. Folgerungen. Nach dem hier favorisierten Ansatz bestimmt sich der lauterkeits- 162 rechtliche Schutz vor irreführenden geographischen Herkunftsangaben nach UWG (mit den in Umsetzung von Art. 6 Abs. 1 lit. b, Abs. 2 lit. a UGP-RL ergangenen Regelungen in § 5 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2).250 Die Interventionsbefugnis ergibt sich unmittelbar aus § 8 Abs. 3. Dem konkurrierenden Kennzeichenschutz nach dem Markengesetz kommt kein verdrängender Vorrang zu.251 Die einen selbständigen Kennzeichenschutz leugnende Gegenansicht sieht in den 163 §§ 126 ff. MarkenG leges speciales gegenüber § 5, gibt letzterem mithin nur außerhalb des
_____
242 Knaak GRUR 1995, 103, 105; Fezer WRP 2000, 863, 871. 243 BGH 2.7.1998 BGHZ 139, 138, 139 = GRUR 1999, 252, 254 = WRP 1998, 1002, 1003 – Warsteiner II. 244 Statt mancher: MünchKommUWG/Busche § 5 Rn. 692; Bornkamm GRUR 2005, 97. 245 BGH Warsteiner II aaO. 246 EuGH 10.11.1992 – C-3/91 – GRUR Int. 1993, 76, 79. 247 EuGH 20.5.2003 – C-469/00 – GRUR 2003, 609, 612 – Grana Padano; 20.5.2003 – C-108/01 – GRUR 2003, 616, 619 – Prosciutto di Parma. 248 Speziell hierauf die These stützend, im Anwendungsbereich der §§ 126 ff. MarkenG spielten lauterkeitsrechtliche Ansprüche „keine Rolle“, zuletzt Bornkamm GRUR 2011, 1, 8. 249 Dezidiert: Fezer Markenrecht, 4. Aufl. (2009), § 126 Rn. 4 ff., behutsamer – kennzeichenrechtliche Verselbständigung des Schutzes geographischer Herkunftsangeben gegenüber dem wettbewerbsrechtlichen Schutz als „fortschreitender Prozess“ – Fezer/Büscher/Obergfell/Marx S 10 Rn. 43. 250 Fezer Markenrecht, 4. Aufl. (2009), § 126 Rn. 2 f.; Harte/Henning/Dreyer § 5 J Rn. 13. 251 Explizit: Harte/Henning/Dreyer aaO.
645
Lindacher/Peifer
Vor §§ 5, 5a
Vorbemerkungen
Anwendungsbereichs von §§ 126 ff. MarkenG Raum,252 müsste freilich bei der Anwendung der „lauterkeitsrechtlichen Sonderregeln“ nicht nur Ausstrahlwirkungen der RL 2005/29/EG berücksichtigen, sondern dieselben in Orientierung an Art. 6 Abs. 1 lit. b, Abs. 2 lit. a UGP-RL unmittelbar richtlinienkonform auslegen. VII. Preisangabenverordnung § 5 und die Vorschriften der PreisangabenVO schließen sich nicht aus, sind vielmehr – zumindest auf nationaler Ebene – nebeneinander anwendbar.253 Die PreisangabenVO als formelles Preisrecht strahlt dabei insoweit auf § 5 aus, als preisrechtliche Vorschriften und die Erwartung ihrer Einhaltung potentiell verkehrsauffassungsprägend sind. Über § 5a Abs. 3 Nr. 3, Abs. 4 fließen bestimmte in der PreisangabenVO enthaltene 165 Informationsgebote ins Lauterkeitsrecht ein.
164
VIII. Allgemeines Deliktsrecht 166
Irreführendes Verhalten i.S. von § 5 mag die Schutzgesetzhaftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB auslösen. § 5 selbst ist kein Schutzgesetz i.S. von § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der Marktgegenseiteangehörigen:254 Der lauterkeitsrechtliche Marktgegenseiteschutz ist und bleibt Kollektivschutz. Der Reformgesetzgeber 2004 hat einen Paradigmenwechsel explizit abgelehnt.255 IX. Vertragsrecht Schrifttum H.-J. Ahrens Das Verhältnis von UWG und Vertragsrecht aufgrund der EU-Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, FS Loewenheim (2009) 407; Alexander Vertrag und unlauterer Wettbewerb, 2000; Busch Informationspflichten im Wettbewerbs- und Vertragsrecht, 2008; Leistner Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb, 2007.
1. Grundaussagen. Während Lauterkeitsrecht auf Prävention setzt, dem individuell irregeführten bzw. unzureichend informierten Marktteilnehmer freilich keine individuellen Rechte gewährt, wirkt das vertragliche Haftungsrecht restitutiv, gewährt auf der Basis eines Risikoverteilungsgefüges Ausgleichsansprüche und Vertragslösungsrechte. Die durch europäisches Richtlinienrecht angestoßene Mehrung detaillierter Informationspflichten – für den Verkäufer durch die RL 1999/44/EG zum Verbrauchsgüterkauf, für den Werbenden durch die RL 2005/29/EG – führte und führt freilich zu verstärkter Annäherung der beiden Rechtsregime: vertragsrechtlicher Individualschutz und wettbewerbsrechtliche Marktverhaltenskontrolle überlappen sich zunehmend. Unbeschadet der in Art. 3 Abs. 2 sowie im Erwägungsgrund 9 der RL 2005/29/EG be168 tonten Selbständigkeit der beiden Teildisziplinen sind deren Regeln im Überschnei167
_____
252 So zuletzt: Köhler/Bornkamm/Feddersen § 5 Rn. 2.247; Ohly/Sosnitza § 5 Rn. 331 ff. 253 Allg.M., statt mancher: Harte/Henning/Dreyer § 5 A Rn. 111 ff.; Ohly/Sosnitza PAngV Einf. Rn. 29. 254 Ganz h.M., statt mancher: BGH 14.5.1974 – VI ZR 48/73, GRUR 1975, 150, 151 – Prüfzeichen; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 5 Rn. 0.12; Ohly/Sosnitza § 5 Rn. 13; Köhler GRUR 2003, 265, 271. A.A. freilich beispielsweise Fezer/Büscher/Obergfell/Brönnecke/Tavakoli S 19 Rn. 92 (siehe aber Kommentar im Text) sowie Säcker WRP 2004, 1199, 1219. 255 RegE UWG 2004 zu § 8 BTDrucks. 15/1487 S. 22.
Lindacher/Peifer
646
H. Dogmatik und System
Vor §§ 5, 5a
dungsbereich zwecks Meidung widersprüchlicher Steuerungsimpulse wechselweise abgestimmt anzuwenden: Gleichlauf in der Auslegung Informationsrisiken zuweisender Vorschriften ist prinzipiell wünschenswert und weithin geboten.256 Der einschlägige Abgleich hat freilich zu berücksichtigen, dass die UGP-Richtlinie im Gegensatz zur Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie ein auf Vollharmonisierung angelegter Rechtsakt ist: Eine Übernahme vertragsrechtlicher Wertungen, die auf autonomer Entscheidung des deutschen Gesetzgebers/deutscher Gerichte beruht, ist ausgeschlossen.257 Keine Gefolgschaft verdient der (Minderheits-)Vorschlag, wettbewerbsrechtliche In- 169 formationspflichten abzusenken, wenn und soweit das Vertragsrecht hinreichenden Schutz vor „unerwünschten Verträgen“ bietet:258 Die Tatsache, dass es rechtsgeschäftlichen Verbraucherschutz gibt, kann und darf nicht in die lauterkeitsrechtliche Beurteilung einfließen.259 Das gilt insbesondere deswegen, weil das UWG eine marktbereinigende kollektive Funktion unabhängig davon ausüben muss, welche individuellen Rechte einzelne Marktbeteiligte ausüben könnten. 2. Leistungsstörungen. Schuldverhältnisse entfalten als relative Rechtsverhältnisse 170 nur inter partes-Wirkung. Die Rechtsdurchsetzung im Leistungsstörungsfall obliegt den Parteien; eine wohlmeinende Einmischung Dritter ist dem Zivilrecht grundsätzlich fremd. Die schlichte Leistungsstörung begründet keine lauterkeitsrechtlichen Begleitansprüche zugunsten von Mitbewerbern und/oder Verbänden.260 Genuin lauterkeitsrechtliche, zur Leistungsstörung hinzutretende Gesichtspunkte führen freilich in zwei Fallreihen zur Schutzdoppelung. a) Komplementärer lauterkeitsrechtlicher Schutz bei informationsasymmet- 171 riebedingter Gefahr der Nichtgeltendmachung der vertraglichen Behelfe. Nach neuem Recht (§ 2 Abs. 1 Nr. 1) unterliegt auch das Anbieterverhalten nach Geschäftsabschluss lauterkeitsrechtlicher Kontrolle: Der Verkäufer, der den Käufer nach erfolgter Minder- oder Schlechtlieferung durch Täuschung oder Unterlassen gebotener Information von der Geltendmachung aus der Leistungsstörung resultierender Vertragsansprüche abhält, handelt unlauter i.S. von § 5 bzw. § 5a.261 In der Bejahung relevanter Irreführung erscheint freilich Zurückhaltung angezeigt: Die vorbehaltlose Rechtsbehauptung, keinen vertraglichen Ansprüchen aus dem Gesichtspunkt der Leistungsstörung ausgesetzt zu sein, ist schwerlich als Akt relevanter Irreführung anzusehen.262 b) Komplementärer lauterkeitsrechtlicher Schutz bei systematischer Min- 172 der- bzw. Schlechterfüllung. Lauterkeitsrecht greift allemal ergänzend, wenn die Minder- bzw. Schlechterfüllung „Methode“ hat, einschlägige Kundentäuschung mithin planmäßig zum Mittel des Wettbewerbs gemacht wird:263 Der Anbieter führt insoweit unter
_____
256 Grundlegend Leistner passim, insbes. S. 265 ff., 615 ff., 653 ff. sowie Busch passim, insbes. S. 161 ff. 257 Treffende Klarstellung: Busch S. 192 f. 258 So Busch S. 173 ff. 259 Eppe WRP 2005, 808, 812. 260 Leistner S. 598; Harte/Henning/Ahrens Einl G Rn. 175; Ohly/Sosnitza Einf D Rn. 66, 66b; Köhler WRP, 898, 902; Scherer WRP 2009, 761, 767. 261 Ohly/Sosnitza Einf D Rn. 66b; Scherer WRP 2009, 761, 767. 262 Ebenso Stillner, WRP 2015, 438. A.A. – der Unternehmer müsse unzweideutig klarstellen, dass die vertretene Position bloße Rechtsmeinung – freilich Köhler WRP 2009, 898, 902. 263 BGH 10.1.2013 – I ZR 190/11 GRUR 2013, 945 Rn. 26 – Standardisierte Mandatsbearbeitung (in casu aber verneint, weil der Anbieter nicht von vornherein auf eine Täuschung gezielt habe, sondern das
647
Lindacher/Peifer
Vor §§ 5, 5a
Vorbemerkungen
Verletzung von Konkurrenten- und Kundeninteressen bereits vor Vertragsschluss irre.264 Der lauterkeitsrechtliche Komplementärschutz rechtfertigt sich, soweit die Interessenbeeinträchtigung für den einzelnen Kunden eher Bagatellcharakter hat, auch und nicht zuletzt aus der Notwendigkeit der Schließung faktischer Durchsetzungsdefizite.265 I. Irreführungsverbot und Bezeichnungsrecht I. Irreführungsverbot und Bezeichnungsrecht Schrifttum Sosnitza Gebotene Irreführung und Verbot von Erlaubtem, ZLR 2018, 743.
173
Zahlreiche Vorschriften des nationalen sowie – mit zunehmendem Anteil – des Unionsrechts statuieren detaillierte Bezeichnungsvorschriften, was die Beschaffenheit, Herstellungsweise oder sonstige Eigenschaften von Waren anbelangt. Sie erlangen mit Blick auf das lauterkeitsrechtliche Irreführungsverbot in durchaus verschiedener Weise potentielle Relevanz: allgemein – mit Blick auf die zentrale Bedeutung der Verkehrsauffassung – ob ihrer verkehrsauffassungsprägenden Kraft (s. Rn. 174), im pathologischen Fall der Irreführungseignung der gesetzlichen Bezeichnung selbst (s. Rn. 175 ff.), schließlich hinsichtlich der Frage, inwieweit gesetzeskonforme Kennzeichnung geeignet ist, eine ansonsten verdiktgefährdete Markthandlung verbotsfest zu machen (s. Rn. 183). I. Verkehrsauffassungsprägung durch Bezeichnungsrecht
174
Für den Regelfall gilt: Kennzeichnungsrechtlicher Sprachgebrauch und Verkehrsverständnis decken sich. Der Gleichklang besteht nicht nur, wenn die Gesetzesterminologie dem allgemeinen Sprachgebrauch entspricht. Er bildet sich bei ursprünglichem Fehlen auch heraus, wenn und weil der Verkehr sich an in der Praxis benutzte gesetzliche Bezeichnungen und damit einhergehende Beschaffenheits- und Herstellungsanforderungen gewöhnt (Phänomen der normativ gesteuerten Verkehrsauffassung). Selbst wenn der Verkehr vom Inhalt der gesetzlichen Regelung keine sichere und/oder ins Einzelne gehende Kenntnis hat, vermag sich eine akzessorische Verkehrsanschauung zu bilden. Soweit er von der Existenz gewisser einschlägiger Standards ausgeht, verlässt sich der Verkehr zumindest darauf, dass das Produktangebot den Anforderungen entspricht, die das Gesetz an die Verwendung der gewählten Bezeichnung stellt (sog. verweisende Verkehrsvorstellung, s. auch Rn. 51).266 II. Verkehrserwartungskonträre gesetzliche Bezeichnungen
175
1. Problemstellung. Akzessorische Verkehrsanschauung in Anlehnung an den kennzeichnungsrechtlichen Sprachgebrauch ist zwar die Regel, aber nur die Regel. Auch das Phänomen irreführender gesetzlicher Bezeichnungen lässt sich nicht leugnen: Eine gesetzliche Regelung bedient sich standardisierend einer eingeführten Bezeichnung in
_____ Verhalten auch den Charakter eines Versehens haben konnte); Harte/Henning/Ahrens Einl. G Rn. 171 ff.; Ohly/Sosnitza Einf D Rn. 66b. 264 Zutreffende einschlägige Klarstellung: Köhler/Bornkamm/Feddersen § 5 Rn. 1.12. 265 Leistner S. 1050; Harte/Henning/Ahrens Einl. G Rn. 171. 266 BGH 15,6,1966 – Ib ZR 72/64, GRUR 1967, 30, 32 = WRP 1966, 375 – Rum-Verschnitt; 13.12.1984 – I ZR 71/83, GRUR 1985, 555 = WRP 1985, 402 – Abschleppseile; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 110; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer § 5 Rn. 245; Ohly/Sosnitza § 5 Rn. 254.
Lindacher/Peifer
648
I. Irreführungsverbot und Bezeichnungsrecht
Vor §§ 5, 5a
einem derart signifikant vom herkömmlichen Sprachverständnis abweichenden Sinn, dass eine Assimilation des Verkehrsverständnisses, wenn überhaupt, nur in einem ausgesprochen langfristigen Prozess zu erwarten bleibt. Erhebliche Verkehrsteile werden zumindest für längere Zeiträume irregeführt, wenn und weil die werbliche Verwendung des gesetzlichen Begriffs bei ihnen Vorstellungen weckt, die ein nur den gesetzlichen Standards genügendes Produkt nicht einlöst. Um ein Sonderproblem handelt es sich, wenn der Werbende einen Begriff kennzeichnungsnormkonform verwendet, obschon die Praxis diesen langdauernd in Abweichung von der Bezeichnungsvorschrift derart gebraucht hat, dass der Verkehr mit der in Frage stehenden Bezeichnung einen höheren Qualitätsstandard verbindet als die gesetzliche Regelung. Der Versuch einer Problemlösung unterscheidet tunlicherweise dahin, ob das Gesetz 176 die Verwendung der Bezeichnung für das Inverkehrbringen einschlägiger Produkte vorschreibt bzw. jedenfalls erlaubt (Rn. 177 ff.) oder aber lediglich seinerseits schlicht verwendet (Rn. 183). 2. Verbotsimmune Verwendung gesetzlich vorgeschriebener oder gestatteter Bezeichnungen a) Der Grundsatz: Vorrang des Kennzeichnungsrechts aa) Gesetzlich vorgegebene Angaben. Soweit die Verwendung einer bestimmten 177 Bezeichnung gesetzlich vorgeschrieben ist, ist die Normenkonkurrenz zwischen Irreführungsverbot und Bezeichnungsrecht i.S. eines Vorrangs des Bezeichnungsrechts aufzulösen: Die bezeichnungsrechtliche Regelung schließt die legislatorische Entscheidung der Inkaufnahme transitorischer Irreführung ein. Verbotsimmun ist sowohl die Verwendung einer nach EU-Marktordnungs- oder Bezeichnungsrecht obligatorischen Bezeichnung als auch die Verwendung einer nach nationalem Recht gebotenen Benennung.267 Beispiel: Da die Angabe des Alkoholgehaltes bei Lebensmitteln erst ab einem Alkoholgehalt von 1,2% Volumen vorgeschrieben ist, kann die durch geringeren Alkoholgehalt ausgelöste Fehlvorstellung des Verkehrs über Alkoholfreiheit noch nicht zur Unlauterkeit der Bezeichnung führen.268 Die Angabe „Ursprungsland Deutschland“ für Kulturchampignos, die zwar in Deutschland geerntet, deren sämtliche Produktionsschritte allerdings außerhalb Deutschlands vollzogen wurden, mag irreführend sein, dies ist aber hinzunehmen, wenn Art. 76 Abs. 1 VO (EU) 1308/2013 durch Verweisung auf das EU-Zollrecht als „Ursprungsland“ das Land der Ernte ansieht.269 bb) Gesetzlich gestattete Angaben. Gesetzlich vorgeschriebenen Angaben stehen 178 gesetzlich gestattete Angaben gleich: Soweit Fakultativangaben unter bestimmten Voraussetzungen für zulässig erklärt werden, steht es dem Wettbewerbsrecht nicht an, die Zulässigkeit unter einen Nichtirreführungsvorbehalt zu stellen.270 Beispiel: Mit der Bezeichnung „ohne Gentechnik“ mag der Verkehr mehrheitlich die Vorstellung verbinden, das beworbene Lebensmittel sei in keiner Weise mit Gentechnik
_____
267 Zutreffende einschlägige Klarstellung: Hösl S. 353 ff.; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer § 5 Rn. 241 ff.; Ohly/Sosnitza § 5 Rn. 198; Kehl § 20 II/2b; Sosnitza ZLR 2018, 743, 753. 268 Vgl. insoweit den Fall zur früheren AromenVO OLG Hamburg 12.10.1989 – 3 U 50/89, WRP 1990, 530, 531. 269 Vgl. BGH 21.9.2017 – I ZR 74/16 – GRUR 2018, 104 – Kulturchampignons (Vorlagebeschluss) m. Anm. Dück GRUR-Prax 2017, 568, dazu ausführlich Sosnitza ZLR 2018, 743, 745. 270 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 107. A.A. Ohly/Sosnitza § 5 Rn. 200.
649
Lindacher/Peifer
Vor §§ 5, 5a
Vorbemerkungen
in Berührung gekommen, also vom Nichteinsatz gentechnischer Verfahren während der Erzeugung und von der Absenz gentechnisch veränderter Organismen im Endprodukt ausgehen. Innerhalb der normgekennzeichneten Rahmens von § 3a EGGenTDurchfG kommt es auf die tatsächliche Verkehrsanschauung indes nicht an: Die einschlägige Negativwerbung ist zulässig, wenn die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.271 Die Erlaubnis zur Bezeichnungsverwendung muss dabei im Gesetz/der Rechtsver179 ordnung nicht ausdrücklich ausgesprochen sein; es genügt, dass der einschlägige Gestattungswille im Wege der Auslegung feststellbar ist.272 Um Missverständnissen vorzubeugen, bleibt freilich mit Nachdruck zu betonen: Der Rekurs des Gesetz- bzw. VOGebers auf einen bestimmten Begriff als solchen bedeutet noch keine Verwendungsgestattung (s. auch Rn. 183). Entscheidend ist der jeweilige Regelungsgehalt der Norm. Eine konkludente Gestattung der Bezeichnungsverwendung dürfte im Allgemeinen 180 zu bejahen sein, wenn das Gesetz/die Rechtsverordnung die Voraussetzungen der Verkehrsfähigkeit eines näher bezeichneten Produkts regelt. Sie ist u.a. zu verneinen, wenn das die Bezeichnung enthaltende Gesetz/die die Bezeichnung enthaltende Rechtsverordnung mit der einschlägigen Begriffsbestimmung rein fiskalische Zwecke verfolgt oder die Begriffsbildung nur dazu dient, die Nichterstreckung des Rechtsakts auf die von der Legalbezeichnung erfassten Erzeugnisse klarzustellen. Beispiel: Wer ein schokoladenähnliches Erzeugnis aus Kakaopulver, Zucker, Milch und Kokosfett unter der Bezeichnung „Eispralinen“ anbietet, kann sich zur Rechtfertigung solch irreführender Angabe nicht auf eine Vorschrift berufen, die als Abgrenzungsnorm lediglich klarstellte, dass die dort benannten Erzeugnisse nicht in den Geltungsbereich der Verordnung fallen.273 b) Lockerung des Grundsatzes 181
aa) Die Ausnahme: einzelumstandsbedingte Unzulässigkeit der Bezeichnungsverwendung. Auch wenn die Verwendung der Bezeichnung als solche zulässig ist, ist freilich nicht jedwede Benutzungsform verbotsimmun: Soweit sich die Irreführungsgefahr erst aus der Modalität und den näheren Begleitumständen der Verwendung ergibt, wird die Geltung von § 5 nicht eingeschränkt.274
182
bb) Sonderlage: Nichtannahme der gesetzlichen Terminologie. Eine Sonderlage, die eine Einschränkung der Regelaussage rechtfertigt, ist ferner dann gegeben, wenn die gesetzliche Terminologie von Herstellern und Handel zunächst gerade nicht angenommen wurde und nunmehr entgegen langjähriger Übung bezeichnungsrechtskonformer Gebrauch geltend gemacht wird. Hier erscheint es durchaus interessengerecht, die werbliche Verwendung der gesetzlichen Bezeichnung nur bei aufklärendem Hinweis zu gestatten. Demonstrationsbeispiel: Goldwaren mit einem Mindestfeingehalt an Gold von 166/ 1000 dürfen nach dem Gesetz über den Feingehalt von Gold- und Silberwaren als „Gold“ bezeichnet werden. Unter der Bezeichnung „Gold“ wurden gleichwohl allgemein nur Waren mit einem Feingoldgehalt von 333/1000 aufwärts angeboten. Wer von dieser Übung unter Berufung auf die gesetzliche Bezeichnungsregelung abweicht, muss die
_____ 271 272 273 274
Leible ZLR 2011, 5, 34 ff. Hösl S. 356. BGH 25.4.1958 – I ZR 84/57 GRUR 1958, 492 – Eispralinen. BGH 24.1.1967 – Ib ZR 19/65 GRUR 1967, 495, 497 = WRP 1967, 269, 270 – Samo; Hösl S. 342 f.
Lindacher/Peifer
650
Irreführende geschäftliche Handlungen
§5
Angabe „Goldschmuck“ um den aufklärenden Hinweis „Goldanteil 166/1000“ ergänzen.275 3. Schlichte legislatorische Bezeichnungsverwendung. Dass eine irreführende 183 Bezeichnung auch vom Gesetzgeber verwendet wurde, steht der Anwendung von § 5 nicht entgegen.276 Der Umstand kann unter dem Gesichtspunkt schutzwürdiger Informationsinteressen (§ 5 Rn. 282 ff.) die Irreführung aus normativen Erwägungen ausschließen. III. Bezeichnung und Obliegenheit zu ihrer Kenntnisnahme Das einschlägige Informationsrisiko trägt bei obligatorischer Bezeichnung grund- 184 sätzlich der Umworbene: Das vorgegebener Bezeichnungspflicht korrekterweise nachkommende Unternehmen steht nach der labelling approach-Philosophie des EuGH (oben Rn. 53) und der Intention des EU-Richtliniengebers unter Irreführungsgesichtspunkten auf der sicheren Seite. Ob sinnerfassende Kenntnisnahme vom Angesprochenen unter Rekurs auf die Referenzfigur des angemessen informierten und verständigen, situationsadäquat aufmerksamen Durchschnittsverbrauchers zu erwarten ist, ist Einzelfallfrage. Die Nichtkenntnisnahme der Bezeichnung ist dem Angehörigen der Marktgegenseite zwar nicht zum Vorwurf zu machen, das hieraus erwachsende Irreführungsrisiko geht indes gleichwohl mit ihm heim, da er immerhin um die Möglichkeit der Kenntnisnahme wusste bzw. wissen musste.
§5 Irreführende geschäftliche Handlungen § 5 Irreführende geschäftliche Handlungen Irreführende geschäftliche Handlungen Lindacher/Peifer https://doi.org/10.1515/9783110545944-008
(1) 1 Unlauter handelt, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. 2 Eine geschäftliche Handlung ist irreführend, wenn sie unwahre Angaben enthält oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über folgende Umstände enthält: 1. die wesentlichen Merkmale der Ware oder Dienstleistung wie Verfügbarkeit, Art, Ausführung, Vorteile, Risiken, Zusammensetzung, Zubehör, Verfahren und Zeitpunkt der Herstellung, Lieferung oder Erbringung, Zwecktauglichkeit, Verwendungsmöglichkeit, Menge, Beschaffenheit, Kundendienst und Beschwerdeverfahren, geografische oder betriebliche Herkunft, von der Verwendung zu erwartende Ergebnisse oder die Ergebnisse oder wesentlichen Bestandteile von Tests von Waren oder Dienstleistungen; 2. den Anlass des Verkaufs wie das Vorhandensein eines besonderen Preisvorteils, den Preis oder die Art und Weise, in der er berechnet wird, oder die Bedingungen, unter denen die Ware geliefert oder die Dienstleistung erbracht wird; 3. die Person, Eigenschaften oder Rechte des Unternehmers wie Identität, Vermögen einschließlich der Rechte des geistigen Eigentums, den Umfang von
_____ 275 276
BGH 5.5.1983 – I ZR 47/81 GRUR 1983, 651, 653 = WRP 1983, 615, 617 – Feingoldgehalt. Siehe auch Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 108.
651 https://doi.org/10.1515/9783110545944-008
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
Verpflichtungen, Befähigung, Status, Zulassung, Mitgliedschaften oder Beziehungen, Auszeichnungen oder Ehrungen, Beweggründe für die geschäftliche Handlung oder die Art des Vertriebs; 4. Aussagen oder Symbole, die im Zusammenhang mit direktem oder indirektem Sponsoring stehen oder sich auf eine Zulassung des Unternehmers oder der Waren oder Dienstleistungen beziehen; 5. die Notwendigkeit einer Leistung, eines Ersatzteils, eines Austauschs oder einer Reparatur; 6. die Einhaltung eines Verhaltenskodexes, auf den sich der Unternehmer verbindlich verpflichtet hat, wenn er auf diese Bindung hinweist, oder 7. Rechte des Verbrauchers, insbesondere solche aufgrund von Garantieversprechen oder Gewährleistungsrechte bei Leistungsstörungen. (2) Eine geschäftliche Handlung ist auch irreführend, wenn sie im Zusammenhang mit der Vermarktung von Waren oder Dienstleistungen einschließlich vergleichender Werbung eine Verwechslungsgefahr mit einer anderen Ware oder Dienstleistung oder mit der Marke oder einem anderen Kennzeichen eines Mitbewerbers hervorruft. (3) Angaben im Sinne von Absatz 1 Satz 2 sind auch Angaben im Rahmen vergleichender Werbung sowie bildliche Darstellungen und sonstige Veranstaltungen, die darauf zielen und geeignet sind, solche Angaben zu ersetzen. (4) 1 Es wird vermutet, dass es irreführend ist, mit der Herabsetzung eines Preises zu werben, sofern der Preis nur für eine unangemessen kurze Zeit gefordert worden ist. 2 Ist streitig, ob und in welchem Zeitraum der Preis gefordert worden ist, so trifft die Beweislast denjenigen, der mit der Preisherabsetzung geworben hat. Art. 6 UGP-RL Irreführende Handlungen (1) Eine Geschäftspraxis gilt als irreführend, wenn sie falsche Angaben enthält und somit unwahr ist oder wenn sie in irgendeiner Weise, einschließlich sämtlicher Umstände ihrer Präsentation, selbst mit sachlich richtigen Angaben den Durchschnittsverbraucher in Bezug auf einen oder mehrere der nachstehend aufgeführten Punkte täuscht oder ihn zu täuschen geeignet ist und ihn in jedem Fall tatsächlich oder voraussichtlich zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst, die er ansonsten nicht getroffen hätte: a) das Vorhandensein oder die Art des Produkts; b) die wesentlichen Merkmale des Produkts wie Verfügbarkeit, Vorteile, Risiken, Ausführung, Zusammensetzung, Zubehör, Kundendienst und Beschwerdeverfahren, Verfahren und Zeitpunkt der Herstellung oder Erbringung, Lieferung, Zwecktauglichkeit, Verwendung, Menge, Beschaffenheit, geografische oder kommerzielle Herkunft oder die von der Verwendung zu erwartenden Ergebnisse oder die Ergebnisse und wesentlichen Merkmale von Tests oder Untersuchungen, denen das Produkt unterzogen wurde; c) den Umfang der Verpflichtungen des Gewerbetreibenden, die Beweggründe für die Geschäftspraxis und die Art des Vertriebsverfahrens, die Aussagen oder Symbole jeder Art, die im Zusammenhang mit direktem oder indirektem Sponsoring stehen oder sich auf eine Zulassung des Gewerbetreibenden oder des Produkts beziehen; d) der Preis, die Art der Preisberechnung oder das Vorhandensein eines besonderen Preisvorteils; e) die Notwendigkeit einer Leistung, eines Ersatzteils, eines Austauschs oder einer Reparatur; f) die Person, die Eigenschaften oder die Rechte des Gewerbetreibenden oder seines Vertreters, wie Identität und Vermögen, seine Befähigungen, seinen Status, seine Zulassung, Mitgliedschaften oder Beziehungen sowie gewerbliche oder kommerzielle Eigentumsrechte oder Rechte am geistigen Eigentum oder seine Auszeichnungen und Ehrungen; g) die Rechte des Verbrauchers einschließlich des Rechts auf Ersatzlieferung oder Erstattung gemäß der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten
Lindacher/Peifer
652
Schrifttum
§5
Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter oder die Risiken, denen er sich möglicherweise aussetzt. (2) Eine Geschäftspraxis gilt ferner als irreführend, wenn sie im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände einen Durchschnittsverbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst oder zu veranlassen geeignet ist, die er ansonsten nicht getroffen hätte, und Folgendes beinhaltet: a) jegliche Art der Vermarktung eines Produkts, einschließlich vergleichender Werbung, die eine Verwechslungsgefahr mit einem anderen Produkt, Warenzeichen, Warennamen oder anderem Kennzeichen eines Mitbewerbers begründet; b) die Nichteinhaltung von Verpflichtungen, die der Gewerbetreibende im Rahmen von Verhaltenskodizes, auf die er sich verpflichtet hat, eingegangen ist, sofern i) es sich nicht um eine Absichtserklärung, sondern um eine eindeutige Verpflichtung handelt, deren Einhaltung nachprüfbar ist, und ii) der Gewerbetreibende im Rahmen seiner Geschäftspraxis darauf hinweist, dass er durch den Kodex gebunden ist.
Schrifttum Schrifttum S. Ahrens Der Irreführungsbegriff im deutschen Wettbewerbsrecht, WRP 1999, 389; ders. Kollektivschadenersatz wegen Wettbewerbsbeschränkungen oder unlauteren Wettbewerbs? – Über Mythen und Problemignoranz, WRP 2015, 1040; Beutel Möglichkeiten und Grenzen von Erfahrungssätzen, WRP 2017, 513; Bornkamm Irrungen, Wirrungen. Der Tatbestand der Irreführung durch Unterlassen, WRP 2012, 1; ders. Der lauterkeitsrechtliche Schutz vor Verwechslungen: Ein Kuckucksei im Nest des UWG? FS Loschelder (2010) 31; ders. Die Schnittstellen zwischen gewerblichem Rechtsschutz und UWG – Grenzen des lauterkeitsrechtlichen Verwechslungsschutzes, GRUR 2011, 1; Hefermehl Zum Verbot irreführender Werbung, FS Wilde (1970) 40; Henning-Bodewig Relevanz der Irreführung, UWG-Nachahmungsschutz und die Abgrenzung Lauterkeitsrecht/IP-Rechte, GRUR Int 2007, 986; Himmelsbach Irreführende Werbung durch nicht ausreichend lesbare Fußnotentexte, K&R 2006, 423; Hoeren Das neue UWG – der Regierungsentwurf im Überblick, BB 2008, 1182; Hösl Interessenabwägung und rechtliche Erheblichkeit der Irreführung bei § 3 UWG, 1986; Kisseler Preiswahrheit und Preisklarheit in der Werbung, FS Traub (1994) 163; Klette Zur sog. Additionsmethode bei Mehrfach-Irreführungen, GRUR 1983, 414; Köhler Vom deutschen zum europäischen Lauterkeitsrecht – Folgen der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken für die Praxis, NJW 2008, 3032; ders. Gesundheitsversprechen in der Lebensmittelwerbung: Die wettbewerbsrechtliche Sicht, ZLR 2008, 135; ders. Die UWG-Novelle 2008, WRP 2009, 109; ders. Richtlinienumsetzung im UWG – eine unvollendete Aufgabe, WRP 2013, 403; Kothe Die Durchführung und Abwicklung von Verträgen im Blickpunkt des Lauterkeitsrechts, VuR 2017, 403; Lettl Der lauterkeitsrechtliche Schutz vor irreführender Werbung in Europa, 2004; ders. Der Schutz der Verbraucher nach der UWG-Reform, GRUR 2004, 449; ders. Irreführung durch Lock(vogel)angebote im derzeitigen und künftigen UWG, WRP 2008, 155; ders. Irreführung nach § 5 Abs. 1 UWG und Blickfangwerbung, WM 2018, 841; Lindacher Allgemeines Irreführungsverbot und konditioniertes Informationsgebot – Doppelgleisiger lauterkeitsrechtlicher Schutz materialer Privatautonomie, FS Spellenberg (2010) 43; ders. Das lauterkeitsrechtliche Irreführungsverbot – Tatbestandsprägung durch empirische und normative Elemente, FS G.H. Roth (2011) 461; Mankowski Die durch Marketing beeinflusste Willenserklärung – Wertungslinien zwischen Lauterkeitsrecht und Zivilrecht, FS Köhler (2016) 477; Ohly Irreführende vergleichende Werbung – Anmerkungen zu EuGH „Pippig Augenoptik/Hartlauer, GRUR 2003, 641; Omsels Die gechäftliche Entscheidung, WRP 2016, 553; Peifer Die Zukunft der irreführenden Geschäftspraktiken, WRP 2008, 556; Roderburg Das lauterkeitsrechtliche Irreführungsverbot in Deutschland und Belgien, Diss. Trier 2007; Sack Irreführende Werbung mit wahren Angaben, FS Trinkner (1995) 293; ders. Die relevante Irreführung im Wettbewerbsrecht, WRP 2004, 521; ders. Die Verwechslungsgefahr im Marken- und Wettbewerbsrecht – einheitliche Auslegung?, WRP 2013, 8; ders. Immanente Schranken des Irreführungsverbots, FS Köhler (2014) 555; Schimansky Irreführung des Bankkunden durch Kontoauskunft am Geldautomaten? BKR 2003, 179; M. Schmidt Verschiebung markenrechtlicher Grenzen lauterkeitsrechtlicher Ansprüche nach Umsetzung der UGP-Richtlinie, GRUR-Prax 2011, 159; Schork Imitationsmarketing – Die irreführende Produktvermarktung nach Art. 6 Abs. 2 lit. a UGP-RL, § 5 Abs. 2 UWG, 2011;
653
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
Schünemann „Unlauterkeit“ in den Generalklauseln und Interessenabwägung nach neuem UWG, WRP 2004, 925; Schwippert Irreführung wegen schuldhafter Pflichtverletzung, FS Hecker (2016) 293; Spliethoff Verkehrsauffassung und Wettbewerbsrecht, 1992; Steinbeck Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken: Irreführende Geschäftspraktiken – Umsetzung in das deutsche Recht, WRP 2006, 632; Stillner Irreführung über Verbraucherrechte – Das Aus für die „Flucht in die Rechtsauffassung“, WRP 2015, 438; Strepp Irreführung und Verwechslungsgefahr – Einige dogmatische Aspekte des Verhältnisses von Wettbewerbs- und Markenrecht, 2000; Szalai Rechtsdurchsetzung im Lauterkeitsrecht, DZWiR 2014, 1; Tilmann Irreführende Werbeangaben und täuschende Werbung, GRUR 1976, 544; Waclawik Die Musterfeststellungsklage, NJW 2018, 2921; Weidert In „Bio“ we trust: Werbung mit Genehmigungen, Gütesiegeln und anderen Qualitätskennzeichen, GRUR-Prax 2010, 351; Wiring § 5 UWG über irreführende Handlungen: Eine Norm, die irreführt, NJW 2010, 580.
Systematische Übersicht A.
Systematische Übersicht Einleitung | 1 I. Gesetzesgeschichte | 1 1. Früheres Recht | 1 2. Das UWG 2008/2015 | 4 II. Inhalt und Zweck der Regelung | 8 1. Regelungsinhalt | 8 2. Normzweck | 9 III. Anwendungsbereich | 10 1. Gegenständlicher Anwendungsbereich | 10 a) Die Grundentscheidung: Anknüpfung an das Merkmal „geschäftliche Handlung“ | 10 b) Anwendungsschwerpunkt: Irreführung als Mittel der Herbeiführung von Geschäftsabschlüssen | 11 c) Irreführung durch Geltendmachung von Scheinansprüchen | 14 d) Irreführung als Mittel der Anspruchsabwehr sowie der Blockierung von Vertragslösungsrechten | 16 e) Sonderproblem: Schlechtund Mindererfüllung | 18 f) Keine geschäftlichen Handlungen | 19 2. Personeller Anwendungsbereich: Normadressaten des Irreführungsverbots | 21 a) Persönlich-rechtsförmlicher Anwendungsbereich | 21 b) Persönlich-tätigkeitsbezogener Anwendungsbereichereich | 22 aa) Adressat: Jedweder Unternehmensträger | 22 bb) Adressat: öffentlichrechtliche Körper-
Lindacher/Peifer
B.
schaften und Anstalten | 26 cc) Verbraucherverbände | 27 dd) Förderung fremder Geschäftszwecke | 28 3. Öffentliche Werbung und Einzelwerbung | 29 Allgemeine Voraussetzungen | 30 I. Angaben | 30 1. Begriff | 30 2. Abgrenzung | 33 a) Werturteile | 33 b) Reklamehafte Übertreibungen | 36 c) Assoziative Werbung | 42 d) Allgemeine Kaufappelle und sonstige nichtssagende Anpreisungen | 46 aa) Kaufappelle | 46 bb) Nichtssagende Anpreisungen | 47 e) Qualifikation im Einzelfall: Maßgeblichkeit der Verkehrsauffassung | 49 3. Irrelevanz der Ausdrucksform (§ 5 Abs. 3 2. Alt) | 50 4. Gebrauch einer Unternehmens-, Verbands-, Produkt- oder Verfahrensbezeichnung | 53 5. Handeln und Unterlassen | 55 6. Werbung mit Äußerungen Dritter | 58 II. Irreführung | 61 1. Begriff: Irreführung als mehrschichtiges Tatbestandsmerkmal | 61 2. Verkehrsauffassung | 64 a) Verkehrsauffassung als empirische Figur | 64 b) Praxisszenarien | 69
654
Systematische Übersicht
c)
d)
e)
f)
g)
h)
655
Maßgeblicher Verkehrskreis | 71 aa) Verbraucher- und Fachkreise | 71 (1) Verbraucheransprache | 72 (2) Fachkreise | 76 (3) Mehrere Verkehrskreise | 79 (4) Einzelansprache | 82 bb) Regionale Verkehrsauffassung | 83 Situationsbedingtheit des Verkehrsverständnisses: variabler Grad der Aufmerksamkeit | 85 aa) Art der Ansprache | 86 bb) Produktbezug | 87 cc) Medienbezug | 88 dd) Adressatenbezug | 89 ee) Sonderfall: Informationsnachfrage | 90 ff) Bewegliches System | 92 Kriterien für die Ermittlung der Verkehrsauffassung | 93 aa) Objektiver Eindruck | 93 bb) Gesamteindruck | 95 cc) Situativtät | 101 dd) Wort- und Bildwitz | 102 Blickfang- und Schlagwortwerbung | 103 aa) Grundaussagen | 103 bb) Begriff | 109 cc) Blickfangteilhabe/ -relativierung | 110 dd) Negative Voraussetzung: keine objektive Unrichtigkeit, keine instrumentalisierte Mehrdeutigkeit | 112 Verkehrskreisbestimmung bei ihrer Art nach planmäßig auf Flüchtigkeit setzenden Praktiken | 114 Wandel der Verkehrsauffassung | 116
§5
i)
3.
4.
Terminologie: „relevanter Verkehr“ | 118 Modalitäten der Irreführung | 119 a) Objektiv unrichtige Angaben | 119 b) Mehrdeutige Angaben | 124 c) Komplexe Angaben | 129 d) Unklare Angaben | 130 e) Objektiv zutreffende Angaben | 132 aa) Grundsatz | 132 bb) Werbung mit Selbstverständlichkeiten | 133 cc) Angaben mit assoziativer Zweitbedeutung | 145 f) Unsichere Vorstellungen auslösende Angaben | 148 g) Unvollständige Angaben | 153 h) Übertreibende Angaben | 173 i) Fortwirkende Irreführung | 175 j) Erkannte Falschbezeichnung | 179 Spitzenstellungswerbung | 181 a) Erscheinungsformen | 181 b) Allgemeine Richtlinien | 182 aa) Spitzenstellungsberühmung als belastbare Tatsachenbehauptung oder als erkennbar subjektive Selbsteinschätzung | 182 bb) Marktabgrenzung | 186 (1) Sachlich relevanter Markt | 187 (2) Örtlich relevanter Markt | 190 (3) Personeller Bezug | 191a cc) Stetigkeit und Abstandssignifikanz | 192 dd) Spitzengruppenwerbung | 194 ee) Behauptung künftiger Spitzenstellung | 195
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
ff)
III.
Gebot korrekter Wiedergabe eines bestehenden Vorsprungs | 196 gg) Abgrenzung: Bezugnahme auf Tests und drittseits vergebene Auszeichnungen | 197 hh) Abgrenzung: Eigenvergleich | 198 c) Alleinstellungswerbung: Ausdrucksmittel | 199 aa) Superlativ | 199 bb) Komparativ | 203 cc) Negativer Komparativ | 206 dd) Bestimmter Artikel | 210 ee) Sonstige Umschreibung | 214 ff) Geografische Bezeichnungen | 216 d) Alleinstellungswerbung: Einzelfragen | 221 aa) Unternehmensbezogene Alleinstellung | 221 (1) Das Größte | 222 (2) Das Führende | 223 (3) Das Erste | 224 bb) Produktbezogene Alleinstellung | 225 cc) Preiswerbung | 228 dd) Alleinstellungsberühmung mit Welt- bzw. Europabezug | 231 e) Spitzengruppenwerbung: Ausdrucksmittel | 235 Geschäftliche Relevanz | 238 1. Grundlagen | 238 a) Begriff und Zweck | 238 b) Relevanzerfordernis und Unionsrecht | 239 c) Standort im Irreführungstatbestand | 241 d) Bedeutung | 244 2. Eignung zur Beeinflussung der geschäftlichen Entscheidung | 245 a) Grundaussagen | 245 b) Objektive Gleichwertigkeit des Angebots | 252
Lindacher/Peifer
c)
IV.
V.
Entfall der Irreführung vor Marktentscheidung | 255 3. Eignung zur Schädigung von Mitbewerbern | 256 4. Keine Relevanzprüfung in Black-List-Fällen | 260 Irreführungsquote | 262 1. Abschied von der Irreführungsquote als quantitativer Aufgreifschwelle | 262 2. Fortwirkende Bedeutung im Rahmen der Bestimmung einer Irreführungsgefahr | 264 3. Restbedeutung gesamtverkehrsbezogener Irreführungsquoten | 267 Interessenabwägung | 268 1. Notwendigkeit ergänzender Interessenabwägung | 268 2. Dogmatik und System | 269 3. Allgemeine Aussagen | 272 4. Typische für eine Interessenabwägung herangezogene Konstellationen | 274 a) Gegeninteressen des Werbenden bzw. der Gruppe gleichartig Werbender | 274 aa) Namensgebrauch | 275 bb) Besitzstand | 276 (1) Langjährige unbeanstandete Praxis | 276 (2) Wirtschaftlich sinnvolle Nutzung eingeführter Kennzeichen | 281 cc) Aktives Informationsinteresse | 282 (1) Fehlende Alternative aus sprachlichen Gründen | 283 (2) Objektiv wahre Angaben | 284 (3) Mehrdeutige Angaben | 285 (4) Zumutbarkeit aufklärender Hinweise | 286 (5) Neue Bezeichnungen | 287
656
Systematische Übersicht
(6)
C.
657
Etablierte Bezeichnungen | 289 (7) Anlehnung an die Gesetzesund Behördensprache | 290 b) Gegeninteressen nicht getäuschter Verkehrskreise bzw. Verkehrsteile | 291 c) Allgemeininteressen | 292 aa) Markttransparenz | 293 bb) Technischer Fortschritt | 295 cc) Marktoffenheit | 296 dd) Freier innerkommunitärer Waren- und Dienstleistungsverkehr | 299 ee) Freihaltebedürfnis | 300 ff) Umweltschutz | 301 gg) Ideelle Allgemeininteressen | 304 Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2 | 305 I. Produktbezogene Angaben, Abs. 1 S. 2 Nr. 1 | 309 1. Verfügbarkeit | 309 a) Allgemeines: Begriff, Abgrenzung, praktische Bedeutung | 309 aa) Begriff und Abgrenzung | 309 bb) (Rest-)Bedeutung der Vorschrift | 312 b) Vorhandensein des Produkts | 314 aa) Ubiquität des Angebots | 315 bb) Aktuelle Verfügbarkeit | 316 (1) Grundsatz | 316 (2) Ausnahmen | 318 (3) Versandeinzelhandel | 320 (4) Erwartungshaltungen außerhalb des Einzelhandels | 321 (5) Herstellerwerbung | 322
§5
cc)
2.
Hinreichender Vorrat | 323 dd) Zeitraum | 327 ee) Lieferunfähigkeit ohne Verschulden und verschuldete Lieferunfähigkeit in Ausreißerfällen | 331 (1) Höhere Gewalt und sonstiges Fehlen von Verschulden | 331 (2) Ausreißer | 335 (3) Darlegungsund Beweislast | 337 ff) Ausschluss der Irreführung durch klarstellenden Hinweis | 338 gg) Sonderfallgestaltung: Zugabeware | 342 c) Angemessene Leistungskapazität | 343 Art, Ausführung, Zusammensetzung, Beschaffenheit, Zubehör | 346 a) Überblick | 346 b) Art | 348 aa) Begriff und allgemeine Grundsätze | 348 bb) Kunst- und Ersatzstoffe | 361 (1) Irreführende Anlehnung an eingeführte Stoffbezeichnungen | 361 (2) Verbotsgegeninteressen | 362 (3) Denaturierende Zusätze | 364 (4) Echt/original | 370 (5) Anlehnung und Qualitätserwartung | 372 cc) Bedeutungswandel | 373 dd) Gesetzliche Bezeichnungsvorschriften, schlichte Bezeichnungskodizes | 374 (1) Lebensmittel | 375
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
(2)
c)
d)
e)
Lindacher/Peifer
Alkoholika | 376 (3) Sonstige Bereiche | 377 Ausführung, Zubehör | 379 aa) Allgemeine Kennzeichnung | 379 bb) Technische Produkte | 380 cc) Dienstleistungen | 382 Zusammensetzung | 383 aa) Allgemeines | 383 bb) Positive Produktaussagen | 384 cc) Freiheit von Zusatz-, insbes. Schadstoffen | 387 (1) Lebensmittel | 388 (2) Kosmetika | 398 (3) Heilmittel | 399 Beschaffenheit | 400 aa) Allgemeines | 400 bb) Allgemeine Qualitätsaussagen | 401 cc) Marktbedeutung und Verkehrsanerkennung | 423 (1) Allgemeines | 423 (2) Weltstellungsberühmungen | 424 (3) Markenware und Markenqualität | 430 dd) DIN-Angaben | 436 ee) Amtliche Prüfung und Anerkennung | 437 ff) Gütezeichen | 439 (1) Begriff und Abgrenzung | 439 (2) Einzelaussagen | 441 gg) Schlichte Drittanerkennung, Kundenempfehlungen | 446 hh) Intensität der Vornutzung bei Gebrauchtwaren | 448 ii) Mängelfreiheit | 449
3.
4.
Wirkung | 451 a) Begriff und Abgrenzung | 451 b) Leistungs- und Wirkaussagen bei technischen Erzeugnissen | 452 c) Erfolgsversprechen bei Dienstleistungen | 456 d) Gesundheitsbezogene Wirkaussagen | 457 aa) Krankheitsbezogene Angaben | 458 (1) Anh. Nr. 18 | 458 (2) Lebensmittel, § 11 LFBG mit § 7 LMIV | 459 (3) Diätetische Lebensmittel, § 3 DiätVO | 461 (4) Arzneimittel, Medizinprodukte und gleichgestellte Mittel, §§ 8 Abs. 1 Nr. 2 AMG, 3, 12 HWG | 462 bb) Schlicht gesundheitsbezogene Angaben (einschließlich nährwertbezogener Angaben) | 463 cc) Sondergesetzliche Werbe- und Irreführungsverbote und Anh. Nr. 18/§ 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 | 466 e) Wirkaussagen bei Kosmetikprodukten | 469 f) Umweltverträglichkeit | 470 aa) Allgemeines | 470 bb) Umweltschlagworte | 473 cc) Umweltzeichen | 478 (1) Blauer Engel | 479 (2) Europäische Blume | 485 dd) „Frei von …“ | 487 Zwecktauglichkeit und Verwendungsmöglichkeit | 489 a) Begriffe und Abgrenzung | 489
658
Systematische Übersicht
Zwecktauglichkeit | 490 Verwendungsmöglichkeit | 491 Vorteile und Risiken | 493 a) Begriffe und Abgrenzung | 493 b) Risiken: Fallgruppen | 494 aa) Vertragliche Risikoabdeckung | 494 bb) Risikoverträge | 495 cc) Missachtung gesetzlicher Warnpflichten | 496 Art und Weise der Herstellung bzw. Leistungserbringung | 497 a) Begriff und Abgrenzung | 497 b) Handwerkliche Fertigung | 498 c) Herstellung nach einem bestimmten Verfahren, System oder Rezept | 501 d) Abgrenzung: Denaturierte Bezeichnungen | 502 e) Insbesondere: Ökologischer Landbau | 504 Lieferung | 507 a) Begriff und Abgrenzung | 507 b) Lieferzeit | 508 c) Lieferort | 509 d) Art des Vertriebs | 510 Zeitpunkt der Herstellung oder Erbringung | 511 a) Begriff und Abgrenzung | 511 b) Neuheitswerbung | 512 aa) Allgemeines | 512 bb) Marktneuheit | 513 cc) Neuheit im patentrechtlichen Sinn | 514 dd) Aktualität | 515 ee) Neu im Konträrsinn von gebraucht | 516 ff) Sortimentsneuheit | 520 c) Alterswerbung | 521 Menge | 523 a) Begriff, Bedeutung, Abgrenzung | 523 b) Mengenangabe | 525 c) Quantitative Erwartungsenttäuschung | 526 b) c)
5.
6.
7.
8.
9.
659
§5
d)
10.
11.
Insbesondere: Mogelpackungen | 530 e) Insbesondere: Füllmengenreduzierung | 533 Geographische Herkunftsangaben | 534 a) Bedeutung und Schutzbedarf | 534 b) Schutzregime: Kein Vorrang des Kennzeichenrechts | 536 c) Begriff, Arten, Abgrenzung | 541 aa) Begriff | 541 bb) Arten | 542 (1) Unmittelbare – mittelbare Herkunftsangaben | 542 (2) Einfache – qualifizierte Herkunftsangaben | 545 cc) Abgrenzung: geografische Angaben ohne Herkunftshinweis | 546 d) Maßgeblicher Herkunftsort | 547 e) Gebietsmäßige Eingrenzung | 552 f) Irreführung durch usurpatorische Verwendung geschützter Bezeichnungen | 554 g) Enttäuschte Spezifikationserwartung | 557 h) Irreführung durch Verwendung von Scheinherkunftsangaben | 558 i) Irreführung bei Nutzung als Unternehmenskennzeichen | 559 j) Sonderfall: personengebundene Herkunftsangaben | 560 Betriebliche Herkunft | 561 a) Allgemeines | 561 b) Schutzregimefrage: vom Vorrang des Markenrechts zum Gebot der Berücksichtigung kennzeichenrechtlicher Wertungen | 563 c) Zum Verhältnis § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1–§ 5 Abs. 2 | 566
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
d)
12.
Betriebliche Herkunftsangabe: Begriff, Arten, Abgrenzung | 568 aa) Begriff | 568 bb) Arten | 570 cc) Abgrenzung | 571 e) Produktähnlichkeit und verwechslungsträchtige Werbung | 573 f) Irreführung durch usurpatorische Verwendung fremder Kennzeichen | 575 g) Irreführung durch Eigenzeichengebrauch | 577 h) Sonderproblem: Original Ersatzteile | 578 i) Sonderproblem: Lizenzanfertigung | 580 j) Sonderproblem: Markenpriorität | 581 k) Bedeutungswandel | 582 aa) Umwandlung von Gattungsbezeichnungen in betriebliche Herkunftsangaben | 582 bb) Umwandlung von geografischen Herkunftsangaben in betriebliche Herkunftsangaben | 584 cc) Umwandlung von betrieblichen Herkunftsangaben in Gattungsbezeichnungen | 585 dd) Verbot der konkreten Irreführungsform trotz allgemeiner Bezeichnungsverwendungsbefugnis | 586 l) Geschäftliche Relevanz | 587 Testergebnisse | 589 a) Allgemeines | 589 b) Irreführung über die Rangzugehörigkeit | 592 c) Veraltete Tests | 595 aa) Grundsatz | 595 bb) Neuere Testergebnisse | 596 cc) Änderung des Stands der Technik | 598 dd) Änderung des wettbewerblichen Umfelds | 600
Lindacher/Peifer
II.
ee) Zeitablauf als solcher | 601 d) Irreführung über den Testveranstalter | 602 e) Irreführung über die Neutralität und Sachkunde | 603 f) Irreführung über die Repräsentativität | 604 g) Irreführung über das getestete Produkt | 605 aa) Verallgemeinerung eines Einzelergebnisses | 606 bb) Produktänderungen | 607 cc) Baugleichheit | 609 h) Selektive Testwerbung | 610 i) Irreführung über die inhaltliche Testausrichtung | 612 j) Sonderfallgestaltung: Konsumenten-Tests | 613 k) Fundstellennachweis | 614 13. Kundendienst und Beschwerdeverfahren | 615 a) Allgemeines | 615 b) Kundendienst | 619 c) Beschwerdeverfahren | 621 14. Seltenheit und Singularität | 622 Preis, Preisberechnung und besondere Preisvorteile, Vertragsbedingungen, Abs. 1 S. 2 Nr. 2 | 623 1. Normstruktur im Lichte unionsrechtlicher Vorgaben | 623 2. Irreführung über den Preis | 626 a) Allgemeines | 626 b) Preiswerbung im Spiegel allgemeiner Grundsätze | 629 aa) Preiswerbung und Erfordernis einer Angabe i.S. von § 5 | 629 bb) Blickfangwerbung | 630 cc) Viel- und Mehrdeutigkeit | 632 dd) Divergenz von Vorstellung und Realität | 635
660
Systematische Übersicht
c)
d)
e)
661
Konkurrentenbezogene Preisgünstigkeitsberühmung | 636 aa) Erscheinungsformen | 636 bb) Preisvergleiche mit konkretem Konkurrentenbezug | 637 cc) Preisvergleiche mit abstraktem Konkurrenzbezug | 644 dd) Sonstige Niedrigpreisberühmung im Verhältnis zur Konkurrenz | 646 Preisgünstigkeitsberühmung durch Bezugnahme auf empfohlene Preise | 647 aa) Grundsätzliche Zulässigkeit | 647 bb) Zulässigkeitsschranken | 648 (1) Mondpreis | 649 (2) Verdeutlichung des rein empfehlenden Charakters | 651 (3) Keine Irreführung über Konkurrentenverhalten | 654 (4) Bestehen einer Herstellerempfehlung | 655 (5) Berühmung bei Alleinvertriebsrecht | 657 (6) Keine Irreführung über Vergleichsgegenstand | 658 Preissenkungswerbung | 659 aa) Grundsätzliche Zulässigkeit, Schrankennormen, Darlegungs- und Beweislastkompensation | 659 bb) Erscheinungsformen | 660 cc) Preissenkungswerbung in der Form des Eigenpreisvergleichs | 661 (1) Tatsächlich und ernsthaft | 662
§5
(2)
3.
Unmittelbar vor der beworbenen Preissenkung | 665 (3) Aktualität | 667 (4) Gleichheit des Angebots | 668 (5) Gesamtsortimentsbezogene Rabattankündigungen | 669 (6) Spannen/Preissenkungsumfang | 671 dd) Schlichte Preissenkungswerbung | 672 f) Irreführung durch selektive Niedrigpreisstellung? | 675 g) Preisgünstigkeitsberühmung durch Nennung eines besonderen Verkaufsgrunds | 679 h) Preislisten | 680 i) Eck- und Margenpreise | 682 j) Preisangabe und Mehrwertsteuer | 683 k) Kopplungsangebote | 686 l) Reduzierter Gesamtpreis (Mehrfachgebinde) | 688 m) Irreführung über die (Gesamt-)Belastung durch Verdeckung von Provisionspflichten | 689 n) Irreführung über das PreisLeistung-Verhältnis durch unvollständige Produktbeschreibung | 691 o) Preisspaltung und divergente Preisankündigung | 694 aa) Unterschiedliche Preise | 694 bb) Divergente Preisankündigung | 696 p) Preisschaukelei | 697 q) Teilzahlungswerbung | 698 r) Preisgarantien | 704 s) Preisschlagworte | 706 Irreführung über die Preisberechnung | 749
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
4.
III.
Irreführung über den Anlass des Verkaufs, über die Bezugsart und die Bezugsquelle | 750 a) Anlass des Verkaufs | 750 aa) Allgemeines | 750 bb) Scheinsonderveranstaltungen | 752 (1) Abschnittsverkäufe | 753 (2) Jubiläumsverkäufe | 755 (3) Räumungsverkäufe | 759 cc) Insolvenzverkäufe | 764 dd) Sonstige Fälle | 767 b) Bezugsart und Bezugsquelle | 769 aa) Begriffe, Abgrenzungsfragen | 769 bb) Hersteller- und Großhändlerbezug | 772 (1) Allgemeines | 772 (2) Herstellerbezug | 773 (3) Großhändlerbezug | 775 cc) Irreführung über den gewerblichen Charakter des Angebots | 777 5. Konditionenbezogene Irreführung | 779 a) Allgemeines | 779 b) Leistungszeit | 782 c) Leistungsort | 783 d) Garantien | 784 aa) Defizitäre Garantien | 785 bb) Garantiedauer | 788 cc) Hersteller- und Händlergarantie | 790 dd) Legitime Garantiewerbung | 792 Unternehmer- und unternehmensbezogene Angaben, Abs. 1 S. 2 Nr. 3 | 794 1. Allgemeines | 794 2. Person | 797 a) Identität | 797 aa) Erscheinungsformen der Identitätstäuschung | 797 bb) Modalitäten der Irreführung | 798
Lindacher/Peifer
cc)
3.
Informationsgebote | 800 b) Rechtsform und Beteiligungsverhältnisse | 801 aa) Rechtsform | 802 bb) Beteiligungsverhältnisse | 804 Eigenschaften und Rechte | 806 a) Vermögen einschließlich Rechte des geistigen Eigentums | 806 aa) Rechte des geistigen Eigentums | 807 (1) Erscheinungsformen und jeweilige Eigenart | 807 (2) Bestand des Schutzrechts | 810 (3) Auf ein anderes, insbesondere höherwertiges Schutzrecht hindeutende Bezeichnungen | 813 (4) Teilschutz | 816 (5) Verfahrenspatent | 818 (6) Hinweis auf bloße Schutzrechtsanmeldung | 819 (a) Abkürzungen | 820 (b) Offenlegung der Patentanmeldung | 821 (c) Hinweis vor Offenlegung | 822 (d) Fehlendes Schutzfähigkeit | 823 (e) Gebrauchsmuster | 824 (7) Ausländische Schutzrechte | 825 (8) EPÜ-Patente | 830 (9) Werbung mit internationalem Patentschutz | 834 bb) Sonstiges Vermögen | 838 b) Umfang der Verpflichtungen | 840
662
Systematische Übersicht
c)
663
aa) Unionsrechtlicher Hintergrund | 840 bb) Einzelfragen | 842 Befähigung | 843 aa) Begriff und Abgrenzung | 843 bb) Akademische Bezeichnungen | 845 (1) Berechtigung | 846 (2) Bezeichnungsführung in neutraler und fachrichtungsbezogener Form | 849 (3) Sonderproblem: akademische Namensattribute in der Gesellschaftsfirma | 851 (4) Sonderproblem: akademische Namensattribute in der abgeleiteten Firma | 854 (5) Sonderproblem: akademische Bezeichnungen in Sachfirmen | 856 (6) Ausländische akademische Bezeichnungen | 858 cc) Meister | 861 dd) Gesetzlich geschützte Unternehmens- und Berufsbezeichnungen | 865 (1) Allgemeines | 865 (2) Unternehmensbezeichnungen | 866 (3) Berufsbezeichnungen | 867 (a) Arzt, Zahnarzt, Facharzt, Tierarzt | 868 (b) Apotheker | 872 (c) Heilpraktiker | 873 (d) Rechtsanwalt, Patentanwalt, Fachanwalt | 874
§5
(e)
Steuerberater, Wirtschaftsprüfer | 878 (f) Architekt | 879 (g) Ingenieur | 881 (h) Sonstige geschützte Bezeichnungen | 882 ee) Gesetzlich nicht geschützte Berufsbezeichnungen | 884 (1) Bezeichnungskreierung in Anlehnung an geschützte Berufsbezeichnungen | 885 (2) Auf akademische Berufe bzw. einen qualifizierten Ausbildungsberuf hindeutende Berufsbezeichnungen | 887 (3) „Anerkannt“/ „geprüft“ | 888 ff) Sachverständiger | 891 (1) Falscher Schein öffentlicher Bestellung | 892 (2) Mindestverkehrserwartungen an durch Privatorganisationen anerkannte Sachverständige | 895 (3) Mindestverkehrserwartung bei Selbstbezeichnung als „Sachverständiger“ | 896 (4) Fachfremde Instrumentalisierung der Eigenschaft als öffentlich bestellter/anerkannter Sachverständiger | 897 gg) Fachmann/ Spezialist | 898 (1) Fachmann | 898 (2) Spezialist | 901
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
d)
Lindacher/Peifer
Status | 903 aa) Begriff und Abgrenzung | 903 bb) Unternehmenstradition | 905 (1) Unternehmenskontinuität | 906 (2) Ausdrucksformen der Alterswerbung | 908 (3) Alterswerbung in Alleinstellungsform | 910 (4) Unternehmensbezogene Alterswerbung und sonstige Traditionswerbung | 911 (5) Traditionswerbung bei Geschäftszweigänderung | 913 (6) Unbeachtliche Falschangaben aus Gründen der Besitzstandswahrung | 914 cc) Bedeutung, Größe, Aktionsradius | 915 (1) Anmaßende Geschäftsbezeichnungen | 916 (2) Sonstiges Hochstapeln | 961 dd) Personal und Mitarbeit | 970 (1) Irreführung über den Mitarbeiterstamm | 971 (2) Irreführung über die Qualifikation von Mitarbeitern | 972 (3) Fremdfirmeneinsatz, Leiharbeit | 976 (4) Insbesondere: Anwaltsozietät und Anwaltkooperation | 978 (a) Sozietäten | 978 (b) Kooperation | 981
e)
f)
g)
Zulassung | 982 aa) Begriff und Abgrenzung | 982 bb) Einzelfälle | 985 Mitgliedschaften oder Beziehungen | 986 aa) Begriff und Abgrenzung | 986 bb) Hinweis auf Verbandszugehörigkeit | 987 cc) Autoritätsleihe | 990 (1) Anlehnung an Staat oder sonstige öffentliche Einrichtung | 991 (2) Sonstige Anlehnung | 1001 (3) Normative Korrekturen einer verbleibenden Irreführungsgefahr | 1002 dd) Vertragshändler, Vertragswerkstatt, Kundendienst | 1003 ee) Referenzkunden | 1007 Auszeichnungen und Ehrungen | 1008 aa) Begriff und Abgrenzung | 1008 bb) Arten | 1011 cc) Irreführungsfallgestaltungen | 1012 (1) Irreführung über Bestand, Art und Grund der Auszeichnung | 1012 (2) Irreführung über die verleihende Stelle | 1013 (3) Irreführende Kommentierung | 1014 (4) Irreführung über den Träger der Auszeichnung | 1015 dd) Auszeichnungshinweis und Qualitätsberühmung | 1016
664
Systematische Übersicht
IV.
V.
VI.
665
ee) Insbesondere: Werbung mit Umweltpreisen | 1018 h) Berufskreisspezifische wesentliche Eigenschaften | 1019 i) Beweggründe für die geschäftliche Handlung | 1020 aa) Begriff und Abgrenzung | 1020 bb) Beispielsfall: Non-profit-Berühmungen | 1022 j) Unternehmensgegenstand, Unternehmensstandort, Bedienungssystem | 1026 aa) Unternehmensgegenstand | 1026 bb) Unternehmensstandort | 1028 cc) Bedienungssystem | 1029 k) Hersteller- und Großhändlereigenschaft | 1031 Sponsoring und Zulassung, Abs. 1 S. 2 Nr. 4 | 1033 1. Unionsrechtlicher Hintergrund, Abgrenzung | 1033 2. Sponsoring | 1034 a) Allgemeines | 1034 b) Zentrale Bedeutung des Irreführungsverbots | 1037 c) Aussagen oder Symbole mit Sponsoringbezug | 1038 d) Fallgruppen potentieller Irreführung | 1039 e) Ambush Marketing | 1042 f) Sponsoringwerbung durch den Gesponserten | 1043 g) Darlegungs- und Beweislast | 1044 3. Zulassung | 1045 Notwendigkeit einer Leistung, eines Ersatzteils, eines Austausches oder einer Reparatur, Abs. 1 S. 2 Nr. 5 | 1048 1. Unionsrechtlicher Hintergrund, Abgrenzung | 1048 2. Leistung, Ersatzteil, Austausch, Reparatur | 1050 3. Irreführung | 1051 Einhaltung eines Verhaltenskodexes, Abs. 1 S. 2 Nr. 6 | 1055 1. Unionsrechtlicher Hintergrund, Abgrenzung | 1055
§5
Verhaltenskodex | 1059 Unterwerfung unter den Kodex | 1061 4. Irreführung | 1062 5. Geschäftsentscheidungsrelevanz | 1066 VII. Rechte des Verbrauchers, Abs. 1 S. 2 Nr. 7 | 1067 1. Unionsrechtlicher Hintergrund, Abgrenzung | 1067 2. Irreführung als Mittel der Anspruchsabwehr | 1070 3. Irreführung als Mittel der Blockierung von Vertragslösungsrechten | 1072 4. Sonderproblem: Anspruchsabwehr bzw. Blockierung von Vertragslösungsrechten durch unrichtige Angaben zur Rechtslage| 1075 VIII. Irreführende Geschäftspraktiken außerhalb des Katalogs von Abs. 1 S. 2 | 1076 1. Überblick | 1076 2. Verdeckte Vertragsangebote | 1078 3. Rechnungsähnlich aufgemachte Angebotsschreiben | 1080 Irreführung im Zusammenhang mit der Produktvermarktung (§ 5 Abs. 2) | 1081a I. Entwicklung und Abgrenzungen | 1081a II. Norminhalt | 1081b 1. Vermarktung von Waren oder Dienstleistungen | 1081b 2. Hervorrufen von Verwechslungsgefahr und Marktentscheidungsrelevanz | 1081c Vergleichende Werbung und Bildwerbung (§ 5 Abs. 3) | 1081e Besondere Beweislastregel bei Werbung mit Preisherabsetzung (§ 5 Abs. 4) | 1081h Verfahrensfragen | 1082 I. Die Rechtsfolgenseite | 1082 1. Überblick: Defensiver und repressiv-restituierender Schutz, Gewinnabschöpfung | 1082 2. Schutzumfang des Verletzungsunterlassungsanspruchs | 1083 II. Antragswahl und -fassung bei Unterlassungsbegehren: konkrete Verletzungsform – zulässige Verallgemeinerung | 1085 2. 3.
D.
E. F. G.
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
III.
Beweis, Beweismittel, Beweislast | 1089 1. Die Feststellung der Verkehrsauffassung sowie der geschäftlichen Relevanz allfälliger Irreführung als Tatsachenfeststellung | 1089 2. Erheblichkeit und Beweisbedürftigkeit des Fehlvorstellungsvorbringens | 1090 3. Feststellung der Verkehrsauffassung ohne Beweis | 1092 4. Feststellung der Geschäftsentscheidungsrelevanz ohne Beweis | 1097 5. Beweiserhebung über die Verkehrsauffassung | 1099 a) Kammer- und Verbandsauskunft | 1100 b) Meinungsforschungsgutachten | 1102 c) Entscheidungskriterien | 1105 6. Darlegungs- und Beweislast | 1106 a) Der Grundsatz: Darlegungsund Beweislast des Klägers | 1106 b) Ausnahmen und Lockerungen | 1107 aa) Beweislastumkehr nach § 5 Abs. 4 S. 2 | 1107 bb) Ausnahmen sowie Behauptungs- und Beweiserleichterungen ungeschriebenen Rechts | 1109
(1)
c)
Absenkung der Substantiierungslast bei Erweiterung der Erklärungslast der Gegenpartei nach dem Näheprinzip | 1109 (2) Absenkung der Substantiierungslast bei Erweiterung der Erklärungslast der Gegenpartei jenseits des Näheprinzips? | 1111 (3) Sonderfallgestaltung: bezugnehmende Werbung | 1114 (4) Beweislastzuweisung bei Werbung mit fachlich umstrittenen Behauptungen | 1115 (5) Richtlinienverträglichkeit des Darlegungs- und Beweislastregimes nationalen Rechts | 1116 (6) Vorprozessuale Aufklärungspflicht | 1119 Sonderproblem: Darlegungsund Beweislast und Interessenabwägung | 1121
Alphabetische Übersicht Alphabetische Übersicht Abbildungen 50 f., 544, 912, 962 f. „ab“-Preise 682 Abholpreis 162, 509 Abkürzungen 32, 653 „AG“ 802 „Akademie“ 998 Akademische Bezeichnungen 845 ff. – ausländische – 862 ff. – Diplom 852 – Doktortitel 849 f., 854 f., 868 – Fachnähe 853 f., 872 – in Firma 855 ff. – Master 858. – Professor 851, 853, 862 Aktualitätserwartung – produktsbezogene – 164 ff., 515
Lindacher/Peifer
– Test 595 ff. – Preissenkung 667 Akzessorische Verkehrsauffassung 150, 353, 374 Alkoholika 376 Alleinstellungswerbung 181 ff., 199 ff. – preisbezogene – 228 ff. – produktbezogene – 225 ff. – unternehmensbezogene – 221 ff. – Alleinstellungsberühmung mit Weltund Europabezug 231 ff. Allgemeininteressen (als Verbotsgegeninteressen) 292 ff. „Alt“/„Alt-“ 552 Alterswerbung 224, 521 f., 909 ff. Ambush Marketing 1042 Amtliche Kontrolle/Prüfung 437, 941, 991
666
Alphabetische Übersicht
„anerkannt“ 892 ff., 968 Angaben 30 ff., 119 ff., 629 – mit assoziativer Zweitbedeutung 145 ff. – Ausdrucksform 50 ff. – Definition 30 – In Fragesatzform 52 – komplexe – 129 – mehrdeutige – 124 ff., 632 ff. – Phantasiebezeichnung 546 – objektiv richtige – 132 ff. – risikobehaftete – 280 – übertreibende – 36 ff., 173 f. – objektiv unrichtige – 119 ff. – unvollständige – 153 ff. Angebotsschreiben, rechnungsähnlich aufgemachtes – 1080 f. Anlass 750 ff. Anlehnung – an eingeführte Stoffbezeichnungen 361 ff. – an fremde Zeichen 575 f. – an geografische Herkunft 554 ff. – an kirchliche Stellen 1001 – an Staat und Kommunen 991 ff. Anlockende Wirkung 255, 257 Anmerkungsstern 111 „Anstalt“ 920, 994, 997 Antragswahl und -fassung bei Unterlassungsbegehren 1086 ff. Anwendungsbereich, personeller – 21 ff. Apotheker 876 Architekt 883 f. Art 348 ff. Arzt 868 ff. Assoziative Werbung 42 Assoziative Zweitbedeutung 145 ff. Auflagenhöhe 222, 965 Aufmerksamkeit, Situationsbedingtheit 85 ff. „aus“ … 386 Auskunft der Industrie- und Handelskammer 1100 Ausländische Schutzrechte 829 ff. Auslaufmodell 164 ff., 717 „Auslese“ 402 Ausreißerfälle 331 ff., 450, 527 Austausch, Notwendigkeit eines – 1050 Auszeichnungen 437, 1008 ff. Autoritätsleihe 990 ff. Backwaren 411, 502 „Bank“ 870 Baugleich 403 Bedeutungswandel – Gattungsverengung 373 – Umwandlung von Gattungsbezeichnungen in betriebliche Herkunftsangaben 582 f.
667
§5
–
Umwandlung von geografischen Herkunftsangaben in betriebliche Herkunftsarten 584 – Umwandlung von betrieblichen Herkunftsangaben in Gattungsbezeichnungen 585 Bedienungssystem 1029 f. Befähigung 847 ff. – akademische Bezeichnungen 849 ff. – Meister 865 Berufsbezeichnung – gesetzlich geschützte – 869 ff. – sonstige – 888 ff. Beschaffenheit 400 ff. Beschwerdeverfahren 621 Besitzstand 276 ff. „beste“ 200, 226 Bestimmter Artikel (und Schluss auf Spitzenstellung) 210 ff. Beteiligungsverhältnisse 804 ff. Betriebliche Herkunftsangaben 561 ff. – Arten 570 – Abgrenzung 571 – Bedeutungswandel 582 ff. – Begriff 568 – Eigenzeichengebrauch 577 – Geschäftliche Relevanz 587 – Irreführungsschutz und Markenrecht 563 ff. – Lizenzanfertigung 580 – Markenpriorität 581 – Original-Ersatzteile 578 – Verwendung fremder Kennzeichen 575 f. Beweggründe für die geschäftliche Handlung 1020 ff. Beweisbedürftigkeit 1090 f. Beweiserleichterungen 1109 ff. – Alleinstellungswerbung 1112 – Fachliches Urteil über komplexe Sachverhalte 1115 – Näheprinzip 1109 ff. – Vergleichende Werbung 1114 Beweislast 1044, 1106 ff., 1121 Beweismittel 1099 ff. – Kammer- und Verbandsauskunft 1100 f. – Meinungsforschungsgutachten 1102 Bezeichnungskodizes, schlichte – 378 Bezeichnungsvorschriften, gesetzliche – 374 ff. Bezugnehmende Werbung – Beweislast 1114 – Preiswerbung 636 ff. – Testwerbung 592 ff., 610 f. – Unvollständige Angaben 153 ff. Bezugsart und -quelle 769 ff. Bier 376 Bildwerbung 1081e ff. Binnenmarkt, funktionsfähiger – als Verbotsgegeninteresse 299
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
„bio“/„biologisch“ 393, 504 ff. „bis zu … billiger“ 644, 671 Black-List 7, 260 f., 308 „Blauer Engel“ 479 ff. Blickfangwerbung 103 ff., 630 f. „Börse“ 921 „Center“ 964 Compliance 1060 Co-Regulierung 1059 ff. Darlegungslast 1106 ff. „dauernd billig“ 708 „delikatess“ 404, 406 „demnächst“ 340 Denaturierende Zusätze 364 ff. Denaturierte Bezeichnungen 502 Designschutz 837 „deutsch“ 922 f., 955 Diätetische Lebensmittel 461 „Dienst“ 994, 997 DIN-Angaben 436 Diplom 852 „direkt ab Fabrik“ 718 f. „Direktpreis“ 709 Discountpreis 710 f. Doktortitel 852 ff. Drittäußerungen, Werbung mit – 58 ff. – „nicht in allen Filialen erhältlich“ 315 – Organisationsbedingte Vorratslücken 336 – Produktverfügbarkeit 316 – Traditionswerbung 910 – Bezeichnung als „Zentrale“/„Zentrum“ 963 Dynamische Preise 627, 660, 670 „echt“/„original“ 370 f. Eckpreise 682 Eigenpreisvergleich 659 ff. Einführungspreis 713 ff. Einkaufspreis/Einstandspreis 716 Einzelwerbung 29 Empfohlene Preise 647 ff. – „empf.“ 653 – Empfohlener (Richt-)Preis 652 EPÜ-Patent 834 f. Erfolgsversprechen bei Dienstleistungen 456, 793 Eröffnungspreis 717 Ersatzstoffe 361 ff. Ersatzteil – Original- 578 f. – Notwendigkeit eines – 1048 ff. „erster/erste/erstes“ 224 „erste Wahl“ 405 Etablierte Bezeichnung 289 „Europäisch“/„Euro“ 926 „Europäische Blume“ 485 f. „extra“ 406
Lindacher/Peifer
„Fabrik“ 929 – „direkt ab Fabrik“ 718 f. „Fabrikation“ 929 „fabrikneu“ 516 Fabrikpreis 718 ff. Fachabteilung 931 Fachanwalt 878 ff. Facharzt 875 Fachbetrieb 930 Fachgeschäft 931 Fachhandel 931 Fachkanzlei 881 Fachkraft 161, 978 Fachkrankenhaus 933 Fachkreise 76 ff. Fachlich umstrittene Behauptungen – Beweislastzuweisung 1115 Fachmann/Spezialist 902 ff. Fachmesse 321 Fachnähe – bei akademischen Bezeichnungen 853 f., 855 Fachsprache 148, 452, 1100 Fachverband 930, 954 Fachwerbung 76 ff., 80, 89, 1100 Fachwerkstatt 1003 f. factory outlet 773 Faltencremes 469 Festpreis 721 f. – notarieller – 741 Filialen – Bezeichnung als „Markt“ 947 Firma – abgeleitete – 805 – akademische Bezeichnungen 855 ff., 858 f. – Inhaberverhältnisse 804 f. – Namensgebrauch als Verbotsgegeninteresse 275 – Verwendung als Angabe 53 – Verwendung firmenmäßiger Bezeichnung 803 Fischwaren 412 Fleischerzeugnisse 375, 502 Flüchtigkeit, gezielt auf – setzende Praktiken 114 Fortwirkende Irreführung 175 ff. „frei von …“ 387 ff., 487 Fremder Geschäftszweck, Förderung – 28 Fremdfirmeneinsatz 980 „frisch“ 408 ff. Frühbucherpreis 723 „führend“ 183, 214, 972 Füllmengenreduzierung 533 Fußnotenstern 111 Garantien 784 ff. – defizitäre – 785 ff. – Garantiedauer 788 f.
668
Alphabetische Übersicht
– Hersteller- und Händlergarantie 790 f. Gattungsbezeichnungen 348 ff. – Bedeutungswandel 116, 582 ff., 585 Gebrauchsmuster 813, 818, 828 Gebrauchtwaren 448 Geistiges Eigentum, Rechte des – 810 „Geiz ist geil“ 41 Geheimhaltungsinteresse 1113 „Geld-zurück-Garantie“ 230, 704, 793 Gelegenheitspreis 724 „gemeinnützig“ 1023 Geografische Bezeichnung (und Schluss auf Spitzenstellung) 216 ff. Geografische Herkunftsangaben 534 ff. – Abgrenzung 546 – Arten 542 ff. – Bedeutungswandel 584 – Gebietsmäßige Eingrenzung 552 f. – Irreführungsschutz und Kennzeichenrecht 536 ff., 554, 559 – Maßgeblicher Herkunftsort 547 ff. – Personengebundene Herkunftsangaben 560 – Scheinherkunftsangaben 558 „geprüft“ 892 ff. Gesamtsortiment, Irreführung über die Preisbemessung des – 675 ff. Geschäftliche Handlung 10 ff. Geschäftliche Relevanz 238 ff., 587 f., 1066, 1089, 1097 f. Geschäftsaufgabe 759 f. Geschäftsbezeichnung, anmaßende – 919 ff. Geschäftsjubiläum 755 Geschäftszweck, Förderung von fremdem – 28 Geschmackliche Qualität 34, 226 „geschützt“ (bei gewerblichen Schutzrechten) 817, 818 Geschützte Berufsbezeichnungen 871 ff. Geschützte Unternehmensbezeichnungen 870 Gesellschaft – Akademische Bezeichnungen im Geschäftsnamen 851 ff. – Ausscheiden des Namensgebers 809, 859 – Inhaberverhältnisse 804 f. – Rechtsform 21, 802 f. Gesellschaft bürgerlichen Rechts 21, 805 Gesetzes- und Behördensprache 290, 350 Gesetzliche (Mindest-)Standards 374 „gesetzlich geschützt“ 817 Gesundheitsbezogene Wirkaussagen 39, 247, 272, 457 ff. „get more“ 205 Gewerblicher Charakter des Angebots 777 f. „gratis“ 725 ff. Großhandelspreis 732 Großhändlereigenschaft 772 ff., 1031
669
§5
Großmarkt 948 „größter/größte/größtes“ 222, 972 Gütezeichen 439 ff. „Halle“ 936 Händlergarantie 790 f. Handarbeit 499 Handwerk 498 ff. „Haus“ 937 f. – „Häuser“ 973 „Hausmacherart“ 502 Health Claims-VO 457, 460, 463 f. Heilmittel 399 Heilpraktiker 877 – Tierheilpraktiker 890 Hersteller 772 Herstellungsart 497 ff. „High-end“ 413 Höchstpreis 733 Hotline 615, 619 Identität 797 ff. Immobilien – „Wohn- und Nutzfläche“ 529 „incl. MWSt“ 684 „-industrie“ 939 Influencer 28, 447 Informationsinteresse – aktives – 282 ff. – passives – 291 Informiertheit, angemessene – 72 ff., 76 ff. Ingenieur 885 Inhaberqualifikation 847 ff. Inhaberverhältnisse 804 ff. Inhaberwechsel 805, 859 Inklusivpreis 734 Insolvenz – Hinweis auf – 171 – Insolvenzverkauf 764 ff. – Insolvenzware 765 f. „Institut“ 995 ff. „inter-“/„international“ 940 Interessenabwägung, ergänzende 268 ff. – Beweislast 1121 – Dogmatik 269 ff. – Gewicht des Verbotsinteresses 272 – Verbotsgegeninteressen 274 ff. Internet 75, 91, 97 „Invest“ 866 Involvement 85 ff. Irreführung 61 ff. – als Mittel der Anspruchsabwehr 16 f. – Begriff 61 ff. – Beweisfragen 1089 ff. – Bezugspunkte 305 ff. – Fortwirkende – 175 ff.
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
–
als Mittel der Herbeiführung von Geschäftsabschlüssen 11 ff. – Irreführungsquote 262 ff. – Regional begrenzte – 83 f. – temporäre – 287, 297 – durch Geltendmachung von Scheinansprüchen 14 f. – durch Unterlassen 55 ff. – mit Vorurteil 252 Jubiläumswerbung 751 f., 755 ff. Kaffee 409 „Karat“ 414 Käse 375 Katalogwerbung 316, 320, 334 Kaufappelle, allgemeine – 46 Kennzahlen, betriebliche – 969 Kennzeichenrecht, kein Vorrang, aber Ausstrahlwirkung 563 ff. Kennzeichnungsvorschriften 358, 374 ff., 533 Kernlehre – Schutzumfang des Verletzungsunterlassungsanspruchs 1083 f. – Titelerstreckung auf Umgehungshandlungen 1087 f. Kirchliche Stellen, Anlehnung an – 1001 Klinik/Klinikum 941 f. „Kolleg“ 999 Komparativwerbung 203 ff. – negativer Komparativ 206 ff. Komplettpreis 734 Komplexe Angaben 129 Konditionenbezogene Irreführung 779 ff. „konkurrenzloser Preis“ 73 „Kontinent“ 928 Kopplungsangebote 686 ff. Kosmetika 398, 469 „kostenlos“ 725 ff. Kraftfahrzeuge – „fabrikneu“ 516 – „EG/EU-Import“ 380 Kredite 866 – Sofortkredit 782 – „Kreditpreis“ 698 Kündigungsrecht 1072 ff. Kundendienst 619 f., 1006, 1050 Kundenempfehlungen, Werbung mit – 446 Kunststoff 361 ff. – „Kunst“ 364 „Lager“ 943 „-land“ 945 Lebensmittel 459 ff. Leiharbeit 981 Leistungsangaben (Technik) 452 ff. Leistungsbereitschaft 309 Leistungsfähigkeit 331 ff.
Lindacher/Peifer
Leistungsort 783 Leistungszeit 782 „Leitsätze des Deutschen Lebensmittelbuches“ 378 Lexikalische Werke (Spitzenstellungsberühmung) 222 Lieferfrist 782 Listenpreis 737 f. Lizenzfertigung 580 Lockangebote 309 ff. „-look“ 366 „Luxus“ 415 „Made in Germany“ 548, 577 Makler 690 Manufaktur 500, 912 Margenpreise 682 Marke – „starke Marke“ 431 – „Weltmarke“ 426 Markenqualität 430 ff. Markenschutz 836 Markenware 430 ff. „Markt“ (als Unternehmensbezeichnung) 942 ff. Marktbedeutung 423 ff. Marktentscheidungsrelevanz, s. Geschäftliche Relevanz Marktneuheit 513 Marktoffenheit 296 ff. Markttransparenz 293 f. Mehrdeutigkeit 124 ff., 632 ff. Mehrfachgebinde 688, 747 Mehrwertsteuer 683 ff. Meinungsumfrage 1102 ff. Meister 861 ff. Meisterbetrieb 864 Mengenangaben 523 ff. Mindesthaltbarkeitsdatum 449 Mineralwasser 375 „mit …“ 385 Mitarbeit 974 ff. Mitarbeiterqualifikation 976 f. Mitarbeiterstamm 975 Mitbewerberpreise, Bezugnahme auf – 637 ff. Mitgliederwerbung 24 Möbel – Abholpreis 162, 509 – Markenmöbel 434 Möbelhaus 933 „Möbelhaus des Handwerks“ 498 Mode 101, 165, 515 Modellneuheit 165, 515 Mogelpackung 530 ff. Mondpreisempfehlung 649 Musterfeststellungsklage 10
670
Alphabetische Übersicht
Nachgeschaffte Ware 763 Näheprinzip 1109 Naturbezogene Werbung 388 ff. Nettopreis 739 Neue Bezeichnungen 287 f., 294, 353, 357 Neuheitswerbung 512 ff. – „fabrikneu“ 516 – „neuartig“ 513 – „neuwertig“ 518 – „Weltneuheit“ 513 „Neupreis“ 740 Niedrigpreisstellung, selektive – 675 ff. Non-profit-Berühmung 1022 Normadressaten 21 ff. Normzweck 9 „notarieller Festpreis“ 741 „Notverkauf“ 767 „Nr. 1“ 214 „Nulltarif“ 742 Öffentlich-rechtliche Einrichtung – Autoritätsleihe 990 ff. – Als Normadressat 26 „Öko-“/„ökologisch“ 504 ff. „original“ 416 Original-Ersatzteile 578 f. Packungsgröße 530 ff. Patent 811 ff. – ausländische Schutzrechte 829 ff. – EPÜ-Patent 834 ff. – Hinweis bei bloßer Patentanmeldung 823 ff. – „internationaler Patentschutz“ 838 f. – Neuheit im patentrechtlichen Sinn 514 – „patentamtlich geschützt“ 817 – „patented“ 831 – Verfahrenspatent 822 Personenhandelsgesellschaft 21, 807, 855 ff. Phantasiebezeichnung 546, 558 Physiotherapeut 887 Pluralformen 949 Preisangabenverordnung 627, 660, 683 Preisbemessung des Gesamtsortiments 669, 675 ff. Preisberechnung, Irreführung über – 749 „Preisbrecher“ 646, 744 Preisempfehlung 647 ff. – ehemalige – 656 – Mondpreis 649 – Unverbindlichkeit 651 f. Preisgarantie 704 f. Preisgünstigkeitsberühmung – Bezugnahme auf empfohlenen Preis 647 ff. – konkurrentenbezogene – 636 ff. – durch Preissenkungshinweis 659 ff. – durch Nennung eines besonderen Verkaufsgrunds 679
671
§5
„Preishammer“ 646 Preislisten 680 f. Preisschaukelei 697 Preisschlagworte 706 ff. Preissenkung, Werbung mit – 659 ff. – Darlegungs- und Beweislastkompensation 659 – Eigenpreisvergleich 661 ff. – mit empfohlenen Preis 647 ff. – mit Mitbewerberpreisen 636 ff. Privatangebot 777 f. Probierpreis 475 Produktinnovation – Neuheitswerbung 513, 514 – Und Allgemeininteresse an Marktoffenheit 297 Produktionsauslagerung 556 Produktvermarktung 1081a Professor 851, 862 Provisionspflichten, Verdeckung von – 689 f. Prüfzeichen 439 ff. Qualifikation – Inhaber 847 ff., 996 – Mitarbeiter 964, 976 ff., 996 Qualitätsaussagen, allgemeine – 402 ff. Qualitätsmangel 449, 557 „Qualitätsprodukt“ 419 Räumungsverkauf 751 f., 759 ff. Rechtsanwalt 878 ff. – Fachanwalt 880 f. – Irreführung über Mitarbeit 975 – Kooperation 809 – Sozietät 806 ff. Rechtsform 21, 802 f. Rechtslage, unrichtige Angaben zur – 1075 Referenzkunden 1007 Regionale Verkehrsauffassung 83 f. „regulärer Preis“ 652 Reklamehafte Übertreibung 36 ff. „Relevanter Verkehr“ 118 Reparatur, Notwendigkeit einer – 1050 „Restposten“ 339 Richtpreis, empfohlener – 652 Risiken 493 ff. Rücktrittsrecht 1072 ff. Rundstempel 897 Sachlichkeitsgebot 1037 Sachverständiger 891 ff. Scheinsonderverkauf 752 ff. Scherz/Satire 39 Schlagwortwerbung 36 ff., 103 ff., 182 – Preisschlagworte 706 ff. – Umweltschlagworte 473 ff. Schlecht- oder Mindererfüllung 18 „Schnupperpreis“ 745
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
Schutzrechtshinweise 807 ff. Schutzzwecktrias 9 Schwarze Liste 7, 260 f., 308 Selbstbedienung 1029 Selbstkostenpreis 716, 1023 Selbstverständlichkeiten, Werbung mit – 133 ff. Selektive Information 155 Selektive Niedrigpreisstellung 675 ff. Seltenheit/Singularität 622 „shop in shop“ 798 „sofort“ 782 „solange Vorrat reicht“ 339 Sonderangebot 675 ff. „Sonderklasse“ 420 Sonderveranstaltungen 752 ff. Sortiment – Neuheit 520 – Preisgestaltung des Gesamtsortiments 675 ff. Sparkasse 870 „Sparpreis“ 746 f. Spendenmarkt 25 „Spezial-“ 421 f. Spezialist 905 f. Spezialgeschäft 950 Spirituosen 376 „Spitzenerzeugnis“ 236 Spitzengruppenwerbung 235 ff. – qualifizierte – 206 ff. Spitzenstellungswerbung 181 ff. Sponsoring 1034 ff. „staatlich“ 991 „statt“-Preise 660 Status 907 ff. „Stelle“ 994, 997 Stellenanzeigen – mittelbare Ansprache des produktnachfragenden Publikums 81 Steuerberater 882 Stiftung Warentest 589, 602 „Studio“ 951 Subunternehmer 980 Superlativwerbung 199 ff. „Superpreis“ 229 „Synthetik“/„synthetisch“ 366, 372 „Technik“ 952 Technische Erzeugnisse, Leistungs- und Wirkungsangaben 452 ff. Technischer Fortschritt (als Verbotsgegeninteresse) 295 Teilzahlungspreis 698 ff. „Technologieführerschaft“ 223 Temporäre Irreführung 287, 297 „Testpreis“ 745 „Testsieger“ 594
Lindacher/Peifer
Testwerbung 589 ff. – „Testnote (sehr) gut“ 592d Textilien 377 Tiefpreis/Tiefstpreis 748 – Dauertiefpreis 708 Traditionswerbung 909 ff. TÜV-Prüfzeichen 439 Überörtliche Sozietät 807 f. Übertreibungen, werbliche – 36 ff. „Umstände halber“ 767 Umweltschutz als Verbotsgegeninteresse 301 ff. Umweltbezogene Werbung – produktbezogene 470 ff. – unternehmensbezogene 1018 Umweltzeichen 478 ff. „Union“ 956 „unschlagbar“ 40, 214 Unsichere Verbrauchervorstellung 148 ff. Unterlassen, Irreführung durch – 55 ff. Unterlassungsanspruch, Schutzumfang – 1083 f. Unterlassungsantrag 1085 ff. Unterlassungstitel – Verbotsumfang 1087 f. Unternehmensbedeutung 919 ff. Unternehmensbezeichnung (s. auch Firma) 53 f., 559 – gesetzlich geschützte – 870 – Unternehmensgegenstand 1026 f. – Unternehmensstandort 1028 – Unternehmenstradition 905 ff. Unternehmenstradition 909 ff. Unvollständigkeit 153 ff. „Ur“- 552 Urheberrechtsschutz 837 Veralterung durch technischen Fortschritt 165 Verband 10, 24 ff., 954, 992, 993 – Berufsverband, berufsständische Einrichtung 954, 987 – Bundesverband 954 – Fachverband 930, 987 – Gesamtverband 954 – Verbraucherverband 27 Verbandszugehörigkeit 987 f. Verbotsgegeninteressen 268 ff. – Besitzstand 276 ff. – Binnenmarkt 299 – Ideelle Allgemeininteressen 304 – Informationsinteresse, aktives – 282 ff., passives – 291 – Marktoffenheit 296 ff. – Markttransparenz 293 f. – Namensgebrauch 275 – Technischer Fortschritt 295 – Umweltschutz 301 ff.
672
Alphabetische Übersicht
Verbraucheraufklärung (keine geschäftliche Handlung) 27 Verbraucherrechte 1067 ff. Verbrauchervorstellung (s. auch Verkehrsauffassung) – unsichere – 148 ff., 341, 353 – verweisende – 150 „vereinigte“ 956 Verfügbarkeit 309 ff. – aktuelle – 316 – Anfangszeitpunkt 317 – Ausreißerfälle 335 f. – Hinreichender Vorrat 323 ff. – Irreführungsausschluss durch klarstellenden Hinweis 338 ff. – Leistungsunfähigkeit ohne Verschulden 331 ff. – Ubiquität des Angebots 315 – Zeitraum 327 ff., 345 Vergleichende Warentests 592, 600, 603 Vergleichende Werbung 591, 1081e Verhaltenskodex 1055 ff. Verkaufsanlass 750 ff. Verkehrsanerkennung 423 Verkehrsauffassung 49, 64 ff. – abgeleitete/akzessorische – 150, 353, 374 – Beweisaufnahme 1099 ff. – als empirische Figur 64 ff. – Feststellung ohne Beweisaufnahme 1092 ff. – Kriterien 93 ff. – Situationsbedingtheit 85 ff. – Verkehrskreisabhängigkeit 71 ff. – Wandel 116 f. Verkehrskreis 71 ff. – Fachkreise 76 ff. – Verbraucherkreise 72 ff. – Verkehrskreismehrheit 79 Vermögen 841 ff. Verpflichtungen 844 ff. Verständigkeit, angemessene – 72, 76 Versteigerung 768 Vertragsangebot, verdecktes – 1078 f. Vertrieb, Art des – 510 Verwendungsmöglichkeit 491 f. „Vollgarantie“ 787 Wandel der Verkehrsauffassung 116 f., 373, 582 f., 584, 585 Warenmenge 523 ff. Warentest 589 ff. Warenvorrat 309 ff. Weingut/Weinkellerei 957 ff. „-welt“ 960 „Weltneuheit“ 513
673
§5
Weltstellung – „meistgekaufter der Welt“ 232, 234 – „Weltmarke“ 426 – „Weltmarktführer“ 232, 424 – „Weltruf“ 425 – „weltweit“ 233, 424 – „weltweit patentiert“ 838 Werbung – Alleinstellungswerbung 181 ff., 199 ff., 221 ff. – Alterswerbung 521 f. – Blickfangwerbung 103 ff. – Einzelwerbung 29 – Fachwerbung 76 ff. – Mit fremden Äußerungen 58 ff. – Gesundheitswerbung 247, 272, 457 ff. – mit der Herstellereigenschaft 772 – Jubiläumswerbung 755 – Komparativwerbung 203 ff. – Mitgliederwerbung 24 – Neuheitswerbung 512 ff. – Publikumswerbung 29 – Schlagwortwerbung 103 ff. – mit Selbstverständlichkeiten 133 ff., 397 – Spitzengruppenwerbung 194, 235 – Spitzenstellungswerbung 181 ff. – Superlativwerbung 199 – Testwerbung 589 ff. – Traditionswerbung 909 ff. – Umweltwerbung 470 ff., 1018 – mit dem Vorurteil 252 „Werk“/„Werke“ 961 Werturteile 33 ff. Widerrufsrecht 1072 ff. Wirkungsangaben 451 ff. Wirtschaftsprüfer 882 Wort- und Bildwitz 102 Zahlenangaben 969 Zeitungen – Anzeigenmarkt 187, 222 – Aktualität 515 – Auflagenhöhe 222 – Einführungspreis 713 – „größte“ 222 – Lesermarkt 187, 222 – Zeitungsartikel als Drittäußerung 60 „Zentrale“/„Zentrum“ 959 Zugabeware (Verfügbarkeit) 342 Zulassung 1045 ff. Zwecktauglichkeit 490 Zweigleisiger Vertrieb 694
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
A. Einleitung A. Einleitung I. Gesetzesgeschichte 1. Früheres Recht. Bereits das „Ur-UWG“, das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb v. 27.5.1896 (RGBl 145), statuierte in seinem § 1 ein Verbot irreführender öffentlicher Werbung. Mit der Implementierung der „großen Generalklausel“, dem Verbot „sittenwidriger“ Werbung, durch das Gesetz v. 7.6.1909 (RGBl 499) wanderte die Vorschrift (inhaltlich im Wesentlichen unverändert) als neuer § 3 numerisch in das zweite Glied. Durch die Gesetzesänderung v. 26.6.1969 (BGBl I 633) wurde der lauterkeitsrechtliche Irreführungsschutz auf die Einzelwerbung erstreckt. Die RL 84/450/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der 2 Mitgliedstaaten über irreführende Werbung (ABl. EG Nr. L 250/17) gab dem deutschen Gesetzgeber keinen Anlass zu Gesetzesänderungen: Der Irreführungsschutz des geltenden deutschen Rechts genügte dem Mindeststandard der Richtlinie. Erst die Totalharmonisierung des Rechts der vergleichenden Werbung durch die neugefasste IrreführungsRL 97/55/EG (ABl. EG Nr. L 290/18) veranlasste den UWG-Gesetzgeber zu einschlägiger Klarstellung: Das Gesetz zur vergleichenden Werbung und zur Änderung wettbewerbsrechtlicher Vorschriften v. 1.9.2000 (BGBl I 1374) erstreckte den Irreführungsschutz im seinerzeitigen § 3 S. 2 explizit auf Angaben im Rahmen vergleichender Werbung. 3 Die auf Modernisierung und Europäisierung des deutschen Lauterkeitsrechts angelegte Reform 2004 durch Gesetz v. 3.7.2004 (BGBl I 1414) wies dem Irreführungsverbot zum zweiten Mal eine neue „Hausnummer“ zu, bettete das Irreführungsverbot zudem systematisch neu: Dem Modell „Generalklausel mit Regelbeispielen“ verpflichtet, konkretisierte § 5 (neu) als Beispielsnorm die das Verbot unlauterer Geschäftshandlungen aussprechende Grundnorm des § 3 (neu). Der Zeitströmung und der kritischen Haltung des EuGH gegenüber Einschränkungen der Grundfreiheiten durch abstrakte Gefährdungstatbestände entsprechend wurden die das allgemeine Irreführungsverbot flankierenden Vorschriften über den Insolvenzwarenverkauf (§ 6 a.F.), über Hersteller- und Großhändlerwerbung (§ 6a a.F.), über den Kaufscheinhandel (§ 6b a.F.) sowie über Sonderveranstaltungen und Räumungsverkäufe (§§ 7, 8 a.F.) ersatzlos gestrichen. Textlich wurde das nationale Irreführungsverbot unter Angleichung an den Wortlaut von Art. 3 der IrreführungsRL „europäisiert“. 1
2. Das UWG 2008/2015. Das neue deutsche Lauterkeitsrecht steht im Zeichen der RL 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken (ABl. EG 2005 Nr. L 149/22): Es setzt dieselbe im Business-to-Consumer-Bereich pflichtgemäß, im Business-to-BusinessBereich freiwillig überschießend, nämlich über die Vorgaben der nunmehr nur für den diesen Bereich maßgebenden IrreführungsRL hinaus, um. Die Änderungen durch die nochmalige Anpassung 2015 sind gegenüber den Änderungen 2008 geringer (vgl. unten Rn. 6). 5 Die bedeutsamste Neuerung des UWG 2008 ist die unionsrechtliche Aufladung des nationalen Rechts als solche: Wie die anderen lauterkeitsrechtlichen Verbotstatbestände ist auch das Irreführungsverbot nach § 5 materiell nicht länger Produkt primär autonomer deutscher Gesetzgebung, sondern eine im Wesentlichen europarechtlich determinierte Vorschrift. Ob des Totalharmonisierungsanspruchs der RL 2005/29/EG ist sie zumindest im Business-to-Consumer-Bereich in Verfolg des Gebots richtlinienkonformer Auslegung euroautonom zu interpretieren. Weil der deutsche Gesetzgeber die Richtlinie in der Weise überschießend umgesetzt hat, dass geschäftliches Verhalten gegenüber
4
Lindacher/Peifer
674
A. Einleitung
§5
Nicht-Verbrauchern im Regelfall denselben Verhaltensnormen unterworfen ist, greift das Gebot richtlinienkonformer Auslegung in Orientierung an der RL 2005/29/EG zwecks Meidung einer Dennoch-Rechtsspaltung grundsätzlich aber auch mit Blick auf Irreführungen gewerblicher Abnehmer. Im Zweifelsfall ist die Vorlage an den EuGH indiziert: Im Business-to-Consumer-Bereich besteht Vorlagepflicht, im Business-to-BusinessBereich zumindest Vorlagemöglichkeit (Einzelheiten v §§ 5, 5a Rn. 47 ff.). Inhaltlich-gegenständlich knüpft der Irreführungstatbestand nicht mehr an das 6 Merkmal der Wettbewerbshandlung, sondern an das der geschäftlichen Handlung an und wird so insbesondere auf den Bereich der Vertragsdurchführung bzw. -abwicklung ausgedehnt. Der Bezugspunkte-Katalog wurde in Anlehnung an die RL 2005/29/EG um verschiedene Merkmale erweitert; ob der Katalog nunmehr abschließend ist, ist streitig (Einzelheiten: Rn. 306). Die Marktentscheidungsrelevanz (geschäftliche Relevanz, unten Rn. 238) einer Irreführung wurde bis 2015 als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal angesehen (unten Rn 241). 2015 wurde die Relevanzklausel dann in den Tatbestand des § 5 Abs. 1 S. 1 aufgenommen. Unlauter handelt danach, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Weitere tatbestandliche Änderungen des § 5 sind 2015 nicht vorgenommen worden. Bis 2015 wurde § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 ergänzt durch zwei Transparenzerfordernisse, die in § 4 Nr. 4 und Nr. 5 UWG 2008 enthalten waren. § 4 Nr. 4 UWG 2008 gebot, bei Verkaufsfördermaßnahmen, zu denen Schluss-, Räumungs- und Jubiläumsverkäufe gehören, „die Bedingungen für die Inanspruchnahme“ der dort gewährten Vorteile „klar und eindeutig“ anzugeben. § 4 Nr. 5 UWG 2008 sah Gleiches für Gewinnspiele und Preisausschreiben vor (vgl. dazu Vorauflage/Obergfell). Beide Normen sind 2015 ersatzlos gestrichen worden, weil es entsprechende Vorgaben in der UGP-Richtlinie nicht gibt. Irreführende Angaben über Sonderveranstaltungen sowie die Vorenthaltung wesentlicher Informationen über sie fällt unter §§ 5, 5a.1 Angaben über eine Sonderveranstaltung sind Angaben über den Verkaufsanlass im Sinne des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 (unten Rn. 750 ff.). Tendenziell fallen Transparenzerfordernisse auch unter § 5a Abs. 2. Ersatzlos weggefallen ist § 4 Nr. 6 UWG 2008, der die Koppelung von Geschenken mit einem dafür nötigen Warenerwerb verbot. Diese Norm ist schon vor 2015 als unionsrechtswidrig angesehen und daher konsequenterweise gestrichen worden.2 Rechtssystematisch fällt vor allem die Einführung einer sog. Schwarzen Liste ins 7 Auge: In Umsetzung der Vorgabe von Anhang I UGP-RL benennt der Anhang zu § 3 Abs. 3 diverse geschäftliche Handlungen, deren Vornahme gegenüber Verbrauchern auf jeden Fall unzulässig ist. Tatbestandsbejahung einer einschlägigen Vorschrift erübrigt den Rückgriff auf § 5 (Vor §§ 5, 5a Rn. 110 f.). II. Inhalt und Zweck der Regelung 1. Regelungsinhalt. § 5 statuiert in Konkretisierung von § 3 das allgemeine lauter- 8 keitsrechtliche Irreführungsverbot i.S. eines allgemeinen Desinformationsverbots (Vor §§ 5, 5a Rn. 114). Mit Blick auf den Umstand, dass das neue Recht auf die „geschäftliche Handlung“, also nicht länger nur auf werbendes Handeln abstellt, lässt sich die Vorschrift in Anlehnung an die Begr. zum UWG 2004 (BTDrucks 15/1487 S. 19) als umfassen-
_____
1 Begr. Rechtsausschuss, BTDrucks. 18/6571, S. 15. 2 EuGH 14.1.2010 – C-304/08 – GRUR 2010, 244 – Plus Warenhandelsgesellschaft; verfehlt die Versuche, den Normgehalt über § 3 Abs. 1, Abs. 2 UWG 2008 zu retten, BGH 12.12.2013 – I ZR 192/12 – WRP 2014, 831 Tz. 23 – Goldbärenbarren; dem aber zust. Köhler/Bornkamm, § 5a Rn. 5.34.
675
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
des einschlägiges Verbot charakterisieren: Erfasst werden alle Angaben geschäftlicher Art, die mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen, dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen objektiv zusammenhängen und geeignet sind, einen relevanten Teil des angesprochenen Verkehrs irrezuführen und dadurch Fehlvorstellungen von maßgeblicher Bedeutung hervorzurufen. 9
2. Normzweck. Wie das UWG allgemein steht auch § 5 unter der sog. Schutzzwecktrias: Die Vorschrift ist – auf Steuerung der Gefahr der Entscheidungsgrundlageverfälschung angelegt – Konkurrenten-, Marktgegenseite- und Institutionenschutznorm (Einzelheiten: Vor §§ 5, 5a Rn. 8 ff.). III. Anwendungsbereich 1. Gegenständlicher Anwendungsbereich
10
a) Die Grundentscheidung: Anknüpfung an das Merkmal „geschäftliche Handlung“. Der gegenständliche Anwendungsbereich der Vorschrift wird durch das Merkmal „geschäftliche Handlung“ bestimmt, das werbliches Handeln als Hauptunterfall einschließt, freilich darüber hinaus greift: Erfasst wird ausweislich der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Nr. 1 jedes Verhalten einer Person zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens vor, bei oder nach einem Geschäftsabschluss, das mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen oder mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen objektiv zusammenhängt. Eine wesentliche Weiterentwicklung liegt darin, dass geschäftliche Handlungen in der Vertragsanbahnung sowie bei oder nach Vertragsschluss erfasst werden. Damit wird auch das Vertragsverhalten kollektiv kontrollierbar. Das Problem diffuser Schädigungen durch kleine Vertragsverstöße kann dadurch potentiell eingefangen werden. Allerdings ruht die Durchsetzung des UWG in solchen Fällen im Wesentlichen auf den Verbraucherschutzverbänden. Unternehmerverbände können zwar ebenfalls gegen unlauteres Vertragshandeln vorgehen, doch setzt dies voraus, dass es nicht um Praktiken geht, die in einer Branche üblich geworden sind und insoweit den Anreiz zum klageweisen Vorgehen nehmen. Diese Begrenzung auf der Seite der Rechtsdurchsetzung wurde mehrfach beklagt, sie ist wohl auch verantwortlich dafür, dass Instrumente wie Sammelklagen oder Musterfeststellungsklagen3 vermehrt als alternative Durchsetzungsinstrumente diskutiert werden.4 Alternativ könnte man über eine Stärkung der individualrechtlichen Behelfe, etwa ein Widerrufsrecht im Falle irreführender Praktiken nachdenken.5 Letzteres einzuführen ist allerdings vom Gesetzgeber immer wieder gescheut worden.
11
b) Anwendungsschwerpunkt: Irreführung als Mittel der Herbeiführung von Geschäftsabschlüssen. Im Zentrum der lauterkeitsrechtlichen Irreführungskontrolle
_____
3 Vgl. das am 1.11.2018 in Kraft getretene MusterfeststellungsklagenG v. 12.7.2018, BGBl I 1151, das insbesondere die Vermarktung von Diesel-PKWs mit manipulierten Abschaltvorrichtungen, also durchaus eine Konstellation möglicher irreführender Produktvermarktung betrifft, vgl. die Erläuterungen bei Waclawik NJW 2018, 2921, 2925. 4 Zu den europäischen und rechtsvergleichenden Initiativen im Bereich von Kollektivprozessen insoweit reserviert bis ablehnend Ahrens WRP 2015, 1040 und 1043 m.w.N. 5 So Mankowski FS Köhler (2016) 477, 487 m.w.N.
Lindacher/Peifer
676
A. Einleitung
§5
nach § 5 stehen nach wie vor konfundierende Praktiken im Wettbewerb um Geschäftsabschlüsse, d.h. im Vorfeld bzw. zeitlichen Umfeld derselben. Erfasst werden dabei auch Angaben, die sich nur mittelbar auf das beworbene Angebot beziehen, wie z.B. allgemeine Behauptungen über die gesamte Warengattung, der das eigene Angebot angehört,6 ja selbst kritische Äußerungen über Mitbewerber und/oder das Mitbewerberangebot, weil und soweit sie letztlich darauf zielen, das eigene Angebot in einem besseren Licht erscheinen zu lassen.7 Irreführenden Praktiken vor und bei Vertragsschluss i.e.S. stehen Handlungen 12 gleich, die im Rahmen bestehender Vertragsbeziehungen in verdeckter Weise auf die Begründung zusätzlicher Vertragspflichten zielen: Aus der Divergenz von Buchung und Wertstellung resultierende Fehlvorstellungen über den effektiven Kontostand sind geeignet, den Kunden zu unbewusster Kontoüberziehung (mit einhergehender Zinsbelastung) zu veranlassen.8 Solche Praktiken können allerdings auch Schlechterfüllung vertraglicher Pflichten sein (unten Rn. 18). Fehlvorstellungen zulasten des Werbenden auslösende Angaben (wie das werbliche 13 Ausflaggen eines Preises, der über dem tatsächlich geforderten liegt), die mit Blick auf das Ziel der Herbeiführung von Geschäftsabschlüssen nachgerade kontraproduktiv wirken, verbleiben hingegen von vornherein außerhalb des Anwendungsbereichs von § 5.9 c) Irreführung durch Geltendmachung von Scheinansprüchen. Mit Erweiterung 14 des Anwendungsbereichs des Irreführungsverbots auf irreführende Praktiken von Geschäftsentscheidungsrelevanz nach Vertragsschluss unterfällt auch die Geltendmachung übersetzter/nicht fälliger Ansprüche dem Tatbestand. Die Erfüllung vermeintlicher bzw. vermeintlich fälliger Ansprüche ist eine geschäftliche Entscheidung.10 Auch die bloße Last, die Berechtigung der Ansprüche prüfen zu müssen, fällt darunter. Beispiele: Arzt stellt nicht erbrachte Leistungen, Friedhofsgärtner Kosten der Grabpflege vor Leistungserbringung in Rechnung. Der Geltendmachung übersetzter oder noch nicht durchsetzbarer Forderungen aus 15 einem bestehenden Vertragsverhältnis steht – arg. a fortiori – die Geltendmachung von Scheinansprüchen ohne Vertragsschluss gleich. Erfasst werden auch und vor allem – im Business-to-Consumer-Bereich freilich vorrangig nach Anh. Nr. 22 zu beurteilende – Praktiken, die geeignet sind, beim Kunden die Fehlvorstellung einer bereits bestehenden Zahlungsschuld zu begründen.11 Kasuistik: Anbieter wirbt um Einträge in eine „Handelsinformationsdatei“ unter Beifügung eines ausgefüllten Überweisungsträgers.12 d) Irreführung als Mittel der Anspruchsabwehr sowie der Blockierung von 16 Vertragslösungsrechten. Mit Ersetzung des Tatbestandsmerkmals „Wettbewerbshand-
_____
6 BGH 30.10.1963 – Ib ZR 42/62 – GRUR 1964, 33, 36 – Bodenbeläge. 7 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.24; Harte/Henning/Dreyer B Rn. 53; Ohly/Sosnitza Rn. 102. A.A. Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 367. 8 BGH 27.6.2002 – I ZR 86/00 – GRUR 2002, 1093 f. – Kontostandsauskunft; 11.1.2007 – I ZR 87/04 – GRUR 2007, 805 Tz. 17 ff. = WRP 2007, 1085 – Irreführender Kontoauszug. 9 A.A. MünchKommUWG/Ruess Rn. 219 mit Rekurs auf den Notanker fehlender Wiederholungsgefahr bei Fehlangaben aus Versehen. 10 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.14. 11 Alexander Vertrag und unlauterer Wettbewerb (2002) 247. 12 BGH 26.11.1997 GRUR 1998, 415, 416 = WRP 1998, 383, 385 – Wirtschaftsregister.
677
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
lung“ durch den Begriff der geschäftlichen Handlung unterfallen auch Irreführungspraktiken als Mittel der Abwehr von Erfüllungs-, Schadensersatz oder Gewährleistungsansprüchen dem Anwendungsbereich von § 5. Erfasst werden nicht nur unzutreffende Tatsachenangaben (wie die unrichtige Wiedergabe einer höchstrichterlichen Entscheidung), sondern grundsätzlich auch unrichtige Angaben über die Rechtslage.13 Mit Blick auf das allgemeine Recht, sich gegenüber Anspruchsberühmung zu verteidigen, erlaubt und gebietet die gebotene Interessenabwägung freilich Zurückhaltung in der Bejahung relevanter Irreführung: Unlauter handelt nur der die Wahrhaftigkeitspflicht Verletzende, im Ergebnis mithin nur derjenige, der eine objektiv manifest falsche Rechtsbehauptung aufstellt.14 Die Rechtsverteidigung jenseits dieser Linie bleibt verbotsimmun. Der in Anspruch Genommene muss nicht explizit klarstellen, dass die Rechtslageeinschätzung bloße Rechtsmeinung ist.15 Rechtliche Relevanz der Irreführung ist freilich allemal zu bejahen, wenn der in Anspruch Genommene sich zwecks Anspruchsleugnung auf unwirksame AGB beruft: AGB-Verwendung geht mit einschlägiger Formulierungsverantwortung einher. Das Risiko rechtlicher Fehleinschätzung trifft den sich auf die AGB Berufenden. Das zur irreführenden Anspruchsabwehr Ausgeführte gilt grundsätzlich auch für 17 Angaben, die geeignet sind, den Vertragspartner von der Ausübung gegebener Vertragslösungsrechte (Anfechtungs-, Widerrufs-, Rücktritts- oder Kündigungsrechte) abzuhalten. Verschärfend zulasten des Normadressaten wirken freilich allfällige Informationsgebote: Soweit der am Vertragsfortbestand Interessierte zu einer Widerrufsbelehrung verpflichtet ist, unterfällt die Leugnung des Lösungsrechts einschränkungslos dem Irreführungsverbot nach § 5. Die korrekte Bestands- und Umfangsbestimmung desselben ist Sache des Informationspflichtigen. Kenntlichmachen der vertretenen Rechtsposition als Rechtsmeinung salviert nicht. 18
e) Sonderproblem: Schlecht- oder Mindererfüllung. Schlecht- und Mindererfüllung als solche stellen keine geschäftliche Handlung dar: Die Nichteinhaltung des vertraglichen Versprechens zielt nicht auf eine bestimmte geschäftliche Entscheidung des Vertragspartners.16 Handelt es sich um eine systematisch geplante Schlecht- bzw. Mindererfüllung greift freilich gleichwohl das Irreführungsverbot: Irreführende geschäftliche Handlung ist die täuschende Qualitäts- bzw. Quantitätsankündigung (also eine Handlung vor Vertragsschluss), nicht die spätere Schlecht- bzw. Nichterfüllung.17 Die Abgrenzung zwischen Schlechterfüllung und irreführender Beeinflussung verläuft dort, wo eine Vertragsverletzung zahlreiche Verträge gleichermaßen, also auch die Angebotskondiktionen des Unternehmens betrifft und somit anlockende Wirkung auf Kunden (z.B. durch günstigere Preise) haben kann. Unlauter ist auch heute noch das wiederholte Ausschenken von Getränken unter dem Eichstrich,18 die gravierende Nichterfüllung von Verträgen19 und die Täuschung über eine versprochene Vertragsleistung oder Gewährleistung, die der Unternehmer bereits beim Abschluss des Vertrages nicht erbringen
_____
13 BGH 25.4.2019 – I ZR 93/17 – MDR 2019, 752 Tz. 30 - Prämiensparverträge; OLG Frankfurt 21.3.2019 – 6 U 190/17, WRP 2019, 912; Stillner WRP 2015, 438, 441. 14 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.18. 15 A.A. Köhler WRP 2009, 898, 902. 16 Alexander Vertrag und unlauterer Wettbewerb (2002) 182; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.12; Ohly/Sosnitza Einf D Rn. 66b. 17 Zutr. einschlägige Klarstellung: Köhler/Bornkamm/Feddersen aaO. 18 BGH 10.12.1986 – I ZR 136/84 – GRUR 1987, 180 – Ausschank unter Eichstrich II. 19 BGH 7.1.1993 – I ZR 293/91 – GRUR 1994, 126 – Folgeverträge.
Lindacher/Peifer
678
A. Einleitung
§5
will.20 Nicht ohne weiteres unlauter ist die einzelne Vertragsverletzung nach Vertragsschluss, die „Ausrutscher-Qualität“ hat.21 f) Keine geschäftlichen Handlungen. Geschäftliche Handlungen sind lediglich 19 Verhaltensweisen mit Außenwirkung. Nur sie haben Marktbezug. Nicht an § 5 zu messen sind demgemäß Äußerungen im rein privaten Kreis oder im innerbetrieblichen Bereich.22 Zu beachten bleibt insoweit freilich: Für ein Handeln im geschäftlichen Verkehr ge- 20 nügt bereits, dass einem Gespräch im privaten Kreis eine „geschäftliche Wendung“ gegeben wird.23 An sich betriebsinterne Äußerungen vermögen unter dem Gesichtspunkt der Erstbegehungsgefahr Marktbezug zu erlangen: wenn und soweit Anlass zu der Besorgnis besteht, dass sie von Adressaten extern (und damit im geschäftlichen Verkehr) verbreitet wird.24 2. Personeller Anwendungsbereich: Normadressaten des Irreführungsverbots a) Persönlich-rechtsförmlicher Anwendungsbereich. § 5 („wer“) wendet sich an 21 alle natürlichen und juristischen Personen, aber auch an Personifikationen mit Rechtssubjektqualität unterhalb der Schwelle der juristischen Person, auf der Basis des neueren Gesamthandsverständnisses25 mithin nicht nur an Personenhandelsgesellschaften (OHG, KG),26 sondern auch Außengesellschaften bürgerlichen Rechts. 27 Nicht erfasst werden daher reine Innengesellschaften sowie öffentlich-rechtliche Arbeitsgemeinschaften wie die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (ARD).28 b) Persönlich-tätigkeitsbezogener Anwendungsbereich aa) Adressat: Jedweder Unternehmensträger. Teilnehmer am geschäftlichen Ver- 22 kehr sind zunächst und vor allem alle Unternehmensträger: Erfasst wird jede selbständige Tätigkeit, die mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen oder mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen objektiv zusammenhängt (§ 2 Abs. 1 Nr. 1). Normadressat sind daher (§ 2 Abs. 1 Nr. 6) nicht nur Gewerbetreibende, sondern auch Angehörige sog. freier Berufe wie Ärzte, Architekten, Rechtsanwälte oder Steuerberater.29 Angesprochen ist auch der Existenzgründer.
_____
20 Vgl. BGH 10.1.2013 – I ZR 190/11 – GRUR 2013, 945 Tz. 26 – Standardisierte Mandatsbearbeitung; BGH 5.2.2009 – I ZR 119/06 – GRUR 2009, 876 Tz. 22 – Änderung der Voreinstellung II (dort zur gezielten Behinderung). 21 BGH 29.3.2007 – I ZR 164/04 – GRUR 2007, 897 Tz. 25 – Änderung der Voreinstellung I (dort zur unlauteren Behinderung). 22 Allg.M.; statt aller: Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.8; Ohly/Sosnitza Rn. 76. 23 Allgemein: BGH 17.3.1953 – I ZR 118/52 – GRUR 1953, 293, 294 – Fleischbezug; 22.2.1960 – I ZR 166/58, GRUR 1960, 384, 386 – Mampe Halb und Halb. 24 BGH 25.9.1970 – I ZR 47/69 – GRUR 1971, 119 = WRP 1971, 67 – Branchenverzeichnis. 25 Leitentscheidung: BGH 29.1.2001 – II ZR 331/00 – BGHZ 146, 341 ff., aus dem Schrifttum bereits Lindacher JuS 1981, 431, 433 f. 26 Zumindest missverständlich – ausschließliche Benennung der Personenhandelsgesellschaften – Ohly/Sosnitza Rn. 79. 27 Explizit: Schünemann S. 31. 28 BGH 30.4.2015 – I ZR 13/14 – GRUR 2015, 1228 Tz. 18 – Tagesschau-App. 29 Für erforderlich gehalten auch von EuGH 10.7.2014 – C-421/12 – GRUR Int. 2014, 964 – Kommission/ Belgien; vgl. im Übrigen nur Ohly/Sosnitza Rn. 79.
679
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
23
Dass der Ertrag der wirtschaftlichen Tätigkeit letztlich gemeinnützigen oder wohltätigen Zwecken dient, ist unerheblich.30 In den Anwendungsbereich von § 5 fallen auch werbliche Äußerungen im Rahmen einer – umfassenden oder sektoralen – wirtschaftlichen Betätigung von Organisationen mit ideeller Zielsetzung. Reine Mitgliederwerbung eines Verbands/Vereins stellt grundsätzlich kein Ge24 schäftshandeln dar.31 Anderes gilt aber dann, wenn der Verband/Verein in Konkurrenz zu gewerblichen Unternehmen steht und seinen Mitgliedern Leistungen erbringt, die sonst bei diesen nachgefragt werden müssten.32 Normadressat unter dem Gesichtspunkt der Förderung fremder Geschäftszwecke (hierzu auch Rn. 28) ist der Verband/Verein allemal, wenn die konkrete Mitgliederwerbung ihrer Art nach geeignet ist, zugleich den Geschäftszweck der Mitglieder zu fördern.33 Gemeinnützige, mildtätige und kirchliche Einrichtungen sind auf dem Spen25 denmarkt Normadressaten, weil die Weiterleitung und Verteilung der gesammelten Spenden eine Dienstleistung gegenüber dem Spender darstellt, die auch gegen Entgelt erfolgt, soweit ein Verwaltungskostenanteil einbehalten wird.34 26
bb) Adressat: öffentlich-rechtliche Körperschaften und Anstalten. Die öffentliche Hand ist allemal Normadressat, soweit das zu beurteilende Handeln erwerbswirtschaftlicher Art ist.35 Dasselbe gilt für gesetzliche Krankenkassen und sonstige auf Gesetz beruhende Einrichtungen, wenn sie sich im Wettbewerb mit privaten Dienstleistern befinden.36 Hinsichtlich schlicht-hoheitlichen Handelns gilt: Handeln im Rahmen allgemeiner öffentlicher Aufgabenerfüllung und geschäftliches Handeln schließen sich nicht aus: Schlicht-hoheitliches Handeln im Leistungsverhältnis (Austauschprozess) kann durchaus zugleich als geschäftliches Handeln im Wettbewerbsverhältnis (Parallelprozess) anzusehen sein.37 Ob die öffentliche Hand als Akteur auf der Bühne der „Sozialwirtschaft“ Privatunternehmen Konkurrenz machen darf, entscheidet sich zwar richtigerweise nach Verwaltungs- und Sozialrecht.38 Wie sie sich Konkurrenten gegenüber verhalten darf, deren Geschäftschancen durch ihre Leistungen im Rahmen der Daseinsvorsorge tangiert werden, beurteilt sich jedoch richtigerweise nach Lauterkeitsrecht.39 Zu den einschlägigen Schrankennormen zählt insbesondere das lauterkeitsrechtliche Irreführungsverbot.
27
cc) Verbraucherverbände. Von vornherein nicht von § 5 erfasst wird, unbeschadet ihrer Eignung, Wettbewerbspositionen zu stärken bzw. zu schwächen, die Verbraucheraufklärung durch hierzu berufene Verbände: Wer zur Wahrnehmung von Verbraucherinteressen neutral und mit dem Bemühen um objektive Richtigkeit Produkte beurteilt oder Preisvergleiche vornimmt, handelt nicht in Förderung fremden Wettbewerbs.
_____
30 BGH 19.12.1961 – I ZR 117/60 – GRUR 1962, 254, 255 = WRP 1962, 163, 164 – Fußball-Programmheft. 31 BGH 28.11.1969 – I ZR 139/67 – NJW 1970, 378, 380 – Sportkommission; OLG Köln 21.8.1989 – 6 W 72/89 – WRP 1990, 544; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 52. 32 OLG Stuttgart 8.12.1989 – 2 U 241/89 – NJW-RR 1990, 937 (Verein zur Förderung des Rettungswesens). 33 BGH 15.11.1967 – Ib ZR 137/65 – GRUR 1968, 205, 207 – Teppichreinigung. 34 Köhler GRUR 2008, 281, 283; Sosnitza § 2 Rn. 42. A.A. LG Köln 11.12.2007 – 33 O 195/07 – GRUR-RR 2008, 198, 199. 35 Beater § 11 Rn. 17; Ohly/Sosnitza Einf D Rn. 25. 36 BGH 30.4.2014 – I ZR 170/10 – GRUR 2014, 1120 Tz. 20 – Betriebskrankenkasse II nach Vorlageentscheidung EuGH 3.10.2013 – C-59/12 – GRUR 2013, 1159 Tz. 37 – BKK Mobil Oil. 37 MünchKommUWG/Ruess Rn. 150; Ohly/Sosnitza Rn. 80. 38 Beater § 17 Rn. 35; Ohly/Sosnitza Einf D Rn. 29. 39 Beater sowie Piper/Ohly/Sosnitza aaO.
Lindacher/Peifer
680
A. Einleitung
§5
Seinem Handeln fehlt bei wertender Betrachtung bereits der „objektive Zusammenhang“ mit der Absatzförderung.40 Der Status des Verbraucherverbands als solcher verschafft freilich keinen allgemeinen Freibrief: Sofern Verbände selbst geschäftlich tätig werden, etwa mit Schriften oder Informationen handeln, dürfen Vermarktungshandlungen nicht irreführen. Die Ausdehnung des Lauterkeitsrechts auf solche Tätigkeiten ist umso mehr geboten, als die Verbände ein besonderes Vertrauen genießen, das durch Irreführung nicht enttäuscht werden darf. dd) Förderung fremder Geschäftszwecke. Geschäftlich i.S. von § 5 handelt – un- 28 abhängig davon, ob er damit zugleich eigene geschäftliche Zwecke verfolgt – auch derjenige, der objektiv zielgerichtet ein fremdes „Geschäft“ fördert, insbesondere (zu) günstige Angaben über das Angebot eines (Dritt-)Unternehmens macht (s. § 2 Abs. 1 Nr. 1). Normadressaten sind daher neben Unternehmern auch Private, ferner Wirtschaftsverbände, wenn und soweit sie Angaben treffen, die den Geschäftszweck ihrer Mitglieder fördern.41 Relevant werden solche Handlungen im Zusammenhang mit Bewertungen von Unternehmen auf Internetportalen, aber auch im Rahmen der objektiven Absatzförderung durch sog. „Influencer“ auf Webseiten sozialer Mediendienste (vgl. insoweit Anh. § 3 Abs. 3 Nr. 11 Rn. 12, unten § 5a Rn. 133, 136, 157). Die deutsche Auslegung zur Förderung fremden Wettbewerbs ist allerdings ein wenig ins Wanken geraten, seit der EuGH in einem Fall, der die unzureichende Kennzeichnung einer redaktionell aufgemachten Werbung betraf, annahm, dass die Aufnahme kommerziell motivierter Inhalte durch ein Presseunternehmen keine „geschäftliche Handlung“ sei, weil hierdurch nicht der eigene Absatz des Presseunternehmers gefördert werde.42 Dagegen lässt sich zum einen anführen, dass eine solche Deutung den mit der RL UGP beabsichtigten Verbraucherschutz nicht stärken, sondern gefährden könnte. Zum anderen lässt die Deutung unberücksichtigt, dass die Finanzierung der Pressetätigkeit durch nicht gekennzeichnete Zahlungen aus kommerziellem Interesse durchaus die eigene Geschäftstätigkeit des Presseunternehmens fördern kann, weil insoweit die Finanzierungsgrundlage des Medienbetreibers gestärkt wird (vgl. auch oben Anh. § 3 Abs. 3 Nr. 11 Rn. 7). Die Literatur im deutschen Schrifttum lehnt daher die Engführung durch den EuGH zu Recht ab.43 Unabhängig davon, ob der EuGH diese Rechtsprechung im hier vertretenen Sinne präzisiert, bleibt sie zunächst auf publizistische Tätigkeiten durch die Presse beschränkt. 3. Öffentliche Werbung und Einzelwerbung. Soweit die Beurteilung werblicher 29 Äußerungen in Frage steht, erfasst § 5 (anders als die Vorgängervorschrift bis zur Novelle 1969 und noch heute die Strafvorschrift des § 16) nicht nur irreführende Angaben in öffentlichen Bekanntmachungen bzw. Mitteilungen für einen größeren Personenkreis, sondern alle Angaben im geschäftlichen Verkehr: Werbungsadressat kann neben dem an der fraglichen Ware/Dienstleistung interessierten „Publikum“ und einem durch Verbandszugehörigkeit abgegrenzten Personenkreis auch jede Einzelperson sein, ohne dass es – wie vor der UWG-Novelle 1969 – darauf ankommt, ob die Mitteilung an diese zur Weiterverbreitung an Dritte bestimmt oder die Einzelmitteilung nur Teil einer allgemei-
_____
40 Begr. zu § 5 UWG 2008 BTDrucks 16/10145/21; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 49. 41 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 49. 42 EuGH 17.10.2013 – C-391/12 – GRUR 2013, 1245 Tz. 49 – RLvS Verlagsgesellschaft mbH/Stuttgarter Wochenblatt GmbH. 43 Zu Recht krit. insoweit Glöckner FS Köhler (2014), S. 159, 165 m.w.N.; Demuth WRP 2014, 35, 38; Koch FS Köhler (2014) S. 359, 366.
681
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
nen Verbreitung an zahllose Einzelpersonen ist.44 Diese Auslegung ist auch richtlinienkonform,45 zumal die Richtlinie nicht nur Werbung, sondern jede Geschäftspraktik einbezieht, mithin auch die Auskunft, die in einem Einzelgespräch mit einem Verbraucher zwecks oder vor Vertragsanbahnung erfolgt.46 B. Allgemeine Voraussetzungen B. Allgemeine Voraussetzungen I. Angaben 30
1. Begriff. Das Tatbestandsmerkmal „Angaben“ ist funktionsbezogen zu bestimmen. Wenn § 5 auf die Verhinderung werblicher Äußerungen zielt, die aus Adressatensicht den Anspruch sachlicher Information erheben, aber nicht einlösen (v §§ 5, 5a Rn. 1), muss der Begriff der Angabe entsprechend zugeschnitten gefasst werden: Er deckt alle Äußerungen, wenn und soweit ihnen der Verkehr einen einschlägigen Informationswert beimisst und sie hinsichtlich ihres Inhalts der Verifizierung bzw. Falsifizierung zugänglich sind.47 Aussagen über den Eintritt oder Fortbestand von Umständen mit Bezugspunktcha31 rakter in der Zukunft haben einen informativen Gehalt, mithin Angabencharakter, wenn und soweit sie aus der Sicht des angesprochenen Verkehrs mit einer Aussage zur Eintritts- bzw. Fortbestandswahrscheinlichkeit verbunden sind. Ob einschlägige Wahrscheinlichkeitsaussagen in seriöser Weise möglich sind, die konkrete Wahrscheinlichkeitsaussage bejahendenfalls als lege artis getroffen zu qualifizieren ist, lässt sich bereits gegenwärtig prüfen. Abkürzungen sind Angaben, sofern sie vom Angesprochenen als einschlägiges 32 Code-Wort verstanden werden und das Abgekürzte informationswertig ist, wie etwa die Abkürzung „UVP“ für „unverbindliche Preisempfehlung“.48 2. Abgrenzung 33
a) Werturteile. Keine Angaben i.S. von § 5 sind zunächst alle werblichen Äußerungen, die vom Verkehr ob ihrer Prägung durch das Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens als reine Werturteile verstanden werden.49 Subjektiv gefällte Urteile, insbesondere des Werbenden in eigener Sache, sind Meinungsäußerungen ohne Informationswert; ihre „Richtigkeit“ lässt sich nicht nach objektiven Maßstäben überprüfen. Kasuistik: Die Zeitungsanzeige eines Kommunikationsdienstleisters, die einer lächelnden jungen Frau den Slogan „Meine Nr. 1“ in den Mund legt, enthält bereits keine Angabe i.S. des § 5 Abs. 1 S. 2: Die Aussage erhält durch die Einfügung des Possessivpronomens eine subjektive Färbung und wird daher zum bloßen Werturteil.50 Die Bezeichnung einer Brille als „hochwertig“ kann ohne Informationsgehalt sein, wenn die Um-
_____
44 OLG München 6.5.1954 – 6 U 2035/53 – GRUR 1955, 48; OLG Oldenburg 25.5.1965 – 1 Ss 114/65 – GRUR 1967, 107 – Wäschefabrik. 45 EuGH 16.4.2015 – C-388/13 – GRUR 2015, 600 – Ungarische Verbraucherschutzbehörde/UPC. 46 EuGH 16.4.2015 – C-388/13 – GRUR 2015, 600 Tz. 37 – Ungarische Verbraucherschutzbehörde/UPC. 47 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 181; Harte/Henning/Dreyer B Rn. 51; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.21; Ohly/Sosnitza Rn. 84. 48 BGH 7.12.2006 – I ZR 271/03 – GRUR 2007, 603, 604 = WRP 2007, 769, 771 – UVP. 49 Emmerich § 14 Rn. 13; MünchKommUWG/Ruess Rn. 155; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 183 f.; Ohly/Sosnitza Rn. 86. 50 OLG Bremen 27.8.2010 – 2 U 62/10 – GRUR-RR 2011, 147.
Lindacher/Peifer
682
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
stände nicht Tatsachen nennen, welche aus Sicht des Adressaten diese Bewertung unterfüttern.51 Zu beachten bleibt freilich, dass reine Werturteile in der Werbepraxis eher selten 34 sind. Viele Meinungsäußerungen enthalten einen objektiv nachprüfbaren Kern. Sofern der Verkehr der zu beurteilenden Äußerung einen solchen Kerngehalt beimisst, liegt insoweit eine Angabe vor.52 Die Rechtfertigung dafür ist inhaltlich darin zu sehen, dass rein subjektive Qualitätsbehauptungen in der geschäftlichen Ansprache Kaufsignale vermitteln. Zudem ist jede Behauptung im Umfeld ihrer Darbietung zu sehen, also anhand der Umstände des Einzelfalls auszulegen.53 Soweit der Adressat sie nicht von vornherein als substanzlos und nur vollmundig versteht („Die beste Pizza des Universums“), sondern einen objektiven Gehalt vermutet, sollte das Täuschungsverbot greifen, wenn dieser objektive Inhalt nicht zutrifft. Qualitätsversprechen durch Werturteile spielen im Bereich von Nahrungs- und Nahrungsergänzungsmitteln eine besondere Rolle.54 Hierbei handelt es sich oft um Erfahrungsgüter, bei denen der Abnehmer, zudem wegen der physiologischen Wirkungen von Nahrung, auch Qualitätsversprechen Hoffnungen beimessen kann. Auch Äußerungen, die eine Rechtsfrage irreführend interpretieren, können einschlägig sein, wenn sie den Adressaten etwa davon abhalten, seine Rechte geltend zu machen (oben Rn. 16).55 Ausgenommen sind allerdings Äußerungen, die der Rechtsverteidigung dienen, weil der Adressat bei ihnen nachvollziehen kann, dass sie zu Zwecken der rechtlichen Auseinandersetzung, nicht aber als Feststellung erfolgen.56 Beispiele: Was ein „künstlerisches Ereignis“ darstellt, ist in hohem Maße eine Frage subjektiver Wertung. Dass nicht jede Ausstellung, jedes Konzert, jeder Film als solches angekündigt werden kann, sollte gleichwohl außer Zweifel stehen: Über gewisse Mindeststandards herrscht intersubjektiver Konsens. Wenn sie nicht eingehalten werden, liegt eine (irreführende) Angabe vor. Der Fremdverkehrswerbung einer Gemeinde „St., schönster Aussichtspunkt der Mosel“ wird zwar vom Verkehr durchaus Sachinformation dahin zugesprochen, dass es sich um einen unter Panoramagesichtspunkten herausgehobenen Standort handelt. Welcher der zahlreichen dieses Kriterium erfüllenden Punkte der schönste ist, ist aber letztlich eine Frage persönlicher Wertschätzung.57 Auch über die geschmackliche Qualität eines Genussmittels (wie z.B. Bier, Kaffee, Zigaretten) lassen sich durch Tests gewisse Basisfeststellungen treffen. Dass ein Produkt geschmacklich objektiv „das beste“ ist, lässt sich jedoch nicht nachweisen. Qualitätsbezogene Superlativwerbung im Bereich der Bier-,58 Kaffee-,59 Mineralwasser-60 und Zigarettenwerbung61
_____
51 BGH 3.11.2016 – I ZR 227/14 – GRUR 2017, 418 Tz. 21 – Optiker-Qualität. 52 Emmerich § 14 Rn. 13; MünchKommUWG/Ruess Rn. 155; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.25; Ohly/Sosnitza Rn. 86 f. 53 BGH 25.4.2019 – I ZR 93/17 – MRD 2019, 752 Tz. 25 – Prämiensparverträge (unter Hinweis auf Art. 6 Abs. 1 RL 2005/29/EG). 54 Vgl. BGH 3.5.2001 – I ZR 318/98 – GRUR 2002, 182, 185 = WRP 2002, 74, 78 – Das Beste jeden Morgen – Frühstückscerealien. 55 BGH 25.4.2019 – I ZR 93/17 – MDR 2019, 752 Tz. 30 - Prämiensparverträge; OLG Frankfurt 21.3.2019 – 6 U 190/17, WRP 2019, 912; Büscher/Büscher Rn. 137; Stillner WRP 2015, 438, 441. 56 BGH 25.4.2019 – I ZR 93/17 – MDR 2019, 752 Tz. 31 f. - Prämiensparverträge; Büscher/Büscher Rn. 137. 57 Richtig: OLG Koblenz 16.6.1982 – 6 U 1512/81 – WRP 1983, 225, 226. 58 BGH 28.1.1957 – I ZR 88/55 – GRUR 1957, 285, 287 – Erstes Kulmbacher; OLG Köln 29.10.1982 – 6 U 115/82, GRUR 1983, 135 – König Pilsener. A.A. freilich OLG Hamburg 11.8.1977 – 3 U 65/77 – WRP 1977, 811, 812. 59 öOGH 3.5.1977 – 4 Ob 341/77 – ÖBl 1977, 166 – Österreichs bester Kaffee. 60 OLG Köln 18.1.1991 – 6 U 262/86 – GRUR 1991, 387, 389 – The Queen of Table Waters. 61 A.A. – verfehlt – OLG Düsseldorf 25.10.1963 – 2 W 108/63 – DB 1963, 1603 – Die beste Zigarette der Welt.
683
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
wird deshalb vom Verkehr typischerweise nicht als Alleinstellungswerbung, wohl aber als Berühmung herausgehobener Qualität (Spitzengruppenwerbung) verstanden. Wer fälschlicherweise dem Verkehr unterstellt, er verstehe eine qualitätsbezogene Superlativwerbung bei Bier grundsätzlich sehr wohl als einschlägige Alleinstellungsbehauptung, muss zumindest in der Bejahung einer solchen Behauptung im Einzelfall vorsichtig sein: Der Werbespot „König-Pilsener, das Privatbier, Qualität in reinster Form – Das König-Pilsener unter den Privatbieren“ dürfte in seinem zweiten Teil allgemein als Wortspiel durchschaut und (auch) deshalb nicht als Alleinstellungs-, wohl aber als Spitzengruppenwerbung gedeutet werden.62 Der Slogan „Mutti gibt mir nur das Beste“ für ein Kindernährmittel wird vom Verkehr im Hinblick auf die unterschiedlichen und wechselnden Auffassungen, die in der Wissenschaft über die „beste“ Ernährungsweise vertreten werden, sowie die generelle Vollmundigkeit der Werbung auf diesem Gebiet nicht als Alleinstellungswerbung, wohl aber dahin verstanden, dass es sich um ein sehr gutes Produkt handelt, welches dem allgemeinen Bedürfnis, Kleinkindern das Beste angedeihen zu lassen, Rechnung trägt.63 Entsprechendes gilt für die Werbung eines Cerealienprodukt-Herstellers „K. – Das Beste jeden Morgen“. Der verständige Verbraucher nimmt nicht an, der Werbende nehme für sich in Anspruch, mit Allgemeingeltung für jedermann das geschmacklich und/oder unter ernährungswissenschaftlichen Gesichtspunkten beste Frühstücksprodukt anzubieten. Zu leisten ist nur ein qualitativ hochwertiges Produkt, das zur Spitzenklasse der auf dem betreffenden Gebiet angebotenen Erzeugnisse zählt.64 Auch der Slogan „Sinnbild und Maßstab für Desinfektion“ eines Desinfektionsmittelherstellers wird nicht als Alleinstellungsbehauptung, wohl aber als Berühmung hoher Qualität verstanden.65 Ebenso ist es bei der Bezeichnung eines Deo-Stiftes als „der beste“ sowie die „Nr. 1 gegen gelbe Flecken“.66 Die gleiche Beurteilung dürfte für Schlagworte wie „Inbegriff“ oder „Symbol“ gelten.67 Die Bezeichnung der Patente eines Wettbewerbers als „trivial“ ist vordergründig Werturteil, erweckt aber zugleich – insofern Tatsachenbehauptung – den Eindruck, die betreffenden Patente erreichten nicht das Schutzfähigkeitsniveau nach dem PatG.68 Ob die Führung des Firmenbestandteils „Mehrwert“ vom Publikum dahin (miss)verstanden wird, das Unternehmen biete mehr an (Waren-)Wert als alle seine Mitbewerber,69 erscheint zweifelhaft; auf jeden Fall beinhaltet die entsprechende Firmenführung (für sich allein oder gar in der werblichen Verwendung „Bei Mehrwert ist Ihre Mark mehr wert“) die Behauptung überdurchschnittlicher Preiswürdigkeit. Versuchen, Tatsachenbehauptungen via Einkleidung in die äußere Form eines 35 Werturteils kontrollfrei zu machen, ist der Erfolg zu versagen – gleich ob es sich um Eigenaussagen oder um Dritten in den Mund gelegte Äußerungen handelt.70 Kasuistik: Unter den Kontrollmaßstab des § 5 fallen danach folgende Formulierungen: „Wir sind davon überzeugt: weit und breit keiner günstiger“,71 „Der wohl billigste Baumarkt“,72 „Die Chinesen glauben, dass P.-Ginseng Krebs bekämpfen kann“.73
_____
62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73
Unnötig zurückhaltend insoweit OLG Köln 29.10.1982 – 6 U 115/82 – GRUR 1983, 135 – König-Pilsener. BGH 15.1.1965 – Ib ZR 46/63 – GRUR 1965, 363, 365 – Fertigbrei. BGH 3.5.2001 – I ZR 318/98 – GRUR 2002, 182, 185 = WRP 2002, 74, 78 – Das Beste jeden Morgen). BGH 24.2.1965 – Ib ZR 48/63 – GRUR 1965, 438, 439 – Sinnbild und Maßstab. LG Düsseldorf 25.7.2013 – 14c O 94/13 – BeckRS 2013, 14278. Ebenso: Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 60. OLG München 9.3.2006 – 6 U 5757/04 – GRUR-RR 2006, 268, 271. So BGH 25.10.1972 GRUR 1973, 534, 535 = WRP 1973, 88, 89 f. – Mehrwert II. Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 58. OLG Hamm 18.2.1988 – 4 U 185/87 – GRUR 1988, 768 (gepaart mit der Behauptung „Die Nummer 1 in M!“). LG Köln 21.8.2007 – 33 O 74/07 – WRP 2007, 1519, 1520. BGH 21.7.2005 – I ZR 94/02 – WRP 2005, 1519, 1520 – Ginseng Präparate.
Lindacher/Peifer
684
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
b) Reklamehafte Übertreibungen. Aus der Maßgeblichkeit des Verkehrsverständnisses (s. Rn. 64 ff.) folgt: Keine Angaben i.S. von § 5 sind weiterhin alle werblichen Übersteigerungen, die vom Verkehr als solche erfasst und durchschaut werden (vgl. auch oben Rn. 34).74 Fälle, in denen der Verkehr einer Werbeäußerung als marktschreierisch überhaupt keinen sachlich-qualitativen Inhalt beimisst, werden aber selten sein: Kaufleute würden es sich verbitten, mit Jahrmarktsakteuren gleichgestellt zu werden. Wirbt beispielsweise ein „Spielzeugmarkt“ mit der Angabe „Millionen von Spielsachen“, kann sich das Unternehmen keineswegs darauf berufen, es liege überhaupt keine ernstliche Werbeaussage vor.75 Andererseits kann keine Rede davon sein, dass das Publikum Werbebehauptungen mehr oder weniger generell ernst nimmt.76 Es ist durchaus ein verbreitetes Phänomen, dass der Verkehr Anpreisungen relativiert, sie jedenfalls nicht streng wörtlich nimmt.77 So vermutet der Verkehr beim Angebot einer „Online-Scheidung“ zwar ein schnelles Verfahren, nicht aber, dass eine Ehe gewissermaßen per Mausklick gelöst werden kann.78 Dies gilt umso mehr, wenn eine griffige Formulierung durch Erläuterungen klargestellt wird.79 Die Qualifikation einer werblichen Äußerung als reklamehafte Übertreibung liegt zunächst dort nahe, wo die Werbebehauptung sich einer Überprüfung nach objektiven Kriterien entzieht: Soweit sich der Verkehr dessen bewusst ist, wird er von sich aus Wasser in den Wein der (zu) vollmundigen Werbebotschaft schütten und die betreffende Äußerung – zumindest in ihrem überschießenden Teil – nicht als Sachinformationsversuch werten. Reklamehafte Übertreibung steht insoweit – mit fließenden Grenzen – der werblichen Meinungsäußerung in der Form des Werturteils nahe: Während der Verkehr dort die Werbebotschaft als wortsinngemäß gewollt, aber eben nur als subjektives Urteil versteht, nimmt er sie hier in ihrem reklamehaft übertreibenden Teil nicht ernst und verneint insoweit deshalb eine Angabe i.S. von § 5. Aber auch dann, wenn Anpreisungen bei wortsinngemäßem Verständnis ihrem Inhalt nach durchaus verifizier- bzw. falsifizierbar wären, kann nach den Umständen des Einzelfalls eine vom Verkehr nicht ernst genommene reklamehafte Übertreibung vorliegen. Ob der Verkehr den Werbenden bei (zu) vollmundigen Anpreisungen beim Wort nimmt, hängt dabei zunächst von der Person des Werbenden ab: Werbliche Äußerungen bekannter, angesehener Unternehmen werden eher ernst genommen. Eine erkannte reklamehafte Übertreibung ist hier (noch) zurückhaltender zu bejahen als sonst.80 Leistungsprogrammbezogene Werbebotschaften eines Fachhändlers genießen tendenziell verstärktes Vertrauen. Dass Übersteigerungen branchenüblich sind, bedeutet nicht ohne weiteres, dass das Publikum einschlägigen Werbeäußerungen nicht glaubt und von vornherein nicht glauben darf: Die Bekämpfung von Schwindelreklame darf nicht a priori an der Existenz des Reklameschwindels scheitern.81 Da die Vorstellung des Werbeadressaten durch die allgemeine Übung im Wettbewerb, also auch durch das Werbeverhalten der Konkurrenten des werbenden Unternehmens, jedenfalls mitgeprägt
_____
74 Ohly/Sosnitza Rn. 88; Emmerich § 14 Rn. 17. 75 OLG Zweibrücken 21.3.1991 – 6 U 15/88 – WRP 1992, 281. 76 So freilich noch Bußmann/Droste Werbung im Spiegel des Rechts, 1951, 48. 77 Übereinstimmende Diagnose: KG 24.1.1989 – 5 U 6486/88 – WRP 1990, 173, 176; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 100. 78 OLG Hamm 3.2013 – 4 U 162/12 – GRUR 2013, 746 – Online-Scheidung. 79 OLG Hamm 3.2013 – 4 U 162/12 – GRUR 2013, 746, 748 – Online-Scheidung. 80 BGH 22.5.1981 – I ZB 7/80 – GRUR 1981, 910, 911 – Der größte Biermarkt der Welt; Gloy/Loschelder/ Erdmann/Helm § 59 Rn. 100; Ohly/Sosnitza Rn. 88. 81 Richtig: RG 6.10.1903 – RGSt. 36, 377, 378.
685
Lindacher/Peifer
36
37
38
39
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
wird, lässt sich die grundsätzliche Relevanz einer allfälligen Branchenübung freilich nicht leugnen: Vollmundigkeit wird als solche eher durchschaut, wo sie branchenmäßig gang und gäbe ist.82 Mit Bezug auf den Inhalt der werblichen Äußerung gilt: Je substantieller eine Werbeaussage und je stärker sie auf ein bestimmtes Wirtschaftsgut hinweist, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass das Publikum sie auch ernst nimmt.83 Das Stilmittel des Scherzes und der Satire schließt den Angabencharakter nicht aus:84 Dem Spruch „F.: Besser aussehen als viel bezahlen“ versteht der verständige Durchschnittsverbraucher als Anpreisung, dass F.-Brillen den Kunden besser aussehen lassen und zudem nicht teuer sind.85 Im ersten Teil handelt es sich um ein Werturteil, im zweiten um eine Tatsachenbehauptung. Anerkannt ist freilich andererseits, dass offensichtliche Wortspiele und Karikaturen vom Verkehr auf ein angemessenes Maß zurückgeführt, jedenfalls als solche verstanden und nicht mit philologischem und sonstigem Ernst analysiert werden:86 Dem Slogan „Radio Diehl – the best deal“ misst der über Elementarkenntnisse des Englischen verfügende Rezipient – den Wortspielcharakter erkennend – keinen konkreten Informationsgehalt bei.87 Strengere Maßstäbe sind demgegenüber im Bereich der Gesundheitswerbung angezeigt:88 Erfahrungsgemäß ist ein erheblicher Teil des Laienpublikums geneigt, an werblich versprochene „Wunderwirkungen“ eines Heilmittels aus Unaufgeklärtheit oder verzweifelter Hoffnung zu glauben. Das betrifft oft auch Kosmetika und Nahrungsmittel, die „gesunde“ Ernährung versprechen. Ein Beispiel dafür, dass sich Aussagen zur (Un-)Zulässigkeit bestimmter Werbe40 schlagworte nicht absolut, sondern nur situativ treffen lassen, bietet die Beurteilung der Wendung „unschlagbar“. Während sie in vielen Bereichen – ähnlich wie die Ausdrücke „einmalig“, „unübertroffen“, unzerreissbar“, „riesengroß“, „Spitze“, „super“ oder „spottbillig“ – als reklamehafte Übertreibung zu verstehen sein dürfte,89 wertet sie der Verkehr dort, wo mit ihr von einem Fachunternehmen ein technisches Erzeugnis mit anerkannten und überprüfbaren Leistungsmerkmalen beworben wird, durchaus als ernstgemeinte Alleinstellungsbehauptung, mithin als Angabe.90 Auch Aussagen, denen der Charakter der Übertreibung auf die Stirn geschrieben, 41 werden freilich vom Verkehr nicht selten in reduziertem Umfang als sachinformative Äußerung verstanden. Sie sind dann insoweit Angaben i.S. von § 5.91 Dass der Angabencharakter überwiegt,92 ist nicht erforderlich. Meinungsäußerung und Sachinformation stehen bei reklamehaften Übertreibungen mit einem nachprüfbaren Kern nebeneinander, nicht im Verhältnis der Alternativität. Kasuistik: Schlagworte wie „Preisskandal“, „Es lebe billig“, „Geiz ist geil“ oder „Das gibt es doch nicht“ suggerieren nicht, dass der Anbieterpreis der günstigste und nicht zu
_____
82 Übereinstimmend: BGH 15.1.1965 – Ib ZR 46/63 – GRUR 1965, 363, 364 f. – Fertigbrei; Gloy/ Loschelder/Erdmann/Helm § 53 Rn. 57. 83 OLG Stuttgart 15.4.1988 – 2 U 261/87 – NJW-RR 1988, 1254. 84 Ohly/Sosnitza Rn. 85; ebenso im Umfeld herabsetzender Äußerungen BGH 1.10.2009 – I ZR 134/07 – GRUR 2010, 161 Tz. 17 – Gib mal Zeitung. 85 BGH 7.11.1996 – I ZR 183/94 – GRUR 1997, 227, 228 – Aussehen mit Brille. 86 MünchKommUWG/Ruess Rn. 158; Harte/Henning/Dreyer B Rn. 50. 87 OLG Frankfurt 28.5.1998 – 6 U 10/98 – NJW-RR 1999, 770. 88 BGH 27.2.1980 – I ZR 8//78 – GRUR 1980, 797, 799 = WRP 1980, 541, 543 – Topfit Boonekamp; 3.5.2001 GRUR 2002, 182, 185 = WRP 2002, 74, 79 – Das Beste jeden Morgen; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 100 a.E.; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 185. 89 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 209. 90 BGH 25.10.1974 – I ZR 94/73 – GRUR 1975, 141, 142 f. – Unschlagbar m. Anm. Malzer. 91 LG Konstanz 27.10.2016 – 9 O 31/16 KfH – WRP 2017, 242; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 100; Harte/Henning/Dreyer B Rn. 64. 92 So Kaestner WRP 2006, 1149, 1151.
Lindacher/Peifer
686
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
unterbieten ist, sie werden vielmehr nur dahin verstanden, dass es sich um ein Angebot im Bereich des unteren Preisniveaus handelt.93 Die Aussage „Wissenschaftler entdecken das erstaunliche Molekül der ‚Unsterblichkeit‘ in einem Glas Rotwein“ in der Werbung für ein Nahrungsergänzungsmittel, das den Wirkstoff Resveratrol enthält, reklamiert zumindest eine signifikant lebenszeitverlängernde Wirkung.94 Die Bezeichnung des Bonusprogramms einer Krankenkasse als „einzigartiges Modell“ ist keine reklamehafte Übertreibung, sondern (irreführende) Alleinstellungswerbung, wenn auch bei anderen Krankenkassen solche Bonusmodelle angeboten werden.95 c) Assoziative Werbung. An einer konkreten Angabe i.S. von § 5 wird es häufig bei werblicher Verwendung sprachlicher oder bildhafter Symbole fehlen. Entscheidend ist, ob die einschlägige Werbung nur vage, allgemein kaufstimulierende Assoziationen auslöst, oder aber – für sich allein oder im Zusammenspiel mit anderen Elementen – als eine im Kern sachinformative Tatsachenbehauptung verstanden wird.96 Kasuistik: Die Bezeichnung „Hollywood Duftschaumbad“ wird vom Verkehr jedenfalls beim Fehlen von „Plusfaktoren“ nicht als Qualitätsaussage gedeutet.97 Lediglich „einstimmenden“ Charakter haben i.d.R Namen wie Ascot, Derby, Capri, Monaco, Lido, St. Tropez, Savoy sowie Bezeichnungen wie Power, Energy, Style oder ähnlich positiv besetzte Begriffe:98 Sie zielen auf Vermittlung des Eindrucks eines Lebensgefühls, nicht auf Überzeugung des Kunden durch rationale Argumentation. Eher als Life-Style-Werbung denn als – objektiv falsche – physiologische Wirkaussage zu verstehen sind werbliche Äußerungen wie „Edelstein-Schmuck vertreibt die Müdigkeit“.99 Die Werbung mit Prominenten setzt im Allgemeinen nur auf generell kaufstimulierende Assoziation, nicht auf Information und wird üblicherweise auch nicht im letzteren Sinn (miss)verstanden.100 Insbesondere wird der Verkehr nicht vermuten, dass der Prominente tatsächlich eine Bindung zu dem Produkt hat oder es gar anwendet. Ob sich Assoziationen bei der Verwendung symbolhafter Zeichen im Verkehr derart konkretisieren und verfestigen, dass von einer Angabe i.S. von § 5 gesprochen werden kann, ist jeweils unter Berücksichtigung der konkreten Verwendungsform zu prüfen: Ein Schlangenzeichen weckt Anklänge an Gesundheit und Medizin. Ob der Verkehr die Abbildung einer Schale mit Schlange auf der Verpackung kosmetischer Erzeugnisse als Hinweis auf eine wie immer geartete Förderung des gesundheitlichen Wohlbefindens (miss-)versteht, hängt auch von der Aufmachung der Verpackung im Übrigen ab.101 An das Ausmaß der Vorstellungskonkretisierung sind keine übertriebenen Voraussetzungen zu stellen: Die werbliche Äußerung muss nicht ganz bestimmte Erwartungen hinsichtlich der Produktbeschaffenheit, der Qualität, des Preises oder sonstiger Umstände wecken. Es genügt die Eignung der Äußerung, eine marktentscheidungserhebliche allgemeine Wertschätzung hinsichtlich des beworbenen Unternehmens und/ oder des beworbenen Produkts hervorzurufen.
_____
93 OLG Celle 4.11.2004 – 13 U 136/04 – WRP 2005, 250, 251 – Preis-Skandal. 94 LG Berlin 9.4.2007 – 15 O 564/06 – BeckRS 2008, 02054. 95 LG Konstanz 27.10.2016 – 9 O 31/16 KfH – WRP 2017, 242; vgl. auch OLG Hamm 24.9.2013 – 4 U 64/13 – WRP 2014, 220 („einziges Vollprogramm“ für Zahngesundheitsleistungen). 96 MünchKommUWG/Ruess Rn. 157; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 192; Gloy/Loschelder/Erdmann/ Helm § 59 Rn. 61. 97 BGH 30.1.1963 – Ib ZR 183/61 – GRUR 1963, 482, 484. 98 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 192. 99 AA. freilich OLG Düsseldorf 27.3.2007 – 20 U 128/06 – BeckRS 2007, 10080. 100 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 192; Henning-Bodewig BB 1983, 605, 606 f. 101 BGH 20.3.1981 – I ZR 1/79 – GRUR 1981, 656, 657 – Schlangenzeichen m. Anm. Kicker.
687
Lindacher/Peifer
42
43
44
45
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
d) Allgemeine Kaufappelle und sonstige nichtssagende Anpreisungen 46
aa) Kaufappelle. Keine Angaben i.S. von § 5 sind bloße subjektive Kaufappelle.102 Kasuistik: Keine Angabe: der Werbespruch eines Waschmaschinenherstellers „AEGLavamat, den und keinen anderen“;103 der Slogan „Das Beste für Ihren Raum“ als Überschrift einer Anzeige für eine Großauswahl von Teppichen, Teppichböden und Bodenbelägen in allen Größen und Preislagen;104 der Satz „R. Uhren kaufen Sie am besten bei W. Oder kennen Sie eine bessere Adresse?“;105 die Mineralwasserwerbung „Ein Wasser, das Seinesgleichen sucht“).106 Auch die Wendung „Brillen für alle“ dürfte kaum mehr als eine allgemeine reklamehafte Anpreisung enthalten.107 – Dem Slogan „Klein- und feingehackt – wie im Handumdrehen“ entnimmt der Verkehr hingegen entgegen vereinzelter Literaturmeinung108 sehr wohl eine Sachaussage. Diskutieren lässt sich nur über den Inhalt der Sachaussage: während nach OLG Hamburg der interessierte Verbraucher erwarten darf, dass das eingefüllte Schnittgut nach „ein paar Umdrehungen“ klein gehackt ist,109 geht das HG Wien – wohl vorzugswürdig – von einem Verkehrsverständnis dahin aus, der Werbende mache lediglich geltend, dass der Gebrauch des Zerkleinerers mühelos und rasch und damit einfacher als der Gebrauch eines Messers vor sich geht.110
bb) Nichtssagende Anpreisungen. Keine Angaben sind nach Auffassung des Verkehrs inhaltlich substanzlos-diffuse Angaben, weil es hier bereits an einem nachprüfbaren Informationsgehalt mangelt.111 Beispiele: Aussage, das beworbene Ernährungsergänzungsmittel „aktiviere versteckte Energiereserven“; 112 nicht näher unterlegter Slogan eines Möbeleinzelhandelsgeschäfts „Irgendwie besser“;113 wohl auch Bewerbung eines Mineralwassers als „Biosphärenwasser“.114 Wendungen wie „& more“, „mehr als nur“ sind je nach Kontext sachinformativ oder 48 aber bar eines konkretisierungsfähigen Gehalts: Der Werbespruch „Mehr als eine Apotheke“ wurde zu Recht als nichtssagende Anpreisung qualifiziert,115 der mit dem Slogan „Get More“ werbende Mobilfunk-Betreiber hingegen durchaus beim Wort genommen und die Angabe als irreführend erachtet, weil sich das Angebot im Hinblick auf Netzabdeckung, Sprachqualität, Tarife und Service nicht von den Leistungen anderer Anbieter unterschied.116 47
_____
102 MünchKommUWG/Ruess Rn. 156; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 59; Götting/Kaiser/ Hetmank § 11 C Rn. 11. 103 BGH 5.2.1965 – Ib ZR 30/63 – GRUR 1965, 365, 366 – Lavamat II m. Anm. Reimer. 104 BGH 26.4.1989 – I ZR 125/87 – GRUR 1989, 608, 609 – Raumausstattung. 105 KG 31.3.1982 – 5 U 209/81 – WRP 1982, 220, 221. 106 OLG Frankfurt 4.7.2007 – 14 W 51/07 – WRP 2007, 1386, 1388. 107 Zumindest Bedenken hinsichtlich des Angabencharakters auch KG 24.11.1989 – 5 U 5705/89 – GRUR 1990, 631. 108 Kaestner WRP 2006, 1149, 1151. 109 OLG Hamburg 4.5.2006 – 3 U 210/05 – WRP 2006, 1152, 1153. 110 HG Wien 24.4.2006 – 10 Cg 181/05 – WRP 2006, 1154. 111 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.30; Ohly/Sosnitza Rn. 88. 112 BGH 4.9.2003 – I ZR 32/01 – GRUR 2004, 72 – CoenzymQ 10 zu § 17 Abs. 1 Nr. 5 S. 1 lit. a LMBG. 113 OLG Rostock 19.4.1995 – 2 U 13/95 – WRP 1995, 658, 659. 114 A.A. OLG Frankfurt 4.7.2007 – 14 W 51/02 – WRP 2007, 1386, 1388. 115 LG Dresden 19.8.2004 – 41 O 575/01 – GRUR-RR 2005, 232. 116 OLG Hamburg 26.6.2003 – 3 U 193/02 – GRUR-RR 2003, 377 Ls.
Lindacher/Peifer
688
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
e) Qualifikation im Einzelfall: Maßgeblichkeit der Verkehrsauffassung. Ob und 49 in welchem Umfang eine werblich Äußerung Angabe i.S. von § 5 ist, bestimmt sich in Grenzfällen allein nach dem Verständnis der durch die Werbung angesprochenen Zielgruppe, genauer (s. Vor §§ 5, 5a Rn. 62 ff., 96 ff.): dem Verständnis eines durchschnittlich informierten und verständigen, situationsadäquat aufmerksamen Mitglieds des jeweiligen Verkehrskreises. Der verständige Verbraucher/Unternehmer erliegt nicht der Versuchung, einer eindeutigen Meinungsäußerung einen fernliegenden Tatsachengehalt zuzuweisen. Wegen des verfassungsrechtlichen Schutzes auch von geschäftlichen Meinungsäußerungen ist im Zweifel nach dem Grundsatz „in dubio pro libertate“ von einer bloßen Meinungsäußerung auszugehen.117 3. Irrelevanz der Ausdrucksform (§ 5 Abs. 3 2. Alt.). Die Ausdrucksform werbli- 50 cher Äußerungen ist für ihren Charakter als „Angabe“ gleichgültig. § 5 Abs. 3 2. Alt. stellt ausdrücklich klar, dass bildliche Darstellungen und „sonstige Veranstaltungen“ textgebundener Kommunikation gleichstehen: Erfasst werden alle Kommunikationszeichen, die einen inhaltlich nachprüfbaren Inhalt sinnfällig zum Ausdruck bringen.118 Angaben i.S. von § 5 können mithin in Wort (geschrieben oder gesprochen), Bild, 51 Ton oder sonstiger Sinnesansprache, ausdrücklich oder konkludent, in einem bestimmten Umstandskontext deshalb auch durch schlichte Gebärden oder Handlungen gemacht werden. Auch in der Gestaltung und Aufmachung einer Ware (einschließlich ihrer Verpackung) kann eine Angabe über geschäftliche Verhältnisse liegen. Kasuistik: Die Unterlegung einer Rundfunkwerbung für Teigwaren mit dem (Lege-) Gegacker von Hühnern weist auf Herstellung der Teigwaren mit Frischei hin.119 Werbung für eine Schokolade in Schweizer Mundart lässt Herkunft aus der Schweiz erwarten.120 Die Verwendung der Farbkombination Rot-Weiß-Grün auf Salamietiketten deutet auf Herkunft der Ware aus Ungarn bzw. Italien hin.121 Die Abfüllung eines Weins in der für Frankenwein typischen Bocksbeutelflasche symbolisiert einschlägige geografischer Herkunft.122 Die eigenartige Formung eines Absperrpfostens (Pollers) weist auf eine bestimmte betriebliche Herkunft hin.123 Aus der Dimensionierung einer Abfüllpackung schließt der Verkehr auf den Volumeninhalt.124 Der Abdruck einer Anzeige wird als Abdruck einer bestellten und bezahlten Anzeige verstanden, mithin als Aussage mit Bezug zum Umfang des bezahlten Anzeigevolumens.125 Die unmittelbare Gegenüberstellung der eigenen Tarifpreise und der Preise eines konkurrierenden Stromanbieters unter Hervorhebung ökologischer Qualitätsmerkmale des eigenen Angebots rechtfertigt die Deutung, dass die verglichenen Produkte hinsichtlich der hervorgehobenen Merkmale in etwa übereinstimmen.126 Demgegenüber dürfte eine Holzmaseroptik auf einem KunststoffFurnier in Hinblick auf den hohen Verbreitungsgrad von Kunststoffmöbeln mit Natur-
_____
117 So Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 183; als „wünschenswert“ angesehen bei MünchKOmmUWG/ Ruess, Rn. 155, a.A. Vorauflage GK/Lindacher: „lässt sich kaum begründen“. 118 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 183; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.39. 119 BGH 27.6.1961 – I ZR 135/59 – GRUR 1961, 544 – Hühnergegacker. 120 LG München I 16.1.1980 – 7 HKO 14322/79 – GRUR Int. 1980, 667, 668 – Alpia. 121 BGH 10.4.1981 – I ZR 162/79 – GRUR 1981, 666 – Ungarische Salami I; 24.6.1982 – I ZR 108/80 – GRUR 1982, 685 – Ungarische Salami II. 122 BGH 12.3.1971 – I ZR 115/69 – GRUR 1971, 313 – Bocksbeutel. 123 OLG Frankfurt 7.3.1991 – 6 U 200/89 – GRUR 1991, 778 – Wellmann-Poller. 124 BGH 30.10.1981 – I ZR 156/79 – GRUR 1982, 118 – Kippdeckeldose. 125 BGH 23.1.1997 – I ZR 226/94 – GRUR 1997, 380 – Füllanzeigen. 126 OLG Karlsruhe 26.6.2008 – 4 U 187/07 – GRUR-RR 2008, 407 – Preiswerbung mit ökologischen Aussagen.
689
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
holzoptik zumindest heute nicht mehr als (irreführender) Beschaffenheitshinweis auf das Material Holz verstanden werden.127 Sollte der Verkehr bestimmte Farben bei Abschleppseilen immer noch nicht als DIN-gerechten Hinweis auf bestimmte Zugfestigkeiten ansehen,128 erweckt eine Farbgebung, die nach DIN-Norm nur bei höherer Belastbarkeit gerechtfertigt ist, zumindest unter dem Gesichtspunkt des § 5a Bedenken: Die DINnormwidrige farbliche Gestaltung erschwert die Herausbildung einer DIN-konformen Verkehrsauffassung und zementiert damit eine Marktintransparenz. Behauptungen tatsächlicher Art (=Angaben) sind auch in der Form eines Fragesat52 zes möglich, wenn der Kontext eine dahingehende Feststellung nahelegt.129 4. Gebrauch einer Unternehmens-, Verbands-, Produkt- oder Verfahrensbezeichnung. Angabe i.S. von § 5 ist insbesondere auch der Gebrauch eines Unternehmenszeichens, vor allem das Führen eines Firmen-130 oder eines Domainnamens.131 Entsprechendes gilt für die Verwendung eines Vereins- oder Verbandsnamens,132 einer Marke133 oder einer Verfahrensbezeichnung134 (zum Nebeneinander von kennzeichenrechtlichem und lauterkeitsrechtlichem Schutz Vor §§ 5, 5a Rn. 150 ff.). Allerdings fehlt die Marktaußenwirkung noch, solange die Domainbezeichnung nur eingetragen, aber noch nicht aktuell benutzt wird.135 Soweit der Firmengebrauch eine relevante Irreführung i.S. von § 5 darstellt (zum 54 Sonderproblem der Ausstrahlwirkung von § 24 HGB auf das Lauterkeitsrecht s. Rn. 805), ist der lauterkeitsrechtliche Unterlassungsanspruch unbeschadet der Eintragung ins Handelsregister gegeben:136 Die der Eintragung zugrundeliegende Entscheidung des Registergerichts entfaltet – der Verallgemeinerung fähige Entscheidung des § 37 Abs. 2 HGB – keine Bindung. Allfällige Besitzstandsgesichtspunkte finden, wenn überhaupt, im Rahmen der allgemeinen ergänzenden Interessenabwägung Berücksichtigung (s. i.E. Rn. 276 ff.). Entsprechendes gilt für die Verwendung eines Verbandsnamens in Hinblick auf die Eintragung ins Vereinsregister oder einer Marke in Hinblick auf die Eintragung ins Markenregister.137 Im letztgenannten Fall kann und muss im Rahmen der Prüfung nach § 8 Abs. 2 Nr. 4 MarkenG (früher: § 4 Abs. 2 Nr. 2 WZG) die konkrete Benutzungsform des Warenzeichens berücksichtigt werden, mit der Folge, dass die Verwendung u.U. nur für bestimmte Produkte oder in bestimmter Weise zu untersagen ist.138 53
55
5. Handeln und Unterlassen. Wie jedes auf Verhindern eines negativen Erfolgs gerichtete deliktsrechtliche Verbot erfasst auch das lauterkeitsrechtliche Irreführungsver-
_____
127 Anders noch OLG Düsseldorf 26.7.1974 – 2 U 153/65 – GRUR 1975, 146. 128 So noch BGH 13.12.1985 – I ZR 71/83 – GRUR 1985, 555 – Abschleppseile. 129 BGH 9.12.2003 – VI ZR 38/03 – NJW 2004, 1034, 1035; Ohly/Sosnitza Rn. 94. 130 BGH 9.6.1953 – I ZR 97/51 – BGHZ 10, 196, 201 = GRUR 1954, 271, 273 – DUN-Europa; 5.4.1990 – I ZR 19/88 – GRUR 1990, 604, 605 – Dr. S. Arzneimittel. 131 Harte/Henning/Dreyer B Rn. 69. 132 BGH 10.11.1972 – I ZR 60/71 – GRUR 1973, 371, 372 – Gesamtverband; BGH 7.5.1987 – I ZR 141/85 – GRUR 1987, 638 = WRP 1987, 629 – Deutsche Heilpraktiker. 133 BGH 11.10.1972 – I ZR 38/71 – GRUR 1973, 532, 533 – Millionen trinken; BGH 22.5.1981 – I ZB 7/80 – GRUR 1981, 910 – Der größte Biermarkt; OLG Stuttgart 4.7.2013 – 2 U 157/12 – GRUR-RR 2014, 251, 253 (Mark Brandenburg). 134 BGH 12.3.1969 – I ZR 79/67 – GRUR 1969, 422, 423 – Kaltverzinkung. 135 EuGH 11.7.2013 – C-657/11 – GRUR 2013, 1049 Tz. 42, 60 – BEST/Visys. 136 BGH 9.6.1953 – I ZR 97/51 – BGHZ 10, 196, 200 = GRUR 1954, 271, 273 – DUN-Europa. 137 BGH 18.1.1955 – I ZR 102/53 – GRUR 1955, 251– Silberal; BGH 1.3.1984 – I ZR 48/82 – GRUR 1984, 737, 738 – Ziegelfertigstütze. 138 BGH 20.3.1981 – I ZR 1/79 – GRUR 1981, 656, 657 – Schlangenzeichen.
Lindacher/Peifer
690
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
bot nach § 5 Verletzungshandeln in Form positiven Tuns und Verletzungshandeln durch Unterlassen. Die Abgrenzung der beiden Handlungsformen ist dabei vor allem in Konstellationen, in denen Reden und Schweigen gerade in ihrer spezifischen Verknüpfung eine irreführende Wirkung entfalten, traditionellerweise strittig. Nach verbreiteter Meinung verstößt derjenige, der Fehlvorstellungen nicht ausräumt, die er durch unklare oder unvollständige Werbebotschaften auslöst, gegen das lauterkeitsrechtliche Irreführungsverbot im Wege des Unterlassens (zum einschlägigen Meinungsstreit und -stand Vor §§ 5, 5a Rn. 116 ff.). Nach hier favorisierter Ansicht (Vor §§ 5, 5a Rn. 119) handelt es sich bei unklaren 56 oder lückenhaften Angaben um Fälle positiven Tuns:139 Wer zu wenig sagt und dadurch das Publikum in geschäftsentscheidungsbedeutsamer Weise irreführt, setzt nicht den Doppeltatbestand einer Handlung im Sinne positiven Tuns und einer Handlung im Sinne einer Unterlassung. Das Zurückhalten relevanter Information hat nur Auswirkung darauf, wie der Verkehr die gemachte (= positive) Angabe versteht (und damit auf den Inhalt der getroffenen Äußerung). Der Abwehranspruch zielt nicht auf die Leistung einer bestimmten Information, sondern auf Unterlassen eines positiven Anbieterverhaltens, das ohne aufklärenden Hinweis desinformativ wirkt. Kasuistik: Wer eine Anlage als „neu“ anbietet, ohne darauf hinzuweisen, dass diese neben Neuteilen auch neuwertige, aber gebrauchte Teile enthält, führt nicht durch Verschweigen, sondern durch positives Tun irre: ein „Neuangebot“ lässt Fabrikneuheit in allen Teilen erwarten.140 Nimmt der Verkehr auf Grund von Angaben über die Preisgünstigkeit eines fortlaufend zu ergänzenden Nachschlagewerks Preisgünstigkeit nicht nur hinsichtlich des Grundwerks, sondern auch hinsichtlich der Nachlieferungen an, ist die Irreführung über die Preisgestaltung der Nachlieferungen nicht Folge mangelnder Aufklärung, sondern Folge der gesamten Aufmachung des Bestellformulars und damit Folge einer positiven Aussage.141 Um echtes Handeln durch Unterlassen geht es unstreitig (und nach hier vertretener 57 Meinung: nur) in der Fallgestaltung, dass die ursprüngliche positive Angabe durch Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse nachträglich unrichtig geworden ist und nachwirkend irreführt.142 Thematisiert ist hier nicht der Anspruch auf Beseitigung der Wirkung vorangegangenen rechtswidrigen Tuns, sondern das Gebot gefahrgegensteuernden neuen Tuns. Dessen Unterlassung steht der Gefahrsetzung durch positive Äußerungen gleich, wenn und soweit die zunächst unter Irreführungsaspekten nicht zu beanstandende Angabe bei objektiver Ex-ante-Prognose mit dem Risiko späterer Irreführungseignung behaftet war. 6. Werbung mit Äußerungen Dritter Schrifttum Semler Zur werbemäßigen Verwendung der Äußerungen Dritter, WRP 1979, 524.
Dass der Verkehr Äußerungen über geschäftliche Verhältnisse, die in einem Werbe- 58 spot einem Akteur in den Mund gelegt werden, als Angaben des Werbenden (und nicht
_____
139 Gleichsinnig: Schricker FS Zweigert (1981) 537, 570 f., ferner: MünchKommUWG/Ruess Rn. 160; Fezer/Büscher/Obergfell § 5a Rn. 33 ff.; Kehl § 21 IV/2; Bornkamm WRP 2012, 1, 2. 140 BGH 5.4.1995 – I ZR 59/93 – GRUR 1995, 610, 611 – Neues Informationssystem. 141 BGH 30.10.1997 – I ZR 142/95 – VuR 1998, 286, 288 – Beraterhandbuch. 142 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 254; Ohly/Sosnitza Rn. 204.
691
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
als solche des Akteurs) versteht, bedarf kaum der Hervorhebung: Wenn der „TchiboMann“ in einem Werbespot das Produkt des Hauses mit den Worten preist „Für mich ist er Deutschland frischester Kaffee“, handelt es sich – ausschließlich – um eine Meinungsäußerung (mit objektiv nachprüfbaren Tatsachenkern) der Firma Tchibo.143 Eine Angabe des Werbenden liegt nach der Verkehrsauffassung aber auch vor, wenn 59 dieser (echte) Äußerungen Dritter wiedergibt: Mit der Bezugnahme auf eine fremde Äußerung macht man sich diese zu eigen.144 Dies gilt selbst dann, wenn dem Werbenden die Kompetenz zur Beurteilung der Richtigkeit der Drittäußerung erkennbar fehlt, insbesondere bei der Wiedergabe wissenschaftlicher Äußerungen.145 Beispiel: Versendet ein pharmazeutisches Unternehmen im Anschluss an einen Kongress Sonderdrucke eines dort vorgestellten, für ein Unternehmensprodukt günstigen Beitrags, liegt darin eine Werbung des Unternehmens, die irreführungsgeeignet ist, wenn der fragliche Beitrag wissenschaftlichen Anforderungen nicht genügt.146 Demjenigen, der ein in Auftrag gegebenes Sachverständigengutachten verbreitet147 60 oder aber in seiner Werbung einen ihm günstigen Zeitungsartikel verwendet,148 werden die im Gutachten/Zeitungsbeitrag getroffenen Aussagen als eigene zugerechnet. Gleiches gilt für die Werbung mit Empfehlungsschreiben oder Belobigungen Dritter sowie die Werbung mit Kundendankschreiben.149 II. Irreführung 61
1. Begriff: Irreführung als mehrschichtiges Tatbestandsmerkmal. Das Merkmal der Irreführung i.S. von § 5 Abs. 1 ist rechtlicher Funktionsbegriff mit normativen Wertungen (i.E. Rn. 64 ff.). Irreführung ist das Auseinanderfallen der Ist-Vorstellung des angesprochenen Verkehrs über den Inhalt der zu beurteilenden Äußerung mit der Wirklichkeit in einem geschäftsentscheidungserheblichen Punkt. Ob ein solches Auseinanderfallen vorliegt, lässt sich zum einen empirisch überprüfen. Zum anderen wird dem Referenzverbraucher normativ zugemutet, dass er manche Irreführungen nicht fehlversteht. Empirische und normative Umstände ergänzen einander. Manch tatsächliches Verständnis unterliegt normativen Korrekturen. Solche „Stellschrauben“ ermöglichen die Sonderung rechtlich relevanter von rechtlich irrelevanter Fehlvorstellung: Vorstellungen, die ein normal informiertes, angemessen aufmerksames und verständiges „Durchschnittsmitglied“ des angesprochenen Verkehrskreises nicht fassen darf, bleiben – jenseits der Sonderkonstellation des § 3 Abs. 4 S. 2 (v §§ 5, 5a Rn. 92 ff.) – unberücksichtigt. Ob tatsächliche Fehlvorstellungen im Wege einer ergänzenden Interessenabwägung, (Rn. 268 ff.) auszunehmen sind, ist fragwürdig (anders Vorauflage). In den meisten Konstellationen benötigt man keine ergänzende korrigierende Interessenabwägung, wenn man das normative Irreführungskonzept so anwendet, dass Verbots- und Schutzinteressen bereits im Tatbestand der Irreführung miteinander abgewogen werden. Das
_____
143 OLG Hamburg 19.7.1973 – 3 U 27/73 – WRP 1973, 648. 144 BGH 17.11.1960 – I ZR 78/59 – GRUR 1961, 189, 190 – Rippenstreckmetall I; Harte/Henning/Dreyer B Rn. 98 f.; Hefermehl/Köhler/Bornkamm Rn. 2.32. 145 BGH 14.7.1961 – I ZR 40/60 – GRUR 1962, 45, 49 – Betonzusatzmittel; Harte/Henning/Dreyer B Rn. 98; OLG Frankfurt 26.9.2013 – 6 U 195/10 – WRP 2014, 103 Tz. 43. 146 BGH 17.1.2002 – I ZR 161/99 – GRUR 2002, 633, 635 – Hormonersatztherapie. 147 BGH 17.11.1960 – I ZR 78/59 – GRUR 1961, 189 – Rippenstreckmetall I; Gloy/Loschelder/Erdmann/ Helm § 539Rn. 65. 148 BGH 6.10.1965 – Ib ZR 4/64 – GRUR 1966, 92, 93 = WRP 1966, 24, 26 – Bleistiftabsätze; OLG Hamburg 12.7.2001 – 3 U 287/00 – GRUR-RR 2002, 112; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 65. 149 Hefermehl/Köhler/Bornkamm Rn. 2.50; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 65.
Lindacher/Peifer
692
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
erlaubt es, Wertungen des Bezeichnungsrechts, der Kennzeichenrechte, aber auch durch gesetzliche Vorgaben ausgelöste Irreführungen angemessen zu berücksichtigen (unten Rn. 62), sodass dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, das das Unionsrecht im Bereich der Grundfreiheiten und in Art. 11, 13 der UGP-RL angelegt hat,150 Genüge getan ist. Im Rahmen dieser tatbestandskonkretisierenden Abwägung spielt auch der empirischen Messungen zugängliche Anteil der – trotz Einsatzes geforderter Mindestfähigkeiten und Beobachtung gebotener Mindestsorgfalt – Irregeführten eine Rolle : Hohe Irreführungsquoten sprechen für eine relevante Irreführungsgefahr. Normative Korrekturen ergeben sich auch daraus, dass Ausstrahlungen des Kennzeichnungsrechts (oben v §§ 5, 5a Rn. 32, 154)151 und erworbene Besitzstände, etwa an potentiell irreführenden Bezeichnungen (oben Vor §§ 5, 5a, Rn. 32),152 bei der Annahme einer Irreführung zu berücksichtigen sind. Bei der Abwägung spielt eine Rolle, dass der Verkehr ein Interesse an Informationen 62 hat. Wer den gesetzlichen – EU-rechtlichen oder nationalen – Bezeichnungsvorschriften genügt, darf darauf setzen, dass die Nichtnotiznahme von einschlägigen Informationen grundsätzlich zulasten des angesprochenen Verkehrs geht (Vor §§ 5, 5a Rn. 52). Für eine Unterbindung der Werbung als konfundierend ist nur Raum, wo der Werbende explizit oder sonst unzweideutig Angaben macht, die im Gegensatz zur an- bzw. beigefügten Kennzeichnung stehen. Die streitgegenständliche Praktik ist – hier wie dort – gegebenenfalls zu tolerieren, weil es an einer normativen Irreführungsgefahr für den „Durchschnittsverbraucher“/„Durchschnittsunternehmer“ fehlt (abweichend Vorauflage). Dem Durchschnittsverbraucher wird gewissermaßen zugemutet, die gesetzlichen Bezeichnungsvorschriften zu kennen, also einer scheinbar irreführenden Angabe nicht zu erliegen. Die Statuierung einer quantitativen Aufgreifschwelle bezogen auf die Gruppe der 63 hinreichend Informierten, Aufmerksamen und Verständigen153 erscheint nicht veranlasst: Als Mittel der Ausgrenzung von Angaben mit zu vernachlässigender Konfusionswirkung käme sachgerechterweise nur ein auf alle Verkehrskreisangehörige bezogenes Mindestquorum in Betracht. Die erwünschte und gebotene Ausgrenzung von Fällen im Bagatellgrößenbereich leistet indes mittelbar bereits die Exklusion von Vorstellungen, die bei Anlegung des Leitbildmaßstabs nicht erklärbar ist. Der qualitative Filter erübrigt den quantitativen Filter. 2. Verkehrsauffassung a) Verkehrsauffassung als empirische Figur. Eckstein des Tatbestandselements 64 „Irreführung“ ist die Verkehrsauffassung: Der Inhalt der streitgegenständlichen Angabe bestimmt sich nach dem Verständnis des angesprochenen Verkehrs, nicht danach, was der Werbende zum Ausdruck bringen wollte bzw. will.154 Die Verkehrsauffassung ist nach ganz h.M.155 eine Seinsgegebenheit, bildet die tat- 65 sächliche Bedeutungsvorstellung des Adressatenkreises der jeweiligen werblichen Äuße-
_____
150 EuGH 6.9.2012 – C-544/10 – GRUR 2012, 1161 Tz. 56 – Deutsches Weintor (Bezeichnung „bekömmlich“ für Wein als Verstoß gegen Vorschriften der HCVO); BGH 24.1.2013 – I ZR 60/11 – GRUR 2013, 397 Tz. 44 – Peek & Cloppenburg III. 151 BGH 23.6.2016 – I ZR 241/14 – GRUR 2016, 965 – Baumann II (Leitsatz 1); BGH 1.8.2013 – I ZR 188/11, BGHZ 198, 159 Tz. 64 – Hard Rock Café. 152 Paradigmatisch BGH 7.11.2002 – I ZR 276/99 – GRUR 2003, 628 – Klosterbrauerei. 153 Hierfür etwa Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 87 sowie Roderburg Irreführungsverbot 96 f. 154 Statt aller: Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 207; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.57. 155 Statt vieler: Ahrens/Bähr Kap. 27 Rn. 10; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 216; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.57; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 91; Ahrens WRP 2000, 812, 813 f.
693
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
rung ab. Hiervon abzuweichen besteht kein Anlass. Ein von diversen Literaturstimmen156 befürworteter Wechsel vom empirischen zum normativen Verkehrsverständnis ist weder normhierarchisch noch sachlich geboten, und zwar auch deswegen, weil man sich ein wertvolles Analyseinstrument, das den Anschluss etwa zu verhaltensökonomischen Erkenntnissen eröffnet, sonst verschließen würde (oben Vor §§ 5, 5a Rn. 82). In einem essentiellen Punkt wird die Lehre von der „normierten Verkehrsauffassung“ zudem ihrem Selbstanspruch, ohne Rekurs auf die Empirie bestimmen zu können, wie der Verkehr die streitgegenständliche Angabe zu verstehen hat, gerade nicht gerecht.157 66
(1) Entgegen vereinzelter Literaturmeinung158 ist der Wechsel zur „normierten Verkehrsauffassung“ jedenfalls nicht unionsrechtlich vorgegeben.159 Das Unionsrecht bestimmt, den normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen „Durchschnittsverbraucher“ zum Maßstab erhebend, die Schutzhöhe, nicht wie dem entsprechenden Schutzauftrag auf der Ebene des nationalen Rechts Geltung zu verschaffen ist. In der Dogmatikfrage, der tatbestandlichen Konturierung des Irreführungsverbots (und damit des Merkmals der Irreführung), ist das nationale Recht grundsätzlich frei.160 Verwehrt sind nur dem Schutzauftrag nicht gerecht werdende Konstrukte. Davon, dass ein auf die Verkehrsauffassung als empirisches Element setzender empirisch-normativer Ansatz insoweit a priori ein untauglicher Ansatz ist, kann indes keine Rede sein.
67
(2) Auch die sonstigen für einen Übergang zum „normierten Verkehrsverständnis“ ins Feld geführten Argumente greifen nicht: Dem Anliegen, den Rekurs auf aufwändige Meinungsumfragen auf das Unerlässliche zu reduzieren,161 lassen sich (s. Rn. 1092 ff.) auch ohne Normierung der Verkehrsauffassung Rechnung tragen. Die Behauptung endlich, das Konzept der „normierten Verkehrsauffassung“ leiste einen Gewinn an Rechtssicherheit i.S. von Prognosesicherheit,162 war und ist eine nicht belastbare, bereits im Ansatz nicht nachvollziehbare Behauptung.
68
(3) Entscheidend gegen die Figur der „normierten Verkehrsauffassung“ spricht indes ihre konzeptionelle Schwäche.163 Die entsprechende Theorie erklärt zwar plausibel, wie der angesprochene Verkehr die werbliche Äußerung nicht verstehen darf, vermag entgegen ihrem Anspruch aber gerade keine valable positive Aussage zu treffen. Zu divergenten Vorstellungen kommt es bei der allgemeinen Publikumswerbung nämlich nicht nur zwischen Verbrauchern, die durchschnittlich informiert, angemessen aufmerksam und hinreichend kritisch sind, und solchen, die diesen Standards nicht genügen. Auch Verbraucher mit normalen Kenntnissen, situationsangepasstem Involvement und angemessener kritischer Grundhaltung verstehen ein und dieselbe Werbebotschaft nicht selten unterschiedlich. Fehlvorstellung und realitätskonforme Vorstellung stehen potentiell nebeneinander. Ob die Fehlvorstellung bei entsprechend pluraler Anschauung
_____
156 Harte/Henning/Dreyer B Rn. 21 ff.; Fezer WRP 1995, 671, 675 f.; Steinbeck EWS 1996, 234, 238 f.; Scherer WRP 1999, 991 ff. sowie GRUR 2000, 273 ff.; Ulbrich WRP 2005, 940, 942 ff. 157 Näher zum Folgenden bereits Lindacher FS G. H. Roth (2011) 461, 465 ff. 158 Harte/Henning/Dreyer B Rn. 21 ff.; Ulbrich WRP 2005, 940, 941 f. 159 EuGH 16.7.1998 – C-210/96, Slg. 1998, I-4657 Rn 35 f. – Gut Springenheide (zur Irreführungsrichtlinie 84/450). 160 EuGH 16.7.1998 – C-210/96, Slg. 1998, I-4657 Rn 34 – Gut Springenheide. 161 Erklärtes Ziel der Anhänger der „normierten Verkehrsauffassung“ seit vom Stein WRP 1970, 332 f. 162 Scherer WRP 1999, 991, 994 sowie GRUR 2000, 273, 278. 163 Treffende einschlägige Diagnose bereits durch Roderburg Irreführungsverbot 97 sowie Schweizer GRUR 2000, 923, 926, 933.
Lindacher/Peifer
694
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
eine relevante Irreführung i.S. von § 5 ist, lässt sich zumindest partiell nur mit Blick auf das quantitative Moment, also in Empirie berücksichtigender Sicht beantworten. Wie der Verkehr die streitgegenständliche Angabe zu verstehen hat, ist insoweit Ergebnis, nicht Ausgangspunkt rechtlicher Prüfung. Die normative Feststellung einer an Fachkreise (z.B. Ärzte) gerichteten geschäftlichen Handlung ist Gerichten gelegentlich auch deswegen nicht zugänglich, weil die Mitglieder des Spruchkörpers typischerweise nicht zu den einschlägigen Fachkreisen gehören.164 Gerade dann kann es erforderlich sein, das Verkehrsverständnis empirisch zu ermitteln. b) Praxisszenarien. In der Praxis stellt sich die Verkehrsauffassungsfrage rollenab- 69 hängig. Der an Unterlassung interessierte Konkurrent/Verband fragt: Wie versteht ein mit Normalwissen ausgestattetes, angemessen aufmerksames und verständiges „Durchschnittsmitglied“ des angesprochenen Verkehrskreises mutmaßlich die zu beurteilende Angabe? Weicht das einschlägige mutmaßliche Verständnis (bei gespaltenem Durchschnittsverständnis: zumindest eine Teilmenge desselben) in einem geschäftsentscheidungserheblichen Punkt von der Realität ab, liegt eine – vorbehaltlich abweichender Beurteilung kraft ergänzender Interessenabwägung – rechtlich relevante Fehlvorstellung vor. Der Intervenient wird diese Fehlvorstellung als solche geltend machen. Der Richter sowie die Gegenpartei sehen sich bereits mit einer bestimmten Fehl- 70 vorstellungsbehauptung konfrontiert. Sie haben zu klären bzw. abzuschätzen, ob das konkrete Vorbringen rechtlich erheblich ist, was verneint werden muss, wenn die behauptete Bedeutungsvorstellung außerhalb des Vorstellungsbilds eines normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Gruppenmitglieds liegt. Das einschlägige negative Urteil selektiert normativ. Erachtet das Gericht die behauptete Fehlvorstellung als im Deutungsbereich der Referenzperson liegend, bejaht es mit der Feststellung des – homogenen oder gespaltenen – Verkehrsverständnisses verdeckterweise zugleich die – gedanklich vorrangig zu prüfende – Erheblichkeit des Fehlvorstellungsvorbringens. c) Maßgeblicher Verkehrskreis aa) Verbraucher- und Fachkreise. Geschäftliche Handlungen können die Verbrau- 71 chergesamtheit, besondere Verbraucherkreise oder aber Fachkreise verschiedenster Art ansprechen. Adressaten sind neben denjenigen, die Waren bzw. Leistungen der beworbenen Art nachfragen, auch potentielle Nachfrager.165 Der jeweilige Adressatenbezug bestimmt in erheblichem Umfang das Maß erwartbarer Informiertheit und Verständigkeit, in eingeschränkter Weise (s. Rn. 89) zudem den Grad erwartbarer Aufmerksamkeit, und damit das Verkehrsverständnis hinsichtlich der zu beurteilenden Angabe. (1) Verbraucheransprache. Massenartikel sowie Waren des täglichen Bedarfs wer- 72 den üblicherweise gegenüber allen Bevölkerungskreisen beworben. Referenzperson ist der „Durchschnittsverbraucher“ unionsrechtlicher Prägung (dazu v §§ 5, 5a Rn. 62 ff.). Zum erwartbaren Wissen zählt (s. bereits Vor §§ 5, 5a Rn. 76 f.) Schulwissen, auf allgemeiner Verbraucheraufklärung basierendes Wissen sowie rollenbedingtes Erfahrungswissen. Angemessene Verständigkeit (s. bereits v §§ 5, 5a Rn. 78 f.) heißt: Einsatz vo-
_____
164 So für an Ärzte gerichtete Informationen BGH 6.2.2013 – I ZR 62/11 – GRUR 2013, 649 Tz. 50 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil. 165 BGH 19.1.2006 – I ZB 11/04 – GRUR 2006, 760 Tz. 22 = WRP 2006, 1130 – LOTTO; Fezer/Büscher/ Obergfell/Peifer Rn. 208; Ohly/Sosnitza Rn. 115.
695
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
raussetzbarer Urteilskraft bei der Verarbeitung und Einordnung der aufgenommenen Information, Einhaltung eines Mindestmaßes an kritischer Distanz, grundsätzliche Bereitschaft zur Ausschöpfung begleitender Informationsmöglichkeiten, wenn und soweit eine nähere Befassung erwartbar ist. Kasuistik: Bewirbt eine Bank eine Festgeldanlage mit einer Laufzeit von sechs Monaten mit garantierter Basisverzinsung und einem Zinsbonus, dessen Höhe vom Erfolg der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei einem internationalen Wettbewerb abhängt, mit der blickfangmäßig herausgehobenen Angabe „bis 150% Zinsbonus“, kann eine Irreführung nicht darauf gestützt werden, der angesprochene Verkehr nehme an, der Anlagebetrag werde mit 150% p.a. verzinst: Der „Durchschnittsverbraucher“ ist sich bewusst, dass ein entsprechender Zinssatz außerhalb jeder realistischer Erwartung liegt.166 Auch der „Durchschnittsverbraucher“ weiß, dass Herstellerpreisempfehlungen wie „empfohlener Verkaufspreis“ unverbindlich sind.167 Im Wissen um den Umstand, dass in einer Landessprache verbreitete Zeitschriften maßgeblich im jeweiligen Sprachraum verkauft werden, entnimmt er der Wendung „Europas größtes People-Magazin“ keine Berühmung europaweiter Verbreitung, sondern eine Spitzenstellungsbehauptung hinsichtlich der Auflagenstärke.168 Der Durchschnittsverbraucher weiß, dass Dienstleistungen eines Optikermeisters nicht sofort verfügbar sind und rechnet damit, dass ein Optikermeister, der in zwei Filialen tätig ist, nicht ständig verfügbar ist.169 Das Angebot „sauberen Strom aus erneuerbaren Energien“ zu liefern, ist nicht irreführend, weil aus der Steckdose nur Strom aus dem unteilbaren allgemeinen Strommix kommt, an dessen Erzeugung auch Atom- und Kohlekraftwerke beteiligt sind. Der Durchschnittsverbraucher weiß um den Umstand und versteht die Werbung verständigerweise dahin, dass der vom Anbieter eingespeiste Strom seiner Herkunft nach beschrieben wird.170 Umgekehrt gilt: Der Durchschnittskunde eines Baumarkts kennt in der Regel nicht dessen Vertriebssystem, wird die Ankündigung „20% auf alles“ deshalb nicht dahin relativieren, dass „Shop-inShop“-Flächen außen vor bleiben.171 Verspricht der seitenbündige Werbeaufdruck auf der Verpackung eines Eiscremeriegels „10%+“, schließt der verständige Durchschnittsverbraucher nicht von der Größe des Werbeaufdrucks auf das Inhaltsmehr.172 Wird ein Mobiltelefon mit Sternhinweis zum Nullpreis angeboten, informiert sich der durchschnittlich verständige Verbraucher über den Kopplungscharakter (Notwendigkeit des Abschlusses eines Netzkartenvertrags), weil er nicht mit einem isolierten nur kostenlosen Angebot rechnen kann.173 Dem Slogan „Wer auf Erdgas umstellt, spart“ entnimmt er keine Garantieaussage dahin, dass die gegenwärtigen Sparpotentiale zukunftsfest sind.174 Die Beschränkung auf engere Verkehrskreise resultiert typischerweise daraus, 73 dass spezielle Interessen zu bedienen sind. Die Mitglieder eines solchen Verkehrskreises verfügen über spezielle, dem Allgemeinpublikum nicht ohne weiteres eigene Vorkenntnisse. Ob dies so ist, muss geprüft und begründet werden. Es ist grundsätzlich nicht zulässig, innerhalb eines einheitlichen Verkehrskreises Gruppen mit höherem und solche
_____
166 BGH 19.4.2007 – I ZR 271/03 – GRUR 2007, 981 Tz. 24 = WRP 2007, 1337 – 150% Zinsbonus. 167 BGH 7.12.2006 – I ZR 271/03 – GRUR 2007, 603, 605 Tz. 21 = WRP 2007, 783 – UVP; BGH 12.9.2013 – I ZR 123/12 – GRUR 2014, 403 Tz. 17 – DER NEUE. 168 OLG Hamburg 23.11.2005 – 5 U 68/05 – GRUR-RR 2006, 170, 171. 169 BGH 17.7.2013 – I ZR 222/11 – GRUR 2013, 1056 Tz. 12 – Meisterpräsenz. 170 OLG Hamburg 28.12.2000 – 3 U 53/00 – GRUR-RR 2001, 169, 170. 171 OLG Saarbrücken 8.10.2006 – 4 U 670/05 – GRUR-RR 2007, 161, 162. 172 EuGH 6.7.1995 – C-470/93 – Slg. 1995 I-1923 – Mars. 173 BGH 8.10.1998 – I ZR 187/97 – GRUR 1999, 264, 266 = WRP 1999, 90, 92 – Handy für 0,00 DM. 174 OLG Oldenburg 24.5.2007 – 1 U 106/06 – WRP 2007, 1000, 1002.
Lindacher/Peifer
696
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
mit geringerem Verständnis voneinander zu trennen.175 Das widerspricht gerade der Annahme eines einheitlichen Referenzverbrauchers. Kasuistik: Schachcomputerkataloge sprechen vor allem diejenigen Verbraucher an, die mit Grundgegebenheiten des Schachspiels vertraut sind. Diese verstehen unter einem „Schachturnier“ (ohne Zusatzangaben) ein Standardturnier, bei dem zwar mit zeitlicher Begrenzung, nicht aber mit den besonders kurzen Fristen eines „Blitzturniers“ gespielt wird, und wissen um die Nichtvergleichbarkeit beider Turnierformen. Hat in einem regulären Mensch-Computer-Turnier der Computer eines bestimmten Typs erstmals drei Großmeister geschlagen, muss der Hersteller seine einschlägige Werbung nicht um den Hinweis ergänzen, dass ein Konkurrenzprodukt in einem Blitzturnier bereits gegenüber sechs Großmeistern erfolgreich war.176 Die Bezeichnung „Bundesprüfer“ mit dem Zusatz „Mitglied im Bund philatelistischer Prüfer e.V.“ mag dem breiten Publikum mangels hoheitlicher Beauftragung als Autoritätsanmaßung erscheinen. Briefmarkensammler verbinden mit der seit dem 19. Jahrhundert für philatelistische Prüfer Verwendung findende Bezeichnung weder einen unmittelbaren, noch mittelbaren staatlichen Bezug.177 Wer als Auskunftei zutreffend erklärt, dass eine Auskunft mit personenbezogenen Angaben „nicht zur Weitergabe an Dritte geeignet ist“, behauptet aufgrund dieser Formulierung noch nicht, dass die Weitergabe stets untersagt ist.178 Dass Adressat einer Werbebotschaft nur ein engerer Verkehrskreis ist, kann seinen 74 Grund z.B. in der Höhe des Leistungsentgelts haben. Immobilien, hochwertige Ge- und Verbrauchsgüter sowie ausgesprochene Luxusartikel werden nicht von jedermann nachgefragt. Einschlägige Fraktionierung mag im Einzelfall, je nach Art und Inhalt der Werbung, das Irreführungspotential bei objektiv zutreffender Werbung absenken. Generell trifft solches freilich nicht zu: Wer mehr Geld hat, verfügt nicht immer über ein Mehr an Bildung und Wissen.179 Situativwissen kann freilich auch interesseinduziert sein: Potentielle Immobilienkäufer tragen sich überwiegend schon länger mit dem Gedanken des Erwerbs eines Hausgrundstücks oder einer Eigentumswohnung und verfügen deshalb nicht selten über ein bestimmtes „Vorwissen“. Es liegt deshalb etwa nahe, dass der Bekanntheitsgrad der Abkürzung „RDM“ (für Ring Deutscher Makler) bei Adressaten einer Immobilienwerbung nicht unerheblich höher ist als beim breiten Publikum.180 Der durchschnittliche Internetnutzer verfügt zwar über Kenntnisse betreffs der 75 Funktionsweise elektronischer Medien, die vom „Durchschnittsverbraucher“ nicht ohne weiteres zu erwarten sind. Ein allgemeines Wissens- und Verständnisplus lässt sich indes nicht konstatieren. Internetnutzer bilden deshalb, soweit es um die Bewerbung von Waren- und Dienstleistungen des allgemeinen Bedarfs geht, keinen engeren Verkehrskreis.181 (2) Fachkreise. Verkehrskreise mit besonderer Qualifikation sind angesprochen, 76 wenn sich die Werbung an Industriebetriebe schlechthin oder einer bestimmten Sparte oder Größe, den Handel (als Groß-, Einzel- oder Fachhandel) oder sonstige Dienst-
_____
175 So (zum Markenrecht) BGH 27.3.2013 – I ZR 100/11 – GRUR 2013, 631 Tz. 64 – AMARULA/Marulablu). 176 BGH 13.2.2003 – I ZR 41/00 – GRUR 2003, 800, 802 = WRP 2003, 1111, 1112 f. – Schachcomputerkatalog. 177 OLG Saarbrücken 1.3.1989 – 1 U 118/87 – WRP 1988, 343, 344. 178 OLG Düsseldorf 20.9.2018 – 20 U 127/17 – ZD 2019, 37. 179 Siehe insoweit auch KG 19.8.1983 – 5 U 2275/83 – WRP 1984, 269, 270 (Luxusautomobile) und 27.3.1984 – 5 U 696/84 – WRP 1984, 408, 409 (Bauherrenmodelle). 180 BGH 16.11.1989 GRUR 1990, 377, 378 = WRP 1990, 409, 410 – RDM. 181 BGH 16.12.2004 – I ZR 222/02 – GRUR 2005, 438, 440 = WRP 2005, 480, 484 – Epson-Tinte; Fezer/ Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 225.
697
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
leistungsbetriebe und -einrichtungen (verschiedenster Art) richtet. Wendet sich die Werbung an die Betreiber bestimmter Sporteinrichtungen, kommen auch solche als Fachkreismitglieder in Betracht.182 Fachkreismitglieder werden aufgrund ihres Spezialwissens, ihrer Vorbildung und Erfahrung den Aussagegehalt einer Werbeangabe tendenziell leichter erfassen, die Aussage aufgrund ihrer geschäftlichen Verantwortung tendenziell genauer und kritischer prüfen.183 Sie orientieren sich im Regelfall an der Fachterminologie und dem Sprachgebrauch einschlägiger gesetzlicher Bestimmungen.184 Die Feststellung des Fachverständnisses ist den entscheidenden Gerichten nicht ohne weiteres zugänglich, weil die Mitglieder des Spruchkörpers typischerweise nicht zu den einschlägigen Fachkreisen gehören. Daher muss entweder das Verkehrsverständnis (auch empirisch) ermittelt werden oder die Spruchrichter müssen begründen, warum sie aufgrund ihrer wettbewerbsrechtlichen Erfahrung mit ähnlichen Fällen in der Lage sind, das Verkehrsverständnis der angesprochenen Fachkreise selbst zu ermitteln.185 Kasuistik: Fruchtsafthersteller verstehen die Bezeichnung „Schwarzes Johannisbeerkonzentrat“ im Zweifel im Sinn der FrSaftErfrischGetrVO,186 stellen an die Zusammensetzung des Produkts mithin keine höheren Anforderungen als diese, erwarten deshalb insbesondere keine (absolute) Zuckerfreiheit.187 Facheinkäufer für Lakritzartikel wissen (anders als das breite Publikum), dass es sich bei bestimmten marktstarken Produkten um Mischprodukte handelt.188 Die Berufsgruppen der Juristen und Steuerfachleute sind – anders als das breite Publikum – an das Arbeiten mit Loseblattsammlungen gewöhnt. Sie wissen um das Phänomen häufiger Ergänzungslieferungen auch größeren Umfangs.189 Dass es bei Unternehmen mit organisatorischer Trennung von Beschaffung und 77 Produktion auf das Wissen und die Fähigkeiten des Einkaufspersonals ankommen soll,190 überzeugt nur bedingt: Soweit es sich nicht um Routineanschaffungen handelt, ist vorgängige Einbindung des technischen Personals, mithin auch Nutzung technischer Sachkunde zu erwarten. In besonderer Konstellation wirkt einschlägige Fachkunde auch irreführungs78 begründend. Lehnt sich etwa eine neue Sachbezeichnung an die Bezeichnung eines herkömmlichen Verfahrens an, mit dem im Wesentlichen nur Fachkreise mehr oder weniger präzise (Wirk-)Vorstellungen verbinden, stellt sich nur für diese die Erwartungsenttäuschungsfrage.191 79
(3) Mehrere Verkehrskreise. Spricht die Werbung verschiedene Verkehrskreise an, zählt das Verständnis jeden Verkehrskreises: Eine im Grundsatz beachtliche Fehlvorstel-
_____
182 OLG Stuttgart 25.1.1991 – 2 V 249/89 – WRP 1991, 523, 524 f. (Werbung für eine Kegelbahneinrichtung gegenüber Sportkegelvereinen). 183 BGH 23.3.1966 – Ib ZR 28/64 – GRUR 1966, 445, 448 = WRP 1966, 340, 343 – Glutamal; OLG Köln 12.10.2007 – 6 U 80/07 – GRUR-RR 2008, 250; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 82; Harte/Henning/Dreyer B Rn. 36; Köhler/ Bornkamm/Feddersen Rn. 1.69. 184 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 82. 185 So für an Ärzte gerichtete Informationen BGH 6.2.2013 – I ZR 62/11 – GRUR 2013, 649 Tz. 50 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil. 186 VO v. 24.5.2004, BGBl I 1016 idF. Von 2017, BGBl. I 2272. 187 BGH 22.9.1983 – I ZR 108/81 – GRUR 1984, 376, 377 = WRP 1984, 254, 255 – Johannisbeerkonzentrat. 188 BGH 7.12.2006 – I ZR 166/03 – GRUR 2007, 605 Tz. 18 = WRP 2007, 772 – Umsatzzuwachs. 189 BGH 30.10.1997 – I ZR 142/95 – NJWE-WettbR 1998, 169, 171. 190 So Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 209; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 82. 191 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.69.
Lindacher/Peifer
698
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
lung liegt bereits dann vor, wenn die Angabe aus der Sicht des „Durchschnittsmitglieds“ eines Verkehrskreises keine Entsprechung in der Realität findet.192 Kasuistik: Anzeigen, in denen die Marktführerschaft einer Publikumszeitschrift unter Berufung auf Mediadaten behauptet wird, wenden sich nicht nur an gewerbliche Inserenten, sondern (auch) an die allgemeine Leserschaft.193 Bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln entscheidet die Auffassung der Ärzte- und Apothekerschaft und des allgemeinen Publikums,194 bei nicht verschreibungs-, aber apothekenpflichtigen Präparaten stets die Auffassung der Apotheker und des allgemeinen Verkehrs, sofern das Mittel in nennenswertem Umfang verschrieben wird, auch die der Ärzte und Heilpraktiker.195 Nur die Apothekerschaft (sowie gegebenenfalls die verschreibende Ärzteschaft) ist angesprochen, wenn das beworbene Mittel von Apothekern mit anderen Stoffen erst zu einem gebrauchsfertigen Mittel verarbeitet und unter neuer Bezeichnung verkauft wird.196 – Die Bezeichnung eines Zusammenschlusses von Ärzten als „Brustzentrum“ spricht überweisende niedergelassene Ärzte und Patientinnen an.197 Simultanansprache begegnet nicht nur in der Form, dass die Werbung von vornher- 80 ein auf Fachkunden und (Stichwort: „Vorverkauf“ des beworbenen Produkts) das breite Publikum oder zumindest bestimmte Verbraucherkreise zielt. Auch dort, wo die Werbung primär an Fachkreise gerichtet ist, von diesen aber voraussehbar durch Streuung (beispielsweise Verwendung in der eigenen Werbung) und/oder Weiterleitung (beispielsweise Vorlegung oder Verwendung im Verkaufsgespräch) ihren – nicht fachkundigen – Kunden zugänglich gemacht wird, handelt es sich um Werbung gegenüber verschiedenen Verkehrskreisen. 198 Entscheidend ist insoweit freilich die Falltypik: Ein allgemeiner Erfahrungssatz, dass Fachkreise unmittelbar an sie gerichtete werbliche Äußerungen an ihre Abnehmerschaft transferieren, besteht nicht.199 Kasuistik: Da Beleuchtungskörper nicht nur dem Gebrauchszweck für die jeweils beabsichtigte Verwendung, sondern zumeist auch ästhetischen Anforderungen genügen sollen, liegt es auf der Hand, dass Kaufinteressenten sich über ihr Aussehen vor dem Kauf unterrichten lassen, was zumindest dort, wo nicht das gesamte Sortiment vorrätig gehalten wird, nur durch Einsicht in die Prospekte mit ihren zahlreichen Abbildungen möglich ist. Im Prospekt enthaltene Beschaffenheitsangaben stellen deshalb letztlich auch Angaben gegenüber Letztverbrauchern dar.200 Um einen Sonderfall der Simultanansprache handelt es sich, wenn Stellenanzeigen 81 unternehmens- bzw. produktbezogene Angaben enthalten. Werden dieselben in nennenswertem Umfang nicht nur von Stellensuchenden gelesen (mit Blick auf das jeweilige Publikationsorgan zu beantwortende Einzelfallfrage), sprechen die Angaben mittelbar auch das produktnachfragende Publikum an.201
_____
192 AllgM; vgl. etwa BGH 11.2.2010 – I ZR 154/08 – GRUR-RR 2010, 407 = WRP 2010, 759 – Firmenbestandsteil „Bundes-“; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 209; Ohly/Sosnitza Rn. 123. 193 BGH 2.10.2003 – I ZR 150/01 – GRUR 2004, 244, 245 = WRP 2004, 339, 341 – Marktführerschaft. 194 BGH 18.1.1955 – I ZR 142/53 – GRUR 1955, 415, 416 = WRP 1955, 50, 51 – Arctuvan. 195 RG MuW 1932, 187, 189 – Naftalan; OLG Düsseldorf 19.9.1991 – 2 U 59/91 – WRP 1992, 242, 244 f. 196 BGH 5.4.1957 – I ZR 127/55 – GRUR 1957, 435, 437 – Eucerin. 197 OLG München 11.4.2004 – 29 U 4629/04 – GRUR-RR 2005, 59. 198 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 209. 199 BGH 2.2.1983 GRUR 1983, 256 = WRP 1983, 389, 390 – Sauerteig; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 209. 200 BGH 21.6.1967 – Ib ZR 159/64 – GRUR 1968, 200, 201 = WRP 1967, 440, 441 – Acrylglas. 201 OLG Frankfurt 25.9.1980 WRP 1981, 104; OLG Zweibrücken 7.2.2002 – 4 U 90/91 – NJW-RR 2002, 1066 f.; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.27.
699
Lindacher/Peifer
§5
82
Irreführende geschäftliche Handlungen
(4) Einzelansprache. Werbliche Einzelansprache bedeutet nicht notwendig Singularansprache. Sie ist aber erfasst, seit die UGP-RL den Begriff der Werbung durch den der geschäftlichen Ansprache ausgetauscht hat und das deutsche Recht diesen Schritt mitgegangen ist. Geschäftliche Handlungen im Sinne des § 5 ist daher auch gegenüber einem einzelnen Abnehmer erfolgende Auskunft.202 Sind Besonderheiten nicht erkennbar, muss und kann sich der Werbende am Niveau des Durchschnittskunden orientieren. Muss sich dem Werbenden der Eindruck aufdrängen, dass sein Gegenüber nur über defizitäre Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, ist situative Rücksichtnahme (§ 3 Abs. 4 S. 2) indiziert, weil deren Nichtbeobachtung mangelnde Rücksichtnahme in gleichgelagerten Fällen auch in Zukunft erwarten lässt. Dass der Werbende sich gegenüber erkennbar überdurchschnittlich Kundigen eines aufklärenden Hinweises enthält, der gegenüber einem „Durchschnittskunden“ nötig gewesen wäre, ist unschädlich. Aus dem situationsadäquaten Verhalten im Ausnahmefall lässt sich nicht auf das Unterlassen gebotener Aufklärung im Regelfall schließen.
83
bb) Regionale Verkehrsauffassung. Bestreicht die Werbung nur eine bestimmte Region (weil beispielsweise auch die beworbenen Produkte schwerpunktmäßig in einem bestimmten Raum vertrieben werden), kommt es auf das Verständnis der mit den jeweiligen örtlichen Verhältnissen vertrauten Abnehmer an:203 Der Begriff „Westdeutschland“ mag bei einer Werbung in den neuen Bundesländern als Synonym für das Gebiet der AltBundesrepublik verstanden, bei einer Werbung im Raum des rheinland-westfälischen Industriegebiets und des Rheinischen Schiefergebirges hingegen als Kennzeichnung eben dieses Raums gedeutet werden. Von regional begrenzter, regionalspezifisch zu deutender Werbung ist die Werbung 84 zu unterscheiden, die überregional, aber regional unterschiedlich verstanden wird. Hier liegt eine beachtliche Irreführungsgefahr zwar grundsätzlich immer bereits dann vor, wenn die werbliche Äußerung vom „Durchschnittsmitglied“ des angesprochenen Verkehrs in einem Teilgebiet in einem nicht der Realität entsprechend Sinn verstanden wird. Wird die Werbung in den übrigen Regionen richtig verstanden, kommt aber nur ein regional begrenztes Unterlassungsgebot in Betracht.204 Indizierte Interessenabwägung kann schließlich für bestimmte Fallkonstellationen ergeben, dass selbst ein regionales Verbot nicht sachgerecht wäre, die auf ein Teilgebiet beschränkte Irreführungsgefahr mithin hinzunehmen bleibt: 205 Wird eine Werbeanzeige in verschiedenen Regionalzeitungen geschaltet und nur im Erscheinungsgebiet einer Zeitung missverstanden, bestehen gegen ein gebietsmäßig begrenztes Unterlassungsgebot, jedenfalls bei Absenz besonderer Umstände anderer Art, keine durchgreifenden Bedenken. Wird die Werbeanzeige hingegen (nur) in einem Teilgebiet des Erscheinungsgebiets einer auflagenstarken, nicht substituierbaren Regionalzeitung missverstanden, liefe ein rechtlich auf jenes Gebiet begrenztes Unterlassungsgebot praktisch auf ein übergreifendes Werbeverbot hinaus. Ob dem Werbenden solches zumutbar ist, lässt sich nicht unabhängig von der „Qualität“ der jeweiligen Fehlvorstellung und von der Relation der Irregeführten zu den Nichtirregeführten (auch) im Gesamtwirkfeld der Werbung beurteilen.
_____
202 EuGH 16.4.2015 – C-388/13 – GRUR 2015, 600 Tz. 37 – Ungarische Verbraucherschutzbehörde/UPC. 203 BGH 29.9.1982 – I ZR 25/80 – GRUR 1983, 32, 33 – Stangenglas I; Gloy/Loschelder/Erdmann/ Helm § 59 Rn. 83; Ohly/Sosnitza Rn 124. 204 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 210; Piper/Ohly/Sosnitza Rn. 126. 205 BGH 29.9.1982 GRUR 1983, 32, 34 = WRP 1983, 203, 204 – Stangenglas I; Gloy/Loschelder/Erdmann/ Helm § 59 Rn. 83; Ohly/Sosnitza Rn. 124.
Lindacher/Peifer
700
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
d) Situationsbedingtheit des Verkehrsverständnisses: variabler Grad der Auf- 85 merksamkeit. Nicht nur die Qualifikation des Zielkreisangehörigen entscheidet, wie eine Angabe verstanden wird. Maßgebend ist auch die konkrete Situation, in welcher derselbe mit der geschäftlichen Handlung konfrontiert wird: Die Bereitschaft des Wahrund Aufnehmens der in der Angabe enthaltenen Information, das sog. Involvement, variiert situationsabhängig. In Ergänzung zum Vor §§ 5, 5a Rn. 80 ff. Ausgeführten gilt es, insoweit die folgenden Umstände als Bestimmungsfaktoren des Grads erwartbarer Aufmerksamkeit in Bedacht zu nehmen. aa) Art der Ansprache. Der Grad der Aufmerksamkeit, der werblichen Äußerungen 86 entgegengebracht wird, wird zunächst durch die Art der Ansprache bestimmt. Individualansprache lässt eine stärkere Mobilisierung der Bereitschaft des Aufnehmens (und der Verarbeitung) erwarten als eine Ansprache im Wege der Allgemeinwerbung.206 bb) Produktbezug. Der Grad der Aufmerksamkeit, mit der der Verkehr einer werbli- 87 chen Äußerung entgegentritt, ist vor allem produktabhängig. Mit Blick auf das finanzielle Risiko zählt der Produktwert: Entscheidungen über den Erwerb höherwertiger Güter und Leistungen werden zumeist extensiv, d.h. in Würdigung der jeweiligen Produkteigenschaften und unter Berücksichtigung bestehender Alternativen getroffen. Einschlägige Werbebotschaften stoßen deshalb tendenziell auf Perzeptionsinteresse, und zwar umso mehr als die Entscheidung Einmalentscheidung, jedenfalls eine Entscheidung mit Seltenheitswert ist.207 Spiegelbildlich lassen relative Geringwertigkeit des Produkts und Habitualisierung der Marktentscheidung („Güter des täglichen Bedarfs“) nur ein Low-Involvement erwarten: Das finanzielle Risiko eines allfälligen Fehlkaufs ist ebenso gering wie mögliche negative Folgen des Erwerbs. Bei Gewohnheitskäufen reduziert sich der passive Informationsbedarf.208 Der Käufer setzt auf gleichbleibende Qualität und Ausstattung nach Maßgabe eigener Erfahrung. Personale Präferenz lässt Angebote im Freizeit- und jeweiligen Hobbybereich auf gehobenes Involvement stoßen. Unter dem Aspekt der sozialen Einbettung zählt der Prestigewert: Bei bestimmten Produkten steigert die erhoffte positive Fremdeinschätzung/die Befürchtung negativer Fremdeinschätzung die Bereitschaft zur Informationsaufnahme. Der Gesichtspunkt eines gesundheitlichen Risikos lässt hohe Aufmerksamkeit (bei freilich sektoral eingeschränkter Verständigkeit, Vor §§ 5, 5a Rn. 79) erwarten. Beispiele für erwartbar hohe bzw. höhere Aufmerksamkeit: Immobilien, Einrichtungsgesamtheiten wie Einbauküchen oder Schlafzimmer,209 hochwertige Einrichtungsgegenstände (wie hochpreisige Teppiche),210 Autos und Motorräder,211 Computer,212
_____
206 Harte/Henning/Dreyer B Rn. 41; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 227. 207 BGH 20.10.1999 GRUR 2000, 619, 621 = WRP 2000, 517, 520 – Orient-Teppichmuster; 19.4.2001 I ZR 46/99 GRUR 2002, 81, 83 = WRP 2002, 81, 84 – Anwalts- und Steuerkanzlei; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 79; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 204; Götting/Nordemann Rn. 0.101. 208 BGH 20.10.1999 GRUR 2000, 619, 621 = WRP 2000, 517, 520 – Orient-Teppichmuster; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 222; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 79; Lettl GRUR 2004, 449, 457. 209 BGH 18.12.2014 – I ZR 129/1 – GRUR 2015, 698 Tz. 19 – Schlafzimmer komplett. 210 BGH 20.10.1999 GRUR 2000, 619, 621 = WRP 2000, 517, 519 f. – Orient-Teppichmuster; Köhler/ Bornkamm/Feddersen Rn. 1.79; Lettl GRUR 2004, 449, 457. 211 BGH 12.9.2013 – I ZR 123/12 – GRUR 2014, 403 Tz. 17 – DER NEUE; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 222; Lettl GRUR 2004, 449, 457. 212 BGH 24.10.2002– I ZR 50/00 – GRUR 2003, 163, 164 = WRP 2003, 273, 275 – Computerwebung II; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 222.
701
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
anwaltliche Dienstleistungen,213 Geldanlagen,214 auf eine gewisse Dauer angelegte Unterrichtsleistungen,215 Urlaubsreisen, hochpreisige Sportartikel (z.B. Golfausrüstungen, Rennräder), Textilien kaum schlechthin,216 wohl aber ab einer gewissen Preishöhe. Kasuistik: Der situationsadäquat aufmerksame Durchschnittsverbraucher nimmt als Gebrauchtwagenkäufer die auf dem im Wageninnern angebrachten Datenblatt enthaltenen Informationen zur Kenntnis.217 88
cc) Medienbezug. Der Grad der Aufmerksamkeit bestimmt sich überdies – von der Rechtsprechung anerkannt – nach der Art des Informationsträgers. Werbung in Printmedien darf tendenziell auf höheres Wahrnehmungsinteresse setzen als Werbung in Funk und Fernsehen, wo die Flüchtigkeit des Mediums Flüchtigkeit der Wahrnehmung fördert.218 Auch Plakatwerbung darf – jedenfalls soweit es um Angaben außerhalb des Blickfangs geht – kaum mit durchgängiger Aufmerksamkeit rechnen: Der Verkehr nimmt sie häufig nur aus geringer Entfernung und im Vorüberfahren bzw. -gehen und damit eher flüchtig wahr.219
89
dd) Adressatenbezug. Zum vorab Aufgelisteten gesellt sich fallweise der Adressatenbezug: Die Aufmerksamkeit des Empfängers einer Werbebotschaft hängt nach Erkenntnissen der Informationsökonomie auch und nicht zuletzt von Umständen ab, die in der Person des Angesprochenen liegen, nämlich Vorwissen, Grundeinstellungen und sozialer Stellung (Vor §§ 5, 5a Rn. 92 ff.). Fachliches Mehrwissen und berufliche Verantwortung stärken bei der Fachkreiswerbung das Grundinteresse an werblicher Information.220 Vom Durchschnittsmitglied eines schutzbedürftigen Personenkreises i.S. von § 5 Abs. 2 S. 3 ist eher ein geringeres Aufmerksamkeitsniveau zu erwarten.221
ee) Sonderfall: Informationsnachfrage. Werbung ist Kundenansprache. Der Werbende agiert als Kommunikator, der Kunde ist erhoffter Rezipient. Die Kommunikationsinitiative geht typischerweise vom Werbenden aus. Zumindest fallweise wird freilich auch der potentielle Kunde initiativ: Er fragt Informationen beim Anbieter nach, nutzt Kommunikationsplattformen eigeninitiativ. Die einschlägige Rollenvarianz spiegelt evidenterweise eine unterschiedliche Aufmerksamkeitshöhe kundenseits: Vom selbst Information Nachsuchenden ist ein höheres Maß an Wachheit und Interesse bei der Erfassung derselben zu erwarten. 91 Bei Internetwerbung rechtfertigt der Umstand, dass der an einem Waren- bzw. Leistungsbezug interessierte Nutzer die Information selbst nachfragen muss, zwar nicht die Annahme, dieser werde in jedem Fall sämtliche Seiten des Internet-Auftritts zur Kenntnis nehmen.222 Andererseits wird der die Startseite Aufrufende eine mit dieser verlinkte Folgeseite zur Gewinnung marktentscheidungsnützlicher Information typischer-
90
_____
213 BGH 19.4.2001 – I ZR 46/99 – GRUR 2002, 81, 83 = WRP 2002, 81, 84 – Anwalts- und Steuerkanzlei; Lettl GRUR 2004, 449, 457. 214 BGH 19.4.2007 – I ZR 57/05 – GRUR 2007, 981 Tz. 24 = WRP 2007, 1337 – 150% Zinsbonus. 215 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 222. 216 So freilich Michel WRP 2002, 389, 395. 217 BGH 17.3.2011 – I ZR 170/08 – GRUR 2011, 1050 Tz. 24 = WRP 2011, 1444 – Ford-Vertragspartner. 218 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 225; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 79. 219 OLG Celle 4.11.2004 – 13 U 136/04 – WRP 2005, 250, 251; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 225. 220 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 222. 221 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 221. 222 BGH 16.12.2004 – I ZR 222/02 – GRUR 2005, 438, 440 = WRP 2005, 480, 484 – Epson-Tinte.
Lindacher/Peifer
702
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
weise auch dann aufrufen, wenn es sich nicht um ein High-Involvement-Produkt handelt.223 ff) Bewegliches System. Die einzelnen die situative Aufmerksamkeit bestimmen- 92 den Umstände sind in Wechselwirkung stehende Elemente eines beweglichen Systems. Ihr Zusammenwirken kann die Anhebung bzw. Absenkung des Aufmerksamkeitsniveaus verstärken oder zu wechselseitiger Kompensation führen. Geboten und zielführend ist die jeweilige Gesamtschau.224 e) Kriterien für die Ermittlung der Verkehrsauffassung aa) Objektiver Eindruck. Entscheidend für die Bildung der Verkehrsauffassung ist 93 der gemeinhin am Wortsinn anknüpfende objektive Eindruck der Werbung auf den jeweiligen Empfängerkreis. Gibt es eine übliche Wortbedeutung, wird der Verkehr im Zweifel sie zugrunde le- 94 gen. Bei der allgemeinen Publikumswerbung zählt regelmäßig der allgemeine Sprachgebrauch, bei der werblichen Ansprache eines engeren Verbraucherkreises der innerhalb desselben übliche Sprachgebrauch.225 Professionelle Kreise orientieren sich an der jeweiligen Fachterminologie. Bei rechtswissenschaftlichen Begriffen wird sich der „Durchschnittsverbraucher“ um Erfassung der Fachbedeutung bemühen, wenn die fachsprachliche Verwendung erkennbar ist. Entsprechendes gilt für technische und sonstige Fachtermini, deren Verwendung – etwa bei Leistungsbeschreibungen – aus Präzisionsgründen un-, jedenfalls schwer, verzichtbar ist. Der Umstand, dass sich der Werbende an eine Terminologie anlehnt, die auch in Gesetzen begegnet und/oder in der Judikatur und Verwaltungspraxis gebräuchlich ist, lässt nicht ohne weiteres auf konformes „technisches“ Verständnis schließen.226 Lässt sich ob der Divergenz von umgangssprachlichem und fachsprachlichem Bedeutungssinn eine partielle Fehlvorstellung durch Orientierung an der Umgangssprache nicht ausschließen, bleibt im Rahmen ergänzender Interessenabwägung (s. Rn. 268 ff., 290) freilich allemal zu prüfen, inwieweit dem Werbenden ein Ausweichen auf irreführungsfreie bzw. zumindest weniger irreführende Alternativangaben möglich bzw. nach der situativen Interessenlage zumutbar ist. bb) Gesamteindruck. Maßgebend ist die Gesamtwirkung, die durch die werbliche 95 Äußerung hervorgerufen wird: Einzelne Passagen eines in sich geschlossenen Werbetextes/einzelne Elemente einer Gesamtaufmachung dürfen nicht aus ihrem Zusammenhang gelöst und isoliert auf eine Täuschungseignung überprüft werden.227 Kasuistik: Ob die Verwendung eines Schlangenzeichens den falschen Schein wie immer gearteter medizinischer Wirkungen erweckt, hängt neben der Art des Produkts (im Entscheidungsfall ein kosmetisches Präparat) auch und vor allem von der Gesamt-
_____
223 BGH 7.4.2005 – I ZR 314/02 – GRUR 2005, 690, 692 = WRP 2005, 886, 888 – Internet-Versandhandel; Harte/Henning/Dreyer B Rn. 58. 224 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 229. 225 Ohly/Sosnitza Rn. 130. 226 BGH 25.11.1982 GRUR 1983, 245, 246 = WRP 1983, 260, 261 – naturrot; Gloy/Loschelder/Erdmann/ Helm § 59 Rn. 106. 227 BGH 7.6.1967 – Ib ZR 34/65 – GRUR 1968, 382, 385 – Favorit II; BGH 2.5.1996 – I ZR 108/94 – GRUR 1996, 983, 984 = WRP 1996, 1097, 1098 – Preisvergleich II; BGH 13.2.2003 – I ZR 41/00 – GRUR 2003, 800, 803 = WRP 2003, 1111, 1114 – Schachcomputerkatalog; Köhler/BornkammFeddersen Rn. 1.81; Ohly/Sosnitza Rn. 128.
703
Lindacher/Peifer
§5
96
97
98
99 100
Irreführende geschäftliche Handlungen
aufmachung ab, unter der das Erzeugnis vertrieben wird.228 Bei dem englischsprachigen Hinweis „patented“ kann die Art, wie derselbe angebracht ist, und die sonstige Packungsbeschriftung dem Eindruck entgegenwirken, der Hinweis treffe auch eine Aussage zur inländischen Patentrechtslage.229 Die Verwendung des Begriffs „Ärztegemeinschaft“ im „Gelbe Seiten“-Eintrag durch eine reine Zahnarztgemeinschaft ist unschädlich, wenn in der Oberzeile des Eintrags in Großdruck von „Zahnarztpraxis“ die Rede ist.230 Bei Werbung in audiovisuellen Medien bilden Bild- und Tonaussagen eine Einheit. Die gebotene Gesamtbetrachtung verbietet ein isolierendes Abstellen auf die Ansprache nur eines Sinns.231 Bei der Internetwerbung stehen Startseitenaussage und über Hyperlinks abrufbare Zusatzinformation zumindest potentiell in einem Gesamtzusammenhang: Der durchschnittliche Internetnutzer weiß um die mediumspezifische Mehrgliedrigkeit der Werbebotschaft, ist zumindest grundsätzlich an der Komplementärinformation interessiert (s. bereits Rn. 91). Allgemeine Gesamtzusammenhangsvoraussetzung ist eine hinreichende Augenfälligkeit und Kennzeichnung des weiterführenden Links. Welcher Grad an Unmittelbarkeit des Zugangs zur Komplementärseite unerlässlich ist, bestimmt sich nach dem situationsadäquat erwartbaren Grundinvolvement, mithin insbesondere nach dem jeweiligen Produktinvolvement. Enthält eine umfangreichere Druckschrift mehrere selbständig erscheinende Aussagen, kann der Werbende freilich, wenn eine Aussage für sich betrachtet irreführend ist, zumindest im B2C-Verhältnis, nicht ohne weiteres damit gehört werden, dass an anderer Stelle der Schrift der Fehlvorstellung vorgebeugt werde:232 längere Werbetexte werden nur selten in toto gelesen. Werbung in zeitlicher Abfolge muss sowohl in jedem Teilabschnitt als auch in der Gesamtwirkung wahr sein.233 Eine Durchbrechung findet das Gebot ganzheitlicher Betrachtung schließlich, soweit die Verwendung von Kennzeichen in Rede steht. Firmennamen, Marken, Domains oder Titel (für Filme oder Bücher) werden vom Verkehr erfahrungsgemäß selbständig registriert und verwendet. Sie müssen deshalb für sich beanstandungsfrei sein.234 Dabei ist hinsichtlich der einschlägigen Irreführungseignung auch die Neigung zu beachten, anstelle einer längeren, sperrigen Bezeichnung einen einprägsamen Bestandteil derselben (vorzugsweise den Kopfteil) als Kurzbezeichnung zu verwenden. Ist die (naheliegende) Kurzbezeichnung irreführend, bleibt irrelevant, dass die vollständige Bezeichnung keine Fehlvorstellungen befürchten lässt.235 Kasuistik: Die Firmierung „Möbelhaus des Handwerks, Industrie- und Handwerkserzeugnisse“ lässt erwarten, dass der Verkehr den Zusatz „Industrie- und Handwerkserzeugnisse“ fortlässt. Die amputierte Bezeichnung „Möbelhaus des Handwerks“ provoziert indes die Fehlvorstellung, es würden ausschließlich handwerklich gefertigte
_____
228 BGH 20.3.1981 – I ZR 1/79 – GRUR 1981, 656, 657 – Schlangenzeichen. 229 BGH 5.7.1984 – I ZR 88/82 – GRUR 1984, 741, 742 = WRP 1984, 601, 602 – patented. 230 OLG Hamm 24.3.2009 – 4 U 195/08 – GRUR-RR 2010, 61. 231 BGH 11.9.2008 – I ZR 58/06 – GRUR 2009, 418 Tz. 17 = WRP 2009, 304 – Fußpilz; Köhler/Bornkamm/ Feddersen Rn. 1.93. 232 Vgl. bereits RG 27.10.1933 MuW 1934, 286, 289 – Koksofen. 233 BGH 20.12.1957 – I ZR 112/56 – GRUR 1958, 294, 296 – Essenzlimonaden. 234 BGH 18.1.1955 – I ZR 102/53 – GRUR 1955, 251, 252 – Silberal (für Warenzeichen); Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.81; Ohly/Sosnitza Rn. 129. 235 BGH 10.3.1961 – I ZR 142/59 – GRUR 1961, 425, 427 = WRP 1961, 188, 190 – Möbelhaus des Handwerks; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.81.
Lindacher/Peifer
704
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
Produkte vertrieben.236 Bei der Firmenbildung „Unfallversorgung Deutscher Ärzte und Zahnärzte-Versicherungsvermittlungsgesellschaft mbH“ erweckt der an der Spitze stehende Bezeichnungsteil als potentielle Kurzform den – unzutreffenden – Eindruck einer berufsständischen Organisation und eines Versicherungsträgers.237 cc) Situativität. Die Bedeutung, die einer Werbeangabe beigemessen wird, hängt 101 nicht zuletzt vom „Umfeld“ ab, in das sie hineingestellt wird: Eine werbliche Äußerung kann je nach Situation und Kontext höchst unterschiedlich aufgefasst werden. Kasuistik: Der Begriff „Mode“ wird im breiten Angebot eines Großversandhauses anders verstanden als im „Umfeld“ der „haute couture“: Mit dem Werbespruch „Mode kommt von N.“ assoziiert der Verkehr kein Modemachen i.S. des Kreierens eines neuen Stils, sondern nur ein modisches Angebot.238 Die per se wenig klare Behauptung „Ihr Fernseher kann jetzt mehr“ gewinnt Kontur als Bestandteil der Werbung eines Anbieters von DSL-Breitbandanschlüssen.239 dd) Wort- und Bildwitz. Potentielles Stilmittel einer um Aufmerksamkeitsbegrün- 102 dung bemühten Werbung ist der Wort- bzw. Bildwitz. Der verständige Adressat der Werbebotschaft (Vor §§ 5, 5a Rn. 78) durchschaut den Wortspiel- bzw. Karikaturcharakter, relativiert erforderlichenfalls einschlägige Werbeaussagen (sofern er ihnen überhaupt Angabencharakter zuspricht, hierzu Rn. 39).240 Kasuistik: Die Bewerbung eines Gemüse- und Zwiebelschneiders mit dem Spruch „Klein- und feingehackt im Handumdrehen“ arbeitet für den Durchschnittsverbraucher unschwer erkennbar mit einem Wortspiel. Der verständige Verbraucher erwartet nicht unbedingt, dass das eingefüllte Schnittgut nach „ein paar Umdrehungen“ gleichmäßig klein gehackt ist.241 Er setzt darauf und darf darauf setzen, dass der Gebrauch des Zerkleinerers mühelos und rasch (und damit einfacher als der Gebrauch eines Messers) vor sich geht.242 Die Selbstbezeichnung einer Altbierbrauerei als „Der Altmeister“ beinhaltet schwerlich eine Alleinstellungsberühmung, weit eher die bloße Berühmung gehobener Qualität.243 Mit dem Slogan „e.Sixt-günstixt“ wird kaum eine absolute Preisführerschaft reklamiert. 244 Wer sich als Autolackierer in der Werbung als „Lackdoktor“ präsentiert, macht keine akademischen Würden geltend.245 f) Blickfang- und Schlagwortwerbung Schrifttum Lettl Irreführung nach § 5 As. 1 UWG und Blickfangwerbung, insbesondere für Kapitalanlagen, WM 2018, 841; Michel Ungleichgewicht einzelner Angaben bei der Blickfangwerbung – Auswirkung des europäischen Verbraucherleitbilds auf die Grundsätze der Blickfangwerbung, WRP 2002, 389; Vogel Blickfangwerbung, GRUR 1979, 511.
_____ 236 237 238 239 240 241 242 243 244 245
705
BGH 10.3.1961 – I ZR 142/59 – GRUR 1961, 425 – Möbelhaus des Handwerks. BGH 11.1.1967 – Ib ZR 63/65 – GRUR 1968, 431 – Unfallversorgung. BGH 5.12.1985 – I ZR 161/83 – GRUR 1986, 322, 323 = WRP 1986, 203, 204 – Modemacher. OLG Hamburg 8.9.2005 – 5 U 159/04 – MD 2006, 464. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.130 f.; Ohly/Sosnitza Rn. 188. So aber OLG Hamburg 4.5.2006 – 3 U 210/05 – WRP 2006, 1152, 1153. HG Wien 24.4.2006 – 10 Cg 181/05 – WRP 2006, 1154. Entgegen OLG Düsseldorf 7.6.1979 – 2 U 144/78 – WRP 1979, 717. A.A. OLG Hamburg 20.3.2003 – 3 U 190/02 – MD 2004, 73, 77. OLG Jena 13.7.2005 – 2 U 402/05 – GRUR-RR 2005, 354.
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
103
aa) Grundaussagen. Der Erfahrungssatz, dass der Verkehr sich am Gesamteindruck der Werbeaussage orientiert (s. Rn. 95), bedarf der Ergänzung durch die Erfahrungsregel, dass der Gesamteindruck seinerseits von bestimmten Teilen geprägt sein kann. Blickfangmäßig und/oder schlagwortartig herausgestellte Aussagen sind deshalb als solche (sprich: isoliert) auf ihre Irreführungseignung zu prüfen, wenn der angesprochene Verkehr situationsadäquat von einer Notiznahme anderer Teile der Werbebotschaft absieht. Die Rechtsprechung ging früher davon aus, dass Blickfangwerbung stets für sich genommen wahr und auch vollständig sein musste, weil die Verkürzung dem Adressaten gewissermaßen mitteile, im Blickfang sei alles Wesentliche zutreffend gesagt.246 Von dieser scharfen Regel ist der BGH mittlerweile abgerückt. Eher rhetorisch als inhaltlich festgehalten wird daran, dass der Blickfang keine eindeutigen Unrichtigkeiten enthalten darf.247 Das im Blickfang Gesagte muss nämlich nicht vollständig sein, es darf durch weitere Hinweise ergänzt, klar- und sogar richtiggestellt werden.248 Die Richtigstellung ist daher bedeutsamer geworden. Sie erfolgt üblicherweise durch ein Sternchen, das Fußnotenfunktion hat (unten Rn. 111) und am Blickfang teilnimmt249 sowie in räumlicher Nähe zum Blickfang aufgelöst werden muss.250 Nur ausnahmsweise251 und unter engen Voraussetzungen252 kann die Klarstellung auch außerhalb des Blickfangs erfolgen durch einen deutlich angebrachten, prägnanten Hinweis, der allgemeine Einschränkungen, z.B. zur Verfügbarkeit („Keine Mitnahmegarantie“), macht.253 Diese allgemeinen Regeln sind nach den Grundsätzen zur situationsadäquaten Aufmerksamkeit (s. Rn. 85 ff.) wie folgt zu modifizieren:
104
(1) In einem weiten Feld der allgemeinen Publikumswerbung, der Bewerbung von Waren und Dienstleistungen eher geringen Werts („Waren des täglichen Gebrauchs“), bleibt es bei der Regel, dass der Blickfang/das Schlagwort den Gesamteindruck der zu beurteilenden Werbung bestimmt, die Irreführungseignung der herausgehobenen Teilund Kurzaussage Einschlägigkeit von § 5 indiziert: Der legitimerweise „flüchtig aufmerksame“ Durchschnittsverbraucher (s. Vor §§ 5, 5a Rn. 86 ff.) registriert die Hervorhebung, nicht das „Beiwerk“.254 Diese Erfahrungsregel trifft auch das Modell des beschränkt rationalen Verbrauchers, das in der Ökonomie gebräuchlich ist (oben Vor §§ 5, 5a Rn. 15, 82). Sie berücksichtigt nämlich, dass der Kommunikationsadressat in einer von Zeichen und Informationen gefluteten Welt nach Ankern und Codes sucht und daher verdichtete Informationen („information chunks“, Vor §§ 5, 5a Rn. 15) nicht nur sucht, sondern seine Aufmerksamkeit auch situations- und produktbezogen oft auf die Verdichtung beschränkt. Bezieht man überdies ein, dass mehr und mehr Informationswerkzeuge räum-
_____
246 BGH 28.2.1958 – I ZR 185/56 – GRUR 1958, 485, 487 m. Anm. Droste. 247 So noch BGH 24.5.2000 – I ZR 222/97 – GRUR 2001, 78 – Falsche Herstellerpreisempfehlung. 248 BGH 27.7.2017 – I ZR 153/16 – GRUR 2018, 199 Tz. 23 – 19% MwSt. GESCHENKT; BGH 18.12.2014 – I ZR 129/13 – GRUR 2015, 698 Tz. 19 – Schlafzimmer komplett; KG 25.1.2017 – 5 U 115/15 – WRP 2017, 457 Tz. 28. 249 BGH 31.3.2016 – I ZR 86/13 – GRUR 2016, 741 Tz. 23 – Himalaya Salz; Büscher/Büscher Rn. 106. 250 BGH 15.10.2015 – I ZR 260/14 – GRUR 2016, 207 Tz. 18 – All Net Flat; BGH 18.12.2014 – I ZR 129/13 – GRUR 2015, 698 Tz. 16. 251 BGH 15.10.2015 – I ZR 260/14 – GRUR 2016, 207 Tz. 18 – All Net Flat. 252 BGH 21.9.2017 – I ZR 53/16 – GRUR 2018, 320 Tz. 24 – Festzins Plus. 253 BGH 24.10.2002 – I ZR 50/00 –GRUR 2003, 163, 164 – Computerwerbung I; ebenso BGH 18.12.2014 – I ZR 129/13 – GRUR 2015, 698 Tz. 19 – Schlafzimmer komplett; BGH 21.9.2017 – I ZR 53/16 – GRUR 2018, 320 Tz. 24 – Festzins Plus; zust. Lettl WM 2018, 841 844; anders noch BGH 17.2.2000 – I ZR 254/97 – GRUR 2000, 911, 913 f. – Computerwerbung (für einen allgemeinen, nicht leicht erkennbaren Hinweis). 254 BGH 25.1.2007 – I ZR 133/04 – GRUR 2007, 802 Tz. 21 f. = WRP 2007, 1082 – Testfoto III; Gloy/ Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 101.
Lindacher/Peifer
706
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
lich (Mobilgeräte) oder zeitlich (Audiovisuelle Angebote) beschränkt sind, so zeigt bereits die Regelung in § 5a Abs. 5, dass medienbezogene Restriktionen nicht einfach hinzunehmen sind, sondern ergänzende Pflichten zur Klarstellung und Erläuterung stellen. Der in § 5a Abs. 5 Nr. 2 zum Ausdruck kommende Gedanke kann im Rahmen der bei § 5 UWG geschuldeten Gesamtbetrachtung insoweit durchaus fruchtbar gemacht werden. Kasuistik: Wer im Food-Bereich blickfangmäßig unter Gegenüberstellung des eigenen Preises und des Preises eines Mitbewerbers zum Preisvergleich auffordert, wirbt irreführend, wenn der Konkurrent seinen Preis zwischenzeitlich gesenkt hat: Die Textbestandteile „Vergleichen Sie“, „Sparen Sie bei uns“ lässt Aktualität der Vergleichszahlen erwarten. Ein in dünner Schrift, ausgesprochen klein gehaltener, in die untere Ecke des Werbeschilds verbannter Hinweis auf den Zeitpunkt des Vergleichs („Stand …“), nimmt nicht am Blickfang teil. Lektüre über den Blickfang hinaus ist nicht zu erwarten.255 (2) Produktabhängig ist der Adressat bereit, nach Informationen auch unter Aufbie- 105 tung von mehr Zeit zu suchen. Bei höherwertigen, insbesondere langlebigen Wirtschaftsgütern ist selbst beim breiteren Publikum, erst recht bei Unternehmen, typischerweise nicht zu befürchten, dass der Angesprochene sich auf die Kenntnisnahme der herausgehobenen Kurzaussage beschränkt. Hohes Produktinvolvement drängt auf Mitberücksichtigung der Begleitinformation.256 Allerdings kann eine unrichtige Mitteilung, die nur umständlich und wenig transparent richtiggestellt wird, auch bei wirtschaftlich bedeutsamen Erwerbsvorgängen nicht kompensiert werden.257 (3) Blickfang- bzw. Schlagwortwerbung gegenüber Unternehmen den Repräsentanz- 106 charakter abzusprechen wäre zwar verfehlt, denn auch Unternehmen und ihre Mitarbeiter gehen oftmals beschränkt rational bei der Informationssuche vor. Bei der Bewerbung von Gütern eher geringen Werts, die typischerweise wiederkehrend in kürzeren Intervallen nachgefragt werden, ist allerdings auch bei situationsangepasster Aufmerksamkeit (Rn. 89) davon auszugehen, dass Fachleute werbliche Ansprache gewohnt sind und ihre Entscheidung in Wahrnehmung professioneller Verantwortung nicht ohne weiteres aufgrund bloßer Blickfänge und/oder Schlagworte treffen.258 Kasuistik: Die interpretationsfähige und -bedürftige Aussage „An X. Wohnen & Dekorieren kommt keiner vorbei“ auf der Außenseite eines die Werbewirtschaft ansprechenden Folders, bei dessen Öffnen die Erklärung „Weil X. Wohnen & Dekorieren ab jetzt monatlich erscheint“, ist nicht im Sinn einer Spitzengruppenberühmung im Segment Wohnzeitschrift zu verstehen. Vom Fachpublikum ist zu erwarten, dass es sich z.B. wegen der Höhe der Anzeigenpreise mit dem Inhalt des Faltblatts beschäftigen wird.259 (4) Soweit Kenntnisnahme von Begleitinformation vom Adressaten der Werbebot- 107 schaft zu erwarten ist, darf dieser seinerseits eine dem Transparenzgebot entsprechende Information erwarten: „Versteckt“ der Werbende eine die Blickfangaussage relativierende Information nachgerade im Gesamttext, bleibt es bei der Alleinmaßgeblichkeit der Blickfangaussage.260 Gleiches gilt bei schriftgrößenbedingter Einschränkung der Lesbar-
_____
255 BGH 25.1.2007 – I ZR 133/04 – GRUR 2007, 802 Tz. 18 ff. = WRP 2007, 1082 – Testfoto III. 256 BGH 15.10.2015 – I ZR 260/14 – GRUR 2016, 207 Tz. 18 – All Net Flat; Emmerich § 14 Rn. 56; Roderburg Irreführungsverbot 140; Wuttke WRP 2004, 820, 823. 257 BGH 21.9.2017 – I ZR 53/16 – GRUR 2018, 320 Tz. 26 – Festzins Plus. 258 Gleichsinnig: Roderburg Irreführungsverbot 140. 259 OLG Hamburg 12.5.1999 – 3 U 179/98 – AfP 2000, 366. 260 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 226.
707
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
keit.261 Eine ausreichend deutliche Lesbarkeit erfordert im Regelfall die Verwendung einer Schrift, deren Größe 6-Punkt nicht unterschreitet.262 108
(5) Der Umstand, dass das jeweilige Involvement ein Skalenwert ist, erlaubt und gebietet Stufungen im Bereich des Ausmaßes erwartbaren Nachsuchens der Begleitinformation: Die Anforderungen an die Gestaltung des Begleittextes wachsen mit sinkendem Involvement.
109
bb) Begriff. Selbst wenn für die Anwendung des Satzes von der Per-se-Maßgeblichkeit des Blickfangs/Schlagworts im Lichte des neuen „Leitbilds“ an sich durchaus Raum ist, darf der Tatbestand der Blickfang- bzw. Schlagwortwerbung nicht vorschnell bejaht werden: Soll der Begleittext gegenüber dem Hervorgehobenen zum – in Bezug auf die Ausräumung der Irreführungsgefahr – irrelevanten Beiwerk werden, muss die Hervorhebung deutlich ausfallen.263 Zumindest Zurückhaltung in der Bejahung des Blickfangcharakters ist angezeigt, wenn im Rahmen eines längeren Textes auch andere Passagen durch Satzanordnung, Typenart, Fettdruck oder Umrahmung hervorgehoben sind. 264 Blickfangfunktion hat die Benennung eines Tee-Produkts als „HIMBEERVANILLE ABENTEUER“ mit der Abbildung entsprechender Zutaten und einem Logo „nur natürliche Zutaten“; eine solchermaßen verdichtete Information kann nicht mehr durch die Zutatenliste korrigiert werden. 265 Auf die Verwendung des Schlagwortes „Kundenanwalt“ sind die Grundsätze über die Blickfangwerbung anwendbar mit der Folge, dass der Umstand, dass es sich nicht um einen Rechtsanwalt, sondern einen Unternehmensmitarbeiter handelt, aufklärungsbedürftig ist.266 Produktabbildungen, wie das Foto eines Sonnenschirms mit Betonplatten zur Stabilisierung, sind für sich genommen aussagekräftig, also blickfangartig, fehlen Teile der abgebildeten Ausstattungsmerkmale (wie die Betonplatten), so muss darüber im Kontext des Blickfangs aufgeklärt werden.267
110
cc) Blickfangteilhabe/-relativierung. Ob und inwieweit blickfangnahe Angaben am Blickfang partizipieren (und gegebenenfalls die Fehlvorstellung hindern), ist auch und nicht zuletzt eine Frage des jeweiligen Kommunikationsmediums, im Übrigen von der konkreten Gestaltung der kommerziellen Botschaft abhängig:268 Hebt sich in der Anzeigenwerbung der ergänzende Hinweis seinerseits vom Resttext ab, enthält die Anzeige gar außer der besonders herausgestellten Aussage nur den klarstellenden Hinweis, wird sich auch ein flüchtiger Betrachter der Mitnotiznahme kaum verschließen. In den Blickfang gestellte Grafiken (Diagramme u.ä.) fokussieren demgegenüber nicht nur Aufmerksamkeit, erheben vielmehr auch den Anspruch, dem Adressaten die Aufbereitung des
_____
261 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 144; Götting/Nordemann Rn. 0.132. 262 KG 11.2.11 – 5 W 17/11 – GRUR-RR 2011, 278; OLG Celle 24.2.11 – 13 U 172/10 – GRUR-RR 2011, 278; vgl. im Kontext der Ausräumung der Wiederholungsgefahr OLG Bamberg 1.7.2013 – 3 U 77/13, MD 2013, 917, 920. 263 Siehe auch RWW/Doepner 3.0 Rn. 321. 264 BGH 22.6.1956 – I ZR 152/54 – GRUR 1957, 274, 275 – Maßkonfektion; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 102; Harte/Henning/Dreyer B Rn. 127. 265 BGH 2.12.2015 – I ZR 45/13 – GRUR 2016, 738 Tz. 17 – Himbeer-Vanille-Abenteuer II, i.E. ebenso OLG Düsseldorf 24.9.2013 – I-20 U 115/12 – GRUR-RR 2014, 132, 132 (Obst zum Trinken). 266 OLG Düsseldorf 28.10.2014 – I-20 U 168/13 – NJW-RR 2015, 166 Tz. 27. 267 OLG Düsseldorf 4.8.2015 – 4 U 66/15, WRP 2015 – 1381 Tz. 13; vlg. auch OLG Hamm 5.6.2014 – 4 U 152/13 – GRUR-RR 2015, 64 (Bettrahmen ohne Lattenrost). 268 Götting/Nordemann Rn. 0.131.
Lindacher/Peifer
708
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
Basismaterials abzunehmen.269 Dass diesem anhand der mitgeteilten Basisdaten eine Richtigstellung der Grafikaussage möglich ist, nimmt dem irreführenden Blickfang nicht ohne weiteres diese Eigenschaft. Wird blickfangartig für einen Telefonvertrag mit „Nur 34,95/Monat für die ersten 6 Monate, danach 39,95 Euro/Monat“ geworben, ist diese Angabe nicht nur objektiv falsch, wenn tatsächlich nach einer gewissen Zeit der Preis automatisch nochmals erhöht wird, sie kann auch nicht mehr durch weitere Textergänzungen richtiggestellt werden, weil der Adressat bereits die eindeutige Erstmitteilung als erschöpfend ansieht und keinen Anlass hat, nach neuen Informationen zu suchen.270 Der Blickfangrelativierung, vor allem aber der Klar- und Richtigstellung, dient die 111 Technik des blickfangintegrierten Stern-Hinweises: Der Stern (oder ein sonstiger eindeutiger Fußnotenhinweis) signalisiert dem durchschnittlich verständigen Betrachter, dass die Blickfangaussage nicht vollständig ist und nicht vorbehaltlos gilt, sondern im Sinn begleitender Erläuterung zu verstehen ist.271 Die Zuordnung der in Bezug genommenen Angaben zu der herausgestellten Angabe setzt freilich voraus, dass jene mit zumutbarem Aufwand auffindbar ist: Der aufklärende Hinweis muss nicht zwingend in einer Fußzeile der Werbung enthalten sein.272 Einem im Fließtext nachgerade versteckten Hinweis muss jedoch niemand nachgehen.273 Auch aus der Leserichtung gerückten Erläuterungen steht die Rechtsprechung274 mit Recht kritisch gegenüber. Die Aufforderung an den Leser einer Anzeige, Erläuterungen einem anderen Medium (etwa dem Internet) zu entnehmen, ist jedenfalls dann ungenügend, wenn im Ausgangsmedium weder räumliche noch zeitliche Restriktionen bestehen (vgl. insoweit § 5a Abs. 5).275 Nur der Klarstellung halber bleibt mit dem OLG Köln276 anzumerken: Die Frage, ob der Sternhinweis leicht auffindbar ist, stellt sich nicht, wenn der Sternhinweis auch hätte ganz entfallen können. Bei einer mehrteiligen Werbeaussage muss der Stern so platziert sein, dass der Leser 111a ihn der Teilaussage zuordnet, der er mit irreführungsausräumender Wirkung zugedacht ist. Kasuistik: Die Werbeanzeige der Firma „Peek & Cloppenburg SÜD“ im Wirtschaftsraum der Firma „Peek & Cloppenburg NORD“ mit dem blickfangmäßig herausgehobenem Satz „Die Stiftung Warentest bestätigt: Es gibt nichts Besseres als ein Hemd von P & C“ ist trotz eines Sternchens in Firmenangabenähe und der Sternchenauflösung mit dem Hinweis auf zwei nebeneinander bestehende Unternehmen wegen Irreführung über die Identität des Werbenden nach § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 unzulässig, wenn der Sternchenhinweis nach der Anzeigengesamtgestaltung von Teilen des relevanten Verkehrs eher auf das Testergebnis bzw. das abgebildete Hemd als gerade auf die Firma des Unternehmens SÜD bezogen wird.277
_____
269 BGH 2.12.2015 – I ZR 45/13 – GRUR 2016, 738 Tz. 17 – Himbeer-Vanille-Abenteuer II. 270 OLG Köln 4.2.2014 – 6 W 11/14 – GRUR-RR 2014, 299, 300. 271 OLG Hamburg 20.12.2006 – 5 U 209/06 – WRP 2007, 342, 345; Ohly/Sosnitza Rn. 134; Lettl § 7 Rn. 64. 272 BGH 19.4.2012 – I ZR 173/11 – WRP 2012, 1233 Tz. 5 – Bester Preis der Stadt. 273 BGH 8.7.2004 – I ZR 142/02 – GRUR 2004, 961, 963 = WRP 2004, 1479 – Grundeintrag Online; Fezer/ Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 226; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 103. 274 BGH 13.6.2002 – I ZR 71/01 – GRUR 2002, 979, 982 = WRP 2002, 1259, 1263 – Kopplungsangebot II. 275 OLG Hamburg 12.7.2006 – 5 U 142/05 – GRUR-RR 2007, 85, 88; OLG Bamberg 22.6.2016 – 3 U 18/16 – WRP 2016, 1147 Tz. 42; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 225. 276 OLG Köln 26.6.2009 – 6 U 4/09 – GRUR-RR 2010, 219. 277 OLG Hamburg 17.1.2008 – 3 U 143/07 – GRUR-RR 2008, 345; OLG Hamburg 13.1.2011 – 327 O 218/10 – WRP 2018, 1518; OLG Hamburg 12.7.2018 – 3 U 90/12 – WRP 2018, 1525.
709
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
112
dd) Negative Voraussetzung: keine objektive Unrichtigkeit, keine instrumentalisierte Mehrdeutigkeit. Bei Erwerbsvorgängen mit niedrigem oder mittlerem Involvement gilt, dass Blickfang- bzw. Schlagwortaussagen nur der Klarstellung und Konkretisierung, nicht der Korrektur zugänglich sind.278 Die Zuweisung des Informationsrisikos an den blickfangmäßig Angesprochenen ist nur gerechtfertigt, wenn an der Verwendung der Blickfang-/Schlagwortangabe ein grundsätzlich schutzwertes Interesse besteht. Bei objektiv unrichtigen Angaben kann hiervon keine Rede sein.279 Bei geschäftlichen Handlungen im Zusammenhang mit langlebigen, hochwertigen und teuren Produkten sowie bei bedeutungsvollen Erwerbsentscheidungen (wie etwa der Geldanlage) wird ein höheres Involvement erfolgen, so dass Adressaten mehr Zeit auf eine kommerzielle Mitteilung verwenden und daher jedenfalls kurz und übersichtlich gestaltete klar- und auch richtigstellende Informationen finden und erfassen.280 Der objektiven Unrichtigkeit ist richtigerweise die instrumentalisierte Mehrdeutig113 keit gleichzusetzen: Wer in Absenz eines Kommunikationsinteresses gezielt Blickfangangaben macht, die in einer Deutungsvariante irreführungsgeeignet sind, sollte sich nicht auf mangelnde Aufmerksamkeit des Werbungsadressaten in Form der Nichtnotiznahme außerhalb des Blickfangs liegender Begleitinformation berufen dürfen. 114
g) Verkehrskreisbestimmung bei ihrer Art nach planmäßig auf Flüchtigkeit setzenden Praktiken. Die Orientierung am Verständnis des durchschnittlich informierten und verständigen, situationsadäquat aufmerksamen Adressaten der Werbebotschaft zielt auf eine normative Korrektur des Irreführungsbegriffs. Sie ist insoweit auch Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, der bei er tatbestandlichen Auslegung des Irreführungsbegriffs zu beachten ist (oben Rn. 61). Er sorgt für einen sachgerechten Ausgleich zwischen dem Schutzinteresse des Adressaten und dem Interesse des Unternehmers an effektiver Kommunikation. Der Unternehmer soll auf eine den Absatz seiner Produkte fördernde geschäftliche Handlung nicht deshalb verzichten müssen, weil ein Teil der durch die Werbung Angesprochenen sie in Vernachlässigung fallsituativ angezeigter Sorgfalt missversteht. Die Interessenlage wandelt sich grundlegend, wenn die zu beurteilende Geschäfts115 praktik unter Verschleierung ihres Charakters systematisch auf die Flüchtigkeit eines Teils der Adressaten setzt, ja ob zu erwartender Erfolglosigkeit gegenüber dem aufmerksamen Rezipienten in der Sache letztlich nur jenen Personenkreis anspricht. Referenzperson ist hier der flüchtige Verbraucher/Unternehmer, die Geschäftspraktik selbst dann als unlauter zu qualifizieren, wenn dem Irregeführten eine gewisse Nachlässigkeit nicht abzusprechen ist.281 h) Wandel der Verkehrsauffassung Schrifttum Brandner Bedeutungsgehalt und Bedeutungswandel bei Bezeichnungen im geschäftlichen Wettbewerb, FS Piper (1996) 95.
_____
278 OLG Köln 4.2.2014 – 6 W 11/14, GRUR-RR 2014, 299, 300. 279 OLG Hamburg 21.6.2006 – 5 U 138/05 – GRUR-RR 2007, 244, 246; OLG Naumburg 9.9.2010 – 1 U 13/10 – WRP 2010, 1567; MünchKommUWG/Ruess Rn. 193 f., 223; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.89. 280 BGH 18.12.2014 – I ZR 129/13 – GRUR 2015, 698 Tz. 19 – Schlafzimmer komplett; BGH 21.9.2017 – I ZR 53/16 – GRUR 2018, 320 Tz. 24 – Festzins Plus; Lettl WM 2018, 841 844. 281 OLG Frankfurt 29.7.2010 – 6 U 11/10 – GRUR-RR 2011, 145.
Lindacher/Peifer
710
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
Die Verkehrsauffassung kann sich ändern, mit ihr die Bedeutung verwendeter An- 116 gaben. Geografische und betriebliche Herkunftsangaben können zu Gattungsbezeichnungen mutieren, umgekehrt aus Gattungsbegriffen Angaben der betrieblichen Herkunft oder geografische Herkunftsangaben werden. Geografische Herkunftsarten können sich in betriebliche Herkunftsarten wandeln. Gattungsbezeichnungen können ihre Bedeutung in zweifacher Richtung ändern, sei es – Fall der Erweiterung des Bedeutungsumfangs – hin zu einem neuen Oberbegriff, sei es – Fall der Bedeutungssinnbeschränkung – weg vom bisherigen Oberbegriff hin zu einer spezifischen Bedeutung. Eine besondere Konstellation zeigte sich bei der Deregulierung von Monopolen, wie dem Beförderungsmonopol der Deutschen Post. Diese Deregulierung führte dazu, dass der Begriff „Post“ von einer Monopolbezeichnung zum Gattungsbegriff werden konnte mit der Folge, dass neue Unternehmen diese Formulierung wiederverwenden konnten, obgleich die Verwendung der Bezeichnung oder die Annäherung an Leistungen des ehemaligen Monopolisten für einen Übergangszeitraum Irreführungsgefahren erzeugt (unten Rn. 298).282 Sobald der Verkehrsanschauungswandel in dem Sinn vollzogen, dass nur noch ein 117 zur quantité négligeable geschrumpfter Teil des relevanten Verkehrs die werbliche Äußerung in ihrem ursprünglichen Sinn versteht, kommt es allein auf die Realitätserwartung des nunmehr herrschenden Sinnverständnisses an. Solange der Bedeutungswandel noch nicht abgeschlossen ist (auch Zielpersonen mit normalen Kenntnissen, situationsangepasstem Involvement und angemessen kritischer Grundhaltung verstehen im Bedeutungswandel befindliche Bezeichnungen nicht notwendigerweise einheitlich), erfüllt die Bezeichnungsverwendung zwar oft den Kerntatbestand der Irreführung, freilich nicht ohne weiteres den Tatbestand rechtlich relevanter Irreführung: Die Würfel, ob Bezeichnungsverwendung im ursprünglichen Sinn bzw. im gewandelten Sinn zulässig sind, lassen sich durch normative Korrekturen des empirischen Befunds lösen (oben Rn. 61). Zentrale Bedeutung kommt dabei – neben der jeweiligen Quote – dem rechtlich relevanten Freihaltebedürfnis an Gattungsbezeichnungen oder sonstigen bislang im Gemein- bzw. Gruppengebrauch stehenden Angaben zu. In der Übergangszeit können aber klarstellende oder unterscheidende Zusätze geboten sein. So ist die Verwendung von Briefkästen in der Nähe von Posteinrichtungen nach Beendigung des Monopols auch dann keine relevante Irreführung, wenn Herkunftstäuschungen möglich bleiben, solange die konkurrierenden Einrichtungen etwa durch Farbgebung (rot statt gelb) oder unterscheidende Zusätze beseitigt werden.283 In der Zeit nach Beendigung der starren Sonderverkaufsverbote war es nicht geboten, die Durchführung eines Sonderverkaufs nur deswegen zeitlich zu befristen, weil der Verkehr noch daran gewöhnt war, dass Schlussverkäufe solchen Begrenzungen unterfielen.284 i) Terminologie: „relevanter Verkehr“. Zum angesprochenen Verkehr zählen alle 118 Mitglieder des jeweiligen Verkehrskreises, einschließlich der nicht den Gruppenmindeststandards genügenden Personen. Bei Beurteilung konkreter Angaben auf ihr Irreführungspotential i.S. von § 5 bleiben die Fehlvorstellungen der nicht den Mindeststandards entsprechenden Verkehrskreisangehörigen nach „neuem Leitbild“ außen vor (Rn. 263). Zu fragen ist, wie Angehörige des angesprochenen Verkehrskreises, die gruppenbezogen
_____
282 BGH 12.5.2010 – I ZR 214/07 – GRUR 2011, 166 Tz. 23 – Rote Briefkästen (Aufstellung von Briefkästen in der Nähe von Einrichtungen der Post AG). Entsprechend zu § 23 MarkenG BGH 5.6.2008 – I ZR 169/05 – GRUR 2008, 798 Tz. 23 – POST I („Die neue Post“); BGH 5.6.2008 – I ZR 108/05 – WRP 2008, 1206 Tz. 25 – CITY POST; BGH 2.4.2009 – I ZR 78/06 – GRUR 2009, 672 Tz. 27 – OSTSEE-POST. 283 BGH 12.5.2010 – I ZR 214/07 – GRUR 2011, 166 – Rote Briefkästen. 284 BGH 11.9.2008 – I ZR 120/06 – GRUR 2008, 1114 – Räumungsfinale.
711
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
normal informiert, angemessen aufmerksam und verständig sind, die jeweilige Angabe deuten. In Kurzform kann man, die Schritte der Verkehrskreisbestimmung und der normativen Selektion zusammenfassend, insoweit vom Verständnis des „relevanten Verkehrs“ sprechen. 3. Modalitäten der Irreführung a) Objektiv unrichtige Angaben. Der glätteste, auch in der Praxis durchaus verbreitete Fall der Irreführung ist der, dass vom Werbenden ein objektiv falscher Tatbestand behauptet wird: Die der werblichen Äußerung nach allgemeinem bzw. zumindest ganz überwiegendem Sinnverständnis eigene Aussage deckt sich nicht mit der Realität. Kasuistik: Ein Kaffeefahrt-Veranstalter verspricht den Teilnehmern ein „leckeres, reichhaltiges Mittagsmenü“, obschon sie lediglich eine verschlossene Konservendose mit einer Suppe oder mit Brechbohnen zum Mitnehmen ausgehändigt erhalten sollen.285 Der Werbende suggeriert mit dem Slogan „jetzt nur je 5 DM Preisknaller“ Preissenkung, obschon auch vorher keine höheren Preise verlangt wurden.286 Er bildet statt des angebotenen Flachbett-Scanners das ohne weiteres als solches erkennbare, zweieinhalb mal so teure Gerät des Marktführers ab.287 – Wer in Zusammenhang mit der Bewerbung eines Gewinnspiels eine kostenpflichtige „Gewinnnummer“ angibt, darf unter dieser Nummer nicht lediglich die Beschreibung der ausgelobten Hauptpreise wiederholen.288 Ein Friseursalon bezeichnet sich als „Schulungscenter“, obschon nur einzelne Lehrlinge ausgebildet werden.289 Ein Tankstellenbetreiber bietet Benzin unter der Bezeichnung „Superbenzin“ an, obschon es nicht den einschlägigen DIN-Werten entspricht.290 Ein Hautöl wird mit dem Adjektiv „natürlich“ beworben, obschon es überwiegend aus synthetischen chemischen Stoffen besteht.291 Ein Lebensmittelhersteller wirbt für sein Produkt mit dem Schlagwort „doppelleicht“, obwohl dessen Brennwerte die dafür einschlägigen gesetzlichen Zuordnungskriterien nicht erfüllen.292 Der Verleger preist sein sechsmal in der Woche erscheinendes Blatt als „günstigste Tageszeitung“ an, obschon der Durchschnittspreis pro Einzelausgabe im Abonnement über dem des auch sonntags erscheinenden Konkurrenzblatts liegt.293 Eine Tierklinik verspricht Notdienstleistungen mit der Angabe „ganztägig erreichbar“, obschon der Notdienst nicht rund um die Uhr, sondern nur (auch) außerhalb der üblichen Sprechzeiten vorgehalten wird.294 Das Sinnverständnis wird gemeinhin durch das allgemeine bzw. ganz herrschende 120 Sprachverständnis bestimmt. Semantik kommt indes kein Monopolanspruch zu. Die philologische Betrachtungsweise tritt zurück, wo Situativität oder auch besondere Konsumerfahrungen der Adressaten nach einem vom Sprachverständnis abweichenden Verständnis drängt. Kasuistik: Der Adressat einer Phone-Flatrate-Werbung weiß als angemessen informierte und verständige Zielperson, dass „kostenloses Telefonieren“ nicht entgeltloses 119
_____
285 BGH 15.8.2002 – 3 StR 11/02 – wistra 2002, 467. 286 BGH 15.12.1999 – I ZR 159/97 – GRUR 2000, 337 – Preisknaller. 287 BGH 20.12.2001 – I ZR 215/98 – GRUR 2002, 715, 716 – Scanner-Werbung. 288 BGH 9.6.2005 – I ZR 279/02 – GRUR 2005, 1061, 1063 f. – Telefonische Gewinnauskunft. 289 OLG Koblenz 8.2.1986 – 6 W 766/85 – GRUR 1986, 551. 290 OLG Düsseldorf 18.12.1986 – 2 U 1/86 – NJW-RR 1987, 992. 291 OLG Nürnberg 16.8.1988 – 3 U 4219/87 – GRUR 1989, 128. 292 KG 23.6.1989 – 5 U 931/89 – NJW-RR 1990, 238 (damals § 7 II Nr. 1 NährwertkennzeichnungsVO, heute modifiziert durch VO (EU) 1169/2011). 293 KG 25.2.2003 – 5 U 272/02 – GRUR-RR 2003, 319. 294 OLG Hamm 9.8.2005 – 4 U 51/05 – GRUR-RR 2006, 105.
Lindacher/Peifer
712
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
Telefonieren schlechthin bedeutet, vielmehr regelmäßig Grundgebühren anfallen und auch das Telefonieren vom Festnetz in das Mobilfunknetz oder ins Ausland mit höheren Entgelten belegt sein kann.295 Im Bereich vertragsgebundener Smartphones ist dem Verbraucher (mittlerweile) bekannt, dass das Angebot eines Telefons zum Preis von 1,00 Euro den damit gekoppelten Mobilfunktarif subventioniert, also nicht als gewissermaßen kostenlose Leistung zu begreifen ist.296 Der Streit, ob die Feststellung objektiver Unrichtigkeit von der Feststellung der Irre- 121 führungseignung dispensiert,297 erscheint bei ergebnisorientierter Betrachtung akademischer Natur. Objektiv unrichtige Angaben sind in aller Regel irreführend: Der Werbende weiß, weshalb er sich ihrer bedient. Wird die Unrichtigkeit bei Anlegung des Maßstabs des hinreichend informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsmitglieds des angesprochenen Verkehrskreises hingegen im Einzelfalls so gut wie allgemein erkannt, bleibt die Bejahung der Irreführungseignung via Fiktion ergebnisirrelevant. Davon zu trennen ist die Frage, ob eine unwahre Angabe auch Marktentscheidungsrelevanz besitzt. Dies zu fingieren, würde die Trennlinie zu den Black-ListFällen aufweichen. Unabhängig davon kann im Rahmen des § 5 selbstverständlich eine unwahre Angabe für die konkrete Entscheidung irrelevant sein. Das Relevanzerfordernis spielt insoweit jenseits der Tatbestandsgruppen des Anhangs der RL 2005/29/EG stets noch eine Rolle.298 So betrifft die Nennung eines falschen Namens durch den anrufenden Mitarbeiter eines Unternehmers zwar eindeutig eine unwahre Angabe und sie führt auch zu einer Irreführung über die Identität des Anrufers, soweit der konkrete Name für die geschäftliche Handlung aber unerheblich ist, fehlt die Relevanz dieser Irreführung.299 Fallgruppentypisch lassen objektiv falsche Angaben seltener Raum für eine norma- 122 tive Korrektur der zu vermutenden Irreführungseignung (oben Rn. 61): Mit objektiv unzutreffenden Angaben lassen sich überdies auch keine schutzwerten Kommunikationsund Informationsinteressen verbinden. In Betracht kommt allenfalls ein einschlägiges Besitzstandswahrungsinteresse (s. Rn. 276 ff.), etwa an einer eingeführten Unternehmensbezeichnung, die einen objektiv nicht zutreffenden Sinngehalt hat. So ist es, wenn eine „Klosterbrauerei“ eine (für die Marktentscheidung nicht belanglose) klösterliche Brautradition suggeriert, die nicht mehr besteht.300 Dagegen ist das Versprechen eines unabhängigen Preisvergleichs, wenn es nicht der Wirklichkeit entspricht, sehr wohl relevant für daraus folgende Irreführung.301 Ebenso ist es, wenn ein Schädlingsbekämpfungsunternehmen unrichtige Angaben über seine Niederlassung macht, weil der Kunde typischerweise Anfahrtskosten und -dauer in seine Erwerbsentscheidung einbezieht.302 Bedeutung sollte dem Umstand, dass eine Angabe objektiv unwahr ist, schließlich 123 in puncto Schutz von Verbrauchern mit defizitären Fähigkeiten zukommen: Dass die Unwahrheit vom „Durchschnittsverbraucher“ erkannt wird, muss unerheblich bleiben, wenn Personen mit unter- bzw. rückentwickelten Fähigkeiten den Mangel an Wahrheits-
_____
295 OLG Frankfurt 19.10.2006 – 6 U 98/06 – BeckRS 2006, 14939. 296 OLG Celle 27.11.2014 – 13 U 89/14 – WRP 2015, 364. 297 Bejahend u.a. Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 234 sowie Glöckner/Henning-Bodewig WRP 2005, 1311, 1330, verneinend – bloße Indizfunktion – Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 98 sowie Sosnitza WRP 2008, 1014. 298 So für § 5a BGH 2.3.2017 – I ZR 41/16 – GRUR 2017, 922 – Komplettküchen; ebenso vorher bereits Steinbeck WRP 2006, 632, 634. 299 Vgl. BGH 19.4.2018 – I ZR 244/16 – GRUR 2018, 950 Tz. 37 – Namensangabe; Büscher/Büscher Rn. 151. 300 BGH 7.11.2002 – I ZR 276/99 – GRUR 2003, 628, 629 f. – Klosterbrauerei. 301 LG Berlin 2.9.2014 – 91 O 19/14 BeckRS 2014, 122669. 302 OLG Köln 23.12.2016 – 6 U 119/16 – WRP 2017, 335 Tz. 9.
713
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
liebe verkennen. Am Gebrauch unwahrer Angaben besteht kein schutzwertes Interesse, das Vorrang gegenüber dem Schutzinteresse derer rechtfertigte, die aus gruppenspezifischer Leichtgläubigkeit auf die unwahre Angabe hereinfallen.303 b) Mehrdeutige Angaben. Unter Irreführungsaspekten kaum minder gefährlich als objektiv unzutreffende Angaben sind objektiv mehrdeutige Angaben: Die Angabe erlaubt nach allgemeinem, jedenfalls ganz herrschendem Sinnverständnis mehrere Deutungen, trifft aber nur hinsichtlich eines Teils der miteinander konkurrierenden Bedeutungsalternativen zu. Es liegt nahe, dass auch und gerade über normale Kenntnisse verfügende, angemessen aufmerksame und kritische Mitglieder des angesprochenen Verkehrskreises entsprechende Angaben unterschiedlich verstehen, ein Teil des relevanten angesprochenen Verkehrs mithin von einer Sinnvariante ausgeht, die nicht der Realität entspricht. Auch unter neuem „Adressatenleitbild“ bleibt es deshalb beim Grundsatz, dass ob125 jektiv mehrdeutige Angaben den Tatbestand der Irreführung i.S. von § 5 erfüllen, wenn auch nur eine der in Betracht kommenden Sinnvarianten realitätskonträr ist.304 Dabei ist es ohne Bedeutung, ob es der Werbende auf die Mehrdeutigkeit angelegt hat oder nicht. Auch bei unbewusster Mehrdeutigkeit muss er die für ihn ungünstigere, aber verständigerweise mögliche Auslegung gegen sich gelten lassen.305 Allerdings greift das Verbot nicht, wenn die irreführende Variante einer mehrdeutigen Äußerung nicht marktentscheidungsrelevant ist.306 Kasuistik: Die Bezeichnung „Kunstglas“ für ein Kunststoffprodukt glasähnlichen Charakters führt den Teil des angesprochenen Verkehrs irre, der in Einklang mit dem früher ausschließlichen Verkehrsverständnis unter „Kunstglas“ ein künstlerisch gestaltetes (Silikat-)Glas versteht.307 Die Bezeichnung „Königl.-Bayerische Weisse“ eröffnet konkurrierende Deutungsmöglichkeiten, deren gemeinsamer Nenner ein wie auch immer gearteter Bezug zum ehemaligen bayerischen Königtum ist. In hohem Maße naheliegend sind Vorstellungen: dass die Braustätte im Eigentum des Königshauses gestanden hatte, dass sie Hoflieferantin des Königshauses war, dass dieses ihr eine entsprechende Bezeichnungsbefugnis verliehen hatte oder dass sie mindestens an Traditionen aus der Zeit des Königtums, insbesondere an alte Rezepte o.ä. anknüpft. Sind jedenfalls die ersten drei Deutungen unzutreffend, erfüllt die Bezeichnungsführung den Tatbestand der Irreführung.308 Wer Wasser als „eines der reinsten der Erde“ bewirbt, löst den Spitzenstellungsanspruch nicht schon dadurch ein, dass die Mineralisation des eigenen Wassers besonders niedrig ist. Der Verkehr versteht die werbliche Äußerung, wenn nicht gar ausschließlich, so jedenfalls zu einem nicht unerheblichen Teil auch als Hinweis auf eine unterdurchschnittliche Schadstoffbelastung. Besteht insoweit kein signifikanter Abstand zur Konkurrenz, weil auch deren Wasser frei von anthropogenen
124
_____
303 Ähnlich Harte/Henning/Dreyer B Rn. 181. 304 BGH 8.3.2012 – I ZR 202/10 – GRUR 2012, 1053 Tz. 17 = WRP 2012, 1216 – Marktführer Sport; Fezer/ Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 248; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.108; Ohly/Sosnitza Rn. 181. A.A. – schädlich nur die Erwartungsenttäuschung der Mehrheit der Durchschnittsverbraucher – Götting/ Nordemann Rn. 0.139 sowie noch weitergehend – unzulässig nur die mehrdeutige Angabe, bei der keine der möglichen, auch nur annähernd sachgerechten Begriffsvarianten mit den tatsächlichen Verhältnissen übereinstimmend – Schünemann 138. 305 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.109; Ohly/Sosnitza Rn. 181. 306 OLG Stuttgart 7.8.2015 – 2 U 107/14 – BeckRS 2016, 03602 Tz. 171; nicht angegriffen durch BGH 14.12.2017 – 2 U 107/14 – GRUR 2018, 423 – Klauselersetzung. 307 BGH 28.6.1960 – I ZR 13/59 – GRUR 1960, 567 = WRP 1960, 268 – Kunstglas. 308 BGH 21.2.1991 – I ZR 106/89 – GRUR 1992, 66, 67 – Königl.-Bayerische Weisse“.
Lindacher/Peifer
714
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
Stoffen sind, ist die Werbung irreführend.309 Die Bewerbung eines Anwalt-Suchservices mit dem Zusatz „in Kooperation mit der Bundesrechtsanwaltskammer“ lässt Eindeutigkeit vermissen: welcher Art die Zusammenarbeit, wie intensiv sie ist, welchen Einfluss der Partner hat, bleibt offen. Die einschlägige Mehrdeutigkeit geht zulasten des Anbieters, wenn es entgegen der Erwartung eines Teils des angesprochenen Verkehrs an der Mitverantwortung der Kammer für Genauigkeit und Aktualität der Angaben fehlt.310 Weist ein Unternehmen in werblichem Zusammenhang vergleichend auf seine Größe/Marktstellung/Bedeutung unter Hinweis auf die – objektiv mehrdeutige – Bezugsgröße Umsatz hin, so hat es den Begriff zur Vermeidung von Fehlvorstellungen zu konkretisieren, wenn die Werbebehauptung allein in Bezug auf die Netto-Umsätze zutreffend ist.311 Die Behauptung, die Geschwindigkeit eines Internetanschlusses „verdoppelt sich generell und durchgängig auf 100 Mbit/s“ ist mehrdeutig und irreführend, wenn dieser Zustand aufgrund von stets vorhandenen Schwankungsbreiten zwar zeitweise, aber nicht durchgängig erreicht werden kann, aber als stets möglich verstanden werden mag.312 Die Bezeichnung „Heilpraktiker für Psychotherapie“ ist mehrdeutig und irreführungsgeneigt, weil sie dahingehend verstanden werden kann, dass der Werbende eine entsprechende Zusatzqualifikation hat.313 Die Änderung der Praxis, dass ein Mieter für die Inanspruchnahme von Maklerdiensten auch Provision zahlen muss, wenn er den Makler nicht beauftragt hat, kann dazu führen, dass die Werbung „provisionsfrei“ gleichwohl irreführend ist, wenn der Mieter sie dahin versteht, dass keine der Parteien eine Provision zu zahlen hat.314 Dass objektive Mehrdeutigkeit von verständigen Zielpersonen auch als solche 126 durchschaut werden kann, die verschiedener Interpretation zugängliche Angabe vielleicht gar keinen Marktentscheidungsimpuls liefert, sollte nicht vorschnell zur Verneinung der Irreführungseignung veranlassen: Ohne diesbezüglichen faktenbelegten Anhalt kann nicht von einer flächendeckenden offenen Unklarheit ausgegangen werden.315 Praktisch bedeutsame Einschränkungen des Irreführungsverbots können sich frei- 127 lich aus normativen Überlegungen ergeben: Bei Begriffen mit echter Doppelbedeutung kann das Leitbild des Referenzverbrauchers dazu führen, dass die Mehrdeutigkeit nur bei den unterdurchschnittlich informierenden und wenig aufmerksamen Adressaten verfängt.316 Zur Gleichstellung mehrdeutiger Information mit unterlassener, nach § 5a geschul- 128 deter Information s. § 5a Rn. 34. c) Komplexe Angaben. Bestimmte Werbebehauptungen – wie etwa die einer füh- 129 renden Stellung – lösen beim Adressaten kumulierende Vorstellungen aus. Sie sind nach allgemeinen Grundsätzen schon dann irreführend, wenn die Erwartung des angesprochenen Verkehrs in einer Richtung enttäuscht wird.317 Kasuistik: Wer sich als „Nr. 1“ im Versandhandel für Motorradbekleidung und Motorradzubehör bezeichnet, muss nicht nur den größten Umsatz aufweisen, sondern auch
_____
309 OLG Köln 1.6.1988 – 6 U 136/87 – GRUR 1989, 528. 310 OLG Köln 12.11.1996 – 6 U 69/96 – NJW-RR 1997, 991, 992. 311 OLG Hamburg 31.1.2007 – 5 U 47/06 – GRUR-RR 2007, 372. 312 OLG Köln 27.3.2015 – 6 U 134/14 – GRUR-RR 2015, 304 Tz. 25–27 (Breitbandausbau). 313 OLG Düsseldorf 22.12.2016 – 15 U 39/16 – GRUR-RR 2017, 280 Tz. 19. 314 LG Neuruppin 14.2.2018 – 6 O 37/17 – WRP 2018, 754 Tz. 27. 315 Großzügiger offenbar: MünchKommUWG/Ruess Rn. 191. 316 Über das Instrument der nachgeschalteten Interessenabwägung wollen diese Fragen lösen Ohly/Sosnitza Rn. 182. 317 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 250; Ohly/Sosnitza Rn. 187.
715
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
über eine von den Konkurrenten nicht erreichte Sortimentsbreite verfügen.318 Auch auf die Größe der Geschäftsräume sowie die Zahl des Personals kommt es an, wenn der Werbende die Sonderstellung des „größten Fachgeschäfts“ eines Orts reklamiert.319 Die Behauptung, unter den Unterhaltungselektronik-Herstellern die „Nr. 1“ zu sein, betrifft in erster Linie die Unternehmensgröße und damit die Umsatzstärke, kann darüber hinaus nach den Begleitaussagen aber auch als Berühmung eines Qualitätsvorsprungs zu verstehen sein. Letzteres ist etwa der Fall, wenn im Fließtext schwerpunktartig qualitätsbezogene Aussagen getroffen werden, und auf vorhandenen Patentschutz für ein bestimmtes Verfahren hingewiesen wird.320 d) Unklare Angaben. Angaben, deren Unklarheit kein Fall der Mehrdeutigkeit ist, führen irre, wenn der Verkehr ihnen Aussagen über Eigenschaften des beworbenen Produkts entnimmt, die diesem nicht zukommen. Unerlässlich ist insoweit freilich die Bildung bestimmter, wenn auch allgemeiner Vorstellungen.321 Sofern Angaben durch Unklarheit vorenthalten werden, ist § 5a Abs. 2 anwendbar. Die Abgrenzung ist nicht immer einfach. Faustregel sollte sein, dass die Unklarheit zu bedeutsamen Vorstellungen führt oder ob es an solchen Vorstellungen fehlt, weil nichts Klares gesagt wurde. Kasuistik: Mit der Verwendung einer gattungsmäßigen Bezeichnung mit dem Zusatz „Spezial-“ macht der Werbende an sich nur unspezifisch geltend, sein Produkt hebe sich in irgendeiner Weise vom Konkurrenzangebot ab. Vor dem Hintergrund des Wissens um die potentielle Gesundheitsschädlichkeit von Salz, liegt es freilich nahe, von einem „Spezialsalz“ gesundheitliche Wirkungen zu erwarten, sei es auch nur in der Weise, dass bei diesem Salz keine oder nur geringe gesundheitliche Nachteile eintreten.322 Sofern „Spezial“ zu der Vorstellung des Besonderen führt, ist insoweit eine täuschende Angabe und keine Vorenthaltung betroffen. Fehlvorstellungen, die auf Assoziationen nahe bloßer Spekulation basieren, gehen 131 nicht zulasten des Autors der unklaren Angabe.323 Kasuistik: Der Vertrieb einer Badetablette mit der Bezeichnung „ThermalBad“ lässt Wirkungen erwarten, die einer natürlichen Thermalquelle entsprechen. Die Vorstellung, die Mineralien für das häusliche Bad seien aus Thermalquellenwasser gewonnen, wird durch die gewählte Bezeichnung nicht nahegelegt, wäre dem Verwender nicht zuzurechnende Spekulation.324 Die werbliche herausgestellte „Gefällt-nicht-Garantie“ eines Möbelhändlers ist ihrem Aussagegehalt schillernd und erlaubt realistischerweise nur die Erwartung allgemeiner Art, dass die Garantie nach Inhalt und Voraussetzungen von einem wie immer gearteten praktischen Wert ist.325
130
e) Objektiv zutreffende Angaben Schrifttum Michalski Das Verbot der Werbung mit Selbstverständlichkeiten, BB 1992, 40; Sack Irreführende Werbung mit wahren Angaben, FS Trinkner (1995) 293.
_____
318 319 320 321 322 323 324 325
OLG Düsseldorf 4.10.1984 – 2 U 120/84 – WRP 1985, 266, 269. LG Köln 15.4.1953 – 24 Q 18/53 – WRP 1955, 23, 24. OLG Frankfurt 14.11.1991 – 6 U 138/90 – WRP 1992, 328, 330. Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 247; Ohly/Sosnitza Rn. 160. BGH 14.12.1966 – Ib ZR 125/64 – GRUR 1967, 362, 369 = WRP 1967, 216, 221 – Spezialsalz. MünchKommUWG/Ruess Rn. 191; Ohly/Sosnitza Rn. 161. BGH 26.9.2002 – I ZR 89/00 – GRUR 2003, 247, 248 = WRP 2003, 275, 277 – THERMALBAD. BGH 29.6.2000 – I ZR 155/98 – WRP 2000, 1278, 1280 – Möbel-Umtauschrecht.
Lindacher/Peifer
716
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
aa) Grundsatz. Dass die Irreführungsgefahr von Werbebehauptungen ausgeht, die 132 bereits objektiv unwahr (s. Rn. 119) oder zumindest objektiv missverständlich sind (s. Rn. 124 ff.), ist zwar die Regel, aber auch nur die Regel. Da es entscheidend auf das Verständnis des angesprochenen Verkehrs ankommt und eine relevante Irreführung grundsätzlich bereits dann zu bejahen ist, wenn die nicht der Realität entsprechende Deutung im Deutungsspektrum einer hinreichend informierten, aufmerksamen und verständigen Zielperson liegt, können auch ihrem objektiven Wortsinn durchaus zutreffende Werbebehauptungen irreführend i.S. von § 5 sein.326 bb) Werbung mit Selbstverständlichkeiten. Zu einer Irreführung durch per se ob- 133 jektiv wahre Werbebehauptungen kann es zunächst bei Sachverhalten kommen, die mit dem Stichwort „Werbung mit Selbstverständlichkeiten“ thematisiert sind. Der Werbende stellt – explizit oder konkludent – Eigenschaften des beworbenen Guts oder sonstige geschäftsabschlussmotivierende Umstände, die bei den Konkurrenzprodukten und Mitbewerbern in gleichem Maße vorliegen, als etwas Ungewöhnliches heraus. Dem Verkehr ist der Allgemeincharakter – mangels hinreichender Kenntnis einschlägiger rechtlicher Vorgaben oder faktischer Branchenübung – unbekannt. Er schließt aus dem besonderen Hinweis auf einen besonderen, realiter aber nicht gegebenen Vorzug des Angebots gegenüber Mitbewerberangeboten. Kasuistik: Eine Brennerei vertreibt „Steinhäger“ mit dem Zusatz „doppelt gebrannt“; wobei die Brennweise gesetzlich vorgeschrieben war.327 Ein Schraubenhersteller bewirbt seine Produkte aus Stahl unter Hervorhebung durch Fettdruck und Setzung eines Ausrufezeichens mit der nicht mehr gebräuchlichen Beschaffenheitsbezeichnung „Flußstahl“.328 Ein Ankäufer von Edelmetallen verspricht „Gebührenfreiheit“ obschon beim Edelmetallankauf von Privaten nirgendwo Gebühren anfallen.329 Allerdings soll die Werbung mit einer „kostenlosen Schätzung“ keine irreführende Selbstverständlichkeit sein, weil der Verbraucher zwar einerseits wisse, dass der genannte Preis eine Schätzung erfordere, eine darüber hinausgehende Schätzung dagegen freiwillige Sonderleistung sei.330 Eine Irreführung liegt vor, wenn ein Augenarzt für eine Laserbehandlung mit einem „Hygienezertifikat“ wirbt, das lediglich die Einhaltung gesetzlicher Standards bescheinigt, aber durch die Zertifizierung den Eindruck einer Übererfüllung dieser Standards erwecken kann.331 Ebenso ist es, wenn eine Apotheke sich als „Rezept-Apotheke“ bezeichnet.332 Die Figur der Irreführung durch Werbung mit Selbstverständlichkeiten ist in Recht- 134 sprechung333 und Lehre334 zu Recht allgemein anerkannt, steht insbesondere in Einklang mit europäischem Recht: Nr. 10 des Anhangs der RL 2005/29/EG (umgesetzt durch Nr. 10 des Anh. § 3 Abs. 3) statuiert ein gegenständlich begrenztes Per-se-Verbot, die EuGHEntscheidung Bellamy335 konstatiert die Primärrechtsverträglichkeit entsprechender na-
_____
326 BGH 24.7.2014 – I ZR 53/13 – GRUR 2015, 286 Tz. 20 – Spezialist für Familienrecht. 327 OLG Hamburg 5.8.1958 – 3 U 32/58, zit. bei Michalski BB 1992, 440, 442. 328 OLG München 29.11.1979 – 6 U 4263/78 – WRP 1980, 440, 441. 329 BGH 23.10.2008 – I ZR 121/07 – WRP 2009, 435 Tz. 2 f. – Edelmetallankauf. 330 BGH 28.11.2013 – I ZR 34/13 – GRUR 2014, 498 Tz. 17 – Kostenlose Schätzung. 331 OLG Stuttgart 20.12.2018 – 2 U 26/18 – WRP 2019, 506 Tz. 5 mit Tz. 39. 332 OLG München 15.1.2015 – 6 U 1186/14 – GRUR-RR 2015, 341 Tz. 42. 333 Zuletzt BGH 23.10.2008 – I ZR 121/07 – WRP 2009, 435 – Edelmetallankauf. 334 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.113; Harte/Henning/Dreyer B Rn. 91; Fezer/Büscher/Obergfell/ Peifer Rn. 238; Ohly/Sosnitza Rn. 192; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 93; Sack GRUR 1996, 461, 462. 335 EuGH 5.4.2001 – C-123/00 – EuGHE 2001 I-2795 Tz. 22 = WRP 2001, 525.
717
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
tionaler Regelungen, lässt sich darüber hinaus wohl legitimerweise als allgemeines grundsätzliches Unbedenklichkeitstestat interpretieren. Für den Lebensmittelbereich enthält Art. 7 Abs. 1 lit. c VO (EU) 1169/2011 (LebensmittelinformationsVO-LMIV) eine einschlägige Sondervorschrift). Bei näherer Betrachtung (vor allem älterer) einschlägiger Judikatur lässt sich freilich 135 ein häufig zu schneller Rückgriff auf den Gesichtspunkt der Irreführung durch Werbung mit Selbstverständlichkeiten kaum leugnen. Prominente Literaturstimmen336 mahnen zu Recht eine gewisse Zurückhaltung an. Dass das Herausgestrichene gesetzlich vorgegeben ist, erlaubt nicht zwingend den Schluss, das Herausgestrichene sei eine Selbstverständlichkeit (Rn. 136). In der einfachen Benennung eines Umstands, bezüglich dessen sich das Produktangebot des Werbenden nicht von dem seiner Konkurrenten abhebt, sieht die normal informierte, angemessen aufmerksame und verständige Zielperson keineswegs ohne weiteres eine Vorsprungsberühmung (Rn. 138). Ist eine Angabe aus Transparenzgründen gesetzlich vorgeschrieben, darf bloße Auffälligkeit im Sinne von nicht übersehbar nicht schädlich sein (Rn. 140). Eigenschaftsangaben, die bei gattungsinterner Betrachtung als Benennung einer Selbstverständlichkeit erscheinen mögen, verlieren diesen Charakter als Aussagen eines Warenartenvergleichs (Rn. 141). Soweit ein einschlägiges Fehlverständnis bei Anlegung entsprechender Standards möglich ist, kommt es auf die Frage an, wie wahrscheinlich es ist, dass auch der verständliche Rezipient Täuschungen unterliegen kann. Dabei sind normative Wertungen (z.B. gesetzliche Bezeichnungsvorschriften, Wertungen aus anderen Rechtsgebieten, wie etwa dem Kennzeichenrecht oder dem Recht der geografischen Herkunftsangaben) zu berücksichtigen (Rn. 142). Steht der Werbende mit verschiedenen Gruppen in Konkurrenz, ist sorgsam auf die Stoßrichtung der Werbung Bedacht zu nehmen (Rn. 143): Durchschaute Selbstverständlichkeit kann ex definitione nicht irreführen. Die Fähigkeit, Selbstverständliches zu erkennen, darf nicht vorschnell verneint werden (Rn. 144). 136
(1) Entscheidend für den Allgemeincharakter ist letztlich die Konformität der tatsächlichen Übung – auch wenn solche Übung durch gesetzliche Vorschriften induziert ist: Gesetzliche Vorschriften können von Mitbewerbern auch missachtet werden; der besonders benannte Umstand ist dann eben gerade keine Selbstverständlichkeit.337 Richtigerweise spricht freilich eine Vermutung für die Konkordanz von geübtem und gesolltem Verhalten. Sofern die normkonträre Praxis nicht offenkundig ist, trägt der Werbende, der die Nichteinhaltung gesetzlicher Verbote geltend macht, die Beweislast.338 Kasuistik: Dass die Angabe „100% Originalware“ in der Werbung eines Internetanbieters Werbung mit einer Selbstverständlichkeit ist, weil jeder Verkäufer rechtlich zur Lieferung von Originalware verpflichtet ist,339 erscheint zweifelhaft. Die Erfahrung lehrt, dass Originalwareneigenschaft auch im Internetgeschäft alles andere als selbstredend ist. Die Bezeichnung „Biomineralwasser“ betrifft keine Selbstverständlichkeit, wenn der Schadstoffgehalt des beworbenen Wassers gegenüber Konkurrenzprodukten besonders niedrig ist.340 Dagegen ist die Bewerbung eines Salzes als „frei von chemischen oder in-
_____
336 Vgl. etwa Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.116 sowie Harte/Henning/Dreyer B Rn. 92 f. 337 MünchKommUWG/Reese Rn. 186; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 94; Roderburg Irreführungsverbot 145 f. Zumindest missverständlich BGH 22.2.1990 GRUR 1990, 1027 = WRP 1990, 818 – Incl. Mehrwertsteuer I. Bsp. OLG Düsseldorf 25.2.2016 – 15 U 58/15 – BeckRS 2016, 07926 Tz. 22 (Anbringung des CE-Zeichens) 338 Übereinstimmend: Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 94. 339 So LG Bochum 10.2.2009 – 12 O 12/09 – BeckRS 2009, 10939. 340 BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 30 f. – Biomineralwasser.
Lindacher/Peifer
718
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
dustriellen Beimischungen“ irreführend, weil diese Beschreibung auf alle Natursalze zutrifft.341 Die Herausstellung, dass eine gesetzliche Gewährleistung „selbstverständlich gilt“, ist keine irreführende Hervorhebung.342 Der Hinweis eines Rechtsanwalts auf die OLG-Zulassung nach Wegfall des Zulassungserfordernisses soll aufgrund der „wechselvollen Geschichte“ der Zulassungserfordernisse keine irreführende Betonung einer Selbstverständlichkeit sein,343 was allerdings fragwürdig erscheint und nur verständlich wird, wenn man daran erinnert, dass die Fallgruppe generell auf dem Rückzug ist. Konformität der tatsächlichen Übung ist dabei mehr als bloße Regelübung. So- 137 lange die Ausnahme nicht zur nachgerade vernachlässigbaren Größe wird, ist die Einhaltung der Regel gerade nicht selbstverständlich: Entgegen OLG Frankfurt344 stellt die Werbung eines Architekten „Beratung kostenlos“ selbst dann keine irreführende Werbung dar, wenn die gesetzliche Regel des § 4 HoAI (Gebührenpflichtigkeit der Beratung) rechtstatsächlich in der Tat zur (einfachen) Ausnahme geworden sein sollte. (2) Der Hinweis auf Leistungsmerkmale (insbesondere Produktqualität und Service) 138 ist leistungswettbewerbseigen und alles andere als unüblich. Der verständige Verbraucher/Unternehmer schließt aus der Nennung eines Vorteils nicht per se auf eine sich vom Konkurrenzangebot abhebende Beschaffenheit, sieht darin i.d.R. nur eine Beschreibung der Eigenschaften des Angebots. Anderes gilt nur, wenn die zu beurteilende Angabe in besonderer Weise (blickfangmäßig oder unter verbaler Betonung) herausgestellt wird.345 Kasuistik: Verspricht ein Steinmetz in seiner Grabmalwerbung „standsichere Fundamentierung“, ist darin kaum mehr als die Berühmung fachgerechten Arbeitens zu sehen.346 Ein Optiker darf zur Beseitigung von (zudem gesundheitspolitisch unerwünschten) Hemmschwellen auch dann mit einem „Gratis-Sehtest“ werben, wenn auch alle anderen Optikerfachgeschäfte des Orts und seiner Umgebung solche Sehtests freiwillig und unentgeltlich anbieten.347 Gleiches muss wohl auch für die auf den Abbau gegenteiliger Fehlvorstellungen nicht unerheblicher Teile des Publikums zielende Werbung gelten, die Beratung für den Verkauf und Einbau von Fenstern, Türen, Markisen und Rollläden sei unverbindlich und kostenfrei:348 Das Verlangen eines Zusatzes dahin, dass auch die Mitbewerber diesen Service erbringen, liefe praktisch auf ein Verbot des Hinweises hinaus, dass die eigene Leistung kostenlos erbracht wird; niemand wirbt zugleich für die Konkurrenz. Die Werbung mit einer „kostenlosen Schätzung“ beim Goldankauf betrifft keine irreführende Selbstverständlichkeit, wenn eine über die zur Preisbildung erforderliche Schätzung hinausgehende Expertise freiwillige Sonderleistung ist.349 Ebenso ist der Hinweis einer Apotheke auf einen „direkten Beratungsbereich“ zulässig, wenn es tatsächlich einen Rückzugsraum für solche Zwecke gibt.350 Die Behauptung, ein Medi-
_____
341 OLG München 21.11.2014 – 6 W 2103/14 – GRUR-RR 2015, 310 Tz. 23 – Natursalz vom Toten Meer 1. 342 BGH 19.3.2014 – I ZR 185/12 – GRUR 2014, 1007 Rz. 15 – Geld-Zurück-Garantie III. 343 BGH 20.2.2013 – I ZR 146/12 – GRUR 2013, 950 – auch zugelassen am OLG Frankfurt; ebenso KG 14.6.2013 – 5 W 119/13 – NJW-RR 2013, 1308; a.A.: OLG Bremen 20.2.2013 – 2 U 5/13 – WRP 2013, 933 Tz. 14; OLG Köln 22.6.2012 – 6 U 4/12 – WRP 2012, 1454, 1456. 344 OLG Frankfurt 14.3.1991 – 6 U 16/90 – WRP 1991, 732. 345 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.116; Harte/Henning/Dreyer B Rn. 92. 346 A.A. OLG Karlsruhe 9.10.1996 – NJWE-WettbR 1997, 121, 122. 347 BGH 9.7.1987 – I ZR 120/85 – GRUR 1987, 916, 917 – Sehtest m. – zu Unrecht kritischer – Anm. Schulze zur Wiesche). 348 A.A. OLG Düsseldorf 12.7.1984 – 2 U 90/83 – WRP 1985, 420, 422. 349 BGH 28.11.2013 – I ZR 34/13 – GRUR 2014, 498 Tz. 17 – Kostenlose Schätzung. 350 LG Wuppertal 6.10.2015 – 1 O 51/15 – BeckRS 2016, 09030.
719
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
kament sei „wirksam“351 ist ebenso zulässig wie die Ankündigung der Übermittlung eines Sicherungsscheins durch ein Reisebüro als „vorteilhaft“.352 Auch der Gegenseite günstige Rechtslagehinweise – im Business-to-Consumer139 Verkehr vorrangig an Anh. Nr. 10 zu messen – erfüllen nur dann den Tatbestand der Irreführung durch Werbung mit einer Selbstverständlichkeit, wenn die Angabe ihrer Aufmachung nach den Charakter einer Information abstreift. Kasuistik: Die Werbung einer Fahrschule mit „Preisgarantie. 4 Monate ab Anmeldung“ verlautbart mit Blick auf das Klauselverbot des § 309 Nr. 1 BGB (früher: § 11 Nr. 1 AGBG) zwar eine Selbstverständlichkeit. Die Platzierung im Fließtext der Anzeige erfüllt indes kaum das Erfordernis besonderer Hervorhebung.353). 140
(3) Bei der Frage, ob die zu beurteilende Angabe in besonderer Weise herausgestellt ist, verlangt der Sonderumstand, dass die Angabe (wie etwa der Zusatz, dass sich Preise im B2C-Geschäft als Preise inklusive Mehrwertsteuer verstehen) aus Transparenzgründen gesetzlich vorgeschrieben ist, gebührende Beachtung: Eine schädliche Hervorhebung bereits darin zu sehen, dass der Hinweis „incl. MwSt“ am Preisblickfang teilhat,354 ist rechtsirrig. Der entsprechende Zusatz muss unter Transparenzgesichtspunkten in räumlicher Nähe zur Preisangabe platziert sein.
141
(4) Was bei gattungsinterner Betrachtung eine Selbstverständlichkeit ist, kann im Produktartenvergleich nützliche Information sein. Kommt ein Produktartenvergleich in Betracht, darf nicht unreflektiert auf die Figur Werbung mit Selbstverständlichkeiten zurückgegriffen werden. Kasuistik: Die Bewerbung von Ganzbroten mit dem Hinweis „ohne Konservierungsstoffe“ legt eher eine Information im Rahmen eines Warenartenvergleichs nahe: die gesetzlich vorgegebene Konservierungsstoff-Freiheit bei Ganzbroten im Gegensatz zum geschnittenen Brot. Ein Verbot355 lässt sich allenfalls aus der Präsentationsweise (im Streitfall: leuchtfarbene, nur die einschlägige Angabe tragende Aufkleber) rechtfertigen.
142
(5) Erliegt ein Teil des angesprochenen Verkehrs auch bei Anlegung der „Leitbild“Standards der Fehlvorstellung, der Werbende reklamiere mit der zu beurteilenden Angabe einen Vorzug des eigenen Angebots gegenüber dem der Konkurrenz, kommt es auf die Frage an, ob auch der verständige Durchschnittsverbraucher bei Berücksichtigung gesetzlicher Wertungen, etwa aus Kennzeichen- oder Bezeichnungsrecht, der Irreführung unterliegt. Kasuistik: Ein Anbieter von Naturstärke wirbt mit der (zutreffenden) Behauptung „Meine Hemden scheuern nicht“, obschon dies auch bei der Verwendung von Stärkemitteln der Konkurrenz nicht der Fall. Zulässig, wenn und weil Teile der Verbraucherschaft aufgrund früherer Mitbewerberwerbung den Eindruck gewonnen haben mussten, mit Naturstärke behandelte Wäsche scheuere am Körper.356
_____
351 OLG Frankfurt 24.5.2018 – 6 U 46/17 – WRP 2018, 984 Tz. 18 „werblicher Überschuss“. 352 OLG Frankfurt 25.11.2013 – 6 U 154/13 – WRP 2014, 213 Tz. 14; ähnlich OLG Köln 1.3.2013 – 6 W 21/13 – WRP 2013, 662 (bloßer Hinweis zulässig). 353 A.A. OLG Karlsruhe 26.6.1985 – 6 U 51/85 – WRP 1986, 112, 113. 354 So BGH 22.2.1990 – I ZR 201/88 GRUR 1990, 1028, 1029 = WRP 1990, 819, 820 – Incl. Mehrwertsteuer II. 355 So OLG Hamburg 30.3.1982 – 3 W 35/82 – WRP 1982, 424 f. 356 BGH 18.1.1963 – I ZR 149/61 – GRUR 1963, 371, 375 m. Anm. Krieger – Wäschestärkemittel.
Lindacher/Peifer
720
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
(6) Ob die Angabe Herausstellung einer Selbstverständlichkeit oder als zutreffende 143 Herausstellung eines Leistungsmerkmals zu verstehen, hängt gegebenenfalls von der personellen Stoßrichtung der einschlägigen Aussage ab. Streicht etwa ein Apotheker in seiner Werbung die fachliche Beratung heraus,357 wird der Verkehr – jedenfalls mangels Plusfaktoren – kaum annehmen, der Werbende berühme sich eines fachlichen Vorsprungs gegenüber seinen Berufskollegen. Die Werbung zielt vielmehr ersichtlich gegen die auf dem Markt der nicht rezeptpflichtigen Arzneimittel mit den Apothekern konkurrierenden sonstigen Anbieter. Insoweit ist ein Kompetenzunterschied aber in der Tat kaum von der Hand zu weisen. Ein Irreführungsfall unter dem Gesichtspunkt Werbung mit Selbstverständlichkeiten ist von vornherein nicht thematisiert. (7) Nur klarstellungshalber bleibt anzumerken, dass von einer irreführenden Wer- 144 bung mit Selbstverständlichkeiten nur die Rede sein kann, wenn der Verkehr bzw. zumindest relevanten Teile desselben den Allgemeincharakter des werblich herausgestellten Umstands verkennen. Was als Selbstverständlichkeit durchschaut wird, kann nicht als Besonderheit (miss)verstanden werden. Kasuistik: Der Hinweis eines behördlich mit den Aufgaben eines „Rettungsdienstes“ betrauten Unternehmens, in Notfällen jederzeit „qualifizierte“ Hilfe zu leisten, verlautbart eine als solche unschwer zu erkennende Selbstverständlichkeit. Eine Deutung dahin, anderen zugelassenen Einrichtungen fehle es an der erforderlichen Qualifikation ist fernliegend.358 bb) Angaben mit assoziativer Zweitbedeutung. Zu den objektiv wahren, gleich- 145 wohl potentiell irreführenden Angaben zählen die – von der Kategorie der mehrdeutigen Angaben zu unterscheidenden – Angaben mit assoziativer Zweitbedeutung: Während die mehrdeutigen Angaben (hierzu Rn. 124 ff.) unterschiedliche, miteinander konkurrierende Deutungen und Vorstellungen zulassen, handelt es sich bei den hier angesprochenen Angaben um solche, denen der Verkehr neben einer Primär- eine Zweitaussage entnimmt. Die Angabe entspricht ihrem Primärinhalt nach der Realität, erweckt indes durch die Begleitumstände ihrer Verwendung bei relevanten Teilen des Verkehrs zusätzliche Vorstellungen, die nicht den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen. Ein beachtlicher Teil des Verkehrs verbindet also mit der objektiv richtigen Angabe wegen der Zweitbedeutung eine unrichtige Vorstellung.359 Die Mahnung, dem Werbenden nicht vorschnell das Ergebnis einer Gedankenopera- 146 tion der Zielperson zuzurechnen,360 ist berechtigt. Auf die Figur der Irreführung durch Angaben mit assoziativer Zweitbedeutung zur Gänze zu verzichten, liefe indes auf die Prämierung einer in besonderer Weise missbilligenswerten Praktik hinaus: Wer eine für sich genommen wahre Angabe macht, die den Schluss auf einen nicht der Realität entsprechenden Umstand nahe legt, vielleicht sogar aufdrängt, darf sich nicht darauf hinausreden können, die auf solche Weise produzierte Fehlvorstellung falle in den Verantwortungsbereich des werblich Angesprochenen. Entscheidend muss sein, ob die der gemachten Angabe entnommene Zweitbedeutung aus der Sicht einer normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Zielperson als das Ergebnis eines ZuEnde-Denkens der Aussage des Werbenden oder als das Ergebnis einer vom Umworbenen zwecks Ergänzung der getroffenen Aussage selbst angestellte Schlussfolgerung er-
_____
357 358 359 360
721
Beispiel nach Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 94. OLG Koblenz 10.11.1988 – 6 U 1425/87 – GRUR 1989, 129 f. (Rotes Kreuz). OLG Karlsruhe 6.7.2017 – 4 U 163/16 – WRP 2017, 1151 Tz. 13 – 24 Karat vergoldet. Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 92.
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
scheint. Dabei geht es um eine normativ geleitete Auslegung des Begriffs der Irreführung, man benötigt hierfür weder eine höhere Irreführungsquote noch eine ergänzende Interessenabwägung.361 Beispiele: Angabe mit assoziativer Zweitbedeutung bejaht: Die Etikettierung von Steinhäger-Krügen mit „Älteste Kornbrennerei in Steinhagen“ durch eben diese Brennerei führt das Publikum irre, weil die Angabe in Verbindung mit dem Werbeobjekt den unzutreffenden Eindruck erweckt, das werbende Unternehmen verfüge auch über die längste Steinhäger-Branntwein-Tradition.362 Wer in der Sektbranche mit der Angabe „gegründet 1794“ wirbt, obschon Gegenstand des Familienunternehmens zunächst ausschließlich Weinhandel war und Sektherstellung „erst“ seit 1843 erfolgt, enttäuscht die verbreitete Erwartung des Publikums hinsichtlich der Sekttradition des Hauses; relevante Teile des angesprochenen Verkehrs beziehen den Hinweis auf das Firmengründungsdatum zugleich auf den Beginn der Sektproduktion.363 Wirbt ein Optiker für Brillengestelle, indem er neben dem Selbstzahlerpreis unbeschadet des Umstands, dass die Vergütungssätze der gesetzlichen Krankenkassen divergieren, einen Preis für Kassenmitglieder nennt („99,– DM – Kassenmitglieder zahlen nur 60,– DM“), mag ein nicht unerheblicher Teil des angesprochenen Verkehrskreises der Kassenmitglieder in assoziativer Zweitbetrachtung der Fehlvorstellung erliegen, (auch) seine Kasse erstatte genau den Vergütungsbetrag. Die einschlägige Fehlvorstellung ist für Versicherte, deren Kassen Vergütungen über dem „Kassenmitgliederpreis“ leisten, verhaltensrelevant, wenn der Optiker solche Mehrzahlung dem Kunden nicht gutbringt und ein Konkurrent qualitativ gleichwertige Brillen unter Berücksichtigung des konkreten Kassenzuschusses per saldo günstiger anbietet.364 Eine Tankstelle in Grenznähe zu Luxemburg darf nicht mit dem per se wahren Hinweis „letzte Tankstelle vor der Grenze“ werben: regionfremde Kraftfahrer laufen Gefahr, mit der Angabe die (Fehl-)Vorstellung zu verbinden, letztmals preisgünstig tanken zu können; das Wissen um das gegenteilige Preisgefälle ist nicht Allgemeingut. Für ein Schmuckstück darf nicht mit der für sich genommenen zutreffenden Angabe „24 Karat vergoldet“ geworben werden, wenn der Durchschnittsverbraucher dadurch der irrigen Vorstellung unterliegt, der durch die Angabe suggerierte Feingoldgehalt sei besonders hoch und das Stück daher auch besonders wertvoll, obgleich die bloße Vergoldung nicht zu einem höheren Goldgewicht führt und daher für die Werthaltigkeit ohne Bedeutung ist.365 Angabe mit assoziativer Zweitbedeutung verneint bzw. zu verneinen: Wer auf eine Sonderaktion-Werbung eines Konkurrenten damit kontert, dass der werblich herausgestellte Artikel bei ihm zu einem niedrigeren Preis „normal“ erhältlich sei, vergleicht ein Einzelangebot. Dem Publikum wird nicht nahegelegt, er behaupte, dass die Waren des Mitbewerbers generell überteuert seien.366 Im Editorial eines Schachcomputerkatalogs wird wahrheitsgemäß berichtet, dass der Schachweltmeister K. einen Computer des werbenden Unternehmens erhalten habe, im Folgesatz – wiederum wahrheitsgemäß – dass jener in einem Pressehintergrundgespräch die Möglichkeit eingeräumt habe, der letzte menschliche Schachweltmeister zu werden. Eine Verknüpfung der beiden Aussagen dahin, das Gerät des Werbenden sei nach Ansicht von K. der potentielle künftige Weltmeister, wäre eine mit dem eine solche Verbindung
_____
361 Insoweit a.A.: BGH 18.3.2010 – I ZR 172/08 – GRUR 2010, 1014 Tz. 25 – Master of Science Kieferorthopädie. 362 RG 21.10.1930 – MuW 1931, 19. 363 BGH 31.5.1960 – I ZR 16/59 – GRUR 1960, 563 – Sektwerbung. 364 BGH 29.9.1988 – I ZR 218/86 – NJW-RR 1989, 101 f. – Brillenpreise. 365 OLG Karlsruhe 6.7.2017 – 4 U 163/16 – WRP 2017, 1151 Tz. 13 und 14. 366 BGH 12.7.2001 – I ZR 89/99 – GRUR 2002, 72, 74 – Preisgegenüberstellung im Schaufenster.
Lindacher/Peifer
722
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
Herstellenden heimgehende Überinterpretation.367 Dass die zutreffende Berühmung, das eigene Produkt sei das meistgekaufte seiner Art in Europa, nicht den Schluss rechtfertigt, das beworbene Produkt werde auch im Inland am meisten nachgefragt, ergibt sich bereits aus dem Rekurs auf die Referenzfigur des hinreichend informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers; es bedarf nicht erst des Rückgriffs auf die Figur der ergänzenden Interessenabwägung.368 Die blickfangmäßig hervorgehobene Angabe „ohne Fett“ auf der Schauseite von Verpackungen für Süßigkeiten wird vom verständigen Durchschnittsverbraucher nicht zugleich als Aussage dahin verstanden, das Produkt „mache nicht fett“, enthalte insbesondere keinen Zucker oder jedenfalls weniger als üblich.369 Eine Orientierung am Leitbild des normal informierten, angemessen aufmerksamen 147 und verständigen Durchschnittsmitglieds des angesprochenen Verkehrskreises erlaubt das Ausfiltern unverständiger Zweitaussage-Assoziation. Selbst wenn der entsprechenden Assoziation die Verständigkeit nicht abzusprechen ist, bleibt allemal zu berücksichtigen, dass werbliche Äußerungen, die „nur“ ob assoziierter Zweitbedeutung Fehlvorstellungen auslösen, immerhin auch teilweise wahr sind. Soweit der Erstaussage ein echter Informationswert eignet und die Information nicht auf andere, dem Werbenden zumutbare Weise geleistet werden kann, bedarf es aber keiner besonderen Interessenabwägung, sondern nur einer normativen Auslegung des Irreführungsbegriffs. Kasuistik: Dass es nicht ohne weiteres unverständig ist, dass Teile des Verkehrs über die gedankliche Parallele zum Beruf des Heilpraktikers im Humanbereich auch die Ausübung des Berufs eines „Tierheilpraktikers“ fälschlicherweise an eine staatliche Erlaubnis geknüpft sehen, führt nicht zwangsläufig zum Verbot der Bezeichnungsführung für Personen, die – ohne Tierarzt zu sein – bei der Behandlung von Tieren Naturheilverfahren anwenden und eine entsprechende Ausbildung abgeleistet haben.370 Weist eine Auskunftei auf ihrer Website darauf hin, dass von ihr an Kunden weitergegebene Erklärung nicht zur Weitergabe an Dritte, z.B. Makler oder Vermieter, geeignet seien, ist diese Mitteilung auch dann nicht irreführend, wenn ein gewisser Anteil der Adressaten daraus entnehmen könnte, die Weitergabe an Dritte sei untersagt.371 Dem Verkehr darf hier zugemutet werden, die Formulierung nur so zu lesen, wie sie formuliert wurde. f) Unsichere Vorstellungen auslösende Angaben. Bedient sich der Werbende bei 148 seinen Äußerungen gegenüber einem breiteren Publikum der Nomenklatur bezeichnungsrechtlicher Vorschriften oder sonstiger fachsprachgenuiner Bezeichnungen, weckt er bei den Umworbenen nicht selten lediglich subjektiv unsichere, vage Vorstellungen. In solcher Konstellation gilt es zu unterscheiden: (1) Soweit sich der Umworbene unbeschadet seiner Unsicherheit eine konkrete ei- 149 gene Vorstellung macht, ist bei Divergenz von Vorstellung und Realität stets sorgsam zu prüfen, ob der Irrtum auch geschäftsentscheidungsrelevant ist. Wer um die Fragwürdigkeit seiner Sinndeutung der Werbeangabe weiß, wird sich nicht ohne weiteres in gleicher Weise motivieren lassen wie derjenige, der mit einer Werbeaussage eine klare und feste Vorstellung verbindet.
_____ 367 368 369 370 371
723
BGH 13.2.2003 – I ZR 41/00 – GRUR 2003, 800, 802 – Schachcomputerkatalog. BGH 15.2.1996 – I ZR 9/94 – GRUR 1996, 910, 912 ff. – Der meistgekaufte Rasierer Europas. OLG Düsseldorf 21.6.2005 – 20 U 188/04 – GRUR-RR 2006, 235. BGH 22.4.1999 – I ZR 108/97 – GRUR 2000, 73, 75 – Tierheilpraktiker. OLG Düsseldorf 20.9.2018 – 20 U 127/17 – ZD 2019, 37.
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
150
(2) Soweit der Werbeadressat von einer eigenen Beurteilung absieht bzw. der eigenen Beurteilung so misstraut, dass er sie nicht zur Marktentscheidungsgrundlage macht, bleibt immer noch die Möglichkeit der Irreführung durch Enttäuschung einer akzessorischen Vorstellung: Der angesprochene Verkehr verlässt sich – soweit er von der Existenz gewisser einschlägiger Standards ausgeht – zumindest darauf, dass das Angebot den Anforderungen entspricht, die das Gesetz, die amtlichen Stellen oder aber die zuständigen Fachkreise an die Verwendung der gewählten Bezeichnung stellen (sog. verweisende Verbrauchervorstellung, oben Rn. 52).372 Kasuistik: Die Bezeichnung einer Tierarztpraxis als „Tierklinik“ ist irreführend, wenn die Voraussetzungen der Klinikrichtlinien der Tierärztekammer nicht erfüllt sind.373 Fehlt es an vom Gesetz, der behördlichen Praxis oder den zuständigen Fachkreisen 151 gesetzten „Standards“, kommt eine Irreführung hingegen nur in Betracht, wenn dem beworbenen Produkt verwendungsrelevante Eigenschaften fehlen, die nach der gewählten Bezeichnung von einem einschlägigen Angebot üblicherweise zu erwarten sind.374 Beispiel: Das nicht fachkundige Publikum verbindet mit dem Begriff „synthetisches Motorenöl“ keine konkreten Vorstellungen hinsichtlich Herstellungsweise und Qualität. Es weiß lediglich um die langjährige Marktexistenz von Produkten dieser Bezeichnung. Stellt jemand Motorenöl in einem anderen Verfahren her als die bisherigen Anbieter „synthetischer Motorenöle“, hängt die Zulässigkeit des In-Verkehr-Bringens seines Erzeugnisses unter der Bezeichnung „synthetisch“, unbeschadet des Umstands, dass das neue Verfahren nach wissenschaftlichem Sprachgebrauch gleichfalls ein SyntheseVerfahren darstellt, davon ab, ob das Neuprodukt die gleichen Gebrauchsvorteile aufweist wie die nach tradiertem Verfahren gewonnenen Produkte:375 Mangels irgendwelcher normativer Vorgaben vermag sich zwar keine „angelehnte“ Verkehrsvorstellung zu entwickeln. Das Publikum erwartet aber jedenfalls, dass ein unter einer eingeführten Bezeichnung vertriebenes Produkt die entsprechenden verwendungsrelevanten Eigenschaften aufweist. Im Übrigen bleibt allemal § 5a Abs. 2 zu beachten: Unsicherheit in wesentlichen 152 Punkten auslösende Angaben generieren potentiell Informationspflichten. g) Unvollständige Angaben Schrifttum Bullinger/S. Emmerich Irreführungsgefahr durch selektive Produktauswahl bei Preisvergleichen, WRP 2002, 608; Hoffrichter-Daunicht Die „halbe Wahrheit“ – Irreführung durch lückenhafte Werbung, Diss. Frankfurt/M. 1984; Keyßner Täuschung durch Unterlassen – Informationspflichten in der Werbung, 1986; Loewenheim Aufklärungspflichten in der Werbung, GRUR 1980, 16.
153
Lauterkeitsrechtlich bedeutsam sind unvollständige Angaben vor allem im Anwendungsbereich von § 5a: Soweit der Werbende nach einem der Tatbestände des § 5a
_____
372 BGH 15.6.1966 – Ib ZR 72/64 – GRUR 1967, 30, 32 = WRP 1966, 375, 377 – Rum-Verschnitt; 13.12.1984 – I ZR 71/83 – GRUR 1985, 555 f. = WRP 1985, 402, 403 – Abschleppseile; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.110; Ohly/Sosnitza Rn. 184; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 110; Hertin WRP 1989, 669, 670. 373 LG Amberg 13.10.2009 – 41 HKO 47/09 – WRP 2010, 161. 374 BGH 6.6.1958 – I ZR 33/57 – BGHZ 28, 1, 7 = GRUR 1959, 38, 39 – Buchgemeinschaft II; BGH 22.3.1967 – Ib ZR 88/65 – GRUR 1967, 600, 601 – Rhenodur I; Ohly/Sosnitza Rn. 184; Hertin WRP 1989, 671. 375 Richtig: Hertin WRP 1989, 669 ff. gegen OLG Hamburg 8.6.1989 – 3 U 18/89 – WRP 1989, 667, das den Verwendern der traditionellen Herstellungsweise weitergehend ein Bezeichnungsmonopol zuspricht.
Lindacher/Peifer
724
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
Information schuldet, kann die unvollständige Information der Nichtinformation gleichstehen (s. auch Vor §§ 5, 5a Rn. 131 sowie § 5a Rn. 34). Unter bestimmten Voraussetzungen erfüllt eine unvollständige Angabe indes auch den Tatbestand des Desinformationsverbots nach § 5: Der angesprochene Verkehr gibt der selektiven Äußerung im Versuch, sie weiter und zu Ende zu denken, einen Sinn, der nicht der Realität entspricht. Konstruktiv bedarf es insoweit entgegen verbreiteter Meinung keines Rückgriffs auf die Figur des Unterlassungsdelikts. Näherliegend ist (s. bereits Vor §§ 5, 5a Rn. 116 ff., 119) die Annahme eines durch positiven Tun gesetzten Erklärungsakts, dem der Verkehr ob des Zurückhaltens bestimmter Zusatzinformationen einen Inhalt beimisst, der über das explizit Erklärte hinausreicht. Der Verkehr erwartet zusätzlich das Vorliegen bestimmter positiver, jedenfalls das Fehlen bestimmter negativer Umstände. Das „Unterlassen“ besteht nur darin, dass die durch positives Tun begründete Fehlvorstellung nicht ausgeräumt wird. Keine Anwendung im Rahmen des § 5 findet allerdings die auf Art. 7 Abs. 3 und Abs. 2 RL 2005/29/EG zurückgehende, aber in Art. 6 Abs. 1 RL 2005/29/EG nicht aufgegriffene Beschränkung, wonach Beschränkungen des Kommunikationsmittels ausnahmsweise unvollständige Angaben rechtfertigen, wenn sie in zumutbarer Weise an anderer Stelle komplettiert werden.376 Diese Einschränkung spielt nur im Rahmen der Vorenthaltung wesentlicher Informationen nach § 5a Abs. 5 eine Rolle. Wer dagegen eine Angabe im Sinne des § 5 leistet, der muss grundsätzlich so vollständig kommunizieren, dass keine Irreführungsgefahren ausgelöst werden.377 Das Desinformationsverbot nach § 5 und das konditionierte Informationsgebot nach 154 § 5a bilden sich überschneidende Schutzkreise (Vor §§ 5, 5a Rn. 128). Nur im Überschneidungsbereich herrscht Anwendungskonkurrenz. In der Praxis wird oftmals generell darauf abgestellt, ob die Voraussetzungen dieser oder jener Schutznorm im Einzelfall leichter darzutun sind, was methodisch fehlerhaft ist. Tatsächlich divergieren die Tatbestandsvoraussetzungen beider Normen. Während § 5 eine Irreführung und deren Marktentscheidungsrelevanz verlangt, muss bei § 5a ermittelt werden, ob eine informierte Entscheidung überhaupt getroffen werden kann. Das ist nicht der Fall, wenn eine nicht erbrachte Information wesentlich für die Bildung dieser zu treffenden (nicht für eine getroffene) Marktentscheidung war. Beide Überlegungen betreffen unterschiedliche Ebenen, so dass genauer zu ermitteln ist, ob bereits eine Täuschungsgefahr positiv gesetzt wurde (dann § 5) oder ob es überhaupt erst an Angaben für die Bildung einer Entscheidung fehlt (dann § 5a). Was die Irreführung nach § 5 durch unvollständige Angaben anbelangt, lassen sich im Einzelnen folgende allgemeine Aussagen treffen: (1) Der verständige Werbeadressat erwartet vom Werbenden keine völlig neutrale 155 Stellungnahme, rechnet vielmehr mit einer gewissen Einseitigkeit:378 dem Herausstellen für den Werbenden positiver Umstände, nicht mit einer mehr oder weniger umfassenden Auflistung von Punkten, die möglicherweise gegen die eigene Person, Ware oder Dienstleistung sprechen. Auch informative Werbung ist, soll sie nicht zur Antiwerbung werden, geradezu ihrer Natur nach selektiv. Es gilt dies im Auge zu behalten, wenn es um die Beurteilung der Frage geht, ob der Verkehr einer expliziten Angabe hinsichtlich eines bestimmten geschäftsabschlussfördernden Umstands zugleich eine konkludente Angabe
_____
376 So EuGH 26.10.2016 – C-61/14 – GRUR 2016, 1307 Tz. 42 – Canal Digital. 377 So für Fälle der Hervorhebung von unvollständigen Preisangaben innerhalb eines Gesamtpreises: EuGH 26.10.2016 – C-61/14 – GRUR 2016, 1307 Tz. 49 – Canal Digital. 378 Zutreffende Analyse: Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.111; Ohly/Sosnitza Rn. 178; Loewenheim GRUR 1980, 14, 15.
725
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
über das Vorhandensein bzw. Fehlen weiterer Umstände entnimmt, welche Bedeutung der Verkehr einem bestimmten realen Anbieterverhalten im konkret Kontext beimisst. Insoweit betreffen viele Auslassungen konkludente Behauptungen. Sie fallen also unter § 5, nicht unter § 5a. (2) Der Erfahrungssatz, dass der Verkehr im Allgemeinen nicht auf Vollständigkeit von Werbung setzt, vom Werbenden nicht die Benennung von Negativumständen erwartet, ist zu relativieren, wenn und soweit der Werbende sein Angebot ausdrücklich oder konkludent in einen Vergleich zum Konkurrenzangebot bringt und damit konkludente Vergleichsangaben macht: Auch bei – identifizierender oder abstrakter – vergleichender Werbung besteht kein Gebot zur Vollständigkeit schlechthin. Das gezielte In-BezugSetzen der eigenen Leistung zur Mitbewerberleistung trifft aber auch eine Aussage über das Leistungsverhältnis. Daraus ergeben sich durchaus gesteigerte Informationserwartungen des angesprochenen Verkehrs. In der vom Werbenden selbst bestimmten Vergleichsbreite (s. Rn. 157) muss der vermittelte Gesamteindruck richtig sein.379 Ein Demonstrationsbeispiel bietet die Werbung mit Testergebnissen, insbesondere in der Form der Werbung mit Testnoten. Der Verkehr sieht in der Nennung der Gesamtnote für das eigene Produkt nicht nur eine Aussage über die Qualität des eigenen Produkts, sondern auch eine solche über den Qualitätsrang unter den getesteten Produkten. Soweit der Verkehr mit einem bestimmten Testergebnis eine Rangstellung assoziiert, die nicht der Wirklichkeit entspricht (Einzelheiten s. Rn. 592 ff.), liegt eine Irreführung i.S. von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 vor.380 Weitere Beispiele: Wer die niedrigeren Erstbeschaffungskosten des eigenen Systems gegenüber einem konkurrierenden herausstreicht, legt nahe, dass bei seinem System keine beträchtlich höheren Kosten in puncto Ersatzbedarf anfallen, was irreführt, wenn tatsächlich solche Kosten anfallen.381 Wer unter Übersendung eines „Kostenermittlungsblatts“ zu einem Wirtschaftlichkeitsvergleich zwischen Heizöl und Erdgas auffordert, führt irre, wenn das „Kostenermittlungsblatt“ derart ausgestaltet ist, dass im Wesentlichen nur die Kosten der Energieträger, nicht der Heizsysteme in eine Vergleichsbeziehung gesetzt werden.382 Hinsichtlich der Vergleichsbreite bleibt im Besonderen anzumerken: Wer eine 157 Vielzahl von Punkten herausstellt, in denen das eigene Angebot dem der Konkurrenz überlegen ist, erweckt eher den Eindruck eines Gesamtvergleichs als derjenige, der lediglich hinsichtlich einzelner Punkte die Vorteilhaftigkeit der eigenen Leistung geltend macht. Beispiel: Eine Krankenkasse, die den Umworbenen auffordert, auf einem vierseitigen „Fragebogen“ den dort wiedergegebenen Leistungen die der Mitbewerber gegenüberzustellen, vermittelt dem Umworbenen den Eindruck, damit eine brauchbare, die wesentlichen Punkte umfassende Grundlage für die Entscheidung zwischen den konkurrierenden Angeboten zu liefern. Sie führt irre, wenn essentielle Leistungen, bei denen die Konkurrenz punkten kann, aus dem Blick gehalten werden.383
156
_____
379 BGH 13.11.1951 – I ZR 44/51 – GRUR 1952, 416, 417 f. – Dauerdose; BGH 15.3.1967 – Ib ZR 25/65 – GRUR 1967, 596, 599 – Kuppelmuffenverbindung; BGH 27.2.1986 – I ZR 7/84 – GRUR 1986, 548, 549 – Dachsteinwerbung; RWW/Sack 3.2 Rn. 816. 380 BGH 11.3.1982 – I ZR 71/80 – GRUR 1982, 437, 438 – Test Gut. 381 BGH 15.3.1967 – Ib ZR 25/65 – GRUR 1967, 595, 598 – Kuppelmuffenverbindung. 382 OLG München 22.6.1989 – 6 U 1530/89 – NJW-RR 1990, 107. 383 BGH 3.2.1988 – I ZR 183/85 – GRUR 1988, 764 = WRP 1988, 525 – Krankenkasse-Fragebogen.
Lindacher/Peifer
726
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
(3) Bei Gesamtangeboten zählt unter Preiswürdigkeitsaspekten das Gesamtentgelt. 158 Stellt der Werbende die Preisgünstigkeit eines Angebotsteils heraus, provoziert dies mangels klarer einschlägiger Aussagen Überlegungen zur Preisgestaltung im Übrigen.384 Kasuistik: Wirbt der Verleger einer für den allgemeinen Verkehr bestimmten Loseblattsammlung (mit Abnahmeverpflichtung für Ergänzungs- und Aktualisierungslieferungen) mit der Preiswürdigkeit des Grundwerks und beschränkt sich die Angabe hinsichtlich der Kosten der Nachlieferungen auf die Angabe des Seitenpreises, wird dem „Durchschnittsverbraucher“ konkludent mitgeteilt, dass der Jahrespreis der Nachlieferungen den Preis des Grundwerks nicht oder nicht wesentlich übersteigt.385 (4) Kommt es dem Verkehr auf eine bestimmte Eigenschaft des angebotenen Pro- 159 dukts nicht um ihrer selbst willen, sondern ob einer bestimmten Wirkung an, sind Produkteigenschaften, die die positive Wirkung der benannten Eigenschaft per saldo neutralisieren, offenbarungspflichtig, weil die per se wahre Werbung sonst in ihrem Gesamteindruck irreführend wird. Eine solche Erkenntnis ist vor allem zur Beurteilung umweltbezogener Werbung wichtig: Wer mit der Absenz bekannt umweltschädlicher Stoffe wirbt, darf nicht unerwähnt lassen, dass sein Produkt eine Reihe anderer, in der Saldierung gleich umweltschädlicher oder gar noch umweltschädlicherer Stoffe enthält. Dem umweltbewussten Verkehr geht es nicht um ein „frei von Phosphaten“, „ohne PVC“ und dergleichen, sondern um Umweltschutz im Sinne allgemeiner Schadensminimierung. Die Umweltsensibilität des Verbrauchers nimmt angesichts der zunehmenden öffentlichen Debatte um Klima- und Umweltfragen zu, so dass auch kleine Ungenauigkeiten irreführendes Potential entfalten können. Kasuistik: Wer ein Karosserieschutzmittel mit der Aussage „Abgefüllt mit umweltfreundlichem Treibgas; ohne FCKW; frei von chlorierten Lösungsmitteln“ bewirbt, wirbt irreführend, wenn sein Produkt eine Reihe chemischer, keineswegs weniger umweltschädlicher Stoffe aufweist.386 Erzeugt ein Hersteller von Plastikflaschen in seiner Werbung den Eindruck, dass die von ihm hergestellten Flaschen aus Plastikstoffen gefertigt sind, die direkt aus dem Meer gewonnen werden („Plastikmüll aus dem Meer“), so liege eine Irreführung über eine marktentscheidungserhebliche Tatsache bereits dann vor, wenn auch Plastik aus Binnengewässern oder aus Landgebieten Verwendung findet.387 (5) Im Übrigen resultiert eine allfällige Vollständigkeitserwartung (als Regelaus- 160 nahme, s. Rn. 155) in erster Linie aus situativer Üblichkeit des Vorliegens bestimmter positiver bzw. des Fehlens bestimmter negativer Eigenschaften und Merkmale:388 Was gang und gäbe ist, wird vom Verkehr der ausdrücklichen Werbeaussage hinzugedacht. In besonders gravierenden Fällen empfindet der Verkehr das tatsächliche Ange- 161 bot gemessen am aus situativer Üblichkeit Erwartbaren nachgerade als aliud: Vorbehaltlose Verkaufswerbung für Wohnimmobilien lässt auf Bezugsfertigkeit des beworbenen Objekts schließen. Das Gegenteil ist klar zu stellen.389 Fachkräfte-Stellenangebote in einer Anzeige lassen Nachfrage durch Fachfirmen als unmittelbare Arbeitgeber erwarten.
_____
384 385 386 387 388 389
727
Ohly/Sosnitza Rn. 179. BGH 30.10.1997 – I ZR 142/95 – NJWE-WettbR 1998, 169, 171 – Beraterhandbuch. OLG Stuttgart 7.10.1988 – 2 U 197/88 – NJW-RR 1989, 556. OLG Stuttgart 25.10.2018 – 2 U 48/18 – WRP 2019, 509. Vgl. insoweit bereits Loewenheim GRUR 1980, 16. KG 11.8.1988 – 25 W 3608/88 – GRUR 1988, 921 – Reihenhäuser-Neubau.
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
Verleiher i.S. des ArbeitnehmerüberlassungsG müssen sich als solche zu erkennen geben.390 Illustrativ sind ferner etwa die Fälle, dass die angebotene Ware/Leistung vom Wer162 benden letztlich nur unter unüblichen Bedingungen erhältlich ist: Ein Lohnsteuerhilfeverein, der im Wege der Anzeigenwerbung Hilfe bei der Durchführung des LohnsteuerJahresausgleichs anbietet, insinuiert, dass die betreffende Leistung an jedermann und nicht nur an Mitglieder erbracht wird.391 Soweit sperrige und/oder schwergewichtige Ware branchenüblich frei Haus geliefert wird, führen „Abholpreise“ mangels einschlägiger Kennzeichnung irre.392 In der Bejahung einschlägiger Branchenüblichkeit ist freilich Vorsicht geboten: Die Entwicklung geht in Richtung Hinweisverzicht. Zumindest bei Preisangaben für größere Geräte der Unterhaltungselektronik wie Fernseher oder der Haushaltstechnik (Waschmaschinen, Kühlschränke und dgl.) dürfte sich der Verkehr mit Blick auf die Praxis der Fachmärkte mittlerweile daran gewöhnt haben, dass sie auch ohne entsprechenden Hinweis als Abholpreise zu verstehen sind.393 Gleiches dürfte für Preisangaben von Baumärkten gelten.394 Dass der Verkehr auch Preisangaben von Möbelhäusern, die nicht ohne weiteres als SB-Abholmarkt zu erkennen sind, heute als Preise ohne Anlieferung und Aufstellung versteht,395 erscheint nach wie vor zweifelhaft,396 solange im Möbelhandel beide Vertriebsschienen – nämlich Abholmärkte und Liefermärkte – üblich sind. Wer mit Abholpreisen wirbt, hat den erforderlichen Hinweis aber gegeben. Thematisiert sind weiter die Fälle potentieller Erwartungsenttäuschung beim Ange163 bot von Produkten, die herkömmlicherweise unter Herstellergarantie geliefert werden. Leistet der Hersteller Werksgarantie nur auf die über seine Vertragshändler gelieferten Produkte oder aber – als andere verbreitete Form der Werksgarantiebeschränkung – nur, wenn die mangelhafte Ware noch die herstellerseits angebrachte Kontrollnummer trägt, muss der Nicht-Vertragshändler beim Neugeschäft jedenfalls bei einem kartellrechtlich erlaubten selektiven Vertriebssystem auf das etwaige Fehlen der Werksgarantie hinweisen.397 Bei kartellrechtlicher Unzulässigkeit (und damit einhergehender Rechtswidrigkeit der Verweigerung der Garantieleistung durch den Hersteller) lässt sich beim Fehlen eines entsprechenden Hinweises zwar kaum die Irreführungsgefahr leugnen: Den Käufer interessiert nicht nur die rechtliche Existenz eines Garantieanspruchs, sondern auch und vor allem die problemlose Realisierbarkeit desselben. Im Rahmen gebotener Interessenabwägung bleibt indes zu berücksichtigen, dass das Lauterkeitsrecht nicht mittelbar eine kartellrechtlich verpönte Marktabschottung fördern darf.398 Durchaus komplex liegen die Dinge schließlich hinsichtlich der Fälle, die mit dem 164 Stichwort mangelnder Aktualität des Angebots umrissen werden können. Hier gilt es, nimmt man das Erfordernis der Üblichkeit als erwartungsprägendes Merkmal gebotenermaßen ernst, vor vorschnellen Einheitsantworten zu warnen: Ein allgemeiner Erfahrungssatz, dass erhebliche Teile des angesprochenen Verkehrs die Offenbarung des
_____
390 OLG Nürnberg 30.10.1990 – 3 U 2002/90 – GRUR 1991, 390 f. – Facharbeiter-Suche. 391 BGH 21.6.1990 – I ZR 258/88 – GRUR 1990 1024 – Lohnsteuerhilfeverein IV. 392 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 351. 393 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 356; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.135; Ohly/Sosnitza Rn. 157. 394 Ohly/Sosnitza Rn. 157. 395 So Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.135; Ohly/Sosnitza Rn. 157. 396 Für Hinweiserfordernis OLG Köln 31.5.1985 – 6 U 267/84 – WRP 1986, 51 f., a.A. Vorauflage. 397 BGH 28.1.1988 – I ZR 219/86 – GRUR 1988, 461, 462 – Radio-Recorder; 29.9.1988 – I ZR 57/87 – GRUR 1989, 110, 113 – Synthesizer (jeweils für Fälle fehlender Garantiegewährung für decodierte Ware). 398 Köhler/Bornkamm § 4 Rn. 4.66.
Lindacher/Peifer
728
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
Umstands erwarten, dass der angebotene Artikel nicht mehr in den aktuellen Herstellerlisten geführt wird, besteht nicht.399 Sieht man näher hin, dürften vielmehr sehr wohl Unterschiede nach dem Verkaufsgegenstand, der Art der Produktänderung, aber auch dem Zuschnitt des Geschäfts zu registrieren sein. Darüber hinaus erscheint es alles andere als ausgemacht, dass die Präsentation eines nicht mehr der neuesten Serie zugehörigen Produkts im Geschäft selbst beim Verkehr allenthalben die gleichen Aktualitätserwartungen weckt wie die besondere – zusatzlose – werbliche Herausstellung des Artikels in einer Anzeigenwerbung. Auch die Frage, ob ein signifikant niedriger Preis und die Art und Weise der Preiswerbung einen ausdrücklichen Hinweis auf die Zugehörigkeit zu einer älteren Produktgeneration erübrigt, kann weder allgemein bejaht, noch allgemein verneint werden. Eine Aktualitätserwartung kommt insbesondere auf dem Modesektor sowie auf 165 Märkten in Betracht, für die eine Alterung durch technischen Fortschritt zu konstatieren ist: Aktualität suggeriert allemal die besondere Werbung für ausgesprochene Modeartikel.400 Gleiches gilt für das schlichte – zusatzlose – Anbieten von Ware in einem Modefachgeschäft, mag es sich auch nur um modische Gegenstände im weiteren Sinn handeln. Soweit Gebrauchskleidung mit modischem Einschlag (Beispiel: Jeans) von „normalen“ Geschäften angeboten wird, dürfte hingegen zwischen besonderer werblicher Anpreisung und schlichtem Anbieten im Laden zu unterscheiden sein: erstere lässt Aktualität vermuten,401 letzteres wohl nicht.402 Im Technik- und Elektronikbereich weckt die besondere Bewerbung einer bestimmten Maschine oder eines bestimmten Geräts den Eindruck der Zugehörigkeit des Artikels zur „neuesten Generation“.403 Auch bei schlichter Präsentation des Artikels im Geschäft erwartet der Verkehr im Modellwechsel-Fall mit signifikanter Konstruktionsänderung wohl ein einschlägiges „Zeichen“. Soweit der Verkehr nach Lage der Dinge ein aktuelles Angebot erwartet und erwar- 166 ten darf, wirkt nur ein eindeutiger Hinweis auf den Auslaufmodell-Charakter fehlvorstellungsausräumend: Verschämte Bezeichnungen des Angebots als „Rest-“ oder „Einzelposten“ genügen nicht.404 Ein günstiger Preis per se ist im Allgemeinen kein hinreichender Anhaltspunkt für 167 fehlende Aktualität des Angebots; die entsprechende Preisstellung mag die unterschiedlichsten Gründe haben. Wird ein qualitativ hochwertiger Markenartikel zu einem ausgesprochen niedrigen Preis ohne ausdrücklichen Hinweis auf den Auslaufmodell-Charakter angeboten, bleibt freilich besonders sorgfältig zu prüfen, ob der allfällige einschlägige Irrtum eines Teils des relevanten Verkehrs auch geschäftsentscheidungsrelevanter Natur ist:405 Der Hinweis auf die Auslaufmodell-Eigenschaft verliert umso mehr an Wirkung, je preisgünstiger das Angebot ist. Eine Niedrigpreisstellung mit Zusätzen wie „jetzt nur noch“ mag hingegen, zumindest bei verstärkenden Begleitumständen, durchaus ein Signal für eine relative „Alterung“ verstanden werden. Da die Formulierung auch als Hinweis auf die Senkung des eigenen Preises deutbar ist, muss die Werbung, soll sie nicht gerade ob des Zusatzes als irreführend zu qualifizieren sein, dann freilich auch insoweit richtig sein.
_____
399 OLG Düsseldorf 22.1.1987 – 2 U 35/86 – GRUR 1987, 450; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 129. 400 Statt vieler: Loewenheim GRUR 1980, 17; MünchKommUWG/Alexander § 5a Rn. 145. 401 Insoweit richtig: OLG Hamm 10.3.1983 – 4 U 52/83 – GRUR 1983, 593, 594. 402 A.A. OLG Hamm aaO. 403 OLG Hamm 13.12.1988 – 4 U 169/88 – WRP 1989, 529, 531. 404 BGH 3.12.1998 – I ZR 74/96 – GRUR 1999, 760, 761 = WRP 1999, 842, 843 – Auslaufmodell II; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 129. 405 Vgl. insoweit auch OLG Düsseldorf 22.1.1987 – 2 U 35/86 – GRUR 1987, 450, 451.
729
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
168
(6) Um einen Sonderfall der verkehrserwartungsprägenden Üblichkeit handelt es sich, wenn sich in bestimmten Branchen hinsichtlich bestimmter Artikel die Übung herausgebildet hat, auf bestimmte für den Kaufentschluss potentiell negative Punkte eigens hinzuweisen. Kasuistik: Im Sportartikelgeschäft hat sich, keineswegs generell,406 wohl aber etwa für Skier die Übung entwickelt, den Auslaufmodell-Charakter angebotener Ware besonders herauszustellen: was ursprünglich wohl als verkaufsfördernde Impulswerbung gedacht war, durch Imitation dann aber mehr und mehr den Charakter einer besonderen Ankündigung verloren hat, wird vom Verkehr bei Angeboten „überjähriger“ Skier nachgerade als selbstverständliche Kennzeichnung erwartet. Werden Skier, die nicht mehr hergestellt werden, ohne entsprechenden Hinweis angeboten, geht der Verkehr fälschlicherweise davon aus, ein Modell der laufenden Serie zu erwerben – auch dann, wenn sich das Angebotsverhalten im verkaufsbereiten Aufstellen erschöpft.407
169
(7) Bei der Verletzung gesetzlicher Hinweis- und Kennzeichnungsvorschriften ist § 5 thematisiert, weil und wenn relevante Teile des angesprochenen Verkehrs im Wissen um die Informationspflicht und in der Erwartung der Einhaltung gesetzlicher Informationsgebote aus dem Fehlen eines einschlägigen Hinweises fälschlicherweise darauf schließen, in concreto liege kein offenbarungspflichtiger Tatbestand vor.408 Beispiele: Ein Desinfektionsmittel wird ohne den Warnhinweis „Gift“ vertrieben.409 – Ein Heilmittelhersteller unterlässt es, entgegen § 4 Abs. 1 HWG, in seiner Werbung auf bekannte Unverträglichkeiten oder Nebenwirkungen aufmerksam zu machen.
(8) Auf die Figur der ergänzenden Interessenabwägung muss – hier wie sonst – nach modernem „Leitbild“-Verständnis nicht mehr rekurriert werden: Dass es nicht zulasten des Werbenden geht, wenn Minderheiten in Verkennung des Wesens der Werbung wider alle Vernunft aus der Erwähnung positiver Merkmale auf das Fehlen negativer Merkmale schließen, folgt bereits daraus, dass Referenzfigur der normal informierte und angemessen aufmerksame und kritische Verbraucher ist. Wie auch sonst bleibt es indes dabei, dass auch geschäftsentscheidungserhebliche Fehlvorstellungen, die nicht als unvernünftig abzutun sind, mit Blick auf die Notwendigkeit des Austarierens von Verbots- und Verbotsgegeninteressen gegebenenfalls die rechtliche Relevanz abzusprechen ist. 171 Das gilt auch dort, wo gewichtige atypische Sonderinteressen mit den aus der Irreführungseignung resultierenden Verbotsinteressen konkurrieren. Ein gutes Demonstrationsbeispiel liefert insoweit die Konkursvermerk-Entscheidung des BGH:410 Wirbt ein in Insolvenz befindliches Unternehmen unter seiner bisherigen Firma ohne Verdeutlichung dieses Umstands für langlebige Wirtschaftsgüter, mag ein nicht unerheblicher Teil des angesprochenen Verkehrs in geschäftsentscheidungserheblicher Weise irregeführt werden. In Kenntnis der aus der Insolvenzlage resultierenden Risiken hinsichtlich Gewährleistung und Service hätte wohl manch Interessierter von einer näheren Befassung mit dem Angebot abgesehen. Das Interesse an der Sanierung sanierungswürdiger Unternehmen rechtfertigt und gebietet indes jedenfalls die Hinnahme der Anlockungsgefahr, die von einer die Insolvenz nicht verlautbarenden Anzeigenwerbung ausgeht. Dem um
170
_____ 406 407 408 409 410
Unzutreffend verallgemeinernd: RWW/Doepner 3.0 Rn. 255. BGH 6.11.1981 – I ZR 164/79 – GRUR 1982, 374, 375 – Ski-Auslaufmodelle. RWW/Doepner 3.0 Rn. 251. BGH 29.11.1963 – Ib ZR 71/62 – GRUR 1964, 269, 271 – Grobdesin. BGH 11.5.1989 – I ZR 141/87 – GRUR 1989, 682 f.
Lindacher/Peifer
730
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
Fortführung des Unternehmens bemühten Insolvenzverwalter muss die Möglichkeit offenstehen, im Rahmen des Verkaufsgesprächs argumentativ um Vertrauen zu werben. Hier folgt die fehlende Irreführung also aus Überlegungen, die mit der erwünschten Fortführung eines Unternehmens zusammenhängen. Ein normativer Irreführungsbegriff kann dies ohne weiteres mit den Wertungen des Insolvenzrechts begründen. Ebenso ist es, wenn normal informierte, angemessen aufmerksame und kritische 172 Mitglieder des angesprochenen Verkehrskreises die zu beurteilende Werbung unterschiedlich in der Weise interpretieren, dass die Minderheit einer Fehlvorstellung erliegt. Auch hier kann ein normativer Irreführungsbegriff klarstellen, welche Gruppe den Referenzverbraucher bildet. h) Übertreibende Angaben. Werbung neigt zur Vollmundigkeit. Der zeitgenössi- 173 sche Adressat – auch und gerade der normal informierte und angemessen aufmerksame und verständige „Durchschnittsverbraucher“ – weiß um das Phänomen der ständigen Leistungsübertreibung, vermag sie richtig einzuordnen: „Wenn eine Übertreibung die andere austreibt, schaffen freier Geist und Skepsis wenn nicht ein Gleichgewicht, so doch ein Gegengewicht“ (Klette).411 Erkennt der angemessen verständige Adressat die Übertreibung (maßgebende Be- 174 gleitumstände: Art und Ort der Werbung, die Werbegepflogenheiten der jeweiligen Branche und das Wettbewerbsverhalten konkreter Mitbewerber), so mangelt es u.U. bereits am Angabencharakter der einschlägigen Äußerung (näher hierzu Rn. 36 ff.). Kommt der Äußerung ein solcher zu, weil sie zumindest einen Tatsachenkern enthält (näher hierzu bereits Rn. 41), gilt es die einschlägige Verkehrserwartung einzulösen. Kasuistik: „Radikale Preissenkung“ deutet auf ungewöhnliche, ein Mindestmaß an Preisreduzierung hin.412 Die Aussage „… und die größte Auswahl der Welt. Mindestens“ wird der verständige Durchschnittsverbraucher als Alleinstellungsbehauptung nicht ernst nehmen, wohl aber mit überdurchschnittlicher Auswahl rechnen.413 i) Fortwirkende Irreführung. Gegenwärtige Werbung ist nicht isoliert zu betrach- 175 ten, soweit sie in mehr oder weniger starker Kontinuität zu früherer Werbung steht. Frühere Werbung kann in einem solchen Fall nachwirken und das Sinnverständnis der neuen Werbung (mit)prägen: Auch Werbeangaben, die für sich nicht zu beanstanden wären, können gleichwohl unzulässig sein, wenn und weil relevante Teile des angesprochenen Verkehrs sie ob ihrer Nähe zu bisherigen werblichen Äußerungen in demselben irreführenden Sinn verstehen wie diese.414 Wer sicher gehen will, dass seine inzwischen aufgegebene irreführende Werbung nicht im Wege der Nachwirkung die neue Werbung „infiziert“, muss zu seinen früheren Angaben einen hinreichenden Abstand halten; er darf diese nicht in kaum oder schwer erkennbaren Abwandlungen aufrechterhalten.415
_____
411 FS Helm (2002) 87, 93. 412 BGH 13.7.1979 – I ZR 128/77 – GRUR 1979, 781, 782 – radikal gesenkte Preise. 413 OLG Schleswig 5.2.2002 – 6 U 64/01 – OLGR 2002, 172. 414 BGH 18.9.2013 – I ZR 65/12 – GRUR 2014, 494 Tz. 16 – Diplomierte Trainerin; BGH 5.5.2011 – I ZR 157/09 – GRUR 2011, 1153 – Creation Lamis. 415 BGH 24.6.1982 – GRUR 1982, 685, 686 = WRP 1982, 648, 649 – Ungarische Salami II; BGH 5.10.2006 – I ZR 229/03 – GRUR 2007, 67 Tz. 21 = WRP 2006, 1516 – Pietra di Soln; OLG Köln 18.12.1998 NJWE-WettbR 2000, 209, 211; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 253; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.123 f.; MünchKommUWG/Ruess Rn. 197 f.; Harte/Henning/Dreyer B Rn. 117; RWW/Doepner 3.0 Rn. 272. Kritisch – der Figur der fortwirkenden Irreführung mit Blick auf den „Leitbild“-Wandel die Existenzberechtigung absprechend – Emmerich § 14 Rn. 60.
731
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
Kasuistik: Wer für eine Margarine ohne nennenswerten Eigehalt unter „Ei-fein“ geworben hat, setzt die Irreführung fort, wenn er nunmehr die Bezeichnung „Ei wie fein“ verwendet.416 Wer sein Tafelwasser mit einem Herzzeichen und der Angabe „HeilquellenNaturbrunnen“ beworben hat, setzt die unzulässige und damit irreführende Gesundheitswerbung fort, wenn er unter Beibehalt des Herzzeichens nunmehr mit der Angabe „Naturbrunnen und Limonaden“ wirbt.417 Wer jahrelang in Deutschland hergestellte Salami mit Etiketten versehen hat, die durch flaggenartige Streifengebung „Rot-WeißGrün“ auf Ungarn und/oder Italien hinwiesen, führt weiterhin über die geografische Herkunft irre, wenn dem weißen Mittelstreifen nunmehr ein schmaler geldfarbener Streifen eingefügt wird.418 Die Fortwirkung einer irreführenden Werbeangabe ist selbst dann nicht ausge176 schlossen, wenn die Werbung mit dieser Angabe ersatzlos eingestellt wird: Allein der Vertrieb einer Ware in ihrer bisherigen – an sich nicht zu beanstandenden – Aufmachung kann bei relevanten Teilen des angesprochenen Verkehrs für eine Übergangszeit die durch die frühere Angabe hervorgerufenen Fehlvorstellungen wachhalten. Dann eignet diesem Verhalten Irreführungscharakter.419 Wichtig ist freilich, sich im angesprochenen Kontext stets des Umstands bewusst zu 177 bleiben, dass ein Eindruck nur fortwirken kann, wenn er sich zuvor hinreichend verfestigt hat.420 Kriterien sind insoweit neben der Dauer der irreführenden Werbung deren Breite und Intensität: Kurzer Werbezeitraum, geringer Werbeaufwand und niedriger Umsatz sprechen indiziell gegen eine Verfestigung.421 178 Im Übrigen bleibt zu beachten, dass ein Verbot der abgewandelten Werbung bzw. eines sonstigen Anbieterverhaltens allein deshalb, weil Minderheiten mit ihr/ihm noch Inhalte der früheren Werbung assoziieren, je nach Zumutbarkeit von Alternativen für den Werbenden, am Übermaßverbot scheitern kann. Zurückhaltung ist unter diesem Gesichtspunkt insbesondere bei Bejahung eines Unterlassungsgebots angezeigt, das den Werbenden zur Aufopferung eines Firmen- oder Ausstattungswerts zwingen würde, soweit dieser seinerseits allenfalls peripher (mit) auf der – früheren – unzulässigen Angabe basiert.422 179
j) Erkannte Falschbezeichnung. Versteht der Verkehr das vom Werbenden Gemeinte richtig, ist die misslungene sprachliche Fassung unschädlich (falsa demonstratio non nocet): 423 Die nach allgemeinem Sinnverständnis falsche Tatsachenbehauptung führt den Adressaten der Werbebotschaft nicht irre. Kasuistik: Die Werbung eines Kfz-Vermieters „Täglich nur 38,00/100 km frei“ ist sprachlich missglückt: Vielfahrer zahlen täglich durchaus mehr als den genannten Betrag, für Wenigfahrer sind die ersten 100 km mitnichten frei. Der Verkehr versteht die
_____
416 BGH 12.7.1957 – I ZR 52/55 – GRUR 1958, 86, 88 – Ei-fein. 417 BGH 26.9.1961 – I ZR 55/60 – GRUR 1962, 97, 99 f. – Tafelwasser. 418 BGH 24.6.1982 – I ZR 108/80 – GRUR 1982, 585, 586 – Ungarische Salami II. 419 BGH 3.7.1964 – Ib ZR 179/62 – GRUR 1964, 686, 688 f. – Glockenpackung II; Köhler/Bornkamm/ Feddersen Rn. 1.124. 420 Einschlägige Klarstellung: BGH 9.10.1971 – I ZR 23/69 – GRUR 1971, 255, 257 – Plym-Gin; 5.10.2006 – I ZR 229/03 – GRUR 2007, 67 Tz. 21 – Pietra di Soln; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.124; Ohly/Sosnitza Rn. 203. 421 BGH 5.10.2006 – I ZR 229/03 – GRUR 2007, 67 Tz. 21 = WRP 2006, 1516 – Pietra di Soln; Köhler/ Bornkamm/Feddersen Rn. 1.124; Ohly/Sosnitza Rn. 203. 422 Übereinstimmend: Ohly/Sosnitza Rn. 203. 423 BGH 28.2.1958 – I ZR 129/56 – BGHZ 27, 1, 10 = GRUR 1958, 444, 446 = WRP 1958, 140 143 – Emaillelack; 28.1.1957 GRUR 1957, 285, 286 = WRP 1957, 173, 174 – Erstes Kulmbacher; Ohly/Sosnitza Rn. 158.
Lindacher/Peifer
732
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
werbliche Äußerung aber durchaus so, wie sie vom Werbenden gemeint ist: als Kennzeichnung der Grenze für die Zahlung eines weiteren Entgelts über den benannten Betrag hinaus.424 Bloßes Durchschauen der Bezeichnung als Falschbezeichnung steht zwar der Ein- 180 schlägigkeit von § 5 entgegen, belässt es indes bei möglicher Einschlägigkeit von § 5a: Wer weiß, dass eine Information falsch ist, verfügt damit noch nicht über die erforderliche richtige Information. 4. Spitzenstellungswerbung Schrifttum Klette Zum Superlativ in der Werbung, FS Helm (2002) 87; Lindacher „Testsieger“-Werbung, WRP 2014, 140; Schmelz/Haertel Die Superlativwerbung im UWG – Materielle und prozessuale Aspekte, WRP 2007, 127; Sternitzky/Goldammer „Der Beste, der Schnellste, der Günstigste“ – Superlativwerbung und Rechtsfolgen irreführender Werbung in Deutschland und dem Baltikum, GRUR Int. 2018, 332; Weiß Aufklärungspflicht bei Werbung mit unlauter erlangter Marktführerschaft, GRUR-Prax 2018, 156.
a) Erscheinungsformen. Spitzenstellungswerbung begegnet als Alleinstellungs- 181 und bloße Spitzengruppenwerbung. Im ersten Fall reklamiert der Werbende unternehmens- oder produktbezogen, generell oder in bestimmter Hinsicht, einen – signifikanten – Vorsprung vor der (gesamten) Konkurrenz, der durch eigene Leistung erworben wurde.425 Im zweiten Fall macht der Werbende hinsichtlich seines Unternehmens oder seiner Produkte „nur“ die Zugehörigkeit zu einer – im Wesentlichen geschlossenen – Spitzengruppe geltend: Die Geltendmachung bloßer überdurchschnittlicher Leistungsfähigkeit sollte im Interesse der Aussagekräftigkeit des Begriffs Spitzengruppenwerbung nicht mehr als Spitzengruppenberühmung klassifiziert werden. Zwischen der Alleinstellungs- und schlichten Spitzengruppenberühmung liegt die Berühmung, hinsichtlich der benannten Eigenschaft von keinem Konkurrenten übertroffen zu werden (qualifizierte Spitzengruppenwerbung). Als kleiner Bruder der Alleinstellungswerbung figuriert die Zweitposition-Berühmung: Der Werbende reklamiert eine Alleinstellung gegenüber allen anderen Anbietern außer dem Marktführer. In allen Konstellationen muss die Werbung zutreffend sein. Eine Allein- oder Spitzenstellungsbehauptung muss deutlich und von einiger Stetigkeit sein.426 Die Darlegungs- und Beweislast trägt der auf Unterlassung klagende Anspruchsteller, sofern er die für die Beurteilung der angegriffenen Behauptung maßgeblichen Tatsachen ohne erhebliche Schwierigkeiten beibringen kann.427 Zumutbar sind eine Ermittlung der Tatsachen aus allgemein zugänglichen Quellen und deren Herleitung aus eigenem Branchenwissen des Klägers. Nur wenn dies nicht möglich ist, trifft den Beklagten die sekundäre Darlegungslast, Tatsachen, die seine Spitzenstellung tragen, beizubringen.428
_____
424 OLG Hamburg 29.3.1984 – 3 U 27/84 – WRP 1984, 334. 425 BGH 16.11.2017 – I ZR 160/16 – GRUR 2018, 541 Tz. 42 – Knochenzement II. 426 St. Rspr., vgl. nur BGH 16.11.2017 – I ZR 160/16 – GRUR 2018, 541 Tz. 35 – Knochenzement II. 427 BGH 3.7.2014 – I ZR 84/13 – GRUR 2015, 186 Tz. 10 – Wir zahlen Höchstpreise; OLG Düsseldorf 10.11.2016 – 20 U 55/16 – WRP 2017, 586 Tz. 14. 428 BGH 3.7.2014 – I ZR 84/13 – GRUR 2015, 186 Tz. 10 – Wir zahlen Höchstpreise; OLG Düsseldorf 10.11.2016 – 20 U 55/16 – WRP 2017, 586 Tz. 14.
733
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
b) Allgemeine Richtlinien aa) Spitzenstellungsberühmung als belastbare Tatsachenbehauptung oder als erkennbar subjektive Selbsteinschätzung. Auch bei werblichen Äußerungen, die das Stichwort Spitzenstellungswerbung thematisieren, gilt es bei der Inhaltsermittlung beim Wortsinn anzusetzen, aber nicht stehen zu bleiben. Letztlich entscheidend ist nicht der objektive Erklärungssinn, sondern die Wirkung, das Verständnis des „Durchschnittsmitglieds“ des angesprochenen Verkehrskreises. Allgemein lässt sich insoweit sagen, dass der Verkehr Aussagen zu Merkmalen quantitativer Natur ernst nimmt. Der Verifizierung bzw. Falsifizierung im Wege des Zählens, Wiegens, Messens und Testens zugängliche Aussagen werden gemeinhin wörtlich verstanden. Auch Spitzenstellungsberühmungen mit Qualitätsbezug sind ernst zu nehmende Tatsachenbehauptungen, wenn und soweit sie einer Nachprüfung anhand konsensfähiger Kriterien zugänglich sind. Äußerlich in die Form des Superlativs oder eines Superlativ-Substituts gekleidete erkennbar durch das Moment des Wägens und Einschätzens geprägte Qualitätsaussagen versteht der normal informierte und angemessen kritische „Durchschnittsadressat“ demgegenüber jedenfalls nicht als Alleinstellungsbehauptung mit Richtigkeitsanspruch, sondern als compositum mixtum eigener Art: als (Eigen-)Werturteil hinsichtlich des geltend gemachten Spitzenrangs und als Tatsachenbehauptung hinsichtlich solcher Merkmale, deren Vorliegen unverzichtbar, damit die Selbsteinschätzung unter Anerkennung eines weiten Beurteilungsspielraums vertretbar erscheint. Im Ergebnis läuft letzteres weithin auf eine Abstufung der sprachlich als Alleinstellungsbehauptung daher kommenden Äußerung auf eine Spitzengruppen-, wenn nicht gar auf eine Berühmung lediglich gehobener Qualität hinaus: Hinsichtlich bloßer Spitzengruppenzugehörigkeit bzw. der Zugehörigkeit eines Produkts zur Premiumklasse lässt sich weithin intersubjektiver Konsens erzielen. Populäre abgegriffene Schlagworte, die semantisch Steigerungsformen, tragen nicht selten den Charakter der Übertreibung auf der Stirn. Der normal informierte, angemessen kritische „Durchschnittsadressat“ misst ihnen entweder keinerlei Informationsgehalt zu (s. bereits Rn. 36 ff.) oder reduziert den Aussagegehalt – auch im Bereich potentieller Alleinstellungsbehauptung mit Richtigkeitsanspruch – auf einen Restkern (Rn. 41). Kasuistik: Die als Blickfang ausgestaltete Werbeaussage „Der beste Powerkurs aller Zeiten“ für einen Fremdsprachenfernkurs versteht der Durchschnittsverbraucher nicht ohne weiteres als Alleinstellungsbehauptung gegenüber Konkurrenzangeboten.429 Ob eine Überlegenheitsberühmung quantitativer oder qualitativer Natur, beurteilt 183 sich nach dem gewählten Steigerungsbegriff und dem gegenständlichen Bereich: Bestimmte Steigerungsformen (wie der Begriff „führend“) changieren in ihrem Bedeutungssinn je nach Umfeld. Allgemein gehaltene Spitzenstellungsberühmungen versteht der relevante Verkehr in bestimmten Verwendungsbereichen als Überlegenheitsbehauptungen quantitativer und qualitativer Art. Kasuistik: Wer den Status der „Nr. 1 auf dem Gebiet der Autorennbahnen“ reklamiert, trifft auch eine Attraktivitätsberühmung.430 Auch wenn eine Spitzenstellung nur in quantitativer Hinsicht in Anspruch genom184 men wird, bleibt das qualitative Moment zumindest potentiell im Spiel: Verbindet der Verkehr mit einem quantitativen Vorsprung gewisse Mindesterwartungen qualitativer Art, müssen auch diese eingelöst werden. 182
_____
429 430
KG 3.8.2010 – 5 W 175/10 – GRUR-RR 2011, 192 f. BGH 16.1.1992 – I ZR 20/90 – GRUR 1992, 404, 406 – Systemunterschiede.
Lindacher/Peifer
734
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
Kasuistik: Die Werbeangabe, eine Spiel-Autorennbahn weise die „meisten Ausbaumöglichkeiten“ auf, wird vom relevanten Verkehr auch dahin verstanden, dass die Ausbaumöglichkeiten des beworbenen Modells hinreichend interessante Ausbauvarianten einschließen.431 Konkretisiert der Werbende seine Spitzenstellungsbehauptung, muss die Sonder- 185 stellungsberühmung in diesem Punkt eingelöst werden. Bei allgemein gehaltenen Formulierungen – wie „das Größte“, „das Führende“, die „Nr. 1“ – kann zweifelhaft sein, auf welche Umstände der Verkehr die Berühmung bezieht. Solche Aussagen lassen sich nicht generell, sondern bestenfalls fallgruppenbezogen treffen. Soweit der Verkehr der Werbung eine Sonderstellung in mehrfacher Hinsicht beansprucht (Fall der komplexen Angabe, s. Rn. 129) oder die Angabe auch aus der Sicht eines normal informierten, angemessen kritischen „Durchschnittsadressaten“ unterschiedliche Vorrangberühmungen möglich erscheinen lässt (Fall der mehrdeutigen Angabe, s. Rn. 124 ff.), muss der Vorrang grundsätzlich in jeder Beziehung bestehen. Zu beachten bleibt freilich (von Rechtsprechung und Lehre nicht immer hinreichend in Erwägung gezogen), dass sich eine Sonderstellung gegenüber der Konkurrenz auch aus dem Zusammenspiel mehrerer Faktoren ergeben kann, ein (Gesamt-)Vorrang mithin sehr wohl auch dann bestehen kann, wenn der Werbende nicht in allen bewertungsrelevanten Punkten auf einen Abstand zur Konkurrenz verweisen kann. Auf die entsprechende Sonderstellung kann sich der Werbende, auch dann berufen, wenn eine Minderheit hierdurch irregeführt werden sollte. Hier entfällt die Irreführung aus normativen Gründen. bb) Marktabgrenzung. Marktüberlegenheit bedeutet: Vorsprung gegenüber der 186 Konkurrenz auf einem bestimmten Markt. Die einschlägige Abgrenzung hat in gegenständlicher und räumlicher Hinsicht zu erfolgen. (1) Sachlich relevanter Markt. Sachlich sind Waren und Leistungen nur dann ei- 187 nem einzelnen Markt zuordenbar, wenn sie aus Nachfragersicht funktionell austauschbar erscheinen; die Güter müssen nicht notwendig homogen, aber zumindest vergleichbar sein.432 Systembedingte Unterschiede schließen die Inanspruchnahme einer Spitzenstellung deshalb solange nicht aus, als die in Bezug gesetzten Produkte für den angesprochenen Verkehr vernünftigerweise Bedarfsdeckungsalternativen darstellen.433 Auf dem Zeitschriftenmarkt ist zwischen Leser- und Inserentenwerbung zu unterscheiden: Bei der Angabe „Die größte deutsche Fachzeitschrift ihrer Art für Maschinenbau und Fertigung“ gegenüber der werbenden Wirtschaft kommt es darauf an, welche Zeitschriften als Werbeträger vergleichbar sind, während Unterschiede im Inhalt und im Leserkreis irrelevant sein können.434 Konkretisierungen sind gemäß „Durchschnittsadressaten“-Verständnis zu beachten. 188 Fehlt es an einer expliziten Aussage, zählen Adressatenbezug und die sonstigen Gesamtumstände.435 Kasuistik: Die Werbung für eine Zeitung als „Die große deutsche Tages- und Wirtschaftszeitung“ beschränkt den sachlichen Markt auf Tageszeitungen mit bedeutendem
_____
431 OLG Hamburg 29.3.1984 – 3 U 27/84 – WRP 1984, 334. 432 Ohly/Sosnitza Rn. 652. 433 BGH 16.1.1992 GRUR 1992, 404, 406 = WRP 1992, 311, 313 – Systemunterschiede; Ohly/Sosnitza Rn. 652. 434 BGH 16.3.1962 – I ZR 144/60 – GRUR 1963, 34, 35 f. – Werkstatt und Betrieb. 435 Harte/Henning/Weidert E Rn. 181.
735
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
Wirtschaftsteil.436 „Das größte Teppichhaus“ muss mindestens das größte unter den Spezialhäusern der Branche sein; Filialen dürfen nicht zusammengezählt werden.437 Die Aussage „Größter Schuhmarkt“ reklamiert Vorsprung gegenüber allen Schuheinzelhandelsgeschäften, nicht nur gegenüber sonstigen Selbstbedienungsgeschäften der Branche.438 Der Markt der „Möbelhäuser“ schließt spiegelbildlich Mitnahmemärkte (wie Ikea) ein.439 Heißt es in einer an Frauen gerichteten Werbung, der beworbene Rasierer sei als einziger mit federnd gelagerten Klingen ausgerüstet, betrifft dies nicht den Rasierermarkt allgemein (also auch für Männer), sondern nur Rasierer für Frauen.440 Bei der Werbung „Der beste Preis der Stadt“ erwartet der Kunde nur eine Preisführerschaft in Bezug auf den stationären Einzelhandel, nicht auch in Bezug auf Online-Angebote.441 Dass der Verkehr bei nur wenigen Marktakteuren dazu neige, Teilmärkte zusammenzufassen,442 dürfte kaum zutreffen: Wer auf dem Teilmarkt der Fachmagazine gegenüber dem einzigen Konkurrenten die Nase vorn hat, sollte damit werben dürfen, auch wenn der Vorsprung gegenüber einer Fachzeitung zweifelhaft ist. Bejaht man eine Irreführung via extensive Marktbestimmung, ist im Wege ergänzender Interessenabwägung zu helfen. 189 Wortschöpfungen, deren Bedeutungssinn bei isolierter Betrachtung dunkel ist, erlangen gegebenenfalls Sinn durch den Verwendungskontext: Wenn sich die „Bunte“ als „Europas größtes People Magazin“ bezeichnet,443 ist Vergleichsmarkt der Markt der Illustrierten, die ein der werbenden Zeitschrift vergleichbares Profil aufweisen. (2) Örtlich relevanter Markt. Auch die räumliche Komponente des Vergleichsmarkts bestimmt der Werbende, genauer: das Verständnis des expliziten oder konkludenten Bestimmungsakts seitens des angesprochenen Verkehrs. Bei Werbeaussagen deutscher Unternehmen in Deutschland ohne explizite Bestimmung erwartet der „Durchschnittsadressat“ grundsätzlich wohl auch heute noch, dass sich die Vorsprungsberühmung auf den deutschen Markt und nur auf den deutschen Markt bezieht.444 Ob Letzteres auch bei im Verkehr als solche bekannten European- und Global-Playern der Fall ist, erscheint freilich zunehmend fraglich. Wird der Weltmarkt oder der europäische Markt als Bezugsraum genannt, stellen sich zwei Fragen: Zum einen gilt es unter Berücksichtigung der jeweiligen Formulierungsvariante zu prüfen, ob die Spitzenstellungsberühmung sich nur auf den Großmarkt als solchen bezieht oder aber mittelbar auch Aussagen zur Stellung des Unternehmens bzw. Unternehmensprodukts auf dem deutschen Markt trifft. Aus der Spiegelbildperspektive stellt sich zweitens die Frage, ob mit einer Spitzenstellung in Europa/der Welt geworben werden darf, wenn das werbende Unternehmen nicht in allen, jedenfalls nicht in allen wesentlichen Ländern Europas/der Welt in signifikanter Weise präsent ist (näher zu beidem: Rn. 231 ff.). Regionale Beschränkungen sind möglich, im Grenzbereich freilich interpretations191 fähig und -bedürftig. Pseudoeinschränkungen bleiben ohne Wirkung. Kasuistik: Wirbt ein Möbelhaus mit örtlicher Marktführerschaft, zieht der Verkehr auch im unmittelbaren Umfeld der benannten politischen Gemeinde liegende Unter-
190
_____
436 BGH 12.2.1998 – I ZR 110/96 – GRUR 1998, 951, 953. 437 BGH 17.10.1984 – I ZR 187/82 – GRUR 1985, 140, 141 – Größtes Teppichhaus der Welt. 438 BGH 7.7.1983 – I ZR 119/81 – GRUR 1983, 779, 780 – Schuhmarkt. 439 OLG Frankfurt 2.11.2006 – 6 U 188/05 – WRP 2007, 697, 698. 440 OLG Köln 16.9.2001 – 6 U 191/00 – MD 2001, 861. 441 LG Würzburg 29.7.2004 – 1 IHO 908/04 – WRP 2004, 1516, 1517. 442 So OLG Köln 18.3.2005 – 6 U 202/04 – GRUR-RR 2005, 324 f. 443 OLG Hamburg 23.11.2005 – 5 U 68/05 – GRUR-RR 2006, 170. 444 OLG Köln 16.3.2001 – 6 U 191/00 – GRUR-RR 2002, 76; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 210; Harte/Henning/Weidert E Rn. 187.
Lindacher/Peifer
736
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
nehmen in die Vergleichsbetrachtung ein.445 Wer die Stellung der „Nr. 1 zwischen Aachen und Berlin“ reklamiert, behauptet eine bundesweite Spitzenstellung.446 (3) Personeller Bezug. Wem gegenüber via Spitzenstellungsberühmung Vorrang 191a geltend gemacht wird, entscheidet sich mangels expliziter einschlägiger Klarstellung nach den Begleitumständen aus der Sicht der hinreichend informierten und verständigen Durchschnittsperson des angesprochenen Verkehrskreises: Ein Einzelunternehmen, das sich als „Marktführer“ auf dem deutschen Sportartikelmarkt bezeichnet, darf im Umsatzvergleich von keinem anderen Einzelunternehmen erreicht werden. Ob es beim Zusammenschluss rechtlich selbständiger Einzelunternehmen auch die zusammengeschlossenen Einzelunternehmen als Gruppe hinter sich lassen muss, hängt vom Auftreten der Gruppenmitglieder ab. Der Verkehr bezieht sie als Gruppe in den Vergleich ein, wenn sie als wirtschaftliche Einheit am Markt auftreten, nicht mehr als individuelle Marktteilnehmer erscheinen.447 cc) Stetigkeit und Abstandssignifikanz. Bei der Berühmung einer im Wettbewerb 192 potentiell erosionsgefährdeten Alleinstellung erwartet der Verkehr eine gewisse Dauerhaftigkeit dieser Position.448 Signifikanz des derzeitigen Abstands – in Rechtsprechung und Literatur449 gemeinhin als gleichrangiges Erfordernis neben der Aussicht auf Dauerhaftigkeit genannt – und bisherige Stetigkeit kommt zutreffenderweise nur insoweit Bedeutung zu, weil und soweit sich aus ihnen auf Dauerhaftigkeit der Spitzenstellung schließen lässt:450 Eine Spitzenstellungsbehauptung, die sich auf Eigenschaften eines Produkts bezieht, die von Konkurrenzprodukten realistischerweise gar von heute auf morgen, jedenfalls binnen kurzer Zeit erreicht oder übertroffen werden können, führt irre. Hinsichtlich einer Spitzenstellung, die dem Werbenden ihrer Natur nach nicht mehr 193 genommen werden kann, genügt richtigerweise jeder geschäftsentscheidungsrelevante Vorsprung: Das – nachweisbar – branchenälteste Unternehmen darf sich in der Werbung auch dann als solches bezeichnen, wenn es einen Mitbewerber nur um wenige Jahre oder gar nur um Monate übertrifft.451
_____
445 OLG Celle 16.5.2008 – 13 U 210/07 – WRP 2008, 1484 f. 446 OLG Frankfurt 2.11.2006 – 6 U 188/05 – WRP 2007, 697, 698. 447 BGH 8.3.2012 – I ZR 202/10 – GRUR 2012, 1053 Tz. 26 = WRP 2012, 1216 – Marktführer Sport. 447 BGH 16.3.1962 – I ZR 144/60 – GRUR 1963, 34, 36 = WRP 1963, 62, 65 – Werkstatt und Betrieb; 22.5.1981 – I ZB 7/80 – GRUR 1981, 910, 911 – Der größte Biermarkt der Welt; 13.2.2003 – I ZR 41/00 – GRUR 2003, 800, 802 = WRP 2003, 1111, 1113 – Schachcomputerkatalog; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 213; Emmerich § 15 Rn. 63; Götting/Nordemann Rn. 3.16. A.A. freilich etwa Schünemann 140 Fn. 59. 447 Aus der Rspr. zuletzt BGH 17.6.2004 – I ZR 284/01 – GRUR 2004, 786, 788 = WRP 2004, 1165, 1168 – Größter Online-Dienst, aus dem Schrifttum z.B. Emmerich § 15 Rn. 63; Harte/Henning/Weidert E Rn. 189; Ohly/Sosnitza Rn. 651. 448 BGH 16.3.1962 – I ZR 144/60 – GRUR 1963, 34, 36 = WRP 1963, 62, 65 – Werkstatt und Betrieb; 22.5.1981 – I ZB 7/80 –GRUR 1981, 910, 911 – Der größte Biermarkt der Welt; 13.2.2003 – I ZR 41/00 – GRUR 2003, 800, 802 = WRP 2003, 1111, 1113 – Schachcomputerkatatlog; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 213; Emmerich § 15 Rn. 63; Götting/Nordemann Rn. 3.16. A.A. freilich etwa Schünemann 140 Fn. 59. 449 Aus der Rspr. zuletzt BGH 17.6.2004 – I ZR 284/01 – GRUR 2004, 786, 788 = WRP 2004, 1165, 1168 – Größter Online-Dienst, aus dem Schrifttum z.B. Emmerich § 15 Rn. 63; Harte/Henning/Weidert E Rn. 189; Ohly/Sosnitza Rn. 651. 450 Gl.A wohl Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 221: Abstand muss deutlich sein, „so dass eine gewisse Stetigkeit der Marktstellung erwartet werden kann“. 451 Übereinstimmend: Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.152. A.A. freilich BGH 28.2.1991 I ZR 94/89 – GRUR 1991, 680, 681 f. – Porzellanmanufaktur; OLG München 2.2.1989 – 6 U 2997/84 – GRUR 1989, 620, 621; Götting/Nordemann Rn. 3.15.
737
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
194
dd) Spitzengruppenwerbung. Bei der Spitzengruppenwerbung geht der Verkehr im Allgemeinen davon aus, dass der den entsprechenden Status Reklamierende zu einer im Wesentlichen geschlossenen Gruppe zählt: Die Werbung ist unzulässig, wenn das Unternehmen zwar eine numerisch hohe Rangstelle einnimmt, gleichwohl deutlich oder gar um ein Vielfaches hinter den größeren Mitbewerbern zurückbleibt.452 Ein deutlicher Nachrang allein gegenüber dem Marktführer ist unschädlich.453
195
ee) Behauptung künftiger Spitzenstellung. Die Behauptung „auf dem Weg“ zu einer Spitzenstellung zu sein, versteht der Verkehr als faktenabgesicherte Prognose: Das werbende Unternehmen muss bereits engen Kontakt zum Marktführer bzw. zur Spitzengruppe haben und auf ein stetiges Wachstum gewisser Dauer verweisen können.454 Davon, dass der eine künftige Alleinstellung in Anspruch Nehmende bereits jetzt mit dem derzeitigen Spitzenreiter/den derzeitigen Spitzenreitern „mithalten“ muss,455 kann keine Rede sein.
196
ff) Gebot korrekter Wiedergabe eines bestehenden Vorsprungs. Wer sich eines geschäftsentscheidungserheblichen Vorsprungs zu Recht berühmt, darf diesen Vorsprung werblich nicht übersteigern: Erhebliche Überzeichnung des Weiß/Grau-Kontrasts durch einen Waschmittelhersteller im Rahmen eines Fernseh-Side-by-Side-Vergleichs zulasten der Konkurrenz führt in relevanter Weise irre. Der Werbende kann sich nicht darauf berufen, dass ein Großteil des Publikums bei derartigen Präsentationen mit Manipulationen rechne; in Fällen „dreister Lüge“ genügt die Irreleitung des verbleibenden Teils.456
197
gg) Abgrenzung: Bezugnahme auf Tests und drittseits vergebene Auszeichnungen. Von der eine Spitzenstellung geltend machenden Eigenaussage ist das Herausstreichen eines positiven Testergebnisses oder von dritter Seite vergebener Auszeichnungen zu unterscheiden: Verkehrsvorstellung und Realität decken sich, wenn die positive Bewertung nicht erschlichen ist oder auf einem unseriösen Verfahren beruht.457 Wer auf einen solchen Test zutreffend und ohne eigene irreführende Zusätze hinweist, „darf sich … mit der Auszeichnung schmücken und braucht keinen eigenen Qualitätsnachweis zu führen“.458
198
hh) Abgrenzung: Eigenvergleich. Keine Spitzenstellungswerbung i.e.S. liegt vor, wenn der Werbende nur eine Verbesserung des eigenen Angebots geltend macht („Das beste Persil aller Zeiten“).459 Auch hier kommt es indes auf die genaue Formulierung und die jeweiligen Begleitumstände an: Wer mit dem Missverständnis des Verkehrs nachge-
_____
452 BGH 26.2.1969 – I ZR 108/67 – GRUR 1969, 415, 416 – Kaffeerösterei; OLG Hamm 10.11.1977 – 4 U 260/77 – WRP 1978, 71; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.78; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 227. 453 OLG Koblenz 8.11.1984– 6 U 1327/84 – WRP 1985, 289; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.78; Götting/Nordemann Rn. 3.26. 454 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 189; Harte/Henning/Weidert E Rn. 198. 455 So LG Heilbronn 29.7.2005 – 21 O 50/05 – WRP 2005, 1571, 1572. 456 OLG Hamburg 5.12.2001 – 5 U 124/01 – GRUR-RR 2002, 202; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.104. 457 BGH 13.2.2003 – I ZR 41/00 – GRUR 2003, 800, 802 = WRP 2003, 1111, 1113 – Schachcomputerkatalog; Lettl § 7 Rn. 62. 458 BGH 24.1.2019 – I ZR 200/17 – GRUR 2019, 631 Tz. 68 f. – Das beste Netz. 459 OLG Köln 23.2.2001 – 6 U 214/00 – ZUM-RD 2002, 214, 216.
Lindacher/Peifer
738
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
rade spielt, kann sich nicht damit herausreden, er habe nur einen Eigenvergleich vorgenommen. Kasuistik: Der Slogan „Keiner rasiert wie der MACH3 Turbo. Es ist weltweit die gründlichste und komfortabelste Gilette-Rasur. Garantiert.“ suggeriert unbeschadet des Eigenvergleichseinschubs Alleinstellung.460 c) Alleinstellungswerbung: Ausdrucksmittel aa) Superlativ. Die sprachlich nächstliegende Form der Alleinstellungsberühmung ist die Werbung mit dem Superlativ: Wer eine unternehmens- oder produktbezogene Eigenschaftszusage unter Verwendung des sprachlich höchsten Steigungsgrads trifft, muss zumindest dann, wenn die Aussage objektiv auf ihre Richtigkeit überprüfbar ist, damit rechnen, vom Verkehr beim Wort genommen zu werden. Das Verständnis der Werbebehauptung als Alleinstellungsbehauptung liegt besonders dann nahe, wenn der Superlativ mit dem bestimmten Artikel verbunden wird, geografische Zusätze beigefügt oder Superlativ und sonstige auf eine Alleinstellung hinweisende Elemente kumuliert werden. Kasuistik: Wer geltend macht, „der größte Online-Dienst“ zu sein, muss gegenüber der Konkurrenz in puncto Nutzungshäufigkeit und Netzverweildauer die Nase vorn haben.461 Wer sich als „schnellster Ersatzteildienst“ bezeichnet, muss die (gesamte) Konkurrenz an Promptheit übertreffen.462 Wer seinen Nassrasierer als „Simply the best“ bewirbt, steht dafür ein, dass sein Gerät in den zentralen Eigenschaften (Gründlichkeit, Komfort) von den Konkurrenzprodukten unerreicht bleibt.463 Wer den „präzisesten Blutzuckerteststreifen“ anpreist, behauptet eine Alleinstellung nicht nur in Teilbereichen, sondern in jeder Hinsicht.464 Wer behauptet, die „zufriedensten Kunden“ im Mobilfunkbereich zu haben, der muss bei Umfragen im Bereich Kundenzufriedenheit den Testsieg errungen haben.465 Zwingend ist das Verständnis einer Superlativwerbung als Alleinstellungswerbung freilich nicht.466 Stellt die Berühmung als Alleinstellungsbehauptung für den Verkehr mit Blick auf fehlende objektive Beurteilungskriterien ersichtlich eine subjektive Selbsteinschätzung dar, so schüttet er von sich aus Wasser in den Wein, versteht sie „nur“ als Spitzengruppenberühmung (s. bereits Rn. 182). Im Bereich der produktbezogenen Werbung wird insbesondere der Superlativ „beste“ (ohne bestimmten Artikel verwendet) häufig gar als bloßer Hinweis auf sehr gute Qualität verstanden (Rn. 226). Auch im Bereich der Preiswerbung relativiert der Verkehr Superlativaussagen mit Blick auf inflationären Gebrauch nicht selten dahin, dass lediglich besondere Preiswürdigkeit geltend gemacht wird. Wo bereits die Aussage in der Grundform informationsarm ist, entnimmt der Verkehr dem Superlativ keine Alleinstellungsberühmung: Die Selbsteinschätzung als „profiliertestes People Magazin“ (vgl. aber oben Rn. 189) wird, so ihr nicht gar der Angabencharakter abzusprechen ist, bestenfalls als schlichte Qualitätsberühmung verstanden.467 Im Übrigen ist selbstredend auch Werbung unter Superlativverwendung, wie jede werbliche Äußerung, in den Gesamtkontext der jeweiligen Aussage zu stellen: Wer sich
_____
460 461 462 463 464 465 466 467
739
OLG Hamburg 10.2.2005 – 5 U 48/04 – BeckRS 2005, 30350870. BGH 17.6.2004 – I ZR 284/01 – GRUR 2004, 786, 788 – Größter Online-Dienst. OLG Karlsruhe 26.5.1993 – 6 U 213/92 – GRUR 1994, 134, 135. OLG Hamburg 10.12.2008 – 5 U 129/05 – WRP 2009, 647. OLG Frankfurt/M. 10.8.2017 – 6 U 63/17 – WRP 2017, 1392 Tz. 56. OLG Frankfurt/M. 18.5.2013 – 6 U 266/12 – MMR 2013, 590. Allg.M., statt mancher: Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.142; Harte/Henning/Weidert E Rn. 191. OLG Hamburg 23.11.2005 – 5 U 68/05 – GRUR-RR 2006, 170, 172.
Lindacher/Peifer
199
200
201
202
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
berühmt, für jeden Hauttyp „die gemäß der herstellerunabhängigen Fachliteratur verträglichsten und wirksamsten Kosmetikpräparate“ anbieten zu können, behauptet nicht, dass nur er zu einem solchen Angebot in der Lage ist.468 bb) Komparativ. Auch Komparativwerbung kann Alleinstellungswerbung sein: Wer in einem geschäftsentscheidungserheblichen Punkt stärker ist als alle anderen, steht allein. Der Verkehr bezieht die Vorsprungsberühmung freilich keineswegs ohne weiteres auf die gesamte Konkurrenz.469 Vor allem Verheißungen eines Mehr an Qualität werden, soweit eine Alleinstellung strikt objektiv nicht feststellbar, bestenfalls als Spitzengruppenwerbung verstanden. Bleibt der Bezugspunkt des geltend gemachten Vorsprungs gänzlich dunkel, darf vom verständigen „Durchschnittsadressaten“ erwartet werden, dass er unschwer abrufbare Zusatzinformationen klarstellender Natur nutzt.470 Kasuistik: Die Werbung für T.ISDN mit dem Komparativ „Der bessere Anschluss“ ist mangels näherer Konkretisierung mehrdeutig. Auch Teile des Verkehrs, denen die gebotene Verständigkeit nicht abzusprechen ist, sehen darin nicht nur einen Systemvergleich (gegenüber der analogen Technik), sondern eine allgemeine Alleinstellungsberühmung hinsichtlich Technik und Preis.471 Nicht völlig substanzlos, gleichwohl überwiegend subjektiv geprägt ist das Angebot „besserer Energie“, bei der ein Verbraucher nicht ausschließlich Energie aus erneuerbaren Quellen erwartet.472 Bei der Preiswerbung dürfte der Verkehr zwischen Preiswürdigkeitsbehauptungen 204 mit Bezug auf einzelne konkret benannte Artikel und allgemeiner Preisberühmung unterscheiden. Erstere werden dahin verstanden, dass der Anbieter billiger sei als die – auf den jeweiligen Markt bezogene – gesamte Konkurrenz; mit letzteren verbindet der Verkehr wohl nur relative Preiswürdigkeitsvorstellungen (näher: Rn. 228). 205 Soweit die Komparativwerbung Spitzengruppenberühmung bzw. Geltendmachung sehr guter Qualität ist, muss selbstredend jedenfalls dieser Anspruch eingelöst werden. Kasuistik: Der Slogan „get more“ ist irreführend, wenn sich das Angebot des so Werbenden in Umfang, Qualität und Preisstellung nicht von denen der Mitbewerber unterscheidet.473 203
206
cc) Negativer Komparativ. Die Werbung mit dem negativen Komparativ, die ihrem objektiven Wortsinn nach nur geltend macht, von niemandem übertroffen zu werden, wird vom Verkehr jedenfalls als qualifizierte Spitzengruppenwerbung verstanden. Wird schon dieser Anspruch nicht eingelöst, liegt allemal eine Irreführung i.S. von § 5 vor. Verbreitet wird Werbung mit dem negativen Komparativ auch von weniger verstän207 digen Teilen des Verkehrs als Berühmung der Nichterreichbarkeit, mithin als Alleinstellungsberühmung (miss)verstanden. Zumindest dort, wo der Werbende durch Gesamtaufmachung und/oder das „Umfeld“ der Komparativaussage diese Tendenz fördert und verstärkt, liegt es nahe, dem Werbenden die Berufung auf den objektiven Erklärungssinn seines Werbeslogans abzuschneiden. Mangels realer Alleinstellung durchaus zu Recht als irreführend i.S. von § 5 (früher: § 3) wurden deshalb untersagt: die Werbung „Wo
_____
468 OLG Köln 13.1.2006 – 6 U 126/05 – GRUR-RR 2006, 237, 238. 469 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.143: „Der Komparativ bringt seltener eine Alleinstellung zum Ausdruck.“ 470 Harte/Henning/Weidert E Rn. 195. 471 OLG Hamburg 28.6.2001 – 3 U 40/01 – CR 2002, 268. 472 OLG Hamburg 18.12.2013 – 1 U 36/13 – GRUR-RR 2014, 150, 151. 473 OLG Hamburg 27.5.2004 – 3 U 181/03 – MD 2005, 539, 544.
Lindacher/Peifer
740
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
wäre das Pelzunternehmen, das ein größeres Pelzangebot präsentiert als die vielen XHäuser insgesamt von Hamburg bis Frankfurt? Nirgends in der Welt!“,474 die Aussage „In Sachen Dichtheit kann nichts und niemand dem duktilen Gussrohr etwas vormachen“,475 die Aussage „Keine Bausparkasse ist besser als Schwäbisch Hall“ in unmittelbarem räumlichen Kontext mit dem Hinweis, man habe seit Jahren die meisten Neukunden im Bauspargeschäft.476 Ein allgemeines Im-Zweifel-Verbot objektiv zutreffender Werbung mit dem negati- 208 ven Komparativ477 würde indes den Irreführungsschutz zulasten gegenläufiger Interessen überdehnen. Wie bei jeder objektiv wahren, nur von einer Minderheit missverstandenen Werbung (allgemein: Rn. 132 ff., insbes. Rn. 284) entscheidet vielmehr richtigerweise letztlich erst eine normative Wertung anhand des Verbraucherleitbilds über deren Verbot oder Tolerierung. Insbesondere bei qualitativ und/oder quantitativ geringer Irreführungsgefahr kann dem Interesse des Werbenden, seine qualifizierte Spitzengruppenstellung werblich herauszustellen, nicht ohne Weiteres die Schutzwürdigkeit abgesprochen werden. Im Übrigen bleiben Relativierungen werblicher Äußerungen durch das Publikum zu 209 beachten: Wenn der Verkehr schon die Superlativwerbung nicht immer wörtlich nimmt (Rn. 200), entnimmt er erst recht nicht jeder Werbung mit dem negativen Komparativ eine Alleinstellungsberühmung, je nach Branche und/oder Kontext der Werbeaussage vielmehr u.U. nur die bescheidende Berühmung sehr guter Qualität.478 Durchaus nicht unbedenklich ist deshalb das Verbot der Werbung „Wenn Sie den ganzen Tag auf den Beinen waren … und wenn Ihre schmerzenden Füße Sie gerade noch nach Hause tragen, gibt es nichts Besseres als ein Fußbad mit S.“479 oder aber das Verbot der Werbung eines Möbelhauses „Mit allen Einrichtungswünschen zu M. Es gibt weit und breit nichts Besseres“.480 dd) Bestimmter Artikel. Der Eindruck der Alleinstellung kann weiter durch be- 210 stimmte Verwendungsformen des bestimmten Artikels hervorgerufen werden. Das gilt insbesondere bei optischer oder akustischer Hervorhebung,481 ferner im Fall der Kombination mit einer geografischen Angabe.482 Kasuistik: „Der große Schuhmarkt Essens“;483 „Tanzschule K. Die Ludwigshafener Tanzschule“;484 „Die Zeitung Berlins“;485 „Das Möbelerlebnis im Westen“.486 Die Verwendung des bestimmten Artikels mit einem Eigenschaftswort von empfeh- 211 lender Bedeutung, dem per se ein gewisser Exklusivcharakter eignet, mag gleichfalls Alleinstellungsvorstellungen wecken.487
_____
474 OLG Hamm 1.2.1979 – 4 U 281/78 – GRUR 1979, 556 – Gemeinschaftswerbung Pelze. 475 OLG Köln 30.8.1996 – 6 U 91/94 – WRP 1996, 1210, 1213. 476 OLG Frankfurt 6.3.1981 – 6 U 140/80 – GRUR 1981, 603, 604 f. –Bausparkasse. 477 So zumindest für den Bereich der allgemeinen Publikumswerbung tendenziell Gloy/Loschelder/ Erdmann/Helm § 59 Rn. 217 sowie RWW/Sack 3.2 Rn. 611 ff. 478 Harte/Henning/Weidert E Rn. 196. 479 So OLG München 5.3.1981 – 6 U 1138/81 – WRP 1981, 340, 341. 480 So OLG Düsseldorf 14.10.1976 – 2 U 86/76 – WRP 1977, 25, 27. 481 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 218; Harte/Henning/Weidert E Rn. 197; Ohly/ Sosnitza Rn. 642. 482 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 218. 483 BGH 7.7.1983 – I ZR 119/81 – GRUR 1983, 779, 780 – Schuhmarkt. 484 OLG Zweibrücken 9.8.1989 – 2 U 23/89 – WRP 1990, 208. 485 KG 26.5.2000 – 5 U 1389/00 – GRUR-RR 2001, 60. 486 Insoweit zweifelhaft OLG Hamm 7.6.1990 – 4 U 51/90 – GRUR 1991, 689. 487 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1. 147.
741
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
Kasuistik: „Der Original Maraska-Geist“:488 Die Kombination des bestimmten Artikels mit dem Wort „Original“ legt die Vorstellung nahe, der Werbende berühme sich hinsichtlich des „echten“ Maraschino (eines farblosen Likörs aus der Maraska-Kirsche) eines Monopols. „Das Spitzenkochbuch unserer Zeit“ :489 die Spitzengruppenberühmung vermittelt bereits das Subjektiv. Davon, dass die Verbindung des bestimmten Artikels mit einem Eigenschaftswort 212 empfehlenden Charakters generell und ohne Weiteres auf eine Alleinstellungsberühmung hindeute,490 kann freilich keine Rede sein:491 Der bestimmte Artikel ist ein so gebräuchliches Werbestilmittel, dass schon besondere Umstände vorliegen müssen, um von der einschlägigen Verwendung auf eine Alleinstellungsberühmung schließen zu können. Im Einzelfall kommt es neben Wortlaut492 und allfälliger näherer Aufmachung der Werbung auch auf die konkrete Branche an. Kasuistik: Der Buchtitel „Das große deutsche Wörterbuch“ deutet nach dem BGH493 auf eine Alleinstellungsbehauptung hin: der Verkehr nehme nicht ohne Weiteres an, dass es zwei oder mehr Wörterbücher gibt, die dem reklamierten Rang entsprechen. Das ist zumindest in der Begründung zweifelhaft, weil es gerade darum geht, welcher Rang vom Verkehr als reklamiert angesehen wird. Zu Recht verneint wurde der Alleinstellungscharakter etwa in Hinblick auf folgende Angaben: „Die starke Marke“;494 „König Pilsener. Das Privat-Bier“;495 „Der Brillenladen“;496 „Der Fruchtquark“;497 „Die Stimme Berlins“ als Selbstkennzeichnung einer Tageszeitung, solange der Akzent nicht auf dem bestimmten Artikel liegt.498 Die Verwendung des bestimmten Artikels für sich ist bestenfalls Spitzengruppenstel213 lung.499 214
ee) Sonstige Umschreibung. Eindeutig Alleinstellungsvorstellungen löst die Benennung des eigenen Unternehmens bzw. des beworbenen Produkts als „Nr. 1“ aus.500 Zumindest potentielle Superlativ-Substitute sind anerkanntermaßen Ausdrücke wie „führend“,501 „unerreicht“,502 „unschlagbar“,503 „nur bei“,504 Markt-505 oder Technologieführer,506 ferner
_____
488 BGH 18.9.1981 – I ZR 11/80 – GRUR 1982, 111, 114 – Original-Maraschino. 489 BGH 30.6.1976 – I ZR 150/75 – GRUR 1977, 110, 112 – Kochbuch. 490 So tendenziell Arneburg WRP 1990, 208, 209. 491 Übereinstimmend: OLG München 1.3.12 – 6 U 1738/11 – WRP 2012, 831, 836; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.147; Harte/Henning/Weidert E Rn. 197; Ohly/Sosnitza Rn. 642. 492 Nach der zutreffenden Beobachtung von Tetzner § 3 (a.F.) Rn. 124 dient der bestimmte Artikel gelegentlich, von vornherein ersichtlich, nur der „sprachlichen Abrundung der Werbung“, deren „Rhythmisierung“. 493 BGH 2.4.1971 – I ZR 22/70 – GRUR 1971, 365, 366. 494 OLG Düsseldorf 10.5.1984 – 2 U 50/83 – WRP 1984, 552, 553. 495 OLG Köln 29.10.1982 – 6 U 115/82 – GRUR 1983, 135, 136. 496 OLG Stuttgart 29.1.1993 – 2 U 191/92 – WRP 1993, 535. 497 LG Hamburg 8.1.1986 – 15 O 490/83 – NJW-RR 1987, 489. 498 KG 26.5.2000 – 5 U 1389/00 – GRUR-RR 2001, 60. 499 A.A. freilich etwa noch OLG Celle 30.9.1987 – 13 U 65/87 – WRP 1988, 306, 307: „N. Das Pilsener“. 500 Allg.M.; statt aller: LG Düsseldorf 25.7.2013 – 14c O 94/13 – BeckRS 2013, 14278; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.146; Ohly/Sosnitza Rn. 641. 501 BGH 30.10.1963 – Ib ZR 42/62 – GRUR 1964, 33, 34 – Bodenbeläge. 502 OLG Frankfurt 17.11.1983 – 6 U 86/83 – WRP 1984, 284, 286; OLG Hamburg 6.5.2004 – 3 U 116/03 – GRUR-RR 2005, 125. 503 BGH 25.10.1974 – I ZR 94/93 – GRUR 1975, 141, 142 = WRP 1975, 39, 40 – unschlagbar. 504 BGH 28.10.2004 – I ZR 59/02 – GRUR 2005, 176 = WRP 2005, 94, 96 – Nur bei Lotto. 505 BGH 2.10.2003 – I ZR 150/01 – GRUR 2004, 244, 246 = WRP 2004, 339, 341f. – Marktführerschaft. 506 OLG Hamburg 29.3.2001 – 3 U 222/00 – GRUR-RR 2002, 71, 72.
Lindacher/Peifer
742
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
etwa die Wendung, man habe die Konkurrenz „abgehängt“.507 Stellt man auf den angemessen kritischen Verbraucher/Unternehmer ab, darf aus einer Schlagwort-Werbung freilich nicht vorschnell auf eine Alleinstellungsbehauptung geschlossen werden: Die Häufigkeit der Verwendung des Schlagworts „optimal“ führt zur Abschwächung. „Optimale Interessenvertretung“ durch einen Anwalt verspricht gute bis überdurchschnittliche Beratung und Betreuung.508 Der – zudem mit dem Stilmittel des Sprachwitzes arbeitende (hierzu: Rn. 102) – Slogan „Optima klingt nicht nur optimal, sondern ist es auch“ macht entgegen OLG München509 nur die Zugehörigkeit zur höchsten Güteklasse geltend.510 Die werbliche Herausstellung eines technischen Artikels als „der Erfolgreiche“ signalisiert entgegen OLG Frankfurt511 noch keine Alleinstellung. In der markenmäßigen Verwendung der Zahl „1“ sieht der verständige „Durch- 215 schnittsadressat“ im Allgemeinen keine Alleinstellungsbehauptung; allfälligen Minderheitsvorstellungen wäre im Weg ergänzender Interessenabwägung die rechtliche Relevanz abzusprechen.512 ff) Geografische Bezeichnungen. Firmen- und sonstiger werblicher Gebrauch geo- 216 grafischer Bezeichnungen lässt – entgegen häufig recht rigider älterer Rechtsprechung – nur in Ausnahmegestaltungen (etwa bei Ergänzung durch Superlative, s. Rn. 199, oder den bestimmten Artikel, s. Rn. 210) auf eine Alleinstellung schließen.513 Aus dem Firmenzusatz „deutsch“ zieht der Verkehr nicht mehr den Schluss, dass es 217 sich bei dem betreffenden Unternehmen um ein für die deutsche Wirtschaft beispielhaftes und besonderes Unternehmen handelt,514 er erwartet vielmehr i.d.R. „lediglich“, dass das Unternehmen nach Ausstattung und Umsatz auf den deutschen Markt als Ganzes zugeschnitten ist,515 was entgegen OLG Düsseldorf516 keineswegs damit gleichbedeutend ist, dass das Unternehmen den Markt „prägt“. Entsprechendes gilt für Firmenbezeichnungen mit einem „Europa“-Hinweis:517 Sie vermitteln (nur) die Vorstellung eines Unternehmens, das nach Größe, Bedeutung und Marktstellung den Anforderungen des europäischen Markts entspricht – also wiederum nicht einmal notwendigerweise die Vorstellung strikter Spitzengruppenzugehörigkeit. Auch die Sozietätsbezeichnung „Bodensee-Kanzlei“ vermittelt per se entgegen OLG Stuttgart518 schwerlich den Eindruck einer Spitzenstellungsbehauptung für den Wirtschaftsraum Bodensee. Bei vagen geografischen Begriffen wie „Süd“ oder „West“ neigt die Praxis im Grundsatz zu Recht zur Verneinung einer Alleinstellungsberühmung.519 Die Firmenbezeichnung „Datenzentrale Nord“ ist mit dem BGH520
_____
507 OLG Hamburg 29.3.2001 – 3 U 222/00 – Rtkom 2001, 178, 180. 508 BGH 27.1.2005 – I ZR 202/02 – GRUR 2005, 520, 521 f. = WRP 2005, 738, 739. 509 OLG München 9.2.1978 – 6 U 4628/77 – WRP 1978, 558. 510 Gleichsinnig: Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 219. 511 OLG Frankfurt a.M. 18.12.1978 – 6 W 140/78 – GRUR 1979, 325. 512 BGH 18.4.2002 – I ZR 23/99 – GRUR 2002, 970, 972 = WRP 2002, 1071, 1073 – Zahl „1“. 513 Statt vieler: Harte/Henning/Weidert E Rn. 199; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 219. 514 So noch BayObLG 9.9.1958 – 2 Z 116/58 – NJW 1959, 47; Knöchlein DB 1960, 746. 515 BGH 13.11.1981 – I ZR 2/80 – GRUR 1982, 239, 240 – Allgemeine Deutsche Steuerberatungsgesellschaft. 516 OLG Düsseldorf 17.10.1991 – 2 U 54/91 – GRUR 1992, 187 – Deutsche Ausstellungsgesellschaft. 517 Leitentscheidung: BGH 29.10.1969 – I ZR 63/68 – BGHZ 53, 339, 343 = GRUR 1970, 461 = WRP 1970, 254, 255 – Euro-Spirituosen; ferner: BGH 26.11.1971 – I ZB 8/71 – GRUR 1972, 357 = WRP 1972, 134, 135 – euromint; BGH 2.12.1977 – I ZR 143/75 – GRUR 1978, 251 = WRP 1978, 209, 210 – Euro-Sport. 518 BGH 16.3.2006 – 2 U 147/05 – NJW 2006, 2273, 2274. 519 Siehe etwa OLG Stuttgart 15.11.1974 – 8 W 271/74 – OLGZ 1975, 117 („Siebdruck-Süd“); OLG Hamm 3.6.1983 – 15 W 86/82 – BB 1984, 1891 („Westanlagen“). 520 BGH 3.12.1976 – I ZR 151/75 – GRUR 1977, 503, 504 – Datenzentrale.
743
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
wohl nur in Hinblick auf die wechselseitige Verstärkung der Begriffe „Zentrale“ und „Nord“ als Alleinstellungsberühmung zu klassifizieren. Entsprechendes gilt für die Bezeichnung „Westdeutsches Prostatazentrum“:521 Der Verkehr erwartet ob der Doppelung eine nach Patientenzahl führende Institution. Je nach Branche schließt der Verkehr aus dem Gebietszusatz auf eine gewisse räum218 liche Präsenz. Kasuistik: „Hamburger Volksbank“522 lässt ein gewisses Filialnetz, „Reisebüro in Ostholstein“523 eine gewisse Präsenz in der Fläche erwarten. „R. Post Deutschland“524 vermittelt den Eindruck eines bundesweiten Tätigkeitsgebiets. Durch den Zusatz „BW“ in der Bezeichnung eines privaten Rundfunkanbieters wird (wichtig für die Beurteilung der Werbekraft) ein wesentliche Landesteile abdeckendes Sendegebiet suggeriert.525 Die Verwendung eines Städte- oder sonstigen Gebietskörperschaftsnamens vermag 219 kontextgebunden wohl nach wie vor auf eine Alleinstellung hinweisen: „Bielefelds große Zeitung“ (bedeutungssynonym mit „Die große Zeitung Bielefelds“, s. Rn. 210) suggeriert quantitativen Spitzenrang gegenüber der örtlichen Konkurrenz. 526 Die Fachmarktwerbung „Pforzheims Spezialist für Werkstatt, Haus und Garten“ lässt einen signifikanten quantitativen Abstand zu den sonstigen lokalen Bau- und Gartenmärkten erwarten.527 Im Einzelnen bleibt indes sorgsam der Bezug der Berühmung im Auge zu behalten: Der Verkehr mag sie auch und vor allem als Qualitätsberühmung verstehen. Wer die Eigenwerbung der FAZ als „Die große deutsche Tages- und Wirtschaftszeitung“ in erster Linie als eine Aussage über Inhalt und Qualität deutet,528 dürfte eine Abwandlung der Werbung dahin, das Blatt nehme für sich in Anspruch „Deutschlands große Tages- und Wirtschaftszeitung“ zu sein, kaum anders beurteilen. Gebietsangaben in Form nachgestellter Zusätze signalisieren hingegen wohl nur den 220 schlichten Lokalbezug. Keine Alleinstellungsbehauptung daher richtigerweise: „Kiesbaggerei Rinteln“,529 „Tauchschule Dortmund“,530 oder „Tanzschule Essen“.531 d) Alleinstellungswerbung: Einzelfragen 221
aa) Unternehmensbezogene Alleinstellung. Auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfbare werbliche Äußerungen, mit denen eine gegenüber der Konkurrenz herausgehobene Stellung des eigenen Unternehmens geltend gemacht wird, werden typischerweise ernst genommen. Das gilt nicht nur bei näherer Präzisierung des Vergleichsobjekts (Umsatz, Sortimentsbreite, Qualitätsstandards, Ausstellungsfläche, Service usw.), sondern auch bei allgemein gehaltenen Berühmungen.532 Welche Erwartungen hier einzulösen sind,
_____
521 OLG Köln 16.11.2007 – 6 U 71/07 – WRP 2008, 834. 522 BGH 12.7.1968 – I ZR 111/66 – GRUR 1968, 702, 703. 523 OLG Schleswig 12.6.1990 – 6 U 4/90 – WRP 1991, 194. 524 OLG Zweibrücken 2.11.2006 – 4 U 140/05 – GRUR-RR 2007, 891. 525 OLG Karlsruhe 11.4.2001 – 6 U 181/00 – GRUR-RR 2001, 320. 526 BGH 16.4.1957 – I ZR 115/56 – GRUR 1957, 600 – Westfalenblatt I. 527 OLG Karlsruhe 13.9.1989 – 6 U 142/89 – GRUR 1990, 295, 296. 528 BGH 12.2.1998 – I ZR 110/96 – GRUR 1998, 951, 953. 529 Entgegen BGH 29.11.1963 – Ib ZR 33/62 – GRUR 1964, 314 – Kiesbaggerei. 530 Entgegen OLG Hamm 18.3.2003 – 4 U 14/03 – GRUR-RR 2003, 289 m. Anm. Roland (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen durch BGH 20.11.2003 – I ZR 117/03). Die Position des OLG Hamm wurde wohl aufgegeben durch OLG Hamm 29.1.2013 – 4 U 171/1112 – GRUR-RR 2013, 222 – Tanzschule Essen. 531 OLG Hamm 29.1.2013 – 4 U 171/1112 – GRUR-RR 2013, 222. 532 Allg. M.; statt vieler: BGH 26.2.1969 – I ZR 108/67 – GRUR 1969, 415, 416 = WRP 1969, 239 – Kaffeerösterei; 17.1.1984 – I ZR 187/82 – GRUR 1985, 140, 141 – Größtes Teppichhaus der Welt.
Lindacher/Peifer
744
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
beurteilt sich außer nach der gewählten Formulierung vor allem nach der Art des jeweiligen Unternehmens. Soweit der Verkehr mit der Größenberühmung eine Faktorenvielfalt verbindet, sind die zentralen Einzelerwartungen sämtlich zu erfüllen.533 Hinsichtlich komplementärer (Neben-)Erwartungen mag im Einzelfall im Wege einer Gesamtbetrachtung (s. bereits Rn. 185) auf das Erfordernis eines Vorrangs gegenüber der Konkurrenz zu verzichten sein. (1) Das Größte. Bezeichnet sich ein Unternehmen – ausdrücklich oder der Sache 222 nach – als das Größte, ist bei einem Handelsunternehmen in erster Linie auf den Umsatz, ergänzend typischerweise aber auch auf die Sortimentsbreite abzustellen.534 In manchen Branchen, in denen der Kunde auf eine Augenscheinnahme des Angebots Wert zu legen pflegt (Beispiel: Möbelbranche), spielt auch die Größe der Ausstellungsfläche eine zentrale Rolle.535 Mangels unzweideutigen Vorbehalts erwartet der Verkehr dabei eine räumliche Konzentration des Angebots; Filialunternehmen dürfen sich nicht der Spitzenstellung berühmen, wenn sie nur bei Addition der Teilflächen einen numerischen Vorrang aufweisen. Bei Fachgeschäften kommt es demgegenüber neben Umsatz sowie Sortimentsbreite und -tiefe ergänzend auf Beratung durch fachkundiges Personal, mithin auch auf die Zahl der Mitarbeiter an:536 Ein Abhollager darf sich nicht als „größtes Teppichboden- und Gardinenfachgeschäft“ bezeichnen.537 Für das Ranking im Fabrikationsbereich zählt die quantitative Kapazität, sei es nach Umsatz, sei es nach Stückzahl.538 Im Bankgewerbe weckt zumindest die Alleinstellungsberühmung durch eine Firmenbildung unter Verwendung eines Gebietsnamens auch Erwartungen hinsichtlich einer gewissen Filialnetzdichte.539 Bei Online-Dienstleistern kommt es nicht nur auf die Kundenzahl, sondern vorrangig auf den Umfang der Nutzung, mithin die Zahl der Kontakte und die Verweildauer an.540 Auf dem Zeitschriftenmarkt zählt die Auflage, wobei zwischen Inserentenmarkt und Lesermarkt zu unterscheiden ist: Soweit die werbende Wirtschaft angesprochen wird, ist das maßgebliche Kriterium die verbreitete Auflage (verkaufte Auflage zuzüglich Freistücke und Werbeexemplare).541 Soweit die Berühmung auf die Gewinnung neuer Abonnenten und sonstiger Leser zielt, erweckt sie in erster Linie den Eindruck der Führerschaft nach der verkauften Auflage. Darüber hinaus mag, wenn ein solches Verständnis durch die Begleitumstände nahe gelegt wird, ergänzend auf den Umfang sowie die Höhe der redaktionellen Leistung abzustellen sein.542 Bei lexikalischen Werken stellt der Verkehr typischerweise darauf ab, welches Werk am umfangreichsten und ausführlichsten ist. Entscheidend ist insoweit in erster Linie die An-
_____
533 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.75; Ohly/Sosnitza Rn. 647. 534 BGH 22.5.1981 – I ZB 7/80 – GRUR 1981, 910, 911 – Der größte Biermarkt der Welt; BGH 17.10.1984 – I ZR 187/82 – GRUR 1985, 140, 141 – Größtes Teppichhaus der Welt; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.75; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 223. 535 LG Köln 15.4.1953 – 24 Q 18/53 – WRP 1955, 23; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.75. 536 OLG Hamm 7.1.1992 – 4 U 141/91 – WRP 1992, 399, 401 – Westdeutsches größtes Einrichtungsunternehmen. 537 A.A. OLG München 16.3.1978 – 6 U 2458/77 – WRP 1979, 156 (Fachgeschäft) m. Bspr. Tetzner WRP 2979, 270. 538 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.76; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 223. 539 BGH 12.7.1968 – I ZR 111/66 – GRUR 1968, 702 – Hamburger Volksbank; BGH 24.1.1975 – I ZR 85/73 – GRUR 1975, 380 – Die Oberhessische. 540 BGH 17.6.2004 – I ZR 284/01 – GRUR 2004, 786, 788 = WRP 2004, 1165, 1168 – Größter Online-Dienst; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.76. 541 BGH 16.3.1962 – I ZR 144/60 – GRUR 1963, 34, 35 = WRP 1963, 62, 63 – Werkstatt und Betrieb; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 223; Ohly/Sosnitza Rn. 650. 542 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.76; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 223.
745
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
zahl der Stichworte, aber auch der Umfang der einzelnen Erläuterungen. Handelt es sich um Werke mit wissenschaftlichem Anspruch, kommt es ergänzend auf den wissenschaftlichen Rang und die Zuverlässigkeit des Werks an.543 223
(2) Das Führende. Mit „Marktführerschaft“ (ohne Zusatz) verbindet der Verkehr Vorsprung in quantitativer Hinsicht.544 Wer sie in Anspruch nimmt, reklamiert im Zweifel Alleinführerschaft.545 Wer „Technologieführerschaft“ geltend macht, muss mit wesentlichen, nicht nur einzelnen Innovationen in Erscheinung treten und der Konkurrenz damit den Weg weisen; ein flächendeckender Innovationsvorrang ist – gebotene Gesamtbetrachtung (s. Rn. 185) – nicht erforderlich.546 Der (zusatzlose) Begriff „führend“ kann mangels näherer Konkretisierung des Vergleichskriteriums, je nach Branche und konkreter Verwendung, Vorstellungen verschiedenen Inhalts hervorrufen. Kennzeichnend ist typischerweise ein qualitatives Moment – sei es neben dem quantitativen, sei es unabhängig davon.547 Für Produktionsunternehmen ist sowohl ein Umsatzvorsprung wie ein qualitativer Vorrang zu fordern.548 Im Großhandel kommt es neben dem Umsatz vor allem auf die Sortimentsbreite und –tiefe an, im Einzelhandel auf die Auswahl und die Fachkunde des Personals.549 Das „führende Hotel“ bietet seinen Gästen das Beste an Komfort, Service und Küche.550 Das „führende Filmtheater“ schuldet das beste Programmangebot551 und ein Mindestmaß an „Ambiente“.
224
(3) Das Erste. „Erste“-Berühmungen versteht der Verkehr verwendungskontextbezogen. Die Berühmung eines Unternehmens, das Erste seiner Art nach zu sein, wird im Allgemeinen im zeitlichen Sinn interpretiert: als Behauptung eines Altersvorsprungs gegenüber der Konkurrenz (näher zur Alterswerbung: Rn. 905 ff.).552 Das Verständnis, das werbende Unternehmen reklamiere, das größte zu sein (Rn. 222), ist möglich, mangels einschlägiger Plusfaktoren indes eher unwahrscheinlich. In Sonderkonstellationen mag der Verkehr mit der Aussage auch die Inanspruchnahme einer qualitativ herausgehobenen Stellung zu verbinden: Nach OLG Bremen erblickt das rechtsuchende Publikum in der werblichen Aussage eines Anwalts „Erster Fachanwalt“ einer bestimmten Sparte in einer bestimmten Stadt zu sein, nicht nur einen Anciennitätshinweis, sondern (auch) die Behauptung eines besonderen Rangs innerhalb der benannten Fachanwaltsgruppe.553 Bestimmte Wendungen – wie die Werbebehauptung „erstes Haus am Platze“ – legen von vornherein Qualitätsaspekte nahe. Wird die Angabe auf ein Produkt bestimmter Eigenschaft bezogen, wird allemal eine einschlägige Pionierstellung des Unternehmens geltend gemacht: dass das werbende Unternehmen das entsprechende Produkt entwickelt
_____
543 BGH 2.4.1971 – I ZR 22/70 – GRUR 1971, 365, 366 f. = WRP 1971, 274, 276 – Wörterbuch. 544 BGH 8.3.2012 – I ZR 202/10 – GRUR 2012, 1053 Tz. 23 f. = WRP 2012, 1216 – Marktführer Sport (jedenfalls wenn bezeichnungsnah auf den erwirtschafteten Umsatz hingewiesen wird); OLG Frankfurt 12.6.2014 – 6 U 64/13 – WRP 2015, 113 Tz. 18; a.A. OLG Zweibrücken 7.2.2002 – 4 U 90/01 – NJW-RR 2002, 1066 f.: „Marktführerschaft“-Behauptung eines Lohnsteuerhilfevereins beinhalte vor allem die Berühmung qualitativer Überlegenheit (besseres Know-how, bessere persönliche und sachliche Ausstattung). 545 BGH 2.10.2003 – I ZR 150/01 – GRUR 2004, 244,246 = WRP 2004, 339, 342 – Marktführerschaft. 546 A.A. insoweit OLG Hamburg 29.3.2001 – 3 U 222/00 – GRUR-RR 2002, 71, 72. 547 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.87; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 225. 548 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 225. 549 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 225. 550 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.87. 551 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.87. 552 BGH 28.1.1957 GRUR 1957, 285, 287 = WRP 1957, 173, 175 – Erstes Kulmbacher; Harte/Henning/Weidert E Rn. 192; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 226. 553 OLG Bremen 11.1.2007 – 2 U 107/06 – GRUR-RR 2007, 209.
Lindacher/Peifer
746
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
und als erstes auf den Markt gebracht hat.554 Ob nennenswerte Teile des angesprochenen Verkehrs mit den Fähigkeiten eines „Durchschnittsverbrauchers“/“Durchschnittsunternehmers“ mit der Aussage gegebenenfalls auch die Vorstellung der (Noch-)Einzigartigkeit verbinden,555 erscheint zweifelhaft. Bejaht man dies, sollte man dem Unternehmer mittels ergänzender Interessenabwägung (allgemein: Rn. 268 ff.) helfen: Er muss seine Pionierleistung griffig in der mehrheitlich richtig verstandenen Form herausstellen dürfen. In bestimmten Konstellationen kommt der Bezeichnung „Erstes“ endlich von vornherein nur numerische Bedeutung außerhalb eines konkurrentenbezogenen Vergleichs zu: So wenn ein Seminarveranstalter die als Beginn einer Reihe geplante Veranstaltung als „1. Deutschen Insolvenztag“ bezeichnet und den potentiellen Teilnehmern als fachkreiszugehörig aufgrund der ergänzenden Angaben bekannt sein muss, dass es sich nicht um die erste einschlägige Veranstaltung von überregionaler Bedeutung handelt.556 bb) Produktbezogene Alleinstellung. Auch für werbliche Äußerungen hinsichtlich 225 der Produktbeschaffenheit gilt: Auf ihren Richtigkeitsgehalt überprüfbare Aussagen, mit denen ein Vorsprung gegenüber der Konkurrenz geltend gemacht wird, werden i.d.R. ernst genommen und nicht als reklamehafte Übertreibung verstanden.557 Zu beachten bleibt indes zunächst, dass die Kennzeichnung eines Angebots als 226 „beste Ware“ oder „bestens“ (also der Verzicht auf die Verwendung des bestimmten Artikels) üblicherweise gerade nicht als Spitzenstellungsbehauptung aufgefasst wird, sondern nur als Hinweis auf sehr gute Qualität.558 Und selbst bei Verwendung des Superlativs mit bestimmtem Artikel deutet der Verkehr richtigerweise (s. bereits Rn. 34), jedenfalls werbliche Äußerungen hinsichtlich der geschmacklichen Qualität (die keinesfalls einfach in Aussagen über die durch Verkaufserfolge belegte Beliebtheit umgedeutet werden können)559 lediglich als Berühmung herausgehobener Qualität, mithin bestenfalls als Spitzengruppenwerbung:560 Wenn sich auch über geschmackliche Qualität von Genussmitteln durch Tests durchaus Basisfeststellungen mit Aussicht auf intersubjektiven Konsens treffen lassen, entziehen sich Geschmacksfragen doch andererseits einem absoluten Urteil. Über den besten Sekt, den besten Wein, das beste Bier gibt es nur mehr oder weniger konvergente Meinungen, kein Urteil mit Richtigkeitsanspruch. Zumindest nicht unter dem Gesichtspunkt nicht belastbarer Alleinstellungswerbung zu beanstanden sind deshalb: „Österreichs bester Kaffee;“561 „R. Der Alt-Meister“;562 „H. Das Pilsener“.563 Auch jenseits der Fallgruppe „Aussagen zur geschmacklichen Qualität“ ist in der Ausflaggung einer „Besten“-Aussage mit bestimmtem Artikel als Alleinstellungsbehauptung durchaus Zurückhaltung angezeigt: Der Slogan in einer Werbung für Kinderschuhe „Die Ersten sollten die Besten sein“ stellt für sich allein genommen keine Alleinstellungsbehauptung dar,564 ebenso soll es bei der Bewerbung eines Kopfschmerzmittels mit
_____
554 LG Hamburg 25.2.1997 – 312 O 49/97 – MD 1997, 794, 796. 555 So OLG Stuttgart 26.7.1991 – 2 U 56/91 – WRP 1992, 55, 57. 556 OLG Köln 30.4.2004 – 6 U 149/03 – MD 2004, 917, 919. 557 Statt aller: Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.155. 558 Statt vieler: Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 215. 559 Eindeutig verfehlt: OLG Düsseldorf 7.6.1979 – 2 U 144/78 – WRP 1979, 717, 719. 560 BGH 28.1.1957 – I ZR 88/55 – GRUR 1957, 285, 287 = WRP 1957, 173, 175 – Erstes Kulmbacher; OLG Köln 29.10.1982 – 6 U 115/82 – GRUR 1983, 135. A.A. freilich etwa OLG Hamburg 11.8.1977 – 3 U 65/77 – WRP 1977, 811, 812. 561 A.A. öOGH 3.5.1977 – 4 Ob 341/77 – ÖBl 1977, 166. 562 A.A. OLG Düsseldorf 7.6.1979 – 2 U 144/78 – WRP 1979, 717, 719. 563 A.A. OLG Celle 30.9.1987 – 13 U 65/87 – WRP 1988, 306, 307. 564 OLG Frankfurt 28.3.1996 – 6 U 33/95 – NJWE-WettbR 1997, 2.
747
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
„Keiner ist schneller“ sein, in dem der Leser allenfalls eine Spitzenstellungsbehauptung sehen soll.565 Umstritten sind solche Behauptungen im Mobilfunknetzbereich. Wer für Mobilfunknetze mit dem Versprechen „Schneller kann keiner“ wirbt, soll nach Ansicht des OLG Frankfurt nur eine Spitzenstellung bei der Übertragungsleistung in Mobilfunknetzen behaupten, zudem soll er richtig dahingehend verstanden werden, dass diese Leistung nur auf die in der Branche üblicherweise erzielte Geschwindigkeit bezogen wird, wobei Schwankungsbreiten toleriert werden.566 Das OLG Köln hat in der Behauptungen „Surfen im schnellsten Netz der Stadt“ eine Alleinstellungsbehauptung gesehen und gemeint, es müsse darauf hingewiesen werden, dass die erreichbare Geschwindigkeit nur ein Maximalwert sei.567 Wird ein Produkt zur Gewichtsreduktion als „das Original“ bezeichnet, soll dies dahingehend zu verstehen sein, dass es sich um das erste Produkt auf dem Markt oder jedenfalls um ein längere Zeit auf dem Markt befindliches Produkt handelt.568 „World’s lightest“ für ein Gepäckstück, wenn dieses nicht zur leichtesten seiner Klasse gehört.569 Da gezieltes In-Bezug-Setzen der eigenen Leistung zur Mitbewerberleistung mittel227 bar auch eine Aussage zum Leistungsverhältnis trifft, kann die Spitzenstellungsaussage auch konkludent erfolgen: Bei der Werbung mit Ergebnissen vergleichender Warentests beinhaltet die Werbung mit der isolierten Testnote „sehr gut“ zwar keine Alleinstellungs, wohl aber eine Spitzengruppenberühmung.570 Nur wer sich als „Testsieger“ bezeichnet, muss ggf. offenbaren, ob er sich den ersten Platz mit anderen Unternehmen teilt, sonst vermutet man eine Alleinstellung, nicht nur eine Spitzenstellung.571 Die Werbung mit der Testnote „gut“ dürfte hingegen nur die Erwartung von Überdurchschnittlichkeit wecken572 (und sollte deshalb begrifflich korrekterweise – s. Rn. 592 – entgegen verbreiteter Übung nicht mehr als Spitzengruppenwerbung benannt werden). Auch wenn der hinreichend informierte und verständige „Durchschnittsadressat“ weiß, dass man sich Siege teilen kann und muss, darf der im Test mit seinem Produkt ex aequo auf Rang 1 Gesetzte sich nicht vorbehaltlos als „Testsieger“ bezeichnen, sondern er muss ggf. angeben, ob es noch weitere Sieger gibt.573 Unverzichtbar ist wohl nur, dass die Zahl der entsprechenden Auszeichnungen bezogen auf die Zahl der insgesamt getesteten Produkte signifikant klein bleibt, im Übrigen keine Plusfaktoren den (Fehl-)Eindruck alleiniger Spitzenreiterschaft erwecken. Kasuistik: Musste sich das Anbieterprogramm den Sieg bei der Weltmeisterschaft für Schachcomputer mit einem Konkurrenzprodukt teilen, darf nicht von einem „souveränen Gewinn“ gesprochen werden: die Verwendung des Adverbs „souverän“ vermittelt den Eindruck eines nicht unerheblichen Vorsprungs vor jeglichem Konkurrenzpro-
_____
565 OLG Düsseldorf 10.11.2016 – 20 U 55/16 – WRP 2017, 586 Rz. 12 f.; vgl. auch OLG Nürnberg 14.9.2018 – 3 U 1138/18 – WRP 201, 1535 („beste Ausgangsstoffe/bestes Produkt“ für ein Schnupfenmittel). 566 OLG Frankfurt 2.1.2014 – 6 U 228/13 – GRUR-RR 2014, 159, 160. 567 OLG Köln 10.3.2017 – 6 U 124/16 – MMR 2017, 485, 486. 568 OLG Celle 4.9.2018 – 13 U 77/18 – WRP 2018, 1493. 569 OLG Frankfurt 14.2.2019 – 6 U 3/18 – WRP 2019, 648 (juris-Tz. 66). 570 OLG Frankfurt 31.1.1985 – 6 U 175/81 – WRP 1985, 495; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 325c; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.140; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 314; ausführlich Lindacher WRP 2014, 140; in casu i.E. ebenso, aber etwas großzügiger OLG Düsseldorf 17.9.2015 – 15 U 24/1 – GRUR-RR 2016, 208 Tz. 28 f.: „Testsieger“ bedeute lediglich, dass kein anderes getestetes Produkt besser abgeschnitten habe. 571 OLG Hamburg 27.6.2013 – 3 U 142/12 – GRUR-RR 2013, 437, 438. 572 BGH 11.3.1982 – I ZR 71/80 – GRUR 1982, 437, 438 = WRP 1982, 413 f. – Test Gut. 573 OLG Hamburg 27.6.2013 – 3 U 142/12 – GRUR-RR 2013, 437, 438; Kappe/Zagouras WRP 2008, 1035, 1037; einschränkend BGH 13.2.2003 – I ZR 41/00 – GRUR 2003, 800, 802 = WRP 2003, 1111, 1113 – Schachcomputerkatalog; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 314.
Lindacher/Peifer
748
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
dukt.574 Wer eine „konkurrenzlose“ Dienstleistung bewirbt, führt irre, wenn bereits ähnliche Angebote existieren.575 cc) Preiswerbung. Substantiierte Aussagen zur Preisbemessung des eigenen Ange- 228 bots im Vergleich zur Konkurrenz werden ernst genommen. Allgemein gehaltene Preisgünstigkeitsberühmungen werden hingegen eher relativiert; der Verkehr rechnet auf Grund einschlägiger Erfahrung bei der Preiswerbung tendenziell eher mit Übertreibungen als auf dem Feld der produkt- und unternehmensbezogenen Werbung. Für die Einordnung der konkreten Preisgünstigkeitsberühmung durch den Verkehr 229 zählen neben Wortlaut und Aufmachung auch und vor allem: der Umstand, ob die Preisaussage mit Bezug auf einzelne, konkret bestimmte Artikel oder mit Bezug auf das Gesamtsortiment bzw. ganze Sortimentsteile getroffen wird, weiter die Zahl der Wettbewerber und die Intensität des Preiswettbewerbs, schließlich die Enge bzw. Weite des örtlich relevanten Markts. „Der beste Preis der Stadt“ für ein genau definiertes Kopplungsangebot Handy-Netzkartenvertrag verspricht vorbehaltlose Alleinstellung.576 Wer auf dem Berliner Zeitungsmarkt seine Preise als „unerreicht günstig“ bezeichnet, behauptet, mit seinem Angebot alle Konkurrenten preislich zu unterbieten.577 Beim Werbespruch eines Elektro-Markts „Die Konkurrenz versucht krampfhaft unsere Preise zu unterbieten. Geht nicht.“ erwartet der Verkehr zwar den absolut besten Preis als Regel, aber nicht, dass bei jedem Artikel der niedrigste Preis geboten wird (Alleinstellungsbehauptung mit ungeschriebenem „Ausreißervorbehalt“).578 Werbung mit „Tiefstpreisen“ lässt zwar nicht unbedingt Preise erwarten, die von keinem Mitbewerber unterboten werden,579 allemal aber Preise am untersten Ende der Marktpreisskala,580 bei sortimentsbezogener einschlägiger Werbung möglicherweise wiederum mit der Maßgabe, dass ausgesprochene „Ausreißerfälle“ unschädlich bleiben. Bei plakativen, an der Grenze der Abgegriffenheit liegenden Preisschlagworten wie „Superpreise“, „Preisknüller“, „Preise, die Kopf stehen lassen“ reduziert der Verkehr die Aussage auf einen realistischen Kern, wobei wiederum nicht zuletzt danach zu unterscheiden sein dürfte, ob die Preiswerbung sich auf einzelne, exakt benannte Artikel oder ein Sortiment bezieht: Im ersten Fall stellt der Verkehr eher strenge Anforderungen, im zweiten beschränkt sich die Erwartung eher auf Preise im unteren Preisniveau. Kasuistik: Alleinstellung bejaht: Für die Ankündigung „Immer der günstigste Preis. Garantiert“581 und für die werbliche Äußerung eines Software-Anbieters „… für Sie immer auf der Suche nach den günstigsten Internet-Tarifen“: Angabe wird vom Verkehr dahin verstanden, dass von der beworbenen Software immer die absolut niedrigsten Tarife gesucht werden.582 Für die Werbung „Fernsehgeräte kauft man am besten dort, wo die Preise am tiefsten sind“ (zweifelhaft).583 Für die die auf die eigene Geschäftsbezeichnung bezogene Pauschalberühmung „… ist billiger“ (schwerlich haltbar).584 Für den Slogan
_____
574 BGH 13.2.2003 – I ZR 41/00 – GRUR 2003, 800, 802 = WRP 2003, 1111, 1113 – Schachcomputerkatalog. 575 OLG Hamm 3.9.2013 – 4 U 82/13 – NJW-RR 2013, 1517, 1518. 576 OLG Hamburg 24.1.2007 – 5 U 204/05 – GRUR-RR 2007, 369. 577 KG 25.2.2003 – 5 U 272/02 – GRUR-RR 2003, 319. 578 OLG Hamburg 30.6.2005 – 3 U 147/04 – MD 2006, 706, 708. 579 So freilich Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 359; Harte/Henning/Völker D Rn. 78. 580 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.182; Ohly/Sosnitza Rn. 543. 581 OLG Hamburg 28.10.2009 – 5 U 204/07 – WRP 2010, 156. 582 OLG Hamburg 11.2.2009 – 5 U 130/08 – WRP 2009, 1572. 583 OLG Bremen 2.7.1998 – 2 U 131/97 – WRP 1999, 214. 584 OLG Zweibrücken 24.10.1997 – 2 U 9/97 – GRUR 1998, 737.
749
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
eines Teppichhandel-Unternehmens „Warum wollen Sie woanders unbedingt mehr bezahlen?“ (kaum noch zeitgemäß).585 Für die Werbung einer Küchen-Kette „R. – Deutschlands Preismacher Nr. 1 – wir haben den besten Preis“ (mit Blick auf die Superlativdopplung beifallswert). 586 Lediglich Preisgünstigkeitsbehauptung unterhalb der Alleinstellung: Der Bezeichnung „Sparvorwahl“ für die Netzvorwahl eines Anbieters von Telefongesprächen im Festnetz im Call-by-Call-Verfahren entnimmt der „Durchschnittsverbraucher“ nur, dass er bei Inanspruchnahme dieser Dienstleitung Geld sparen kann, weil es sich um einen im Verhältnis zum allgemeinen Preisniveau niedrigen Preis handelt.587 Wer „Top-Preise“ beim Ankauf von Altgold bewirbt, behauptet relativ gute, aber keine Höchstpreise.588 Der Werbespruch eines Fachmarkts für Elektrogeräte und elektronische Artikel „Ich bin doch nicht blöd. M.Markt“ enthält nur einen pointierten und witzig formulierten allgemeinen Preiswürdigkeitshinweis.589 „Geld-zurück-Garantien“ fasst der Verkehr nicht nur als Einräumung eines (auf230 schiebend bedingten) Rücktritts- bzw. Minderungsrechts, sondern auch als Behauptung dahin auf, abgesehen von „Ausreißerfällen“ von keinem Konkurrenten preislich unterboten zu werden. 590 Ihre Verwendung neben expliziter Preisgünstigkeitsberühmung macht eine ansonsten vorbehaltslose Alleinstellungsbehauptung zur qualifizierten Spitzengruppenbehauptung mit „Ausreißervorbehalt“. Mehr kann und will eine in gutem Glauben gegebene Garantie nicht leisten.591 dd) Alleinstellungsberühmung mit Welt- bzw. Europabezug. Globalisierung und Europäisierung fördern Spitzenstellungsberühmung über den nationalen Markt hinaus: Zur Alleinstellungs- bzw. Spitzengruppenberühmung mit Bezug auf den deutschen Markt tritt die jeweilige Spitzenstellungsberühmung mit Welt- bzw. Europabezug. In Betracht kommt Spitzenstellungsberühmung mit Bezug auf den Welt- bzw. europäischen Markt als Gesamtmarkt, aber auch die Berühmung einer führenden Stellung auf allen bzw. allen wesentlichen Teilmärkten. 232 Mit Begriffen wie „Weltmarktführer“, „in der Welt/auf der Welt überhaupt die Nr. 1“, „Weltmeister“, „der meistverkaufte … der Welt“ reklamiert der Werbende Alleinstellung auf dem Gesamtmarkt. Gleiches gilt hinsichtlich entsprechender Begriffe auf der europäischen Ebene: Wendungen wie „Europas Nr. 1“, „Größter … Europas“, „Europas Meistverkaufter“ thematisieren die Position des Werbenden bzw. seines Produkts im europäischen Raum in seiner Gesamtheit. 233 „Weltweit“ bzw. „europaweit“ geht demgegenüber sprachlich darüber hinaus:592 Der Werbende berühmt sich des Innehabens einer näher bestimmten Spitzenstellung auf der ganzen Welt gleich überall, mithin auch in Bezug auf die jeweiligen Teilmärkte. Die Spitzenstellung auf dem Gesamtmarkt ist die logische Folge der Spitzenstellung auf den Teilmärkten. Da der Wortsinn bei der Ermittlung des Verkehrsverständnisses nur Ausgangspunkt ist, bleibt freilich Raum, den „Überall“-Anspruch in Vermeidung von Realitätsferne zu relativieren: Der angemessen verständige Verbraucher/Unternehmer erwartet die Einlösung der einschlägigen Spitzenstellungsbehauptung nicht unbedingt für alle 231
_____
585 OLG Saarbrücken 25.1.1989 – 1 U 96/87 – WRP 1989, 830. 586 LG Stuttgart 10.7.2009 – 40 O 44/09 – WRP 2009, 1314. 587 BGH 24.10.2002 – I ZR 100/00 – GRUR 2003, 361, 362 – Sparvorwahl. 588 OLG Köln 19.6.2015 – 6 U 173/14 – GRUR-RR 2016, 24 Tz. 16. 589 OLG Karlsruhe 23.4.1997 – 6 U 124/96 – WRP 1997, 865, 866 f. 590 Ohly/Sosnitza Rn. 479. 591 OLG Hamburg 28.10.09 – 5 U 204/07 – WRP 2010, 156. 592 A.A. – den Zusatz „weltweit“ schlicht der Formulierung „in der Welt die Nr. 1“ gleichsetzend – OLG Frankfurt 7.11.2002 – 6 U 12/00 – GRUR 2003, 1059, 1060.
Lindacher/Peifer
750
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
Teilmärkte, wohl aber für alle branchenspezifisch zu bestimmende wesentlichen Teilmärkte. Gleichwohl bleibt es, jedenfalls bei der Spitzenstellungsberühmung in Form der Alleinstellungswerbung, bei der mittelbaren Gesamtmarktberühmung. Wer auf allen wesentlichen Teilmärkten Spitzenreiter ist, hält die Spitzenstellung auch auf dem Gesamtmarkt. Auf der Basis des Konstatierten lassen sich folgende wichtige Aussagen treffen: 234 (1) Sowohl mit der Verwendung von Begriffen, denen der unmittelbare Gesamtmarktbezug inhärent, als auch mit der Verwendung der Begriffe „welt-“ bzw. „europaweit“ verspricht der Werbende Gesamtmarktvorrang. Wird die einschlägige Erwartung nicht eingelöst, ist die Werbung in beiden Varianten irreführend. – (2) Die Behauptung, Marktführer in einem bestimmten Segment in der Welt/in Europa zu sein, ist, wenn sie für den Gesamtmarkt zutrifft, nicht schon deshalb irreführend, weil die Spitzenstellung nicht zugleich auf dem deutschen Markt erreicht wird.593 Entgegen der h.M.594 verspricht der Werbende mit der Behauptung einer Alleinstellung auf dem Gesamtmarkt aber auch nicht konkludent eine bloße „erhebliche“ Präsenz auf den nationalen Teilmärkten. Der angemessen verständige Durchschnittsadressat ist sich bewusst, dass der Schluss von der Gesamtmarktposition auf eine Teilmarktposition Eigenspekulation, nicht ein vom Werbenden nahe gelegtes Zu-Ende-Denken ist: Ausländische Unternehmen, die auf dem Welt- oder europäischen Markt eine Alleinstellungsposition einnehmen, müssen legitimerweise mit diesem Pfund auch dann in Deutschland wuchern dürfen, wenn sie hier (noch) nicht in signifikanter Weise Fuß gefasst haben. Umgekehrt darf es auch einem deutschen Unternehmen, das im Wesentlichen dank seiner Inlandsleistung zugleich Gesamtmarktführer und Marktführer auf dem deutschen Markt ist, nicht verwehrt sein, auch dann mit der Welt- bzw. Europamarktführerschaft zu werben, wenn es an der Präsenz auf nationalen Teilmärkten fehlt, die zu den branchengenuin „wesentlichen“ Märkten zu zählen sind. Bejahte man eine einschlägige Fehlvorstellung, wäre dem Unternehmen im Wege ergänzender Interessenabwägung zu helfen. – (3) In der „Weltweit-“ bzw. „Europaweit“-Variante darf der Verkehr die reklamierte Spitzenstellung in aller Regel auch mit Bezug auf den Inlandsmarkt erwarten: Der deutsche Markt zählt aus der Perspektive des im Inland Umworbenen so gut wie immer zu den „wesentlichen“ Teilmärkten.595 – (4) Spitzenstellung auf dem Gesamtmarkt und dem Inlandsmarkt rechtfertigt nicht ohne Weiteres die Behauptung welt- bzw. europaweiter Alleinstellung. Die entsprechende Werbung führt irre, wenn es an der führenden Position auf einem anderen wesentlichen Teilmarkt fehlt. e) Spitzengruppenwerbung: Ausdrucksmittel. Zumindest Spitzengruppen-, wenn 235 nicht gar Alleinstellungswerbung (s. Rn. 206 f.) ist die Werbung mit dem negativen Komparativ („keiner ist besser“). Die einschlägige Werbung ist unzulässig, wenn nicht einmal der Anspruch eingelöst wird, man werde von niemandem übertroffen. Typische Formen schlichter Spitzengruppenwerbung sind: die Behauptung, man 236 gehöre zum Kreis der in einer bestimmten Beziehung gegenüber der Konkurrenz Herausgehobenen (Beispiele: „Eines der größten Möbelhäuser Deutschlands“,596 „und schon
_____
593 Seit dem overruling von BGH 1.10.1971 – I ZR 51/70 – GRUR 1972, 129, 130 – Der meistgekaufte der Welt durch BGH 15.2.1996 – I ZR 9/94 – GRUR 1996, 910, 911 – Der meistverkaufte Europas allg.M.; statt vieler: Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.81; Ohly/Sosnitza Rn. 648. 594 BGH 15.2.1996 – I ZR 9/94 – GRUR 1996, 910, 911 – Der meistverkaufte Europas; Köhler/Bornkamm/ Feddersen Rn. 4.81. 595 Im Ergebnis richtig deshalb OLG Karlsruhe 25.7.1984 – 6 U 2/84 – WRP 1984, 635 („weltweit Schlepperhersteller Nr. 1“). 596 OLG Köln 15.11.2002 – 6 U 128/02 – MD 2003, 360, 362.
751
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
spielen wir ganz oben mit – auf der Dachterrasse im Segment Wochenzeitschriften“),597 ferner die Behauptung, bei dem beworbenen Artikel handele es sich um ein „Spitzenprodukt“.598 Ein „Spitzenerzeugnis“ muss dabei hinsichtlich der Güte zur Spitzengruppe aller Produkte der einschlägigen Gattung zählen. Eine Beschränkung der Spitzengruppenberühmung in Bezug auf eine bestimmte Preisklasse muss, sofern sie nicht für den angesprochenen Verkehr ohnehin auf der Hand liegt, gegebenenfalls ausdrücklich erfolgen.599 Werden auf dem Inlandsmarkt neben deutschen Produkten auch Produkte ausländischer Herkunft angeboten, erwartet der Verkehr von einem „deutschen Spitzenerzeugnis“, dass es sich um ein deutsches Erzeugnis aus der Spitzengruppe aller konkurrierenden Produkte handelt; ein Spitzengruppenrang unter den deutschen Herstellern genügt per se nicht.600 Wer als Röhrenhersteller geltend macht, er liege mit seinen Produkten hinsichtlich 237 bestimmter Eigenschaften „absolut an der Spitze“, trifft ob der Doppelung freilich eine Alleinstellungsberühmung.601 III. Geschäftliche Relevanz Schrifttum Alexander Grundfragen des neuen § 3 UWG – Systematik, Anwendungsbereich, Abgrenzungen, Verbraucherbezogenes und unternehmensbezogenes Lauterkeitsrecht, WRP 2016, 411; V. Deutsch Der Einfluss des europäischen Rechts auf den Irreführungstatbestand des § 3 UWG – Gedanken zum VerbraucherLeitbild und zur Relevanz bei Täuschungen, GRUR 1996, 54; Henning-Bodewig Relevanz der Irreführung, UWG-Nachahmungsschutz und die Abgrenzung Lauterkeitsrecht/IP-Rechte, GRUR-Int. 2007, 896; Klette Zur Relevanz der Herkunftstäuschung im Wettbewerbsrecht, NJW 1986, 359; Köhler Zur „geschäftlichen Relevanz“ unlauterer geschäftlicher Handlungen gegenüber Verbrauchern, WRP 2014, 259; Omsels Die geschäftliche Entscheidung, WRP 2016, 553; Sack Die relevante Irreführung im Wettbewerbsrecht, WRP 2004, 521; ders. Immanente Schranken des Irreführungsverbots, FS Köhler (2014) 555; ders. Irreführungsverbot und Interessenabwägung in der deutschen Rechtsprechung, GRUR 2014, 609; Scherer Die „wesentliche Beeinflussung“ nach der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, WRP 2008, 708; Wuttke Neues zur wettbewerbsrechtlichen Relevanz und Interessenabwägung bei der irreführenden Werbung, WRP 2003, 839.
1. Grundlagen 238
a) Begriff und Zweck. Lauterkeitsrecht fordert Wahrheit nicht um ihrer selbst willen. Das Desinformationsverbot des § 5 erfasst in Verfolgung seiner Schutzziele nur Irreführungsfälle von geschäftlicher Relevanz. Das folgt seit der UWG-Novelle 2015 auch aus dem Tatbestand der Norm (unten Rn. 241). Mit Blick auf den Marktgegenseite-, insbesondere den Verbraucherschutz müssen die Angaben geeignet sein, Fehlvorstellungen von potentieller Geschäftsentscheidungserheblichkeit auszulösen. Mit Blick auf den Mitbewerberschutz geht es um Angaben, die geeignet sind, via Auslösung von Fehlvorstellun-
_____
597 OLG Hamburg 12.5.1999 – 3 U 179/98 – AfP 2000, 366. 598 BGH 14.4.1961 – I ZR 150/59 – GRUR 1961, 538, 539 f. – Feldstecher; Harte/Henning/Weidert C Rn. 58; Ohly/Sosnitza Rn. 272. 599 BGH 14.4.1961 – I ZR 150/59 – GRUR 1961, 538, 540 – Feldstecher; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 228. 600 BGH 23.3.1973 – I ZR 33/72 – GRUR 1973, 594 – Ski-Sicherheitsbindung; Köhler/Bornkamm/ Feddersen Rn. 2.105. 601 OLG Hamm 4.3.1980 – 4 U 37/79 – WRP 1980, 500; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.142.
Lindacher/Peifer
752
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
gen beim Adressaten der Konkurrenz zu schaden. Diese „doppelte Zielrichtung des Relevanzerfordernisses“ (Dreyer)602 fällt weithin nicht ins Auge, weil das eine (die Beeinträchtigung der Entscheidungsgrundlage der Marktgegenseiteangehörigen) mit dem anderen (der Schädigung der Konkurrenz) Hand in Hand geht. Im Nichtüberschneidungsbereich genügt freilich eine der beiden Relevanzformen. b) Relevanzerfordernis und Unionsrecht. Das Relevanzerfordernis ist sowohl in 239 der RL 2005/29/EG (UGP-RL) als auch in der Irreführungs-RL in der Fassung 2006/114/EG ausdrücklich kodifiziert. Nach Art. 6 Abs. 1 UGP-RL gilt nur eine Geschäftspraxis als irreführend, wenn sie u.a. den „Durchschnittsverbraucher“ täuscht oder ihn zu täuschen geeignet ist und ihn „in jedem Fall tatsächlich oder voraussichtlich zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst, die er ansonsten nicht getroffen hätte“. Art. 2 lit. b Irreführungs-RL nennt als für den Begriff der irreführenden Werbung konstitutiv, dass die Täuschung „das wirtschaftliche Verhalten (sc. der Zielperson) beeinflussen kann oder einen Mitbewerber schädigt oder zu schädigen geeignet ist“. Der mittelbare Konkurrentenschutz (oben Rn. 238) ist also in der Irreführungsrichtlinie klar verankert, in der UGPRL ist die konkurrentenschützende Wirkung nationaler Umsetzungsnormen angesprochen (Erwägungsgrund Nr. 6) und zugelassen. Grenzt man das Geltungsregime der beiden Richtlinien dahin ab, dass die Irre- 240 führungs-RL auch bei verbraucheradressierter Werbung maßgeblich bleibt, wenn die irreführende Verbraucheransprache ausschließlich die Mitbewerber schädigt (Vor §§ 5, 5a Rn. 38), bleibt es auch und gerade vom Unionsrecht her bei der uneingeschränkten (Fort-)Geltung des Relevanzerfordernisses doppelter Zielrichtung.603 Allerdings eröffnet das Unionsrecht den auf der UGP-RL basierenden Irreführungsschutz nicht, wenn nur Konkurrenteninteressen betroffen sind, Verbraucherinteressen jedoch unberührt bleiben. Indem das deutsche Recht das Relevanzerfordernis in § 5 Abs. 1 S. 1 nun insgesamt kodifiziert hat, wäre ein solches Verhalten nicht mehr durch § 5 verbietbar. Der vermutlich akademisch bleibende Fall ist unionsrechtlich aber hinnehmbar, weil die die Irreführungsrichtlinie nur einen Mindestschutz eröffnet, den Mitgliedstaaten also noch Spielraum bei der Umsetzung belässt. c) Standort im Irreführungstatbestand. Anders als Art. 6 Abs. 1 UGP-RL und Art. 2 241 lit. b Irreführungs-RL sprach § 5 das Relevanzerfordernis bis zur Reform 2015 nicht ausdrücklich an. Eine verbreitete Meinung604 sah sich deshalb in der Relevanzfrage auf die 2015 gestrichene Spürbarkeitsklausel des § 3 verwiesen, ging freilich bei zu bejahender geschäftlichen Relevanz für den „Regelfall“ von einer spürbaren Beeinträchtigung aus. Andere lasen die geschäftliche Relevanz als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal in den Begriff der Irreführung hinein.605 Diese zusätzlichen Denkschritte sind unnötig geworden, seit der Gesetzgeber in Um- 242 setzung des Art. 6 Abs. 1 UGP-RL das Erfordernis der geschäftlichen Relevanz einer Irreführung 2015 in § 5 Abs. 1 S. 1 kodifiziert hat. Der EuGH hat zwischenzeitlich klarstellt, dass eine festgestellte Irreführung für sich genommen bereits unlauter ist, solange sie
_____
602 Harte/Henning/Dreyer B Rn. 206. 603 Harte/Henning/Dreyer B Rn. 206. 604 Statt mancher: Henning-Bodewig GRUR Int 2007, 986, 989 m.w.N. 605 BGH 26.2.2009 – I ZR 219/06 – GRUR 2009, 888 Tz. 18 = WRP 2009, 1080 – Thermoroll; 18.1.2012 – I ZR 104/10 – GRUR 2012, 942 Tz. 11 = WRP 2012, 1094 – Neurologisches/Vaskuläres Zentrum; Jestaedt Rn. 626; Klette NJW 1986, 359, 360; Hösl S. 190 „Verhaltensrelevanz“.
753
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
geschäftliche Relevanz hat.606 Auf das weitere Relevanzerfordernis, dass für Verstöße gegen die berufliche Sorgfaltspflicht in Art. 5 Abs. 2 lit. b UGP-RL verlangt wird, kommt es insoweit nicht mehr an. Eine geschäftlich relevante Irreführung ist vielmehr ein Sonderfall der Unlauterkeit,607 so dass es weder eines Rückgriffs auf Art. 5 UGP-RL noch weiterer Spürbarkeitserfordernisse bedarf. Diese Aussage ist auch deshalb wichtig, weil Art. 5 Abs. 2 nur Praktiken erfasst, die von „wesentlicher“ Relevanz sind, während Art. 6 Abs. 1 UGP-RL eine Irreführung genügen lässt, die zu einer Entscheidung führt, die ohne Irreführung nicht getroffen worden wäre. Allenfalls kann man hierin eine Konkretisierung des Wesentlichkeitserfordernisses sehen. § 5 Abs. 1 S. 1 verlangt aber ebenso wenig wie Art. 6 Abs. 1, dass die durch Irreführung zu einer „wesentlichen Beeinflussung“ führen muss.608 Spätestens hierdurch ist das alte Spürbarkeitserfordernis des deutschen UWG überflüssig geworden. Daraus folgt, dass die geschäftliche Relevanz aufbaumäßig nach der Fehlvorstel243 lungsfeststellung zu prüfen ist. Die beiden Voraussetzungen – Irreführung und Relevanz – konkretisieren die Unlauterkeit abschließend, bei normativ geleiteter Auslegung bedarf es einer nachgeordneten Interessenabwägung dann grundsätzlich nicht mehr (Rn. 268 ff.). 244
d) Bedeutung. Vom Werbenden ausgelöste Fehlvorstellungen, die ihm ungünstig sind, fallen denklogisch nicht bereits von vornherein aus dem Anwendungsbereich des § 5.609 Sie lassen sich über die Figur der geschäftlichen Relevanz aussondern.610 2. Eignung zur Beeinflussung der geschäftlichen Entscheidung
245
a) Grundaussagen. Eine in Anwendung allgemeiner Grundsätze konstatierte Irreführung ist allemal relevant, wenn sie objektiv geeignet ist, Mitglieder des maßgeblichen Verkehrs zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die sie ansonsten nicht getroffen hätten. Dass es sich bei dem Merkmal, über das irregeführt wird, um das für die Geschäftsentscheidung vorrangige Motiv handelt, ist nicht erforderlich. Bei einem Motivbündel reicht es vielmehr aus, dass der Umstand, der Gegenstand der Irreführung, geeignet ist, das wirtschaftliche Verhalten mit zu beeinflussen.611 Auch muss die Entscheidung nicht „wesentlich“ beeinflusst werden (oben Rn. 242). Der Begriff der geschäftlichen Entscheidung wird weit verstanden und umfasst alle Entscheidungen, die unmittelbar im Zusammenhang mit einem Erwerbsakt stehen.612 Geschäftliche Entscheidung im Sinne des § 5 Abs. 1 S. 1 ist daher nicht erst der Produkterwerb, sondern jede im Vorfeld des Erwerbs getroffene Entscheidung, die Kosten oder auch nur Zeitaufwand
_____
606 EuGH 19.9.2013 – C-435/11 – GRUR Int. 2013, 1060 Tz. 42 f. – CHS/Team4Travel; EuGH 19.12.2013 – C-281/12 – GRUR 2014, 196 Tz. 27 – Trento Sviluppo/AGCM; EuGH 16.4.2015 – C-388/13 – GRUR 2015, 600 Tz. 62 – Ungarische Verbraucherschutzbehörde/UPC. 607 EuGH 23.4.2009 – C-261/07, C-299/07 – GRUR 2009, 599 Tz. 55 – VTB/Total: „präzise Kategorie (einer) unlauteren Geschäftspraktik“. 608 Unklar insoweit die Kapitelüberschrift bei Harte/Henning/Dreyer B Rn. 208; anders auch noch Vorauflage/Lindacher. 609 MünchKommUWG/Ruess Rn. 217 f.; anders Vorauflage/Lindacher. 610 BGH 27.6.2002 – I ZR 19/00 – GRUR 2002, 1095, 1096 = WRP 2002, 1430, 1432 – Telefonische Vorratsmengenanfrage für den Fall, dass eine beworbene Ware am Tag des Erscheinens der Werbung im Geschäft vorrätig ist, einem Kaufinteressenten aber auf telefonische Anfrage die Auskunft erteilt wird, sie sei noch nicht eingetroffen. 611 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 159 a.E.; MünchKommUWG/Ruess Rn. 208. 612 Dazu Omsels WRP 2016, 553, 555.
Lindacher/Peifer
754
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
erfordert. Dazu gehört das Betreten eines Ladenlokals,613 aber auch das Aufsuchen einer Internetressource,614 um aufgrund vorangegangener geschäftlicher Ansprache ein Angebot zu suchen (und in einen virtuellen Warenkorb zu legen)615 oder sich eingehender damit zu befassen. Auch die nähere Befassung mit einer Werbeanzeige, die über das bloße Betrachten hinausgeht,616 ist bereits geschäftlich relevant,617 weil sie zeitliche Ressourcen beansprucht. Bei redaktionell getarnter Werbung muss man konsequenterweise argumentieren, dass schon das Lesen eines redaktionell aufgemachten Artikels geschäftliche Handlung des Verbrauchers ist (unten § 5a Rn. 205). Bei bestimmten nicht realitätskonformen Angaben ist deren Relevanz greifbar. Dazu 246 gehören zentrale unternehmens- und produktbezogene Angaben, Angaben zur Preisund Kostenseite, den Zahlungs- und Liefer- bzw. Leistungsbedingungen, ferner Angaben zu Leistungsstörungs- und Widerrufsrechten. Die Kataloge des § 5 Abs. 1 S. 2 und des § 5a Abs. 3 signalisieren Relevanz der dort benannten Merkmale, lässt aber keinen Gegenschluss dahin zu, dass Fehlvorstellungen über dort nicht benannte Umstände irrelevant sind.618 Die Relevanz einer Irreführung für die geschäftliche Entscheidung ist daher stets zu prüfen und sie darf nicht ohne weitere Erwägung oder konkreten Vortrag vom Gericht vermutet werden.619 Daher muss im Instanzverfahren vorgetragen werden, warum eine übergroße Verpackung Relevanz für die Erwerbsentscheidung eines wesentlichen Anteils der Verbraucher haben kann.620 Die typische Relevanz einer Angabe kann dazu führen, dass der Unternehmer sekundär darzulegen hat, warum diese Angabe auch in der konkreten Situation einer Ansprache für einen bestimmten Adressaten keine Rolle gespielt hat.621 Kasuistik: Kontoauskünfte, die einen positiven Kontostand ausweisen, in denen auch noch nicht wertgestellte Gutschriften einbezogen sind, wecken beim Durchschnittsverbraucher Fehlvorstellungen darüber, in welchem Umfang er ohne Zinsbelastung verfügen kann. Die entsprechenden Fehlvorstellungen sind relevant: Der Kunde läuft Gefahr, im Glauben an entsprechende Deckung in die Zinsfalle zu tappen.622 Können auf einem CD-Multiplayer entgegen werblicher Ankündigung keine Video-CDs abgespielt werden, wird der Kunde in relevanter Weise getäuscht: der Umfang der Nutzbarkeit spielt für den Verbraucher eine wichtige Rolle.623 Erwartet der Verkehr aufgrund der Firmenbezeichnung „Bundesdruckerei“, dass die Bundesrepublik mindestens Mehrheitsgesellschafterin ist, kann die damit verbundene Erwartung einer verlässlichen Bonität die Entscheidung über eine Auftragsvergabe erheblich beeinflussen.624 Werden einem
_____
613 EuGH 19.12.2013 – C-281/12 – GRUR 2014, 196 Tz. 36 – Trento Sviluppo; BGH 4.2.2016 – I ZR 194/14 – WRP 2016, 450 Rn. 31 – Fressnapf. 614 BGH 28.1.2016 – I ZR 231/14 – GRUR 2016, 399 Tz. 16 – MeinPaket.de; BGH 28.4.2016 – I ZR 23/15 – GRUR 2016, 1073 Tz. 34 – Geo-Targeting; Köhler WRP 2014, 259, 260. 615 OLG Hamm 4.8.2015 – 4 U 66/15 – WRP 2015, 1381 Rn. 25. 616 BGH 18.12.2014 – I ZR 129/13 – GRUR 2015, 698 Tz. 20 – Schlafzimmer komplett. 617 OLG Frankfurt 23.11.2015 – 6 W 99/15 – GRUR-RR 2016, 25 Rz. 11 (Bei Magenta EINS inklusive); ebenso OLG Koblenz 3.12.2014 – 9 U 354/12 – NZA-RR 2015, 145 Tz. 29, a.A. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 2 Rn. 159. 618 Harte/Henning/Dreyer B Rn. 222. 619 Auf die wachsende Bedeutung dieses Tatbestandsmerkmals weist hin Alexander GRUR 2018, 436, 437. 620 BGH 11.10.2017 – I ZR 78/16 – GRUR 2018, 436 Tz. 33 – Tiegelgröße m. Anm. Alexander. 621 So für die parallele Frage in § 5a Abs. 2 BGH 2.3.2017 – I ZR 41/16 – GRUR 2017, 922 Tz. 32 – Komplettküchen. 622 BGH 27.6.2002 – I ZR 86/00 – GRUR 2002, 1093 – Kontostandsauskunft sowie BGH 11.1.2007 – I ZR 87/04 – GRUR 2007, 805 Tz. 17 ff. – Irreführender Kontoauszug. 623 BGH 9.2.1999 – I ZR 71/97 – GRUR 1999, 1011, 1013 – Werbebeilage. 624 BGH 29.3.2007 – I ZR 122/04 – GRUR 2007, 1079 Tz. 27 ff. – Bundesdruckerei.
755
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
Verbraucher in einem Internetangebot Zinsangaben zu einer Tagesgeldanlage gemacht, ist eine dadurch bewirkt Irreführung relevant für die Entscheidung einen Hyperlink zu betätigen, der zu weiteren Informationen führt.625 Wer eine „Wiedereröffnung nach Totalumbau“ ankündigt, verleitet den Adressaten in relevanter Weise dazu, den Ort des Ereignisses aufzusuchen, insbesondere weil dort günstige Erwerbsmöglichkeiten vermutet werden.626 Relevanz für die Orientierung des Verbrauchers hat die Mitteilung einer nicht mehr existierenden Herstellerpreisempfehlung in einer aktuellen Preiswerbung.627 Keine Relevanz haben allgemeine Informationen über Lebensversicherungen, wenn die Angeschriebenen in der konkreten Situation keinerlei Entscheidungen zu treffen haben,628 die zutreffende, aber aufgrund einer an Italien anspielenden Aufmachung erfolgte Angabe, dass eine italienische Spezialität von einem Unternehmen in Deutschland hergestellt wurde.629 Geweckte Fehlvorstellungen mit Gesundheitsbezug sind allemal von starker Rele247 vanz. Kasuistik: Die Falschbehauptung, ein Konkurrenzprodukt verstoße gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften, führt in relevanter Weise irre.630 Ebenso ist es, bei der Angabe, der Konsum von E-Zigaretten sei – mit Ausnahme des damit verbundenen Nikotingenusses – gesundheitlich unbedenklich.631 In relevanter Weise irreführend ist die Behauptung, ein Produkt könne Schadstoffe neutralisieren und so die Gesundheit vor pathogenen Strahlungen und Umweltbelastungen schützen.632 Der Behauptung eines „Erfahrungssatzes“ des Inhalts, dass das werbliche Groß248 Herausstellen eines bestimmten Merkmals geschäftliche Relevanz einschlägiger Fehlvorstellung signalisiere,633 ist mit Skepsis zu begegnen.634 Streiten im Konkurrentenprozess beide Seiten mit erkennbar starkem Interesse über die Zulässigkeit einer bestimmten Bezeichnung, legt dies freilich in der Tat (Mit-)Bedeutung für die Geschäftsentscheidung der Marktgegenseite nahe. Kasuistik: Relevanz demgemäß zu Recht bejaht: Bei Streit zwischen Abteien mit großer Bierbrautradition und einer Brauerei, die sich auf keinerlei klösterliche Brautradition berufen kann, über die Bezeichnung eines Biers als „Kloster Pilsener“;635 bei Konkurrentenstreit über die Frage der Irreführung durch die Produktbezeichnung „Thermoroll“ statt „Termorol“, bei dem es im Kern um die beidseits in Anspruch genommene Berechtigung zur Führung der erstgenannten Bezeichnung ging.636 Der – früher durchaus verbreiteten – Übung, eine Marktentscheidungsrelevanz un249 reflektiert, zumindest vorschnell-spekulativ zu bejahen, steuert der Umstand, dass die Abgrenzung der relevanten von der irrelevanten Fehlvorstellung aus der Perspektive des verständigen Durchschnittsverbrauchers/Durchschnittsunternehmers zu treffen ist. Das Kriterium ist, nicht zuletzt mit Blick darauf, dass das Relevanzerfordernis im Irrefüh-
_____
625 OLG Düsseldorf 29.8.2014 – 20 U 175/13 – WRP 2014, 1340 Tz. 17 (Top Tagesgeld). 626 OLG Hamm 21.3.2017 – 4 U 183/16 – WRP 2017, 861 Tz. 55. 627 BGH 3.3.2016 – I ZR 110/15 – GRUR 2016, 961 Tz. 30 – Herstellerpreisempfehlung. 628 OLG Stuttgart 7.8.2015 – 2 U 107/14 – ZIP 2016, 927 (unter II. 2.2.1); insoweit nicht angegriffen in BGH 14.12.2017 – I ZR 184/15 – GRUR 2018, 423 – Klauselersetzung. 629 BGH 30.7.2015 – I ZR 250/12 – GRUR 2016, 406 Tz. 27 – Piadina-Rückruf. 630 BGH 20.9.2007 – I ZR 171/04 – GRUR 2008, 433 Tz. 29 – Saugeinlagen. 631 OLG Frankfurt 27.2.2014 – 6 U 244/12 – GRUR-RR 2014, 402, 403. 632 OLG München 12.2.2015 – 6 U 3700/13 – MD 2015, 340, 351. 633 So Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.184. 634 Gleichsinig: MünchKommUWG/Ruess Rn. 207. 635 BGH 7.11.2002 – I ZR 276/99 – GRUR 2003, 628, 630 – Klosterbrauerei. 636 BGH 26.2.2009 – I ZR 219/06 – GRUR 2009, 888 Tz. 18 ff. – Thermoroll.
Lindacher/Peifer
756
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
rungsbereich das Wesentlichkeitserfordernis des § 3 konkretisiert (Rn. 242) ernst zu nehmen. Kasuistik (Relevanz verneint): Für die Angabe „Tageszulassung mit 0 km“ wurde die Relevanz einer möglichen Irreführung über Zulassung auf den Händler verneint. Relevant ist für den potentiellen Autokäufer, ob das beworbene Fahrzeug – dem Zweck der Tageszulassung entsprechend – noch nicht im Straßenverkehr genutzt wurde.637 Die Anzeige für ein Marken-Mobiltelefon bewirkt keinerlei relevante Irreführung, wenn im Ladengeschäft nur ein entsprechendes Gerät vorrätig ist, bei dem zusätzlich die Markenund Typenbezeichnung der Telekom angebracht ist.638 Apothekenkunden werden nicht in erheblicher Weise irregeführt, wenn das mit Bild und Faksimileunterschrift des jeweiligen Apothekers versehene Editorial einer Kundenzeitschrift, mit dem Kunden persönlich angesprochen werden, nicht vom Apotheker persönlich verfasst ist.639 Wirbt ein Handelsvertreter in einer Anzeige mit der Angabe „direkt ab Fabrik“, mag ein nicht unerheblicher Teil des umworbenen Verkehrs der Annahme sein, die Anzeige stamme vom Hersteller selbst, der Geschäftsabschluss vollziehe sich ohne Einschaltung eines weiteren Gewerbetreibenden. Der allfälligen Irreführung fehlt indes die geschäftliche Relevanz, wenn die Kunden in unmittelbare vertragliche Beziehungen zum Hersteller treten und dieser die Lieferung und den Einbau der Ware selbst durchführt.640 Die Verwendung der Bezeichnung „Möbelhallen“ durch ein Unternehmen, das seine Geschäfts- und Ausstellungsräume in einem mehrstöckigen Gebäude hat, mag irreführend sein, weil der Verkehr unter „Halle“ gemeinhin ein größeres Gebäude, bestehend aus einem einzigen, hohen Raum, versteht. Die Divergenz zwischen Vorstellung und Wirklichkeit lässt das Publikum indes solange gleichgültig, als in dem Haus ebenso viele Möbel ebenso günstig und übersichtlich aufgestellt werden können wie in (zumindest) zwei Hallen.641 U.U. wirkt sich der Wechsel zu Referenzfigur des „Durchschnittsverbrauchers“ uni- 250 onsrechtlicher Prägung bereits auf der der Relevanzfrage vorgelagerten Ebene aus: Rettete der BGH642 die Zulässigkeit der Werbung eines Herstellers von Skibindungen mit den erzielten Rennerfolgen ohne expliziten Hinweis, dass die von Rennläufern benutzten Bindungen mit härteren Federn ausgestattet sind, noch via Verneinung der Relevanz, spricht heute alles bereits für eine Verneinung der Grundvoraussetzung Irreführung: Der normal informierte, angemessen verständige Durchschnittsverbraucher rechnet bei Produkten, die im Hochleistungsbereich unter Extrembedingungen eingesetzt werden, schwerlich mit absoluter Baugleichheit.643 Ist die Relevanzfrage nach den vorstehend entwickelten Kriterien positiv zu beant- 251 worten, bleibt unerheblich, dass dem Irregeführten ein Vertragslösungsrecht zusteht.644 b) Objektive Gleichwertigkeit des Angebots. Die geschäftliche Relevanz einer ir- 252 reführenden Angabe entfällt nicht ohne Weiteres deshalb, weil sich das Realangebot objektiv als gleichwertig oder gar vorteilhafter darstellt als der Irregeführte erwartet.645 Thematisiert ist nicht nur die Konkurrentenschutzfunktion (die Kundenumleitung 253 durch irreführende Angaben über tatsächlich gebotene Vorteile trifft die Mitbewerber
_____
637 638 639 640 641 642 643 644 645
757
BGH 13.1.2000 – I ZR 253/97 – GRUR 2000, 914, 915, 916 – Tageszulassung II. BGH 30.10.1997 – I ZR 127/95 – GRUR 1998, 949, 951 – D-Netz-Handtelefon. BGH 10.11.1994 – I ZR 201/92 – GRUR 1995, 125, 126 – Editorial I. BGH 19.5.1976 – I ZR 62/75 – GRUR 1976, 596, 597 – Aluminiumrolläden. OLG Stuttgart 28.3.1983 – 2 U 115/82 – WRP 1983, 447. BGH 7.7.1972 – I ZR 96/71 – GRUR 1973, 206, 207 = WRP 1973, 21, 22 – Skibindungen. Wie hier: MünchKommUWG/Ruess Rn. 216. OLG Hamburg 17.3.2005 – 5 U 84/04 – GRUR-RR 2006, 105, 107; Harte/Henning/Dreyer B Rn. 225. Statt vieler: Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 164; Ohly/Sosnitza Rn. 211.
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
nicht minder hart als die täuschende Reklame bei schlechter Ware oder Leistung), sondern zumindest in Bereichen wie Herkunfts- und Traditionswerbung auch die Marktgegenseitenschutzfunktion (oben Rn. 238): Ziel des lauterkeitsrechtlichen Desinformationsverbots ist es, dem Werbeadressaten eine möglichst unverfälschte Marktentscheidung zu ermöglichen. Im einschlägigen Such- und Auswahlprozess muss die „Definitionshoheit“ hinsichtlich der für erheblich erachteten Auswahlkriterien grundsätzlich demjenigen zukommen, dessen Marktentscheidung durch die Werbung beeinflusst werden soll.646 Wer Produkte bestimmter betrieblicher oder geografischer Herkunft präferiert, in Unternehmenstraditionen versteckte Qualitätsverheißungen sieht, handelt vielleicht nicht strikt rational, gleichwohl nicht unvernünftig. Irreführende Herkunfts- bzw. Traditionswerbung kommt auch bei allfälliger objektiver Angebotsäquivalenz Relevanz zu.647 Kasuistik: Für eine in Deutschland hergestellte Salami ungarischer Art darf auch dann nicht mit einer Aufmachung geworben werden, die eine Herkunft aus Ungarn suggeriert, wenn die Wurst in Beschaffenheit und Geschmack dem hohen Standard ungarischer Produkte genügt.648 – Ein nicht in Lübeck hergestelltes Marzipan darf auch dann nicht unter der Bezeichnung „Lübecker Marzipan“ in den Verkehr gebracht werden, wenn das fragliche Produkt die gleiche gehobene Qualität wie Marzipan aus der Hansestadt aufweist.649 Wer in einer „BY-Festhalle“ oder in einem „Bayerischen Biergarten“ Bier bestellt, darf ein in Bayern gebrautes Bier erwarten. Ausschank eines anderwärts gebrauten Biers führt in relevanter Weise irre.650 Entsprechendes gilt für die Wertschätzung bestimmter traditioneller Produkte. 254 Kasuistik: Ein Gebäck, das mit Butterreinfett und fraktioniertem Butterfett hergestellt ist, darf auch dann nicht als „Buttergebäck“ bezeichnet werden, wenn es in ernährungsphysiologischer und geschmacklicher Hinsicht einem mit „guter Butter“ hergestellten Gebäck gleichkommt.651 255
c) Entfallen der Irreführung vor Marktentscheidung. Wird der Irregeführte vor Abschluss des Geschäfts des Irrtums gewahr, scheidet die Relevanz unter dem Gesichtspunkt des Marktgegenseite-, insbesondere des Verbraucherschutzes (zur Relevanz unter dem Gesichtspunkt des Konkurrentenschutzes s. Rn. 256 ff.) zumindest nicht generell aus: Das Irreführungsverbot zielt auf die Verhinderung der Situation, dass der zunächst Getäuschte nur die Wahl hat, vom Geschäft Abstand zu nehmen und auf Geld- und Zeitkosten nennenswerter Größe sitzen zu bleiben, oder ein Geschäft zu tätigen, dass er an sich so gar nicht tätigen wollte. Auch eine enttarnte Irreführung bleibt geschäftsentscheidungsrelevant, wenn und soweit sie den Kunden in Bezug auf die unter veränderten Umständen zu treffende Entscheidung in eine echte Dilemmasituation gebracht hat. Der Abbruch der Irreführung unterbricht nicht den Kausalitätszusammenhang zwischen irreführender Geschäftshandlung und letztlich getroffener Marktentscheidung.652 Hinzu kommt, dass auch die der Marktentscheidung vorgelagerten Entscheidungen bereits
_____
646 Treffend: MünchKommUWG/Ruess Rn. 210. 647 MünchKommUWG/Ruess Rn. 209 f., 220; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.185, 2.183 f.; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 164. 648 BGH 10.4.1981 – I ZR 162/79 – GRUR 1981, 666, 667 – Ungarische Salami I; insoweit ähnlich BGH 30.7.2015 – I ZR 250/12 – GRUR 2016, 406 Tz. 22 – Piadina-Rückruf. 649 BGH 6.6.1980 – I ZR 97/98 – GRUR 1981, 71, 73 – Lübecker Marzipan. 650 OLG Köln 6.6.1997 – 6 U 202/96 – NJW-WettbR 1997, 282. 651 OLG Hamburg 31.8.1989 – 3 U 235/88 – GRUR 1990, 55, 56 f. – Butasan. 652 LG Leipzig 1.9.2016 – 5 O 21/16 – WRP 2017, 244 – Schadstoffklasse. Ähnlich MünchKommUWG/Ruess Rn. 220.
Lindacher/Peifer
758
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
geschäftliche Relevanz haben, soweit sie Zeit und Ressourcen beanspruchen (oben Rn. 245). Eindeutig zu spät ist eine Klarstellung, die erst nach dem Erwerb erfolgt. 3. Eignung zur Schädigung von Mitbewerbern. Geschäftliche Relevanz konstatierter Fehlvorstellung ist – Konsequenz der „doppelten Zielrichtung des Relevanzerfordernisses“ (Rn. 238) – auch dann zu bejahen, wenn dieselbe geeignet ist, Kunden zulasten der Konkurrenz umzuleiten oder ein grundsätzlich gegebenes Kundeninteresse an Produkten der beworbenen Art (auch an solchen der Konkurrenz) zu ersticken. Einschlägige Mitbewerberschädigung geht im Allgemeinen untrennbar mit der Beeinträchtigung der autonomen Marktentscheidung des durch die Falschangabe Irregeführten einher. Auch (s. bereits Rn. 255) in Fällen, in denen die Irreführung vor der Marktentscheidung aufgedeckt wird, die „abgebrochene Irreführung“ den Kunden indes in die Dilemmasituation bringt, bislang angefallene Kosten an Zeit, Geld und Mühe abzuschreiben oder ein gänzlich anderes Produkt aus dessen Sortiment zu erwerben und die Entscheidung letztlich zugunsten des aliud-Erwerbs ausfällt. Geschäftliche Relevanz unter dem Aspekt der Mitbewerberschädigung begegnet indes auch in durchaus eigenständiger Form: Auch ein reines Anlocken des Kunden mit irreführender Angabe ist jedenfalls dann geschäftlich relevant, wenn es dem Werbenden zulasten der Konkurrenz die Möglichkeit zu individueller Einflussnahme auf den Kunden verschafft und es nicht fern liegt, dass solche Einflussnahme zu einem Geschäftsabschluss führt.653 Kasuistik: Die Ankündigung einer Telefonaktion durch einen Lohnsteuerhilfeverein, Mitarbeiter stünden als Ansprechpartner in steuerlichen Fragen zur Verfügung, ist irreführend, wenn nicht darauf hingewiesen wird, dass nur Mitglieder im Rahmen der Aktion beraten werden. Die Aufdeckung dieses Umstands zu Beginn des Telefonats ändert nichts an der Relevanz der Irreführung: Mit der provozierten Kontaktaufnahme verschafft sich der werbende Verein zulasten konkurrierender Vereine die erfolgsträchtige Chance zur Mitgliederwerbung.654 In Betracht kommt endlich eine Mitbewerberschädigung als Folge gänzlicher Aufgabe der Erwerbsabsicht:655 Aufgedeckte Irreführung kann auch deshalb relevant bleiben, weil nach den Begleitumständen damit zu rechnen ist, dass ein Teil der an sich zum Produkterwerb entschlossenen Verbraucher zumindest temporär flächendeckend von einem Erwerb absieht. Dazu gehört der Fall, dass das von einem Lebensmittel-Discounter zu einem besonders günstigen Preis angebotene Notebook bereits nach kürzerer Zeit vergriffen ist.656 Zwar mag ein Interessent dann ohne Weiteres bereit sein, ein vergleichbares Modell zu einem deutlich höheren Preis anderwärts zu kaufen, allerdings hat er bereits Zeit und möglicherweise auch Kosten investiert, um die Verkaufsstätte aufzusuchen, die Anlockwirkung hatte also bereits geschäftliche Relevanz.
256
257
258
259
4. Keine Relevanzprüfung in Black-List-Fällen. Für den B2C-Bereich bleibt zu 260 beachten: Erfüllt das Unternehmerhandeln einen der im Anhang zu § 3 Abs. 3 aufgeführten Tatbestände, verbietet sich eine Prüfung der geschäftlichen Relevanz: Charakteristikum der „Schwarzen Liste“ ist gerade, dass die dort genannten Handlungen ohne weitere Wertungen oder Erheblichkeitsbetrachtungen unzulässig sind.
_____ 653 654 655 656
759
OLG Frankfurt 19.9.2013 – 6 U 183/12 – GRUR-RR 2014, 75 (nur aus Leitsatz erkennbar). BGH 28.6.2007 – I ZR 153/04 – GRUR 2008, 186 Tz. 31 = WRP 2008, 220 – Telefonaktion. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.198; Harte/Henning/Dreyer B Rn. 233. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.198.
Lindacher/Peifer
§5
261
Irreführende geschäftliche Handlungen
Geschäftliche Handlungen im Verhältnis zwischen Unternehmen sind vom Anhangskatalog zu § 3 Abs. 3 – in Übereinstimmung mit den Geltungsbereichsschranken der UGP-Richtlinie – nicht erfasst, konstatierte Fehlvorstellungen unterliegen auch dann der Relevanzprüfung, wenn sie im Unternehmer-Verbraucher-Verhältnis relevanzprüfungsfest wären. Der Umstand, dass das fragliche Verhalten im Verhältnis zum Verbraucher stets einen Lauterkeitsrechtsverstoß darstellen würde, ist freilich nicht selten ein starkes Relevanzindiz. IV. Irreführungsquote
1. Abschied von der Irreführungsquote als quantitativer Aufgreifschwelle. Kehrseite des früher gängigen Satzes, dass eine rechtlich erhebliche Irreführung grundsätzlich bereits dann vorliege, wenn die zu beurteilende werbliche Äußerung bei einem „nicht unerheblichen Teil“ des angesprochenen Verkehrs marktentscheidungsrelevante Fehlvorstellungen auslöst (Vor §§ 5, 5a Rn. 67 f.), war: Eine Konfusionsrate unterhalb dieser Schwelle blieb vom lauterkeitsrechtlichen Irreführungsverbot unerfasst. Eine werbliche Äußerung musste ein Mindestquantum an Irreführungsgefährdeten aufweisen, damit der Richter überhaupt in eine nähere Prüfung einzutreten hatte. Der einschlägige Schwellenwert wurde in Rechtsprechung und Lehre für den Regelfall in einem Korridor zwischen 10–15% des angesprochenen Verkehrs angesiedelt (näher zu alledem Erstaufl. § 3 a.F. Rn. 107 ff. m. Nachweisen). 263 Mit dem Austausch des Systemansatzes, dem Bekenntnis zur Referenzfigur des „Durchschnittsverbrauchers/Durchschnittsunternehmers“ (v §§ 5, 5a Rn. 71, 72), hat das feste Quorum als Aufgreifschwelle ausgedient. Das quantitative Filter wird durch ein qualitatives ersetzt, nicht ergänzt:657 Die erwünschte und gebotene Ausgrenzung von Fällen im Bagatellgrößenbereich leistet die Exklusion von Vorstellungen, die bei Zugrundelegung des Maßstabs der normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsperson nicht erklärbar sind.658 262
2. Fortwirkende Bedeutung im Rahmen der Bestimmung einer Irreführungsgefahr. Der Abschied von der Irreführungsquote als quantitativer Aufgreifschwelle hat nicht dazu geführt, dass Irreführungsquoten bei Konturierung des Irreführungsverbots des § 5 keinerlei Bedeutung mehr zukommt. Die Irreführungsquote (nunmehr freilich als Anteil der gruppenbezogen normal Informierten, angemessen Aufmerksamen und Verständigen zu verstehen) behält ihre Rolle bei der Bestimmung der Wahrscheinlichkeit einer Irreführung: Diese Wahrscheinlichkeit steigt jedenfalls dann, wenn aufgrund von Verkehrsbefragungen ein hoher Anteil an Irregeführten nachgewiesen werden kann, sie sinkt, wenn – auch aufgrund normativer Erwägungen – wahre Angaben zu beurteilen sind, bei denen zu erwarten ist, dass ein informierter und angemessen aufmerksamer Durchschnittsverbraucher keinen Irreführungsgefahren unterliegen wird.659 Die in die Waagschale zu werfende Quote betrifft immer die geschäftsentschei265 dungserhebliche Irreführung; sie kann in Fällen schwacher wettbewerblicher Relevanz der zu beurteilenden Angabe auch durchaus niedriger sein als die Grundquote.660
264
_____
657 A.A. – für Beibehalt einer quantitativen Aufgreifschwelle bezogen auf die Gruppe der „Durchschnittsverbraucher“ – freilich etwa Roderburg Irreführungsverbot 96 f. 658 Lindacher FS G. H. Roth 461, 467. 659 So i.E., wenn auch überwiegend mit Hinweis auf die ergänzende Interessenabwägung Götting/Kaiser/Hetmank § 11 C Rn. 32; Ohly/Sosnitza Rn. 150; Lindacher FS G. H. Roth 461, 466. 660 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.96.
Lindacher/Peifer
760
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
Löst die streitgegenständliche Angabe beim relevanten Verkehr unterschiedliche 266 (Fehl-)Vorstellungen aus, können und müssen dieselben aufsummiert werden, wenn und soweit sie eine gemeinsame Richtung, einen „gemeinsamen Nenner“ haben.661 Kasuistik: Die Bezeichnung „Königl.-Bayerische Weisse“ für ein Bier legt verschiedene Deutungen nahe, die sich auf den Grundnenner „Zusammenhang mit dem bayerischen Königtum“ bringen lassen: die Deutung, die Braustätte sei – bereits zu Zeiten des Königshauses – königlicher Besitz gewesen, die Deutung, sie sei Hoflieferant gewesen oder habe jedenfalls königlicherseits eine entsprechende Bezeichnungsbefugnis verliehen erhalten, schließlich wohl auch die Deutung, bei der Bierherstellung werde an Traditionen aus der Zeit des Königtums (insbesondere ältere Braurezepte) angeknüpft. Entspricht keine dieser Assoziationen der Realität, weil die einzige Beziehung zum früheren bayerischen Königshaus darin besteht, dass die Brauerei nach Ende des Zweiten Weltkriegs von einem Mitglied der Familie Wittelsbach erworben worden ist, bilden die beschriebenermaßen Irregeführten für die Ermittlung der Irreführungsquote eine einheitliche Gruppe.662 3. Restbedeutung gesamtverkehrsbezogener Irreführungsquoten. Die Beurtei- 267 lung der Frage, ob die behauptete geschäftsentscheidungserhebliche Fehlvorstellung – als gegeben unterstellt – rechtlich relevant oder aber, weil außerhalb des Vorstellungsbilds des „Durchschnittsmitglieds“ des angesprochenen Verkehrskreises liegend, irrelevant, ist Rechtsfrage. Mit der Statuierung von Mindestanforderungen hinsichtlich Informiertheit, Aufmerksamkeit und Verständigkeit werden normative Standards gesetzt. Gebotene Konkretisierung der einschlägigen Standards darf den Werbeadressaten fordern, freilich nicht überfordern, verlangt mithin eine gewisse „Erdung“ der der Referenzperson abverlangten (Mindest-)Eigenschaften. Insofern (und nur insofern)663 behalten auf Meinungsumfragen basierende empirische Werte in Form von Irreführungsquoten auch nach neuem Recht durchaus eine (Rest-)Relevanz: Personen, deren Fehlvorstellungen von einem Viertel bis zu einem Drittel des angesprochenen Verkehrs (bei allgemeiner Publikumswerbung: dem entsprechenden Anteil aller Verbraucher) geteilt wird, lässt sich kaum normale Informiertheit bzw. angemessene Aufmerksamkeit und Verständigkeit absprechen.664 V. Interessenabwägung Schrifttum Borck Die Interessenabwägung bei Irreführung, WRP 1985, 53; Hösl Interessenabwägung und rechtliche Erheblichkeit der Irreführung bei § 3 UWG, 1986; Klette Irreführungsschutz und Freihaltebedürfnis, GRUR 1986, 794; Lindacher Funktionsfähiger Wettbewerb als Final- und Beschränkungsgrund des lauterkeitsrechtlichen Irreführungsverbots, FS Nirk (1992) 587; Ohly Die Interessenabwägung im Rahmen des Irreführungsverbots und ihre Bedeutung für die Wertungseinheit von Lauterkeits- und Kennzeichenrecht, FS Bornkamm (2014) 423; Sack Irreführungsverbot und Interessenabwägung in der deutschen Rechtsprechung, GRUR 2014, 609; Sosnitza Zur Verwendung des Begriffs Kloster im Zusammenhang mit einem Bier, ZLR 2003, 482; Teplitzky Zur Methodik der Interessenabwägung in der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichts-
_____
661 Ohly/Sosnitza Rn. 151; Klette GRUR 1983, 414, 417 f. 662 BGH 21.2.1991 – I ZR 106/89 – GRUR 1992, 66, 68 = WRP 1991, 473, 475 – Königl.-Bayerische Weisse. 663 Kein Beibehalt des klassischen „deutschen Modells“ unter bloßer Verschiebung des Irreführungsquorums nach oben! Zumindest missverständlich BGH 8.3.2012 – I ZR 202/10 – GRUR 2012, 1053 Tz. 19 = WRP 2012, 1216 – Marktführer Sport. 664 Lindacher FS G. H. Roth 461, 469 f.
761
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
hofs, FS Vieregge (1995) 853; ders. Bezeichnung nach 150 Jahren irreführend? – Klosterbrauerei und Kloster Pilsener, LMK 2003, 130; Tetzner Interessenabwägung bei irreführender Werbung, JZ 1965, 605; Traub Probleme der Interessenabwägung bei Anwendung des § 3 UWG, FS Nirk (1992) 1017; Wuttke Neues zur wettbewerbsrechtlichen Relevanz und Interessenabwägung bei der irreführenden Werbung, WRP 2003, 839.
268
1. Notwendigkeit ergänzender Interessenabwägung. Löst die zu beurteilende Angabe zumindest bei Teilen des relevanten Verkehrs geschäftsentscheidungserhebliche Fehlvorstellungen aus, liegt grundsätzlich eine nicht hinnehmbare Irreführung i.S. von § 5 vor: Das Schutzinteresse des irregeführten Verkehrs, das Schutzinteresse der von der Umleitung der Nachfrage betroffenen Konkurrenten und das Allgemeininteresse an einem unverfälschten Leistungswettbewerb (Vor §§ 5, 5a Rn. 8 ff.) rechtfertigen das Verbot. Die ganz überwiegende Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum geht davon aus, dass Interessensonderlagen ausnahmsweise eine ergänzende Interessenabwägung erfordern, die dazu führen kann, einer festgestellten Irreführung die rechtliche Erheblichkeit zu nehmen.665 Der systematische Ansatz, das Ja zur Referenzfigur des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen „Durchschnittsverbrauchers/Durchschnittsunternehmers“ soll an der Notwendigkeit des Vorhaltens einschlägiger Korrekturmöglichkeit nichts geändert haben:666 Das ist zweifelhaft.667 Die Interessenabwägung war als Feinkorrektiv erforderlich, solange das Unionsrecht die Reichweite des Irreführungstatbestandes am Maßstab der Marktfreiheiten korrigieren musste. Mit zunehmender Harmonisierungstiefe kann das Lauterkeitsrecht selbst die nötige Feinsteuerung übernehmen. Bezeichnenderweise enthält die UGP-RL kein Korrektiv der in Deutschland praktizierten Art. Der normative Irreführungsbegriff erlaubt es, die Wertungen kennzeichnungsrechtlicher und bezeichnungsrechtlicher Vorschriften bei der Auslegung zu berücksichtigen, bei wahren Angaben gilt dies ebenso wie bei nützlichen Informationen. Letztlich ist eine nachgelagerte Interessenabwägung missbrauchsanfällig, weil sie Entscheidungen aus dem Bauch befördert und Begründungsdefizite kaschiert. Allenfalls bei eindeutig irreführenden Bezeichnungen, die zum wettbewerblichen Besitzstand geworden sind, mag die Interessenabwägung noch eine Rolle spielen. Auch hier geht es in der Sache aber um nichts anderes als eine verfassungskonforme Auslegung des Irreführungsverbots in der Abwägung mit Eigentumsinteressen an einer erworbenen Bezeichnung.668
269
2. Dogmatik und System. Diejenigen, die eine ergänzende Interessenabwägung für notwendig erachten, streiten über die nähere dogmatische Einordnung der Figur. Manche verankern die ergänzende Interessenabwägung bereichsweise zugunsten einer Verhältnismäßigkeitsprüfung.669 Zum Teil knüpfte man am 2015 gestrichenen Erheblichkeitserfordernis des § 3 an670 oder sah hierin ein ungeschriebenes Tatbestandselement
_____
665 Zur Entwicklung der Figur in der Rechtsprechung Hösl S. 11 ff. 666 Statt vieler: BGH 18.12.2012 – I ZR 137/11 – GRUR 2013, 409 Tz. 29 – Steuerbüro; BGH 30.7.2015 – I ZR 250/12 – GRUR 2016, 406 Tz. 26 – Piadina-Rückruf (beide zu objektiv wahren Angaben); MünchKommUWG/Ruess Rn. 225; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.200; Ohly/Sosnitza Rn. 218. 667 Harte/Henning/Dreyer B Rn. 240 (auf der Basis der Lehre von der normativen Verkehrsauffassung). 668 So i.E. auch BVerfG 29.10.1997 – 1 BvR 780/87 – GRUR 1998, 556, 559 (zur Reichweite der Art. 12, 14 GG) – Patentgebührenüberwachung; BVerfG 7.11.2002 – 1 BvR 580/02 – NJW 2003, 277, 278 – JUVEHandbuch (zur Reichweite des Art. 5 GG im Fall kommerziell veranlasster Meinungsäußerungen); etwas zurückhaltender Büscher/Büscher Rn. 223. 669 So – mit unterschiedlicher Grenzziehung – etwa Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.201 sowie Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 166; Büscher/Büscher Rn. 223 und 257; vgl. auch Fezer/Büscher/ Obergfell/Peifer Rn. 263 f. 670 So zB Götting/Nordemann Rn. 0.129.
Lindacher/Peifer
762
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
des § 5,671 Das der Feststellung der geschäftsentscheidungserheblichen Irreführung nachgeschaltet wird.672 In der Sache geht es bei all diesen Versuchen darum, den Tatbestand unter Berück- 270 sichtigung miteinander in Konflikt tretender verfassungsrechtlich geschützter Interessen (Werbefreiheit der Unternehmen, Informationsfreiheit der Nutzer, Verbraucherschutz der Abnehmerseite) verfassungskonform auszulegen. Soweit eine nachgeschaltete Prüfung also überhaupt erforderlich ist, kann es allenfalls um eine Angemessenheitsprüfung anhand verfassungsrechtlicher Maßstäbe gehen. In den meisten Fällen lässt sich diese verfassungskonforme Auslegung bereits in die Tatbestandsauslegung integrieren. Die vorstehenden Überlegungen sprechen dafür, das Instrument der ergänzenden 271 Interessenabwägung aufzugeben. Soweit die herrschende Meinung noch daran festhält, spielen die nachgeordneten Überlegungen dabei eine Rolle. 3. Allgemeine Aussagen. Das Gewicht der Verbotsinteressen wird bestimmt durch 272 die Breite der Irreführung (also die Konfusionsrate), durch die Irreführungsintensität (also die Höhe der Verhaltensrelevanz) sowie die potentiellen Täuschungsfolgen für die Marktgegenseite. Es macht evidenterweise einen Unterschied, ob die Fehlvorstellung nur „irgendwie“ geeignet ist, die Kaufmotivation zu steigern, oder ob es sich um einen für die Geschäftsabschlussentscheidung zentralen Punkt handelt. Besondere Zugkraft besitzen typischerweise673 alle Preisangaben, Angaben mit Gesundheits- und Naturbezug, eine Traditionswerbung, eine Werbung mit amtlichem Eindruck, jegliche Spitzenstellungswerbung oder aber Angaben, die Steuervorteile versprechen. Hinsichtlich der Irreführungsfolgen kommt nicht nur der Höhe, sondern auch der Art des (drohenden) Schadens einschlägige Bedeutung zu.674 Immaterielle Schutzinteressen besonderer Art sind beispielsweise tangiert: wenn gesundheitsbezogene Werbung zu einem potentiell gesundheitsschädlichen Verhalten verleitet; wenn die zu beurteilende Angabe geeignet ist, Fehlplanungen auf dem Gebiet der Ausbildung oder der Altersvorsorge zu verursachen (oben Rn. 247). Im Bereich der materiellen Schutzinteressen spielt beispielsweise die Dauer der Bindung, zu deren Eingehung die irreführende Angabe verleitet, eine Rolle: langfristige Bindungen (Kredit, Buchclubmitgliedschaft, Bauherrenmodell) stellen ihrer Natur nach Belastungen von Gewicht dar. Verbotsabwehrinteressen gegenüber diesen vom Normzweck des § 5 gedeckten Ver- 273 botsinteressen der Konkurrenten, Marktpartner und Allgemeinheit kommt allenfalls dann Prävalenz, wenn die Irreführungsgefahr quantitativ und qualitativ gering ist. Letztlich entscheiden jedoch immer die Bewertung und das Gegeneinander-Abwägen aller für und gegen das Verbot sprechender Interessen. Quantität und Qualität der Irreführungsgefahr sind besonders wichtige Elemente in einem beweglichen (Bewertungs-)System. Im Ausnahmefall – schlagendes Demonstrationsbeispiel die „Bocksbeutelflasche“Entscheidung675 mit einer Konfusionsrate von satten 47% – verlangt das Gewicht der
_____
671 Nach Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.202 ist die – bereichsreduzierte – Interessenabwägung dem § 5, die Verhältnismäßigkeitsprüfung dagegen § 3 zuzuordnen. Ähnlich Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 264, der das Anwendungsfeld der „eigentlichen Interessenabwägung“ freilich auf Fälle der Besitzstandswahrung beschränken will. Im Ergebnis für eine tatbestandliche Einbettung auch Übereinstimmend: Roderburg Irreführungsverbot 181 f.; MünchKommUWG/Ruess Rn. 225; Lettl WRP 2004, 1079, 1116. 672 Wie hier: MünchKommUWG/Ruess Rn. 225. 673 Siehe auch Hösl S. 219 ff. 674 Siehe auch Hösl S. 221 f. 675 BGH 12.3.1971 – I ZR 115/69 – GRUR 1971, 313 = WRP 1971, 266.
763
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
Verbotsgegeninteressen durchaus die Hinnahme einer marktentscheidungserheblichen Täuschung ganz erheblicher Teile des angesprochenen Verkehrs. 4. Typische für eine Interessenabwägung herangezogene Konstellationen 274
a) Gegeninteressen des Werbenden bzw. der Gruppe gleichartig Werbender. Das Interesse des Werbenden, eine bestimmte Angabe unbeschadet ihrer Eignung zu zumindest partieller Irreführung des relevanten Verkehrs (weiter) zu verwenden, kann reines Einzelinteresse sein. Wird die zu beurteilende Angabe gleichförmig von mehreren Werbenden verwendet, kommt es zu einer Bündelung von Individualinteressen: bei der Gewichtung ist die potentielle Parallelbetroffenheit der gleichartig Werbenden mitberücksichtigen.
275
aa) Namensgebrauch. Unter dem Aspekt der Interessenabwägung wird traditionellerweise die Fallkonstellation erörtert, dass firmen- oder kennzeichenmäßiger Gebrauch des eigenen Namens geschäftsentscheidungserhebliche Fehlvorstellungen auslöst: Zumindest früher war wohl in der Tat davon auszugehen, dass die Verwendung ausländischer Personennamen in Branchen, in denen vom Verkehr Produkten einer bestimmten ausländischen Provenienz besondere Wertschätzung entgegengebracht wird, zumindest Teile des Verkehrs dazu veranlasste, aus der Führung eines einem Präferenzland zuordenbaren Namens auf die Herkunft des Produkts aus selbigem zu schließen. Ob unter Anlegung des Maßstabs des „Durchschnittsverbrauchers europäischer Prägung“ der Tatbestand der Irreführung i.e.S. auch heute noch als erfüllt angesehen werden kann, ist zweifelhaft: Der normal informierte, angemessen aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher unserer Tage dürfte sich im Regelfall bewusst sein, dass die Führung eines ausländischen Namens vielfältige Gründe haben kann und nicht ohne weiteres darauf hindeutet, dass eine unter diesem Namen geführte Firma ausländische Produkte vertreibt, die markenmäßige Namensverwendung Auslandsherkunft des gekennzeichneten Produkts signalisiert.676 Falls man nicht bereits den Tatbestand der Irreführung i.e.S. verneint, hilft dem Namensträger jedenfalls die ergänzende Interessenabwägung: Gewerbetreibenden muss es im Grundsatz allemal unbenommen bleiben, ihren Namen als Firmen- und/oder Produktkennzeichen zu verwenden.677 Zum selben Ergebnis kommt man aufgrund einer verfassungskonformen Begrenzung des Irreführungsverbots (oben Rn. 270). bb) Besitzstand
276
(1) Langjährige unbeanstandete Praxis. Werbung, die zumindest bei Teilen des relevanten Verkehrs marktentscheidungsrelevante Fehlvorstellungen auslöst, muss grundsätzlich auch dann bekämpft werden können, wenn sie längere Zeit unbeanstandet praktiziert wurde. Unterlassungsansprüche nach §§ 3, 5 unterliegen insbesondere nicht der Verwirkung:678 Der Verwirkung fähig sind von vornherein nur Ansprüche, die der Durch-
_____
676 Zutreffend: MünchKommUWG/Ruess Rn. 231. 677 Allg.M.; statt vieler: Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.211; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 181. Beispielsfall in der Vergangenheit BGH 25.10.1957 – I ZR 136/56 – GRUR 1958, 185 – Wyeth m. Anm. Bußmann. 678 Leitentscheidung: BGH 14.3.1985 – I ZR 66/83 – GRUR 1985, 930, 931 – JUSSteuerberatungsgesellschaft. Aus dem Schrifttum insbes. Teplitzky/Bacher Kap. 17 Rn. 18 ff. sowie Hösl S. 172 ff., 177 ff., ferner etwas differenzierend Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.217.
Lindacher/Peifer
764
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
setzung oder dem Schutz rein individualrechtlicher Positionen dienen. Die Geltendmachung eines Anspruchs auf Unterlassung täuschungsgeeigneter Werbeangaben stellt in Hinblick auf das Institutionenschutzinteresse und das Schutzinteresse der Marktpartnergesamtheit (Vor §§ 5, 5a Rn. 8 ff.) auch dann kein venire contra factum proprium dar, wenn das Verbot der langzeitig geduldeten Werbung beim Werbenden zu einer nachhaltigen Beeinträchtigung seiner wettbewerblichen Stellung führt. Der Umstand, dass der Werbende infolge langdauernder, unbeanstandeter Benutzung einer Bezeichnung einen wertvollen Besitzstand erworben hat, wird gleichwohl häufig zumindest Anlass zu einer Interessenabwägung geben, ja vermag in deren Rahmen ausnahmsweise sogar durchaus die Waagschale zugunsten der Verbotsgegeninteressen zu senken:679 Vor allem bei quantitativ und qualitativ schwacher Irreführungsgefahr kommt dem Besitzstandsgesichtspunkt, sei es für sich allein, sei es im Zusammenspiel mit anderen gegen ein Unterlassungsgebot sprechenden Gesichtspunkten, potentiell rechtfertigende Kraft zu. Zum selben Ergebnis kommt man aufgrund einer verfassungskonformen Begrenzung des Irreführungsverbots (oben Rn. 270). Kasuistik: Keine Untersagung der Verwendung des Wortes „Kloster“ in der Unternehmensbezeichnung („Klosterbrauerei“) und in der Produktmarke („Kloster Pilsener“), obschon die auf das Jahr 1840 Bezug nehmende Bezeichnungstradition von Anfang an brüchig war, weil die Bezeichnungsverwendung seit jeher von niemandem beanstandet worden war.680 Hinnahme der von der Unternehmensbezeichnung „Ostfriesische Teegesellschaft“ provozierten Fehlvorstellung, das Unternehmen biete zumindest schwerpunktmäßig ostfriesischen Tee an, weil die Firma seit 60 Jahren unbeanstandet benutzt worden ist, das sich ergebende Irreführungspotential zudem eher gering eingeschätzt wurde.681 Die Berufung auf einen wertvollen Besitzstand bezieht sich immer auf den Schutz 277 erworbener wirtschaftlicher Werte. Nicht selten geht es auch um historisch-kulturelle Errungenschaften, an denen nicht nur individuelle, sondern auch kollektive Besitzstandsinteressen bestehen. Dem Besitzstandsargument eignet dann tendenziell besondere Wertigkeit.682 Das Gewicht des Besitzstandsarguments bestimmt sich vor allem nach der Höhe der 278 drohenden wirtschaftlichen Einbuße. Bei deren Ermittlung sind Ausweichmöglichkeiten zu berücksichtigen.683 Die Einbuße ergibt sich grundsätzlich aus einem Vergleich des status quo mit der Lage, die bei einer zumutbaren Bezeichnungsänderung zu erwarten ist. Ist ein Ausweichen nicht möglich oder nicht zumutbar, ist das Gewicht eines Totalverzichts in Bezug zu den Verbotsinteressen zu setzen. Entscheidend ist unter Wertungsgesichtspunkten freilich letztlich nicht allein das Quantum der Einbuße, sondern auch die Verkraftbarkeit derselben für werbende Unternehmen entsprechenden Zuschnitts: Es macht einen Unterschied, ob der Verzicht auf die strittige Angabe das werbende Unternehmen, auch wenn der Betrag der absoluten Größenordnung nach alles andere als eine
_____
679 BGH 23.3.1966 – Ib ZR 28/64 – GRUR 1966, 445, 449 f. = WRP 1966, 340, 345 – Glutamal; BGH 26.1.1979 – I ZR 112/78 – GRUR 1979, 415, 416 = WRP 1979, 448, 449 – Cantil-Flasche; BGH 7.11.2002 – I ZR 276/99 – GRUR 2003, 628, 630 = WRP 2003, 747, 751 – Klosterbrauerei; Teplitzky/Bacher Kap. 17 Rn. 20; Ohly/Sosnitza Rn. 221, 223; Sack WRP 2004, 521, 528. 680 BGH 7.11.2002 – I ZR 276/99 – GRUR 2003, 628, 630 = WRP 2003, 747, 751 – Klosterbrauerei. 681 BGH 15.10.1976 – I ZR 23/75 – GRUR 1977, 159, 161 – Ostfriesische Teegesellschaft. 682 Paradigmatisch: BGH 12.3.1971 – I ZR 115/69 – GRUR 1971, 313, 316 = WRP 1971, 266, 268 – Bocksbeutelflasche; 26.1.1979 – I ZR 112/78 – GRUR 1979, 415, 416 = WRP 1979, 448, 449 – CantilFlasche. 683 Zutreffende einschlägige Klarstellung: Hösl S. 259.
765
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
quantité négligeable ist, eher peripher trifft oder aber – entgegengesetztes Extrem – existenzgefährdend wäre.684 Anerkanntermaßen spielt die (Un-)Redlichkeit des Werbenden eine Rolle:685 Wenn 279 Gutgläubigkeit hinsichtlich der Bezeichnungsführung auch keine conditio sine qua non für die Relevanz des Besitzstandsarguments darstellt, so kommt ihr doch erhebliche Bedeutung zu. Ein bona fide erworbener Besitzstand ist schutzwürdiger als ein durch rechtswidrig-fahrlässigen Gebrauch aufgebauter Besitzstand. Ein grobfahrlässig erworbener Vorteil erscheint kaum, ein arglistig erworbener Vorteil keinesfalls schutzwürdig, wobei jedoch zu beachten bleibt, dass langzeitige Nichtbeanstandung des geübten Werbeverhaltens u.U. zum Verlust der Bösgläubigkeit führen kann.686 Im letztgenannten Fall ist unter Schutzwürdigkeitsaspekten (nur) die Besitzstandsmehrung und –Festigung ab diesem Zeitpunkt ein zugunsten des Werbenden in die Abwägung einzubringender Posten. In Sonderkonstellationen kommt schließlich auch der sog. Risikobehaftetheit der 280 Angabe Relevanz zu:687 Das Besitzstandsargument ist von besonderer Kraft, wenn die Verwendung der Angabe erst im Zeitablauf infolge veränderter Umstände unrichtig geworden ist. Ihm fehlt solche Kraft jedoch, wenn der gewählten Angabe von Anfang an das Risiko innewohnte, unrichtig zu werden. Kasuistik: Ein Kaffeeröster mit Sitz in Berlin-West verlor mit Ende des Zweiten Weltkriegs seine Hauptabsatzgebiete. Die Markenbezeichnung „Millionen trinken …“ wurde unrichtig und damit irreführend. Der BGH billigte das vom Berufungsgericht ausgesprochene Unterlassungsgebot: Dass die Bezeichnung durch Ereignisse unrichtig geworden sei, die außerhalb des Machtbereichs des Zeicheninhabers lagen, habe zwar eine gewisse Schonfrist gerechtfertigt. Diese sei nach 25 Jahren aber sicherlich abgelaufen. Der Nachrang des Besitzstandsinteresses gegenüber dem Schutzinteresse des Verkehrs wurde ausdrücklich mit darauf gestützt, dass einer Marke der gewählten Art von vornherein die Gefahr des Unrichtigwerdens innegewohnt habe.688 281
(2) Wirtschaftlich sinnvolle Nutzung eingeführter Kennzeichen. Demonstrationsbeispiel für das Gebotensein einer Interessenabwägung aus Besitzstandsgesichtspunkten jenseits der Fallgruppe langjährige allgemeine Nichtbeanstandung einer irreführenden Bezeichnung ist der Fall Warsteiner: Obschon ausweislich einer Verkehrsbefragung satte 50% mit der Marke und der Unternehmensbezeichnung einen Brauorthinweis verbanden und zumindest ein signifikanter Teil derselben dem Brauort Qualitätsrelevanz beimaß, wurde die Fehlvorstellung, die daraus resultierte, dass diverse Sorten nunmehr in Paderborn gebraut werden, unter Berücksichtigung des einschlägigen Etikettenhinweises hingenommen. Einem expandierenden Unternehmen müsse es freistehen, die Kennzeichnungskraft des eingeführten Unternehmens- und Produktkennzeichens auch bei Fortentwicklung des eigenen Unternehmens durch den Aufbau neuer Produktionsstätten außerhalb des Stammorts einzusetzen.689 Zum selben Ergebnis kommt man aufgrund einer verfassungskonformen Begrenzung des Irreführungsverbots (oben Rn. 270).
_____
684 685 686 687 688 689
Siehe auch Hösl S. 263. OLG Köln 1.10.1980 – 6 U 17/77 – WRP 1981, 160, 164 ff.; Hösl S. 262. Zum Phänomen der bona fides superveniens: Teplitzky/Bacher Kap. 17 Rn. 15/21. Hösl S. 262. BGH 11.10.1972 – I ZR 38/71 – GRUR 1973, 532, 534 – Millionen trinken. BGH 19.9.2001 – I ZR 54/96 – GRUR 2002, 160, 162 = WRP 2001, 1450, 1452 f. – Warsteiner III.
Lindacher/Peifer
766
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
cc) Aktives Informationsinteresse. Ein dem Prinzip des relativen Minderheiten- 282 schutzes verpflichtetes Verständnis des § 5 konfligiert potentiell mit dem Kommunikationsinteresse des Werbenden: Das Verbot einer vom relevanten Verkehr mehrheitlich richtig verstandenen Werbeangabe ist Freiheitsschrankenkonkretisierung, sofern die Irreleitung einer Minderheit durch zumutbares Ausweichen vermeidbar ist. Soweit eine Substitution durch eine gleichwertige irreführungsfreie Angabe ausscheidet, stoßen sich die nach § 5 geschützten Verbotsinteressen am – letztlich verfassungsrechtlich fundierten – Recht auf sachinformative Werbung. Hier ist die verfassungskonforme Begrenzung des Irreführungsverbots (oben Rn. 270) besonders naheliegend. (1) Fehlende Alternative aus sprachlichen Gründen. Die Konstellation, dass das 283 Verbot der strittigen Angabe praktisch auf ein Kommunikationsverbot hinausliefe, ergibt sich zunächst immer dann, wenn äquivalente Alternativen bereits aus sprachlichen Gründen nicht zur Verfügung stehen.690 Kasuistik: Der Hersteller eines Wäschebehandlungsmittels bewarb sein auf der Basis der Kunstharzverarbeitung gewonnenes Produkt als „Wäschestärkungsmittel“. Der BGH verneinte eine verhaltensrelevante Irreführung bereits aus der Erwägung, dass das Wort „stärken“ gedanklich vor allem mit der Wirkung, nicht mit der Substanz des Mittels in Verbindung gebracht werde. Ergänzend führte er aus, dass es eine schwerlich zu rechtfertigende Beschränkung des freien Wettbewerbs bedeuten würde, wenn die gewohnte Bezeichnung eines allgemein bekannten Vorgangs ausschließlich der Verwendung eines bisher angewandten Mittels vorbehalten bleiben sollte. Eine Substitution durch die Worte „steifen“ oder „durchsteifen“ wäre unzulänglich, ungebräuchlich, unnatürlich und vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichend.691 (2) Objektiv wahre Angaben. Auch wo die Beibehaltung der bisherigen Bezeich- 284 nung nicht gerade ein Fall sprachlicher Notwendigkeit ist, bleibt bei nach allgemeinem Sprachgebrauch objektiv eindeutig richtigen Werbeangaben stets zu prüfen, ob es nicht auf eine unzumutbare Beschneidung des Gemeingebrauchs am Medium Sprache hinausliefe, wenn dem Werbenden die Verwendung der nächstliegenden Wendung untersagt würde. Rechtsprechung und Lehre betonen zwar zu Recht, dass es nicht Sache des Gerichts ist, dem Werbenden einen Weg zu weisen, wie er durch Alternativbezeichnung oder Zusatz eine Irreführung vermeiden kann.692 Die einschlägige Wahlentscheidung obliegt diesem. Ob (zumutbare) Ausweichmöglichkeiten bestehen, ist hingegen vom Gericht sehr wohl zu prüfen. Dass es an gleichwertigen, nicht oder zumindest weniger irreführenden Bezeichnungsalternativen fehlt, ist ein Umstand, dem im Rahmen ergänzender Interessenabwägung potentielle Relevanz eignet. Bei objektiv wahren Angaben mit gleichwohl drohender Irreführung verlangt der BGH neben einer höheren Irreführungsquote zudem eine ergänzende Interessenabwägung, die der Wahrheit der Angabe und somit auch dem Interesse an zutreffenden Informationen Rechnung trägt.693 Das entspricht einer verfassungskonformen Begrenzung des Irreführungsverbots (oben Rn. 270).
_____
690 Siehe auch Hösl S. 274 ff.; RWW/Doepner 3.0 Rn. 367. 691 BGH 15.1.1957 – I ZR 190/55 – GRUR 1957, 278 = WRP 1957, 273 – Evidur. 692 BGH 3.5.1963 – Ib ZR 93/61 – GRUR 1963, 539, 541 = WRP 1963, 276, 277 – echt skai; 5.5.1983 – I ZR 49/81 – GRUR 1983, 512, 514 = WRP 1983, 489, 490 – Heilpraktikerkolleg; Teplitzky/Schwippert Kap. 51 Rn. 27. 693 BGH 18.12.2012 – I ZR 137/11 – GRUR 2013, 409 Tz. 29 – Steuerbüro; BGH 30.7.2015 – I ZR 250/12 – GRUR 2016, 406 Tz. 26 – Piadina-Rückruf.
767
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
Kasuistik: Wer Hemden aus signifikant weichem Material herstellt, muss sie als „seidenweich“ bewerben dürfen. Die Vorstellung, die Werbeangabe weise auf den Rohstoff Seide hin, liegt wohl bereits außerhalb dessen, was ein verständiger „Durchschnittsverbraucher“ in Erwägung zieht. Dem Werbenden wäre jedenfalls im Wege ergänzender Interessenabwägung zu helfen.694 Ein Unternehmen, das seit über 400 Jahren Bier braut, darf auf Flaschenetiketten und Bierkästen mit dem Slogan „Über 400 Jahre Brautradition“ werben. Dass der hinreichend informierte und verständige Durchschnittsverbraucher dem Slogan auch die Aussage entnimmt, man braue auch heute noch nach dem ursprünglichen Rezept, liegt eher fern. Bejahte man eine einschlägige Minderheitsfehlvorstellung wäre das licet auf Interessenabwägung zu stützen. Das Interesse des Werbenden an der Verwendung des zutreffenden Hinweises auf seine über vierhundertjährige Brautradition wiegt eindeutig schwerer als das allfällige Verbotsinteresse.695 285
(3) Mehrdeutige Angaben. Auch bei mehrdeutigen Angaben (Rn. 124 ff.), die von Teilen des relevanten Verkehrs realitätskonträr verstanden werden, wird eine Interessenabwägung diskutiert:696 Der Werbende mag ein berechtigtes Interesse an der Verwendung einer ambivalenten Bezeichnung haben, schuldet freilich im Allgemeinen einen klarstellenden Zusatz, der bei Zugrundelegung des Maßstabs des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen „Durchschnittsverbrauchers“ je nach Situation bereits eine relevante Fehlvorstellung ausschließt. Ist dem angesprochenen Verbraucher situationsadäquat Flüchtigkeit nachzusehen (Rn. 85 ff.), greift gegebenenfalls die Interessenabwägung. Kasuistik: Ein Südtiroler Wein Rebsorte Trollinger wurde auf dem Flaschenetikett mit der Bezeichnung „Trollinger“ beworben. Die wurde als zulässig angesehen, wenn in hinreichend auffälliger Weise zugleich auf die Herkunft aus Südtirol hingewiesen wird. Eine etwaige Restirreführungsgefahr (Verständnis der mehrdeutigen Bezeichnung Trollinger i.S. eines Herkunftshinweises auf Rotwein württembergischer Provenienz) war hinzunehmen.697
286
(4) Zumutbarkeit aufklärender Hinweise. Eine Abwägung zwischen den nach § 5 geschützten Verbotsinteressen und dem aktiven Informationsinteresse des Werbenden ist in der Fallgestaltung objektiv zutreffender, gleichwohl eine Minderheit irreleitender Werbung angesagt, wenn die Ausräumung der Gefahr partieller Irreführung nur um den Preis möglich wäre, letztlich für die Konkurrenz zu werben. Beispiel: Wer in der Welt die Nr. 1, in Deutschland „nur“ die Nr. 2 ist, darf sich uneingeschränkt als Weltmarktführer bezeichnen. Die Vorstellung, die Berühmung einer Weltspitzenstellung enthalt unausgesprochen die Berühmung gleichzeitiger Inlandsspitzenstellung, liegt wohl bereits außerhalb der Vorstellung eines normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen „Durchschnittsverbrauchers“. Auf jeden Fall wäre dem Werbenden698 im Wege ergänzender Interessenabwägung zu helfen: Die Relativierung der eigenen Werbung, die vom Verkehr unschwer als Hinweis auf die Inlandsmarktführerschaft des Hauptkonkurrenten verstanden würde, ist dem Werbenden ebenso wenig zuzumuten wie der gänzliche Verzicht auf die Verlautbarung der Weltspitzenstellung.
_____
694 695 696 697 698
OLG Frankfurt 4.9.1980 – 6 U 53/80 – WRP 1981, 218. BGH 16.8.2012 – I ZR 200/11 – WRP 2012, 1526 Tz. 3 – Über 400 Jahre Brautradition. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.207. BGH 21.6.1972 – I ZR 140/70 – GRUR 1973, 201 – Trollinger. Verkannt von BGH 1.10.1971 – I ZR 51/70 – GRUR 1972, 129 – Der meistgekaufte der Welt.
Lindacher/Peifer
768
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
(5) Neue Bezeichnungen. Sinnvolle neue Produktbezeichnungen verdienen ei- 287 nen Bonus: Soweit die Bezeichnung sprachlich korrekt gebildet, ist ihr grundsätzlich eine Chance zur Verkehrsdurchsetzung zu geben: Eine quantitativ und qualitativ geringe, mutmaßlich temporäre Irreführung ist hinzunehmen.699 Das fordert zudem bereits das normativ zu bestimmende Verständnis des Irreführungsführungsbegriffs. Entsprechendes gilt für sinnvolle neue Berufsbezeichnungen für erlaubte Tätig- 288 keiten.700 Kasuistik: Humanheilpraktiker bedürfen zur Ausübung ihrer Berufsausübung der staatlichen Erlaubnis. An einer privaten Schule für Naturheilverfahren für Tiere Ausgebildete unterliegen in ihrer Berufsausübung keiner staatlichen Erlaubnispflicht. Sie dürfen die Bezeichnung „Tierheilpraktiker“ führen. Sollten Teile des relevanten Verkehrs aus der Bezeichnungsführung darauf schließen, die betreffenden Personen verfügten nach Ablegung einer Prüfung über eine staatliche Erlaubnis (zweifelhaft), wäre die Bezeichnungsführung jedenfalls im Wege der Interessenabwägung zu akzeptieren. Es muss möglich sein, den zulässigerweise ausgeübten Beruf mit einer griffigen Formulierung zu kennzeichnen.701 (6) Etablierte Bezeichnungen. Umgekehrt ist das aktive Informationsinteresse des 289 Werbenden auch insoweit angesprochen, als es darum geht, ob eine eingeführte Bezeichnung, die von Fachleuten und Teilen des Publikums realitätskonform verstanden wird, ob ihrer Eignung zur Irreführung eines Teils des relevanten Verkehrs nicht mehr verwendet werden darf: Wenn die strittige Bezeichnung nicht durch eine griffige, aus sich selbst heraus verständliche Bezeichnung ersetzt werden kann, würde ein Weiterverwendungsverbot eine einschlägige sachinformative Werbung zumindest übergangsweise erheblich beeinträchtigen.702 Auch hier würde eine normativ geleitete Begriffsbestimmung der Irreführung zu keinem anderen Ergebnis kommen. Kasuistik: Das kaufende Publikum versteht unter einem „Fichtennadelextrakt“ wohl ganz überwiegend einen Extrakt aus Fichtennadeln, nicht aus Fichtenholz und Fichtenrinde. Die einschlägige Irreführungsgefahr (schwacher Relevanz) wurde hingenommen, da ein überwiegendes Interesse der Branchenmitglieder an der Beibehaltung der traditionellen Warenbezeichnung bestehe.703 In gleicher Weise wurde die Verwendung des Begriffs „Emaillelack“ hingenommen, obschon die so bezeichneten Produkte keineswegs „echte Emaille“ enthielten. Auch hier stellte der BGH darauf ab, dass der Begriff seit einem halben Jahrhundert von der Lackindustrie so verwendet und von den Hauptabnehmern richtig verstanden wird.704 Bei der Beurteilung der Bezeichnung „Acrylglas“ für einen lichtdurchlässigen organischen Kunststoff aus Polymethylacrylat spielten eine Rolle einerseits die Gefahr der Fehlvorstellung von Teilen des angesprochenen Verkehrs, es handele sich um herkömmliches (Silikat-)Glas, andererseits der Umstand, dass sich die Bezeichnung immerhin durch zehnjährigen Gebrauch in Fachkreisen durchgesetzt hatte und im Begriff war, sich auch beim Allgemeinen Publikum einzubürgern. Der BGH untersagte die zusatzlose Verwendung, entschied aber andererseits, dass die Bezeich-
_____
699 Siehe bereits Bauer GRUR 1968, 248 ff.; ferner: Sack WRP 2004, 521, 528. 700 Ohly/Sosnitza Rn. 224. 701 BGH 22.4.1999 – I ZR 108/97 – GRUR 2000, 73, 74 f. = WRP 1999, 1145, 1146 f. – Tierheilpraktiker. 702 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.210; MünchKommUWG/Ruess Rn. 228; Ohly/Sosnitza Rn. 222. 703 BGH 13.7.1962 – I ZR 23/61 – GRUR 1963, 36, 39 = WRP 1962, 364, 365 – Fichtennadelextrakt. 704 BGH 28.2.1958 – I ZR 129/56 – BGHZ 27, 1, 13 f. = GRUR 1958, 444, 447 – Emaillelack.
769
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
nung in Kombination mit erläuternden, auf die Kunststoffbeschaffenheit hinweisenden Zusätzen weiterhin erlaubt sein müsse.705 290
(7) Anlehnung an die Gesetzes- und Behördensprache. Außerhalb der Sonderfallgestaltung, dass bezeichnungsrechtliche Vorschriften die Verwendung bestimmter Bezeichnungen vorschreiben oder zumindest gestatten (hierzu Vor §§ 5, 5a Rn. 177 ff.), gilt: Der bloße Umstand, dass sich der Werbende an eine Terminologie anlehnt, die auch in Gesetzestexten und/oder in der Judikatur und Verwaltungspraxis gebräuchlich ist, rechtfertigt eine allfällige Irreführung nicht.706 Geboten ist hier freilich eine besonders sorgfältige Prüfung, inwieweit ein Ausweichen auf irreführungsfreie bzw. zumindest minder irreführende Alternativbezeichnung möglich bzw. nach situativer Interessenlage zumutbar ist. Kasuistik: Schreiben Bausatzungen und Baubehörden Dacheindeckungen in „naturrot“ vor, besteht bei Herstellern von Dacheindeckungen ein verständliches und verständiges Interesse an der werblichen Verwendung der einschlägigen Farbbezeichnung. Einem Unternehmen, das Betondachsteine herstellt, kann deshalb richtigerweise die Bezeichnung „Dachstein. Farbe: naturrot“ nicht allein mit der Begründung untersagt werden, das Adjektiv „naturrot“ verleite einen nicht unerheblichen Teil des interessierten Laienpublikums zu der (Fehl-)Vorstellung, es handele sich um Dachziegel oder sonstige irgendwie geartete Naturprodukte.707 Die – gebotene- Interessenabwägung sollte nur dann zu einem non licet der beanstandeten Angabe führen, wenn – was in Hinblick auf den Zusatz „Farbe“ freilich eher unwahrscheinlich erscheint – ein beträchtlicher Teil des relevanten Verkehrs irregeführt würde.
291
b) Gegeninteressen nicht getäuschter Verkehrskreise bzw. Verkehrsteile. An der Weiterverwendung einer sachinformativen Angabe, die eine Minderheit irreführt, ist die Mehrheit so lange desinteressiert, als sie auf Ersetzung durch allseits irreführungsfreie bzw. minderirreführende, aber gleich informative Angaben setzen darf. Die Interessenlage ändert sich, sobald ein Unterlassungsgebot die Vorenthaltung bisher geleisteter Information erwarten ließe708 – sei es, dass dem Werbenden ein Ausweichen auf äquivalente Alternativen aus sprachlichen oder sonstigen Gründen unmöglich ist, sei es, dass vom Werbenden ein Verzicht auf Surrogate aus Gründen betriebswirtschaftlicher Nutzenbilanzierung zu befürchten wäre. Soweit es um die Untersagung einer informationshaltigen eingebürgerten Bezeichnung geht, kommt es darauf an, ob eine griffige, aus sich selbst verständliche Alternativbezeichnung zur Verfügung steht. Verneinendenfalls verschlechterte ein Weiterverwendungsverbot die Informationsbasis des nicht irregeführten Teils der Marktgegenseite. Ein Bezeichnungswechsel würde zu einer – zumindest vorübergehenden – „Verkehrsverwirrung“ führen.709 Wo im Sinne des eben Ausgeführten ein passives Informationsinteresse (sei es eines irreführungsimmunen Verkehrskreises, sei es der Mehrheit eines partiell irregeführten Verkehrskreises) zu konstatieren, trifft und vereint es sich typischerweise mit dem aktiven Kommunikationsinteresse des Werbenden (hierzu Rn. 282 ff.).
_____
705 BGH 21.6.1967 – Ib ZR 159/64 – GRUR 1968, 200, 203 f. = WRP 1967, 440 – Acrylglas. 706 BGH 25.11.1982 – I ZR 145/80 – GRUR 1983, 245, 246 = WRP 1983, 260, 261 – naturrot; Gloy/ Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 174. 707 So allerdings OLG Köln 11.1.1984 – 6 U 46/83 – WRP 1984, 430, 431. 708 OLG Frankfurt 9.6.1983 – 6 U 149/80 – WRP 1983, 687, 689; Hösl S. 301 f.; RWW/Doepner 3.00 Rn. 366. 709 BGH 28.2.1958 – I ZR 129/56 – BGHZ 27, 1, 4 = GRUR 1958, 444, 447 = WRP 1958, 140 – Emaillelack; Ohly/Sosnitza Rn. 222.
Lindacher/Peifer
770
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
c) Allgemeininteressen. Das Allgemeininteresse ist bei § 5 nicht nur thematisiert, 292 soweit die Verhinderung irreführender Werbung in Frage steht. In bestimmten Sonderkonstellationen stellt sich vielmehr das Problem, ob das Verbot einer bestimmten Werbeangabe wegen einschlägiger Wirkungsambivalenz nicht gerade in Hinblick auf das Normziel der Gewährleistung funktionsfähigen Wettbewerbs (Rn. 8), also aus normativen Gründen, letztlich kontraproduktiv wäre. In anderen (Ausnahme-)Fallgestaltungen wiederum steht das Allgemeininteresse an irreführungsfreier Werbung in situativer Antinomie zu anderen Zielen allgemein anerkannter Wertigkeit: die Inkaufnahme eines Irreführungsrests kann durchaus durch Gemeinwohlaspekte metawettbewerblicher Art gerechtfertigt und geboten sein. aa) Markttransparenz. Die Gefahr eines kontraproduktiven Übersteuerns besteht 293 etwa mit Blick auf das wettbewerbsinstitutionelle Interesse an Markttransparenz.710 Soweit ein allfälliges Verbot einen Verlust an (aktueller) marktentscheidungsrelevanter Sachinformation erwarten lässt (s. hierzu bereits Rn. 291), gilt es unter Transparenzgesichtspunkten gegenläufige Gefahren zu gewichten: das Risiko der Intransparenzmehrung, das aus der Irreleitung einer Minderheit bei Duldung der werblichen Äußerung resultiert, und das Risiko der Transparenzeinbuße als Folge eines Werbeverbots. Spricht unter Markttransparenzaspekten mehr gegen ein Verbot, geht das einschlägige (Allgemein-)Interesse mit dem passiven Informationsinteresse der nicht irregeleiteten Werbeadressaten konform. Bedeutung kommt dem Markttransparenzgesichtspunkt ferner zu, soweit es um 294 Fallgestaltungen geht, in denen die Tolerierung einer derzeit noch partiell missverstandenen Angabe sachinformativen Gehalts begründeterweise erwarten lässt, dass sich die Bezeichnung im angesprochenen Verkehr durchsetzt: Über die Bedeutung neu eingeführter Bezeichnungen werden anfangs nicht selten Missverständnisse aufkommen. Ist die Bezeichnung frei von sprachlicher Mehrdeutigkeit und nicht mit abweichenden Sinngehalten aus anderweitiger Verwendung besetzt, ist indes – jedenfalls bei breitem Bezeichnungsgebrauch – auf schnelle Gewöhnung zu hoffen. Der Gewinn an künftiger Markttransparenz kann die Hinnahme einer temporären niederschwelligen Irreführungsgefahr rechtfertigen. Kasuistik: Ein Unternehmen warb nach Erstreckung des Preisbindungsverbots auf Markenartikel (und vor Einfügung von § 38a GWB a.F.) mit der Angabe „20% unter dem empfohlenen Richtpreis“. Der BGH ging davon aus, dass der Terminus „empfohlener Richtpreis“ bei nicht unerheblichen Teilen der angesprochenen Verbraucher die (Fehl-) Vorstellung einer – wie immer gearteten – Bindung des Händlers an den vom Hersteller benannten Preis auslöse, obschon jener Terminus von den Gerichten und der Kartellbehörde seinerzeit übereinstimmend gerade als Kontrastbegriff zur Preisbindung entwickelt worden war. Das licet der Werbeangabe wurde entscheidend auf die Prognose gestützt, dass es sich um einen Irrtum transitorischer Art handele.711 bb) Technischer Fortschritt. Technischer Fortschritt ist ein Motor vorstoßenden 295 Wettbewerbs. Daher ist das (Allgemein-)Interesse an der Förderung technischen Fortschritts wesentlich auch für die normativ geleitete Auslegung des Irreführungsverbots.712
_____
710 Zum Folgenden Lindacher FS Nirk (1992) 587, 590 f. 711 BGH 10.6.1964 – Ib ZR 128/62 – BGHZ 42, 134, 142 = GRUR 1965, 96, 99 = WRP 1964, 370, 373 – 20% unter dem empfohlenen Richtpreis. 712 BGH 30.10.1981 – I ZR 156/79 – GRUR 1982, 118, 120 = WRP 1982, 88, 90 – Kippdeckeldose; Hösl S. 360 f.
771
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
Das betrifft die Notwendigkeit zur Verdeutlichung eines Fortschritts unter dem werblichen Zwang partiell missverständlicher Kürze, ferner in Hinblick auf Fehlvorstellungen, die aus einer technisch bedingten Produkt- und/oder Packungsgestaltung resultieren. Zu berücksichtigen bleibt freilich, dass bei der zweiten Fallgruppe die Karte des Fortschrittsinteresses von vornherein nur ins Spiel gebracht werden kann, wenn und soweit sich die Irreführungsgefahr nicht durch Zusatzmaßnahmen ausräumen lässt, die Hinnehmbarkeit einer verbleibenden Irreführungsgefahr zudem nicht nur von deren Grad, sondern auch vom Grad der technischen Verbesserung abhängig ist. Ein Demonstrationsbeispiel bietet die „Kippdeckeldose“-Entscheidung:713 Zu beurteilen war die irreführende Wirkung einer Schuhcremedose mit einem neuartigen Kippmechanismus im Dosendeckel. Die Überdimensionierung der Deckeldose gegenüber herkömmlichen Schuhcremedosen mit gleicher Füllmenge vermittelte bei flüchtiger Betrachtung den unzutreffenden Eindruck eines größeren Füllinhalts. Der BGH sah in der – unterstellten – technischen Notwendigkeit der äußeren Dosengestaltung den Anlass zu einer Interessenabwägung, gab in deren Rahmen dem Interesse an Vermeidung der in concreto nicht näher eingestuften Täuschungsgefahr indes den Vorrang. In Hinblick auf den Umstand, dass andere, den Mogelpackungseffekt vermeidende Kippdeckelmodelle durchaus einwandfrei funktionierten, veranschlagte er die Fortschrittshöhe als jedenfalls derart gering, dass die Hinnahme der konstatierten Irreführung nicht vertretbar erscheine. In neuerer Zeit hat der BGH Fragen irreführender Verpackung auch dadurch gelöst, dass er nach der Relevanz einer übergroßen Verpackung für die Marktentscheidung des Verbrauchers fragte.714 cc) Marktoffenheit. Schützenswert ist nicht nur der aktuelle, sondern auch der potentielle Wettbewerb. Institutionell erstrebter Wettbewerbsdruck geht auch vom möglichen Newcomer aus. Zu den Interessen, die im Rahmen ergänzender Interessenabwägung berücksichtigungsfähig sind, zählt deshalb auch das Allgemeininteresse an Offenhaltung des Markts. Lauterkeitsrecht darf nicht kontraproduktiv Monopolisierungstendenzen fördern.715 Das benannte Allgemeininteresse ist thematisiert, wenn der Newcomer ein Erzeug297 nis auf den Markt bringt, das in seiner stofflichen Beschaffenheit oder dem Herstellungsverfahren nach vom bisher Üblichen abweicht, von der Wirkung her diesem indes gleich oder nahe kommt. Die Wirkungsäquivalenz bzw. -nähe muss werbend auch herausgestellt werden dürfen, wenn sich im Einzelfall nicht vermeiden lässt, dass eine Minderheit des relevanten Verkehrs übergangsweise der Fehlvorstellung erliegen sollte, das beworbene Produkt entspreche auch seiner stofflichen Beschaffenheit/seiner Herstellungsweise nach den bislang bekannten Erzeugnissen: Bei Wirkungsgleichheit wird es nicht selten schon an der Geschäftsentscheidungsrelevanz des einschlägigen Irrtums fehlen. Im Übrigen ist eine im Rahmen zumutbarer Werbegestaltung unvermeidbare temporäre Irreführungsgefahr hinzunehmen.716 In besonderer Weise stellt sich die Marktzugangsfrage im Rahmen der Irreführungs298 prüfung ferner, soweit es nach dem völligen oder teilweisen Wegfall eines Monopols um Fehlvorstellungen geht, die in der Gewöhnung an die Monopolsituation gründen. Ordnen Teile des relevanten Verkehrs die Ware/Dienstleistung der neu in Markt eingetretenen Akteure noch dem früheren Monopolisten zu, ist die einschlägige Irreführung hin296
_____
713 714 715 716
BGH 30.10.1981 – I ZR 156/79 – GRUR 1982, 118 = WRP 1982, 88. BGH 11.10.2017 – I ZR 78/16 – GRUR 2018, 436 Tz. 33 – Tiegelgröße m. Anm. Alexander. Einlässlich bereits Lindacher FS Nirk 587, 591 f. Vorbildlich BGH 15.1.1957 – I ZR 190/55 – GRUR 1957, 278, 279 = WRP 1957, 273, 274 – Evidur.
Lindacher/Peifer
772
B. Allgemeine Voraussetzungen
§5
zunehmen, wenn die Interessenabwägung mit Blick auf das Marktinteresse der Newcomer und das Allgemeininteresse an Marktoffenheit ein licet des Newcomer-Auftretens gebietet.717 Kasuistik: Stellt ein Postbeförderungsdienstleister seine (roten) Briefkästen mit dem Firmenschlagwort „Brief 24“ in der Nähe von Filialen der Deutschen Post auf, ist dies lauterkeitsrechtlich von Letzterer hinzunehmen. Bereits die Annahme, der angemessen informierte und verständige, situationsadäquat aufmerksame Durchschnittsverbraucher verbände mit dem Geschehen die Vorstellung, es handele sich bei den Briefkästen um solche einer Tochtergesellschaft der Deutschen Post, die eine neue, besondere Postdienstleistung anbiete, erscheint zumindest heute eher fernliegend. Die Rechtmäßigkeit des Newcomer-Verhaltens ergibt sich jedenfalls aus Interessenabwägungsgründen (oben Rn. 116).718 dd) Freier innerkommunitärer Waren- und Dienstleistungsverkehr. Relevanz 299 des Allgemeininteresses an funktionsfähigem Wettbewerb bedeutet bei EU-internem Verkehr immer auch und gerade Relevanz des Allgemeininteresses an einem funktionsfähigen Gemeinschaftsmarkt (s. bereits Vor §§ 5, 5a Rn. 90). Soweit konfusionsbedingte Marktstörungen nur um den Preis der Beeinträchtigung der Waren- und Dienstleistungsfreiheit (Art. 34, 56 AEUV, früher: Art. 28, 49 EG) hintan gehalten werden können, ist das Interesse am freien Waren- und Dienstleistungsverkehr auch im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung des Irreführungsverbots zu gewichten.719 ee) Freihaltebedürfnis. Allgemein gilt, dass im Interesse eines funktionsfähigen 300 Wettbewerbs ein gewisses Bezeichnungsfreihaltungsbedürfnis besteht. Bezeichnungen, die von aktuellen Wettbewerbern verwendet werden bzw. von aktuellen und potentiellen Wettbewerbern bei naheliegendem Sprachgebrauch verwendet werden können, sind grundsätzlich gemeinfrei zu halten. Das einschlägige Freihaltebedürfnis hat einen hohen Stellenwert und rechtfertigt die Hinnahme von signifikanten Minderheitsfehlvorstellungen.720 Dogmatisch angemessen verankern lässt es sich nur im Rahmen eines normativ verstandenen Irreführungsbegriffs, der als Bestandteil eines Kommunikationsdelikts sprachsensibel sein und bleiben muss. ff) Umweltschutz. Zu den in der Auslegung des Irreführungsbegriffs berücksichti- 301 gungsfähigen Interessen zählt das Allgemeininteresse an Schonung natürlicher Ressourcen. Werden stark umweltbelastende Produkte durch signifikant umweltfreundlichere 302 ersetzt, besteht aus Umweltschutzgründen ein erhebliches Interesse an der Verlautbarung solchen Fortschritts, weil mit zunehmendem Umweltbewusstsein ein gutes Stück Umweltschutz über den Markt leistbar ist.721 Löst die schlagwortartige Verlautbarung durch Formulierungen wie „umweltschonend“, „umweltfreundlich“ bei Teilen des relevanten Verkehrs Fehlvorstellungen über das Maß des ökologischen Fortschritts aus, gilt es zwischen dem Schutzinteresse des irrtumsbefangenen Verkehrsteils, der Konkurrenten des Werbenden sowie dem Allgemeininteresse an unverfälschtem Wettbewerb einerseits und dem Gemeininteresse an der Förderung des Erhalts der natürlichen Lebens-
_____
717 718 719 720 721
773
Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.84. BGH 12.5.2010 – I ZR 214/07 – GRUR 2011, 166 Tz. 26 ff. = WRP 2011, 59 – Rote Briefkästen. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.216; Sack WRP 2004, 521, 529; Lindacher FS G. H. Roth 461, 466 f. Lindacher FS Nirk 587, 592 f. Näher hierzu: Kessler WRP 1988, 714, 717 f.
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
grundlagen andererseits abzuwägen:722 Ein Verbot der umweltbezogenen Angabe erschwert die Durchsetzung des umweltschonenderen Produkts. Dass der normal informierte, angemessen verständige Durchschnittsverbraucher darum weiß bzw. wissen muss, dass es keine absolut schadstofffreien Produkte, keine absolut umweltfreundlichen Produktions- und Distributionsweisen gibt,723 er mit allgemeinen Umweltschlagworten mangels einschlägiger Plusfaktoren wohl auch kaum die Verheißung des nach derzeitigem Erkenntnisstand möglichen Höchstmaßes an Umweltschonung verbindet,724 reduziert allerdings die Notwendigkeit des Rekurses auf die Figur der Interessenabwägung. Kasuistik: Ein Holzschutzmittel, das keine schädlichen Schwermetalle und zudem signifikant weniger Lösungsmittel enthält, darf – wenn nicht gar als „umweltfreundlich“725 – jedenfalls als „umweltfreundlich, weil schadstoffarm“726 herausgestellt werden. Das zur produktbezogenen Umweltwerbung Ausgeführte gilt entsprechend für die 303 unternehmensbezogene Umweltwerbung: Allgemeine Auszeichnungen für Verdienste um den Umweltschutz zeitigen eine besondere Anspornwirkung, wenn auf die Auszeichnungen schlagwortartig werblich hingewiesen werden darf. Ein Verbot einschlägiger Werbung bedeutet im Ergebnis mithin: Verzicht auf ein Stück Umweltschutzförderung. Wo der Hinweis bei einem Teil des relevanten Verkehrs marktentscheidungsrelevante Fehlvorstellungen auslöst, geht als Verbotsgegeninteresse – neben dem aktiven Informationsinteresse des Werbenden – richtigerweise auch das Allgemeininteresse am Gut Umwelt in die gebotene Interessenabwägung ein. Kasuistik: Wer für seine Umweltschutzaktivitäten mehrfach unternehmensbezogene Preise erhalten hat, muss entgegen dem KG727 auch mit dem Slogan „Schützt unsere Umwelt! Wie wir von K.“ werben dürfen, wenn – wider alle Wahrscheinlichkeit – ein Teil des relevanten Verkehrs die werbliche Äußerung dahin (miss)verstehen sollte, das Unternehmen stehe unter Umweltgesichtspunkten in jeder Hinsicht unangreifbar da. 304
gg) Ideelle Allgemeininteressen. Ein Beispiel dafür, dass in die Interessenabwägung ausnahmsweise auch ideelle Allgemeininteressen, insbesondere ideell-nationale Interessen eingehen können, liefert die „Germany“-Entscheidung:728 Obschon ein quantitativ nicht unerheblicher Teil der Verbraucher in der (alten) Bundesrepublik mit der Warenkennzeichnung „Germany“ die Herkunftsvorstellung Bundesrepublik Deutschland verband, erachtete der BGH (anders als die Vorinstanzen) die Verwendung der Bezeichnung durch DDR-Betriebe für zulässig. Das Interesse am Erhalt eines Stücks nationaler Identität wurde höher eingeschätzt als das Schutzinteresse einer über die Produktherkunft irregeführten Verbraucherminderheit. Im Zeichen des Zusammenwachsens der europäischen Nationalstaaten zu einer gestalthaften Einheit Europa sollten neben ideell-nationalen Interessen freilich auch ideell-europäische Interessen anerkannt werden: Der gebotene Verzicht auf eine allgemeine Herkunftskennzeichnungspflicht für nichtdeutsche Produkte rechtfertigt sich – außer aus marktinstitutionellen Gründen (s. insoweit Rn. 299) – wohl auch aus dem (ideellen) europäischen Gemeininteresse an Nichtdiskreditierung einzelnen Regionen.
_____
722 Übereinstimmend: Kloepfer FS v. Lersner 181, 192; Kessler WRP 1988, 721; der Sache nach auch Brandner FS v. Gamm 27, 29 ff. 723 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.183; Ohly/Sosnitza Rn. 301. 724 A.A. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.183. 725 Ablehnend LG Köln 27.1.1987 – 31 O 475/86 – GRUR 1988, 55 – Holzschutzmittel. 726 Zweifelnd LG Köln 27.1.1987 – 31 O 475/86 – GRUR 1988, 55 – Holzschutzmittel. 727 KG 15.6.1990 – 5 U 1397/90 – WRP 1991, 30. 728 BGH 26.4.1974 – I ZR 19/73 – GRUR 1974, 665 m. Anm. U. Krieger.
Lindacher/Peifer
774
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2 C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2 § 5 Abs. 1 S. 2, gewissermaßen der „Besondere Teil“ des lauterkeitsrechtlichen Irreführungsrechts, enthält in enger Anlehnung an Art. 6 Abs. 1 und 2 UGP-RL einen umfassenden Katalog von Umständen, über die relevanterweise irregeführt werden kann. Im Einzelnen fasst die Vorschrift die Merkmale, die tauglicher Gegenstand rechtlich relevanter Irreführung, in sieben Gruppen zusammen: § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 handelt von irreführenden Angaben über Angaben, die den Leistungsgegenstand, die angebotene Ware oder Dienstleistung selbst betreffen, § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 von irreführenden Angaben über den Anlass des Verkaufs, den Preis, die Preisbemessung und die Vertragsbedingungen, § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 von der unternehmensbezogenen Irreführung. In § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 geht es um Aussagen im Zusammenhang mit Sponsoring sowie der Zulassung des Unternehmens oder der Ware bzw. Dienstleistung, in § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 um Aussagen über die Notwendigkeit einer Leistung, eines Ersatzteils, eines Austausches oder einer Reparatur. § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 betrifft Angaben über die Einhaltung eines Verhaltenskodex, § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 Angaben über Verbraucherrechte. Darüber, ob die Aufzählung der Bezugspunkte in § 5 Abs. 1 S. 2 abschließender Natur ist,729 lässt sich hinsichtlich eines Teils der Bezugsgruppen streiten: Die in § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 3 genannten Einzelmerkmale sind Beispiele für den jeweiligen Oberbegriff, der produkt- bzw. unternehmensbezogenen Angabe. Art. 6 Abs. 2 lit. b und f UGP-RL und das korrespondierende nationale Recht bringen dies in der einschlägigen Merkmalsaufzählung durch das Wort „wie“ zum Ausdruck. Allerdings (s. bereits v §§ 5, 5a Rn. 33) lässt der Katalog des § 5 Abs. 1 S. 2 kaum Lücken. Soweit daraus auf einen offenen Katalog geschlossen wird, sei es auch nur für den B2B-Bereich, so erzeugt die Füllung von Lücken aber wohl eine besondere Begründungslast. Die Ausgestaltung des Bezugspunktekatalogs ist – angelegt in der Vorgabe durch Art. 6 Abs. 2 UGP-RL – handwerklich alles andere als gelungen:730 Das Bemühen, alle Fälle relevanter Irreführung zu erfassen, und die Technik des kasuistischen Aneinanderreihens führten zu dessen Aufblähung. Überschneidungen finden sich sowohl zwischen in verschiedene Gruppen eingestellten Bezugspunkten als auch zwischen Bezugspunkten innerhalb einer Gruppe. Die Kommentierung folgt der in § 5 Abs. 1 S. 2 vorgenommenen Einteilung und bildet in den Überschneidungsbereichen Schwerpunkte. Unter Konkurrenzgesichtspunkten gilt: Soweit sich die im Anh. zu § 3 Abs. 3 genannten Fälle einem der Bezugspunkte der Irreführung in § 5 Abs. 1 S. 2 zuordnen lassen, bleibt es bei potentiell irreführender Verbraucheransprache beim grundsätzlichen Prüfungsvorrang des Black-List-Tatbestands. Unterfällt die geschäftliche Handlung der einschlägigen Verbotsklausel, greift das Verbot ohne Wertungsmöglichkeit und ohne Rücksicht auf die Besonderheit des Einzelfalls. Die Prüfung konkreter Irreführung bezüglich eines Merkmals nach § 5 Abs. 1 S. 2 und einschlägiger Geschäftsentscheidungsrelevanz entfällt. Ist der Tatbestand der Schwarzen Liste nicht erfüllt, ist der Zugriff auf § 5 (und damit: den jeweiligen Bezugspunkt) hingegen grundsätzlich frei: aus der Nichteinschlägigkeit des Black-List-Verbots kann im Allgemeinen nicht auf die lauterkeitsrechtliche Unbedenklichkeit der streitgegenständlichen Angabe geschlossen werden. Wenn der Black-List-Tatbestand atypischerweise (Fall Anh. Nr. 5, s. ebda. Rn 15 ff.) eine ganze, an sich vom Bezugspunktekatalog des § 5 Abs. 1 S. 2 thematisierte Fallgruppe umschließt,
_____
729 So im Ansatz: Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 4; Harte/Henning/Dreyer B Rn. 95; Büscher/Dittmer/Schiwy/Lehmler Rn. 82; Steinbeck WRP 2006, 632, 634; Peifer WRP 2008, 556, 558. 730 Kritisch insoweit auch Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 271 sowie Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 0.119 (die Zusammenstellung wirke „eher zufällig und unsystematisch“).
775
Lindacher/Peifer
305
306
307
308
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
relativ weit gefasst ist und eine Reihe unbestimmter Begriffe enthält, erübrigt sich nach Verneinung des Black-List-Tatbestands freilich ein Rückgriff auf den korrespondierenden Bezugspunkttatbestand des § 5 Abs. 1 S. 2. Die Black-List-Klausel ist, soweit die Tatbestandsseiten deckungsgleich ist, lex specialis.731 I. Produktbezogene Angaben, Abs. 1 S. 2 Nr. 1 1. Verfügbarkeit Schrifttum Berlit Handel im Wandel: Die Warenbevorratung bei Sonderangeboten und Sonderveranstaltungen, WRP 2004, 1245; v. Gierke Zur Irreführung durch Angaben über den Warenvorrat, GRUR 1996, 579.
a) Allgemeines: Begriff, Abgrenzung, praktische Bedeutung 309
aa) Begriff und Abgrenzung. Das beworbene Produkt ist aus Kundensicht verfügbar, wenn der Werbende leistungsfähig und leistungsbereit ist.732 Irreführend sind nicht nur Scheinangebote (Fall der absoluten Leistungsunfähigkeit sowie der allgemeinen oder partiellen Leistungsunwilligkeit), sondern auch Angebote der Art, dass das werblich herausgestellte Produkt nicht überall, nicht rechtzeitig, nicht lange genug und nicht in ausreichendem Maß vorgehalten wird. Bei Dienstleistungen gehört zur Verfügbarkeit auch die Frage, wie schnell eine Dienstleistung gegenüber dem Kunden erbracht werden kann, also auch die Frage, wo der Diensterbringer seinen Standort hat.733 Im Telekommunikationsbereich gehört zur Verfügbarkeit auch die Netzabdeckung und die Leistungsbandbreite bei Datenübertragungen.734 Mit Nennung des Merkmals der Verfügbarkeit setzt das Gesetz nicht nur Art. 6 Abs. 1 310 lit. b, sondern auch Art. 6 Abs. 1 lit. a UGP-RL um:735 Verfügbarkeit i.S. von Leistungsfähigkeit setzt das Vorhandensein des beworbenen Produkts voraus. Das in Art. 6 Abs. 1 lit. b UGP-RL sowie § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 mit benannte Merkmal 311 „Menge“ (näher hierzu Rn. 523 ff.) thematisiert demgegenüber nicht den gebotenen Vorrat,736 sondern – ausschließlich – den Leistungsumfang des Angebots.737 bb) (Rest-)Bedeutung der Vorschrift. Der verdrängende Vorrang konkurrierender Black-List-Tatbestände (Vor §§ 5, 5a Rn. 110 f.) lässt die praktische Bedeutung von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Stichwort: Verfügbarkeit schrumpfen. Die (Un-)Zulänglichkeit des Warenvorrats/der Leistungskapazität beurteilt sich im 313 Unternehmer-Verbraucher-Bereich primär nach Anh. Nr. 5, die Scheinangebotsfrage in eben diesem Bereich primär nach Anh. Nr. 6. Das Anwendungsfeld der Grundnorm beschränkt sich auf den Verkehr zwischen Unternehmen sowie auf Angaben gegenüber Verbrauchern im Vorfeld konkreter Angaben i.S. von § 5a Abs. 3, mithin insbesondere Angaben ohne Benennung eines bestimmten Preises. 312
_____
731 I.E. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.3 732 Ohly/Sosnitza Rn. 237; Büscher/Dittmer/Schiwy/Lehmler Rn. 108. 733 OLG Frankfurt 15.8.2018 – 6 W 64/18 – WRP 2018, 1501 (Reinigung von Rechenzentren). 734 OLG Frankfurt 8.11.2018 – 6 U 77/18 – WRP 2019, 106 Tz. 16; vgl. auch BGH 15.10.2015 – I ZR 26014 – GRUR 2016, 207 – All Net Flat. 735 Begr. RegE BTDrucks. 16/10145 S. 24. 736 So freilich Harte/Henning/Weidert C Rn. 1 sowie Götting/Nordemann Rn. 1.12 und 1.25. 737 Richtig: Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 297; zust. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.2.
Lindacher/Peifer
776
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
b) Vorhandensein des Produkts. Verfügbarkeit setzt Vorhandensein des Produkts, 314 also auch eine angemessene Vorratshaltung voraus. Was, ab wann, wo, wie lange, in welcher Menge, in welcher Weise bei Meidung des Vorwurfs der Irreführung vorgehalten werden muss, bestimmt sich nach der Erwartung des angesprochenen Verkehrs. Verkehrsvorstellungsprägend sind Art, Inhalt und Stärke der konkreten Werbung, mangels besonderer Einzelfallumstände ferner das einschlägig Übliche, wobei Differenzierungen nach Branche und Warengattung sowie Art und Größe der Verkaufsstätte zu berücksichtigen bleiben.738 Der Abnehmer differenziert dabei nach Waren, bei denen körperliche Verfügbarkeit eher erwartet wird als bei persönlich erbrachten Dienstleistungen, bei denen man mit Wartezeiten rechnet.739 Wenig Knappheiten existieren bei unkörperlichen Leistungen, wie etwa Telekommunikationsanschlüssen. Hier erwartet der Verbraucher zwar nicht stets sofortige Verfügbarkeit, er rechnet aber nicht mit quantitativen Einschränkungen, etwa der Beschränkung „solange der Vorrat reicht“ (unten Rn. 343, 344). aa) Ubiquität des Angebots. Verfügt der Werbende über mehrere Verkaufsstätten, 315 darf seine Werbung nicht den Eindruck der Überall-Erhältlichkeit machen, wenn die beworbene Ware nicht in allen Verkaufsstätten geführt wird.740 Allgemeine Hinweise wie „nicht in allen Filialen erhältlich“ oder „nur in Filialen mit …-Abteilung“ mögen bei hinreichender Auffälligkeit vielleicht eine Irreführung nach § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 ausschließen.741 Sofern nicht konkret gesagt wird, in welcher Verkaufsstätte die beworbene Ware nicht erhältlich ist, verstößt die Werbung richtigerweise aber jedenfalls gegen Anh. Nr. 5 bzw. § 5a. bb) Aktuelle Verfügbarkeit (1) Grundsatz. Zumindest für den stationären Einzelhandel gilt die Regel: In der 316 Anzeigen-, Katalog- oder Prospektwerbung herausgestellte Ware muss sicher und sofort greifbar sein. Der das Geschäftslokal aufsuchende Kunde muss sie dort besichtigen und – bei Üblichkeit der Selbstmitnahme – gegen Zahlung sogleich mitnehmen können.742 Unterhält der Werbende neben dem Hauptgeschäft Zweigstellen, lässt eine nicht differenzierende Werbung unmittelbare Verfügbarkeit im Hauptgeschäft und in den Filialen erwarten. Die Ware muss sich deshalb grundsätzlich in den Verkaufs- oder Lagerräumen der jeweiligen Verkaufsstelle befinden. Abrufbarkeit aus einem Zentrallager oder Beschaffbarkeit bei einer separierten Stelle der eigenen Vertriebsorganisation genügt nicht.743 Bei Filialunternehmen kann eine Zweigstelle grundsätzlich nicht auf die Bestände einer anderen Zweigstelle verweisen.744 Erst recht führt irre, wer vorbehaltlos an-
_____
738 OLG Hamburg 7.3.2005 – 5 U 99/04 – GRUR-RR 2005, 287, 288; Köhler/Bornkamm/ FeddersenRn. 2.3a. 739 BGH 17.7.2013 – I ZR 222/111 – GRUR 2013, 1056 Tz. 13 – Meisterpräsenz. 740 BGH 4.2.2016 – I ZR 194/14 – GRUR 2016, 403 Tz. 14 f. – Fressnapf; OLG Karlsruhe 11.4.2003 – 2 U 14/02 – WRP 2003, 1257, 1258; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 281; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 339. 741 BGH 4.2.2016 – I ZR 194/14 – GRUR 2016, 403 Tz. 14f. – Fressnapf. 742 Statt vieler: Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 339; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 281; Harte/Henning/Weidert C Rn. 15. A.A. – die Bewerbung von Waren in einer Zeitungsanzeige erwecke nur bei Vorliegen besonderer Umstände den Eindruck greifbarer Vorrätigkeit – freilich noch OLG Stuttgart 8.2.1984 – 2 W 87/83 – WRP 1984, 439. 743 BGH 4.2.2016 – I ZR 194/14 – GRUR 2016, 403 Tz. 14 f. – Fressnapf; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 339. 744 Harte/Henning/Weidert C Rn. 15; Ohly/Sosnitza Rn. 243.
777
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
gepriesene Ware erst bestellen muss. Vorrätig müssen grundsätzlich (zu Einschränkungen s. Rn. 318 ff.) alle Waren sein, die werblich herausgestellt werden. Bei Waren in verschiedenen Größen müssen jedenfalls alle gängigen Größen verfügbar sein.745 Kasuistik: Offeriert ein Multi-Channel-Anbieter in einer Zeitungsanzeige paketweise eine Kombination aus Herrenhemd, Krawatte und Sakko, geht der Verkehr davon aus, dass das Angebot auch in den stationären Filialen vorgehalten wird. Kann er entgegen dieser Erwartung das Sakko nur auf Bestellung erwerben, ist dies mangels eines hinreichend deutlichen einschlägigen Vorbehalts irreführend.746 Wer ein Sonderangebot für ein Filialnetz bewirbt, muss diejenigen Filialen, in denen das Angebot nicht verfügbar ist, benennen, wobei es nicht genügt, diese Information auf der letzten Seite eines mehrseitigen Werbeprospektes aufzuführen. Nicht zumutbar ist es auch, dem Adressaten der Werbung zuzumuten, durch Anrufe bei den Filialen selbst herauszufinden, welche Filiale die beworbenen Waren führt.747 Was den Anfangszeitpunkt der Verfügbarkeit betrifft, erwartet der Verkehr bei 317 Anzeigenwerbung sowie Werbung in Zeitungsbeilagen Warenpräsenz i.d.R. bereits am Tag des Erscheinens der Werbung.748 Benennt der Werbende in seiner Ankündigung in hinreichend deutlicher Weise ausdrücklich einen späteren Zeitpunkt („gültig ab …“), ist (nur) dieser maßgeblich. Kann der einschlägige Hinweis ob der Schriftgröße und/oder seiner Platzierung leicht überlesen werden, muss die angebotene Ware sowohl zum benannten als auch zu dem Zeitpunkt verfügbar sein, zu dem der Verkehr Präsenz ohne explizite Zeitbestimmung erwartet. (2) Ausnahmen. Ein Erfahrungssatz, dass der Verkehr bei Großanschaffungen nur mit dem Vorhandensein von Musterstücken und Lieferbarkeit in angemessener Frist rechnet, besteht in dieser Allgemeinheit nicht: Wer in seinem Inserat eine bestimmte Stückzahl PC-Modelle verschiedener Hersteller anbietet, muss diese Geräte zur Vorführung und Mitnahme bereithalten.749 Auch teure HiFi-Geräte müssen, wenn sie via Anzeige oder Prospekt vorbehaltlos werblich herausgestellt werden, richtigerweise präsent und mitnahmebereit sein.750 In bestimmten Sparten wie der Möbel- oder Automobilbranche erwartet der Verkehr mangels ausdrücklicher gegenteiliger Aussage bzw. einschlägiger Konträrindizien freilich traditionellerweise in der Tat kaum sofortige Lieferbarkeit.751 Soweit nach der Art der Ware eine Selbstmitnahme durch den Kunden unüblich ist, 319 genügt das Vorhandensein von Musterstücken, wenn die Lieferung nach Vertragsschluss beschaffter Ware nicht später erfolgt als bei hypostasiertem Selbstvorrat des Werbenden. Wird beispielsweise Teppichboden auch bei Vorrätigkeit zuschneidbarer Ware üblicherweise erst nach zwei bis drei Tagen beim Kunden angeliefert, ist es unschädlich, wenn
318
_____
745 BGH 18.4.1985 – I ZR 155/83 – GRUR 1985, 980, 981 f. = WRP 1985, 484, 485 – Tennisschuhe; Gloy/ Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 340. 746 LG Hamburg 12.1.2012 – 315 O 140/11 – WRP 2012, 860. 747 BGH 4.2.2016 – I ZR 194/14 – GRUR 2016, 403 Tz. 24 – Fressnapf. 748 BGH 17.9.2015 – I ZR 92/14 – GRUR 2015, 395 Tz. 21 (zu Blacklist Nr. 5) – Smartphone-Werbung; OLG Karlsruhe 11.4.2003 – 2 U 14/02 – WRP 2003, 1257, 1258; Harte/Henning/Weidert C Rn. 17. 749 OLG Karlsruhe 11.5.1988 – 6 U 228/87 – WRP 1988, 760, 761. 750 A.A. OLG Hamm 12.12.1978 – 4 U 174/78 – WRP 1979, 323, 325. 751 Für das Neuwagengeschäft inzidenter auch OLG Hamburg 26.1.1978 – 3 W 7/78 – WRP 1978, 906 f.: Eine Irreführung wurde nur in Hinblick auf den Umstand bejaht, dass der Händler ausdrücklich „sofortige Lieferbarkeit“ ankündigt hatte, obschon das Fahrzeug auf Bestellung erst beim Großhändler in Frankreich abgeholt werden musste.
Lindacher/Peifer
778
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
nach Musterbesichtigung gekaufte und nach Kundenwunsch zugeschnittene Auslegeware innerhalb dieser Frist aus einem Zentrallager beim Kunden angeliefert wird.752 (3) Versandeinzelhandel. Die für den stationären Einzelhandel entwickelten Grund- 320 sätze (Rn. 316 ff.) gelten, angepasst an die einschlägigen Sachgegebenheiten, auch für den Versandeinzelhandel (einschließlich des internetgestützten Versandhandels): Der Verkehr erwartet i.d.R. sofortige Versendbarkeit,753 beim kataloggestützten Versandhandel ab Erscheinen des Katalogs. Zu unkörperlichen Leistungen und persönlichen Dienstleistungen unten Rn. 343, 344. (4) Erwartungshaltungen außerhalb des Einzelhandels. Was für den (allgemei- 321 nen) Einzelhandel gilt, gilt prinzipiell auch für den Selbstbedienungsgroßhandel.754 Im Übrigen ist hinsichtlich einer Erstreckung der für jene entwickelten Grundsätze und Leitlinien freilich zumindest Vorsicht geboten. Sie ist insbesondere bei einschlägiger Beurteilung der Werbung eines Werkunternehmers angezeigt. Bei Maschinen und Gegenständen, die nach Vorgaben des Bestellers und unter Berücksichtigung von Sonderwünschen gefertigt bzw. konfiguriert werden, scheidet Vorrätigkeit i.S. sofortiger Greifbarkeit der Natur der Sache nach aus; es genügt Lieferbarkeit binnen angemessener Frist.755 Fachmessen dienen gerade der Vorabinformation des angesprochenen Besucherkreises. Werden Neuheiten vorgestellt, kann und wird der Verkehr im Allgemeinen nicht voraussetzen, dass diese sofort liefer- oder gar mitnehmbar sind.756 (5) Herstellerwerbung. Als Verbotsadressaten kommen auch von einer Direktver- 322 marktung absehende Hersteller in Betracht: sofern ihre Produktwerbung beim Publikum eine konkrete, vom Handel nicht bzw. nicht hinreichend befriedigte Nachfrage auslöst.757 Sieht der Hersteller bei der Bewerbung eines exklusiven Produkts (RolexArmbanduhr) von der Angabe des Preises und bestimmter Verbrauchsstätten ab, entnimmt der Verkehr der einschlägigen Werbung nach dem BGH758 freilich keine Aussage über die ad hoc-Verfügbarkeit des beworbenen Gegenstands bei dessen Vertragshändlern. cc) Hinreichender Vorrat. Soweit nicht erkennbar ein begrenzter Vorrat oder gar 323 Einzelstücke (hierzu Rn. 339) angeboten werden, erwartet der Verkehr nicht nur Verfügbarkeit überhaupt, sondern auch Vorrätigkeit in ausreichender Menge: Das Angebot muss sich quantitativ an der durch die Ankündigung induzierten Nachfrage orientieren.759
_____
752 OLG Karlsruhe 20.12.1979 – 4 U 114/79 – WRP 1980, 431, 434. 753 BGH 7.4.2005 – I ZR 314/02 – GRUR 2005, 690, 692 = WRP 2005, 886, 888 – Internet-Versandhandel; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 281; Harte/Henning/Weidert C Rn. 15. Einschränkend für den allgemeinen Versandhandel unter schiefer Berufung auf das Recht zur Vertragsabstandnahme bei Spätlieferung Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 344. 754 Implizit: BGH 27.2.1982 – I ZR 35/80 – GRUR 1982, 681 = WRP 1982, 642 – Skistiefel; ferner: Fezer/ Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 285; Ohly/Sosnitza Rn. 243. 755 BGH 4.2.1999 – I ZR 71/97 – GRUR 1999, 1011, 1012 = WRP 1999, 924, 925 – Werbebeilage; Gloy/ Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 344; Harte/Henning/Weidert C Rn. 15; Ohly/Sosnitza Rn. 242. 756 OLG Celle 11.2.1988 – 13 U 254/87 – NJW-RR 1989, 103; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 344; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 285. 757 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 344; MünchKommUWG/Busche Rn. 361. 758 BGH 26.4.2007 – I ZR 120/04 – GRUR 2007, 991 Tz. 21 ff. = WRP 2007, 1351 – Weltreiterspiele. 759 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 281.
779
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
324
Da die Nachfrage marktgesetzlich umso höher, je niedriger der Preis ist, bedeutet dies vor allem, dass bei Sonderangebotswerbung mit selektiver Niedrigpreisstellung eine gesteigerte Vorratshaltung erforderlich ist.760 Bei besonders preisgünstigen Angeboten muss der Anbieter nicht nur mit zusätzlichen Nachfragern, sondern auch mit Vorratskäufen rechnen. Relevante Nachfrage im angesprochenen Kontext ist freilich nur die legitime Nach325 frage: Aufkäufe von Konkurrenten und Erwerb durch Testkäufer müssen bei der Bemessung des angemessenen Angebotsvolumens nicht in Rechnung gestellt werden.761 Wird erkennbar Ware aus dem regulären Angebot beworben, erwartet der Verkehr 326 zwar auch bei hochpreisigen Gegenständen prinzipiell Verfügbarkeit i.S. von Präsenz und Mitnahmemöglichkeit bzw. sofortige Lieferbarkeit (Rn. 316 ff.), ist hinsichtlich des Bevorratungsvolumens freilich wohl eher zu Abstrichen bereit:762 Bei einem Juwelier geht das Publikum schwerlich davon aus, dass er exklusive Ware in mehreren Exemplaren zum Mitnehmen bereit hält. Auch von einem Fachhändler der Computer-Technik oder der Unterhaltungselektronik, der auf Sortimentsbreite und -tiefe setzen muss, erwartet der Verkehr nicht ohne weiteres das Führen von Mehrfachstücken.
dd) Zeitraum. Wer Angaben über die Geltungsdauer seines Angebots macht, bindet sich. Nachfrage muss (mindestens) bis zum Ablauf der genannten Frist Deckung finden. Darüber, wie lange der Werbende Ware in ausreichendem Maß vorhalten muss, 328 wenn es an einer expliziten zeitlichen Limitierung fehlt oder ein vorhandener Hinweis so unauffällig gehalten ist, dass er nach Blickfangwerbung-Grundsätzen (s. Rn. 103 ff.) Kunden nicht entgegengehalten werden kann, lassen sich keine Einheitsaussagen treffen. Die Verkehrserwartung divergiert nach der Art der Werbung, der Warenart, der Art und Größe des werbenden Unternehmens und lokaler Übung.763 Allgemein lässt sich sagen, dass Katalogwerbung im Regelfall eine längere Verfüg329 barkeit als eine Handzettelwerbung erwarten lässt,764 Werbung in Beilagenform eine längere Verfügbarkeit als Anzeigenwerbung in Tageszeitungen.765 Bei ausgesprochener Langzeitigkeit des Angebots akzeptiert der Verkehr mit fort330 schreitendem Zeitablauf freilich eine gewisse Verwässerung des Prinzips greifbarer Verfügbarkeit: Bei Katalogen mit Laufzeiten übers ganze Jahr, jedenfalls eine ganze Saison, rechnet der Verkehr damit, dass das eine oder andere Angebot zeitweilig vergriffen ist und nachbestellt werden muss.766 327
ee) Lieferunfähigkeit ohne Verschulden und verschuldete Lieferunfähigkeit in Ausreißerfällen 331
(1) Höhere Gewalt und sonstiges Fehlen von Verschulden. Maßgeblichkeit der Verkehrsauffassung für das vom Werbenden Erwartete und Erwartbare bedeutet für den Fall nicht zeitgerechter oder mengenmäßig unzulänglicher Verfügbarkeit beworbener Ware auch Relevanz des jeweiligen Lieferunfähigkeitsgrunds: Der Verkehr versteht die
_____
760 Zutreffende einschlägige Klarstellung: Schünemann 164. 761 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 281. 762 Gl.A. OLG Karlsruhe 11.5.1988 – 6 U 228/87 – WRP 1988, 760, 761; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 339. 763 Harte/Henning/Weidert C Rn. 19. 764 Harte/Henning/Weidert C Rn. 21. 765 Harte/Henning/Weidert aaO. 766 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 341.
Lindacher/Peifer
780
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
Werbeankündigung im Allgemeinen nur als Leistungsbereitschaftsversprechen nach Maßgabe des bei zumutbarer Sorgfaltsanstrengung Möglichen. Er erwartet demgemäß nicht, dass sich die Ankündigung auch auf Fälle bezieht, in denen die Ware infolge höherer Gewalt oder sonst ohne Verschulden des Werbenden, seines Personals oder vom Werbenden zugezogener Dritter nicht zeit- und/oder mengengerecht zum Verkauf steht.767 Keine Irreführung i.S. von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 liegt deshalb vor: bei Verlust der Ware 332 durch Brand, Diebstahl und dergleichen.768 Ebenso ist es, wenn die Nicht- bzw. nicht rechtzeitige/nicht ausreichende Präsenz der beworbenen Ware auf im Zeitpunkt der Werbung nicht voraussehbarer mangelnder Selbstbelieferung beruht.769 Auf Zusicherung der Vorlieferanten im Rahmen bislang funktionierender Lieferbeziehungen darf der Werbende grundsätzlich vertrauen,770 auf allgemeine Zusagen bei einer Erstbestellung hingegen lediglich bedingt.771 Steht der Werbende außerhalb des Herstellervertriebssystems, liegen Belieferungskomplikationen von vornherein nahe; an die Nichtvoraussehbarkeit späterer Eindeckungsschwierigkeiten sind deshalb strenge Anforderungen zu stellen.772 Wann in der Fehleinschätzung des tatsächlichen Bedarfs ein Sorgfaltsverstoß zu se- 333 hen, mag in Grenzfällen zweifelhaft sein. Im Wissen darum, dass sich die durch die Werbeankündigung ausgelöste Nachfrage trotz ernsthaften einschlägigen Bemühens häufig alles andere als punktgenau schätzen lässt, akzeptiert der Verkehr Toleranzen. Bei besonderer werblicher Herausstellung eines attraktiven Angebots erwartet er freilich eine Vorratskalkulation, die einer Verfügbarkeitsgarantie nahe kommt.773 Ex ante erkennbare nachfragestimulierende Umstände erheischen Zuschläge. Bei längerfristigen Angeboten darf zudem – zumindest bei größeren Unternehmen – mit einer Bestandsüberwachung während des Abverkaufs sowie Maßnahmen zur unverzüglichen Bestandsauffüllung bei entstandenen oder sich abzeichnenden Bestandslücken gerechnet werden.774 Nachträglich zutage tretende Lieferunfähigkeit begründet bei Katalogwerbung keine 334 Berichtigungspflicht: Der Aufwand für eine einschlägige Mitteilung an alle Katalogempfänger bezüglich einzelner Artikel wäre typischerweise Übermaßaufwand.775 Soweit Kataloge oder sonstige Werbeträger im Geschäftslokal ausliegen, müssen zwischenzeitlich erkennbare Lieferschwierigkeiten freilich (durch Aufkleber, Einlegezettel oder dergleichen) alsbald verlautbart werden; die unveränderte Auslage täuscht problemlose Erhältlichkeit vor.776 Ob der Verkehr beim Zutagetreten von Lieferschwierigkeiten zwischen
_____
767 BGH 27.2.1982 – I ZR 35/80 – GRUR 1982, 681, 682 = WRP 1982, 642, 643 – Skistiefel; 5.5.1983 – I ZR 46/81 – GRUR 1983, 650 = WRP 1983, 613, 614 – Kamera; BGH 30.3.1989 – I ZR 33/87 – GRUR 1989, 609, 610 = WRP 1989, 570, 571 – Fotoapparate; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 343; Fezer/Büscher/ Obergfell/Peifer Rn. 282. 768 Ohly/Sosnitza Rn. 244. 769 BGH 27.2.1982 – I ZR 35/80 – GRUR 1982, 681, 682 = WRP 1982, 642, 643 – Skistiefel; BGH 21.4.1983 – I ZR 15/81 – GRUR 1983, 582, 583 = WRP 1983, 553, 554 – Tonbandgerät; Harte/Henning/Weidert C Rn. 25. 770 BGH 27.2.1982 – I ZR 35/80 – GRUR 1982, 681, 682 = WRP 1982, 642, 643 – Skistiefel; BGH 19.5.1983 – I ZR 77/81 – GRUR 1983, 777, 778 = WRP 1983, 665, 666 – Möbel-Katalog; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 343. 771 BGH 16.3.2000 – I ZR 229/97 – WRP 2000, 1131, 1133 – Lieferstörung; Gloy/Loschelder/Erdmann/ Helm § 59 Rn. 343. 772 BGH 27.2.1982 – I ZR 35/80 – GRUR 1982, 681, 682 f. = WRP 1982, 642, 643 – Skistiefel; BGH 21.4.1983 – I ZR 15/81 – GRUR 1983, 582, 583 = WRP 1983, 553, 554 – Tonbandgerät; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 343. 773 BGH 16.3.2000 – I ZR 229/97 – WRP 2000, 1131, 1133 – Lieferstörung. 774 OLG Köln 11.4.1988 – 6 U 279/83 – GRUR 1984, 827, 828; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 343. 775 BGH 19.5.1983 – I ZR 77/81 – GRUR 1983, 777, 778 = WRP 1983, 665, 666 – Möbel-Katalog. 776 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 342.
781
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
Druck und Verteilung mit einem Verzicht auf die termingerechte Auslieferung des Werbematerials (Kataloge, Prospekte) rechnet, hängt in erster Linie von der Art und Weise der Angebotsankündigung sowie der Angebotsattraktivität ab: Die Inkaufnahme mit der Terminverschiebung verbundener wirtschaftlicher Nachteile ist dem Werbenden umso eher zuzumuten, je stärker der nichtverfügbare Artikel herausgestellt wird und je günstiger das betreffende Angebot ist. (2) Ausreißer. Auch bei Lieferunfähigkeit, die bei isolierter Betrachtung als verschuldetes Unvermögen zu qualifizieren ist, braucht keineswegs immer eine Irreführung i.S. von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 vorzuliegen. Soweit die Fehlleistung bei gebotener Gesamtschau als nahezu unvermeidlicher Ausreißer erscheint, führt das hieraus resultierende Nicht- bzw. Nichtmehrvorhandensein der beworbenen Ware nicht zu einer Erwartungsenttäuschung des angesprochenen Verkehrs: Dieser erwartet nichts (nahezu) Unmögliches.777 Entscheidend für die konkrete Verkehrserwartung sind letztlich Art und Intensität der jeweiligen Werbung: Während der Verkehr einer Werbung, die einen einzelnen oder einige wenige Artikel zu besonders attraktiven Konditionen herausstellt, eher die Behauptung unbedingter Lieferfähigkeit (und damit hoher einschlägiger Sorgfaltsanstrengung) entnimmt, stellt er bei einer Werbung, in der eine Vielzahl von Waren gewissermaßen als Beispiel für Angebotsvielfalt und breite Leistungsfähigkeit des Werbenden angepriesen werden, durchaus in Rechnung, dass es vereinzelt auch zu Fehlleistungen in der Disposition kommen kann und kommt.778 Nach der Verkehrserwartung nicht in Kauf zu nehmen sind allemal organisations336 bedingte Deckungslücken, mithin insbesondere Lieferunfähigkeitsfälle, die darauf beruhen, dass der Werbende auf naheliegende Kontrollmaßnahmen verzichtet:779 Ordert ein Filialunternehmen die Ware zentral nach Listen der Filialen, ist eine Überprüfung der Bedarfsmeldungen dahin erwartbar, ob diese auch und gerade die zentral beworbenen Artikel erfassen. Wird von einer solchen Kontrolle abgesehen, liegt eine Irreführung i.S. von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 auch dann vor, wenn die nichtrechtzeitige Verfügbarkeit eines Artikels in einer bestimmten Filiale ihre Primärursache in einem Bestellversehen des Filialleiters hat, das per se als schlichter Ausreißer zu qualifizieren wäre. Das temporäre Leistungsunvermögen basiert auch auf einem Organisationsmangel.780 Keine Lösung ist es, durch Geo-Targeting darauf zu vertrauen, dass bestimmte Adressaten durch eine Werbung gar nicht erst erreicht werden, wenn anstelle dessen ein expliziter Ausschluss bestimmter Versorgungsgebiete durch klarstellenden Hinweis möglich gewesen wäre.781 335
337
(3) Darlegungs- und Beweislast. Umstände, die die mangelnde Lieferfähigkeit des Werbenden als unverschuldet oder als nahezu unvermeidbare Ausreißer erscheinen lassen, sind vom Werbenden darzulegen und zu beweisen.782
_____
777 BGH 4.6.1986 – I ZR 43/84 – GRUR 1987, 52, 54 = WRP 1987, 101, 102 f. – Tomatenmark; BGH 30.4.1987 – I ZR 95/85 – GRUR 1988, 311, 312 = WRP 1987, 670, 671 – Beilagen-Werbung; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 282; Ohly/Sosnitza Rn. 244. 778 So zu Recht BGH 22.1.1987 – I ZR 211/84 – GRUR 1987, 371, 372 = WRP 1987, 461, 462 – Kabinettwein. 779 Oder die Nichtversorgung sogar bewusst in Kauf nimmt, obwohl ihm auch ein klarstellender Hinweis zumutbar wäre: BGH 28.4.2016 – I ZR 23/15 – GRUR 2016, 1073 Tz. 32 – Geo-Targeting. 780 OLG Hamburg 3.11.1983 – 3 U 154/83 – GRUR 1984, 287, 288. 781 BGH 28.4.2016 – I ZR 23/15 – GRUR 2016, 1073 Tz. 32 – Geo-Targeting. 782 BGH 21.4.1983 – I ZR 15/81 – GRUR 1983, 582, 583 = WRP 1983, 553, 554 – Tonbandgerät; BGH 5.5.1983 – I ZR 46/81 – GRUR 1983, 650, 651 = WRP 1983, 613, 614 – Kamera; BGH 16.3.2000 – I ZR 229/97 – WRP 2000, 1131, 1133 – Lieferstörung; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 343.
Lindacher/Peifer
782
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
ff) Ausschluss der Irreführung durch klarstellenden Hinweis. Der Werbende hat es in der Hand, Missverständnissen über die Vorratsmenge, die Zusammensetzung des Angebots (nach Größen und Ausführung), die sofortige Greifbarkeit der beworbenen Ware und den Geltungszeitraum des Angebots durch eindeutige, bei situationsadäquat aufmerksamer Betrachtung unübersehbare Hinweise vorzubeugen. Den Charakter eines Einzelstückangebots verdeutlichen neben der expliziten einschlägigen Benennung auch Angaben wie „Ausstellungsgerät“, „Vorführgerät“ und dergleichen. Die Begrenztheit des Warenvorrats wird nicht nur durch die exakte Stückzahlbenennung, sondern auch durch Zusätze wie „Restposten“783 verlautbart. Kaum ausreichend sind hingegen Zusätze wie „solange Vorrat reicht“784 oder Anmerkungen wie „Wenn kurzfristig vergriffen, Bestellmöglichkeit“:785 Der Verkehr erwartet sehr wohl Deckung der für den Werbenden ex ante abschätzbaren Nachfrage, bezieht die einschlägigen Hinweise nur auf eine für den Werbenden nicht vorhersehbare Deckungslücke (zur Auf-jeden-Fall-Einschlägigkeit von Anh. Nr. 5 s. Anh. Nr. 5 Rn. 42). Begrenzte Verfügbarkeit signalisiert implizit schließlich die Einbettung des Angebots in die Ankündigung eines Räumungsverkaufs.786 Der Hinweis „demnächst“ stellt hinreichend klar, dass die beworbene Ware nicht bereits bei Erscheinen der Werbung erhältlich ist, weckt aber seinerseits gewisse (Mindest-)Erwartungen.787 Bewirbt der Händler mehrere Artikel als preisgünstige Neuheiten mit dem allgemeinen Vermerk „teilweise Einzelstücke“, liegt darin schwerlich eine Irreführung des angesprochenen Verkehrs:788 Der potentielle Kunde ist sich des Risikos, auch und gerade den von ihm präferierten Artikel (noch) im Geschäftslokal vorzufinden, sehr wohl bewusst (Fall unsicherer Vorstellung, s. bereits Rn. 148 ff.). Einschlägige Werbung ist freilich, soweit das Angebot hinreichend konkret, im Business-to-Consumer-Verkehr jedenfalls nach Anh. Nr. 5, im beidseitigen Unternehmensverkehr nach § 5a Abs. 1 zu untersagen: Wer Kunden anlockt, indem er sie auf einen hinreichenden Vorrat hoffen lässt, einen Teil der Angelockten indes notwendigerweise enttäuscht, handelt wettbewerbsfremd.
338
339
340
341
gg) Sonderfallgestaltung: Zugabeware. Wird das Warenangebot mit der Ankündi- 342 gung der Gewährung einer Zugabe verbunden, kann der Werbende die Verfügbarkeit von Hauptware und Zugabe spalten. Der zugabebezogene Hinweis „solange der Vorrat reicht“ verlautbart mit hinreichender Deutlichkeit, dass die Zugabe nicht im selben Umfang vorrätig ist wie die Hauptware.789 Der Verkehr erwartet und darf freilich erwarten, dass die Zugabe in einer Menge vorgehalten wird, dass jedenfalls „kurz entschlossenen“ Interessenten die Hauptware mit Zugabe vorfinden.790
_____
783 Köhler/Bornkamm/Feddersen Anh. zu § 3 Nr. 5 Rn. 5.13; MünchKommUWG/Busche Rn. 364; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 342. 784 OLG Hamburg 15.5.1986 – 3 U 196/85 – NJW-RR 1986, 1372, 1373; MünchKommUWG/Busche Rn. 364; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 342 785 A.A. OLG Stuttgart 13.4.1984 – 2 U 205/83 – WRP 1985, 49, 50 f.: Ausschluss der Vorstellung eines Warenvorrats über den ersten Verkaufstag hinaus. 786 OLG Oldenburg 12.1.2006 – 1 U 121/05 – GRUR-RR 2006, 202, 203; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 341. 787 KG 9.9.1980 – 5 U 2718/80 – WRP 1981, 211, 212. 788 A.A. OLG Hamm 21.10.1980 – 4 U 145/80 – WRP 1981, 329, 330. 789 BGH 18.6.2009 – I ZR 224/06 – GRUR 2010, 247 Tz. 15 = WRP 2010, 237 – Solange der Vorrat reicht; Köhler/Bornkamm/Feddersen Anh. zu § 3 Nr. 5 Rn. 5.20. 790 BGH 18.6.2009 – I ZR 224/06 – GRUR 2010, 247 Tz. 16 – Solange der Vorrat reicht; a.A.: OLG München 10.11.2011 – 29 U 1614/11 – WRP 2012, 579.
783
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
343
c) Angemessene Leistungskapazität. Verfügbar zu halten sind, in § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 explizit neben Waren benannt, auch Dienstleistungen: Dienstleistungsanbieter schulden angemessene Leistungskapazität. Das gilt auch für Online-Shops, denn auch bei Ihnen rechnet der Adressat mit der Verfügbarkeit der dort angebotenen Waren, mag ihm auch erspart werden, ein Ladenlokal aufzusuchen.791 Räumliche Verfügbarkeitserwartungen sind thematisiert, wenn das Angebot des 344 Werbenden aus technischen Gründen nicht flächendeckend genutzt werden kann. Zu denken ist etwa an die Bewerbung von DSL-Anschlüssen sowie so genannter Home-Zones für den Mobilfunkverkehr ohne explizite Benennung von Abdeckungslücken. Während im Business-to-Consumer-Verkehr hier wie dort kaum davon ausgegangen werden kann, dass dem Publikum das Abdeckungsmanko hinweisunabhängig durchgängig bekannt ist,792 dürfte dem angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsgewerbetreibenden bekannt sein, dass es Leistungsspitzen und hierdurch zeitweise Abdeckungsprobleme gibt.793 Allerdings rechnet der Verkehr bei einem bundesweit beworbenen DSL-Angebot nicht damit, dass ein großer Teil des Versorgungsgebietes von der Verfügbarkeit ausgenommen ist.794 Auch wenn die dort ansässigen potentiellen Teilnehmer durch Geo-Targeting von einer Internet-Werbung (zu 95%) herausgefiltert, ersetzt hierbei nicht den ausdrücklichen Hinweis über räumliche Versorgungslücken.795 Zeitliche Verfügbarkeitserwartungen sind angesprochen, wenn eine Notdienst345 Präsenz versprochen wird, die Dienstleistung indes nicht rund um die Uhr bereit gehalten wird.796 Bei Dienstleistungen, die eine Terminabsprache erfordern und/oder von sonstigen Umständen im Bereich des Leistungsnachfragenden abhängen, besteht keine Regelerwartung sofortiger Verfügbarkeit.797 Dies gilt für den Besuch von Friseuren, Restaurants, aber auch Optikern oder Hörgeräteakustikern.798 Wer mit „Anwalt sofort“ wirbt, erweckt keine Erwartung dahin, auch außerhalb der üblichen Kanzleizeiten sowie an Sonn- und Feiertagen zur Rechtsberatung zur Verfügung zu stehen.799 2. Art, Ausführung, Zusammensetzung, Beschaffenheit, Zubehör 346
a) Überblick. Die eher zusammenhanglose Auflistung der Merkmale Art, Ausführung, Zusammensetzung und Beschaffenheit im Katalog von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 wirft Abgrenzungs- und Relationsfragen auf. Eine verbreitete Ansicht800 sieht im Merkmal der Beschaffenheit den einschlägigen Oberbegriff, erachtet unter dessen Dach alle Umstände erfasst, die nach der Verkehrsauffassung für die Wertschätzung einer Ware oder Leistung von Bedeutung sein können. Orientiert man sich bei der Begriffsentfaltung, wie geboten, an der RL-Vorgabe, liegt freilich eine andere Systematisierung nahe. Die englisch- wie die französischsprachige Wendung (specifications bzw. spécification) weisen
_____
791 OLG Hamm 11.8.2015 – 4 U 69/15 – WRP 2015, 1383 Tz. 24 – Online-Shop. 792 OLG Frankfurt 10.7.2014 – 6 U 133/13 – GRUR-RR 2015, 150 Tz. 32 – Entertain Comfort; OLG Hamburg 12.4.2006 – 5 U 169/05 – GRUR-RR 2006, 285 (DSL-Internetzugang); OLG Hamburg 12.7.2006 – 5 U 142/05 – GRUR-RR 2007, 85, 86 f. – Homezone. 793 OLG Frankfurt 25.9.2014 – 6 U 111/14 – WRP 2015, 111 Tz. 15 – Immer Netz hat der Nutzer. 794 BGH 28.4.2016 – I ZR 23/15 – GRUR 2016, 1073 Tz. 24 f. – Geo-Targeting; vgl. Auch OLG Frankfurt 10.7.2014 – 6 U 133/13 – GRUR-RR 2015, 150 Tz. 32 – Entertain Comfort. 795 BGH 28.4.2016 – I ZR 23/15 – GRUR 2016, 1073 Tz. 32 – Geo-Targeting. 796 OLG Hamm 9.8.2005 – 4 U 51/05 – GRUR-RR 2006, 105 – ärztlicher Notdienst. 797 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 285. 798 BGH 17.7.2013 – I ZR 222/11 – GRUR 2013, 1056 Tz. 13 – Meisterpräsenz. 799 OLG Naumburg 8.11.2007 – 1 U 70/07 – GRUR-RR 2008, 173, 174. 800 Emmerich § 15 Rn. 13; Ohly/Sosnitza Rn. 247; Götting/Nordemann Rn. 1.38.
Lindacher/Peifer
784
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
eher auf eine Stufung der Merkmale Art und Beschaffenheit hin: Gemeint sein dürften, was die Produktbeschaffenheit anbelangt, spezielle Eigenschaften, die die Ware bzw. Dienstleistung innerhalb ihrer Art näher kennzeichnen.801 Mit den Begriffen Ausführung und Zusammensetzung wird man Konkretisierungen des Merkmals Beschaffenheit angesprochen sehen dürfen: thematisiert sind einschlägige Unterfallgruppen. „Zubehör“ erscheint bei weiter Fassung des Begriffs „Ausführung“ bereits von diesem umfasst: Die Aufnahme in den Katalog des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 doppelt eher die Bezeichnung, denn das Merkmal. Dass die Grenzen zwischen gattungsprägenden und gattungskonkretisierenden An- 347 gaben, aber auch im Verhältnis der gattungskonkretisierenden Angaben untereinander fließend sind, ist ergebnisunschädlich: Fehlvorstellungsauslösende Angaben aller Varianten sind typischerweise in hohem Maße geschäftsentscheidungserheblich. b) Art aa) Begriff und allgemeine Grundsätze. Angaben über die Art sind explizite oder 348 indirekte Gattungsbezeichnungen.802 Die Angabe ist irreführend, wenn für die beworbene Ware oder Dienstleistung zu Unrecht die Zugehörigkeit zu einer Gattung in Anspruch genommen wird, mit der der Verkehr eine wie immer geartete Wertschätzung verbindet.803 Gattung (genus) ist die durch gemeinschaftliche Merkmale zusammenfassbare Sachgruppe. Über den Gattungsstatus und den Gattungsumfang entscheidet die Verkehrsauffassung. Diese orientiert sich zwar keineswegs durchgängig, wohl aber tendenziell am allge- 349 meinen Sprachgebrauch und damit bei Wortzusammensetzungen u.a. auch an der sprachlichen Regelreihung: Bei Komposita benennt der Zweitbestandteil i.d.R. den Gegenstand (sprich: die Gattung), der vorangestellte Zusatz besondere Eigenschaften desselben.804 Der Zuordnung eines Produkts zu einer Produktkategorie entnimmt der Verkehr Erwartungen über die konkrete Warenart und -beschaffenheit.805 Kasuistik: Die Bezeichnung „Betonklinker“ lässt bereits sprachlich einen Klinker besonderer Härte, nicht einen Betonstein mit Klinkeroptik erwarten.806 Die Bezeichnung „vollsynthetisches Motorenöl“ weckt Erwartungen, die (auch) das (Fach-)Publikum an diese Kategorie aufgrund der Nutzung in der Vergangenheit stellt.807 Eine Indizfunktion kommt einschlägigen gesetzlichen Bezeichnungsvorschriften, 350 behördlichem Sprachgebrauch, Bezeichnungsgebräuchen der jeweiligen Fachkreise, DIN-Normen und Verbandsrichtlinien zu (s. bereits Vor §§ 5, 5a Rn. 174). Kasuistik: Verkehrsauffassungsprägende Kraft gesetzlicher Bezeichnungsvorschriften wurde bejaht für die Bezeichnung „Johannisbeerkonzentrat“. Zumindest gewerbliche Weiterverarbeiter verstehen die Bezeichnung i.S. der früheren FruchtsaftVO (heute: FrSaftErfrischGetrV), erwarten deshalb nicht unbedingt Zuckerfreiheit des Konzentrats.808
_____
801 Gleichsinnig Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 239; wohl auch Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.4. Anwendung durch BGH 21.6.2018 – I ZR 157/16 – GRUR 2018, 1263 Tz. 15 – Vollsynthetisches Motorenöl. 802 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 287. 803 BGH 21.6.2018 – I ZR 157/16 – GRUR 2018, 1263 Rn. 20 – Vollsynthetisches Motorenöl; Fezer/ Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 287. 804 Harte/Henning/Weidert C Rn. 43; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 232. 805 BGH 21.6.2018 – I ZR 157/16 – GRUR 2018, 1263 Tz. 15 – Vollsynthetisches Motorenöl. 806 BGH 18.2.1982 – I ZR 23/80 – GRUR 1982, 563 = WRP 1982, 459 – Betonklinker. 807 BGH 21.6.2018 – I ZR 157/16 – GRUR 2018, 1263 Tz. 15 – Vollsynthetisches Motorenöl. 808 BGH 22.9.1983 – I ZR 108/81 – GRUR 1984, 376, 377 = WRP 1984, 254, 256 – Johannisbeerkonzentrat.
785
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
351
Im Übrigen ist an Allgemeinem, mit potentieller Relevanz auch und gerade für Angaben gattungskennzeichnender Art, insbesondere Folgendes in Erinnerung zu bringen:
352
(1) Auch für gute Ware darf nicht irreführend geworben werden (s. bereits Rn. 252). Lässt die zu beurteilende Angabe Zugehörigkeit zu einer bestimmten, positive Assoziationen auslösende Gattung erwarten, liegt selbst dann eine Irreführung i.S. von § 5 vor, wenn die nicht gattungszugehörige Ware gleichwertige Gebrauchseigenschaften aufweist.809 Zu beachten bleibt freilich, dass sich der Verkehr keineswegs bei allen Angaben große Gedanken über die gattungsprägenden Merkmale macht, um erst von der Gattung auf die wesentlichen Eigenschaften und Wirkungen zu schließen. Möglich ist auch, dass eine bestimmte Angabe die Eigenschafts- bzw. Wirkweiseerwartung unmittelbar, ohne gedanklichen Zwischenschritt auslöst. Dann kommt es nur auf die entsprechende Eigenschaft bzw. Wirkung an, nicht auf die gattungsprägende stoffliche Zusammensetzung. Kasuistik: Mit Fug in Zweifel gezogen wurde beispielsweise: dass sich der Verkehr bei der Bezeichnung „Hautleim“ Gedanken darüber macht, ob das Produkt aus Rohhaut oder chemisch entgerbtem Leder entsteht;810 dass der Verkehr sich bei der Bezeichnung „Fichtennadelextrakt“ Vorstellungen darüber hingibt, in welchem Maße als Ausgangsstoffe neben Nadeln auch Holzbestandteile verwendet werden.811
353
(2) Besonders neue, dem Verkehr ungebräuchliche Bezeichnungen lösen beim Angesprochenen nicht selten Hilflosigkeit, zumindest Unsicherheit aus. In solcher Konstellation sind zwei Vorstellungsmuster zu unterscheiden (s. bereits Rn. 148 ff.): Soweit sich der Umworbene unbeschadet seiner Unsicherheit konkrete eigene Vorstellungen macht, ist bei Auseinanderfallen von Vorstellung und Realität sorgsam zu prüfen, ob der Irrtum marktentscheidungserheblich ist. Wer um die Fragwürdigkeit seiner Sinndeutung weiß, wird sich nicht ohne weiteres in gleicher Weise motivieren lassen wie derjenige, der mit einer Werbeankündigung klare und feste Vorstellungen verbindet, wird zudem eher geneigt sein allfällige Zusatzinformationen abzurufen.812 Auch wenn der Umworbene von einer eigenen Beurteilung absieht bzw. der eigenen Beurteilung so misstraut, dass er sie nicht zur Marktentscheidungsgrundlage macht, bleibt noch die Möglichkeit der Irreführung durch Enttäuschung einer akzessorischen Vorstellung. Der angesprochene Verkehr geht häufig zumindest von der Existenz einschlägiger Standards aus und verlässt sich dann darauf, dass das Angebot den Anforderungen entspricht, die das Gesetz, die amtlichen Stellen oder aber die zuständigen Fachkreise an die Verwendung der gewählten Bezeichnung stellen.813 Kasuistik: Ein als „Crème fraîche“ bezeichneter Sauerrahm muss den durch das französische Lebensmittelrecht vorgegebenen Mindestanforderungen genügen.814
354
(3) Umgekehrt werden ausländische Erzeugnisse, soweit ihre Provenienz erkennbar ist, nicht ohne weiteres an inländischen Standards gemessen: der Verkehr stellt gewisse Abweichungen in Rechnung.815
_____
809 BGH 28.6.1960 – I ZR 13/59 – GRUR 1960, 567, 570 = WRP 1960, 268 – Kunstglas; BGH 29.5.1991 – I ZR 204/89 – GRUR 1991, 852, 835 = WRP 1993, 95 – Aquavit; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.9; Gloy/ Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 232. 810 BGH 7.2.1961 – I ZR 123/59 – GRUR 1961, 361, 363 = WRP 1961, 154 – Hautleim. 811 BGH 13.7.1962 – I ZR 23/61 – GRUR 1963, 36, 38 = WRP 1962, 364 – Fichtennadelextrakt. 812 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 111. 813 BGH 15.6.1966 – Ib ZR 72/64 – GRUR 1967, 30, 32 = WRP 1966, 375 – Rum-Verschnitt; Köhler/ Bornkamm/Feddersen Rn. 2.11; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 261. 814 OLG Hamburg 17.2.1983 – 3 U 224/8 – WRP 1983, 426. 815 OLG Köln 20.11.1981 – 6 U 45/81 – GRUR 1983, 71 f.
Lindacher/Peifer
786
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
(4) Angaben, denen ein Teil des relevanten Verkehrs eine nicht der Realität ent- 355 sprechende Gattungsaussage entnimmt, können bei Anlegung des normativen Irreführungsbegriffs zulässig sein (allgemein: Rn. 268 ff.). Anlass zu einer besonderen Prüfung besteht insbesondere bei objektiv richtigen Angaben (Rn. 284), bei Verwendung eingeführter Bezeichnungen (Rn. 289, 291) und bei Anlehnung an eine gesetzliche oder behördliche Terminologie (Rn. 290). Kasuistik: Ob die Bezeichnung „Emaillelack“ für eine bestimmte Lackart mit Glanzeigenschaften von verständigen „Durchschnittsverbrauchern“ teilweise als Hinweis auf einen Emaillebestandteil und damit auf bestimmte Emailleeigenschaften (wie hohe Ritz-, Hitze-, Säure und Widerstandsfestigkeit) missverstanden wurde und wird, erscheint zweifelhaft. Jedenfalls rechtfertigt der Umstand, dass die Bezeichnung von der Lackindustrie seit langem unangefochten verwendet und von den Hauptabnehmern, den fachlichen Verwendern, durchaus richtig verstanden wird, die Weiterverwendung.816 Die Bezeichnung „Glutamal“ für ein Brätmittel mag von einem Teil des relevanten Verkehrs fälschlicherweise dahin gedeutet werden, es enthalte den Geschmacksverbesserer Glutamat. Zwei Umstände sprechen für die Zulässigkeit: das Faktum, dass die Bezeichnung „Glutamal“ mit im Metzgerhandwerk den Bekanntheitsgrad der Bezeichnung „Glutatmat“ übertrifft, sowie die Priorität der Erstbezeichnung.817 Die Bewerbung von Betondachsteinen mit der Bezeichnung „Dachsteine. Farbe naturrot“ mag – vielleicht – einen Teil des relevanten Verkehrs zu der Fehlvorstellung verleiten, es handele sich um Dachziegel. Verwenden auch Bausatzungen und baubehördliche Richtlinien die Farbbezeichnung „naturrot“ materialübergreifend, ist eine Auslegung anhand der gesetzlichen Vorgaben geboten: Hersteller von Dacheindeckungen haben ein verständliches und verständiges Interesse an Synchronbezeichnungen zur Gesetzes- und Behördenterminologie.818 Um eine Sonderkonstellation handelt es sich, wenn ein Teil des relevanten Verkehrs 356 die Werbeangabe trotz korrekter Fassung missversteht und mit der konkreten Fehlvorstellung Vorteile verbindet, die realiter gegeben sind, im Basisvorstellungsfall hingegen Putativvorteile blieben. Die Werbung tangiert in diesem Fall kein schutzwürdiges Interesse der Marktgegenseite. Das aktive Informationsinteresse des Werbenden und das passive Informationsinteresse derer, die die Werbeangabe richtig verstehen, konfligieren nur mit dem Verbotsinteresse der Mitbewerber, zu deren Lasten sich jede verhaltensrelevante Irreführung auswirkt. Das spricht für die Zulässigkeit der Äußerung. (Demonstrations-) Beispiel Mit „Aquavit“ bezeichnet man herkömmlicherweise sowohl das hochprozentige Destillat als auch das durch Zugabe von destilliertem Wasser trinkfertig gemachte Endprodukt. Voraussetzung einer reifebedingten hohen Qualität der Spirituose ist die Lagerung des Konzentrats, nicht des Endprodukts. Vor diesem Hintergrund ist die Werbung L.-Aquavit weise eine besondere Reife auf, da er in SherryFässern in mehrmonatiger Schifffahrt zweimal den Äquator passiert habe, auch für den (unwahrscheinlichen) Fall nicht zu beanstanden, dass nicht unerhebliche Verkehrsteile fälschlicherweise davon ausgehen, dass die „Äquator-Reise“ mit dem trinkfertigen Produkt (statt des hochprozentigen Destillats) erfolgte und zudem, wiederum fälschlicherweise, gerade diesem Umstand qualitätssteigernde Bedeutung beimessen.819
_____
816 BGH 28.2.1958 – I ZR 129/56 – BGHZ 27, 1, 13 f. = GRUR 1958, 444, 445 f. – Emaillelack. 817 BGH 23.3.1966 – Ib ZR 28/64 – GRUR 1966, 445, 449 f. = WRP 1966, 340 – Glutamal. 818 A.A. – die Interessenabwägungsfrage nicht thematisierend – OLG Köln 11.1.1984 – 6 U 46/83 – WRP 1984, 430, 431. 819 BGH 29.5.1991 – I ZR 204/89 – GRUR 1991, 852 ff. – Aquavit.
787
Lindacher/Peifer
§5
357
Irreführende geschäftliche Handlungen
Bei Produktionsinnovationen ist sprachlich korrekt gebildeten Bezeichnungen eine Durchsetzungschance zu gewähren (s. bereits Rn. 287). Der Werbende muss die Irreführungsgefahr im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren minimieren. Eine qualitativ und quantitativ geringe, mutmaßlich temporäre Restirreführung ist hinzunehmen.
(5) Die Verwendung gesetzlich vorgeschriebener oder gestatteter Bezeichnungen ist allemal verbotsimmun: Die Normenkonkurrenz zwischen Irreführungsverbot und Kennzeichnungsrecht ist im Sinne des Vorrangs des Kennzeichnungsrechts aufzulösen (Vor §§ 5, 5a Rn. 177). Es bedarf keines Rückgriffs auf das Institut der Interessenabwägung. 359 Vorrang des Bezeichnungsrechts bedeutet freilich immer nur, dass die Verwendung der Bezeichnung als solche beanstandungsfrei bleibt: Soweit sich die Irreführungsgefahr erst aus der Art und Weise und/oder den näheren Begleitumständen der Verwendung ergibt, bleibt § 5 uneingeschränkt anwendbar (s. bereits Vor §§ 5, 5a Rn. 181). Zur Sonderfallgestaltung, dass die gesetzliche Terminologie von Herstellern und 360 Handel nicht angenommen wird, s. Vor §§ 5, 5a Rn. 182. 358
bb) Kunst- und Ersatzstoffe 361
(1) Irreführende Anlehnung an eingeführte Stoffbezeichnungen. Soweit die Wertschätzung einer bestimmten Gattung auf der stofflichen Beschaffenheit der genusprägenden Produkte beruht, ist sie nicht selten gewachsene Wertschätzung, basierend auf dem Umstand der Verwendung eines bewährten Materials, insbesondere eines bestimmten Naturstoffs. Imitatproduktbezeichnungen, die sich an die traditionelle Stoffbezeichnung anlehnen, haben ein hohes Irreführungspotential. Bezeichnungspraktiken, mit denen mehr oder weniger offen daraufgesetzt wird, dass der Interessent von der Existenz des „Originalstoffs“, zumindest aber eines dem herkömmlichen Stoff in Qualität und Wirkung ähnlichen Stoffs ausgeht, sind zu unterbinden. Da auch irreführende Werbung für gute Ware legitime Mitbewerberinteressen berührt (Rn. 252), ist schließlich selbst bei qualitativ hochwertigen Substitutionsprodukten darauf zu achten, dass ein hinreichender Bezeichnungsabstand eingehalten wird. Kasuistik: Kunstseide ist keine „Seide“, 820 kunststoffbeschichtetes Textilgewerbe kein „Textilleder“,821 ein silberartig glänzendes Geschirr aus Aluminium darf nicht unter der Bezeichnung „Silberal“,822 ein Zucker-Süßstoff-Gemisch, dessen Süßkraft zu 50% auf der Süßstoffbeimischung beruht, nicht als „Spezialzucker“ angeboten werden.823 „Torf“ und „Stallmist“ weisen auf Urprodukte hin. Ein aus Schlamm mittels Trocknung gewonnenes Produkt darf deshalb nicht als „Torf“, ein zwischenzeitlich zur Champignonzucht verwendeter Mist nicht mehr als „Stallmist“ bezeichnet werden, beides unabhängig davon, ob Gleichwertigkeit gegenüber dem Urprodukt gegeben ist oder nicht.824
362
(2) Verbotsgegeninteressen. Ebenso wenig darf freilich übersehen werden, dass die Hersteller von Substitutionsprodukten ein legitimes Interesse an Funktionsverdeutlichung haben, die sprachlichen Möglichkeiten zu bündiger Information zudem durchaus begrenzt sind. Und, auch das Allgemeininteresse an funktionierendem Wettbewerb und
_____ 820 821 822 823 824
BGH 11.5.1954 – I ZR 178/52 – GRUR 1955, 37, 40 f. – Cupresa. OLG Bamberg 21.3.2012 – 3 U 219/11 – WRP 2012, 1282. BGH 18.1.1955 – I ZR 102/53 – GRUR 1955, 251 – Silberal. BGH 22.10.1971 – I ZR 36/70 – GRUR 1972, 132, 133 = WRP 1971, 525 – Spezialzucker. OLG München 3.2.1981 – 6 U 4025/80 – WRP 1981, 416 f.
Lindacher/Peifer
788
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
damit an fairen Rahmenbedingungen für Marktnewcomer spricht gegen ein vorschnelles Verbot. Soweit nicht gesetzliche Bezeichnungsschutzbestimmungen entgegenstehen, bleibt 363 deshalb im Rahmen des normativen Irreführungsbegriffs zu prüfen, ob und inwieweit eine Begriffsöffnung in Richtung Kunst- und Ersatzprodukt stattgefunden hat: Der Verkehr rechnet zunehmend mit einem Nebeneinander von Natur- und Substitutionserzeugnissen, sieht in der Naturerzeugnis-Bezeichnung den Oberbegriff, der auch Substitutionsprodukte einschließt, geht bei zusatzloser Stoffbezeichnung bzw. unzulänglichem Hinweis auf die Ersatzstoffbeschaffenheit freilich regelmäßig nach wie vor vom herkömmlichen Naturprodukt aus. Reicht der Zusatz nicht aus, die Irreführungsgefahr zur Gänze auszuschließen, kommt dem Umstand, dass die Zusatzangabe zumindest mehrheitlich oder gar ganz überwiegend zutreffend verstanden wird, im Rahmen der sodann gebotenen ergänzenden Interessenabwägung Bedeutung zu. Selbst eine relativ hohe Konfusionsrate verliert an Gewicht, wenn sie als lediglich temporär zu prognostizieren ist (s. Rn. 287). Relevanz der Irreführungsqualität (Rn. 273) bedeutet Relevanz der Frage nach Qualitäts- und Wirkweisenentsprechung von „Original-“ und Substitutionsprodukt. Das Gewicht der Verbotsgegeninteressen (Rn. 362) wird durch den Umstand bestimmt, ob es dem Werbenden möglich und zumutbar ist, auf eine nicht bzw. zumindest weniger irreführende Bezeichnung auszuweichen. (3) Denaturierende Zusätze. Zur Verdeutlichung des Substitutionscharakters ge- 364 nügt im Allgemeinen insbesondere die Voranstellung des Wortes „Kunst-“.825 Der entsprechende Zusatz schließt eine Irreführung nicht nur dort aus, wo eine entsprechende Bezeichnungstradition besteht,826 verhindert ein Gleichsetzen von Natur- und Ersatzprodukt vielmehr auch bei einer Produktneuheit.827 Lediglich dort, wo der Zusatz „Kunst“ bei einem Teil des relevanten Verkehrs Assoziationen i.S. von künstlerisch auslöst, schafft er Mehrdeutigkeit: Die Verwendung der Bezeichnung für ein Kunststoffprodukt verlangt einen anderen Klarstellungshinweis.828 Kasuistik: Die Bezeichnung „Kunstglas“ für lichtdurchlässige Kunststoffprodukte wird in den meisten Verwendungsbereichen richtig verstanden: als Substitutionsbezeichnung für (Silikat-)Glas. In bestimmten Bereichen, wie bei der Verwendung für Leuchten, besteht jedoch die Gefahr, dass Teile des relevanten Verkehrs mit der Bezeichnung „Kunstglas“ die Vorstellung eines künstlerisch gestalteten (Silikat-)Glases verbinden. Die Bezeichnung darf deshalb hier nicht ohne unmissverständlichen Hinweis auf den Kunststoffcharakter benutzt werden.829 Denaturierende Kraft kommt auch und verstärkt dem Zusatz „Kunststoff“ zu. Die 365 Bezeichnung vermeidet insbesondere die bereichsweise gegebene Mehrdeutigkeit des Wortes „Kunst“: „Kunststoffglas“-Leuchten lässt von vornherein nicht auf eine künstlerische Produktgestaltung schließen.830 Die Gefahr, dass der Verkehr mit der Wortkombination die Vorstellung eines Mischprodukts verbindet, erscheint äußerst fernliegend. Kasuistik: Nach dem BGH verstößt die Bezeichnung „Kunststoff-Furnier“ gegen das lauterkeitsrechtliche Irreführungsverbot, weil nicht unbeachtliche Verkehrsteile aus
_____
825 MünchKommUWG/Busche Rn. 385; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 294; Köhler/Bornkamm/ Feddersen Rn. 2.198; Ohly/Sosnitza Rn. 251; Schünemann S. 150. 826 So freilich noch RG 6.7.1937 – II 42/1937 – GRUR 1938, 121, 124. 827 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.198; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 236. 828 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 236; Ohly/Sosnitza Rn. 252. 829 BGH 28.6.1960 – I ZR 13/59 – GRUR 1960, 657, 569 – Kunstglas. 830 BGH 7.7.1971 – I ZR 23/71 – GRUR 1972, 360 = WRP 1972, 77 – Kunststoffglas.
789
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
dem Wortbestandteil „Furnier“ schlössen, dass das Produkt zumindest auch den Bestandteil Holz aufweise. Der hohe Verbreitungsgrad von Kunststoff-Furnieren in der Möbelbranche lässt diese Prämisse zumindest heute mehr als fragwürdig erscheinen.831 Selbst seinerzeit wäre dem Werbenden im Wege der Interessenabwägung zu helfen gewesen: „Furnier“ ist keine Exklusivbezeichnung für Holzfurnier. Klarer als durch den Zusatz „Kunststoff“ lässt sich der Substitutionscharakter schwerlich verdeutlichen. 366 Denaturierend wirken ferner die Zusätze „Plastik“ und „Synthetik“,832 einzelfallweise auch Produktbezeichnungen, die auf künstliche Herstellung hinweisen sowie chemische Stoffbezeichnungen: „Krupp-Hüttenbims“ ist ersichtlich kein Naturbims.833 Die Bezeichnung „Napanova aus Polyethuran“ mag breiten Verkehrskreisen hinsichtlich der stofflichen Beschaffenheit des beworbenen Produkts nur wenig an positiver Information geben, macht in ihrem zweiten Teil aber jedenfalls hinreichend deutlich, dass es sich nicht um ein Lederprodukt handelt.834 Der Bezeichnungsbestandteil „-look“ signalisiert seinem Wortsinn nach Gleichheit, jedenfalls Ähnlichkeit des Aussehens, nicht Identität mit dem benannten Stoff. Dass Teile des relevanten Verkehrs bei Bewerbung eines Möbelstücks mit Kunststoffoberfläche mit der Bezeichnung „im Astkieferlook“ eine Naturholzoberfläche erwarten,835 dürfte zumindest heute nicht mehr zutreffen.836 Die Beifügung eines (Kunststoff-)Markennamens reicht im Allgemeinen nicht aus, 367 einer Naturproduktassoziation gegenzuwirken.837 Bei Marken mit außerordentlicher Verkehrsdurchsetzung (wie „Perlon“ oder „Nylon“) erscheint eine Irreführung des angesprochenen Verkehrs über den Substitutionscharakter des angebotenen Produkts freilich kaum denkbar.838 Ein „Perlon-Pelz“ wird mitnichten mit einem Naturpelz gleichgesetzt.839 Dass die Bezeichnung fachsprachlich, insbesondere wissenschaftlich korrekt ist, 368 genügt dort, wo sich die Werbung auch an Nichtfachkreise wendet, per se nicht: Auch objektiv richtige Werbeangaben sind irreführend, wenn Teile des angesprochenen relevanten Verkehrs mit ihnen positive Vorstellungen verbinden, die nicht der Realität entsprechen (allgemein: Rn. 132 ff.). Kasuistik: Die Bezeichnung „Cupresa-Seide“ für ein nach dem Kupferoxydammoniak-Verfahren hergestelltes Produkt mag sprachlich durchaus korrekt sein. Zumindest Teile des allgemeinen Verkehrs verbinden mit ihr gleichwohl die Beschaffenheitsvorstellung (Natur-)Seide; dem Bezeichnungsbestandteil „Cupresa“ (lat. Kupfer) vermag der Verkehr keinesfalls durchgängig Denaturierungsfunktion beizumessen.840 Für Leuchten aus dem lichtdurchlässigen Kunststoff Polymethylacrylat darf gegenüber dem breiten Publikum nicht mit der Bezeichnung „Acrylglas“ geworben werden. Teile des Verkehrs verbinden mit ihr wohl auch heute noch die Vorstellung, es handele sich um herkömmliches Glas. Auch der – zutreffende – Zusatz „organisches Glas“ klärt den fehlgeleiteten
_____
831 BGH 22.3.1967 – Ib ZR 88/65 – GRUR 1967, 600, 602 = WRP 1967, 315, 317 f. – Rhenodur I sowie BGH 2.11.1973 – I ZR 13/72 – GRUR 1974, 158, 159 f. = WRP 1974, 38, 39 – Rhenodur II. 832 Harte/Henning/Weidert C Rn. 44; MünchKommUWG/Busche Rn. 385; Ohly/Sosnitza Rn. 252; Gloy/ Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 236. 833 RG 18.1.1939 – II 127/38 – MuW 1939, 233. 834 OLG Hamburg 21.4.1983 – 3 U 4/83 – WRP 1983, 628, 630. 835 So noch OLG Hamburg 21.5.1987 – 3 U 10/87 – NJW-RR 1988, 813. 836 Übereinstimmend: MünchKommUWG/Busche Rn. 385. 837 RG 25.3.1930 – II 393/29 – RGZ 128, 264, 265 = GRUR 1930, 546 (für die Verbindung des Begriffs „Seide“ mit den Warenzeichen Bemberg und Agfa). 838 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 236. 839 LG Frankfurt 15.7.1954 – 2/6 Q 52/54 – GRUR 1955, 304. 840 BGH 11.5.1954 – I ZR 178/52 – GRUR 1955, 37, 40 f.
Lindacher/Peifer
790
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
Verkehrsteil nicht hinreichend auf, weil der Umstand, dass (Silikat-)Glas eine anorganische Verbindung, „organisches Glas“ mithin ein aliud sein muss, dem Publikum weithin unbekannt.841 Zusätzen, die selbst mehrdeutig sind, fehlt allemal die denaturierende Kraft: „Eiche 369 foliert“ verlautbart keineswegs mit der gebotenen Deutlichkeit, dass es sich um lediglich kunststoffbeschichtete Möbel in Holzoptik handelt.842 (4) Echt/original. Der Bedeutungssinn des Zusatzes „echt“ oder „original“ in Ver- 370 bindung mit einer Kunstproduktbezeichnung variiert: In Kombination mit einem als solchem erkannten Markenzeichen wird der Zusatz im Allgemeinen als verstärkender Hinweis auf die betriebliche Herkunft aufgefasst.843 Bei besonderer Nähe des Kunstprodukts zu einem traditionellen Naturprodukt und lediglich relativer Verkehrsgeltung der Marke besteht aber auch die Möglichkeit, dass relevante Verkehrsteile ob des Zusatzes der Fehlvorstellung erliegen, das beworbene Produkt sei Naturprodukt.844 Ist dies der Fall, so ist die Werbung auch nicht aus Interessenabwägungsgründen zu rechtfertigen:845 Betriebliche Herkunft lässt sich auch auf andere, irreführungsfreie Art und Weise herausstellen. Kasuistik: Wenn und weil das Phantasiewort „Skai“ in der Komposition „echt skai“ für ein Kunstlederprodukt von erheblichen Verkehrsteilen als Name einer Ledersorte aufgefasst wird, ist die Bezeichnung unzulässig.846 Die Eigenschaft „Original“ kann sich auch mittelbar aus der Produktbeschreibung ergeben. So liegt es, wenn ein Tonträger mit dem Vorhandensein von Aufnahmen einer bestimmten Zeitepoche beworben wird, sich tatsächlich auf dem Träger aber nur Wiedereinspielungen befinden, also gerade keine Originalaufnahmen.847 Bei werblichen Äußerungen, die das Adjektiv „echt“ bzw. „original“ in Kombination 371 mit einem Zusatz versehen, dem für sich allein denaturierende Kraft zukäme, sollte die Widersprüchlichkeit zulasten des Werbenden gehen: Der Spekulation, dass der Verkehr sich vorzugsweise an der – objektiv falschen – Teilaussage „echt“ bzw. „original“ orientiert, ist ein Riegel vorzuschieben. Kasuistik: Unzulässig ist daher richtigerweise etwa: die Bewerbung von Zuchtperlen als „echte Zuchtperlen“,848 von Perücken mit dem Hinweis „aus echtem Kunsthaar“.849 „Echt versilbert“ lässt zumindest einen besonders hohen Silberanteil erwarten.850 (5) Anlehnung und Qualitätserwartung. Dass der Verkehr bei „Kunstprodukten“ 372 aus der (Mit-)Bezugnahme auf das Naturprodukt schließt, jene kämen diesem nach Eigenschaften und/oder Wirkung zumindest gleich oder zumindest nahe,851 lässt sich zumindest in dieser Allgemeinheit nicht sagen: Für Kunststoffglas oder Kunsthonig – frag-
_____
841 BGH 21.6.1967 – Ib ZR 159/64 – GRUR 1968, 200, 202 f. = WRP 1967, 440, 442 – Acrylglas. 842 OLG Hamburg 14.7.1988 – 3 U 211/86 – WRP 1989, 259 f. 843 RG 8.2.1939 – II 393/29 – GRUR 1939, 486 – Echt Bergmann; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.87. 844 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 237; Ohly/Sosnitza Rn. 251. 845 A.A. Schünemann S. 150. 846 BGH 3.5.1963 – Ib ZR 93/61 – GRUR 1963, 539, 540 = WRP 1963, 276, 277 – echt skai. 847 OLG Hamburg 12.7.2012 – 3 U 65/10 – GRUR-RR 2013, 29, 34 – Nr. 1 Hits. 848 LG Essen 30.6.1970 – 17 HKO 123/69 – WRP 1971, 190 gegen OLG Hamm 11.11.1969 – 4 U 133/69 – GRUR 1970, 611. 849 LG Düsseldorf 3.3.1971 – 17 O 490/70 – WRP 1971, 189. 850 BGH 18.9.1976 – I ZR 82/84 – GRUR 1987, 124 = WRP 1987, 324 – „echt versilbert“. 851 Ohly/Sosnitza Rn. 251; Schünemann S. 150.
791
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
los zulässige Bezeichnungen – trifft derartiges sicher nicht zu. Selbst die Verwendung des Begriffs „synthetisch“ dürfte zumindest im Bereich der Allgemeinwerbung schwerlich dahin verstanden werden, das Substitutionsprodukt weise die gleiche chemische Zusammensetzung und Wirkung wie das Naturprodukt auf: Das breite Publikum versteht die Bezeichnungen „künstlich“ – „synthetisch“ wohl eher als gegensätzlich.852 Mindesterfordernis ist dabei die Verwendbarkeit zu gleichem Zweck.853 Soweit solche Erwartung enttäuscht wird, ist die Bezeichnung deshalb irreführend. Wird der Abstand des Kunstprodukts zum bekannten (Natur-)Stoff bezeichnungsmäßig heruntergespielt, liegt es hingegen in der Tat nahe, dass ein relevanter Teil des angesprochenen Verkehrs auch bei jenem die charakteristischen Eigenschaften des letzteren erwartet: Die Bezeichnung „Napanova aus Polyurethan“ verdeutlicht zwar in hinreichender Weise, dass es sich nicht um Nappa-Leder handelt (s. bereits Rn. 366), weckt jedoch in durchaus nennenswertem Maß die Vorstellung, es handele sich um ein besonders weiches und anschmiegsames Material.854 373
cc) Bedeutungswandel. Die Verkehrsauffassung darüber, was bei gleichbleibender Bezeichnung gattungszugehörig ist, kann sich im Zeitablauf ändern. Fasst ein Teil des relevanten Verkehrs den überkommenen Gattungsbegriff enger, erfüllt die Weiterverwendung der Gattungsbezeichnung für nach dieser Sicht nicht mehr gattungszugehörige Produkte freilich nicht ohne weiteres den Tatbestand des § 5. Solange das Neuverständnis nicht Mehrheitsverständnis ist, darf die Bezeichnung weiterhin zusatzlos in ihrer ursprünglichen Bedeutung als Gattungsbezeichnung werbend verwendet werden: Das Verbotsinteresse bricht sich am Allgemeininteresse, etablierte Gattungsbezeichnungen in ihrer Benutzbarkeit gemeinfrei zu halten.855 Inwieweit die Nutzung der Bezeichnung im überkommenen Sinn (gegebenenfalls unter Beifügung eines aufklärenden Hinweises) aus Besitzstandsgründen selbst dann zulässig bleibt, wenn das Neuverständnis Mehrheitsverständnis geworden ist, ist eine nach den Grundsätzen ergänzender Interessenabwägung zu treffende Einzelfallentscheidung. Kasuistik: Unbeschadet des Umstands, dass unter der Bezeichnung „Lakritz“ nahezu ausschließlich gepresste Lakritze, d.h. Produkte bissfester Konsistenz, vertrieben werden, keine Verengung des Begriffs auf diesen Lakritztyp, solange der Verkehr nicht mehrheitlich die einschlägige Begriffsreduktion vollzogen hat.856
374
dd) Gesetzliche Bezeichnungsvorschriften, schlichte Bezeichnungskodizes. Verkehrsauffassungsprägend, was die Produktgattungszugehörigkeit betrifft, sind in besonderer Weise Vorschriften des europäischen und des nationalen Rechts, die unter Anführung zugehöriger (Mindest-)Standards Bezeichnungsaussagen für bestimmte Produkte treffen. Der Verkehr erwartet bei einschlägiger Bezeichnungsverwendung Gattungszugehörigkeit des beworbenen Produkts und damit Einhaltung der (Mindest)Standards, über die Figur der akzessorischen Verkehrsauffassung (Vor §§ 5, 5a Rn. 174) selbst dann, wenn ihm die Standards im Detail unbekannt sind. Gesetzliche Bezeichnungsvorschriften begegnen vor allem für Lebens- und Genussmittel, aber auch in anderen Bereichen.
_____ 852 853 854 855 856
Zweifelnd Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 237. Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm 3 59 Rn. 237; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.199. OLG Hamburg 21.4.1983 – 3 U 4/83 – WRP 1983, 628, 630 f. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.196; Ohly/Sosnitza Rn. 250. BGH 15.5.1986 – I ZR 32/85 – GRUR 1986, 822, 823 = WRP 1986, 608, 609 – Lakritz-Konfekt.
Lindacher/Peifer
792
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
(1) Lebensmittel. Beispiele: Butter, VO (EU) 1308/2013 ABl L 347/671 v. 20.12.2013, 375 ButterVO v. 3.2.1997 (BGBl I 144, zuletzt geändert durch VO v. 5.7.2017 (BGBl I 2272). Diätetische Lebensmittel, DiätV i.d.F. Bek. v. 28.4.2005 (BGBl I 1161), zuletzt geändert durch VO v. 5.7.2012 (BGBl I 2272). Eier, Tier-LMHV v. 8.8.2007 (BGBl I 1816) i.d.F. der Bekanntmachung vom 18.4.2018 (BGBl. I 480). Fleisch und Fleischerzeugnisse, TierLMHV v. 8.8.2007 (BGBl I 1816). Fruchtsäfte, Fruchtnektar, FruchtsaftErfrischGetrV v. 24.5.2004 (BGBl I 1016), zuletzt geändert durch VO v. 5.7.2017 (BGBl I 2277). Honig, HonigV v. 16.1.2004 (BGBl I 92), zuletzt geändert durch VO v. 5.7.2017 (BGBl I 2272). Kaffee, Kaffee-Ersatz und Kaffeezusätze, KaffeeV v. 15.11.2001 (BGBl I 3107), zuletzt geändert durch VO v. 5.7.2017 (BGBl I 2272). Kakao und Kakaoerzeugnisse, KakaoV v. 15.12.2003 (BGBl I 2738), geändert durch VO v. 5.7.2017 (BGBl I 2277). Käse, KäseV i.d.F. Bek. v. 14.4.1986 (BGBl I 412), zuletzt geändert durch VO v. 5.7.2017 (BGBl I 2272). Konfitüren, KonfV v. 23.10.2003 (BGBl I 2151), zuletzt geändert durch VO v. 5.7.2017 (BGBl I 2272). Milch, VO (EU) 1308/2013 ABl L 347/671 v. 20.12.2013, MilchKennZV v. 19.6.1974 (BGBl I 1301), zuletzt geändert durch VO v. 5.7.2017 (BGBl I 2272). Mineralwasser, Quellwasser, Tafelwasser, Mineral- und TafelwasserVO v. 1.8.1984 (BGBl I 1036), zuletzt geändert durch VO v. 5.7.2017 (BGBl I 2272). Zucker, RL 2001/111/EG (ABl L 10/53 v. 12.1.2002), ZuckerartenVO v. 23.10.2003 (BGBl I 2098), zuletzt geändert durch VO v. 5.7.2017 (BGBl I 2272). (2) Alkoholika. Beispiele: Bier, BierVO v. 2.7.1990 (BGBl I 1332), zuletzt geändert 376 durch VO v. 5.7.2017 (BGBl I 2272). Spirituosen, VO (EG) 110/2008 (ABl L 39/16 v. 13.2.2008). Wein, VO (EG) 491/2009 v. 25.5.2009 mit zahlreichen Definitionen in Anh. I (ABl L 154/1 v. 17.6.2009), ergänzend WeinG i.d.F. Bek. v. 18.1.2011 (BGBl I 66), zuletzt geändert durch Ges. v. 27.6.2017 (BGBl I 1966). (3) Sonstige Bereiche. Beispiel: Textilerzeugnisse (wie Baumwolle, Flachs, Glas- 377 faser, Haar, Hanf, Jute, Leinen, Polyester, Seide, Viskose, Wolle), TextilKennzG v. 16.3. 2016 (BGBl I 198). Den gesetzlichen Bezeichnungsvorschriften im angesprochenen Kontext wirkähn- 378 lich sind Bezeichnungskodizes sachverständiger Gremien wie die von einer Sachverständigenkommission aufgestellten „Leitsätze des Deutschen Lebensmittelbuches“:857 Einschlägige gutachterliche Feststellungen spiegeln zwar idealiter die Verkehrsauffassung, prägen indes in Randbereichen unsicherer Vorstellung sehr wohl ihrerseits dieselbe. c) Ausführung, Zubehör aa) Allgemeine Kennzeichnung. Eine bedeutsame Fallgruppe gattungskonkreti- 379 sierender Angaben bilden werbliche Aussagen zur Produktausführung einschließlich der Aussagen das Zubehör betreffend (zum Verhältnis Ausführung – Zubehör bereits Rn. 346). Will man zwischen beiden unterscheiden, mag man von Ausführung sprechen, soweit es sich um im Preis inbegriffene (typischerweise: serienmäßige) Ausrüstung handelt, von Zubehör, soweit zusätzlich berechnete Ergänzungspositionen in Frage stehen.858
_____ 857 858
793
Abrufbar unter https://www.deutsche-lebensmittelbuch-kommission.de/. Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.7: „schlüssig, aber nicht zwingend“.
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
380
bb) Technische Produkte. Angaben zur Produktausführung begegnen vor allem bei technischen Produkten: als Angaben zu Ausrüstungskomponenten, die für ein bestimmtes Leistungspotential stehen. Vorbehaltlose Angebote lassen Allgemein-, jedenfalls Mindeststandard erwarten. Soweit und solange Ausstattungsmerkmale noch nicht Allgemeinstandard sind, muss andererseits noch nicht auf einschlägiges Fehlen hingewiesen werden.859 Kasuistik: Ein Händler, der in Zeitungsanzeigen für fabrikneue Fahrzeuge wirbt, die aus dem EU-Ausland eingeführt worden sind und deren Serienausstattung hinter der Serienausstattung der für den deutschen Markt bestimmten Fahrzeuge zurückbleibt, muss nicht schon im Zeitungsinserat auf die geringwertigere Serienausstattung hinweisen, wenn er die Fahrzeuge in der Werbung hinreichend deutlich als „EG-Neuwagen“ bezeichnet. Verabsäumt er einen entsprechenden Hinweis, darf der Verkehr hinsichtlich der kaufentscheidungsrelevanten Ausstattungsmerkmale (wie Beifahrer-Airbag, geteilte Rücksitzbank) Einhaltung des Inlandsstandards erwarten.860 Im elektronischen Bereich zählt neben der Hardware- auch und vor allem die Soft381 wareausstattung: das Vorhandensein bestimmter Programme.861 Beim PC-Kauf gehört zur üblichen Ausstattung die Mitlieferung eines Handbuchs in Papier- oder digitaler Form (vgl. auch § 434).862
382
cc) Dienstleistungen. Bei der Bewerbung von Dienstleistungen dienen Ausstattungsmerkmale häufig der Gattungszuordnung: Verkaufs- und Werbefahrten sind kategorial von allgemeinen Ausflugsfahrten abzuschichten.863 Auch Fahrten, die der Kategorie „allgemeine Ausflugsfahrt“ zuzuordnen, divergieren indes nach Leistungskomponenten wie Reisekomfort, Fachkunde der Reiseführung und Service.864 Wird eine Fachausbildung versprochen, so spielt die Qualifikation des Ausbildenden/des Ausbildungspersonals eine zentrale Rolle.865 d) Zusammensetzung Schrifttum Leible Lebensmittelwerbung mit naturbezogenen Angaben, WRP 2007, 403; ders. Gibt es BioMineralwasser? FS Welsch (2010) 327; Oelrichs Naturbezogene Werbung für Lebensmittel – gestern, heute, morgen, WRP 2004, 863; Peifer Lauterkeitsrechtliche Informationspflichten – Dogmatik und Verhältnis (lebensmittelrechtlichen) Kennzeichnungsgeboten, ZLR 2011, 161; Schröder/Vandersanden Neues zur Kennzeichnung von Lebensmitteln, ZLR 2008, 543.
383
aa) Allgemeines. Bei Einstoffprodukten bestimmt die Stoffbeschaffenheit typischerweise die Produktgattung (s. Rn. 348 ff.), bei Mehrelementprodukten vermitteln Angaben zur stofflichen Zusammensetzung gemeinhin Informationen, die eine Binneneinschätzung ermöglichen: Der Verkehr schließt von der Produktzusammensetzung auf positive Eigenschaften und Qualität des beworbenen Produkts, die nicht jedem Gattungserzeugnis zukommt.
_____
859 860 861 862 863 864 865
Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 289a. BGH 19.8.1999 – I ZR 225/97 – GRUR 1999, 1125, 1126 f. = WRP 1999, 1155, 1157 f. – EG-Neuwagen II. Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 241. Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 289a. BGH 10.10.1985 – I ZR 240/83 – GRUR 1986, 318, 320 = WRP 1986, 146, 147 – Verkaufsfahrten. OLG Celle 6.3.1985 – 13 U 166/84 – GRUR 1985, 547, 548. LG Bamberg 19.10.2004 – 1 O 479/03 – GRUR-RR 2006, 64 – Fachtherapeut.
Lindacher/Peifer
794
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
bb) Positive Produktaussagen. Ausdrückliche Angaben über die Produktzusam- 384 mensetzung müssen zutreffen. Dies gilt zunächst für Hinweise auf den Gehalt bestimmter Stoffe und Zutaten. Kasuistik: Ein Gebäck, das mit Butterschmalz und einer Beimischung von fraktioniertem Butterfett hergestellt wird, darf nicht als Buttergebäck bezeichnet werden.866 Das bei Bewerbung einer Konfitüre gegebene Versprechen „70% Fruchtanteil“ muss eingehalten werden.867 Es gilt zudem für Angaben, die das Vorhandensein bestimmter Inhalte indizieren. „Mit“-Hinweise lassen einen – je nach Produktgattung unterschiedlich anzusetzen- 385 den – signifikanten Anteil erwarten.868 Kasuistik: Eine Matratzenwerbung „mit allergenfreiem Natur-Latex“ ist irreführend, wenn sie nur einen Anteil von 10–30% Naturlatex aufweist.869 „Mit Traubenzucker“ ist zulässig, auch wenn die Ware nur zum Teil aus Traubenzucker besteht und vornehmlich mit Kristallzucker gesüßt ist.870 Die Bezeichnung „Extra-Heft“ bei einer redaktionellen Zeitschrift ist nicht irreführend, wenn in dem Extra-Heft keine Beiträge, sondern nur Rezeptvorschläge enthalten sind.871 „Aus“-Angaben sind mehrdeutig; zumindest Teile des relevanten Verkehrs erwarten 386 mangels gegenteiliger Begleitanhaltspunkte, dass das beworbene Produkt ausschließlich aus dem benannten Stoff hergestellt ist.872 In einschlägigen Fällen bleibt freilich allemal kritisch die geschäftliche Relevanz zu hinterfragen. Kasuistik: Die Angabe „aus Altpapier“ für ein Toilettenpapier, das „nur“ zu 80% aus Altpapier besteht, dürfte bei (Durchschnitts-)Verbrauchern auch heute noch teilweise Fehlvorstellungen auslösen. Ob der umweltbewusste Verbraucher bei seiner Kaufentscheidung einem zu 100% aus Altpapier hergestellten Toilettenpapier den Vorzug gegenüber einem zu 80% aus Altpapier hergestellten Produkt gibt, erscheint freilich durchaus fraglich.873 cc) Freiheit von Zusatz-, insbes. Schadstoffen. Aussagen zur Produktzusammen- 387 setzung sind letztlich auch alle Aussagen, die die Absenz negativ eingeschätzter Stoffe geltend machen, sei es in der Form allgemeiner „Naturrein“-Werbung, der Berühmung des Freiseins von Schadstoffen und Schadstoffrückständen oder der Behauptung des Fehlens bestimmter in der Verkehrseinschätzung negativ besetzter Stoffe. (1) Lebensmittel. Naturbezogene Werbung entfaltet vor allem bei Lebens- und Ge- 388 nussmitteln, weil mittelbar Gesundheitsassoziationen weckend, besondere Kraft: Immer mehr Verbraucher neigen dazu, natürliche oder naturnahe Produkte zu wählen. Sie erwarten Fremdstoffe – unbeschadet allfälliger Zulässigkeit des Zusatzes – am wenigsten in solchen Erzeugnissen, denen werblich explizit „Naturcharakter“ beigelegt wird, gehen erst recht davon aus, dass entsprechend bezeichnete Produkte keine Rückstände von Pflanzenschutz- oder ähnlichen Mitteln oder deren Abbau- und Reaktionsprodukte enthalten. Das „Natur“-Versprechen nicht einlösende Werbung ist allemal potentiell irre-
_____
866 OLG Hamburg 31.8.1989 – 3 U 235/88 – GRUR 1990, 55 – Butasan. 867 KG 22.12.1989 – 5 U 6536/89 – GRUR 1990, 538. 868 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 269. 869 OLG Köln 1.3.2000 – 6 U 121/99 – NJWE-WettbR 2000, 281. 870 OLG Bremen 3.3.2005 – 2 U 68/04 – ZLR 2005, 404, 405. 871 OLG Hamburg 29.3.2018 – 3 U 268/16 – WRP 2018, 1370. 872 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 269. 873 Irrtum und Relevanz desselben bejahend BGH 20.10.1988 – I ZR 238/87 – GRUR 1991, 546 = WRP 1989, 163 – aus Altpapier.
795
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
führend i.S. von § 11 Abs. 1 LFGB und § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 (zum Verhältnis beider Vorschriften v §§ 5, 5a Rn. 148), wobei freilich das „neue Verbraucherleitbild“ auch hier zu einer Relativierung zwingt: Das Wissen um die Ubiquität von Pestiziden und die damit verbundene Nahezu-Unvermeidbarkeit von Pestizidspuren oder -rückständen in oder auf Lebensmitteln nötigt den angemessen informierten und verständigen Durchschnittsverbraucher allemal zu einer Erwartungsabsenkung.874 Nähere Begleitumstände lassen aus der Sicht der einschlägigen Referenzperson die Existenz eines zugelassenen Zusatzstoffes nicht im Widerspruch zu einer „Naturrein“-Angabe stehen. Leitentscheidung in beiderlei Hinsicht ist die Darbo-Entscheidung des EuGH.875 389 Was die Schadstoff- und Rückstandsfreiheit anbelangt, konstatierte der Gerichtshof (Tz. 26 ff.), der Bewerbung einer Erdbeerkonfitüre als „naturrein“ stehe nicht entgegen, dass sie weit unter den gesetzlichen Höchstgrenzen liegende Spuren von Blei, Cadmium, Procymidon und Vinclozolin enthält. Ab welchen Werten auch aus der Sicht eines angemessen informierten und verständigen Durchschnittsverbrauchers von einem Widerspruch zwischen Angabe und Realität auszugehen, lässt die Entscheidung freilich offen. Die Frage entzieht sich in Hinblick darauf, dass verschiedene Begriffe, ja schon Nuancen die Vorstellungen der Adressaten unterschiedlich beeinflussen, wohl einer Einheitsantwort. Allgemein wird sich freilich sagen lassen, dass die Irreführung desto eher zu bejahen ist, je näher der im betreffenden Produkt vorhandene Wert dem gesetzlichen Höchstwert kommt.876 Im Übrigen nimmt der angesprochene Verkehr wohl nur eine aus der Ubiquität von Pestiziden resultierende Schadstoffbelastung in Kauf. Auf gezielten Einsatz bei der landwirtschaftlichen Produktion rückführbare Belastungen vertragen sich nicht mit „Naturrein“-Angaben.877 Hinsichtlich des Erfordernisses der Fremdstofffreiheit bei Bewerbung eines Lebens390 mittels als Naturprodukt entschied der Gerichtshof (Tz. 22 ff.), dass die Konfitürenbezeichnung „naturrein“, jedenfalls bei ordnungsgemäßer Benennung im Zutatenverzeichnis, durchaus die Verwendung des Geliermittels Pektin erlaube – eine fallbezogen billigenswerte Entscheidung, die freilich nicht als Freibrief für die Verwendung von Zusatzstoffen bei Aufnahme ins Zutatenverzeichnis verstanden werden darf:878 Der Normalverbraucher weiß, dass Konfitüre nicht ohne Geliermittel hergestellt werden kann, rechnet also mit einschlägigem Zusatz und erfährt aus dem Zutatenverzeichnis das konkret verwendete Mittel, das zudem seinerseits (auch) aus Früchten hergestellt wird. Jenseits einschlägiger funktionaler Verknüpfung von Produkt und Zusatzstoff ist die Zulässigkeit der Fremdstoffbeigabe demgegenüber durchaus kritischer zu hinterfragen: Weist eine Angabe plakativ und unmittelbar auf eine bestimmte Beschaffenheit des Lebensmittels hin, kommt dem Dementi im Zutatenverzeichnis richtigerweise (s. Vor §§ 5, 5a Rn. 181) keine Wirkung zu. Außer Fremdstofffreiheit erwartet der Verkehr bei einer „Natur“- bzw. „Naturrein“391 Werbung schließlich grundsätzlich auch Naturbelassenheit: Bezeichnungen wie „Natur“, „natürlich“ oder „naturrein“ weisen auf ein im Wesentlichen unverändertes Naturprodukt hin.879
_____
874 Zwischenzeitlich wohl allgemeine Meinung; statt vieler: Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 238; MünchKommUWG/Busche Rn. 332; Ohly/Sosnitza Rn. 265. 875 EuGH 4.4.2000 – C-465/98 – EuGHE 2000 I-2297 = GRUR Int. 2000, 756 = WRP 2000, 489. 876 Leible/Sosnitza WRP 2000, 610, 614; Meyer/Reinhart WRP 2005, 1437, 1451. 877 Gleichsinnig: Harte/Henning/Weidert C Rn. 53; Leible/Sosnitza WRP 2000, 610, 613. 878 Zutreffende einschlägige Mahnung: Leible/Sosnitza WRP 2000, 619, 612 f. 879 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 238; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.62; Ohly/Sosnitza Rn. 264.
Lindacher/Peifer
796
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
Kasuistik: Wird Fruchtsaft durch Zusatz trübstoffbindender Mittel „geschönt“, darf es auch dann nicht mehr als „naturrein“ bezeichnet werden, wenn das Mittel wieder ausgefiltert wird.880 Rückverdünnter Fruchtsaft ist kein „Natursaft“.881 Schonende Pasteurisierung dürfte hingegen grundsätzlich mit der Kennzeichnung „naturrein“ vereinbar sein,882 „aus tagesfrisch gepressten Orangen“ suggeriert freilich eher Verzicht auf Pasteurisierung.883 Die Bezeichnung eines Siedesalzes als „naturrein“ führt schwerlich allein deshalb zu einer Verkehrserwartungsenttäuschung, weil während des Siedevorgangs in der Sole enthaltene Begleitstoffe verdampfen.884 Wortzusammensetzungen mit dem Bestandteil „Natur“ werden tendenziell gleichsinnig mit „natürlich“ oder „naturrein“ verstanden. Dies gilt nicht nur für Begriffe wie „naturfein“ oder „naturmild“, sondern beispielsweise auch für den Begriff „naturtrüb“, obschon damit stricto sensu nur der Verzicht auf die Bindung und Ausfilterung von Trübstoffen verlautbart wird.885 Auch die Bezeichnung „rein“ in Verbindung mit einem Naturprodukt suggeriert (volle) Naturreinheit, nicht nur Rückstandsfreiheit:886 rein bedeutet nicht nur sauber, unverschmutzt, sondern auch pur und damit frei von (zugelassenen) Zusatzstoffen. Dem Zusatz „Bio-“ kommt – je nach Produkt – unterschiedliche Bedeutung zu: Bei pflanzlichen Lebensmitteln macht er (näher hierzu Rn. 504 ff.) Gewinnung nach den Grundsätzen des ökologischen Landbaus, nunmehr niedergelegt in der VO (EG) Nr. 834/ 2007, geltend. Überschießende Erwartungen des Verkehrs bleiben rechtlich irrelevant.887 Bei anderen Lebensmitteln reklamiert „bio-“ oder biologisch“ zumindest Chemiefreiheit.888 Wird ein Mineralwasser als „Biomineralwasser“ bezeichnet, so erwartet der Verkehr nicht nur, dass es unbehandelt und frei von Zusatzstoffen, sondern auch deutlich reiner als herkömmliches Mineralwasser ist.889 Auf den Naturcharakter von Ausgangsstoffen darf auch hingewiesen werden, wenn das Endprodukt nicht den Anforderungen eines Naturprodukts genügt. Die Berühmung „natürliche Rohstoffe“ bezieht der Verkehr, was den Naturcharakter betrifft, auf die Ausgangsstoffe. Eine potentielle Erwartungsenttäuschung resultiert freilich daraus, dass zumindest Teile des Verkehrs die Ankündigung auch dahin verstehen, das Endprodukt bestehe nur aus Stoffen natürlichen Ursprungs.890 Aromastoffe dürfen nur in Einklang mit § 4 AromenVO und Art. 17 Abs. 2, Art. 16 VO 1334/2008 als „natürlich“ bezeichnet werden. Soweit Verkehrsteile mit der Bezeichnung „naturidentisch“ weitergehende Vorstellungen verbinden sollten („identisch“ gleich echt), bleiben diese ob des Vorrangs des Bezeichnungsrechts (Vor §§ 5, 5a Rn. 177 ff.) rechtlich irrelevant. „Natur“, „Naturkost“ oder ähnliche Bezeichnungen als Teil eines Firmennamens lassen nicht ohne weiteres erwarten, dass alle vom Unternehmen vertriebenen Produkte Naturcharakter haben. Allfällige Fehlvorstellungen einer Minderheit brechen sich am
_____
880 OLG Hamburg 31.5.1979 – 3 U 212/78 – WRP 1979, 733, 734. 881 OLG Hamburg – 3 U 65/70 – MA 1971, 160. 882 OLG Hamburg 31.5.1979 – 3 U 212/78 – WRP 1979, 733, 734 f. 883 LG Düsseldorf 12.1.2005 – 12 O 147/03 – WRP 2005, 766. 884 A.A. LG München 8.6.1977 – 1 HKO 15017/76 – WRP 1979, 243, 244. 885 OLG Hamburg – 3 U 65/70 – MA 1971, 160. 886 OLG Stuttgart 3.8.1973 – 2 U 79/73 – WRP 1973, 546. 887 OLG Karlsruhe 15.10.1993 – 2 Ss 78/93 – ZLR 1994, 391; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.79. 888 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.79; Harte/Henning/Weidert C Rn. 161. 889 BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 35 – Biomineralwasser m. Hinweis auf Leible FS Welsch S. 327, 338. 890 Harte/Henning/Weidert C Rn. 51.
797
Lindacher/Peifer
392
393
394
395
396
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
Interesse des Unternehmens an Fortführung einer eingeführten Unternehmensbezeichnung, wenn sich eine Sachbezeichnung im Unternehmensnamen nach Sortimentserweiterung nicht mehr auf das gesamte Angebot bezieht.891 Wird der potentiell missverständliche Firmenname in unmittelbare Beziehung zu einem nicht den Anforderungen eines Naturprodukts genügenden Artikel gesetzt, kann und darf der Hinweis allerdings allemal (auch) als Hinweis auf die Zusammensetzung der Ware verstanden werden.892 397 Schreibt das Gesetz Zusatzfreiheit vor, kann unter dem Gesichtspunkt der Werbung mit Selbstverständlichkeiten (Rn. 133 ff.) selbst wahre Werbung irreführend sein. Kasuistik: Die Aussage „für Bio-Nahrungsmittel geeignet“ bzw. „frei von chemischen oder industriellen Beimischungen“ für die Bewerbung eines Meersalzes betrifft eine Selbstverständlichkeit, weil alle Waren der Produktgattung „Speisesalz“ diese Eigenschaften mitbringen.893 398
(2) Kosmetika. Ähnlich beliebt wie im Food-Bereich und typischerweise gleichfalls von hoher Verhaltensrelevanz ist die „Natur“-Werbung im Bereich Kosmetik und Körperpflege. Auch hier gilt, dass Erwartungen der Fremdstofffreiheit, ausgelöst durch Bezeichnungen wie „Natur-“, „natürlich“ oder „naturmild“ oder auch eine auf solche Assoziationen zielende Produktaufmachung, eingelöst werden müssen.894 In Kauf genommen werden allenfalls technisch unverzichtbare Konservierungsstoffe.895
399
(3) Heilmittel. Auf dem Arzneimittelsektor lässt die Verwendung der Bezeichnung „Natur“ oder „natürlich“ auf Absenz synthetischer Hilfsstoffe schließen.896 Kasuistik: Unzulässig: Die Verwendung der Bezeichnung „Klosterfrau Naturarznei“ für einen nicht aus natürlichen Stoffen bestehenden Badezusatz,897 des Begriffs „Naturmedizin“ für eine Gruppe von Produkten, wenn einzelne Produkte in nennenswertem Umfang synthetische Beigaben enthalten.898 e) Beschaffenheit Schrifttum J. Bergmann Frisch vom Markt – Die Rechtsprechung zur „Frische“-Werbung aus marken- und lebensmittelrechtlicher Perspektive, ZLR 2001, 667; Fischer Irreführung durch Werbung mit Prüfzeichen, Gütesiegeln und Gütezeichen, WRP 2009, 408; Heermann Manipulierte Produktbewertungen im Lichte des Lauterkeitsrechts, WRP 2014, 509; Kietke/Groeschke Die Zulässigkeit der Produktbezeichnung und die Bewerbung von Lebensmitteln, insbesondere von Milchprodukten als „Frisch“, WRP 2000, 431; Kollmann Technische Normen und Prüfzeichen im Wettbewerbsrecht, GRUR 2004, 6; Marburger Die Regeln der Technik im Recht, 1979; Michalski/Riemenschneider Irreführende Werbung mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum, BB 1994, 588; Pourroy Die materiellen Anforderungen an die Verwendung technischer Prüfzeichen in der Werbung, 1995; Rehart Werbung mit im Ausland erzielten Testergebnissen, MMR 2017, 594; Wiebe
_____
891 BGH 2.2.1984 – I ZR 219/81 – GRUR 1984, 465, 466 – Natursaft; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.64. 892 BGH 17.10.1996 – I ZR 159/94 – GRUR 1997, 306, 308 = WRP 1997, 302, 305 – Naturkind; LebensmittelHb/Leible III F. Rn. 468. 893 OLG München 21.11.2014 – 6 W 2103/14 – GRUR-RR 2015, 310 – Natursalz vom Toten Meer. 894 LG Hamburg 21.12.2012 – 312 O 96/12 – WRP 2013, 543 – pure & natural. 895 Harte/Henning/Weidert C Rn. 51. 896 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.62. 897 OLG Hamburg 3.3.1994 – 3 U 257/93 – Pharma Recht 1994, 386. 898 OLG Hamburg 11.10.1990 – 3 U 113/90 – Pharma Recht 1991, 281.
Lindacher/Peifer
798
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
Wettbewerbsrechtliche und zivilrechtliche Rahmenbedingungen der Vergabe und Verwendung von Gütezeichen, WRP 1993, 74/156.
aa) Allgemeines. Sieht man die Merkmale Ausführung und Zusammensetzung als 400 Unterfall des Merkmals Beschaffenheit (s. Rn. 346), wird das Merkmal Beschaffenheit zum Auffangtatbestand für sonstige Produkteigenschaft und -güte betreffenden Angaben unterhalb der gattungsbestimmenden Angaben. Dazu gehört auch das Gewicht899 oder die Größe eines Produktes sowie Angaben darüber, wie diese Größe ermittelt werden (z.B. die Angabe der Diagonalen als Größe eines Plüschtieres bei Internetverkaufsangeboten).900 bb) Allgemeine Qualitätsaussagen. Qualitätsberühmungen werden tendenziell ernst genommen: Selbst betont allgemein gehaltene Aussagen deutet der Verkehr typischerweise nicht als reine Werturteile, spricht ihnen vielmehr zumindest einen sachinformativen Kern zu. Vollmundige Äußerungen werden, je nach werblichem Umfeld, relativiert (näher insoweit bereits Rn. 41). Die Kommentierung behandelt im Folgenden typische Werbemuster mit Qualitätsbezug. Die jeweiligen Aussagen sind Typaussagen. Sie stehen samt und sonders unter dem Vorbehalt der Falsifizierung wegen besonderer Einzelfallumstände. Auslese. Das Attribut verlangt im Allgemeinen (beispielsweise in der Kaffeewerbung) gehobene Qualität:901 „Mocca-Auslese“ darf nur ein „erlesener“ Kaffee genannt werden.902 Baugleich. Wird ein technisches Gerät als „baugleich“ mit einem Markengerät beworben, erwartet der Verkehr volle Entsprechung in der technischen Ausstattung und zwar einschließlich Bedienungsarmaturen, wenn und soweit diese für den Bedienungskomfort bedeutsam sind.903 Dass der Verkehr auch Gleichheit im reinen Design erwartet,904 erscheint hingegen unwahrscheinlich. Eine allfällige Minderheitenvorstellung verständiger Verbraucher wäre jedenfalls aus Interessenabwägungsgründen (allgemein: Rn. 268 ff.) hinzunehmen: Ein gewisser Abstand ist bereits aus Rechtsgründen unerlässlich. Delikatess. Die Bezeichnung weist auf besonders gute Qualität hin.905 Zur Bezeichnungsverwendung bei Fleischprodukten s. auch Rn. 407. Erste Wahl. Die einschlägige Bezeichnung lässt nicht ohne weiteres gehobene Qualität erwarten.906 Der Verkehr rechnet grundsätzlich nur mit Fehlerfreiheit: Die beworbene Ware darf keine Herstellungs- und Verarbeitungsfehler aufweisen, auch keine lediglich auf den „zweiten Blick“ erkennbaren Schönheitsfehler.907 Ausgesprochene Minderqualität darf freilich auch dann nicht als „erste Wahl“ beworben werden, wenn sie keine Mängel im engeren Sinn aufweist. Extra. „Extra“ (in Verbindung mit Beschaffenheitsangaben) weist auf besonders gute Qualität hin: Mit der Bezeichnung wird zwar nicht unbedingt qualitative Spitzen-
_____
899 OLG Frankfurt 14.2.2019 – 6 U 3/18 – WRP 2019, 648 („World’s lightest“). 900 OLG Köln 6.2.2019 – 6 U 141/18, GRUR-RS 2019, 1577. 901 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 306a; Schünemann 149. 902 OLG Hamburg 15.1.1976 – 3 U 179/75 – GRUR 1977, 113, 114. 903 OLG Koblenz 27.3.2013 – 9 U 1097/12 – WRP 2013, 922, 923; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 247. 904 So Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm aaO. 905 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.59; Harte/Henning/Weidert C Rn. 61. 906 A.A. – unter Gleichsetzung von „erster Wahl“ und „Auslese“ – freilich Schünemann 150. 907 OLG Karlsruhe 24.11.1967 – 9 U 125/67 – WRP 1968, 36 f.; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 243; Harte/Henning/Weidert C Rn. 61; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 306a; Ohly/Sosnitza Rn. 272.
799
Lindacher/Peifer
401
402
403
404 405
406
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
gruppenzugehörigkeit i.e.S., wohl aber ein Qualitätsstandard behauptet, der sich vom (Markenware-)Durchschnitt abhebt.908 Kasuistik: Der Slogan „extra gut und extra billig“ erhebt den Anspruch, trotz besonders guter Qualität niedrigpreisig zu sein. Seine Verwendung ist – unabhängig vom Preis-Leistungs-Verhältnis – als irreführend zu untersagen, wenn er sich auf ein Warenangebot bezieht, das lediglich von durchschnittlicher oder gar minderer Qualität.909 Nach dem OLG Hamburg soll das Wort „Extra“ in einem Zeichen, mit dem Fruchtaufstriche gekennzeichnet sind, selbst dann nicht auf das konkrete Produkt bezogen sein, wenn die Marke („S.-Extra“) auf einem Papierstreifen unmittelbar über dem Produktetikett aufgebracht ist (zweifelhaft).910 Fleischerzeugnisse mit der Angabe „extra“ oder anderen hervorhebenden Hinwei407 sen wie Delikatess-, Feinkost-, Gold-, Prima, Spezial, fein, Ia oder dergleichen müssen sich nach den „Leitsätzen für Fleisch und Fleischerzeugnisse“ von den unter der betreffenden Bezeichnung sonst üblichen Erzeugnissen durch besondere Auswahl des Ausgangsmaterials unterscheiden. Für Erzeugnisse, die üblicherweise ohnehin aus qualitativ hochwertigem Ausgangsmaterial sind, muss beste Qualität verwendet werden. Frisch. Mit dem Begriff der „Frische“ assoziiert der Verkehr im Bereich der Lebens408 mittelwerbung natürliche Frische.911 Bei Obst und Gemüse erwartet er Erntefrische: Zeitnähe zur Ernte und ursprüngliche, allenfalls unwesentlich geminderte Produktqualität.912 Bei Verarbeitungsprodukten zählt tief gefrorene oder sonst künstlich haltbar gemachte Ware von vornherein nicht zur Kategorie frischer Lebensmittel.913 Schädlich ist indes nicht nur die Konservierung des Endprodukts, sondern auch die Verwendung tief gefrorener oder konservierter Grundstoffe: Der Verkehr verbindet mit der Frischeberühmung auch natürliche Frische der das (End-)Produkt quantitativ und qualitativ prägenden Ausgangsprodukte.914 Kasuistik: Rote Grütze aus tief gefrorenen Früchten hergestellt und durch Pasteurisierung haltbar gemacht, darf nicht mit der Angabe „fruchtig-frisch“ beworben werden.915 Orangensaft, der als Fruchtsaft im Sinne der FruchtsaftVO aus Konzentrat gewonnen und durch Wärmebehandlung für längere Zeit haltbar gemacht ist, darf nicht als „frischer Saft“ bezeichnet werden.916 Wird Orangensaft aus Konzentrat zutreffend als solcher bezeichnet, ist gegen den Zusatz „riecht und schmeckt doch fast wie frisch gepresst“ bei sensorischer Fast-Gleichwertigkeit freilich nichts einzuwenden. 917 Bei „Frischmilch“ erwartet der Verkehr zwar keine Verarbeitung außerhalb von Kühlketten, wohl aber eine gewisse Erzeugernähe in der Verarbeitung, so dass die Vermarktung einer in Köln abgefüllten Milch unter der blickfangartig hervorgehobenen Bezeichnung „Mark Brandenburg“ irreführend ist.918
_____
908 OLG Frankfurt 27.10.1983 – 6 U 191/82 – GRUR 1985, 226, 227 f.; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 243; Ohly/Sosnitza Rn. 272; Götting/Nordemann Rn. 1.55. 909 OLG Frankfurt 27.10.1983 – 6 U 191/82 – GRUR 1985, 226, 228. 910 OLG Hamburg 27.2.2003 – 5 U 120/02 – GRUR-RR 2003, 348, 349. 911 Statt aller: Harte/Henning/Weidert C Rn. 63; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.90. 912 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 248. 913 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 248; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.90. 914 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 248; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.90; Harte/ Henning/Weidert C Rn. 63. Zweifelnd St. Bergmann ZLR 2001, 667, 677. 915 OLG Hamburg 8.4.1999 – 3 U 182/97 – ZLR 1999, 791. 916 LG Düsseldorf 12.1.2005 – 12 O 147/03 – WRP 2005, 766, 767. 917 KG 30.9.1986 – 5 U 3745/86 – GRUR 1987, 737. 918 OLG Stuttgart 4.7.2013 – 2 U 157/12 – GRUR-RR 2014, 251, 254 (zu § 11 LFGB).
Lindacher/Peifer
800
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
Bei Kaffee verbindet der Verkehr mit der „Frische“-Aussage die Geschmacks- und Aromaeigenschaften eines aus dem klassischen Ausgangsprodukt, nämlich frisch gerösteten und alsbald gemahlenen Kaffeebohnen, unmittelbar hergestellten Aufgusses.919 Kasuistik: Vakuum verpackter Kaffee, der die volle Röstfrische nach gewisser Zeit verliert, darf nicht als „wunderbar frisch“ beworben werden.920 Mit „frischem Kaffee“ verbindet der Verkehr kein Getränk, das aus einem durch Tiefkühlung haltbar gemachten Konzentrat gewonnen wird, mag auch das Ausgangsprodukt desselben aus gerösteten und alsbald gemahlenen Kaffeebohnen bestehen.921 Bei Milchprodukten ist zu berücksichtigen, dass für Konsummilch generell eine Wärmebehandlung vorgeschrieben ist. Pasteurisierte Milch darf deshalb – anders als ultrahoch erhitzte Milch – sehr wohl als „Frischmilch“ beworben werden, solange der Zeitablauf ab Abfüllung nicht zu einer mehr als unwesentlichen Qualitätsminderung in sensorischer und ernährungsphysiologischer Hinsicht führt.922 Ein aus pasteurisierter Milch hergestellter, konservierungsstofffreier Joghurt darf, weil der Ausgangsstoff Frischeprodukt ist, als „frischer Joghurt“ bezeichnet werden, wenn und solange er zumindest im Wesentlichen dieselbe Qualität aufweist wie unmittelbar nach seiner Herstellung.923 Bei Backwaren weiß der Verkehr, dass erhebliche Teile des Produktsegments in Bäckereien und Bäckereifilialen nur Aufbackware sind: „Frische Berliner“ lässt allemal Backfrische,924 freilich kaum noch rohlingfreie Herstellung erwarten. „Frische“-Hinweise bei Fisch lassen erwarten, dass der Fisch nach dem Fang lediglich mit Marinade gewürzt und sofort verpackt worden ist. Kasuistik: Mit Konservierungsstoffen haltbar gemachter Fisch darf nicht unter der Bezeichnung „Frisch & Fertig“ oder mit Beschreibungen wie „Absolute Frische bei sofortigem Genuss“ in den Verkehr gebracht werden. Dass es sich bei den Konservierungsstoffen um erlaubte Zusatzstoffe handelt, ist für die Irreführung ohne Belang.925 High-end. Die Anpreisung von Produkten als „High-end“-Produkte stellt eine qualifizierte Qualitätsberühmung dar: Positionierung am oberen Ende der Leistungsskala.926 Kasuistik: Die Bewerbung eines Web-Servers als „High-End-Server“ führt irre, wenn das Modell nicht einmal überdurchschnittliches Leistungsniveau erreicht.927 Karat. Die Bezeichnung „Karat“ mag in Fachkreisen ausschließlich als Gewichtsangabe verstanden werden. Der Allgemeinverkehr verbindet damit auch eine Qualitätsvorstellung. Die entsprechende Qualitätserwartung wird enttäuscht, wenn der Diamant in den Bereichen Reinheit und Farbgrad keine gute Qualität aufweist, sondern nur im unteren Bereich der Mitte eingeordnet werden kann.928 Irreführend ist auch die Werbung mit einer 24-karatigen Vergoldung, wenn diese vom Verkehr als hochwertig wahrgenommene Angabe bei Vergoldungen so dünn ist, dass sie nicht zu einer merklichen Veredelung des Produktes führt.929
_____
919 920 921 922 923 924 925 926 927 928 929
801
Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 248; Harte/Henning/Weidert C Rn. 63. OLG Hamburg 8.12.1977 – 3 U 75/77 – GRUR 1979, 63, 65. OLG Düsseldorf 20.4.2004 – 20 U 12/04 – GRUR-RR 2005, 55, 56. BVerwG 6.11.1986 – 3 C 27/85 – ZLR 1987, 562; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 248. OLG Köln 29.9.2000 – 6 U 11/00 – ZLR 2001, 299, 309; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.90. Entgegen AG Mainz 24.11.1991 – 302 Js 14531/92 – 280 OWi – LRE 29 (1991), 407. LG Köln 17.11.2011 – 31 O 264/11 – WRP 2012, 360. Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 306a; Götting/Nordemann Rn. 1.61. OLG Köln 28.2.2007 – 6 U 150/06 – GRUR-RR 2007, 243, 244. OLG Köln 24.2.1978 – 6 U 82/76 – GRUR 1978, 480, 481. OLG Karlsruhe 6.7.2017 – 4 U 163/16 – WRP 2017, 1151 Tz. 15 – 24 Karat vergoldet.
Lindacher/Peifer
409
410
411
412
413
414
§5
415
416
417
418
419
Irreführende geschäftliche Handlungen
Luxus. Die Bezeichnung weist auf deutlich überdurchschnittliche Ausstattung und/oder Qualität hin.930 In welchen Punkten sich die solcherart beworbene Ware vom allgemeinen Standard abheben muss, lässt sich nur fallgruppenweise beantworten. Kasuistik: Von einem Kühlschrank in „Luxusausführung“ erwartet der Verkehr auch und gerade eine herausgehobene technische Ausstattung.931 Original. Die Bezeichnung macht Authentizität und bewährte Qualität in Abgrenzung gegenüber Konkurrenzprodukten geltend. Ein Produkt aus einer Sonderserie darf im Markenwarenbereich, auch wenn es vom Hersteller der Originalware stammt, selbst dann nicht als „Originalprodukt“ bezeichnet werden, wenn es qualitativ gleichwertig ist: „original“ lässt volle Identität erwarten.932 Kasuistik: Eine Matratze ist keine „Original L.-Matratze Noblesse“ mehr, wenn sie zwar im Kern mit dem Originalerzeugnis identisch ist, aber einen anderen Bezugsstoff hat.933 Wird eine Angebotsplattform, für die Vermietung von Dienstleistungen durch Senioren („Rent a Rentner“) als „das Original“ und „weltweit erste Plattform“ bezeichnet, so erwartet der Adressat eine Marktneuheit, die es so vorher nicht gab, was für die angebotenen Dienste nicht zutrifft.934 Wird ein Produkt zur Gewichtsreduktion als „das Original“ bezeichnet, soll dies auch dahingehend verstanden werden, dass es sich um das erste Produkt auf dem Markt oder jedenfalls um ein längere Zeit auf dem Markt befindliches Produkt handelt.935 Macht der aus einem Unternehmen Ausgeschiedene demselben – zulässigerweise – Konkurrenz, kann er für gleichartige von ihm hergestellte Produkte nicht ohne weiteres den „Original“-Anspruch erheben. Kasuistik: Der unter keinem Konkurrenzverbot stehende ausgeschiedene Namensträger darf zwar gleichartige Produkte unter seinem bürgerlichen Namen anbieten. Er darf die nach der Trennung vertriebenen Produkte aber jedenfalls dann nicht mit dem Prädikat „original“ schmücken, wenn die gleichartigen Gegenstände im Altunternehmen nicht von ihm selbst erstellt und geprägt worden sind.936 Premium. Die produktbezogene Angabe „Premium“ weist auf überdurchschnittliche Qualität, wenn nicht gar Spitzengruppenzugehörigkeit hin.937 Sie ist entgegen dem OLG Schleswig keineswegs nichtssagend.938 Würde man dies annehmen, so beförderte man eine bedenkliche Tendenz, sprachliche Feinheiten zu denaturieren, sie damit aber auch ihres Werbewertes zu berauben. Qualitätsprodukte. Die Wendung verspricht Markenproduktstandard, freilich keine überdurchschnittliche Qualität innerhalb dieser Kategorie.939 Von der Voraussetzung einer Gewährleistungsübernahme „über das gesetzliche Mindestmaß hinaus“ zu sprechen,940 ist zumindest missverständlich: Der Werbende erweckt nicht die Erwartung zusätzlicher Garantieleistungen, steigert indes die Sollbeschaffenheitserwartungen.
_____
930 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.59; Harte/Henning/Weidert C Rn. 61. 931 LG Düsseldorf 2.8.1960 – 4 Q 161/60 – MA 1960, 919. 932 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 246; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.87. 933 KG 16.10.1984 – 5 U 4395/84 – WRP 1985, 488. 934 OLG Bremen 10.4.2015 – 2 U 132/14 – WRP 2015, 918 Tz. 24 – „rent a rentner“. 935 OLG Celle 4.9.2018 – 13 U 77/18 – WRP 2018, 1493. 936 OLG Hamburg 31.3.2005 – 5 U 89/04 – GRUR-RR- 2006, 67 – Orig. Patienten-Aufklärungsbögen Dr. med. S. 937 BGH 20.10.1999 – I ZR 86/97 – GRUR 2000, 727, 728 = WRP 2000, 628, 629 – Lorch Premium; BGH 3.11.2016 – I ZR 22/14 – GRUR 2017, 418 – Optiker-Qualität (zu § 3 HWG). 938 OLG Schleswig 29.9.2014 – 6 U 2/14 – GRUR-RR 2015, 212 Tz. 19 f. 939 Kaum anders in der Sache – gute, aber keine überdurchschnittliche Qualität – Gloy/Loschelder/ Erdmann/Helm § 59 Rn. 243. 940 So Schünemann S. 151.
Lindacher/Peifer
802
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
Sonderklasse. Bei „Sonderklasse“ erwartet der Verkehr besondere Qualität und 420 Ausstattung. Der Erwartungspegel liegt, wenn überhaupt,941 allenfalls geringfügig unter dem durch die Bezeichnung „Luxusklasse“ ausgelösten. Spezial. Der Zusatz „Spezial-“ macht besondere Eignung für eine besondere Aufga- 421 benstellung geltend. Sofern der Kontext Eignungen nahelegt, die dem Produkt nicht zukommen, ist eine Bezeichnungsverwendung ohne aufklärenden Hinweis selbst dann unzulässig, wenn dieses in anderer Hinsicht tatsächlich besondere Eigenschaften aufweist. Kasuistik: Die Bezeichnung „Spezialsalz“ verbunden mit dem Hinweis auf seine Herkunft aus Bad Reichenhall wurde vor dem Hintergrund früherer Gesundheitswerbung als irreführend, weil die Erwartung gesundheitlicher Vorteilhaftigkeit nicht einlösend, erachtet.942 „Spezialreinigung“ erfordert eine über das bloße Kleiderbad hinausgehende (Voll-)Reinigung einschließlich einer individuellen Nachbehandlung.943 Im Allgemeinen genügt freilich eine besondere Eignung in irgendeiner verkehrsrele- 422 vanten Hinsicht.944 cc) Marktbedeutung und Verkehrsanerkennung (1) Allgemeines. Das Publikum schließt aus dem Umstand, dass sich ein Produkt 423 auf dem Markt durchgesetzt hat und/oder eine beachtliche Verkehrsanerkennung genießt, auf Güte und/oder Stimmigkeit des Preis-Leistungs-Verhältnisses: Aussagen über die Marktbedeutung oder die Verkehrsanerkennung – sei es in der Form der Spitzenstellungswerbung (hierzu Rn. 181 ff.), sei es in sonstiger Form – eignet deshalb tendenziell besondere Werbekraft. Fehlinformation führt folglich typischerweise in marktentscheidungserheblicher Weise irre i.S. von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1. Die Marktbedeutung des jeweiligen Produkts spiegelt sich typischerweise im Absatz desselben, sei es in Stückzahlen oder aber wertmäßig im Umsatz, sei es in absoluten Zahlen oder in Relation zu Konkurrenzprodukten, d.h. in Marktanteilen. Kommt es insoweit – unmittelbar – ausschließlich auf Quantität an, schwingt bei der Verkehrsanerkennung ein qualitatives Moment mit: entscheidend ist der Grad der Bekanntheit gerade als Qualitätsprodukt. Was die benannten Kennzahlen anbelangt, sind die einschlägigen Werte nicht nur in Momentaufnahme, sondern auch und gerade in ihrer Entwicklung geschäftsentscheidungsrelevant: Zuwachs signalisiert wachsende Anerkennung, ist ein treffliches, grundsätzlich zulässiges Werbeargument.945 Irreführend wird die Werbung mit einer Umsatz- bzw. Marktanteilssteigerung freilich dann, wenn und soweit sie den Eindruck einer kontinuierlichen Aufwärtsentwicklung vermittelt, obschon es sich (zumindest vorerst) nur um eine Teilerholung nach vorgängigem Rückgang handelt. (2) Weltstellungsberühmungen. Eine „Weltstellung“ des beworbenen Produkts 424 kann in vielfältiger Weise behauptet werden. Mit Begriffen wie „Weltmarktführer“, „in der Welt die Nr. 1“ reklamiert der Werbende Alleinstellung auf dem Weltmarkt als Gesamtmarkt (nicht notwendig auf dem deutschen Markt!), mit Begriffen wie „weltweit die Nr. 1“ zudem Spitzenstellung auf allen – branchenspezifisch zu bestimmenden – Teilmärkten, einschließlich des inländischen Markts (ausführlich Rn. 233).
_____
941 So Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.59. 942 BGH 10.2.1971 – I ZR 65/70 – GRUR 1972, 550, 551 = WRP 1972, 252, 253 – Spezialsalz II. 943 BGH 31.1.1968 – Ib ZR 48/66 – GRUR 1968, 387 – Spezialreinigung. 944 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 244; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.97; Harte/ Henning/Weidert C Rn. 50. 945 BGH 7.12.2006 – I ZR 166/03 – GRUR 2007 605 Tz. 30 = WRP 2007, 772 – Umsatzzuwachs; Gloy/ Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 297; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 306i.
803
Lindacher/Peifer
§5
425
426
427
428
429
Irreführende geschäftliche Handlungen
Wer für sein Produkt „Weltruf“, „Weltbekanntheit“ oder dergleichen geltend macht, behauptet nicht unbedingt Zugehörigkeit zu einer „auch internationalen Spitzengruppe“,946 wohl aber eine mehr oder weniger universale Wertschätzung. Eine Verbreitung in allen Ländern der Erde ist nicht erforderlich. Ausreichend, aber auch unverzichtbar ist eine Vielzahl europäischer und außereuropäischer Länder, wobei die einschlägige Mindestbreite und -streuung nach dem Gegenstand der Werbung divergiert: Je nach Art des Produkts können aus sozio-ökonomischen, eine Nachfrage nach dem beworbenen Produkt von vornherein unerwartbar machenden Gründen ganze Ländergruppen (wie Entwicklungsländer) oder Länderregionen a limine aus der Betrachtung ausscheiden.947 Kasuistik: „Weltruf“ darf kosmetischen Produkten nur zugeschrieben werden, wenn sie bei den entsprechenden Verkehrskreisen der maßgeblichen Weltwirtschaftsstaaten bekannt sind und guten Ruf genießen.948 „Weltmarke“ darf eine Markenware (nur) genannt werden, wenn die Ware über einen längeren Zeitraum unter einer Marke nach vielen europäischen Ländern vertrieben und dort bekannt geworden ist; der Status einer berühmten Marke i.S. von Art. 6 Pariser Verbandsübereinkunft ist nicht erforderlich. Kasuistik: Ein Mineralwasser, das in über 60 Länder geliefert wird, darf „Weltmarken“-Status beanspruchen. Bekanntheit bei der Mehrzahl der Verbraucher in der Mehrzahl der Länder ist nicht erforderlich. Der „Weltgeltung“ einer Marke kann es keinen Abbruch tun, wenn insbesondere diejenigen Teile der Weltbevölkerung, für die Marken der zu beurteilenden Art aufgrund ihrer konkreten Lebensumstände keine Rolle spielen, sie nicht kennen.949 Strengere Anforderungen können gelten, wenn die Werbung behauptet, ein Produkt habe sich „weltweit bewährt“ oder werde „weltweit verwendet“.950 Dies gilt insbesondere, wenn nach der Art des Produkts der Schluss naheliegt, hiermit werde eine problemlose Verwendbarkeit unter weltweit unterschiedlichen Bedingungen geltend gemacht. Grundsätzlich sollten freilich auch insoweit die Werbeschranken nicht zu hoch angesetzt werden. In bestimmtem Kontext ist „Welt“-Werbung schließlich weniger der geografischen Begriffswelt verpflichtet, knüpft vielmehr für den Verbraucher durchschnittlicher Verständigkeit unschwer erkennbar an der Kontrastierung von „großer Welt“ und provinzieller Enge an: Geltend gemacht wird ein Angebot an Leute bzw. die Nachfrage von Leuten „von Welt“. Kasuistik: Wer ein Mineralwasser großen Namens mit dem Satz „Aus dieser Quelle trinkt die Welt“ unterlegt, behauptet nicht ein weltweites Angebot und/oder eine weltweite Nachfrage,951 sondern nur eine realiter gegebene Wertschätzung auch und gerade durch ein „gehobenes“ internationales Publikum. Die Bewerbung markierter Ware als „Die große internationale Marke“ dürfte vom Verkehr als sprachliche Abwandlung der „Weltmarke“-Berühmung (Rn. 426) verstanden werden: Dass die Marke nur als nationale Marke eingetragen ist, schadet nichts.952
_____
946 So freilich zumindest missverständlich Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 306a. 947 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 299. 948 LG Frankfurt 31.1.1950 – 2/6 0 210/49 – GRUR 1951, 82, 83. 949 OLG Köln 18.1.1991 – 6 U 262/86 – GRUR 1991, 387, 389 – The Queen of Table Waters. 950 Richtig: Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 299. 951 So – die einschlägigen Anforderungen im Entscheidungsfall bejahend – OLG Köln 18.1.1991 – 6 U 262/86 – GRUR 1991, 387, 389. 952 A.A. OLG Hamm 9.6.2009 – 4 U 222/08 – GRUR-RR 2010, 104, 105.
Lindacher/Peifer
804
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
(3) Markenware und Markenqualität. Mit dem Begriff „Markenware“ verbindet der Verkehr die Vorstellung von guter Qualität, dass ein Zeichenberechtigter hierfür mit seinem guten Ruf einsteht, endlich die Vorstellung eines eingeführten Produkts: Dass die beworbene Ware ein Markenzeichen trägt, genügt nicht. Das beworbene Produkt muss vielmehr unter seinem Markennamen weitgehend bekannt geworden sein und durch seine Qualität beachtliche Verkehrsanerkennung gefunden haben.953 Bei der Bewerbung auf dem Inlandsmarkt erwartet der Verkehr Verkehrsdurchsetzung der markierten Ware im Inland:954 Bei der Werbeangabe „Internationale Markenkosmetika“ schwächt der Zusatz „international“ die Erwartung nicht ab, lässt vielmehr eher zusätzlich Verkehrsdurchsetzung und Anerkennung in mehreren Ländern erhoffen.955 Zu einer nach § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 relevanten Erwartungsenttäuschung kann es mithin in verschiedener Weise kommen: Allemal irreführend ist die Auslobung einer Ware als „Markenware“, die nicht zumindest von „guter Qualität“ – mag es sich um markierte oder „freie“ Ware handeln. Wird die Bezeichnung „Markenware“ oder „Markenartikel“ mit einem Eigenschaftswort verstärkenden Charakters verwendet, sind gesteigerte Qualitätserwartungen einzulösen. Kasuistik: „Die starke Marke“ lässt Spitzengruppenqualität erhoffen. Es genügt nicht, wenn die Ware nach Selbstbekundung des Werbenden nur von „guter Qualität“ ist.956 Enttäuschtes Vertrauen auf Beibehalt eines besonderen Qualitätsstandards ist nach neuerem Markenverständnis grundsätzlich nicht (mehr) schutzwürdig: Marken eignet keine Gütegarantiefunktion (näher insoweit Vor §§ 5, 5a Rn. 155). Anderes gilt nur, wenn der Markeninhaber in der Vergangenheit die nun nicht mehr vorhandene wertbildende Eigenschaft werblich fest mit der Marke verbunden hat.957 Unter dem Gesichtspunkt Enttäuschung der Erwartung, dass jemand hinter der Ware mit Einsatz seines guten Rufs steht, irreführend ist grundsätzlich auch die Bewerbung einer anonymen Ware als „Markenware“ – mag sie auch aus der Produktion eines Markenartiklers stammen und Markenartikeln qualitativ jedenfalls vergleichbar sein.958 Eine Sonderlage ist freilich gegeben, wenn der Verkehr aus Erfahrung und/oder mit Blick auf die konkreten Begleitumstände weiß, dass die beworbene Ware unmarkiert ist. Er versteht die einschlägige Werbung, dann von vornherein nur als Angebot einer Ware, die einer Markenware qualitativ gleichsteht, wird demgemäß auch nur dann irregeführt, wenn er in dieser Erwartung enttäuscht wird.959 Kasuistik: Entgegen dem BGH960 verstoßen Ankündigungen wie „Ia Markenbenzin“ durch eine freie Tankstelle für ein Benzin, das aus demselben Großtank wie Markenbenzin stammt und also eben dessen Beschaffenheit aufweist, nicht gegen das lauterkeitsrechtliche Desinformationsverbot: Der Verkehr weiß, dass freie Tankstellen kein Markenbenzin verkaufen, schließt also von vornherein auf keinen konkreten Qualitätsgaranten. Ob fehlender Verkehrsanerkennung stapelt hoch, wer ein nicht hinreichend bekanntes und anerkanntes Produkt, mag es auch markiert sein, als „Markenware“ feilbietet.
_____
953 OLG Düsseldorf 1.7.1978 – 2 U 135/77 – GRUR 1978, 543, 544; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 300; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.98; Ohly/Sosnitza Rn. 281. 954 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 300. 955 OLG Düsseldorf 1.7.1978 – 2 U 135/77 – GRUR 1978, 543, 544. 956 OLG Düsseldorf 10.5.1984 – 2 U 50/83 – GRUR 1984, 887, 888. 957 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.101. 958 Harte/Henning/Weidert C Rn. 57; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.99; Ohly/Sosnitza Rn. 281; Büscher/Dittmer/Schiwy/Lehmler Rn. 129. 959 Wie hier: Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 399; Schünemann S. 151. 960 BGH 7.4.1965 – Ib ZR 32/63 – GRUR 1966, 45, 46 = WRP 1965, 367 – Markenbenzin.
805
Lindacher/Peifer
430
431
432
433
434
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
Kasuistik: „Internationale Markenkosmetika“ verlautbart mehr als die NahezuSelbstverständlichkeit, dass die Ware unter einer Marke vertrieben wird. Der Verkehr erwartet und darf erwarten, dass die beworbenen Kosmetika sich einen „Namen“ gemacht haben.961 Nicht jede Möbelfabrik, die ihre Möbel mit einem eingetragenen Wortoder Bildzeichen kennzeichnet, darf diese als „Markenmöbel“ bewerben. Der Verkehr setzt zusätzlich auf Bekanntheit der Marke sowie eine qualitätsbezogene Wertschätzung.962 Eine in großer Stückzahl vertriebene, warenzeichenmäßig gekennzeichnete Uhr darf nicht als „Markenuhr“ herausgestellt werden, wenn sich das Publikum nicht auch und gerade ob eines „guten Namens“ zum Kauf entschließt.963 435 Anders als die Bezeichnung „Markenware“ ist die Bezeichnung „Markenqualität“ richtigerweise nicht als irreführend zu beanstanden, wenn die Ware aus der Produktion eines korrespondierenden Markenartikels stammt, diesem mithin qualitativ voll entspricht:964 Der hinreichend verständige Verbraucher setzt die Begriffe nicht gleich, entnimmt der Bezeichnung „Markenqualität“ wortsinnkonform nur Qualitätsäquivalenz. Der Werbende hat ein schutzwürdiges Interesse an bündiger Verlautbarung qualitativer Gleichwertigkeit. Auf den Gesichtspunkt unzulässiger Anlehnung965 lässt sich ein Verbot nach Anerkennung vergleichender Werbung ohnehin nicht (mehr) stützen. 436
dd) DIN-Angaben. DIN-Normen, d.h. vom Deutschen Normenausschuss aufgestellte Regeln, legen typischerweise Beschaffenheitsmerkmale gewerblicher Erzeugnisse fest und bestimmen damit mittelbar deren Qualität. Werbung mit DIN-Aussagen wird vom Verkehr dahin verstanden, dass das beworbene Produkt DIN-konform ist und damit den entsprechenden Qualitätsstandard aufweist.966 Exakte Kenntnis des Norminhalts ist nicht erforderlich: Die Maßgeblichkeit des normierten Standards folgt gegebenenfalls aus den Grundsätzen zur akzessorischen Verkehrsvorstellung (Rn. Vor §§ 5, 5a Rn. 51, 174).
437
ee) Amtliche Prüfung und Anerkennung. Angaben über amtliche Prüfungen und Anerkennungen kommt per se starke werbliche Kraft zu. Der Werbende nutzt das Verkehrsvertrauen in die Kompetenz und Integrität staatlicher, kommunaler oder sonstiger öffentlicher Stellen. Wer mit einer realiter gänzlich fehlenden Prüfung oder Anerkennung wirbt, erfüllt ebenso den Tatbestand des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 wie derjenige, der über den Prüfumfang bzw. den Anerkennungsinhalt täuscht: Auf dem Baumarkt darf nicht für Flachstürze mit dem ursprünglichen behördlichen Zulassungsbescheid geworben werden, wenn dieser zwischenzeitlich geändert und fallrelevant eingeschränkt wurde.967 Dass das beworbene Produkt die materiellen Voraussetzungen für einen positiven Prüfentscheid erfüllt, ersetzt nicht die fehlende Prüfung, Anerkennung oder Zulassung; auch für gute Ware oder Dienstleistung darf nicht mit irreführenden Mitteln gearbeitet werden.968 Wahrheitswidrige Berühmung einer amtlichen Prüfung oder Anerkennung unter-
_____
961 OLG Düsseldorf 1.7.1978 – 2 U 135/77 – GRUR 1978, 543, 544. 962 OLG Stuttgart 18.11.1983 – 2 U 56/83 – WRP 1984, 508, 509. 963 OLG Düsseldorf 13.3.1986 – 2 U 84/85 – WRP 1986, 337. 964 BGH 24.9.2013 – I ZR 189/12 – GRUR 2013, 125 Tz. 40 – Matratzen Factory Outlet; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 301; Harte/Henning/Weidert C Rn. 57; Ohly/Sosnitza Rn. 281. 965 Hierauf abstellend noch BGH 29.6.1989 – I ZR 88/87 – GRUR 1989, 754, 755 = WRP 1989, 794, 795 – Markenqualität. 966 BGH 13.12.1984 – I ZR 71/83 – GRUR 1985, 555 – Abschleppseile; 24.1.1985 – I ZR 22/83 – GRUR 1985, 973, 974 = WRP 1985, 546, 547 – DIN 2093; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.86; Ohly/Sosnitza Rn. 258. 967 BGH 20.12.1974 – I ZR 4/74 – GRUR 1975, 442, 445 – Vaasbüttel. 968 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.278; Ohly/Sosnitza Rn. 282.
Lindacher/Peifer
806
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
fällt, soweit die Werbung (zumindest auch) Verbraucher anspricht, freilich bereits dem vorrangig zu prüfenden per se-Verbot nach Nr. 4 des Anhangs zu § 3 Abs. 3. Der Rekurs auf die Grundnorm ist nur im beidseitigen Unternehmensverkehr veranlasst. § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 – im Business-to-Business- und im Business-to-Consumer-Ver- 438 kehr – ist thematisiert, wenn die amtliche Anerkennung oder Zulassung erfolgt ist, mangels Vorliegens der einschlägigen sachlichen Voraussetzungen aber nicht hätte ergehen dürfen: Verbindet der angesprochene Verkehr mit der produktbezogenen Anerkennung oder Zulassung bestimmte, nicht der Realität entsprechende Gütevorstellungen, erfüllt die werbliche Berufung auf die amtliche Prüfung, Anerkennung oder Zulassung das Merkmal der Irreführung. Auf die sachliche Richtigkeit kann der Werbende selbst dann nicht setzen, wenn zu seinen Gunsten ein bestandskräftiger Verwaltungsakt ergangen ist.969 Der Verwaltungsakt entfaltet keine Drittwirkung, der lauterkeitsrechtliche Irreführungsschutz bleibt unberührt. Bestandsschutzinteressen finden, wenn überhaupt, im Rahmen ergänzender Interessenabwägung Berücksichtigung. ff) Gütezeichen (1) Begriff und Abgrenzung. Gütezeichen sind Qualitätsausweise. Sie behaupten in 439 verdichteter Form (als sog. information chunks, Vor §§ 5, 5a Rn. 15) die Einhaltung bestimmter Produktstandards, gewährleistet durch – je nach Zeichenkontext einmalige oder kontinuierliche – Kontrolle nach objektiven, allgemein zugänglichen Kriterien. Sie werden von öffentlichen Stellen (einschließlich beliehener Unternehmer), vor allem aber von privaten Organisationen, traditionellerweise von sog. RAL-Gütegemeinschaften vergeben:970 Wer für sein Erzeugnis ein Gütezeichen führen will, muss der jeweiligen Gütegemeinschaft als Mitglied beitreten oder sich in einem sog. Verpflichtungsschein dem Satzungswerk der Gemeinschaft, namentlich den Güte- und Prüfbedingungen unterwerfen. Ob die Kontrolle durch Dritte und in neutraler Weise geschehen muss,971 ist neuerdings unklar (anders Vorauflage).972 Die Unklarheit resultiert daraus, dass das Unionsmarkenrecht in Art. 84 ff. der Unionsmarkenverordnung973 mittlerweile die Möglichkeit der Eintragung von Gewährleistungsmarken vorsieht, bei denen der Markeninhaber selbst in einer Satzung vorgeben kann (und muss), nach welchen Kriterien eine Gewährleistung erfolgt. Diese Kriterien müssen wiederum keine unabhängigen Prüfungen durch Dritte vorsehen (Art. 84 Abs. 2 UMV). Soweit Gütezeichen auch als Unionsmarke angemeldet werden, würde insoweit das Unionsmarkenrecht Vorrang genießen und auch die Auslegung des § 5 UWG beeinflussen. Soweit Gütezeichen nicht angemeldet werden, wäre es problematisch, im Lauterkeitsrecht eine Strenge vorzusehen, die das Unionsmarkenrecht nicht formuliert.974
_____
969 BGH 21.7.2016 – I ZR 26/15 – GRUR 2016, 1076 Tz. 39, 42 – LGA tested; BGH 9.6.2016 – I ZR 113/10 – GRUR 2012, 215 Tz. 12 – Zertifizierter Testamentsvollstrecker; BGH 23.10.1997 – I ZR 98/95 – GRUR 1998, 1043, 1044 = WRP 1998, 294, 295 – GS-Zeichen. Zweifelnd Harte/Henning/Weidert C Rn. 289. 970 Ausführlich zum Gütezeichen und der Gütezeichenorganisation Marburger Die Regeln der Technik (1979) 230 ff., 372, 525 ff. 971 So BGH 11.10.1990 – I ZR 10/89 – GRUR 1991, 552, 554 – TÜV-Prüfzeichen: „interessenneutrale, objektive Ausweise der Gütesicherung“, OLG Hamm 10.10.2002 – 4 U 64/02, BeckRS 2010, 09440. 972 Verneinend OLG Düsseldorf 23.8.2018 – 20 U 123/17 – GRUR-RR 2018, 84, 85 (Dichtstoffgütesiegel; Revision anhängig unter I ZR 161/18). 973 VO (EU) 2017/1001 über die Unionsmarke v. 14.6.2017, ABl. L 154/1. 974 So OLG Düsseldorf 23.8.2018 – 20 U 123/17 – GRUR-RR 2018, 84, 85 f. (Dichtstoffgütesiegel; Revision anhängig unter I ZR 161/18).
807
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
439a
Eine Unterfallgruppe der Gütezeichen sind die in Wirtschaft und Wissenschaft herkömmlicherweise zusatzlos Prüfzeichen genannten Zeichen (wie das GS-Zeichen für „geprüfte Sicherheit“, das VDE-Zeichen oder das TÜV-Maschinenschutzzeichen),975 bei denen Rechte und Pflichten des Zeichenführenden ausschließlich durch Vertrag begründet werden. Sie signalisieren gefahrlose Benutzbarkeit des gekennzeichneten Produkts. Gemeinsam ist den allgemeinen Gütezeichen und den (Sicherheits-)Prüfzeichen unbeschadet einer gewissen Verwässerung des Zeichenwesens durch inflationäre Zeichenschöpfung eine nicht unerhebliche Werbewirkung: Sie schaffen für das entsprechend gekennzeichnete Produkt eine mehr oder weniger starke Nachfragepräferenz gegenüber ungekennzeichneten Erzeugnissen gleichen Bekanntheitsgrads und reduzieren für weniger bekannte Produkte (insbesondere newcomer-Produkte) den Wettbewerbsnachteil gegenüber namhafteren Markenprodukten. 440 Um keine Gütezeichen im technischen Sinn, allenfalls Scheingütezeichen, handelt es sich, unter dem Gesichtspunkt mangelnder Drittzertifizierung, wenn der Werbende das Zeichen in Selbsteinschätzung führen darf (mag auch der standardsetzenden Stelle ein Interventionsrecht bei nicht gerechtfertigter Klauselverwendung zukommen)976 oder der Werbende gar ein „selbsterfundenes“ Zeichen führt;977 aus dem Gesichtspunkt mangelnder Neutralität, wenn das Zeichen mehr oder weniger „gekauft“ werden kann;978 aus dem Gesichtspunkt fehlender Orientierung an allgemein geltenden objektiven Kriterien, wenn das Zeichen aufgrund Einzelauftrags nach speziell hierfür entwickelten Kriterien verliehen wird.979 Ein aufgrund Selbsteinschätzung geführtes Zeichen ist das CE-Zeichen, daher kann dessen Gebrauch nicht über eine externe Prüfung irreführen.980 441
(2) Einzelaussagen. Gegen § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 verstößt: wer ein anerkanntes Zeichen ohne gebotene Autorisation führt, sei es dass die Verwendungsgenehmigung nie erteilt wurde oder aber zwischenzeitlich zurückgenommen oder fallrelevant eingeschränkt wurde;981 wer ein unter Auflagen verliehenes Zeichen unter Missachtung einschlägiger Vorgabe verwendet oder das Zeichen unbeschadet des Umstands weiter werblich einsetzt, dass das beworbene Produkt in einem wesentlichen Punkt verändert wurde; wer Drittzertifizierung behauptet, obschon er das Zeichen im Wege der Selbsteinschätzung führt.982 Im Verkehr mit Verbrauchern unterfallen die genannten Irreführungsfälle freilich bereits Anh. Nr. 2 (s. Anh. Nr. 2 Rn. 19, 20), Anh. Nr. 4 2. Alt. (s. Anh. Nr. 4 Rn. 16 f.) bzw. Anh. Nr. 4 1. Alt. (s. Anh. Nr. 4 Rn. 13 ff.). Irreführend kann die Aussage sein, dass eine Prüfung stattgefunden hat, so etwa die Werbung mit „TÜV Service tested“, wenn der TÜV nicht geprüft, sondern nur eine Kundenbefragung ausgewertet hat.983 Ebenso ist es irreführend, mit einem Prüfsiegel zu werben, der für ein anderes als das beworbene Modell erteilt worden ist.984
_____
975 Näher Marburger aaO 373 ff. 976 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 306d. 977 Ohly/Sosnitza Rn. 260. 978 OLG Frankfurt 8.3.1994 – 6 W 16/94 – GRUR 1994, 523; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 306d; Ohly/Sosnitza Rn. 260. 979 Harte/Henning/Weidert C Rn. 284. 980 OLG Düsseldorf 25.2.2016 – 15 U 58/15 – BeckRS 2016, 07926 Tz. 20; OLG Köln 28.7.2017 – 6 U 193/16 – WRP 2018, 1002 Tz. 11. 981 Fischer WRP 2009, 408, 410. 982 Harte/Henning/Weidert C Rn. 286. 983 OLG Saarbrücken 28.1.2015 – 1 U 100/14 – MMR 2015, 450 – TÜV service tested. 984 OLG Koblenz 27.3.2013 – 9 U 1097/12 – WRP 2013, 922 Tz. 7.
Lindacher/Peifer
808
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
Auf § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 zurückzugreifen ist zunächst – im B2B- und im B2C-Bereich – 442 in den Scheingütezeichenfällen: der Werbende erweckt den Eindruck, das geführte Zeichen sei ein Drittzeichen (verliehen nach Prüfung durch eine neutrale Stelle), obschon es sich um ein „selbsterfundenes“ Zeichen handelt;985 der Werbende führt ein von dritter Seite vergebenes Zeichen, die Zeichenvergabe erfolgte indes ohne ernsthafte Prüfung und/oder gegen Entgelt.986 Von einer relevanten Neutralitätsenttäuschung kann zwar nicht bereits dann gesprochen werden, wenn die zeichenverleihende Stelle ihrerseits kein Anerkennungsverfahren durchlaufen hat,987 wohl aber dann, wenn diese sich erklärtermaßen als Interessenvertretung ihrer zeichenerwerbsberechtigten Mitglieder gegenüber dem Verbraucher versteht und im Verstoßfall keine einseitige Sanktion verhängt. Kasuistik: Die Aussage „Zwei Angebote mit Auszeichnung“ suggeriert, dass die beworbene Ware von einer unabhängigen Stelle untersucht und belobigt wurde. 988 Schmückt sich ein Optiker mit dem Siegel-Aufkleber „1a Optiker“, geht der Verkehr von einer Auszeichnung durch eine kompetente Stelle nach Prüfung der für einen Augenoptiker maßgeblichen Leistungen aus; er wird getäuscht, wenn Betriebe sich die „Auszeichnung“ praktisch selbst verleihen können, indem sie einen bestimmten Fragebogen ausfüllen und eine geringe „Schutzgebühr“ entrichten.989 Die Verwendung des Zeichens „Sichere Versandapotheke – BVDVA geprüft“ lässt Prüfung durch den Bund deutscher Versandapotheken, nicht lediglich Selbstprüfung nach vorgegebenen Verbandskriterien erwarten, führt deshalb irre, wenn das Zeichen aufgrund Unterzeichnung einer Selbstbindungserklärung gegen Lizenzgebühr geführt werden kann.990 Vor allem aber greift § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 – wiederum sowohl im Verhältnis Unter- 443 nehmer-Unternehmer als auch im Verhältnis Unternehmer-Verbraucher – in der Fallgestaltung, dass das konkret beworbene Produkt nicht von „guter Qualität“, bei einem höheren gütezeichengenuinen Standard: nicht solchem Standard gemäß.991 Die Mindestanforderung „gute Qualität“ folgt aus dem Wesen des Gütezeichens als Qualitätsausweis, die Anforderung „standardkonform“ bei gehobenem Standard aus dem Rekurs auf die Figur der akzessorischen Verkehrsauffassung (hierzu Vor §§ 5, 5a Rn. 174). Im Übrigen gilt auch für den werblichen Einsatz von Gütesiegeln, dass sich eine Irre- 444 führungsgefahr aus den besonderen Fallumständen ergeben kann. Nicht unter § 5, sondern unter § 5a Abs. 2 fällt die Pflicht des mit einem Prüf- oder Gütezeichen Werbenden, über die Bedingungen der Prüfung zu informieren.992 Eine solche Information ist vor allem wichtig, wenn es um unbekannte, etwa im Ausland verliehene Zeichen geht,993 aber auch dann erforderlich, wenn es um allgemein bekannte Prüforganisationen oder Prüfzeichen geht.994 Diese Informationspflicht besteht unabhängig davon, ob in der Werbung
_____
985 OLG Hamburg 16.12.2013 – GRUR-RR 2014, 333 – Probieren Sie jetzt selbst den Testsieger; OLG Hamm 30.8.2012 – I-4 U 59/12 – MMR 2013, 95; OLG Bremen 27.8.2010 – 2 U 62/10 – GRUR-RR 2011, 147 – Meine Nr. 1; Harte/Henning/Weidert C Rn. 286. 986 Harte/Henning/Weidert C Rn. 286. 987 Verfehlt: LG Darmstadt 24.11.2008 – 22 O 100/08 – MMR 2009, 278 m. insoweit krit. Anm. Blasek. 988 OLG Hamburg 8.11.1990 – 3 U 149/90 – GRUR 1991, 470. 989 OLG Düsseldorf 21.11.2006 – I-20 U 14/06 – WRP 2007, 357, 358. 990 LG Darmstadt 24.11.2008 – 22 O 100/08 – MMR 2009, 278. 991 Weitergehend – Werbung mit Gütezeichen lasse stets überdurchschnittliche Qualität erwarten – LG Darmstadt 24.11.2008 – 22 O 100/08 – MMR 2009, 278. 992 BGH 21.7.2016 – I ZR 26/15 – GRUR 2016, 1076 Tz. 39 – LGA tested. 993 Rehart MMR 2017, 594, 596. 994 OLG Düsseldorf 25.11.2014 – 20 U 208/13 – WRP 2015, 762 Tz. 13 – TÜV-geprüft; abweichend für einen Design-Preis, wenn das prämierte Design in der Werbung abgebildet ist: OLG Köln 24.5.2017 – 6 U 203/16 – WRP 2017, 868 Tz. 16 – World Car Design of the Year.
809
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
das Wort Prüf- oder Gütezeichen auftaucht, wenn nur tatsächlich die Behauptung einer unabhängigen Begutachtung aufgestellt wird.995 Kasuistik: Wirbt der Anbieter eines hundertteiligen Werkzeugsets mit dem Logo einer technischen Überwachungsanstalt und dem Zusatz „teilweise“, geht der Verkehr davon aus, dass jedenfalls die bildlich herausgestellten Teile Gegenstand der Prüfung gewesen sind. Einschlägiger falscher Schein lässt sich nur hindern, wenn deutlich gemacht wird, welche Teile geprüft bzw. nicht geprüft sind.996 Kombiniert ein Reifenfilialist die Verbraucherinformation über eine in Kooperation mit dem TÜV veranstaltete Wintersicherheitsprüfung mit der Bewerbung zweier Winterreifen, darf er die Abbildung der ihn als Kooperationspartner ausweisenden Plakette „TÜV empfohlen“ werblich nicht so platzieren, dass der Verkehr sie als Empfehlung für die beworbenen Reifen versteht.997 Voraussetzungen und Verfahren der Verleihung des jeweiligen Gütezeichens be445 stimmt die verleihende Einrichtung grundsätzlich autonom. Mit sachlich schlechterdings nicht vertretbaren Prüfkonzepten muss der Verkehr freilich nicht rechnen. Die Zeichenaussage ist jedenfalls potentiell relevant irreführend. Kasuistik: Die Sterne-Klassifizierung von Kreuzfahrtschiffen durch einen Spitzenverband des Deutschen Hotel- und Gastronomiegewerbes auf der Grundlage des Klassifizierungssystems für Hotels ist irreführend, weil die Kriterien für die Bewertung von Hotels nur „verbiegend“ auf Schiffe angewandt werden können.998 446
gg) Schlichte Drittanerkennung. Kundenempfehlungen dürfen nicht erkauft sein; der Verkehr geht von freiem, unbeeinflusstem Gutheißen aus.999 Werbliches Auftreten von Prominenten wird freilich gemeinhin als solches durchschaut: Der Verkehr erkennt die Rolle, wertet die Drittäußerung letztlich als Eigenaussage des Werbenden, weiß zudem um die Entgeltlichkeit einschlägigen Engagements.1000 Soweit es sich um das eigentliche Fachgebiet des Prominenten handelt, wird und darf der Verkehr allerdings annehmen, dass dieser sich von der Güte der beworbenen Ware überzeugt hat;1001 der Werbende behauptet, sich die Aussage des Prominenten zu eigen machend, je nach Inhalt der Äußerung, wenn nicht gar überdurchschnittliche, so jedenfalls gute Qualität. Irreführend ist es, mit Kundenbewertungen (in Form von „Likes“ auf den Profilen sozialer Netzwerkdienste) zu werben, wenn diese Bewertungen von einem Unternehmen erworben wurden, das früher unter einem abweichenden Franchisesystem betrieben wurden, also von dem derzeit betriebenen System nicht selbst „verdient“ wurden. 1002 Insgesamt bewegt sich der Bereich der verdeckt kommerziell motivierten Produktbewertungen allerdings im Regelungsbereich des § 5a Abs. 6, also beim irreführenden Unterlassung durch Nichtkenntlichmachung einer kommerziellen Absicht. Wer Produkte bewertet, rezensiert und hierfür eine Bezahlung erhält, erfüllt § 5a Abs. 6, wenn er diesen Umstand nicht kenntlich macht.1003 Als Bezahlung gilt es auch, wenn der Unternehmer
_____
995 OLG Zweibrücken 2.5.2017 – 4 U 168/16 – WRP 2017, 1015; LG Aachen 23.2.2018 – 42 O 118/17, WRP 2018, 634 (unabhängig von der Bezeichnung als „award“). 996 OLG Stuttgart 10.5.2005 – 2 W 12/05 – WRP 2005, 1191, 1192. 997 LG Kaiserslautern 28.11.2007 – HK O 50/07 – WRP 2008, 527. 998 KG 28.11.2011 – 24 U 145/10 – WRP 2012, 480. 999 OLG Hamburg 1.6.1978 – 3 U 13/78 – GRUR 1979, 246, 248; MünchKommUWG/Ruess Rn. 203; Köhler/ Bornkamm/Feddersen Rn. 1.165. 1000 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 323; MünchKommUWG/Ruess Rn. 203; Köhler/ Bornkamm/Feddersen Rn. 1.165; a.A. Berger AnwZert ITR 4/2012 Anm. 2. 1001 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 323. 1002 OLG Frankfurt 14.6.2018 – 6 U 23/17 – MMR 2018, 763. 1003 OLG Frankfurt 11.9.2018 – 6 W 9/19 – BeckRS 2019, 3548 m. Anm. Dämmer GRUR-Prax 2019, 193.
Lindacher/Peifer
810
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
die Bewertung dadurch anreizt oder belohnt, dass er die Teilnahme an einem Gewinnspiel im Gegenzug ermöglicht.1004 Irreführend im Sinne des § 5 Abs. 1 S. 2 ist dagegen die Reklamierung von „Likes“ in sozialen Medien, die man nicht selbst erhalten, sondern die einem Rechtsvorgänger verliehen wurde. Hier liegt eine Irreführung über unternehmensbezogene Umstände nach § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 vor (unten Rn. 1008 ff.).1005 Mit positiven Ergebnissen eines Gutachtens, dem ein Auftrag zugrunde liegt, darf 447 nur unter Offenbarung dieses Umstands geworben werden.1006 Durchaus verbreitet1007 sind Produktbewertungen durch scheinbare Privatpersonen, die tatsächlich Unternehmensmitarbeiter oder Agenturen sind (sog. „Undercover-“ oder „Stealth-Marketing“).1008 Ebenso nimmt das sog. „Astroturfing“ zu, d.h. der Erwerb von spontanen positiven Kommentaren („Likes“) auf den Seiten sozialer Mediendienste, die den Eindruck einer Art „Graswurzel“ (= Astroturfing)-Bewegung mit viraler Wirkung erwecken sollen. Gegen solche oft getarnten geschäftlichen Handlungen hilft vor allem § 5a Abs. 6 mit Nr. 11, aber auch Nr. 23 des Anhangs zu § 3 Abs. 3.1009 Ohne Nachweis der kommerziellen Veranlassung fehlt es grundsätzlich jedoch an einer geschäftlichen Handlung. Sie anzunehmen, macht es erforderlich, auf Indizien, wie Sprachgebrauch, Länge der Bewertung oder Herkunft von Unternehmensservern abzustellen und ggf. dem Begünstigten die Last der Widerlegung dieser Indizien zu überantworten.1010 Erhebliches Gewicht kann die Praktik im Falle des sog „Influencer-Marketings“ erlangen (unten § 5a Rn. 133, 136, 157). Bei der Abgrenzung des § 5 von § 5a muss darauf abgestellt werden, inwieweit durch positive Angaben („Leserbewertung“, „Käuferbewertung“) der Eindruck des privaten Handelns erweckt wird (dann § 5) oder ob durch vollständiges Schweigen § 5a Abs. 2 bzw. Abs. 6 aktiviert ist. Der Einwand, der Verbraucher gewöhne sich zunehmend daran, dass Produktbewertungen manipuliert würden,1011 überzeugt nicht und würde dafür sorgen, dass das Instrument der (objektiven und interesselosen) Produktbewertung seinen wirtschaftlichen Wert verliert. hh) Intensität der Vornutzung bei Gebrauchtwaren. Wichtige Beschaffenheits- 448 angaben sind Angaben zur Art und Intensität der Vornutzung: Bei einem Gebrauchtwagen zählt die Zahl effektiver Vornutzer. Kasuistik: Die Angabe „1 Vorbesitzer/1. Hand“ führt irre, wenn das Fahrzeug von einem Mietwagenunternehmen gehalten wurde.1012 ii) Mängelfreiheit. Auf Mängel der beworbenen Ware, mit denen Interessenten 449 nicht rechnen, muss der Werbende hinweisen. Der Verkehr geht sonst von Mängelfreiheit aus, Vorstellung und Realität divergieren in geschäftsentscheidungserheblicher
_____
1004 OLG Frankfurt 14.5.2019 – 6 U 14/19 – juris-Tz. 26. 1005 OLG Frankfurt 14.6.2018 – 6 U 23/17 – WRP 2019, 1108. 1006 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm Rn. 323. 1007 So eine Studie über „Customer Reviews“ der ITB Berlin und der FH Worms, erhältlich unter https://www.hs-worms.de/fachbereiche/touristikverkehrswesen/aktuelles/news/artikel/_n/studie-zuhotel-bewertungen-zeigt-bedeutung-und-einschaetzungen-1/. Vgl. auch den Bericht in der Zeitschrift „Computer-Bild“ unter https://www.computerbild.de/artikel/cb-Aktuell-Internet-gefaelschteBewertungen-Online-Shops-7474604.html. 1008 Dazu Heermann WRP 2014, 509; Ahrens/Richter WRP 2011, 814; Lichtnecker GRUR 2013, 135. 1009 Ahrens/Richter WRP 2011, 814, 814; a.A. Heermann WRP 2014, 509, 512 mit der (zweifelhaften) Begründung, Nr. 23 sei vor konkreter Vertragsanbahnung noch nicht einschlägig. 1010 Heermann WRP 2014, 509, 513 f. 1011 Heermann WRP 2014, 509, 513. 1012 OLG Hamm 20.7.2010 – 4 U 101/10 – GRUR-RR 2011, 189 – Mietwagen aus erster Hand; OLG München 30.6.2011 – 29 U 1455/11 – WRP 2011, 1324, 1326 – 1 Vorbesitzer.
811
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
Weise. Ein günstiger Preis ist dabei im Allgemeinen kein Anhaltspunkt für Mängel der Ware.1013 Auch die Bezeichnung als „Sonderangebot“ weist nicht auf solche hin.1014 Potentiell irreführend unter dem Gesichtspunkt der Mangelhaftigkeit ist deshalb beispielsweise das Offerieren von Lebensmitteln nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums:1015 Da sich der Verdacht der Unbrauchbarkeit der Ware nicht in zumutbarer Weise ausräumen lässt, befindet sich diese nicht mehr im Zustand der vertraglichen Sollbeschaffenheit (zu Anhang Nr. 9 nach § 3 Abs. 3 vgl. dort Rn. 10). Wer Kondome anbietet, behauptet konkludent Gebrauchstauglichkeit, d.h. sicheren Schutz. Er führt irre, wenn dies nicht der Fall ist, sich im Angebot vielmehr auch Abfallkondome befinden.1016 450 Abweichungen der Istbeschaffenheit gegenüber der Sollbeschaffenheit im Einzelfall begründen freilich gemeinhin noch keine Irreführung i.S. von § 5: Die Vorschrift regelt nicht den Ausgleich von Leistungsstörungen, knüpft vielmehr an der Verkehrserwartung an. Der Verkehr stellt jenseits der Fälle mit Gefährdungspotential für die Gesundheit und sonstige Güter herausragenden Stellenwerts Ausreißerfälle in Rechnung. Er rechnet damit, dass die beworbene Ware auch einmal von schlechterer Qualität sein kann als die Werbung an sich erwarten lässt. Das gilt auch im Falle der Bewerbung von Dienstleistungen, die nach Übernahme eines Mandats fehlerhaft erbracht werden.1017 3. Wirkung 451
a) Begriff und Abgrenzung. „Angaben über die von der Verwendung zu erwartenden Ergebnisse“ betreffen die von der Ware oder Dienstleistung ausgelösten Erfolgs- und Effizienzerwartungen. Typischerweise werden die einschlägigen Erwartungen bereits anhand der Angaben zu Art, Ausführung, Zusammensetzung und Beschaffenheit, also anhand kategorialer und qualitätsbezogener Eigenschaften des beworbenen Produkts gebildet. In der Kommentarliteratur wird deshalb die Fallgruppe der wirkungsbezogenen Angaben verschiedentlich eher eng gefasst und im Wesentlichen auf gesundheitsbezogene Wirkaussagen (einschließlich der Wirkaussagen im Rahmen der Diät- und Schlankheitswerbung) sowie Wirkungsversprechen in Bezug auf Kosmetikprodukte beschränkt.1018 Die vorliegende Kommentierung begreift das Merkmal „von der Verwendung zu erwartende Ergebnisse“ als das gegenüber anderen Merkmalen speziellere Merkmal. Behandelt werden neben den benannten Wirkaussagen deshalb auch Leistungs- und Wirkungsangaben bei technischen Erzeugnissen, bei Dienstleistungen sowie die Werbung mit dem Umweltargument. Dabei ist es von Bedeutung, dass lebensmittelund kosmetikrechtliche Spezialvorschriften gelegentlich vorrangig zu prüfen sind, also § 5 Abs. 1 Nr. 1 nicht mehr zur Geltung kommt.1019 In allen genannten Bereichen spielt die Frage eine Rolle, wer die Wirkung nachzuweisen hat, wenn sie in der Werbung hervorgehoben wird. Hier ist zu differenzieren zwischen technischen, gesundheitsbezogenen und kosmetischen Wirkaussagen (dazu unten Rn. 455a, 463, 469).
_____
1013 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 255. 1014 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 255; Harte/Henning/Weidert C Rn. 65. 1015 Aus der Rechtsprechung: OLG Hamburg 13.9.1990 – 3 U 187/99 – GRUR-RR 2002, 302 f. Aus der Literatur: Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 256; Harte/Henning/Weidert C Rn. 65; Ohly/Sosnitza Rn. 285. A.A. Leible Hdb. LebensmittelR III.F Rn. 435. 1016 OLG Jena 14.11.2007 – 2 U 314/07 – GRUR-RR 2008, 92. 1017 BGH 10.1.2013 – I ZR 190/11 – GRUR 2013, 945 Tz. 44 – Standardisierte Mandatsbearbeitung. 1018 Vgl. Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 310 ff. 1019 Vgl. insoweit BGH 28.1.2016 – I ZR 36/14 – GRUR 2016, 418 Tz. 8 – Feuchtigkeitsspendendes GelReservoir.
Lindacher/Peifer
812
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
b) Leistungs- und Wirkungsaussagen bei technischen Erzeugnissen. Bei tech- 452 nischen Angaben kommt der Fachterminologie gesteigerte Bedeutung zu. Sofern die Fachsprache nicht zugleich das allgemeine Verkehrsverständnis prägt, entwickelt sich zumindest eine angelehnte Verkehrsauffassung: Das breite Publikum erwartet eine Leistung bzw. Wirkung, wie sie dem Fachsinn der Werbeangabe nach versprochen ist – notfalls über die Figur der akzessorischen Verkehrsauffassung (hierzu: Vor §§ 5, 5a Rn. 174).1020 Wird die fachsprachliche korrekte Bezeichnung missverstanden, stellt sich bei Divergenz von Vorstellung und Realität die Frage, ob der angemessen informierte, verständige, situationsadäquat aufmerksame Durchschnittsrezipient die Angabe richtig verstehen wird oder nicht. Werden Produkte durch Rechtsvorschrift oder DIN-Normen in bestimmte Leistungs- 453 klassen eingeteilt, darf mit der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse nur geworben werden, wenn die einschlägigen Voraussetzungen erfüllt sind. Effizienzberühmungen (gutes Reinigungsergebnis bei geringem Energie- und Wasserverbrauch bei Waschmaschinen und Geschirrspülern, geringer Spritverbrauch bei Kraftfahrzeugen, kraft- und zeitsparender Einsatz von Geräten in Garten und Haushalt) müssen auf entsprechender Tatsachengrundlage getroffen werden. Was legitime Erwartung ist, entscheidet die Sicht des angemessen informierten und verständigen, situationsadäquat aufmerksamen Durchschnittsadressaten;1021 hiernach übersteigerte Erwartungen bleiben schutzlos. Kasuistik: Entgegen dem KG1022 verbindet der relevante Verkehr mit dem Werbeslogan „F., Meister im Benzinsparen unter den deutschen Autos seiner Klasse“ mitnichten die Vorstellung, der Werbende mache damit geltend, sein Produkt sei „unter allen Umständen“, d.h. bei Einbeziehung von Fahrstil und sonstigen äußeren Einflüssen, das Fahrzeug mit dem geringsten Kraftstoffverbrauch. Der Bewerbung eines Gemüse- und Zwiebelschneiders mit dem Slogan „Klein- und feingehackt – wie im Handumdrehen“ entnimmt der verständige potentielle Nutzer unbeschadet des erkennbaren Wortspiels eine Sachaussage, entgegen OLG Hamburg1023 freilich wohl kaum, dass das eingefüllte Schnittgut nach ein „paar Umdrehungen“ klein gehackt ist, vielmehr wohl nur, dass der Gebrauch des Zerkleinerers mühelos und rasch – und damit einfacher als der Gebrauch eines Messers – vor sich geht.1024 Der Streit um die Zulässigkeit der Kraftstoffverbrauchswerbung nach DIN-Werten 454 (ausführlich zum Meinungsstreit nach altem Recht Erstaufl. § 3 a.F. Rn. 500) ist durch die in Umsetzung der RL 1999/94/EG erlassene Verordnung über Verbraucherinformationen zu Kraftstoffverbrauch und CO²-Emmissionen neuer Personenkraftwagen (Pkw-EnVKV, BGBl I 2004, 1037) in den zentralen Punkten entschärft: Hersteller und Händler, die neue Personenkraftwagen ausstellen, zum Kauf oder Leasing anbieten oder für diese werben, sind hiernach verpflichtet, die Werte des offiziellen Kraftstoffverbrauchs (Teilzyklen innerorts und außerorts sowie kombiniert) anzugeben, zudem darauf hinzuweisen, dass der Kraftstoffverbrauch nicht nur von der effizienten Ausnutzung des Kraftstoffs durch das Fahrzeug, sondern auch vom Fahrverhalten und anderen nicht technischen Faktoren beeinflusst wird. Werblicher Einsatz der Pflichtangaben kann aber nicht als gegen § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 verstoßend untersagt werden, mag auch der Umstand, dass die nach den durch die Richtlinie vorgeschriebenen Messverfahren ermittelten „offiziellen“ Werte
_____
1020 Richtig: Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 277. 1021 OLG München 31.1.2019 – 29 U 1385/18, juris-Tz. 126 (Mauertrockungs-/Mauerentfeuchtungssysteme). 1022 KG 13.6.1980 – 5 U 1492/80 – WRP 1980, 627, 628. 1023 OLG Hamburg 4.5.2006 – 3 U 210/05 – WRP 2006, 1152, 1153. 1024 Gleichsinnig HG Wien 24.4.2006 – 10 Cg 181/05 – WRP 2006, 1154.
813
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
tendenziell unter den Alltagsverbrauchswerten liegen, einen Irreführungsrest durchaus nahelegen: Bezeichnungsrecht bricht Irreführungsschutz (allgemein: Vor §§ 5, 5a Rn. 177).1025 Kommt der Anbieter der durch die Verordnung vorgegebenen Informationspflicht nicht oder nur unvollkommen nach, greift neben § 4 Nr. 11 (die Kennzeichnungsvorschriften sind auch dazu bestimmt, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln)1026 auch § 5a Abs. 2/4.1027 455 Wird mit einem marktentscheidungsrelevanten technisch-physikalischen Wert geworben, darf der Wert nicht nach einer Methode ermittelt werden, die zu signifikanten Abweichungen gegenüber den bei den üblichen Messmethoden erwartbaren Werten führt. Kasuistik: Die werbliche Herausstellung eines besonders günstigen Luftwiderstandsbeiwerts für einen Sportwagen mit dem Zusatz, dass dieser cw-Wert auch für einen Sportwagen eine Ausnahme darstelle und die Konsequenz dokumentiere, mit der der Hersteller aerodynamische Erkenntnisse in der Praxis umsetze, führt irre, wenn Messungen nach der in Europa üblichen Methode lediglich einen insignifikant niedrigeren cw-Wert ergeben.1028 Irreführend und marktentscheidungsrelevant ist es für einen DieselPKW, der in der Schadstoffklasse Euro 5 eingeordnet ist, zu behaupten, das Fahrzeug gehöre der Klasse Euro 6 an.1029 Die Beweislast für Wirkaussagen trägt jedenfalls bei fachlich umstrittenen oder 455a nicht eindeutigen Angaben der Werbende.1030 Diese für Gesundheitsangaben weitgehend anerkannte Beweislastregelung1031 ist auch bei technischen Wirkungen angemessen, denn hier setzt der Werbende Verständnisrisiken, wenn er entweder verschweigt, dass die Wirkung umstritten ist, oder den Eindruck erweckt, dass die von ihm vertretene Auslegung die Richtige ist. Es ist daher jedenfalls sinnvoll, erhöhte Anforderungen an die Substantiierung einer Wirkungsaussage zu stellen.1032 Wirbt der Unternehmer mit wissenschaftlichen Aussagen oder einem wissenschaftlichen Experiment, so muss er die damit verdeutlichte Wirkung auch beweisen können.1033 Bleibt der Werbende solche Wirkungsnachweise schuldig oder gesteht er bereits in seiner Ankündigung zu, dass die Wirkung „wissenschaftlich nicht erklärbar ist“, so muss die Werbung unterbleiben.1034 Wirkerfolge auf einem Teilgebiet dürfen nicht verallgemeinert werden. Kasuistik: Der Verkehr fasst die in der Werbung für einen Haushaltsstaubsauger prominent herausgestellten Angaben „ohne Saugkraftverlust“ und „konstante Saugkraft“ dahin auf, dass der Staubsauger nicht nur in den höchsten, sondern in allen Leistungsstufen ohne Saugkraftverlust arbeitet. Einschlägige Erwartungsenttäuschung erfüllt den Tatbestand der Irreführung.1035 Die Werbung „100m/wasserdicht 10 bar“ für eine Uhr versteht der Adressat dahingehend, dass die Uhr bis zu einer Wassertiefe von 100m wasserdicht ist und somit zum Schwimmen und für entsprechende Tauchgänge geeignet ist,
_____
1025 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 278. 1026 OLG Oldenburg 14.9.2006 – 1 U 41/06 – GRUR-RR 2007, 83, 84; OLG Köln 14.2.2007 – 6 U 217/06 – WRP 2007, 680, 682; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 278; Goldmann WRP 2007, 38, 41. 1027 BGH 4.2.2010 – I ZR 6/09 – GRUR 2010, 852 Tz. 21 = WRP 2010, 1143 – Gallardo Spyder. 1028 KG 20.1.1989 – 25 U 4587/88 – GRUR 1990, 133 f. 1029 LG Leipzig 1.9.2016 – 5 O 21/16 – WRP 2017, 244 Tz. 29, 33. 1030 OLG Düsseldorf 19.11.2013 – 20 U 165/11 – MD 2014, 133, 135 – Kalkwasserbehandler. 1031 Vgl. BGH 6.2.2013 – I ZR 62/11 – GRUR 2013, 649 Tz. 32 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil. 1032 Vgl. LG Stuttgart 14.6.2013 – 31 O 52/11 – Kfh – BeckRS 2013, 10439 – Werbeaussagen über die Reinigungswirkung sog. „aktivierten Wassers“. 1033 OLG Köln 19.4.2013 – 6 U 206/12 – GRUR-RS 2013, 07429 – Schauversuch zur Demonstration einer angeblich besonderen Fettlösekraft eines Mittels. 1034 OLG Frankfurt 26.9.2013 – 6 U 195/10 – WRP 2014, 103 – mauerentfeuchtende Wirkung. 1035 OLG Köln 14.3.2012 – 6 W 42/12 – GRUR-RR 2012, 480.
Lindacher/Peifer
814
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
was irreführend sein soll, wenn die Uhr nicht in 100m Wassertiefe auf ihre Dichtigkeit getestet wurde, sondern nur Labordruckverfahren durchlaufen hat, die auf eine solche Dichtigkeit schließen lassen.1036 c) Erfolgsversprechen bei Dienstleistungen. Dienstleistungsangebote, denen ein 456 Erfolgsversprechen zu entnehmen, sind irreführend, wenn das entsprechende Versprechen nicht eingelöst wird. Kasuistik: Die Ausflaggung eines Seminars mit dem Spruch „Nichtraucher in 5 Stunden ohne Entzugserscheinungen“ kann bei passendem Kontext die Behauptung enthalten, dass die Teilnehmer des Seminars im Normalfall jedenfalls auch im Folgejahr nicht mehr rauchen. Die Angabe ist irreführend, wenn die Rückfallquote 30–60% beträgt.1037 Die Werbung für einen Motorradführerschein mit dem Versprechen „Zum Biker in acht Tagen“ wurde als irreführend angesehen, weil ein solcher Erfolg nicht garantiert werden kann, sondern auch vom Fahrgeschick des Schülers abhängt, zudem bereits die gesetzlichen Vorgaben nahelegen, dass eine Ausbildung bis zur Prüfung in dieser Zeit nicht leistbar ist.1038
d) Gesundheitsbezogene Wirkaussagen Schrifttum Feddersen Wissenschaftliche Absicherung von Wirkungsangaben im Heilmittelwerbeprozess, GRUR 2013, 127; Jung Die Health Claims Verordnung – Neue Grenzen gesundheitsbezogener Werbung für Lebensmittel, WRP 2007, 389; Koch Gesundheitsbezogene Angaben bei Wein, ZLR 2007, 683; Reese, Beweisanforderungen bei gesundheitsbezogener Werbung – Wann liegt eine hinreichend gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis vor?, PharmR 2018, 380; Sosnitza Gesundheitsbezogene Werbung für Lebensmittel – Paradigmenwechsel in Europa, WRP 2003, 669.
Gesundheitsbezogene Werbung birgt ein doppeltes Gefährdungspotential. Soweit 457 Fehlinformation zu kontraindiziertem Verhalten führt, ist das Allgemeingut Gesundheit tangiert. Darüber hinaus ist allemal, selbst wenn es nicht zu Gesundheitsbeeinträchtigungen kommt, der genuin lauterkeitsrechtliche Aspekt besonderer „Verführbarkeit“ thematisiert. Schlicht gesundheitsbezogene Werbung stößt auf geminderte Kritikhaltung, krankheitsbezogene Werbung führt tendenziell zur Substitution kritischer Vernunft durch das Prinzip Hoffnung. Rechtsprechung und Gesetzgeber trugen und tragen solch besonderer Gefährdung Rechnung: durch strenge Handhabung des allgemeinen und des jeweils einschlägigen besonderen Irreführungsverbots sowie Statuierung sektoraler Werbeverbote. Mit Inkrafttreten der VO (EG) 1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel, der sog. Health-Claims-VO, haben sich dabei die Gewichte innerhalb des Schutzsystems nicht unerheblich verschoben: Kannte das alte Recht nur das – absolute – Verbot, beim Verkehr mit und in der Werbung für Lebensmittel Aussagen zu verwenden, die sich auf die Beseitigung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten beziehen (bis 2014: § 12 Abs. 1 Nr. 1 LFGB, seither: § 11 Abs. 1 Nr. 2 LFGB mit Art. 7 LMIV), setzt das neue Recht nunmehr auch der nährwert- und schlicht gesundheitsbezogenen Lebensmittel-Werbung Verbotsschranken, relativiert andererseits das Verbot einschlägiger krankheitsbezogener Werbung. Während für die
_____ 1036 1037 1038
815
LG Berlin 8.1.2015 – 52 O 247/14 – MD 2015, 540. OLG Köln 16.11.2009 – 6 W 130/09 – WRP 2010, 795. OLG Hamm 16.8.2018 – 4 U 79/17 – WRP 2018, 1530 Rn. 27–36.
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
nicht krankheitsbezogene Werbung das Missbrauchsprinzip (strenge Irreführungskontrolle) durch das Verbotsprinzip mit Erlaubnisvorbehalt ersetzt wird, gilt für krankheitsbezogene Werbung nunmehr statt des vorbehaltlosen Verbotsprinzips das Verbotsprinzip mit Dispensmöglichkeit. Innerhalb des Lauterkeitsrechts erfasst die Black-List einen gravierenden Fall vorbehaltlos zu ächtender Werbung. aa) Krankheitsbezogene Angaben 458
(1) Anh. Nr. 18. Objektiv unwahre Angaben, eine Ware oder Dienstleistung könne Krankheiten, Funktionsstörungen oder Missbildungen heilen, unterfallen dem Per-seVerbot nach Anh. Nr. 18. Die in Umsetzung der RL 2005/29/EG erlassene Vorschrift ist in ihren Voraussetzungen gegenüber konkurrierenden spezialgesetzlichen Verboten teils weiter, teils enger: Erfasst werden einerseits nicht nur Lebens-, Arznei- und Heilmittel, sondern Waren und Dienstleistungen jeder Art. Andererseits verlangt Anh. Nr. 18 eine objektiv unwahre Angabe; mehrdeutige oder gar objektiv zutreffende, von Teilen des relevanten Verkehrs lediglich falsch verstandene Angaben genügen nicht. Dazu kommt, dass Anh. Nr. 18 nur Angaben über Heilwirkungen erfasst; Aussagen, die sich auf die Erkennung, Verhütung oder Linderung von Krankheiten beziehen, genügen nicht.1039
(2) Lebensmittel, § 11 LFBG mit § 7 LMIV. Mit Wirksamwerden der VO (EU) Nr. 1169/2011 über die Information der Verbraucher über Lebensmittel (LMIV) wurde § 12 LFGB aufgehoben. Das dort früher enthaltene Irreführungsverbot findet sich seit 2014 in § 11 Abs. 1, der auf das Irreführungsverbot in Art. 7 LMIV verweist. Diese Norm verbietet irreführende Informationen über Eigenschaften, Wirkungen, vorgeblich besondere Merkmale oder Zutaten von Lebensmitteln. Sie gebietet überdies, dass Informationen über Lebensmittel zutreffend, klar und für den Verbraucher leicht verständlich sein müssen (Art. 7 Abs. 2 LMIV), das Verbot krankheitsbezogener Bewerbung von Lebensmitteln findet sich in Art. 7 Abs. 3 LMIV, und zwar – wie bisher – unabhängig vom Nachweis konkreter Irreführung im Einzelfall.1040 Die Irreführungsverbote gelten für die Werbung und die Aufmachung von Lebensmitteln (Art. 7 Abs. 4 LMIV). Art. 7 ist im Wesentlichen Desinformationsverbot, auch die Transparenzvorschrift schreibt keine bestimmten Informationen vor, sondern enthält nur Vorgaben für den Fall, dass sie (freiwillig) gegeben werden. Die Health-Claims-VO steht neben der LMIV. Art. 49 LMIV hat Art. 7 Abs. 1 und 460 Abs. 2 der Health-Claims-VO dahingehend geändert, dass die Nährwertkennzeichnung von Erzeugnissen dort, wo solche Angaben gemacht werden, obligatorisch ist, sofern es sich nicht um produktübergreifende Werbeaussagen handelt. Geschuldet werden die in Art. 30 Abs. 2 LMIV aufgeführten Angaben. Durchsetzbar sind die Vorgaben der HealthClaims-VO über § 3a, während das Irreführungsverbot des Art. 7 LMIV als Desinformationsverbot dem § 5 Abs. 1 S. 2 UWG nahekommt. Allerdings fehlt eine Relevanzklausel (§ 5 Abs. 2 S. 2). Daraus kann man nur schließen, dass die Vorschrift dem § 5 Abs. 1 S. 2 vorgeht. 459
461
(3) Diätetische Lebensmittel, § 3 DiätVO. Das Irreführungsverbot des § 3 Abs. 1 DiätVO ist nach Aufhebung des § 12 LFGB im Jahr 2014 nun durch Art. 7 LMIV auszufüllen (oben Rn. 459). Aus der „Unbeschadet-Geltung“ des Art. 29 Abs. 2 LMIV und wegen des
_____
1039 Leible GRUR 2010, 183, 189. 1040 Leible LebensmittelR-Hdb III.F Rn. 506; Harte/Henning/Weidert C Rn. 136; Gloy/Loschelder/ Erdmann/Helm § 59 Rn. 285. A.A. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.216.
Lindacher/Peifer
816
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
Nebeneinanders mit der Healths-Claim-VO (Art. 1 Abs. 5 HCVO) folgt, dass die subjektive Ausnahme in § 3 Abs. 2 DiätVO nach wie vor Bestand hat. Die Werbung mit schlankheitsbezogenen Aussagen im Zusammenhang mit Trainingsmethoden oder mit Tipps zum allgemeinen Ernährungsverhalten kann daneben nach wie vor unter § 5 UWG fallen. Hierbei bestehen für den Werbenden höhere Anforderungen an die Substantiierung und den Beweis einer Wirkungsaussage. Wer mit der Aussage „Abnehmen ohne Diät“ für eine „E-Stoffwechsel-Therapie“ wirbt, führt irre, wenn auch diese Therapie mit einer Ernährungsumstellung verbunden ist.1041 Wer behauptet mit einer Trainingsmethode gezielt Fett an den sog. Problemzonen abbauen zu können, führt irre, wenn der Beweis der Wirksamkeit dieser Methode nicht gelingt.1042 Wer behauptet, dass ein Schuh eine erhöhte muskuläre Aktivität von Gesäß und Beinen provoziert und mit sportwissenschaftlichen Erkenntnissen wirbt, muss die Wirkung beweisen können.1043 (4) Arzneimittel, Medizinprodukte und gleichgestellte Mittel, §§ 8 Abs. 1 Nr. 2 462 AMG, 3, 12 HWG. Werbeverbote für Arzneimittel und Medizinprodukte enthält § 12 HWG: außerhalb der Fachkreise sind werbliche Aussagen mit Bezug auf die Erkennung, Beseitigung, Verhütung oder Linderung bestimmter anlageweise benannter Krankheiten untersagt. Unterhalb der Schwelle des absoluten Verbots greifen die besonderen Irreführungstatbestände des AMG (§ 8 Abs. 1 Nr. 2) sowie des HWG (§ 3 S. 1 und S. 2 Nr. 1 und 2). Kasuistik: Die Aussage „Alles bleibt bis auf Name und Preis“ für ein Generikum wird vom Verkehr (einschließlich der Fachkreise) dahin verstanden, es habe sich gegenüber dem Originalarzneimittel nichts geändert – auch und gerade hinsichtlich der Anwendungsgebiete. Die Werbung führt irre, wenn das Generikum die Anwendungsgebiete des Originals nur teilweise abdeckt. 1044 Durch die werbliche Verwendung des Begriffs „Heilstollen“ wird dem Besuch eines ehemaligen Schieferstollens eine therapeutische Wirkung i.S. des § 3 Nr. 1 HWG beigelegt, die ohne Nachweis einer konkreten Heilwirkung irreführend ist.1045 Wer ein Schnupfenmittel u.a. mit den Angaben „beste Ausgangsstoffe, bestes Herstellungsverfahren, bestes Produkt“ bewirbt, nimmt nicht nur eine Spitzenstellung in Anspruch, sondern behauptet eine relativ gegenüber den Konkurrenten hervorragende Wirkung, für deren Vorliegen er beweispflichtig ist, um dem Vorwurf der Irreführung zu entgehen.1046 Wer einen „Antischnarchring“ mit dem Versprechen bewirbt, dass das Tragen am kleinen Finger zu einer deutlichen Reduktion des Schnarchens führe, muss sich beim Wort nehmen lassen, weil der Adressat bei medizinischen Wirkungsbehauptungen besonders gerne an die Wirkung glauben möchte.1047 Daher muss der Werbende den behaupteten Erfolg selbst nachweisen können.1048 Wer die entschlackende Wirkung einer Infrarotkabinenbehandlung behauptet, der muss hierzu Wirkungsstudien vorlegen können.1049 bb) Schlicht gesundheitsbezogene Angaben (einschließlich nährwertbezo- 463 gener Angaben). Nicht krankheits-, schlicht gesundheitsbezogene Angaben über Le-
_____
1041 LG Frankfurt/M. 27.11.2013 – 3/8 O 105/13 – GRUR-RR 2014, 308 – Abnehmen ohne Diät. 1042 LG Osnabrück 12.3.2013 – 18 O 545/12 – NJOZ 2013, 1377 – Trainingsresistente Problemzonen. 1043 OLG Karlsruhe 27.2.2013 – 6 U 36/12 – NJOZ 2013, 1371 – WALKMAXX-Schuhe. 1044 OLG Hamburg 16.2.2006 – 3 U 130/05 – PharmaRecht 2007, 207. 1045 OLG Hamm 25.9.2008 – 4 U 91/08 – GRUR-RR 2009, 186, 188. 1046 OLG Nürnberg 21.8.2018 – 3 U 1138/18 – WRP 2019, 1535 („Sinupret“). 1047 LG Rostock 15.10.2018 – 5 HKO 82/17 – MD 2018, 1004. 1048 OLG Celle 31.07.2018 – 13 U 26/18 – GRUR-RR 2019, 87; LG Gera 6.8.2018 – 11 HKO 121/17 – MD 2018, 759; LG Hamburg 4.9.2018 – 406 HKO 25/18 – MD 2018, 1001. 1049 KG 18.9.2018 – 5 U 124/17 – MD 2018, 947.
817
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
bensmittel stehen uneingeschränkt unter dem unmittelbaren Geltungsregime der Health-Claims-VO. Bestimmte Angaben (etwa über die Dauer und das Ausmaß einer Gewichtsabnahme) sind nach Art. 12 HCVO vorbehaltlos unzulässig. Getränke mit einem Alkoholgehalt von mehr als 1,2 Volumprozent dürfen keinerlei gesundheitsbezogene Angaben tragen (Art. 4 Abs. 3 HCVO). Im Übrigen gilt ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt: Gesundheitsbezogene Angaben im Verkehr mit und in der Werbung für Lebensmittel sind nach Art. 10 HCVO nur noch erlaubt, wenn sie unter Beachtung allgemeiner, in den Art. 3–7 niedergelegten Anforderungen nach Einzelprüfung zugelassen und in eine entsprechende Gemeinschaftsliste aufgenommen sind. Für Gesundheitswirkaussagen gilt im Hinblick auf das hier betroffene wichtige und sensible Schutzgut, dass der Werbende die Wahrheit einer fachlichen Wirkungsaussage durch den Nachweis wissenschaftlicher Erkenntnis zu erhärten hat.1050 Problematisch, aber durch die Rechtsprechung gedeckt ist der Nachweis bereits durch eine einzelne methodengerechte Studie.1051 Ist dies umstritten, muss allerdings zumindest auf die Gegenmeinung hingewiesen werden.1052 Als gesundheitsbezogen angesehen wurde auch die Werbung mit einer körperfettbeseitigenden Kältebehandlung, da diese Behandlung mit einem Eingriff in die körperliche Integrität verbunden sei.1053 Als Unterfallgruppe gesundheitsbezogener Angaben figurieren, nunmehr gleichfalls 464 dem Regime der Health-Claims-VO unterfallend, alle nährwertbezogenen Angaben: Angaben, die auf einen geringen oder verminderten Brennwert oder einen verminderten Nährstoffgehalt hindeuten, dürfen nach Art. 8 HCVO nur gemacht werden, wenn sie im zugehörigen Anhang aufgeführt sind und den jeweiligen Verwendungsbedingungen entsprechen. In der der Änderung bzw. Erweiterung zugänglichen Positivliste finden sich (jeweils mit spezifizierten Verwendungsbedingungen) Begriffe wie energiearm, energiereduziert, energiefrei, fettarm, fettfrei/ohne fett, arm an gesättigten Fettsäuren, zuckerarm, zuckerfrei, ohne Zuckerzusatz, natriumarm/kochsalzarm, sehr natriumarm/ kochsalzarm, Ballaststoffquelle, hoher Ballaststoffgehalt, Proteinquelle, hoher Proteingehalt, (Name des Vitamins bzw. Name des Mineralstoffs)-Quelle, hoher (Name des Vitamins bzw. Name des Mineralstoffs)-Gehalt, enthält (Name des Nährstoffs oder der anderen Substanz), erhöhter (Name des Nährstoffs)-Anteil, reduzierter (Name des Nährstoffs)-Anteil, leicht, von Natur aus/natürlich. Die Angabe „fettfrei/ohne fett“ ist beispielsweise dann und nur dann zulässig, 465 wenn das Produkt nicht mehr als 0,5 g Fett pro 100 g oder 100 ml enthält. Angaben wie „X% fettfrei“ sind verboten. Die Angabe, der Gehalt an einem oder mehreren Nährstoffen sei reduziert, sowie jegliche Angabe, die für den Verbraucher voraussichtlich die gleiche Bedeutung hat, ist nur zulässig, wenn die Reduzierung des Anteils mindestens 30%, bei Natrium mindestens 25% gegenüber einem vergleichbaren Produkt ausmacht. Die Angabe, ein Produkt sei leicht, sowie jegliche Angabe, die für den Verbraucher voraussichtlich dieselbe Bedeutung hat, muss dieselben Bedingungen erfüllen wie die Angabe reduziert. 466
cc) Sondergesetzliche Werbe- und Irreführungsverbote und Anh. Nr. 18/§ 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1. Die als Ordnungswidrigkeitstatbestände ausgestalteten speziellen Ver-
_____
1050 BGH 6.2.2013 – I ZR 62/11 – GRUR 2013, 649 Tz. 16 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil; OLG München 5.7.2018 – 29 U 1866/17 – WRP 2019, 242 Tz. 30 (Bye-bye Hüftgold). 1051 BGH 21.1.2010 – I ZR 23/07 – GRUR 2010, 359 Tz. 18 – Vorbeugen mit Coffein!; a.A. OLG Hamm 16.1.2017 – 4 U 100/06 – BeckRS 2007, 09440. 1052 BGH 6.2.2013 – I ZR 62/11 – GRUR 2013, 649 Tz. 16 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil. 1053 OLG München 5.7.2018 – 29 U 1866/17 – WRP 2019, 242 Tz. 33 (Bye-bye Hüftgold).
Lindacher/Peifer
818
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
bots- und Irreführungstatbestände einerseits und Anh. Nr. 18 sowie § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, in Verbindung mit §§ 3, 8, 9 Quellnormen zivilrechtlicher Abwehr- und Schadensersatzansprüche, andererseits stehen selbständig, freilich in diversem Funktionsbezug nebeneinander. Zum einen greift das allgemeine lauterkeitsrechtliche Desinformationsverbot – intern nachrangig gegenüber Anh. Nr. 18 – auffangweise jenseits der Einschlägigkeit spezialgesetzlicher Sonderregelungen; konkret irreführende gesundheitsbezogene Werbung erfüllt allemal den Tatbestand des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1. Zum anderen setzt erst das Lauterkeitsrecht den spezialgesetzlichen Verbots- und Irreführungstatbeständen zivilrechtlich „Zähne“ ein. Bei den spezialgesetzlichen Verboten handelt es sich durchgängig (auch) um Marktverhaltensregeln i.S. von § 3a. § 3a und Anh. Nr. 18/§ 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 stehen gegebenenfalls in Anwendungskonkurrenz. Bei spezialgesetzlichen Werbeverboten bietet sich vorrangig der Rückgriff auf § 3a an. Bei spezialgesetzlichen Irreführungsverboten liegt typischerweise der Rekurs auf Anh. Nr. 18 bzw. § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 nahe (allgemein: v §§ 5, 5a Rn. 146 ff.). Eigenständige Bedeutung kommt § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 u.a. dann zu, wenn sich der 467 Werbende auf eine nicht existente oder nicht einschlägige Studie bezieht oder aber die Studie unvollständig (unter Weglassung relativierender Aussagen) zitiert. Dann liegt die Irreführung zwar nicht darin, dass die Aussage falsch oder jedenfalls nicht wissenschaftlich abgesichert (möglicherweise ist sie ja richtig oder der wissenschaftlichen Absicherung zugänglich), immerhin aber im Vortäuschen einer seriösen Grundlage für die getroffene Werbebehauptung.1054 Offenbart der Werbende, dass die dem Mittel/Verfahren zugesprochene gesund- 468 heitsfördernde Wirkung wissenschaftlich durchaus nicht unumstritten ist, kann dies die Irreführungsgefahr ausräumen. Die Gegenmeinung darf freilich nicht „kleingeredet“ werden.1055 e) Wirkaussagen bei Kosmetikprodukten. Wirkaussagen im Rahmen des In- 469 Verkehr-Bringens und Bewerbens von kosmetischen Mitteln unterfallen dem HWG, soweit sie therapeutischer Natur sind (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 HWG). Im Übrigen unterliegen sie dem besonderen Irreführungsverbot nach § 27 LFBG, das die unionsrechtlichen Vorgaben des Art. 20 der VO (EG) Nr. 1223/2009 über kosmetische Mittel umsetzt und nach Ansicht des BGH dem § 5 UWG vorgeht.1056 Dafür spricht in Bezug auf Art. 20 VO 1223/2009, dass diese Norm kein Relevanzerfordernis enthält, andererseits aber auf die Vortäuschung von „Merkmalen oder Funktionen, … die die betreffenden Erzeugnisse nicht besitzen“, beschränkt ist. Soweit es also nicht um Merkmale oder Funktionen von Kosmetika geht, kann § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 noch in Anwendungskonkurrenz treten. Die Frage der Darlegungs- und Beweislast für Wirkaussagen im Kosmetikbereich ist seit dem 11.7.2013 durch die VO (EU) Nr. 655/2013 zur Festlegung gemeinsamer Kriterien zur Begründung von Werbeaussagen im Zusammenhang mit kosmetischen Mitteln vorgeprägt. Soweit Studien als Nachweis herangezogen werden, müssen diese u.a. gem. Anh. 3.3. VO relevant, gültig, zuverlässig und reproduzierbar sein. Sie müssen wahr sein (Anh. 2.1.) und die Werbeaussage tragen (Anh. 3.4.), sofern sie nicht „eindeutig übertrieben“ ist (Anh. 3.5.). Die Formulierung dieser und weiterer Werbeanforderungen deutet darauf hin, dass
_____
1054 BGH 6.2.2013 – I ZR 62/11 – GRUR 2013, 649, 651 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil; BGH 7.5.2015 – I ZR 29/14 – GRUR 2015, 1244 – Äquipotenzangabe in Fachinformation; Harte/Henning/Weidert C Rn. 148. 1055 OLG Düsseldorf 24.3.2015 – 20 U 160/14 – GRUR-RR 2015, 343 (KISS-Syndrom); Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.220. 1056 Vgl. insoweit BGH 28.1.2016 – I ZR 36/14 – GRUR 2016, 418 Tz. 8 – Feuchtigkeitsspendendes GelReservoir (§ 27 Abs. 1 Kosmetik-VO).
819
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
die Beweislast für die Wirkungsaussage zwar nicht vollständig vom Anspruchsteller auf den Anspruchsgegner verlagert wird, letzterer aber bei substantiierten Zweifeln an einer Wirkungsaussage die Richtigkeit seiner Aussagen zu beweisen hat.1057 Kasuistik: Wird mit der feuchtigkeitsspendenden Wirkung eines in einem Rasierer verwendeten Gel-Reservoir geworben, so muss diese Werbeaussage zwar nicht wissenschaftlich abgesichert sein, allerdings trägt der Werbende für die Wirkung die Darlegungs- und Beweislast. Gelingt dieser Beweis nicht, verstößt die Werbung gegen § 20 VO 1223/2009 mit § 3a UWG.1058 f) Umweltverträglichkeit Schrifttum Böhler Grünes Konzept zu Werbezwecken? PharmR 2018, 377; Brandner Beiträge des Wettbewerbsrechts zum Schutz der Umwelt, FS v. Gamm (1990) 27; Federhoff-Rink Umweltschutz und Wettbewerbsrecht im europäischen Binnenmarkt, 1994; Füger Umweltbezogene Werbung, 1993; Halfmeier/Herbold Zur lauterkeitsrechtlichen Beurteilung von Nachhaltigkeitswerbung bei Kooperation mit einem nicht nachhaltig handelnden Unternehmen, WRP 2017, 1430; Kessler Die umweltbezogene Aussage in der Produktwerbung – Dogmatische und wettbewerbstheoretische Aspekte des Irreführungsverbots, WRP 1988, 714; Klindt Die Umweltzeichen „Blauer Engel“ und „Europäische Blume“ zwischen produktbezogenem Umweltschutz und Wettbewerbsrecht, BB 1998, 545; Klinger Grünes Marketing – Zeit für eine Eco-ClaimsVerordnung? ZUR 2014, 321; Kloepfer Unlauterkeitsrecht und Umweltschutz, FS v. Lersner (1990) 181; Köhler Der gerupfte Umweltengel oder: Die wettbewerbsrechtlichen Grenzen der umweltbezogenen Produktwerbung, Jb für Umwelt- und Technikrecht, 1990, 343; Lambsdorff Werbung mit dem Umweltschutz, 1993; Lappe Die wettbewerbsrechtliche Beurteilung der Umweltwerbung, 1995; Lindacher Umweltschutz in der Werbung – lauterkeitsrechtlich Probleme, in: Marburger/Reinhardt/Schröder (Hrsg), Umweltschutz und Wettbewerb, 1997, 67; ders. Wandlungen in der lauterkeitsrechtlichen Beurteilung umweltbezogener Werbung, FS M. Schröder (2012) 583; Michalski/Riemenschneider Irreführende Werbung mit der Umweltverträglichkeit von Produkten, BB 1994, 1157; Rohnke Werbung mit Umweltschutz, GRUR 1988, 667; Roller Wettbewerbsrechtliche Grenzen einer Werbung mit einem Klimaschutz-Label („CO2-Fußabdruck“), ZUR 2014, 211; Weidert Irreführende umweltbezogene Werbung mit „Plastik aus dem Meer“, GRUR-Prax 2019, 122.
aa) Allgemeines. Produktbezogene Umweltwerbung ist weit verbreitet. Sie begegnet in Wort und Bildzeichen. Zugängige Schlagworte sind Kennzeichnungen wie „umweltfreundlich“, „umweltbewusst“, „umweltverträglich“, „umweltschonend“, „umweltgerecht“, „der Natur zuliebe“, „ökologisch“ oder „biologisch“. Unter den Umweltsymbolen nehmen das RAL-Umweltzeichen und das Europäische Umweltzeichen eine Sonderstellung ein. Die EU-Kommission geht davon aus, dass solche „green claims“ von Verbrauchern als besonders regelungsbedürftig angesehen werden.1059 Die gesellschaftlich und politisch stark diskutierte Frage der Abgasfreiheit von Automobilen hat diese Relevanz sicher erheblich gesteigert.1060 Einschlägige Werbung findet zu Recht kritische Aufmerksamkeit: Gesteigerter Sen471 sibilität für das Gut „Umwelt“ korrespondiert eine gesteigerte Empfänglichkeit für Angaben, die den Schutz dieses Gutes versprechen. Daher neigen die Gerichte durchaus
470
_____
1057 So auch bisher BGH 28.1.2016 – I ZR 36/14 – GRUR 2016, 418 Tz. 17 – Feuchtigkeitsspendendes GelReservoir. 1058 BGH 28.1.2016 – I ZR 36/14 – GRUR 2016, 418 – Feuchtigkeitsspendendes Gel-Reservoir. 1059 Unter Hinweis auf das Impact Assessment zum „New Deal for Consumers“ vom Juni 2017, S. 2. 1060 Vgl. Vorschlag einer Richtlinie zur Änderung mehrerer Verbraucherschutzrichtlinien, darunter die UGP-Richtlinie 2005/29/EG , COM (2018) 185 endg. S. 2.
Lindacher/Peifer
820
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
nachvollziehbar dazu, Umweltversprechen besonders kritisch zu sehen und auch kleine Ungenauigkeiten für irreführend zu halten, etwa die Behauptung, eine „Ocean Bottle“ sei gefertigt aus „50% Plastikmüll aus dem Meer“, wenn tatsächlich der Müll auch an Strand und Flussläufen eingesammelt wurde, in einem begleitenden Werbevideo aber gezeigt wurde, wie Plastik aus dem Meer gefischt wurde. 1061 Die sachverhaltsbezogenen Einschränkungen deuten bereits darauf hin, dass eine zu schneidige Handhabung des Irreführungsverbots durchaus legitime Interessen des Werbenden sowie der die Angabe zutreffend verstehenden Verkehrskreise tangieren würde: Die Werbung mit dem (richtigen) Umweltargument muss prinzipiell erlaubt sein; aus Kundensicht wichtige Informationen dürfen nicht ohne Not gekappt werden. Dazu kommt, dass übertriebene Strenge bei der Beurteilung umweltargumentativer Werbung einer Förderung des Gemeinwohlziels der Umweltschonung über Marktmechanismen gegenwirkt: Werbung mit dem – tatsächlich gegebenen – Umweltvorteil führt via Nachfragesteuerung zu einer Substitution umweltbelastender Produkte durch nicht oder jedenfalls weniger umweltbelastende Produkte und damit zu einer Minderung der Umweltschädigung. Wer sie verbietet, erschwert die ökologische Ausrichtung des Konsumtions- und Produktionsprozesses. Nach älterem, durch niedrige Aufgreifschwellen gekennzeichnetem Modellansatz 472 war das In-Balance-Bringen von Irreführungs- und Umweltschutz schwerpunktmäßig im Wege ergänzender Interessenabwägung zu leisten (s. Erstaufl. § 3 a.F. Rn. 707 ff.). Die Referenzfigur des angemessen informierten und verständigen, situationsabhängig aufmerksamen Durchschnittsverbrauchers schöpft fernliegende Fehlvorstellungen bereits im Vorfeld der Interessenabwägung ab, stellt das Korrektiv der Interessenabwägung freilich nicht grundsätzlich in Frage: Zu den auf der Seite der Verbotsgegeninteressen einzustellenden Interessen zählt auch das durch zu schneidigen Einsatz des Lauterkeitsrechts beeinträchtigte Allgemeininteresse an Effektuierung von Umweltschutz über den Markt (s. bereits Rn. 301 ff.). bb) Umweltschlagworte. Umweltbezogene Werbung ist zweifelsfrei irreführend, 473 wenn es realiter an einem umweltrelevanten Vorsprung des beworbenen Produkts gegenüber Konkurrenzprodukten fehlt. Wie unter altem Recht gilt auch unter neuem Recht, dass der Verkehr mit Umweltverträglichkeitsberühmungen allemal bestimmte Mindeststandards verbindet: Ob ihrer chemischen Konstitution und/oder Wirkweise nachhaltig schädliche Erzeugnisse sind einer Bewerbung mit Umweltschlagworten gänzlich unzugänglich – mag auch das Vergleichsprodukt noch umweltschädlicher sein.1062 Kasuistik: Ein Streumittel aus porösem Blähton und Harnstoff darf nicht mit der Bezeichnung „Ökotau“ als „ökologisch sauber, da salzfrei“ vertrieben werden, wenn und weil auch der Einsatz von Harnstoff das Grundwasser nachhaltig gefährdet.1063 Die Aussage „Die Dose ist grün“ weckt bei einem nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung die Vorstellung, dass die so bedruckten Getränkedosen ökologisch vorteilhaft sind.1064 Nicht bezweifelt werden sollte schließlich, dass Plusfaktoren der Werbung mit der 474 Umweltfreundlichkeit des angebotenen Produkts dieser nach wie vor den Sinn der Behauptung absoluter sektoraler Umweltverträglichkeit zu geben vermögen.1065
_____
1061 OLG Stuttgart 25.10.2018 – 2 U 48/18 – WRP 2019, 509 m. Bspr. Weidert GRUR-Prax 2019, 122; gegen strenge Anforderungen bei Umweltwerbung aber Büscher/Büscher Rn. 348. 1062 MünchKommUWG/Busche Rn. 413; Harte/Henning/Weidert C Rn. 159; Brandner FS v. Gamm 27, 31 f.; Spätgens FS Vieregge 813, 820. 1063 LG Frankfurt 21.1.1985 – 2/6 O 34/85 – WRP 1985, 245. 1064 LG Düsseldorf 25.4.2013 – 37 O 90/12 – GRUR-RR 2013, 446. 1065 Zutreffende einschlägige Klarstellung: Michalski/Riemenschneider BB 1994, 1159.
821
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
Kasuistik: Die Zaunlasur-Werbung – „Holz kann inzwischen auch mit umweltfreundlichen Produkten gestrichen werden. Vorbei sind die Zeiten, da der Zaunanstrich mit diversen umweltgefährdenden Inhaltsstoffen verbunden war. Das neue Produkt der Firma R., A-Zaunlasur, ist ausgezeichnet mit dem (*‚Blauen Engel‘“ – vermittelt) ob ihres Mittelsatzes den Eindruck völliger Schadstofffreiheit.1066 Wer für das beworbene Produkt aromatenfreies Benzin als Lösungsmittel verwendet, darf in Hinblick auf den (schwach) umweltbelastenden Charakter nicht behaupten, sein Produkt bringe durch Wegfall umweltbelastender Lösungsmittel „nur Vorteile“.1067 Wer bei der Produktion von Grablichtern die CO2-Emission reduziert, darf nicht mit dem Hinweis „CO2-neutral“ werben.1068 475 Im Übrigen sollte heute1069 außer Frage stehen, dass nicht nur Bezeichnungen wie „weniger umweltbelastend“ oder „umweltfreundlicher“, sondern auch Bezeichnungen wie „umweltfreundlich“, „umweltbewusst“, „umweltschonend“ und dergleichen keine absolute, sondern lediglich relative Umweltverträglichkeit verheißen:1070 Der angemessen informierte und verständige Durchschnittsverbraucher weiß, dass es den Ausschluss jeglicher Umweltbelastung bei der Herstellung, Distribution, Nutzung und Entsorgung von Waren kaum noch gibt. Abweichende Vorstellungen einer Minderheit bleiben gemeinhin von vornherein irrelevant; es bedarf nicht mehr der „Rettung“ einer den Anspruch relativer Umweltverträglichkeit einlösenden Werbung im Wege der Interessenabwägung. Selbst die These, der relevante Verkehr erwarte das nach derzeitigem Erkenntnisstand mögliche Höchstmaß an Umweltverträglichkeit,1071 dürfte nicht der Regelvorstellung gerecht werden. Allemal erwartet wird freilich ein signifikanter ökologischer Vorteil gegenüber dem herkömmlichen Angebot.1072 Kasuistik: Eine gasbefeuerte Fußbodenheizung darf als „umweltfreundlich“ beworben werden, obschon auch bei Erdgasbefeuerung Kohlenmonoxyde, Schwefeldioxyde und Stickoxyde anfallen; ausreichend und entscheidend ist die im Vergleich zur Erdölbefeuerung insgesamt signifikant niedrigere Umweltbelastung.1073 Wer CD-Boxen mit einer Materialersparnis von 28% bei der Einzel- und von 55% bei der Doppelbox herstellt, darf sein Produkt auch dann als „Die umweltfreundliche CD-Verpackung“ anbieten, wenn es gleich den üblichen Boxen aus dem umweltbelastenden Stoff Polystyrol hergestellt wird.1074 Die spannende Frage bleibt, ob und wenn ja wie detailliert der mit einschlägigen 476 Schlagworten Werbende den Grund behaupteter relativer Umweltverträglichkeit anzugeben hat: Die Umweltverträglichkeitsfrage stellt sich nicht nur in Bezug auf den Gebzw. Verbrauch des beworbenen Produkts, sondern auch hinsichtlich der Rohstoffgewinnung, Herstellung, Distribution und Entsorgung. Unter altem Recht wurde das Problem unter dem Gesichtspunkt diskutiert, ob die Umweltverträglichkeitsberühmung ohne entsprechend aufklärenden Hinweis als mehrdeutige bzw. unklare Angabe irrefüh-
_____
1066 BGH 4.10.1990 – I ZR 39/89 – GRUR 1991, 550 f. = WRP 1991, 159 f. – Zaunlasur. 1067 OLG Hamburg 13.9.1990 – 3 U 58/90 – NJW-RR 1991, 939 f. 1068 OLG Koblenz 10.8.2011 – 9 U 163/11 – WRP 2011, 1499. 1069 Für die Alternative absoluter Umweltverträglichkeit einschließende Mehrdeutigkeit beispielsweise noch LG Köln 19.11.1985 – 31 O 376/85 – GRUR 1988, 53, 54 sowie Köhler Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 1990, 351. 1070 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 249; Fezer/Wiebe S-2 Rn. 27 ff.; Harte/Henning/Weidert C Rn. 159; MünchKommUWG/Busche Rn. 412. 1071 So noch OLG Stuttgart 7.10.1988 – 2 U 197/88 – NJW-RR 1989, 556; Köhler/Bornkamm Rn. 4.166; Jestaedt Rn. 656. 1072 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 250; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 306g. 1073 OLG Stuttgart 18.2.1994 – 2 U 204/93 – WRP 1994, 340 f. 1074 OLG Frankfurt 30.9.1993 – 6 U 14/93 – NJW-RR 1994, 676 = EWiR 1994, 189 m. Anm. Lindacher.
Lindacher/Peifer
822
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
rungsgeeignet ist. Unter neuem Recht erscheint freilich eher Zurückhaltung in der Bejahung irreführungsbegründender Mehrdeutigkeit bzw. Unklarheit angezeigt: Der durchschnittlich informierte und verständige Verbraucher wird kaum je von ökologischer Vorteilhaftigkeit in allen Teilbereichen ausgehen, darf allerdings bei entsprechendem Informationsbedarf wohl in gewissem Umfang Zusatzinformation durch Benennung des konkreten Umweltbezugs nach § 5a erwarten. Der Bedeutungssinn der Vorsilben „Bio-“ und „Öko-“ variiert nach Verwendungs- 477 kontext. Bei pflanzlichen Lebensmitteln signalisiert entsprechende Kennzeichnung Gewinnung nach den Grundsätzen des ökologischen Landbaus, niedergelegt in der EGÖko-Basis-VO Nr. 834/2007 und der zugehörigen DurchführungsVO (EG) Nr. 839/2008 (näher insoweit Rn. 504 ff.). Bei anderen Lebensmitteln deutet „bio“ bzw. „öko“ darauf hin, dass das Produkt frei von Rückständen und Schadstoffen, jedenfalls rückstandsund schadstoffarm (Rn. 88): Die Bezeichnung „Bio-Mineralwasser“ ist zulässig, wenn sich das so bezeichnete Mineralwasser in Hinblick auf einen festgelegten Kriterienkatalog für Gewinnung und Schadstoffgehalt von anderen Mineralwässern abhebt und die gesetzlichen Grenzwerte deutlich unterschreitet.1075 Eine Verbrauchererwartung, dass die Bezeichnung „Bio“ eine staatliche Lizenzierung und Überwachung voraussetzt, besteht nicht.1076 Von Gebrauchsgegenständen, die mit „bio“ bezeichnet werden, darf der Verkehr – je nach Produktart – natürliche Stoffbeschaffenheit, jedenfalls Absenz gesundheitlicher Gefahren erwarten. Bei Produkten wie Wasch- und Reinigungsmitteln ist qualifizierte Umweltverträglichkeit thematisiert: Der verständige Durchschnittsverbraucher weiß zwar, dass ein Wasch- bzw. Reinigungsmittel kaum ohne ein Minimum an Chemie auskommt, setzt aber zu Recht auf Beschränkung auf das Unerlässliche.1077 cc) Umweltzeichen. Besonderer Stellenwert im Rahmen umweltbezogener Pro- 478 duktwerbung kommt der Gütezeichenwerbung (allgemein: Rn. 439 ff.) zu. Werbende und Umworbene verstehen vor allem das vom RAL Deutsches Institut für Gütesicherung und Kennzeichnung e.V. verliehene Zeichen „Blauer Engel“ sowie das Europäische Umweltzeichen als Signet für besondere Umweltfreundlichkeit des gekennzeichneten Produkts und kompetente, neutrale Feststellung solcher Eigenschaft.1078 (1) Blauer Engel. Eines der ältesten Gütezeichen mit Umweltbezug ist das 1978 ins 479 Leben gerufene nationale RAL-Umweltzeichen. Die Zeichenvergabe erfolgt in einem zweistufigen Verfahren: der Produktgruppendefinition mit Erarbeitung der abstrakten Anforderungsprofile sowie der konkreten Zeichenvergabe. Die Vergabegrundlagen für eine bestimmte Produktgruppe werden nach fachlicher Vorbereitung durch das Umweltbundesamt von einer unabhängigen Jury beraten und beschlossen. Der Jury gehören Mitglieder aus Umwelt- und Verbraucherverbänden, Gewerkschaften, Industrie, Handel, Handwerk, Kommunen, Kirchen und zwei wechselnden Bundesländern an. Die konkrete Zeichenverleihung erfolgt durch die 2008 durch das RAL Deutsche Institut für Gütesicherung und Kennzeichnung e.V. gegründete RAL gGmbH, einer Nachfolgerin des 1925 gegründeten Reichsausschusses für Lieferbedingungen. Das Zeichen signalisiert unter Benennung des jeweiligen Vergabegrunds („Umweltzeichen, weil …“) bestimmungsgemäß relative Umweltverträglichkeit und darf nach dem der Verleihung zugrundeliegenden Zeichennutzungsvertrag nur in der verliehenen Form sowie unter Beachtung etwaiger
_____ 1075 1076 1077 1078
823
BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 30–35 – Biomineralwasser. BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 45 – Biomineralwasser. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.82. BGH 19.2.2014 – I ZR 230/12 – GRUR 2014, 578 – Umweltengel für Tragetasche.
Lindacher/Peifer
§5
480
481
482
483
Irreführende geschäftliche Handlungen
Einschränkungen und Auflagen (Hinweispflichten) werblich verwendet werden.1079 Relative Umweltverträglichkeit heißt, dass das Zeichen keine vollständige Umweltverträglichkeit bescheinigt. Das dadurch verbleibende Irreführungspotential ist aus umweltpolitischer Sicht hinzunehmen (oben Rn. 471).1080 Hinsichtlich der lauterkeitsrechtlichen Beurteilung werblicher Zeichennutzung am Maßstab des § 5 steht heute zu Recht außer Frage, dass mit dem Gütezeichencharakter (Rn. 166) unvereinbare Minderheitsvorstellungen (insbesondere die Erwartung einer absoluten Umweltverträglichkeit,1081 aber auch die Erwartung einer rangmäßigen Spitzenstellung des gekennzeichneten Produkts),1082 irrelevant bleiben.1083 Sie scheitern nach neuem Verbraucherleitbild wohl bereits an der qualitativen Relevanzschwelle hinreichender Verständigkeit: Die bestimmungsgemäße Verwendung des RAL-Umweltzeichens fördert nicht nur die Markttransparenz, steht vielmehr auch und vor allem im Dienst einer pragmatischen Umweltschutzpolitik. Das zur Werbung mit Umweltschlagworten Ausgeführte (Rn. 473 ff.) gilt auch und erst recht für die Werbung mit dem „offiziellen“ Umweltzeichen. Die Erwartung, dass das entsprechend markierte Produkt relativ umweltverträglich i.S. eines signifikanten Abstands zum Regelangebot (s. auch Rn. 475), ist hingegen zwar im Grundsatz legitim, eine Überprüfung der Sachangemessenheit des Güteurteils den Zivilgerichten in Hinblick darauf, dass die Zeichenvergabe nicht durch Hoheitsakt, sondern in privatrechtlicher Form erfolgt, zudem fraglos nicht a priori verwehrt. Da Informationen zur Umweltverträglichkeit kaum minder wichtig als Informationen zu anderen Produkteigenschaften sind, sollte man freilich die zur Werbung mit Ergebnissen neutraler, fachkompetenter Testinstitute entwickelten Grundsätze (Rn. 612) auch für den hier angesprochenen Problembereich fruchtbar machen, die Richtigkeit der Zeichenaussage mithin nur auf Ergebnisvertretbarkeit prüfen:1084 Institutionelle Neutralität und versammelter Sachverstand rechtfertigen die Anerkennung eines erheblichen Beurteilungsspielraums hinsichtlich der Wahl der Prüfkriterien und -methoden sowie des Schlusses, dass sich das gekennzeichnete Produkt unter Umweltschutzaspekten signifikanterweise von den herkömmlichen Konkurrenzprodukten abhebt. Nicht nur eine Verletzung des Zeichennutzungsvertrags, sondern auch einen Verstoß gegen Anh. Nr. 4 2. Alt. bzw. – bei werblicher Verwendung gegenüber Unternehmen – § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 stellt es dar, wenn das Umweltzeichen ohne bzw. ohne hinreichend auffällige Benennung des Verleihungsgrunds verwendet wird. Entsprechendes gilt für eine Werbung mit dem Umweltzeichen unter Verstoß gegen im Zeichennutzungsvertrag statuierte Warn- und Hinweispflichten: Lässt sich der positive Umwelteffekt nur unter besonderen Vorkehrungen erzielen, muss hierauf eindeutig und unübersehbar hingewiesen werden. Wird das Umweltzeichen in eine Prospektwerbung einbezogen, indem ein Produkt in der Weise abgebildet wird, dass zwar das „Engel“-Symbol, nicht aber der Inhalt der Umschrift zu erkennen ist, bedarf es zumindest dann begleittextlicher Klarstellung über den Vergabegrund, wenn nach der Produktgattung über den konkreten Verleihungs-
_____
1079 Vgl. hierzu die Sachverhaltsschilderungen in BGH 20.10.1988 – I ZR 219/87 – BGHZ 105, 277 = WRP 1989, 160 – Umweltengel. 1080 Roller ZUR 2014, 211, 214. 1081 Für Relevanz solcher Fehlvorstellung noch LG Köln 19.11.1985 – 31 O 376/85 – GRUR 1988, 53, 54. 1082 Für Relevanz einschlägiger Fehlvorstellung beispielsweise noch Brandner FS v. Gamm 34. 1083 Statt aller: Harte/Henning/Weidert C Rn. 165; MünchKommUWG/Busche Rn. 415. 1084 Für uneingeschränkte Überprüfung freilich noch OLG Köln 4.3.1988 – 6 U 194/87 – GRUR 1988, 630, 631 sowie Rohnke GRUR 1988, 667, 670, ferner wohl auch Köhler Jb für Umwelt- und Technikrecht 1990, 357 f.
Lindacher/Peifer
824
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
grund hinaus weitere Vergabegründe ernsthaft in Betracht kommen.1085 An die Art und Weise der Verleihungsgrundbenennung sind dabei freilich keine überzogenen Anforderungen zu stellen: Vom verständigen Durchschnittsverbraucher, dessen Aufmerksamkeit durch das Umweltzeichen geweckt wird, darf erwartet werden, dass er den Begleittext liest.1086 Irreführend ist (mit vorrangiger Einschlägigkeit von Anh. Nr. 2 im B2C-Verkehr) die 484 Zeichenführung ohne Verleihung, einschließlich der Weiterverwendung nach Ablauf der Verleihungszeit. Ein glatter Täuschungsfall ist schließlich die Inanspruchnahme des für ein bestimmtes Produkt verliehenen Zeichens für die gesamte „Produktfamilie“ oder gar gänzlich andere Ware. Darunter fällt das Verhalten eines Supermarktbetreibers, der an den Warenregalen, die neben mit dem RAL-Zeichen versehenen Waren auch sonstige Waren enthalten, sog. Regalstopper mit dem „Umweltengel“ und dem vorangestellten Hinweis „Das Zeichen der Umweltfreundlichkeit“ anbringt.1087 Irreführend ist die Vermarktung von Produkten unter dem „Blauen Engel“, wenn diese Produkte tatsächlich nicht den Vergabekriterien entsprechen, wobei die primäre Darlegungslast dafür beim Anspruchsteller liegt.1088 § 5 Irreführende geschäftliche Handlungen C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2 Lindacher/Peifer
(2) Europäische Blume. Zumindest derzeit noch im Schatten des „Blauen Engels“ 485 steht das 1992 von der EU-Kommission eingeführte Europäische Umweltzeichen (Euroblume bzw. EU Ecolabel). Es wurde mit der VO (EG) Nr. 1980/2000 eingeführt und durch die VO (EG) Nr. 66/2010 v. 25.11.2009 (EG-ABl. L 27/1) ausdifferenziert, insbesondere wurden die Gebühren für die Zeichennutzung gesenkt. Die Vergabegrundlagen des Zeichens werden von der Kommission, beraten von dem Ausschuss für das Umweltzeichen der Europäischen Union (AUEU, Art. 5 VO), erarbeitet. Der Ausschuss besteht aus Vertretern der Mitgliedstaaten und Vertretern von Interessengruppen. Die Zeichenvergabe an Hersteller mit Sitz in Deutschland erfolgt durch die RAL gGmbH. Wie das nationale RALZeichen signalisiert auch das unionsrechtliche Zeichen lediglich relative Umweltverträglichkeit (Art. 6 Abs. 3 VO). Anders als das mit Kern- und Zentralaussagen arbeitende nationale RAL-Zeichen attestiert das EU-Umweltzeichen seinem Selbstanspruch nach relative ökologische Vorteilhaftigkeit in der Lebenszyklus-Betrachtung: Vergabekriterium ist der ganzheitliche ökologische Fortschritt unter Mitberücksichtigung der Produktionsund Bereitstellungsphase sowie der Entsorgungsphase. Die Zulässigkeit einschlägiger werblicher Zeichenverwendung beurteilt sich allein 486 nach Unionsrecht; Art. 10 Abs. 1 der VO 66/2010 enthält ein spezielles Irreführungsverbot. Das nationale Recht leiht dem Unionsrecht freilich sein Sanktionsinstrumentarium. Im Ergebnis heißt dies: Für § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 ist – neben § 3a – Raum, wenn gegen das unionsrechtliche besondere Irreführungsverbot verstoßen wird,1089 nicht, wenn das zu beurteilende Verhalten nach Unionsrecht verbotsfrei ist (Fall einwirkender Konkurrenz; allgemein: v §§ 5, 5a Rn. 148). dd) „Frei von …“. Wie bei jeder Werbung erwartet der Verkehr auch bei umweltbe- 487 zogener Werbung grundsätzlich keine vollständige Umweltverträglichkeit in jeder Hinsicht: Werbung mit dem Fehlen bestimmter bekanntermaßen umweltschädlicher Eigen-
_____
1085 Richtig: OLG Köln 21.2.1992 – 6 U 100/91 – JZ 1993, 100 f. m. Anm. Lindacher; Köhler/Bornkamm/ Feddersen 2.190. 1086 A.A. noch OLG Köln aaO. 1087 BGH 20.10.1988 – I ZR 219/87 – BGHZ 105, 277 = WRP 1989, 160 – Umweltengel. 1088 BGH 19.2.2014 – I ZR 230/12 – GRUR 2014, 578 Tz. 11 mit Tz. 16 – Umweltengel für Tragetasche. 1089 A.A. bzw. zumindest missverständlich Klindt BB 1998, 545, 554.
825
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
schaften muss nicht mit der Benennung verbleibender negativer Umwelteigenschaften einhergehen. Kasuistik: Wer seine Produkte in Blisterpackungen aus Polypropylen und Polystyrol vertreibt, darf die Verpackung mit dem Aufdruck „PVC-frei“ versehen. Dass auch die verwendeten Kunststoffe gewisse Umweltbelastungen mit sich bringen, verschlägt nicht.1090 Das gilt übrigens auch für Bezeichnungen, die der Adressat ähnlich versteht: Die Bezeichnung einer Kosmetikserie mit den Begriffen „pure & natural“ bei Einsatz in grün gehaltener Gestaltungselemente und Pflanzendarstellungen auf der Verpackung signalisiert natürliche Inhaltsstoffe.1091 Ein unter der Bezeichnung „Biomineralwasser“ vertriebenes Mineralwasser muss einen besonders niedrigen Anteil an Rückständen und Schadstoffen aufweisen.1092 Wer eine Matratze als „schadstofffrei“ bewirbt, vermittelt damit jedenfalls die Aussage, dass dennoch vorhandene Schadstoffe keine Gesundheitsgefahren beim bestimmungsgemäßen Gebrauch auslösen.1093 Zu unterstreichen bleibt, dass die Absenz bestimmter gebräuchlicher Schadstoffe 488 und die Meidung bei Konkurrenzprodukten gängiger Schadwirkungen keine umweltbezogene „Frei von …“-Werbung rechtfertigen, wenn das Produkt in der Saldierung aufgrund anderer Schadstoffe/Schadwirkungen nicht weniger umweltbelastend ist als die herkömmlicherweise angebotenen und verwendeten Erzeugnisse. Dass die „Frei von …“Alternative unter Ökogesamtbilanzgesichtspunkten gleich negativ bzw. noch ungünstiger zu bewerten als das Produkt mit dem entsprechenden Bestandteil, hat im Streitfall der sich auf die Unzulässigkeit der werblichen Äußerung Berufende zu beweisen. 4. Zwecktauglichkeit und Verwendungsmöglichkeit 489
a) Begriffe und Abgrenzung. Zweck und Verwendung einerseits sowie Beschaffenheit und Wirkung andererseits lassen sich kaum zuverlässig trennen. Merkmalzusammenfassende Gruppenbildung, die Zwecktauglichkeit und Verwendungsmöglichkeit bald mit der Beschaffenheit, bald mit den Verwendungsergebnissen1094 in einem Atem nennt, belegen die Merkmalsnähe. Will man den Merkmalen Zwecktauglichkeit und Verwendungsmöglichkeit eine eigenständige Bedeutung geben, empfiehlt es sich auf besondere Zwecktauglichkeit abzustellen, Verwendungsmöglichkeit restriktiv im Sinne von Verkehrsfähigkeit zu verstehen.
490
b) Zwecktauglichkeit. Über die Zwecktauglichkeit führt irre, wer fälschlicherweise Produkteignung für besondere Aufgaben geltend macht.1095 Kasuistik: Die Bewerbung einer Armbanduhr mit der Aussage „30 m wasserdicht“ wird vom Verkehr ganz überwiegend spontan dahin verstanden, die Uhr eigne sich für Tauchgänge bis 30 m Wassertiefe. Nichterfüllung einschlägiger Erwartung macht die Angabe irreführend i.S. von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1. Der Werbende kann sich nicht darauf hinausreden, dass mit „30 m“ ein Wasserdruck von max. 3 bar (1 Wassersäule – 0,1 bar) gemeint sein soll, der beim Tauchen in 30 m Wassertiefe durch die Bewegung und durch
_____
1090 BGH 23.5.1996 – I ZR 76/94 – GRUR 1996, 985 = WRP 1996, 1156 – PVC-frei entgegen OLG Frankfurt/M 9.3.1994 – 6 U 240/92 – GRUR 1994, 524. 1091 LG Hamburg 21.12.2012 – 312 O 96/12 – WRP 2013, 543. 1092 BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 Tz. 34 – Biomineralwasser. 1093 OLG Stuttgart 15.10.2018 – 2 U 34/18 – WRP 2019, 516 Tz. 93. 1094 So beispielsweise Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.211 sowie Ohly/Sosnitza Rn. 293. 1095 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 275 (Behauptung der Hochseetauglichkeit einer Segelyacht); Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 309a.
Lindacher/Peifer
826
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
Strömung leicht überschritten werden kann.1096 Als irreführend angesehen wurde die unrichtige Behauptung, dass ein Motoröl von Kfz-Herstellern freigegeben worden sei1097 sowie die Erweckung des unrichtigen Eindrucks, dass man mit einem E-Post-Brief „alles“ versenden kann.1098 c) Verwendungsmöglichkeit. Qualifizierte mangelnde Verwendungsmöglichkeit 491 heißt: Verkehrsunfähigkeit. Einschränkungen der Nutzungsmöglichkeit des beworbenen Produkts aufgrund eines gesetzlichen Verwendungsverbots machen die beworbene bzw. zu erwerbende Ware wirtschaftlich wertlos. Wer Ware vorbehaltlos anbietet, erweckt den Schein uneingeschränkter Verkehrsfähigkeit. Trifft dies nicht zu, greift im Geschäftsverkehr mit Verbrauchern vorrangig Anh. Nr. 9, im B2B-Verkehr § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1. Kasuistik: Wer ein Produkt offeriert bzw. bewirbt, das erfahrungsgemäß von einem erheblichen Teil der Erwerber nach unschwer zu realisierendem Umbau in einer Weise benutzt wird, die einen Straftatbestand erfüllt, muss in seiner Werbung zwar wohl nicht auf die Strafbarkeit solcher Verwendung, wohl aber auf die beschränkte legale Nutzbarkeit hinweisen.1099 Wer unter Verletzung des Urheberschutzes Möbel als „BauhausKlassiker“ anbietet, täuscht über deren Verkehrsfähigkeit.1100 Bei Inlandsgeschäften darf die Möglichkeit legaler Inlandsverwendung erwartet 492 werden. Ist die Ware im Ausland und nur im Ausland zu verwenden, muss dies eindeutig klargestellt werden. Die Kennzeichnung der Ware als „Exportware“ genügt nicht,1101 der Hinweis „nur für Export“ sollte im B2B-Verkehr freilich ausreichen.1102 5. Vorteile und Risiken a) Begriffe und Abgrenzung. Wie die Richtlinie nennt auch § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 ne- 493 ben den mehr oder weniger traditionellen Merkmalen auch die Merkmale „Vorteile“ und „Risiken“. Praktische Bedeutung kommt der einschlägigen Zusatzbenennung kaum zu: Jede positive, die Art, Ausführung, Zusammensetzung oder Beschaffenheit betreffende Produkteigenschaft schafft einen Vorteil, die Wirkung eines Produkts kann Risikorealisierung sein. Anders als dem Merkmal „Vorteile“ mag man freilich zumindest dem Merkmal „Risiken“ einen – bescheidenen – eigenen Anwendungsbereich zusprechen: Die explizite Benennung legt den Rückgriff auf das Merkmal dort nahe, wo es um Fragen der vertraglichen Risikoabdeckung,1103 Verträge mit Chancen und Risiken sowie die Gefahrenabwehr durch Warnhinweise geht. Man mag darüber hinaus von Irreführung mit dem Merkmalsbezug „Risiken“ schließlich dann sprechen, wenn der Werbende reale Vertrags- oder Wirkrisiken kleinzureden oder gar wegzudiskutieren versucht.1104
_____
1096 OLG Frankfurt 10.4.2008 – 6 U 34/07 – MD 2008, 636, ähnlich LG Berlin 8.1.2015 – 52 O 247/14 – MD 2015, 540 – 100m/wasserdicht 10bar. 1097 LG Itzehoe 22.7.2016 – 2 O 361/15 – GRUR-RS 2016, 20048. 1098 OLG Köln 15.7.2011 – 6 U 34/11 – MMR 2011, 742. 1099 A.A. KG 14.3.1991 – 25 U 6540/90 – GRUR 1991, 691 – Modem ohne Postzulassung. 1100 OLG Hamburg 23.1.2008 – 5 U 211/06 – MD 2008, 364 Tz. 36. 1101 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 309b. 1102 Zweifelnd: Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 309b. 1103 Gleichsinnig Harte/Henning/Weidert C Rn. 121. 1104 So etwa Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 276.
827
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
b) Risiken: Fallgruppen 494
aa) Vertragliche Risikoabdeckung. Risikoabdeckung ist das Charakteristikum von Versicherungsverträgen. Der hinreichend informierte und verständige Versicherungsnehmer weiß dabei oder muss wissen, dass der Versicherer nicht jede Gefahr übernimmt (und übernehmen kann), die unter die schlagwortartige allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos fällt. Hinsichtlich der Einzelheiten und Randfragen muss er immer mit aus den Allgemeinen Versicherungsbedingungen zu ersehenden Ab- und Ausgrenzungen rechnen, vertrauensfest ist grundsätzlich nur die Erwartung eines Kernbereichsschutzes. Erwartungen über den nach dem Klauselwerk versprochenen Schutz hinaus mag geradeeine Werbung auslösen. Kasuistik: Verspricht ein Reisegepäckversicherer in einer Werbeschrift Ersatz bei „Beschädigung des Reisegepäcks“ kann er sich nicht darauf berufen, dass seine AVB einen Risikoausschluss für „Schäden durch Zerreißen von Koffern und sonstigen Gepäckbehältern“ enthalten.1105 Zulässig ist der allgemeine Hinweis eines Reiseveranstalters auf das Vorhandensein eines Insolvenzsicherungsscheins und die darauf bezogene Äußerung „unsere Kunden gehen kein Risiko ein“, denn diese Formulierung ist weder unrichtig noch ist der einfache Hinweis hierauf eine nach Anh. Nr. 10 unzulässige Werbung mit einer Selbstverständlichkeit (vgl. insoweit § 651r BGB).1106
495
bb) Risikoverträge. Verträge, die ihrer Art nach ein für den Kunden nicht zu erwartendes Risiko aufweisen, müssen als solche gekennzeichnet werden. Dass der Vertrag auch Chancen birgt, ändert nichts an der Notwendigkeit einschlägiger Klarstellung. Kasuistik: Wer als Darlehensgeber lediglich mit „1,8% Hypothekenzinsen p.a.“ wirbt, ohne auf ein bestehendes Fremdwährungsrisiko hinzuweisen, führt Interessenten irre.1107
496
cc) Missachtung gesetzlicher Warnpflichten. Im Wissen um die Existenz gesetzlicher Hinweis- und Kennzeichnungsvorschriften für Produkte mit hohem Gesundheitsgefährdungspotential schließt der Verkehr aus der Absenz einer entsprechenden Warnung auf einschlägige Risikoabsenz. Die konkludente Falschbehauptung erfüllt den Tatbestand des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Stichwort Risiko. Kasuistik: Der Vertrieb eines Desinfektionsmittels ohne den gebotenen Warnhinweis „Gift“ ist (auch) aus dem Gesichtspunkt der Irreführung zu untersagen.1108 6. Art und Weise der Herstellung bzw. Leistungserbringung
497
a) Begriff und Abgrenzung. Das Gesetz spricht bei der Merkmalsaufzählung von „Verfahren oder Zeitpunkt der Herstellung, Lieferung oder Erbringung“, fasst mithin formal nicht nur „Verfahrens“- und „Zeitpunkt“-Fragen, sondern auch „Herstellung“, „Lieferung“ und „Erbringung“ in einem Merkmal zusammen. Der Richtlinien-Text trennt dagegen zwischen „Verfahren und Zeitpunkt der Herstellung oder Erbringung“ und „Lieferung“, sieht in Letzterer mithin ein eigenes Merkmal. Die Kommentierung folgt dieser Trennung (zum Merkmal Lieferung: Rn. 507), behandelt im Übrigen auch die Art und Weise der Herstellung betreffenden Fragen sowie die mit dem Stichwort Alters- und
_____ 1105 1106 1107 1108
BGH 9.6.1983 – I ZR 106/81 – GRUR 1983, 654 = WRP 1983, 668 – Kofferschaden. OLG Köln 1.2.2013 – 6 W 21/13 – WRP 2013, 662. LG München I 25.10.2007 – 4 HK O 3712/07 – WRP 2008, 392. BGH 29.11.1963 – Ib ZR 71/62 – GRUR 1964, 269 = WRP 1964, 128 – Grobdesin.
Lindacher/Peifer
828
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
Neuheitswerbung (hierzu: Rn. 512 ff., 521 f.) thematisierten Fragen je selbständig. Um keine Frage der Art und Weise der Herstellung bzw. Leistungserbringung, sondern um eine Frage der betrieblichen Herkunft handelt es sich, wenn der Werbende ausdrücklich oder konkludent Eigenherstellung bzw. Eigenleistung verspricht, obwohl die beworbene Ware ganz oder zu einem erheblichen Teil aus fremder Produktion stammt/die angebotene Leistung ganz oder zu einem nicht unerheblichen Teil von einem Dritten erbracht wird (hierzu: Rn. 569). b) Handwerkliche Fertigung Schrifttum Heeb Die Werbung mit rein handwerklichen Begriffen für Industrie-Erzeugnisse, WRP 1977, 537; Honig Werbung mit dem guten Ruf des Handwerks, WRP 1995, 568.
Handwerksarbeit wird – nach wie vor, wenn nicht gar zunehmend – besonders ge- 498 schätzt. Wer in seiner Werbung für fabrikmäßig hergestellte Erzeugnisse den Eindruck handwerklicher Fertigung erweckt bzw. den handwerklichen Anteil am beworbenen Produkt größer darstellt, als dieser tatsächlich ist, führt deshalb in marktentscheidungserheblicher Weise irre.1109 Kasuistik: Bei einem „Möbelhaus des Handwerks“ erwartet der Verkehr, dass es weitaus überwiegend handwerkliche Erzeugnisse anbietet, Fabrikerzeugnisse nur eine untergeordnete Rolle spielen. Das entsprechend firmierende Unternehmen führt deshalb über die Herstellungsart angebotener Waren irre, wenn es gerade umgekehrt größtenteils industriell gefertigte Möbel anbietet.1110 Auf dem Bekleidungssektor weist der Begriff „Maßarbeit“ auf handwerkliche Fertigung hin. Wer in Maßkonfektion, d.h. fabrikmäßig unter Berücksichtigung der Maße des Bestellers, fertigt, darf mit der korrekten Bezeichnung „Maßkonfektion“ auch dann werben, wenn ein Teil des relevanten Verkehrs fälschlicherweise auf Schneiderarbeit schließt; die Irreführungsgefahr ist aus Interessenabwägungsgesichtspunkten hinzunehmen.1111 Die isolierte Angabe „Wir fertigen nach Ihren Maßen“ ist demgegenüber nicht nur für Konfektions-, sondern auch für Maßkonfektionskleidung unzulässig.1112 Industriell hergestellte Teigwaren dürfen nicht als „Bäckernudeln“ benannt werden.1113 Wer Wurstwaren „nach traditioneller Metzgerkunst“ anbietet, suggeriert mehr als die bloße Eintragung in die Handwerksrolle.1114 Auch wo Handarbeit keine handwerkliche Arbeit, darf kein falscher Schein gesetzt 499 werden. Kasuistik: „Garantie – reine Handarbeit“ für Zierkerzen führt irre, wenn sich die „Handarbeit“ darauf beschränkt, zur Herstellung der Kerzenrohlinge flüssiges Wachs in Formen zu gießen und einen verzierten Mantel um die Rohlinge zu legen.1115 Das Sinnverständnis der Bezeichnung Manufaktur divergiert nach Branchen.1116 In 500 bestimmten Bereichen wird der Verkehr hierin ein schlichtes Synonym zum Begriff „Fab-
_____
1109 1110 1111 1112 1113 1114 1115 1116
829
Harte/Henning/Weidert C Rn. 100; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.205; Ohly/Sosnitza Rn. 288. BGH 10.3.1961 – I ZR 142/59 – GRUR 1961, 425, 428 – Möbelhaus des Handwerks. BGH 22.6.1956 – I ZR 152/54 – GRUR 1957, 274, 275 – Maßkonfektion. OLG München 21.4.1977 – 6 U 3684/76 – WRP 1977, 432. OLG Stuttgart 15.9.1978 – 2 U 85/78 – WRP 1979, 577, 578, zweifelhaft. LG Offenburg 15.9.2017 – 5 O 54/16 KfH – WRP 2017, 1534. OLG Nürnberg 29.9.1970 – 3 U 26/70 – BB 1971, 1075. Wie hier: Harte/Henning/Weidert C Rn. 102.
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
rik“ sehen (so z.B. bei der Bezeichnung „Baumwollmanufaktur“). Mit der Bezeichnung „Porzellan-Manufaktur“ verbindet der Verkehr hingegen etwa das genaue Gegenteil industrieller Fertigung, nämlich einen signifikanten Handarbeitsanteil, bei anderem Porzellan als Weißporzellan wohl in relevantem Umfang nach wie vor eine Dekoraufbringung in Handmalerei (zur Frage, ob in der Bezeichnungsführung „Porzellanmanufaktur“ zugleich eine Traditionsberühmung liegt, s. Rn. 908).1117 501
c) Herstellung nach einem bestimmten Verfahren, System oder Rezept. Wer Herstellung der angebotenen Ware nach einem bestimmten Verfahren, System oder Rezept behauptet und dadurch den Eindruck erweckt, die Ware sei in einem Drittbetrieb hergestellt worden, führt über die betriebliche Herkunft irre (näher hierzu Rn. 561 ff.). Wer nach einem anderen als dem behaupteten Verfahren, System oder Rezept herstellt, täuscht hingegen über die Herstellungsart.1118 Verbindet der Verkehr mit einer bestimmten Herstellungsmethode subjektiv bestimmte Positivvorstellungen, sei es auch nur vager, nicht näher spezifizierter Art, liegt nach allgemeinen Grundsätzen (s. Rn. 252) auch dann eine relevante Irreführung vor, wenn die Praktizierung der vorgetäuschten Herstellungsmethode zu keiner Verbesserung der Produktqualität geführt hätte. Kasuistik: Pizza, die in einem elektrisch beheizten Stahl-Durchlaufofen vorgebacken wird, darf auch dann nicht als „steinofenvorgebacken“ und/oder „mit dem typischen Steinbackofenaroma“ beworben werden, wenn die Backkammer aus Steinen besteht. Ob die Pizza bei der gewählten Backweise in jeder Hinsicht einer solchen entspricht, die nach alter italienischer Tradition in echten Steinbacköfen hergestellt wird, ist unerheblich.1119
d) Abgrenzung: Denaturierte Bezeichnungen. Manche Bezeichnungen, die ursprünglich (auch) auf eine Herstellungsart hindeuteten, haben einen Bedeutungswandel erfahren. So bedeutet etwa „Hausmacherart“ entgegen dem nächstliegenden natürlichen Wortsinn nicht (mehr), dass das so bezeichnete Produkt vom Anbieter selbst, in gleicher Weise wie für den Eigengebrauch, hergestellt wird; der Verkehr versteht den Hinweis vielmehr (heute) im Allgemeinen nur noch als Berühmung gehobener Qualität: das Produkt sei wie hausgemacht.1120 Teigwaren „Hausmacherart“ müssen einen erhöhten Eigehalt aufweisen. Wurstwaren „Hausmacherart“ dürfen nicht zu den einfachen Qualitäten zählen. Ebenso wenig bedeutet „Bauernbrot“, dass das Brot von Bauern gebacken oder aber nach einer bestimmten Art hergestellt sein müsse; erwartbar ist lediglich eine bestimmte Geschmacksrichtung.1121 503 Verstärkende Zusätze (wie „original“ oder „echt“, oben Rn. 370) sowie die Verwendung von Bildern und Symbolen, die auf eine nichtindustrielle Herstellung schließen lassen, vermögen einzelfallweise zu einer Revitalisierung der ursprünglichen Bedeutung führen.1122 Lediglich allgemeine Anmutungen auslösende Abbildungen genügen insoweit freilich kaum: Aus der Verwendung eines stilisierten Mühlensymbols durch
502
_____
1117 KG 3.10.1975 – 5 U 1244/75 – GRUR 1976, 640; Harte/Henning/Weidert C Rn. 102. A.A. – nicht mehr auf Handarbeit abstellend – OLG München 2.2.1989 – 6 U 2997/84 – GRUR 1989, 620. 1118 Ulmer/Reimer Nr. 612; Ohly/Sosnitza Rn. 290. 1119 OLG Koblenz 22.12.1988 – 6 U 1208/87 – WRP 1989, 332 ff. 1120 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 294; Ohly/Sosnitza Rn. 290. 1121 BGH 15.5.1956 – I ZR 148/54 – GRUR 1956, 550, 553 – Tiefenfurter Bauernbrot; Gloy/Loschelder/ Erdmann/Helm § 59 Rn. 294; Ohly/Sosnitza Rn. 290. 1122 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 294; Harte/Henning/Weidert C Rn. 104.
Lindacher/Peifer
830
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
eine Großbäckerei schließt der hinreichend verständige Verbraucher nicht auf die Herstellung in einer handwerklich betriebenen Bäckerei.1123 e) Insbesondere: Ökologischer Landbau Schrifttum Leitzmann Was ist ein Ökoprodukt bzw. ein Bio-Lebensmittel? – Erwartungen und Tatsachen, ZLR 2002, 151.
Bei pflanzlichen Lebensmitteln kommt der alternativen Herstellungsweise neben 504 und zulasten des konventionellen Landbaus wachsende Bedeutung zu. Der Verkehr verbindet mit der Gewinnung von Produkten nach den Grundsätzen des ökologischen Landbaus die Vorstellung gehobener Produktqualität und umweltschonender Erzeugung. Dem Hinweis auf die Produktionsweise kommt hohe Werbewirksamkeit zu, missbräuchliche Berühmung ist aus Irreführungsschutzgründen und Umweltschutzgründen entgegenzutreten. Die einschlägigen Grundsätze sind in Fortschreibung der VO (EWG) Nr. 2092/91 in 505 der VO (EG) Nr. 834/2007 über die ökologische Produktion und Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen (ÖkoV) niedergelegt. Die Verwendung von Begriffen wie „biologisch“ oder „ökologisch“ ist nur dann, andererseits immer dann zulässig, wenn die in der Verordnung benannten Voraussetzungen erfüllt sind: Entspricht das Produkt den entsprechenden Anforderungen, kann die Bezeichnung gemäß dem Vorrang des Bezeichnungsrechts (allgemein: v §§ 5, 5a Rn. 177) lauterkeitsrechtlich nicht als irreführend untersagt werden.1124 Soweit die Rechtsprechung früher strengere Anforderungen stellte,1125 sind die einschlägigen Entscheidungen überholt. Soweit Gütezeichenbedingungen das Anforderungsprofil schärfen, ist die Verwen- 506 dung des entsprechenden Zeichens/Symbols aber nur zulässig, wenn die gegenüber der ÖkoV strengeren Voraussetzungen erfüllt sind. 7. Lieferung a) Begriff und Abgrenzung. Die Orientierung an der Richtlinien-Vorgabe spricht für 507 das Verständnis des Merkmals „Lieferung“ als eigenes Merkmal (s. bereits Rn. 497). Lieferzeit, Lieferort und Vertriebsart sind zwar keine Umstände, die dem Produkt als solchem anhaften, weisen indes gleichfalls einen objektiven Produktbezug auf, vermögen in Grenzfällen gar zum kategoriebestimmenden Faktor zu werden, so dass es durchaus gerechtfertigt erscheint, insoweit Abs. 1 S. 2 Nr. 1 als thematisiert anzusehen. Soweit der Irrtum über die Vertriebsart mit einem Irrtum über den Status des Unternehmens im Vertriebsverfahren zusammenfällt (Einzelhändler gibt sich fälschlicherweise als Großhändler aus), ist auch – mit Kommentierungsschwerpunkt dortselbst, s. Rn. 1031 f. – Abs. 1 S. 2 Nr. 2 angesprochen.
_____
1123 OLG Hamburg 22.7.1993 – 3 U 98/90 – WRP 1994, 42, 44; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 294. A.A. Harte/Henning/Weidert C Rn. 104. 1124 Statt aller: OLG Karlsruhe 15.10.1993 – 2 Ss 78/93 – ZLR 1994, 391; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.79. 1125 Beispiel: OLG München 14.9.1989 – 29 U 4781/89 – WRP 1990, 194 (Beanstandung der Bezeichnung „Öko-Pilsener“, weil zwar Hopfen und Gerste aus ökologischem Landanbau stammten, das Produkt über das verwendete Wasser aber wegen allgemeiner Umweltkontaminierung nicht frei von Nitrat und anderen Umweltschadstoffen sei).
831
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
508
b) Lieferzeit. In weiten Bereichen sind kurze Lieferfristen ein starkes Werbeargument. Werden in der Allgemeinwerbung oder im Verkaufsgespräch geweckte diesbezügliche Erwartungen nicht nur einzelfallweise, sondern systematisch enttäuscht, handelt es sich um einen glatten Fall der Irreführung i.S. von Abs. 1 S. 2 Nr. 1. Formularmäßige Vorbehalte wie „Liefertermin freibleibend“ oder „Lieferzeiten nur Richtzeiten und unverbindlich“ salvieren nicht, sind vielmehr ihrerseits erwartungskonträr.
509
c) Lieferort. Zumindest bei bestimmten Gütern ist es dem Kaufinteressenten durchaus nicht gleichgültig, ob die gekaufte Ware vom Verkäufer – kostenfrei – ausgeliefert wird oder selbst abgeholt werden muss. Wer als Verkäufer durch Allgemeinwerbung oder im Verkaufsgespräch den Eindruck vermittelt, er liefere frei Haus, muss dieser Erwartung auch entsprechen. Soweit die Lieferschuld nach Branche und Kaufgegenstand Bringschuld ist, sind Durchbrechungen deutlich zu machen. Was die Abgrenzung der Bring- zur Holschuld anbelangt, sind entsprechende Wandlungen zu berücksichtigen, wobei die neuere Entwicklung eher auf ein Schwinden der Bringschuldfälle hinausläuft: Herrschte früher für im Einzelhandel angebotene sperrige Möbel und Großgeräte das Bringschuldverständnis vor, bejaht man heute zumindest für Fachmarktangebote verbreiteterweise den Abholcharakter (oben Rn. 162).1126
510
d) Art des Vertriebs. Mit dem (Unter-)Merkmal Art des Vertriebs ist der Vertriebsweg (aus Kundensicht: der Bezugsweg), aber auch das Wie der Lieferung im Übrigen angesprochen.1127 Irreführend ist es beispielsweise, was den Vertriebsweg betrifft, eine Versteigerung anzukündigen, die Ware aber sodann freihändig zu verkaufen. Mit einer Abstandnahme von der Versteigerung aus besonderen Gründen mag der Verkehr durchaus rechnen, mit Freihandverkauf an das angelockte Publikum dagegen nicht.1128 Angaben zur Modalität der Lieferung im Übrigen begegnen u.a. als Transportmittelaussagen, als Hinweis auf Transport ohne Umladung im Kühlwagen, als Hinweis zum Expresscharakter des Transports. 8. Zeitpunkt der Herstellung oder Erbringung
511
a) Begriff und Abgrenzung. Angaben über den „Zeitpunkt der Herstellung oder Erbringung“ thematisieren die produktbezogene Neuheits- und Alterswerbung. Entsprechende Angaben mögen indirekt die „Art“ des Produkts kennzeichnen (Rn. 348 ff.), jedenfalls Qualitätsaussagen treffen (Rn. 401 ff.). Die Kommentierung behandelt einschlägige Angaben mit Blick auf die eigenständige gesetzliche Merkmalsbenennung als selbständige Fallgruppe. Unternehmensbezogene Neuheits- oder Altersangaben unterfallen Abs. 1 S. 2 Nr. 3 (zur Unternehmenstraditionswerbung s. insoweit Rn. 905 ff.). Überschneidungen sind denkbar, freilich letztlich nicht ergebnisrelevant. b) Neuheitswerbung
512
aa) Allgemeines. Der Werbungshinweis „neu“, der bei konkreter Produktbezogenheit grundsätzlich ernst genommen wird, kann je nach Kontext Unterschiedliches be-
_____
1126 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.135; Ohly/Sosnitza Rn. 157. Für die Notwendigkeit der Klarstellung, dass der benannte Preis Abholpreis, freilich beispielsweise noch LG Frankfurt 12.10.2007 – 3–12 O 179/06 – WRP 2008, 1485 sowie Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 351. 1127 Ohly/Sosnitza Rn. 664 f. 1128 OLG Karlsruhe 9.8.1995 – 6 U 240/94 – GRUR 1996, 77; Harte/Henning/Weidert C Rn. 106.
Lindacher/Peifer
832
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
deuten: Mit der Neuheitswerbung i.e.S. wird die Marktneuheit des beworbenen Produkts behauptet (Rn. 513). Eine qualifizierte Form der Marktneuheitsbehauptung liegt vor, wenn Neuheit im patentrechtlichen Sinne versprochen wird (Rn. 514). Neben die Novitätswerbung tritt die Aktualitätswerbung: Der Werbende signalisiert Modellneuheit bzw. sonstige Auf-dem-neuesten-Stand-Befindlichkeit des beworbenen Produkts (Rn. 515). Eine weitere Spielart der Neuheitswerbung knüpft an das Begriffspaar neu – gebraucht an, macht mithin Unbenutztheit des beworbenen Gegenstands geltend (Rn. 516 ff.). Im Handel schließlich ist Neuheitswerbung noch in dem Sinne gebräuchlich, dass die Neuaufnahme eines Artikels in das eigene Sortiment herausgestellt wird (Rn. 520). In bestimmten Fallgestaltungen versteht der Verkehr „Neuheit“-Hinweise in Doppelbedeutung: Die Verkehrserwartungen müssen dann (allgemein: Rn. 124 ff.) in jeder Beziehung eingelöst werden. bb) Marktneuheit. Ein besonders werbewirksames Argument ist der Hinweis auf 513 die Marktneuheit des beworbenen Produkts. Entsprechende Neuheit wird insbesondere geltend gemacht, wenn eine Neuentwicklung oder -konstruktion behauptet wird oder aber produktbezogen mit Angaben wie „neuartig“,1129 „Weltneuheit“/„Weltpremiere“1130 geworben wird. Einschlägige Werbung verstößt gegen Abs. 1 S. 2 Nr. 1, wenn im Zeitpunkt der Werbung bereits vergleichbare Konkurrenzprodukte angeboten werden: Ein Hersteller von Zahnbürsten darf die von ihm verwendeten Kunststoffborsten nicht neuartig nennen, wenn seine Mitbewerber sie schon vorher verwendet haben.1131 Sie sind darüber hinaus aber auch dann irreführend, wenn das herausgestellte Produkt infolge längerer Auf-dem-Markt-Befindlichkeit vom Verkehr nicht mehr als neu erachtet wird.1132 Die Zeitgrenze, in der eine Neuheitswerbung noch möglich ist, divergiert dabei nach Branche und Warengattung: Auf Gebieten, die aufgrund des technischen Fortschritts und/oder modischen Wandels besonders innovationsträchtig sind, sind die Grenzen streng zu ziehen. Der Verkehr erwartet bei einer Neuheitswerbung, hier noch früher als sonst, bereits eine Fortentwicklung des bisherigen, noch aktuellen Produkts.1133 Andererseits ist freilich auch dem Informationsinteresse des Werbenden und dem Allgemeininteresse an Offenhaltung von Märkten gebührend Rechnung zu tragen: Ein neu auf den Markt gebrachtes Produkt muss über einen so langen Zeitraum als „neu“ herausgestellt werden dürfen, dass ein hinreichender Teil der potentiellen Abnehmer dasselbe als Angebotsalternative zu den eingeführten Produkten registriert. Kasuistik: Für den Pharmabereich ist bei der Arztwerbung ein Einführungszeitraum von einem Jahr ab Inverkehrbringen des beworbenen Präparats (noch) angemessen: Der Arzt nehme das Erscheinen des neuen Mittels typischerweise erst nach einiger Zeit wahr und müsse sodann in seiner Verschreibungspraxis Gelegenheit zur erstmaligen und wiederholten Verschreibung sowohl des neu eingeführten als auch bisher bekannter Präparate sowie zu vergleichender Beobachtung des Anwendungserfolgs haben. Während dieser Phase dürfe dem Hersteller nicht die Möglichkeit genommen werden, sein neu eingeführtes Präparat ausdrücklich als „neu“ zu bezeichnen.1134 Im Möbelhandel beträgt die Frist hingegen höchstens sechs Monate.1135
_____
1129 BGH 19.12.1960 – I ZR 14/59 – GRUR 1961, 288, 293 = WRP 1961, 113, 118 – Zahnbürsten; Gloy/ Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 305. 1130 OLG Koblenz 16.8.1984 – 6 W 471/84 – WRP 1985, 44. 1131 BGH 19.12.1960 – I ZR 14/59 – GRUR 1961, 288, 293 – Zahnbürsten. 1132 Allg.M.; statt mancher: Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 302c; Ohly/Sosnitza Rn. 275. 1133 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 306. 1134 KG 9.6.1981 – 5 W 2308/81 – WRP 1982, 28, 29. 1135 OLG Hamburg 26.8.1976 – 3 U 78/76 – WRP 1977, 36.
833
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
514
cc) Neuheit im patentrechtlichen Sinn. „Neu“ kann auch den Sinn der Berühmung patentrechtlicher Neuheit haben.1136 Ein entsprechender Eindruck kommt freilich im Allgemeinen nur dann auf, wenn der Werbende ausdrücklich auf eine besondere erfinderische Leistung hinweist.1137 Sollte er ohne einschlägigen Hinweis bei einer Minderheit aufkommen, stellt sich zumindest die Interessenabwägungsfrage: Dem Werbenden muss es grundsätzlich freistehen, auf eine Marktneuheit unterhalb der Schwelle der Neuheit i.S. von § 3 PatG aufmerksam zu machen.
515
dd) Aktualität. Neuheit i.S. von Aktualität ist ein wichtiges Werbeargument auf Gebieten mit technik- und/oder modebedingter Produktalterung: Ausdrückliche oder konkludente Berühmungen, das beworbene Produkt sei modellneu (zur Problematik der konkludenten Aktualitätsbehauptung bereits Rn. 164 ff.), müssen zutreffen. Kraftfahrzeuge dürfen nicht als „Neuwagen“ angeboten werden, wenn das Nachfolgemodell bereits vor der Auslieferung steht (vgl. auch oben Rn. 249).1138 Auf dem Buchmarkt wird bei rasch veraltenden Publikationen eine (so) nicht gegebene Aktualität vorgetäuscht, wenn Bücher vordatiert werden:1139 Ein im Herbst herausgebrachtes Werk darf nicht das Folgejahr als Erscheinungsjahr ausflaggen. Hinnehmbar ist, wenn überhaupt, allenfalls ein marginales „Schönen“.1140 Bei Tageszeitungen liegt eine unzulässige Irreführung vor, wenn der für den Auslandsverkauf bestimmte Auflagenteil mit dem Folgedatum der inhaltsgleichen Inlandsausgabe versehen wird.1141
516
ee) Neu im Konträrsinn von gebraucht. Neuheitswerbung, die am Begriffspaar neu – gebraucht anknüpft, begegnet vor allem in der Werbung für Produkte, die noch nicht benutzt sind, aber gewisse Stand- oder Lagerzeiten aufweisen. Von einem als „fabrikneu“ angebotenen Kraftfahrzeug erwartet der Verkehr zunächst und vor allem, dass das Fahrzeug – abgesehen von der Überführung – unbenutzt ist und keine standzeitbedingten Mängel aufweist (oben Rn. 249).1142 „Tageszulassungen“ auf den Händler sind – weil nicht der Nutzung dienend – unschädlich.1143 Eine gewisse Standzeit als solche ändert an der „Fabrikneuheit“ nichts; der informierte und verständige Durchschnittskunde rechnet damit. Standzeiten von mehr als 12 Monaten lassen freilich, unabhängig von konkret feststellbaren Mängeln, eine altersbedingte Produktverschlechterung erwarten.1144 Darüber hinaus wird und darf der Verkehr der Bezeichnung „fabrikneue“ freilich die Zweitbedeutung der Modellaktualität entnehmen: Das beworbene Fahrzeug muss als Modell weiter unverändert hergestellt werden.1145 Die Vorstellung der Fabrikneuheit erstreckt sich im Regelfall auch auf die einzelnen 517 Teile der Ware. Etwas anderes kann freilich bei Produkten mit Teilen gelten, die durch den Gebrauch des Produkts keinem Verschleiß unterliegen und die in ihrer Funktions-
_____
1136 BGH 3.5.1958 – I ZR 26/57 – GRUR 1958, 553, 554 – Saugrohr. 1137 BGH aaO; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm Rn. 305. 1138 OLG Frankfurt 16.6.1983 – 6 U 150/82 – WRP 1984, 25, 26; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 302c. 1139 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 302c; Ohly/Sosnitza Rn. 275; Baumbach DJZ 1932, 90. 1140 Großzügiger – unter Berufung auf Verkehrsgewöhnung, freilich wohl die Irreführung eines Rests des relevanten Verkehrs vernachlässigend – Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.128. 1141 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.160 im Anschluss an öOGH ÖBl. 1961, 28 – Kurier. 1142 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.74; Ohly/Sosnitza Rn. 278. 1143 BGH 27.1.2005 – VII ZR 158/03 – NJW 2005, 1422; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 304. 1144 BGH 15.10.2003 – VIII ZR 227/02 – NJW 2004, 160; Harte/Henning/Weidert C Rn. 113. 1145 BGH 23.6.1983 – I ZR 109/81 – GRUR 1983, 661, 663 = WRP 1983, 559, 561 – Sie sparen 4000.– DM; 15.10.2003 – VIII 227/02 – NJW 2004, 160; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.74 Ohly/Sosnitza Rn. 277.
Lindacher/Peifer
834
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
tüchtigkeit sich nicht von neuen Teilen unterscheiden, wie z.B. Microchips in einer hochpreisigen EDV-Anlage (Stichwort: Einsatz neuwertiger Teile im ETN-Prozess).1146 „Neuwertig“ ist nicht gleich „neu“ und daher grundsätzlich auch für gebrauchte 518 Waren zulässig. Der Verkehr assoziiert freilich wohl nicht nur einen entsprechend guten Zustand, sondern darüber hinaus auch Modellaktualität. Relative Neuheit machen Angaben geltend, die suggerieren, dass der Gegenstand 519 nur eine bestimmte, überschaubare Zeit genutzt worden ist. Bei der Beurteilung einschlägiger Angaben ist freilich zu beachten, dass der Verkehr mit bestimmten dem Wortsinn nach zutreffenden Begriffen assoziative Zweitbedeutungen verbindet (allgemein: Rn. 145 ff.): Unter einem Jahreswagen verstand der Verkehr lange Zeit ein Gebrauchtfahrzeug aus erster Hand, das von einem Werksangehörigen ein Jahr ab Erstzulassung gefahren worden ist. Heute mag der Verkehr mit der Bezeichnung vielleicht nicht mehr die Beschränkung auf Werksangehörige als Vorbesitzer verbinden.1147 Nach wie vor erwartet er freilich ein Gebrauchtfahrzeug aus erster Hand im Sinne der Nutzung durch einen Vorbesitzer. Ein als Mietwagen gehaltenes Fahrzeug enttäuscht die legitime Kundenerwartung.1148 ff) Sortimentsneuheit. Die Werbeaussage, dass ein bestimmter Artikel nunmehr 520 auch beim Werbenden erhältlich sei, ist unter Irreführungsaspekten vor allem in Hinblick auf Zweitaussageassoziationen des Verkehrs bedeutsam (dazu allgemein oben Rn. 145): Erfolgt der Sortimentsaufnahmehinweis in Verbindung mit einer Preisbenennung, liegt die Deutung des Angebots als preisgünstiges Einführungsangebot nahe (hierzu Rn. 713 f.). Im Übrigen dürfte Modellaktualität erwartet werden. c) Alterswerbung. Alterswerbung ist zwar typischerweise unternehmensbezogen 521 (hierzu i.E. Rn. 905 ff.), begegnet in bestimmten Branchen (wie dem Antiquitätenhandel) sowie bezüglich bestimmter Warengattungen (wenn etwa Wein ein bestimmter Jahrgang, Cognac oder Whisky eine bestimmte Lagerdauer zugeschrieben wird), indes auch in produktbezogener Form. Bei Technikprodukten zählen gegebenenfalls Hinweise auf Erfahrung und Kontinui- 522 tät: Die Bewerbung eines Produkts mit der Aussage „millionenfach bewährte Technik in neuem Design“ wird vom Verkehr (auch) dahin verstanden, dass das neue Produkt technisch an ein Vorgängermodell eben dieses Herstellers anknüpft.1149 9. Menge Schrifttum Kiethe/Groeschke Die Mogelpackung – Lebensmittel- und wettbewerbsrechtliche Risiken der Produkteinführung, WRP 2003, 962; Kühl § 43 Abs. 2 MessEG – eine Mogelpackung des nationalen Gesetzgebers im Lebensmittelsektor?, ZLR 2017, 653; Meisterernst Die berechtigte Verbrauchererwartung in der Rechtsprechung – Tendenz zur „gefühlten“ Irreführung?, ZLR 2013, 386; Oechsle Auslegungsgrundsätze zum Verbot der Mogelpackung, WRP 2015, 826; Ruttmann Mogelpackungen – ein Rechtsprechungsüberblick, VuR 2017, 12.
_____
1146 BGH 5.4.1995 – I ZR 59/93 – GRUR 1995, 610, 611 = WRP 1995, 596, 599 – Neues Informationssystem; Harte/Henning/Weidert C Rn. 115. 1147 A.A. OLG München 30.6.2011 – 29 U 1455/11 – WRP 2011, 1324, 1325 f. 1148 OLG Hamm 20.7.2010 – 4 U 101/10 – GRUR-RR 2011, 189 – Mietwagen aus erster Hand. 1149 OLG Stuttgart 14.10.1996 – 2 W 66/96 – NJW-RR 1997, 617; Harte/Henning/Weidert C Rn. 109.
835
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
523
a) Begriff, Bedeutung, Abgrenzung. Stückzahl-, Gewichts-, Volumen- oder Flächenangaben beschreiben das Angebot in quantitativer Hinsicht, erlauben damit eine Einschätzung der Preis-Leistung-Relation und sind deshalb evidenterweise geschäftsentscheidungsrelevant. Von der „Menge“ als der den Umfang des konkreten Angebots kennzeichnenden 524 Größe ist die mit Blick auf den Bezugspunkt „Verfügbarkeit“ relevante „Vorratsmenge“ zu unterscheiden (s. bereits Rn. 309 ff.). „Vorratsmenge“ kennzeichnet die Warenmenge/Leistungskapazität, die der Unternehmer insgesamt vorhalten muss, um geweckte Erwartung an Lieferfähigkeit/Leistungsfähigkeit entsprechen zu können. Den Merkmalen „Menge“ und „Verfügbarkeit“ kommt je eigenständige, unterschiedliche Regelungssituationen thematisierende Bedeutung zu. Keine die „Menge“ betreffende Angabe ist die Angabe über die Auflagenhöhe eines Druckerzeugnisses:1150 Die Auflagenhöhe informiert nicht über den konkreten Leistungsumfang, steht vielmehr für Marktbedeutung und Verkehrsanerkennung, spricht mithin letztlich (auch) ein qualitatives Moment an.1151 525
b) Mengenangabe. Die einschlägige Mengenangabe kann ausdrücklich oder konkludent, durch Text, Bild oder Aufmachung erfolgen. Eine Füllmengenangabe liegt beispielsweise darin, dass Getränke in Schankgefäßen mit einer bestimmten Maßangabe eingefüllt werden.1152 Bei verpackter Ware schließt der Verkehr von der Packungsgröße auf den Füllmengeninhalt.1153 Wird eine Sachgesamtheit angeboten, erwartet der Verkehr bei blickfangmäßiger Abbildung mehrerer Einzelteile mangels eindeutiger gegenteiliger Klarstellung, dass das Angebot zum herausgestellten Preis alle abgebildeten Teile einschließt.1154 Kasuistik: Wird ein PC bildlich mit Monitor beworben, darf der Verkehr davon ausgehen, dass der Monitor im benannten Preis inbegriffen ist.1155 Wird in einem Möbelkatalog eine Sitzgruppe zu einem bestimmten Preis gezeigt, muss zur Vermeidung einer Irreführung über den Leistungsumfang deutlich herausgestellt werden, dass einzelne mit abgebildete Stücke nicht im Preis enthalten sind.1156 Bei Wörterbüchern oder Lexika darf nicht über die Zahl der Stichwörter irregeführt werden. Ohne gegenläufigen Hinweis bezieht sich die Zahlenangabe („enthält 1,5 Mio. Wörter“) auf die Ausgangswörter nebst Abwandlungen (Makrostruktur), die angegebenen Bedeutungen (Mikrostruktur) sind nicht mitzuzählen.1157
526
c) Quantitative Erwartungsenttäuschung. Typischer Erwartungsenttäuschungsfall ist, dass mehr versprochen als geliefert/geleistet wird. Stellt die geringe Menge nachgerade ein Qualitätsmerkmal der beworbenen Ware (Beispiel: geringes Gewicht bei Laptops, Mobiltelefonen oder anderen tragbaren Geräten) dar, kommt freilich auch eine Erwartungsenttäuschung spiegelbildlicher Art in Betracht.1158
_____
1150 A.A. Götting/Nordemann Rn. 1.32. 1151 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 297. 1152 BGH 10.12.1986 – I ZR 136/84 – GRUR 1987, 180, 181 = WRP 1987, 379 f. – Ausschank unter dem Eichstrich II; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 331. 1153 BGH 30.10.1981 – I ZR 156/79 – GRUR 1982, 118 = WRP 1982, 88 – Kippdeckeldose; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 333. 1154 OLG Hamm 7.5.1981 – 4 U 73/81 – BB 1981, 1790; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 331; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 298. 1155 BGH 28.11.2002 – I ZR 110/00 – GRUR 2003, 249 f. = WRP 2002, 379 f. – Preis ohne Monitor. 1156 OLG Stuttgart 28.1.1983 – 2 U 259/82 – WRP 1984, 450. 1157 OLG Hamburg 18.3.2004 – 3 U 364/01 – WRP 2004, 1395. 1158 Zutreffende Hervorhebung bei Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 331.
Lindacher/Peifer
836
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
Ob und inwieweit Abweichungen zum Nachteil des Kunden noch hinzunehmen 527 sind, beurteilt sich in erster Linie nach der Anschauung der angesprochenen Verkehrskreise. Von diesem Ansatz her erklärt sich zunächst die prinzipielle Nichteinschlägigkeit von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 in der Konstellation, dass die Nennfüllmenge lediglich einzelfallweise nicht erreicht wird: Sofern und soweit der Verkehr mit „Ausreißern“ rechnet, sind Quantitätsmängel im Einzelfall lauterkeitsrechtlich unschädlich.1159 Kasuistik: Ein Gastwirt, der Bier zu einem bestimmten Preis anbietet, wirbt nicht schon dann irreführend, wenn in zwei Fällen einem Gast (deutlich) zu wenig eingeschenkt wurde.1160 Anders ist es, wenn es in einer beträchtlichen Zahl von Fällen zu signifikantem Minderausschank kommt.1161 Ob der Verkehr auch jenseits der „Ausreißer“-Schwelle mit Minusabweichungen 528 kleineren Umfangs rechnet, hängt von der Art der Ware, der erwartbaren Art der Abfüllung und bei erwartbarer maschineller Abfüllung vom jeweiligen Technikstand ab. Auf jeden Fall wird die Einhaltung einschlägiger gesetzlicher (Mindest-)Vorgaben erwartet (sog. akzessorische Verkehrsauffassung, s. Vor §§ 5, 5a Rn. 51, 174): im Fertigpackungsbereich deshalb insbesondere, dass Minusabweichungen im Streubereich der nach § 44 Abs. 1 Nr. 5 MessEG1162 erlassenen Fertigpackungsverordnung (§ 5) bleiben. Mengenangaben für verpackte Ware werden vom Verkehr im Allgemeinen als Netto- 529 angaben verstanden.1163 Die Angabe „Wohn- und Nutzfläche“ mit qm-Zahl in einem Immobilienangebot verstößt gegen § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, wenn der Anteil der bloßen Nutzfläche ungewöhnlich hoch ist,1164 ist im Übrigen freilich zumindest nicht nach § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 zu beanstanden: Dass eine Sammelgrößenangabe dem Kaufinteressenten wenig nützlich sein mag, weil er die reine Wohnfläche nicht erfährt, führt nicht zu einer Irreführung.1165 Thematisiert ist via Schaffung einschlägiger Unsicherheit über einen geschäftsentscheidungswesentlichen Punkt freilich wohl § 5a. d) Insbesondere: Mogelpackungen. Ein praktisch besonders bedeutsamer Unter- 530 fall irreführender Werbung über die Warenmenge lässt sich mit dem Stichwort „Mogelpackung“ kennzeichnen: Die Verpackung lässt von ihrer Dimensionierung her ein Mehr an Füllmange erwarten als tatsächlich der Fall ist. Die Ordnungswidrigkeitsnorm des § 43 Abs. 2 MessEG (Nachweise oben Rn. 528) bekämpft einschlägige Täuschungspraktiken via Bußgelddrohung (§ 60 Abs. 1 Nr. 22 MessEG), lässt lauterkeitsrechtlichen Rechtsschutz nach §§ 8, 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 3 indes unberührt (s. bereits Vor §§ 5, 5a Rn. 147 f.). Entscheidend ist zunächst, auf welche Füllmenge der angesprochene Verkehr bei 531 der konkreten Packungsgestaltung schließt. Erwartungsbildprägend sind dabei vor allem die Verpackungsusancen für die jeweilige Warenart,1166 die ihrerseits nicht zuletzt dadurch bestimmt sind, welche Funktion der Verpackung im angesprochenen Verwen-
_____
1159 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 331. 1160 BGH 21.4.1983 – I ZR 30/81 – GRUR 1983, 451 = WRP 1983, 403 – Ausschank unter dem Eichstrich I. 1161 BGH 10.12.1986 – I ZR 136/84 – GRUR 1987, 180, 181 = WRP 1987, 379 f. – Ausschank unter dem Eichstrich II. 1162 Gesetz über das Inverkehrbringen und die Bereitstellung von Messgeräten auf dem Markt, ihre Verwendung und Eichung sowie über Fertigpackungen (Mess- und Eichgesetz – MessEG) v. 25.7.2013, BGBl. I 2722, zul. geändert durch G v. 11.4.2016, BGBl. I 718, welches das Gesetz über das Meß- und Eichwesen (EichG) v. 23.3.1992 zum 1.1.2015 aufgehoben hat. Die Verordnung über Fertigpackungen (FertigpackV) idFd Bekanntmachung v. 8.3.1994 (BGBl. I 451) gilt fort. Dazu Oechsle WRP 2015, 826. 1163 OLG Hamm 6.5.1960 – 4 U 252/59 – GRUR 1961, 45; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 298. 1164 KG 11.12.1989 – 25 W 6624/89 – GRUR 1991, 234; LG Berlin 22.8.2006 – 102 O 48/06 – WRP 2006, 1545, 1546. 1165 OLG Hamburg 4.11.1993 – 3 U 137/92 – WRP 1994, 315, 317 f. 1166 BGH 30.10.1981 – I ZR 156/79 – GRUR 1982, 118, 120 = WRP 1982, 88, 90 – Kippdeckeldose.
837
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
dungsbereich zukommt: Auf dem Geschenk- und Luxusartikelsektor etwa werden typischerweise gerade aufwändige Aufmachungen nachgefragt. Die Käuferschaft bevorzugt Angebote dieser Art selbst dann, wenn das Verhältnis Verpackungsgröße – Füllmenge ungünstiger ist als bei einem Alternativangebot gleichen Preises. Die Hersteller tragen dem Rechnung. Der Verbraucher rechnet mit – gewissen – „Übergrößen“ in der Verpackung.1167 Selbst eine unverhältnismäßig große Verpackung ist unschädlich, wenn der Kunde – etwa durch Sichtfenster – gleichwohl ohne Schwierigkeiten die wahre Füllmenge zu erkennen vermag.1168 Bei Weichfertigverpackungen (z.B. Gewürze) kommt es darauf an, ob der Verbraucher das Produkt ertasten kann oder ob dies aufgrund eingeschlossener Luft erschwert wird.1169 Die Abbildung der Ware in natürlicher Größe wird freilich per se kaum genügen.1170 Die bloße Mengenangabe auf der Packung schließt die Irreführungsgefahr nach allgemeinen Grundsätzen zur Blickfangwerbung (Rn. 103 ff.) allenfalls dann aus, wenn die Hervorhebung in besonders auffälliger Weise erfolgt.1171 Ist allerdings produkt- und situationsabhängig zu erwarten, dass der Verbraucher die Umverpackung näher in Augenschein nimmt, etwa um die Zusammensetzung des Produktes zu studieren, so kann eine Irreführung auch durch dabei ersichtlich werdende Hinweise auf die Produktmenge beseitigt werden.1172 Auch eine irreführende Verpackungsgestaltung kann, insbesondere soweit die Di532 mensionierung technisch bedingt ist, ausnahmsweise hinzunehmen sein, wenn der angemessen informierte, verständige und situationsadäquat aufmerksame Adressat um diese technischen Fragen wissen muss.1173 Wesentliche Gesichtspunkte sind insoweit (s. bereits Rn. 295): die Höhe des Gebrauchsvorteils gegenüber Produkten herkömmlicher Techniken, der Grad der Täuschung und der Umstand, ob von der Möglichkeit der Reduzierung des Irreführungsrisikos Gebrauch gemacht wurde. Kasuistik: Wer Schuhcreme in einer Dose anbietet, die beim Verbraucher den Eindruck einer größeren als der tatsächlich gegebenen Füllmenge hervorruft, kann sich nicht auf die technische Bedingtheit der (Über-)Dimensionierung berufen, wenn die Vorzüge der Öffnungstechnik (Öffnung durch Daumendruck) auch mit Kippdeckelmodellen erzielbar sind, die den Mogelpackungseffekt vermeiden.1174 533
e) Insbesondere: Füllmengenreduzierung. Zur Erwartungsenttäuschung über die Menge des beworbenen Produkts kann es – nicht zuletzt als Folge der „Liberalisierung“ im Bereich der Füllmengenstandardisierung bei Lebensmitteln – endlich kommen, wenn der Anbieter bei im Wesentlichen gleicher Verpackung entgegen bisheriger Übung die Füllmenge absenkt. Zur Ausräumung einschlägiger Irreführungsgefahr ist die Füllmengenkennzeichnung nach Maßgabe der FertigpackVO i.d.F. der Bek. v. 8.3.1994 (BGBl I
_____
1167 Treffend KG 21.1.1983 – 5 U 6040/82 – GRUR 1983, 591, 592 (für Pralinen). 1168 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 333; Meisterernst ZLR 2013, 386, 393; a.A. für Käse OLG Karlsruhe 5.11.2014 – 5 O 38/14 KfH – WRP 2015, 774 Tz. 15 f. (das deutliche klarstellende Hinweise erwartet); OLG Karlsruhe 22.11.2012 – 4 U 156/12 – WRP 2013, 216 Tz. 31, zu beiden Entscheidungen Oechsle WRP 2015, 826. 1169 OLG Frankfurt 21.10.2008 – 14 U 240/07 – ZLR 2009, 618 m. Anm. Beyerlein. 1170 A.A. Helm aaO. 1171 BGH 30.10.1981 – I ZR 156/79 – GRUR 1982, 118, 120 = WRP 1982, 88, 90 – Kippdeckeldose; Gloy/ Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 333. 1172 BGH 11.10.2017 – I ZR 78/16 – GRUR 2018, 431 Tz. 28 – Tiegelgröße (bejaht für Gesichtscreme); a.A. Vorinstanz OLG Hamburg 25.2.2016 3 U 20/15 – GRUR-RR 2016, 248 Tz. 31 – Creme-Tiegel m. Bspr. Russmann VuR 2017, 12, 18. 1173 Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.239; Russmann VuR 2017, 12, 13. 1174 BGH 30.10.1981 – I ZR 156/79 – GRUR 1982, 118, 120 – Kippdeckeldose m. Anm. Ch. Krüger.
Lindacher/Peifer
838
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
451, 1307), zuletzt geändert durch VO v. 5.7.2017 (BGBl I 2272) ausreichend, aber erforderlich. 10. Geografische Herkunftsangaben Schrifttum Büscher Der Schutz geographischer Herkunftsangaben und die Warsteiner-Entscheidung des EuGH, FS Erdmann (2002) 237; Dickertmann „Wer darf Parmaschinken schneiden bzw. Parmakäse reiben?“ oder „Gibt es bei geographischen Herkunftsangaben eine Erschöpfung?“, WRP 2003, 1082; Dück Kriterien für eine geographisch korrekte Benutzung von „Made in Germany“, GRUR 2013, 576; ders. Deskriptiv vs. Normativ – Zum Beurteilungsspielraum bei „Made in Germany“, WRP 2015, 695; Dück/Maschemer Swissness-Vorlage als Vorbild für „Made in Germany“?, GRUR Int. 2015, 220; Gloy Geographische Herkunftsangaben, wettbewerbsrechtliche Relevanz und klarstellende Zusätze, FS Piper (1996) 543; Gundling „Made in Germany“ – Geographische Herkunftsbezeichnung zwischen Qualitätsnachweis und Etikettenschwindel, GRUR 2007, 921; Hohmann/Leible Probleme der Verwendung geographischer und betrieblicher Herkunftsangaben bei Lebensmitteln, ZLR 1995, 265; Kiefer Der BGH in Sachen „Himalaya Salz“ – Verpasste Chance zur trennscharfen Differenzierung zwischen Lauterkeits- und Kennzeichenrecht, WRP 2016, 1458; Klein/Sieger „Made in EU“, „Germany“ oder die deutsche Flagge – Alternativen zu „Made in Germany“?, GRUR-Prax 2013, 57; Lindacher Geografische Herkunftsangaben im Kennzeichen- und Lauterkeitsrecht. Gedanken zur Neujustierung des einschlägigen Koordinatensystems, FS Müller-Graff (2015) 649; Loschelder Ansprüche zum Schutz geographischer Herkunftsangaben, FS Ahrens (2016) 255; Mey/Eberli „Made in Germany“ im europäischen und internationalen Kontext, GRUR-Int. 2014, 321; Müller-Graff Branchenspezifischer Wettbewerbsschutz geographischer Herkunftsbezeichnungen – Die aktuelle Problemlage bei Brot- und Backwaren, GRUR 1988, 659; Slopek Schwarz, rot, bunt – Wie „deutsch“ muss ein Produkt „Made in Germany“ sein? Kriterien für die rechtlich zulässige Werbung mit dem Qualitätsmerkmal, GRUR-Prax 2011, 291; Ullmann Der Schutz der Angabe zur geografischen Herkunft – wohin? – Die geografische Herkunftsangabe im Wettbewerbsrecht und im Markenrecht, GRUR 1999, 666; Ziegenaus „Made in Germany“ für in Italien geschmiedete Kolben, GRUR-Prax 2014, 440.
a) Bedeutung und Schutzbedarf. Geografische Herkunftsangaben sind seit jeher1175 534 ein wichtiges werbliches Kennzeichnungsmittel: Das Merkmal bestimmter örtlicher Provenienz soll die einschlägig gekennzeichneten Produkte in marktentscheidungsrelevanter Weise von den Produkten der Allgemeingattung abheben. Die Werbekraft des Herkunftsarguments ist manifest, wenn der Verkehr mit der Herkunft aus einem bestimmten Land, einer bestimmten Region oder einem bestimmten Ort, aus welchen Gründen auch immer, besondere Gütevorstellungen verbindet. In abgeschwächtem Maß vermögen Herkunftshinweise darüber hinaus auch aus anderen Gründen Verhaltensrelevanz zu erlangen: „Nähegefühle“ unterschiedlichster Art zu dem benannten Gebiet und seinen Menschen schaffen nicht selten zumindest bei Teilen des angesprochenen relevanten Verkehrs Bereitschaft und Neigung, dem solcherart beworbenen Produkt gegenüber vergleichbaren Erzeugnissen auch und gerade ob seiner örtlichen Herkunft den Vorrang zu geben. Schutzbedarf gegenüber irreführender Verwendung geografischer Herkunftsanga- 535 ben besteht deshalb nicht nur aus der Sicht derer, die am jeweiligen kollektiven Goodwill partizipieren. Angesprochen ist auch das Schutzinteresse der Mitwerber und Marktgegenseiteangehörigen (insbesondere der Verbraucher) sowie das institutionelle Interesse an fairem Wettbewerb.
_____
1175 Schricker GRUR Int. 1982, 515, 516: „Die geographische Herkunftsangabe dürfte die erste und älteste Form sein, Waren zu kennzeichnen, älter als das individuelle Herkunftszeichen, die Hersteller- oder Händlermarke.“
839
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
536
b) Schutzregime: Kein Vorrang des Kennzeichenrechts. Schutz vermittelt einerseits das Kennzeichenrecht: Auf europäischer Ebene in Bezug auf geografische Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel die VO (EU) Nr. 1151/2012, für Spirituosen die VO (EG) Nr. 110/2008, jenseits des Geltungsanspruchs der benannten Verordnungen auf nationaler Ebene die §§ 126 ff. MarkenG. Mit der Eintragung in ein Register bei der Europäischen Kommission gegen irreführende Verwendung unionsweit geschützt ist der Name einer Gegend oder eines Ortes (ausnahmsweise eines Landes) zur Bezeichnung bestimmter Produkte aus diesem Raum: Als „geschützte Ursprungsbezeichnung (g.U.)“, wie z.B. „Allgäuer Bergkäse“, soweit die bezeichneten Produkte ihre Güte oder Eigenschaften überwiegend oder gar ausschließlich den natürlichen und menschlichen Einflüsse verdanken, als „geschützte geografische Angabe (g.g.A)“ soweit sich eine bestimmte Qualität, das Ansehen oder eine andere Eigenschaft aus dem geografischen Ursprung ergibt (Bsp.: „Holsteiner Tilsiter“ oder „Nürnberger Lebkuchen“). Ursprungsbezeichnungen oder qualifizierte Herkunftsangaben, die nicht eingetragen sind, sowie einfache Herkunftsangaben bleiben nach nationalem Recht geschützt.1176 Dasselbe gilt für Weinbezeichnungen, die durch das WeinG (zuletzt geändert durch Gesetz zur Änderung weinrechtlicher und agrarmarktstrukturrechtlicher Vorschriften v. 27.6.2017 – BGBl. I 1966) erfasst werden. Allerdings ist dieser Schutz unionsrechtlich überlagert durch Art. 103 Abs. 3 lit. c und d VO 1308/2013), soweit es um als g.U. oder g.g.U. geschützte Bezeichnungen geht.1177 Irreführungsschutz nach allgemeinem Lauterkeitsrecht gibt andererseits die RL 537 2005/29/EG vor: In Umsetzung von Art. 6 Abs. 1 lit. b, Abs. 2 lit. a UGP-RL benennt § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 als relevanten Bezugspunkt ausdrücklich die geografische Herkunft. Vor dem Hintergrund der Annahme, das Recht der geografischen Herkunftsangaben 538 sei im Kern seinerseits Lauterkeitsrecht und schütze berechtigte Nutzer lediglich reflexartig, spricht eine verbreitete Ansicht1178 unter Berufung auf eine gewachsene einschlägige Rechtsprechung1179 Art. 13 VO Nr. 1151/2012 (ehemals VO Nr. 510/2006), § 135 MarkenG bzw. §§ 126 ff. MarkenG verdrängenden Vorrang gegenüber § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 zu. Diese Ansicht sieht für die Anwendung des § 5 nach dem Grundsatz der Spezialität bzw. Subsidiarität mangels Einschlägigkeit der §§ 16 ff. MarkenG nur Raum bei Verwendung nicht mehr existierender Ortsnamen, bei Verwendung scheingeografischer Angaben sowie bei der Nutzung geografischer Bezeichnungen als Unternehmenskennzeichen.1180 Misst man geografischen Herkunftsangaben im Einklang mit der europäischen 539 Rechtsentwicklung richtigerweise, wie Marken und geschäftlichen Bezeichnungen, einen subjektiven Schutzcharakter bei, gilt es freilich (s. bereits v §§ 5, 5a Rn. 158 ff.) vom Dogma des Vorrangs des Kennzeichenrechts auch insoweit Abschied zu nehmen:1181 Lauterkeitsrechtlicher Täuschungsschutz tritt gleichrangig neben den Kennzeichenschutz. Wird der Verkehr über die geografische Herkunft von Produkten in relevanter Weise irregeführt, können Konkurrenten und nach § 8 Abs. 3 Nr. 2–4 interventionsbefugte Verbände gestützt auf § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 unabhängig davon Unterlassung begehren, ob gegen
_____
1176 EuGH 7.11.2000 – C-312/98 – GRUR 2001, 64 Tz. 44 – Warsteiner. 1177 Wohl a.A. Ohly/Sosnitza Rn. 323, der § 5 UWG für auf irreführende Weinbezeichnungen vollständig anwendbar hält. 1178 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 319; Ohly/Sosnitza Rn. 331; Bornkamm GRUR 2011, 1, 8. 1179 Zuletzt: BGH 28.6.2007 – I ZR 49/04 – GRUR 2007, 884 Tz. 31 = WRP 2007, 1200 – Cambridge Institute m.N. 1180 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.248 ff. 1181 Wie hier: Fezer MarkenG, 3. Aufl. (2001), § 126 Rn. 4; modifzierend Harte/Henning/Dreyer J Rn. 2 ff., 13.
Lindacher/Peifer
840
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
die Verwendung der Angabe von zeichenführungsberechtigten Ortsansässigen oder mit dem Schutz des Kennzeichens betrauten Einrichtungen nach Kennzeichenrecht vorgegangen werden könnte bzw. tatsächlich vorgegangen wird.1182 Der lauterkeitsrechtliche Schutz hat allerdings in weitem Umfang Vorgaben des 540 Kennzeichenrechts zu beachten: Kennzeichenrecht bestimmt nicht nur, ob eine bestimmte Bezeichnung geografische Herkunftsangabe (und nicht lediglich Gattungsbezeichnung), sondern auch in abstrakter Weise, welche sachlichen Voraussetzungen („Spezifikationen“) für eine entsprechende Bezeichnungsverwendung erfüllt sein müssen. Eine in Übereinstimmung mit den Sonderregeln gekennzeichnete Herkunftsbezeichnung kann aus normativen Gründen nicht als irreführend angesehen werden (oben Vor §§ 5, 5a Rn. 52, 174). Der Schutz im Bereich geografischer Angaben sorgt auch für einen besonderen Schutz gegen Rufausnutzung oder Verwässerung. Wer ein Sorbet als „Champagner-Sorbet“ bezeichnet, löst möglicherweise keine irreführenden Vorstellungen über die Beschaffenheit des Produktes aus, fällt aber in den besonderen Schutz des Art. 103 VO (EU) 1308/2013 (früher VO 1234/2007), wenn die Speise ihre Beschaffenheit nicht aufgrund derjenigen Inhaltstoffe hat, für welche die Bezeichnung „Champagner“ mit ihrem Ruf steht.1183 Man kann auch dies als besonderen Fall einer normativ bedingten Irreführung ansehen (vor §§ 5, 5a Rn. 52, 174). Andererseits ist eine Irreführung über die Spezifikation einer geografischen Angabe oder Ursprungsbezeichnung über §§ 128, 135 MarkenG auch nach wettbewerbsrechtlichen Regeln verfolgbar.1184 c) Begriff, Arten, Abgrenzung aa) Begriff. Herkunftsangabe i.S. von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 ist alles, was als Hinweis 541 auf die Herkunft des beworbenen Produkts aus einem bestimmten räumlichen Gebiet (einem Ort, einer Gegend, einem Land) zu deuten ist. bb) Arten (1) Unmittelbare – mittelbare Herkunftsangaben. Aus der Weite des Begriffs Her- 542 kunftsangabe (Rn. 541) folgt zunächst, dass er nicht nur Werbeaussagen umschließt, die unmittelbar und ohne Zuhilfenahme besonderer Überlegungen und Gedankenassoziationen auf die Herkunft aus einem bestimmten räumlichen Gebiet hinweisen (Rn. 543), sondern auch solche Angaben, bei denen das Herkunftshinweisverständnis auf gedanklichem Schließen und/oder gedanklicher Assoziation basiert (Rn. 544). Unmittelbare Herkunftsangaben erfolgen durch Verwendung geografischer Na- 543 men, sei es in adjektivischer, sei es in substantivischer Form, meist – aber keineswegs notwendigerweise – zusammen mit der Benennung der Gattung, der das beworbene Produkt angehört. Einschlägige Bezeichnungen sind neben Orts- und Ortsteilnamen, Ländernamen und Namen sonstiger Gebietskörperschaften u.a. auch Namen von Landschaften, Bergen, Flüssen und Seen, ferner die Namen von Kontinenten sowie die Bezeichnungen von Großregionen (wie Orient, Skandinavien). Kennzeichnungskraft kön-
_____
1182 So im Grundsatz BGH 31.3.2016 – I ZR 86/13 – GRUR 2016, 741 Tz. 13, 15 – Himalaya-Salz; zusammenfassend Kiefer WRP 2016, 1458; Loschelder FS Ahrens (2016) 255, 259, alle m.w.N. zum Meinungsstand. 1183 EuGH 20.12.2017 – C-393/16 – GRUR 2018, 327 Rn. 36 – CVIC/ALDI und darauf folgend BGH 19.7.2018 – I ZR 268/14 – GRUR 2019, 185 Rn. 27 – Champagner-Sorbet II. 1184 Vgl. als Beispielskonstellation EuGH 19.12.2018 – C-367/17 – GRUR 2019, 183 – Schwarzwälder Schinken.
841
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
nen neben amtlichen Bezeichnungen auch herkömmliche Bezeichnungen haben, deren sich der amtliche Verkehr nicht oder nicht mehr bedient. Der für mittelbare Herkunftsangaben charakteristische Bezug auf ein bestimmtes 544 Gebiet lässt sich auf mannigfache Weise herstellen. In Betracht kommen insbesondere der Rekurs auf fremdsprachige1185 oder mundartliche1186 Bezeichnungen und Aufschriften, die Verwendung von Landes- und Ortswappen,1187 von Flaggen und Landesfarben1188 oder von Namen bekannter Straßen, die bildliche Darstellung bekannter Baudenkmäler oder sonstiger Wahrzeichen,1189 typischer Landschaften1190 oder von Personen in typischer Landestracht,1191 Hinweise auf historische oder legendäre Ereignisse mit spezifischem Ortsbezug,1192 die Entlehnung von Namen bekannter Feste, Messen und sonstiger Verkaufsveranstaltungen, gebietscharakteristische Warenaufmachungen und -verpackungen1193 oder ausstattungsmäßiger Gebrauch fremder Schriftzeichen.1194 545
(2) Einfache – qualifizierte Herkunftsangaben. Das Begriffspaar knüpft an dem Befund an, dass der Verkehr mit geografischen Herkunftsbezeichnungen bestimmter Produkte – zu Recht oder zu Unrecht – besondere Gütevorstellungen verbindet: Einfache Herkunftsangaben verlautbaren lediglich die gebietsmäßige Provenienz. Qualifizierte Herkunftsangaben versprechen besondere Eigenschaften und/oder gehobene Qualitäten.
546
cc) Abgrenzung: geografische Angaben ohne Herkunftshinweis. Von den – ausdrücklichen oder mittelbaren – geografischen Herkunftsangaben abzugrenzen sind: bloße Phantasiebezeichnungen, Bezeichnungen, die sich von geografischen Herkunftsangaben zu reinen Gattungsbezeichnungen entwickelt haben sowie aus geografischen Herkunftsangaben hervorgegangene betriebliche Herkunftsangaben.
547
d) Maßgeblicher Herkunftsort. Selbst wenn feststeht, dass eine Bezeichnung geografische Herkunftsangabe ist, kann es in bestimmten Konstellationen immer noch schwierig sein zu ermitteln, welche Art von Verbindung zwischen beworbener Ware und benanntem Gebiet durch die konkrete Angabe behauptet wird. Maßgeblich ist die jeweilige Verkehrsauffassung. Die Bildung von Sachverhaltsgruppen ermöglicht einschlägige Regelaussagen. Auf die Verkehrsauffassung mag durch Indizien, wie etwa die zollrechtliche Einordnung eines Produkts,1195 der Anteil der regional lokalisierbaren Wertschätzung1196 oder die Einschätzung von Industrie- und Handelskammern geschlossen werden. Entscheidend bleibt aber stets die Verkehrsauffassung selbst. Objektive Kriterien mögen, falls sie kodifiziert werden,1197 zu einer Prägung der Verkehrsauffas-
_____
1185 BGH 12.7.1963 – Ib ZR 187/61 – GRUR 1963, 589, 591 – Lady Rose. 1186 RG 16.3.1942 – II 121/41 – RGZ 169, 44, 45 – Kroatzbeere. 1187 LG Berlin 7.11.1951 – 16 Q 85/51 – GRUR 1952, 253, 254 (Berliner Bär). 1188 BGH 10.4.1981 – I ZR 162/79 – GRUR 1981, 666, 667 = WRP 1981, 518 – Ungarische Salami I. 1189 RG 17.6.1939 – II 10/39 – GRUR 1939, 919, 923 – Lübecker Holstentor; BGH 11.6.1954 – GRUR 1955, 91 – GRUR 1955, 91 – Römer; LG Köln 9.12.1953 – 24 O 64/53 – GRUR 1954, 211 (Kölner Dom). 1190 RG 26.4.1932 – II 246/31 – GRUR 1932, 810 – Landschaft mit Windmühlen. 1191 RG 15.6.1914 – MuW XIV (1914/1915), 337 f. (Bäuerin in normannischer Tracht). 1192 BGH 5.2.1964 – Ib ZR 70/62 – GRUR 1964, 376 – Nürnberger Eppelein-Sprung. 1193 BGH 12.3.1971 – I ZR 115/69 – GRUR 1971, 313, 314 = WRP 1971, 266 – Bocksbeutelflasche. 1194 RG 22.9.1911 – MuW XI (1911, 1912), 117 f. (kyrillische Schrift für Wodka). 1195 So für die Einordnung der Angabe „Made in Germany“ Slopek GRUR-Prax 2011, 291, 292; Dück GRUR 2013, 576, 581; Ziegenaus GRUR-Prax 2014, 440; Mey/Eberli GRUR Int. 2014, 321, 332. 1196 Gündling GRUR 2007, 921, 924. 1197 Dafür im Anschluss an das Schweizerische Recht Dück GRUR Int. 2015, 220.
Lindacher/Peifer
842
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
sung führen. Solange es an solchen Kodifikationen fehlt, sind sie jedoch nicht entscheidend. Industrieerzeugnisse verdanken Qualität und charakteristische Eigenschaften in 548 aller Regel nicht den örtlichen Naturgegebenheiten, sondern allein oder jedenfalls ganz überwiegend der Güte und Art der Verarbeitung. Der Verkehr bezieht eine nicht näher spezifizierte Herkunftsangabe grundsätzlich nicht auf den Ort, von dem die verwendeten Rohstoffe stammen, sondern auf den Ort, an dem die Ware hergestellt worden ist.1198 Da der Verkehr um das Phänomen der Arbeitsteilung weiß, erwartet er dabei im Allgemeinen nicht, dass alle Produktionsvorgänge am selben Ort stattgefunden haben: Bei Waren, die verschiedene Fertigungsstufen an verschiedenen Orten durchlaufen, müssen nur diejenigen Produktionsvorgänge, die dem Endprodukt letztlich Eigenart und Gepräge geben, am benannten Ort stattfinden.1199 Dem Trend zur Verstärkung internationaler Arbeitsteilung dürfte eine Entwicklung der Verkehrsauffassung in Richtung verstärkter Akzeptanz der Verwendung vorgelieferter Einzelteile und Baugruppen entsprechen: Ein Industrieerzeugnis darf die Markierung „Made in Germany“ durchaus auch dann tragen, wenn für die Funktion des Endprodukts bedeutsame Komponenten aus dem Ausland stammen. Die produktspezifischen Kernleistungen müssen aber im Inland erbracht werden.1200 Der Hersteller eines „Schmiedekolbens – made in Germany“ führt noch nicht dadurch irre, dass das weniger Qualifikation voraussetzende Schmieden des Rohkolbens im Ausland stattfindet, solange die komplexe Fertigstellung in Deutschland geschieht.1201 Bei Kondomen kommt es auf den Ort der für die Dichtigkeit und Reißfestigkeit des Endprodukts wesentlichen Produktionsschritte an, nicht dagegen nur auf Versiegelung und Qualitätsendkontrolle.1202 Verwendet ein Unternehmen im Zusammenhang mit der Vermarktung einer in China hergestellten Ware den blickfangmäßig hervorgehobenen Zusatz „(Marke) GERMANY GMBH“ so soll der Verkehr daraus weder einen Hinweis auf die Herkunft der Produktion noch auf eine bestimmte Qualitätserwartung (etwa deutscher Produktionsstandards) entnehmen.1203 Bei unbearbeiteten Naturerzeugnissen weist die Herkunftsangabe typischerweise 549 auf den Ort der Gewinnung hin. Dies gilt sowohl für die sog. reinen Naturprodukte (wie Kohle, Erdgas, Erdöl, Salz, Mineralwässer, Wild, Fische oder Wildfrüchte)1204 als auch für solche unbearbeiteten Naturprodukte, bei deren Erzeugung der Mensch unterstützend mitgewirkt hat (also insbesondere bei landwirtschaftlichen Produkten wie Fleisch, Milch, Obst, Getreide oder Gemüse):1205 „Ruhrkohle“ muss im Ruhrgebiet abgebaut werden, „Bad Reichenhaller Salz“ aus einer Reichenhaller Sole gewonnen sein, „Gerolsteiner Sprudel“ einer Gerolsteiner Quelle entstammen, „Schwetzinger Spargel“ im Schwetzinger Raum, „Spalter Hopfen“ im Anbaugebiet Spalt gewachsen sein. Besonders schwierig ist die Bestimmung des maßgeblichen Herkunftsorts bei bear- 550 beiteten und verarbeiteten Naturprodukten, deren Charakter sowohl durch ortsspezifische Qualität des Faktors Arbeit als auch durch die ortsgebundene Qualität der ver-
_____
1198 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.104; Ohly/Sosnitza Rn. 381; Ulmer/Reimer/Beier Nr. 726. 1199 BGH 27.11.2014 – I ZR 16/14 – GRUR-RR 2015, 209 Tz. 15 f. – Kondome; OLG Stuttgart 10.11.1995 – 2 U 124/95 – NJWE-WettbR 1996, 53, 54; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.104. 1200 Grundlegend BGH 23.3.1973 – I ZR 33/72 – GRUR 1973, 594, 595 – Ski-Sicherheitsbindung; BGH 27.11.2014 – I ZR 16/14 – GRUR-RR 2015, 209 Tz. 15 f. – Kondome; OLG Köln 13.6.2014 – 6 U 156/13 – WRP 2014, 1082; Dück GRUR 2003, 576, 577. 1201 OLG Köln 13.6.2014 – 6 U 156/13 – WRP 2014, 1082 Tz. 25 f. 1202 BGH 27.11.2014 – I ZR 16/14 – GRUR-RR 2015, 209 Tz. 18 – Kondome. 1203 OLG Braunschweig 20.11.2018 – 2 U 22/18 – WRP 2019, 229 Rn. 36 und 52. 1204 Ulmer/Reimer/Beier Nr. 723. 1205 Ulmer/Reimer/Beier Nr. 724.
843
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
wendeten Naturerzeugnisse bestimmt sein kann. Bei manchen Produkten ist für die Wertvorstellung des Verkehrs der Rohstoff derart dominant, dass es für die Zulässigkeit des Herkunftshinweises ausschließlich auf dessen Ursprung ankommt: Ortsangaben bei Wein weisen auf das Wachstum, nicht den Ort der Kelterung, kellermäßigen Behandlung oder Abfüllung hin.1206 Gleiches gilt grundsätzlich für Kaffee oder Tee:1207 Kolumbianischer Hochland-Kaffee muss in Kolumbien, Ceylon-Tee dort geerntet sein. Bei der Mehrzahl der Produkte kommt es dem Verkehr freilich nicht allein auf die Verwendung von Naturerzeugnissen bestimmter Provenienz, sondern auch oder gar vorrangig auf die besondere Erfahrung, Sachkunde und Geschicklichkeit der am Herstellungsort ansässigen Personen an. Eine geografische Herkunftsangabe weist hier auch oder gar ausschließlich auf den Herstellungsort hin: Bei Bier kommt es auf den Brauort (und sein Wasser), nicht auf die Herkunft von Hopfen und Gerste bzw. Weizen an.1208 „Schwarzwälder Kirschwasser“ lässt – ohne delokalisierenden Zusatz – nicht nur Herstellung aus SchwarzwaldKirschen, sondern auch Herstellung im Schwarzwald erwarten.1209 Ob die ortsansässigen Hersteller – ganz oder teilweise – Rohstoffe ortsfremder Herkunft verwenden dürfen, beurteilt sich typischerweise via anlehnender Verkehrsanschauung nach den am Herstellungsort bestehenden anständigen Gepflogenheiten, wofür im Allgemeinen auch und nicht zuletzt eine Rolle spielt, ob und in welchem Umfang die betreffenden Rohstoffe dortselbst gewonnen werden:1210 „Original Steinhäger“ muss nicht notwendigerweise aus Wacholderbeeren gebrannt sein, die in Steinhagen oder nächster Umgebung geerntet werden.1211 „Schwarzwälder Kirsch“ darf – wie bereits konstatiert – nur aus Schwarzwald-Kirschen gebrannt werden. In Ausnahmefällen versteht der Verkehr schließlich geografische Herkunftsangaben 551 als Vertriebsorthinweis: Die mit der Ortsbezeichnung verbundene Wertschätzung beruht auf der Tüchtigkeit und/oder Erfahrung, die Exporteuren, Importeuren oder Großhändlern mit Sitz am benannten Ort typischerweise zukommt. Die einschlägige Deutung begegnet insbesondere bei Überseeprodukten und liegt insbesondere dort nahe, wo dem Verkehr bekannt ist, dass das beworbene Produkt seiner Natur nach in einer anderen Region gewonnen sein muss:1212 Unter „Bremer Kaffee“ versteht der Verkehr einen Kaffee, der in Bremen gemischt und/oder geröstet wird.1213 552
e) Gebietsmäßige Eingrenzung. Bei der Herkunftsgebietsbegrenzung orientiert sich der Verkehr jedenfalls insoweit an den politischen oder verwaltungsmäßigen Grenzen, als diese den Mindestumfang bestimmen:1214 Bei schlichten geografischen Herkunftsangaben dürfen sich alle im Gebiet der politischen Gemeinde Ansässigen, bei qualifizierten geografischen Herkunftsangaben jedenfalls all die daselbst Ansässigen, deren Produkte dem einschlägigen Qualitätsstandard genügen, der Herkunftsangabe bedienen. Bei Erweiterung der Grenzen einer Gebietskörperschaft (z.B. im Wege der Eingemeindung von Nachbarorten) darf die Ortsbezeichnung nunmehr auch von den Unternehmen geführt werden, die ihren Sitz in den Neugebieten der betreffenden Gebietskörperschaft
_____
1206 Statt aller: BGH 22.11.1960 – I ZR 163/58 – GRUR 1961, 477 = WRP 1961, 218 – Forster Jesuitengarten; Ohly/Sosnitza Rn. 382. 1207 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 73 Rn. 34; Ohly/Sosnitza Rn. 382. 1208 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 73 Rn. 34; Ulmer/Reimer/Beier Nr. 725; Ohly/Sosnitza Rn. 382. 1209 Ulmer/Reimer/Beier Nr. 768. 1210 Ulmer/Reimer/Beier Nr. 725. 1211 Ulmer/Reimer/Beier Nr. 725. 1212 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 73 Rn. 34. 1213 Ulmer/Reimer/Beier Nr. 729. 1214 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 73 Rn. 33.
Lindacher/Peifer
844
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
haben; übergangsbedingte Fehlvorstellungen des angesprochenen Verkehrs sind interessenabwägungsbedingt hinzunehmen.1215 Ein engeres Sinnverständnis verbindet der Verkehr – berechtigterweise – mit Bezeichnungen unter Verwendung von Zusätzen wie „Alt“ oder „Ur“. Bei der Bezeichnung „Urselters“ erwartet der Verkehr beispielsweise nicht nur ein Selters (Gattungsbezeichnung) aus der Gemeinde Selters, sondern ein Mineralwasser aus der historischen Seltersquelle, das zudem in seiner Beschaffenheit im Rahmen natürlicher Schwankungsbreite mit dem ursprünglichen Selterswasser übereinstimmt.1216 Da der Verkehr einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise zuneigt, markieren freilich 553 die politischen Grenzen keineswegs immer die Grenzen des werblichen Gebrauchs geografischer Bezeichnungen.1217 Deutung der Herkunftsangabe als Aussage, die beworbene Ware habe den behaupteten Bezug zum durch die Angabe individualisierten Wirtschaftsraum, erlaubt u.U. auch Anrainern die Führung der jeweiligen Ortsbezeichnung: „Original Nordhäuser Kautabak“ (kraft relokalisierenden Zusatzes Herkunftsbezeichnung) darf auch aus einem unmittelbar angrenzenden, dem Nordhäuser Wirtschaftsgebiet zugehörigen Vorort stammen.1218 „Echt Steinhäger“ (kraft des relokalisierenden Zusatzes Herkunftsangabe) darf auch in einem Nachbarort (ohne selbständige Poststelle und Bahnstation) gebrannt werden.1219 Die allfällige Erweiterung beschränkt sich freilich typischerweise auf das engere Umland:1220 Weit außerhalb der Hansestadt gelegene Orte zählen nicht schon deshalb zum Wirtschaftsraum „Hamburg“, weil der Hamburgische Verkehrsverbund sie gerade noch erreicht.1221 f) Irreführung durch usurpatorische Verwendung geschützter Bezeichnung. 554 Lauterkeitsrechtlicher Schutz neben kennzeichnungsrechtlichem Schutz besteht bei Irreführung des angesprochenen Verkehrs über die geografische Herkunft via Usurpation einer nach Kennzeichenrecht geschützten Bezeichnung. Glatter einschlägiger Fall ist die unmittelbare Bezeichnungsverwendung: Ein nicht in Lübeck ansässiger Marzipanfabrikant vertreibt sein Erzeugnis als „Lübecker Marzipan“,1222 eine nicht im Kölner Raum ansässige Brauerei ihr obergäriges Bier als „Kölsch“.1223 In der Praxis kaum minder verbreitet ist die subtilere Form der Irreführung durch mittelbare Herkunftsangaben: Dem angesprochenen Verkehr wird gerade auf andere Weise als durch Verwendung geografischer Namen (wie durch Verwendung fremdsprachiger Bezeichnungen oder den Gebrauch von Herkunftssymbolen) eine realiter nicht gegebenen Herkunft aus einem bestimmten Gebiet suggeriert. Fallgruppenübergreifend gilt: Erforderlich und ausreichend ist die Täuschung über die geografische Provenienz. Dass die unter „falscher Flagge“ angebotene Ware den einschlägigen Qualitätsstandards genügt, salviert nicht.1224 Geschäftsentscheidungsrelevante Irreführung liegt nicht nur dann vor, wenn der 555 Verkehr Waren anderer Provenienz generell ablehnt. Der Herkunft braucht nicht ent-
_____
1215 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 73 Rn. 33. 1216 BGH 4.7.1985 – I ZR 54/83 – GRUR 1986, 316, 317 = WRP 1985, 696, 697 – Urselters I. 1217 OLG Hamburg 28.4.1977 – 3 W 63/77 – WRP 1977, 499; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 73 Rn. 33. 1218 RG 27.6.1933 – II 44/33 – GRUR 1933, 721, 722. 1219 OLG Hamm 11.12.1923 – MuW XXVI, 118. 1220 OLG Hamburg 28.4.1977 – 3 W 63/77 – WRP 1977, 499; Ulmer/Reimer/Beier Nr. 730. 1221 OLG Hamburg 28.4.1977 – 3 W 63/77 – WRP 1977, 499. 1222 Vgl. BGH 6.6.1980 – I ZR 97/98 – GRUR 1981, 71 – Lübecker Marzipan; OLG Köln 26.11.1982 – 6 U 35/78 – GRUR 1983, 385 – Lübecker Marzipan II. 1223 BGH 22.5.1970 – I ZR 125/68 – GRUR 1970, 517 – Kölsch, m. Anm. Klaka. 1224 Bsp.: BGH 24.6.1982 – I ZR 108/80 – GRUR 1982, 685 – Ungarische Salami II. Vgl. auch BGH 30.7.2015 – I ZR 250/12 – GRUR 2016, 406 Tz. 19 – Piadina-Rückruf.
845
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
scheidendes Gewicht in dem Sinne zugesprochen zu werden, dass andere Auswahlkriterien (wie Preis und Aufmachung) demgegenüber zurücktreten. Es genügt, wenn der Kunde die geografische Herkunft irgendwie in die Überlegung, ob er sich der Ware zuwendet, mit einbezieht.1225 Verhaltensrelevanz ist allemal zu bejahen, wenn in wahrheitswidriger Weise mit geografischen Herkunftsangaben geworben wird, die beim Verkehr besondere Gütevorstellungen auslösen, also in allen Fällen irreführender Verwendung sog. qualifizierter Herkunftsangaben.1226 Bei einfachen Herkunftsangaben ist eine verhaltensrelevante Irreführung i.S. von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 möglich, aber nicht ohne weiteres gegeben. Rechtsprechung1227 und Lehre1228 arbeiten freilich zu Recht mit einer Vermutungsregel: Die Tatsache, dass eine geografische Herkunftsangabe für Waren anderer Herkunft verwendet wird, begründet eine tatsächliche Vermutung dafür, dass die Angabe eine bestimmte Werbewirkung besitzt, die der Werbende für sich ausnutzen will. Es bedarf allemal der Darlegung besonderer Gründe für die Annahme, dass eine irreführende Angabenverwendung für den Kaufentschluss und das vorgelagerte Interesse, sich dem Angebot überhaupt erst einmal zuzuwenden, bedeutungslos ist. Kasuistik: Die Bewerbung von Milch mit dem Hinweis „Ausschließlich von Höfen aus Ihrem Bundesland“ ist geschäftsentscheidungsrelevant irreführend, wenn in Hessen gemolkene und verarbeitete Milch in Bayern1229 oder mit „Mark Brandenburg“ bezeichnete Milch in Köln abgefüllt und in verschiedenen weiteren deutschen Regionen erzeugt wurde.1230 Ein schutzwürdiges Interesse an der Benutzung irreführender Herkunftsangaben be556 steht im Allgemeinen nicht; der Werbende kann und mag auf andere Kennzeichnung seiner Produkte ausweichen. Verhaltensrelevante Irreführung ist im Regelfall relevante Irreführung i.S. von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1. In besonderen Konstellationen kann freilich ein entstandener Besitzstand die Inkaufnahme einer mehr oder weniger breiten und intensiven Irreführungsgefahr rechtfertigen (oben Rn. 276). Hat sich etwa die Ortsbezeichnung zugleich zum Unternehmenskennzeichen entwickelt, kann bei expansionsbedingtem Erwerb bzw. Aufbau externer Produktionsstätten dem Interesse an Bezeichnungserstreckung jedenfalls dann nicht von vornherein die Schutzwürdigkeit abgesprochen werden, wenn der Irreführung des Verkehrs über die geografische Herkunft in ausreichendem Maße durch entlokalisierende Zusätze entgegengewirkt wird. Kasuistik: Keine Beanstandung der Verwendung der Bezeichnung „Warsteiner“ für in Paderborner Produktionsstätten gebrautes „Fresh-Bier“, wenn auf den Rück-Etiketten hinreichend deutlich auf den Brauort Paderborn hingewiesen wird.1231 557
g) Enttäuschte Spezifikationserwartung. Lauterkeitsrechtlicher Schutz neben kennzeichenrechtlichem Schutz besteht ferner bei Bezeichnungsverwendung für nicht den einschlägigen Spezifikationserfordernissen genügende Produkte: Die Bezeichnungsverwendung erfüllt – unter dem Gesichtspunkt der Irreführung über die Produktbeschaffenheit oder sonstige Qualitätsmerkmale – auch dann den Tatbestand des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, wenn das beworbene Produkt aus dem genannten geografischen Bezirk stammt.
_____
1225 BGH 6.6.1980 – I ZR 97/98 – GRUR 1981, 71, 73 = WRP 1981, 18, 20 – Lübecker Marzipan. 1226 Statt aller: BGH 9.6.1965 – Ib ZR 89/63 – GRUR 1966, 150, 152 – Kim. 1227 Leitentscheidung: BGH 6.6.1980 – I ZR 97/98 – GRUR 1981, 71, 73 f. = WRP 1981, 18, 20 – Lübecker Marzipan; bestätigt durch BGH 29.4.1982 – I ZR 111/80 – GRUR 1982, 564, 566 = WRP 1982, 570, 571 – Elsässer Nudeln; 9.4.1987 – I ZR 201/84 – GRUR 1987, 535, 537 = WRP 1987, 625, 627 – Wodka Woronoff. 1228 Ulmer/Reimer/Beier Nr. 700; Ohly/Sosnitza Rn. 384. 1229 OLG München 1.3.2012 – 6 U 1378/11 – WRP 2012, 831, 835. 1230 OLG Stuttgart 4.7.2013 – 2 U 157/12 – GRUR-RR 2014, 251. 1231 BGH 10.9.2001 – I ZR 54/96 – GRUR 2002, 160, 162 = WRP 2001, 1450, 1452 f. – Warsteiner III.
Lindacher/Peifer
846
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
h) Irreführung durch Verwendung von Scheinherkunftsangaben. Schutz nach 558 § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 (und nur nach Lauterkeitsrecht) ist bei Verwendung scheingeografischer Angaben thematisiert: soweit der Verkehr die in Frage stehende Bezeichnung nicht als Phantasiebezeichnung, sondern – wenn auch zu Unrecht – als geografische Herkunftsangabe versteht.1232 Kasuistik: Geht man bei der Bezeichnung „Fürstenthaler“ für einen Wein davon aus, diese könne von relevanten Teilen des angesprochenen Verkehrs als Lagenamen missverstanden werden, ist die Bezeichnungsführung als gegen § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 verstoßend zu untersagen: bei mit Lagenamen gekennzeichneten Weinen erwartet der Verkehr im Allgemeinen eine bessere Qualität als bei solchen, deren Bezeichnung keinen Lagenamen aufweist.1233 i) Irreführung bei Nutzung als Unternehmenskennzeichen. Schutz nach § 5 559 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 (und nur nach Lauterkeitsrecht) ist angesprochen, wenn die geografische Herkunftsangabe nicht für Waren oder Dienstleistungen, sondern als Unternehmenskennzeichen benutzt wird.1234 Kasuistik: Die Firma „Hans StichdenBuben“ weist in ihrem zweiten Teil auf die bekannte Weinlage im Baden-Badener Rebland hin und darf deshalb bei Meidung eines Verstoßes gegen § 5 nur verwendet werden, wenn der Schwerpunkt des Unternehmens auf dem Vertrieb von „Stich den Buben“-Weinen liegt.1235 j) Sonderfall: personengebundene Herkunftsangabe. Schutz nach § 5 Abs. 1 S. 2 560 Nr. 3 (und nur nach Lauterkeitsrecht) kommt endlich in Betracht, wenn die Angabe nicht mehr als geografische Herkunftsangabe, wohl aber als personengebundene Angabe mit historischem Ortsbezug verstanden wird, der Verkehr aus der Angabe mithin auf einen bestimmten engen Herstellerkreis schließt.1236 Kasuistik: Die Bezeichnung „Rügenwalder Teewurst“ warf die Frage auf, ob der Verkehr auch heute noch erwartet, dass die Bezeichnungsverwendung solchen Herstellern vorbehalten ist, die ihre Herstellertradition auf einen traditionellen Hersteller aus dem ehemals deutschen Ort Rügenwalde in Hinterpommern zurückführen können.1237 11. Betriebliche Herkunft Schrifttum Bornkamm Die Schnittstellen zwischen gewerblichem Rechtsschutz und UWG – Grenzen des lauterkeitsrechtlichen Verwechslungsschutzes, GRUR 2011, 1; Büscher Schnittstellen zwischen Markenrecht und Wettbewerbsrecht, GRUR 2009, 230; Fezer Imitationsmarketing als irreführende Produktvermarktung, GRUR 2009, 451; Hahn Schutz vor „Look-alikes“ – unter besonderer Berücksichtigung des § 5 Abs. 2 UWG, Diss. Hamburg 2014; Harte-Bavendamm Wettbewerbsrechtlicher Verbraucherschutz in der Welt der „look-alikes“, FS Loschelder (2010) 111; Hohmann/Leible Probleme der Verwendung geographischer und betrieblicher Herkunftsangaben bei Lebensmitteln, ZLR 1995, 265; Köhler Der Schutz vor Produktnachahmung im Marken-
_____
1232 Wohl allgM; statt mancher: Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.251; Harte/Henning/Dreyer C Rn. 187. 1233 BGH 28.10.1979 – I ZB 2/78 – GRUR 1980, 173, 174 = WRP 1979, 855, 856. 1234 Ohly/Sosnitza Rn. 334. 1235 BGH 10.8.2000 – I ZR 126/98 – GRUR 2001, 73, 76 = WRP 2000, 1284, 1289. 1236 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.249; Ohly/Sosnitza Rn. 332. 1237 Von BGH 19.1.1995 – I ZR 197/92 – GRUR 1995, 354, 357 = WRP 1995, 398, 401 f. – Rügenwalder Teewurst II verneint; anders noch OLG Hamburg 22.10.1992 – 3 U 17/92 – WRP 1993, 333.
847
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
recht, Geschmacksmusterrecht und neuen Lauterkeitsrecht, GRUR 2009, 445; Nussbaum/Ruess Irreführung durch Marken – Die Neuregelung der Imitationswerbung in § 5 Abs. 2 UWG nF, MarkenR 2009, 233; Sack Betriebliche Herkunftstäuschungen und § 5 UWG, WRP 2014, 1130; ders. Herkunftstäuschung durch Produktnachahmung und die UGP-Richtlinie 2005/29/EG, WRP 2017, 650; Sambuc Was heißt „Verwechlsungsgefahr mit einer anderen Ware oder Dienstleistung“ in § 5 Abs. 2 UWG? FS Köhler (2014) 577; Sosnitza Markenschutz im UWG? MA 2015, 104.
561
a) Allgemeines. Betriebliche Herkunftsangaben haben nicht nur eine Identifikationsfunktion. Sie sind zugleich produktbezogene Merkmalsangaben von potentiell erheblicher werblicher Kraft. § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 listet die betriebliche Herkunft nicht von ungefähr als mögliches Bezugsobjekt irreführender Angaben auf. Probleme wirft das Verhältnis des lauterkeitsrechtlichen Interessenschutzes zum 562 kennzeichenrechtlichen Individualschutz auf. Zweifelhaft ist das Verhältnis von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 zu § 5 Abs. 2. Außer Frage steht der Prüf- und Anwendungsvorrang von Anh. Nr. 13 gegenüber der Grundnorm des § 5: Werbung für ein Produkt, das einem Produkt eines bestimmten Herstellers ähnlich ist, in einer Weise, die den Verbraucher absichtlich zu der Fehlvorstellung verleitet, das Produkt sei von jenem hergestellt worden, ist per se unlauter. 563
b) Die Schutzregimefrage: vom Vorrang des Kennzeichenrechts zum Gebot der Berücksichtigung kennzeichenrechtlicher Wertung. Die Beurteilung des Verhältnisses von Kennzeichenschutz und lauterkeitsrechtlichem Interessenschutz vor irreführenden Herkunftsangaben hat sich im Zeitablauf mehrfach geändert (s. Vor §§ 5, 5a Rn. 150 ff.). Nach in den 1990er-Jahren vollzogenem Rechtsprechungsschwenk verdrängte der kennzeichenrechtliche Individualschutz weithin das lauterkeitsrechtsrechtliche Irreführungsverbot: Die durch eine bestimmte Kennzeichnung hervorgerufene Irreführung über die betriebliche Herkunft wurde – noch unter der Geltung des UWG 20041238 – allein nach den Grundsätzen des MarkenG beurteilt. Verletzungen des Kennzeichenrechts konnten und mussten von dem verfolgt werden, dem das Ausschließlichkeitsrecht zustand. Mitbewerbern und anderen sachbefugten Einrichtungen (§ 8 Abs. 3) standen wegen der in der Verwendung des Kennzeichens durch einen Nichtbefugten liegenden Irreführung über die betriebliche Herkunft grundsätzlich keine Abwehransprüche zu. Die These vom Vorrang des Kennzeichenrechts war von Anfang an wenig überzeu564 gend (kritisch bereits Erstaufl. § 3 a.A. Rn. 638), brachte das deutsche Recht zudem im europäischen Vergleich zunehmend in eine Außenseiterrolle. Jedenfalls mit Inkrafttreten der Richtlinie 2005/29/EG ließ und lässt sich das Vorrangdogma nicht länger halten: Mit den Vorgaben in Art. 6 Abs. 1 lit. b/Abs. 2 lit. a UGP-RL hat der europäische Gesetzgeber einen eigenständigen lauterkeitsrechtlichen Schutz vor Verwechslungen vorgegeben, der die Verbraucherinteressen und nicht die Interessen des Kennzeicheninhabers im Blick hat. Der entsprechende Schutz tritt grundsätzlich neben den Individualschutz des Kennzeichenrechts. Er kann nicht (s. bereits Vor §§ 5, 5a Rn. 152 f.) mit Hilfe einer im nationalen Recht entwickelten Vorrangthese den Zielvorgaben des individualrechtlichen Schutzes untergeordnet werden.1239
_____
1238 BGH 22.11.2001 – I ZR 138/99 – BGHZ 149, 191, 195 f. = GRUR 2002, 622, 623 = WRP 2002, 694, 696 – shell.de. 1239 Bornkamm GRUR 2011, 1 ff.; mittlerweile vorherrschende Meinung, vgl. BGH 15.8.2013 – I ZR 188/11 – GRUR 2013, 1161 Rn. 60 – Hard Rock Café (unter ausdrücklicher Aufgabe der früheren Rechtsprechung); BGH 24.1.2013 – I ZR 60/11 – GRUR 2013, 397 Rn. 44 – Peek & Cloppenburg III; BGH 23.6.2016 – I ZR 241/14
Lindacher/Peifer
848
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
Abschied vom Vorrangdogma heißt freilich (s. bereits Vor §§ 5, 5a Rn. 154 ff.) nicht 565 schlichte Negierung der genuin kennzeichenrechtlichen Wertungen: Dem Postulat, nicht via Anwendung von § 5 die sich in den Sonderrechtsschutzvoraussetzungen spiegelnde gesetzliche Interessenwertung zu überspielen, ist im Rahmen der Anwendung von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Rechnung zu tragen.1240 Einem Gebot der Beachtung kennzeichenrechtlicher Wertung steht auch unionsrechtlich nichts im Wege. c) Zum Verhältnis § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1–§ 5 Abs. 2. Wie die Richtlinie (Art. 6 Abs. 1 566 lit. b/Abs. 2 lit. a UGP-RL) thematisiert auch das richtliniengeleitete deutsche Recht die Irreführung über die betriebliche Herkunft (RL: Irreführung über die „kommerzielle Herkunft“) doppelt. Der Listung im Katalog des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 steht die Regelung in § 5 Abs. 2 zur Seite: Der geschäftlichen Handlung wird auch Irreführungscharakter zugesprochen, wenn sie im Zusammenhang mit der Vermarktung von Waren- und Dienstleistungen eine Verwechslungsgefahr mit einer anderen Ware oder Dienstleistung hervorruft. Eine verbreitete Meinung1241 sieht in § 5 Abs. 2 einen eigenen Irreführungstatbestand 567 mit eigenen Tatbestandsvoraussetzungen, der neben § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 tritt. Eine Minderheitsansicht1242 lässt § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, was die Irreführung über die betriebliche Herkunft anbelangt, in § 5 Abs. 2 aufgehen. Vorzugswürdig erscheint freilich die Ansicht,1243 die in § 5 Abs. 2 keinen eigenständigen Irreführungstatbestand, sondern „nur“ eine Klarstellung dahin sieht, dass der lauterkeitsrechtliche Schutz der Verbraucher und Mitbewerber – entgegen der zum autonomen deutschen Recht entwickelten Rechtsprechungslinie – nicht gegenüber dem kennzeichenrechtlichen Individualschutz zurückstehen soll. Verwechslungsträchtiges Produktimitationsmarketing ist Irreführung über die betriebliche Produktherkunft. Auf die wettbewerbliche Eigenart des Erzeugnisses kommt es – anders als bei § 4 Nr. 3 – nicht an.1244 d) Betriebliche Herkunftsangaben: Begriff, Arten, Abgrenzung aa) Begriff. Eine Bezeichnung ist betriebliche Herkunftsangabe, wenn der ange- 568 sprochene Verkehr ihr den Hinweis auf einen bestimmten Hersteller/Händler bzw. eine bestimmte Unternehmensgruppe entnimmt: mehrere rechtlich selbständige Unternehmen sind dann potentielles Bezugsobjekt, wenn ein konzernmäßiger oder sonstiger, die Produkthomogenität gewährleistender Zusammenhang besteht.1245 Herkunftstäuschung ist auch die Verwendung einer Artikelbezeichnung, die den Eindruck erweckt, dass die Ware vor einem bestimmten Lieferanten bezogen wurde.1246 Ob die konkrete Angabe Ursprungshinweis auf einen bestimmten Hersteller oder 569 einen bestimmten Händler ist, ist einzelumstandsabhängig. Da es neben Herstellermarken auch Händlermarken gibt, gilt insonderheit für Markenzeichen: Zeichengebrauch
_____ – GRUR 2016, 965 – Baumann II (Leitsatz); Harte/Henning/Dreyer § 5 J Rn. 2 ff.; Götting/Nordemann § 5 Rn. 8.10; Köhler GRUR 2007, 548, 553; Fezer WRP 2008, 1, 7 f.; Loschelder/Dörre KSzW 2010, 242, 244 ff. 1240 BGH 23.6.2016 – I ZR 241/14 – GRUR 2016, 965 Tz. 23 – Baumann II; OLG Frankfurt/M. 7.3.2018 – 6 U 180/17 – WRP 2018, 734; Bornkamm GRUR 2011, 1, 6 f. 1241 Harte/Henning/Dreyer C Rn. 209; Götting/Nordemann Rn. 8.15 ff.; Köhler GRUR 2009, 445, 448; Sack WRP 2014, 1130, 1134: lex specialis. 1242 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 327. 1243 Beater Rn. 1386. 1244 Sack WRP 2017, 650, 654. 1245 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.259. 1246 OLG Hamm 22.11.2018 – 4 U 73/18 – GRUR-RR 2019, 180 („Netzladegerät“).
849
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
kann als Hinweis auf Hersteller- oder Händlereigenschaft zu verstehen sein. Ja, Hersteller- und Händlereigenschaft schließen sich nicht einmal aus: Je nach Branchenart und sonstigem wettbewerblichen Kontext rechnet der Verkehr selbst bei Herstellern durchaus mit einem Vertrieb zugekaufter Ware, erwartet dann freilich in der Regel zumindest gewisse Kontrollmaßnahmen zur Sicherstellung des Eigenproduktionsstandards (Einzelheiten: Rn. 76). Soweit Eigenherstellung erwartbar, heißt dies endlich nicht notwendigerweise Totalherstellung i.S. einer Eigenproduktion aller Endproduktteile. Da der Verkehr um das Phänomen verstärkter Arbeitsteilung weiß, akzeptiert er vielmehr in verstärktem Maße die Verwendung vorgefertigter Einzelteile und Baugruppen. Es genügt, ist freilich auch unerlässlich, dass die Produktvorgänge im benannten Betrieb erfolgen, die dem Endprodukt Eigenart und Gepräge geben, seine besondere Wertschätzung begründen. 570
bb) Arten. Eine betriebliche Herkunftsangabe kann ursprünglicher Natur oder aber Produkt eines Bedeutungswandels sein: Der Verkehr deutet eine Bezeichnung, die ursprünglich Gattungs- bzw. geografische Herkunftsbezeichnung war, nur noch als Hinweis auf eine bestimmte betriebliche Provenienz, wobei sich der Wandel von der geografischen zur betrieblichen Herkunftsangabe unmittelbar, aber auch über den Zwischenschritt der Wandlung zur Gattungsbezeichnung vollziehen kann (näher hierzu Rn. 582 ff.). Die Unterscheidung zwischen schlichten und qualifizierten (= mit besonderen Gütevorstellungen verbundenen) Herkunftsangaben hat für die Frage, ob und inwieweit das Dogma vom Vorrang des Kennzeichenschutzes der Durchbrechung durch Ausnahmen zugänglich, endgültig ihre Bedeutung verloren. Bei prinzipiellem Gleichrang der Schutzsysteme (s. §§ 5, 5a Rn. 152 f.) bedarf es keiner Ausnahmeregel. Dass mit bestimmten Herkunftsangaben besondere Gütevorstellungen einhergehen, bleibt freilich in anderem Kontext bedeutsam: Die Klassifikation der Falschangabe als qualifizierte Herkunftsangabe ist gleichbedeutend mit der Bejahung der geschäftlichen Relevanz der betreffenden Äußerung (s. Rn. 587).
cc) Abgrenzung. Bei Zutageliegen des Individualkennzeichencharakters kommt Zusätzen wie „echt“ oder „original“ im Allgemeinen nur verstärkende Funktion zu:1247 „Original Bergmann“ betont die Herkunft aus dem Hause „Bergmann“.1248 Bleibt die Individualkennzeichennatur für erhebliche Verkehrsteile dunkel, vermag der Zusatz „echt“ oder „original“ hingegen durchaus zu einem fehlsamen Beschaffenheitsverständnis verleiten: Die Bewerbung kunststoffbeschichteter Täschnerware mit der Bezeichnung „echt skai“ wird vom angesprochenen Verkehr keineswegs durchgängig als verstärkter Warenzeichenhinweis aufgefasst, ein nicht unerheblicher Teil desselben wird der Fehlvorstellung erliegen, die beworbene Ware sei aus echtem Leder, „skai“ kennzeichne eine bestimmte Lederart.1249 572 Kein Irrtum über die betriebliche Herkunft ist der allfällige Irrtum über die Person, die im Betrieb für die Herstellung der Ware/den Einkauf der Ware verantwortlich ist:1250 Wer irrig annimmt, die Ware werde innerhalb des Betriebs von einem bestimmten Designer gestaltet, während dieser an der Gestaltung nicht (mehr) mitwirkt, unterliegt keiner Fehlvorstellung über die kommerzielle Herkunft.1251 571
_____ 1247 1248 1249 1250 1251
Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.260. RG 8.2.1939 – II 107/38 – GRUR 1939, 486. BGH 3.5.1963 – Ib ZR 93/61 – GRUR 1963, 539 = WRP 1963, 276 – echt skai. Harte/Henning/Dreyer C Rn. 214. EuGH 30.3.2006 – C-259/04 – EuGHE 2006, I-3089 = GRUR 2006, 416, 418.
Lindacher/Peifer
850
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
e) Produktähnlichkeit und verwechslungsträchtige Werbung. Irreführungsge- 573 fahrbegründend wirkt zunächst schlichte Produktähnlichkeit als solche: das Angebot eines Produkts, das bereits aufgrund seiner Gestaltung oder Aufmachung infolge Übernahme bestimmter Merkmale mit Individualisierungskraft verwechslungsträchtig. Zu den Produktähnlichkeitsfällen treten die Fälle, in denen sich aus der Werbung 574 selbst Herkunftshinweise ergeben: Eine Irreführung kann sich einzelfallweise daraus ergeben, dass die Werbung für das betreffende Produkt ein bekanntes Werbekonzept, einen bestimmten Werbeslogan oder auch eine Erkennungsmelodie aufgreift, die aus der Sicht des Verkehrs mit einem bestimmten anderen Unternehmen verbunden werden.1252 f) Irreführung durch usurpatorische Verwendung fremder Kennzeichen. Son- 575 derfall der Irreführung über die betriebliche Herkunft ist die usurpatorische Verwendung geschützter Zeichen. Der Verletzer bietet seine Ware unter fremden Produkt- oder Unternehmenskennzeichen oder unter Bezeichnungen an, die diesen in verwechslungsträchtiger Weise ähnlich sind. Als einschlägige Angaben kommen in Betracht: 1253 der Aufdruck der fremden 576 Firma oder eines mit ihr verwechslungsfähigen Namenszeichens auf der Produktverpackung, das Anführen einer fremden Marke oder eines ihr ähnlichen Zeichens auf der Unternehmenswebsite, das Abspielen einer fremden Erkennungsmelodie in der Fernseh- oder Hörfunkwerbung, die werbliche Verwendung von Artikel- bzw. Bestellnummern des Mitbewerbers, die Weiterverwendung eines langjährig benutzten Herstellerlogos, obwohl die Belieferung mittlerweile durch einen anderen Hersteller erfolgt.1254 g) Irreführung durch Eigenzeichengebrauch. Im Allgemeinen macht sich der 577 Verkehr keine besonderen Vorstellungen darüber, ob die von einem Unternehmen unter dessen Firmen- oder Warenbezeichnung vertriebenen Waren der Eigenproduktion entstammen oder aber zugekauft, insbesondere aus dem Ausland importiert sind; ihm ist weitgehend bekannt, dass inländische Unternehmen in vielen Branchen nicht nur Teile der Produktion auslagern (hierzu Rn. 548), sondern auch von fremden (in- und/oder ausländischen) Herstellern zuliefern lassen. Erwartet wird für den Zukaufsfall gemeinhin lediglich, dass die von dritter Seite bezogene Ware in etwa gleiche Güte wie die Eigenproduktion aufweist, im Einzelnen insbesondere die Gewährleistung dieses Standards durch geeignete Kontrollmaßnahmen.1255 Individualzeichen müssen grundsätzlich ohne Zusatz führbar sein. Anders verhält es sich freilich, wenn Plusfaktoren den einschlägigen Fehleindruck verstärken; solchem Irrtum kommt allemal Normrelevanz zu.1256 Und, Gleiches gilt uneingeschränkt für enttäuschte Qualitätsstandard- und Kontrollerwartungen hinsichtlich zugekaufter Ware.1257 h) Sonderproblem: Original-Ersatzteile. Ersatzteile dürfen vom Hersteller der 578 Hauptware auch dann als „Original-Ersatzteile“ angeboten werden, wenn sie – wie die
_____
1252 Illustrativ Harte-Bavendamm FS Loschelder (2010) 111. Vgl. auch OLG Hamm 22.11.2018 – 4 U 73/18 – K&R 2019, 199 (dort allerdings vom Beklagten provozierte Herkunftstäuschung). 1253 S. auch Harte/Henning/Dreyer C Rn. 215. 1254 OLG Köln 29.6.2018 – 6 U 60/18 – GRUR-RR 2019, 18. 1255 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.269. 1256 S. auch Hösl aaO. 1257 Richtig: Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.269.
851
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
entsprechenden Teile der Erstausstattung – von einem Zulieferer hergestellt sind:1258 Der Verkehr weiß darum, dass in vielen Bereichen (wie in der Automobilbranche) Spezialteile des erworbenen Fertigprodukts von Spezialherstellern und Unterlieferanten stammen. Er kann vernünftigerweise von vornherein nicht damit rechnen, dass alle „Original-Ersatzteile“ vom Hauptwarehersteller selbst produziert werden oder allenfalls in Lohnfabrikation entstanden sind.1259 Wäre es doch höchst unökonomisch, die entsprechenden Teile für Erstausstattungszwecke von Spezialherstellern zu beziehen, den Ersatzbedarf hingegen selbst zu produzieren. Dass das „Original-Ersatzteil“ auch für die Endprodukte anderer Hersteller verwendbar, ist unschädlich. Dem allfälligen Irrtum, das betreffende Ersatzteil passe ausschließlich zur Hauptware des Werbenden, mangelte zumindest die Verhaltensrelevanz.1260 Andererseits gilt nicht nur für Dritte, sondern auch für den zuliefernden Teileher579 steller: Ein Eigenvertrieb der Teile als „Original-Ersatzteile“ für das markenmäßig bestimmte Hauptprodukt ist unzulässig. Bei „Original-Ersatzteilen“ eines Markenprodukts erwartet der Verkehr, dass der Endprodukthersteller mit seinem guten Namen für die Qualität des beworbenen Austauschteils einsteht. Letzteres setzt aber notwendigerweise zumindest die Möglichkeit stichprobenartiger Überprüfung voraus, die im Rahmen des Eigenvertriebs des Teileherstellers gerade fehlt.1261 Die Information, dass das eigene Produkt zu einem bestimmten Markenerzeugnis als Ersatzteil „passt“, muss freilich allemal zulässig bleiben: Formulierungen wie „Ersatzteile geeignet für …“ kennzeichnen den Abstand zu Originalersatzteilen derart deutlich, dass selbst eine Anlehnung an das fremde Bestellnummersystem unschädlich ist.1262 580
i) Sonderproblem: Lizenzanfertigung. Anders als unter Geltung des WZG sind nach dem MarkenG alle Bindungen der Marke an den Geschäftsbetrieb gefallen. Die Marke kann losgelöst vom Betrieb veräußert werden, der Markeninhaber kann ohne weiteres Lizenzen (auch ausschließliche Lizenzen) einräumen. Der Verkehr weiß mittlerweile mehrheitlich um diese Entwicklung; er ordnet das in Lizenz hergestellte Produkt nicht mehr ohne weiteres dem Inhaber des Zeichenrechts zu. Die Minderheitsfehlvorstellung aber rechtfertigt kein Verbot der Vermarktung der Lizenzware, weil dies die kennzeichenrechtliche Grundentscheidung konterkarieren würde. Die der Lizenzerteilung immanente Irreführungsgefahr muss hingenommen werden.1263 Selbst eine Verpflichtung zur Anbringung eines Lizenzvermerks besteht allenfalls dann, wenn Zusatzumstände den Fehleindruck befördern, die angebotene Ware sei im Betrieb des Markeninhabers hergestellt.
581
j) Sonderproblem: Markenpriorität. Zu einer Irreführung über die betriebliche Herkunft kann es auch dann kommen, wenn der Werbende selbst Inhaber einer Marke ist. Dabei ist es unproblematisch, wenn die Marke, welche die Irreführungsgefahr be-
_____
1258 BGH 16.10.1962 – KZR 2/62 – GRUR 1963, 142, 144 = WRP 1963, 169, 170 f. – Original-Ersatzteile; 10.11.1965 – Ib ZR 112/63 – GRUR 1966, 211, 212 = WRP 1966, 28 – Ölfilter; LG Ingolstadt 26.4.2005 – 1 HK O 1116/04 – GRUR-RR 2006, 109, 110; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 246. 1259 A.A. noch Bußmann WuW 1953, 134. 1260 BGH 10.11.1965 – Ib ZR 112/63 – GRUR 1966, 211, 212 f. = WRP 1966, 28 – Ölfilter; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 246; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.208. 1261 BGH 22.9.1981 – KVR 8/80 – GRUR 1982, 60, 63 = WRP 1982, 147 – Original-VW-Ersatzteile; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 246; Harte/Henning/Dreyer C Rn. 79. 1262 BGH 2.10.2002 – I ZR 90/00 – GRUR 2003, 444, 445 = WRP 2003, 637, 639 – Ersetzt; OLG Hamm 14.3.1989 – 4 U 2/89 – WRP 1989, 604, 605. 1263 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 0.106.
Lindacher/Peifer
852
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
gründet, die prioritätsjüngere Marke ist. Zumindest tatbestandlich erfasst § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 aber auch den Fall, dass dieser Marke kennzeichenrechtlich Priorität zukommt: Bringt der Inhaber der prioritätsälteren Marke sein mit der Marke versehenes Produkt erst dann auf den Markt, wenn das mit der prioritätsjüngeren Marke versehene, aber früher auf den Markt gebrachte Konkurrenzprodukt einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt hat, mag es zu Verwechslungen kommen. Eine einschlägige Irreführungsgefahr ist freilich hinzunehmen, weil die Gegenansicht zu einer Aushöhlung des Markenschutzes führen würde.1264 k) Bedeutungswandel aa) Umwandlung von Gattungsbezeichnungen zu betrieblichen Herkunftsan- 582 gaben. Vor allem bei Unternehmen, die auf einem Teilmarkt eine Sonderstellung einnehmen, besteht allemal eine Verkehrsneigung, zeichenmäßig verwendete Beschaffenheitsangaben nach und nach als Hinweis auf die betriebliche Herkunft zu verstehen. Da Gattungsbezeichnungen im Gemeingebrauch stehen, löst freilich bei Drittverwendung nicht bereits ein bloßer Minderheitsirrtum den Abwehranspruch nach § 5 aus: Die Umwandlung zur Individualbezeichnung setzt ein entsprechendes Verständnis des weitaus überwiegenden Teils des relevanten Verkehrs voraus. Falls ein besonders starkes Bedürfnis an Freihaltung glatter Beschaffenheitsangaben besteht, kann für die Durchsetzung als betrieblicher Herkunftshinweis sogar die nahezu einhellige Durchsetzung innerhalb der beteiligten Verkehrskreise erforderlich sein.1265 Kasuistik: Mit der Bezeichnung „Stonsdorfer“, ursprünglich unmittelbare geografische Herkunftsangabe, dann bloße Sortenbezeichnung für einen Kräuterlikör, verband der Verkehr schließlich mehrheitlich die Vorstellung eines Hinweises auf den Haupthersteller der betreffenden Spirituose. In Hinblick auf das Freihaltebedürfnis der Mitbewerber wurde selbst ein Durchsetzungsgrad von ca. 70% nicht als ausreichend angesehen.1266 Allemal Individualherkunftsangabe ist die mehrheitlich in diesem Sinn verstandene 583 (Noch-)Beschaffenheitsangabe freilich richtigerweise bei Anfügung des Zusatzes „Echt“ oder „Original“: Der Verkehr versteht entsprechende Zusätze ganz überwiegend selbst dort als bestärkenden Hinweis auf betriebliche Herkunft und nicht als relokalisierenden Hinweis, wo die Beschaffenheitsangabe sich aus einer unmittelbaren geografischen Herkunftsangabe entwickelt hat. Die gegenteilige Minderheitsfehlvorstellung wäre interessenabwägend in Kauf zu nehmen. bb) Umwandlung von geografischen Herkunftsbezeichnungen zu betriebli- 584 chen Herkunftsangaben. Geografische Herkunftsangaben können sich nicht nur mittelbar, über den Zwischenschritt Gattungsbezeichnung, zur betrieblichen Herkunftsangabe wandeln. Die einschlägige Metamorphose kann sich auch unmittelbar vollziehen. Mit der Annahme, ein bestimmtes Unternehmen habe an einer geografischen Herkunftsbezeichnung ein Ausschließlichkeitsrecht erhalten, ist freilich Vorsicht geboten: Jede Monopolisierung geht zulasten der aktuellen und potentiellen örtlichen Konkurrenten, denen es grundsätzlich freistehen muss, ihre Produkte mit dem Hinweis auf örtliche Provenienz feilzubieten. Auch die Umwandlung von der geografischen Herkunftsbezeichnung zur betrieblichen Herkunftsangabe ist daher richtigerweise erst vollzogen, wenn
_____ 1264 1265 1266
853
Eingehend Bornkamm GRUR 2011, 1, 4. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.273. BGH 13.7.1973 – I ZR 30/72 – GRUR 1974, 337, 338 f. = WRP 1973, 471, 473 f. – Stonsdorfer.
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
nur noch ein unerheblicher Teil des relevanten Verkehrs in der Angabe einen Hinweis auf die geografische Herkunft der beworbenen Ware erblickt.1267 Verbindet der Verkehr mit der Herkunft aus dem Referenzbetrieb besondere, langjährig gewachsene Gütevorstellungen kann freilich auch bereits eine Minderheitsfehlvorstellung lauterkeitsrechtlichen Schutz nach § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 auslösen: Das allgemeine Freihaltebedürfnis rechtfertigt keine Täuschung eines Verkehrsteils.1268 Kasuistik: Mit Blick auf den anerkannt hohen Qualitätsstandard von Fabrikaten der Klepperwerke/Rosenheim rechtfertigte bereits der Umstand, dass ein nicht unerheblicher Teil der Verbraucherschaft mit der Bezeichnung „Rosenheimer Gummimäntel“ Produktherkunft aus dem Hause Klepper verband, ein Verbot der einschlägigen Bezeichnung.1269 585
cc) Umwandlung von betrieblichen Herkunftsbezeichnungen zu Gattungsbezeichnungen. So wie Gattungsbezeichnungen zu betrieblichen Herkunftsangaben werden können (Rn. 582), kann es umgekehrt auch zu einer Umwandlung einer Individualherkunftsangabe zur bloßen Gattungsbezeichnung, ja selbst zur Rückentwicklung einer betrieblichen Herkunftsangabe zum schlichten Gattungshinweis kommen. Frei verwendbar wird die bisherige Herkunftsangabe freilich erst, wenn das Neuverständnis Mehrheitsverständnis geworden ist.
586
dd) Verbot der konkreten Irreführungsform trotz allgemeiner Bezeichnungsverwendungsbefugnis. Dass eine Bezeichnung (noch) im Gemeingebrauch aller Mitbewerber bzw. sämtlicher örtlicher Konkurrenten steht, bedeutet nicht, dass jede konkrete Verletzungsform verbotsfest ist: Wie der Gleichnamige ist auch der Gemeingebrauchsberechtigte gehalten, im Rahmen des Zumutbaren allfällige Irreführungsgefahren durch die konkrete Bezeichnungsgestaltung, wenn schon nicht auszuschließen, so doch zu minimieren.
l) Geschäftliche Relevanz. Fehlvorstellungen über die betriebliche Herkunft auslösende Angaben sind nach allgemeinen Grundsätzen (s. Rn. 238 ff.) normrelevant, wenn sie das wirtschaftliche Verhalten des angesprochenen Verkehrs beeinflussen können. Entsprechende Relevanz haben allemal sog. qualifizierte Herkunftsangaben, d.h. Ursprungsangaben, mit denen der Verkehr besondere Gütevorstellungen verbindet. Die einschlägige Positivassoziation muss dabei nicht rational begründbar sein. Es reicht aus, wenn der Verkehr mit der gewählten Bezeichnung erfahrungsbedingt eine allgemeine Wertschätzung verknüpft. Kasuistik: Eine qualifizierte Herkunftsangabe bejaht wurde u.a. für das Zeichen „AEG“1270 oder das Bildzeichen „Illing mit der Hellebarde“,1271 demgegenüber etwa verneint für die (Waschmittel-)Bezeichnung „Standard“.1272 588 Dass dem Kunden letztlich minderwertige Ware untergeschoben wird, ist kein Relevanzerfordernis:1273 Das Sich-dem-Angebot-Zuwenden beruht allemal auf Täuschung. Auch für gute Ware darf nicht mit fremden Federn geworben werden. 587
_____ 1267 1268 1269 1270 1271 1272 1273
Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.274. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.275 f. BGH 17.9.1957 – I ZR 105/56 – GRUR 1958, 39 – Rosenheimer Gummimäntel. RG 17.5.1939 – II 193/38 – MuW 1940, 4. BGH 22.2.1952 – I ZR 117/51 – BGHZ 5, 189, 196 = GRUR 1952, 577, 581 – Zwillinge. RG 8.7.1943 – II 38/43 – RGZ 171, 159. Zutreffende Klarstellung: Harte/Henning/Dreyer C Rn. 230.
Lindacher/Peifer
854
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
12. Testergebnisse Schrifttum Amschewitz Die Nachprüfbarkeit der Werbung mit selbst durchgeführten Studien, WRP 2013, 571; Assmann/Kübler Testhaftung und Testwerbung, ZHR 142 (1978), 413; Brinkmann Zur Problematik der Werbung mit Testergebnissen, BB 1978, 1285; Fezer Testwerbung, GRUR 1976, 472; Franz Vergleichender Warentest, WRP 2015, 1425; ders. Werbung mit Testergebnissen, WRP 2016, 439; Hart/Silberer Werbung mit Testergebnissen der Stiftung Warentest, GRUR 1983, 691; Hart Warentest, Preisvergleich und Testwerbung – Zur neuen delikts- und wettbewerbsrechtlichen Entwicklung in der Rechtsprechung, WRP 1986, 515; Koppe/Zagouras Rechtsprobleme der Testwerbung, WRP 2008, 1035; Lindacher Testsieger-Werbung, WRP 2014, 140; Nieschalk Verbraucherbefragung als „Test“, NJ 2018, 269; Rehart Werbung mit im Ausland erzielten Testergebnissen, MMR 2017, 594; Wieddekind Praktische Hinweise zur Werbung mit Testergebnissen, GRUR-Prax 2013, 440; Will Warentest und Werbung, 1968.
a) Allgemeines. Ein besonders probates Mittel produktbezogener Werbung ist die 589 Werbung mit (positiven) Testergebnissen, insonderheit mit Testergebnissen der Stiftung Warentest: Der Werbende reklamiert Qualitätsfeststellung durch eine neutrale, sachkompetente Instanz. Die grundsätzliche Zulässigkeit einschlägiger Werbung steht heute – zu Recht – außer Frage. Das Lauterkeitsrecht hat lediglich Missbrauchspraktiken zu steuern. Unter Irreführungsgesichtspunkten darf Testwerbung insbesondere keine nicht 590 gegebene Rangstellung vortäuschen (Rn. 592 ff.), Fehlvorstellungen über die Aktualität des Tests wecken (Rn. 595 ff.), über den Testveranstalter sowie dessen Sachkunde und Neutralität irreleiten (Rn. 602 f.), die Erwartung einer gewissen Repräsentativität der Testaussagen enttäuschen (Rn. 604), Fehlannahmen hinsichtlich der inhaltlichen Ausrichtung des Tests fördern (Rn. 612) oder durch die Verkürzung auf Teilaussagen einen Gesamteindruck vermitteln, der dem Gesamturteil des Tests widerstreitet (Rn. 610 ff.).1274 Allemal irreführend ist die Werbung mit positivem Testergebnis, wenn die testende Stelle ihre gute Beurteilung zwischenzeitlich wegen des Ergebnisses einer Nachuntersuchung des Produkts zurückgezogen hat.1275 Soweit die Testwerbung den Tatbestand vergleichender Werbung erfüllt, unterfällt 591 sie auch den Zulässigkeitsschranken nach § 6 Abs. 2. Dabei kommt freilich der Beurteilungsspielraum des Testveranstalters mittelbar auch dem mit dem Test Werbenden zugute. Erfüllt der Testveranstalter die Voraussetzungen Neutralität und hinreichende Sachkunde (wie dies insbesondere, aber keineswegs nur bei der Stiftung Warentest der Fall), beschränkt sich die richterliche Objektivitätskontrolle (§ 6 Abs. 2 Nr. 2) auf eine Vertretbarkeitskontrolle. Es genügt, wenn die Prüfmethoden, die Auswahl der Testobjekte und die Auswertung der Testergebnisse vertretbar sind. b) Irreführung über die Rangzugehörigkeit. Wer für ein Produkt unter Hinweis 592 auf einen vergleichenden Waren-/Dienstleistungstest mit der im Rahmen desselben zuerkannten Testnote „sehr gut“ bzw. „gut“ wirbt, trifft damit nach der Verkehrsanschauung eine Doppelaussage: Er stellt nicht nur heraus, dass die Ist-Beschaffenheit des beworbenen Produkts in hohem Maße der im Testprogramm vorgegebenen Sollbeschaffenheit entspricht, erweckt vielmehr (s. bereits Rn. 156) auch die Vorstellung positiver Bewertung in Relation zu den getesteten Konkurrenzprodukten: Zusatzlose Werbung
_____
1274 1275
855
Zusammenfassend Franz WRP 2016, 439. OLG Zweibrücken 24.5.2012 – 4 U 17/10 – WRP 2012, 1136.
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
mit der Gesamtnote „sehr gut“ soll jedenfalls Spitzengruppenzugehörigkeit behaupten,1276 zusatzlose Werbung mit der Gesamtnote „gut“ lässt zwar nicht notwendig einen Spitzengruppenrang, 1277 aber (eindeutige) Überdurchschnittlichkeit 1278 erwarten. Die Marktentscheidungsrelevanz der Angabe soll entfallen, wenn in einem engen Spitzenfeld nur minimale Bewertungsunterschiede bestehen, auf die nicht gesondert hingewiesen wird.1279 Sollte ein Teil des relevanten Verkehrs mit der Notenbenennung „gut“ – wider Erwarten – weitergehende Rangvorstellungen verbinden, wäre aus Interessenabwägungsgründen (allgemein: Rn. 268 ff.) gleichwohl Tolerierung angezeigt: Werbende, deren Produkte nicht mit einem Spitzengruppenrang bedacht wurden, würden in aller Regel lieber auf den Testnotenhinweis verzichten als offenbaren, dass eine größere Zahl von Konkurrenzprodukten (noch) besser beurteilt wurde. Dem umworbenen Verkehr würde eine wichtige Information vorenthalten. 593 Ob ein mit der Note „gut“ bewertetes Produkt rangmäßig (noch) als überdurchschnittlich anzusehen ist oder nicht, beurteilt die Rechtsprechung1280 am Maßstab des arithmetischen Mittels der Gesamtnoten aller getesteten Produkte: Entscheidend sei, ob die – gegebenenfalls im Wege der Auf- und Abrundung gewonnenen – Gesamtnote des beworbenen Produkts über oder unter dem Gesamtnotendurchschnitt liegt. Ein solches Verfahren hat den Vorzug der Einfachheit und liefert in aller Regel durchaus sachgerechte Ergebnisse. In Grenzfällen sowie bei signifikant häufigem Auftreten der Testnote „gut“ erscheint indes eine exakte Ausmittlung des Rangplatzes unter Berücksichtigung allfälliger Gesamtnotentendenzen unverzichtbar: Würde etwa die Testnote „sehr gut“ zweimal, die Testnote „befriedigend“ einmal vergeben, während alle anderen Produkte mit „gut“ bewertet wurden, darf für ein Produkt, das ausweislich diverser Teilnoten den mit „sehr gut“ bewerteten Produkten qualitativ am nächsten kommt, richtigerweise zusatzlos mit dem Testergebnis „gut“ geworben werden. Wurden die getesteten Produkte ganz überwiegend mit „gut“, einige wenige mit „befriedigend“ (oder schlechter) bewertet, sollte nicht bezweifelt werden, dass das Produkt, das unter allen mit „gut“ bewerteten Produkten die schlechtesten Teilnoten erzielte, nicht zusatzlos mit dem Hinweis „Test gut“ beworben werden darf. Kasuistik: Die Irreführungseignung einer zusatzlosen Werbung mit der Testnote „gut“ wurde bejaht: bei einem Kamera-Test der Stiftung Warentest, bei dem zehnmal das Prädikat „sehr gut“, elfmal die Note „gut“ und einmal die Note „zufriedenstellend“ vergeben wurde,1281 ferner bei einem Weichspüler-Test mit der Ergebnisstreuung von dreimal „sehr gut“, achtzehnmal „gut“ und einmal „mangelhaft“.1282 Verneint wurde die Gefahr der Irreführung hingegen: bei einem Nähmaschinen-Test, bei dem zehn Produkte mit „gut“ und ein Produkt mit „zufriedenstellend“ bewertet wurden.1283
_____
1276 Weitergehend OLG Hamburg 27.6.2013 – 3 U 142/12 – GRUR-RR 2013, 437 – Spitzentrio; OLG Frankfurt 31.1.1985 – 6 U 175/81 – WRP 1985, 495, 496; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 314; vgl. auch Fezer/Peifer Rn. 326; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.283; Lindacher WRP 2014, 140. 1277 A.A. freilich noch KG 19.2.1980 – 5 U 468/79 – GRUR 1980, 728, 730 sowie Brinkmann BB 1983, 91, 93. 1278 BGH 11.3.1982 – I ZR 71/80 – GRUR 1982, 437, 438 = WRP 1982, 413 f. – Test gut m. Anm. Kessler/ Müller; OLG Koblenz 27.5.1982 – 6 U 730/81 – WRP 1982, 484, 485 f.; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 314; Harte/Henning/Weidert C Rn. 267. A.A. Götting/Nordemann Rn. 1.177 sowie Schünemann 145 f.: ein „gut“ bleibe auch dann ein „gut“, wenn andere ein „sehr gut“ erzielt haben. 1279 OLG Hamburg 14.11.2013 – 3 U 52/13 – GRUR-RR 2014, 160 f – „GUT 1,9“. 1280 BGH 11.3.1982 – I ZR 71/80 – GRUR 1982, 437, 438 = WRP 1982, 413 f. – Test gut; OLG Koblenz 27.5.1982 – 6 U 730/81 – WRP 1982, 484, 486; OLG Köln 4.3.1983 – 6 U 191/82 – WRP 1983, 577, 578. 1281 BGH 11.3.1982 – I ZR 71/80 – GRUR 1982, 437 = WRP 1982, 413 – Test gut. 1282 OLG Koblenz 27.5.1982 – 6 U 730/81 – WRP 1982, 484. 1283 OLG Köln 4.3.1983 – 6 U 191/82 – WRP 1983, 577, 578.
Lindacher/Peifer
856
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
Das Produkt, das bei einem Test am besten abgeschnitten hat, darf selbst dann als 594 „Testsieger“ bezeichnet werden, wenn der Vorsprung gegenüber der Konkurrenz nur gering war:1284 Der Werbende berühmt sich der Spitzenstellung im Test, einer Spitzenstellung, die ihm nicht mehr genommen werden kann. Im Grundsatz darf auch das Produkt, das seinen Spitzenplatz mit einem Konkurrenzprodukt teilt, als „Testsieger“ bezeichnet werden: Der Verkehr kann in ex aequo-Fällen – wie im Sport – den geteilten Spitzenplatz als „Siegerplatz“ sehen,1285 klarer ist jedoch ein Hinweis auf den Umstand. Die Verwendung des Plurals eröffnet einzelfallweise auch Unternehmen, deren Produkte Spitzengruppenbewertungen erzielten, die „Testsieger“-Werbung: Die Werbeaussage, in einem Test „als eines von nur drei Instituten“ die Note „gut“ erhalten zu haben und „damit zu den Testsiegern zu gehören“, ist nicht deshalb irreführend, weil das Testergebnis nicht nur ein Endprädikat ausweist, sondern auch Ziffern mit Stellen hinter dem Komma, bei deren Berücksichtigung das in Rede stehende Produkt nur den zweiten Platz erreicht hat. „Zu den Testsiegern gehörend“ soll sich als auf dem „Siegerpodest“ stehend auch der Zweitplatzierte bezeichnen dürfen.1286 Auch hier ist ein Hinweis auf den Umstand zu bevorzugen. c) Veraltete Tests aa) Grundsatz. Werbeaussagen werden im Verkehr mangels gegenteiliger Anhalts- 595 punkte als Aussagen über gegenwärtige Verhältnisse verstanden. Für die Testwerbung heißt dies: Der in Bezug genommene Test darf nicht überholt sein. Diesen Grundsatz hat der BGH jüngst relativiert und gemeint, die Werbung mit einem älteren Testergebnis sei zulässig, wenn der Zeitpunkt der Veröffentlichung des Testergebnisses kenntlich gemacht wird.1287 Das erscheint jedenfalls als pauschale Regelung zweifelhaft und allenfalls produktbezogen vertretbar, wenn der ältere Test noch den Standard der Produktqualität (in casu: Kaffee-Pads) reflektiert. bb) Neuere Testergebnisse. Testwerbung ist wegen Inaktualität des in Bezug ge- 596 nommenen Tests allemal irreführend, wenn neuere Testergebnisse desselben Testveranstalters vorliegen.1288 Zwischenzeitliche Tests, die sich auf dieselbe Warengattung, aber ein anderes Preissegment beziehen, sind dabei für sich betrachtet freilich unschädlich.1289 Der alte Test wird aber zum veralteten, wenn der jüngere Test und dessen Erläuterungen die alten Teststandards als überholt erscheinen lassen.1290 Neuere Tests anderer Testveranstalter lösen hingegen grundsätzlich keine Verwendungssperre aus:1291 Der Verkehr weiß, dass sich die Ergebnisse von Paralleltests verschiedener Veranstalter keineswegs immer völlig decken, entnimmt deshalb dem Hinweis auf das Ergebnis eines
_____
1284 BGH 13.2.2003 – I ZR 41/00 – GRUR 2003, 800, 802 = WRP 2003, 1111, 1113 – Schachcomputerkatalog; OLG München 20.4.1989 – 29 U 2356/89 – GRUR 1990, 134; Harte/Henning/ Weidert C Rn. 265. 1285 BGH 13.2.2003 – I ZR 41/00 – GRUR 2003, 800, 802 = WRP 2003, 1111, 1113 – Schachcomputerkatalog; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 314. A.A. Koppe/Zagouras WRP 2008, 1035, 1037. 1286 OLG Köln 28.5.2008 – 6 U 19/08 – GRUR-RR 2009, 73 f. 1287 BGH 15.8.2013 – I ZR 197/12 – WRP 2014, 67 Tz. 8 – Testergebnis-Werbung für Kaffee-Pads. 1288 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 316; Harte/Henning/Weidert C Rn. 271; RWW/Sack 3.2 Rn. 828; Hart WRP 1986, 515, 522. 1289 OLG Frankfurt 4.9.2003 – 6 U 174/02 – GRUR-RR 2003, 344. 1290 OLG Stuttgart 2.11.2006 – 2 U 58/06 – GRUR 2007, 435, 436. 1291 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 316; Harte/Henning/Weidert C Rn. 276; RWW/Sack 3.2. Rn. 828; Koppe/Zagouras WRP 2008, 1035, 1040.
857
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
bestimmten Tests nicht die Aussage, dass andere, vergleichbare Produktprüfungen zu keinem nennenswerten Abweichungen geführt haben. Mit erheblichen Divergenzen wird er freilich kaum rechnen. Kommt ein seriöses Testinstitut zu deutlich ungünstigeren Ergebnissen, führt die vorbehaltlose Werbung mit dem älteren, günstigeren Test deshalb wohl auch hier irre.1292 Die Angabe des Testdatums ist im Allgemeinen nicht geeignet, eine einschlägige Ir597 reführungsgefahr auszuräumen. Anderes mag dann gelten, wenn die beworbene Ware zusätzlich erkennbar als nicht mehr der aktuellen Kollektion zugehörig gekennzeichnet wird. Kasuistik: Keine Irreführung durch Werbung mit älteren Testergebnissen liegt vor, wenn die beworbene Ware als „Restposten“ bezeichnet wird.1293 cc) Änderung des Stands der Technik. Aktualitätserwartung des Verkehrs bedeutet bei technischen Produkten vor allem: keine technische Veralterung des getesteten Produkts, keine innovationsbedingte Überholung der Teststandards und Prüfmethoden.1294 Der Verkehr weiß zwar um das Phänomen der Produktfortentwicklung und rechnet deshalb auch durchaus mit gewissen Verbesserungen der mitgetesteten Konkurrenzerzeugnisse. Wo die Aufsummierung solcher Verbesserungen zu einer anderen Qualitätsstufe führt, schlägt erlaubte informative Testwerbung im Zeitablauf indes in Irreführung um. Vollzieht sich der technische Wandel in Sprüngen, verliert ausnahmsweise selbst ein relativ zeitnaher Test seine Aktualität. 599 Soweit der Test durch material- oder produktionstechnische Entwicklung überholt ist, bleibt die Werbung mit ihm auch dann irreführend, wenn der Werbende das Testdatum anführt.1295 Anderes mag dann gelten, wenn die beworbene Ware zusätzlich erkennbar als nicht mehr dem aktuellen Angebot zugehörig gekennzeichnet wird. Kasuistik: Keine Irreführung durch Werbung mit älteren Testergebnissen unter Benennung des Testdatums, wenn die beworbene Ware (im Entscheidungsfall: Matratzen) als „Restposten“ bezeichnet wird.1296
598
600
dd) Änderung des wettbewerblichen Umfelds. Orientiert sich der Test am Stand der Technik, wird das auf das beworbene Produkt bezogene (absolute) Qualitätsurteil bei im Wesentlichen unverändertem Technikstand nicht dadurch in Frage gestellt, dass die mitgetesteten Produkte verbessert werden und/oder neue Produkte auf dem Markt erscheinen. Zumindest dann, wenn das Testdatum nicht genannt wird, droht hier bei älteren Tests freilich eine Irreführung über den Qualitätsrang:1297 Die Testwerbung enttäuscht die Erwartung, die jeder Werbung mit Ergebnissen vergleichender Warentests innewohnende Relationsaussage sei von einer gewissen Mindestaktualität. Offenbarung des Testalters mag dem einschlägigen Irrtum hingegen vorbeugen: Es sprich vieles dafür, dass der Verkehr die Qualitätsaussage auf den benannten Testzeitpunkt bezieht.
601
ee) Zeitablauf als solcher. Aus dem vorab Konstatierten ergibt sich in der Zusammenschau: Jedenfalls bei Kenntlichmachen des Testdatums ist Zeitablauf per se kein
_____
1292 Gl.A. RWW/Sack 3.2. Rn. 828. 1293 OLG Stuttgart 2.11.2006 – 2 U 58/06 – GRUR-RR 2007, 435, 436. 1294 OLG Düsseldorf 2.7.1981 – 2 U 169/80 – GRUR 1981, 750, 751; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 315. 1295 Zutreffende Klarstellung: RWW/Sack 3.2. Rn. 828. 1296 OLG Frankfurt 4.9.2003 – 6 U 174/02 – GRUR-RR 2003, 344. 1297 S. auch OLG Düsseldorf 2.7.1981 – 2 U 169/80 – GRUR 1981, 750, 751 sowie RWW/Sack 3.2. Rn. 827.
Lindacher/Peifer
858
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
Irreführungsgrund. 1298 Bedeutung wird man dem Zeitablauf freilich beweisrechtlich beizumessen haben: Wer mit einem signifikant älteren Test wirbt, ist im Streitfall beweispflichtig dafür, dass Produkt und Testmethode noch dem Stand der Technik entsprechen. Kasuistik: Selbst eine Werbung mit einem acht Jahre alten Test (hier: Test der Stiftung Warentest für Leichtmetall-Jalousien) ist nicht zu beanstanden, wenn der Zeitpunkt der Testveröffentlichung erkennbar gemacht wird, das angebotene Produkt gleich dem geprüften ist, Produkt und Testmethode technisch nicht überholt sind und auch keine neueren Prüfergebnisse vorliegen.1299 d) Irreführung über den Testveranstalter. Da es Testveranstalter unterschiedli- 602 cher Kompetenz und Seriosität gibt, spielt es für den umworbenen Verkehr eine wesentliche Rolle, wer den in Bezug genommenen Test durchgeführt hat. Testwerbung darf insbesondere nicht ohne Angabe des Testveranstalters betrieben werden, wenn dieser nicht die Stiftung Warentest war: Erhebliche Verkehrsteile schreiben unbenannte „Tests“ dieser Einrichtung zu und verbinden mit der Zuordnung gesteigerte Erwartungen hinsichtlich der Objektivität und Zuverlässigkeit der Testergebnisse.1300 e) Irreführung über die Neutralität und Sachkunde. Vergleichende Warentests 603 beanspruchen ihrem Wesen nach Neutralität und Sachkunde des Testveranstalters: Der Verkehr schenkt Testergebnissen auch und nicht zuletzt deshalb Beachtung, weil er von der sachlichen und persönlichen Unbefangenheit des Testers ausgeht. Er erwartet – auch bei ihm weniger bekannten Testveranstaltern – einen Mindeststandard an Sachkunde.1301 Dem Einsatz untauglicher Prüfer steht die Testdurchführung nach einem sachlich nicht vertretbaren Prüfkonzept gleich.1302 Auf Testergebnisse Dritter, die neutral und unabhängig zustandegekommen sind, darf der Werbende aber hinweisen, sofern der Inhalt der Auszeichnung zutreffend wiedergegeben wird.1303 Kasuistik: In einem Test verschiedener überregionaler Lohnsteuerhilfevereine kann eine auf die jeweilige Gesamtorganisation bezogene Aussage nicht auf das Ergebnis der Prüfung einzelner Beratungsstellen gestützt werden, wenn dieses in hohem Maße von der persönlichen Qualifikation und der Einsatzbereitschaft des jeweils vor Ort tätigen Beraters abhängt.1304 Wer die im Testergebnis Dritter verwendete Formulierung „Testsieger“ lediglich übernimmt, darf dies tun und muss die Richtigkeit der darin liegenden Behauptung nicht selbst darlegen und beweisen.1305
_____
1298 Emmerich § 15 Rn. 57; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.282; Götting/Nordemann Rn. 1.178. 1299 BGH 2.5.1985 – I ZR 200/83 – GRUR 1985, 932, 933 = WRP 1985, 486, 487; anders aber wohl BGH 15.8.2013 – I ZR 197/12 – WRP 2014, 67 Tz. 8 – Testergebnis-Werbung für Kaffee-Pads (oben Rn. 595). 1300 OLG Koblenz 28.9.1978 – 6 U 1388/76 – WRP 1979, 747, 748; RWW/Sack 3.2. Rn. 835; Hart WRP 1986, 515, 522. 1301 BGH 24.1.2019 – I ZR 200/17 – GRUR 2019, 631 Tz. 68 – Das beste Netz; Fezer/Büscher/Obergfell/ Peifer Rn. 325a; Harte/Henning/Weidert C Rn. 243; Koppe/Zagouras WRP 2008, 1035, 1036. 1302 BGH 7.7.2005 – I ZR 253/02 – GRUR 2005, 877, 880 = WRP 2005, 1242, 1244 ff. – Werbung mit Testergebnissen; OLG Stuttgart 5.4.2018 – 2 U 99/17 – WRP 2018, 878 Tz. 73. 1303 BGH 24.1.2019 – I ZR 200/17 – GRUR 2019, 631 Tz. 69 – Das beste Netz. 1304 BGH 7.7.2005 – I ZR 253/02 – GRUR 2005, 877, 880 = WRP 2005, 1242, 1244 ff. – Werbung mit Testergebnis. 1305 BGH 24.1.2019 – I ZR 200/17 – GRUR 2019, 631 Tz. 69 – Das beste Netz m. Anm. Onken GRUR-Prax 2019, 253.
859
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
604
f) Irreführung über die Repräsentativität. Der Verkehr erwarte nicht, dass sämtliche auf dem Markt befindliche Angebote in den Test eingeschlossen wurden, weiß dass von testenden Unternehmen gemeinhin eine Auswahl getroffen wird. Die getroffene Auswahl muss freilich von hinreichender Repräsentativität sein.1306 Kasuistik: Die Bewerbung eines Produkts als „Testsieger“ verstößt gegen § 5, wenn nicht darauf hingewiesen wird, dass lediglich vier von ca. 30 in Betracht kommenden Produkten einbezogen worden sind.1307
605
g) Irreführung über das getestete Produkt. Testwerbung ist irreführend, wenn sie den Eindruck günstiger Beurteilung von Produkten erweckt, die gar nicht getestet wurden.1308
606
aa) Verallgemeinerung eines Einzelergebnisses. Die positive Bewertung eines Produkts erlaubt keine Werbeaussage, die eine positive Beurteilung der Gesamtproduktpalette des Herstellers suggeriert.1309 Werden mehrere Produkte beworben, muss bei einem Testhinweis das getestete Produkt eindeutig zu identifizieren sein.1310 Werden lediglich Testergebnisse zu Einzelmerkmalen des Produktes herausgestellt, so ist dies irreführend, wenn ein schlechteres Gesamtergebnis hierdurch kaschiert wird.1311 Keine Irreführung liegt nur vor, wenn auch das Gesamtergebnis die Qualität der Einzelmerkmalsbewertungen erzielt hat.1312
bb) Produktänderungen. Bei Produktänderungen kommt es zu einer den Tatbestand des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 erfüllenden Identitätstäuschung, wenn das derzeitige, beworbene Produkt sich als aliud gegenüber dem getesteten darstellt. Modifikationen, die das Produkt als verbessertes Identprodukt erscheinen lassen, bleiben unschädlich.1313 Kasuistik: Wird für ein Arzneimittel mit Ergebnissen einer vergleichenden Studie geworben, ist der Werbevergleich irreführend, wenn sich durch die Zulassung des beworbenen Arzneimittels für eine höhere Tagesdosis die tatsächlichen Grundlagen der Studie wesentlich verändert haben und auf diesen Umstand nicht deutlich hingewiesen wird.1314 Bei der Grenzziehung gilt es den Deutungsprimat des Testveranstalters zu achten: 608 Die Testwerbung für eine Nuss-Nougat-Creme, deren Rezeptur nach dem Test geändert wurde, ist unzulässig, weil die für das Testergebnis wesentliche Sensorikbewertung zum domaine réservé des Testveranstalters zählt.1315 Wer sein Produkt dahin verändert, dass der Grund zur Abstufung in einem Teilbereich ausgeräumt wird, darf hingegen nach wie vor mit der positiven Gesamtnote werben.1316 607
_____
1306 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.288; Emmerich § 15 Rn. 57. 1307 KG 14.7.1998 – 5 U 5008/97 – GRUR 1999, 192. 1308 OLG Koblenz 27.3.2013 – 9 U 1097/12 – WRP 2013, 922, 923 – Prüfsiegel. 1309 RWW/Sack 3.2. Rn. 831; Brinkmann BB 1978, 1285, 1288. 1310 Brinkmann aaO. 1311 OLG Frankfurt 20.9.2018 – 6 U 127/17 – WRP 2018, 1499 Tz. 30; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 5 Rn. 2.281; Franz WRP 2016, 439, 441. 1312 OLG Celle 19.5.2005 – 13 U 22/05 – GRUR-RR 205, 286. 1313 Koppe/Zagouras WRP 2008, 1035, 1040 f. 1314 OLG Hamburg 28.10.1999 – 3 U 144/99 – GRUR 2000, 530, 532. 1315 Richtig: OLG Düsseldorf 10.5.1984 – 2 U 215/83 – GRUR 1984, 603, 604. 1316 BGH 7.7.2005 – I ZR 253/02 – GRUR 2005, 877, 879 = WRP 2005, 1242, 1246: Änderung der Verpackung eines Waschmittels durch Wahl einer vom Testveranstalter unter Umweltgesichtspunkten vorteilhafter eingeschätzten Verpackungsart.
Lindacher/Peifer
860
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
cc) Baugleichheit. Bei technischer Baugleichheit des beworbenen Produkts mit ei- 609 nem getesteten und positiv beurteilten Produkt darf nicht der unzutreffende Eindruck vermittelt werden, das Testprädikat sei jenem selbst zuerkannt worden.1317 h) Selektive Testwerbung. Der Werbende kann sich auf die Wiedergabe der Ge- 610 samtnote und/oder bestimmter Einzelbewertungen beschränken. Dass der Werbende nach den „Bedingungen der Stiftung Warentest“ stets (auch) ein veröffentlichtes zusammenfassendes Qualitätsurteil anzugeben hat, betrifft nur das Binnenverhältnis Werbender – Stiftung.1318 Selektive Testwerbung darf freilich keinen falschen Gesamteindruck vermitteln. Mit bloßen Teilaussagen darf nur geworben werden, wenn sie dem Gesamturteil zumindest näherungsweise entsprechen.1319 Kasuistik: Wer für seine Kaffeemaschine in einem Test, bei dem das Kaffeearoma mit 85% als wichtigstes Einzelmerkmal in das Gesamturteil eingeht, zusammen mit vier anderen das Spitzenergebnis „gut“ erzielt hat, hinsichtlich des Einzelmerkmals Aroma als einziger das Prädikat „sehr gut“ erhalten hat, darf sein Produkt auch ohne Benennung des Gesamturteils mit dem Hinweis „Stiftung Warentest sehr gut für Kaffeearoma“ bewerben.1320 Wer für eine verbesserte Matratze nach einem negativen Testergebnis unter Bezugnahme auf dieses Testergebnis wirbt, darf nicht nur ein „Teil-Testergebnis“ ohne Angabe des (früheren) Gesamtergebnisses angeben.1321 Umschließt der Test verschiedene Produkte eines Herstellers, steht es demselben 611 allemal frei, die Werbung auf im Test günstig beurteilte Produkte zu beschränken. Wird ein Artikel, der beim Test eines Testveranstalters weniger günstig abgeschnitten hat, im Test eines anderen Testveranstalters positiv bewertet, kann der Hersteller grundsätzlich je mit dem günstigen (Teil-)Ergebnis werben. Steht das positive Urteil in krassem Widerspruch zur Einschätzung des anderen Testveranstalters, erwartet der Verkehr freilich wohl einen klarstellenden Hinweis. Kasuistik: Hat die Vollversicherung einer privaten Krankenversicherung bei einem Test der Stiftung Warentest das Gesamturteil „mangelhaft“ erhalten, die Zusatzversicherung desselben Unternehmens hingegen die Bewertung „sehr gut“, ist es unbedenklich, dass die Krankenversicherung für die Zusatzversicherung mit dem Testergebnis der Stiftung Warentest, für die Vollversicherung hingegen mit dem guten Ergebnis einer Untersuchung eines Wirtschaftsmagazins wirbt (hinsichtlich der Zulässigkeit der Vollversicherung zweifelhaft).1322 i) Irreführung über die inhaltliche Testausrichtung. In der inhaltlichen Testaus- 612 richtung ist der Testveranstalter weitgehend frei. Der Werbende profitiert von dieser Freiheit. Die Mitberücksichtigung bestimmter produktbezogen zentraler Parameter wird freilich vom Verkehr allemal erwartet.1323
_____
1317 OLG Köln 11.7.2003 – 6 U 209/02 – GRUR-RR 2004, 57 (Ls) = NJOZ 2003, 3311; OLG Zweibrücken 18.9.2008 – 4 U 38/07 – WRP 2008, 1476, 1477; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.285; Harte/Henning/ Weidert C Rn. 263. 1318 OLG Celle 19.5.2005 – 13 U 22/05 – GRUR-RR 2005, 286; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 314; Harte/Henning/Weidert C Rn. 275. 1319 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.281; Harte/Henning/Weidert C Rn. 275; Götting/Nordemann Rn. 1.182; Hart WRP 1986, 522. 1320 OLG Celle 19.5.2005 – 13 U 22/05 – GRUR-RR 2005, 286. 1321 LG Frankfurt/M. 14.6.2017 – 2-03 O 36/17 – Beck-RS 2017, 120822 Tz. 24. 1322 OLG München 4.11.1999 – 29 U 3092/99 – VersR 2000, 909. 1323 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 313; Ohly/Sosnitza Rn. 420; Götting/Nordemann Rn. 1.179.
861
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
Kasuistik: Bei einem Test für Kosmetika erwartet der Durchschnittsverbraucher, dass die Gesamtnote auch und nicht zuletzt mit Blick auf das Ergebnis einer Wirksamkeitsprüfung vergeben wurde. Begrenzung des Prüfumfangs auf gesundheitliche und ökologische Verträglichkeit ist auszuflaggen.1324 613
j) Sonderfall: Konsumenten-Tests. Mit Ergebnissen eines Tests, der die subjektive Einschätzung von Kunden widerspiegelt, darf dann und nur dann geworben werden, wenn das subjektive Moment hinreichend deutlich gemacht wird und die von den Kunden abgegebene Bewertung ausschließlich auf Eigenschaften des beworbenen Produkts beruht, von äußeren Umständen unbeeinflusst bleibt.1325 Eine reine Kundenumfrage darf nicht als Test beworben werden.1326
614
k) Fundstellennachweis. Macht die Testwerbung Mitbewerber oder deren Produkte kenntlich, schuldet der Werbende die Angabe der Fundstelle nach § 6 Abs. 2 Nr. 2: Das Fehlen des Fundstellennachweises erschwert die Überprüfung der Vergleichsaussage auf ebenso unnötige wie gravierende Weise.1327 Jenseits der Fälle vergleichender Werbung die Pflicht zur Fundstellenbenennung schlicht an § 5 festzumachen,1328 erscheint gewagt.1329 Richtig erscheint der Rekurs auf § 5a,1330 wenn und soweit der Testhinweis im Rahmen eines „konkreten Geschäftsangebots“ erfolgt (§ 5a Rn. 49): ein Vorenthalten der Fundstellenangabe schwächt die Fähigkeit zu informierter Geschäftsentscheidung.1331 Im Übrigen sollte man mit „Privilegentzug“ arbeiten: Den mit einem Testergebnis Werbenden vom Nachweis der Richtigkeit der Testaussage zu dispensieren, ist nur gerechtfertigt, wenn die Testaussage mit einem Fundstellenhinweis kombiniert wird. Fehlt es an letzterem sollte die Testaussage gleich einer Eigenbehauptung des Werbenden behandelt werden, dem Werbenden mithin die Verifizierungslast auferlegt werden. 13. Kundendienst und Beschwerdeverfahren
615
a) Allgemeines. Die Aufnahme der Merkmale Kundendienst und Beschwerdeverfahren in den Bezugspunktekatalog des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 trägt der Vorgabe von Art. 6 Abs. 1 lit. b Rechnung. Die Verortung in Nr. 1 zeigt, dass die Regelung vor allem in Bezug auf die jeweilige Ware/Dienstleistung (nicht das Unternehmen oder die Bedingungen der Leistungserbringung) zu sehen ist. Erfasst werden die nachvertraglichen Serviceleistungen. Thematisiert ist, welcher Kundendienst und welche Beschwerdeverfahren existieren und wie diese funktionieren. Der Gesetzgeber wollte vor allem das Angebot einer VorOrt-Hilfe, einer Telefonhotline oder einer Online-Bedienhilfe erfassen. 1332 Irregeführt werden kann über solche Leistungen in der Werbung, aber auch in Form des nachver-
_____
1324 OLG Frankfurt 29.6.2006 – 6 U 103/05 – GRUR-RR 2007, 16, 18. 1325 OLG Köln 10.12.2010 – 6 U 112/10 – WRP 2011, 362, 363. 1326 OLG Köln 7.4.2017 – 6 U 134/16 – GRUR-RS 2017, 109397; OLG Saarbrücken 21.1.2015 – 1 U 100/14 – MD 2014, 356; Nieschalk NJ 2018, 269. 1327 OLG Saarbrücken 7.11.2007 – 1 U 355/07 – GRUR-RR 2008, 312, 313; Köhler/Bornkamm § 6 Rn. 211; Koppe/Zagouras WRP 2008, 1035, 1041 f. 1328 So OLG Hamburg 15.1.2007 – 3 U 240/06 – WRP 2007, 557, 558; Koppe/Zagouras WRP 2008, 1035, 1042. 1329 Kritisch denn auch Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 315. 1330 BGH 21.7.2016 – I ZR 26/15 – GRUR 2016, 1076, 1078 – LGA tested; 8.12.2016 – I ZR 88/16 – MMR 2017, 240 Tz. 11 – Testsiegelwerbung im Internet. 1331 BGH 16.7.2009 – I ZR 50/07 – GRUR 2010, 248 Tz. 31 = WRP 2010, 370 – Kamerakauf im Internet. 1332 BTDrucks. 16/10145, S. 24.
Lindacher/Peifer
862
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
traglichen Verhaltens. Die Marktscheidungsrelevanz einer Irreführung besteht typischerweise darin, dass die Irreführung nicht nur die Marktentscheidung für das Produkt, sondern auch spätere Verhaltensweisen (Anschlusskäufe, Vertragsbindung und Vertragsdauer) beeinflussen kann. Die erhebliche Relevanz versprochener, aber oft nicht oder nur schwer erreichbarer Service-Hotlines ist noch bei weitem nicht in der Gerichtspraxis angekommen, obgleich diese Relevanz angesichts der zunehmenden Auslagerung von Leistungen in virtuelle Serviceumgebungen prägend für die Veränderung der analogen Geschäftswelt ist. Abzugrenzen sind Angaben über Kundendienst und Beschwerdeverfahren von An- 616 gaben über Rechte des Verbrauchers i.S. von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 und über den Umfang der Verpflichtungen des Unternehmers gem. § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 sowie allgemein über die Bedingungen, unter denen eine Ware geliefert oder eine Dienstleistung erbracht wird, § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2. Erfasst ist die Frage, und nur die Frage, ob ein Kundendienst bzw. Beschwerdeverfahren existiert, wer den Kundendienst leistet/Ansprechadressat im Beschwerdeverfahren ist und wie Kundendienst sowie Beschwerdeverfahren funktionieren.1333 Neben dem Desinformationsverbot nach § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 greift gegebenenfalls das 617 Informationsgebot nach § 5a Abs. 2: Dass Existenz und Ausgestaltung des Beschwerdeverfahrens von gesetzlichen Vorgaben abweicht, gilt nach § 5a Abs. 3 Nr. 4 als wesentliche Information. Naheliegend ist es, Angaben über die voraussichtliche Wartezeit in einer Hotline als wesentliche und daher frühzeitig zu kommunizierende Information anzusehen. Im Verhältnis Unternehmer – Verbraucher vorrangig zu prüfen bleiben einschlägige 618 Black-List-Tatbestände: Anh. Nr. 8 bei Erbringung von Kundendienstleistungen in einer anderen Sprache als der Verhandlungssprache, Anh. Nr. 24 bei Erweckung des unzutreffenden Eindrucks, dass ein Kundendienst in anderen Mitgliedstaaten als dem Verkaufsstaat verfügbar ist. b) Kundendienst. Kundendienst meint vornehmlich den nachvertraglichen Servi- 619 ce: den die Wartung, Reparatur, Mängelbeseitigung und Ersatzteilbeschaffungen umschließenden klassischen Vorortservice, aber auch die Hilfe bei der Installation und Bedienung von Geräten, insbesondere über die Schaltung einer Telefonhotline oder einer Online-Bedienhilfe.1334 Vom Wortlaut der Norm nicht ausgeschlossen ist es, Beratungen beim Produkterwerb ebenfalls zu erfassen, zumal solche Beratungen zunehmend die Beratung in Geschäftslokalen ersetzen. Wer eine Kaufberatung online oder durch KaufHotline verspricht, bietet allerdings zudem eine Dienstleistung an, deren Verfügbarkeit in der Werbung, aber auch in der Geschäftsanbahnung zu gewährleisten ist. Wer einschlägige Betreuung verspricht, muss sie – auch in entsprechendem Umfang – leisten. Erwartungsenttäuschung kann darauf basieren, dass ein Kundendienst überhaupt nicht vorhanden ist, zeitlich begrenzt, nicht in der angekündigten Nähe, nicht für die relevante Ware/Dienstleistung, nicht kostenlos, jedenfalls nur zu höheren Kosten zur Verfügung steht.1335 Wird ein „persönlicher Ansprechpartner“ mit Namen und Kontaktdaten versprochen, so muss dieses Angebot tatsächlich erbracht werden. Eine Irreführung soll aber ausscheiden, wenn statt des Genannten tatsächlich ein anderer Mitarbeiter oder externer Dienstleister zuständig ist, weil der Adressat der Mitteilung daraus nicht auf
_____
1333 Harte/Henning/Weidert D Rn. 97. 1334 Harte/Henning/Weidert C Rn. 174; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 326; Ohly/Sosnitza Rn. 309; Götting/Nordemann Rn. 1.138. 1335 Harte/Henning/Weidert C Rn. 175.
863
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
eine Alleinzuständigkeit einer bestimmten Person schließe.1336 Das kann produkt- und situationsbezogen zu hinterfragen sein. Das Kundendienstversprechen muss nicht notwendigerweise explizit erklärt wer620 den, einschlägige Konkludenz darf freilich nicht vorschnell bejaht werden: Wirbt ein Unternehmer mit „Barpreisen ab Lager“, erwartet der hinreichend verständige Durchschnittsverbraucher keinen Kundenservice dahingehend, dass ihm das Gerät nach Hause geliefert und aufgebaut wird, er in die Bedienung eingewiesen wird.1337 Produkterläuterungen in Form von Bedienungsanleitungen zählen nicht zu den Kundendienstleistungen, wenn und soweit sie zum vertraglichen Erfüllungsprogramm gehören. 621
c) Beschwerdeverfahren. Angaben zum Beschwerdeverfahren sind Angaben zum Umgang mit Reklamationen jeder Art: an wen allfällige Reklamationen zu richten sind und wie das einschlägige Verfahren organisiert ist. Sofern Angaben gemacht werden, richtet sich eine etwaige Irreführung nach § 5. Sofern Angaben fehlen, kann es sich um wesentliche Informationen im Sinne des § 5a Abs. 2 handeln.
622
14. Seltenheit und Singularität. Zu den „wesentlichen Merkmalen der Ware“ (und damit unbeschadet der Nichterwähnung im Beispielskatalog von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 erfasst, s. Rn. 306) zählt gegebenenfalls die Seltenheit bzw. Singularität: Auf dem Kunstund Sammlermarkt kommt dem Raritäts-, ja gar Unikatscharakter des angebotenen Objekts in der Kundenwertschätzung ein erheblicher Stellenwert zu. Kasuistik: Wird eine 10 Euro-Münze, die in einer Auflage von 1,8 Millionen Stück hergestellt wurde, mit dem Hinweis „amtlich streng limitiert“ beworben, ist dies irreführend. Der Verkehr erwartet bestenfalls eine Stückzahl von wenigen tausend. Bei einer Auflage im Millionenbereich kann von einer „strengen Limitierung“ nicht mehr die Rede sein.1338 II. Preis, Preisberechnung und besondere Preisvorteile, Vertragsbedingungen, Abs. 1 S. 2 Nr. 2
623
1. Normstruktur im Lichte unionsrechtlicher Vorgaben. Wettbewerb erfolgt auch und zuvörderst als Preiswettbewerb, zumindest in bestimmten Branchen auch als Konditionenwettbewerb. § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 erfasst unter gemeinsamem Dach die einschlägigen Irreführungspraktiken. Die Vorschrift lehnt sich in ihrem ersten, preisbezogenen Teil an Art. 6 Abs. 1 lit. d 624 der RL 2005/29/EG an, der als Bezugsmerkmale den Preis, die Art der Preisberechnung oder das Vorhandensein eines besonderen Preisvorteils nennt. Was das Verhältnis des explizit aufgeführten Merkmals „Anlass des Verkaufs“ (hierzu Rn. 750 ff.) zum Merkmal „Vorhandensein eines besonderen Preisvorteils“ betrifft, stellt sie allerdings in ihrer textlichen Fassung die Dinge nachgerade auf den Kopf: Bei – gebotener – richtlinienkonformer Auslegung sind Angaben über den Geschäftsanlass i.S. von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 eine Untergruppe der Angaben über das Vorhandensein eines besonderen Preisvorteils. Das in § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 hineinzulesende Merkmal „Vorhandensein eines besonderen Preisvorteils“ umfasst neben Preiswürdigkeitsvorstellungen auslösenden Angaben über
_____
1336 BGH 21.4.2016 – I ZR 151/15 – GRUR 2016, 1193 Tz. 27 f. – Ansprechpartner; a.A. Vorinstanz OLG Nürnberg 20.6.2015 – 3 U 2086/14 – GRUR-RS 2015, 11791 – Versichertenbetreuer. 1337 KG 30.3.1965 – 5 W 440/65 – GRUR 1966, 567 – Barpreise ab Lager. 1338 LG Braunschweig 21.12.2011 – 9 O 1286/11 – WRP 2012, 499.
Lindacher/Peifer
864
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
den Geschäftsanlass auch entsprechende Vorstellungen nahelegende Angaben zur Bezugsart und Bezugsquelle. In ihrem zweiten Teil – Merkmal „Bedingungen, unter denen die Waren geliefert 625 oder die Dienstleistungen erbracht werden“ – findet die Vorschrift zwar ein Pendant in Art. 3 lit. b der RL 2006/114/EG, nicht jedoch in der RL 2005/29/EG. Daraus wird zum Teil gefolgert, dass im B2C-Verhältnis ausschließlich die in Art. 6 Abs. 1 lit. d genannten Umstände, also Preis, Preisberechnung und eventueller Preisvorteil, maßgeblich seien.1339 Diese Trennung wäre künstlich, so dass mehr dafür spricht, § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 aus effet utile-Gesichtspunkten auch im Verkehr mit Verbrauchern Geltung zuzusprechen. Geht man davon aus, dass der Katalog der RL 2005/29/EG keine Sperrwirkung entfaltet (oben Rn. 306), steht dem methodisch nichts entgegen. Im Übrigen nennt allerdings auch der nicht abschließend formulierte Art. 6 Abs. 1 lit. b) Umstände, welche die Produktlieferung betreffen, Art. 6 Abs. 1 lit. g) ergänzt Umstände, welche „die Rechte des Verbrauchers“ betreffen.1340 Im Zusammenspiel beider Richtlinienvorgaben ergibt sich damit eine hinreichende Grundlage, § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 insgesamt auch im B2C-Verhältnis für maßgeblich zu halten (vgl. im Übrigen unten Rn. 779 ff.). 2. Irreführung über den Preis a) Allgemeines. Der Bedeutung des Aktionsparameters Preis im Wettstreit um Ge- 626 schäftsabschlüsse trägt das Recht auf mehrfache Weise Rechnung: durch Statuierung auf Preisklarheit zielender Informationsgebote und durch Statuierung auf Preiswahrheit zielender Desinformationsverbote. § 5 erfasst vor allem die Konstellation, dass ein Preis genannt wird oder Preisangaben gemacht werden, aus denen sich eine Preisangabe ergibt oder errechnen lässt. § 5a erfasst die Konstellation, dass eine Preisangabe vorenthalten wird. Wenn ein Preis genannt wird, muss die Angabe zutreffend sein, die Vollständigkeit der Preisangabe kann unter § 5 durchsetzbar sein, wenn der Verkehr unter dem angegebenen Preis einen Endpreis versteht. Über § 3a sanktionierte Preisangabe- und Preisauszeichnungspflichten enthält für 627 den Verkehr mit privaten Letztverbrauchern traditionellerweise die Preisangabenverordnung: Beim Angebot von Waren und Leistungen und bei der Werbung mit Preisangaben hat der Unternehmer Endpreise, bei Krediten den effektiven Jahreszins anzugeben (§§ 1 Abs. 1 S. 1, 6 Abs. 1 PAngV). Parallel und weithin inhaltsgleich verpflichtet § 5a Abs. 2/3 Nr. 3, wiederum für den Business-to-Consumer-Bereich, zur Information: Angaben über Endpreise gelten nach § 5a Abs. 3 Nr. 3 als wesentliche Angaben i.S. von § 5a Abs. 2. Für Flugpreise existiert mit der VO (EG) Nr. 1008/2008 eine Spezialregelung, die in der Praxis – ebenso wie die PAngV1341 – durch § 3a durchgesetzt wird.1342 Ein neues Phänomen betrifft die Erfassung von „dynamischen Preisen“, die bei Internetangeboten auf Portalen häufig vorkommen, allerdings über digitale Preisanzeigtafeln auch im analogen Umfeld zunehmen.1343 Sie können sowohl die Wahrheit als auch Klarheit der Preisgestaltung beeinträchtigen (unten Rn. 660, 670).
_____
1339 Harte/Henning/Weidert D Rn. 101. 1340 Hierauf (Rechte der Verbraucher) stellt ab Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.188 f. 1341 BGH 28.6.2012 – I ZR 110/11 – WRP 2013, 182 Tz. 9 – Traum-Kombi; KG 21.6.2017 – 5 U 185/16 – WRP 2018, 226 Tz. 9 – Lieferservice-Portal. 1342 Vgl. zum Umfang der geschuldeten Endpreisangabe: BGH 21.4.2016 – I ZR 220/14 – GRUR 2016, 716 Tz. 16 – Flugpreise; OLG Dresden 13.11.2018 – 14 U 751/18 – MDR 2019, 279 (Pflichten eines OnlneReisevermittlers zur Endpreisangabe inklusive Gepäckaufgabekosten bei Flugbuchungen). 1343 Dazu Hofmann WRP 2016, 1074; Wenglorz FS Fezer (2016) 957.
865
Lindacher/Peifer
§5
628
Irreführende geschäftliche Handlungen
Spezielle Irreführungsverbote mit Prüf- und Anwendungsvorrang gegenüber § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 finden sich für den Verkehr mit Verbrauchern in der „Schwarzen Liste“: Nach Anh. Nr. 19 sind unwahre Angaben über die Marktbedingungen unzulässig, wenn der Verbraucher dadurch veranlasst werden soll, eine Ware oder Dienstlistung zu weniger günstigen Bedingungen als den allgemeinen Marktbedingungen abzunehmen oder in Anspruch zu nehmen. Angaben über Marktbedingungen sind auch und nicht zuletzt Angaben über das generelle Preisniveau. Nach Anh. Nr. 21 darf eine Ware oder Dienstleistung nicht als gratis, umsonst, kostenfrei oder dergleichen angeboten werden, wenn hierfür gleichwohl Kosten zu tragen sind, ausgenommen davon sind gewisse unvermeidbare Kosten der Kommunikation (u.a. Porto und Telefongebühren). Zu berücksichtigen sein können auch besondere Mindestpreisvorschriften, die sektoral, etwa für berufsgebundende Leistungen, wie diejenigen der Rechtsanwälte gelten. Wird eine Gratisleistung für solche Dienste beworben, so kann ein Verstoß gegen diese sektoralen Vorschriften (z.B. § 49b BRAO) über § 3a zur Unlauterkeit führen.1344 § 5 kann daneben Anwendung finden, wenn der Eindruck erweckt, eine (preisgebundene) Leistung sei insgesamt kostenfrei, obgleich der Beworbene im Falle der Beauftragung im Außenverhältnis Kostenschuldner bleibt, mag auch der Werbende die Übernahme solcher Kosten in Aussicht stellen.1345 b) Preiswerbung im Spiegel allgemeiner Irreführungsverbot-Grundsätze
629
aa) Preiswerbung und Erfordernis einer Angabe i.S. von § 5. Für Preiswerbung gilt in besonderem Maße: Übertreibungen sind häufig. Der Verkehr weiß darum und wird dick auftragende, allgemein gehaltene Preiswürdigkeitsbehauptungen – je nach einschlägiger Branchenübung und situativem Umfeld – von sich aus relativieren (allgemein: Rn. 37). Auch Aussagen, die den Charakter der Übersteigerung auf der Stirn tragen, wird freilich vom Verkehr im Allgemeinen ein informativer Kern zugeschrieben. Sie sind insoweit Angaben i.S. von § 5 und irreführend, wenn nicht einmal die Kernerwartung eingelöst wird (allgemein: Rn. 41). Kasuistik: Die Wendung „irre Preise“ lässt – unbeschadet gewisser „marktschreierischer Züge“ – im Verhältnis zur Konkurrenz wesentlich günstigere Preise erwarten.1346 Wer mit „Superpreisen“ wirbt, weckt die Erwartung einer Preisleistung, die zwar auch von anderen, aber nur wenigen Mitbewerbern erreicht wird.1347 Entsprechendes gilt für eine „Preisknüller“-Werbung1348 oder die Werbeaussage „Preise, die Kopf stehen lassen“.1349 Das Versprechen von „Traumpreisen“ mag der Verkehr als reklamehafte Übertreibung werten; die Erwartung besonders günstiger Preise bleibt aber einzulösen.1350 Auch der Slogan „radikal gesenkte Preise“ wird vom Verkehr nicht nur als Leseanreiz, sondern als sachinformative Angabe verstanden.1351 Die Nennung eines unrealistisch niedrigen Abschlags für einen Stromanbieterwechsel ist irreführende Preisbehauptung.1352
_____
1344 1345 1346 1347 1348 1349 1350 1351 1352
Dazu OLG Köln 26.9.2018 – 6 U 179/17 – WRP 2018, 1119. Dazu OLG Köln 26.9.2018 – 6 U 179/17 – WRP 2018, 1119 Tz. 34. OLG Stuttgart 4.5.1984 – 2 U 48/84 – WRP 1984, 645. OLG München 12.12.1981 – 6 U 3536/80 – WRP 1981, 667 f. OLG München 14.3.1985 – 6 U 1707/84 – WRP 1985, 580 ff. Wettbewerbszentrale DW 1962, 22. OLG Hamm 22.4.1982 – 4 U 356/81 – WRP 1983, 304. BGH 13.7.1979 – I ZR 128/77 – GRUR 1979, 781 m. Anm. Schulze zur Wiesche = WRP 1979, 460. OLG Oldenburg 29.6.2018 – 6 U 184/18 – juris-Tz. 15.
Lindacher/Peifer
866
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
bb) Blickfangwerbung. Eine verbreitete Form der Preiswerbung besteht darin, ein 630 Element der Gesamtaussage optisch besonders hervorzuheben. Bestimmt der herausgehobene Teil bei situationsadäquat flüchtiger Betrachtungsweise den Gesamteindruck der Werbeangabe, muss nach allgemeinen Grundsätzen (Rn. 103 ff.) prinzipiell (zu Ausnahmen s. Rn. 110 ff.) die Blickfangaussage als solche wahr sein. Der Werbende kann sich nicht darauf berufen, dass die werbliche Äußerung in ihrer Gesamtheit, d.h. unter Einschluss klein gehaltener Zusätze bzw. des „klarstellenden“ Fließtextes, nicht zu beanstanden sei oder dass sie durch sonstige Aussagen in der Werbung richtig interpretiert werde.1353 Klarstellende Aussagen müssen deutlich und unmissverständlich angezeigt werden (näher Rn. 103).1354 Es ist daher insbesondere grundsätzlich unzulässig, blickfangmäßig hervorgehoben 631 mit einem günstigen Grundpreis zu werben und lediglich in kleingedruckten Zusätzen oder im Schriftbild deutlich kleiner gehaltenen Fließtext auf irgendwelche Aufschläge hinzuweisen. Kasuistik: Es verstößt nicht nur gegen § 1 Abs. 1 PAngV,1355 sondern auch gegen § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, wenn ein Neuwagen zu einem optisch hervorgehobenen „Inklusivpreis“ angeboten wird und im Kleindruck der Hinweis „ohne Überführungskosten“ angefügt wird1356 und wenn im Verkehr mit Verbrauchern der großziffrigen Preisangabe im Kleindruck der Hinweis „+ Mehrwertsteuer“ folgt.1357 cc) Viel- und Mehrdeutigkeit. Manche Bezeichnungen sind, je nach konkretem Be- 632 zug, für die verschiedensten Bedeutungsinhalte offen. Fehlt es an einem bedeutungsinhaltskonkretisierenden Bezug, kann ihnen vernünftigerweise kein sachinformativer Inhalt beigemessen werden. Derart inhaltslose Aussagen vermögen den Adressaten der Werbebotschaft deshalb im Allgemeinen auch nicht i.S. von § 5 irrezuführen, begründen ob ihres Unsicherheit schaffenden Charakters freilich gegebenenfalls eine Informationspflicht nach § 5a. Wenn die Mehrdeutigkeit dazu führt, dass letztlich der Preis nicht ermittelt werden kann, wird auch die Schwelle zur Preiswahrheit überschritten, so dass § 5 selbst greift. So kann es liegen, wenn ein „Werbepreis“ angekündigt wird, dieser aber selbst nicht genannt oder in den Geschäftsräumen also solcher auffindbar ist.1358 Ist eine preisbezogene Angabe objektiv mehrdeutig, (was auch hinsichtlich grund- 633 sätzlich bedeutungssinnoffener Bezeichnungen der Fall sein kann, wenn die Begleitumstände zu einer Reduktion der abstrakt möglichen Bedeutungsinhalte führen, andererseits aber nach wie vor verschiedene potentielle Deutungsinhalte miteinander konkurrieren), muss sie grundsätzlich in jeder Deutungsalternative wahr sein: Es entspricht nicht nur der Erfahrung, dass eine objektiv mehrdeutige Angabe auch realiter unterschiedlich verstanden wird, sondern liegt zugleich nahe, dass jede Alternative das Sinnverständnis eines Teils des angesprochenen Verkehrs darstellt (allgemein: Rn. 124 ff.). Der Begriff „Listen-“ oder „Katalogpreis“ ist zumindest im Markenwarenbereich mehrdeutig. Ein Teil des Verkehrs wird in der Gegenüberstellung des geforderten Preises mit dem „Listen-“ bzw. „Katalogpreis“ eine Bezugnahme auf die Herstellerempfehlung sehen, ein anderer einen Hinweis auf den bislang selbst verlangten Preis. Die Werbung ist
_____
1353 BGH 18.12.2014 – I ZR 129/13 – GRUR 2015, 698 Tz. 19 – Schlafzimmer komplett; OLG Düsseldorf 13.11.2014 – 15 U 71/14 – BeckRS 2014, 3183 Tz. 35 (für komplexere Angaben für Hörgerät-Angebote). 1354 BGH 15.10.2015 – I ZR 260/14 – GRUR 2015, 698 Tz. 18 – All Net Flat. 1355 EuGH 7.7.2016 – C-476/14 – GRUR 2016, 945 – Citroën Commerce/ZLW. 1356 OLG Frankfurt 17.2.1985 – 6 U 69/84 – WRP 1985, 497. 1357 BGH 16.3.1979 – I ZR 39/77 – GRUR 1979, 553 = WRP 1979, 460 – Luxus-Ferienhäuser. 1358 LG München I 20.10.2017 – 3 HKO 2416/17 – WRP 2017, 252 Tz. 45 f.
867
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
irreführend i.S. von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, wenn nicht sowohl der empfohlene Preis als auch der bisherige Eigenpreis mindestens dem „Listen-/Katalogpreis“ entspricht.1359 In der Bejahung von Mehrdeutigkeit ist freilich Vorsicht geboten: Der verständige 634 Durchschnittsverbraucher versteht Angaben wie „regulärer Preis“, „Normalpreis“ oder „Statt“-Preisaussagen entgegen älterer Rechtsprechung1360 mangels besonderer Umstände wohl kaum als bedeutungssinnoffene Aussagen, erblickt in ihnen vielmehr eine Eigenpreisbezugnahme.1361 635
dd) Divergenz von Vorstellung und Realität. Eine Werbeangabe führt irre, wenn der durch sie erweckte Eindruck nicht den Tatsachen entspricht (allgemein: Rn. 61). Für die Preiswerbung heißt dies vor allem: Der Werbende darf für die beworbene Ware/ Dienstleistung bei Abgabe bzw. Leistungserbringung keinen höheren Preis fordern als nach der Werbung erwartbar ist. Soweit Erzeugnisse nach dem SB-System vertrieben werden, ist der Irreführungstatbestand bei einer Anzeigen- oder Prospektwerbung richtigerweise darüber hinaus – unabhängig davon, welcher Preis schlussendlich an der Kasse verlangt wird – grundsätzlich immer bereits dann erfüllt, wenn die beworbene Ware gemessen an der Werbeangabe, zu hoch ausgezeichnet ist:1362 Es ist nicht auszuschließen, dass ein beachtlicher Teil der werblich Angesprochenen das Geschäftslokal auch preiswerbungsbedingt aufsucht und bei Divergenz von Auszeichnungspreis und werblich angekündigtem Preis verunsichert zwar von einem Kauf des betreffenden Artikels absieht, einmal im Geschäftslokal aber gleichwohl sonstigen Bedarf deckt. Unschädlich sind lediglich vereinzelte, nicht organisationsbedingte „Ausreißer“, weil der Verkehr mit ihnen rechnet, in seinen von der Werbung ausgelösten Erwartungen insoweit gerade nicht enttäuscht wird.1363 c) Konkurrentenbezogene Preisgünstigkeitsberühmung
636
aa) Erscheinungsformen. Konkurrentenbezogene Preisgünstigkeitsberühmung begegnet in verschiedener Spielart: als Preisvergleich unter Erkennbarmachung einzelner Mitbewerber, als Preisvergleich ohne Kenntlichmachung von Mitbewerbern und als sonstige, schlichte Berühmung niedriger Preisstellung im Verhältnis zur Konkurrenz.
bb) Preisvergleiche mit konkretem Konkurrenzbezug. Preisvergleiche stellen die geforderten Preise einander gegenüber oder benennen unmittelbar ein bestimmtes absolutes oder prozentuales Ersparnisquantum. Einschlägige Vergleiche, die den/die Konkurrenten erkennen lassen, unterliegen in ihrer Zulässigkeit zuvörderst den Sonderregeln für vergleichende Werbung, insbesondere § 6 Abs. 2 Nr. 2, ausweislich § 5 Abs. 3 aber auch dem allgemeinen Irreführungsverbot, genauer: § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2. Irreführend wirkt zunächst die nicht vertretbare Segmentierung von Leistungsspekt638 ren: Ein Preisvergleich muss auch berücksichtigen, ob der Wettbewerber, mit dessen Preisen der Werbende sein Angebot vergleicht, neben dem im Vergleich angeführten 637
_____
1359 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.94. 1360 BGH 12.12.1980 – I ZR 158/78 – GRUR 1981, 654 = WRP 1981, 454 – Testpreiswerbung; OLG Koblenz 28.9.1978 – 6 U 1388/76 – WRP 1979, 747, 749 f. 1361 BGH 6.4.2000 – I ZR 114/98 – GRUR 2001, 84, 85 = WRP 2000, 1266, 1269 – Bielefeld II; Köhler/ Bornkamm/Feddersen Rn. 3.104; Ohly/Sosnitza Rn. 450. 1362 BGH 30.3.1988 – I ZR 101/86 – GRUR 1988, 629 f. = WRP 1989, 11 – Konfitüre. 1363 BGH aaO.
Lindacher/Peifer
868
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
Angebot noch Angebote bereithält, die ähnlich viel oder gar mehr bieten als das Produkt des Werbenden.1364 Kasuistik: Wer als Telekommunikationsdienstleister ein Internetanschluss, InternetFlatrate, Telefonanschluss und Telefon-Flatrate umfassendes Leistungspaket anbietet, darf dies nicht preislich dem komponentengleichen Konkurrenzangebot gegenüberstellen, wenn der Konkurrent zu einem niedrigeren Preis ein weiteres Angebot vorhält, das dem beworbenen in den meisten Punkten entspricht, hinsichtlich der Leistungsfähigkeit des Internetanschlusses sogar überlegen ist.1365 Im Übrigen bleibt zunächst zu berücksichtigen, dass der Werbende zwar grundsätz- 639 lich frei ist, in den Preisvergleich nur solche Mitbewerber und/oder austauschbare Angebote aufzunehmen, in denen er (besonders) günstig abschneidet. Er darf aber nicht – sei es durch Häufung der Vergleichsunternehmen bzw. Vergleichsleistungen, sei es in sonstiger Weise – einen nicht der Realität entsprechenden Vollständigkeitseindruck erwecken. Kasuistik: Die Gefahr der Irreführung besteht, wenn der Werbende so gut wie alle Mitbewerber in einen Preisvergleich einbezieht, freilich gerade den Konkurrenten ausspart, dessen Angebot das günstigste darstellt.1366 Keine Irreführung besteht, wenn der Werbende, dessen Tarife zu anderen Uhrzeiten zum Teil ungünstiger sind als die Konkurrenztarife, den Kostenvergleich auf „ein 3-Minuten-Gespräch werktags um 19.00 h“ beschränkt. Die Werbung macht hinreichend deutlich, dass der betreffende Tarif nicht für die „Hauptgeschäftszeit“ gilt.1367 Auf das Gesamtsortiment bezogene Preisgünstigkeitsberühmungen können auf ei- 640 nen Warenkorbvergleich gestützt werden, wenn dem Erfordernis der Austauschbarkeit nach Qualität und Menge hinreichend Rechnung getragen wird, Der Vergleich kann freilich irreführen, wenn die Grundlage des Gesamtsortimentsvergleichs im Dunkel gelassen wird.1368 Allgemein gilt, dass der Preisvergleich irreführend ist, wenn sich die preisrelevanten 641 Konditionen unterscheiden, der Werbende indes nicht deutlich und unmissverständlich auf solche Unterschiede hinweist.1369 Kasuistik: Wer als Paketbeförderer seine Preise bis zu einem Gewicht von 25 kg nach Paketabmessung bemisst, führt mit einem Preisvergleich gegenüber einem Konkurrenten, der seine Preise nach Gewicht staffelt, irre, wenn er in einer Vergleichstabelle die Überlegenheit seines Tarifsystems geltend macht, obschon der unterschiedliche Tarifansatz bewirkt, dass bei größeren aber leichteren Paketen und Päckchen die Beförderung durch den Werbenden durchaus teurer ausfällt.1370 Fallen beim Werbenden, der paketweise Internetanschluss, Internet-Flatrate, Telefonanschluss und Telefon-Flatrate für Gespräche ins deutsche Festnetz anbietet, Zusatzkosten an, weil die Inanspruchnahme der beworbenen Leistungen nur über einen Kabelanschluss möglich ist, muss im Rahmen eines die Kabelanschlusskosten ausschließenden Preisvergleichs hierauf klarstellend hingewiesen werden.1371 Wer Flüge von Frankfurt-Hahn, einem 120 km von Frank-
_____
1364 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.98. 1365 BGH 7.4.2011 – I ZR 34/09 – GRUR 2011, 742 Tz. 36 = WRP 2011, 873 – Leistungspakete im Preisvergleich. 1366 OLG Düsseldorf 22.10.1998 – 2 U 65/98 – NJW-CoR 1999, 304. 1367 OLG Düsseldorf 22.10.1998 – 2 U 84–98 – NJW-RR 1999, 408 f. 1368 Vgl. EuGH 19.9.2006 – C-356/04 – EuGHE 2006-I S. 8524 Tz. 83 = GRUR Int. 2007, 826 = WRP 2006, 1348 – LIDL Belgium/Colruyt. 1369 Beater Rn. 1552; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.99; Berlit WRP 2011, 1105, 1107. 1370 BGH 19.11.2009 – I ZR 141/07 – GRUR 2010, 658 Tz. 14 ff. = WRP 2010, 757 – Paketpreisvergleich. 1371 BGH 7.4.2011 – I ZR 34/09 – GRUR 2011 Tz. 35 = WRP 2011, 873 – Leistungspakete im Preisvergleich.
869
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
furt entfernten Flughafen anbietet und seine Preise mit Preisen von Mitbewerbern vergleicht, die Flügen von Frankfurt Airport zugrunde liegen, muss auf diesen Umstand hinweisen.1372 Ein Telefonkostenvergleich führt irre: wenn die eigenen günstigen Preise nur bei Preselection, nicht für Call-by-Call gelten1373 oder die Inanspruchnahme des eigenen günstigen Tarifs ein Prepaid-Konto mit einem bestimmten Guthaben voraussetzt.1374 Die Anforderungen an einen irrtumsausschließenden Warnhinweis sollten freilich 642 nicht überspannt werden: Bietet der in Bezug genommene Konkurrent in einer Sonderaktion für die ersten Monate die Befreiung von der sonst geforderten Monatsgebühr an, reicht es für die Ausräumung einer Irreführungsgefahr aus, wenn der Vergleich der regulären Tarife einen Hinweis darauf enthält, dass zeitlich befristete Sonderpreisvorteile im Angebot des Mitbewerbers keine Berücksichtigung gefunden haben.1375 Was die Rabattgewährung durch Mitbewerber betrifft, ist zu unterscheiden: Die 643 Bezugnahme auf nicht reduzierte Preise der Konkurrenz ist irreführend, wenn der Rabatt generell gewährt wird, nicht, wenn im Einzelfall Rabatte unterschiedlicher Höhe ausgehandelt werden können und ausgehandelt werden.1376 cc) Preisvergleiche mit abstraktem Konkurrenzbezug. Quantifizierte Vorsprungsberühmung gegenüber der Konkurrenz ohne Erkennbarmachung einzelner Mitbewerber erlaubt bei Richtigkeit der Ersparnisbehauptung der Sonderfall, dass preisbindungsbedingt in der konkreten Vertriebsform dauerhaft ein einheitlicher Preis gefordert wird.1377 Bei „bis zu …“-Aussagen erwartet der Verkehr vorbehaltlich einer eindeutigen Einschränkung, dass sämtliche Waren verbilligt angeboten werden und der genannte Höchstbetrag/Höchstsatz bei einem im Rahmen des Gesamtangebots ins Gewicht fallenden Teil erreicht wird. In welcher Breite der Höchstbetrag/Höchstsatz erreicht werden muss, lässt sich dabei richtigerweise nicht absolut bestimmen; bedeutsam ist insoweit auch die Streuung der Verbilligungen unterhalb der Höchstmarke. Kasuistik: Keine Beanstandung der werblichen Aussage einer Buchgemeinschaft „Bei Büchern sparen Sie bis zu 40% gegenüber den inhaltlich gleichen, aber anders gestalteten Buchhandelsausgaben“, wenn in casu 15% der Titel eine Verbilligung von 40% aufwiesen, über 25% um 35% und mehr billiger waren und die Zahl der verbilligten Titel im Übrigen schwerpunktmäßig um 30% lag.1378 Auch Vergleiche mit Preisen nicht benannter Mitbewerber für nicht preisgebundene 645 Güter sind nicht per se unzulässig: Wer sein Produkt unter dem von der Stiftung Warentest ermittelten „durchschnittlichen Testpreis“ anbietet, darf hierauf unter Quellenangabe werbend hinweisen.1379 Ein bestimmtes Ersparnisvolumen geltend machende Vergleiche dürfen freilich nicht den Eindruck erwecken, dem Bezugspreis komme Repräsentativcharakter auf der Basis einer nach wissenschaftlichen Kriterien veranstalteten Vergleichserhebung zu: Der Verkehr kann mangels Kenntnis der Namen der Mitbewerber und der in den Vergleich einbezogenen Waren Vollständigkeit und Richtigkeit des Preis-
644
_____
1372 OLG Hamburg 19.12.2002 – 5 U 137/02 – GRUR-RR 2003, 219. 1373 OLG Frankfurt 23.9.2004 – 6 U 147/03 – GRUR-RR 2005, 128. 1374 OLG Frankfurt 10.9.2005 – 6 U 25/04 – MMR 2005, 463. 1375 OLG Frankfurt 19.8.2004 – 6 U 77/04 – MMR 2005, 53, 54; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.99. 1376 Ohly/Sosnitza § 6 Rn. 49. 1377 Harte/Henning/Weidert D Rn. 48. 1378 BGH 10.2.1983 – I ZR 170/80 – GRUR 1983, 257 = WRP 1983, 391 – bis zu 40%. 1379 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 377. A.A. mit der Behauptung, Hinweise auf einen „ca. Preis lt. Test“ seien für einen großen Teil der Verbraucher missverständlich, noch BGH 12.12.1980 – I ZR 158/78 – GRUR 1981, 654, 655 = WRP 1981, 454 f. – Testpreis.
Lindacher/Peifer
870
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
vergleichs nicht überprüfen. § 6 Abs. 2 Nr. 2 positiviert mit dem Nachprüfbarkeitserfordernis ein für Preisvergleiche allgemein geltendes Prinzip.1380 dd) Sonstige Niedrigpreisberühmung im Verhältnis zur Konkurrenz. Niedrig- 646 preisberühmung ohne Quantifizierung des Ersparnisvolumens, klassische Form der Preiswerbung mit Konkurrentenbezug, begegnet in verschiedener Stufung, reicht von der einschlägigen absoluten Spitzenstellungswerbung bis zur Geltendmachung schlichter Unterbietung des allgemeinen Marktpreises. Alleinstellung reklamieren Aussagen wie „Der beste Preis der Stadt“. Preise zumindest im untersten Bereich des Preisspektrums signalisieren Preisgarantien in Form von „Geld-zurück-Garantien“.1381 Erheblich unter dem allgemeinen Preisniveau liegende Preise versprechen nach eingeübtem Sprachgebrauch und/oder konkretem Verwendungsumfeld Schlagworte wie „Discountpreis“, „Preisbrecher“, „Preishammer“ oder „Tiefstpreise“. Zumindest unterdurchschnittliche Preise lassen Bezeichnungen wie „billig“, „günstig“, „nur …“, „Sparpreis“ oder „Tiefpreis“ erhoffen. Kasuistik: Die Aussage „Bester Preis der Stadt“ in einer Zeitungsannonce versteht der angesprochene Verkehr dahin, dass das beworbene Produkt zum Zeitpunkt der Schaltung der Anzeige in der betreffenden Stadt nicht günstiger angeboten wurde. Der von der Anzeige Angesprochene erkennt, dass der Werbende keine Aussage darüber machen kann, ob der herausgestellte Sonderangebotspreis auch im Zeitpunkt des Erscheinens der Anzeige oder gar später noch der „beste Preis“ sein wird. Das gilt umso mehr als der Werbende garantieweise für diesen Fall die Rückzahlung der Differenz zwischen seinem Angebotspreis und dem noch günstigeren Preis eines Wettbewerbers versprochen hat.1382 d) Preisgünstigkeitsberühmung durch Bezugnahme auf empfohlene Preise Schrifttum Nippe Werbung mit der unverbindlichen Preisempfehlung des Herstellers, WRP 2004, 1397.
aa) Grundsätzliche Zulässigkeit. Vor allem Markenhersteller versehen ihre Pro- 647 dukte traditionellerweise mit einer Preisempfehlung. Bietet der Händler Ware unter dem empfohlenen Preis an, liegt es nahe, dies werblich herauszustellen. Eine solche vergleichende Preiswerbung ist grundsätzlich zulässig, verstößt insbesondere nicht per se gegen § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2:1383 Die Bedeutung der Herstellerpreisempfehlung ist dem relevanten Verkehr bekannt. Dem Fehlschluss, die Empfehlung werde vom Handel so gut wie vollständig, jedenfalls ganz überwiegend eingehalten, wirkt die Alltagserfahrung entgegen, dass Preisstellungen unterhalb des empfohlenen Preises gang und gäbe sind. Daher kann keine Irreführung über die Preisbemessung darin gesehen werden, dass ein Hersteller eine unverbindliche Preisempfehlung gibt, denn auch der angesprochene Durchschnittsadressat weiß, dass eine solche Empfehlung keinen Abgabepreis für Händler bedeutet.1384
_____
1380 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.103; Ohly/Sosnitza Rn. 470. 1381 Harte/Henning/Weidert D Rn. 88. 1382 BGH 19.4.2012 – I ZR 173/11 – WRP 2012, 1233 Tz. 6 – Bester Preis der Stadt. 1383 BGH 3.3.2016 – I ZR 110/15 – GRUR 2016, 961 Tz. 26 – Herstellerpreisempfehlung bei Amazon. 1384 BGH 12.9.2013 – I ZR 123/12 – GRUR 2014, 403 Tz. 10 – DER NEUE: „rechtlich nicht schutzwürdig“; zust. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.84.
871
Lindacher/Peifer
§5
648
Irreführende geschäftliche Handlungen
bb) Zulässigkeitsschranken. Herstellerpreisempfehlungen unterliegen seit der 7. GWB-Novelle 2005 keinen speziellen kartellrechtlichen Schranken. Die (Streit-)Frage, ob die kartellrechtlichen Schranken für die Herstellerpreisempfehlung mittelbar auch solche der Händlerwerbung mit der Herstellerpreisempfehlung betreffen, hat sich erledigt. Für eine „Zweischrankentheorie“,1385 richtigerweise (s. Erstaufl. § 3 a.F. Rn. 887) bereits nach altem Recht abzulehnen, ist von vornherein kein Raum mehr. Die Zulässigkeit von Bezugnahmen auf herstellerseits empfohlene Preise beurteilt sich nach Lauterkeitsrecht (§ 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2) und nur nach Lauterkeitsrecht. Kartellrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen alten Rechts ist auch nicht via Inkorporation ins Lauterkeitsrecht Fortgeltung zu verschaffen. Im Einzelnen dürfte in der Schrankenfrage demnach Folgendes gelten:
(1) Mondpreis. Der empfohlene Preis darf kein „Mondpreis“ sein.1386 Das Publikum weiß zwar, dass ein empfohlener Preis unterboten werden kann und in der Praxis auch unterboten wird, geht aber – berechtigterweise – davon aus, dass er einen marktgerechten Orientierungswert darstellt. Die Händlerwerbung mit der Herstellerpreisempfehlung ist deshalb irreführend, wenn auch die Konkurrenz mehrheitlich unter dem empfohlenen Preis bleibt oder eine qualifizierte Minderheit den Richtpreis in massiver Weise unterbietet. Besonders hohe Handelsspannen mögen ein Indiz für einen Phantasiepreis sein, schließen indes nicht aus, dass der empfohlene Preis noch als marktgerecht angesehen werden kann.1387 Kasuistik: Eine Preisempfehlung, die von jedem zweiten Händler eingehalten wird, lässt sich auch dann nicht ohne weiteres als „Mondpreis“ bezeichnen, wenn der empfohlene Preis dem Händler einen Aufschlag von 150% auf den Großhandelsabgabepreis ermöglicht.1388 Zeitlich ist entscheidend, dass der Vergleichspreis im Zeitpunkt der Bezugnahme 650 als marktgerechter Orientierungswert qualifizierbar ist: Ist dies nicht der Fall, nutzt dem Werbenden auch nicht, dass die Empfehlung vom Hersteller in guten Treuen auf der Grundlage einer ernsthaften Kalkulation ausgesprochen wurde.1389 Umgekehrt ist die Bezugnahme vom hier vertretenen Ansatz her (s. Rn. 641) selbst dann zulässig, wenn der Preis ursprünglich Phantasiepreischarakter hatte, infolge zwischenzeitlicher Marktentwicklung nunmehr aber zu einem objektiv seriösen Richtpreis geworden ist; die „Ernsthaftigkeit der Kalkulation“ durch den Hersteller ist dabei keine eigenständige Zulässigkeitsvoraussetzung.1390
649
651
(2) Verdeutlichung des rein empfehlenden Charakters. Der Preisvergleich muss den rein empfehlenden Charakter der Richtpreisvorgabe verdeutlichen. Der falsche Schein einer wie immer gearteten Bindung suggeriert eine Exzeptionalität der Unterbie-
_____
1385 Deutlich für eine solche noch etwa BGH 27.11.2003 – I ZR 94/01 – GRUR 2004, 246, 247 = WRP 2004, 243, 344 – Mondpreise? 1386 BGH 5.1.1966 – Ib ZR 23/64 – GRUR 1966, 327, 328 = WRP 1966, 172, 174 – Richtpreis I; 27.11.2003 – I ZR 94/01 – GRUR 2004, 246, 247 = WRP 2004, 343, 344 – Mondpreise?; Emmerich § 16 Rn. 11; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 388; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.85. 1387 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.85. 1388 BGH 1.10.1980 – 1 ZR 142/78 – GRUR 1981, 137, 139 = WRP 1981, 86, 87 – Tapetenpreisempfehlung. 1389 Im Ergebnis allg.M.; vgl. etwa BGH 28.9.1979 – I ZR 69/77 – GRUR 1980, 108 = WRP 1980, 72 – … unter empf. Preis; 23.6.83 – I ZR 109/81 – GRUR 1983, 661, 663 = WRP 1983, 559, 561 – Sie sparen 4000 DM; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.86. 1390 A.A. wohl BGH 3.3.2016 – I ZR 110/15 – GRUR 2016, 961 Tz. 27 – Herstellerpreisempfehlung bei Amazon; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.86; Harte/Henning/Völker D Rn. 53.
Lindacher/Peifer
872
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
tung, von der bei bloßer Empfehlung keine Rede sein kann. Wer empfiehlt, bindet nicht. Eine verbleibende Irreführung, die darin liegen mag, dass Teile des angesprochenen Verkehrs eine „Empfehlung“ für verbindlich halten, ist aus normativen Gründen unbeachtlich (oben Vor §§ 5, 5a Rn. 174).1391 Allemal hinreichend sind die Formulierungen „unverbindliche Preisempfehlung“ 652 oder „unverbindlich empfohlener Preis“. Die (Streit-)Frage, ob sie auch erforderlich sind, zumindest aber auf den Hinweis „unverbindlich“ nicht verzichtet werden darf,1392 oder ob der reine Empfehlungscharakter grundsätzlich auch ohne Bindung an bestimmte Formelmuster vermittelt werden kann, ist nach Wegbrechen des Arguments, das Lauterkeitsrecht könne und dürfe nicht großzügiger sein als die kartellbehördliche Praxis, eindeutig im letzteren Sinn zu beantworten: Der Begriff des Empfehlers/Empfehlens weist bereits hinreichend deutlich auf die Unverbindlichkeit hin.1393 Auf jeden Fall zulässig, weil beim verständigen Durchschnittsadressaten der Werbebotschaft keine Fehlvorstellungen auslösend deshalb auch Hinweise wie „Herstellerpreisempfehlung“ oder „empfohlener Preis“, darüber hinaus wohl auch „empfohlener Richtpreis“ oder „unverbindlicher Richtpreis“. Nicht hinnehmbar hingegen sind nach wie vor etwa die – zusatzlose – Bezeichnung „Richtpreis“, ferner die anderweitige Bezugsassoziationen auslösende Beschreibung als „regulärer Preis“, „Listenpreis“ oder „Katalogpreis“. Abkürzungen müssen ohne weiteres per se verständlich sein und dürfen nicht zu 653 Missverständnissen führen: Nach neuerer Rechtsprechung1394 verdeutlicht das Kürzel „UVP“ mit hinreichender Deutlichkeit den Charakter des Bezugspreises als unverbindliche Preisempfehlung.1395 Die Angabe „empf. Preis“ wird allemal als Kurzform für „empfohlener Preis“ verstanden.1396 Die Abkürzung „AVP“ für den einheitlichen Abgabepreis im Apothekenbereich nach § 78 Abs. 3 S. 1, Hs. 2 AMG wurde als irreführend angesehen, da der angesprochene Verkehr hier eine Verwechslungsgefahr mit der unverbindlichen Preisempfehlung des Herstellers unterliegen könne. Die Klarstellung in einem Fußnotentext korrigiere diese Irreführung nicht genügend.1397 (3) Keine Irreführung über Konkurrentenverhalten. Soweit die Richtpreiswer- 654 bung den Eindruck erweckt, dass der empfohlene Preis von den Mitbewerbern eingehalten wird, muss dies zutreffen. Kasuistik: Die Werbung „40% können Sie sparen“ unter Benennung des empfohlenen Preises ist nur wahr, wenn die Preisempfehlung von der örtlichen Konkurrenz so gut wie einhellig eingehalten wird.1398 (4) Bestehen einer Herstellerempfehlung. Unverzichtbar ist das Vorliegen einer 655 Herstellerempfehlung als Faktum: Irreführend ist nicht nur die Bezugnahme auf eine
_____
1391 Ebenso Harte/Henning/Völker D Rn. 53. 1392 So z.B. noch OLG Frankfurt 24.11.1977 – 6 U 50/77 – WRP 1978, 64, 65; OLG Stuttgart 22.5.1981 – 2 U 10/81 – WRP 1982, 169, 170. 1393 BGH 7.12.2006 – I ZR 271/03 – GRUR 2007, 603 Tz. 21 = WRP 2007, 769 – UVP; Emmerich § 16 Rn. 10; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 390; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 360; Harte/Henning/ Weidert D Rn. 57. 1394 BGH 7.12.2006 – I ZR 271/03 – GRUR 2007, 603 Tz. 23. = WRP 2007, 769 – UVP. 1395 A.A. beispielsweise noch OLG Hamburg 16.1.2003 – 5 U 216/01 – GRUR-RR 2003, 290 sowie Gloy/ Lochelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 390. 1396 A.A. noch BGH 28.9.1979 – I ZR 69/77 – GRUR 1980, 108, 109 m. krit. Anm. Gloy = WRP 1980, 72, 73 – … unter empf. Preis. 1397 OLG Frankfurt 20.3.2014 – 6 U 237/12 – GRUR-RR 2014, 268 – Apotheken-Verkausfpreis. 1398 BGH 23.2.1968 – Ib ZR 148/65 – GRUR 1968, 443, 444 f. = WRP 1968, 199 f. – 40% können Sie sparen.
873
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
fingierte Herstellerempfehlung oder auf eine widerrufene oder sonst obsolet gewordene Herstellerempfehlung.1399 Um einen Fall einschlägiger Irreführung handelt es sich auch dann, wenn die „Empfehlung“ vom Hersteller nach den Wünschen des werbenden Händlers ausgesprochen wird und damit zumindest materiell von diesem herrührt. Preisgegenüberstellungen unter Verwendung einer nicht mehr aktuellen Preisemp656 fehlung, die die mangelnde Aktualität hinreichend ausweisen, sind nicht ohne weiteres unzulässig: Auch eine frühere Preisempfehlung kann, namentlich bei AuslaufmodellAngeboten, eine Orientierungshilfe für die Preisüberlegung der Marktgegenseite darstellen. Die Bezugnahme auf die ehemalige Preisempfehlung ist freilich irreführend, wenn die angegebene Empfehlung nicht die letzte Empfehlung war oder zeitlich bereits so lange zurückliegt, dass sie ihren Charakter als Orientierungshilfe verloren hat. Der Verkehr erwartet immerhin relative Aktualität sowie eine gewisse zeitliche Nähe.1400 Zur gebotenen Verdeutlichung der Nichtmehrgültigkeit der in Bezug genommenen Preisempfehlung dürfte die Abkürzung „eUVP“ nicht ausreichen. Dass dem Verkehr die Abkürzung „UVP“ hinreichend verständlich ist (s. Rn. 653), heißt noch nicht, dass er die Abkürzung „eUVP“ als Kürzel für „ehemalige unverbindliche Preisempfehlung“ versteht.1401 657
(5) Berühmung bei Alleinvertriebsrecht. Preiswürdigkeitsberühmung durch Bezugnahme auf die Herstellerpreisempfehlung steht grundsätzlich auch demjenigen frei, der in seinem Verkaufsgebiet an der beworbenen Ware ein Alleinvertriebsrecht hat;1402 der empfohlene Preis muss freilich, bezogen auf die Gesamtheit der Empfehlungsempfänger, eine marktgerechte Orientierung geben. Beliefert der Hersteller im Inland nur einen Händler, ist für eine Richtpreiswerbung des letzteren freilich kein Raum:1403 Die Bezugnahme auf den empfohlenen Preis suggeriert Preisgünstigkeit im Marktvergleich. Der Händler unterbietet hier aber keinen Konkurrenzpreis. Der geforderte Preis ist vielmehr der „Marktpreis“ selbst.
658
(6) Keine Irreführung über Vergleichsgegenstand. Ein Vergleich mit Unvergleichbarem und eine damit einhergehende Täuschung über die Preisgünstigkeit des eigenen Angebots liegt vor, wenn der Händler sich auf eine Preisempfehlung bezieht, die der Hersteller für eine andere Ware ausgesprochen hat.1404 Kasuistik: Der Händler bietet statt des Standardprodukts eine Sonderanfertigung an und setzt die Preise für diese in Beziehung zur Preisempfehlung für das Standardprogramm. Auf die Frage qualitativer Gleichwertigkeit kommt es insoweit nicht an; das Publikum setzt Sonderanfertigung und Original in seiner Wertschätzung selbst dann nicht gleich, wenn es an einem signifikanten Qualitätsunterschied fehlen sollte.1405
_____
1399 LG Bielefeld 19.7.2016 – 12 O 44/16 – WRP 2017, 1153 Tz. 8; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 386; Harte/Henning/Weidert D Rn. 60. 1400 BGH 15.9.1999 – I ZR 131/97 – GRUR 2000, 436, 437 f. = WRP 2000, 383, 385 f. – Ehemalige Herstellerpreisempfehlung; BGH 3.3.2016 – I ZR 110/15 – GRUR 2016, 961 Tz. 27- Herstellerpreisempfehlung bei Amazon; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.90; Ohly/Sosnitza Rn. 475. 1401 Hinlänglichkeit der Abkürzung denn auch verneinend OLG Frankfurt 22.3.2001 – 6 U221/00 – GRUR-RR 2001, 242 sowie Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 386. 1402 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 389; Harte/Henning/Weidert D Rn. 64. 1403 BGH 28.6.2001 – I ZR 121/99 – GRUR 2002, 95, 96 = WRP 2001, 1300, 1301 – Preisempfehlung bei Alleinvertrieb; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 360; Ohly/Sosnitza Rn. 472. 1404 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 386; Harte/Henning/Weidert D Rn. 61. 1405 KG 16.10.1984 – 6 U 6/84 – GRUR 1985, 299.
Lindacher/Peifer
874
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
e) Preissenkungswerbung Schrifttum Hofmann Der maßgeschneiderte Preis, WRP 2016, 1074; Röhm Lauterkeitsrechtliche Grenzen der Werbung mit dem Begriff des Aktionspreises, FS Fezer (2016) 931; Usselmann/Seichter „20% auf alles“ – aber teurer als vergangene Woche. Zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals der unangemessen kurzen Zeit i.S. von § 5 Abs. 4 UWG, WRP 2007, 1291; Wenglorz Dynamischer Preis. Ein Fall für die Preisangabenverordnung?, FS Fezer (2016) S. 957.
aa) Grundsätzliche Zulässigkeit, Schrankennormen, Darlegungs- und Beweis- 659 notkompensation. Seit Streichung der auf Mittelstandsschutz angelegten Vorschrift des § 6e a.F. gilt: Wer seine Preise senkt, darf dies werblich herausstellen – auch in Form direkter Preisgegenüberstellung. Schranken setzt das allgemeine Irreführungsverbot und das Transparenzgebot bei Verkaufsförderungsmaßnahmen: Werbung mit Preisnachlässen verstößt gegen § 4 Nr. 4, wenn die Bedingungen für die Inanspruchnahme unklar oder mehrdeutig bleiben. Der bei der Eigenpreisgegenüberstellung typischen Darlegungs- und Beweisnot dessen, der geltend macht, der angegebene Ursprungspreis sei niemals, jedenfalls nicht ernstlich gefordert worden, trug die Rechtsprechung zunächst richterrechtlich Rechnung: Hinsichtlich der Frage der Ernstlichkeit des Vergleichspreisverlangens maß sie der Dauer der bisherigen Preisstellung Indizfunktion bei. Natürliche Wissensdefizite des interventionswilligen Konkurrenten/Verbands glich sie über Anwendung der Grundsätze zur sekundären Darlegungs- und Beweislast aus.1406 Der Novellengesetzgeber 2004 knüpft hier an: Nach § 5 Abs. 4 S. 1 wird vermutet, dass es irreführend ist, mit der Herabsetzung eines Preises zu werben, sofern der Preis nur für eine unangemessen kurze Zeit gefordert worden ist. § 5 Abs. 4 S. 2 weist die Beweislast hinsichtlich des Umstands, dass der frühere Preis überhaupt, und, wenn ja, für eine angemessene Zeit gefordert worden ist, dem Werbenden zu. bb) Erscheinungsformen. Preissenkungswerbung begegnet als Preissenkungswer- 660 bung mit Preisgegenüberstellung und als schlichte Preissenkungswerbung. Im ersten Fall setzt der Werbende den aktuellen, herabgesetzten Preis in Beziehung zum früher geforderten, höheren Preis, sei es in gegenüberstellender Benennung des Neu- und Altpreises, sei es unter Verdeutlichung der prozentualen oder betragsmäßigen Ersparnis. Durchgestrichene Preise und „statt“-Preise werden jedenfalls heute allgemein als frühere Eigenpreise des Werbenden verstanden.1407 Die schlichte Preissenkungswerbung verzichtet auf eine Verlautbarung der konkreten Ersparnis, beschränkt sich auf die Geltendmachung vollzogener Preissenkung. Von der Preissenkungswerbung zu unterscheiden ist die ständige Anpassung des regulären Preises im Wege des „dynamic pricing“.1408 Das aus der Bepreisung von Kraftstoff bekannte Phänomen ständig wechselnder Angebotspreise lässt sich auf interakti-
_____
1406 Vgl. BGH 28.6.1974 – I ZR 62/72 – GRUR 1975, 78, 79 = WRP 1974, 552 – Preisgegenüberstellung I. 1407 BGH 5.11.2015 – I ZR 182/14 – GRUR 2016, 521 Tz. 9 – Durchgestrichener Preis II; BGH 17.3.2011 – I ZR 81/09 – GRUR 2011, 1151 Tz. 22 – Original Kanchipur; OLG Stuttgart 8.3.1996 – 2 U 149/95 – WRP 1996, 791, 794 f.; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 376; MünchKommUWG/Busche Rn. 452 f.; Fezer/ Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 450; Ohly/Sosnitza Rn. 463. A.A. – Unklarheit des Vergleichsmaßstabs zumindest für den Markenartikelbereich – noch BGH 25.1.1980 – I ZR 10/78 – GRUR 1980, 306 f. m. Anm. Tilmann = WRP 1980, 330 f. – Preisgegenüberstellung III sowie OLG Düsseldorf 28.2.1985 – 2 U 77/84 – WRP 1985, 492 ff. 1408 Dazu Hofmann WRP 2016, 1074; und Wenglorz FS Fezer (2016) 957.
875
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
ven digitalen Portalen perfektionieren, mit der Folge, dass tages- und abrufort- bzw. abruftechnologieorientiert ständig wechselnde Preise angezeigt werden. In analogen Umgebungen können digital zentral gesteuerte Preistafeln (wie im Tankstellenbereich) jedenfalls tageszeitabhängig permanente Preisanpassungen bewirken. Aus lauterkeitsrechtlicher Sicht betroffen ist dabei zunächst die Preisklarheit, die leidet, wenn kein Fest-, Normal- oder Referenzpreis besteht.1409 Die Preisangabenverordnung hilft hier zunächst nicht, weil sie nur eine Auszeichnung, nicht aber eine Stabilität des ausgezeichneten Preises und auch nicht die Preisgabe der Information verlangt, dass der Preis dynamisch gebildet wird.1410 Der Umstand, dass Preise diskriminierend verlangt werden (z.B. höhere Eintrittspreise bei Diskotheken für Männer, höhere Preise bei bestimmten Waren für Frauen)1411 oder individuell anhand bekannter Profildaten (Einkommensniveau, technische Ausstattung des verwendeten Kommunikationsgeräts) gebildet werden, ist weder durch die PAngV erfasst, noch liegt allein darin per se eine Irreführung. Allerdings könnte dieser Umstand Informationspflichten im Rahmen des § 5a Abs. 2 oder jedenfalls bei Angeboten nach § 5a Abs. 3 auslösen.1412 Eine einschlägige Diskussion oder gar Rechtsprechung hierzu steckt allerdings noch in den Anfängen. Durch § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 erfassbar ist allenfalls die Preissenkungswerbung, denn sie erfordert, dass der Referenzpreis fixierbar ist (unten Rn. 670). Werden Preise durch systematisches Herauf- und Herabsetzen verschleiert, kann eine unlautere Preisschaukelei vorliegen (dazu unten Rn. 697). Unberührt hiervon bleiben kartellrechtliche Bedenken, die insbesondere eine Preisdiskrimineriung durch marktmächtige Unternehmen oder eine Marktaufspaltung durch Einsatz von Geolokalisation unzulässig machen können.1413 661
cc) Preissenkungswerbung in Form des Eigenpreisvergleichs. Stellt der Werbende den aktuellen, günstigeren Preis dem früher von ihm geforderten Preis gegenüber, gelten unter Irreführungsgesichtspunkten die folgenden Grundsätze:
662
(1) Der Referenzpreis muss tatsächlich und ernsthaft verlangt worden sein.1414 An der Ernsthaftigkeit des Forderns fehlt es zunächst – unabhängig von der Zeitdauer der Altpreisgeltung – bei „Mondpreisbildungen“:1415 glatte Phantasiepreise sprechen per se dafür, dass sie ausschließlich als fiktive Bezugspreise gedacht. Ebenso ist es, wenn der Referenzpreis zwar objektiv richtig ist, wegen Besonderheiten der Rabattgestaltung für Versicherungsträger aber faktisch nicht gezahlt werden muss.1416 Der typische Fall zu vermutender Nichternstlichkeit ist freilich der von § 5 Abs. 4 S. 1 erfasste Fall, dass der Ursprungspreis nur für eine unangemessen kurze Zeit verlangt worden ist: § 5 Abs. 4 S. 1 verkürzt den Dreischritt Feststellung unangemessener Kürze – Schluss auf die Nicht-
_____
1409 Hierzu im Zusammenhang mit dem Vorwurf der sog. Preisschaukelei: BGH 14.12.1973 – I ZR 36/72 – WRP 1973, 149, 151 – Camapagne; BGH 14.11.1985 – I ZR 168/3 – WRP 1986, 202, 203 – Unterschiedliche Preisankündigung. 1410 Krit. insoweit Wenglorz FS Fezer (2016) 957, 965. 1411 Sog. „gender pricing“, vgl. dazu New York City Department of Consumer Affairs (Hrsg.), From Cradle to Cane: The Cost of Being a Female Consumer. A Study of Gender Pricing in New York City, Studie (2015), abrufbar unter http://www1.nyc.gov/assets/dca/downloads/pdf/partners/Study-of-Gender-Pricingin-NYC.pdf. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Frauen im Durchschnitt 7% mehr für Waren bezahlen als Männer, bei Pflegeprodukten ist der Satz mit 13% am höchsten. 1412 Zweifelnd Hofmann WRP 2016, 1074, 1079. 1413 Hierzu Hofmann WRP 2016, 1074, 1076 und 1079. 1414 LG München I 20.10.2017 – 3 HKO 2416/17 – WRP 2017, 252 Tz. 38; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.111; Ohly/Sosnitza Rn. 464. 1415 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.111; Ohly/Sosnitza Rn. 464. 1416 BGH 31.3.2016 – I ZR 3/15 – GRUR 2016, 1070 Tz. 20 – Apothekenabgabepreis.
Lindacher/Peifer
876
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
ernstlichkeit – Schluss auf die Irreführung auf einen Doppelschritt. Aus der ungenügenden Dauer früherer Preisstellung wird unmittelbar auf die Irreführung geschlossen. Genaueres Zusehen zeigt freilich, dass der Zwischenschritt auch von § 5 Abs. 4 S. 1 unausgesprochen mitgedacht wird: Die offen gehaltene Widerlegung der Irreführungsvermutung knüpft typischerweise just am Merkmal Ernsthaftigkeit des ursprünglichen Preisverlangens an. Der Eigenpreisvergleich ist trotz unangemessen kurzer Geltungsdauer des Ursprungspreises nicht als irreführend zu erachten, wenn Einzelfallumstände ausnahmsweise auf ein ernstliches Fordern desselben schließen lassen.1417 Welche Zeitspanne angemessen lang i.S. von § 5 Abs. 4 S. 1, lässt sich nicht allge- 663 mein, sondern nur branchenbezogen unter Berücksichtigung der jeweiligen Wettbewerbssituation beurteilen.1418 Langlebige und höherwertige Wirtschaftsgüter stehen eher für einen längeren Zeitraum, bei Waren des täglichen Bedarfs reichen auch kürzere Zeiträume aus.1419 Kasuistik: Bei Orientteppichen, einer bekannterweise besonders missbrauchsträchtigen Branche, wurde gefordert, dass der alte Preis mindestens sechs Monate(!) gestellt worden war,1420 Bei Möbeln wurde eine Frist von mindestens einem Monat angesetzt.1421 Als unzulänglich erachtet: drei Wochen für Preise, die nur testweise für anderwärts nicht absetzbare Waren des täglichen Bedarfs verlangt wurden.1422 Bei mehrfacher Preisherabsetzung in Folge darf das Unternehmen in Gegenüberstel- 664 lung des aktuellen Preises mit dem unmittelbar zuvor verlangten Preis werben, wenn die Geltungszeiträume für die sich einander ablösenden Altpreise in der Summe von angemessener Dauer sind. (2) Preissenkungswerbung mit Preisgegenüberstellung lässt erwarten, dass der be- 665 nannte Basispreis bis unmittelbar vor der beworbenen Preissenkung gegolten hat. Es reicht grundsätzlich nicht, dass dieser lange, aber gerade nicht unmittelbar vor der Aktion gefordert wurde.1423 Irreführend ist es danach auch, einen Preis durchzustreichen, der vor der Senkung gerade nicht verlangt wurde.1424 Kasuistik: Die Werbung „20% auf alles“ ist irreführend, wenn der Werbende auf der Bezugsseite nicht als solche gekennzeichnete „Sonderpreise“ wieder auf das Ursprungsniveau angehoben hat.1425 Bei werblich entsprechend herausgestellten Aktionspreisen sollte das Einstellen 666 des über lange Zeit geforderten Preises als Basispreis für die Rabattierung freilich nicht zu beanstanden sein: Der Verkehr rechnet schwerlich mit einer Doppelung der Rabattierung für solche Artikel, die Gegenstand einer zwischenzeitlich ausgelaufenen Aktion waren. (3) Vorbehaltlose Preissenkungswerbung erweckt den Eindruck relativer Aktualität. 667 Die werblich herausgestellte Preissenkung darf deshalb nicht bereits längere Zeit zurück-
_____
1417 Ähnlich Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 455. 1418 BGH 29.10.1998 – I ZR 163/96 – GRUR 1999, 507, 508 = WRP 1999, 657, 659 – Teppichpreiswerbung; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 460. 1419 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.120; Ohly/Sosnitza Rn. 465. 1420 OLG Bremen 8.7.1971 – 2 U 54/71 – WRP 1971, 530, wohl überzogen; flexibler LG Zweibrücken 6.3.2015 – 2 O 215/13 – WRP 2015, 1404 (nach redaktionellem Leitsatz ein Monat). 1421 OLG Stuttgart 17.11.1995 – 2 U 175/95 – WRP 1996, 469, 473. 1422 OLG Hamm 10.5.1977 – 4 U 83/77 – WRP 1977, 814, 815. 1423 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.123; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 449. 1424 OLG München 22.3.2018 – 6 U 3026/17 – WRP 2018, 1013 Tz. 41. 1425 BGH 20.11.2008 – I ZR 122/06 – GRUR 2009, 788 Tz. 15 und 17 = WRP 2009, 951 – 20% auf alles.
877
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
liegen.1426 Welcher Zeitraum noch tolerabel ist, beurteilt sich in erster Linie nach der Art der beworbenen Ware bzw. Leistung: Bei Produkten mit oszillierenden Marktpreisen (wie Benzin) führt wohl bereits die Werbung mit einer mehr als eine Woche zurückliegenden Preissenkung irre. Der Verkehr schließt aus der verfristeten Ankündigung fälschlich auf eine neue, weitere Preisreduktion. Im Übrigen dürfte bei Waren des täglichen Bedarfs die Grenze bei höchstens einem Monat,1427 ja selbst bei höherwertigen Gebrauchsgütern im Allgemeinen nur moderat darüber anzusetzen sein. Erweckt die Werbung durch ihre konkrete Ausformung den Eindruck besonderer Aktualität, verschärfen sich selbstredend die Anforderungen:1428 Die Ankündigung „ab sofort im Preis reduziert“ führt irre, wenn die Preisherabsetzung bereits drei Wochen zurückliegt.1429 Dass bereits das Wort „jetzt“ den Eindruck besonderer Kurzfristigkeit der Preissenkung suggeriert,1430 will freilich kaum einleuchten. 668
(4) Vergleichbarkeit des Preises verlangt Gleichheit des Angebots. Fehlerhafte, beschädigte oder inaktuell gewordene Ware darf nur bei einschlägigem klarstellendem Hinweis als „reduziert“ herausgestellt werden.1431
(5) Vorbehaltlose gesamtsortimentsbezogene Rabattankündigungen („…% auf alles“) sind irreführend, wenn im Shop-in-the-Shop-System im Rahmen eines Agenturvertrags Artikel vertrieben werden, die vertragsgemäß nicht dem Rabatt unterliegen.1432 Andererseits erwartet der Verkehr nicht ohne weiteres, dass bei großer Sortimentsbreite die Ausgangspreise ausnahmslos bei jedem Artikel längere Zeit gegolten haben müssen.1433 Es genügt deshalb nicht, dass dem Werbenden nachgewiesen werden kann, dass der Preis für einen bestimmten Artikel erst am Vortag der Werbung heraufgesetzt wurde.1434 Gehäufter mangelnder Vorlauf zur Rabattankündigung schadet freilich – wohl nicht erst dann, wenn bei der Mehrzahl der Artikel die Ausgangspreise nicht angemessen lang gegolten haben.1435 Irreführungspotential hat die Praxis, mehrere Rabattaktionen mit gleichbleibenden 670 Vorteilen derart hintereinander zu schalten, dass über einen längeren Zeitraum ein „Normalpreis“ überhaupt nicht mehr verlangt wurde. Dies beeinflusst das Phänomen des „dynamic pricing“. Auf digitalen Portalen, aber auch bei digital gesteuerten Preisen in Warengeschäften, können ständig Preisanpassungen nach dem jeweiligen Nachfrageverhalten durchgeführt werden (oben Rn. 660). Ein Normalpreis ist danach kaum fixierbar. Zwar besteht keine strenge Pflicht, Preise eine gewisse Zeit lang stabil zu halten, dies gilt allerdings nicht, wenn Preise als Referenzpreise in Rabattaktionen genannt
669
_____
1426 BGH 29.10.1998 – I ZR 163/96 – GRUR 1999, 507, 509 = WRP 1999, 657, 660 – Teppichpreiswerbung; OLG München 22.3.2018 – 6 U 3026/17 – WRP 2018, 1013 Tz. 41; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 385; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.122; MünchKommUWG/Busche Rn. 455. 1427 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 385/375. Deutlich großzügiger – 4 bis 10 Wochen – Köhler/Bornkamm Rn. 7.84. 1428 OLG Hamm 16.1.1979 – 4 U 323/77 – DB 1979, 1356; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.123. 1429 OLG Nürnberg 27.2.1979 – 3 W 149/78 – GRUR 1979, 558. 1430 So Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.123. 1431 OLG Karlsruhe 22.12.78 – 6 U 98/78 – WRP 1979, 225, 226; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.125. 1432 OLG Saarbrücken 18.10.2006 – 1 U 670/05 – GRUR-RR 2007, 161 – „20% auf alles, ausgenommen Tiernahrung“. 1433 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 380. 1434 OLG Saarbrücken 21.6.2006 – 1 U 625/05 – OLGR 2006, 1088, 1089. 1435 So freilich Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 380.
Lindacher/Peifer
878
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
werden. Das führt dazu, dass die Verwendung dynamischer Preise die Werbung für Preissenkungen unter Bezugnahme hierauf im Wesentlichen unzulässig macht. Durchgestrichene Referenzpreise dürfen daher keine dynamischen Preise sein. Generell muss der Unternehmer eine Rabattaktion in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht so durchführen, wie sie angekündigt ist.1436 Rabattverlängerungen sind als solche zu kennzeichnen.1437 Bei Verkürzung eines Rabatts entgegen einer angekündigten längeren Rabattfrist liegt eine Irreführung jedenfalls vor, wenn die Verkürzung bereits vorher beabsichtigt war.1438 In allen Fällen fehlt die Irreführung nur, wenn die Gründe für die Veränderung der Rabattbedingungen erst nach Beginn der Aktion eingetreten sind. Die Unlauterkeit folgt ansonsten daraus, dass eine Angebotsbegrenzung vorgetäuscht wurde, die gar nicht bestand oder eine Angebotsfrist genannt wurde, die dann nicht eingehalt wird. Beide Umstände führen zu marktentscheidungsrelevanten Entscheidungen, sei es die zu schnelle oder die zu langsame (und daher frustrationsträchtige) Reaktion des Interessenten. (6) Entgegen früher verbreiteter Ansicht1439 sind Werbeaussagen, die Preisnachlässe 671 in Spannen („von … bis …%) oder einseitig offen („bis 40%) ankündigen, nicht per se unzulässig.1440 Die Rechtsprechung stellt freilich an die einschlägige Preissenkungswerbung in Hinblick auf die Gefahr einer Irreführung über den Preissenkungsumfang zu Recht strenge Anforderungen: Der Verkehr erwartet mangels eindeutiger näherer Begrenzung, dass das gesamte beworbene Sortiment verbilligt angeboten und der benannte Höchstsatz bei einem gemessen am Gesamtangebot ins Gewicht fallenden Teil der Waren erreicht wird.1441 Bildet der Werbende kleinstufig Margen, indem er für die werblich herausgestellten Artikel Rubriken mit Preisnachlässen von „bis zu 60%“ bis „bis zu 20%“ bildet, soll es unschädlich sein, dass der Höchstsatz nicht bei allen Rubriken erreicht wird, wenn die Preisreduzierungen stets über dem Prozentsatz der nächst niedrigen Marge und innerhalb der Marge durchschnittlich 4 bis 5% unter dem jeweiligen Höchstsatz liegen.1442 Das erscheint richtig, wenn und soweit zumindest der Spitzenhöchstsatz in einer hinreichenden Zahl von Fällen erreicht wird. Wird eine Rabattaktion eingeschränkt, so muss für den Adressaten klar sein, welche Waren ausgenommen sind, denn auch eine Ankündigung „30% auf fast alles“ versteht der Adressat zunächst als generelle Preissenkungsankündigung, zumal wenn die Ankündigung im Blickfang Beispiele für die in den Rabatt einbezogenen Waren aufzählt.1443
_____
1436 BGH 16.5.2013 – I ZR 175/12 – GRUR 2013, 91 Tz. 19 – Treuepunkte-Aktion; BGH 7.7.2011 – I ZR 173/09 – GRUR 2012, 208 Tz. 21 – 10% Geburtstags-Rabatt; BGH 7.7.2011 – I ZR 181/10 – GRUR 2012, 213 Tz. 20 – Frühlings-Special; ebenso bei Jubiläumspreisen LG Würzburg 8.6.2017 – 1 HKO 555/17 – WRP 2017, 1020 Tz. 22; vgl. unten Rn. 735. 1437 BGH 7.7.2011 – I ZR 173/09 – GRUR 2012, 208 Tz. 22 – 10% Geburtstags-Rabatt; Fezer/Büscher/ Obergfell/Peifer Rn. 457. 1438 BGH 16.5.2013 – I ZR 175/12 – GRUR 2013, 91 Tz. 21 – Treuepunkte-Aktion. 1439 S. etwa OLG Celle 29.11.1963 – 3 U 74/63 – WRP 1964, 91, 92; OLG Oldenburg – 30.5.1958 – 1 U 12/58 – BB 1958, 892, 893. 1440 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 385; MünchKommUWG/Busche Rn. 446; Ohly/Sosnitza Rn. 463. 1441 BGH 16.2.1966 – Ib ZR 16/64 – GRUR 1966, 382, 384 = WRP 1966, 184, 187 – Jubiläum; OLG Hamm 17.1.2008 – I-4 U 161/07 – MMR 2008, 476. 1442 OLG Frankfurt 30.11.1989 – 6 U 150/89 – NJW-RR 1990, 1068, 1069. 1443 OLG Köln 20.4.2018 – 6 U 153/17 – WRP 2018, 1000 – „30% RABATT auf fast alles“; ähnlich OLG München 8.2.2018 – 6 U 403/17 – WRP 2018, 623 – 25% Geburtstagsrabatt auf fast alles.
879
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
672
dd) Schlichte Preissenkungswerbung. Preissenkungswerbung, bei der der Ursprungspreis weder direkt noch mittelbar angegeben wird, begegnet in der Praxis durch Aussagen wie „reduziert“, „%“, „sale“, „jetzt nur …“. Einschlägige Werbung lässt zwar die genaue Ersparnis im Dunklen, führt aber noch nicht positiv irre. Allerdings weckt sie entsprechende Mindesterwartungen: Der nunmehr geforderte Preis muss daher signifikant unter dem zuvor geforderten liegen. 673 Die Vermutungsregel des § 5 Abs. 4 S. 1 greift nicht.1444 Wirbt der Unternehmer mit einer „Preissenkung“, die lediglich daraus resultiert, dass der Preis zuvor kurzfristig erhöht wurde, mangelt es freilich materiell an einer Reduktion. Die Werbung ist eben deshalb irreführend.1445 Wie bei der Preissenkungswerbung unter Preisgegenüberstellung gilt zudem auch 674 für die reine Preissenkungswerbung: Preisherabsetzungswerbung darf nicht unangemessen lang betrieben werden. Was die (Noch-)Angemessenheit der zeitlichen Nähe zur Preisherabsetzung anbelangt, gilt das unter Rn. 660 Ausgeführte entsprechend. f) Irreführung durch selektive Niedrigpreisstellung? Schrifttum Lindacher Lockvogel- und Sonderangebote. Rechtliche Grenzen selektiver Niedrigpreiswerbung, 1979.
Niedrigpreisstellungen einzelner Artikel des Gesamtsortiments sind eine gängige Strategie im Streben nach Gesamtgewinnmaximierung. Selbst Verkäufe der Zugartikel zu Unter-Einstandspreisen (die beschränkt auf den betreffenden Artikel selbst Verluste bringen!) können unter dem Gesichtspunkt des komplementären Erlösverbunds betriebswirtschaftlich sinnvoll sein: Interessenten, die zum Erwerb des Zugartikels das Geschäftslokal aufsuchen, neigen erfahrungsgemäß alles andere als selten dazu, sei es aus Bequemlichkeit, Perseverationsstreben oder Zeitersparnisgründen auch andere (normal oder gar erhöht kalkulierte) Artikel zu erstehen. 676 Die rechtliche Beurteilung selektiver Niedrigpreisstellung unter Irreführungsgesichtspunkten hat sich im Zeitablauf geändert. Der klassische Modellansatz (rechtlich relevante Irreführung bereits bei Fehlvorstellungen „eines nicht unerheblichen Teils des angesprochenen Verkehrs“, s. Vor §§ 5, 5a Rn. 67) und das Ergebnis empirischer Untersuchungen der 1960er- und 1970er-Jahre, der Verkehr entwickle hinsichtlich solcher Unternehmen, die häufig preisgünstige Sonderangebote herausstellen, auch diffuse Preisgünstigkeitsvorstellungen hinsichtlich des Gesamtsortiments, veranlassten die Rechtsprechung zunächst zu einer harten Linie. In der „Lockvogel“-Entscheidung untersagte der BGH1446 das Herausstellen bekannter Markenspirituosen als über die Preiswürdigkeit des Restsortiments täuschende Praktik, Folgeentscheidungen relativierten dies, stellten indes nach wie vor strenge Anforderungen an die Erkennbarkeit des Ausnahmecharakters des Zugartikelangebots: Die Erkenntnis, dass zumindest solche Niedrigpreisstellungen, die ausdrücklich oder sonst unzweideutig – optisch hinreichend deutlich – als „Sonderangebote“ verlautbart wurden, jedenfalls bei wertender Betrachtung verbotsfrei bleiben mussten,1447 setzte sich nur langsam durch. 675
_____
1444 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 374. 1445 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm aaO. 1446 BGH 17.9.1969 – I ZR 35/68 – GRUR 1970, 33, 34 = WRP 1969, 446, 447. 1447 Frühzeitige Befürwortung einer normativen Betrachtung etwa durch D. Reimer GRUR 1974, 568, 573; Kraft WRP 1975, 83, 85; M. Lehmann GRUR Int. 1977, 135, 143.
Lindacher/Peifer
880
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
Heute sollte außer Frage stehen:1448 Der hinreichend informierte und verständige 677 Durchschnittsverbraucher durchschaut die Sonderangebotsstrategie, schließt beim Fehlen von Zusatzfaktoren mitnichten aus der Preisgünstigkeit von Einzelangeboten auf besondere Preisgünstigkeit des Gesamtangebots. Einschlägiger Werbung mangelt bereits der Irreführungscharakter, es bedarf keines Rückgriffs auf eine „Interessenabwägung“. Beispielscharakter für die Preisgünstigkeit des Gesamtangebots kommt Einzelange- 678 boten bei entsprechender Ausgestaltung des Begleittextes zu,1449 so bei Werbeslogans wie „Bei uns ist ihr Geld mehr wert, z.B. Margarine …“1450 oder „Tiefstpreise Tag für Tag, das ist …“.1451 Je nach Umständen mag darüber hinaus eine Massierung günstiger Angebote quer über die Sortimentsteile ausnahmsweise zu Preisgünstigkeitsvorstellungen hinsichtlich des Gesamtsortiments verleiten.1452 g) Preisgünstigkeitsberühmung durch Nennung eines besonderen Verkaufs- 679 grunds. Wer einen besonderen, Preisgünstigkeitsassoziationen auslösenden Verkaufsgrund herausstellt, führt den Verkehr irre: über den Anlass des Verkaufs, wenn es am benannten Grund fehlt (hierzu Rn. 750), unabhängig vom Vorliegen des entsprechenden Anlasses darüber hinaus, wenn es an einem entsprechenden Vorteil mangelt. Welche Preisgünstigkeitserwartung einzulösen (Preisgünstigkeit gemessen am „Normalpreis“ des Werbenden oder Preisgünstigkeit gegenüber der Konkurrenz) sind, hängt vom konkret benannten Aktionsgrund ab. Fallweise darf der Verkehr durchaus Preisvorteile in diesem wie jenem Sinn erwarten. h) Preislisten. Über die Preisbemessung kann der Werbende auch durch Bezug- 680 nahme auf Preislisten irreführen: Wer Preislisten veröffentlicht oder im Verkaufsgespräch vorlegt, setzt damit einen Tatbestand, der auf eine prinzipielle Selbstbindung schließen lässt. Berechnet er Kunden einen niedrigeren Preis als den „Listenpreis“, vermittelt er ihnen den Eindruck der Gewährung einer individuellen Vergünstigung, führt deshalb im marktentscheidungsrelevanter Weise irre, wenn er – unaufgefordert oder auf entsprechendes Verlangen – allgemein unter Listenpreis verkauft.1453 Das Gesagte gilt uneingeschränkt für die Bezugnahme auf eigene Preislisten. Her- 681 stellerpreislisten kann sich der Werbende zu eigen machen; die Bezugnahme macht dann gleichfalls prinzipielle Allgemeingültigkeit der Liste geltend. Die Heranziehung einer Herstellerliste im Verkaufsgespräch für sich allein genügt freilich insoweit richtigerweise nicht; der hinreichend informierte und verständige Durchschnittskunde wird die als solche erkennbare Herstellerliste im Wissen um den bloßen Empfehlungscharakter als reine Kalkulationsgrundlage betrachten. Bleibt die Art des „Listenpreises“ (eigener Listenpreis, Preisempfehlung des Herstellers) nach Lage der Dinge für den Durchschnittsinteressenten offen, muss nach der Unklarheitenregel den Anforderungen für jede Deutungsalternative entsprochen sein (s. Rn. 124 ff.). Wer den Eindruck erweckt, dass er sich auf einen Listenpreis, also einen festen Angebotspreis bezieht, der führt irre, wenn die in Bezug genommene Liste tatsächlich nur unverbindliche Preisempfehlungen enthält.1454
_____
1448 Wie hier: Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 372; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.54; MünchKommUWG/Busche Rn. 449 f. 1449 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.55. 1450 OLG Hamburg 20.8.1970 – 3 U 72/70 – BB 1970, 1319. 1451 OLG Hamburg 9.6.1977 – 3 U 20/77 – WRP 1977, 651, 652. 1452 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.55. 1453 Harte/Henning/Weidert D Rn. 85; Ohly/Sosnitza Rn. 477; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.95. 1454 OLG Stuttgart 14.11.2013 – 2 U 182/12 – WRP 2014, 244 Tz. 46 f.
881
Lindacher/Peifer
§5
682
Irreführende geschäftliche Handlungen
i) Eck- und Margenpreise. Inserat- und sonstige Werbung, die nur die Untergrenze einer Preisstaffelung (Beispiel: „Markenhemden ab …“) oder die Unter- und Obermarke einer solchen (Beispiel: „Mäntel von … bis …“) nennt, ist grundsätzlich zulässig. Das Publikum erwartet freilich, dass auch Ware der unteren Preiskategorie in nennenswertem Umfang vorhanden ist.1455 Werden Waren verschiedener Gattung und Qualität zu Mindest- oder Margenpreisen angekündigt, muss Ware jeder Gattung und Qualität in angemessener Menge zum niedrigsten Preis vorhanden sein. Irreführend ist selbstredend nach allgemeinen Grundsätzen (s. Rn. 103 ff.) eine äußere Gestaltung der Werbeanzeige, die auch dem situationsadäquat aufmerksamen Leser nur die Preisangabe, nicht aber die relativierende Kennzeichnung derselben als unterer Eckpreis ins Auge springen lässt.: Bei einer „ab € …“-Werbung darf die Schriftgröße für das Wort „ab“ im Vergleich zur Zifferngröße des Preises nicht unverhältnismäßig klein gehalten werden. j) Preisangabe und Mehrwertsteuer Schrifttum Haller Die Werbung mit dem Zusatz „inkl. MwSt“, WRP 1989, 5; Seb. Meyer Preiswerbung ohne Umsatzsteuer bei B2B-Geschäften im Internet, K&R 2011, 27; A. Scholz Ist Werbung für den Verkauf von Waren mit der Behauptung, der Verkauf erfolge ohne Mehrwertsteuer, zulässig?, WRP 2008, 571.
683
Preisangaben im Rahmen einer Werbung, die objektiv jedenfalls auch Verbraucher anspricht, dürfen vom Verkehr in Hinblick auf das einschlägige Gebot des § 1 Abs. 1 PAngV als Endpreise verstanden werden, welche die gesetzliche Mehrwertsteuer einschließen. Ist dies nicht der Fall, liegt nicht nur ein nach § 3a sanktionierter Verstoß gegen die PreisangabenVO sowie ein Verstoß gegen § 5a Abs. 2/3 Nr. 3 (hierzu: § 5a Rn. 55 f.), sondern auch eine Irreführung nach § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 vor.1456 Irregeführt werden insoweit nicht nur interessierte Verbraucher, sondern auch gewerbliche Interessenten: Auch Unternehmer gehen davon aus und dürfen (Stichwort: akzessorische Verkehrsauffassung, s. Vor §§ 5, 5a Rn. 51) davon ausgehen, dass der Werbende seine Preise verordnungskonform ausflaggt. Benennt der Werbende den (Netto-)Preis mit dem unübersehbaren Zusatz „plus Mehrwertsteuer“, mag er damit zwar der Irreführung entgegenwirken.1457 Der Verstoß gegen § 1 Abs. 1 PAngV und § 5a Abs. 2/3 Nr. 3 bleibt unberührt. Wettbewerbsrechtlich zumindest gefährlich ist erstaunlicherweise nach wie vor eine 684 Preiswerbung mit dem – wahrheitsgemäßen – Zusatz „einschließlich Mehrwertsteuer“: In Übernahme der höchstrichterlichen „incl. MwSt“-Rechtsprechung der frühen 1990erJahre1458 bejaht man eine Irreführung unter dem Gesichtspunkt der Werbung mit Selbstverständlichkeiten tendenziell bereits dann, wenn der Zusatz am Blickfang teilhat.1459 Richtigerweise sollte anerkannt werden, dass der – wahre – Hinweis, der angegebene Preis schließe die Mehrwertsteuer ein, zumindest im Grundsatz nicht zu beanstanden
_____
1455 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 358; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.143; MünchKommUWG/Busche Rn. 490. 1456 BGH 29.4.2010 – I ZR 99/08 – GRUR 2011, 82 Tz. 29 = WRP 2011, 55 – Preiswerbung ohne Umsatzsteuer; Harte/Henning/Weidert D Rn. 24; Ohly/Sosnitza Rn. 445. 1457 A.A. Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 352. 1458 BGH 22.2.1990 – I ZR 146/88 – GRUR 1990, 1027 = WRP 1990, 818 – incl MWSt I; 22.2.1990 – I ZR 201/88 – GRUR 1990, 1028 = WRP 1990, 819 – incl MwSt II; 5.7.1990 – I ZR 217/88 – GRUR 1990, 1029 = WRP 1991, 29 – incl MwSt III. 1459 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.154.
Lindacher/Peifer
882
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
ist.1460 Soweit die Verpflichtung zur Endpreisbenennung nach § 1 PAngV auf dem – sachlich und örtlich – relevanten Markt allgemein eingehalten wird, verlautbart der Hinweis zwar eine Selbstverständlichkeit, der Verkehr durchschaut sie im Allgemeinen aber auch als solche und wird dann von vornherein nicht irregeführt. Soweit es auf dem relevanten Markt (insbesondere in Bereichen, in denen Waren bzw. Leistungen auch oder gar primär gewerblichen Abnehmern angeboten werden) zu gehäuften Verstößen gegen die Endpreisbenennungspflicht kommt, beinhaltet der Hinweis hingegen schon keine Selbstverständlichkeit. Soweit schließlich eine Minderheit den Hinweis „inklusive Mehrwertsteuer“, insbesondere auf Grund negativer Erfahrungen in anderen Branchen, fälschlicherweise als Behauptung des Werbenden versteht, die Preisangaben der Mitbewerber schlössen im Gegensatz zu den eigenen in nennenswertem Umfang keine Mehrwertsteuer ein, liegt zwar eine objektive Irreführung vor. Die einschlägige Irreführung bleibt jedoch als Ergebnis gebotener Interessenabwägung (allgemein: Rn. 268 ff.) grundsätzlich hinzunehmen: Dem Werbenden muss es in dieser Konstellation erlaubt sein, das potentielle Vorurteil, sein Angebot verstehe sich als bloßes Nettopreis-Angebot, auszuräumen. Der Adressat profitiert vom Hinweis jedenfalls insoweit, als er sicher sein kann, dass jedenfalls das konkrete Angebot die Mehrwertsteuer umfasst. Lauterkeitsrechtlich schädlich sollte deshalb letztlich nur eine übermäßige Hervorhebung des Umstands sein, dass der benannte Preis die Umsatzsteuer einschließt. Eine derartige Gestaltung der Werbebotschaft, für bloße Klarstellungen unüblich, wird tendenziell vielmehr ganz überwiegend als Ankündigung einer Besonderheit verstanden, die aber eben nicht einmal dann gegeben ist, wenn es unter Mitbewerbern eine nennenswerte Zahl „schwarzer Schafe“ geben sollte. Von einschlägigem Übermaß sollte dabei freilich, wie mit Nachdruck zu betonen bleibt,1461 keineswegs bereits immer dann gesprochen werden, wenn der MwSt-Hinweis selbst bei flüchtiger Notiznahme von der werblichen Gesamtaussage nicht zu übersehen ist. Der entsprechende Zusatz muss unter Informationsaspekten mit der Preisangabe selbst wahrnehmbar sein. Im reinen Business-to-Business-Verkehr besteht keine Pflicht, Preise als die Mehr- 685 wertsteuer einschließende Endpreise anzugeben. Fraglich und streitig ist freilich, ob der Werbende bei Verwendung von Nettopreisen zur Vermeidung einer Irreführung gehalten ist, den Nettopreischarakter explizit klarzustellen. In Hinblick auf die beiderseitige Vorsteuerabzugsberechtigung mag zwar unter Kaufleuten verbreitet nach wie vor „NettoDenken“ dominieren. Solange in der Judikatur und Literatur zusatzlose Preisangaben noch immer als Bruttopreise interpretiert werden,1462 ist der Werbende unter dem Aspekt von § 5 gleichwohl gehalten, Nettopreise als solche kenntlich zu machen:1463 Die zusatzlose Preisangabe droht zumindest von einem Teil des relevanten Verkehrs als Preis einschließlich Mehrwertsteuer (miss)verstanden zu werden.1464 Konsequenterweise muss es andererseits auch erlaubt sein, bei Benennung von Preisen, die die Umsatzsteuer einschließen, klarstellend auf diesen Umstand hinzuweisen.1465
_____
1460 Zum Folgenden – weithin übereinstimmend – auch Haller WRP 1989, 5 ff. 1461 In Abgrenzung zu BGH 22.2.1990 – I ZR 201/88 – GRUR 1990, 1028 = WRP 1990, 819 – incl MwSt II. 1462 OLG Zweibrücken 14.2.2002 – 4 U 114/01 – GRUR-RR 2002, 306; Ohly/Sosnitza Rn. 445. 1463 So für das Angebot von Gebrauchtfahrzeugen auf Internetportalen BGH 29.4.2010 – I ZR 99/08 – GRUR 2011, 82; Meyer K&R 2011, 27, 29. 1464 Harte/Henning/Weidert D Rn. 25. 1465 OLG Karlsruhe 5.8.1987 – 4 W 66/87 – WRP 1988, 184; Haller WRP 1989, 5, 9.
883
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
k) Kopplungsangebote Schrifttum Ohly Die wettbewerbsrechtliche Beurteilung von Gesamtpreisangeboten, NJW 2003, 2135.
Angebote, in denen unterschiedliche Produkte zu einem Gesamtangebot zusammengefasst werden, sind grundsätzlich wettbewerbskonform. Ob ein Unternehmer seine Waren oder Dienstleistungen einzeln oder zusammen abgeben will und wie er die Kombination gestaltet, ist Teil seiner wettbewerblichen Entscheidungsfreiheit.1466 § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 ist thematisiert bei blickfangmäßiger Herausstellung des Prei687 ses eines Teils des Gesamtangebots ohne Verdeutlichung des Umstands, dass das herausgestellte Angebot nur im Paket mit anderen kostenträchtigen Leistungen in Anspruch genommen werden kann (Fall der Verschleierung des Kopplungscharakters),1467 weiter beim Erwecken unzutreffender Vorstellungen über den Wert einer der Hauptleistung beigegebenen Zugabe, weil dem Kunden dadurch auch die zutreffende Einschätzung von Wert und Bedeutung des Gesamtangebots verwehrt wird.1468 Unklarheit über die Gesamtbelastung ausgleichende Informationen schuldet der Unternehmer gegebenenfalls nach § 5a sowie der – nach § 3a sanktionsbewehrten – PreisangabenV.1469 Allerdings ist es dem Unternehmen gestattet, Waren zu Paketen zu bündeln. Eine generelle Pflicht, bei solchen Bündelungen alle Einzelpreise zu nennen, besteht auch im Rahmen des § 5a Abs. 2 oder Abs. 3 nicht, solange der Gesamtpreis selbst angegeben wurde.1470 Kasuistik: Wird auf einem Prospekt in unmittelbarer Nachbarschaft der Rubrik „vertragsfreie Handys“ – wenn auch in einem farblich abgesetzten Feld – ein vertragsgebundenes Handy unter Kaufpreisangabe beworben, muss die Aufklärung, dass der Preis nur bei Abschluss eines Mobilfunkkartenvertrags gelten soll, besonders deutlich sein. Fehlt die Aufklärung (wenn auch unabsichtlich), kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Verbraucher aus der Günstigkeit des Angebots von sich aus auf einen Fehler der Werbung schließt.1471 Bietet ein Computerhändler einen Computer mit vorinstallierter Software an, genügt die Angabe des Gesamtpreises, der Preis der Software muss nicht mitgeteilt werden.1472
686
688
l) Reduzierter Gesamtpreis (Mehrfachgebinde). Wird eine Ware einzeln und in Mehrfachgebinden angeboten, darf auf den Umstand, dass der Packungspreis unter der Summe der Einzelstückpreise bleibt, werblich hingewiesen werden. Der Anbietende darf die Ersparnis durch Vergleich des Packungsgesamtpreises mit dem Betrag verdeutlichen, der beim Kauf des Packungsinhalts zu Einzelstückpreisen zu zahlen wäre, oder aber Packungsdurchschnittspreis und Einzelstückpreis gegenüberstellen. Voraussetzung ist
_____
1466 Heute allg.M.; statt mancher Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 394; Köhler/Bornkamm/ Feddersen Rn. 3.64. 1467 EuGH 26.10.2016 – C-611/14 – GRUR 2016, 1307 Tz. 49; OLG Hamm 21.3.2017 – 4 U 166/16 – WRP 2017, 1126 – Gesamtpreisangabe für ausgestellte Möbel; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.71; Ohly/ Sosnitza Rn. 460. 1468 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 358; Ohly/Sosnitza Rn. 460. 1469 Zur Abgrenzung in der Praxis KG 21.6.2017 – 5 U 185/16 – WRP 2017, 226 Tz. 9, 11. 1470 EuGH 7.9.2016 – C-310/15 – WRP 2016, 1342 Tz. 46 – Vincent Deroo-Blanquart/Sony Europe (zu Art. 7 Abs. 4 RL 2005/29/EG). 1471 LG Hanau 28.9.2011 – 5 O 52/11 – WRP 2012, 363. 1472 EuGH 7.9.2016 – C-310/15 – WRP 2016, 1342 Tz. 51 – Vincent Deroo-Blanquart/Sony Europe.
Lindacher/Peifer
884
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
freilich, dass der höhere Einzelstückpreis ernsthaft gefordert wird.1473 Wer einen Getränkekasten mit „2 Gratisflaschen“ angibt, führt nicht irre, wenn er einen Gesamtpreis und einen Grundpreis unter Einbeziehung des Wertes der Gratisflaschen mitteilt.1474 m) Irreführung über die (Gesamt-)Belastung durch Verdeckung von Provisi- 689 onspflichten. Über die den Kunden treffende Gesamtbelastung führt i.S. von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 irre, wer verdeckt, dass außer dem benannten Preis im Geschäftsabschlussfall noch eine Provision zu zahlen ist: Gewerbliche Vermittler müssen, soweit der Anfall einer Provision nicht bereits durch den jeweiligen Status nahegelegt wird, explizit und unzweideutig auf die Provisionspflichtigkeit hinweisen. Kasuistik: Bei Immobiliengeschäften eines „Finanz- und Vermögensberaters“ liegt zwar der Verkauf aus eigenem Bestand fern. Mit einem provisionspflichtigen Angebot rechnet der Verkehr gleichwohl nicht ohne weiteres: Ein nicht unerheblicher Teil der Angesprochenen erwartet, dass der Werbende in seiner Eigenschaft als Berater eines bestimmten Auftraggebers ein Grundstück aus dessen Bestand anbietet und von diesem dafür – entweder im Rahmen seiner Gesamttätigkeit oder für den konkreten einzelnen Tätigkeitsfall – auch honoriert wird.1475 Makler, die ihre Maklereigenschaft hinreichend verlautbaren, müssen hingegen die 690 Provisionspflichtigkeit des vermittelten Immobiliengeschäfts nicht eigens kundmachen.1476 Immobilienmakler vermitteln zwar auch Geschäfte, bei denen lediglich eine Verkäuferprovision anfällt. Die Provisionsfreiheit für den Erwerber ist indes erkennbar eine Ausnahme, auf die denn auch im Allgemeinen, um die Lukrativität des Angebots herauszustreichen, besonders hingewiesen wird. Zur zentralen Frage wird damit gegebenenfalls, ob die Maklereigenschaft als solche hinreichend deutlich gemacht wird. Kasuistik: Keine Irreführung liegt vor, wenn ein Immobilienmakler unter Angabe seiner Firma, die das Wort „Immobilien“ enthält, in einer Zeitungsanzeige wirbt, ohne auf die Provisionspflichtigkeit besonders hinzuweisen: Der Firmenbestandteil „Immobilien“ verdeutlicht dem Durchschnittsleser die Maklereigenschaft.1477 Ob die Abkürzung „RDM“ (für: „Ring Deutscher Makler“) bei nichtkaufmännischen Immobilieninteressenten einen derartig hohen Bekanntheitsgrad hat, dass nur eine quantité négligeable über die Maklergebundenheit des Geschäfts (und damit über die Provisionspflicht) im Unklaren bleibt, lässt sich nicht aus richterlichem Erfahrungswissen beantworten, bedarf deshalb empirischer Erforschung.1478 n) Irreführung über das Preis-Leistung-Verhältnis durch unvollständige Pro- 691 duktbeschreibung. Unternehmer sind bei Inseratwerbung nicht verpflichtet, die unter Preisangabe beworbene Ware/Leistung in allen Einzelheiten zu beschreiben. Eine Verpflichtung zur vollständigen Produktbeschreibung folgt weder aus der Preisangabenverordnung1479 noch generell aus § 5a, der in abgestufter Weise regelt, welche Informationen
_____
1473 BGH 25.10.1984 – I ZR 129/82 – GRUR 1985, 392, 393 – Sparpackung m. Anm. Sambuc; Köhler/ Bornkamm/Feddersen Rn. 3.60; Harte/Henning/Weidert D Rn. 42. 1474 KG 21.6.2017 – 5 U 185/16 – WRP 2018, 226; ähnlich LG Dortmund 26.8.2014 – 25 O 104/14 – WRP 2014, 1360 – Ein Glas geschenkt. 1475 BGH 13.12.1990 – I ZR 31/89 – GRUR 1991, 324, 325 = WRP 1991, 236, 237 – Finanz- und Vermögensberater. 1476 OLG Celle 5.6.1996 – 13 U 287/95 – WRP 1996, 910. 1477 OLG Celle 5.6.1996 – 13 U 287/95 – WRP 1996, 910. 1478 BGH 16.11.1989 – I ZR 107/87 – GRUR 1990, 377 = WRP 1990, 409 – RDM. 1479 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm Rn. 367; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.59.
885
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
in welcher Kaufsituation als wesentlich anzusehen sind.1480 Das gilt auch für Märkte mit einer Vielzahl von Herstellern und einer ausgeprägten Modellvielfalt wie dem Markt für technische Geräte. Gegen ein umfassendes Informationsgebot sprechen wettbewerbspolitische Gründe: Ist der Preis nur ein Element eines breiten Leistungspakets, darf der Werbende nicht vor die Alternative gestellt werden, entweder durch präzise Beschreibung des beworbenen Produkts den (scheinbaren) Mangel eigener Preiswürdigkeit hervorzuheben oder aber auf produktbezogene Werbung unter Benennung eines Preises ganz zu verzichten. Die Vermittlung bestimmter Basisinformationen ohne Aufdeckung der Produktidentität bereits in der Anzeige selbst muss allemal möglich bleiben. 692 Irreführungseignung kann der unvollständigen Kennzeichnung nur im Zusammenspiel mit Plusfaktoren zukommen.1481 Letzteres ist beispielsweise der Fall, wenn die Werbeanzeige in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Werbeaktion eines Konkurrenten steht, in der ein qualitativ höherwertiges konkret benanntes Modell desselben Herstellers herausgestellt wurde.1482 Der Inseratwerbende ist nicht gehalten, die jeweilige Marke zu benennen: auf einen 693 bestimmten Preis bezogene Angaben wie „Markenvollautomat“ oder „Markenkühlschrank“ sind daher zulässig.1483 o) Preisspaltung und divergente Preisankündigung aa) Unterschiedliche Preise. Lange Zeit streitig war die Zulässigkeit einer Preisspreizung bei Markenware im zweigleisigen Vertrieb, d.h. die Fallgestaltung, dass ein bekannter Markenartikel zu einem reduzierten Preis unter einer Zweitmarke oder aber unmarkiert angeboten wird. Eine verbreitete Meinung1484 ging, ohne Problematisierung ihrer Prämisse, von einer Produktidentität aus und bejahte von diesem Ausgangspunkt her zwar die lauterkeitsrechtliche Unbedenklichkeit des zweigleisigen Vertriebs in getrennten Verkaufsstätten,1485 verneinte indes andererseits unter dem Gesichtspunkt der Qualitätstäuschung die Zulässigkeit des Parallelangebots in ein und demselben Geschäft. Heute bejaht man – zu Recht – ganz überwiegend die allgemeine Zulässigkeit des Parallelvertriebs:1486 Die Prämisse, der Verkehr erachte verschieden markierte Ware letztlich als ein und dasselbe Gut (Voraussetzung der Einschlägigkeit von § 5 unter dem Gesichtspunkt der Qualitätstäuschung), war und ist realitätsfern. Wird tatsächlich gleiche Ware in mehreren Verkaufsstellen zu unterschiedlichen 695 Preisen angeboten und im Internet mit dem niedrigsten dieser Preise geworben, muss deutlich gemacht werden, für welche Verkaufsstellen dieser Preis gilt.1487
694
696
bb) Divergente Preisankündigung. Von der Preisspaltung, der Fallgestaltung, dass für ein und dieselbe Ware unterschiedliche Preise gefordert werden (hierzu Rn. 694 f.) zu unterscheiden ist die Fallgestaltung, dass in simultanen werblichen Äußerungen unterschiedliche Preise angekündigt werden, tatsächlich aber nur ein Preis verlangt wird. In der lauterkeitsrechtlichen Beurteilung gilt es insoweit richtigerweise zu
_____
1480 Vgl. hierzu BGH 2.3.2017 – I ZR 41/16 – GRUR 2017, 922 Tz. 20 – Komplettküchen 1481 Richtig: Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 367. 1482 Nacken WRP 1981, 79, 82. 1483 A.A. LG Frankfurt 17.12.1980 – 2/6 O 496/80 – WRP 1981, 356. Widersprüchlich Köhler/Bornkamm/ Feddersen Rn. 3.56 einerseits, Rn. 3.57 andererseits. 1484 Repräsentativ Baumbach/Hefermehl 22. Aufl., § 3 a.F. Rn. 326. 1485 Gar auch insoweit eine Irreführung behauptend Schünemann 175. 1486 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.38. 1487 OLG Frankfurt 3.3.2011 – 6 U 231/09 – GRUR-RR 2011, 193 f.
Lindacher/Peifer
886
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
unterscheiden: Fordert der Werbende den höheren Preis, ist die werbliche Äußerung, die einen niedrigeren Preis avisiert, irreführend.1488 Sie wirkt selbst auf Interessenten, die beide Ankündigungen zur Kenntnis genommen haben, zumindest anlockend. Besteht doch immerhin guter Grund zu der Erwartung, der Werbende werde sich jedenfalls kulanzweise mit dem niedrigeren Preis zufriedengeben. Irreführend ist deshalb nicht nur die unzutreffende Inseratwerbung unbeschadet des Umstands, dass der tatsächlich geforderte Preis dem Auszeichnungspreis im Schaufenster entspricht (eine Fallgestaltung, bei der der Anlockeffekt ohnehin mit Händen greifbar ist), sondern auch die unzutreffende Inseratwerbung, die mit einer im Preispunkt korrekten Inseratwerbung zusammentrifft. Eine Irreführung liegt dabei auch vor, wenn der Werbende prinzipiell den höheren Preis fordert und sich nur für den Fall des sofortigen Kaufs „kulanzweise“ zur Berechnung des niedrigeren Preises bereiterklärt:1489 Der Verkehr erwartet die Möglichkeit des Kaufs zum günstigen Preis ohne Zeitdruck. Fordert der Werbende – allgemein – nur den niedrigeren Preis, liegt demgegenüber weder eine Irreführung i.S. von § 5 noch eine wettbewerbswidrige Verunsicherung vor: Wie dem Irrtum derer, die einen höheren Preis erwarten, mangelt auch einer allfälligen Verunsicherung in der Preisfrage die Marktentscheidungsrelevanz.1490 p) Preisschaukelei. Systematisches Herauf- und Herabsetzen von Preisen mag im 697 Einzelfall eine Irreführung über die Preisbemessung bewirken, wenn und weil der höhere Preis im Wesentlichen nur einen „Mondpreis“ darstellt, dessen Funktion vor allem darin besteht, den niedrigeren Preis in einem (zu) günstigen Licht erscheinen zu lassen. Grundsätzlich ist mit dem Verdikt unzulässiger „Preisschaukelei“ entgegen gängiger Literaturmeinung1491 freilich eher zurückhaltend umzugehen:1492 Die Fixierung des Angebotspreises nach Höhe und Zeitdauer ist in der Marktwirtschaft bewusst der „Willkür“ des Anbieters überlassen und auch die „Unsicherheit“ über die Preisentwicklung ist dem System deregulierter Preise immanent, ja wettbewerbspolitisch (als einschlägige Unsicherheit für die Konkurrenz) prinzipiell durchaus erwünscht. Werden die jeweiligen Preise tatsächlich gefordert und gezahlt, ist das Herauf- und Herabsetzen von Preisen lauterkeitsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden.1493 q) Teilzahlungswerbung. Kennzeichnend für ein Teilzahlungsgeschäft ist, dass der 698 Käufer gegen Anzahlung die Ware sofort erhält, den Kaufpreis jedoch in Raten tilgen kann (§ 506 Abs. 3 BGB). Der Teilzahlungspreis, den das Gesetz nunmehr als „Gesamtbetrag“ bezeichnet (§ 507 Abs. 1 S. 2 BGB), ergibt sich aus den vom Käufer zu leistenden Zahlungen und Raten einschließlich Zinsen und sonstiger Kosten. Sie alle werden in einem Tilgungsplan zusammengefasst und ergeben den „Gesamtbetrag“ (vgl. § 507 Abs. 1 S. 2 BGB mit Art. 247 § 3 Abs. 2 S. 1 EGBGB). In diesem Sinn wird der Begriff „Teilzah-
_____
1488 BGH 14.11.1985 – I ZR 168/83 – GRUR 1986, 322 = WRP 1986, 202 – Unterschiedliche Preisauszeichnung; OLG Hamm 25.1.1983 – 4 U 200/82 – GRUR 1983, 453, 454; Köhler/Bornkamm/ Feddersen Rn. 3.39; Harte/Henning/Weidert D Rn. 18. 1489 KG 3.4.1979 – 5 U 4886/78 – GRUR 1979, 725, 726; Harte/Henning/Weidert D Rn. 18. 1490 BGH 14.11.1985 – I ZR 168/83 – GRUR 1986, 322 = WRP 1986, 202 – Unterschiedliche Preisauszeichnung; 4.10.2007 – I ZR 182/05 – GRUR 2008, 442 Tz. 11 = WRP 2008, 659 – Fehlerhafte Preisauszeichnung; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.39. 1491 Im Anschluss an BGH 14.12.1973 – I ZR 36/72 – GRUR 1974, 341 = WRP 1974, 149 – Campagne (zum Avon-Vertriebssystem); Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm Rn. 370; Ohly/Sosnitza Rn. 454. 1492 Betont kritisch bereits Schünemann 175. 1493 Richtig: OLG Düsseldorf 18.12.1986 – 2 U 1/86 – NJW-RR 1987, 992.
887
Lindacher/Peifer
§5
699
700
701
702
Irreführende geschäftliche Handlungen
lungspreis“ auch vom Verkehr verstanden, ebenso die Synonymbezeichnungen „Gesamtpreis“ oder „Kreditpreis“. Verlangt der „Teilzahlungs-“ oder „Kreditpreise“ Ankündigende Zuschläge irgendwelcher Art, verstößt er im Business-to-Consumer-Bereich nicht nur gegen das über § 3a auch lauterkeitsrechtlich abgesicherte Endpreisbenennungsgebot nach § 1 Abs. 1 PAngV. Die jeweilige Ankündigung verstößt – im Business-to-Consumer- und im Business-to-Business-Bereich – auch gegen § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2.1494 Behauptet der Werbende „Ratenzahlungen ohne Aufschlag“ zu gewähren, führt er irre, wenn er Barzahlern generell oder auf Anforderung fallweise einen Nachlass gewährt.1495 Deckt sich der benannte (Kredit-)Preis mit dem Preis, den der Werbende bei Kassageschäften fordert, ist die einschlägige Preiswerbung hingegen nicht schon deshalb irreführend, weil Zinsen in den Teilzahlungspreis eingerechnet sind:1496 Der angemessen gut informierte und kritische Durchschnittsverbraucher weiß, dass der Kaufmann Kreditkosten jedenfalls im Preis berücksichtigen muss. Irreführend ist eine Preiswerbung, die den angegebenen Barzahlungspreis als den (tatsächlich höheren) Teilzahlungspreis erscheinen lässt.1497 Kasuistik: Die Werbung „Großes Wäschepaket, zusammen nur …, 12 Raten effekt. Jahreszins 12%“ ist irreführend, wenn der Werbende den bezifferten Betrag plus 12% in Rechnung stellt: viele, wenn nicht die meisten Leser erachten den benannten Preis unbeschadet der Angabe des Effektivzinssatzes als Kredit-, nicht als Barzahlungspreis und werden deshalb jedenfalls über die absolute Preishöhe getäuscht.1498 Irreführungspotential birgt die Angabe eines Prozentsatzes in unmittelbarem räumlichem Zusammenhang mit dem Begriff „Kredit“ oder ähnlichen Begriffen: Die Angabe wird leicht als Zinsangabe, bei Werbung gegenüber privaten Endverbrauchern als Angabe des effektiven Jahreszinses i.S. von § 6 PAngV verstanden.1499 Kasuistik: Die Ankündigung „Ratenzuschlag 0,5% PM“ wird vom Verbraucher in dem Sinn (miss)verstanden, es werde ein (günstiger) effektiver Jahreszins von 6% (errechnet aus 12 × 0,5%) verlangt.1500 Die Blickfang-Angabe „Verwöhnkredit … nur 0.95%“ führt irre, wenn dies nicht der Zinssatz, sondern der aus der Höhe des Jahreszinses und der Kreditlaufzeit berechnete Aufschlag auf den Kaufpreis ist, der effektive Jahreszins also deutlich höher liegt.1501 Die durch eine „Teilzahlungspreis“-Werbung geweckte Erwartung des zeitlichen Konnexes zwischen Anzahlung und Lieferung enttäuscht, wer dem Kunden die Ware erst längere Zeit nach Auszahlung zur Verfügung stellt.1502 Kasuistik: Die Ankündigung „ohne Teilzahlungsaufschlag – Ratenzahlung bis zwei Jahre möglich“, führt irre, wenn der Kunde die Ware erst nach mehreren Monaten und nach Leistung von 30% oder mehr des Kaufpreises erhält.1503
_____
1494 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 362; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.75; Ohly/ Sosnitza Rn. 448. 1495 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 362; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.75. 1496 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 362; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.75. A.A. OLG Düsseldorf 6.9.86 – 2 U 200/85 – WRP 1986, 481 f.; Harte/Henning/Weidert D Rn. 33. 1497 Harte/Henning/Weidert D Rn. 35. 1498 OLG Köln 13.10.1977 – 4 U 209/77 – WRP 1978, 309. 1499 Harte/Henning/Weidert D Rn. 35. 1500 BGH 1.2.1990 – I ZR 45/88 – GRUR 1990, 609, 610 f. = WRP 1990, 680, 682 – Monatlicher Ratenzuschlag. 1501 OLG Karlsruhe 28.2.1990 – 6 U 129/89 – WRP 1990, 773 ff. 1502 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.75; Ohly/Sosnitza Rn. 448. 1503 LG Kiel 27.2.1953 – 10 O 102/52 – MDR 1953, 554.
Lindacher/Peifer
888
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
Wer allgemein mit der Möglichkeit von Ratenzahlungen wirbt, führt irre, wenn die 703 entsprechende Fazilität erst ab einem bestimmten Auftragswert besteht.1504 Das Fehlen eines besonderen Hinweises, dass in Fällen zweifelhafter wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit die Lieferung nur gegen Nachnahme erfolgt, macht die Teilzahlungswerbung hingegen nicht irreführend: Mit solcher Einschränkung des Verkaufssystems muss der Kunde redlicherweise unausgesprochen rechnen.1505 r) Preisgarantien. „Geld-zurück-Garantien“ für den Fall, dass beworbene Artikel bei 704 der Konkurrenz günstiger angeboten werden, versteht der Verkehr nicht nur als Einräumung eines bedingten Rücktritts- und/oder Preisminderungsrechts,1506 sondern zugleich als Berühmung, mit seinen Preisen im untersten Bereich des Preisspektrums zu liegen.1507 Eine Geld-Zurück-Garantie ist irreführend, wenn dem Adressaten im Ergebnis und unter fehlerhafter Bezeichnung („Geld-zurück-Garantie“) nur gewährt wird, was ihm nach dem Gesetz auch zugesteht, etwa eine Rücksendung der Ware nach Ausübung eines Widerrufsrechts im Fernabsatz; die besonders bezeichnete Garantie muss daher über diese gesetzlichen Rechte hinausgehen.1508 Davon unbeschadet bleibt es zulässig, darauf hinzuweisen, dass man die gesetzlichen Gewährleistungsansprüche „selbstverständlich“ bereitstellt.1509 Wer eine „Tiefpreisgarantie“ bewirbt, mit dem Angebot, den Differenzbetrag zu einem tieferen Preis zu erstatten oder das Gerät zurückzunehmen, wirbt mehrdeutig und muss sich ggf. an der kundenfreundlichen Variante festhalten lassen.1510 Zulässige entsprechende Werbung setzt voraus, dass die beworbenen Artikel in gleicher Ausstattung von der Konkurrenz geführt werden und somit ein echter Preisvergleich überhaupt möglich ist.1511 Dass jeder beworbene Artikel in den Geschäftsräumen eines nahegelegenen Konkurrenzunternehmens auffindbar ist, ist dabei nicht unbedingt erforderlich. Erhält der Kunde einen Beleg, aus dem sich Hersteller, Artikelnummer sowie Artikelbeschreibung ergeben, ist ihm ein Vergleich auch möglich, wenn der konkrete Artikel konkurrentenseits lediglich auf Bestellung lieferbar wäre.1512 Um einen Fall von Irreführung i.S. von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 handelt es sich schließ- 705 lich, wenn vom Werbenden mit dem Schlagwort „Preisgarantie“ eine Einstands- und Risikobereitschaft suggeriert wird, die näheren Bedingungen des Rücktritts- bzw. Preisminderungsrechts aber so ausgestaltet sind, dass eine Inanspruchnahme des Werbenden aus Garantie praktisch so gut wie ausgeschlossen erscheint.1513 Erhebliche Verkehrsteile nehmen die qualifizierte Preiswürdigkeitsberühmung erst und gerade in Hinblick auf die Garantiesanktion ernst.
_____
1504 BGH 8.6.1989 – I ZR 233/87 – GRUR 1989, 855, 856 = WRP 1990, 235, 236 – Teilzahlungskauf II; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 362; Harte/Henning/Weidert D Rn. 33. 1505 BGH 17.12.1987 – I ZR 190/85 – GRUR 1988, 459, 460 = WRP 1988, 368 f. – Teilzahlungsankündigung; Ohly/Sosnitza Rn. 448. 1506 So wohl Schünemann S. 160. 1507 OLG Hamburg 28.10.2009 – 5 U 204/07 – WRP 2010, 156; Harte/Henning/Weidert D Rn. 88. 1508 BGH 19.3.2014 – I ZR 185/12 – GRUR 2014, 1007 Tz. 11, 13 – Geld-zurück-Garantie III (dort zu Nr. 10 des Anh. § 3 Abs. 3). 1509 BGH 19.3.2014 – I ZR 185/12 – GRUR 2014, 1007 Tz. 11, 13 – Geld-zurück-Garantie III (zu § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 7). 1510 OLG Hamburg 13.2.2014 – 5 U 160/11 – WRP 2014, 729 Tz. 27. 1511 BGH 25.10.1974 – I ZR 8/74 – GRUR 1975, 553, 554 m. Anm. Klaka = WRP 1975, 37 – Preisgarantie I; 7.2.1991 – I ZR 140/89 – GRUR 1991, 468, 469 = WRP 1991, 564, 566 – Preisgarantie II; Köhler/Bornkamm/ Feddersen Rn. 3.132. 1512 BGH 7.2.1991 – I ZR 140/89 – GRUR 1991, 468, 469 = WRP 1991, 564, 566 – Preisgarantie II. 1513 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.131.
889
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
Ein negatives einschlägiges Demonstrationsbeispiel ist ein vom OLG Hamburg entschiedener Fall, in dem eine Preisgarantie für Brillenfassungen mit dem Versprechen der Erstattung des Differenzbetrags für den Fall gewährt wurde, dass der Kunde ein anderwärts gekauftes Exemplar vorlegt.1514 So gut wie kein Kunde kauft nochmals die gleiche Brille bei der Konkurrenz, nur um in den Genuss des Preisunterschiedsbetrags beim Erstverkäufer zu kommen. s) Preisschlagworte Schrifttum Haberkorn Zur Zulässigkeit des Firmenzusatzes und Preiszusatzes „Discount“, WRP 1966, 393.
Preiswerbung begegnet nicht selten in griffigen, Preisgünstigkeit reklamierenden Kurzbezeichnungen, meist dahin, dass Preisvorteile gegenüber der Konkurrenz geltend gemacht werden. Irreführend ist die Werbung, wenn sich die Behauptung eines Preisvorteils manifesterweise als leeres Versprechen erweist (Beispiel: „Wahnsinn, für nur …“, wenn der herausgestellte Preis nur der – faktisch im Verkehr die Preisobergrenze markierenden – Preisempfehlung des Herstellers entspricht).1515 Welches Maß an Preisgünstigkeit erwartbar ist (ob die Unterbietung lediglich nennenswert, deutlich oder gar massiv sein muss), divergiert nicht nur von Preisschlagwort zu Preisschlagwort, sondern hängt vielmehr jeweils auch vom „Umfeld“ der werblichen Ankündigung ab. Bei preisaggressiven Vertriebsformen kann die Werbung, je nach konkreter Ausformung und Kontext, lediglich die Vorstellung günstiger Preisstellung gegenüber dem Preisniveau des traditionellen Einzelhandels erwecken oder aber auch und gerade Preisvorteile gegenüber dem engeren Konkurrentenfeld erwarten lassen. Bei Fachhandelsgeschäften und „Tante Emma“-Läden spricht umgekehrt alles dafür, dass eine allgemein gehaltene Preiswürdigkeitsbehauptung nur den Anspruch der Preisgünstigkeit nach betriebsformüblichem Standard erhebt. Für objektiv viel- bzw. mehrdeutige Preisschlagworte gilt das unter Rn. 629 ff., 632 ff. Ausgeführte. Billig/günstig ist bei Fehlen weiterer Angaben eine eher schwache Form der Preis707 günstigkeitsberühmung. Eine nennenswerte Preisvorteilhaftigkeit ist freilich gleichwohl zu erwarten. Steigerungsformen („sensationell billig“, „super günstig“) heben die Anforderungen. Kasuistik: Die Begriffsschöpfung „Mc Günstig“ steht für Preise, die selbst Geizhälsen günstig erscheinen, also extrem niedrig sind.1516 Dauertiefpreis. Wer mit „Dauertiefpreisen“ wirbt, weckt beim Verkehr nicht nur die 708 Erwartung, dass die Preise unter den sonst üblichen Preisen liegen; der Verkehr erwartet auch und darf erwarten, dass die entsprechenden Produkte eine gewisse Zeit zu diesem Preis angeboten werden. Der Zeitraum, für den Preiskonstanz auf niedrigem Niveau zu erwarten ist, mag produktabhängig schwanken. Als Richtwert mag ein Monat gelten.1517 Einem Handelsunternehmen, das mit seinen Preisen unter dem Niveau der allgemeinen Marktpreise liegt und diese Preise durchweg unter Verzicht auf Sonderangebote kalkuliert, kann die Verwendung des Begriffs „Dauertiefpreis“ in der Werbung freilich 706
_____
1514 OLG Hamburg 13.9.1983 – 3 W 81/83 – WRP 1984, 32. 1515 OLG Düsseldorf 5.5.1988 – 2 U 191/87 – GRUR 1988, 712. 1516 OLG Dresden 30.8.2011 – 14 U 651/11 – WRP 2012, 231, 232. 1517 BGH 11.12.2003 – I ZR 50/01 – GRUR 2004, 605, 606 f. = WRP 2004, 735, 738 – Dauertiefpreis; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 359; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.183.
Lindacher/Peifer
890
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
nicht verwehrt werden, wenn gleichzeitig deutlich gemacht wird, dass Preisänderungen insbesondere für den Fall der Änderung der Einkaufskonditionen vorbehalten bleiben.1518 Direktpreis ist eine Bezeichnungsschöpfung neuerer Zeit für Preise beim sog. Direktkauf. Sie reklamiert, dass der Verbraucher vom Überspringen zumindest einer Absatzstufe profitiert.1519 Discountpreis. Der Begriff des Discountpreises hat seinen Ursprung in dem Phänomen, dass die Vertriebssystementscheidung für das sog. Discount-System eine aggressive Preispolitik erlaubt, und gebietet einfache Ausstattung. Sortimentsbeschränkung und weitgehender Verzicht auf Serviceleistungen ermöglichen, das Erfordernis hoher Warenumschlaggeschwindigkeit verlangt eine gegenüber den traditionellen Vertriebsformen deutlich niedrigere Preisstellung. Naheliegenderweise haben deshalb zunächst die Discounter selbst mit „Discountpreisen“ geworben, alsbald aber auch Nichtdiscounter die Bezeichnung zur Bewerbung preisgünstiger Angebote aufgegriffen. Der Verkehr versteht eine Discountpreis-Werbung deshalb heute – ganz abgesehen davon, dass einem einschlägigen Irrtum typischerweise die Verhaltensrelevanz fehlen würde – nicht mehr (auch) als Hinweis auf die Vertriebsform des werbenden Unternehmens, sondern nur als Niedrigpreisberühmung:1520 Ein Discount- (oder Diskont-)Preis muss – deutlich – unter dem gewöhnlichen Einzelhandelspreis (nicht unbedingt unter einem Sonderpreis der Konkurrenz)1521 liegen. Die Rechtsprechung arbeitet insoweit mit einem Richtwert von mindestens 10%.1522 Im Einzelnen gilt: Eine pauschale Werbung mit Discountpreisen avisiert nicht nur ein günstiges Gesamtpreisniveau, weckt vielmehr zumindest bei Teilen des relevanten Verkehrs die Erwartung signifikant günstiger Preisstellung hinsichtlich des gesamten Sortiments.1523 Wer solchem Anspruch nicht gerecht zu werden vermag, muss die Discount-Werbung – eindeutig und unverkennbar – auf einzelne Waren oder Warengruppen beschränken. Kasuistik: Der Begriff „Discount-Apotheke“ erweckt den unzutreffenden Eindruck, das gesamte Apothekensortiment sei immer preisgünstiger als das der Mitbewerber. Es gehört nicht zum Allgemeinwissen von Verbrauchern, dass verschreibungspflichtige Medikamente infolge der Preisbindung in allen Apotheken dasselbe kosten.1524 Wer mit „Super-Discountpreisen“ wirbt, berühmt sich zwar nicht unbedingt des absolut niedrigsten Angebots; der Verkehr darf jedoch deutlich unter den normalen Discountpreisen liegende Entgelte, also einen signifikant höheren Abstand zum üblichen örtlichen Einzelhandelspreis als 10% erwarten.1525 Einführungspreise. Für Neues (neue Produkte, nachhaltig verbesserte Produkte, neue Marken) darf mit „Einführungspreisen“ geworben werden.1526 Wird der Anlass klar-
_____
1518 BGH 11.12.2003 – I ZR 50/01 – GRUR 2004, 605, 607 = WRP 2004, 735, 738; Harte/Henning/Weidert D Rn. 67a; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.183. 1519 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.138. 1520 OLG Frankfurt 24.7.1969 – 6 U 1/69 – WRP 1969, 388; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.139; Harte/Henning/Weidert D Rn. 68. 1521 BGH 13.11.1970 – I ZR 49/69 – GRUR 1971, 164, 166 – Discount-Geschäft. 1522 BGH 13.11.1970 – I ZR 49/69 – GRUR 1971, 164, 167 – Discount-Geschäft. 1523 BGH 13.11.1970 – I ZR 49/69 – GRUR 1971, 164, 166 – Discount-Geschäft; Gloy/Loschelder/ Erdmann/Helm § 59 Rn. 360; MünchKommUWG/Busche Rn. 482. 1524 OLG Dresden 30.8.2011 – 14 U 651/11 – WRP 2012, 231, 232. 1525 OLG Hamm 3.5.1963 – 4 U 80/63 – BB 1963, 1234. 1526 Allg.M.; BGH 14.7.1965 – Ib ZR 81/63 – GRUR 1966, 214 = WRP 1965, 438 – Einführungsangebot; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.144.
891
Lindacher/Peifer
709
710
711
712
713
§5
714
715
716
717
Irreführende geschäftliche Handlungen
gestellt, genügt wohl auch die bloße Neuaufnahme ins Sortiment.1527 Bei einer Zeitschrift kann unter besonderen Umständen mit „Einführungspreisen“ auch dann geworben werden, wenn sie unter ihrem bisherigen Titel fortgeführt wird. Relevanz kommt insoweit, jeweils im gegenseitigen Zusammenspiel, zu: einem Verlegerwechsel, Änderungen in der Erscheinungsreihenfolge, personellen Veränderungen im Redaktionsstab (bei Einführungspreisen für Anzeigenkunden auch: in der Anzeigenleitung) sowie einer temporären Unterbrechung des Erscheinens.1528 Wie lange zulässigerweise einschlägig geworben werden kann, hängt von der Art der Ware ab;1529 bei hochwertigen langlebigen Wirtschaftsgütern rechtfertigen sich auch längerfristige Zeiträume.1530 Die Werbung mit Einführungspreisen verspricht Preisattraktivität. Der Verkehr rechnet nicht nur mit Preisen, die unter dem späteren „Normalpreisen“ des Werbenden liegen, sondern auch mit Preisgünstigkeit im Verhältnis zur örtlichen Konkurrenz. Mangelt es an der Neuheit des Produkts oder wird die zeitliche Toleranzgrenze überschritten, ist die Werbung richtigerweise unter dem Gesichtspunkt der Irreführung über den Verkaufsanlass (s. Rn. 750) selbst dann zu untersagen, wenn dem Kunden signifikante Preisvorteile gewährt werden. Der Ankündigung von „Einführungspreisen“ kommt starke werbliche Wirkung zu. Stellt der Werbende einen bezifferten Einführungspreis und einen bezifferten „späteren Preis“ einander gegenüber, muss auch der Zeitpunkt für das Inkrafttreten des „Normalpreises“ genannt werden.1531 Die Angabe ist aus Transparenzgründen zumindest im Business-to-Consumer-Verkehr wohl auch mit Blick auf das Informationsgebot nach § 5a Abs. 2 geboten. Dies gilt auch nach Streichung des § 4 Nr. 4 UWG 2008, zumal dessen Regelungsbereich durch die §§ 5, 5a aufgefangen wird. Einkaufspreis, Einstandspreis. Wirbt ein Anbieter mit einem Verkauf zum „Einkaufspreis“, darf er nur den nackten Warenpreis zugrunde legen, wobei in Warenlagern mit wechselndem Bestand eine Durchschnittsrechnung zulässig ist.1532 Gewährte Rabatte, Skonti und sonstige Vergünstigungen sind zu berücksichtigen.1533 Über dem Einkaufspreis liegt der Einstandspreis. Er umfasst neben dem Warenpreis alle sonstigen direkten Beschaffungskosten (wie Frachtspesen, Versicherung, Zoll), anders als der Selbstkostenpreis aber keine Lager-, Vertriebs und Generalkosten.1534 Eröffnungspreis. Wer mit „Eröffnungspreisen“ wirbt, macht nicht nur einen Verkaufsanlass besonderer Art (hierzu Rn. 750), sondern auch besondere Preiswürdigkeit geltend: Der Verkehr rechnet nicht nur mit einem Preis, der unter dem künftigen Eigenpreis des Werbenden liegt, sondern auch mit Preisvorteilen im Vergleich zur örtlichen Konkurrenz. Bei einer Filialeröffnung wird die Verkehrserwartung enttäuscht, wenn der „Eröffnungspreis“ für den beworbenen Artikel nur der Preis ist, der auch in den schon bestehenden Filialen gilt.1535 Mangels einschlägigen Vorbehalts darf der Verkehr davon ausgehen, dass zu „Eröffnungspreisen“ nur aktuelle Ware angeboten wird; er wird irregeführt, wenn die Preisherabsetzung zum Teil auch darauf beruht, dass es sich bei den
_____
1527 Ebenso: Schünemann 158. 1528 OLG Hamburg 20.7.1988 – 3 W 88/88 – WRP 1989, 115 f. 1529 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.145; Harte/Henning/Weidert D Rn. 69. 1530 KG 25.5.1982 – 5 U 1319/82 – GRUR 1982, 620; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.145. 1531 BGH 17.3.2011 – I ZR 81/09 – GRUR 2011, 1151 Tz. 22 = WRP 2011, 1587 – Original Kanchipur. 1532 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 356; MünchKommUWG/Busche Rn. 491; Ohly/Sosnitza Rn. 486. 1533 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.147. 1534 MünchKommUWG/Busche Rn. 492. 1535 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.159; MünchKommUWG/Busche Rn. 476; Ohly/Sosnitza Rn. 436.
Lindacher/Peifer
892
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
angebotenen Einzelstücken um Auslaufmodelle handelt.1536 Für die Wiedereröffnung eines Geschäfts darf in Hinblick auf die besondere Anlockwirkung solcher Bezeichnung, nicht mit „Neueröffnung“ geworben werden.1537 Fabrikpreis (Herstellerpreis). Fabrikpreis bedeutet nach der Verkehrsanschauung: der Preis, den der Hersteller seinen Wiederverkäufern oder gewerblichen Verbrauchern berechnet, also deren Einkaufspreis (unter Ausklammerung allfälliger Rabatte, Skonti, umsatzbezogener Vergütungen, Werbekostenzuschüsse und ähnlicher Zuwendungen).1538 Wirbt der Hersteller gegenüber dem Letztverbraucher mit „Fabrikpreisen“, obschon die tatsächlich geforderten Preise der beschriebenen Erwartung nicht (voll) gerecht werden, verstößt er gegen § 5 Abs. 1 S. Nr. 2. Werbeslogans wie „vom Hersteller direkt zum Verbraucher“ erwecken „nur“ die Erwartung günstigerer Preise als im Einzelhandel. Sie verstoßen deshalb nicht gegen § 5, wenn die geforderten Preise wirklich nennenswert unter dem allgemeinen Einzelhandelspreisniveau liegen.1539 In der Frage, wie eine „Fabrikpreis“-Werbung von Händlern zu verstehen ist, waren die Meinungen früher geteilt.1540 Durchgesetzt hat sich zu Recht die Ansicht, dass der Begriff des „Fabrikpreises“ keinen Bedeutungswandel erfährt, wenn er von Wiederverkäufern verwendet wird.1541 Ganz abgesehen davon, dass Verkäufe zu Einstands- oder gar Unter-Einstandspreisen im Rahmen bestimmter Preispolitiken bzw. in bestimmten Ausnahmesituationen betriebswirtschaftlich durchaus sinnvoll und deshalb keineswegs gänzlich unüblich sind – wer Kundenfang durch objektiv eindeutig unwahre Preiswerbung betreibt, kann sich schon im Ansatz nicht darauf berufen, das Publikum könne von einem Händler „verständigerweise“ nicht erwarten, dass er Ware ohne Aufschlag weitergebe. Festpreis. Festpreis-Werbung lässt erwarten, dass der benannte Preis nicht um irgendwelche Zuschläge aufgestockt wird, ja selbst Übernahme des Kostensteigerungsrisikos erwarten. Sie führt irre, wenn gleichwohl Aufschläge erhoben werden. Kasuistik: Behält sich ein Stromanbieter, der mit einem Festpreis wirbt, in seinen AGB vor, den Preis bei Änderung der Umsatz- und/oder Stromsteuer, der Änderung der Erneuerbare-Energie-Umlage oder der Erhebung neuer Steuern anzupassen, ist die Ankündigung irreführend, solange nicht deutlich klargestellt wird, welche Preisbestandteile variabel sind.1542 Dies jedenfalls dann, wenn mit diesem Vorbehalt 60% des verlangten Preises variabel bleiben.1543 Ein seine Leistungen „zum Festpreis“ anbietender Schlüsseldienst darf keine Wegekosten in Rechnung stellen.1544 Nach verbreiteter Meinung1545 soll eine relevante Irreführung ferner gegenläufig auch dann zu bejahen sein, wenn der mit „Festpreisen“ Werbende in Preisverhandlungen eintritt und schließlich im Einzelfall unter dem benannten Preis verkauft: Die Ankündigung von „Festpreisen“ täusche zulasten derer, die sie ernst nehmen, die Nichtverhandelbarkeit des Preises vor. Worin der für § 5 wesenseigentümliche Kundenfangeffekt einer solchen Werbung liegen soll, bleibt freilich dunkel. Der irrtumsbefangene
_____
1536 LG Karlsruhe 20.12.1979 – 4 U 115/78 – WRP 1980, 632, 634 f. 1537 OLG Koblenz 25.2.1988 – 6 U 1830/87 – NJW-RR 1989, 36. 1538 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.147; Ohly/Sosnitza Rn. 502. 1539 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 364; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.148; Lindemann/ Bauer WRP 2004, 45, 47. 1540 Ausführlich Frey WRP 1963, 321. 1541 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.150; Schünemann 158. 1542 OLG Bamberg 26.2.2014 – 3 U 164/13 – WRP 2014, 475 – Eingeschränkte Preisgarantie. 1543 OLG Hamm 8.11.2011 – I-4 U 58/11 – WRP 2012, 247. 1544 LG Duisburg 9.12.2009 – 21 O 49/09 – WRP 2010, 570. 1545 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 361; Berneke WRP 2001, 615, 621.
893
Lindacher/Peifer
718
719
720
721
722
§5
723
724
725
726
727
728
Irreführende geschäftliche Handlungen
Kunde kauft schließlich nicht weil, sondern obschon er meint, die Preisforderung sei das letzte Wort.1546 Zum Irreführungscharakter der Werbung mit „notariellen Festpreisen“ s. Rn. 741. Kasuistik: Wer einen Internetzugang „zum Festpreis von …“ anbietet, weckt die Erwartung, dass sämtliche Zugangskosten davon umfasst sind.1547 Frühbucher-Preis. Im Dienstleistungsbereich ist es weit verbreitet, Nachfrage bereits frühzeitig einzusammeln. Reiseveranstalter oder Ausrichter von Messen, Kongressen oder Seminaren gewähren Frühbuchern einen Rabatt. Die entsprechende Preisspreizung ist wettbewerbsrechtlich zulässig. Der aufgeklärte Verbraucher weiß auch oder hält es zumindest für möglich, dass der zeitliche Rahmen für einen solchen Rabatt bei schleppender Nachfrage unter Umständen ausgedehnt wird.1548 Kritisch wird die Verlängerung, wenn das Rabattfenster soweit geöffnet wird, dass der „reguläre Preis“ praktisch zur Ausnahme wird.1549 Gelegenheitspreis. Einschlägige Werbung avisiert ein für den Käufer besonders günstiges Preis-Leistung-Verhältnis. Wird als solche erkennbare gebrauchte oder beschädigte Ware mit „Gelegenheitspreisen“ beworben, muss der Preis deutlich unter dem Üblichen für Gebraucht- bzw. beschädigte Ware liegen, ein signifikanter Abstand zum Preis für Neuware/unbeschädigte Ware genügt nicht.1550 Gratis/kostenlos. Die Zulässigkeit der Bewerbung von Angeboten als gratis, kostenlos und dergleichen beurteilt sich für den Business-to-Consumer-Verkehr vorrangig nach Anh. Nr. 21. Auf § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 als einschlägiger Grundnorm ist im beidseitigen Unternehmensverkehr uneingeschränkt, im Verkehr mit Verbrauchern auffangweise zurückzugreifen. Auf die Vorschrift zurückgegriffen wurde für die Bewerbung eines „gebührenfreien Girokontos“, wenn tatsächlich ein Entgelt für die Ausstellung einer Bankkarte verlangt wurde, das nur unter bestimmten Umständen erstattet wird.1551 Von § 5 Abs. 1 S. Nr. 2 erfasst werden insoweit allemal echte Rosstäuscherpraktiken: Ein Makler darf nicht mit der Bezeichnung „keine Provision“ werben, wenn er die Provision zuvor auf den Preis des zu vermittelnden Objekts aufgeschlagen hat.1552 Wer „Lieferung frei Haus“ verspricht, darf keine Frachtkosten erheben. Im Übrigen gilt: Ein „Gratis“-Angebot darf der Umworbene im Allgemeinen dahin verstehen, dass ihm aus der Wahrnahme dieses Angebots keinerlei Kosten erwachsen.1553 Der Werbende darf deshalb keine Spesen, insbesondere keine Kosten für Verpackung und Versand berechnen.1554 Wer mit dem Spruch „keine Grundgebühr“ wirbt, darf keine „Administrationsgebühr“ für den Fall des Nichterreichens eines Mindestumsatzes in Rechnung stellen.1555 Nach früher durchaus verbreiteter Meinung1556 sollte es weiterhin irreführend sein, eine Nebenleistung als „gratis“ oder „kostenlos“ zu deklarieren, wenn die einschlägigen
_____
1546 Gegen Bejahung von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 bei Abweichung vom „Festpreis“ nach unten auch Köhler/Bornkamm Rn. 7.90; Harte/Henning/Weidert D Rn. 84; Ohly/Sosnitza Rn. 505. 1547 OLG Köln 26.5.2000 – 6 U 191/99 – GRUR-RR 2001, 17. 1548 BGH 7.7.2011 – I ZR 171/10 – GRUR 2012, 213 Tz. 16 = WRP 2012, 316 – Frühlings-Special; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.162. 1549 Köhler/Bornkamm/Feddersen aaO. 1550 RG 12.4.1932 – II 249/31 – MuW 1932, 296; Harte/Henning/Weidert D Rn. 80a. 1551 LG Stuttgart 26.2.2018 – 35 O 57/17 KfH – WRP 2018, 641. 1552 OLG Schleswig 23.5.1978 – 2 U 13/78 – ZMR 1981, 156 m. Anm. Glaser. 1553 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 354; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.163. 1554 OLG Naumburg 14.7.2006 – 10 U 15/06 – GRUR-RR 2007, 157, 158; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 356; Ohly/Sosnitza Rn. 509. A.A. – hinsichtlich Versandkosten – Götting/Nordemann Rn. 2.70. 1555 OLG Hamburg 25.6.2008 – 5 U 13/07 – MMR 2008, 743, 745. 1556 Baumbach/Hefermehl, 22. Aufl. § 3 a.F. Rn. 338 m.w.N.
Lindacher/Peifer
894
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
Kosten in den (Gesamt-)Preis einkalkuliert sind. Worin die marktentscheidungsrelevante Irreleitung liegen soll, wenn der Umworbene genau weiß, dass er für das Leistungspaket einen Preis zu entrichten hat, bleibt freilich dunkel. Soweit der – vorgebliche – Gratischarakter in der werblichen Äußerung nicht besonders hervorgehoben wird, kommt der unter Nennung eines (Gesamt-)Preises getroffenen Aussage, eine bestimmte Nebenleistung sei „kostenlos“, wohl keine andere Bedeutung zu als der Aussage, der benannte Preis schließe die Nebenleistung ein.1557 Entgegen früherer Rechtsprechung1558 eignet den Aussagen, eine Wochenbeilage werde zur Zeitung „ohne Preisaufschlag“ mitgeliefert, „Ihr Aquabett wird bei Anlieferung kostenlos aufgebaut, gefüllt und angeschlossen“, deshalb richtigerweise kein Irreführungscharakter (vgl. auch oben Rn. 687). Fallen im Rahmen einer Geschäftsbeziehung variable und fixe Kosten (insbesondere laufzeitabhängige und laufzeitunabhängige Kosten) an, steht dem Unternehmer die Quersubvention frei. Der dies durchschauende Verkehr wird nicht irregeführt, er erlangt durch einschlägige Verlautbarung vielmehr sogar eine wichtige Information:1559 Der verständige Adressat einschlägiger Werbung weiß, dass im Bankverkehr der Verzicht auf eine Kontoführungsgebühr, im Kreditgeschäft der Verzicht auf eine Bearbeitungsgebühr1560 in die Gesamtkalkulation eingeht, ihm die Kontoführungs- bzw. Bearbeitungsgebührfreiheit nicht geschenkt wird. Dass bestimmte Leistungen branchenüblicherweise unentgeltlich bzw. ohne Aufpreis erbracht werden, steht der Herausstellung des Gratischarakters nicht ohne weiteres entgegen. Sollten Teile des relevanten Verkehrs den einschlägigen Allgemeincharakter verkennen und deshalb irrigerweise Selbstverständliches als Besonderheit ansehen, muss der Hinweis auf die Unentgeltlichkeit jedenfalls bei gegebener subjektiver Unsicherheit des Verkehrs in der Entgeltfrage erlaubt sein. Das Informationsinteresse des Verkehrs trifft sich mit dem Interesse des Werbenden an Ausräumung der Unsicherheit zwecks Abbau hieraus resultierender Hemmschwellen, dem konkreten Angebot näher zu treten. Eine Werbung zugunsten der Konkurrenz (durch den Hinweis, die betreffende Leistung werde branchenweit erbracht) ist einem Gewerbetreibenden schwerlich zuzumuten. Kasuistik: Ein Optiker darf zur (auch gesundheitspolitisch erwünschten) Beseitigung von Hemmschwellen selbst dann mit einem „Gratis-Sehtest“ werben, wenn auch alle anderen Optikerfachgeschäfte des Orts einen solchen Service freiwillig und unentgeltlich erbringen.1561 Dagegen macht eine Übung des Teppich- und Gardinenhandels, Kostenvoranschläge unverbindlich und unentgeltlich zu erstellen, die dies verdeutlichende Werbung „Kostenlose Beratung, kostenloses Ausmessen“ nicht unzulässig.1562 Die Bewerbung einer Club-Mitgliedschaft als „kostenlos“ ist nicht irreführend, wenn tatsächlich kein Beitrag zu leisten ist und dem Mitglied lediglich regelmäßig eine „CD des Monats“ zum Kauf übersandt wird: Dem Club-Mitglied erwachsen nach objektiver Rechtslage mangels Annahme keinerlei (über eine Aufbewahrung hinausgehende) Verpflichtungen und Kosten.1563 Großhandelspreis. Mit „Großhandelspreisen“ darf werben, wer seinen Kunden Preise berechnet, die ein Großhändler seinen Wiederverkäufern (Einzelhändlern) sowie
_____
1557 Zustimmend: Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.164; Ohly/Sosnitza Rn. 509. 1558 OLG Stuttgart 9.3.1954 – 6 U 191/54 – NJW 1954, 925 bzw. OLG Koblenz 24.4.1986 – 6 U 540/85 – WRP 1986, 422. 1559 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 356. 1560 S. BGH 1.6.1989 – I ZR 60/87 – GRUR 1989, 611, 612 = WRP 1989, 591, 592 f. – Bearbeitungsgebühr. 1561 BGH 9.7.1987 – I ZR 120/85 – GRUR 1987, 916, 917 m. Anm. Schulze zur Wiesche = WRP 1988, 28, 29 – Sehtest. 1562 KG 25.1.1980 – 5 U 4495/78 – BB 1980, 905. 1563 KG 16.2.2010 – 5 U 139/07 – GRUR-RR 2011, 15.
895
Lindacher/Peifer
729
730
731
732
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
gewerblichen Verbrauchern berechnet.1564 Eine allfällige Rabattgewährung bleibt unberücksichtigt.1565 Die Berechnung der Mehrwertsteuer gegenüber Mehrwertsteuerpflichtigen ist unschädlich.1566 Höchstpreise. Die Bereitschaft zur Zahlung von Höchstpreisen signalisierende Wer733 bung begegnet im Bereich des Aufkaufs von Antiquitäten, Nachlässen, Goldwaren und dergleichen, ferner bei Anbietern neuer Produkte hinsichtlich der Inzahlungnahme des gebrauchten auszutauschenden Guts. Ebenso wie beim begrifflichen Gegenstück, der Werbung mit Tief-/Tiefstpreisen, hängt die Beurteilung nach § 5 davon ab, ob sich die (tatsächliche) Preisbemessung zumindest am Rand des Marktpreisspektrums bewegt:1567 Es handelt sich weder um rechtlich belanglose marktschreierische Reklame, noch automatisch um Irreführung, weil irgendein Konkurrent vielleicht noch höhere Preise bietet.1568 Inklusivpreis/Komplettpreis. Die entsprechende Preisbezeichnung lässt im All734 gemeinen auf einen Endpreis schließen.1569 Mit Blick auf die Randunschärfe des Begriffs ist freilich in besonderem Maß der werbliche Gesamteindruck zu berücksichtigen.1570 Kasuistik: Wird ein Kfz zu einem „Inklusivpreis“ angeboten, muss dieser auch die Überführungskosten enthalten. Ein kleingedruckter blickfangferner Hinweis „zuzüglich Transportkosten“ reicht nicht aus, den irreführenden Eindruck zu beseitigen.1571 Die Preisangabe „komplett 2.600.– DM“ neben der Abbildung eines vollständig eingerichteten Schlafzimmers lässt zumindest auf den Einbezug von Lattenrost und Matratzen und sogar den Einbezug der abgebildeten Bettwäsche schließen.1572 Die Inseratwerbung „Beerdigungspreis … DM 1.800“ lässt auch auf den Einschluss der Kosten für Trauermusik und Kranztransport schließen, nicht aber den von Grabgebühren und sonstigen Friedhofskosten erwarten.1573 Wird ein Getränkekasten zu einem Gesamtpreis mit der zusätzlichen Angabe „2 Flaschen Gratis“ angeboten, so liegt darin kein unzulässiges Gratisangebot nach Anh. Nr. 21, da der Adressat durchschaut, dass nichts geschenkt, sondern nur die Verkaufseinheit geändert wurde.1574 Im Übrigen liegt auch keine Irreführung darin, dass im Zusammenhang mit der Endpreisangabe ein Grundpreis nach der PAngV unter Berücksichtigung der zwei Gratisflaschen angegeben wird.1575 Wird ohne Einschränkung und blickfangartig unter Abbildung des vollständigen Produkts der Verkauf einer Sonnenbrille angekündigt, ist es irreführend, nur den Preis der Fassung anzugeben.1576 Dagegen ist die Werbung mit „Fassung geschenkt“ zulässig, wenn aus dem Gesamtcharakter der Anzeige hervorgeht, dass die Gratisfassung Teil eines Komplettangebots ist, das aus Fassung und Gläsern besteht.1577
_____
1564 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 366; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.168. 1565 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm Rn. 366. 1566 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.168. 1567 Schünemann 159; Ohly/Sosnitza Rn. 513. 1568 OLG Düsseldorf 21.4.1988 – 2 U 243/87 – GRUR 1988, 711; OLG Nürnberg 26.4.1990 – 3 U 1043/90 – GRUR 1991, 857, 858; Ohly/Sosnitza Rn. 513. A.A. – Alleinstellungsberühmung – freilich noch OLG Köln 15.11.1985 – 6 U 79/85 – WRP 1986, 425. 1569 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 361. 1570 Zutr. Betonung: Harte/Henning/Weidert D Rn. 83. 1571 OLG Frankfurt 17.2.1985 – 6 U 69/84 – WRP 1985, 497 f. 1572 OLG Hamm 7.3.1991 – 4 U 331/90 – GRUR 1991, 636. 1573 OLG Hamm 24.2.1987 – 4 U 354/86 – GRUR 1987, 921. 1574 BGH 31.10.2013 – I ZR 139/12 – GRUR 2013, 576 Tz. 33 – 2 Flaschen GRATIS. 1575 BGH 31.10.2013 – I ZR 139/12 – GRUR 2013, 576 Tz. 28 – 2 Flaschen GRATIS. 1576 LG Bielefeld 21.8.2013 – 16 O 57/13 – WRP 2013, 1542 (Ls.). 1577 OLG Nürnberg 11.12.2018 – 3 U 881/18 – WRP 2019, 174 (juris-Tz. 39).
Lindacher/Peifer
896
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
Jubiläumspreis. Verspricht eine signifikante Eigenpreisreduzierung, 1578 darüber hinaus wohl auch Preisgünstigkeit gegenüber der Konkurrenz. Die entsprechende Werbung führt irre, wenn eine Erwartung enttäuscht wird. Grundsätzlich muss ein solcher Preis nicht befristet werden. In der Praxis wird ein Jubiläumspreis aber kein Dauerpreis sein, sondern auf das angegebene Ereignis bezogen, also inzident befristet sein. Sofern eine konkrete Befristung angegeben wird, muss diese – wie auch bei sonstigen Sonderangeboten (oben Rn. 670) – eingehalten werden, Verlängerungen, die bereits bei der Erstwerbung beabsichtigt waren, führen dazu, dass die Befristung irreführend ist.1579 Konkurrenzloser Preis ist nur unter besonderen Umständen reklamehafte Übertreibung mit der Kernaussage besonders niedriger Preisstellung, ansonsten Alleinstellungsbehauptung.1580 Listenpreis. Die Bezeichnung ist mangels bedeutungseinengender Begleitumstände mehrdeutig, weil sie sowohl als Hinweis auf einen empfohlenen Preis als auch als Hinweis auf den früheren eigenen Preis verstanden werden kann.1581 Die betreffende Werbung muss nach der Unklarheitenregel deshalb in jeder Deutungsalternative wahr sein (allgemein: Rn. 124 ff.).1582 Manifest ist der Verstoß, wenn ein Listenpreis gar nicht besteht. Besteht er nicht mehr, dürfte eine Bezugnahme auf den alten Listenpreis auch übergangsweise nur unter expliziter einschlägiger Kennzeichnung zulässig sein.1583 Erlauben die Einzelfallumstände der Verwendung atypischerweise den Schluss auf ein konkretes Sinnverständnis, zählt selbstredend eben dieses: Bewirbt ein Einrichtungsgeschäft Möbel unter Gegenüberstellung von „Listenpreisen“ und „Abholpreisen“, kann kaum zweifelhaft sein, dass der „Listenpreis“ der bei Anlieferung des Möbelstücks in Rechnung gestellte Preis ist.1584 Nettopreis. Die Bezeichnung ist mehrdeutig, kann vom Verkehr auch als Hinweis auf einen günstigen Preis verstanden werden, weil der Werbende bei dessen Kalkulation bestimmte bei Mitbewerbern üblicherweise angesetzten Kostenfaktoren (wie Verpackungs- und Transportkosten) außer Ansatz gelassen hat. Ist die entsprechende Deutung nach den konkreten Umständen nicht auszuschließen, muss die einschlägige Verkehrserwartung bei Meidung des Irreführungsvorwurfs auch insoweit eingelöst werden.1585 Kasuistik: Die Werbung mit „absoluten Netto-Preisen“ wird als Berühmung besonderer Preiswürdigkeit zu verstehen sein. Sie ist deshalb irreführend, wenn die Preise des Werbenden nicht unter denen der anderen Anbieter liegen, freilich aber zulässig, sofern die Preisstellung in der Tat besonders günstig ist.1586 Dass der Grund der niedrigen Preisstellung ersichtlich sein müsse, trifft dagegen nicht zu.1587 Neupreis. Preisgünstigkeitsberühmung bei gebrauchter Ware durch Kontrastierung des geforderten Preises mit einem „Neupreis“ lässt im Allgemeinen Modellaktualität erwarten. Vorbehaltlose einschlägige Werbung täuscht deshalb über die Preis-LeistungRelation, wenn als Kontrastpreis lediglich der Preis genannt wird, der früher für eine nicht mehr marktgängige Ware als Neupreis berechnet wurde.
_____
1578 Ohly/Sosnitza Rn. 515. 1579 LG Würzburg 8.6.2017 – 1 HKO 555/17 – WRP 2017, 1020 Tz. 22 (Vorteilsgutschein). 1580 Harte/Henning/Weidert D Rn. 78; Götting/Nordemann Rn. 2.72. 1581 BGH 10.6.1964 – Ib ZR 128/62 – GRUR 1965, 96, 97 = WRP 1964, 370, 371 – 20% unter dem empf. Richtpreis; Harte/Henning/Weidert D Rn. 85; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 359. 1582 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.95. 1583 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.95. 1584 A.A. – auch hier Mehrdeutigkeit annehmend – freilich LG Kiel 4.10.2011 – 14 O 56/11 – WRP 2012, 236. 1585 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.174; Harte/Henning/Weidert D Rn. 82; Ohly/Sosnitza Rn. 522. 1586 OLG Koblenz 11.2.1982 – 6 U 1140/81 – WRP 1982, 428, 429. 1587 A.A. OLG Köln 7.3.1980 – 6 U 155/79 – WRP 1981, 44.
897
Lindacher/Peifer
735
736
737
738
739
740
§5
741
742
743 744
745
746
Irreführende geschäftliche Handlungen
Die Bezeichnung „Notarieller Festpreis“ ist irreführend. Die Angabe legt bereits vom Wortsinn her die – fehlsame – Annahme nahe, dass der Notar, ein Amtsträger, dem kraft seiner Funktion als unparteiisches Organ der Rechtspflege besonderes Vertrauen entgegengebracht wird, in irgendeiner Weise an der Bildung und Einhaltung des Preises mitwirkt.1588 Auch die Wendung „notarieller Kaufpreis“ lädt zu entsprechender Fehlvorstellung ein.1589 Nulltarif hat grundsätzlich die gleiche Bedeutung wie die Werbung mit „gratis“ oder „kostenlos“ (hierzu Rn. 725 ff.).1590 Der Verwendungskontext erlaubt und gebietet freilich durchaus restriktive Deutungen: Das an Mitglieder gesetzlicher Krankenkassen gerichtete Festpreisangebot für sog. Kassenbrillen mit dem Preisschlagwort „Null-Tarif“ und dem Hinweis, dass die Brillenfassung bei Verordnung von zwei Brillengläsern im Festpreis mit enthalten sei, ist nicht irreführend, weil der Verkehr zutreffend erkennt, dass die Kosten für die aus dem Null-Tarif-Sortiment des Werbenden vorgehaltenen Brillenfassungen nach der Kalkulation des Optikers von der Zahlung der gesetzlichen Krankenkasse mit gedeckt wird.1591 Nur … Eine Preisbenennung mit dem Zusatz „nur“ lässt Preise unter Marktniveau (wenn auch nicht unbedingt im untersten Preissegment) erwarten.1592 Preisbrecher. Die Berühmung als „Preisbrecher“ suggeriert deutlich unter dem allgemeinen Preisniveau (nicht nur der Preisempfehlung) liegende Preise. Sie führt irre, wenn das Absinken der Preise eine allgemeine Markterscheinung ist.1593 Probierpreis. Ankündigungen von „Probier-“, „Test-“ oder „Schnupperpreisen“ tragen häufig Animationscharakter vor dem Hintergrund neuer oder neu ins Sortiment aufgenommener Produkte. Sie sind dann Synonyme für die Ankündigung von „Einführungspreisen“ (hierzu Rn. 713 ff.). Anders als die Bezeichnung „Einführungspreis“ erwecken sie indes nicht notwendigerweise den Eindruck der Produkt- bzw. Sortimentsnovität. Letztlich handelt es sich um allgemein werbesprachliche Ausdrücke zur Kennzeichnung des Sachverhalts, dass temporär derart attraktive Preise (sprich: Preise deutlich unter dem Marktpreis)1594 geboten werden, dass auch „Probekäufe“ solcher Personen wahrscheinlich, die das beworbene Produkt bislang nicht nachgefragt haben. Irreführend ist die Werbung mit „Probier-“ „Test-“ oder „Schnupperpreisen“ deshalb grundsätzlich nur dann, wenn die geweckte Preisgünstigkeitsvorstellung enttäuscht wird. Eine Irreführung unter dem Gesichtspunkt der Nichteinlösung von Neuheitserwartungen kommt nur beim Vorliegen von Plusfaktoren in Betracht.1595 Sparpreis. Die Ankündigung von „Sparpreisen“ wird vom Verkehr vor allem als günstige Preisstellung im Vergleich zur Konkurrenz verstanden. Es genügt grundsätzlich nicht, dass der Werbende lediglich seine Preise herabsetzt, sofern die herabgesetzten Preise nicht gleichzeitig unter denen der Mitbewerber liegen.1596
_____
1588 BGH 1.2.1990 – I ZR 161/87 – GRUR 1990, 532 = WRP 1990, 701 – Notarieller Festpreis; OLG Nürnberg 24.6.1983 – 3 W 948/83 – GRUR 1983, 677; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.161; Ohly/Sosnitza Rn. 524. A.A. OLG Stuttgart 8.7.1983 – 2 U 102/83 – GRUR 1984, 66. 1589 KG 25.3.1986 – 5 U 6105/85 – GRUR 1986, 554. 1590 Ohly/Sosnitza Rn. 525. 1591 BGH 13.1.2000 – I ZR 271/97 – GRUR 2000, 918, 919 = WRP 2000, 1138, 1140 – Null-Tarif. 1592 Harte/Henning/Weidert D Rn. 80. 1593 LG Bielefeld 21.12.1961 – 9 S 15/61 – WRP 1962, 139; Harte/Henning/Weidert D Rn. 80a. 1594 MünchKommUWG/Busche Rn. 478; Ohly/Sosnitza Rn. 530. 1595 BGH 15.2.1978 – I ZR 141/76 – GRUR 1978, 372, 374 = WRP 1978, 368, 370 – Farbbilder; Köhler/ Bornkamm/Feddersen Rn. 3.176. 1596 BGH 23.2.1968 – Ib ZR 148/65 – GRUR 1968, 443, 444 f. = WRP 1968, 199 f. – 40% können Sie sparen; Ohly/Sosnitza Rn. 537.
Lindacher/Peifer
898
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
Kasuistik: Kennzeichnet ein Telefondienstleister seine Netzvorwahl als „Sparvorwahl“, erwartet der Durchschnittsverbraucher, dass es sich um einen im Verhältnis zum allgemeinen Preisniveau, wenn auch nicht in jeder Hinsicht um den niedrigsten, so jedenfalls niedrigen Preis handelt.1597 Um einen in Hinblick auf den Werbezusammenhang eindeutig betriebsinternen 747 Preisvergleich handelt es sich demgegenüber freilich etwa bei der „Sparpreis“-Werbung durch Gegenüberstellung des Stückpreises einer Mehrfachpackung mit dem (eigenen) Einzelpreis (hierzu: Rn. 687). Tiefpreis/Tiefstpreis. Die Werbung mit „Tiefpreisen“ lässt signifikante Preiswür- 748 digkeit, die mit „Tiefstpreisen“ jedenfalls Preise am untersten Rand des Marktpreisspektrums erwarten.1598 Die Berühmung einer Sonderstellung dahin, die eigenen Preise würden von niemandem unterboten, kann auch der „Tiefstpreis“-Werbung nicht ohne weiteres entnommen werden.1599 Ob der Verkehr die einschlägige Preiswürdigkeitsberühmung auf einzelne Waren oder das ganze Sortiment bezieht, hängt von der näheren Ausgestaltung der betreffenden Werbung ab.1600 3. Irreführung über die Preisberechnung. Irreführenden Angaben über den Preis 749 stehen irreführende Angaben über die Art und Weise, in welcher der Preis berechnet wird, gleich. Erfasst werden die Fälle, dass die Höhe des Entgelts umsatz- oder zeitablaufabhängig bestimmt wird, also von variablen Faktoren abhängt.1601 Das betrifft besonders Dauerschuldverhältnisse, etwa Stromlieferungsverträge1602 oder den Zugang zu Telekommunikationsleistungen.1603 Allerdings führt die Pflicht zur Preistransparenz nicht dazu, dass ein beworbener Mobilfunktarif dahingehend aufgeschlüsselt werden muss, dass neben den Leistungen für das Telefonieren, der Internetzugangsrate und dem Preis für das Versenden von Textnachrichten auch noch der Zuschlag für das zum Preis von 1,00 Euro überlassene Mobilfunktgerät monatlich aufgeschlüsselt werden muss.1604 4. Irreführung über den Anlass des Verkaufs, über die Bezugsart und die Bezugsquelle a) Anlass des Verkaufs Schrifttum Beckers Ausverkauf wegen Geschäftsaufgabe, WRP 1980, 383; Berneke Verlängerte Sonderveranstaltungen, GRUR-Prax 2011, 235; Bullinger Zulässigkeit der Verlängerung einer Einführungsphase mit Niedrigpreisen, WRP 1999, 1118; Faustmann/Ramsperger Räumen ohne Grenzen – ist jetzt alles erlaubt? WRP 2011, 1241; Heilmann Versteigerung und Räumungsverkauf wegen Geschäftsaufgabe, WRP 1987, 660; Pfaff Geburtstagswerbung II – Auf zu neuen Ufern im Sonderveranstaltungsrecht, WRP 1998, 465; ders. Unlauterkeit innerhalb zulässiger Sonderveranstaltungen am Beispiel zeitlicher Befristung, WRP 2001, 355; Steinbeck
_____
1597 BGH 24.10.2002 – I ZR 100/00 – GRUR 2003, 361, 362 f. = WRP 2003, 1224, 1225 f. – Sparvorwahl. 1598 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.182; Schünemann S. 159. 1599 OLG Köln 9.6.1989 – 6 U 246/88 – GRUR 1990, 131; Ohly/Sosnitza Rn. 543. Strenger OLG Bremen 2.7.1998 – 2 U 131/97 – WRP 1999, 214 (für den Slogan „… kauft man am besten ein, wo die Preise am tiefsten sind“) sowie Harte/Henning/Weidert D Rn. 78. 1600 S. insoweit etwa OLG Hamburg 9.6.1977 – 3 U 20/77 – WRP 1977, 651. 1601 Harte/Henning/Weidert D Rn. 16. 1602 Bsp.: OLG Düsseldorf 1.7.2014 – 20 U 231/13 – GRUR-RR 2015, 65. 1603 Bsp.: OLG Schleswig 19.3.2014 – 6 U 31/13 – WRP 2014, 746 (Bewerbung einer SMS-Flat, obgleich nutzungsabhängige Entgelte für SMS anfallen konnten). 1604 OLG Celle 27.11.2014 – 13 U 89/14 – WRP 2104, 364 – Zusatzkosten für Handy.
899
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
Chaos beim Räumungsverkauf, FS Köhler (2014) 715; Tappmeier Wettbewerbsrechtliche Probleme des Konkurswarenverkaufs, ZIP 1992, 479.
aa) Allgemeines. Als Unterfall der Angaben über das „Vorhandensein eines besonderen Preisvorteils“ (Art. 6 Abs. 1 lit. d UGP-RL) nennt § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 explizit Angaben über den „Anlass des Verkaufs“: Der Herausstellung bestimmter Verkaufsgründe entnimmt der Verkehr die Vorstellung einer ungewöhnlichen, besonders günstigen Einkaufsmöglichkeit. Einschlägige Falschangaben führen in potentiell marktentscheidungsrelevanter Weise unabhängig von der Vorteil- oder Nichtvorteilhaftigkeit des Angebots irre: Die Ankündigung verleitet auch solche Interessenten zum Kauf, zumindest aber zur näheren Befassung mit dem Angebot, die dasselbe bei einem schlichten Preiswürdigkeitshinweis unbeachtet gelassen hätten.1605 Das Irreführungsverbot in der Spielart des Verbots der Irreführung über den Ak751 tionsanlass hat mit Aufhebung der abstrakten Gefährdungstatbestände alten Rechts betreffend die Konkurswarenverkäufe (§ 6 a.F.), Sonderveranstaltungen, Saison- und Jubiläumsverkäufe (§ 7 a.F.) sowie Räumungsverkäufe (§ 8 a.F.)1606 an praktischer Bedeutung gewonnen: Einschlägige Werbung, die bis zur Novelle 2004 per se verboten war, ist heute an § 5 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 zu messen. Sie ist unzulässig, wenn über den Verkaufsanlass konkret irregeführt wird. Bis 2015 wurde § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 ergänzt durch zwei Transparenzerfordernisse, die in § 4 Nr. 4 und Nr. 5 UWG 2008 enthalten waren. § 4 Nr. 4 UWG 2008 gebot, bei Verkaufsfördermaßnahmen, zu denen Schluss-, Räumungs- und Jubiläumsverkäufe gehören, „die Bedingungen für die Inanspruchnahme“ der dort gewährten Vorteile „klar und eindeutig“ anzugeben. § 4 Nr. 5 UWG 2008 sah Gleiches für Gewinnspiele und Preisausschreiben vor (vgl. dazu Vorauflage/Obergfell). Beide Normen sind 2015 ersatzlos gestrichen worden, weil es entsprechende Vorgaben in der UGPRichtlinie nicht gibt. Der Gesetzgeber war aber der Auffassung, dass Irreführungen oder die Vorenthaltung wesentlicher Informationen ohnehin unter §§ 5, 5a zu fassen sind.1607 Das trifft insoweit zu, als Angaben über eine Sonderveranstaltung auch Angaben über den Verkaufsanlass im Sinne des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 sind und soweit wesentliche Informationen, wie z.B. Dauer, Ende, Ausgestaltung der Veranstaltung vorenthalten werden, auch § 5a Abs. 2 betroffen ist. Tendenziell fallen die Transparenzerfordernisse eher unter § 5a Abs. 2 als unter § 5. Ersatzlos weggefallen ist § 4 Nr. 6 UWG 2008, der die Koppelung von Geschenken mit einem dafür nötigen Warenerwerb verbot. Diese Norm ist schon vor 2015 als unionsrechtswidrig angesehen und daher konsequenterweise gestrichen worden.1608
750
752
bb) Scheinsonderveranstaltungen. Mit der Streichung von § 7 UWG 19861609 sind bereits 20041610 die besonderen Reglementierungen für Verkaufsveranstaltungen im Einzelhandel, die außerhalb des regelmäßigen Geschäftsverkehrs stattfinden, der Beschleunigung des Warenabsatzes dienen und den Eindruck der Gewährung besonderer
_____
1605 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.3. 1606 Einlässlich zur einschlägigen Deregulierung und der ihr vorausgegangenen Debatte Fezer/ Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 329. 1607 Begr. Rechtsausschuss, BTDrucks. 18/6571, S. 15. 1608 Begründet mit dem Wunsch nach einer weitgehenden Liberalisierung des Lauterkeitsrechts, vgl. RegE 2004, BTDrucks. 15/1487. S. 12 und S. 14 „übriggebliebenes Liberalisierungshemmnis“. 1609 In der Fassung des Gesetzes v. 25.7.1986, BGBl. I 1169. 1610 EuGH 14.1.2010 – C-304/08 – GRUR 2010, 244 – Plus Warenhandelsgesellschaft; verfehlt die Versuche, den Normgehalt über § 3 Abs. 1, Abs. 2 UWG 2008 zu retten, BGH 12.12.2013 – I ZR 192/12 – WRP 2014, 831 Tz. 23 – Goldbärenbarren; dem aber zust. Köhler/Bornkamm, § 5a Rn. 5.34.
Lindacher/Peifer
900
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
Kaufvorteile hervorrufen, entfallen. Sonderveranstaltungen sind nunmehr unbeschränkt zulässig. Schlussverkäufe müssen nicht Saisonschlussverkäufe sein. Saisonschlussverkäufe sind an keine festen Zeitvorgaben mehr gebunden.1611 Ein Jubiläumsverkauf setzt nicht mehr den Ablauf der jeweiligen 25 Jahre-Frist voraus. Schranken ergeben sich freilich mit Blick auf § 5 nach wie vor in mehrfacher Hinsicht: Durch die Sonderveranstaltungsankündigung geweckte Preisgünstigkeitsvorstellungen müssen eingelöst werden. Vor allem muss – hier interessierend – der konkret benannte Sonderaktionsgrund auch tatsächlich gegeben sein, die konkrete Sonderveranstaltung dem entsprechen, was der Verkehr unter einer Sonderaktion der benannten Art versteht. Sofern eine zeitliche Begrenzung schon in der Ankündigung vorgenommen wird, muss diese grundsätzlich eingehalten werden.1612 Im Übrigen erwartet der Verbraucher bei ihrem Begriff nach zeitlich begrenzten Aktionen, dass die Sonderveranstaltung nicht zur Dauerveranstaltung wird. Das betrifft Räumungsverkäufe, die zum Abverkauf führen sollen (unten Rn. 759), Jubiläumsverkäufe, die eine zeitliche Nähe zum auslösenden Ereignis halten müssen (unten Rn. 757), in Grenzen auch Abschnittsverkäufe, wie etwa einen Sommer- oder Winterschlussverkauf (unten Rn. 754). Wird für Sonderverkaufsaktionen (wie etwa einen „Totalabverkauf“) geworben, der in der Zukunft liegt, muss das Datum des Beginns der Aktion angegeben werden.1613 Das ergibt sich nach Streichung des § 4 Nr. 4 UWG 2008 aus § 5a Abs. 2, nicht aus § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2. (1) Abschnittsverkäufe. Abschnittsverkäufe („Schlussverkäufe“, mit dem Ausdruck 753 „Sale“ gekennzeichnete Verkäufe) lassen zwar nicht die Reduzierung des gesamten Warenbestands, wohl aber ein sortimentsübergreifend breitflächig reduziertes Warenangebot erwarten.1614 Die Ausklammerung neuer Kollektionen ist ob der Erkennbarkeit des Aktionsziels (Leerung der Läger von Bestandsware) allemal erlaubt; selbst Bestandsware muss nicht durchgängig verbilligt angeboten werden.1615 Dass neben Waren aus dem Bestand auch eigens für den Schlussverkauf bezogene Ware in die Aktion eingestellt wird, ist unschädlich.1616 Was das Zeitfenster anbelangt, ist der Handel zwar nicht mehr an die Vorgabe alten 754 Rechts (§ 7 Abs. 3 UWG 1986: Begrenzung auf die Dauer von 12 Werktagen) gebunden. Aus dem Charakter des Abschnittsverkaufs als Sonderveranstaltung folgt freilich, dass der Verkehr durchaus eine gewisse zeitliche Limitierung erwartet und erwarten darf.1617 Umgekehrt geht der Verkehr auf Grund einschlägiger Erfahrung mit dem Verkaufsförderungsinstrument „Schlussverkauf“ auch von einer gewissen Mindestdauer aus.1618 In der Literatur1619 werden insoweit Richtwerte von drei Wochen (zulässige Höchstdauer) bzw. einer Woche (erforderliche Mindestdauer) vorgeschlagen. Nennt der Werbende feste zeit-
_____
1611 BGH 11.9.2008 – I ZR 120/06 – GRUR 2008, 1114 Tz. 13 – Räumungsfinale; BGH 30.4.2009 – I ZR 66/07 – GRUR 2009, 1183 Tz. 11 – Räumungsverkauf wegen Umbau; BGH 30.4.2009 – I ZR 68/07 – GRUR 2009, 1184 Tz. 13 – Totalausverkauf. 1612 BGH 11.9.2008 – I ZR 120/06 – GRUR 2008, 1114 Tz. 13 – Räumungsfinale; BGH 30.4.2009 – I ZR 66/07 – GRUR 2009, 1183 Tz. 11 – Räumungsverkauf wegen Umbau; BGH 30.4.2009 – I ZR 68/07 – GRUR 2009, 1184 Tz. 13 – Totalausverkauf. 1613 BGH 30.4.2009 – I ZR 68/07 – GRUR 2009, 1184 Tz. 11 – Totalausverkauf. 1614 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 331. 1615 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 402. 1616 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 402. 1617 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.9; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 333. A.A. – Schlussverkauf könne grundsätzlich solange dauern, bis die abzuverkaufende Ware abgesetzt bzw. die Regale für die folgende Saison geräumt sind – Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 402. 1618 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.9; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 333. 1619 Köhler/Bornkamm/Feddersen aaO.
901
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
liche Grenzen, geht er eine relative Selbstbindung ein: Der Verkehr akzeptiert in seinen Erwartungen solche Verlängerungsgründe und nur solche Verlängerungsgründe, die auf im Zeitpunkt der Aktionsankündigung unter Berücksichtigung fachlicher Sorgfalt nicht voraussehbaren Umständen beruhen (oben Rn. 670).1620 Kasuistik: Die Ankündigung, die Preise für bestimmte Matratzen seien wegen eines „Sortimentswechsels“ herabgesetzt, erweckt den Eindruck einer zeitlich befristeten Aktion. Sie ist irreführend, wenn sich der Sortimentsverkauf über jedenfalls mehr als vier Monate hinziehen wird und sein Ende nicht absehbar ist, weil organisatorische Vorbereitungen des Produktionsaustausches noch in den Anfängen stecken.1621 (2) Jubiläumsverkäufe. Mit dem Sonderverkaufsanlass „Jubiläum“ darf nach geltendem Recht bei Geschäftsjubiläen jeder Art geworben werden. Der Verkehr verbindet freilich mit dem Begriff „Jubiläum“ durchaus gewisse einschränkende Vorstellungen: Anlass, einen Unternehmensgeburtstag als „Jubiläum“ zu feiern, sieht er bei runden oder halbrunden „Geburtstagen“, 1622 darüber hinaus 1623 vielleicht bei „SchnapszahlGeburtstagen“ („33 Jahre …“).1624 Aktionen aus bescheidenerem Anlass mögen unter entsprechender Anlassbezeichnung als „Geburtstagsverkäufe“ oder dergleichen bezeichnet werden. Was die Zeitraumermittlung anbelangt, setzt der Verkehr auf Kontinuität: Tätigkeit im selben, d.h. ursprünglichen oder organisch fortentwickelten Geschäftszweig.1625 Änderung der Rechtsform oder des Inhabers stehen nicht entgegen.1626 Ein Jubiläum des Gesamtunternehmens dürfen die Filialen mitfeiern – auch wenn sie selbst kein Jubiläumsalter aufweisen.1627 Gegenständlich erwartet der Verkehr signifikante Reduktionen im Bereich des 756 Stammsortiments, doch ist es nicht irreführend, wenn mit jubiläumstypischer Sonderware geworben wird.1628 Was die zeitliche Dimension betrifft, setzt er zunächst auf eine gewisse Nähe der 757 Sonderveranstaltung zum Jubiläumsereignis,1629 hegt freilich keine überspannten Erwartungen: Ein in der Vorweihnachtszeit gegründetes Unternehmen kann mit dem Beginn des Jubiläumsverkaufs durchaus bis in die umsatzschwachen Anfangswochen des neuen Jahrs warten.1630 Im Übrigen geht das Publikum bei Ankündigungen eines Jubiläumsverkaufs ohne Zeitangabe sowohl von einer zeitlichen Begrenzung als auch einer gewissen Mindestdauer aus. In der Literatur werden insoweit vier Wochen als Richtwert nach oben1631 und eine Woche als Mindestdauer1632 genannt. Wird der Jubiläumsverkauf mit einer festen zeitlichen Grenze angekündigt, muss sich der Unternehmer hieran festhal755
_____
1620 BGH 16.5.2013 – I ZR 175/12 – GRUR 2014, 91 Tz. 21 – Treuepunkte-Aktion; Köhler/Bornkamm/ Feddersen Rn. 3.12; vgl. auch die Beispiele bei Berneke GRUR-Prax 2011, 235. 1621 OLG Köln 5.2.2010 – 6 U 168/09 – WRP 2010, 561. 1622 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 336. 1623 So Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer aaO. 1624 Großzügiger – keine einschlägige Beschränkung – MünchKommUWG/Busche Rn. 432. 1625 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 403. 1626 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm Rn. 403. A.A. bezüglich Inhaberwechsel: OLG Frankfurt 16.1.1986 – 6 W 378/85 – WRP 1986, 483. 1627 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm Rn. 403. 1628 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 336: „Jubiläumstasse“ bei Porzellanhersteller. 1629 Harte/Henning/Weidert D Rn. 14; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.16. 1630 Noch großzügiger Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.16: bis in die ersten Monate des neuen Jahres. 1631 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.9; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 336. 1632 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.9.
Lindacher/Peifer
902
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
ten lassen:1633 Valable Gründe für eine Verlängerung der Aktion sind schwerlich vorstellbar.1634 Der „Erfolg“ der Aktion rechtfertigt noch keine Verlängerung.1635 Hintergrund ist letztlich, dass zeitliche Begrenzungen dem Abnehmer eine für dessen Marktentscheidung erhebliche Eile und mögliche Verknappung der Kaufgelegenheit vorspiegeln. Fehlt es tatsächlich an der Verknappungssituation, kauft der Abnehmer möglicherweise (unter fehlerhafter Vorstellung) zu früh und verpasst andere günstigere Gelegenheiten. Allerdings zeigt sich eine Tendenz in der Rechtsprechung, die Aufweichung zeitlicher Begrenzungen daran zu koppeln, dass die Kenntnis von einer Verlängerung der Sonderverkaufsaktion bereits zu Beginn der Ankündigung vorgelegen haben muss (oben Rn. 670). Das nimmt dem Verbot einiges an Schärfe und ist auf der Beweisseite nur vertretbar, wenn man dem werbenden Unternehmen die Last aufbürdet, nachzuweisen, aus welchen Gründen eine zeitlich begrenzte Aktion vorzeitig beendet oder länger durchgeführt wurde. Runde und halbrunde Geburtstage des Unternehmers können zwar gleichfalls zum 758 Anlass eines „Jubiläumsverkaufs“ gemacht werden,1636 die Ankündigung muss den Unternehmerbezug indes hinreichend deutlich machen: Der Verkehr bezieht eine nicht näher gekennzeichnete Jubiläumswerbung auf das Unternehmen, misst Unternehmensjubiläen zudem typischerweise einen höheren Stellenwert bei als Unternehmergeburtstagen. (3) Räumungsverkäufe. Unter Räumungsverkäufen versteht der Verkehr Veranstal- 759 tungen zum Abverkauf vorhandener Ware wegen Geschäftsaufgabe, Geschäftsverlagerung, Umbaus oder außergewöhnlicher Schadensereignisse (Feuer, Wasser oder Sturm). Eine solche Ankündigung hat eine besonders starke anlockende Wirkung. Der Verkehr erwartet besonders attraktive Preise. Bei einer missbräuchlichen Ankündigung ist im Business-to-Consumer-Verkehr für die Teilsektoren Geschäftsaufgabe und Geschäftsverlegung vorrangig Anh. Nr. 15 anwendbar. Im Übrigen greift § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2: Der geltendgemachte Anlass muss realiter gegeben sein. Der klaren Angabe entgeht der Unternehmer nicht durch Ankündigungen wie „tatsächliche Zerschlagung gemäß gesetzlicher Vorschrift“.1637 „Geschäftsaufgabe“ bedeutet, dass die geschäftliche Tätigkeit als solche nicht nur 760 vorübergehend aufgegeben wird. Mit Streichung von § 8 UWG 19861638 können „Räumungsverkäufe wegen Aufgabe des Geschäftsbetriebs“ auch wieder für einzelne Filialen erfolgen.1639 Die Aufgabe eines bestimmten Sortimentsbereichs darf als Anlass für einen „Teilräumungsverkauf“ herausgestellt werden. Im Grundsatz braucht der Händler für den Räumungsverkauf keine bestimmte Dauer und keinen Endtermin festlegen, der Verkauf kann bis zur Leerung des Warenlagers oder mit offenem Ende durchgeführt werden. Grenzen ergeben sich nur insoweit, als manifeste Überlängen nach der Lebenserfahrung ein Anzeichen dafür sind, dass der Verkauf nicht (mehr) im Rahmen der Aufgabe eines Geschäftsbetriebs erfolgt.1640 Nennt der Händler einen Endtermin, ist eine moderate Verlängerung mit Blick auf einen unzulänglichen Warenabverkauf (weil vom Verkehr in
_____
1633 1634 1635 1636 1637 1638 1639 1640
903
LG Würzburg 8.6.2017 – 1 HKO 555/17 – WRP 2017, 1020 Tz. 22 – Vorteilsgutschein. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.12. BGH 7.7.2011 – I ZR 173/09 – GRUR 2012, 208 Tz. 23 – WRP 2012, 311 – 10% Geburtstagsrabatt. Ohly/Sosnitza Rn. 428. LG Zweibrücken 6.3.2015 – 2 O 215/13 – WRP 2015, 1404. In der Fassung des Gesetzes v. 25.7.1986, BGBl. I 1169. Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 59 Rn. 404; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.17. Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm Rn. 404.
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
seine Vorstellung einbezogen) zulässig.1641 Jenseits der Toleranzmarge verliert der Verkauf seinen Charakter als Sonderveranstaltung. Geschäftsverlagerung heißt, dass die gesamte geschäftliche Aktivität an bishe761 riger Stelle aufgegeben, die Geschäftstätigkeit freilich an anderer Stelle weitergeführt wird. Bei einer „Räumung wegen Umbaus“ erwartet der Verkehr, dass eine Baumaßnah762 me vorgenommen wird, die eine wesentliche Änderung der Einrichtung zur Folge hat, was im Ergebnis auf die Notwendigkeit einer nach baurechtlichen Vorschriften anzeigeoder genehmigungspflichtige Maßnahme hinauslaufen dürfte.1642 Werden nur Teile des Sortiments in die Aktion einbezogen, ist die Verkaufsveranstaltung als „Teilräumungsverkauf“ auszuflaggen. Für alle Erscheinungsformen von „Räumungsverkäufen“ gilt: So genannte vor- und 763 nachgeschaffte Ware nimmt der Verkaufsveranstaltung den Charakter eines Räumungsverkaufs. Wer solche Ware (mit)verkauft, „räumt“ nicht i.S. eines Räumungsverkaufs, wie ihn der Verkehr versteht.1643 cc) Insolvenzverkäufe. Unter einem „Insolvenzverkauf“ versteht der Verkehr – wortsinnkonform – einen freihändigen Verkauf von Waren aus der Insolvenzmasse im Rahmen eines anhängigen Insolvenzverfahrens, also durch den Insolvenzverwalter oder eine von ihm beauftragte Person. Werden Waren zu Liquidationszwecken nach Ablehnung der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mangels Masse verkauft, mag man von einem „Liquidationsverkauf“ sprechen; die Ankündigung eines Insolvenzverkaufs wäre irreführend. Wer zum Verkauf gestellte Ware als „Insolvenzware“ bewirbt, macht keinen Insol765 venzverkauf geltend, trifft mithin keine Aussage über den Verkaufsanlass, sondern über die Bezugsquelle der Ware: Die Ware muss aus einer Insolvenzmasse stammen, d.h. unter Insolvenzbeschlag gelegen haben – nicht mehr und nicht weniger.1644 Mangels einschlägigen Vorbehalts darf der Kunde freilich davon ausgehen, dass die Ware vom Wiederverkäufer aus der Insolvenzmasse erworben wurde. Angebote aus dritter oder vierter Hand versteht der Verkehr ob des typischen Schwunds an Preisgünstigkeit – unabhängig von der Preisgünstigkeit im Einzelfall – gemeinhin nicht mehr als Insolvenzware.1645 Ob die Bezeichnung „Insolvenzwarenverkauf“ der Bezeichnung „Insolvenzver766 kauf“ gleichzusetzen ist,1646 erscheint zweifelhaft: Der allgemeine Wortsinn legt den Verkauf aufgekaufter Ware nahe. Nimmt man Mehrdeutigkeit an, wäre eine Rechtfertigung der Verwendung im Wege ergänzender Interessenabwägung (allgemein: Rn. 268 ff.) zu erwägen. Der Wiederverkäufer hat ein verständiges Interesse an einer Verlautbarung des Umstands, dass er Waren verkauft, die er im Rahmen der Versilberung der Masse erworben hat.
764
767
dd) Sonstige Fälle. Klassischer sonstiger Fall der Irreführung über den Verkaufsanlass ist die Bezeichnung eines Verkaufs als Notverkauf, obschon von einer ent-
_____
1641 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.12. 1642 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.17. Großzügiger Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 404. 1643 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 404; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 338; Ohly/Sosnitza Rn. 431. A.A. MünchKommUWG/Busche Rn. 434. 1644 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.5; Piper/Ohly/Sosnitza Rn. 425. A.A. – Irreführung bei Angebot durch Aufkäufer – freilich beispielsweise Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 340 sowie MünchKommUWG/Busche Rn. 428. 1645 A.A. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.5; Ohly/Sosnitza Rn. 426. 1646 So OLG Hamm 13.3.2007 – 4 U 167/06 – WRP 2007, 1389, 1391.
Lindacher/Peifer
904
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
sprechenden Zwangslage keine Rede sein kann.1647 Angebote „umständehalber“ (ohne konkrete Umstandsbenennung) lassen hingegen kaum Rückschlüsse auf die Art des Verkaufsanlasses zu; das Publikum dürfte einschlägige Angaben deshalb wohl eher als rein preisbezogene Äußerungen verstehen: als Hinweis auf eine – durch welche Umstände auch immer bedingte – günstige Preisstellung.1648 Durch die Ankündigung von Versteigerungen wird der Verkehr getäuscht, wenn in 768 Wirklichkeit freihändig, d.h. nicht zu einem vorher festgelegten Zeitpunkt an den Meistbietenden verkauft wird.1649 Ob eine Versteigerung i.S. von § 156 S. 1 BGB unter Beteiligung eines gewerblichen Auktionators vorliegt, ist unerheblich.1650 Nicht irreführend deshalb insbesondere: die Bezeichnungen „Auktion“ oder „Versteigerung“ für Verkäufe gegen Höchstgebote im Internet.1651 b) Bezugsart und Bezugsquelle Schrifttum Lindemann/Bauer Fabrikverkauf, Lagerverkauf, Hersteller-Direkt-Verkauf und Factory Outlet – Werbung am Rande der Legalität, WRP 2004, 45.
aa) Begriffe, Abgrenzungsfragen. Das Merkmal Bezugsart spricht das Wie, ins- 769 besondere den Weg des Warenbezugs an. Thematisiert sind Aussagen, die die Ausschaltung des Zwischenhandels geltend machen, sowie Hinweise auf die Transportart (Schnelltransport, Transport ohne Umladung im Kühlwagen). Das Merkmal der Bezugsquelle kennzeichnet demgegenüber mehr die Warenherkunft. Beispiele: Hinweis, die angebotene Ware stamme aus einem Nachlass, einer Insolvenzmasse, einem übernommenen Fabriklager, wobei Angaben über die „Bezugsquelle“ sowohl den Bezug des Werbenden als auch den Letztabnehmerbezug betreffen können. Aussagen über die Bezugsquelle sind insbesondere auch alle Aussagen, das beworbene Angebot stamme „aus privater Hand“. Überschneidungen kommen mit § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 in Betracht: Hersteller- und 770 Großhändlerhinweise sind auch Hinweise, die den „Status“ des Unternehmers betreffen. Wer sich unter Verschleierung des gewerblichen Charakters des Angebots als Privatmann geriert, täuscht auch über seine Unternehmereigenschaft. Falschbehauptungen gegenüber Verbrauchern, der Unternehmer sei Verbraucher, sind vorrangig an Anh. Nr. 23 zu messen. Die im Kern mittelstandspolitisch begründeten besonderen Beschränkungen der 771 Hersteller- und Großhändlerwerbung sind mit Streichung von § 6a Abs. 1 und 2 UWG 19691652 im Rahmen der Novellierung 20041653 ersatzlos entfallen.
_____
1647 Harte/Henning/Weidert D Rn. 12; MünchKommUWG/Busche Rn. 430; Ohly/Sosnitza Rn. 432. 1648 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.21; Ohly/Sosnitza Rn. 434. 1649 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.21; Ohly/Sosnitza Rn. 435. 1650 Ohly/Sosnitza Rn. 435. 1651 KG 11.5.2001 – 5 U 9586/00 – NJW 2001, 3272. 1652 Eingeführt durch Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb v. 26.6.1969, BGBl. I 633. 1653 Begr. RegE BT-Drucks. 15/1487, S. 15: die Vorschriften gingen von einem „überholten Verbraucherleitbild“ aus.
905
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
bb) Hersteller- und Großhändlerbezug 772
(1) Allgemeines. Angaben, die beim angesprochenen Verkehr den Eindruck erwecken, er könne die beworbene Ware direkt vom Hersteller oder Großhändler beziehen, lösen signifikante Preisvorteilserwartungen aus: Der Kunde setzt mit Blick auf den Entfall von Handels- bzw. Zwischenhandelsspannen auf eine günstige Preisstellung. Wird der Bezug vom Hersteller bzw. Großhändler nur vorgetäuscht, erfüllt dies den Tatbestand des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 – selbst wenn den preislichen Erwartungen im Ergebnis durchaus Genüge getan sein sollte: Die Ankündigung als solche ist durchaus geeignet, Interessenten zu näheren Befassung mit dem Angebot zu bewegen, die dasselbe bei schlichter Preiswürdigkeitsberühmung unbeachtet gelassen hätten.1654
773
(2) Herstellerbezug. Möglichkeit des Direktbezugs vom Hersteller suggeriert, wer sich selbst als solcher bezeichnet. Ausdrücklicher einschlägiger Benennung stehen gleich: Behauptungen wie „Verkauf direkt ab Fabrik“,1655 „factory outlet“,1656 „Direktverkauf“,1657 „vom Hersteller zum Verbraucher“1658 oder „direkt ab Werk“.1659 Der Tatbestand des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 ist erfüllt, wenn der Verkäufer – bezogen auf das angebotene Produkt – nur Händler, nicht Hersteller ist. So, wenn jedenfalls die konkret beworbene Ware zugekauft ist. Ob Ankündigungen wie „Direkt ab Werk, kein Zwischenhandel“ Direktbezug unter 774 Ausschaltung des Groß- und Einzelhandels verheißen oder nur als Ausschluss der Großhandelsstufe zu verstehen, ist einzelumstandsabhängig zu beantworten:1660 Wenn im Ankündigungszusammenhang von „garantierten Tiefpreisen“ die Rede ist, spricht dies für die erstgenannte Deutung.1661 (3) Großhändlerbezug. Auf die Möglichkeit des Warenbezugs unter Ausschaltung der Einzelhandelsstufe darf der angesprochene Verkehr setzen, wenn sich der Anbieter als Großhändler bezeichnet oder aber Angaben wählt, die sonst auf einen Direkterwerb vom Großhändler schließen lassen. Der Verkehr wird unter dem Gesichtspunkt der Irreführung über die Bezugsart irre776 geführt, wenn der Anbieter nicht dem Anforderungsprofil des „Großhändlers“ gerecht wird, das dadurch gekennzeichnet ist, dass der Geschäftsbetrieb ganz auf die Belieferung von Wiederverkäufern und Großabnehmern ausgerichtet ist. 775
cc) Irreführung über den gewerblichen Charakter des Angebots. Angebote Privater sind typischerweise preisgünstiger als gewerbliche Angebote. Scheinprivatangeboten kommt Irreführungspotential nach § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 zu. Soweit es um die Irreleitung von Verbrauchern geht, kommt Anh. Nr. 23 Prüf- und Anwendungsvorrang zu. Raum für die Anwendung der Grundnorm bleibt im Business-to-Business-Ver778 kehr, wobei die Relevanzfrage nicht aus dem Blick gelassen werden darf: Eine Erfahrungsregel dahingehend, dass es für einen Unternehmer irrelevant ist, ob er ein Geschäft mit einem Privaten oder einem Unternehmer schließt, gibt es nicht. 777
_____ 1654 1655 1656 1657 1658 1659 1660 1661
Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.196/4.211. OLG München 20.4.1978 – 6 U 3551/77 – WRP 1979, 158, 159. OLG Nürnberg 14.8.2001 – 3 U 776/01 – MDR 2002, 286. OLG Oldenburg 25.9.1959 – 1 U 81/59 – GRUR 1960, 250. BGH 13.3.1964 – Ib ZR 122 – GRUR 1964, 397 = WRP 1964, 239 – Damenmäntel. BGH 20.1.2005 – I ZR 96/02 – GRUR 2005, 442 = WRP 2005, 474 – Direkt ab Werk. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.204. BGH 20.1.2005 – I ZR 96/02 – GRUR 2005, 442 = WRP 2005, 474 – Direkt ab Werk.
Lindacher/Peifer
906
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
5. Konditionenbezogene Irreführung a) Allgemeines. Wettbewerb veranstaltet sich, zumindest in bestimmten Branchen, 779 auch und nicht zuletzt in der Form des Konditionenwettbewerbs. Werbliche Äußerungen, welche die Vorteilhaftigkeit des eigenen Angebots hinsichtlich der Leistungs- und Zahlungsmodalitäten oder für den Leistungsstörungsfall herausstellen, sind Angaben über „Bedingungen, unter denen die Ware geliefert oder die Dienstleistung erbracht wird“ (§ 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2). Sie thematisieren die Vorschrift, wenn und soweit sie Vorteilserwartungen wecken, die realiter nicht eingelöst werden: sei es, dass der Vertragsschluss zu den im Vorfeld in Aussicht gestellten Bedingungen überhaupt verweigert wird, sei es, dass bei Vertragsschluss (insbesondere in einbezogenen AGB) Vorbehalte gemacht werden, mit denen nach der Werbung nicht zu rechnen war. Soweit es um nicht erwartbare Einschränkungen via AGB geht, greift die Verbotsnorm dabei auch und gerade, wenn die einschränkende Klausel ob ihres Überraschungscharakters, ihrer Individualvertragsunverträglichkeit und/oder ihrer inhaltlichen Unbilligkeit nach §§ 305b, 305c, 307–309 BGB keine rechtliche Geltung erlangt. § 5 steuert auch der – erfahrungsgemäß realen – Gefahr gegen, dass der Kunde fälschlicherweise von einer wirksamen Klausel ausgeht. Die Einschätzung der Bedeutung von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 sowie die Abgrenzung ge- 780 genüber anderen Regelungen über Vertragsbedingungen fällt nicht zuletzt deshalb schwer, weil bereits die Meinungen über die unionsrechtliche Grundlage der Vorschrift auseinandergehen: § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Stichwort: konditionenbezogene Irreführung hat in der RL 2005/29/EG kein Pendant, geht im Kern auf die RL 84/450/EWG zurück, die in fortgeschriebener Form als RL 2006/114/EG nur noch den Schutz von Gewerbetreibenden befördert. Richtigerweise wird man § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 (s. bereits Rn. 618, 625) gleichwohl als eine Vorschrift zu verstehen haben, die von ihrem Geltungsanspruch her im Grundsatz auch den Business-to-Consumer-Verkehr erfasst. Wer im Einklang mit der unter Rn. 306 entwickelten Meinung den unionsrechtlichen Merkmalskatalog einer behutsamen Fortentwicklung zugänglich sieht, wird § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Stichwort: Vertragsbedingungen als durch eine RL-Fortentwicklung gedeckt ansehen dürfen: Dass der RLGeber einschlägige Täuschungen sanktionsfrei lassen wollte, ist nicht anzunehmen. Auf der Basis des vorab Konstatierten dürfte im Einzelnen Folgendes richtig sein: 781 Falschaussagen über nachvertragliche Serviceleistungen unterfallen – gleichgültig ob gegenüber Verbrauchern oder im beidseitigen Geschäftsverkehr getroffen – schwerpunktmäßig § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Stichwort: Kundendienst. Angaben, die geeignet sind, den Verbraucher von der Durchsetzung seiner Rechte, insbesondere solcher aus gesetzlicher Gewährleistung oder vertraglicher Garantie, abzuhalten, unterfallen der spezielleren Regelung des § 5 Abs. 1 S, 2 Nr. 7.1662 Negativabweichungen vom Üblichen bei Zahlungs-, Liefer- und Leistungsbedingungen sind dem Verbraucher nach § 5a Abs. 2/3 Nr. 4 zu offenbaren. Im Übrigen greift adressatenkreisunabhängig § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2. b) Leistungszeit. In weiten Bereichen sind kurze Lieferfristen ein starkes Werbe- 782 argument. Werden in der Allgemeinwerbung oder im Verkaufsgespräch geweckte diesbezügliche Erwartungen nicht nur einzelfallweise, sondern systematisch enttäuscht, handelt es sich um einen klaren Fall der Irreführung i.S. von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2. Formularmäßige Vorbehalte wie „Liefertermin freibleibend“ oder „Lieferzeiten nur Richtzeiten und unverbindlich“ salvieren nicht, sind vielmehr gerade ihrerseits erwartungskonträr.
_____ 1662
907
Insoweit ebenso Harte/Henning/Weidert D Rn. 96 und Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.188.
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
Entsprechendes gilt für eine Werbung, die „Sofort-Reparatur“ verspricht:1663 Die Werbeschild-Ankündigung „Auspuff-Montage sofort“ ist irreführend, wenn es in den AGB des Werbenden u.a. heißt, man sei um sofortige Montage im Rahmen des nach dem Geschäftsgang Möglichen bemüht.1664 Kündigt eine Bank „Sofort-Kredite“ an, erwartet der Verkehr, dass über den Kreditantrag sofort entschieden und bei positiver Entscheidung der Kredit sofort gewährt wird.1665 Bei einem scheckähnlich aufgemachten „Anforderungsscheck für Barauszahlungen“ rechnet der Angesprochene damit, mit der Ausfüllung des Schecks in der Regel alles getan zu haben, um in den Genuss alsbaldiger Barauszahlung zu gelangen; er wird irregeführt, wenn ihm zunächst ein Antragsvordruck mit einem umfangreichen Fragenkatalog vorgelegt wird.1666 783
c) Leistungsort. Zumindest bei bestimmten Gütern ist es dem Kaufinteressenten durchaus nicht gleichgültig, ob die gekaufte Ware vom Verkäufer – kostenfrei – ausgeliefert wird oder aber selbst abgeholt werden muss. Wer als Verkäufer durch Allgemeinwerbung oder aber im Rahmen des Verkaufsgesprächs den Eindruck vermittelt, er liefere frei Haus, muss dieser Erwartung auch dann entsprechen, wenn eine derartige Nebenleistung branchenunüblich sein sollte.1667 Soweit die Regel nach Branche und Kaufgegenstand Bringschuld ist, sind Durchbrechungen der Regel deutlich zu machen: Zumindest im Facheinzelhandel geht der Verkehr bei Großgeräten und sperrigen Möbeln wohl auch heute noch von einer Anlieferung ohne gesonderte Berechnung aus.1668 Ob für Fachmärkte anderes gilt,1669 erscheint zweifelhaft:1670 Fehlt es an einer Kennzeichnung des Angebotspreises als Abholpreis, dürften Teile des relevanten Verkehrs – gerade ob der Üblichkeit der Anlieferung im Facheinzelhandel und des Abholpreis-Hinweises bei Fachmärkten – auch hier von einer Bringschuld ausgehen. Eine Privilegierung der Fachmärkte sollte auch und gerade unter Marktstrukturgesichtspunkten vermieden werden. d) Garantien Schrifttum Lehmann/Dürrschmidt Haftung für irreführende Werbung über Garantien, GRUR 1997, 549; Schünemann Defizitäre Garantien, NJW 1988, 1943; Splittgerber/Krone Bis dass der Tod Euch scheide – Zur Zulässigkeit lebenslanger Garantien auf IT-Produkte, CR 2008, 341.
784
Garantieversprechen finden die Aufmerksamkeit potentieller Kunden. Die Aussicht, sich teuer erkauften Gebrauchsnutzen möglichst lange reparaturkostenfrei sichern zu können, stimuliert in nachhaltiger Weise die Entscheidung zugunsten eines solchermaßen beworbenen Produkts. Hersteller und Händler wissen darum, gewähren ent-
_____
1663 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 365; MünchKommUWG/Busche Rn. 519. 1664 Schünemann 154. 1665 OLG Hamm 27.9.1979 – 4 U 176/79 – WRP 1980, 89. 1666 BGH 18.12.1981 – I ZR 198/79 – GRUR 1982, 242, 244 = WRP 1982, 270, 271 – Anforderungsschecks für Barauszahlungen; Ohly/Sosnitza Rn. 565. 1667 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 410; Ohly/Sosnitza Rn. 564. 1668 OLG Stuttgart 21.11.1986 – 2 U 136/86 – WRP 1987, 271; LG Frankfurt 12.1.2007 – 3–12 O 179/06 – WRP 2008, 1485. A.A. Büscher/Dittmer/Schiwy/Lehmler Rn. 198; Büscher/Büscher Rn. 425. 1669 So Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.135 sowie Ohly/Sosnitza Rn. 478. 1670 Für die Notwendigkeit der Ausflaggung von Abholpreisen denn auch OLG Hamburg 25.9.1997 – 3 U 203/96 – WRP 1998, 225, 226 f.; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 351; MünchKommUWG/Busche Rn. 519.
Lindacher/Peifer
908
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
sprechende Garantien und stellen sie werblich gebührend heraus. Aufgabe des Lauterkeitsrechts ist es, Missbräuche der Garantiewerbung zu steuern: Entgegenzuwirken ist zunächst der „Strategie“, durch plakative Aussagen (Blickfangwerbung oder vollmundige Schlagworte) den Eindruck attraktiver Garantien zu erwecken, auf den ersten Blick Versprochenes dann aber im eher unauffälligen Zusatztext oder via AGB-Regelung wieder zurückzunehmen (Rn. 785). Um eine besondere Form der Irreführung über die Produktqualität handelt es sich, wenn mit Garantiezeiten geworben wird, die über der Regellebensdauer des beworbenen Produkts liegen (Rn. 788 f.). Da es dem Verkehr keineswegs immer gleichgültig ist, wer die Garantie gewährt, kann § 5 schließlich auch dadurch thematisiert werden, dass Händlerwerbung fälschlicherweise eine Herstellergarantie suggeriert (Rn. 790 ff.). Der Rechtsanwender darf freilich auch die Gefahr des Übersteuerns nicht verkennen: So wichtig die Bekämpfung des „Garantie“-Unwesens, bleibt andererseits sorgsam darauf zu achten, dass nicht übereifrig legitime Garantiewerbung und damit unter der Flagge des Wettbewerbsrechts wünschenswerter Wettbewerb unterbunden wird (Rn. 792 f.). aa) Defizitäre Garantien. Unbeschadet der mangelnden gesetzlichen Ausprägung 785 des Instituts Garantievertrag gilt: Der Begriff steht nicht zur Disposition des Werbenden. Erschwerungen der üblichen Garantievoraussetzungen und Einschränkungen des typischen Garantieleistungsinhalts sind zumindest erwartungsfern. Dem Werbenden steht es nicht frei, blickfangmäßig oder sonst schlagwortartig mit „Garantie“-Versprechen zu werben, wenn sich die entsprechende Zusage unter Berücksichtigung des Begleittextes oder in Bezug genommener AGB-Klauseln nach Voraussetzungen und Inhalt der Leistung kaum noch oder überhaupt nicht mehr mit dem Wesen einer Garantie in Einklang bringen lässt. Irreführend ist, mangels hinreichender Verdeutlichung der jeweiligen Garantieschwäche bereits in der Werbeaussage selbst, sowohl die Werbung mit voraussetzungshypertrophen als auch die Werbung mit inhaltarmen Garantien.1671 Der Verkehr erwartet bei „Garantie“-Versprechen Gebrauchsnutzensicherung durch kostenfreie Mängelbeseitigung, zumindest aber (näher: Rn. 779) Entschädigung für entgangenen und entgehenden Gebrauchsnutzen und bezieht vorbehaltlose Zusagen auf alle während der Garantiezeit zutage tretenden Mängel, sofern und soweit sie nicht auf unsachgemäßem oder bestimmungswidrigen Gebrauch oder auf zufälliger Beschädigung von außen beruhen. Beispiel für eine defizitäre Garantie in der Form der voraussetzungshypertrophen Garantie:1672 „10-Jahres-Garantie“ für eine Qualitätsmatratze, wenn die Garantieleistung in den Geschäftsbedingungen davon abhängig gemacht wird, dass die Matratze keine äußerlichen Gebrauchsspuren aufweist – die Garantievoraussetzungen sind, zumindest nach geraumer Gebrauchszeit, weithin unerfüllbar. Beispiel für eine defizitäre Garantie in der Form der inhaltsarmen Garantie:1673 „Zwei-Jahres-Garantie“-Aufkleber auf Waschund Spülmaschinen, wenn die Garantiebedingungen nur für das erste Jahr eine kostenfreie Mängelbeseitigung vorsehen, danach lediglich Ersatzteile ohne Berechnung bleiben, Monteurleistung und Wegekosten indes in Rechnung gestellt werden. Ob der Verkehr aus „Garantie“-Zusagen ausschließlich auf Naturalrestitution 786 schließt1674 oder auch Garantieleistungen in Form einer Geldentschädigung akzeptiert, lässt sich wohl nur fallgruppenweise beantworten: Soweit die adäquate Form der Mängelbeseitigung die Reparatur ist, spricht vieles für die Naturalrestitutionserwartung. Der
_____
1671 1672 1673 1674
909
Grundsätzlich und grundlegend: Schünemann NJW 1988, 1943 ff. Nach Schünemann 155. Mit Abwandlung nach Schünemann aaO. So Schünemann NJW 1988, 1944 f.
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
Käufer trifft seine Entscheidung zugunsten des beworbenen Produkts oft auch aus der Erwägung, im etwaigen Garantiefall einen kompetenten Reparateur an der Hand zu haben. Erfolgt die Mängelbeseitigung typischerweise im Wege der Ersatzbeschaffung, dürften hingegen vor allem Regelungen, welche die Elemente Restitution und Entschädigung kombinieren, nicht von vornherein erwartungsfern sein: Konkretisierungen des Garantieversprechens dahin, dass für einen bestimmten Zeitraum Ersatzlieferung, alsdann eine – im Zeitablauf sinkende – Entschädigung gewährt wird, erscheinen keineswegs sach- und erwartungswidrig. Entscheidend ist dann freilich die Entschädigungshöhe: Die Geldentschädigung muss allemal Äquivalent des typisierten Restgebrauchsnutzens sein. Was für „schlichte“ Garantiewerbung gilt, gilt erst recht für die Werbung mit „Voll787 garantien“: Da bereits die (vorbehaltlose) „Garantie“-Werbung volle Garantie verheißt, liegt zwar keine Steigerung, wohl aber eine Bekräftigung vor. Einschränkungen im Garantieumfang werden eindeutig ausgeschlossen. Kasuistik: Wird für Polstermöbel mit einer fünfjährigen „Vollgarantie“ geworben, erwartet der Verkehr, dass die Teile von haltbarer Qualität sind, dass sich in fünf Jahren kein Verschleiß zeigt. Die Ausklammerung durch Normalgebrauch bedingter Verschleißschäden ist erwartungsfern.1675 bb) Garantiedauer. Langjährige Garantiezusagen sind lauterkeitsrechtlich nicht per se zu beanstanden.1676 Die lediglich allgemeine Unsicherheit, ob das garantierende Unternehmen im Garantiefall zu Ende der Garantiefrist noch existiert, rechtfertigt noch kein non licet. Der Verkehr schließt freilich aus der Garantie auf die Lebensdauer des beworbenen Produkts. Er erwartet, dass dieses bei normalem, bestimmungsgemäßem Gebrauch mindestens bis Garantiefristende uneingeschränkt nutzbar ist. Werbung mit Garantiezeiten, bei denen mit dem Garantiefall nicht nur als Ausnahme, sondern mit gewisser Häufigkeit zu rechnen ist, führt irre i.S. von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2.1677 Kasuistik: Als zulässig wurden erachtet: eine 25-Jahres-Garantie für die Haltbarkeit einer Federkernmatratze,1678 eine 15-Jahres-Garantie für die Innenbearbeitung gebrauchter Schornsteine.1679 789 Der Gedanke, das Verjährungsrecht ziehe mit dem Verbot der Verjährungserschwerung (§ 202 Abs. 2 BGB) zeitliche Höchstgrenzen für Garantiezusagen,1680 verliert in dem Maße an Kraft, als man „lebenslange“ Garantien als nicht den Fesseln des Verjährungsrechts unterliegende selbständige Garantien qualifiziert. Inhaltlich geht es um die Frage, ob dem Kunden ein solchermaßen versprochener Vorteil vorenthalten werden soll.1681 Dogmatisch hängt die Antwort auch an der Frage, ob die Garantie nach Ablauf auch der längsten Verjährungsfrist, die das BGB bereitstellt, noch durchsetzbar ist.1682 Beide Fragen lassen sich lösen, wenn man den Vorteil für realistisch, die dogmatische Frage für
788
_____
1675 OLG Köln 28.5.1980 – 6 U 217/79 – WRP 1980, 648, 649. 1676 Ganz h.M.; vgl. statt vieler: BGH 31.1.1958 – I ZR 182/56 – GRUR 1958, 455, 457 – Federkernmatratze; 26.9.1975 – I ZR 72/74 – GRUR 1976, 146, 147 = WRP 1975, 735, 737 – Kaminisolierung; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm Rn. 280. 1677 BGH 31.1.1958 – I ZR 182/56 – GRUR 1958, 455, 457 – Federkernmatratze; 26.9.1975 – I ZR 72/74 – GRUR 1976, 146, 147 = WRP 1975, 735, 737 –Kaminisolierung; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.194; Harte/Henning/Weidert I Rn. 17. 1678 BGH 31.1.1958 – I ZR 182/56 – GRUR 1958, 455, 457 – Federkernmatratze. 1679 BGH 26.9.1975 – I ZR 72/74 – GRUR 1976, 146, 147 = WRP 1975, 735, 737 – Kaminisolierung. 1680 So noch BGH 9.6.1994 – I ZR 91/92 – GRUR 1994, 830, 831 = WRP 1994, 732 – Zielfernrohr. 1681 Dagegen zu Recht: Ohly/Sosnitza Rn. 279. 1682 Vgl. Splittgerber/Krone CR 2008, 341, 345.
Lindacher/Peifer
910
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
dadurch lösbar hält, dass man entweder den Garantiebeginn als aufschiebend bedingt ansieht1683 oder den Garantieanspruch von vornherein erst mit dem Eintritt des Garantiefalls entstehen lässt. Diese letzte Deutung überzeugt eher, weil die Garantie ein Dauerschuldverhältnis begründet, das – anders als die aus ihm erwachsenden Ansprüche im Garantiefall – unverjährbar ist.1684 Kasuistik: Die Werbung eines Aluminiumdach-Herstellers „Extreme Garantie, weil es 40 Jahre Garantie nur auf das Material der Zukunft gibt“ verstößt nicht gegen § 5: Eine Haltbarkeit von 40 Jahren kommt bei Metalldächern ohne weiteres in Betracht.1685 cc) Hersteller- und Händlergarantie. Garantien begegnen als Hersteller- und 790 Händlergarantien. Händler werben sowohl mit von ihnen vermittelten Hersteller- als auch mit reinen Hausgarantien. Ob der Verkehr aus einer nicht näher spezifizierten Garantiewerbung auf eine Herstellergarantie schließt, die Werbung deshalb irreführend ist, wenn „nur“ eine Händlergarantie geboten wird, dürfte kaum einheitlich zu beantworten sein. Im Kfz-Neuwagengeschäft setzt der Verkehr „Garantie“ mit Herstellergarantie gleich – auch im sog. EG-Neuwagengeschäft.1686 Ob Gleiches auch in anderen Branchen, wie der Unterhaltungselektronik, gilt,1687 erscheint zumindest zweifelhaft.1688 Auch auf dem Gebrauchtwagen-Markt erscheint es keineswegs ausgemacht, dass „Garantie“Werbung Herstellergarantie erwarten lässt.1689 Dass „Garantiekarte“ stärker auf Herstellergarantie schließen lasse als „Garantie“,1690 will schwerlich einleuchten. Händlergarantie heißt grundsätzlich nicht, dass der Händler Garantiearbeiten selbst 791 durchführen muss: der Verkehr wird nicht irregeführt, wenn der Händler zur Realisierung seines Garantieversprechens auftretende Mängel durch den Hersteller oder sonstige fachkundige Dritte beheben lässt.1691 Anders ist es freilich, wenn der Händler im Zusammenhang mit der Garantieankündigung auf die Existenz eines eigenen Kundendienstes oder dergleichen verweist: Weitergabe erheblicher Teile der anfallenden Reparaturen enttäuscht sodann die hierauf basierende Verkehrserwartung. dd) Legitime Garantiewerbung. Zu einer Unterbindung legitimer Garantiewerbung 792 kommt es vor allem durch Fehleinschätzungen im Rahmen der Verkehrserwartungsbestimmung, in Sonderheit dadurch, dass man den (Durchschnitts-)Verbraucher für dümmer hält als er tatsächlich ist. Kasuistik: Wer mit einer „Drei-Jahres-Garantie auf alle Teppichböden“ wirbt, setzt kaum den falschen Schein einer dreijährigen Garantie für jeden angebotenen Teppichboden, unabhängig davon, in welchem Einsatzbereich (Ruhe-, Wohn-, Arbeits- oder Ein-
_____
1683 So Ohly/Sosnitza Rn. 279. 1684 BGH 26.6.2008 – I ZR 221/05 – GRUR 2008, 915 Tz. 13 ff. = WRP 2008, 1326 – 40 Jahre Garantie; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.195. 1685 BGH 26.6.2008 – I ZR 221/05 – GRUR 2008, 915 Tz. 13 ff. = WRP 2008, 1326 – 40 Jahre Garantie; zustimmend Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.195; Götting/Nordemann Rn. 7.5; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm, § 59 Rn. 280. 1686 BGH 20.2.1986 – I ZR 149/83 – GRUR 1986, 615, 618 = WRP 1986, 324, 326 – Reimportierte Kraftfahrzeuge; 15.7.1999 – I ZR 44/97 – GRUR 1999, 1122, 1123 – EG-Neuwagen I; Gloy/Loschelder/ Erdmann/Helm § 59 Rn. 281; Ohly/Sosnitza Rn. 560. 1687 So OLG Düsseldorf 6.1.1977 – 2 U 130/76 – WRP 1977, 193; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 281. 1688 Wie hier: KG 30.5.1980 – 5 U 1348/80 – WRP 1981, 99 f. 1689 Für ein solches Verständnis freilich Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 281. 1690 So OLG Köln 9.11.1979 – 6 U 135/79 – WRP 1979, 887 f.; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.197. 1691 A.A. Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 281.
911
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
gangsbereich) der Boden verlegt wird.1692 Der hinreichend informierte und verständige Durchschnittsverbraucher dürfte durchaus wissen, dass es keinen Einheitsteppichboden, sondern Teppichbodenqualitäten mit verwendungsbereichsgenuinen Vorzügen gibt: besonders weiche Ware mit ausgeprägter Floroptik ist weniger strapazierfähig als festere Ware. Das Werbeversprechen sollte deshalb sehr wohl eingelöst erachtet werden, wenn Ware aller Verwendungsbereiche angeboten und für jede Ware im Rahmen bestimmungsgemäßer Verwendung (d.h. Verlegung im benannten Bereich) Gewähr für (mindestens) dreijährige Verschleißfestigkeit geleistet wird. Eindeutig zu weit geht das Per-se-Verbot einer „Bei-Misserfolg-Geld-zurück-Wer793 bung“ bei Sprachkursen, Tanz-, Nachhilfeunterricht oder dergleichen:1693 Wer für das Ausbleiben des intendierten Erfolgs Rückgewähr der Gegenleistung verspricht, behauptet noch nicht, dass der Erfolg in jedem Fall eintritt und kann hier ernstlicherweise vom Adressaten der Werbebotschaft auch nicht in diesem Sinn (miss)verstanden werden.1694 Garantie bedeutet in diesem Kontext unmittelbar nur die Übernahme des Erfolgsrisikos, mittelbar darüber hinaus Berühmung hoher Erfolgswahrscheinlichkeit. Nur die Enttäuschung solcher Erwartung führt irre. Produktbezogen problematisch ist dagegen das Versprechen „Wir machen Sie schlank“, weil es sich typischerweise an Adressaten richten kann, die auch unglaubwürdigen Versprechen gerne Glauben schenken wollen.1695 III. Unternehmer- und unternehmensbezogene Angaben, Abs. 1 S. 2 Nr. 3 1. Allgemeines. § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 spricht zwar – ebenso wie die Richtlinienvorgabe – nur von der Person, den Eigenschaften und Rechten des „Unternehmers“. In der Sache steht indes zu Recht außer Frage, dass es nicht nur um Merkmale geht, die sich auf den Unternehmensträger als solchen beziehen, sondern auch und nicht zuletzt um Merkmale mit Bezug auf das Unternehmen als organisierter Wirtschaftseinheit, mittels derer der Unternehmensträger am Markt auftritt: § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 handelt von unternehmersowie unternehmensbezogenen Angaben im geschäftlichen Verkehr. Gesetzestechnisch benennt § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, im Kern Umsetzungsnorm von Art. 6 795 Abs. 1 lit. f. UGP-RL, ein Sammelsurium von Bezugspunkten, die auf zwei Ebenen zu verteilen sind: Die drei Hauptgruppen „Person“, „Eigenschaften“ und „Rechte“ sind über die „wie“-Brücke mit den Konkretisierungen „Identität“, „Vermögen einschließlich der Rechte des geistigen Eigentums“, „Umfang von Verpflichtungen“, „Befähigung“, „Status“, „Zulassung“, „Mitgliedschaften oder Beziehungen“, „Auszeichnungen oder Ehrungen“, „Beweggründe für die geschäftliche Handlung oder die Art des Vertriebs“ verbunden. Zuordnungen zu den einzelnen Merkmalen sind auf der höheren Ebene mit Blick auf den Umstand schwierig, dass sich „Eigenschaften“ und „Rechte“ kaum trennen lassen. Auch auf der Beispielsebene kommt es zu – je nach einschlägigem Begriffsverständnis größeren oder kleineren – Überschneidungen. Dunkel bleibt (auch und nicht zuletzt ob der Absenz substantiierter Aussagen in den Materialien) die Bedeutung des Beispielstatbestands der Irreführung über die „Beweggründe für die geschäftliche Handlung oder die Art des Vertriebs“, vom UWG-Gesetzgeber 2008 aus Art. 6 Abs. 1 lit. c UGP-
794
_____
1692 A.A. OLG Köln 12.6.1981 – 6 U 53/81 – WRP 1982, 47 f. 1693 Gleicher Ansicht: Schünemann 155; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.198; Ohly/Sosnitza Rn. 557. 1694 A.A. BGH 2.2.1983 – I ZR 191/80 – GRUR 1983, 254, 255 = WRP 1983, 390, 391 – Nachhilfeunterricht; OLG Hamm 29.1.2013 – 4 U 171/12 – GRUR-RR 2013, 222 – Tanzschule Essen/“garantierter Lernerfolg“; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm Rn. 282. 1695 OLG Hamm 15.9.1983 – 4 U 155/83 – GRUR 1984, 140 – Gewichtsreduzierung.
Lindacher/Peifer
912
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
RL übernommen. Die Rechtfertigung der Übernahme aus dem Gesichtspunkt der „Klarstellung“ (BT-Drucks. 16/10145 S. 24) weist darauf hin, dass dem Merkmal selbst vom Gesetzgeber letztlich keine eigenständige Bedeutung beigemessen wird. Die Kommentierung teilt die unternehmer- bzw. unternehmensbezogenen Angaben 796 in Angaben über die „Person“ und Angaben über „Eigenschaften“ und „Rechte“. Innerhalb der Hauptkategorien werden, neben den vom Gesetz benannten Untermerkmalen, der Tatbestandsoffenheit auf der Konkretisierungsebene („wie“) Rechnung tragend und die einschlägigen unbenannten Untermerkmale behandelt. 2. Person a) Identität aa) Erscheinungsformen der Identitätstäuschung. Über die Person des Unter- 797 nehmers täuscht, wer Angaben macht, die geeignet sind, eine Verwechslung über den Unternehmensträger herbeizuführen. Erfasst wird insoweit nicht nur der Irrtum über den Unternehmensträger, der mit einem Irrtum über das dahinterstehende Unternehmen einhergeht, sondern auch der Irrtum über die Unternehmensträgerschaft bei zutreffender Identifizierung des Unternehmens. Umstritten ist, ob auch der Irrtum über die Identität eines Mitarbeiters des Unternehmensträgers, der sich bei Anruf eines Kunden mit einem falschen Namen meldet, unter § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 erfassbar ist. Der BGH hat diese Frage mittelbar, nämlich im Zusammenhang mit § 312a Abs. 1 BGB, verneint, allerdings für die Frage der lauterkeitsrechtlichen Relevanz der Angabe eines falschen Mitarbeiternahmens an das OLG zurückverwiesen.1696 Das OLG Frankfurt hat die Relevanz der Angabe über einen im Aufrag des Unternehmers tätigen Werber mit Recht bejaht.1697 In der Tat hat der Kunde schon zu Beweiszwecken ein berechtigtes Interesse an der Identität des Mitarbeiters. Gibt dieser ein Pseudonym an, so täuscht er in relevanter Weise über unternehmensbezogene Umstände. Denkbar ist es allerdings auch, in dem Verschweigen des Mitarbeiternamens – etwa auf die Frage des Kunden – die Vorenthaltung einer wesentlichen Information im Sinne des § 5a Abs. 2 zu sehen. bb) Modalitäten der Irreführung. Einschlägig zuordnungsverwirrend wirkt vor al- 798 lem ein Fehlgebrauch von Namen, Firmen, Firmenschlagworten, Domain-Namen und sonstigen Unternehmenskennzeichen (wie individualisierungskräftigen Formen und Farben), aber auch ein auf einen anderen Unternehmensträger hinweisender Markengebrauch.1698 Die Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit in den Geschäftsräumen eines anderen Unternehmens wirkt identitätstäuschend, wenn und soweit sie den Eindruck vermittelt, das „Geschäft im Geschäft“ sei eine unselbständige Abteilung des anderen.1699 Eine allfällige Handelsregistereintragung macht die irreführende Firmenführung 799 nicht verbotsfest (s. Rn. 54). Grundentscheidungen des Firmennamensrechts sind allerdings auch vom Lauterkeitsrecht zu respektieren: Die mit Einwilligung des bisherigen Geschäftsinhabers nach § 22 HGB zulässige Fortführung einer einzelkaufmännischen Firma ohne Nachfolgerzusatz kann nicht über § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 unterbunden werden.
_____
1696 BGH 19.4.2018 – I ZR 244/16 – GRUR 2018, 950 Tz. 7 – Namensangabe. 1697 OLG Frankfurt 16.5.2019 – 6 U 3/19 – juris-Tz. 13. 1698 Harte/Henning/Dreyer E Rn. 9 f.; Ohly/Sosnitza Rn. 569. 1699 BGH 27.10.1988 – I ZR 47/87 – GRUR 1989, 211, 212 = WRP 1989, 471 f. – Shop in the Shop II: Ohly/ Sosnitza Rn. 569.
913
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
800
cc) Informationsgebote. In weiten Bereichen wird das Desinformationsverbot nach § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 durch Informationsgebote überlagert: Nach § 5a Abs. 2/3 Nr. 2 muss bei „konkreten Geschäftsangeboten“ die Identität und Anschrift des Unternehmers angegeben werden. Über § 5a Abs. 4 werden in Umsetzung unionsrechtlicher Informationsgebote erlassenen Vorschriften (wie § 312a Abs. 1, 312d Abs. 1 BGB mit Art. 246a § 1 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB, § 5 Abs. 1 Nr. 1 TMG), die identitätsbezogene Angaben fordern, lauterkeitsrechtlich über § 3a UWG durchgesetzt.1700 Lebensmittel in Fertigpackungen müssen nach Art. 9 Abs. 1 lit. h der Unions-Lebensmittel-InformationsVO den Namen/die Firma und die Anschrift des Lebensmittelunternehmers angeben. Die Durchsetzung der Vorschrift erfolgt in der Praxis über § 3a,1701 oder – naheliegender – über § 5a Abs. 4.1702 Besonders zu erwähnen ist § 5a Abs. 3 Nr. 2, der bei Angeboten zum Erwerb die Identität des Unternehmers angabepflichtig macht.1703
801
b) Rechtsform und Beteiligungsverhältnisse. Zu den nicht im gesetzlichen Beispielskatalog enthaltenen personbezogenen Angaben zählen Angaben zur Rechtsform und zu den Beteiligungsverhältnissen.
aa) Rechtsform. Mit bestimmten Gesellschaftsrechtsformen, nämlich der Aktiengesellschaft und der Kommanditgesellschaft auf Aktien, verbindet der Verkehr in Hinblick auf die Mindestgrundkapitalgarantie sowie das Netz kapitalerhaltungssichernder Vorschriften die Vorstellung besonderer Kapitalkraft. Eine relevante Irreführung über die Rechtsform liegt daher zunächst immer dann vor, wenn die gewählte Firmenbezeichnung zu Unrecht den Eindruck einer AG bzw. KGaA hervorruft, wobei ersteres insbesondere dann der Fall ist, wenn ein firmenmäßig verwendetes Phantasiewort auf die Buchstaben AG bzw. ag endet.1704 Dass bei Nutzung der vollständigen Firma (mit obligatem Rechtsformzusatz) die wahre Rechtsform erkennbar ist, spricht nicht ohne weiteres gegen eine Irreführungsgefahr: Die Praxis neigt bei Geschäftsbezeichnungen durchaus zu Verkürzungen.1705 Kasuistik: Irreführung bejaht für die Firmen „INDROHAG Industrie Rohstoffe HandelsGmbH“1706 und „Trebag“1707 sowie für die Domain „tipp.ag“1708 für eine Lotto-GmbH. Irreführung verneint für die Firma „WISAG“.1709 Ein Mehr an wirtschaftlicher Potenz wird ferner vorgetäuscht, wenn eine Perso803 nengesellschaft nichtkaufmännischen Gepräges den falschen Schein einer Personenhandelsgesellschaft setzt. Ein solcher kann insbesondere durch das Führen einer Unternehmensbezeichnung erweckt werden, die vom Verkehr als Anmaßung einer firmenmäßigen Bezeichnung verstanden wird.1710 Unerlässlich ist freilich, ob des legitimen Interesses der Erwerbsgesellschaften bürgerlichen Rechts an der Verwendung einer 802
_____
1700 So zu § 312a Abs. 1 BGB: BGH 19.4.2018 – I ZR 244/16 – GRUR 2018, 950 Tz. 11 – Namensangabe; Alexander WRP 2014, 501 Tz. 76. 1701 LG Mannheim 1.6.2017 – 23 O 73/16 – MMR 2018, 256. 1702 KG 23.1.2018 – 5 U 126/16 – MMR 2018, 694. 1703 Dazu EuGH 30.3.2017 – C-146/16 – GRUR 2017, 535 – VSW/DHL; BGH 14.9.2017 – I ZR 231/14 – GRUR 2017, 1269 – MeinPaket.de II. 1704 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 425; Nordemann Rn. 296; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 372; Ohly/Sosnitza Rn. 569. Kritisch Weiler K&R 2003, 601, 607. 1705 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 372. 1706 BGH 25.10.1956 – II ZB 18/56 – BGHZ 22, 88, 90 = GRUR 1957, 195 – INDROHAG. 1707 BayObLG 7.3.1978 – BReg. 3 Z 123/76 – DB 1978, 1269. 1708 OLG Hamburg 16.6.2004 – 5 U 162/03 – GRUR-RR 2005, 199. 1709 OLG Köln 14.7.2006 – 6 U 226/05 – WRP 2007, 346, 348. 1710 OLG Karlsruhe 10.4.1985 – 6 U 188/84 – WRP 1985, 509, 510.
Lindacher/Peifer
914
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
griffigen, aussagekräftigen Geschäftsbezeichnung, den namensrechtlichen Freiraum solcher Gesellschaften nicht über Gebühr zu begrenzen. Auf keinen Fall geht es an, die Grenzlinie zwischen statthafter Geschäftsbezeichnung und unzulässiger Bezeichnungsführung danach zu ziehen, ob der von der Gesellschaft bürgerlichen Rechts verwendete Name auch von einer OHG/KG geführt werden könnte.1711 Auf eine Personenhandelsgesellschaft mag deshalb etwa ein „& Co“- bzw. „& Cie“-Zusatz hinweisen.1712 Geschäftsbezeichnungen mit Zusätzen wie „und Sohn“ bzw. „Gebrüder“ müssen hingegen auch Unternehmen in der Form der Gesellschaft bürgerlichen Rechts offenstehen. bb) Beteiligungsverhältnisse. Bei Gesellschaften interessiert den Verkehr in ver- 804 schiedener Hinsicht nicht nur, wer potentieller Vertragspartner sondern auch, wer als Anteilseigner hinter der Gesellschaft steht. Einschlägige Irreführung wird von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 erfasst.1713 Kasuistik: Ein ehemaliges Staatsunternehmen darf nach Privatisierung vom Erwerber nicht unter einer Firma geführt werden, die fortbestehende Trägerschaft der öffentlichen Hand suggeriert: „Bundesdruckerei GmbH“ lässt Beteiligung der Bundesrepublik zumindest als Mehrheitsgesellschafterin erwarten.1714 Der durchschnittlich informierte und verständige Verbraucher wird annehmen, dass ein Unternehmen, in dessen Firma der Bestandteil „Stadtwerke“ enthalten ist, zumindest mehrheitlich in kommunaler Hand ist, sofern entgegenstehende Hinweise fehlen. Als aufklärende Hinweise reichen Bestandteile der geschäftlichen Bezeichnung des Unternehmens nicht aus, die der Verkehr eher als Fantasiebezeichnungen auffasst und denen er deshalb keinen Hinweis auf einen weiteren Gesellschafter entnimmt.1715 Irreführend wäre die Bezeichnung allerdings, wenn sich das Unternehmen nicht überwiegend in der Hand der jeweils benannten Kommune oder ihrer Eigenbetriebe befände.1716 Bei der Bildung abgeleiteter Firmen bzw. Geschäftsbezeichnungen räumt das Fir- 805 mennamens- bzw. Geschäftsnamensrecht, vom Lauterkeitsrecht zu respektieren, aus Gründen des good will-Erhalts der Firmenkontinuität freilich Vorrang gegenüber dem Irreführungsschutz ein: Beim Ausscheiden eines namensgebenden OHG- bzw. KGGesellschafters wie beim Wechsel eines namensgebenden Gesellschafters in die Stellung eines Kommanditisten darf die bisherige Firma mit entsprechender Einwilligung desselben unverändert weitergeführt werden (§ 24 HGB). Für den Fall des Ausscheidens eines namensgebenden Gesellschafters gilt für die Berechtigung zur Fortführung der bisherigen Geschäftsbezeichnung Entsprechendes mit der – aus dem Fehlen einer Rechtslageverlautbarung durch Register resultierenden – Einschränkung, dass durch Zusatz auf das Ausscheiden hinzuweisen ist. Kasuistik: Sieht ein zwischen Patentanwälten geschlossener Sozietätsvertrag vor, dass die Sozien beim Ausscheiden des namensgebenden Seniorgesellschafters die Kanzleibezeichnung weiterführen dürfen, verstößt die Verwendung der eingeführten Kanzleibezeichnung nach dem Ausscheiden des Namensgebers nicht gegen § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, wenn im Briefkopf in der Namensleiste auf das Ausscheiden desselben hingewiesen wird.1717
_____
1711 So freilich noch OLG Karlsruhe 10.4.1985 – 6 U 188/84 – WRP 1985, 510. 1712 Ablehnend Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 373. 1713 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 370. 1714 BGH 29.3.2007 – I ZR 122/04 – GRUR 2007, 1079 Tz. 17 = WRP 2007, 1346 – Bundesdruckerei. 1715 BGH 13.6.2012 – I ZR 228/10 – GRUR 2012, 1273 Tz. 16 ff. = WRP 2012, 1523 – Stadtwerke Wolfsburg; ebenso BGH 9.11.2016 – I ZB 43/15 – GRUR 2017, 186 Tz. 46 – Stadtwerke Bremen. 1716 BGH 9.11.2016 – I ZB 43/15 – GRUR 2017, 186 Tz. 46 – Stadtwerke Bremen. 1717 BGH 28.2.2002 – I ZR 195/99 – GRUR 2002, 703, 705 = WRP 2002, 700, 703f. – Vossius & Partner.
915
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
3. Eigenschaften und Rechte a) Vermögen einschließlich Rechte des geistigen Eigentums Schrifttum Barth/Wolhändler Werbung mit Patentschutz, Mitt. 2006, 16; Bogler Werbung mit Hinweisen auf zukünftigen oder bestehenden Patentschutz, DB 1992, 413; Bornkamm Die Werbung mit der Patentanmeldung, GRUR 2009, 227; Bulling Werbung mit unveröffentlichten Patentanmeldungen, Mitt. 2008, 61; EbertWiedenfeller/Schmüser Werbung mit Rechten des geistigen Eigentums – „ges. gesch.“, „Pat.“, ®, ™, © & Co, GRUR-Prax 2011, 74; Lambsdorff/Hamm Zur wettbewerbsrechtlichen Zulässigkeit von Patent-Hinweisen, GRUR 1985, 244; Ullmann Die Berühmung mit einem Patent, FS Schilling (2007) 385.
806
Kein Unternehmer ist gehalten, seine Vermögensverhältnisse offenzulegen. Werden einschlägige Angaben gemacht, dürfen sie freilich keine der Gegenseite ungünstigen Fehlvorstellungen auslösen. Der Unternehmer darf weder durch unzutreffende Angaben die Aktiva und/oder die Passiva betreffend über den Substanzwert des Unternehmens täuschen, noch durch unzutreffende Angaben über Umstände irreführen, die für die Ertragswertbestimmung wesentlich sind. Rechte des geistigen Eigentums zählen zu den Aktivposten der Vermögensbilanz. aa) Rechte des geistigen Eigentums
(1) Erscheinungsformen und jeweilige Eigenart. Erfasst werden Urheberrechte, Patente, Gebrauchsmuster, Geschmacksmuster und Marken. Im Zentrum stehen die technischen Schutzrechte, mithin Patent und Gebrauchsmuster. Patente werden in einem formalisierten Verfahren unter engen sachlichen Voraus808 setzungen erteilt: Das Patentamt konstatiert Neuheit und hinreichende Erfindungshöhe (für das nationale deutsche Patent: §§ 1, 3 PatG, für das europäische Patent: Art. 52, 54, 56 EPÜ). Das einschlägige Verfahren ist dabei in eigentümlicher Weise gestreckt: Die Patentanmeldung löst nach § 42 PatG eine Vorprüfung auf bestimmte offensichtliche – formelle oder materielle – Mängel, nach Art. 90, 91 EPÜ eine Eingangs- und Formalprüfung, nach Art. 92 EPÜ zudem die Erstellung eines sog. Recherchenberichts aus. Spätestens achtzehn Monate nach Anmeldung wird dieselbe (im EPÜ-Verfahren: mit Recherchenbericht) offengelegt (§ 31 Abs. 2 PatG, Art. 93 EPÜ). Zur vollständigen, im positiven Fall zur Patenterteilung führenden Prüfung kommt es nur aufgrund eines besonderen, also nicht bereits in der Anmeldung als solcher enthaltenen Antrags. Er ist für das nationale Patent spätestens bis zum Ablauf von sieben Jahren nach Einreichung der Anmeldung, für das europäische Patent spätestens acht Monate ab Veröffentlichung des Recherchenberichts zu stellen (§ 44 PatG, Art. 94 EPÜ). Das Patentrecht als Ausschlussrecht entsteht mit der Veröffentlichung der Erteilung (§ 58 Abs. 1 S. 3 PatG, Art. 97 Abs. 4 EPÜ): Die Erteilung wirkt nicht zurück. Für die Zeit ab Offenlegung gewährt freilich bereits die Anmeldung einstweiligen Schutz: Der Patentsucher kann vom bösgläubigen Benutzer Zahlung einer angemessenen Entschädigung verlangen (§ 33 PatG, Art. 67 Abs. 2 EPÜ). Ebenso wie Patentfähigkeit setzt auch Gebrauchsmusterfähigkeit einer techni809 schen Erfindung Neuheit und Erfindungshöhe, freilich jeweils unterhalb des Patentstandards, voraus (§§ 1, 3 GebrMG). Der Eintragung in die Gebrauchsmusterrolle geht indes nur eine beschränkte patentamtliche Prüfung voraus: Geprüft wird nur die formelle Ordnungsmäßigkeit der Anmeldung (§ 8 GebrMG), ob die angemeldete Erfindung ein Arbeitsgerät oder einen Gebrauchsgegenstand darstellt und ob die Schutzfähigkeit nicht 807
Lindacher/Peifer
916
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
bereits nach § 1 Abs. 2 oder § 2 GebrMG ausgeschlossen ist. Die Prüfung der materiellen Schutzvoraussetzungen (der Neuheit, des erfinderischen Schrittes und der gewerblichen Anwendbarkeit) bleibt dem allfälligen Löschungsverfahren vorbehalten. Vor dem Hintergrund des Geschilderten gilt für die Beurteilung von Schutzrechtshinweisen: (2) Bestand des Schutzrechts. Wer Patentierung des beworbenen Produkts be- 810 hauptet, behauptet die Innehabung einer technischen Sonderstellung aufgrund einschlägigen „Testats“ des Patentamts als einer kompetenten neutralen Instanz. Einschlägige Werbung setzt deshalb allemal die förmliche Patenterteilung voraus: bloße Schutzrechtsfähigkeit (das Vorliegen der materiellen Erteilungsvoraussetzungen) genügt nicht.1718 Ist das Patent erteilt, ist umgekehrt nicht mehr zu prüfen, ob dies zu Recht geschehen ist: das Schutzrecht entsteht und besteht kraft Erteilungsaktes.1719 Ist der Patentschutz erloschen, darf nicht der falsche Schein des fortbestehenden Ausschließlichkeitsrechts erweckt werden.1720 Bei Erlöschen wegen Zeitablaufs darf allenfalls mit früherem Patentschutz geworben werden.1721 Bei Schutzrechtsentfall wegen Vernichtung oder Zurücknahme ist jeder Patenthinweis unzulässig. Wer sich eines Gebrauchsmusterrechts berühmt, behauptet nicht nur den entspre- 811 chenden Gebrauchsmusterrolleneintrag, sondern auch das Vorliegen der sachlichen Schutzvoraussetzungen, und zwar mangels patentbehördlicher Prüfung derselben auf eigenes Risiko: Im Streit um die Weiterverwendbarkeit des einschlägigen Schutzrechtshinweises muss der Werbende gegebenenfalls Neuheit und Erfindungsschritt dartun. Aspekte des Besitzstandsschutzes (oben Rn. 277) können es bei der Am-Produkt- 812 Werbung im Einzelfall rechtfertigen, dass eine mit einem nicht ohne weiteres entfernbaren Schutzrechtshinweis versehene Ware für eine Übergangsfrist auch noch nach Schutzrechtsablauf abverkauft werden darf.1722 In der Zubilligung einschlägiger Aufbrauchfristen sollte freilich eher Zurückhaltung geübt werden: Soweit die Produkte nach normalem Geschäftsgang erst nach Schutzrechtsablauf vermarktbar sind, dürfen sie nicht mehr mit dem Schutzrechtshinweis vertrieben werden. Der Verkauf von Ware, die „auf Vorrat“ hergestellt wurde, sollte keinesfalls toleriert werden.1723 (3) Auf ein anderes, insbesondere höherwertiges Schutzrecht hindeutende Be- 813 zeichnungen. Der Werbende darf keinen Hinweis wählen, der auf ein anderes, insbesondere höherwertiges Recht hindeutet: Bei bloßem Marken- oder Ausstattungsschutz darf nicht der Eindruck eines technischen Schutzrechts erweckt werden. Wer lediglich ein Gebrauchsmusterrecht hat, darf – in Hinblick auf die mindere Schutzvoraussetzungshöhe sowie die mangelnde Vorprüfung der materiellen Schutzvoraussetzungen – nicht die Innehabung eines Patents vortäuschen. Zumindest dann, wenn sich die Werbeangabe (auch) an ein breiteres Publikum wendet, wird ein Teil der Adressatenschaft aus Aussagen wie „gesetzlich geschützt“, „patentamtlich geschützt“ oder „geschützt“ nicht auf irgendeinen technischen Schutz, sondern auf Patentschutz schließen. Die benannten
_____
1718 Allg.M.; statt mancher: Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.128; Ohly/Sosnitza Rn. 573. 1719 BGH 2.4.1957 – I ZR 29/56 – GRUR 1957, 372, 374 – 2 DRP; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 308. 1720 BGH 5.7.1984 – I ZR 88/82 – GRUR 1984, 741, 742 = WRP 1984, 601, 602 – patented; OLG Düsseldorf 20.12.2018 – 2 U 26/18 – juris-Tz. 62; RWW/Lambsdorff 3.5 Rn. 402; Ohly/Sosnitza Rn. 573. 1721 RWW/Lambsdorff 3. Rn. 402; Harte/Henning/Weidert E Rn. 64. 1722 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 307; Harte/Henning/Weidert E Rn. 64. 1723 Wie hier: Benkhard/Ullmann PatG, 10. Aufl. 2006, § 146 Rn. 28.
917
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
Bezeichnungen dürfen deshalb richtigerweise nur im Zusammenhang mit einem erteilten und fortbestehenden Patent verwendet werden.1724 Die Verwendung der korrekten Bezeichnung „Gebrauchsmusterschutz“, „geschütztes 814 Muster“ ist dem Inhaber eines Gebrauchsmusterschutzrechts allerdings selbst dann erlaubt, wenn Teile des relevanten Verkehrs irrigerweise von einer patentamtlichen (Vor-) Prüfung ausgehen sollten:1725 Außer in Langform kann die Art des gewerblichen Sonderrechtsschutzes auch durch 815 Verwendung gängiger Abkürzungen oder Symbole (DBGM, BGM oder GM für Gebrauchsmuster, das ® für Marken, das d im Kreis für Gebrauchsmuster) klargestellt werden.1726 (4) Teilschutz. Wird für einen Gegenstand uneingeschränkt Patentschutz behauptet, obschon nur Teile desselben Schutz genießen, liegt gleichfalls keine verhaltensrelevante Irreführung vor, wenn die patentierten Teile das Wesen des Gesamtgegenstands prägen, dessen Eigenart und Verkehrswert hauptsächlich bestimmen.1727 Kasuistik: Die Werbung „patentiertes Geländersystem“ ist nicht irreführend i.S. von § 5, wenn die einschlägige Gitterkonstruktion patentiert ist.1728 Eine uneingeschränkte Patentberühmung hinsichtlich eines Brunneneinheits-Kunststoffkastens ist irreführend, wenn die Patentierung nur eine bestimmte Flanschausbildung am oberen und unteren Ende der Seitenwände betrifft, die das Abkippen gestapelter Kisten erleichtert.1729 Erkennt der Verkehr, dass nur Teile der beworbenen Ware geschützt sind, ist es aus817 reichend, aber auch erforderlich, dass die Patente die Brauchbarkeit des Gegenstands in einem nicht unwesentlichen Umfang erhöhen.1730
816
818
(5) Verfahrenspatent. Produkte dürfen nicht schon deshalb als „patentiert“ bezeichnet werden, weil sie mittels einer patentierten Vorrichtung hergestellt sind.1731 Für in einem patentierten Verfahren hergestellte Erzeugnisse gilt – entgegen verbreiteter Ansicht1732 – richtigerweise nichts anderes, mag es sich um unmittelbare Erzeugnisse i.S. von § 9 S. 2 Nr. 3 PatG handeln oder nicht: Der Verkehr erwartet eine patentamtlich konstatierte Sonderstellung des beworbenen Produkts, also ein Sachpatent.1733
819
(6) Hinweis auf bloße Schutzrechtsanmeldung. Schutzrechtserteilungen erfolgen in einem gestreckten Verfahren. Vor allem Patentverfahren weisen eine nicht unerhebliche Dauer auf. Wer schutzrechtsfähige Produkte anbietet, ist indes nicht nur daran inte-
_____
1724 OLG Düsseldorf 17.11.1977 – 2 U 25/77 – GRUR 1978, 437 („im Inland geschützt“); Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 397; MünchKommUWG/Busche Rn. 597; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.128; Ohly/Sosnitza Rn. 576. A.A. – Zulässigkeit der Bezeichnung „gesetzlich geschützt“ bei Gebrauchsmusterschutz – noch RG 30.3.1938 – II 207/37 – GRUR 1938, 723, 724; Nordemann Rn. 298, ferner wohl auch Schünemann 151 f. 1725 Statt vieler: Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.133; MünchKommUWG/Busche Rn. 597. 1726 Statt mancher: Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 309; MünchKommUWG/Busche Rn. 596. 1727 RG 23.1.1934 – II 199/33 – GRUR 1934, 192, 193 – Saneuron: OLG Frankfurt 15.11.1973 – 6 U 34/73 – WRP 1974, 159; Benkard/Ullmann/Deichfuß PatG, 11. Aufl. 2015, § 146 Rn. 26; Harte/Henning/Weidert E Rn. 65; Nordemann Rn. 298. 1728 OLG Karlsruhe 10.10.1979 – 6 U 52/79 – GRUR 1980, 118 – Balkongeländer. 1729 OLG Frankfurt 15.11.1973 – 6 U 34/73 – WRP 1974, 159, wohl Grenzfall. 1730 BGH 2.4.1957 – I ZR 29/56 – GRUR 1957, 372, 373 – 2 DRP; Benkard/Ullmann/Deichfuß PatG 11. Aufl. 2015, § 146 Rn. 26. 1731 Allg.M.; statt mancher: Kraßer/Ann PatentR, 7. Aufl. 2016, § 39 II Rn. 20. 1732 S. etwa Benkard/Ullmann/Deichfuß PatG, 11. Aufl. 2015, § 146 Rn. 27; Kraßer/Ann PatentR, 7. Aufl. 2016, § 39 II Rn. 20. 1733 Zustimmend: Mes PatG, 4. Aufl. 2015, § 146 Rn. 23.
Lindacher/Peifer
918
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
ressiert, irgendwann auf die technische Sonderstellung derselben hinweisen zu dürfen. Er hat ein verständliches und verständiges Interesse, dies bereits ab Schutzrechtsanmeldung in bündiger, griffiger Form tun zu dürfen: nächstliegend durch den Hinweis „Patent angemeldet“ bzw. „Gebrauchsmuster angemeldet“. Der Patentsucher ist zudem ab Offenlegung der Anmeldung aus einem zweiten Grund in hohem Maß an einem „Interimshinweis“ interessiert: In Hinblick auf den Entschädigungsanspruch nach § 33 PatG bzw. Art. 67 Abs. 2 EPÜ gilt es, Konkurrenten durch einen einschlägigen Hinweis bösgläubig im Sinne dieser Vorschriften zu machen. Lauterkeitsrechtliche Verbotsinteressen sind freilich thematisiert, wenn und soweit der entsprechende Hinweis des Anmeldenden den unzutreffenden Eindruck des bereits bestehenden Rechts erweckt: Das erteilte Patent setzt patentamtliche Prüfung der Schutzrechtsfähigkeit voraus, beim angemeldeten Patent steht die in extenso-Prüfung hingegen gerade noch aus. Ja, selbst dort, wo der Minuscharakter der Patentanmeldung gegenüber der Erteilung durchaus erkannt wird, eignet der Patentanmeldungswerbung tendenziell eine besondere Irreführungs- und Missbrauchsgefahr: Dem Verkehr ist mehrheitlich unbekannt, dass Patentanmeldungen überwiegend gerade nicht zur Patenterteilung führen. Er steht den in der Anmeldung konkludent enthaltenen Patentfähigkeitsberühmungen im Allgemeinen zu unkritisch gegenüber. Lange Zuwartmöglichkeiten im gestreckten Verfahren begünstigen das Spiel mit der Leichtgläubigkeit des Publikums durch werbliche Herausstellung banaler Patentanmeldungen. Unter Berücksichtigung all dessen sollten im Einzelnen folgende Grundsätze gelten: (a) Der Hinweis auf eine Schutzrechtsanmeldung darf nicht in vermeidbarer Weise 820 den Eindruck eines bereits bestehenden Rechts machen. Aus dem Hinweis muss sich unzweideutig ergeben, dass nur eine Patent- bzw. Gebrauchsmusteranmeldung vorliegt. Insbesondere an einschlägige Abkürzungen sind deshalb strenge Anforderungen zu stellen. Samt und sonders unzulässig sind – zumindest wenn sich die Werbung nicht ausschließlich an patentrechtlich Geschulte richtet – Kürzel wie „DPa“, „BPa“ oder „DBPa“, aber auch „DP.a“, „BP.a“ oder „DBP.a“:1734 Bei der ersten Gruppe wird ein nicht unerheblicher Verkehrsteil „Pa“ schlicht als Abkürzung für Patent deuten, bei der zweiten besteht zunächst die Gefahr des Überlesens des Punktes und damit die gleiche Fehlinterpretationsgefahr. Und selbst wenn der Punkt registriert wird, bleibt Fakt, dass weiten Kreisen die Bedeutung des „a“ als angemeldet unbekannt ist, der einschlägige Zusatz mithin nicht geeignet ist, die (Fehl-)Vorstellung eines erteilten Schutzrechts hintanzuhalten. Ob die Abkürzung „Pat.ang.“ den Anmeldecharakter hinreichend verdeutlicht,1735 erscheint zumindest zweifelhaft. Empfehlenswert ist allemal die Langform-Bezeichnung „Patent angemeldet“, zumindest aber das Kürzel „angem.“.1736 Wohl übertrieben wird das Strengeprinzip, wenn die Bezeichnung „DP und DGM angem.“ deshalb als irreführend und unzulässig angesehen wird, weil die Gefahr bestehe, dass nicht unerhebliche Verkehrsteile den einschlägigen Hinweis nur auf das Gebrauchsmuster beziehen.1737 Als noch nicht irreführend ist auch der Hinweis „patent pending“ anzusehen. Die Deutung,
_____
1734 BGH 27.9.1960 – I ZR 56/59 – GRUR 1961, 241, 242 – Socsil; BGH 6.10.1965 – Ib ZR 4/64 – GRUR 1966, 92, 93 = WRP 1966, 24, 25 – Bleistiftabsätze; Benkard/Ullmann/Deichfuß PatG, 11. Aufl. 2015, § 146 Rn. 34; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.132. 1735 Bejahend RWW/Lambsdorff 3.5 Rn. 406, verneinend LG Berlin 8.4.1930 – 33. O. 76, 29 – GRUR 1930, 893; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 310. 1736 Für die Zulässigkeit dieser Abkürzung, statt vieler: Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.132; Nordemann Rn. 298. A.A. Ullmann FS Schilling 2007, 385, 392. 1737 So freilich BGH 27.9.1963 – Ib ZR 24/62 – GRUR 1964, 144 f. = WRP 1963, 400 f. – Sintex.
919
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
dass der mit dieser Bezeichnung angesprochene Verkehr daraus irrtümlich einen Hinweis auf ein geprüftes Schutzrecht entnimmt, überzeugt nicht, zumal der an solchen Erklärungen überhaupt interessierte Verkehr die englischsprachige Bezeichnung richtig einordnen wird.1738 Irreführend kann allerdings die Abkürzung „pat. pend.“ anzusehen sein, weil sie sich nicht von selbst erschließt.1739 821
(b) Mit dem korrekten Hinweis „Patent angemeldet“ darf zumindest ab Offenlegung der Patentanmeldung geworben werden:1740 Wenn das Patentrecht dem Patentsucher einstweiligen Schutz ab Offenlegung der Anmeldung gegenüber bösgläubigen Benutzern gewährt, darf das Lauterkeitsrecht bösgläubig machende Hinweise auf die Offenlegung nicht verbieten (Vorrang des Warninteresses des Patentsuchers). Vorgängige Stellung des Prüfantrags ist nicht erforderlich.1741
822
(c) Die Streitfrage, ob der Patentsucher bereits vor Offenlegung der Patentanmeldung auf eine erfolgte Anmeldung hinweisen darf,1742 wird zwar dadurch entschärft, dass der an baldigem Rechtsschutz interessierte Patentsucher die Offenlegung bereits vor Ablauf der 18-Monate-Frist erwirken kann (§ 31 Abs. 2 Nr. 1 PatG, Art. 93 EPÜ). Bei Berücksichtigung des Umstands, dass die Angabe objektiv zutreffend ist, ist ein generelles Hinweisverbot vor Offenlegung abzulehnen. Der Patentsucher, der das Verfahren durch Stellung des Prüfantrags sowie des Antrags auf vorzeitige Offenlegung fördert und beschleunigt,1743 sollte mit der Patentfähigkeitsberühmung nicht bis zur Offenlegung selbst zuwarten müssen, zumal das Risiko missbräuchlichen Werbens mit banalen Patentanmeldungen in solcher Konstellation eher gering ist (Vorrang des Werbeinteresses des Patentsuchers). Lässt es der Patentsucher an entsprechendem Beschleunigungsbemühen fehlen, sprechen hingegen Irreführungs- und Missbrauchsgefahr einerseits sowie mangelnde Schutzwürdigkeit des Patentanmelders andererseits eher für ein generelles einschlägiges Hinweisverbot.
823
(d) Da der Verkehr dem Anmeldungshinweis zugleich die Behauptung der Schutzfähigkeit der Erfindung entnimmt, führt der Hinweis irre, wenn es im Einzelfall an der erforderlichen Neuheit bzw. Erfindungshöhe mangelt.
824
(e) Wer ein Gebrauchsmuster angemeldet hat, darf bei Vorliegen der materiellen Schutzvoraussetzungen mit dem Hinweis auf die entsprechende Anmeldung werben.1744 Der allfällige Minderheitenirrtum, es liege bereits eine Schutzfähigkeitsprüfung vor, ist im Stadium der Anmeldung nicht schutzwürdiger als nach erfolgter Erteilung.
_____
1738 A.A. OLG München 1.6.2017 – 6 U 3973/16 – GRUR-RR 2017, 444 („patent pending“); wie hier Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.132. 1739 OLG Düsseldorf 21.3.1996 – 2 U 120/95 – NJWE-WettbR 1997, 5, 7. 1740 Heute ganz h.M.; vgl statt vieler OLG Hamburg 8.2.1973 – 3 U 88/71 – GRUR 1974, 398; Köhler/ Bornkamm/Feddersen Rn. 4.130; Ohly/Sosnitza Rn. 575. Zweifelnd – sofern sich die Werbung nicht ausschließlich an fachkundige und patentrechtlich informierte Personen wendet – freilich zuletzt MünchKommUWG/Busche Rn. 599 sowie Bogler DB 1992, 413, 414 f. 1741 Ausdrückliche einschlägige Klarstellung: Benkard/Ullmann/Deichfuß PatG, 11. Aufl. 2015, § 146 Rn. 35. 1742 Bejahend Lambsdorff/Skora Rn. 72 ff.; Schünemann 152; Bulling Mitt. 2008, 60 ff., verneinend beispielsweise Kraßer/Ann PatentR, 7. Aufl. 2016, § 39 II Rn. 25; Emmerich § 15 Rn. 73; Fezer/Büscher/ Obergfell/Peifer Rn. 397; Ohly/Sosnitza Rn. 578; Bornkamm GRUR 2009, 227, 230. 1743 Zur Interessenabwägungsrelevanz dieses Gesichtpunkts bereits Geißler GRUR 1973, 506, 510. 1744 RWW/Lambsdorff 3.5 Rn. 403. A.A. Benkard/Ullmann/Deichfuß PatG, 11. Aufl. 2015, Rn. 37.
Lindacher/Peifer
920
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
(7) Ausländische Schutzrechte. Wer im Inland ausländische Produkte anbietet, darf mit Schutzrechtshinweisen nicht den Eindruck des Inlandsschutzes vermitteln, wenn „nur“ Auslandsschutz besteht. Das vergleichbare deutsche Schutzrecht ist häufig objektiv, jedenfalls aber nach dem Vorurteil des angesprochenen Verkehrs höherwertig. Die (Fehl-)Vorstellung inländischen Schutzes wird allemal durch eine Inlandswerbung ausgelöst, die allgemein „Patentschutz“ behauptet: „Patent“/„patentiert“ lässt ein deutsches Patent erwarten.1745 Der Werbende mag das Kind beim Namen nennen, also von „US Patent“, Öst.pat.“ oder dgl. sprechen. Anders als Bezeichnungen wie „breveté“ (frz.) oder „brevettato“ (it.) verdeutlichen die Bezeichnungen „patent“ bzw. „patented“ ob ihrer sprachlichen Nähe zum deutschen „Patent“/„patentiert“ nicht ohne weiteres mit hinreichender Klarheit die Bezugnahme auf ein ausländisches Patent.1746 Der (Fehl-)Schluss auf Patentschutz (auch) im Inland liegt allemal nahe, wenn der entsprechende Hinweis in Alleinstellung verwendet wird oder in eine im Übrigen deutschsprachige Aufmachung und Werbung eingebettet ist. Findet sich der Hinweis „patent“ oder „pat.“ neben anderen Informationen auf einer englischsprachigen Originalverpackung, liegt hingegen der Schluss auf Inlandspatentschutz, auch für das fachunkundige Publikum, eher fern.1747 Der allfällige Rechtsirrtum, ein im Ausland erteiltes Patent entfalte Patentschutz ohne territoriale Begrenzung (und damit auch im Inland), ist irrelevant: Das gilt nicht nur bei expliziter Benennung der Patentnationalität (wie „US-Patent“), sondern konsequenterweise auch dort, wo sich der ausländische Charakter des in Bezug genommenen Schutzrechts aus dem Kontext des Schutzrechtshinweises ergibt.1748 Die Verpflichtung zu unzweideutiger Deklarierung des ausländischen Charakters eines Schutzrechts (Patents, Gebrauchsmusterrechts) gilt grundsätzlich auch für den innerkommunitären Verkehr. Die Schrankennorm des Art. 34 AEUV (ex Art. 28 EG bzw. Art. 30 EWG-Vertrag) lässt Verbote des nationalen Rechts unberührt, soweit sie aus Gründen der Lauterkeit des Handelsverkehrs und des Verbraucherschutzes zwingend erforderlich und hinsichtlich der Ziel-Mittel-Relation verhältnismäßig sind (s. Vor §§ 5, 5a Rn. 23 f.). Bei Inlandsvertrieb in einer für den deutschen Markt entwickelten Aufmachung müssen Irreführungsgefahren für die Inlandsnachfrager nicht hingenommen werden. In Grenzfeldern führen Unionsrecht und das Gebot, einen entsprechenden Binnenmarktbezug im Wege korrektiver ergänzender Interessenabwägung bereits im Rahmen des § 5 zu berücksichtigen (s. Rn. 299), freilich zur Duldung einschlägig konfundierender Angaben: Weist etwa die allgemein vorgenommene Einprägung des Schlagworts „patented“ auf der Ware auf den im Ursprungsmitgliedstaat erlangten Patentschutz hin, tritt der Irreführungsschutz gegenüber dem Gemeinschaftsinteresse an freiem Warenverkehr zurück. Eine Differenzierung nach der Größe des Ursprungsmitgliedstaats und der Strenge bzw. Großzügigkeit dortiger patentbehördlicher Praxis,1749 dürfte schwerlich Luxemburger Segen erhalten.
_____
1745 Allg.M.; statt mancher: Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 308; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 397. 1746 Insoweit richtig: BGH 5.7.1984 – I ZR 88/82 – GRUR 1984, 741, 742 = WRP 1984, 601, 602 – patented. 1747 Richtig: OLG Celle 30.10.1968 – 13 U 57/68 – WRP 1969, 116; Harte/Henning/Weidert E Rn. 63. 1748 A.A. freilich offenbar BGH 5.7.1984 – I ZR 88/82 – GRUR 1984, 741, 742 = WRP 1984, 601, 602 – patented. 1749 Hierfür Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.139.
921
Lindacher/Peifer
825
826
827
828
829
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
830
(8) EPÜ-Patente. Nach dem Europäischen Patentübereinkommen vom Europäischen Patentamt erteilte „europäische Patente“ haben in jedem Vertragsstaat, auf den sie sich beziehen, die Wirkung eines nationalen Patents. Was die Benennung anbelangt, ist allemal die in Art. 2 Abs. 1 EPÜ vorgesehene offi831 zielle Bezeichnung „europäisches Patent“ zulässig:1750 Allfällige Fehlvorstellungen über den Geltungsumfang derart, dass Teile des relevanten Verkehrs einen über die EPÜ-Vertragsstaaten hinausreichenden Schutz erwarten, sind unter dem Gesichtspunkt des Vorrangs spezialgesetzlicher Bezeichnungsvorschriften (allgemein: Vor §§ 5, 5a Rn. 177 ff.) hinzunehmen. Zulässig ist darüber hinaus ob empfundener Sinnkongruenz wohl auch die Bezeichnung „Europa-Patent“ bzw. „Euro-Patent“,1751 ferner die technisch korrekte Bezeichnung „EPÜ-Patent“.1752 Inlandswerbung mit einem EPÜ-Patent lässt mangels gegenteiliger Klarstellung zu832 mindest erwarten, dass das Patent auch für die Bundesrepublik erteilt ist.1753 Selbst wenn für das Inland Patentschutz besteht, kann Werbung mit einem „europäischen Patent“ aber richtigerweise immer noch deshalb irreführen, weil das Patent ob beschränkter Staatenbenennung nach Art. 3 EPÜ nur in einem Teil der Vertragsstaaten wirkt. Der allfälligen Fehlvorstellung, ein „europäisches Patent“ gelte in allen Vertragsstaaten, wäre zwar die rechtliche Relevanz abzusprechen. Die Anforderungen an die Schutzbreite sollten jedoch nicht oder jedenfalls nicht wesentlich geringer angesetzt werden als bei der Werbung mit Formulierungen wie „in Europa geschützt“ (hierzu Rn. 834): Erwartbar ist Patentschutz in einer Vielzahl von (Vertrags-)Staaten, wobei für das Merkmal der Vielzahl die Durchschnittszahl der Staatenbenennung pro Anmeldung Berücksichtigung finden sollte. Dass fremdsprachige Patentvermerke (wie der Terminus „patented“) in nennenswer833 tem Umfang die Vorstellung eines EPÜ-Patents auslösen und deshalb irreführen, wenn nicht auch Patentschutz im Inland besteht,1754 erscheint eher realitätsfern.
834
(9) Werbung mit internationalem Patentschutz. Nationaler Patentschutz ist territorial begrenzt. Umfassender Welt- oder Europaschutz hieße deshalb: Innehabung von Patenten in allen Staaten bzw. allen europäischen Staaten, ein Tatbestand, der praktisch nicht vorkommt. Soweit Patentwerbung gleichwohl den unrichtigen Eindruck eines umfassenden globalen bzw. kontinentalen Schutzes erweckt, ist sie unzulässig. Entgegen verschiedentlich vertretener Ansicht1755 suggerieren freilich Hinweise wie „welt-“ bzw. „europaweit patentiert“, „in Europa geschützt“ wohl nicht ohne weiteres einschlägigen Totalschutz. Die Verkehrserwartung dürfte im Allgemeinen nicht enttäuscht werden, wenn Patentschutz – außer im Inland (s. Rn. 826) – auch in den führenden europäischen und außereuropäischen Industriestaaten bzw. einer Vielzahl europäischer Staaten unter Einschluss der maßgeblichen Industriestaaten besteht.1756 „Internationaler Patentschutz“ verspricht wohl kaum mehr als Patentschutz im Inland und mehreren bedeutsamen Industriestaaten.1757 Sollte eine Minderheit mit den benannten Hinweisen wider Erwarten
_____
1750 A.A. – unhaltbar – Bogler DB 1992, 413, 416. 1751 Wie hier: RWW/Lambsdorff 3.5 Rn. 415; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 397. 1752 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 308. 1753 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 308; Kraßer/Ann PatentR, 7. Aufl. 2016, § 39 Rn. 30. 1754 Einschlägige Erwägung in BGH 5.7.1984 – I ZR 88/82 – GRUR 1984, 741, 742 = WRP 1984, 601, 602 – patented. 1755 Dezidiert Lambsdorff/Hamm GRUR 1985, 244, 246; Bogler DB 1992, 413, 416. 1756 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 396. 1757 Wie hier: OLG Karlsruhe 9.12.1981 – 6 U 35/81 – WRP 1983, 118; Benkard/Ullmann/Deichfuß PatG, 11. Aufl. 2015, § 146 Rn. 30.
Lindacher/Peifer
922
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
weitergehende Vorstellungen verbinden, stellt sich zumindest die Marktentscheidungsrelevanz- und Interessenabwägungsfrage. Schlechthin unverzichtbar ist freilich allemal inländischer Patentschutz: Eine Vor- 835 richtung darf nicht als „international patentiert“ bezeichnet werden, wenn sie nur durch ausländische Patente geschützt ist oder die ausländischen Patente und das inländische Patent sich auf verschiedene Teile der Vorrichtung beziehen.1758 Hinweise auf „ausländische Patente“ versteht der verständige Adressat der Werbebotschaft hingegen nicht dahin, Patentschutz bestehe auch und erst recht im Inland: Patentschutz muss in mindestens zwei (Nicht-Exoten-)Ländern außerhalb Deutschlands bestehen.1759 Ein zutreffender Hinweis auf bestehenden Markenschutz führt nicht irre.1760 Das 836 gilt insbesondere auch bei den mittlerweile durch intensive Verwendung verkehrsbekannt gewordenen Bezeichnungen „®“ oder „™“.1761 Da eine sachliche Marke i.S.v. § 4 Nr. 2 MarkenG von der Benutzung und Verkehrsgeltung abhängig ist, zudem regional beschränkten Schutz genießen kann, ist die Werbung mit einer Registermarke, auch in Form der Verwendung des Zusatzes „®“, hinter dem Kennzeichen irreführend.1762 Keine Irreführung liegt dagegen vor, wenn der Markenschutz für ein Zeichen „Thermoroll“ tatsächlich besteht, dagegen in der Werbung in geringfügig abweichender Schreibweise „Termorol“ benutzt wird, weil nicht zu erwarten ist, dass die Vorstellungen zum Zeichen „Thermoroll“ nicht auch in Bezug auf „Termorol“ bestehen.1763 Der Markenschutz darf auch durch einen Lizenznehmer beworben werden. Der Schutz muss aber wie behauptet bestehen.1764 Daran fehlt es, wenn ein Schutz für die Form eines Schlüsselbartes, also eine Formmarke, suggeriert wird, tatsächlich aber nur eine Bildmarke eingetragen ist, die den Schlüsselbart wiedergibt.1765 Ebenso ist es, wenn durch ein „®“ hinter einem Wort ein Wortzeichenschutz suggiert, tatsächlich aber ein Wort-/Bildzeichenschutz besteht, es sei denn die konkrete Benutzung ist rechtserhaltend auch für das Wort/Bildzeichen.1766 Zulässig ist überdies der Hinweis auf einen tatsächlich bestehenden Urheber- oder 837 Designschutz.1767 Auch hier ist der Verkehr an die Verkürzung durch Verwendung des Copyright-Zeichens „©“ gewöhnt. Etwas weniger bekannt ist ein „℗“, mit dem das Bestehen von Tonträgerleistungsschutzrechten signalisiert wird. Soweit es bekannt ist, ist die entsprechende Verwendung zulässig, wenn der Schutz besteht. Soweit es unbekannt ist, dürfte seine Verwendung neutral, jedenfalls nicht irreführend mit dem für den Markenschutz verwendeten „®“ sein. Wird für einen Gebrauchsgegenstand mit dem Zusatz „von den Erben autorisiert“ geworben, so wird jedenfalls ein Schutzrecht behauptet, das der Verkehr im Sinne eines Schutzes für das Design versteht. Ein Urheberrechtsschutz im
_____
1758 OLG Stuttgart 11.5.1990 – 2 U 197/89 – NJW 1990, 3097; Mes PatG, 4. Aufl. 2015, § 146 Rn. 16; Fezer/ Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 396. 1759 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 308; Harte/Henning/Weidert E Rn. 63. A.A. – allemal mehr als zwei Staaten erforderlich – OLG Düsseldorf 28.5.1991 – 20 U 145/90 – Mitt. 1992, 150; Mes PatG, 4. Aufl. 2015, § 146 Rn. 17. 1760 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.134; Harte/Henning/Weidert E Rn. 62; Ohly/Sosnitza Rn. 574; Götting/Nordemann Rn. 3.98. 1761 BGH 26.2.2009 – I ZR 219/06 – GRUR 2009, 888 Tz. 15 – Thermoroll. 1762 Vgl. BGH 8.2.1957 – I ZR 157/55 – GRUR 1957, 358, 359 – „Kölnisch Eis“; OLG Hamburg 5.12.1985 – 3 U 144/85 – WRP 1986, 290, 291; OLG Düsseldorf 21.3.1996 – 2 U 120/95 – NJWE-WettbR 1997, 5, 6. 1763 BGH 26.2.2009 – I ZR 219/06 – GRUR 2009, 888 Tz. 9 – Thermoroll. 1764 BGH 26.2.2009 – I ZR 219/06 – GRUR 2009, 888 Tz. 9 – Thermoroll. 1765 OLG Düsseldorf 11.5.2017 – 20 U 54/16 – WRP 2017, 841 Tz 8 – Wendeschlüsselprofil. 1766 OLG Frankfurt 17.8.2017 – 6 W 67/17 – WRP 2017, 1398 Tz. 3. 1767 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.135; Harte/Henning/Weidert E Rn. 72; Ohly/Sosnitza Rn. 575.
923
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
Sinne einer besonderen künstlerischen Leistung wird damit nicht zwangsläufig behauptet.1768 Eine Irreführung fehlt also, wenn eine Lizenzierung tatsächlich bestand. Sofern auf nicht bestehenden Urheberschutz hingewiesen wird, ist dieser Hinweis auch zur Irreführung geeignet,1769 denn mit der Behauptung wird nicht nur eine Mindestschöpfungshöhe, sondern auch Ausschließlichkeit reklamiert. 838
bb) Sonstiges Vermögen. Angaben zum „Vermögen“ sind neben den Angaben zu Bestand und Umfang von Rechten des geistigen Eigentums alle Rückschlüsse auf den Wert und die finanzielle Leistungskraft des Unternehmens zulassenden Angaben. Erfasst werden deshalb neben Aussagen über die Höhe des Gesamtvermögens auch alle Aussagen zu einzelnen, in die Gesamtvermögensbilanz eingehende Vermögenspositionen, aber auch Aussagen zur Vermögenszusammensetzung (Grundvermögen, Betriebsvermögen, Anlagevermögen, bei Anlagevermögen auch Art der Anlage).1770 Unter Berücksichtigung des Umstands, dass sich der Unternehmenswert nicht nur nach der Substanzwertmethode, sondern – in dynamischer Betrachtung – auch nach der Ertragswertmethode ermitteln lässt, zählen auch Kennzahlenaussagen wie Angaben zu Gewinn, Umsatz, Kundenstamm (einschließlich der Angaben zur Entwicklung derselben). Angaben zur finanziellen Leistungskraft sind auch und vor allem ausdrückliche 839 oder konkludente Aussagen zur Liquidität. Dass bereits eine in keiner Weise mehr zur Vermögenssituation passende „Aura des Luxus“ (großes Gebäude, entsprechender Fuhrpark, luxuriöse Einrichtung pp.) zwecks Meidung der Irreführung nach § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 einen aufklärenden Hinweis erfordert,1771 erscheint freilich kaum haltbar. b) Umfang der Verpflichtungen aa) Unionsrechtlicher Hintergrund, Abgrenzung. Das Verständnis des Merkmals „Umfang der Verpflichtungen“ ist divergent. Das Merkmal wurde vom UWG-Gesetzgeber 2008 ersichtlich in der Vorstellung eingefügt, damit Art. 6 Abs. 1 lit. c UGP-RL umzusetzen, dessen deutschsprachige Fassung gleichfalls vom „Umfang der Verpflichtungen“ des Gewerbetreibenden spricht, die Richtlinien-Vorgabe dabei im Sinne von Synonymität von „Umfang der Verpflichtungen“ und „Umfang der Verbindlichkeiten“ interpretiert. Englischsprachige und französischsprachige Richtlinien-Textfassung (extent of the trader’s commitments“, „l’étendu des engagements du professionel“) deuten freilich eher darauf hin, dass die Richtlinie den Fall der Irreführung über die vertraglich geschuldete (Sach-)Leistung ins Auge fasst.1772 Diese Erkenntnis zwingt allerdings nicht zu einer Korrektur des Umsetzungsrechts 841 dahin, dass das Merkmal „Umfang der Verpflichtungen“ aus § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 gewissermaßen „herausgeschnitten“ wird,1773 sondern „nur“ zu einem Neuverständnis des unionsrechtlichen Hintergrunds des Merkmals im Verständnis des UWG-Gesetzgebers. Der Irrtum über den Umfang der Verbindlichkeiten des Unternehmens, ist fraglos ein unternehmensbezogenes Merkmal, nämlich ein Unterfall des Irrtums über das „Vermögen“ des Gewerbetreibenden (Art. 6 Abs. 1 lit. f. UGP-RL).
840
_____
1768 OLG Köln 22.5.2015 – 6 U 157/14 – GRUR-RR 2015, 476, 478 Tz. 40. 1769 LG München 21.9.1995 – 7 O 1384/95 – BeckRS 2011, 03190. A.A. Ebert-Weidenfeller/ Schmüser GRUR-Prax 2011, 74, 77. 1770 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.120: Behauptung, man habe keine Vermögenswerte im amerikanischen Subprime-Hypothekenmarkt angelegt. 1771 So Harte/Henning/Weidert E Rn. 74. 1772 Zutreffend Harte/Henning/Dreyer E Rn. 95; Nordemann Rn. 300. 1773 So freilich Harte/Henning/Dreyer sowie Nordemann, jeweils aaO.
Lindacher/Peifer
924
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
bb) Einzelfragen. Über den Umfang seiner (Gesamt-)Verbindlichkeiten täuscht, wer 842 über die Existenz oder die Höhe einzelner Verbindlichkeiten Falschangaben macht. c) Befähigung Schrifttum Berlit Von Spezialisten, spezialisierten Rechtsanwälten und Fachanwälten, FS Ahrens (2016), S. 43; Bleutge Rundstempel-Verbot für selbst ernannte Sachverständige, WRP 1979, 777; Detterbeck Die Meisterpräsenz in den Gesundheitshandwerken, GewArch 2014, 147; Eibl Ärztliche Qualifikationsbezeichnungen aus wettbewerbsrechtlicher Sicht und Hinweise zur prozessualen Vorgehensweise, ZGMR 2011, 9; Fritzsche Grenzen des ärztlichen Werberechts, WRP 2013, 272; Hönn Akademische Grade, Amts-, Dienst- und Berufsbezeichnungen sowie Titel (Namensattribute) in der Firma in firmen- und wettbewerbsrechtlicher Sicht, ZHR 153 (1989), 386; Kleine-Cosack Vom Fachanwalt zum Spezialisten: Was bleibt von den Werbeverboten? AnwBl. 2015, 358; Ottofülling Der „Bausachverständige“ und die wettbewerbsrechtlichen Implikationen, DS 2008, 53; Riegger Der Doktor-Titel in der Firma der GmbH, DB 1984, 441; Schricker Neue Berufsbezeichnungen im Europäischen Binnenmarkt – Zur Zulässigkeit der Bezeichnung „Optometrist“, GRUR 1994, 173.
aa) Begriff und Abgrenzung. Das Merkmal „Befähigung“ (Qualifikation) des Un- 843 ternehmers knüpft an die Merkmale (Fach-)Wissen und Erfahrung an. Die Palette qualifikationsbezogener Werbeaussagen ist breit und bunt. Sie reicht von der firmenmäßigen oder sonstigen geschäftlichen Verwendung von Professoren- und Doktortiteln, sowie sonstiger akademischer Grade über die Verwendung des Meistertitels, sowie gesetzlich oder standesrechtlich geschützter Berufsbezeichnungen, bis hin zu sonstiger Kompetenzberühmung, zumeist in ausdrücklicher oder konkludenter Behauptung formalisierter Feststellung einschlägigen Wissens durch eine berufene Stelle. Das Merkmal „Befähigung“ steht nicht selten in Nachbarschaft zum Merkmal „Zu- 844 lassung“ (Rn. 1033): Soweit eine Tätigkeit zulassungspflichtig ist, setzt die Zulassung häufig eine bestimmte Befähigung voraus. Die werbliche Berufung auf die Zulassung beinhaltet dann typischerweise implizit die Behauptung, die erforderliche Befähigung aufzuweisen. Umgekehrt vermag die Führung einer regulierten Berufsbezeichnung auf erfolgte Zulassung hinzuweisen. bb) Akademische Bezeichnungen. Der Rekurs auf akademische Grade (insbeson- 845 dere den Doktortitel) und/oder akademische Amts- oder Dienstbezeichnungen (insbesondere den Professorentitel) erfreut sich nicht von ungefähr seit jeher hoher Beliebtheit: Den einschlägigen Bezeichnungen kommt als Namensattribut nicht nur Namensfunktion in dem Sinne zu, dass sie die Individualisierungswirkung des Namens, dem sie beigefügt sind, verstärken.1774 Zumindest in bestimmten Branchen haben akademische Bezeichnungen auch eine bedeutsame Aussagefunktion.1775 Der Verkehr schließt vom Namensattribut auf gewisse geschäftsgegenstandsrelevante Spezialkenntnisse und -fähigkeiten, kurzum auf eine besondere Fachkompetenz des Geschäfts(mit)inhabers.1776 Auch wo es am Spartenbezug des Titels fehlt, bleibt immer noch zu beachten, dass ein entsprechender Titel zumindest allgemein besondere intellektuelle Fähigkeiten signalisiert, in
_____
1774 Allgemein: Hönn ZHR 153 (1989), 386, 401 ff. 1775 Allgemein: Hönn ZHR 153 (1989), 386, 403 f. 1776 So für den Bereich der Arzneimittelwerbung BGH 5.4.1990 – I ZR 19/88 – GRUR 1990, 604, 605 = WRP 1990, 752, 753 – Dr. S.-Arzneimittel, für den veterinärmedizinischen Bereich LG Bochum 7.11.2006 – 15 O 110/06 – WRP 2007, 358, 359.
925
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
bestimmten Teilen des Verkehrs dem Träger eines akademischen Titels zudem – wohl auch heute noch – ein allgemeiner Vertrauensbonus entgegengebracht wird.1777 (1) Berechtigung. Enthält die akademische Bezeichnung im Verwendungskontext eine marktentscheidungsrelevante Aussage, muss der Werbende selbstredend zunächst und vor allem befugt sein, eben jene Bezeichnung zu führen. Das Recht zur Führung der Amts- und Dienstbezeichnung „Professor“ regelt das 847 einschlägige Bundes- und/oder Landesrecht. Der Bezeichnung „Professor“ haftet als Oberbegriff dabei heute nur noch eine begrenzte Aussagekraft an: Das Namensattribut kann von einem an einer Universität, einer Kunst- und Musikhochschule oder an einer Fachhochschule Lehrenden reklamiert werden. Da es bestimmte außeruniversitäre Ämter gibt, mit denen die Bezeichnung verbunden ist, muss der Bezeichnungsträger nicht einmal notwendigerweise Hochschullehrer sein. Auch Honorarprofessoren können sich zusatzlos „Professor“ nennen (und tun dies entgegen früherer Übung zunehmend). Dass nicht unerhebliche Verkehrsteile mit der Bezeichnung „Professor“ vielleicht nach wie vor engere Vorstellungen, nämlich die eines ordentlichen Universitätsprofessors verbinden, ist wettbewerbsrechtlich letztlich irrelevant. In der Konkurrenzlage kommt dem Bezeichnungsrecht – grundsätzlich – Vorrang zu: Der Professor an einer Fachhochschule darf als Anwalt die Bezeichnung „Professor“ zumindest dann führen, wenn er eine juristische Lehrtätigkeit ausübt.1778 Die Führung eines akademischen Grads (insbesondere des Doktorgrads) setzt die 848 Verleihung durch eine staatliche Hochschule voraus. Soweit nichtstaatlichen Hochschulen nach Landesrecht das Recht zur Verleihung bestimmter Grade eingeräumt ist, steht die Verleihung durch eine solche Einrichtung bezeichnungsrechtlich der Verleihung durch eine staatliche Hochschule gleich. Fachhochschulen steht kein Promotionsrecht zu. Der Diplomgrad als bislang wichtigster Grad unterhalb des Doktorgrads durfte nach § 18 Abs. 1 HRG von Fachhochschulen nur mit dem Zusatz „Fachhochschule (FH)“ verliehen werden. Für die im Zuge des Bologna-Prozesses eingeführten Bachelor- und Mastergrade stellt § 19 HRG Universitäts- und Fachhochschulabschlüsse bezeichnungsrechtlich gleich. Das sorgt im Übrigen dafür, dass auch ein Mastertitel, der an einer ausländischen Universität erworben wurde, die innerhalb der Europäischen Union ihren Sitz hat, geführt werden darf, mag der Verkehr dahinter auch eine besondere, aber nicht vorliegende Ausbildung vermuten.1779 Unter einem „Studium“ versteht der Verkehr die Ausbildung an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule, unter einem „Studienabschluss“ den Abschluss an einer solchen. Kasuistik: Behauptet eine Hunde-Physiotherapeutin in ihrem werblich herausgestellten Lebenslauf, sie habe ein „Studium der Tiernaturheilkunde“ absolviert, weckt sie die Erwartung des erfolgreichen Besuchs einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule.1780 Der an einer österreichischen Universität verliehene Grad eines „Master of Kieferorthopädie“ darf im Inland verwendet werden, mag auch der angesprochene Verkehr dahinter einen Arzt vermuten.1781 Zulässig soll die Verwendung des Attributes „Diplomiert“ für eine Legasthenie- und Dyskalkulie-Trainerin sein, zum einen weil die 846
_____
1777 So in Bestätigung von BGH 10.11.1969 – II ZR 273/67 – BGHZ 53, 65, 67 = GRUR 1970, 320, 321 – Doktor-Firma zuletzt BGH 24.10.1991 – I ZR 271/89 – GRUR 1992, 121, 122 = WRP 1992, 101, 102 – Dr. Stein … GmbH (Immobilienmakler); OLG Koblenz 28.4.1988 – 6 U 140/88 – GRUR 1988, 711, 712 (Kreditinstitut). 1778 OLG Bremen 3.10.1977 – 2 U 81/77 – GRUR 1978, 258. 1779 BGH 18.3.2010 – I ZR 172/08 – GRUR 2010, 1024 Tz. 29 – Master of Science Kieferorthopädie. 1780 OLG Düsseldorf 29.11.2011 – I 20 U 2/11 – WRP 2012, 340. 1781 BGH 18.3.2010 – I ZR 172/08 – GRUR 2010, 1024 Tz. 28 f. – Master of Science Kieferorthopädie.
Lindacher/Peifer
926
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
Bezeichnung für den Berufszweig ungebräuchlich sei, zum anderen, weil die adjektivische Verwendung nicht auf das Vorhandensein, sondern auf das Fehlen der akademischen Ausbildung hinweise.1782 Diese Argumentation ist mehr als fragwürdig. (2) Bezeichnungsführung in neutraler und fachrichtungsbezogener Form. 849 Grundsätzlich dürfen akademische Amts- und Dienstbezeichnungen mit oder ohne Kennzeichnung der jeweiligen Fachrichtung geführt werden. Das Lauterkeitsrecht setzt bei werblicher Verwendung einschlägiger Bezeichnung solcher Wahlmöglichkeit freilich Grenzen: Soweit der Verkehr nach dem Gegenstand des Unternehmens eine bestimmte „Fachnähe“ erwartet (Beispiel: im Bereich der Arzneimittelherstellung liegt es nahe, vom Attribut „Professor“ bzw. „Dr.“ auf einen Professor/Doktor der Medizin oder Pharmazie zu schließen), darf eine fachrichtungsneutrale Bezeichnung nur geführt werden, wenn die entsprechende „Fachnähe“ tatsächlich besteht.1783 Kasuistik: Ein an einer Fachhochschule tätiger Professor, der eine nichtjuristische Lehrtätigkeit ausübt, ist wohl nicht befugt, die Bezeichnung „Professor“ im Rahmen anwaltlicher Tätigkeit zusatzlos zu führen.1784 Der Vorrang des Bezeichnungsrechts nimmt nur einer allfälligen Fehlvorstellung des Publikums die Relevanz, die Bezeichnung weise auf eine Lehr- und/oder Forschungstätigkeit an einer Universität hin. Uneingeschränkt billigenswert ist demgegenüber die Nichtbeanstandung der Firmierung „Funkstube Dr. S.“ für ein Radioeinzelhandelsgeschäft, wenn der Inhaber promovierter Mediziner ist, weil die wissenschaftliche Ausbildung für einen solchen Geschäftszweig weder Voraussetzung noch verkehrswesentlich ist.1785 Was die „Fachnähe“-Frage anbelangt ist freilich vor vorschneller einschlägiger Ver- 850 engung zu warnen: Der Verkehr weiß etwa darum, dass medizinischer Fortschritt zu einem guten Teil auf Beiträgen der Nachbardisziplinen (Physik, Chemie, Biochemie) basiert. Der Verkehrsauffassung entsprechen deshalb u.U. durchaus Grade mehrerer Fakultäten, einer Gleichwohl-Fehlvorstellung mangelt gegebenenfalls zumindest die wettbewerbsrechtliche Relevanz.1786 Kasuistik: Die Verwendung des Professorentitels in einer Werbung für eine medizinische Therapie ist nicht irreführend, wenn die Therapie von einem Wissenschaftler entwickelt wurde, dem der Professorentitel für seine Leistungen auf dem Gebiet der Physik verliehen wurde.1787 Die Verwendung des Doktortitels für den Inhaber einer Heilpraktikerschule ist irreführend, wenn der Inhaber tatsächlich über einen Doktor der Chemie verfügt, der Verkehr aber medizinische Fachkenntnisse hinter dem Titel vermuten wird.1788 (3) Sonderproblem: akademische Namensattribute in der Gesellschaftsfirma. 851 Das unter Rn. 846 ff. und 849 Konstatierte gilt für jede Form werblicher Verwendung akademischer Bezeichnungen, einschließlich der Wahl einschlägiger Namensattribute bei der Firmierung, letzteres zumindest insoweit, als eine originäre (zum Sonderproblem der abgeleiteten Firma s. Rn. 854 f.) einzelkaufmännischen Firma zur Beurteilung steht.
_____
1782 BGH 18.9.2013 – I ZR 65/12 – GRUR 2014, 494 Tz. 15 – Diplomierte Trainerin. 1783 BGH 13.4.1959 – II ZR 39/58 – GRUR 1959, 375, 376 – Doktortitel; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 458; Hönn ZHR 153 (1989), 386, 397. 1784 A.A. OLG Bremen 3.10.1977 GRUR 1978, 258. 1785 BGH 13.4.1959 – II ZR 39/58 – GRUR 1959, 375, 376 – Doktortitel. 1786 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 458; Harte/Henning/Weidert E Rn. 121. 1787 BGH 27.4.1995 – I ZR 116/93 – GRUR 1995, 612,613 – WRP 1995701, 703 – Sauerstoff- MehrschrittTherapie. 1788 OLG Frankfurt 19.2.2013 – 6 U 28/12 – WRP 2013, 825 Tz. 6.
927
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
Streitig sind im Bereich der ursprünglichen Firmenbildung lediglich die Grenzen der Verwendung akademischer Bezeichnungen in der Gesellschaftsfirma. Während die h.M.1789 um eine der besonderen Situation angepasste Anwendung 852 der für die einzelkaufmännische Firma entwickelten Grundsätze bemüht ist, befürwortet eine Minderheitsmeinung für die Gesellschaftsfirma – teils beschränkt auf die GmbH, teils generell – eine Anforderungsabsenkung. Riegger1790 plädiert unter Hinweis auf das jeweilige gesetzliche „Leitbild“ für eine Differenzierung nach Personengesellschaften und Gesellschaften mbH: Während der OHG-Gesellschafter bzw. Komplementär einer KG nach dispositivem Recht auf die Führung des Unternehmens unmittelbar Einfluss nehmen könne, fehle es für den namensgebenden GmbH-Gesellschafter schon an einem diesbezüglichen „Leitbild“. Etwaigen Vorstellungen des Verkehrs, der Namensträger der GmbH sei mehr als bloßer Kapitalgeber, mangele – im Gegensatz zu den leitbildkonformen Erwartungen bei der OHG/KG – zumindest die Schutzwürdigkeit. Während dort bei Sachnäherelevanz der Titel bei Sachferne zum Geschäftsgegenstand (wie beim Einzelkaufmann) mit klärendem Fakultätszusatz zu führen sei, erübrige sich hier jeder einschlägige Fachrichtungshinweis. Nach Hönn1791 soll demgegenüber die Erwartung eines bestimmenden Einflusses des Namensgebers kraft Teilhabe an der Geschäftsleitung sowohl bei der GmbH als auch bei der OHG/KG die Schutzwürdigkeit abzusprechen sein. Anknüpfungspunkt für schutzwertes Vertrauen sei nur das Faktum der Zurverfügungstellung eines „guten Namens“, dem der Verkehr bei Beifügung akademischer Bezeichnungen freilich fallsituative Garantiezusagen minderer Stärke entnehme: mindestens erwartbar sei eine Betriebsführung lege artis, möglicherweise auch das Vorhandensein von Mitarbeitern mit einer dem Namensattribut entsprechenden Qualifikation. Bedenkt man, dass akademische Bezeichnungen zwar namensnah, firmenrechtlich 853 gleichwohl nur Firmenzusatz sind, spricht freilich – nimmt man das Verbot irreführender Zusätze (§ 18 Abs. 2 HGB) als Limitierung des Gestaltungsfreiraums bei der Firmenbildung gebührend ernst – letztlich alles für die h.M.: Der Verkehr orientiert sich1792 mit seinen Erwartungen nicht am gesetzlichen Leitbild, sondern am Realtypus. Realtypisch ist indes1793 sowohl bei Personengesellschaften als auch bei der GmbH mit Personenfirma ein bestimmender Einfluss des jeweiligen Namensstifters. Weist die Firma neben dessen Namen akademische Namensattribute auf, schließt der Verkehr bei Marktentscheidungsrelevanz des Attributs deshalb sehr wohl auch und gerade auf die Wahrnehmung von Leitungsfunktionen, bei entsprechender Sachnäherelevanz zudem auf genuin geschäftsgegenstandsbezogene Sachkompetenz. Sofern die jeweiligen Erwartungen im konkreten Fall enttäuscht würden, schrumpft der Gestaltungsfreiraum der Gesellschafter bei der Bestimmung des Gesellschaftsnamens. Soweit geschäftsgegenstandseigentümlich dem Inhaber eines akademischen Amts/eines akademischen Grads ein Vertrauensbonus gewährt wird, ist eine „Professor-“ bzw. „Dr.“-Firma wegen Irreführungsgefahr unzulässig, wenn der Namensträger nach dem Gesellschaftsvertrag von der Geschäfts- und Vertretungsbefugnis ausgeschlossen ist.1794 Soweit der Verkehr nach dem Geschäftsgegenstand eine entsprechend ausgerichtete Qualifikation des Namensträgers
_____
1789 Statt vieler: BGH 24.10.1991 – I ZR 271/89 – GRUR 1992, 121 f. = WRP 1992, 102 f. – Dr. Stein … GmbH; OLG Koblenz 28.4.1988 – 6 U 140/88 – GRUR 1988, 711; Harte/Henning/Weidert E Rn. 120. 1790 DB 1984, 441 ff. 1791 ZHR 153 (1989), 387, 407 f. 1792 Dies gegen Riegger aaO. 1793 Dies gegen Hönn aaO. 1794 BGH 24.10.1991 – I ZR 271/89 – GRUR 1992, 121, 122 = WRP 1992, 101 f. – Dr. Stein … GmbH; Fezer/ Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 377.
Lindacher/Peifer
928
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
erwartet, ist bei einer geschäftsgegenstandsfernen Fachausrichtung Klarstellung durch einen einschlägigen Fakultätszusatz geboten. (4) Sonderproblem: akademische Namensattribute in der abgeleiteten Firma. In 854 der Firma eines Unternehmens verkörpert sich der vermögenswerte good will desselben. Aus Firmenwerterhaltungsgründen erlauben die §§ 22, 24 HGB in Durchbrechung des Grundsatzes der Firmenwahrheit und Firmenklarheit für den Fall des Inhaberwechsels und des Gesellschafterwechsels die Fortführung der bisherigen Firma, nach zutreffender Auslegung der benannten Vorschriften uneingeschränkt hinsichtlich des Firmenkerns, eingeschränkt hinsichtlich etwaiger Firmenzusätze: Als Preis der good will-Sicherung war vom historischen Gesetzgeber nur die Einbuße an Unternehmensträgertransparenz i.S. von Haftungstransparenz ins Auge gefasst worden. Konsequenterweise dürfen selbst Zusätze, die am „Firmenklangbild“ teilnehmen (und damit durchaus good will-Bezug haben), nicht beibehalten werden, wenn und soweit eine Irreführung über marktentscheidungsrelevante Umstände zu besorgen ist, die sich nicht in der Verunklarung der Haftungsverhältnisse durch Nichtoffenlegung der aktuellen Inhaberschaft erschöpft. Da akademische Bezeichnungen zwar namensnah, firmenrechtlich gleichwohl nicht Firmenkernbestandteil sondern Firmenzusatz sind, gilt deshalb auch für Namensattribute wie den Professoren- und Doktortitel: Die Weiterverwendung einer akademischen Bezeichnung in einer abgeleiteten Firma ist nur zulässig, wenn dem Namensattribut fallsituativ ausnahmsweise keinerlei marktentscheidungsrelevante Aussage in puncto geschäftsgegenstandsbezogener Kompetenz und/oder Zuverlässigkeit zukommt oder aber die einschlägigen Verkehrserwartungen auch in der Person des nunmehrigen Inhabers/des in der Gesellschaft nunmehr zu organschaftlicher Leitung Berufenen erfüllt werden. In Fortschreibung der für die ursprüngliche Firma entwickelten Grundsätze (hierzu 855 Rn. 846 ff.) bedeutet dies: Soweit der Verkehr dem akademischen Namensattribut eine marktentscheidungsrelevante Aussage entnimmt, die unter den veränderten Verhältnissen nicht mehr eingelöst wird, darf die bisherige Firma nur in modifizierter Form fortgeführt werden: bei Übernahme eines einzelkaufmännischen Unternehmens durch einen Einzelkaufmann unter Beifügung eines Nachfolgevermerks oder unter Streichung des Namensattributs,1795 bei Ausscheiden des namensgebenden Gesellschafters – mangels Möglichkeit eines Nachfolgehinweises – stets nur unter Bezeichnungsstreichung. 1796 Soweit der Verkehr aus der akademischen Bezeichnung geschäftsgegenstandsbezogen eine fachrichtungsspezifische Qualifikation erwartet, setzt die unveränderte Firmenfortführung just diese Qualifikation beim neuen Inhaber/einem anderen oder neuen Organwalter der Gesellschaft voraus.1797 Verfügt der nunmehrige Inhaber nur über eine entsprechende fachferne Qualifikation, bleiben drei Möglichkeiten: die Fortführung der bisherigen Firma unter Streichung des Namensattributs, die Fortführung der bisherigen Firma (einschließlich Namensattribut) mit neutralem Nachfolgevermerk oder die Fortführung der bisherigen Firma (einschließlich Namensattribut) mit Inhabervermerk, Letzterer den eigenen Titel mit Fakultätszusatz enthaltend. In der Fallgestaltung Ausscheiden des namensgebenden Gesellschafters bleibt hier – mangels Nachfolgevermerkmöglichkeit – nur der Weg der Namensattributstreichung. Dieser Ansicht folgt der Gesellschaftsrechtssenat des BGH in einer neueren Entscheidung zu Unrecht nicht. Er hält die Fortführung
_____
1795 Harte/Henning/Weidert E Rn. 123; Ohly/Sosnitza Rn. 614; Nordemann Rn. 303. 1796 BGH 24.10.1991 – I ZR 271/89 – GRUR 1992, 121, 122 = WRP 1992, 101 f. – Dr. Stein … GmbH. 1797 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 458; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 377; Droste GRUR 1970, 322.
929
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
einer Partnerschaft mit dem Doktortitel eines ausgeschiedenen promovierten Namensgebers für zulässig, weil auch die übrigen nicht promovierten Partner eine abgeschlossene Hochschulausbildung absolviert hätten, also das beim Publikum vorhandene Vertrauen in besondere Fähigkeiten nicht enttäuscht würde.1798 Das ist lauterkeitsrechtlich nicht überzeugend.1799 Sofern das Vertrauen des Publikums in Fähigkeiten investiert wird, die durch das Hochschulstudium allein noch nicht dokumentiert werden, ist die Weiterführung des Namens allenfalls mit berichtigenden Zusätzen unter dem Gesichtspunkt hinnehmbar, dass ein langjähriger Marktauftritt zu einem Besitzstand geführt haben mag. Dieser Besitzstand wird allerdings auch durch die Weiterführung des Namens ohne Promotionszusatz geschützt. Kasuistik: Der nicht promovierte Erwerber eines Maklergeschäfts darf einen in der Firmenbezeichnung („Dr. St. & Co“) enthaltenen Doktortitel nicht beibehalten, wenn er dem Firmennamen keinen Nachfolgezusatz hinzufügt: bei Grundstücksgeschäften kommt dem Aspekt, dass der einschlägige Grad ein verstärktes Maß an Vertrauenswürdigkeit suggeriert, sehr wohl Bedeutung zu.1800 Ein unter der Firma „Dr. Stein Grundbesitz GmbH“ gegründetes Maklerunternehmen darf nach dem Ausscheiden des namensgebenden Gesellschafters unter der bisherigen Firma (also mit Doktortitel) fortgeführt werden, wenn eine andere, den entsprechenden akademischen Grad führende Person Gesellschafter mit bestimmendem Einfluss wird.1801 Das Maklerunternehmen eines Promovierten kann in der Form einer GmbH mit der Firmierung „Dr. … Immobilien – Nachfolger GmbH“ fortgeführt werden. Mangelt der Leitungsperson der Doktorgrad, darf nicht blickfangmäßig verkürzt mit der Bezeichnung „Dr. … Immobilien“ geworben werden.1802 Ein kleineres Bankhaus in der Rechtsform einer KG darf nach dem Ausscheiden des promovierten namensgebenden Komplementärs die bisherige Firma „Bankhaus Dr. M. & Co“) nur unter Streichung des Doktorzusatzes fortführen: es besteht die Gefahr, dass nicht unerhebliche Verkehrsteile dem Bankunternehmen gerade in Hinblick auf die Annahme, die Geschäftsführung werde maßgeblich vom Inhaber eines Doktorgrads bestimmt, ein gesteigertes Vertrauen entgegenbringen.1803 Die Firma „Dr. X & Co. Druck und Papier“ darf nach Rechtsformwandel einer OHG in eine KG auch dann unverändert fortgeführt werden, wenn der nunmehrige alleinige Komplementär nicht promoviert ist: die Wertschätzung, die in der breiten Öffentlichkeit einem akademischen Titelträger entgegengebracht wird, wirkt sich bei einem Unternehmen der Branche Druck und Papier nicht in geschäftserheblicher Weise aus.1804 Dass die Firma „IPDB Institut Prof. Dr. P., Dienstleistungsinstitut für Lebensmittelqualität“ nach Geschäftsübernahme durch den weder zur Führung des Professoren- noch des Doktortitels berechtigten Sohn nicht mit dem Nachfolgezusatz „Inh. Horst U. P.“ fortgeführt werden könne, weil aus ihr nicht mit Eindeutigkeit zu entnehmen sei, dass der Gründer im Unternehmen keine Funktion mehr innehat, vermag nicht zu überzeugen.1805 856
(5) Sonderproblem: akademische Bezeichnungen in Sachfirmen. Sachfirmen mit akademischen Namensattributen werfen die Frage der Irreführung hinsichtlich der
_____
1798 BGH 8.5.2018 – II ZB 7/17 – NZG 2018, 900 – Rechtsanwaltspartnerschaft und BGH 8.5.2018 – II ZB 27/17 – NZG 2018, 1016 Tz. 19 – Steuerberatungsgesellschaft (jeweils zu § 18 Abs. 2 HGB). 1799 Zweifelnd wohl auch Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.152. 1800 BGH 10.11.1969 – II ZR 273/67 – BGHZ 53, 65, 67f. – GRUR 1970, 320, 321 – Doktor-Firma. 1801 BGH 24.10.1991 – I ZR 271/89 – GRUR 1992, 121f. = WRP 1992, 101f. – Dr. Stein … GmbH. 1802 OLG Düsseldorf 17.10.1991 – 2 U 54/91 – GRUR 1992, 187f. – Deutsche Ausstellungsgesellschaft. 1803 OLG Koblenz 28.4.1998 – 6 U 140/88 – GRUR 1988, 711, 712 – Doktortitel. 1804 OLG Frankfurt 15.3.1977 – 20 W 114/77 – DB 1977, 1253. 1805 So LG Stuttgart 31.7.2008 – 33 O 15/08 KfH – WRP 2009, 496.
Lindacher/Peifer
930
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
Qualifikation des Unternehmensinhabers auf, wenn zumindest ein Teil des angesprochenen relevanten Verkehrs den Charakter der Firma als Sachfirma verkennt, die Firma vielmehr als Personenfirma deutet und damit, je nach Branche, aus der akademischen Bezeichnung auf besondere Sachkompetenz und/oder Vertrauenswürdigkeit des Geschäftsinhabers schließt. Kasuistik: Die Firma „Dr. S.-Arzneimittel GmbH“ erlaubt zwei Interpretationen: die – zutreffende – Deutung als Gruppenbezeichnung für eine bestimmte (verkehrsbekannte) Art von Arzneimitteln „nach Dr. S.“ und die – unzutreffende – Deutung, dass Dr. S. als Entwickler der betreffenden Arzneimittel selbst auch Gesellschafter des Herstellungsunternehmens ist oder jedenfalls war.1806 Verkehrsdurchsetzung der als Sachfirma verwendeten Marke bedeutet dabei nicht 857 notwendigerweise Verbotsfestigkeit nach § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3.1807 Andererseits genügen richtigerweise in solcher Fallgestaltung auch nicht ohne weiteres bloße Minderheitsvorstellungen des relevanten Verkehrs. Eine Abwägung der Verbotsinteressen mit dem Interesse des Geschäftsinhabers an der Verwendung einer aussagekräftigen, weithin zutreffend verstandenen Sachfirma, je nach Sachlage gepaart mit einem per se verständlichen und verständigen Besitzstandswahrungsinteresse (allgemein zum Korrigens der Interessenabwägung: Rn. 276 ff.), rechtfertigt und gebietet vielmehr eine signifikant hohe Irreführungsquote. (6) Ausländische akademische Bezeichnungen. Ungeachtet zunehmender „Bläs- 858 se“ des Professorentitels (s. Rn. 847) verbindet der Verkehr mit der Bezeichnung „Professor“ freilich nach wie vor die Vorstellung besonderer Kompetenz und gehobenen Ansehens, ein Umstand, der auch und gerade bei der werblichen Verwendung ausländischer Professorentitel Bedeutung erlangt: Zulässigkeitsvoraussetzung für die Führung des Titels ist neben der Berechtigung nach dem Recht des Herkunftslands, eine annähernde Gleichwertigkeit.1808 Die ausländische Einrichtung muss bei Anlegung eines großzügigen Maßstabs materiell den Charakter einer Hochschule haben. Darüber hinaus ist ein Mindestmaß an Eingliederung in den Forschungs- und Lehrbetrieb erforderlich. Soweit der zu beurteilende ausländische Titel nur eingeschränkt mit dem inländischen Professorentypus vergleichbar ist, ist zumindest die die Bezeichnung vermittelnde Universität zusatzweise zu benennen; die ausländische Originalfassung wird ob der optischen und klanglichen Nähe zur inländischen Bezeichnung in aller Regel nicht genügen. In Fällen krasser „Leichtgewichtigkeit“ muss die Führung des „Professoren“-Titels gänzlich unterbleiben.1809 Das gilt auch, wenn die mit dem Titel beworbene Lehr- oder Forschungstätigkeit an einer Universität seit längerer Zeit nicht mehr ausgeübt wird oder niemals in nennenswerter Weise ausgeübt wurde. Kasuistik: Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre tat sich eine in Guatemala-Stadt ansässige Privatuniversität, die Universität Francisco Marroquin, durch einen regen Handel mit Professorentiteln hervor: Interessenten wurden per Annonce in inländischen Zeitungen gesucht. Nach Zahlung nicht unerheblicher Beträge für (angebliche) Zwecke
_____
1806 BGH 5.4.1990 – I ZR 19/88 – GRUR 1990, 605 = WRP, 752, 753 – Dr. S.- Arzneimittel. 1807 Richtig: BGH 5.4.1990 – I ZR 19/88 – GRUR 1990, 604, 605 = WRP 1990, 752, 753 – Dr. S.-Arzneimittel. 1808 BGH 16.2.1989 – I ZR 76/87 – GRUR 1989, 445, 446 = WRP 1989, 491, 492 – Professorenbezeichnung in der Arztwerbung I; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.154. 1809 BGH 16.2.1989 – I ZR 76/87 – GRUR 1989, 445, 446 = WRP 1989, 491, 492 – Professorenbezeichnung in der Arztwerbung I unter Hinweis darauf, dass die eingeschränkte Verurteilung in BGH 27.5.1987 – I ZR 121/85 – GRUR 1987, 839, 840 = WRP 1988, 591, 592 – Professorentitel in der Arzneimittelwerbung nur wegen des entsprechend eingeschränkten Antrags erfolgt sei.
931
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
der Universität hielten die Bewerber in Guatamala einen Gastvortrag (bzw. ließen ihn dort in spanischer Sprache vorlesen). Hieran knüpfte sich zunächst die Verleihung des Titels eines „profesor visitante“, im späteren die eines „profesor extraordinario“.1810 Der BGH untersagte einem inländischen Doktor der Medizin, Geschäftsführer einer Arzneimittelfirma, antragsgemäß die zusatzlose Verwendung der Bezeichnung „Professor“ im Rahmen der Werbung für ein bestimmtes Arzneimittel, die dieser in Hinblick auf seinen guatemaltekischen „profesor extraordinario (für Umweltschutz und Strahlenwesen basierend auf der Molekularbiologie)“ in Anspruch genommen hatte.1811 In einem weiteren Fall verurteilte der BGH auf vorbehaltlosen Antrag einen inländischen Arzt für kosmetische Chirurgie – nach der Verleihungsurkunde „Profesor extraordinario de cirugia Plastica“ – einschränkungslos, die Führung des Professorentitels zu unterlassen.1812 Einem Rechtsanwalt ist die werbliche Verwendung des von der verleihenden Universität verliehenen Titels verboten worden.1813 Unter lateinamerikanischen staatlichen Universitäten tat sich u.a. eine peruanische Universität hervor, die den Professorentitel unter fragwürdigen Begleitumständen, für den deutschen Arzt günstig, gleich in eingedeutschter Form („A.O.Professor“) verlieh.1814 Die Freude eines frischgebackenen „Professors“ wurde getrübt, indem ihm die Verleihungsurkunde der Universität Pitesti/Rumänien mangels Eingliederung des deutschen Zahnmediziners in den Forschungs- und Lehrbetrieb als „Schmuckdiplom“ abqualifiziert wurde: Eine Antrittsvorlesung und die behauptete Vorbereitung auf eine künftige Lehrveranstaltung wurden zu Recht als unzulänglicher Beleg für eine bestehende Einbindung angesehen.1815 Von einer ausländischen Hochschule verliehene akademische Grade (ein859 schließlich Doktorgrad) werden nach den neueren Landeshochschulgesetzen und entsprechenden Verordnungen vom örtlich zuständigen Kultusminister anerkannt, wenn die Hochschule nach Sitzrecht zur Verleihung berechtigt ist und der Grad nach einem ordnungsgemäß abgeschlossenen Studium verliehen wurde. Einschlägige Anerkennung berechtigt zur Führung in der Original(lang)form und der im Verleihungsland üblichen Abkürzung, jeweils mit Angabe der verleihenden ausländischen Institution.1816 Für akademische Grade von Hochschulen der EU-Mitgliedstaaten oder des Europäischen Wirtschaftsraums wird teilweise sogar auf die Nennung der verleihenden Hochschule verzichtet. Bilaterale Gleichwertigkeitsabkommen (wie gegenüber Österreich) ermöglichen eine Bezeichnungsführung ohne Einzelfallgenehmigung. Kasuistik: Der von einer Zahnärztin an der österreichischen Donau-Universität Krems erworbene Grad eines „Master of Science Kieferorthopädie“ kann auch in Deutschland geführt werden. Die Titelführung kann nicht als irreführend untersagt werden, weil Teile des Verkehrs vermuten mögen, es handele sich um eine dem Facharzt für Kieferorthopädie gleichwertige Qualifikation.1817 Keine Berechtigung besteht zur Führung des von einer schweizerischen privaten Akademie (namens Atlas) verliehenen Grads eines „diplomier-
_____
1810 BGH 27.5.1987 – I ZR 121/85 – GRUR 1987,839, 840 = WRP 1988, 591, 592. 1811 BGH 16.2.1989 – I ZR 76/87 – GRUR 1989, 445, 446 = WRP 1988, 591, 592 – Professorentitel in der Arzneimittelwerbung. 1812 BGH 16.2.1989 – I ZR 76/87 – GRUR 1989, 445, 446 = WRP 1988, 591, 592 – Professorenbezeichnung in Arztwerbung I. 1813 OLG München 18.5.1989 – 29 U 3901/88 – NJW-RR 1989, 1439 ff. 1814 BGH 9.4.1992 – I ZR 240/90 – GRUR 1992, 525, 526 = WRP 1992, 526, 563 – Professorentitel in der Artztwerbung II. 1815 LG Baden-Baden 3.11.2010 – 4 O 51/10 – WRP 2011, 1498. 1816 OLG Stuttgart 18.3.2014 – 12 U 193/13 – GRUR-RR 2014, 454, 456. 1817 BGH 18.3.2010 – I ZR 172/08 – GRUR 2010, 1024 Tz. 29 = WRP 2010, 1390 – Master of Science Kieferorthophädie.
Lindacher/Peifer
932
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
ten Atlas Spezialisten“, wenn es an staatlich reglementierten Lehrinhalten und Prüfungen fehlt.1818 Die Verwendung eines von einer türkischen Universität verliehenen akademischen Ehrengrades durch einen Rechtsanwalt ist unzulässig, wenn der Titel nicht in der Originalform und ohne Hinweis auf die verleihende Universität geführt wird.1819 Besondere Probleme wirft die Fallgestaltung auf, dass der ausländische akademische 860 Grad im Rahmen einer „Franchise“-Vereinbarung zwischen der ausländischen Hochschule und einer privaten inländischen Ausbildungseinrichtung verliehen wird: Kooperationsvereinbarungen, nach denen die Gradverleihung als solche gegen Beteiligung am Gebührenaufkommen durch die ausländische Hochschule erfolgt, Studium und Prüfung im Wesentlichen freilich in der Verantwortung der nicht als Hochschule anerkannten Einrichtung im Inland absolviert werden, die verleihende ausländische Hochschule sich mit einer allgemeinen „Validierung“ von Studiengang und Prüfungsleistungen begnügt, grenzen an Gesetzesumgehung.1820 Zumindest bei einschlägigen akademischen Graden von Hochschulen in EU-Mitgliedstaaten wird man freilich mit dem BayVGH1821 die Inlandsbezeichnungsführung nicht untersagen dürfen: Das geschuldete Vertrauen in die Seriosität der Titelverleihung durch die EU-Hochschule schließt auch das Vertrauen in die Wahrnehmung der Kontrollverantwortung ein. cc) Meister. Für den handwerklichen Sektor gilt: Der Kompetenznachweis schlecht- 861 hin ist der Meistertitel. Wer den falschen Schein einschlägiger Qualifikation setzt, führt allemal in potentiell entscheidungsrelevanter Weise irre i.S. von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3.1822 Daraus folgt zudem, dass eine die Meisterqualifikation tragende wesentliche Handwerkerleistung nur dort ausgeführt werden darf, wo ein Meister tatsächlich anwesend ist, nicht aber in einer Zweigstelle ohne Meisterpräsenz.1823 Andererseits ist eine Werbung mit einer Meisterleistung nicht allein deswegen irreführend, weil der Meister nicht ständig präsent ist, sofern nach Art der Leistung (Hörgeräteakustik) der typische Adressat nicht mit sofortiger Bedienung durch den Meister rechnet, sondern eine Terminvereinbarung in Kauf nimmt.1824 Sinnvoll wäre es, um etwaige Irreführungen zu vermeiden, über die konkrete Erreichbarkeit oder das Terminerfordernis zu informieren. Zu beachten ist, dass die Handwerksordnung in § 1 Abs. 1 und Abs. 2 mit Anlage A diejenigen Gewerbe nennt, die als zulassungspflichtige Handwerke betrieben werden können. Diese Vorgaben prägen die Verkehrserwartung normativ (Vor §§ 5, 5a Rn. 53, 174). Kasuistik: Ein nicht in die Handwerksrolle eingetragener Gebäudereiniger darf nicht unter der entsprechenden Bezeichnung im amtlichen Telefonbuch werben.1825 Der Inhaber eines „Schuh- und Schlüsseldienstes“ darf nicht mit dem Slogan „Ihr Schuhmacher hilft“ werben, wenn er nur über den Gesellenbrief verfügt.1826 Bei Benennung mehrerer handwerklicher Berufsfelder muss die Qualifikation jedes Feld abdecken: Ein Maurermeister darf sich auf seinem Firmenschild nicht zugleich als Stukkateur bezeichnen.1827 Wer nur im Heizungsbauerhandwerk die Meisterprüfung abgelegt hat, darf auf seinem
_____
1818 LG Frankfurt 22.9.2006 – 3/12 O 20/06 – WRP 2007, 109,111. 1819 OLG Stuttgart 18.3.2014 – 12 U 193/13 – GRUR-RR 2014, 454, 456 (zu § 37 Abs. 2 LHG BadenWürttemberg). 1820 Vorsichtig kritisch denn auch Hailbronner EuZW 2007, 39 ff. 1821 BayVGH 28.10.2005 – 7 B 05/75. VGHE BY 58, 252. 1822 Statt aller: Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.174; Ohly/Sosnitza Rn. 590. 1823 BGH 16.6.2016 – I ZR 46/15 – GRUR 2017, 194 Tz. 32 – Orhopädietechniker. 1824 BGH 17.7.2013 – I ZR 222/11 – GRUR 2013, 1056 Tz. 18 – Meisterpräsenz. 1825 OLG Stuttgart 26.7.1985 – 2 W 48/85 – WRP 1989, 358f. 1826 OLG Braunschweig 12.10.1990 – 2 U 83/90 – WRP 1991, 61f. 1827 OLG Nürnberg 28.4.1964 – 3 U 55/64 – WRP 1965, 27.
933
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
Geschäftsbogen nicht mit „Heizung + Sanitär“ werben.1828 Ein nicht in die Handwerkerrolle eingetragenes, Montagen und Messebau ausführendes Unternehmen darf sich nicht als „Der Schreinerladen“ bezeichnen. Auch der kritische Verbraucher erwartet, dass der Inhaber des Ladens Tischlerarbeiten ausführt, was ihm mangels Rolleneintrags nicht gestattet ist.1829 Ebenso ist es für die Bezeichnung als „Steinmetz und Steinbildhauer“.1830 Werden handwerkliche Leistungen unerheblichen Umfangs nebenbetriebsweise er862 bracht, bedarf es nach § 3 Abs. 2 HandwO freilich keines Eintrags in die Handwerksrolle und damit nicht der Betriebsleitung durch einen Meister. Da für erlaubte Tätigkeit geworben werden darf, erheischt der Satz, dass Werbung unter handwerklicher Berufs- oder Berufsfeldbezeichnung auf die Meisterqualifikation schließen lässt (Rn. 861), für diesen Bereich der Relativierung: Nach § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 zu untersagen sind insoweit lediglich solche werblichen Äußerungen, die in vermeidbarer Weise Fehlvorstellungen über Inhalt und Umfang des Leistungsangebots auslösen. Im Übrigen bleibt eine allfällige Irreführungsgefahr aus Interessenabwägungsgründen (allgemein: Rn. 282 ff.) hinzunehmen.1831 Kasuistik: Die Werbung eines Rundfunk- und Fernsehhändlers „Eigener Kundendienst durch langjährige Fachkraft“ erweckt bei verständiger Würdigung nicht den Eindruck, bei der „Fachkraft“ handele es sich um einen Fernsehmechanikermeister.1832 Zulässig ist die Bezeichnung „Bäckerei“ ohne Eintrag in der Handwerksrolle für den bloßen Verkauf von Backwaren.1833 Ob einem Fotoartikel-Einzelhändler, der (erlaubterweise) Pass- und Portraitfotos herstellt, im Rahmen der Schaufensterdekoration solcher Fotos die blickfangmäßige Werbung „Passbilder für Anspruchsvolle“ zu verbieten ist, erscheint zumindest zweifelhaft.1834 Auch der Handwerker, der in den durch § 5 HandwO gezogenen Grenzen über das 863 eigene Handwerk hinausgreifende fachnahe Arbeiten ausführt, muss dies werblich herausstellen können, hat freilich wiederum im Rahmen des Zumutbaren für eine Minimierung von Fehlvorstellungsgefahren über Art und Umfang des Leistungsangebots Sorge tragen. Kasuistik: Wirbt ein Malermeister mit der Bezeichnung „Malerei, Glaserei, Fußbodenbeläge“, erwartet der Verkehr berechtigterweise nicht nur Glaserarbeiten, die ein Malermeister im Rahmen des § 5 HandwO vornehmen darf (nämlich das Einsetzen, Befestigen und Kitten von Spiegelglas), sondern die fach- und sachkompetente Erledigung aller traditionellen Glaserarbeiten.1835 Die Schlagwortwerbung „Farb- und Raumgestaltung“ verspricht mehr als nur Raumausstatterleistungen, die mit dem Betrieb eines Maler- und Lackiererhandwerks technisch und fachlich zusammenhängen.1836 Seit Änderung der HandwO dahin, dass für die Eröffnung und Führung eines Hand864 werksbetriebs statt der Meisterqualifikation des Betriebsinhabers auch die entsprechende Qualifikation eines personenverschiedenen Betriebsleiters ausreicht, rechtfertigt die Werbung mit der handwerklichen Berufsfeldbenennung als solcher nicht (mehr) die Verkehrserwartung, gerade der Unternehmensinhaber besitze den Meisterbrief: Die Werbung mit der Bezeichnung „Meisterbetrieb“ ist heute1837 nur noch irreführend, wenn
_____
1828 1829 1830 1831 1832 1833 1834 1835 1836 1837
OLG Celle 29.11.1990 – 13 U 80/90 – WRP 1991, 132 f. LG Frankfurt 4.1.2012 – 3-08 O 56/11 – WRP 2012, 757. OLG Celle 8.9.2016 – 13 U 87/16 – WRP 2016, 1541 – Stein und Schrift. Honig WRP 1971, 204 f. OLG Bamberg 7.8.1970 – 3 U 71/70 – WRP 1971, 228, 229. LG Wuppertal 8.5.2013 – 13 O 70/12 – BeckRS 2013, 14764; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer, Rn. 383. So OLG Hamm 17.10.1991 – 4 U 139/91 – GRUR 1992, 211 Ls. LG Oldenburg 1.6.1989 – 5 O 447/89 – WRP 1989, 833 f. OLG Bremen 14.11.1991 – 2 U 44/91 – WRP 1992, 317, 319. Anders unter altem Recht noch OLG Düsseldorf 26.5.1972 – 2 U 19/72 – GRUR 1973, 33 f.
Lindacher/Peifer
934
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
weder der Betriebsinhaber (bei einer OHG/KG ein persönlich haftender Gesellschafter, bei einer GmbH der Geschäftsführer) noch ein personenfremder Betriebsleiter dem Meistererfordernis genügt.1838 dd) Gesetzlich geschützte Unternehmens- und Berufsbezeichnungen (1) Allgemeines. Ist die Führung einer Unternehmens- oder Berufsbezeichnung 865 kraft Gesetzes nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig, verbindet der Verkehr mit der einschlägigen Bezeichnungsverwendung typischerweise mehr oder weniger positive Vorstellungen qualitativer Natur. Die unberechtigte Führung der gesetzlich geschützten Bezeichnung thematisiert nicht nur § 3a, sondern auch und vor allem § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3. (2) Unternehmensbezeichnungen. Die Bezeichnungen Bank, Volksbank, Sparkas- 866 se, Bausparkasse sowie Spar- und Darlehenskasse sind nach Maßgabe von §§ 39 ff. KreditwesenG, § 1 Abs. 1 BausparkassenG geschützt. Das Gleiche gilt für zusammengesetzte Bezeichnungen mit den genannten Begriffen, es sei denn, dass sie in einem Zusammenhang geführt werden, der den Anschein ausschließt, dass Bankgeschäfte betrieben werden (§ 41 KreditwesenG, z.B. „Samenbank“). Die Bezeichnungen Kapitalverwaltungsgesellschaft, Investmentfonds, Investmentvermögen, Investmentgesellschaft, Investor oder Invest allein oder in Zusammensetzung sind nach § 3 KapitalanlageG-Buch (KAGB) ausschließlich Verwaltungsgesellschaften im Sinne des KAGB vorbehalten. (3) Berufsbezeichnungen. Geschützt sind vor allem Bezeichnungen für Berufe, de- 867 ren Ausübung eine staatliche Bestellung oder Zulassung bzw. eine einschlägige Sondererlaubnis voraussetzt. (a) Arzt, Zahnarzt, Facharzt, Tierarzt. Die Berufsbezeichnung „Arzt“ darf nur füh- 868 ren, wer von der zuständigen Landesbehörde als Arzt approbiert oder unter bestimmten Voraussetzungen aufgrund entsprechender Erlaubnis zur vorübergehenden Ausübung des ärztlichen Berufs befugt ist (§ 2a BundesärzteO). Zur Berechtigung, die Berufsbezeichnung „Zahnarzt“ zu führen s. § 1 Abs. 1 S. 2 ZahnheilkundeG (mit Eingliederung des bisherigen Dentisten, § 8 Abs. 1 S. 1), hinsichtlich der Bezeichnung „Tierarzt“ s. § 3 BundesTierÄrzteO. Den falschen Schein ärztlicher Qualifikation schafft selbstredend nicht nur der unberechtigte Gebrauch der gesetzlich geschützten Berufsbezeichnung, sondern auch jedes sonstige Sich-in-die-Nähe-Bringen zum Beruf des Arztes: „Doktor“ bei Ausübung der Heilkunde ist nach der Verkehrsanschauung nur der Dr. med.; wer im traditionell heilkundlichen Bereich den Doktortitel ohne Fakultätsangabe führt, behauptet damit konkludent die Innehabung der medizinischen Qualifikation.1839 Soweit der Doktorgrad ein solcher der gleichermaßen kompetenten Nachbardisziplin ist, wird dem allfälligen Irrtum jedenfalls die Entscheidungserheblichkeit (allgemein Rn. 238 ff.) fehlen. In der Abgrenzung Arzt – Heilpraktiker ist nach allgemeiner Verkehrsanschauung 869 die „medizinische“ Behandlung dem Arzt vorbehalten.1840 Bei divergentem Bezeichnungsverständnis im deutschsprachigen Raum zählt das hiesige Sprachverständnis.1841
_____ 1838 1839 1840 1841
935
Harte/Henning/Weidert E Rn. 136. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.165. Statt aller: Harte/Henning/Weidert E Rn. 144. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.165.
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
Kasuistik: Der von einem Heilpraktiker gewählte Zusatz „Intern-Medizin“ täuscht eine akademische Ausbildung oder zumindest eine besondere behördliche Genehmigung oder Prüfung vor.1842 Die Bezeichnung „Naturarzt“ für einen Heilpraktiker ist in Deutschland – anders als in der Schweiz – unüblich. Ein in Deutschland ansässiger Verband Freier Heilpraktiker darf deshalb die Bezeichnung „Naturärzte“ nicht im Vereinsnamen führen.1843 870 Der Begriff „Praxis“ wird zumindest von Teilen des relevanten Verkehrs als Hinweis auf den Tätigkeitsbereich eines Arztes/Tierarztes verstanden.1844 Kasuistik: Unzulässig ist die Bezeichnung „Naturheilpraxis für Tiere“ durch einen Tierbehandler, weil unklar bleibt, ob er mit besonderen (tiermedizinischen?) Methoden tätig wird. Erst recht und vor allem gilt dies, wenn der Werbende sich in den Gelben Seiten in die Rubrik „Tierärzte“ eintragen lässt.1845 871 Die Voraussetzungen zur Führung der Bezeichnung „Facharzt für …“ beurteilen sich nach in Umsetzung von § 20 Abs. 1 MBO-Ä von den Ärztekammern erlassenem Satzungsrecht. Die bloße Existenz einer Facharztsparte hindert im entsprechenden Bereich nachhaltig tätige Ärzte freilich nicht, wahrheitsgemäß den einschlägigen Tätigkeitsschwerpunkt herauszustellen. Eine negative Qualifikationsaussage ist dem Nicht-Facharzt nicht zuzumuten.1846 Kasuistik: In der Rubrik „Plastische Chirurgie“ der Gelben Seiten dürfen neben Fachärzten auch Ärzte inserieren, die nicht über eine Facharztqualifikation verfügen.1847 872
(b) Apotheker. Auch die Berechtigung zur Führung der Bezeichnung „Apotheker“ knüpft an die Approbation oder eine besondere behördliche Erlaubnis an (§§ 2, 3 BApO). Irreführend i.S. von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 ist neben der expliziten Bezeichnungsanmaßung auch jede sonstige, die Distinktion zum Apothekerberuf verwischende Anlehnung: Drogisten dürfen keine „Apothekerwaren“ anbieten.
873
(c) Heilpraktiker darf sich nennen, wer eine entsprechende behördliche Erlaubnis besitzt (§ 1 Abs. 3 HeilpraktikerG). Die Erlaubniserteilung ist an gewisse persönliche und sachliche Voraussetzungen geknüpft. Ausbildung und Prüfung sind jedoch nicht staatlich reglementiert. Die Zulassung kann auch auf einzelne Bereiche beschränkt sein, so dass ein „Heilpraktiker für Psychotherapie“ noch nicht suggeriert, dass er auch für andere heilpraktische Anwendungen zur Verfügung steht.1848 Keinen gesetzlichen Schutz gibt es allerdings für die Berufsbezeichnung Tierheilpraktiker, so dass dieser Zusatz nicht per se irreführend ist,1849 allenfalls – je nach Verwendungszusammenhang –irreführend werden kann (s. oben Rn. 870 und unten Rn. 886).
874
(d) Rechtsanwalt, Patentanwalt, Fachanwalt. Nur wer zur Rechts- bzw. Patentanwaltschaft zugelassen ist, darf sich „Rechtsanwalt“ bzw. „Patentanwalt“ nennen (§§ 12
_____
1842 BGH 4.7.1985 – I ZR 147/83 – GRUR 1985, 1064, 1065 = WRP 1985, 698, 699 – Heilpraktikerbezeichnung. 1843 OLG Köln 17.3.2006 – 6 U 160/05 – OLG-Rep. 2006, 577. 1844 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.167. 1845 OLG München 22.2.1996 – 6 U 4751/95 – WRP 1996, 603f. 1846 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.166; Ohly/Sosnitza Rn. 592. 1847 OLG Köln 15.8.2008 – 6 U 20/08 – WRP 2008, 1599 gegen OLG Hamm 3.6.2008 – 14 U 59/08 – WRP 2008, 1597. 1848 OLG Düsseldorf 22.12.2016 – 15 U 39/16 – GRUR-RR 2017, 280 Tz. 22. 1849 BGH 22.4.1999 – I ZR 108/97 – GRUR 2000, 73, 74 – Tierheilpraktiker, OLG Celle 17.7.1996 – 13 U 9/96 – NJW-RR 1996, 1388; a.A. OLG Hamm 29.11.1994 – 4 U 89/94 – NJW-RR 1995, 1070 (Pflicht zum Hinweis darauf, dass es keiner staatlichen Erlaubnis bedürfe).
Lindacher/Peifer
936
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
BRAO, 19 Abs. 2 PatAnwO). Da der Verkehr die Bezeichnungen „Anwalt“ und „Rechtsanwalt“ gleichsetzt, verbieten sich neben der ausdrücklichen Bezeichnungsanmaßung auch alle Zusammensetzungen mit dem Bestandteil „Anwalt“, also Bezeichnungen wie „Industrieanwalt“,1850 sofern nicht aus dem Zusammenhang folgt, dass es nicht um eine rechtsanwaltliche Tätigkeit geht („Anwalt der Armen und Benachteiligten“). Von einem „Attorney for European Trademarks, Designs an Patent“ erwartet der Verkehr Zulassung beim Europäischen Patentamt.1851 Unter einem „Juristen“ versteht der Verkehr bisher einen Volljuristen, keinen Absol- 875 venten des Ersten juristischen Staatsexamens oder gar einen FH-Absolventen: Ein Diplomwirtschaftsjurist (FH) soll seine Dienstleistung daher nicht unter der Bezeichnung „Wirtschaftsjurist“ bzw. „Wirtschaftsjuristenkanzlei“ anbieten dürfen.1852 Mit der Zunahme von mit dem Staatsexamen konkurrierenden Universitätsabschlüssen dürfte dieses Verständnis nicht mehr in Zement gegossen sein. Auch der Begriff „Jurist“ ist ohne gesetzlichen Schutz einem Bedeutungswandel unterworfen. Die Befugnis zur Führung der Bezeichnung „Fachanwalt“ ist berufsrechtlich regle- 876 mentiert. Der Verkehr erwartet die Spezialisierung auf ein bestimmtes Fachgebiet und eine formalisierte Zusatzqualifikation. Eine überörtliche Sozietät darf auf Praxisschildern und Briefkopf mit dem Zusatz „Fachanwälte“ werben, wenn eine den Plural rechtfertigende Zahl von Sozietätsmitgliedern Fachanwälte sind. Dass an jedem Standort ein oder mehrere Fachanwälte tätig sind, ist nicht erforderlich.1853 Die Selbstberühmung „erster Fachanwalt für …“ ist mehrdeutig und deshalb irreführend, auch wenn der fragliche Anwalt der erste war, der in dieser Stadt die entsprechende Zusatzqualifikation erworben hat: die Selbstberühmung kann auch dahin (miss)verstanden werden, der Werbende mache einen qualitativen Vorsprung gegenüber und eine herausragende Befähigung im Vergleich zu anderen Fachanwälten geltend.1854 Mit der Bezeichnung „Fachkanzlei“ verbindet der Verkehr die Vorstellung der Be- 877 rufsausübung durch einen oder mehrere Fachanwälte: Eine Organisation, die gebietsbeschränkt ihre Mitglieder vertritt, kann sich nicht als „Größte Deutsche Fachkanzlei“ bezeichnen. Dies umso mehr, wenn sie keine zugelassenen Rechtsanwälte beschäftigt.1855 Nicht gesetzlich geschützt ist die Bezeichnung „Spezialist“. Wer sich als „Spezialist für“ bezeichnet, muss aber gewährleisten,1856 darlegen und beweisen können, dass er die nötigen überdurchschnittlichen Kenntnisse gegenüber dem Allgemeindienstleister tatsächlich hat. Eine verbleibende Irreführung mit der Bezeichnung „Fachanwalt“ ist hinzunehmen (vgl. auch unten Rn. 902).1857
_____
1850 RG 19.11.1929 – 29 142/29 – HRR 1930, Nr. 323. 1851 OLG Düsseldorf 15.4.2008 – 20 U 122/07 – GRUR-RR 2009, 74. 1852 OLG Hamm 22.2.2007 – 4 U 153/06 – NJW 2007, 2191; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.155. 1853 BGH 29.3.2007 – I ZR 152/04 – GRUR 2007, 807 Tz. 13 = WRP 2007, 955 – Fachanwälte gegen OLG Bremen 2.9.2004 – 2 U 50/04 – OLG-Rep. 2005, 44. 1854 OLG Bremen 11.1.2007 – 2 U 107/06 – GRUR-RR 2007, 209. 1855 LG Koblenz 6.3.2012 – 4 HK O 89/11 – WRP 2012, 1023. 1856 OLG Karlsruhe 13.5.2009 – 6 U 49/08 – GRUR-RR 2009, 431, 432 („Spezialist für Zahnarztrecht“ mit der zweifelhaften Einschätzung, dass die Kenntnisse denen eines Fachanwalts überlegen sein müssen); OLG Nürnberg 20.3.2007 – 3 U 2675/06 – GRUR-RR 2007, 292 („Versicherungsrechtsspezialist“); OLG Stuttgart 24.1.2008 – 2 U 91/07 – WRP 2008, 513 („Spezialist für Mietrecht“). 1857 BVerfG 28.7.2004 – 1 BvR 159/04 – NJW 2004, 2656, 2658 („Spezialist für Verkehrsrecht“); BGH 24.7.2014 – I ZR 53/13 – GRUR 2015, 286 – Spezialist für Familienrecht; zweifelnd Harte/Henning/Dreyer Rn. 125 (für eine Aufklärungspflicht); ebenso Kleine-Cosack NJW 2013, 73, 75; a.A. im Hinblick auf die Konkurrenz zur Fachanwaltsbezeichnung Berlit FS Ahrens (2016) 43, 50.
937
Lindacher/Peifer
§5
878
Irreführende geschäftliche Handlungen
(e) Steuerberater, Wirtschaftsprüfer. „Steuerberater“ sind nur die nach dem StBerG, „Wirtschaftsprüfer“ nur die nach der WPO bestellten Personen und Gesellschaften. Nicht geschützt ist die Bezeichnung „Steuerbüro“. Sie ist auch nicht irreführend, wenn sie von einem Rechtsanwalt verwendet wird, der zum überwiegenden Teil seiner Tätigkeit Hilfeleistungen in Steuersachen erbringt.1858 Kasuistik: Irreführungsträchtig ist die Bezeichnung „Anwalts- und Steuerkanzlei“, wenn der Kanzlei nur Rechtsanwälte, keine Steuerberater angehören. Die Gefahr der Irreleitung wird jedoch dadurch ausgeräumt, dass am Briefkopfrand die Kanzleimitglieder und ihre berufliche Qualifikation aufgelistet sind und dabei mindestens ein Kanzleimitglied als Fachanwalt für Steuerrecht ausgewiesen wird.1859 Irreführend ist die Bezeichnung „Mobiler Buchhaltungsservice“ durch ein Unternehmen, das nicht zu den steuerberatenden Berufen gehört, weil der Verkehr mit dem Angebot eines „Buchhaltungsservices“ die unrichtige Vorstellung verbindet, dass man den Werbenden umfassend mit der Buchführung beauftragen kann.1860 Irreführend kann die blickfangmäßig hervorgehobene Bezeichnung „Wirtschaftsprüfer“ allein für eine Kooperation von Rechtsanwälten mit einem Wirtschaftsprüfer und Steuerberater sein, wenn sie suggeriert, dass die einschlägige Qualifikation mehrfach vorhanden ist.1861 Demgegenüber soll das Angebot einer „Lohnabrechnung zum Festpreis“ nicht suggerieren, dass über diese Abrechnung hinaus noch weitergehende Dienstleistungen angeboten werden.1862
(f) Architekt. Die Berufsbezeichnungen „Architekt“, „Innenarchitekt“, „Garten- und Landschaftsarchitekt“ und „Stadtplaner“ sind nach den jeweiligen Landes-Architektengesetzen geschützt. Sie dürfen nur von in die Architektenliste eingetragenen Einzelpersonen oder Gesellschaften geführt werden. Kasuistik: Einem nicht in die Architektenliste eingetragenen Küchenstudio ist die Bezeichnung „Innenarchitektur“ verwehrt.1863 Gehört der Gesellschaft ein in die Architektenliste eingetragener Architekt an oder 880 beschäftigt die Gesellschaft einen solchen in leitender Position, darf sie firmenmäßig oder sonst mit dem Tätigkeitsbereich „Architektur“ freilich auch dann werben, wenn sie selbst nicht in die Architektenliste eingetragen ist.1864 Einer etwaigen Fehlvorstellung des angesprochenen Verkehrs wäre mit Blick auf das Informationsinteresse der werbenden Gesellschaft die rechtliche Relevanz abzusprechen.1865 Eine Ingenieurgesellschaft, die auch eingetragene Architekten beschäftigt, darf – wahrheitsgemäß – den Firmenzusatz „Beratende Ingenieure und Architekten“ verwenden.1866 879
881
(g) Die Berufsbezeichnung „Ingenieur“ ist durch die Länder-Ingenieurgesetze geschützt. Sie darf führen, wer das Studium an einer technischen oder naturwissenschaftlichen Fachrichtung mit einer Regelstudienzeit von mindestens sechs theoretischen Stu-
_____
1858 BGH 18.10.2012 – I ZR 137/11 – GRUR 2013, 409 Tz 36, 38 – Steuerbüro. 1859 BGH 19.4.2001 – I ZR 46/99 – GRUR 2002, 81, 83 = WRP 2002, 81, 84 –Anwalts- und Steuerkanzlei. 1860 BGH 25.6.2015 – I ZR 145/14 – GRUR 2015, 1019 Tz. 20 – Mobiler Buchhaltungsservice. 1861 BGH 6.11.2013 – I ZR 147/12 – GRUR 2014, 496 Tz. 10 – Kooperation mit Wirtschaftsprüfer. 1862 LG München I 27.3.2018 – 1 HKO 11493/17 – WRP 2018, 747 Tz. 33. 1863 BGH 27.2.1980 – I ZR 411/78 – GRUR 1980, 855 m. Anm. Bürglen. 1864 OLG Düsseldorf 28.11.1995 – 20 U 25/95 – WRP 1996, 564; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.171; Harte/Henning/Weidert E Rn. 132. A.A. freilich noch OLG Hamm 11.4.2002 – 4 U 2/02 – WRP 2002, 1103, 1105. 1865 Zur einschlägigen Interessengewichtung von Verfassung wegen auch BVerfG 2.1.2008 – 1 BvR 1350/04 – GRUR 2008, 806 Tz. 18. 1866 BVerfG 2.1.2008 – 1 BvR 1350/04 – BauR 2004, 1834 (Ls.).
Lindacher/Peifer
938
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
diensemestern an einer wissenschaftlichen Hochschule (Universität, Fachhochschule) oder an einer Berufsakademie im tertiären Bildungsbereich mit Erfolg abgeschlossen hat. Kasuistik: Von einem „Ingenieurbüro“ erwartet der Verkehr, dass in diesem Ingenieure hauptberuflich arbeiten und die zu erbringenden technischen Leistungen auf Ingenieurtätigkeit zurückgehen.1867 „…-Ingenieurgesellschaft mbH“ lässt eine Gesellschaft erwarten, die Ingenieurleistungen erbringt und die dafür erforderliche Qualifikation sicherstellt.1868 Die Ausgabe von Zertifikaten mit dem Titel „State-certified Engineer“ an staatllich geprüfte Techniker erweckt den Eindruck, dass die Qualifikation eines Ingenieurs verschafft wird, was irreführend ist, wenn es nicht geschieht.1869 (h) Sonstige geschützte Bezeichnungen. Als sog. Ausbildungsberufe durch zuge- 882 hörige staatliche Verordnungen anerkannt sind etwa die Berufe „Industriekaufmann/ Industriekauffrau“, „Kaufmann/Kauffrau im Groß- und Einzelhandel“, „Bankkaufmann/ Bankkauffrau“, „Kaufmann/Kauffrau für Versicherungen und Finanzen“, durch das KrankenpflegeG die Berufe „Gesundheits- und Krankenpfleger(in)“ sowie „Gesundheitsund Kinderkrankenpfleger(in)“, durch das MTA-Gesetz der Beruf „Technischer Assistent/Assistentin in der Medizin“. Die Berufsbezeichnungen „Masseur und medizinischer Bademeister“ und „Physio- 883 therapeut“ sind nach dem Masseur- und PhysiotherapeutenG geschützt; die Bezeichnung „Physiotherapeut“ hat dabei die früher übliche Bezeichnung „Krankengymnast“ verdrängt. Werbliche Hinweise eines Masseurs und medizinischen Bademeisters auf „Krankengymnastik“ oder „Physiotherapie“ mögen zwar zumindest bei Teilen des relevanten Verkehrs die (Fehl-)Vorstellung wecken, der Werbende habe (auch) die für den Beruf des Physiotherapeuten vorgeschriebene Ausbildung durchlaufen. Da auch der Masseur und medizinische Bademeister zur Ausübung gewisser krankengymnastischer/physiotherapeutischer Tätigkeiten befugt ist, ist ihm die Berechtigung zur werblichen Herausstellung derselben im Wege der Interessenabwägung indes jedenfalls insoweit zuzusprechen, als er die Irreführungsgefahr durch deutlichen Hinweis auf seinen Beruf gebührend mindert.1870 ee) Gesetzlich nicht geschützte Berufsbezeichnungen. In der Bezeichnung nicht 884 reglementierter Berufe ist der Berufsausübende grundsätzlich frei. Schranken aus dem Irreführungsverbot ergeben sich freilich vor allem in folgenden Konstellationen: bei sprachlicher Anlehnung an eine gesetzlich geschützte Berufsbezeichnung, soweit der Verkehr der Anlehnung einen gewissen Bedeutungstransfer entnimmt, bei Verwendung von Begriffen, die sprachlich auf einen akademischen Beruf, d.h. ein abgeschlossenes Hochschulstudium hinweisen, jedenfalls einen qualifizierten Ausbildungsberuf suggerieren, ferner bei Verwendung von Zusätzen (wie „anerkannt“, „geprüft“), die beim Publikum besondere Qualifikationserwartungen wecken. (1) Bezeichnungskreierung in Anlehnung an geschützte Berufsbezeichnungen. 885 Berufsbezeichnungen, die sich an geschützte Berufsbezeichnungen anlehnen, lösen einzelfallabhängig unterschiedliche assoziative Vorstellungen aus. Geschäftsrelevante Fehlvorstellungen thematisieren § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, bleiben indes gegebenenfalls im
_____ 1867 1868 1869 1870
939
OLG Frankfurt 20.4.1972 – 6 W 136/71 – WRP 1972, 328. OLG Hamm 14.1.1997 – W 525/96 – DB 1997, 1222, 1223. LG Bonn 15.5.2014 – 14 O 86/13 – GRUR-RR 2015, 21. BGH 8.3.1990 – I ZR 239/87 – GRUR 1990, 1032, 1034 = WRP 1990, 688, 690 f. – Krankengymnastik.
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
Wege der Interessenabwägung ohne rechtliche Erheblichkeit: das jeweilige Irreführungsschutzinteresse konkurriert mit dem Interesse des Berufsausübenden an bündiger informativer Kennzeichnung seines Tätigkeitsfelds. 886 Anschauungsmaterial par excellence bieten die Bezeichnungen „Männerarzt“ und „Tierheilpraktiker“, Gegenstand höchst- bzw. obergerichtlicher Beurteilung. Die Bezeichnung „Männerarzt“ beschreibt in ihrer Primärbedeutung ein konkretes ärztliches Tätigkeitsfeld: die Behandlung typischer Männerkrankheiten und –beschwerden. Zumindest Teile des relevanten Verkehrs mögen den „Männerarzt“ in Parallele zum „Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe“ (umgangssprachlich „Frauenarzt“ genannt) sehend, der Bezeichnung darüber hinaus eine Facharztberühmung entnehmen. Die Bezeichnung „Tierheilpraktiker“ signalisiert in ihrer Erstbedeutung die Zugehörigkeit des Werbenden zur Gruppe der Personen, die – ohne Arzt zu sein – bei der Behandlung von Tieren Naturheilverfahren anwenden. Auf dem Umweg über eine gedankliche Parallele zum Humanheilpraktiker mag ein Teil des relevanten Verkehrs darüber hinaus vom Erfordernis einer staatlichen Berufsausübungserlaubnis ausgehen. Der BGH1871 hat die Führung der Bezeichnung „Tierheilpraktiker“ via Interessenabwägung für zulässig erachtet, das OLG Hamm1872 meinte die Führung der Bezeichnung „Männerarzt“ untersagen zu müssen. Das Schrifttum billigt, soweit ersichtlich, beide Entscheidungen.1873 Gebührende Interessengewichtung legt freilich wohl auch im „Männerarzt“-Fall eher ein licet nahe: Der auf entsprechendem Feld Tätige hat ein verständliches und verständiges Interesse an griffiger Information. Die Einführung von Facharztbezeichnungen für bestimmte Gebiete darf nicht mittelbar zur Bezeichnungssperre in angrenzenden Gebieten werden. 887
(2) Auf akademische Berufe bzw. einen qualifizierten Ausbildungsberuf hindeutende Berufsbezeichnungen. Bezeichnungen wie „Psychologe“, „Philologe“, „Theologe“, „Pathologe, „Androloge“, „Sinologe“ weisen sprachlich auf einen akademischen Beruf hin: Der Verkehr erwartet ein abgeschlossenes Hochschulstudium bzw. einen vergleichbaren akademischen Abschluss.1874 Kasuistik: Die Berufsbezeichnungen „prakt. Psychologe“ sowie „Fachexperte für Psychologie“ suggerieren ein erfolgreich abgeschlossenes Psychologiestudium.1875 Die Bezeichnung „Tierpsychologe“ ist ohne abgeschlossenes Studium an einer Universität oder Fachhochschule irreführend.1876
887a
„Podologe“ lässt keine akademische Ausbildung, wohl aber einen qualifizierten Ausbildungsberuf erwarten. Die Werbung mit dem Begriff „medizinische Fußpflege“ ohne eine solche Ausbildung ist irreführend.1877
888
(3) „Anerkannt“/„geprüft“. Wer seine Berufsbezeichnung mit dem Zusatz „anerkannt“ bzw. „geprüft“ schmückt, reklamiert gegenüber Mitbewerbern eine über dem Standard liegende, in ihrem Bestand außer Diskussion gestellte Qualifikation. Der Zusatz
_____
1871 BGH 22.4.1999 – 1 ZR 108/97 – GRUR 2000, 73, 74 = WRP 1999, 1445, 1446 f. – Tierheilpraktiker. 1872 OLG Hamm 24.7.2008 – 4 U 82/08 – GRUR-RR 2008, 434 f. 1873 Zur Heilpraktiker-Entscheidung: Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.167; Harte/Henning/Weidert E Rn. 144; Ohly/Sosnitza Rn. 592. Zur Männerarzt-Entscheidung: Nordemann Rn. 308; Fezer/Büscher/ Obergfell/Peifer Rn. 383; Harte/Henning/Weidert E Rn. 139. 1874 Harte/Henning/Weidert E Rn. 154. 1875 BGH 4.7.1985 – I ZR 147/83 – GRUR 1985, 1064 f. = WRP 1985, 698, 699 – Heilpraktikerbezeichnung sowie OLG Karlsruhe 7.9.2007 – U 24/07 – GRUR- RR 2008, 179, 180. 1876 LG Bochum – 15 O 110/06 – WRP 2007, 358, 359. 1877 OLG Hamm 3.2.2011 – I-4 U 160/10 – WRP 2012, 1576.
Lindacher/Peifer
940
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
führt irre, wenn es an einer Anerkennung oder Prüfung fehlt, von einer attestierten höheren Qualifikation keine Rede sein kann oder die Verkehrserwartung bezüglich der die Anerkennung aussprechenden/das Prüfungstestat verleihenden Stelle enttäuscht wird. Den Hinweis auf eine „Anerkennung“ oder „Prüfung“ versteht der Verkehr mangels einschränkender Klarstellung als Anerkennung durch eine öffentliche Stelle bzw. eine staatliche, jedenfalls staatlich anerkannte Prüfung.1878 Reiches Anschauungsmaterial liefert die Verwendung des Zusatzes „anerkannt“ 889 bzw. „geprüft“ auf dem Gebiet des Sachverständigenwesens (näher hierzu Rn. 891 ff.). Zusatzmissbrauch ist freilich mitnichten auf diesen Bereich beschränkt. Kasuistik: Die Bezeichnung „geprüfter Diamantfachmann“ setzt ein durch staatliche oder staatlich anerkannte Prüfung nachgewiesenes Fachwissen voraus, das den Standard übersteigt. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird die Irreführung durch den Zusatz „GDE“, der auf die Zugehörigkeit zu einem Fachverband hinweist, nicht ausgeräumt, sondern eher noch verstärkt, weil beim Publikum der Eindruck eines besonders exklusiven Titels hervorgerufen werden kann.1879 „Geprüfter Bilanzbuchhalter“ im Zeugnis einer privaten Steuer-Fachschule täuscht eine staatlich anerkannte Prüfung vor, wenn die Bezeichnung drucktechnisch hervorgehoben und auf eine PrüfungsVO Bezug genommen wird.1880 Die Selbstberühmung eines Fußpflegers als „ärztlich geprüft“ führt irre, wenn er sich lediglich einer Ausbildung in einer privaten Schule und einer nach Art, Umfang und Anforderungen nicht näher dargelegten Prüfung durch irgendeinen Arzt unterzogen hat.1881 Der Selbstberühmung als „anerkannt“ bzw. „geprüft“ nahe kommt die Selbstbe- 890 rühmung als „zertifiziert“: Der Verkehr erwartet von einem Rechtsanwalt, der sich als „zertifizierter Testamentsvollstrecker“ bezeichnet, dass er nicht nur über besondere Kenntnisse, sondern auch über praktische Erfahrungen auf dem Gebiet der Testamentsvollstreckung verfügt. Die Verkehrserwartung wird nicht erfüllt, wenn der Anwalt bisher erst zweimal als Testamentsvollstrecker tätig geworden ist.1882 ff) Sachverständiger. Der Oberbegriff des Sachverständigen umfasst sowohl den öf- 891 fentlich bestellten als auch den freien Sachverständigen. Freie Sachverständige sind ihrerseits entweder von privaten Organisationen anerkannte Sachverständige oder aber schlicht „selbsternannte“ Sachverständige. Eine Irreführung des Verkehrs über die Qualifikation des mit der Sachverständigeneigenschaft Werbenden kommt demgemäß auf drei Ebenen in Betracht: bei Setzung des falschen Scheins einer öffentlichen Bestellung, bei Vermittlung des unzutreffenden Eindrucks formalisierter Feststellung gehobenen Fach- und Erfahrungswissens durch eine kompetente, unabhängige und objektive Institution, schließlich bei Enttäuschung der (Mindest-)Erwartungen, die der Verkehr in puncto Fachkenntnis und Erfahrung mit der Bezeichnung „Sachverständiger“ verbindet. Auf jeder Ebene kann es sodann noch zur Täuschung des Verkehrs dadurch kommen, dass die zutreffende bzw. gerechtfertigte Benennung im verwandten Kontext als Kompetenzberühmung (auch) für ein Gebiet verstanden wird, bezüglich dessen dem Werbenden die herausgehobene Stellung eines – anerkannten oder schlichten – Sachverständigen fehlt.
_____
1878 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.177; Harte/Henning/Weidert E Rn. 159. 1879 BGH 23.1.1978 – I ZR 104/76 – GRUR 1978, 368, 369 = WRP 1978, 362, 364 – Gemmologe DGemG. 1880 OLG Köln 27.8.1993 – 6 U 195/92 – WRP 1994, 130. 1881 LG Hannover 24.4.1981 – 24 O 56/81 – WRP 1982, 173f. 1882 BGH 9.6.2011 – I ZR 113/10 – GRUR 2012, 214 Tz. 13 ff. = WRP 2012, 75 – Zertifizierter Testamentsvollstrecker.
941
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
892
(1) Falscher Schein öffentlicher Bestellung. Das höchste Maß an Vertrauen hinsichtlich Fach- und Erfahrungswissen sowie Objektivität bringt der Verkehr typischerweise öffentlich bestellten (und vereidigten) Sachverständigen entgegen. Angaben, die den Schein eines entsprechenden Status vermitteln, weisen deshalb eine hohe Irreführungsqualität auf. Einschlägige Täuschungsversuche begegnen in der Praxis zum Teil in augenfällig893 plumper Form: Ein (freier) Sachverständiger bezeichnet sich als „vereidigter Sachverständiger“, weil er in einem einzelnen Gerichtsverfahren vereidigt worden ist,1883 wirbt – obschon weder eine behördliche noch drittseitige Anerkennung vorliegt – als „anerkannter Sachverständiger“ und siegelt seine Gutachten unter Verwendung einer schwarz-rot-golden gedrehten Schnur,1884 nennt sich „gerichtlich zugelassener Bausachverständiger und Schätzer“, obwohl es eine besondere gerichtliche Zulassung gar nicht gibt.1885 Unter Irreführungsgesichtspunkten unzulässig sind darüber hinaus nach allgemeinen Grundsätzen (s. Rn. 124 ff. und 145 ff.) aber auch mehrdeutige und/oder assoziationsbedingt missverständliche Angaben: Die Bezeichnung „Sachverständiger“ muss jedem (auch dem freien) Sachverständigen freistehen. „Anerkannter Sachverständiger“ darf sich ein nicht öffentlich bestellter Sachverständiger hingegen nur unter gleichzeitigem Hinweis auf die anerkennende Organisation nennen:1886 Ohne einschlägigen Zusatz, der dem Werbenden auch ohne weiteres zumutbar ist, würde ein nicht unerheblicher Teil des angesprochenen Verkehrs auf eine staatliche Anerkennung, d.h. eine öffentliche Bestellung, schließen. Die Bezeichnung „Gerichtssachverständiger“ wird nicht nur als unbedenkliche Tätigkeitsfeldumschreibung, sondern – ohne klärenden Zusatz – schädlicherweise auch als konkludente Berühmung öffentlicher Bestellung verstanden.1887 Ob der verständige Durchschnittsadressat die Verwendung eines Rundstempels als Hinweis auf eine öffentliche Bestellung versteht,1888 erscheint zweifelhaft. Der Umstand, dass die einschlägige Stempelform nicht nur von öffentlichen Sachverständigen, sondern – innerhalb und außerhalb des Sachverständigenwesens – in breitem Maß auch von sonstigen Organisationen und Personen benutzt wird, spricht bei Fehlen einschlägiger Plusfaktoren wohl eher gegen einen einschlägigen allgemeinen Erfahrungssatz. Die Selbstbenennung als „Experte“ lässt wohl noch nicht auf öffentliche Bestellung schließen.1889 Selbst wer öffentlich zum Sachverständigen bestellt ist, kann den Verkehr immer 894 noch über den Umfang seiner Bestellung irreführen: Fehlvorstellungen liegen allemal nahe, wenn der für eine bestimmte Sparte bestellte Sachverständige gebietsübergreifend tätig ist und dabei nur auf seine – gegenständlich nicht näher spezifizierte – Eigenschaft als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger hinweist bzw. eine zu weite
_____
1883 AG Krefeld 16.9.1960 – 2 c Ds 43/60 – BB 1961, 197. 1884 LG Bonn 20.1.1978 – 3 O 281/77 – WRP 1978, 922. 1885 LG Wiesbaden 19.7.1978 – 12 O 46/78 – WRP 1979, 166. 1886 BGH 23.5.1984 – I ZR 140/82 – GRUR 1984, 740 = WRP 1984, 542 – Anerkannter KfzSachverständiger; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 383; Nordemann Rn. 312. 1887 LG München 24.3.1983 – 4 HKO 1580/83 – WRP 1984, 235 f. 1888 Grundsätzlich bejahend (und deshalb für ein Verwendungsverbot nach § 5): OLG München 26.3.1981 – 6 U 4325/80 – WRP 1981, 483; OLG Bamberg 9.12.1981 – 3 U 134/81 – WRP 1982, 158 f.; OLG Düsseldorf 18.2.1988 – 2 U 76/87 – WRP 1988, 278 f.; Ohly/Sosnitza Rn. 591, 595; Nordemann Rn. 312; Bleutge WRP 1979, 777. Grundsätzlich verneinend (und deshalb für Unbedenklichkeit der Rundstempelverwendung): OLG Stuttgart 3.10.1986 – 2 U 105/86 – WRP 1987, 334, 335; OLG Frankfurt 12.2.1987 – 6 U 7/86 – NJW-RR 1988, 103. Auf die konkrete Gestaltung des Rundstempels abstellend: OLG Hamm 11.3.1986 – 4 U 100/85 – NJW-RR 1986, 1370; Harte/Henning/Weidert E Rn. 156. 1889 A.A. LG Hanau 7.3.1967 – 2a O 24/66 – WRP 1968, 238 f.
Lindacher/Peifer
942
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
Gegenstandsbezeichnung wählt.1890 Wenn und soweit Teile des relevanten Verkehrs die Kompetenzabgrenzung zwischen Sachverständigen benachbarter Sparten verkennen, darf ein im Umfeld seines Spezialgebiets tätiger Sachverständiger seinen Status als öffentlich bestellter Sachverständiger darüber hinaus selbst unter zutreffender Spartenbenennung nicht herausstellen.1891 Kasuistik: Wer von der Handwerkskammer zum Sachverständigen für das Kraftfahrzeugmechanikerhandwerk bestellt ist, als freier Sachverständiger aber auch auf dem Gebiet der Kraftfahrzeugbewertung tätig ist, wirbt irreführend, wenn er sich in den Gelben Seiten unter Verwendung der dort üblichen Abkürzungen als „Kfz-Mstr. Vereid. KfzSachverst.“ eintragen lässt.1892 Beim Angebot zur Erstattung von Gutachten und der Erstellung von Gutachten über Kfz-Unfallschäden (also Leistungen, die in den Kompetenzbereich des „Sachverständigen für das Kraftfahrzeugwesen“ fallen) darf er darüber hinaus nicht einmal auf seinen Status als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für das Kraftfahrzeugmechanikerhandwerk hinweisen. Da die Unterscheidung zwischen dem Sachverständigen für das Kraftfahrzeugwesen und dem Sachverständigen für das Kraftfahrzeugmechanikerhandwerk dem Verkehr weithin unbekannt ist, besteht die Gefahr, dass der an sich zutreffende Hinweis auf die Bestellung zum Sachverständigen für das Kraftfahrzeugmechanikerhandwerk als Inanspruchnahme anerkannter Kompetenz auch auf dem Gebiet der Unfallschadensschätzung (miss)verstanden wird.1893 Ein von der Handwerkskammer für das Maurerhandwerk bestellter Sachverständiger darf im geschäftlichen Verkehr nicht die Bezeichnung „Bausachverständiger“ oder „Vereidigter Sachverständiger für die Bewertung von Gebäuden und unbebauten Grundstücken“ führen.1894 Eine vormalige Bestellung darf unter einschränkenden Voraussetzungen werblich 894a herausgestellt werden: Ein Sachverständiger, der fast zwei Jahrzehnte öffentlich bestellt war und in dieser Zeit – zusätzlich zu seiner privatgutachterlichen Tätigkeit – mehr als 260 Gutachten für Behörden und Gerichte erstellt hat, kann auch sieben Monate nach Ablauf seiner öffentlichen Bestellung auf Briefbögen auf die abgelaufene Bestellung hinweisen. Es reicht insoweit aus, dass er auf den Ablauf der Bestellung mit Datenangabe hinweist.1895 (2) Mindestverkehrserwartungen an durch Privatorganisationen anerkannte 895 Sachverständige. Die „Anerkennung“ durch einen Verband oder eine sonstige Stelle versteht der Verkehr als Gütesiegel: Erwartet wird wohl nicht unbedingt den Berufsstandard erheblich übertreffendes,1896 wohl aber fundiertes Fach- und Erfahrungswissen1897 sowie dessen Feststellung durch eine fachkompetente und unabhängige Organisation.1898
_____
1890 OLG Hamm 7.12.1982 – 4 U 178/82 – GRUR 1983, 673; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 383; Harte/Henning/Weidert E Rn. 156; Emmerich § 15 Rn. 70. 1891 BGH 28.6.1984 – I ZR 93/82 – GRUR 1985, 56, 57 = WRP 1984, 684, 635 – Bestellter KfzSachverständiger; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 455. 1892 OLG Hamm 7.12.1982 – 4 U 178/82 – GRUR 1983, 673. 1893 BGH 28.6.1984 – I ZR 93/82 – GRUR 1985, 56, 57 = WRP 1984, 684, 685 – Bestellter KFZSachverständiger. 1894 OLG Karlsruhe 7.9.2007 – 4 U 27/07 – GRUR- RR 2008, 179, 180 bzw. LG Landshut 14.8.1990 – HK O 766/90 – WRP 1991, 676; OLG Stuttgart 27.9.2007 – 2 U 13/07 – WRP 2008, 151, Ohly/Sosnitza Rn. 591. 1895 OLG Köln 1.6.2012 – 6 U 218/11 – WRP 2012, 1449. 1896 So freilich BGH 23.5.1984 – I ZR 140/82 – GRUR 1984, 740 = WRP 1984, 542 – Anerkannter KfzSachverständiger. 1897 GlA hinsichtlich des sachlichen Anforderungsprofils Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 455 sowie Schünemann 143. 1898 Insoweit wohl allg.M.; vgl. etwa BGH 23.5.1984 – I ZR 140/82 – GRUR 1984, 740, 741 = WRP 1984, 542 – Anerkannter Kfz-Sachverständiger; OLG Hamm 17.7.1986 – 4 U 231/84 – NJW-RR 1987, 233.
943
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
896
(3) Mindestverkehrserwartung bei Selbstbezeichnung als „Sachverständiger“. Auch von einem (schlichten) „Sachverständigen“ erwartet der Verkehr uneingeschränkt fundiertes Fach- und Erfahrungswissen: in fachlicher Hinsicht sind keine Abstriche gegenüber dem durch eine (Privat-)Organisation anerkannten Sachverständigen zu machen.1899
897
(4) Fachfremde Instrumentalisierung der Eigenschaft als öffentlich bestellter/ anerkannter Sachverständiger. Die Herausstellung der Eigenschaft als öffentlich bestellter bzw. sonst anerkannter Sachverständiger im Rahmen eigener gewerblicher Betätigung mag als wettbewerbswidrig gegen § 3 verstoßen. Die Vorstellung, der Verkehr nehme irrig an, der Gewerbetreibende sei auch im Geschäftsleben mehr unabhängiger und unparteiischer Gutachter als am Verkauf seiner Produkte interessierter Geschäftsmann,1900 erscheint realitätsfern: Das Verknüpfungsverbot lässt sich nicht auf § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 stützten. gg) Fachmann/Spezialist
(1) Fachmann. Wer den „Fachmann“ herausstellt, versucht sich von Konkurrenten abzuheben. Für die lauterkeitsrechtliche Beurteilung ist wichtig, wem gegenüber die Abgrenzung erfolgt: Der Fachhändler bzw. Fachbetrieb darf sich in Kontrastierung zum sonstigen Handel/zu sonstigen Betrieben so nennen. Der Verkehr versteht die Herausstellung ganz überwiegend in diesem Sinn. Soweit die einschlägige Berühmung nach Branche und/oder Begleitumständen als Behauptung einer Sonderstellung innerhalb der Berufsgruppe zu verstehen ist, muss eine geweckte Erwartung solcher Art eingelöst werden: Der Werbende darf sich nur „Fachmann“ nennen, wenn er über überdurchschnittliche Kenntnisse und Erfahrungen hinsichtlich der angebotenen Waren und ihrer Verwendungsmöglichkeiten bzw. der angebotenen Dienstleistungen verfügt.1901 „Fotofachmann“ lässt beispielsweise mehr erwarten als das Maß an Sachkunde, das nach dem Gesetz Voraussetzung zur Führung des Betriebs eines Fotoeinzelhändlers ist.1902 Wird das Leistungsangebot thematisch hinreichend begrenzt, genügt freilich allemal gediegene Sachkunde auf eben diesem Gebiet: „Farbfotos Stunden-Service vom Fachmann“ lässt nicht mehr und nicht weniger erwarten als prompte Entwicklung von Farbfilmen durch eine bewährte Fachkraft. Die Verkehrserwartung wird nicht enttäuscht, wenn die einschlägigen Arbeiten von einem ausgebildeten Fotolaboranten mit 25-jähriger Berufserfahrung erledigt werden.1903 Verbindet der Verkehr mit der Bezeichnung nach der Art des Leistungsangebots die Vorstellung eines bestimmten Berufs oder Gewerbes, dessen Ausübung eine qualifizierte Ausbildung erfordert, muss der Werbende eben über diese abgeschlossene Ausbildung verfügen.1904 Die Bezeichnung „geprüfter“ Fachmann weist ohne einschränkenden klarstellen899 den Hinweis auf eine staatliche oder staatlich anerkannte Prüfung hin.1905 Ein Zusatz in der Gestalt einer dem Verkehr weithin unbekannten und deshalb unverständlichen
898
_____
1899 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 455. 1900 So KG 11.5.1976 – 5 U 2582/75 – WRP 1977, 403, 405. 1901 Emmerich § 15 Rn. 69; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 383. 1902 OLG München 20.3.1959 – 6 U 2015/58 – GRUR 1960, 38. 1903 OLG München 5.12.1991 – 6 U 2545/91 – WRP 1992, 411 f. 1904 OLG Hamm 22.11.1979 – 4 U 250/79 – WRP 1980, 155, 156. 1905 BGH 23.1.1978 – I ZR 104/76 – GRUR 1978, 368, 369 = WRP 1978, 362, 364 – Gemmologe DGemG; KG 11.5.1976 – 5 U 2582/75 – WRP 1977, 403, 406; Emmerich § 15 Rn. 69; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 383.
Lindacher/Peifer
944
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
Buchstabenfolge (als Abkürzung der die „Anerkennung“ aussprechenden privaten Organisation) räumt die Gefahr des Schlusses auf staatliche oder staatlich anerkannte Zusatzqualifikation nicht ohne weiteres aus.1906 Hat der Werbende tatsächlich erfolgreich an einer staatlichen Anstalt einen Lehrgang mit abschließender Prüfung absolviert und ein Zeugnis erhalten, ausweislich dessen er die Bezeichnung „geprüfter …“ führen darf, darf er freilich in der Regel auf die Zusatzqualifikation auch dann hinweisen, wenn eine Minderheit des relevanten Verkehrs die Anforderungen in puncto Ausbildungsdauer und -inhalte höher veranschlagt.1907 Die tatsächliche Vermutung streitet dafür, dass die Ausbildungsstelle die (Mindest-)Anforderungen für den einschlägigen Befähigungsnachweis richtig ansetzt. Ist die erlangte Qualifikation aber eine objektiv vollwertige Qualifikation, so ist das Interesse dessen, der den einschlägigen Nachweis erworben hat, grundsätzlich höher einzuschätzen als ein Verbotsinteresse in Hinblick auf eine qualitativ und quantitativ geringe Irreführungsgefahr. Wird der Privatheitscharakter der Anerkennung hinreichend verdeutlicht, bleibt 900 immer noch die Möglichkeit der Irreführung über deren Wertigkeit. Der Verkehr hat nicht nur gewisse (Mindest-)Erwartungen in Bezug auf Sachkompetenz und Objektivität der Prüfer, sondern – mit Stufungen je nach Branche und Art des Qualifikationsausweises – auch und vor allem hinsichtlich des sachlichen Anforderungsprofils.1908 Vermag die Prüfung kein sich signifikant vom Regelwissen abhebendes Sonderwissen zu attestieren, besteht richtigerweise auch kein Anlass, die einschlägige Irreführung aus der Erwägung zu tolerieren, dass hierdurch allgemeininteressekonform Anreize zur Wahrnahme von Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen geschaffen würden: Fort- und Weiterbildungsbemühungen und -erfolge sind und bleiben auch ohne werbliche Herausstellung letztlich erfolgsförderlich.1909 Kasuistik: Die Bezeichnung „geprüfter Diamantfachmann“ lässt mehr erwarten als einen vierstufigen „Diamantzyklus“ mit insgesamt fünfzehn Tagen Fortbildungsunterricht plus Teilnahme an einem „Diamant-Korrespondenzkurs“, in dessen Rahmen ca. 300 Fragen zur Diamantkunde schriftlich auszuarbeiten sind.1910 (2) Spezialist. Mit der Bezeichnung „Spezialist“ verbindet der Verkehr den Bran- 901 chendurchschnitt deutlich übersteigende Kenntnisse und Erfahrungen auf dem benannten Gebiet. Sonderwissen und -erfahrung sind Ergebnis der Tätigkeitsausrichtung auf ein bestimmtes Gebiet: Der Sich-Spezialisierende ist auf dem Weg zum Spezialisten. Fehlende Tätigkeitsfokussierung auf das benannte Gebiet weckt zumindest Zweifel an der Sonderkompetenz. Die erwartbare Tiefe des Sonderwissens wird durch das Maß an Spezialisierung (mit)bestimmt. Je enger das benannte Gebiet, desto höher die Erwartung an Wissen und Erfahrung. Besondere Probleme wirft die Selbstberühmung als „Spezialist“ mit Blick auf die 902 Existenz von Facharzt- bzw. Fachanwaltsbezeichnungen im ärztlichen und anwaltlichen Bereich auf. Dass der Verkehr von einem „Spezialisten“ per se ein größeres Maß
_____
1906 BGH 23.1.1978 – I ZR 104/76 – GRUR 1978, 368, 369 = WRP 1978, 362, 364 – Gemmologe DGemG. 1907 OLG Oldenburg 7.11.1985 – 1 U 67/85 – GRUR 1986, 178 f. für die Bezeichnung „staatlich geprüfter Blitzableiterbauer“ auf Grund erfolgreicher Prüfung zum Abschluss eines sechstägigen Lehrgangs an einer staatlichen Landesgewerbeanstalt. 1908 BGH 23.1.1978 – I ZR 104/76 – GRUR 1978, 368, 370 = WRP 1978, 362, 364 – Gemmologe DGemG; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 456. 1909 Treffend BGH 23.1.1978 – I ZR 104/76 – GRUR 1978, 368, 370 = WRP 1978, 362, 364 – Gemmologe DGemG. 1910 BGH 23.1.1978 – I ZR 104/76 – GRUR 1978, 368, 370 = WRP 1978, 362, 364 – Gemmologe DGemG.
945
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
an Wissen und Erfahrung erwartet als von einem Facharzt/Fachanwalt,1911 erscheint wenig plausibel (oben Rn. 877). Richtig und wichtig bleibt freilich die Erkenntnis (s. bereits Rn. 901), dass zunehmende Spezialisierung auf zunehmendes Wissen hoffen lässt: In der Selbstbezeichnung eines Facharztes/Fachanwalts als „Spezialist“ für ein unter dem Dach der Facharzt-/Fachanwaltsbezeichnung stehendes Teilgebiet liegt die konkludente Behauptung, gebietseinschränkend über ein Wissen zu verfügen, das über das Sollwissen eines Facharztes/Fachanwalts hinausgeht. Gleiches gilt für die Selbstberühmung eines Nicht-Facharztes/Nicht-Fachanwalts, wenn das benannte Gebiet von einer Facharzt- bzw. Fachanwaltsbezeichnung mit abgedeckt wird. Bei Deckungsgleichheit der Gebietsbezeichnungen erwartet der Verkehr zwar kaum ein Wissens- und Erfahrungsplus gegenüber dem Facharzt/Fachanwalt. Schwerlich völlig von der Hand zu weisen bleibt freilich die Gefahr, dass Teile des relevanten Verkehrs bei gleichlautender Gebietsbezeichnung „Spezialist“ und „Facharzt/Fachanwalt“ gleichsetzen und in einem zweiten Schritt von einem rechtsförmlichen Qualifikationsnachweis ausgehen. d) Status Schrifttum H.-J. Ahrens Werbung mit IVW-Verbreitungsdaten, AfP 2000, 417; Frey „Lager“ – als Firmenzusatz und Werbeankündigung, WRP 1965, 64; Haberkorn Zur Zulässigkeit des Firmenzusatzes „Fabrik“, WRP 1966, 125; ders. Zur Zulässigkeit des Firmenzusatzes „Haus“, WRP 1966, 165; ders. Zur Zulässigkeit des Firmenzusatzes „Werk“, WRP 1966, 361; ders. Zur Zulässigkeit des Firmenzusatzes „Zentrale“, WRP 1966, 306; ders. Kann die zukünftige Entwicklung des Betriebes bereits als Firmenzusatz berücksichtigt werden?, WRP 1969, 261; v. Olenhusen Das „Institut“ im Wettbewerbs-, Firmen-, Standes-, Namens- und Markenrecht, WRP 1996, 1079; Prunbauer Zur Täuschungsfähigkeit des Begriffs „Markt“, ÖBl 1980, 148; Schulze zur Wiesche Zur Bedeutung des Wortes „Center“ in der Firmenbezeichnung, GRUR 1986, 904; Slopek/Wachsmuth Alter, was geht? Zulässigkeit und Grenzen von Traditionswerbung aus wettbewerbs- und markenrechtlicher Sicht, WRP 2016, 678; Sosnitza Zur Verwendung des Begriffs Kloster im Zusammenhang mit einem Bier, ZLR 2003, 482; Teplitzky Bezeichnung nach 150 Jahren irreführend? – Klosterbrauerei und Kloster Pilsner, LMK 2003, 130; Weyenmeyer Fachgeschäft und Fachhandel als Begriffe des Wettbewerbsrechts, WRP 1982, 443.
903
aa) Begriff und Abgrenzung. Das Begriffsverständnis des Merkmals „Status des Unternehmers“ divergiert beträchtlich. Während Nordemann1912 dem Merkmal – abweichend von der hier praktizierten Zuordnung – die Angaben über akademische Titel und Grade zuweist, sieht Weidert1913 unter dem Merkmal Allein- und Spitzenstellungsberühmungen, Angaben über Unternehmensziele, Unternehmensgröße, Unternehmensalter, die Stellung im Herstellungs- bzw. Vertriebsverfahren sowie über Personal und Mitarbeiter versammelt.
904
Die hier vorgelegte Kommentierung sieht das Merkmal als Codewort für den Standort des Unternehmers/Unternehmens in der Wettbewerbslandschaft, für Angaben zur Bedeutung des Unternehmers im Konkurrentenumfeld. Angaben zum Unternehmensgegenstand, zum Unternehmensziel sowie zur Stellung des Unternehmens im Herstellungs- und Vertriebsprozess werden – ermöglicht durch ein Verständnis der Merk-
_____
1911 So OLG Frankfurt 30.4.2015 – 6 U 3/14 – WRP 2015, 883 – Spezialist im Arbeitsrecht; OLG Nürnberg 20.3.2007 – 3 U 2675/06 – NJW 2007, 1984, 1985; LG Dortmund 29.9.2005 – 18 O 96/05 – NJW-RR 2006, 345, 346. 1912 Nordemann Rn. 303; vgl. auch Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 374. 1913 Harte/Henning/Weidert E Rn. 170 ff.
Lindacher/Peifer
946
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
malsaufzählung in § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 als Beispielskatalog – gesondert erörtert (s. Rn. 1026 ff., 1031 f.). bb) Unternehmenstradition. Langjährige Tradition weist auf besondere Erfahrung, 905 Zuverlässigkeit und dauerhafte Kundenwertschätzung hin, ja vermittelt darüber hinaus ganz allgemein ein positives Unternehmensimage.1914 Irreführender Traditionswerbung eignet deshalb so gut wie durchgängig Marktentscheidungsrelevanz an: nicht nur bei Gütern mit hohem Prestigewert (zu denen etwa neben Sekt1915 wohl durchaus PremiumBier zählen dürfte),1916 sondern beispielsweise auch auf dem Sektor für technische Geräte.1917 Die einschlägige Fehlinformation baut ein unzutreffendes Unternehmensimage auf, das Interessenten auf die eigentliche Marktentscheidung zumindest falsch „einstimmt“. (1) Unternehmenskontinuität. Unternehmensbezogene Alterswerbung ist zuläs- 906 sig, wenn die reklamierte Unternehmenskontinuität bei wirtschaftlicher Betrachtung zu bejahen ist: Ein etwaiger Inhaberwechsel bleibt grundsätzlich unerheblich, bei Rechtsvorgängern aufgelaufene Zeiten können eingerechnet werden.1918 Eine allfällige Änderung der Firmenbezeichnung und/oder Rechtsform ist unschädlich.1919 Die Werbung mit einer (zutreffenden) Namenstradition bleibt irreführend, wenn es gerade keine Firmenkontinuität gibt, sondern der Name älter ist als die Unternehmensgründung selbst, also nur übernommen und weitergeführt wurde.1920 Eine Ausdehnung des Geschäftsbetriebs tangiert die Unternehmensidentität und -kontinuität nicht, wenn und soweit sie Ausdruck einer organischen Entwicklung ist:1921 Aus dem Stammhaus erwachsene Betriebsteile und Zweigniederlassungen nehmen an dessen Tradition teil.1922 Ein seit 1863 bestehendes Juwelier- und Uhrmachergeschäft, das sich nach Inhaberwechsel ein bundesweites Netz von über 40 Filialen angegliedert hat, darf hingegen keine Filialwerbung mit dem Alter des Stammhauses („Christ seit 1863“) betreiben.1923 Zwangspausen durch Kriegs- oder Nachkriegseinwirkungen, Naturkatastrophen oder Unglücksfälle (wie Brand) sind unerheblich,1924 ja selbst willentliche Unterbrechungen schaden nicht, so-
_____
1914 BGH 7.11.2002 – I ZR 276/99 – GRUR 2003, 628, 630 – Klosterbrauerei; OLG München 7.11.2013 – 29 U 1883/13 – GRUR-RR 2014, 300, 301 – Degussa; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.62; Ohly/Sosnitza Rn. 654; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 385. 1915 BGH 31.5.1960 – I ZR 16/59 – GRUR 1960, 563, 565 = WRP 1960, 238, 240 – Sektwerbung; 22.12.1961 – I ZR 16/59 – GRUR 1962, 310 ff. = WRP 1962, 331, 332 – Gründerbildnis. 1916 Gleiche Einschätzung entgegen Zweifeln in BGH 28.1.1957 – I ZR 88/55 – GRUR 1957, 285, 287 = WRP 1957, 173, 175 – Erstes Kulmbacher jetzt auch durch BGH 7.11.2002 – I ZR 276/99 – GRUR 2003, 628, 629 f. = WRP 2003, 747, 750 – Klosterbrauerei. 1917 A.A. – für diesen Bereich tendenziell einschränkend – im Anschluss an BGH 14.4.1961 – I ZR 7/60 – GRUR 1961, 485, 487 – Fleischereimaschinen freilich beispielsweise Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 468. 1918 BGH 11.7.1980 – 1 ZR 105/78 – GRUR 1981, 69, 70 = WRP 1981, 21, 22 f. – Alterswerbung für Filialen; OLG Dresden 9.9.1997 – 14 U 2337/96 – GRUR 1998, 171, 172 f.; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 386; Ohly/Sosnitza Rn. 656. 1919 RG 7.10.1930 – 557/29 II. – JW 1930, 3754, 3755; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.65; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 386; Piper/Ohly/Sosnitza Rn. 648. 1920 OLG München 7.11.2013 – 29 U 1883/13 – GRUR-RR 2014, 300, 302 – Degussa. 1921 RG 21.2.1940 – II 119/39 – GRUR 1940, 358, 365; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.66. 1922 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 467; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.69. 1923 BGH 11.7.1980 – 1 ZR 105/78 – GRUR 1981, 69, 70 = WRP 1981, 21, 2 – Alterswerbung für Filialen. 1924 BGH 24.5.1955 – I ZR 138/53 – GRUR 1956, 212, 215 – Wirtschaftsarchiv; OLG Dresden 9.9.1997 – 14 U 2337/96 – GRUR 1998, 171, 173; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.66; MünchKommUWG/Busche Rn. 576; Ohly/Sosnitza Rn. 656.
947
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
fern sie – gemessen am Gesamtzeitraum – letztlich nicht ins Gewicht fallen:1925 bei Jahrhundertzeiträumen ist ein großzügigerer Maßstab gerechtfertigt als bei bescheidenen Zeitspannen. Zeitnahe Fehlzeiten fallen verstärkt ins Gewicht: Werbung mit der Angabe „seit 80 Jahren“ ist allemal irreführend, wenn der Betrieb zuvor drei Jahre ruhte.1926 Ob sich der neue Inhaber nach Unternehmenserwerb aus der Insolvenzmasse bei zulässiger Firmenfortführung die Zeiten des in Insolvenz Gefallenen zurechnen kann,1927 erscheint zweifelhaft: Das Vertrauen der Marktteilnehmer in die wirtschaftliche Leistungskraft, Zuverlässigkeit und Solidität muss vom Erwerber neu erarbeitet werden. Auf eine bloße Fertigungstradition („Wir … fertigen unsere Geräte seit 1984 …) darf sich der Erwerber bei Übernahme der Stammbelegschaft sowie der Betriebs- und Geschäftsausstattung freilich wohl durchaus berufen.1928 Aus dem Altunternehmen Ausgeschiedene stehen nicht mehr in der Geschäftstra907 dition: Ein aus dem Familienunternehmen ausgetretenes Familienmitglied muss sich bei Neugründung eines branchengleichen Geschäfts jeder Werbung enthalten, die vom Verkehr als unternehmensbezogene Kontinuitätsberühmung (miss)verstanden werden kann.1929 Nachkommen des Unternehmensgründers führen nur fort, wenn und soweit ihnen das Unternehmen letztwillig zugewiesen wurde; wer leer ausgegangen ist, darf für ein neugegründetes branchengleiches Unternehmen nicht mit dem Alter des Stammhauses werben.1930 Allemal unzulässig ist es, wenn ein neu gegründetes Unternehmen sich mit seiner Geschäftsbezeichnung an die Firma eines anderen, zwischenzeitlich gelöschten Unternehmens anlehnt, zu dem keine weiteren Beziehungen bestehen.1931 908
(2) Ausdrucksformen der Alterswerbung. Traditionswerbung kann auf vielfältige Weise betrieben werden: außer durch einschlägige Superlativwerbung (das Älteste,1932 das Erste)1933 sowie durch direkte Altersbenennung („100 Jahre Familienunternehmen“), z.B. durch Verwendung von Jahreszahlen,1934 durch Abbildung eines „Gründerbildnisses“ mit Lebensdaten,1935 durch historisierende Aufmachung,1936 u.U. auch durch die Verwendung althergebrachter, heute ungebräuchlicher Bezeichnungen. Im letzteren Punkt ist freilich Zurückhaltung angebracht. Ungebräuchlichkeit darf nicht vorschnell bejaht werden: das allgemeine Freihaltebedürfnis deckt in Grenzen auch die Reaktivierbarkeit sachinformativer älterer Bezeichnungen.1937 Entgegen des KG1938 erscheint es deshalb beispielsweise durchaus zweifelhaft, dass die Bezeichnung „Porzellanmanufaktur“ den Herstellern qualitativ hochwertigen Porzellans vorbehalten ist, die eine längere, „ge-
_____
1925 OLG München 2.2.1989 – 6 U 2997/84 – GRUR 1989, 620, 621. 1926 LG Koblenz 5.10.2004 – 4 HK O 48/04 – WRP 2005, 133, 135. 1927 So Harte/Henning/Dreyer E Rn. 250; ähnl. OLG Frankfurt 7.9.2015 – 6 U 69/15 – WRP 2015, 1392f. („über 100jährige Firmentradition“ mit Insolvenzunterbrechung). 1928 A.A. LG Arnsberg 21.4.2011 – 8 = 104/10 – WRP 2012, 235. 1929 BGH 20.4.1951 – I ZR 103/50 – GRUR 1951, 412, 413 – Graphia („der Name G. hat im graphischen Gewerbe eine Tradition von mehr als 100 Jahren“). 1930 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.65. 1931 OLG Hamm 13.2.1992 – 4 U 156/91 – GRUR 1992, 566 (Ls.). 1932 S. etwa BGH 28.2.1991 – I ZR 94/89 – GRUR 1991, 680, 681 – Porzellanmanufaktur. 1933 S. etwa BGH 28.1.1957 – I ZR 88/55 – GRUR 1957, 285, 286 f. = WRP 1957, 173, 174 – Erstes Kulmbacher. 1934 S. etwa BGH 31.5.1960 – I ZR 16/59 – GRUR 1960, 563, 565 = WRP 1960, 238, 240 – Sektwerbung. 1935 S. etwa BGH 22.12.1961 – I ZR 152/59 – GRUR 1962, 310 ff. = WRP 1962, 331, 332 – Gründerbildnis. 1936 S. etwa OG Köln 27.6.1979 – 6 U 179/78 – WRP 1979, 751: Kölsch-Werbung mit „Original-Rezept“ auf einer Beschädigungszeichen aufweisenden, auffällig gesiegelten Pergamentrolle. 1937 Zustimmend: Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 387. 1938 KG 3.10.1975 – 5 U 1244/75 – GRUR 1976, 640, 642 f – Porzellan-Manufaktur.
Lindacher/Peifer
948
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
schichtlich bedeutsame“ Tradition vorweisen können. Sollte eine Mindermeinung des relevanten Verkehrs der Bezeichnung tatsächlich eine derartige Traditionsberühmung beimessen, wäre wohl zumindest in eine ergänzende Interessenabwägung (allgemein: Rn. 268 ff.) einzutreten, in deren Rahmen nicht zuletzt die Art der Bezeichnungsverwendung eine Rolle spielen müsste. Weisen Bezeichnungen auf ein früheres König- oder Fürstentum hin, kann auch 909 hierin eine unternehmensbezogene Alterswerbung zu erblicken sein. Entsprechendes gilt u.U. für eine Werbung mit Klosterbezug. Kasuistik: Die Bezeichnung „Königl.-Bayerische Weisse“ für ein Bier legt verschiedene Verkehrsdeutungen (königlicher Besitz der Braustätte, Braustätte als Hoflieferant, königlicherseits verliehene Bezeichnungsbefugnis) nahe, denen gemeinsam ist, dass sie mittelbar eine in die Zeit des Königtums zurückreichende Unternehmenstradition signalisieren.1939 Die Bezeichnungen „Kloster-Pilsener“ und „Klosterbrauerei“ legen die Vorstellung nahe, das beworbene Bier stamme aus einer einem Kloster gehörigen Brauerei oder es bestehe jedenfalls ein unmittelbarer Bezug zu einer klösterlichen Brautradition.1940 Die Orchesterbezeichnung „Königlich Hannoversches Blasorchester“ bzw. „Königlich Hannoversche Blasmusik“ ist zumindest mehrdeutig. Mit der Vorstellung, das Orchester pflege Blasmusik, wie sie schon vor 1866 im Hannoverschen bekannt war, konkurriert die – überschießende – Vorstellung, das Orchester selbst stehe in entsprechender zeitlicher Kontinuität.1941 (3) Alterswerbung in Alleinstellungsform. Das branchenbezogen älteste Unter- 910 nehmen darf sich werblich als solches bezeichnen – auch wenn der zeitliche Vorsprung gering ist:1942 Hinsichtlich einer Spitzenstellung, die dem Werbenden ihrer Natur nach nicht mehr zu nehmen ist, genügt jede geschäftsentscheidungserhebliche Priorität (allgemein: Rn. 193). (4) Unternehmensbezogene Alterswerbung und sonstige Traditionswerbung. 911 Wird der Bezug der Werbung nicht ausdrücklich klargestellt, entscheidet das durch die Gesamtumstände geprägte Verkehrsverständnis des „Durchschnittsverbrauchers“. Tendenziell liegt freilich auch ohne diesbezügliche Klarstellung der Unternehmensbezug nahe.1943 Kasuistik: Der Inhaber eines 1981 gegründeten Juweliergeschäfts erweckt irreführende Vorstellungen über das Alter des Unternehmens, wenn er – gestützt auf den Umstand, dass auch Großvater und Vater Goldschmiedemeister waren – eine „Familientradition seit 1910“ geltend macht. Der Verkehr versteht die Werbung nicht lediglich als Hinweis auf eine – unabhängig von einem Unternehmen bestehende – Familientradition i.S. einer über Generationen ausgeübten handwerklichen Tätigkeit.1944 Der Satz „Four Centuries old Tradition“ auf dem Flaschenetikett eines Maraschino-Likörs weckt die Erwartung einer entsprechenden Unternehmenskontinuität, lässt sich mithin nicht mit
_____
1939 BGH 21.2.1991 – I ZR 106/89 – GRUR 1992, 66, 67f. = WRP 1991, 473, 475 – Königl.- Bayerische Weisse. 1940 BGH 7.11.2002 – I ZR 276/99 – GRUR 2003, 628, 629 f. = WRP 2003, 747, 749 – Klosterbrauerei. 1941 OLG Celle 13.12.1990 – 13 U 196/90 – MDR 1991, 352 f. 1942 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.70. A.A. BGH 28.2.1991 – I ZR 94/89 – GRUR 1991, 680, 681 f. – Porzellanmanufaktur; Ohly/Sosnitza Rn. 655. 1943 OLG Hamburg 12.1.1984 – 3 U 164/83 – GRUR 1984, 290, 291; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.60; Harte/Henning/Dreyer E Rn. 251. 1944 OLG Hamburg 12.1.1984 – 3 U 164/83 – GRUR 1984, 290, 291.
949
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
dem bloßen Hinweis auf eine vierhundertjährige allgemeine Tradition der MaraschinoHerstellung in der Region Zadar rechtfertigen.1945 Werbung mit langjähriger fachlicher Erfahrung von Geschäftsführern und Mitarbei912 tern muss derart ausgestaltet sein, dass sie nicht als unternehmensbezogene Traditionswerbung (miss)verstanden wird. Kasuistik: Bildet das werbende Unternehmen unter der Überschrift „100 Jahre gebündelte Spezialisten-Erfahrung“ acht Personen (Geschäftsführer und Mitarbeiter) ab, entsteht beim verständigen Betrachter nicht der Eindruck, dass das werbende Unternehmen seit einhundert Jahren besteht. Er deutet die Aussage vielmehr dahin, dass die abgebildeten Personen zusammen über eine Erfahrung von einhundert Jahren verfügen.1946 913
(5) Traditionswerbung bei Geschäftszweigänderung. Ohne klarstellenden Zusatz wird eine Alterswerbung vom Verkehr typischerweise als Kontinuitätsberühmung bezogen auf den heutigen Geschäftszweig verstanden.1947 Der Verkehr rechnet zwar, sowohl bei Fabrikations- als auch bei Handelsbetrieben, durchaus mit gewissen Änderungen der Angebotspalette, nicht aber mit einem Branchenwechsel oder aber damit, dass ein Hersteller mit einem speziellen Fertigungsprogramm in seine Alterswerbung auch Zeiten vor Aufnahme derselben einbezieht.1948 Kasuistik: Ein 1794 gegründetes Unternehmen, das 1843 vom Weinbau und -handel zur Sektherstellung übergegangen ist, führt über sein Alter als Sekthersteller (und seinen Alterrang im Verhältnis zur Konkurrenz) irre, wenn es in seiner Werbung das Firmengründungsjahr herausstellt.1949 Wer nach eigenem Bekunden Sekt „spätestens seit 1842, höchstwahrscheinlich aber schon 1832“ herstellt, führt über seine Sektherstellertradition (einschließlich den Altersrang im Verhältnis zu den Mitbewerbern) irre, wenn er mit einem Bildnis des Unternehmensgründers und dessen Lebensdaten „1773 bis 1847“ wirbt; ein nicht unerheblicher Teil des angesprochenen Verkehrs assoziiert mit der Jahresangabe wohl eher eine Aufnahme der Sektproduktion deutlich vor dem oberen Eckwert, möglicherweise sogar zum Ende des 18. Jahrhunderts.1950 Wer in Fachzeitschriften mit Anzeigen wirbt, in denen sich außer der Abbildung einer oder mehrerer Fleischereimaschinen, dem allgemeinen Werbetext und der Firmenbezeichnung noch die Angabe „seit 1842“ findet, führt über die Tradition als Hersteller von Fleischereimaschinen irre, wenn das Jahr 1842 nur das Unternehmensgründungsjahr markiert, mit der Herstellung von Fleischereimaschinen hingegen erst einige Jahrzehnte nach der Unternehmensgründung begonnen wurde.1951 Die Alterswerbung eines Bettenfachgeschäfts (Handel mit Bettwaren und Bettfedernreinigung) ist irreführend, wenn das Ausgangsjahr der entsprechenden Werbung die Gründung einer Dampfwäscherei markiert. Die erforderliche Unternehmenskontinuität wird nicht schon dadurch begründet, dass sich die Dampfwäscherei mit Reinigung irgendwelcher Art (nämlich der Reinigung von Textilien) befasste.1952
_____
1945 BGH 18.9.1981 – I ZR 11/80 – GRUR 1982, 111, 113 = WRP 1982, 214, 217 – Original Maraschino. 1946 BGH 22.10.2009 – I ZR 73/07 – GRUR 2010, 352 Tz. 13 = WRP 2010, 636 – Hier spiegelt sich Erfahrung. 1947 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 467; Götting/Nordemann Rn. 3.36; Paefgen EWiR 1994, 611, 612. 1948 Zurückhaltend in der Bejahung einer schädlichen Geschäftszweigänderung freilich Köhler/ Bornkamm Rn. 5.60 sowie MünchKommUWG/Busche Rn. 574. 1949 BGH 31.5.1960 – I ZR 16/59 – GRUR 1960, 563, 565 = WRP 1960, 238, 240 – Sektwerbung. 1950 BGH 22.12.1961 – I ZR 152/59 – GRUR 1962, 310 ff. = WRP 1962, 331, 332 – Gründerbildnis. 1951 BGH 14.4.1961 – I ZR 7/60 – GRUR 1961, 485, 487 – Fleischereimaschinen. 1952 OLG Hamm 17.1.1989 – 4 U 189/88 – WRP 1989, 740, 741 f.
Lindacher/Peifer
950
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
(6) Unbeachtliche Falschangaben aus Gründen der Besitzstandswahrung. Ist 914 eine unzutreffende Altersangabe seit Jahrzehnten oder gar länger unbeanstandet im Gebrauch, kann sich ein Verbot als unverhältnismäßig darstellen, wenn das Gewicht der Irreführung eher gering ist und sich ein wettbewerblicher Besitzstand auf Seiten des Werbenden gebildet hat (allgemein: Rn. 276 ff.). In Kauf genommen werden auch manche Angaben, die durch das Bezeichnungsrecht, etwa das Recht der geografischen Herkunfts- und Urkundsangaben geschützt werden,1953 weil diese Normen nicht nur auf das Verkehrsverständnis einwirken, sondern dieses Verständnis auch normativ beeinflussen sollen. Es geht hierbei allerdings nicht um einen Vorrang des Kennzeichenrechts, sondern um eine Berücksichtigung kennzeichenrechtlicher Wertungen in einem auch normativ verstandenen Irreführungsbegriff (oben Vor §§ 5, 5a Rn. 154). Kasuistik: Auch wenn davon auszugehen ist, dass der Verbraucher mit „Kloster Pilsener“ und „Klosterbrauerei“ die für seine Kaufentscheidung nicht unbedeutende Vorstellung verbindet, das Bier stamme aus einer zu einem Kloster gehörenden Brauerei oder es bestehe jedenfalls ein unmittelbarer Bezug zu einer klösterlichen Brautradition, ist es mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht zu vereinbaren, die Verwendung einer solchen unzutreffenden Bezeichnung als irreführend zu untersagen, wenn die Bezeichnung seit über 150 Jahren unbeanstandet benutzt wird und der Absatz des so bezeichneten Biers auch heute im Wesentlichen auf das lokale und regionale Verbreitungsgebiet beschränkt ist, für das ein Besitzstand aufgrund unbeanstandeter Verwendung entstanden ist.1954 cc) Bedeutung, Größe, Aktionsradius. Die Möglichkeiten, Bedeutung, Größe und 915 Aktionsradius des Unternehmens hervorzuheben (und damit im Vorfeld der eigentlichen Marktentscheidung für diese relevante „Signale“ zu setzen), sind vielfältig. Entsprechend breit ist das Spektrum potentiell irreführender Angaben. Es erfasst neben (zu) vollmundigen Firmenbezeichnungen (Rn. 916 ff.) alle textlichen und bildlichen werblichen Äußerungen, die das Unternehmen als solches in einem zu günstigen Licht erscheinen lassen (Rn. 961 ff.). Der folgende Katalog hat lediglich Beispielscharakter. Allgemein bleibt anzumerken, dass der Verkehr einschlägige Angaben grundsätzlich ernst nimmt; mitunter eingebürgerter Übertreibung ist nur in „mäßigen Grenzen“ Rechnung zu tragen. Gelegentlich ist es allerdings möglich, die Größenerwartung durch Zusatzmitteilungen im Zusammenhang mit der Bezeichnung zu korrigieren. Wer eine „Kleiderbörse“ bewirbt, der stellt unmittelbar klar, dass er keinen Finanzplatz betreibt (vgl. im Übrigen Rn. 917). (1) Anmaßende Geschäftsbezeichnungen. Anstalt. Die Bezeichnung deutet in Be- 916 reichen potentieller Betätigung der öffentlichen Hand bzw. potentieller Förderung und Kontrolle durch dieselbe auf eine öffentlich-rechtliche bzw. eine unter behördlicher Aufsicht stehende Einrichtung hin (hierzu Rn. 990 ff.). Im Übrigen versteht der Verkehr die Bezeichnung als Bedeutungshinweis: es muss sich um ein größeres Unternehmen handeln.1955 Börse. Die Verwendung der Bezeichnung „Börse“ war Einzelhandelsunternehmen – 917 ebenso wie die Bezeichnung „Markt“, hierzu sogleich Rn. 942 – nach älterer Rechtsprechung durchweg untersagt: der Verkehr verstehe darunter ein regelmäßiges Zusammen-
_____
1953 Hierzu Loschelder GRUR 2016, 339, 341: „Tradition vor Verbraucherschutz“; zur entsprechenden markenrechtlichen Dimension Slopek/Wachsmuth WRP 2016, 678. 1954 BGH 7.11.2002 – I ZR 276/99 – GRUR 2003, 628, 630 f. = WRP 2003, 747, 750 f. – Klosterbrauerei. 1955 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.7; Harte/Henning/Dreyer E Rn. 213.
951
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
treffen einer Vielzahl von Kaufleuten zum Abschluss von Geschäften an einem bestimmten Ort. 1956 Ein einschlägiges Verkehrsverständnis besteht zumindest heute nicht mehr:1957 Soweit es sich nicht um börsengängige oder jedenfalls verwandte Ware handelt, durchschaut das Publikum wohl so gut wie durchgängig den untechnischen Begriffsgebrauch, erwartet freilich wohl eine gewisse Größe und Angebotsvielfalt. Deutsch. Früher wurde überwiegend angenommen, der Firmenbestandteil 918 „Deutsch“ werde vom Verkehr im Allgemeinen dahin verstanden, dass das betreffende Unternehmen bei erheblichem Geschäftsumfang sowohl in seinem eigenen Wirtschaftszweig als auch innerhalb der deutschen Wirtschaft schlechthin eine Sonderstellung einnehme: es müsse sich um ein für die deutsche Wirtschaft beispielhaftes und/oder besonders wichtiges Unternehmen handeln.1958 Nach heutigem Verkehrsverständnis liegen die Anforderungen wesentlich niedriger. Ausreichend, im Allgemeinen aber auch erforderlich ist, dass das entsprechend firmierende Unternehmen nach Ausstattung und Umsatz auf den deutschen Markt als Ganzes zugeschnitten ist.1959 Hiermit verbunden ist dann auch die Behauptung einer überregionalen Bedeutung. Kasuistik: Zulässig: die Bezeichnung „Allgemeine Deutsche Steuerberatungsgesellschaft“ für ein Unternehmen mit beträchtlicher Kapitalausstattung und Niederlassungen im gesamten Bundesgebiet, zumal wenn das Unternehmen bundesweit die größte reine Steuerberatungsgesellschaft.1960 Unzulässig: die Firmierung „DEAG Deutsche Ausstellungsgesellschaft mbH“ für einen Ausstellungsveranstalter allenfalls regionaler Bedeutung;1961 die Verwendung der Bezeichnung „Deutsches Verkehrspädagogisches Institut“ für einen Fahrschulbetrieb ohne überregionalen Charakter, mag das Unternehmen mit seiner Betätigung auf anderen Gebieten der Verkehrserziehung auch durchaus eine gewisse überregionale Bedeutung erlangt haben; 1962 die Bezeichnungsführung „Anwältinnenverein Norddeutschland“ für einen Anwältinnen-Suchservice, wenn allenfalls 200 Anwältinnen zur Vermittlung stehen;1963 nach OLG München1964 auch die Verwendung der Bezeichnung „Deutsche Kreditkarte“, weil der Verkehr nach Größe, Ausstattung und Umsatz für den Inlandsmarkt Vorrang gegenüber der Konkurrenz, zumindest aber Gleichrang mit den bisherigen Marktführern (American Express, Eurocard) erwarte – Anforderungen, die freilich deutlich strenger sind als das Erfordernis eines Unternehmenszuschnitts auf den deutschen Markt als Ganzen. Zuschnitt auf den deutschen Markt als Ganzes bedeutet je nach dem beworbenen 919 Produkt möglicherweise auch und gerade großräumige ausgewogene Streuung. Kasuistik: Der Titel „Deutscher Auto-Anzeiger“ für ein Kraftfahrzeug-Anzeigenmagazin führt irre, wenn die Anzeigen weitaus überwiegend aus einer bestimmten Region (in casu: dem Raum Hamburg, Schleswig-Holstein) stammen, das Anzeigenblatt demgemäß auch ganz überwiegend in dieser Region vertrieben wird, andere Regionen (in
_____
1956 OLG Frankfurt 21.6.1966 – X III W 59/66 – BB 1966, 1245 – Auto-Börse GmbH; OLG Zweibrücken 24.2.1967 – 3 W 26/67 – BB 1968, 311 – Schmuckbörse. 1957 Zutreffend: OLG Düsseldorf 18.8.1983 – 2 U 84/83 – GRUR 1984, 880; Gloy/Loschelder/Erdmann/ Helm § 59 Rn. 453; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.10. 1958 In diesem Sinn zuletzt etwa noch BayObLG 9.9.1958 – BReg. 2 Z 116/58 – NJW 1959, 47. 1959 BGH 13.11.1981 – I ZR 2/80 – GRUR 1982, 239, 240 = WRP 1982, 319, 320 – Allgemeine Deutsche Steuerberatungsgesellschaft; OLG Düsseldorf 17.10.1991 – 2 U 54/91 – GRUR 1992, 187; Gloy/Loschelder/ Erdmann/Helm § 59 Rn. 442; Ohly/Sosnitza Rn. 610. 1960 BGH 13.11.1981 – I ZR 2/80 – GRUR 1982, 239, 240 = WRP 1982, 319, 320 – Allgemeine Deutsche Steuerberatungsgesellschaft. 1961 OLG Düsseldorf 17.10.1991 – 2 U 54/91 – GRUR 1992, 187. 1962 OLG Stuttgart 7.2.1986 – 2 U 123/85 – WRP 1986, 628. 1963 LG Hamburg 17.1.1991 – 312 O 502/90 – NJW 1991, 2296 f. 1964 OLG München 13.7.1989 – 29 U 6324/88 – NJW-RR 1990, 300.
Lindacher/Peifer
952
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
casu vor allem der süddeutsche Raum) gemessen an der Gesamtbevölkerungszahl in exorbitanter Weise unterrepräsentiert sind.1965 Zweifelhaft ist, inwieweit bei der Beurteilung des „Größenzuschnitts“ auch Ent- 920 wicklungserwartungen berücksichtigungsfähig sind. Richtig ist insoweit, dass es nicht einfach auf die erstrebte Unternehmensgröße, sondern auf die gegenwärtigen Verhältnisse ankommt, wobei zu letzteren freilich auch objektive Umstände zählen, die ein baldiges Hineinwachsen in die erforderliche Größendimension mit Wahrscheinlichkeit erwarten lassen.1966 Kasuistik: Der Umstand, dass als Gesellschafterinnen Spitzenorganisationen des Deutschen Einzelhandels und des Deutschen Hotel- und Gaststättengewerbes figurierten, hätte bei Anlegung des neueren Maßstabs für die Verwendung der Bezeichnung „Deutsch“ (hierzu Rn. 918) wohl durchaus eine positive Prognose gerechtfertigt.1967 Allemal zulässig ist der Firmenzusatz „Deutsch“, wenn damit – für die beteiligten 921 Verkehrskreise objektiv erkennbar – verdeutlicht wird, dass es sich um die deutsche Tochtergesellschaft einer ausländischen Firmengruppe handelt.1968 Häufig geht es hier um Unternehmen, die für sich eine gewisse Bedeutung mit dem Zuschnitt auf den gesamten deutschen Markt haben, also bereits nach allgemeinen Grundsätzen (Rn. 918) zur entsprechenden Firmierung berechtigt wären (Beispiel: Deutsche Shell AG, Deutsche Fiat AG). Nötig ist das jedoch nicht: Die Klarstellung, dass es sich um die rechtlich selbständige Tochter der ausländischen Mutter handelt, durch den Zusatz „Deutsch“ muss generell erlaubt sein. Soweit Verkehrsteile die Bedeutung des Zusatzes missverstehen sollten, wäre die einschlägige Irreführung aus Interessenabwägungsgründen (allgemein: Rn. 282 ff.) hinzunehmen. Europäisch/Euro. Auf Europa verweisende Firmenzusätze vermitteln in aller Regel 922 nicht nur die Erwartung grenzübergreifender Geschäftsbeziehungen, sondern auch die Vorstellung einer der Weite des Markts entsprechenden „gehobenen“ Unternehmensgröße.1969 Kasuistik: Ein Importeur, der im Wesentlichen lose Ware aus Frankreich und England importiert, um sie unter eigenen Marken preisgünstig in den Verkehr zu bringen, bzw. den Inlandsvertrieb sog. Zweitmarken übernimmt, darf nicht als „Euro-Spirituosen GmbH“ firmieren. Der Verkehr erwartet bei solcher Geschäftsbezeichnung ein reichhaltiges Warensortiment aus verschiedenen europäischen Ländern, das auch bekannte Marken enthält.1970 Wer unter der gleichnamigen Marke im Wesentlichen lediglich Langlaufskier und einschlägiges Zubehör in Deutschland und der Schweiz vertreibt, darf nicht unter der Bezeichnung „Euro-Sport“ auftreten.1971 Wird für Haartransplantationen unter der Bezeichnung „Euro Clinic“ geworben, darf der Verkehr mehr erwarten als eine Praxis in einer Erdgeschosswohnung sowie Durchführung der Transplantationen durch einen jungen rumänischen Arzt ohne Spezialausbildung und -erfahrung.1972 Ein privater Verein nach dem Recht des US-Bundesstaates Delaware, der seinen – überwiegend in den USA
_____
1965 OLG Hamburg 30.3.1989 – 3 U 231/88 – WRP 1990, 121 f. 1966 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.109. 1967 Auch aus diesem Grunde nicht unbedenklich OLG München 13.7.1989 – 29 U 6324/88 – NJW-RR 1990, 300, 301 – Deutsche Kreditkarte. 1968 Statt aller: Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.111; MünchKommUWG/Busche Rn. 584. 1969 BGH 29.10.1969 – I ZR 63/68 – GRUR 1970, 461, 463 = WRP 1970, 254, 255 – Euro-Spirituosen; 30.9.1993 – I ZB 16/91 – GRUR 1994, 120, 121 – Euro-Consult; Ohly/Sosnitza Rn. 611. 1970 BGH 29.10.1969 – I ZR 63/68 – GRUR 1970, 461, 463 = WRP 1970, 254, 256 – Euro-Spirituosen. 1971 BGH 2.12.1977 – I ZR 143/75 – GRUR 1978, 251, 252 = WRP 1978, 209, 210 – Euro-Sport. 1972 OLG Stuttgart 25.1.1991 – 2 U 126/90 – WRP 1991, 525, 526.
953
Lindacher/Peifer
§5
923
924 925
926
927
Irreführende geschäftliche Handlungen
ansässigen – Mitgliedern EG-marktbezogene Geschäftsinformationen vermittelt, darf nicht unter der Bezeichnung „European Chamber of Commerce Society“ und/oder „Europäische Handelskammer Gesellschaft“ werben. Abgesehen davon, dass ein tatsächlich nicht gegebener Zusammenschluss verschiedener Unternehmen oder gar nationaler Handelskammern auf kooperativer Basis mit öffentlich-rechtlichen Funktionen vorgetäuscht wird (hierzu Rn. 990 ff.), ist die Bezeichnungsführung auch insofern irreführend, als hierdurch der nach Faktenlage nicht gerechtfertigte Eindruck erweckt wird, es handele sich um eine Organisation mit EG-Marktbedeutung.1973 Ein durch entsprechende Firmenzusätze in Anspruch genommener europäischer Zuschnitt muss gegenwärtig vorhanden sein, zumindest aber – aufgrund objektiver Umstände – für die nähere Zukunft erwartbar sein.1974 Schlichte Zukunftspläne genügen nicht. Ob die Bezeichnung „Kontinent“ – wie früher angenommen1975 – auch heute noch auf einen europäischen Zuschnitt des Unternehmens hinweist,1976 erscheint fraglich.1977 Fabrik. Die einschlägige Bezeichnungsverwendung lässt industrielle Fertigung oder Veredelung erwarten. Charakteristisch sind arbeitsteilige Organisation, ein größerer Maschinenpark und entsprechende Betriebsanlagen.1978 Hinsichtlich des Mindestgrößenerfordernisses sind Schwankungen je nach Branchenzugehörigkeit möglich.1979 Im Übrigen entscheidet die Gesamtbetrachtung: ein geringerer Einsatz des Faktors Arbeit kann durch einen verstärkten Einsatz des sachlichen Produktionsfaktors ausgeglichen werden und umgekehrt.1980 „Fabrikation“ bedeutet demgegenüber nicht mehr als Herstellung; die einschlägige Bezeichnung steht auch kleineren Gewerbetreibenden offen.1981 Ein „Factory Outlet“ ist zwar keine Fabrikationsstätte, wohl aber die Verkaufsstelle einer Fabrik, nicht hingegen die eines Einzelhändlers.1982 Fachbetrieb. Die Kennzeichnung eines Betriebs als „Fachbetrieb“ lässt auf handwerklichem Sektor auf das Vorhandensein eines Meisters schließen. Der werbende Hinweis auf die Zugehörigkeit zu einem Fachverband lässt das Publikum annehmen, das werbende Unternehmen sei selbst Fachbetrieb.1983 Fachgeschäft, Fachabteilung, Fachbezeichnungen. Unter einem „Fachgeschäft“ versteht der Verkehr nicht bereits jeden Betrieb, der sich auf den Vertrieb bestimmter Warengruppen spezialisiert hat. Erwartbar sind vielmehr: ein nach Qualitäten und Preislagen gefächertes Angebot, Beratungs- und Servicekompetenz,1984 je nach Branche1985 zudem gegebenenfalls eine angemessene Warenpräsentation. Ob die Selbstberühmung „qualifizierter Fachhandel“ die einschlägigen Erwartungen steigert,1986 erscheint eher zweifelhaft. An den Begriff „Fachmarkt“ sind gleichartige Anforderungen zu stellen wie
_____
1973 OLG Hamm 5.2.1991 – 4 U 217/90 – WRP 1991, 497, 498. 1974 Harte/Henning/Dreyer E Rn. 221. 1975 S. etwa BGH 6.4.1979 – I ZR 35/77 – GRUR 1979, 716, 718 = WRP 1979, 639, 641 – Kontinent-Möbel. 1976 So beispielsweise Nordemann Rn. 330. 1977 Deutliche Vorbehalte auch bei Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.119. 1978 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 435; Harte/Henning/Dreyer E Rn. 223. 1979 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 435. 1980 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 435. 1981 Harte/Henning/Dreyer E Rn. 223. 1982 BGH 24.9.2013 – I ZR 89/12 – GRUR 2013, 1254 Tz. 16 – Matratzen Factory Outlet. 1983 OLG Frankfurt 25.11.1965 – 6 U 49/65 – BB 1966, 262. 1984 OLG Koblenz 11.6.1981 – 6 U 721/80 – WRP 1982, 45, 46; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 393; Ohly/Sosnitza Rn. 613; Weyenmeyer WRP 1982, 443 f. 1985 Zutreffende Betonung des Branchenbezugs: Weyenmeyer WRP 1982, 443, 444. 1986 So OLG Frankfurt 11.9.1980 – 6 U 62/80 – BB 1981, 11.
Lindacher/Peifer
954
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
an die Bezeichnung „Fachgeschäft“.1987 Auch die „Fachabteilungen“-Werbung von Warenhäusern weckt Erwartungen, die den durch die Fachhandelswerbung i.e.S. ausgelösten zumindest nahekommen.1988 Bezeichnungen wie „Möbel-Meier“, „Elektro-Schmidt“ und dgl. weisen auf ein Fachgeschäft hin, signalisieren mithin die für den Fachhandel charakteristische Sortimentsbreite und -tiefe, Beratungs- und Servicekompetenz.1989 Fachkrankenhaus. Die Bezeichnung „Fachkrankenhaus für …“ lässt Spezialkenntnisse auf dem benannten Gebiet erwarten, die über eine Sachkunde hinausgehen, die lediglich aus der Beschränkung auf bestimmte Krankheiten und Behandlungsarten resultiert.1990 Geografische Zusätze: Orts- und Gebietshinweise. Eine Unternehmensbezeichnung, die auf einen bestimmten Ort oder ein bestimmtes Gebiet hinweist, kann beim angesprochenen Verkehr kontextbedingt unterschiedliche Vorstellungen hervorrufen. Je nach Branche und Art der Angabe versteht der Verkehr die Orts- bzw. Gebietsbezeichnung als Hinweis auf den Sitz oder das Tätigkeitsgebiet des Unternehmens oder auf eine gewisse Filialpräsenz, unter Umständen auch als Alleinstellungsberühmung (s. zu allem bereits Rn. 216 ff.), jedenfalls aber als Inanspruchnahme einer herausgehobenen Stellung.1991 Kasuistik: Die Firma „W&P Düsseldorfer Revisions- und Beratungsgesellschaft mbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Steuerberatungsgesellschaft“ lässt erwarten, dass der Gesellschaft in der Region eine nach Geschäftstätigkeitsumfang sowie Zahl der zu verantwortlicher Beratung auf den verschiedenen Gebieten zur Verfügung stehenden Personen maßgebliche Bedeutung zukommt.1992 Auch im Bereich von geografischen Bezeichnungen hat der Rechtsanwender freilich Bedacht darauf zu nehmen, nicht unter der Flagge der Irreführungsgefahrbekämpfung vorschnell selbst harmlose Wortverbindungen zu untersagen: „Schwabenhaus“ lässt nicht notwendigerweise auf eine führende Stellung im Immobiliengeschäft im württembergischen Raum schließen.1993 Hallen. Der Begriff „Halle“ kennzeichnet im gewerblichen Bereich (Fabrikhalle, Möbelhalle) typischerweise ein Großraumgebäude. Die Pluralform „Hallen“ lässt dem Wortsinn nach mindestens zwei Gebäude mit je einem großflächigen Raum erwarten. Die Geschäftsbezeichnung „Möbelhallen“ für ein Möbelhandelsunternehmen mit Ausstellungsräumen in einem mehrstöckigen Haus führt jedoch nicht in entscheidungsrelevanter Weise (s. Rn. 238 ff.) irre, wenn dort ebenso viele Möbel ebenso günstig und übersichtlich ausgestellt werden können wie in zwei Möbelhallen.1994 Haus. Die Angabe „Haus“ hat im Zeitablauf einen gewissen Bedeutungswandel erfahren. Während man der Bezeichnung früher weithin die Berühmung einer Größensonderstellung entnahm,1995 sind die einschlägigen Verkehrserwartungen heute deutlich
_____
1987 LG Köln 13.1.1987 – 31 O 39/84 – WRP 1989, 212 ff.; Götting/Nordemann Rn. 3.57; Weyenmeyer WRP 1982, 443, 445. 1988 BGH 10.2.1982 – I ZR 65/80 – GRUR 1982, 491, 493 = WRP 1982, 409, 410 – Möbelhaus; Fezer/ Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 393. 1989 Schünemann 142. 1990 BGH 15.6.1988 – I ZR 51/87 – GRUR 1988, 841, 842 = WRP 1988, 730 – Fachkrankenhaus. 1991 Zutreffende Betonung der Maßgeblichkeit der Einzelfallumstände: Gloy/Loschelder/Erdmann/ Helm § 59 Rn. 441; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.106. 1992 OLG Düsseldorf 13.9.1979 – 2 U 32/79 – GRUR 1980, 315, 316. 1993 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 441. 1994 OLG Stuttgart 28.3.1983 – 2 U 115/82 – WRP 1983, 447. 1995 S. noch OLG Hamm 29.6.1954 – 15 W 267/54 – BB 1954, 784.
955
Lindacher/Peifer
928
929
930
931
932
933
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
niedriger anzusetzen: „Haus“ mag zwar nach wie vor eine gewisse Mindestbreite und tiefe des Sortiments, fachkundiges Personal und eine dem Geschäftsgegenstand angemessene Ausstattung, wo Besichtigung des Angebots üblich ist, zudem eine hinreichende Ausstellungsfläche erwarten lassen.1996 Zu einem mittelbaren Indikator für (relative) Geschäftsgröße wird die Bezeichnung aber nur unter bestimmten geschäftsgegenstandsspezifischen Kautelen: wenn das Angebot Waren verschiedener Branchen umfasst (Paradigma: Warenhaus) oder das Angebot seiner Art nach einen hohen Raumbedarf induziert (wie dies etwa bei Möbelhäusern der Fall ist). Im Übrigen schwankt die Verkehrsanschauung innerhalb gewisser Bandbreiten nach den örtlichen Gegebenheiten: von einem „Kaufhaus“ in einer Großstadt erwartet der Verkehr mehr als von einem Einzelhandelsgeschäft gleicher Bezeichnung mit kleinstädtischem Umfeld. Kasuistik: „Möbelhaus“ lässt Sortimentsbreite, große Verkaufsfläche und aus dem Umsatz ableitbare Größe erwarten. Dass „Haus“ auf mehr als ein „Etagengeschäft“ hindeutet, darf freilich nicht dahin missverstanden werden, dass der Verkehr ausnahmslos Gesamtnutzung der Ladenfläche eines Gebäudes erwartet. Den (hohen) Anforderungen an die Verkaufs- und Ausstellungsfläche eines „Möbelhauses“ kann in Hochhäusern und City-Centern mit ausgesprochenen Großetagen auch durch Konzentrierung des Geschäftsbetriebs auf eine Etage Genüge getan werden.1997 Zu Erwartungen bestimmter (gehobener) Qualität berechtigt der Firmenbestandteil 934 „…haus“ im Allgemeinen nicht.1998 Abweichendes mag möglicherweise bei Voranstellung des Wortes „Haus“ („Haus der Einrichtung“ statt „Einrichtungshaus“ oder dgl.) gelten. Vor allem im Dienstleistungssektor sollte nicht vorschnell auf eine institutionalisierte Kooperation geschlossen werden: „Das Haus der Rechtsanwälte“ mag bei Teilen des relevanten Verkehrs durchaus die Vorstellung wecken, dass die in dem so bezeichneten Gebäude ansässigen Kanzleien in bestimmter Weise kooperieren, etwa in der Form, dass bei komplexen, mehrere Rechtsgebiete umfassenden Rechtsfragen mehrere spezialisierte Rechtsanwälte aus den unterschiedlichen Kanzleien zusammenarbeiten.1999 Die Bezeichnung „Ärztehaus“ verlautbart hingegen schwerlich einen Zusammenschluss zu einer Gemeinschaftspraxis.2000 Industrie. Die Anforderungen an eine zulässige einschlägige Bezeichnungsverwendung sind höher als für den Begriff „Fabrik“ (hierzu Rn. 925): der Firmenbestandteil „…industrie“ suggeriert einen Herstellungsbetrieb von erheblicher Größe.2001 Inter-/international. Welche Vorstellungen der Firmenbestandteil „International“ 936 bzw. die entsprechende Abkürzung „Inter“ vermittelt, hängt weitgehend von der Branche ab. Im Allgemeinen erwartet der Verkehr neben einer gewissen Unternehmensgröße in Geschäftszweigen, in denen dies möglich ist, eine irgend geartete grenzüberschreitende Aktivität nennenswerten Umfangs.2002 Kasuistik: Die Bezeichnung „Interbau“ lässt mehr erwarten als eine – bescheidene – Baubetreuungs-, Bau- und Grundstücksverkaufstätigkeit in der weiteren Umgebung von 935
_____
1996 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.26 Ohly/Sosnitza Rn. 619. 1997 BGH 10.2.1982 – I ZR 65/80 – GRUR 1982, 491, 492 = WRP 1982, 409, 410 – Möbelhaus. 1998 BGH 10.2.1982 – I ZR 65/80 – GRUR 1982, 491, 492 = WRP 1982, 409, 410 – Möbelhaus. 1999 So LG Osnabrück 22.12.2010 – 1 O 2937/10 – GRUR-RR 2011, 222. 2000 MünchKommUWG/Busche Rn. 628; Harte/Henning/Dreyer E Rn. 228. A.A – die Gegenansicht zumindest für möglich erachtend – BGH 17.12.1987 – I ZR 206/85 – GRUR 1988, 458 f. = WRP 1988, 442 f. – Ärztehaus. 2001 OLG Köln 7.9.1977 – 2 Wx 9/77 – BB 1977, 1671. 2002 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 391; Harte/Henning/Dreyer E Rn. 229; Nordemann Rn. 330.
Lindacher/Peifer
956
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
Reutlingen.2003 Einem Autoglasbetrieb ist es verwehrt, in seiner Firma den Zusatz „international“ zu führen, wenn sich seine Tätigkeit ausschließlich auf das Gebiet der Bundesrepublik beschränkt. Der Verbraucher bezieht den Zusatz weder auf die Herkunft der eingebauten Produkte noch auf Sprachkenntnisse der Mitarbeiter.2004 Klinik/Klinikum. Für eine „Klinik“ ist eine gewisse personelle und apparative Mindestausstattung erforderlich.2005 Im Übrigen weist die Bezeichnung zwar auf stationäre Behandlung hin.2006 Die Zahl der stationären Behandlungsfälle muss die der ambulanten indes nicht zwingend übersteigen.2007 Sog. Belegärzte dürfen ihre Praxis nicht „Klinik“ nennen.2008 Wer sich „Praxisklinik“ nennt, signalisiert zwar durch das vorangestellte Nomen, dass er keine übliche stationäre Behandlungseinrichtung betreibt, signalisiert aber gleichwohl, dass er auf stationäre Behandlungen vorbereitet und dafür auch ausgerüstet ist.2009 Von einem „Klinikum“ erwartet der Verkehr (noch) mehr als von einer „Klinik“.2010 Die Bezeichnung ist deshalb irreführend für eine Heileinrichtung für Enddarm-Erkrankungen, wenn nicht auch Randgebiete und Hilfswissenschaften der Proktologie umfassend vertreten sind und die Einrichtung auch der Größe nach den Rahmen einer „normalen“ Klinik nicht überschreitet.2011 Lager. Die Bezeichnung „Lager“ lässt im Allgemeinen einen ständig, jedenfalls auf längere Zeit gehaltenen besonders umfangreichen Warenvorrat erwarten.2012 Die einschlägige Bezeichnung ist zwar richtigerweise nicht ausschließlich Herstellern oder Großhändlern vorbehalten, kann vielmehr auch von Einzelhändlern geführt werden,2013 bei denen der Verkehr dann auch nur besondere Vorratsreichhaltigkeit gemessen an der Vorratspraxis des Einzelhandels erwartet. Erforderlich ist freilich die Offenkundigkeit der Einzelhändlerfunktion. „Zentrallager“ deutet auf Großhandel hin; die Bezeichnung „Verkaufslager“ ist demgegenüber grundsätzlich handelsfunktionsneutral.2014 Die Verwendung von Termini wie „Fabriklager“, Fabrikauslieferungslager“, „Auslieferungslager“ und „Spezialauslieferungslager“ in der Endverbraucherwerbung deutet auf enge Beziehungen zum Hersteller (und auf dementsprechend günstige Preise) hin.2015 Dass bereits die Bezeichnung „Lager“ per se ein preisgünstiges Angebot erwarten lässt,2016 erscheint wenig naheliegend.2017
_____
2003 OLG Stuttgart 28.11.1968 – 2 W 32/68 – GRUR 1970, 36, 37. 2004 OLG Dresden 4.5.2010 – 14 U 46/10 – WRP 2010, 1285. 2005 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.33; Ohly/Sosnitza Rn. 621. 2006 OLG Hamm 27.2.2018 – 4 U 161/17 – WRP 2018, 732 Tz. 26 („Praxisklinik“); Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.33; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 393; Nordemann Rn. 331. 2007 BGH 7.6.1996 – I ZR 103/94 – GRUR 1996, 802, 803 f. = WRP 1996, 1032, 1033 – Klinik; OLG Düsseldorf 9.9.2008 – I-20 U 168/07 WRP 2009, 104. 2008 BGH 29.3.1990 – I ZR 76/88 – GRUR 1990, 606, 607 = WRP 1990, 750, 751 – Belegkrankenhaus. 2009 OLG Hamm 27.2.2018 – 4 U 161/17 – WRP 2018, 732 Tz. 29; ähnlich OLG München 11.3.1999 – 6 U 2075/98 – GRUR 2000, 91 f. („Tagesklinik“). 2010 MünchKommUWG/Busche Rn. 642; Ohly/Sosnitza Rn. 621. 2011 OLG Frankfurt 19.6.1974 – 6 W 34/74 – WRP 1974, 495. 2012 RG 19.10.1937 – II B 9/37 – GRUR 1938, 624, 627 – Hamburger Kaffeelager; Nordemann Rn. 332; Piper/Ohly/Sosnitza Rn. 617. 2013 OLG Hamburg 7.12.1967 – 3 U 101/67 – WRP 1968, 119; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 451. 2014 BGH 28.9.1973 – I ZR 80/72 – GRUR 1974, 225, 226 = WRP 1974, 27, 28 f. – Lager-Hinweiswerbung. 2015 BGH aaO. 2016 So Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 451. 2017 Wie hier Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.35.
957
Lindacher/Peifer
937
938
939
940
§5
941
942
943
944
945
946
Irreführende geschäftliche Handlungen
Land. Der Firmenbestandteil „…land“ weckt (ähnlich dem Zusatz „…welt“, hierzu Rn. 956) die Assoziation der Möglichkeit umfassender Bedarfsdeckung (auch im Randsortiment) bei großzügiger räumlicher Angebotspräsentation.2018 Markt. Die Verkehrsauffassung zur Deutung der Bezeichnung „Markt“ hat sich im Zeitablauf gewandelt. Früher sah man in ihr einen Veranstaltungshinweis: den Hinweis auf ein organisiertes Zusammentreffen von Anbietern und Käufern an einem bestimmten Ort zu bestimmten Zeiten.2019 Konsequenterweise kam eine firmenmäßige Verwendung des Begriffs durch einzelne Handelsgeschäfte nicht in Betracht.2020 Heute wird die Bezeichnung hingegen gerade ganz überwiegend als Kennzeichnung einer bestimmten Kategorie von Handelsbetrieben gesehen: Der Zusatz „Markt“ lässt auf einen Handelsbetrieb gewisser räumlicher Größe und eine Angebotsvielfalt schließen.2021 Je stärker die Spezialisierung, desto höher sind die Erwartungen an eine relative Dichte des Angebots.2022 Bei Filialunternehmen müssen die Voraussetzungen gewisser Größe und Angebotsvielfalt für jede einzelne Filiale erfüllt sein.2023 Kasuistik: Eine Filiale mit der Fläche einer Zwei-Zimmerwohnung darf nicht als „Großmarkt“ auftreten.2024 In „Supermärkten“, „Großmärkten“ und „Verbrauchermärkten“ erwartet der Verkehr – ausgenommen bestimmter Warengruppen, insbesondere Lebensmittel – Selbstbedienung (zur Relevanz dieser Erwartung i.E. Rn. 1029).2025 Die Bezeichnung „Markt“ per se deutet hingegen noch nicht auf ein Selbstbedienungsgeschäft hin.2026 Der Beratungsservice eines Fachgeschäfts wird von „Märkten“ grundsätzlich nicht erwartet.2027 Pluralformen. Pluralverwendung in der Firmierung vermittelt den Eindruck additiv bedingter besonderer Unternehmensgröße:2028 Ein Fahrschulunternehmen mit jeweils für sich funktionsfähigen Filialen an fünf verschiedenen Orten darf sich „H.-Fahrschulen“ nennen.2029 Räumliche Streuung ist bei entsprechender Firmenbildung zwar üblich, aber nicht notwendig;2030 dem angesprochenen Verkehr kommt es letztlich auf die besondere Leistungskraft des Unternehmens, nicht auf den Grund derselben an: Der Firmenzusatz „…werke“ darf bei entsprechender Betriebsgröße auch dann geführt werden, wenn es sich um eine einzige Betriebsstätte an einem Ort handelt. Spezialgeschäft/Spezialhaus. Die Bezeichnung dürfte vom Verkehr mehrheitlich als Synonym für „Fachgeschäft“ (hierzu Rn. 927) verstanden werden:2031 Erwartbar sind Sortimentsbreite und -tiefe, eine besondere Beratungs- und Servicekompetenz sowie – je nach Branche – eine angemessene Warenpräsentation. Eine Beschränkung des Angebots auf den näher benannten Schwerpunkt genügt nicht.2032
_____
2018 OLG Karlsruhe 7.3.1985 – 4 U 220/84 – WRP 1985, 357 (Ls.). 2019 S. etwa noch LG Oldenburg 19.7.1963 – 6 Q (KH) 28/63 – WRP 1963, 284. 2020 Auch insoweit noch LG Oldenburg aaO. 2021 BGH 22.5.1981 – I ZB 7/80 – GRUR 1981, 910 – Der größte Biermarkt der Welt; 7.7.1983 – I ZR 119/81 – GRUR 1983, 779, 780 = WRP 1983, 675, 676 – Schuhmarkt; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.36; Fezer/ Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 393; Ohly/Sosnitza Rn. 623. 2022 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.36. 2023 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 450; Schünemann 142. 2024 OLG München 24.4.1975 – 6 U 1085/75 – WRP 1975, 457. 2025 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.37; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 393. 2026 BGH 7.7.1983 – I ZR 119/81 – GRUR 1983, 779, 780 = WRP 1983, 675, 676 – Schuhmarkt. 2027 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 450. 2028 Harte/Henning/Dreyer E Rn. 237. 2029 OLG Stuttgart 11.6.1982 – 2 U 232/81 – WRP 1982, 666 f. 2030 Zumindest missverständlich Schünemann 142. 2031 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.17; Schünemann 142. 2032 Klarstellend: Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 429; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.17.
Lindacher/Peifer
958
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
Kasuistik: Wer für sich in Anspruch nimmt, das „größte Spezialhaus für Oberbekleidung in Deutschland“ zu sein, führt mit solcher Werbung irre, wenn keine als solche gekennzeichnete Markenware geführt wird. Der Beratungskompetenzerwartung muss durch geschultes Personal entsprochen werden, dessen „Verkaufshorizont“ über den eigenen Geschäftsbetrieb hinausgeht; dass die Beschilderung besonders umfassend und ausgeklügelt ist, gleicht Defizite in der Dichte des Beratungsnetzes nicht aus.2033 Studio. Die Bedeutung des Firmenzusatzes „Studio“ ist branchengebunden. Er erweckt im Allgemeinen wohl keine besonderen Vorstellungen hinsichtlich der Qualifikation des Inhabers oder der personellen und/oder sachlichen Ausstattung des Betriebs.2034 Im „Kreativbereich“ erwartet der Verkehr bei einschlägiger Bezeichnungsverwendung (wie „Modestudio“ oder „Pelzstudio“) freilich wohl nach wie vor eine eigene Entwurfsoder sonstige schöpferische Tätigkeit.2035 Technik. Der einschlägige Firmenzusatz deutet auf ein Unternehmen hin, das sich mit Forschung und Entwicklung, jedenfalls aber der Lösung qualifizierter technischer Probleme befasst.2036 Bei Montage- und Installationsunternehmen wird erwartet, dass die planerische Tätigkeit und die Anwendung des eigenen technischen Wissens einen wesentlichen Teil der Tätigkeit darstellen. Im Fachhandel weckt die Bezeichnung die Erwartung der Notwendigkeit und Fähigkeit zu umfassender Systemberatung. Reiner Verkauf und schlichte Wartungs- und Reparaturtätigkeit genügen nicht. Für den Elektrobereich gilt im Grundsatz nichts anderes als für den Bereich der Mechanik.2037 Von den Sachgegebenheiten her sind freilich die Voraussetzungen hier fraglos häufiger erfüllt als dort. Unternehmensgruppe. Die Bezeichnung lässt mehr als eine bloße Kooperation verschiedener Unternehmen erwarten, weckt vielmehr die Vorstellung wirtschaftlicher Potenz durch gesellschaftsrechtliche Verflechtung.2038 Verband. Es gibt größere und kleinere Verbände. Dies ist auch dem Verkehr bekannt. Dass das Publikum bei einem „Verband“ an einen organisatorischen Zusammenschluss von nicht unerheblicher Größe denkt,2039 erscheint bereits im Ansatz fragwürdig.2040 Ein Zusammenschluss von Personen oder Organisationen muss sich – sprachlich und sachlich korrekt – „Verband“ nennen dürfen. Erst Zusätze wie „Bundesverband“ oder „Gesamtverband“ wecken besondere Erwartungen. Die Bezeichnung „Bundesverband“ signalisiert nicht nur bundesweite Aktivität, sondern reklamiert auch eine gewisse Bedeutung.2041 „Gesamtverband“ weist auf eine Dachorganisation, d.h. den Zusammenschluss von Regional- oder Fachverbänden und damit mittelbar auf besondere Größe und Bedeutung hin.2042
_____
2033 OLG Hamm 19.11.1991 – 4 U 131/91 – WRP 1992, 250 f. 2034 OLG Hamm 7.11.1978 – 4 U 143/78 – WRP 1979, 320 („City-Funk-Fahrschule W.-Verkehrs-LehrStudio“); OLG Stuttgart 12.12.1986 – 2 U 199/86 – NJW-RR 1987, 739 f. („Studio S. Donna“ für Damenoberbekleidungsgeschäft); Harte/Henning/Dreyer E Rn. 241; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.55. 2035 Für „Modestudio“: BayObLG 23.11.1971 – BReg. 2 Z 35/71 – NJW 1972, 165. A.A. Götting/Nordemann Rn. 3.81. 2036 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.55. 2037 A.A. freilich offenbar OLG Frankfurt 29.4.1981 – 20 W 588/80 – OLGZ 1981, 417, 419. 2038 OLG Köln 13.1.2006 – 6 U 126/05 – GRUR-RR 2006, 237, 238; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 393; Nordemann Rn. 338. 2039 So noch BayObLG 16.7.1974 – BReg. 2 Z 26/74 – DB 1974, 1857. 2040 Übereinstimmend: Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.39; MünchKommUWG/Busche Rn. 633; Götting/Nordemann Rn. 3.83. 2041 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.39; Harte/Henning/Dreyer E Rn. 244; Ohly/Sosnitza Rn. 603. 2042 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.39; Harte/Henning/Dreyer E Rn. 244.
959
Lindacher/Peifer
947
948
949
950
§5
951
952
953
954
Irreführende geschäftliche Handlungen
Kasuistik: „Bundesverband Deutscher Heilpraktiker e.V.“ ist irreführend, wenn der Organisation nur etwa 7,5% der praktizierenden Heilpraktiker angehören.2043 Von einem „Gesamtverband“ erwartet der Verkehr zwar nicht unbedingt Repräsentanz aller einschlägigen Verbände und/oder Unternehmen, wohl aber eine herausgehobene Stellung.2044 Das Adjektiv „deutsch“ (s. auch Rn. 918) weist auf bundesweite Bedeutung hin, erhebt indes keinen Monopolanspruch: Der Verkehr schließt aus der Bezeichnung „Deutsche Heilpraktiker e.V.“ weder darauf, dass alle deutschen Heilpraktiker dem Verein angehören, noch darauf, dass es sich bei dem betreffenden Verein um die einzige Vereinigung dieser Berufsgruppe handelt.2045 Vereinigte/Union. Der Firmenbestandteil „Vereinigte“/„Union“ lässt den Zusammenschluss mehrerer vormals selbständiger Unternehmen und eine hieraus resultierende gewisse Unternehmensgröße erwarten.2046 Weingut, Weinkellerei. Mit dem Begriff „Weingut“ verknüpft der Verkehr die Vorstellung eines größeren Betriebs, der – im Gegensatz zu einer Weinkellerei oder einem sonstigen Weinhandelsbetrieb – in der Hauptsache Weine aus eigenem Wachstum anbietet.2047 Für die allfällige Anteilsfeststellung kommt es auf die Mengen-, nicht die Wertrelation an.2048 Hinsichtlich der Grenzmarke, bis zu der ein Zukauf als unschädlich zu erachten ist, hat sich in Rechtsprechung und Lehre ein Wert von 20% eingependelt.2049 Traditionsunternehmen sollte die Weiterführung der Bezeichnung im Wege der Interessenabwägung (allgemein: Rn. 268 ff.) auch dann gestattet werden, wenn in einzelnen Jahren infolge Ernteausfalls durch Flurbereinigung oder regional besonders schlechter Ernte die einschlägigen Voraussetzungen ausnahmsweise nicht erfüllt sind.2050 Die vorab entwickelten Grundsätze zur Unschädlichkeit eines Fremdgewächsanteils gelten freilich nur für die Bezeichnungsverwendung „außerhalb des Etiketts“, insbesondere die firmenmäßige Verwendung auf Preislisten, Briefköpfen oder Rechnungen. Werden auf Preislisten Eigen- und Fremderzeugnisse angeboten, ist zudem bei Verwendung der Angabe „Weingut“ zwecks Hintanhaltung der Fehlvorstellung, das Angebot umfasse nur Erzeugerabfüllungen, richtigerweise eine deutliche Trennung zwischen beiden Produktgruppen angezeigt.2051 „Weinkellerei“ lässt ebenfalls auf eine gewisse (Mindest-)Betriebsgröße, freilich nicht unbedingt auf Weine aus eigenem Wachstum schließen. Ob der Verkehr aus der entsprechenden Bezeichnung zumindest folgert, dass das Angebot überwiegend im eigenen Keller ausgebaut und abgefüllt wurde,2052 oder die Bezeichnung lediglich als
_____
2043 BGH 26.1.1984 – I ZR 227/81 – GRUR 1984, 457, 460 = WRP 1984, 383, 385 – Deutsche Heilpraktikerschaft. 2044 BGH 10.11.1972 – J ZR 60/71 – GRUR 1973, 371, 373 = WRP 1973, 93 f. – Gesamtverband. 2045 BGH 7.5.1987 – I ZR 141/85 – GRUR 1987, 638 = WRP 1987, 629 – Deutsche Heilpraktiker. 2046 RG 10.3.1941 – II 87/40 – GRUR 1941, 233, 236 („Vereinigte Photokopier-Apparate GmbH“). 2047 BayObLG 25.11.1971 – RReg. 8 St. 28/71 – GRUR 1972, 659, 660; Harte/Henning/Dreyer E Rn. 245; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.42. 2048 BayObLG 8.3.1977 – RReg 4 St 6/77 – WRP 1977, 524, 525 unter Aufgabe der gegenteiligen Ansicht in BayObLG 25.11.1971 – RReg. 8 St. 28/71 – GRUR 1972, 659, 660; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.42. 2049 BayObLG 8.3.1977 – RReg 4 St 6/77 – WRP 1977, 524, 525; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.42; Harte/Henning/Dreyer E Rn. 245. 2050 Zustimmend: Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.42. A.A. – freilich ohne die Interessenabwägungsfrage auch nur zu stellen – BayObLG 8.3.1977 – RReg 4 St 6/77 – WRP 1977, 524, 525. 2051 Hieronimi WRP 1989, 635, 644. 2052 So etwa Hieronimi WRP 1989, 635, 640.
Lindacher/Peifer
960
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
schlichtes Synonym für „Weinhandel“ versteht,2053 erscheint zweifelhaft und empirisch klärungsbedürftig. Bei der Verwendung der Bezeichnung „Weingut und Kellerei“ muss das Unternehmen ein derartiges Quantum an Weinen aus eigener Erzeugung anbieten, dass das Erfordernis besonderer Betriebsgröße bereits bei der Beschränkung auf den Vertrieb selbsterzeugter Kreszenzen erfüllt wäre. Sofern man an die Bezeichnung „Weinkellerei“ die Erwartung knüpft, der zu vermarktende Wein wäre überwiegend im eigenen Keller ausgebaut (s. Rn. 954), muss hinsichtlich des zugekauften Weins auch diese Voraussetzung erfüllt sein. Im Übrigen verschiebt sich hinsichtlich des Verhältnisses selbsterzeugter – fremderzeugter Traubenmoste die Toleranzmarge in Richtung Zukaufsmöglichkeit.2054 Am Erfordernis des Überwiegens des Eigenwachstumsanteils dürfte indes – zumindest bei Voranstellung der Teilbezeichnung „Weingut“ – festzuhalten sein. Auf dem Flaschenetikett darf die Bezeichnung „Weingut und Kellerei“ unionsrechtlicher Vorgabe entsprechend (s. Rn. 953) allemal nur für Eigenanbauweine verwendet werden. Umschließt ein Werbeangebot Eigen- und Fremderzeugnisse, muss bei letzteren der Fremdanbaucharakter deutlich gemacht werden. Welt. Der zunehmend gebrauchte Firmenbestandteil „…welt“ ist eine Sprachschöpfung der Werbewirtschaft, mit der ein Betrieb charakterisiert wird, der auf dem näher benannten Gebiet unter großflächiger Präsentation eine reiche Auswahl und eine Bedarfsdeckung auch im Randsortiment bietet.2055 Kasuistik: Die Bezeichnung „Wohnwelt“ lässt ein Einrichtungshaus erwarten, bei dem auf einer ungewöhnlich großen Fläche die gesamte Palette von Waren angeboten wird, die in einer Wohnung und zum Wohnen gebraucht werden.2056 Werk. Die Verkehrsbedeutung der Bezeichnung „Werk“ hängt von der jeweiligen Branche ab. In bestimmten Geschäftszweigen wird der einschlägige Zusatz traditionellerweise betriebsgrößenunabhängig verwendet: Sägewerk, Kieswerk, Marmorwerk können sich durchaus auch Kleinbetriebe nennen. Im Allgemeinen deutet die Bezeichnung „Werk“ indes wohl aber nach wie vor auf ein größeres Fabrikunternehmen hin.2057 Die Pluralform „Werke“ stellt noch höhere (Mindest-)Anforderungen an Kapitaleinsatz, Beschäftigtenzahl und sich im Umsatz manifestierende Leistungskraft.2058 Räumliche Konzentration auf einen Ort steht der Führung solcher Bezeichnung dabei nicht entgegen:2059 Dem Verkehr geht es letztlich um die Leistungskraft des werbenden Unternehmens, nicht um den Grund der Leistungskraft. Vom Firmenbestandteil „…werk“ ist die Betriebsstättenbezeichnung „Werk“ zu unterscheiden, wie sie nicht selten von Unternehmen mit Teilstandorten verwendet wird. Sie deutet zumindest nicht auf besondere Größe der Teileinheit, ja selbst nicht ohne weiteres auf eine solche des Gesamtunternehmens hin.2060 Zentrale, Zentrum. Die Firmenbezeichnungen „…zentrale“ bzw. „…zentrum“ werden regelmäßig als Hinweise auf besondere Unternehmensgröße und -bedeutung ver-
_____
2053 So OLG Koblenz 19.1.1984 – 6 U 1556/83 – WRP 1984, 430; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.44. 2054 BayObLG 25.11.1971 – RReg. 8 St. 28/71 – GRUR 1972, 659, 660. 2055 Nordemann Rn. 339. 2056 OLG Karlsruhe 7.3.1985 – 4 U 220/84 – WRP 1985, 357. 2057 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 436; Harte/Henning/Dreyer E Rn. 246. 2058 LG Oldenburg 6.11.1961 – 6 T (KH) 6/60 – BB 1962, 386; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 436; Ohly/Sosnitza Rn. 633. 2059 RG 20.7.1937 – II 8/37 – JW 1937, 2983. Zurückhaltend freilich Harte/Henning/Dreyer E Rn. 246. 2060 OLG Stuttgart 5.2.1982 – 2 U 181/81 – WRP 1982, 433, 434.
961
Lindacher/Peifer
955
956
957
958
959
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
standen,2061 prinzipiell wohl auch bei Dienstleistungsbetrieben mit räumlich gestreutem Angebot und zentraler Koordination:2062 Auch eine „Taxi-Zentrale“ muss sich nach Größe und Leistungsfähigkeit vom Regeltypus des Taxiunternehmens abheben. Eine Filiale darf die Firmenbezeichnung „…zentrale“/“…zentrum“ nur dann zusatzlos führen, wenn sie für sich nach Größe und Sortiment die besonderen Verkehrserwartungen erfüllt.2063 Kasuistik: Ein Taxiunternehmen mit lokaler marktbeherrschender Stellung, das nach Fahrzeug- und Mitarbeiterzahl Kundenwünsche innerorts kurzfristig bedienen kann, kraft Kooperationsvertrag zudem in der Lage ist, auch bestimmte Fahrten außerorts zu organisieren, darf im geschäftlichen Verkehr mit der Bezeichnung „Taxizentrale“ werben.2064 Die Bezeichnung „Bildungszentrum“ für EDV-Lehrgänge und -Schulungen lässt überdurchschnittliches Standing erwarten.2065 Bei einem „Brustzentrum“ setzt der Verkehr auf koordinierte und konzentrierte Fachkompetenz in all denjenigen Disziplinen, die bei der Behandlung des Mamakarzinoms involviert sind.2066 Von einem „Neurologisch/Vaskulären Zentrum“ erwartet der Verkehr, dass die so bezeichnete Einrichtung eine besondere Bedeutung und damit eine jedenfalls über den Durchschnitt hinausgehende Kompetenz, Ausstattung und Erfahrung hat.2067 Mit der Bezeichnung „Kinderhörzentrum B.“ verbindet der Verkehr mehr als ein Hörgeräteakustik-Geschäft üblicher Größenordnung, betrieben durch einen Inhaber, welcher lediglich über die allgemein gebotene fachliche Kompetenz zur einschlägigen Betreuung von Kindern verfügt.2068 Die Bezeichnung „Center“, ursprünglich gleichbedeutend mit „Zentrum“, hat dem960 gegenüber in den letzten Dezennien einen Bedeutungswandel i.S. einer Verflachung erfahren:2069 „Möbel-Center“, „Küchen-Center“, „Garten-Center“ und dgl. lassen ohne besondere Zusatzumstände (wie die Beifügung eines geografischen Zusatzes) nicht mehr auf eine wirklich herausgehobene Stellung schließen. Eine gewisse (Mindest-)Größe und Angebotsbreite bleibt freilich wohl nach wie vor erwartbar:2070 Kleinbetrieben ist die Bezeichnung nach wie vor verwehrt. Ob der Verkehr bei der zunehmenden Verflachung des Begriffs „Center“ bei entsprechend firmierenden Geschäften geschultes Personal in ausreichender Zahl erwartet,2071 erscheint zumindest fraglich. Erforderlich ist ein erreichbares Geschäftslokal, wer ein „Greencard-Center“ als reines Call-Center betreibt, soll dagegen irreführend werben.2072
_____
2061 BGH 3.12.1976 – I ZR 151/75 – GRUR 1977, 503, 504 = WRP 1977, 180, 181 – Datenzentrale; 18.1.2012 – I ZR 104/10 – GRUR 2012, 942 Tz. 10 ff. = WRP 2012, 1094 – Neurologisch/Vaskuläres Zentrum; Gloy/ Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 452; MünchKommUWG/Busche Rn. 630; Ohly/Sosnitza Rn. 636. Zweifelnd Nordemann Rn. 340. 2062 BGH 3.12.1976 – I ZR 151/75 – GRUR 1977, 503, 504 = WRP 1977, 180, 181 – Datenzentrale. 2063 OLG Stuttgart 27.8.1976 – 2 U 80/76 – WRP 1976, 794; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 452; Köhler/Bornkamm Rn. 5.48; MünchKommUWG/Busche Rn. 630. 2064 OLG Karlsruhe 19.8.2012 – 4 U 35/12 – WRP 2012, 1583. 2065 OLG Koblenz 27.7.1989 – 6 U 778/89 – WRP 1990, 125. 2066 OLG München 11.11.2004 – 29 U 4629/04 – GRUR-RR 2005, 59. 2067 BGH 18.1.2012 – I ZR 104/10 – GRUR 2012, 942 Tz. 19 = WRP 2012, 1094 – Neurologisch/Vaskuläres Zentrum. 2068 OLG Bremen 26.10.2012 – 2 U 55/12 – GRUR-RR 2012, 479. 2069 BGH 26.6.1986 – ZR 103/84 – GRUR 1986, 903, 904 = WRP 1986, 674, 675 – Küchen-Center; KG 22.12.2000 – 5 U 6151/00 – GRUR 2002, 79; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.48. A.A. – für Gleichsetzung von Zentrum und Center – noch OLG Köln 6.6.1979 – 6 U 173/78 – WRP 1979, 575. 2070 OLG Stuttgart 7.12.1984 – 2 U 134/84 – WRP 1986, 242 („Mitnahme-Center“); LG Frankfurt/M. 10.5.1996 – 3/12 O 118/95 – NJEW-WettbR 1997, 20, 21 (German Watch Center); Gloy/Loschelder/Erdmann/ Helm § 59 Rn. 452. 2071 So noch OLG Köln 6.6.1979 – 6 U 173/78 – WRP 1979, 575 (für „Garten-Center“). 2072 KG 22.12.2000 – 5 U 6151/00 – GRUR-RR 2002, 79.
Lindacher/Peifer
962
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
(2) Sonstiges Hochstapeln. Anmaßende unternehmensbezogene Angaben begegnen selbstredend nicht nur in der Firmierung, sondern auch und nicht zuletzt in der allgemeinen Werbung, insbesondere Anzeigen- und Prospektwerbung. Die Arten und Formen einschlägiger Irreführung zählen Legion. Im Folgenden werden nur Illustrationsfälle benannt. Abbildungen. Die Abbildung eines Gebäudes bzw. eines Fabrik- oder Bürokomplexes (etwa auf dem Briefkopf oder in sonstigem Werbematerial) ist irreführend, wenn das eigene Unternehmen nur in einem Teil des abgebildeten Gebäudes/Areals betrieben wird.2073 Kasuistik: Wer selbst nur ein oder zwei Stockwerke innehat, darf nicht das gesamte Haus abbilden.2074 Wer ein Fabrikareal nur zur Hälfte für die eigene Produktion nutzt, führt irre, wenn er den Gesamtkomplex abbildet.2075 Die eigene Betriebsanlage darf nicht zusammen mit Gebäuden eines benachbarten fremden Betriebs präsentiert werden, wenn und soweit hierdurch der Eindruck erweckt wird, diese seien Bestandteil des werbenden Unternehmens.2076 Im Übrigen muss die Abbildung (wichtig bei stilisierter Zeichnung) im Kern wirklichkeitsgetreu sein:2077 Der Verkehr rechnet zwar nicht unbedingt mit einer perspektivisch absolut zutreffenden Darstellung, darf aber nicht durch einschlägige Verzerrungen irregeleitet werden.2078 Auch in der Wiedergabe der Gebäudezahl2079 oder der Stattlichkeit der Fassade2080 muss die bildliche Darstellung korrekt sein. Anerkannt. Die einschlägige Selbstberühmung kann auf staatliche oder sonstige Drittanerkennung oder auf eine führende Stellung in der Branche hindeuten. Das, was der Verkehr nach den Begleitumständen als versprochen ansehen darf, muss zutreffen. Betriebliche Kennzahlen. Aussagen über Umsatz, Auflagenhöhe, Marktanteil, Beschäftigte, Verkaufs- und Ausstellungsflächen müssen exakt sein. Aufrundungen sind nur in beschränktem Umfang statthaft.2081 Die Werte verbundener Unternehmen dürfen allenfalls unter Kenntlichmachung „zugezählt“ werden. Kasuistik: Die Werbung einer Buchgemeinschaft mit 1,8 Millionen Mitgliedern, man habe „fast 2 Millionen“ Mitglieder, ist irreführend: eine Aufrundung um mehr als 10% ist nicht mehr vertretbar.2082 Die Auflagenwerte der Lokalausgaben einer Tageszeitung dürfen deren Auflage nur bei einschlägiger Klarstellung zugerechnet werden.2083 Erstes. Die Berühmung, man sei das „erste“ Unternehmen seiner Art, kann Spitzenstellungsbehauptung in zeitlicher oder aber in qualitativer oder quantitativer Hinsicht sein (s. bereits Rn. 224). Der konkret ausgelösten Erwartung muss entsprochen werden. Gemeinnützig. Der mit positiven Assoziationen besetzte Begriff der Gemeinnützigkeit verweist zunächst auf das Steuerrecht: Gemeinnützig sind nur die nach § 52 AO von den Finanzbehörden als solche anerkannten Unternehmen.2084 Auch diese dürfen ihren
_____
2073 Ohly/Sonitza Rn. 602; Schünemann S. 141. 2074 OLG Stuttgart 4.3.1952 – 3 W 33/52 – BB 1952, 356. 2075 OLG Kassel 5.8.1937 – 2 U 99/37 – GRUR 1937, 1108. 2076 OLG Stuttgart 19.3.1982 – 2 U 195/81 – WRP 1982, 547. 2077 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 454; Ohly/Sosnitza Rn. 602. 2078 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 454. 2079 RG 27.11.1913 – II. 306/13 – GRUR 1916, 190. 2080 OLG Kassel 5.8.1937 – 2 U 99/37 – GRUR 1937, 1108. 2081 Götting/Nordemann Rn. 3.87. 2082 BGH 2.12.1960 – I ZR 35/59 – GRUR 1961, 284, 287 = WRP 1961, 191, 120 – Werbung mit Mitgliederzahlen. 2083 BGH 15.11.1967 – Ib ZR 70/65 – GRUR 1968, 433, 436 – Westfalenblatt II. 2084 BGH 27.2.2003 – I ZR 25/01 – GRUR 2003, 448, 450 = WRP 2003, 640, 642; Köhler/Bornkamm/ Feddersen Rn. 4.90.
963
Lindacher/Peifer
961
962
963
964
965
966
967
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
Charakter werblich aber nur herausstellen, wenn und soweit dadurch kein Irrtum über die Preisbemessung generiert wird: Die verlangten Preise dürfen nur kostendeckend sein, müssen im Übrigen unter den Preisen der Konkurrenz liegen:2085 Der Verzicht auf Gewinnerwirtschaftung und die steuerliche Begünstigung als gemeinnützig anerkanntes Unternehmen nähren gelegentlich Preisgünstigkeitserwartungen, vor allem aber imageund reputationsbezogene Erwartungen, die den Eindruck ethisch sinnhaften Tuns erzeugen. Größtes, führendes. Die Selbstberühmung, man sei das „größte“ bzw. „führende“ 968 Unternehmen einer bestimmten Region, macht eine einschlägige Alleinstellung geltend (näher zum Inhalt der jeweiligen Aussage bereits Rn. 222 f.). Pluralformen. Die Behauptung, das eigene Angebot werde in mehreren „Häusern“, 969 „Lagern“ oder dgl. erbracht, signalisiert besondere Leistungskraft. Einschlägige Werbung ist dann und nur dann zulässig, wenn das, was zusammengezählt wird, nach der Verkehrsanschauung wirklich die entsprechende Bezeichnung verdient. (vgl. auch oben Rn. 957). Kasuistik: Bei der Werbung eines Möbeleinzelhändlers „Allein in R. warten 10 Häuser auf Ihren Besuch“ geht der Verkehr zwar nicht davon aus, dass jede Verkaufsstelle für sich den Charakter eines „Möbelhauses“ hat, wohl aber, dass es sich um selbständige Verkaufsstellen einer gewissen Größe handelt, in denen Möbel in nennenswertem Umfang ausgestellt sind, ständig Personal vorhanden ist und Verkaufsgeschäfte vollständig durchgeführt werden können. Abteilungen, die zwar in verschiedenen Gebäuden untergebracht, miteinander aber durch Übergänge im Inneren verbunden sind und einen gemeinsamen Empfang haben, dürfen werblich nicht als verschiedene „Häuser“ bezeichnet werden.2086 970
dd) Personal und Mitarbeit. Die Stellung eines Unternehmens im Wettbewerb wird auch und nicht zuletzt durch seine personellen Ressourcen bestimmt. Angaben zur Größe und Qualifikation des eigenen Personals und den Kreis allfälliger freier Mitarbeiter sind in hohem Maß von potentieller wettbewerblicher Relevanz. Fremdfirmeneinsatz und der Einsatz von Leiharbeitern werfen besondere Fragen auf.
971
(1) Irreführung über den Mitarbeiterstamm. Irreführend sind allemal unzutreffende Angaben über die Zahl der Mitarbeiter.2087 Nichtständige Mitarbeiter dürfen nicht als ständige Mitarbeiter bezeichnet werden.2088 Erst recht unzulässig ist das Setzen des falschen Scheins einer Mitarbeit, die überhaupt nicht stattgefunden hat. Kasuistik: Es ist unzulässig, in der Werbung für kosmetische Präparate den Namen eines bekannten Wissenschaftlers hervorzuheben, als habe dieser an der Entwicklung mitgewirkt.2089 Bei einem juristischen Pressedienst ist es irreführend, als Mitarbeiter Personen zu bezeichnen, die sich lediglich auf einer vorgedruckten Antwortkarte zu gelegentlicher Mitarbeit bereiterklärt haben, aber keine laufenden Beiträge liefern.2090 Kündigen in einer Sozietät zusammengeschlossene Anwälte in einem Einladungsschreiben zu einer von ihnen veranstalteten Vernissage die Vorstellung eines „neuen Kollegen“ an,
_____
2085 BGH 27.2.2003 – I ZR 25/01 – GRUR 2003, 448, 450 = WRP 2003, 640, 642; MünchKommUWG/Busche Rn. 585. 2086 BGH 6.7.1979 – I ZR 96/77 – GRUR 1980, 60, 61 = WRP 1979, 853, 854 – „10 Häuser erwarten Sie“. 2087 Statt aller: Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 394; Ohly/Sosnitza Rn. 669. 2088 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.125; Ohly/Sosnitza Rn. 670. 2089 BGH 17.5.1984 – I ZR 73/82 – GRUR 1984, 907 = WRP 1984, 581 – Frischzellenkosmetik. 2090 BGH 20.1.1961 – I ZR 79/59 – GRUR 1961, 356 = WRP 1961, 158 – Pressedienst.
Lindacher/Peifer
964
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
erwartet der Verkehr, dass diesem, wenn nicht gar der Status eines Sozius, so zumindest der eines in die Anwaltsgemeinschaft fest eingebundenen Mitarbeiters zukommt. Die Ankündigung führt in verhaltensrelevanter Weise über die Größe des präsenten Mitarbeiterstamms und damit die Leistungsfähigkeit der Kanzlei irre, wenn der „Neue“ lediglich auf Anfrage für eine bestimmte Rechtsberatung zur Verfügung steht.2091 (2) Irreführung über die Qualifikation von Mitarbeitern. Ein Mehr an Leistungsfähigkeit spiegelt nicht nur vor, wer sich selbst eine Qualifikation zuschreibt, die er nicht besitzt. Eine mindestens ähnliche Irreführungsgefahr schafft vielmehr auch derjenige, der – ausdrücklich oder konkludent – seinen Mitarbeitern (so) nicht vorhandene Fähigkeiten und Befähigungen beilegt. Die Nähe beider Täuschungsformen nach Gegenstand und Wirkung rechtfertigt es, beide rechtlich grundsätzlich gleich zu behandeln: Das zur Irreführung über die Befähigung des Inhabers Ausgeführte (s. Rn. 843 ff.) gilt prinzipiell auch hinsichtlich der Fallgestaltung, dass die Fähigkeiten und Befähigungen des Personals in ein zu günstiges Licht gesetzt werden. Qualifikationserwartungen, die einzulösen sind, werden insbesondere erweckt, wenn der angesprochene Verkehr der werblichen Äußerung einen Handwerksbezug entnimmt. Kasuistik: Ein Autohandel „mit Karosserie- und Lackierabteilung“ lässt erwarten, dass die Lackierarbeiten unter der Verantwortung eines Lackiermeisters erbracht werden.2092 „Meisterlicher Auspuff-Service“ ist irreführend, wenn in der so bezeichneten Niederlassung die einschlägigen Arbeiten weder von einem Meister ausgeführt noch überwacht werden.2093 Von „Fachkräften“ erwartet der Verkehr eine dem jeweiligen Berufsbild entsprechende Ausbildung und längere Berufspraxis, branchenabhängig ein Sich-auf-demLaufenden-Halten durch Besuch von Fortbildungsveranstaltungen.2094 „Spezialarbeiter“ sind nach der Verkehrsanschauung gelernte, nicht lediglich angelernte Arbeiter.2095 Kasuistik: Die Werbung eines Nachhilfe-Unternehmens „Durch gezielte Nachhilfe und Beaufsichtigung der Hausaufgaben führen unsere erfahrenen Fachkräfte auch Ihr Kind zum Klassenziel“ lässt den Einsatz im Lehramt tätiger Personen erwarten. Sie ist irreführend, wenn der Unterricht in weitem Umfang von Studenten geleistet wird.2096 Wer achtzehn Jahre bei einem bedeutenden Rundfunk- und Fernsehgerätehersteller tätig war, dabei sechs Jahre Reparaturarbeiten an Rundfunkgeräten durchgeführt hat und dann zunächst als Vorarbeiter, später als Werkmeister im Fernseh-Prüffeld des Werks beschäftigt war, erfüllt hingegen durchaus die Erwartungen, die der Verkehr an eine „langjährige Fachkraft“ zur Durchführung in einem Rundfunk- und Fernsehhandelsgeschäft anfallender Kundendienstarbeiten stellt.2097 Adjektivische Zusätze konkretisieren das Erwartungsbild. Kasuistik: Der Werbehinweis einer Kosmetik-Fachschule „ärztlich-pädagogisch geschultes Fachpersonal“ lässt eine intensive medizinische und pädagogische Aus- und Fortbildung des Lehrpersonals und zwar hinsichtlich des kosmetisch-medizinischen
_____
2091 BGH 4.7.1991 – I ZR 2/90 – GRUR 1991, 917 = WRP 1991, 660, 664 – Anwaltswerbung gegen OLG Hamm 26.10.1989 – 4 U 111/89 – NJW-RR 1990, 1133, 1135. 2092 OLG Koblenz 7.1.1988 – 6 U 1492/86 – GRUR 1988, 473, 474. 2093 LG Frankfurt 3.6.1981 – 2/6 O 157/81 – GewA 1981, 378. 2094 OLG Karlsruhe 12.3.1980 – 6 U 202/79 – WRP 1980, 574, 575; Ohly/Sosnitza Rn. 671. 2095 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.125; Harte/Henning/Dreyer E Rn. 271. 2096 OLG Hamm 22.11.1979 – 4 U 250/79 – WRP 1980, 155 f. 2097 OLG Bamberg 7.8.1970 – 3 U 71/70 – WRP 1971, 228, 229.
965
Lindacher/Peifer
972
973
974
975
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
Wissens durch approbierte Ärzte erwarten: Die Vorstellung, der Fachschulunterricht selbst werde durch Personen erteilt, die über eine Doppelqualifikation als Arzt und Pädagoge verfügen, liegt fern.2098 (3) Fremdfirmeneinsatz, Leiharbeit. Über die Leistungskraft seines Unternehmens, die personellen Ressourcen, täuscht, wer durch werbliche Ankündigung den Eindruck erweckt, er erbringe die angebotene Leistung selbst, obschon er dieselbe ganz oder zumindest teilweise von Subunternehmern ausführen lässt.2099 Vor allem die Händlerankündigung „eigener Kundendienst“ wirkt bei technischen Geräten typischerweise verkaufsfördernd: Technische Erfahrungen im Rahmen der Kundendienstleistung stärken die fachliche Beratungskompetenz. Im Gewährleistungsfall ist eine vergleichsweise prompte Mängelbeseitigung erwartbar, nach Ablauf der Gewährleistungsfrist eine erhöhte Bereitschaft zu Kulanzleistungen. Der Händler darf bei einschlägiger Werbung zwar – auch und nicht zuletzt im wohlverstandenen Kundeninteresse – einzelne, besonders ausgefallene Reparaturen dem dafür speziell eingerichteten Werkskundendienst oder sonstigen Spezialwerkstätten überlassen.2100 Bei Weitergabe erheblicher Teile der anfallenden Reparaturen führt der Kundendienst-Hinweis jedoch in nicht mehr tolerabler Weise – unabhängig von der Güte der Drittleistung – irre.2101 Kasuistik: Bei der Werbung „Montage durch Fachpersonal“ geht der Verkehr mangels gegenläufiger Begleitumstände davon aus, dass das werbende Unternehmen eigenes Fachpersonal einsetzt. Wer stattdessen – ohne entsprechenden Hinweis – Subunternehmer mit der Montage beauftragt, führt auch dann in entscheidungsrelevanter Weise irre, wenn diese Unternehmen Fachkräfte einsetzen.2102 Ein Altbausanierer, der einen Teil der angebotenen Leistungen mangels Eintragung in die Handwerksrolle nicht selbst ausführen darf und deshalb jedenfalls für einen Teil der Gewerke Dritte beauftragen muss, verstößt gegen das Irreführungsverbot, wenn er mit Angaben wie „Übernahme sämtlicher Handwerkerleistungen“ und/oder „Beratung, Planung, Ausführung“ wirbt.2103 Ein als solcher nicht verlautbarter Einsatz von Leiharbeitern ist hingegen zumin977 dest per se nicht irreführend:2104 Leiharbeiter sind organisatorisch betriebsintegriert. Kritisch zu hinterfragen bleibt freilich gegebenenfalls die Qualifikationsfrage: Der Einsatz von Leiharbeitern darf nicht dazu führen, dass der unternehmensspezifisch zu erwartende Standard verfehlt wird.
976
(4) Insbesondere: Anwaltsozietät und Anwaltkooperation 978
(a) Sozietäten. Zusammenschlüsse von Rechtsanwälten zu gemeinsamer Berufsausübung verheißen in Hinblick auf mögliche Arbeitsteilung versammelte Kompetenz, in Hinblick auf die gesamtschuldnerische Haftung2105 zudem gesteigerte Bonität. Angaben, die der Verkehr als Hinweis auf die Existenz und Größe einer Anwaltsgemeinschaft versteht, dürfen deshalb nicht mehr versprechen als der Realität entspricht.
_____
2098 2099 2100 2101 2102 2103 2104 2105
OLG Hamm 7.3.1989 – 4 U 279/88 – WRP 1989, 672, 673. Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 394; Ohly/Sosnitza Rn. 673. OLG Bamberg 7.8.1970 – 3 U 71/70 – WRP 1971, 228, 229; Honig WRP 1971, 204, 206. Honig WRP 1971, 204, 206. OLG Nürnberg 5.2.1985 – 3 U 3955/84 – WRP 1985, 447, 448. OLG Stuttgart 22.4.1988 – 2 U 239/87 – WRP 1988, 563, 564. A.A. Harte/Henning/Dreyer E Rn. 269. Leitentscheidung: BGH 6.7.1971 – VI ZR 94/69 – BGHZ 56, 355, 362 f.
Lindacher/Peifer
966
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
Kasuistik: Die Bezeichnung „Rechtsanwälte A, B und coll.“ führt irre, wenn neben den namentlich benannten Rechtsanwälten keine weiteren gesellschaftsrechtlich miteinander verbundenen Rechtsanwälte tätig sind.2106 Der Eindruck einer überörtlichen Sozietät darf nur vermittelt werden, wenn die 979 Anwaltsgemeinschaft eine Außeneinheit bildet: Jedes Sozietätsmitglied muss nach dem Sozietätsvertrag ermächtigt und grundsätzlich auch verpflichtet sein, den einzelnen Anwaltsvertrag mit Wirkung für und gegen die Sozietät zu schließen, so dass gegenüber den Klienten alle Mitglieder der Sozietät gesamtschuldnerisch für die ordnungsgemäße Vertragserfüllung einstehen.2107 Dies gilt auch für die grenzübergreifende Zusammenarbeit. Kasuistik: Die Kopfzeile „Dr. Y & Partner, Rechtsanwälte – Avocats“ auf einem gemeinsamen Briefbogen deutscher Rechtsanwälte und französischer Avocats ist als irreführende Angabe über geschäftliche Verhältnisse i.S. von § 5 zu qualifizieren, wenn zwischen den Beteiligten kein Sozietätsvertrag besteht.2108 Die Zugehörigkeit eines Mitglieds einer inländischen Sozietät zu einer weiteren Sozietät mit Hauptsitz in New York rechtfertigt nicht die Bezeichnung „internationale Sozietät“ durch die Inlandsgesellschaft.2109 Irreführend sind indes nicht nur Angaben, die eine realiter nicht gegebene überlo- 980 kale (Außen-)Sozietät vortäuschen oder Fehlerwartungen hinsichtlich der Größe einer solchen auslösen. In Betracht kommt spiegelbildfallweise auch eine Täuschung des rechtsuchenden Publikums über die Potenz der örtlichen Kanzleien. Es gilt Fehlvorstellungen dahin zu steuern, dass der Verkehr die auswärtigen Sozii der lokalen Kanzlei zurechnet, also von einer größeren Zahl am Kanzleiort tätiger und ständig erreichbarer Sozien ausgeht, als dies tatsächlich der Fall ist.2110 Konkret heißt dies: Der Briefkopf einer überörtlichen Sozietät muss die jeweiligen Kanzleiorte sowie die Zuordnung der einzelnen Sozien verdeutlichen. Das Praxisschild einer Kanzlei darf – außer im Gesamtsozietätsnamen – keine auswärtigen Sozii aufführen. Spiegelt die „Kurzbezeichnung“ den überörtlichen Charakter wider, indem sie die Namen von Mitgliedern verschiedener Kanzleien enthält, kann der (Fehl-)Vorstellung der lokalen Präsenz aller in der „Gesamtfirma“ benannten Anwälte dadurch entgegengewirkt werden, dass alle oder zumindest mehrere in der Kanzlei tätige Sozien einschließlich desjenigen, dessen Namen im Gesamtnamen enthalten ist, unter der Kopfzeile aufgeführt werden. Für dort nicht aufgezählte, in der „Gesamtfirma“ benannte Sozietätsmitglieder ist bei objektiver Betrachtung der Gegenschluss angezeigt. Enthält die „Kurzbezeichnung“ ausnahmsweise nur die Namen externer Sozien, kommt der Auflistung der am Kanzleiort tätigen Sozietätsmitglieder unter der Kopfleiste sachlogischerweise keine einschlägige Klarstellungsfunktion zu. Der potentiellen Fehlerartung, auch die in der Kopfleiste Aufgeführten gehörten der örtlichen Kanzlei an, muss auf andere Weise (etwa durch den klarstellenden Zusatz „überörtliche Sozietät“) gegengesteuert werden. (b) Kooperation. Auf eine Zusammenarbeit unterhalb der Schwelle der Sozietät (in 981 der Praxis vor allem im grenzüberschreitenden Bereich bedeutsam) darf wahrheitsgemäß hingewiesen werden: Mag auch jedem Anwalt die Möglichkeit offenstehen, im Bedarfsfall korrespondenzweise einen ausländischen Kollegen einzuschalten, verlautbart der Hinweis auf eine ständige Zusammenarbeit durchaus keine Selbstverständlichkeit.
_____
2106 2107 2108 2109 2110
967
OLG Hamm 13.6.1991 – 4 U 97/91 – EWiR 1991, 923 m. Anm. Michalski. BGH 29.10.1990 – AnwSt (R) 11/90 – AnwBl 1991, 97 m. Anm. Senninger. OLG Karlsruhe 21.6.1990 – 4 U 217/88 – NJW 1990, 3093. BGH 25.4.1996 – I ZR 106/94 – DB 1996, 2616. Prütting JZ 1989, 711; Brandner GRUR 1991, 243, 244.
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
Kasuistik: Bei einer Zusammenarbeit auf Dauer nicht zu beanstanden: der Briefkopfhinweis einer deutschen Anwaltssozietät „Kooperationspartner Advokatenkantoor X & Partner B.V. Enschede/Niederlande“.2111 e) Zulassung 982
aa) Begriff und Abgrenzung. Berufszugang und Berufsausübung unterliegen sektoral der Zulassungsbeschränkung. Mit der erfolgten Zulassung verbindet der Verkehr die Vorstellung eines förmlichen Attests dahin, dass die konkreten Zulassungsvoraussetzungen vorliegen, darüber hinaus die Vorstellung einer dauerhaften Überwachung durch die Zulassungsbehörde. Wer als Unternehmer eine für seine Tätigkeit erforderliche Erlaubnis vortäuscht, setzt eine relevante Irreführungsgefahr mithin selbst dann, wenn er die entsprechenden Zulassungsvoraussetzungen durchaus erfüllt.2112 Zulassungsberühmungen können ausdrücklich oder konkludent erfolgen: Wer Wa983 ren oder Dienste anbietet, die nur auf der Grundlage einer unternehmerbezogenen Zulassung angeboten werden dürfen, erweckt den Schein gegebener Zulassung. Wer eine Bezeichnung führt, die dem Ausübenden eines zulassungspflichtigen Berufs vorbehalten ist, behauptet über die gebotene Zulassung zu verfügen. 984 Irreführungen über die Zulassung des Unternehmers beurteilen sich im Business-toConsumer-Verkehr vorrangig nach Anh. Nr. 4. Innerhalb von § 5 Ab. 1 S. 2 Nr. 3 kommt es zu Überschneidungen bei Angaben über die „Zulassung des Unternehmers“ und Angaben zur „Befähigung des Unternehmers“ (s. bereits Rn. 844). Die Benennung von Angaben zur „Zulassung des Unternehmers“ in § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 ist Ausdruck verfehlter Regelungsdoppelung, eine eigenständige Bedeutung von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 gegenüber § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 (und § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1) ist deshalb zu verneinen (s. Rn. 1047). Nicht mehr eigens zulassungspflichtig ist der Zugang von Anwälten zu den Oberlandesgerichten. Die Werbung mit einer gleichwohl vorliegenden Zulassung bei einzelnen Land- oder Oberlandesgerichten soll aber keine irreführende Werbung mit Selbstverständlichkeiten sein (vgl auch oben Rn. 136).2113 985
bb) Einzelfälle. Zulassungspflichtig sind u.a.: der Betrieb von Bankgeschäften (§ 32 KWG), die Ausübung der Tätigkeit als Arzt (§ 2 Abs. 1 BÄrzteO), Zahnarzt (§ 1 ZHG) oder Heilpraktiker (§ 1 HeilprG), der Betrieb einer Apotheke (§ 1 Abs. 2 ApothG), die Ausübung des Anwaltsberufs (§ 4 BRAO), die Tätigkeit als Steuerberater (§ 32 StBerG), die Ausübung eines Handwerks (§ 1 Abs. 2 HandwO), die entgeltliche oder geschäftsmäßige Personenbeförderung (§ 2 PBefG), die Ausübung des Fahrlehrerberufs (§ 1 FahrlehrerG). f) Mitgliedschaften oder Beziehungen Schrifttum Herb Spezialisierungshinweise und irreführende Werbung nicht markenbezogener Reparaturwerkstätten, WRP 1991, 699; v. Olenhusen Das „Institut“ im Wettbewerbs-, Firmen-, Standes-, Namens- und Markenrecht, WRP 1996, 1079.
_____ 2111 2112 2113
OLG Hamm 11.12.1990 – 4 U 113/90 – GRUR 1991, 326, 327. Harte/Henning/Dreyer E Rn. 280. BGH 20.2.2013 – I ZR 146/12 – GRUR 2013, 950 („auch zugelassen am OLG Frankfurt“).
Lindacher/Peifer
968
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
aa) Begriff und Abgrenzung. Bestimmte Formen der Unternehmensvernetzung 986 stärken die Position des Unternehmers/Unternehmens am Markt. Hinweise auf eine Verbandszugehörigkeit (gekennzeichnet durch das Merkmal „Mitgliedschaft“) sowie die Reklamation bestimmter Nähebeziehungen, mit den Stichworten „Autoritätsleihe“, „Eingliederung in herstellerseits entwickelte Absatz- und Servicesysteme“ und „Referenzkunden“ thematisiert, sprechen bei Erwartungsenttäuschung gleichermaßen § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 an. bb) Hinweis auf Verbandszugehörigkeit. Verbandsmitgliedschaften lassen ein 987 Unternehmen am Vertrauen teilhaben, das der Verkehr dem Verband und den sonstigen Mitgliedern entgegenbringt. Der Hinweis auf die Zugehörigkeit zu einem Berufs- oder Fachverband weckt typischerweise Erwartungen in Richtung Qualifikation und/oder geschäftlicher Zuverlässigkeit und ist freilich bei fehlender Verbandsmitgliedschaft bereits per se relevant irreführend und unzulässig. Typische Form des Hinweises auf eine entsprechende Verbandsmitgliedschaft ist die 988 Anfügung des Verbandsnamens bzw. der Verbandsabkürzung an den eigenen Namen.2114 Ob auf der Unternehmenswebsite angebrachte Links zum Verband als Verbandszugehörigkeitshinweis zu verstehen sind, ist eine Einzelfallfrage.2115 Die neutrale Verweisung auf andere Websites durch eine Linkliste versteht der Internetnutzer typischerweise nicht als Zugehörigkeitsbehauptung.2116 Mitgliedschaft i.S. von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 ist grundsätzlich auch die vermittelte Mit- 989 gliedschaft:2117 Wer als Bestatter einem Landesfachverband angehört, der seinerseits Mitglied des Bundesverbands Deutscher Bestatter BDB ist, darf mit der Mitgliedschaft im Bundesverband werben. Einer allfälligen Minderheitsfehlvorstellung wäre die Marktentscheidungsrelevanz abzusprechen. cc) Autoritätsleihe. Autoritätsleihe begegnet in unterschiedlicher Form: als Anleh- 990 nung an Staat oder Kommunen sowie Körperschaften des öffentlichen Rechts, aber auch in Anlehnung an kirchliche Stellen sowie berufsständische Organisationen. Bestehender Bezug ist Seriositätsindiz. Hinweise, die einen in Wirklichkeit nicht bestehenden einschlägigen Bezug versprechen, führen potentiell in marktentscheidungsrelevanter Weise irre. (1) Anlehnung an Staat oder sonstige öffentliche Einrichtung. Ein Unternehmen 991 darf keine Bezeichnung verwenden, die zu Unrecht den Eindruck einer staatlichen oder sonstigen öffentlichen Einrichtung, einer – namhaften – Beteiligung der öffentlichen Hand oder behördlichen Kontrolle erweckt.2118 Der Anlehnung an eine staatliche oder sonstige öffentliche Einrichtung steht gleich die Anlehnung an einen beliehenen Unternehmer. Gleiches gilt für die Erweckung des Eindrucks, dass eine Mitteilung von staatlicher Seite erfolgt oder staatlich autorisiert ist.2119
_____
2114 Nordemann Rn. 313. 2115 OLG Jena 14.5.2003 – 2 U 1234/02 – GRUR 2003, 978; LG Erfurt 28.11.2002 – 2 HK O 373/02 – WRP 2003, 414; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 402; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.179. 2116 OLG Jena 14.5.2003 – 2 U 1234/02 – GRUR 2003, 978; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 402. 2117 Harte/Henning/Dreyer E Rn. 315. A.A. im Ansatz OLG Köln 17.3.2006 – 6 U 176/05 – GRUR-RR 2006, 287, 288. 2118 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 462; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.95. 2119 Vgl. OLG Düsseldorf 15.7.2014 – 15 U 43/14 – GRUR-RR 2015, 66 Tz. 48; LG Leipzig 29.8.2017 – 1 HKO 751/17 – WRP 2018, 251 Tz. 8 – Formularfalle.
969
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
Kasuistik: „Staatl. Selters“ ist irreführend, wenn sich die Beteiligung der öffentlichen Hand auf 5% beschränkt; der Verkehr erwartet zumindest maßgeblichen unternehmerischen Einfluss.2120 „Stadtwerke“ kann irreführend sein, wenn die darin liegende behauptete überwiegende kommunale Trägerschaft nicht besteht.2121 Für Behindertenware darf nicht unter Vorlage eines „Vertriebs-Dienstausweises“ geworben werden. „Dienstausweis“ weist auf ein behördliches Dokument hin und erweckt den falschen Eindruck staatlicher Kontrolle und Förderung.2122 Der Zeitschriftentitel „Polizei intern“ mit Abbildung eines Polizeisterns auf der Titelseite fördert den Eindruck, es handele sich um eine offizielle Publikation.2123 Wirbt ein Hauptuntersuchungen nach § 29 StVZO durchführender Autoservicebetrieb mit der Tätigkeitsbezeichnung „TÜV“, liegt hierin keine Irreführung mit Autoritätsanleihecharakter: Die Bezeichnung „TÜV“ steht, begründet aus der Zeit der durch Monopol geschützten Beleihung mit der Durchführung der Hauptuntersuchung eben durch den TÜV, auch nach Freigabe dieser Leistung an andere Prüfunternehmen weiter als Synonym für die Hauptuntersuchung. Im allgemeinen Sprachgebrauch fragt der Kunde bei der Werkstatt nicht, ob dort auch die Hauptuntersuchung nach § 29 StVZO durchgeführt werden könne, sondern einfach, ob dort auch der „TÜV“ gemacht werde. Dabei ist es dem Durchschnittskunden egal, ob in dieser Werkstatt Prüfer des TÜV die Hauptuntersuchung durchführen. Andernfalls würde er konkret nachfragen.2124 Das Anlehnungsverbot gilt selbstverständlich auch für Verbände (insbesondere Be992 rufsvereinigungen). Sie dürfen sich weder als öffentliche Einrichtungen gerieren, noch den Schein des Innehabens hoheitlicher Befugnisse schaffen.2125 Kasuistik: Ein Verband von Briefmarkenhändlern darf eine von ihm gegründete Einrichtung zur Bekämpfung von Briefmarkenfälschungen nicht „Bundeszentrale für Fälschungsbekämpfung“ nennen; eine solche Bezeichnung deutet auf eine (Bundes-) Behörde hin.2126 Ein Verband, dem von 1939 bis 1945 als Berufsvertretung öffentlichrechtliche Befugnisse zugewiesen waren, darf in seiner Mitgliederwerbung durch Hinweis auf die Vereinsgeschichte nicht den Eindruck erwecken, diese Sonderstellung bestehe – auch nur teilweise – fort.2127 Ein privatrechtlicher Verein darf nicht die Bezeichnung „Wirtschaftskammer“ als Vereinsnamen oder Teil desselben führen.2128 Ein privatrechtlich organisierter Beraterverein nach dem Recht des US-Bundesstaats Delaware darf nicht unter der Bezeichnung „European Chamber of Commerce Society“ und/oder „Europäische Handelskammer Gesellschaft“ werben.2129 Die Bezeichnung „Verband“ per se ruft noch nicht die Vorstellung von öffentlichen 993 Aufgaben und Befugnissen hervor.2130 Der Sinngehalt von Bezeichnungen wie „Institut“, „Anstalt“, „Stelle“, „Dienst“, 994 „Akademie“ und dgl. wechselt nach Branche und konkreter Verwendungsform.
_____
2120 BGH 4.7.1985 – I ZR 54/83 – GRUR 1986, 316, 318 = WRP 1985, 696 – Urselters. 2121 Vgl. BGH 9.11.2016 – I ZB 43/15 – GRUR 2017, 186 Tz. 23 – Stadtwerke Bremen (für eine Markenanmeldung im Rahmen des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG). 2122 OLG Frankfurt 25.10.1990 – 6 U 99/89 – GRUR 1991, 161. 2123 LG Frankfurt 7.4.1976 – 2/6 435/75 – WRP 1977, 519. 2124 LG München I, 8.3.2012 – 4 HK O 25511/11 – GRUR-RR 2012, 357. 2125 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 462. 2126 BGH 27.2.1980 – I ZR 64/78 – GRUR 1980, 794 = WRP 1980, 406 – Bundeszentrale für Fälschungsbekämpfung. 2127 BGH 26.1.1984 – I ZR 227/81 – GRUR 1984, 457, 459 = WRP 1984, 382, 385 – Deutsche Heilpraktikerschaft. 2128 OLG Frankfurt 25.3.1974 – 20 W 194/74 – BB 1974, 577. 2129 OLG Hamm 5.2.1991 – 4 U 217/90 – WRP 1991, 497, 498. 2130 LG Mainz 27.6.1956 – 3 S 90/56 – BB 1956, 939, 940; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.39.
Lindacher/Peifer
970
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
Wird das Wort „Institut“ in Verbindung mit einen Tätigkeitsbereich gebracht, der 995 normalerweise Gegenstand wissenschaftlicher Forschung und Behandlung ist, tendiert der Verkehr zu der Annahme, dass es sich um eine öffentliche oder unter öffentlicher Aufsicht stehende wissenschaftliche Einrichtung handelt.2131 Die einschlägige Erwartung liegt vor allem dann nahe, wenn der Werbende seinen Sitz in einer Universitätsstadt hat; man assoziiert eine universitäre Einrichtung.2132 Kasuistik: Ein privatwirtschaftliches Unternehmen darf ohne klarstellenden Zusatz nicht als „Gemmologisches Institut“,2133 „Institut für Zelltherapie“2134 oder „Institut für wirtschaftlichen Gebäudebetrieb“2135 firmieren. Ein privatwirtschaftlich tätiger Testveranstalter darf sich nicht als „Deutsches Institut“ bezeichnen.2136 Irreführungsgefahr gegensteuernd können insbesondere wirken: die firmenmäßige 996 (Mit-)-Herausstellung des Personennamens eines Inhabers, die Nennung der Zugehörigkeit zu einer Berufsvereinigung und/oder die Verwendung von Werbeemblemen.2137 Der Zusatz „GmbH“ genügt nicht immer,2138 schwächt indes – vor allem in der Langform „Gesellschaft mbH“ – einschlägige Fehlvorstellungen durchaus ab und kann im Zusammenspiel mit anderen Faktoren (wie der Verwendung tätigkeitsbezogener Schlagworte in Kürzelform) schließlich zur Zulässigkeit der Unternehmensbezeichnung führen.2139 Bezeichnungen wie „Schönheitsinstitut“, „Massageinstitut“, „Heiratsinstitut“, „Bestattungsinstitut“ und dgl. lassen von vornherein keine Beziehungen zur öffentlichen Hand erwarten. Je nach Tätigkeitsbereich erwartet der Verkehr freilich u.U. eine gewisse (Mindest-)Unternehmensgröße und/oder eine besondere fachliche Qualifikation des Betriebsinhabers bzw. des Leitungspersonals.2140 Auch das Wort „Anstalt“ vermag in Bereichen potentieller Betätigung der öffentli- 997 chen Hand bzw. potentieller Förderung und Kontrolle durch die öffentliche Hand einschlägige Erwartungen zu wecken und ist keineswegs nur als Unternehmensgrößenhinweis zu verstehen.2141 Irreführung wurde für möglich gehalten, wenn ein privater Gewerbebetrieb den Begriff in seiner Firma verwendet, allerdings richtigerweise nur in Fällen, in denen durch die Verwendung der Eindruck öffentlich-rechtlicher Trägerschaft behauptet wird, was in casu verneint wurde.2142 Täuschungsfähig – je nach Branche und konkreter Verwendungsform – ferner die Verwendung des Terminus „Stelle“:2143 Mit der Bezeichnung „Elektrotechnische Prüfstelle“ wird der Eindruck erweckt, das werbende Unternehmen werde in amtlicher oder halbamtlicher Eigenschaft tätig.2144 Das Wort „Dienst“ legt nach heutigem Sprachverständnis hingegen wohl nur bei Plusfaktoren
_____
2131 BGH 16.10.1986 – I ZR 157/84 – GRUR 1987, 365, 366 = WRP 1987, 375, 376 – Gemmologisches Institut; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 462; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.28. 2132 OLG Frankfurt 28.4.1981 – 20 W 588/80 – OLGZ 1981, 414, 416; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.28; Harte/Henning/Dreyer E Rn. 405. 2133 BGH 16.10.1986 – I ZR 157/84 – GRUR 1987, 365, 366 = WRP 1987, 375, 376 – Gemmologisches Institut. 2134 OLG Düsseldorf 25.7.1975 – 2 U 104/74 – WRP 1976, 317, 319. 2135 OLG Frankfurt 28.4.1981 – 20 W 588/80 – OLGZ 1981, 414, 416. 2136 OLG Brandenburg 26.6.2012 – 6 U 34/11 – WRP 2012, 1123. 2137 Nordemann Rn. 297. 2138 Nordemann Rn. 297. 2139 LG Berlin 14.10.1966 – 92 T 9/66 – BB 1968, 313: „regioplan Institut für Strukturanalyse GmbH“ (zulässig). 2140 LG Frankfurt 3.4.1963 – 2/6 O 81/62 – BB 1963, 833 („Testinstitut“); Nordemann Rn. 297. 2141 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 393; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.7. A.A. Nordemann Rn. 304. 2142 OLG Düsseldorf 13.12.2018 – 2 U 37/18 – juris Tz. 45. 2143 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.7. 2144 OLG Karlsruhe 8.10.1980 – 6 U 236/79 – WRP 1981, 225 f.
971
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
eine Tätigkeit der öffentlichen Hand bzw. die Wahrnahme öffentlicher Aufgaben nahe,2145 so etwa die Bezeichnung „Schädlingsbekämpfungsdienst Sachsen-Anhalt“2146 in Hinblick auf die Kombination des Terminus „Dienst“ mit dem Namen einer Gebietskörperschaft. Die Bezeichnung „Akademie“ galt mangels hinreichender gegenteiliger Klarstel998 lung lange Zeit als Bildungseinrichtungen der öffentlichen Hand sowie staatlich anerkannten Institutionen mit der Befugnis zur Erteilung staatlich anerkannter Zeugnisse vorbehalten.2147 Heute versteht der Verkehr die entsprechende Bezeichnung nicht mehr notwendigerweise in solchem Sinn: der Begriff hat sich auch für private (Weiter-)Bildungseinrichtungen weitgehend durchgesetzt.2148 Kasuistik: Die Bezeichnung „Akademie“ für ein Unternehmen, das Weiterbildung in den Bereichen „Musik, Medien, Events und Kultur“ anbietet, ist nicht deshalb i.S. von § 5 irreführend, weil das so bezeichnete Unternehmen keine öffentlichrechtliche oder behördlich anerkannte Ausbildungsstätte ist und auch über keine „akademischen Strukturen“ verfügt.2149 Nicht zu untersagen auch: die Bezeichnung „Manager-Akademie“.2150 999 Dass die Bezeichnung „Kolleg“ vom Verkehr als Hinweis auf eine Einrichtung des „zweiten Bildungswegs“ in staatlicher Hand, zumindest unter staatlicher Aufsicht verstanden wird,2151 dürfte – jedenfalls heute – nicht (mehr) zutreffen.2152 1000 Länder- oder Städtenamen weisen gemeinhin auf den Standort des Unternehmens hin.2153 1001
(2) Sonstige Anlehnung. Irreführend ist es, den falschen Schein einer Verbindung mit kirchlichen Stellen hervorzurufen und dadurch mittelbar besondere Vertrauenswürdigkeit zu suggerieren.2154 Gleiches gilt für Angaben, die einen Bezug zu einer berufsständischen Organisation glauben lassen:2155 Die Firmenbezeichnung „Unfallversorgung deutscher Ärzte und Zahnärzte“ wird von einem nicht unerheblichen Teil des angesprochenen Verkehrs als Hinweis auf eine berufständische, jedenfalls aber von berufsständischen Organisationen getragene oder unter deren Einfluss stehende Versorgungseinrichtung verstanden.2156
1002
(3) Normative Korrekturen einer verbleibenden Irreführungsgefahr. Auch für den Bereich der „Autoritätsleihe“ gilt: (Rest-)Fehlvorstellungen eines Teils des relevanten Verkehrs können die rechtliche Bedeutsamkeit verlieren, wenn das Verbot einer bestimmten Bezeichnung auf eine erhebliche Beschränkung des Gemeingebrauchs am Medium Sprache hinausliefe (allgemein: Rn. 268 ff.). Das betrifft die Verwendung von Bezeichnungen wie „Akademie“ oder „Kolleg“, die einen Verkehrsverständnisbezug zur öffentlichen Hand heute nicht mehr signalisieren (s. Rn. 998 bzw. 999).
_____
2145 Gl.A. Schünemann 141. A.A. – für Gleichsetzung von Anstalt, Stelle und Dienst – freilich noch Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.7. 2146 KG 2.1.1942 – 1 W x 368/41 – DR 1942, 1501. 2147 S. noch OLG Bremen 8.9.1971 – 2 W 82/71 – NJW 1972, 164. 2148 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.101; MünchKommUWG/Busche Rn. 662; Nordemann Rn. 602. A.A. Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 393; Ohly/Sosnitza Rn. 603. 2149 OLG Düsseldorf 9.7.2002 – 20 U 154/01 – GRUR-RR 2003, 49. 2150 LG Frankfurt 1.8.1997 – 3/12 O 116/97 – NJWE-WettbR 1998, 244. 2151 So noch BGH 5.5.1983 – I ZR 49/81 – GRUR 1983, 512 = WRP 1983, 489 – Heilpraktikerkolleg. 2152 Übereinstimmend: Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.54. 2153 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.100. 2154 Statt mancher: Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 463. 2155 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 463. 2156 BGH 11.1.1967 – Ib ZR 63/65 – GRUR 1968, 431 – Unfallversorgung.
Lindacher/Peifer
972
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
dd) Vertragshändler, Vertragswerkstatt, Kundendienst. Vertragshändler und Vertragswerkstatt partizipieren am guten Ruf des jeweiligen Markenherstellers: Ihr Status beruht auf einer qualitativen Auswahlentscheidung, lässt fortdauernde kritische Beobachtung, aktuelle Information und weitgehende Teilhabe am technischen Know-how erwarten. Wer nicht oder nicht in der geltend gemachten Weise autorisiert ist, aber den Schein entsprechender Autorisierung erweckt, führt das Publikum in augenfällig marktentscheidungsrelevanter Weise irre.2157 Auch die autorisierte Vertragswerksatt darf nicht den Eindruck erwecken, zugleich Vertragshändler zu sein.2158 Der durchschnittlich informierte und verständige Verbraucher weiß freilich um die Existenz freier Händler und freier Werkstätten und um die Schwierigkeit, eine erlaubte Geschäftstätigkeit neben Vertragshändlern und Vertragswerkstätten informativ-griffig zu verlautbaren. Er setzt beispielsweise eine „Fach-“ oder „Spezialwerkstatt“ nicht mehr ohne weiteres mit einer Vertragswerkstatt gleich,2159 schließt nicht unvermittelt aus jeder geschäftstätigkeitsbeschreibenden Angabe mit Markenbezug auf eine Autorisierung des Händlers bzw. Werkstattinhabers, soweit die Verwendung des Markenbegriffs oder einer Bildmarke nicht übermäßig herausgestellt wird. Kasuistik: Irreführung bejaht: für die Verwendung der Bezeichnung „Ihr Ford-Vertragspartner“ im Rahmen des Neuwagenvertriebs durch ein Autohaus, das lediglich Servicepartner ist bzw. die Führung der Bezeichnung „Opel in W.“ durch einen nicht mehr autorisierten Händler.2160 Zulässig: Ein ehemaliger Vertragshändler, der schwerpunktmäßig mit Fahrzeugen aus der alten Bindung handelt, darf – mit Blick auf den Zusatz – mit der Aussage „Renault-Automobile – Vertragsfreier Meisterbetrieb“ werben.2161 Eine auf Reparatur und Wartung von Fahrzeugen des entsprechenden Typs spezialisierte freie Werkstatt darf sich „Golf-Werkstatt“ bzw. „Kfz-Meisterbetrieb speziell für MercedesBenz-Fahrzeuge“ nennen.2162 Auch wo die konkrete Werbung nicht als Vertragswerkstatt-Berühmung verstanden wird bzw. verstanden werden darf, kommt freilich immer noch eine Irreführung i.S. von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 in Betracht: Von einem „Spezialisten“ darf zumindest besondere, sich auf den Spezialisierungsgegenstand erstreckende und dem aktuellen Stand der Technik entsprechende Fach- und Sachkunde erwartet werden.2163 Möglichkeiten eines Zugangs zu den „offiziellen“ Serviceinformationen des Herstellers sind allemal zu nutzen.2164 Mit der Bezeichnung „Kundendienst“ assoziiert der Verkehr gemeinhin ein vom Hersteller organisiertes Netz von Reparatur- und Wartungsbetrieben, die für die Abwicklung von Garantiefällen, für Reparaturen, die Beschaffung von Ersatz- und Zubehörteilen sowie eine garantieerhaltende Wartung zuständig sind. Wer mit dem Hinweis wirbt, er
_____
2157 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.213; Harte/Henning/Dreyer E Rn. 420, 329. 2158 BGH 17.3.2011 – I ZR 170/08 – GRUR 2011, 1050 Tz. 27 = WRP 2011, 1444 – Ford-Vertragspartner; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.213. 2159 Nordemann Rn. 316. A.A. noch KG 11.1.1977 – 5 U 3895/76 – WRP 1978, 54; OLG Hamm 6.6.1982 – 4 U 47/82 – WRP 1983, 169, 170. 2160 BGH 17.3.2011 – I ZR 170/08 – GRUR 2011, 1050 Tz. 27 = WRP 2011, 1444 – Ihr Ford-Vertragspartner; OLG Celle 22.3.2001 – 13 U 112/00 – WRP 2001 1248. 2161 OLG Celle 4.2.1988 – 13 U 253/87 – WRP 1988, 459. 2162 BGH 14.4.2011 – I ZR 33/10 – GRUR 2011, 1139 Tz. 26 = WRP 2011, 1602 – Große Inspektion für alle, OLG Hamm 19.4.1988 – 4 U 216/87 – WRP 1989, 187, 188 ff. 2163 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.220. 2164 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.220; vgl. hierzu Mitt. Komm. 2010/C 138/05: Ergänzende Leitlinien für vertikale Beschränkungen in Vereinbarungen über den Verkauf und die Instandsetzung von Kraftfahrzeugen und den Vertrieb von Kraftfahrzeugersatzteilen.
973
Lindacher/Peifer
1003
1004
1005
1006
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
führe für Produkte einer bestimmten Marke den „Kundendienst“ durch, erweckt deshalb den Eindruck einer herstellerseits autorisierten Stelle.2165 1007
ee) Referenzkunden. Insbesondere im Dienstleistungsbereich und Anlagenbau sind Aussagen zum Kundenkreis von nicht zu unterschätzender werblicher Relevanz. Einschlägige Referenzwerbung führt dabei nicht nur irre, wenn ein benanntes Unternehmen nie Kunde war, sondern auch, wenn früherem geschäftlichem Kontakt vom Verkehr zeitablaufbedingt vernünftigerweise keine Bedeutung mehr beigemessen wird. Entscheidend sind insoweit die Art der Kundenbeziehung und der erbrachten Leistung.2166 g) Auszeichnungen und Ehrungen
aa) Begriff und Abgrenzung. Auszeichnung i.S. von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 ist alles, was den Werbenden bzw. sein Unternehmen aus dem Durchschnitt heraushebt. „Ehrungen“ sind Auszeichnungen, bei denen das Moment persönlicher Hochachtung mitschwingt. Formen der Auszeichnung sind: Medaillen, Diplome, Kochmützen, Sterne, behördliche oder sonstige drittseitige Anerkennungen. Zu Auszeichnungen in diesem Sinne gehören mittlerweile auch Produkt- und Leistungsbewertungen auf sozialen Medien oder auf Leistungserbringung basierende Rankings in Such- und Qualitätssystemen von Internetdiensten.2167 Unternehmer- bzw. unternehmensbezogene Auszeichnungen sind von Produktaus1009 zeichnungen zu unterscheiden. Angaben über produktbezogene Zertifizierungen unterfallen grundsätzlich § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 (s. Rn. 437 f., 439 ff.). Insbesondere bei Auszeichnungen im Dienstleistungssektor lassen sich freilich Produkt- und Unternehmensbezug kaum unterscheiden. Wirbt der Unternehmer mit einer Vielzahl von Produktauszeichnungen auf der Zeitschiene, wird aus der Werbung mit Produktauszeichnungen zugleich eine unternehmensbezogene Werbung. Im Business-to-Consumer-Bereich kommt im Überschneidungsbereich mit Anh. 1010 Nr. 4 der Black-List-Vorschrift Prüf- und Anwendungsvorrang zu.
1008
1011
bb) Arten. Die Klassifikation kann zunächst beim Träger der Auszeichnung ansetzen: Auszeichnungen können entweder dem Unternehmen als solchem oder einer bestimmten Person (insbesondere dem Inhaber des Unternehmens) verliehen werden. Was im Einzelfall gewollt ist, ist – ggf. im Wege der Auslegung – dem Verleihungsakt zu entnehmen. Eine allgemeine Vermutungsregel zugunsten der unternehmensbezogenen Auszeichnung2168 erscheint kaum gerechtfertigt. Nach dem Grund der Auszeichnung sind insbesondere zu unterscheiden: Auszeichnungen für vorbildliche Leistungskraft nach Breite und/oder Kontinuität, Auszeichnungen aus besonderem Anlass (wie etwa für gute Gestaltung eines Ausstellungsstands), für die Tätigkeit des Unternehmensinhabers in berufsständischen Organisationen und sonstigen Gremien.
_____
2165 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.219. 2166 Harte/Henning/Weidert E Rn. 356. 2167 Vgl. zur Irreführung über die kommerzielle Herkunft von „Likes“: OLG Frankfurt 14.6.2018 – 6 U 23/17 – WRP 2019, 1108. 2168 So z.B. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.185.
Lindacher/Peifer
974
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
cc) Irreführungsfallgestaltungen (1) Irreführung über Bestand, Art und Grund der Auszeichnung. Um einen glat- 1012 ten Täuschungsfall handelt es sich, wenn mit schlechthin erdichteten Auszeichnungen geworben wird – sei es, dass es an einer Verleihung fehlt,2169 sei es, dass es die reklamierte Auszeichnung gar nicht gibt,2170 sei es, dass die Auszeichnung nicht mehr gültig ist.2171 Unerheblich ist, aus welchem Grund die mögliche Auszeichnung unterblieben ist. Dass die Voraussetzungen der Auszeichnung erfüllt sind, rechtfertigt keine Selbstauszeichnung.2172 Selbst dort, wo eine Auszeichnung tatsächlich vorliegt, darf indes nicht über Art und Grund derselben getäuscht werden: Ebenso wenig wie mit einer unternehmensbezogenen Auszeichnung für allgemeine gewerbliche Verdienste einzelproduktbezogen geworben werden darf,2173 rechtfertigen einzelne Produktauszeichnungen es, das Unternehmen und sein Leistungsangebot allgemein in ein günstiges Licht zu stellen. Auszeichnungen für berufsständisches Engagement oder aus Anlass eines Jubiläums dürfen nicht in einer Art und Weise werblich herausgestellt werden, die eine Auszeichnung für besondere fachliche Kompetenz erwarten lässt.2174 Wer ein Prüfsiegel verwendet, muss hinreichende Fundstellen für die Prüfung und das verwendete Siegel nachweisen können.2175 (2) Irreführung über die verleihende Stelle. Verleihende Stelle kann außer einer 1013 amtlichen Stelle auch eine sonstige Institution sein.2176 Der Werbende darf freilich im letzten Fall selbstredend nicht den falschen Schein einer behördlichen Auszeichnung setzen. Im Übrigen erwartet der Verkehr auch bei einer Auszeichnung durch eine nichtamtliche Organisation fachliche Kompetenz, Neutralität und Erteilung nach ernsthafter Prüfung; die werbliche Verwendung purer Scheinauszeichnungen ist allemal unzulässig.2177 Art und Maß der gebotenen Prüfung beurteilen sich nach der jeweiligen Auszeichnung: Wird eine Auszeichnung ausdrücklich als das Ergebnis einer Wahl von Fachjournalisten dargestellt, rechnet der Verkehr im Allgemeinen nicht mit einer Prüfung nach Art eines vergleichenden Warentests.2178 (3) Irreführende Kommentierung. Seriösen Auszeichnungen darf nicht via Kom- 1014 mentierung eine überschießende Bedeutung beigelegt werden.2179 Kasuistik: Die Werbung, die eigenen Pelzmodelle seien seit Jahren von Fachjurys mit „wertvollen Goldmedaillen“ prämiiert worden, führt irre, wenn der Zentralverband des deutschen Kürschnerhandwerks als verleihende Institution jährlich etwa 200 Goldmedaillen vergibt, die Spitzenauszeichnung also die eines „Gruppensiegers“ ist.2180 Die Be-
_____
2169 LG Berlin 29.10.2013 – 15 O 157/13 – WRP 2014, 487 Tz. 24, 31 – Deutscher Anbieter/100.000 zufriedene Kunden. 2170 A.A.: LG Nürnberg-Fürth 22.3.2018 – 3 HKO 6582/17 – WRP 2018, 890 Tz. 19, 21 – Gala Spa Awards. 2171 Vgl. KG 19.10.2018 – 5 U 175/17 – WRP 2019, 92 (Hotelsterne auf Google). 2172 Harte/Henning/Weidert E Rn. 349 f. 2173 BGH 1.12.1960 – I ZR 6/59 – GRUR 1961, 193, 196 = WRP 1961, 152,154 – Medaillenwerbung; OLG München 3.12.1987 GRUR 1989, 123. 2174 OLG Köln 17.3.2006 – 6 U 176/05 – GRUR-RR 2006, 287, 289; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 469; Ohly/Sosnitza Rn. 595. 2175 OLG Frankfurt 31.3.2016 – 6 U 51/15 – WRP 2016, 1024 Tz. 13 – Produkt des Jahres. 2176 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 471; Harte/Henning/Weidert E Rn. 352. 2177 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 471; Ohly/Sosnitza Rn. 595. 2178 OLG Stuttgart 23.10.1987 – 2 U 84/87 – NJW-RR 1988, 234, 235 – Computer des Jahres. 2179 Ohly/Sosnitza Rn. 597. 2180 OLG Koblenz 19.4.1984 – 6 U 61/84 – GRUR 1984, 603.
975
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
rühmung, die eigenen Modelle seien „international ausgezeichnet“, weckt Fehlvorstellungen, wenn die Auszeichnungen zwar von einer internationalen Jury vergeben worden sind, an dem Wettbewerb aber ausschließlich inländische Teilnehmer teilgenommen haben.2181 1015
(4) Irreführung über den Träger der Auszeichnung. Irreführend i.S.v. § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 ist es, wenn sich ein Unternehmen mit fremden Federn schmückt. Die Auszeichnung darf grundsätzlich nur von dem geführt werden, dem sie verliehen ist. Unternehmensbezogene Auszeichnungen dürfen freilich auch von Nachfolgern werblich benutzt werden.2182 Irreführend im Sinne des § 5 Abs. 1 S. 2 ist allerdings die Reklamierung von „Likes“ in sozialen Medien, die man nicht selbst erhalten, sondern die einem Rechtsvorgänger verliehen wurde. Hier liegt eine Irreführung über unternehmensbezogene Umstände nach § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 vor.2183 Die Besonderheit des vom OLG Frankfurt entschiedenen Falles resultierte daraus, dass die „Likes“ im Rahmen eines Franchisesystems verliehen wurden, dem der später mit diesen Auszeichnungen werbende Unternehmer nicht mehr angehörte. Da insoweit auch keine kontrollierten Qualitätssteuerungsinstrumente mehr bestanden, ist die Weiterführung zu Recht als irreführend angesehen worden.
dd) Auszeichnungshinweis und Qualitätsberühmung. Der Hinweis auf eine Auszeichnung beinhaltet mittelbar zugleich eine Qualitätsberühmung. Der Werbende muss freilich im Streitfall keinen eigenen Qualitätsnachweis führen. Sofern die Auszeichnung nicht erschlichen oder aufgrund sonstiger unredlicher Machenschaften des Bedachten erteilt wurde, wird die sachliche Berechtigung der entsprechenden Auszeichnung nicht überprüft:2184 Amtliche Auszeichnungen sowie Auszeichnungen seriöser sonstiger Einrichtungen müssen gefahrlos führbar sein. Kasuistik: Der Hersteller eines Geräts, das von Fachjournalisten einer Computer-Zeitschrift zum „Computer des Jahres“ gewählt wurde, darf hiermit unbeschadet der Möglichkeit werben, dass eines der Konkurrenzprodukte dem „Sieger“ objektiv qualitätsmäßig gleichsteht oder diesen sogar übertrifft.2185 1017 Fehleinschätzungen spielen allenfalls dort eine Rolle, wo die Sachkompetenz und/ oder Neutralität der verleihenden Institution zweifelhaft ist: als Indiz gegen deren Seriosität und damit der Seriosität der Auszeichnung selbst.2186
1016
1018
ee) Insbesondere: Werbung mit Umweltpreisen. Auch für die werbliche Herausstellung des eigenen betrieblichen Umweltengagements gilt: Mit Preisen für allgemeine Verdienste des Unternehmens auf dem Gebiet des Umweltschutzes darf vorbehaltlos geworben werden. Wer für die Summe seiner Umweltaktivitäten kontinuierlich Umweltpreise erhalten hat, darf in allgemein gehaltener Form bündig-griffig eine einschlägige Vorbildfunktion reklamieren.2187
_____
2181 OLG Koblenz 19.4.1984 – 6 U 61/84 – GRUR 1984, 603. 2182 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 469; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.185; Ohly/Sosnitza Rn. 598. 2183 OLG Frankfurt 14.6.2018 – 6 U 23/17 – WRP 2019, 1108. 2184 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 471. 2185 OLG Stuttgart 23.10.1987 – 2 U 84/87 – NJW-RR 1988, 234, 235. 2186 Weitergehend Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 471: werbender Hinweis auf eine Auszeichnung nur zulässig, wenn „mindestens gehobene Qualität“ gegeben. 2187 A.A. noch KG 15.6.1990 – 5 U 1397/90 – WRP 1991, 31 f.
Lindacher/Peifer
976
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
h) Berufskreisspezifische wesentliche Eigenschaften. Mit bestimmten Berufsbil- 1019 dern verbindet der Verkehr konkrete Eigenschaften: Wer sich erbietet, Finanzdienstleistungen zu vermitteln, suggeriert Unabhängigkeit in der Vermittlertätigkeit. Die entsprechende Erwartung ist einzulösen – auch und erst recht, wenn gar mit der Unabhängigkeit geworben wird. Kasuistik: Die Selbstbezeichnung eines Finanzmaklerunternehmens als „unabhängig“ ist irreführend, wenn 97% der Aktien von einem Unternehmen gehalten werden, dessen Finanzprodukte vermittelt werden.2188 i) Beweggründe für die geschäftliche Handlung aa) Begriff und Abgrenzung. Als möglichen Gegenstand irreführender geschäftli- 1020 cher Handlungen nennt § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 an letzter Stelle – im Einklang mit Art. 6 Abs. 1 lit. c UGP-RL – die „Beweggründe des Unternehmers“ für dieselbe. Bedeutung und Sinnhaftigkeit solcher Beispielsbenennung bleibt freilich weitgehend im Dunkeln: Die Fallgruppe wurde in Umsetzung des vom Rat festgelegten „Gemeinsamen Standpunkts“2189 erst spät in den Katalog der Richtlinienvorgabe aufgenommen. Nach der Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung2190 erfolgte die Übernahme aus Gründen der – nicht näher dargelegten – „Klarstellung“. Das Schrifttum blendet das Merkmal teils so gut wie aus, weist ihm andererseits einen Strauß von Fallgruppen zu, die man nicht anderweit zu verorten sieht: Genannt werden u.a.: die Verschleierung der Absicht der Geschäftsanbahnung,2191 die Zusendung unwahrer Auftragsbestätigungen oder als Rechnung getarnter Vertragsangebote2192 sowie die Täuschung über den gewerblichen Charakter eines Angebots.2193 Systematische Gründe sprechen wohl eher gegen eine Aufwertung des Merkmals als 1021 Auffangkriterium beschriebener Art. Das lauterkeitsrechtliche Irreführungsverbot steuert Irreführungsgefahren grundsätzlich unabhängig davon, aus welchem Grund ein Unternehmer eine bestimmte Geschäftshandlung vornimmt. Erfasst wird unter dem Stichwort Angaben über Beweggründe für die geschäftliche Handlung wohl nur die Fallgestaltung, dass der Beweggrund selbst und unmittelbar Gegenstand der Angabe ist, nicht auch eine Angabe anderer Art, die nur auf zugehörige Absicht schließen lässt. Die Vorenthaltung oder Tarnung der kommerziellen Absicht fällt hingegen unter § 5a Abs. 6 bzw. Nr. 11 des Anhangs zu § 3 Abs. 3. bb) Beispielsfall: Non-profit-Berühmungen. Beispiel par excellence für die Ein- 1022 schlägigkeit von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 Stichwort: Beweggründe für das geschäftliche Handeln sind ausdrückliche oder konkludente Falschberühmungen, das Unternehmen arbeite nicht gewinnorientiert, werde gar unentgeltlich tätig. Non-Profit-Versprechen, die einzulösen sind, beinhaltet die Werbung mit Begrif- 1023 fen wie „gemeinnützig“2194 oder „gemeinwirtschaftlich“.2195 Weder Kapitalverzinsung
_____
2188 OLG Frankfurt 2.12.2010 – 6 U 238/09 – GRUR-RR 2011, 220. 2189 Gemeinsamer Standpunkt (EG) Nr. 6/2005 vom Rat festgelegt am 15.11.2004, ABl. Nr. C 38 E/1. 2190 BR-Drucks. 345/08, S. 47. 2191 Harte/Henning/Weidert E Rn. 369. 2192 Nordemann Rn. 321; Harte/Henning/Weidert E Rn. 370 f. 2193 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 474; Harte/Henning/Weidert E Rn. 372. 2194 BGH 27.2.2003 – I ZR 25/01 – GRUR 2003, 448, 450 = WRP 2003, 640, 642 – Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.90; MünchKommUWG/Busche Rn. 585; Harte/Henning/Dreyer E Rn. 208. 2195 OLG Düsseldorf 12.6.1980 – 2 U 147/79 – WRP 1981, 649; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.91.
977
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
noch Kapitalgewinn darf angestrebt werden.2196 Die Gewinnabsenzerwartung wird freilich nicht bereits dadurch enttäuscht, dass das Unternehmen im Rahmen eines gegenständlich und/oder zeitlich gefächerten Leistungsangebots eine gewisse Misch- und Durchschnittskalkulation praktiziert.2197 Für eine Differenzierung, ob sich die Werbung an kaufmännisch Vorgebildete oder das breite Publikum wendet,2198 besteht schwerlich Anlass. Auch die Selbstbezeichnung als „Selbsthilfeeinrichtung“ bindet: Der Verkehr sieht 1024 entsprechende Einrichtungen ihrer Natur nach darauf angelegt, auf Gewinnerzielung zu verzichten, lediglich Kostendeckung zu erstreben.2199 „Unentgeltlichkeit“ im Vermittlungsgeschäft lässt mangels gegenteiliger Klarstel1025 lung Unentgeltlichkeit beidseits erwarten.2200 Kasuistik: Ein mit der Vermittlung von Versicherungsverträgen befasstes Unternehmen, darf seine Tätigkeit nicht als „unentgeltlich“ bezeichnen, wenn es zwar nicht von den umworbenen Versicherungsnehmern, wohl aber von den Versicherern Provisionen erhält.2201 1026
j) Unternehmensgegenstand, Unternehmensstandort, Bedienungssystem. Nicht explizit im Beispielskatalog des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 aufgeführt, von der Vorschrift gleichwohl erfasst, sind Angaben zum Unternehmensgegenstand, Unternehmenssitz und Bedienungssystem.
1027
aa) Unternehmensgegenstand. Prominentes Beispiel einer irreführenden Unternehmensgegenstandsbeschreibung sind Unternehmensbezeichnungen, Tätigkeitsbeschreibungen und sonstige werbliche Auftritte, die den Eindruck vermitteln, der Werbende erbringe die in Frage stehende Leistung selbst, obschon realiter nur eine Vermittlertätigkeit erbracht wird.2202 Kasuistik: Die Werbung eines Kreditinstituts für „X-Bank Bausparen“ ist irreführend, wenn Bausparverträge mit Bausparkassen nur vermittelt werden.2203 Ein Kreditvermittler, der in Zeitungsanzeigen „Hausfrauenkredite“ bewirbt, muss seine Nur-Vermittlereigenschaft eindeutig kenntlich machen.2204
1028
bb) Unternehmensstandort. Irreführungen über den Ort der Niederlassung des Werbenden sind von wettbewerblicher Relevanz, wenn Standortnähe bzw. -ferne von Kunden wertgeschätzt bzw. negativ bewertet wird. Sie sind darüber hinaus rechtlich bedeutsam, soweit sie einen falschen Eindruck über die lokale wirtschaftliche Stärke vermitteln. Kasuistik: „9 × in Berlin“ ist unwahr und relevant irreführend, wenn nur 7 Märkte der bundesweit agierenden M-Markt-Gruppe im Stadtgebiet, zwei weitere lediglich im
_____
2196 OLG Naumburg 22.12.2000 – 7 U 52/00 – OLGR 2001, 198; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.90. 2197 BGH 13.5.1981 – IZR 144/79 – GRUR 1981, 670, 671 = WRP 1981, 575 – Gemeinnützig; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.90. 2198 Dafür BGH 13.5.1981 – IZR 144/79 – GRUR 1981, 670, 671 = WRP 1981, 575, 575 f. – Gemeinnützig. 2199 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.91; Harte/Henning/Dreyer E Rn. 209. 2200 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.91. 2201 BGH 13.6.1981 – I ZR 100/79 – GRUR 1981, 823, 826 = WRP 1982, 207, 210 – Ecclesia-Versicherungsdienst. 2202 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 430. 2203 OLG Köln 7.5.1999 – 6 U 106/98 – NJWE-WettbR 2000, 284. 2204 OLG Hamburg 30.10.1975 – 3 U 128/75 – WRP 1979, 559, 560.
Lindacher/Peifer
978
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
Berliner Umland belegen sind.2205 Wirbt ein Unternehmen für die Reinigung von Rechenzentren unter Angabe eines bestimmten Standortes, so liegt eine relevante Irreführung vor, wenn an diesem Ort tatsächlich keine betriebliche Niederlassung besteht, zumal die Entscheidung eines (gewerblichen) Kunden für dieses Angebot auch davon abhängen kann, ob eine Betriebsstätte in der Nähe des Auftraggebers besteht.2206 cc) Bedienungssystem. Eine unternehmensbezogene Irreführung kann im Bereich 1029 des Handels auch durch unzutreffende oder missverständliche Angaben zum Bedienungssystem erfolgen. Wird Verkauf in der Form der Selbstbedienung angekündigt, geht der Verkehr davon aus, dass die Ware zugänglich und eine Auswahl ohne Beeinflussung durch Verkaufspersonal möglich ist.2207 Kasuistik: Die Ankündigung „Selbstbedienung“ rechtfertigt – auch in einem Uhren-, Gold- und Schmuckgeschäft – die Erwartung, dass zumindest das Gros der Ware so angeboten wird, dass Rückfragen im Allgemeinen unnötig sind und eine Ansprache des Interessenten in der Auswahlphase unterbleibt.2208 Umgekehrt ist eine Irreführung auch durch Enttäuschung geweckter Erwartung hin- 1030 sichtlich Beratung und/oder Bedienungskomfort möglich: Bei einem „Fachgeschäft“ muss gewährleistet sein, dass eine qualifizierte Beratung zumindest jederzeit mit Erfolg nachgefragt werden kann. Und, selbst unterhalb der Fachgeschäft-Schwelle rechtfertigt die tatsächliche breite Übung mangels hinreichend deutlicher Klarstellung des Abweichens von der Regel zumindest einschlägige Basiserwartungen bezüglich Information und/oder Komfort. k) Hersteller- und Großhändlereigenschaft. Nicht ausdrücklich im Beispielskata- 1031 log des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 benannt, von der Vorschrift über den Oberbegriff der Unternehmereigenschaft gleichwohl erfasst, ist der Verkäuferauftritt als Hersteller oder Großhändler.2209 Einschlägige Erwartungsenttäuschung ist von hoher werblicher Relevanz: Der angesprochene Verkehr assoziiert mit der Herstellereigenschaft nicht selten Vorteile in puncto Beratung, Garantie, Kulanz und Reparaturservice, vor allem aber in preislicher Hinsicht. „Großhandel“ lässt Sortimentsbreite (unter Einschluss gehobener Qualitäten), vor allem aber eine günstige Preisstellung erwarten. Die praktische Bedeutung der Anerkennung des Merkmals als unternehmensbe- 1032 zogenes Merkmal ist freilich insoweit gering als die irreführende Berühmung der Hersteller- bzw. Großhändlereigenschaft auch und bereits § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 (Stichwort: Irreführung über die Bezugsquelle) unterfällt. Die Kommentierung behandelt die angesprochene Fallgruppe denn auch schwerpunktmäßig ebenda (s. Rn. 772 ff.). IV. Sponsoring und Zulassung, Abs. 1 S. 2 Nr. 4 1. Unionsrechtlicher Hintergrund, Abgrenzung. § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 greift in Um- 1033 setzung der Richtlinie 2005/29/EG aus der Liste des Art. 6 Abs. 1 lit. c UGP-RL zwei Merkmale heraus: Angaben über Sponsoring und Angaben, die sich auf eine Zulassung des Unternehmers oder der Waren oder Dienstleistungen beziehen. Die Zusammenfü-
_____
2205 2206 2207 2208 2209
979
OLG Brandenburg 18.1.2000 – 6 W 83/99 – WRP 2000, 794, 795. LG Frankfurt/M. 6.6.2018 – 2-6 O 206/18 – WRP 2018, 1501. Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 446; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.38. BGH 15.5.1970 – I ZR 50/68 – GRUR 1970, 515, 516 = WRP 1970, 312, 313 – Selbstbedienung. Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 432 ff.; Ohly/Sosnitza Rn. 615.
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
gung in einer Nummer erscheint willkürlich-akzidentiell.2210 Soweit die Zulassung den Unternehmer als solchen betrifft, doppelt § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 schlechtem RichtlinienBeispiel folgend (s. einerseits Art. 6 Abs. 1 lit. c, andererseits Art. 6 Abs. 1 lit. f. UGP-RL) § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3. Soweit die Zulassung des beworbenen Produkts in Frage steht, ist zugleich das in Abs. 1 S. 2 Nr. 1/Art. 6 Abs. 1 lit. b UGP-RL angeführte Merkmal der Verwendungsmöglichkeit angesprochen: Mangelnde Verkehrsfähigkeit infolge fehlender Zulassung ist eine negative Produkteigenschaft. Bei Hinweisen auf „Zulassungen“ bestehen zudem Überschneidungen zu den jeweils richtliniengeleiteten Vorschriften Anh. Nr. 4 und Anh. Nr. 9. 2. Sponsoring Schrifttum Ernst Corporate Social Responsibility (CSR) und das Wettbewerbsrecht, WRP 2010, 1304; Heermann Sind nicht autorisierte Ticket-Verlosungen lauterkeitsrechtlich unzulässiges Ambush Marketing? GRUR-RR 2012, 313; Kloth Dabei sein ist alles? Aktuelle Entwicklungen zum Ambush-Marketing bei Olympischen Spielen und anderen Sport-Großveranstaltungen, GRUR-Prax 2019, 245; Schaub Sponsoringverträge und Lauterkeitsrecht, GRUR 2008, 955; Seichter Das Regenwaldprojekt, WRP 2007, 230; Spießhofer Was ist die „gesellschaftliche Verantwortung“ von Unternehmen?, IWRZ 2019, 65.
a) Allgemeines. Sponsoring ist die gezielte Förderung von Personen, Organisationen oder Veranstaltungen durch Geld-, Sach- oder Dienstleistungen zum Zweck der Eigenwerbung.2211 Typische Formen des Sponsorings sind neben dem sog. Sportsponsoring, die Unterstützung sozialer Zwecke oder Einrichtungen („Sozialsponsoring“), von künstlerischen Veranstaltungen und Anliegen („Kultursponsoring“) oder Umweltprojekten („Umweltsponsoring“).2212 Mit der Sponsoringwerbung instrumentalisiert der Sponsor gemäß der Devise „Tue Gutes und rede darüber“ seine Unterstützungsleistung: Der Hinweis auf getätigtes Sponsoring ist ein Akt der Imagewerbung. Um den Aufbau einer gewissen Sympathiebeziehung bemüht, setzt der Werbende auch darauf, dass eine positive Grundstimmung die Marktentscheidung zugunsten des eigenen Angebots fördert. 1035 Um eine besonders wirksame Instrumentalisierung des jeweiligen Engagements handelt es sich, wenn der Werbende Absatz und Sponsoring koppelt, indem er die Zuwendung eines Teils des Leistungsentgelts an eine soziale oder gemeinnützige Einrichtung verspricht: Einschlägige akzessorische Sponsoringwerbung setzt auch und gerade darauf, dass der Umworbene sich aus der Erwägung, selbst zu einem guten Werk beizutragen, für das beworbene Angebot entscheidet. 1036 Typische Erscheinungsform der Sponsoringwerbung ist die Eigenwerbung des Sponsors. In der Praxis begegnen indes zunehmend auch einschlägige Kommunikationsleistungen des Gesponserten: Der Zuwendungsempfänger betreibt – freiwillig oder vertraglich gegenüber dem Sponsor geschuldet2213 – Werbung zugunsten desselben.
1034
_____
2210 Harte/Henning/Weidert F Rn. 2: „Was dabei Sponsoring einerseits und Zulassung andererseits miteinander zu tun haben sollen […], bleibt ungewiss.“ 2211 Ohly/Sosnitza Rn. 698. 2212 Gloy/Loshelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 476. 2213 Zum Phänomen der Sponsoringverträge Schaub GRUR 2008, 955.
Lindacher/Peifer
980
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
b) Zentrale Bedeutung des Irreführungsverbots. Die deutschen Gerichte standen 1037 Sozio-Sponsoring-Werbung lange Zeit kritisch gegenüber. Unter Berufung auf das „Sachlichkeitsgebot“ wurde nicht nur die akzessorische Sponsoringwerbung, sondern sogar die schlichte Werbung mit eigenem sozialem Engagement als unzulässige gefühlsbetonte Werbung qualifiziert.2214 Mit der Verabschiedung des „Sachlichkeit“-Dogmas, eingeläutet durch die BVerfG-Entscheidung „Tier- und Artenschutz“,2215 erfuhr die Kontrolle am Maßstab des Irreführungsverbots die gebührende Aufwertung: Schlichte SozioSponsoring-Werbung unterliegt keiner Beanstandung nach § 4a, Sozio-SponsoringWerbung in Koppelung an den Absatz allenfalls beim Vorliegen von „Plusfaktoren“. Der Schwerpunkt der lauterkeitsrechtlichen Beurteilung der Sponsoringwerbung liegt heute bei § 5. c) Aussagen oder Symbole mit Sponsoringbezug. Werbeangaben müssen nicht 1038 ausdrücklich formuliert, auch nicht verbalisiert sein. § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 stellt mit der Nennung von „Aussagen“ und „Symbolen“ lediglich klar, was nach § 5 Abs. 3 ohnehin rechtens ist. Die explizite Erwähnung dürfte freilich auf den Gesetzgeberwillen hinweisen, die Begriffe weit zu verstehen.2216 Symbole i.S. von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 sind alle Kennzeichen, Abbildungen und Logos, die sich auf den Geförderten oder das Sponsoring beziehen.2217 d) Fallgruppen potentieller Irreführung. Irreführungsgefahrbegründende Anga- 1039 ben können sich auf das Ob der Förderung, deren Art und Ausmaß, die Mittelverwendung sowie das geförderte Projekt beziehen.2218 Wie bei der schlichten Sponsoringwerbung müssen freilich auch bei der absatzak- 1040 zessorischen Sponsoringwerbung Art und Weise der Unterstützung und die Höhe der Spende nicht genannt werden:2219 Ohne Konkretisierung geht der relevante Verkehr davon aus, dass das werbende Unternehmen zeitnah überhaupt eine Sponsorleistung erbringt und diese nicht so geringfügig ist, dass sie die werbliche Herausstellung nicht rechtfertigt.2220 Hoher Werbeaufwand lässt auf eine nicht geringe Spende schließen.2221 Detailaussagen sind auch nicht nach § 5a Abs. 2 geschuldet:2222 Wesentlich i.S. dieser Vorschrift ist eine Information nur dann, wenn das Ausräumen der Unsicherheit der Gefahr einer negativen Marktentscheidung steuert. Eine solche Gefahr besteht bei einer der Verkehrserwartung entsprechenden Sponsorleistung indes gerade nicht. Konkretisiert das werbende Unternehmen in Nutzung des Erfahrungssatzes, dass 1041 Spezifizierung absatzfördernd wirkt, den eigenen Beitrag, muss der hierdurch geweckten
_____
2214 (Schreck-)Beispiel aus nicht allzu ferner Zeit: OLG Stuttgart 1.12.1995 – 2 U 72/95 – WRP 1996, 628 = EWiR 1996, 421 m. zust. Anm. Ostermann. 2215 BVerfG 6.2.2002 – 1 BvR 952/90/1 BvR 2151/96 – GRUR 2002, 455 = WRP 2002, 430. Entscheidungsrezension: Lindacher FS Tilmann, 2003, 195. 2216 Harte/Henning/Weidert F Rn. 6. 2217 Ohly/Sosnitza Rn. 700. 2218 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 477; Harte/Henning/Weidert F Rn. 7. 2219 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 477; Steinbeck GRUR 2005, 540, 547; Seichter WRP 2007, 230, 235 f. A.A. noch Henning-Bodewig WRP 2006, 621, 626 sowie Nordemann/Dustmann FS Tilmann, 2003, 207, 217. 2220 BGH 26.10.2006 – I ZR 33/04 – GRUR 2007, 247 Tz. 25 = WRP 2007, 303 – Regenwaldprojekt I; 26.10.2006 – I ZR 97/04 – GRUR 2007, 251 Tz. 22 = WRP 2007, 308 – Regenwaldprojekt II; Lindacher FS Tilmann, 2003, 195, 205; Seichter WRP 2007, 230, 235; Ernst WRP 2010, 1304, 1311. 2221 Seichter WRP 2007, 230, 236; Ernst WRP 2010, 1304, 1311. 2222 A.A. Henning-Bodewig WRP 2006, 621, 626.
981
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
Vorstellung allerdings Rechnung getragen werden: Vollmundigkeit weckt einzulösende Erwartungen.2223 In Angaben, welche die Förderleistung schlagwortartig kennzeichnen, sind freilich keine überzogenen Verkehrserwartungen hineinzulesen. Wer für die Verkaufseinheit einen Betrag an den WWF abführt, der nach der Kalkulation desselben für eine sinnvolle Bewirtschaftung und Überwachung pro Quadratmeter Regenwald für ein bestimmtes Schutzprojekt jährlich erforderlich ist, darf bei begleitender Erläuterung durchaus bildhaft-griffig mit der Aussage werben, dass mit jeder Verkaufseinheit ein Jahr lang 1 qm Regenwald geschützt werde.2224 1042
e) Ambush Marketing. Direktes Ambush Marketing, die wahrheitswidrige Anmaßung des Status eines offiziellen Sponsors eines sportlichen oder sonstigen Großereignisses, unterfällt vorrangig dem Black-List-Tatbestand Nr. 4 (s. Anh. Nr. 4 Rn. 15). Besteht für die werblich eingesetzte Bezeichnung mit Blick auf ein einschlägiges Freihaltebedürfnis2225 kein markenrechtlicher Schutz, muss diese Wertung zudem auch für § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 beachtet werden: Soweit der Werbung überhaupt eine Sponsorberühmung zu entnehmen ist,2226 mangelt es an einer rechtlich relevanten Irreführung.2227 Kasuistik: Die Auslobung von Eintrittskarten für ein Sportereignis (hier: FußballEuro 2012) im Rahmen eines online beworbenen Gewinnspiels vermittelt per se nicht den Eindruck eines Zusammenhangs mit Sponsoring. Den Fan interessiert das Spiel und der Umstand, dass jemand als Gewinn Karten dafür verlost, nicht, ob der Veranstalter des Gewinnspiels die Karten im Rahmen eines Sponsoring-Abkommens oder sonst wie erworben hat.2228 Ebenso ist es, wenn ein Unternehmen Konzertkarten verlost. Auch der Umstand, dass dabei Marken genannt werden, unter denen das Konzert geschützt ist, führt noch nicht dazu, dass ein Veranstaltungssponsoring behauptet wird.2229
1043
f) Sponsoringwerbung durch den Gesponserten. Sponsoringwerbung durch den Zuwendungsempfänger zugunsten des Zuwendenden erfüllt den Tatbestand der geschäftlichen Handlung (§ 2 Abs. 1 Nr. 1) und steht in der rechtlichen Beurteilung der Eigenwerbung des Sponsors gleich.
1044
g) Darlegungs- und Beweislast. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer Irreführungsgefahr liegt grundsätzlich beim Intervenienten. Zu seinen Gunsten greifen freilich die Grundsätze der Darlegungs- und Beweiserleichterung kraft Näheprinzips (allgemein: Rn. 1108): Er darf sich mit einem Vortrag geringerer Substantiierungsdichte (bis hin zur Beschränkung auf die Behauptung der Unrichtigkeit der zu beurteilenden Angabe) begnügen, wenn er Anhaltspunkte geltend zu machen vermag, die Zweifel an der Richtigkeit der Angabe rechtfertigen.2230
_____
2223 Statt aller: Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 5.4. 2224 Vgl. BGH 26.10.2006 – I ZR 33/04 – GRUR 2007, 247 Tz. 29 ff. = WRP 2007, 303 – Regenwaldprojekt I; 26.10.2006 – I ZR 97/04 – GRUR 2007, 251 Tz. 24 ff. = WRP 2007, 251 – Regenwaldprojekt II. A.A. noch OLG Hamm 12.11.2002 – 4 U 109/02 – GRUR 2003, 975. 2225 Rspr.-Beispiel: BGH 27.4.2006 – I ZB 96/05 – GRUR 2006, 850 – Fußball WM 2006. 2226 Zurückhaltend Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 477. 2227 Ohly/Sosnitza Rn. 700. 2228 LG Stuttgart 4.5.2012 – 31 O 26/12 KfH – WRP 2012, 1154, 1157; Heermann GRUR-RR 2012, 313. 2229 OLG Frankfurt 5.7.2013 – 3/10 O 42/13 – WRP 2014, 215 – Gewinnspielwerbung. 2230 BGH 26.10.2006 – I ZR 33/04 – GRUR 2007 Tz. 33 = WRP 2007, 303 – Regenwaldprojekt I; 26.10.2006 – I ZR 97/04 – GRUR 2007, 251 Tz. 31 = WRP 2007, 308 – Regenwaldprojekt II.
Lindacher/Peifer
982
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
3. Zulassung. Wie dem Umstand Rechnung zu tragen ist, dass das Gesetz Angaben 1045 zur Zulassung des Unternehmers oder seiner Waren oder Dienstleistungen bereits in § 5 Abs. 1 S. Nr. 3 (s. Rn. 982 ff.) sowie über das Merkmal der Verwendungsmöglichkeit in § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 thematisiert (s. Rn. 489, 491 f.), ist streitig und zweifelhaft. Außer Frage steht nur der Prüf- und Anwendungsvorrang der Black-List-Tatbestände Nr. 4 und Nr. 9, der die Brisanz der Abgrenzungsfrage mindert. Denkbar ist es, § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 als speziellere Regelung gegenüber § 5 Abs. 1 S. 2 1046 Nr. 3 und 1 anzusehen und davon auszugehen, dass § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 nur solche Produkt- und Tätigkeitsgestattungen erfasst, die nach Durchlaufen eines gesetzlich fixierten oder von einer neutralen Institution nach objektiven Kriterien durchgeführten Zulassungsverfahren erteilt werden.2231 Wer dies anders sieht, muss die Mehrfachregelung als Fall verfehlter Regelungsdop- 1047 pelung ansehen: Die Vorschrift des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 läuft dann insoweit leer, weil produktbezogene Zulassungsaussagen an § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, unternehmensbezogene Zulassungsaussagen an § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 zu messen sind.2232 V. Notwendigkeit einer Leistung, eines Ersatzteils, eines Austauschs oder einer Reparatur, Abs. 1 S. 2 Nr. 5 1. Unionsrechtlicher Hintergrund, Abgrenzung. § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 entspricht 1048 wörtlich Art. 6 Abs. 1 lit. e der RL 2005/29/EG. Die Vorschrift knüpft an dem Befund an, dass die bestimmungsgemäße Verwendung bestimmter Produkte den Erwerb von Komplementärprodukten bzw. Ersatzteilen und/oder die Inanspruchnahme zusätzlicher Leistungen unumgänglich macht, Praktiken, die eine nicht gegebene einschlägige Notwendigkeit vorspiegeln und zu überflüssigen Anschaffungen und Leistungsinanspruchnahmen verleiten. Im Verhältnis zu § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 erscheint im Überschneidungsbereich der 1049 Zugriff auf § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 vorzugswürdig: Zu den wesentlichen Merkmalen einer Ware oder Dienstleistung i.S. von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 gehört zwar auch deren Notwendigkeit zur Erreichung eines bestimmten Zwecks.2233 § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 stellt sich indes, das Merkmal des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 insoweit konkretisierend, wohl als die speziellere Vorschrift dar.2234 Für eine Beschränkung von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 auf nachvertragliche Leistungen2235 besteht kaum Anlass. 2. Leistung, Ersatzteil, Austausch, Reparatur. „Leistung“ ist ersichtlich der Ober- 1050 begriff, der die nachgenannten Begriffe „Ersatzteil“, „Austausch“ und „Reparatur“ einschließt, aber über dieselben hinausreicht.2236 Erfasst werden neben Ersatzteilen auch Zubehörteile,2237 neben der Reparatur auch die Wartung im Rahmen eines Kundendienstes.2238
_____
2231 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 378. 2232 Gleichsinnig: Ohly/Sosnitza Rn. 701. 2233 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 291. 2234 Gegenläufig – eine eigenständige Bedeutung von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 gegenüber § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bezweifelnd – freilich Ohly/Sosnitza Rn. 702 sowie Büscher/Dittmer/Schiwy/Lehmler Rn. 281. 2235 So Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 412. 2236 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 413. 2237 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 413. 2238 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 414.
983
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
1051
3. Irreführung. Prototyp der Irreführung i.S. von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 ist die Täuschung des Kunden über die Unverzichtbarkeit einer bestimmten Leistung für die zweckentsprechende Verwendung des Referenzprodukts: Der Anbieter suggeriert wahrheitswidrig, das gekaufte Gerät sei nur in Kombination mit einem Zusatzgerät funktionsfähig. Er macht den Kunden verbunden mit der Empfehlung des Erwerbs eines Neugeräts fälschlicherweise glauben, das schadhafte Gerät sei nicht mehr reparierbar. 1052 § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 erfasst aber nicht nur Falschaussagen hinsichtlich des Ob, sondern auch irreführende Angaben über das Wann und das Wie sowie über den Umfang im Grunde durchaus gebotener Leistungen:2239 Der Anbieter setzt die Wartungsintervalle, die „strikt“ einzuhalten sind, sachwidrig kurz an. Er behauptet, dass die fällige Reparatur auf eine bestimmte Art und Weise erbracht werden müsse, obschon es tatsächlich auch anders und billiger geht. Er tauscht das defekte Einzelteil, mit dem Bemerken, dieses sei einzeln nicht lieferbar, gegen die teuere, bei ihm vorrätige Systemeinheit aus. Die Falschbehauptung, der Erwerb der angebotenen Sache/die Inanspruchnahme 1053 der vorgeschlagenen Leistung sei wirtschaftlich alternativlos, ist der Sache nach eine Notwendigkeitsbehauptung i.S. von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 5: Die auf Verleitung zum Neuerwerb zielende sachlich unzutreffende Äußerung, das Altgerät lasse sich nicht mehr mit vertretbarem Aufwand reparieren, steht der unwahren Behauptung, das Gerät sei technisch irreparabel, gleich. Wie § 5 insgesamt verbietet auch § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 Desinformation, ist aber kein 1054 Quell für Informationspflichten. Auch aus § 5a lässt sich keine Pflicht des Unternehmers ableiten, ungefragt auf gleichwertige, möglicherweise günstigere Alternativen hinzuweisen: Die einschlägige Information mag zwar für den Kunden unter Marktentscheidungsgesichtspunkten wesentlich sein, ihr Zurückhalten ist indes kein Vorenthalten i.S. von § 5a. Die in einem entsprechenden Hinweis eingeschlossene Werbung für Konkurrenzprodukte ist einem Unternehmer nicht zuzumuten.2240 VI. Einhaltung eines Verhaltenskodexes, Abs. 1 S. 2 Nr. 6 Schrifttum Balitzki Werbung mit ökologischen Selbstverpflichtungen, GRUR 2013, 670; Birk Corporate Responsibility, unternehmerische Selbstverpflichtung und unlauterer Wettbewerb, GRUR 2011, 196; Buntenbroich Menschenrechte und Unternehmen – Transnationale Rechtswirkungen freiwilliger Verhaltenskodizes, 2005; Dreyer Verhaltenskodizes im Referentenentwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb – Wird das Wettbewerbsrecht zum Motor für die Durchsetzung vertraglicher Verpflichtungen?, WRP 2007, 1294; Schmidhuber Verhaltenskodizes im nationalen und grenzüberschreitenden elektronischen Geschäftsverkehr, 2004; ders. Verhaltenskodizes im neuen UWG, GRUR 2011, 196; Spindler Codes of Conduct im UWG – de lege lata und de lege ferenda, FS Fezer (2016) S. 849.
1055
1. Unionsrechtlicher Hintergrund, Abgrenzung. Die Vorschrift beruht auf Art. 6 Abs. 2 lit. b der RL 2005/29/EG und ist demgemäß richtlinienkonform auszulegen. Sie ist das Überbleibsel einer im Vorfeld des Richtlinien-Erlasses zeitweise geplanten umfassenderen Regelung, basierend auf der Vision, die Lauterkeit des Wettbewerbs auch und vor allem durch ein Zusammenspiel von Selbstverpflichtung und gerichtlicher Kontrolle eingegangener Selbstverspflichtung zu gewährleisten. Während die Kommission im
_____ 2239 2240
Harte/Henning/Weidert G Rn. 3. Harte/Henning/Weidert G Rn. 5.
Lindacher/Peifer
984
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
Grünbuch zum Verbraucherschutz in der Europäischen Union2241 noch vorgeschlagen hatte, jede Nichterfüllung freiwilliger Selbstverpflichtung als unlauter anzusehen, erfasst § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 in Umsetzung von Art. 6 Abs. 2 lit. b UGP-RL nur die Nichteinhaltung der Verpflichtungen aus Verhaltenskodizes, auf die der Unternehmer hingewiesen hat. Geschützt wird das durch den Hinweis geweckte Vertrauen auf Beachtung von Verhaltenskodexpflichten. Der Existenz von Verhaltenskodizes als solcher kommt für die Beantwortung der 1056 Frage, ob ein dortselbst thematisiertes Verhalten unlauter i.S. von § 3 Abs. 1 ist, allenfalls eine begrenzte indizielle Bedeutung zu, und zwar unabhängig davon, ob das kommentwidrig handelnde Unternehmen zu denjenigen gehört, die die Regelungen vereinbart haben oder nicht:2242 Die Abgrenzung zwischen (noch) lauter und unlauter obliegt Gesetz und Rechtsprechung. Private Kodizes spiegeln im Idealfall, aber keineswegs notwendigerweise, was rechtens ist. Die allfällige Anerkennung des Verhaltenskodexes durch die Kartellbehörde (§ 24 GWB) ist keine Allgemeinverbindlichkeitserklärung. Sie hat nur zum Inhalt, dass das Amt von seinen Befugnissen nach dem GWB keinen Gebrauch machen wird.2243 Dem besonderen (Rest-)Stellenwert, den das europäische Recht Verhaltenskodizes 1057 gleichwohl beimisst, entspricht die – von Anh. Nr. 1 bzw. 3 UGP-RL vorgegebene – Ausflaggung zweier Regelungssachverhalte als Black-List-Tatbestände: Im Business-to-Consumer-Bereich verstößt die unwahre Unternehmerangabe, zu den „Unterzeichnern“ eines Verhaltenskodexes zu gehören, gegen das per se-Verbot von Anh. Nr. 1, die unwahre Angabe, der Verhaltenskodex sei von einer öffentlichen oder anderen Stelle gebilligt, gegen das per se-Verbot von Anh. Nr. 3. Beiden Vorschriften kommt im Überschneidungsbereich mit § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 nach allgemeinen Grundsätzen Prüf- und Anwendungsvorrang zu. Enge Anwendungsbereichsziehung bei § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 (hierzu Rn. 1064) eröffnet 1058 und gebietet – jenseits der Einschlägigkeit der Black-List-Tatbestände – den Blick auf § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 (Stichwort: Mitgliedschaften und Beziehungen). 2. Verhaltenskodex. Verhaltenskodizes (engl.: Codes of Conduct) sind nach der die 1059 Vorgabe von Art. 2 lit f. UGP-RL umsetzenden Definition des § 2 Abs. 1 Nr. 5 Zusammenstellungen von „Vereinbarungen oder Vorschriften über das Verhalten von Unternehmern, zu welchem diese sich in Bezug auf Wirtschaftszweige oder einzelne geschäftliche Handlungen verpflichtet haben, ohne dass sich solche Verpflichtung aus Gesetzes- oder Verwaltungsvorschriften ergibt“. Kennzeichnend für ein Regelwerk als Verhaltenskodex ist die Verhaltensbindung, bloße Verhaltensempfehlungen genügen nicht.2244 Das Grünbuch zum Verbraucherschutz argumentiert diesbezüglich, zwei Elemente seien „für das Funktionieren der Option ‚EU-weite Selbstregulierung‘ entscheidend“: Erstens müsste die Nichterfüllung einer freiwillig eingegangenen Verpflichtung „als irreführende oder unlautere Geschäftspraxis“ definiert werden. Zweitens müssten in das System der Verpflichtung nicht nur Einzelunternehmen, sondern auch Unternehmensverbände „und andere Organisationen“ eingebunden werden.2245 Das Konzept der Co-Regulierung be-
_____
2241 KOM/2001/0531 endg. Ziff. 4.4. 2242 BGH 9.9.2010 – I ZR 157/08 – GRUR 2011, 431 Tz. 13 und 15 = WRP 2011, 444 – FSA-Kodex; Köhler/ Bornkamm Rn. 5.164a. 2243 BGH 7.2.2006 – KZR 33/04 – GRUR 2006, 773 Tz. 19, 20 = WRP 2006, 1113 – Probeabonnement; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 478. 2244 Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 419; Ohly/Sosnitza Rn. 703. 2245 Grünbuch, KOM (2001) 531 endg., S. 16 f.
985
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
deutet mithin, dass die Eingehung der Bindung selbst zwar noch freiwillig ist, mit der erfolgten Bindung aber eine Art Gütesiegel erworben werde, dessen Einsatz in der Werbung nur berechtigtes Vertrauen erzeugt, wenn die freiwilligen Verhaltensmaßstäbe auch tatsächlich erfüllt werden. Die Nichterfüllung wird dann nicht mehr durch die Selbstkontrolleinrichtung, sondern durch die staatlichen Gerichte über das Lauterkeitsrecht kontrolliert. Ein derartiges System der Co-Regulierung hatte im deutschen Wettbewerbsrecht bisher keine große Bedeutung. Erprobt wird es im Datenschutz- und Medienrecht, insbesondere im Bereich des Jugendschutzes.2246 Größere Bedeutung hat die Werbeselbstkontrolle traditionell in Großbritannien2247 und Skandinavien.2248 1060 Verhaltenskodizes stehen im Zentrum einer Diskussion um „Compliance“, die nicht nur die Einhaltung von Rechtsregeln, sondern auch Unternehmensrichtlinien einbezieht. Zu solchen Kodizes gehören ohne weiteres Vereinbarungen, mit denen bestimmte Handelsprinzipien (keine Kinderarbeit, „fairer Handel“, kein Tropenholz) oder Qualitätsstandards („wir verarbeiten nur frische Produkte aus der Region“) aufgestellt werden. Aus Erwägungsgrund 20 der RL 2005/29/EG lässt sich nicht herauslesen, dass der Begriff des Verhaltenskodexes solchen Regelwerken vorbehalten ist, die auf eine Trennung von lauterem und unlauterem Geschäftshandeln angelegt sind.2249 Ganz im Gegenteil sind insbesondere erfasst (teilweise geradezu angezielt) Regelwerke, die Standards formulieren, deren Einhaltung sozial verantwortungsvolles Unternehmerhandeln (corporate social responsibility – CRS) darstellt. Genau hier liegt die Zielrichtung der Regelung. Sie soll Unternehmen zur Formulierung solcher Selbstbindungen ermuntern, allerdings auch die Untersagung einer Werbung mit solcher Selbstbindung verhindern, sollte sie nicht oder nicht wie versprochen eingehalten werden. 1061
3. Unterwerfung unter den Kodex. Der Kodex bindet den einzelnen Unternehmer, wenn und weil er sich diesem unterworfen hat: Der Unternehmer muss eine Verpflichtungserklärung zur Einhaltung des Kodexes abgegeben haben, etwa durch Beitritt zu dem Verband, der den Verhaltenskodex aufgestellt hat und seine Mitglieder durch Satzungsbestimmung zur Einhaltung verpflichtet.2250 Scharf kritisiert wurde die Regelung aus Unternehmerkreisen im Hinblick auf das co-regulierende Element, also die Bindung der non-compliance an das Irreführungsverbot. Dadurch würden der Selbstkontrolle das Element der Freiwilligkeit und die Möglichkeit zur Selbstdurchsetzung innerhalb der betroffenen Industrie genommen.2251 Die Kritik ist überzogen. Co-Regulierung ist gerade keine reine Selbstregulierung. Co-Regulierung spielt überall dort eine Rolle, wo die rein imperative Regulierung versagt, die bloße Selbstregulierung aber Durchsetzungsdefizite zeigt. Die fehlende Effizienz der reinen Selbstkontrolle hat in Deutschland im Jugendme-
_____
2246 Grundlegend Hoffmann-Riehm Rundfunk und Fernsehen, 1995, S. 125: „regulierte Selbstregulierung"; zusammenfassend Rossen-Stadtfeld Die Konzeption Regulierter Selbstregulation und ihre Ausprägung im Jugendmedienschutz, AfP 2004, 1. 2247 GroßKommUWG/Schricker Erstauflage Einl. Rn. F316: "klassisches Land der Werbeselbstkontrolle"; vgl. auch Hoeren, Selbstregulierung im Banken- und Versicherungsrecht, 1995, S. 13. 2248 Kur GRUR Int 1996, 38, 40. 2249 Für Einbeziehung von Regelwerken, die Standards formulieren, deren Einhaltung sozial verantwortungsvolles Unternehmerhandeln (corporate social responsibility – CRS) darstellt, denn auch explizit Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Anh. Nr. 1 Rn. 4. 2250 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 480. 2251 So die Stellungnahme des Bundesverbandes der Informationswirtschaft, Telekommunikation und Neue Medien e.V. (BITKOM) zu Art. 10 der RL 2005/29/EG in der Fassung des Entwurfs KOM (2003) 356 endg., abrufbar über http://www.bitkom.de unter Stellungnahmen 2003.
Lindacher/Peifer
986
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
dienschutz zu staatlich beaufsichtigter Selbstregulierung geführt. Im Wettbewerbsrecht sind diese Mittel noch wenig erprobt. Doch besteht für die betroffenen Unternehmen die Chance, die Funktionsfähigkeit von Verhaltensnormen dadurch zu stärken, dass man die Ernsthaftigkeit ihrer Einhaltung überprüfbar macht. Hierin liegt das Anliegen der Richtlinie. 4. Irreführung. Anknüpfungspunkt des Irreführungsverbots ist die Erwartung des Verkehrs, dass der Unternehmer sich entsprechend seiner Ankündigung, dem konkreten Hinweis, an einen bestimmten Verhaltenskodex halten wird. Erfasst wird allemal der Fall, dass sich der Unternehmer erwartungskonträr nicht an die eingegangene Verpflichtung aus dem in Bezug genommenen Verhaltenskodex hält. Streitig, aber wohl zu bejahen ist, ob § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 darüber hinaus auch die Irreführung über die Existenz des Verhaltenkodexes sowie die Irreführung über das Unterworfen-Sein des Werbenden unter einen existenten Verhaltenskodex einschließt.2252 Bei Verneinung der Tatbestandsmäßigkeit nach § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 stellt sich die Frage der Einschlägigkeit von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 (Stichwort: Mitgliedschaften und Beziehungen). Der vorbehaltlose Hinweis auf einen Kodex lässt Existenz und Wirksamkeit desselben, Kodexbindung und Einhaltung der eingegangenen Verpflichtung erwarten. Bloße Absichtserklärungen, sich um die Einhaltung der Standards zu bemühen, genügen nicht.
1062
1063
1064
1065
5. Geschäftsentscheidungsrelevanz. Anders als bei Anh. Nr. 1 kommt es bei § 5 1066 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 nach allgemeinen Grundsätzen (s. Rn. 238 ff.) auf die Marktentscheidungsrelevanz des Irrtums an. Diese mit Blick auf eine eher geringe Verbreitung von Selbstverpflichtungsregelwerken generell in Zweifel zu ziehen,2253 besteht kein Anlass. Verhaltenskodexbindung suggeriert immerhin eine gewisse Seriosität des Unternehmens und/oder Produktqualität.2254 VII. Rechte des Verbrauchers, Abs. 1 S. 2 Nr. 7 Schrifttum Stillner Irreführung über Verbraucherrechte – Das Aus für die „Flucht in die Rechtsauffassung“, WRP 2015, 438.
1. Unionsrechtlicher Hintergrund, Abgrenzung. § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 setzt die Vor- 1067 gabe aus Art. 6 Abs. 1 lit. g UGP-RL um. Umsetzungsvorschrift und Richtlinienvorgabe tragen dem Umstand Rechnung, dass das neue Recht mit Einführung des Zentralbegriffs der geschäftlichen Handlung unlautere Geschäftspraktiken vor, während und nach Abschluss eines produktbezogenen Handelsgeschäfts erfasst (Rn. 10). Eine geschäftliche Handlung bei Durchführung eines Vertrags liegt auch vor, wenn die Handlung objektiv geeignet und darauf gerichtet ist, den Vertragspartner an der Geltendmachung bzw. Ausübung vertragsrechtlicher Ansprüche und Gestaltungsrechte zu hindern.
_____
2252 Wie hier etwa Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 419, verneinend Harte/Henning/Dreyer H Rn. 7 sowie Ohly/Sosnitza Rn. 703. 2253 So noch Lettl Irreführende Werbung S. 32; Seichter WRP 2005, 1087, 1095. 2254 Beater Rn. 1274; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 419.
987
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
1068
Während konfundierende Werbung mit Garantien und sonstigen Besserstellungen im Leistungsstörungsfall unter § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 fällt,2255 erfasst § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 Irreführungspraktiken als Mittel der Anspruchsabwehr und/oder Blockierung von Vertragsauflösungsrechten. Entgegen sonstiger Übung setzt § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 die Richtlinienvorgabe nicht 1069 überschießend um: Die Vorschrift ist ihrem Wortlaut nach nur im Verhältnis Unternehmer-Verbraucher anwendbar. Gründe für eine solche Beschränkung sind nicht ersichtlich, die Materialien schweigen. Im Gegenschluss ist § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 zu entnehmen, dass es nicht sinnvoll ist, Irreführungspraktiken der in § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 thematisierten Art im Business-to-Business-Verkehr hinzunehmen. Die Lücke im Katalog des § 5 Abs. 1 S. 2 lässt sich unschwer schließen, wenn man der einschlägigen Merkmalsaufzählung, wie hier befürwortet (s. Rn. 306), keinen abschließenden Charakter beimisst: Im Verhältnis von Unternehmen untereinander kommt § 5 Abs. 1 S. 1 in Betracht.2256 2. Irreführung als Mittel der Anspruchsabwehr. § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 thematisiert das Aus- und Kleinreden tatsächlich bestehender Rechte durch Existenzleugnung, falsche Angaben zu deren Inhalt, Umfang und Dauer sowie unzutreffende Aussagen über etwaige Voraussetzungen der Rechtsausübung (oben Rn. 16).2257 So ist es, wenn Kunden unrichtig vorgespiegelt wird, sie müssten sich mit Einwendungen an Dritte wenden2258 oder wenn ein bei Vertragsschluss eingeräumter Rabatt nach Vertragsbeginn nicht gewährt wird,2259 eine Praktik, die beim Wechsel von Strom- und Telekommunikationsverträgen zunehmend auffällig wird. Dass diese Praktik planmäßigen Charakter haben muss, ist durch das Unionsrecht nicht vorgegeben und auch nicht überzeugend.2260 Allenfalls kann man argumentieren, dass ein vom Unternehmer überzeugend dargelegter Ausreißer die Marktentscheidungsrelevanz entfallen lässt, weil der Kunde im Einzelfall auch mit Fehlern rechnen wird. Erfasst werden, was den abzuwehrenden Anspruch anbelangt, neben den expli1071 zit benannten Ansprüchen aus Garantiezusage und Gewährleistung auch Primärleistungsansprüche, Schadensersatzansprüche, Aufwendungs- und Ersatzvornahmeansprüche.2261 Als einschlägige Tathandlung kommen in Betracht: Falschangaben tatsächlicher Natur wie die unrichtige Behauptung, ein Gutachten, aus dem sich die Mängelfreiheit des verkauften Geräts ergeben soll, sei „gerichtlich bestätigt“,2262 Falschangaben zur Verjährung,2263 vor allem aber das Sich-Berufen auf AGB, die eine unwirksame Beschränkung des konkreten Verbraucherrechts beinhalten.2264
1070
1072
3. Irreführung als Mittel der Blockierung von Vertragslösungsrechten. § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 schützt den Verbraucher auch in seiner negativen Vertragsfreiheit. Entschei-
_____
2255 Wie hier: Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.194 ff.; Ohly/Sosnitza Rn. 554 ff. 2256 Wie hier: Büscher/Dittmer/Schiwy/Lehmler Rn. 283. 2257 BGH 25.4.2019 – I ZR 93/17 – MDR 2019, 752 Tz. 32 – Prämiensparverträge; Harte/Henning/Weidert I Rn. 16. 2258 LG Potsdam 26.11.2015 – 2 O 340/14 – VuR 2016, 114 (zu § 45h Abs. 3 TKG mit § 404 BGB). 2259 OLG München 16.3.2017 – 29 U 3285/16 – GRUR-RR 2017, 316 (dort auch Verstoß gegen § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 erwogen, Tz. 21). 2260 OLG München 16.3.2017 – 29 U 3285/16 – GRUR-RR 2017, 316 Tz. 22 mit berechtigtem Hinweis auf EuGH 16.4.2015 – C-388/13 – GRUR 2015, 600 Tz. 41 – UPC. 2261 Harte/Henning/Weidert I Rn. 15. 2262 Vgl. OLG Jena 14.11.2007 – 2 U 54/07 – GRUR-RR 2008, 83, 84; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.16. 2263 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.16. 2264 Harte/Henning/Weidert I Rn. 11; Büscher/Dittmer/Schiwy/Lehmler Rn. 283.
Lindacher/Peifer
988
C. Bezugspunkte der Irreführung, Abs. 1 S. 2
§5
dungsgrundlagenschutz heißt auch und nicht zuletzt Schutz vor Desinformation in der Vertragsauflösungsfrage. Erfasst sind insoweit irreführende Aussagen in Bezug auf Widerrufs-, Kündigungs- 1073 und Rücktrittsrechte, etwa die Behauptung, dem Kunden stehe ein solches Recht nicht zu2265 oder die Behauptung einer Vertragsdauer, die tatsächlich in dieser Länge nicht besteht, weil Kündigungsrechte greifen.2266 Vor Einbeziehung des vor- und nachvertraglichen Verhaltens in den Anwendungsbereich des UWG war hierfür ein planmäßiges Verhalten erforderlich. Im geltenden Recht genügt jedes Verhalten, das geschäftliche Relevanz haben kann, also auch die fehlerhafte Auskunft im Einzelfall über die Dauer einer Vertragsbindung, wie etwa im Falle von Kabelzugangsverträgen.2267 Eine Spürbarkeitsschwelle kennt das Unionsrecht insoweit gerade nicht, auch das deutsche Recht hat sie 2015 außerhalb des § 3a abgeschafft. Über das Bestehen von Widerrufsrechten (aufgegliedert in Widerrufsrechte i.e.S. 1074 und Rückgaberechte, §§ 355, 356 BGB) muss nach Maßgabe des jeweils einschlägigen Informationsgebots aufgeklärt werden. Lauterkeitsrechtlich ergibt sich die Hinweispflicht (auch) aus § 5a Abs. 3 Nr. 5. Wird überhaupt nicht oder aber lediglich unverständlich, unklar oder mehrdeutig aufgeklärt, verstößt der Unternehmer gegen eben diese Norm. Wird objektiv falsch oder missverständlich aufgeklärt, greift stattdessen bzw. auch § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 7. Das betrifft Fälle, in denen bei Haustürgeschäften Verträge ohne Widerrufsbelehrung eingegangen werden2268 oder die Widerrufsbelehrung unklar oder missverständlich (also in irreführungsgeneigter Weise) erfolgt.2269 Ist die Erklärung an versteckter oder ungewöhnlicher Stelle platziert, kommt auch eine irreführende Vorenthaltung nach §§ 5a Abs. 2, Abs. 4 in Betracht. In allen genannten Fällen sorgt der Wegfall des Spürbarkeitserfordernisses bei § 3 Abs. 1 dafür, dass der Irreführungsschutz möglicherweise effektiver wirkt als die Anwendung des § 3a, die jedenfalls bei Verstößen im Einzelfall immer noch darlegen müsste, dass auch ein Einzelverstoß bereits spürbar ist. 4. Sonderproblem: Anspruchsabwehr bzw. Blockierung von Vertragslösungs- 1075 rechten durch unrichtige Angaben zur Rechtslage. Auf die Nichtgeltendmachung gegebener Verbraucherrechte zielendes Verhalten kann auch in Falschangaben zur Rechtslage bestehen.2270 So soll es liegen, wenn ein Unternehmen AGB verwendet, die mit den verbraucherschutzrechtlichen Vorschriften nicht in Einklang stehen.2271 Das Schutzinteresse von Verbrauchern stößt sich freilich nicht selten am Interesse des Unternehmers, sich gegenüber Anspruchs- und sonstiger Rechtsberühmung verteidigen zu können. Im Einzelnen dürfte hier zu unterscheiden sein: Soweit den Unternehmer wie bei der AGB-Verwendung oder der Ausformung gebotener Belehrung zum Widerruf eine
_____
2265 BGH 2.2.1977 – VIII ZR 320/75 – GRUR 1977, 498, 500 – Aussteuersortimente; BGH 7.5.1986 – I ZR 95/84 – GRUR 1986, 816, 818 – Widerrufsbelehrung bei Teilzahlungskauf; KG 27.6.2014 – 5 U 162/12 – GRUR 2015, 83, 85 – Konfigurierte Notebooks; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 8.5. 2266 BGH 30.4.2014 – I ZR 170/10 – GRUR 2014, 1120 Tz. 3 – Betriebskrankenkasse II; Köhler/Bornkamm/ Feddersen Rn. 8.5. 2267 So zur Definition der geschäftlichen Handlung EuGH 16.4.2015 – C-388/13 – GRUR 2015, 600 Tz. 37 – UPC; wohl zweifelnd Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 8.5. 2268 BGH 29.9.1994 – I ZR 172/92 – GRUR 1995, 68, 70 – Schlüssel-Funkdienst. 2269 BGH 16.11.1995 – I ZR 175/93 – NJW-RR 1996, 471, 472 – Widerrufsbelehrung II; BGH 16.11.1995 – I ZR 25/94 – NJW-RR 1996, 472, 473 – Widerrufsbelehrung III. 2270 BGH 25.4.2019 – I ZR 93/17 – MDR 2019, 752 Tz. 30 - Prämiensparverträge; OLG Frankfurt 21.3.2019 – 6 U 190/17, WRP 2019, 912; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.18; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer § 5 Rn. 425a; Stillner WRP 2015, 438, 441. 2271 OLG Hamburg 12.9.2007 – 5 W 129/07 – MMR 2008, 44, 45 (allerdings § 5 Abs. 2 Nr. 2 angeführt).
989
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
Formulierungsverantwortung trifft, dominiert das Schutzinteresse des Verbrauchers. Im Übrigen sollte man nur die objektiv manifeste Falschbehauptung als relevante Irreführung i.S. von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 betrachten, Rechtsverteidigung jenseits dieser Linie als verbotsimmun erachten.2272 Der Unternehmer muss nicht explizit klarstellen, dass seine Rechtslageeinschätzung bloße Rechtsmeinung ist.2273 Daher ist die Geltendmachung eines Anspruchs auf Wertersatz bei vorzeitiger Kündigung eines Partnervermittlungsvertrages für sich genommen noch keine irreführende Tatsachenbehauptung, wenn das diesen Anspruch geltend machende Unternehmen lediglich die getroffene Vereinbarung (unrichtig) subsumiert.2274 Anders ist es, wenn zusätzlich Behauptungen aufgestellt werden, die tatsachenbezogen sind, etwa eine längere Vertragslaufzeit als vereinbart behauptet, ein Vertragslösungsrecht unrichtig behauptet2275 oder ein höherer Wertersatz als vereinbart gefordert und damit auch mittelbar behauptet wird, dass diese Ansprüche bestehen.2276 VIII. Irreführende Geschäftspraktiken außerhalb des Katalogs von Abs. 1 S. 2 Schrifttum v. Ungern-Sternberg Kundenfang durch rechnungsähnlich aufgemachte Angebotsschreiben, WRP 2000, 1057.
1. Überblick. Zu den irreführenden Geschäftspraktiken zählen der Kundenfang durch rechnungsähnlich aufgemachte Angebotsschreiben und der Kundenfang durch planmäßige und systematische Verschleierung des Charakters von Angebotsschreiben als Vertragsofferten. Im ersten Fall geht es dem Schwindelunternehmen darum, die Adressaten glauben zu machen, sie schuldeten den benannten Betrag aus bestehendem Vertrag, im zweiten Fall setzt es darauf, dass die Angesprochenen im Unwissen um die rechtliche Relevanz ihres Verhaltens zumindest objektiv den Tatbestand einer Vertragsannahme setzen und sich im Streitfall als gebunden ansehen. Über einschlägigen Verbotsbedarf herrscht Einigkeit, darüber, wo das Verbot zu 1077 verorten ist, freilich Unsicherheit. Im Schrifttum rekurriert man verschiedentlich auf § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 (Fallgruppe: Beweggründe für die geschäftliche Handlung).2277 Der BGH2278 folgt der u.a. von Bornkamm/Feddersen2279 vertretenen Ansicht, es handle sich um eine Irreführung über die Bedingungen unter denen die Dienstleistung erbracht wird i.S. von § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1. Beides erscheint bemüht, ersichtlich dem Streben geschuldet, die angesprochenen Praktiken im Katalog des § 5 Abs. 1 S. 2 unterzubringen. Wer der Merkmalsaufzählung in § 5 Abs. 1 S. 2 keinen abschließenden Charakter beimisst (s. Rn. 306), hat keine Schwierigkeiten: Die angesprochenen Geschäftspraktiken verstoßen gegen § 5 Abs. 1 S. 1.
1076
1078
2. Verdeckte Vertragsangebote. Verdeckte Vertragsangebote zielen darauf, dass die Adressaten in Verkennung des Verdeckten ein Verhalten üben, das den objektiven
_____
2272 2273 2274 2275 2276 2277 2278 2279
Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.18. A.A. Köhler WRP 2009, 898, 902. OLG Hamburg 2.3.2017 – 3 U 122/14 – WRP 2017, 1000 – Reugeld. OLG Frankfurt 21.3.2019 – 6 U 190/17 – Netzwirtschaften & Recht (N&R) 2019, 180 (juris-Tz. 16). So i.E. auch Stillner WRP 2015, 1000, 1005. Harte/Henning/Weidert E Rn. 369 f.; Nordemann Rn. 321. BGH 30.6.2011 – I ZR 157/10 – GRUR 2012, 184 Tz. 17 ff. = WRP 2012, 194 – Branchenbuch Berg. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.200.
Lindacher/Peifer
990
D. Irreführung im Zusammenhang mit der Produktvermarktung (§ 5 Abs. 2)
§5
Tatbestand der Annahmeerklärung setzt. Die Angesprochenen sollen unter fehlendem Erklärungsbewusstsein in die Falle tappen. Prototyp sind formularmäßig aufgemachte Angebotsschreiben für einen Eintrag in Adressbücher, Telefon- und Branchenverzeichnisse, die nach ihrer Gesamtaufmachung den von einer peniblen Gesamtlektüre absehenden Adressaten glauben lassen, es handele sich um den Korrekturabzug für einen kostenlosen Eintrag. Dass das Schreiben bei genauer und vollständiger Lektüre als Angebotsschreiben 1079 erkennbar ist, lässt § 5a Abs. 6 entfallen, nimmt ihm aber im Übrigen nicht seinen Irreführungscharakter – auch nicht, wenn die Adressaten ausschließlich Gewerbetreibende sind.2280 Ganz abgesehen davon, dass der Verzicht auf Totallektüre bei formularmäßigen Schreiben, die nach erstem Eindruck objektiv bar geschäftlicher Relevanz sind, selbst bei Unternehmern durchaus situationsangemessen ist – wenn und weil die zu beurteilende Geschäftspraktik unter Verschleierung ihres Charakters planmäßig-systematisch auf die Flüchtigkeit eines Teils der Adressaten setzt, ist Referenzperson der flüchtige Verbraucher/Unternehmer. Die Geschäftspraktik ist aber gerade unabhängig davon als unlauter zu qualifizieren, ob der Irrtum nachlässigkeitsbedingt ist oder nicht (s. bereits Rn. 114 f.). 3. Rechnungsähnlich aufgemachte Angebotsschreiben. Rechnungsähnlich auf- 1080 gemachte Angebotsschreiben zielen darauf, dass die Adressaten den entsprechenden „Rechnungsbetrag“ in der (Fehl-)Vorstellung begleichen, ihn bereits vertraglich zu schulden. Die Angesprochenen sollen Zahlung unter fehlerhaftem Geschäftswillen leisten. Prototyp sind formularmäßig aufgemachte Schreiben, denen ein ausgefüllter Überweisungsträger an- oder beigefügt ist. Entsprechende Schreiben unterfallen im Business-to-Consumer-Verkehr vorran- 1081 gig Anh. Nr. 22, bei Verwendung gegenüber Unternehmen dem Grundtatbestand. Der Umstand, dass der bloße Angebotscharakter bei Totallektüre erkennbar ist, nimmt dem Schreiben auch hier – selbst im Verhältnis Unternehmer-Unternehmer – nicht den Irreführungscharakter: Die Verschleierungspraktik nutzt gezielt verbreitete Flüchtigkeit in der Behandlung als Rechnung getarnter Angebotsschreiben, bei Betrieben mit arbeitsteiliger Organisation zudem das Phänomen unklarer Prüfzuständigkeit. Wer planmäßig auf entsprechende Flüchtigkeit und/oder entsprechende Schwachstellen in der innerbetrieblichen Kontrolle hofft, kann sich nicht auf mangelnde Sorgfalt und/oder betriebliches Organisationsverschulden auf der Adressatenseite berufen. D. Irreführung im Zusammenhang mit der Produktvermarktung (§ 5 Abs. 2) D. Irreführung im Zusammenhang mit der Produktvermarktung (§ 5 Abs. 2) Schrifttum Alexander Der Verwechslungsschutz gem. § 5 Abs. 2 UWG, FS Köhler (2014), S. 23; Bork Irreführende Produktvermarktung, 2013; Bornkamm Der lauterkeitsrechtliche Schutz vor Verwechslungen: Ein Kuckucksei im Netz des UWG? FS Loschelder (2010), S. 31; Fezer Imitationsmarketing – Die irreführende Produktvermarktung im Sinne der europäischen Lauterkeitsrichtlinie (Art. 6 Abs. 2 lit. a RL), MarkenR 2006, 511; HarteBavendamm Wettbewerbsrechtlicher Verbraucherschutz in der Welt der „look-alikes“, FS Loschelder (2010), S. 111; Köhler Das Verhältnis des Wettbewerbsrechts zum Recht des geistigen Eigentums – Zur Notwendigkeit einer Neubestimmung auf Grund der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, GRUR 2007, 548; Nussbaum/Ruess Irreführung durch Marken – Die Neuregelung der Imitationswerbung in § 5 Abs. 2 UWG nF, MarkenR 2009, 233; Sambuc Was heißt „Verwechslungsgefahr mit einer anderen Ware oder Dienstleistung“ in § 5 Abs. 2 UWG?, FS Köhler (2014) 577); Schork Irreführende Produktvermarktung nach Art 6 Abs. 2 lit. UGPRL,
_____ 2280
991
BGH 30.6.2011 – I ZR 157/10 – GRUR 2012, 184 Tz. 22 = WRP 2012, 194 – Branchenbuch Berg.
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
§ 5 Abs. 2 UWG, 2011; Strepp Irreführung- und Verwechslungsgefahr – Einige dogmatische Aspekte des Verhältnisses von Wettbewerbs- und Markenrecht, 2000; Thress Die irreführende Produktvermarktung, 2011.
I. Entwicklung und Abgrenzungen 1081a
§ 5 Abs. 2 wurde 2008 eingefügt. Er geht auf Art. 6 Abs. 2 lit. a) der RL 2005/29/EG zurück und erfasst die sog „irreführende Produktvermarktung“.2281 Hierunter fallen tendenziell irreführende Zeichenführungen und irreführende Aufmachungen von Produkten. Die Schnittstelle zum Kennzeichenrecht ist also offensichtlich. Daher ging der Referentenentwurf vom Juli 2007 noch davon aus, eine Regelung sei nicht erforderlich, weil es um einen Fall der Täuschung über die betriebliche Herkunft gehe (§ 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bzw. Nr. 13 Anh. zu § 3 Abs. 3).2282 Zudem sei eine vermeidbare Herkunftstäuschung nach § 4 Nr. 3a denkbar. Die irreführende Produktaufmachung geht allerdings über die bloße Herkunftstäuschung hinaus, weil sie auch Fälle erfasst, in denen der Verbraucher über die Produktidentität getäuscht wird, wie dies bei Produktnachahmungen (sog. „look-alikes“2283 oder „Zweitmarkenirrtümern")2284 der Fall ist.2285 Die Überschneidung mit § 4 Nr. 3a besteht zwar, doch geht § 4 Nr. 3a von einem individuellen Schutz privater Rechte gegen unlautere Annäherung vor, während § 5 Abs. 2 bei solchen Annäherungen den Verbraucherschutz in den Vordergrund stellt, also Irreführungen unabhängig davon abwehren will, ob sie auch private Rechte an Produktaufmachungen beeinträchtigen. Zudem ist mittlerweile unbestritten, dass es keinen starren Vorrang des Kennzeichenrechts gibt, der den Schutz gegen Irreführung vollständig verdrängt, sondern der Irreführungsschutz nur Wertungen des Kennzeichenrechts zu beachten hat (oben Vor §§ 5, 5a Rn. 145, 567).2286 Danach können § 5 Abs. 2 und § 4 Nr. 3a koexistieren. § 5 Abs. 2 ergänzt im Übrigen die Fälle des § 5 Abs. 1 S. 2. Der Regierungsentwurf vom 20. August 2008 hat sich letztlich richtigerweise für eine Umsetzung im Rahmen des § 5, und zwar durch Einsetzung eines neuen Absatzes 2 entschieden. Der bisherige Absatz 2, der die Umstände enthielt, über welche irregeführt werden kann, wurde in den heutigen Abs. 1 Satz 2 verschoben. II. Norminhalt
1081b
1. Vermarktung von Waren oder Dienstleistungen. „Im Zusammenhang mit der Vermarktung von Waren oder Dienstleistungen“ stehen alle Handlungen, Symbole, Kennzeichen oder Äußerungen, die Teil der Produktvermarktung sind. Dazu gehören Zeichenführung, Verpackung, Werbeäußerungen, Produktbezeichnungen, Angaben in der vergleichenden Werbung, aber auch die Bepreisung der Ware, der Vertriebsort und die allgemeine Kommunikationspolitik einschließlich Image- und Sponsoringtätigkeiten, die Einfluss auf das Verbraucherinteresse haben können. Der Begriff ist also denkbar weit.2287 Er zeigt, dass es zwar Überschneidungen mit dem Kennzeichenrecht gibt,
_____
2281 Zum Begriff Fezer MarkenR 2006, 511. 2282 So auch Glöckner/Henning-Bodewig WRP 2005, 1311, 1331; krit. zu der Kehrtwendung des Gesetzgebers die Stellungnahme des Bundesrates, BTDrucks. 16/10145, S. 37. 2283 Harte-Bavendamm FS Loschelder S. 111. 2284 Lubberger MarkenR 2009, 18, 24 f.; Schork S. 184. 2285 BGH 30.6.2011 – I ZR 157/10 – GRUR 2012, 184 Tz. 22 = WRP 2012, 194 – Branchenbuch Berg. 2286 BGH 15.8.2013 – I ZR 188/11 – GRUR 2013, 1161 Tz. 64 – Hard Rock Café; bestätigt in BGH 23.6.2016 – I ZR 214/14 – GRUR 2016, 965 Tz. 23 Baumann II. 2287 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 9.5; Harte/Henning/Dreyer Rn. J 30; Schork S. 150.
Lindacher/Peifer
992
D. Irreführung im Zusammenhang mit der Produktvermarktung (§ 5 Abs. 2)
§5
allerdings nicht allein ein kennzeichenmäßiger oder markenmäßiger Gebrauch (wie bei §§ 14, 15, 125 ff. MarkenG) in den Anwendungsbereich der Norm führt. 2. Hervorrufen von Verwechslungsgefahr und Marktentscheidungsrelevanz. 1081c Die Vermarktung muss zu einer Verwechslungsgefahr „mit einem anderem Produkt oder Kennzeichen“ führen. Der Begriff der „Verwechslungsgefahr“ meint dabei nicht die nur auf die Zeichenähnlichkeit abstellende markenrechtliche Verwechslungsgefahr, sondern die aufgrund der Gesamtumstände, also auch von Begleitumständen der Werbung abstellende konkrete Verwechslungsgefahr.2288 Auf einen vorhandenen Markenschutz (eines benutzten Zeichens oder einer Aufmachung) kommt es ebensowenig an wie auf die wettbewerbliche Eigenart des Originals i.S.d. § 4 Nr. 3,2289 allerdings muss das Produkt insoweit besonders sein, als erst daduch Verwechslungsgefahren entstehen können.2290 Solchen Gefahren können nach dem klaren Wortlaut nicht nur darin liegen, dass über die betriebliche Herkunft (§ 5 Abs. 1 S. 2), sondern auch darin, dass über die Produktidentität getäuscht wird.2291 Der Verbraucher muss unabhängig von der betrieblichen Herkunft etwa an eine Zweitmarke des ursprünglichen Herstellers glauben.2292 Eine Form der Produkttäuschung kann sogar vom Hersteller selbst ausgehen, wenn er Teile der von ihm ausgelieferten Produkte mit unterschiedlichen Qualitäten verbreitet. Diese Praktik ist beim Hersteller von Schokoladenaufstrichen beobachtet worden, dem vorgeworfen wurde, einige ausländische Märkte mit geringerer Qualität zu versorgen.2293 In allen Konstellationen ist zu prüfen, ob und inwieweit der Durchschnittsverbraucher die Verwechslungsgefahr begründenden Umstände als herkunfts- oder produktidentitätsbegründend ansieht. Bloße Bildbestandteile können danach als dekorativ, nicht aber identifizierend erscheinen.2294 Auf § 23 MarkenG kann und darf hierfür nicht zurückgegriffen werden, denn es geht um Verbraucherschutz, nicht um den engeren Kreis zulässiger Kennzeichennutzungen. Die Idee, eine Spielzeugpuppe mit diversen und themenbezogenen Bekleidungsausrüstungen zu vermarkten („Baby Sitter“, „Bakery Fun“) nach Art des Barbie-Konzeptes, ist für sich genommen nicht monopolisierbar. Wer solche Ausstattungen vertreibt, erzeugt nicht allein deswegen eine konkrete Verwechslungsgefahr.2295 Durch die Einfügung des Kriteriums der Marktentscheidungsrelevanz in § 5 Abs. 1 1081d Satz 1 UWG 2015 (oben Rn. 238) ist der frühere Streit darüber, ob dieses Kriterium richtlinienkonform in § 5 Abs. 2 hinzulesen ist, überholt. Die Marktentscheidungsrelevanz kann fehlen, wenn die übernommenen Attribute für den Verbraucher keine Bedeutung haben, etwa weil er die Originale überhaupt nicht kennt. Da die Vorschrift – wie auch § 5
_____
2288 Ohly/Sosnitza Rn. 718. 2289 A.A. OLG Frankfurt 23.11.2017 – 6 U 224/16 – WRP 2018, 237 Tz. 32. 2290 Insoweit zutreffend Sambuc FS Köhler (2014), S. 577, 579, der zutreffend darauf verweist, dass Produkte schon aufgrund ihrer generischen Zugehörigen verwechselt werden mögen. 2291 A.A. Ohly/Sosnitza Rn. 718; Sambuc FS Köhler (2014), S. 577, 580. 2292 OLG Frankfurt 23.11.2017 – 6 U 224/16 – WRP 2018, 237 Tz. 32; Lubberger MarkenR 2009, 18, 24 f. 2293 Zu der sog. „Nutella-Krise“ Brombach in FOCUS v. 29.9.2017 (abrufbar unter https://www.focus.de/politik/experten/cep/streit-um-lebensmittel-die-eu-kommission-hat-die-nutellakrise-entschaerft-gebannt-ist-sie-noch-nicht_id_7657387.html). Die EU-Kommission diskutiert in diesem Bereich eine Erweiterung des Art. 6 Abs. 2 Buchst. c UGP-RL, wonach als irreführend gilt „jegliche Vermarktung eines Produkts als identisch mit demselben in mehreren anderen Mitgliedstaaten vermarkteten Produkt, obgleich sich diese Produkte in ihrer Zusammensetzung oder ihren Merkmalen wesentlich voneinander unterscheiden“. 2294 Vgl. BGH 27.3.2013 – I ZR 100/11 – GRUR 2013, 631 Tz. 72 – AMARULA/Marulablu. 2295 BGH 28.10.2004 – I ZR 326/01 – GRUR 2005, 166 – Puppenausstattungen (zu § 4 Nr. 3a = § 4 Nr. 9a UWG 2004/2008).
993
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
Abs. 1 Satz 2 im Übrigen – keine privaten Leistungsschutzrechte begründet, sondern Irreführungen abwehren möchte, kommt im Falle einer Verletzung die dreifache Schadensberechnungsmethode nicht in Betracht. E. Vergleichende Werbung und Bildwerbung (§ 5 Abs. 3) E. Vergleichende Werbung und Bildwerbung (§ 5 Abs. 3) 1081e
§ 5 Abs. 3 1. Alt. stellt klar, dass Angaben i.S.d. § 5 Abs. 2 auch Angaben im Rahmen vergleichender Werbung sind. Das entspricht § 3 Satz 2 UWG 2000, der durch Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur vergleichenden Werbung und zur Änderung wettbewerbsrechtlicher Vorschriften vom 1.9.2000 (BGBl. I S. 1374) eingefügt worden war und auf Art. 3 a Abs. 1 der RL 97/55/EG (ABl. EG Nr. L 290 S. 18) zurückgeht. Nach Art. 2 Abs. 2 a dieser Richtlinie wird als Werbung auch der Werbevergleich erfasst, der Begriff ist weit auszulegen.2296 Art. 3 a Abs. 1 lit. a verbietet, durch Werbevergleiche irrezuführen. Der Maßstab hierfür folgt nicht aus § 6, sondern aus dem allgemeinen Irreführungsverbot nach § 5.2297 Auch ein Werbevergleich darf also nicht irreführen.2298 Dafür gilt der abschließende unionsrechtliche Irreführungsmaßstab.2299 Die weitere Bedeutung des § 5 Abs. 3 liegt darin, dass er neben den verbalen „Anga1081f ben“ auch alle weitere Kommunikationszeichen erfasst, die „Angabencharakter“ haben oder die Funktion von wörtlichen Angaben übernehmen können, nämlich Bildwerbung, als „sonstige Veranstaltungen“ auch Geräusche, Tast- oder Geruchselemente als Formen nicht textgebundener Kommunikation.2300 Die einstmals moderne Norm enthält heute Selbstverständliches, das sich auch ohne eigene Kodifiktionen unter den Begriff der Angabe subsumieren lässt. „Bildwerbung“ erfasst Zeichnungen, Gemälde, Plastiken, Bildsäulen, Gebärden, 1081g lebende Bilder, Filmvorführungen und Lichtbilder sowie digitale Bilddateien, sofern diese Mittel einen Gedanken ausdrücken. Die Abbildung einer Fabrikanlage deutet das Vorhandensein eines Produktionsbetriebs an,2301 ggf. gibt sie auch Hinweise auf Größe oder Bedeutung des Unternehmens. Die Abbildung von Therapieeinrichtungen und Therapeuten in ihrer Berufskleidung suggieren, dass Leistungen, für welche die Abbildungen stehen, angeboten werden.2302 Nationalfarben auf einer Salami geben einen Hinweis auf deren geografische Herkunft.2303 Die Abbildung von natürlichen Früchten auf einer Teeverpackung suggeriert (jedenfalls mit dem Hinweis „natürliche Zutaten“ angereichert), dass diese Zutaten auch – jedenfalls in Bestandteilen – vorhanden sind.2304 Sons-
_____
2296 EuGH Slg. 2001, I-7945 = GRUR 2002, 354, 355, Tz. 31 – Toshiba/Katun; BGHZ 158, 26 = GRUR 2004, 607, 611 – Genealogie der Düfte. 2297 Vgl. Reg. Begr. zu § 3 Satz 2, WRP 2000, 555, 557; OLG Karlsruhe GRUR-RR 2008, 407 – Strom aus Kraft-Wärme-Koppelung; ebenso die allgM zu § 3 Satz 2 UWG 2000 BGH WRP 2002, 828, 831 – Hormonersatztherapie; OLG Hamburg ZUM 2004, 576, 578; Piper/Ohly UWG § 5 Rn 111; Nordemann GRUR Int. 2002, 297, 303. 2298 Großkomm/Lindacher § 3 Rn 187. 2299 EuGH 8.4.2003 – C-44/01 – GRUR Int. 2003, 742 – Pippig Augenoptik, mit Bespr. Ohly GRUR 2003, 641. 2300 Vgl. zu der in den Kulturwissenschaften als „cultural turn“ thematisierten „visuellen Zeitenwende“ Röhl JZ 2003, 339, 341. 2301 OLG Stuttgart 4.3.1952 – 3 W 33/52 – BB 1952, 386 (Abbildung eines Hauses als Geschäftslokal, wobei in dem Gebäude nur zwei Etagen genutzt werden). 2302 OLG München 23.5.1996 – 29 U 2410/96 – BeckRS 2014, 23095; OLG Koblenz 8.6.2016 – 9 U 1362/15 – GRUR-RR 2017, 32 (Bildergalerie zur Bewerbung medizinischer Leistungen). 2303 BGH 10.4.1981 – I ZR 162/79 – GRUR 1981, 666, 667 – Ungarische Salami I; BGH 24.6.1982 – I ZR 108/80 – GRUR 1982, 685, 686 – Ungarische Salami II. 2304 EuGH 4.6.2015 – C-195/14 – GRUR 2015, 701 – BVV/Teekanne; BGH 2.12.2015 – I ZR 45/13 – GRUR 2016, 738 – Himbeer-Vanille-Abenteuer II.
Lindacher/Peifer
994
G. Verfahrensfragen
§5
tige Veranstaltung ist die Bewerbung von Nudelprodukten mit Hühnergegacker in einer Radiowerbung, die den Eindruck erweckt, dass die Nudeln aus frischen Eiern (und nicht wie tatsächlich, aus Trockeneipulver) hergestellt wurden.2305 Sinngehalt vermittelt die Gegenüberstellung des Geräuschs eines nicht anspringenden Autos gegenüber dem eines Formel-1-Motors, um die Leistungsfähigkeit von Krankenversicherungsunternehmen vergleichend zu bewerben.2306 F. Besondere Beweislastregel bei Werbung mit Preisherabsetzung (§ 5 Abs. 4) § 5 Abs. 4 enthält eine besondere Beweislastregel für die besonders schwierigen Fra- 1081h gen im Bereich der Werbung mit Preisherabsetzungen. Die Vorschrift kann als Überbleibsel der vor 2004 geltenden starren Sonderveranstaltungsverbote angesehen werden. Nach deren Abschaffung war der Gesetzgeber der Auffassung, dass jedenfalls für die Werbung mit Preisherabsetzungen ein hohes „Irreführungspotential“ anzunehmen und daher eine Beweiserleichterung erforderlich sei.2307 Die Norm knüpft als einzige der in § 5 genannten Konstellationen nicht schon an eine geschäftliche Handlung, sondern erst an die Werbung an. Für das vertragsnahe Verhalten gilt die Regelung daher nicht. Die Reformen 2008 und 2015 haben die Norm nicht verändert. Abs. 4 trifft keine von § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 abweichende inhaltliche Regelung über Preisherabsetzungen (vgl. insoweit oben Rn. 659), sondern flankiert Preisherabsetzungsbehauptungen mit einer Vermutungs- und Beweislastregel (zum Umfang unten Rn. 1107). Besondere Relevanz hat die Norm bisher nicht erlangt. Das liegt vor allem daran, dass sie dem Kläger nicht erspart, den früheren Preis und die Dauer seiner Geltung darzulegen und ggf. auch zu beweisen. Wer mit einer unlauteren Preissenkung am Markt auftritt, ist über § 5 Abs. 4 an sich erst erleichtert auf Unterlassung in Anspruch zu nehmen, wenn der Kläger bereits vorher umfangreiche Preisbeobachtungen durchgeführt und dokumentiert hat. 2308 Ein Auskunftsanspruch in Bezug auf den früheren Preis hätte helfen können, doch hat der Gesetzgeber ihn bewusst nicht eingeführt, um den Werbetreibenden nicht mit einer Fülle – auch missbräuchlicher – Auskunftsersuchen zu überfluten.2309 In Grenzen reparieren kann man den Mangel durch eine deutliche Absenkung der Darlegungslast (dazu unten Rn. 1107 f.). G. Verfahrensfragen G. Verfahrensfragen I. Die Rechtsfolgenseite 1. Überblick: Defensiver und repressiv-restituierender Schutz, Gewinnab- 1082 schöpfung. Jeder objektive Verstoß gegen §§ 3, 5 löst im Rahmen der durch die geschehene Zuwiderhandlung begründeten Wiederholungsgefahr einen Unterlassungsanspruch aus (§ 8 Abs. 1 S. 1 2. Alt.). Wird ein Zustand geschaffen, der sich als Quell fortdauernder Irreführung darstellt, kann der für die Herbeiführung bzw. den Fortbestand des Zustands Verantwortliche auf Beseitigung in Anspruch genommen werden (§ 8
_____
2305 BGH 27.6.1961 – I ZR 135/59 – GRUR 1961, 544 – Hühnergegacker. 2306 OLG Hamburg 23.1.2003 – 5 U 176/08 – GRUR-RR 2003, 249. 2307 Begr. RegE BTDrucks. 15/1487 S. 20. 2308 Zur Kritik insoweit Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.118; Darlegungserleichterungen gewährt OLG München 17.1.2019 – 29 U 3848/17 – WRP 2019, 791, juris-Tz. 77. 2309 Trute WRP 2003, 1301, 1311; zu den Vorschlägen eines Auskunftsanspruchs vgl. den § 9 Abs. 4 des Entwurfs von Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig WRP 2002, 1317, 1322.
995
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
Abs. 1 S. 1 1. Alt.). Sofern sich die Gefahr eines künftigen Verstoßes auf Grund bestimmter Umstände konkret abzeichnet, kann im Rahmen des durch die (Erst-)Begehungsgefahr Markierten Unterlassung selbst ohne vorgängige Verletzung begehrt werden (§ 8 Abs. 1 S. 2). Schuldhafte Verletzung des Irreführungsverbots eröffnet dem Konkurrenten, der einen Schaden nachweisen kann, einen Schadensersatzanspruch (§ 9 S. 1). Seit der Novelle 2004 zählt zum Sanktionsarsenal auch ein Gewinnabschöpfungsanspruch: § 10 Abs. 1 ermöglicht die wirtschaftliche Neutralisierung des vorsätzlichen Verstoßes, wenn durch die Irreführung zu Lasten einer Vielzahl von Abnehmern ein Gewinn erzielt wurde. 2. Schutzumfang des Verletzungsunterlassungsanspruchs Schrifttum Lindacher Gedanken zur wettbewerbsrechtlichen „Kernlehre“, FS Rüßmann (2013) 567.
Die Reichweite des Verletzungsunterlassungsanspruchs wird durch die Reichweite der am konkreten Wettbewerbsverstoß anknüpfenden Begehungsgefahrvermutung bestimmt. Diese beschränkt sich nicht auf reine Identverstöße, umschließt vielmehr auch bestimmte identverstoßnahe Handlungen: Die Gefahr der Weiterführung des wettbewerbswidrigen Tuns in abgewandelter, das „Charakteristische“ der Verletzungshandlung spiegelnder Form wird realistischerweise der Gefahr der Identverstoßwiederholung gleichgesetzt, die Begehungsgefahrvermutung auf – so die gängige Wendung – zu besorgende „kerngleiche Verletzungen“ erstreckt (Stichwort: „materiellrechtliche Kernpraxis“).2310 Wer bei zu besorgendem Verstoß in abgewandelter, aber „kerngleicher“ Form nicht von „Wiederholungsgefahr“ sprechen will,2311 mag von „Fort-“ bzw. „Weiterhandlungsgefahr“ reden. Mit der den vorbeugenden Rechtsschutz rechtfertigenden klassischen Erstbegehungsgefahr hat die entsprechende Gefahr nichts gemein. Die Randunschärfe des Merkmals des „Charakteristischen der konkreten Verletzungs1084 handlung“ erschwert ein Erfassen der noch vom Verletzungsunterlassungsanspruch umschlossenen Abwandlungen in Abgrenzung zu lediglich „ähnlichen“, möglicherweise gleichfalls wettbewerbswidrigen Handlungen. Bei der Merkmalskonkretisierung kann freilich auf reiches, wenn auch nicht immer widerspruchsfreies Fallmaterial zurückgegriffen werden – auch und gerade im Segment irreführender Geschäftspraktiken.2312 Allgemein lässt sich insoweit die Tendenz zu einer eher wohlwollenden Bejahung der „Kerngleichheit“, einer „hohen Varianzbreite der Verletzungsform“ konstatieren:2313 Die Fehlvorstellung einer bestimmten Prägung lässt sich typischerweise nicht nur durch eine Angabe, sondern durch eine Mehr-, ja Vielzahl von Angaben hervorrufen, deren Einsatz 1083
_____
2310 Leitentscheidung: BGH 16.2.1989 – I ZR 76/87 – GRUR 1989, 445, 446 = WRP 1989, 491, 492 – Professorentitel in der Arztwerbung I. Folgeentscheidungen: BGH 9.11.1995 – I ZR 212/93 – GRUR 1996, 290, 291 = WRP 1996, 199, 201 – Wegfall der Wiederholungsgefahr I; 15.12.1999 – I ZR 159/97 – GRUR 2000, 337, 338 = WRP 2000, 386, 388 – Preisknaller; 6.4.2006 – I ZR 125/03 – GRUR 2006, 776 Tz. 28 = WRP 2006, 885 – Werbung für Klingeltöne; 30.4.2008 – I ZR 73/05 – GRUR 2008, 702 Tz. 55 = WRP 2008, 1104 – Internetversteigerung III. Aus dem Schrifttum: Teplitzky/Kessen Kap. 6 Rn. 9; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 468; Harte/Henning/Goldmann § 8 Rn. 11; Ohly/Sosnitza § 8 Rn. 8. 2311 Zögernd Köhler/Bornkamm/Feddersen § 8 Rn. 1.46 sowie Gloy/Loschelder/Erdmann/Fritzsche § 79 Rn. 12. 2312 Einschlägige Dokumentation und Aufbereitung etwa durch Oppermann, Unterlassungsanspruch und materielle Gerechtigkeit im Wettbewerbsprozeß, 1993, 250 ff. 2313 Oppermann aaO 264.
Lindacher/Peifer
996
G. Verfahrensfragen
§5
durch den Verletzer nicht fernliegender als die Wiederholung des Identverstoßes ist. Nicht kerngleich ist die Bewerbung von „Top-(Ankaufs-)Preisen“ (für Gold) nach einer zuvor untersagten Werbung mit „Höchstpreisen“2314 oder das Angebot eines 30%igen Rabattes auf eine längere Liste von Waren und „fast alles“, nachdem zuvor die Bewerbung eines 25%igen Rabattes auf vier Warengruppen untersagt worden war.2315 II. Antragswahl und -fassung bei Unterlassungsbegehren: konkrete Verletzungsform – zulässige Verallgemeinerung Schrifttum Backsmeier Das „Minus“ beim unterlassungsrechtlichen Globalantrag, 2009; Borck Bestimmtheitsgebot und Kern der Verletzung, WRP 1979, 180; Büscher Klagehäufung im gewerblichen Rechtsschutz – alternativ, kumulativ, eventuell?, GRUR 2012, 16; Gottwald Die Rückkehr zum klassischen Streitgegenstandsbegriff – dank „Biomineralwasser“, FS Köhler (2014), S. 173; Kodde Vier Jahre nach „TÜV“, GRUR 2015, 38; Kramer Der richterliche Unterlassungstitel im Wettbewerbsrecht. Eine Kritik der „Kerntheorie“ und der These von der „konkreten Verletzungshandlung“, 1982; Lindacher Gedanken zur wettbewerbsrechtlichen „Kernlehre“, FS Rüßmann (2013) 567; Nirk/Kurtze Verletzungshandlung und Verletzungsform bei Wettbewerbsverstößen, GRUR 1980, 645; Oppermann Unterlassungsantrag und zukünftige Verletzungshandlung, WRP 1989, 713; Scharen „Katnic“ versus Kerntheorie? FS Erdmann (2002) 877; Schubert Klageantrag und Streitgegenstand bei Unterlassungsklagen, ZZP 85 (1972), 29; Schwippert Der Streitgegenstand nach der Biomineralwasser-Entscheidung des BGH, WRP 2014, 8; Stieper Klagehäufung im Gewerblichen Rechtsschutz – alternativ, kumulativ, eventuell?, GRUR 2012, 5; Teplitzky Anmerkungen zur Behandlung von Unterlassungsanträgen, FS Oppenhoff (1985) 487; ders. Klageantrag und konkrete Verletzungsform, WRP 1999, 75; ders. Der Streitgegenstand der schutz- und lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsklage vor und nach den „TÜV“-Entscheidungen des BGH, GRUR 2011, 1091.
Wer Unterlassungsrechtsschutz nachsucht, steht vor nicht zu unterschätzenden 1085 Problemen. Der Antrag muss bei Meidung der Rechtsschutzgesuchabweisung als unzulässig hinreichend bestimmt i.S. von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO sein und darf bei Meidung der Abweisung als unbegründet umfänglich nicht weiter reichen als der zugrundeliegende Anspruch, m.a.W. keine Verhaltensweisen einschließen, bezüglich derer es an der Begehungsgefahr fehlt, oder gar rechtmäßige Verhaltensweisen erfassen. Umgekehrt schöpft der Antrag im Idealfall den durch die konkrete Verletzungshandlung ausgelösten Unterlassungsanspruch voll aus, erfasst also nicht nur die drohende Verstoßwiederholung, sondern auch ob der konkreten Verletzungshandlung zu befürchtende Handlungen gleicher Art. In Irreführungsfällen ist der durch den Antrag fixierte Streitgegenstand richtigerweise nicht zu eng zu fassen, sondern weit.2316 Die etwas erratische Rechtsprechung ist durch die sog. „TÜV-Rechtsprechung“ vorübergehend aus dem Gleichgewicht geraten,2317 hat sich nach der Entscheidung „Biomineralwassser“ aber wieder konsolidiert.2318 Der Antragsteller gibt zwar den Sachverhalt vor, das Gericht muss ihn allerdings subsu-
_____
2314 OLG Köln 19.6.2015 – 6 U 173/14 – GRUR-RR 2016, 24 Tz. 16. 2315 OLG Köln 20.4.2018 – 6 U 153/17 – WRP 2018, 1000. 2316 BGH 11.10.2017 – I ZR 78/16 – GRUR 2018, 421 Tz. 14 – Tiegelgröße m. Anm. Alexander; BGH 15.12.2016 – I ZR 241/15 – GRUR 2017, 295 – Entertain; BGH 5.10.2017 – I ZR 184/16 – GRUR 2018, 203 Tz. 18 – Betriebspsychologe; BGH 13.9.2012 – I ZR 230/11 – BGHZ 194, 314 = GRUR 2013, 401 Tz. 23 – Biomineralwasser m. Anm. Teplitzky; anders noch BGH 8.6.2000 – I ZR 269/97 – GRUR 2011, 181, 182 – dentalästhetika I. 2317 BGH 24.3.2011 – I ZR 108/09 – BGHZ 189, 56; verteidigt von Büscher, GRUR 2012, 16, kritisiert u.a. von Stieper GRUR 2012, 5; Teplitzky GRUR 2011, 1091; zusammenfassend hierzu Kodde GRUR 2015, 38. 2318 Schwippert WRP 2014, 8.
997
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
mieren. Mehrere Irreführungsaspekte bilden regelmäßig einen einheitlichen Streitgegenstand, allerdings muss der Antragsteller diejenigen Sachverhaltsumstände nennen, die einen konkreten Täuschungsvorwurf und dessen rechtliche Relevanz auch ausfüllen. 1086 Allemal hinreichend bestimmt und damit zulässig und gegenüber dem Risiko einer zu weiten Fassung gefeit ist die Antragsfassung, dem Verletzer möge die Wiederholung der näher gekennzeichneten Verletzungshandlung untersagt werden. Streitig und zweifelhaft ist freilich, ob das Rechtsschutzgesuch in strikter Orientierung am erfolgten Wettbewerbsverstoß den Verletzungsunterlassungsanspruch zur Gänze ausschöpft. Die h.M. bejaht dies via wortsinnübersteigernder Dehnung des Verbotsumfangs des 1087 begehrten Titels. Wie der Verletzungsunterlassungsanspruch schließe auch der die konkrete Verletzungshandlung spiegelnde richterliche Unterlassungsbefehl nicht nur Identverstöße, sondern implizit auch alle „kerngleichen Handlungen“ ein, wobei „Kerngleichheit“ in beiden Problemfeldern einheitlich, nämlich „weit“ zu verstehen sei: Als „kerngleich“ werden hier wie dort alle und nur die Handlungen beschrieben, die das „Charakteristische“ der konkreten Verletzungshandlung unberührt lassen. 2319 Ein – grundsätzlich zulässiger2320 – Antrag mit verallgemeinernder Verbotsbeschreibung ist dem nur die Verletzungshandlung reflektierenden Antrag lediglich dahin überlegen, als er dem Titelschuldner klarer verdeutlicht, was er unter Sanktionsandrohung zu unterlassen hat, die Gefahr von Gleichwohlzuwiderhandlungen mithin faktisch senkt. Die Kritik2321 beklagt, dass die „vollstreckungsrechtliche Kernpraxis“ zu einer sys1088 temwidrigen Entscheidungsverlagerung vom Erkenntnisverfahren ins Vollstreckungsverfahren führe,2322 hiermit eine nicht zu rechtfertigende Schwächung der Verteidigungsrechte des Schuldners einhergehe,2323 zudem gegen den Grundsatz verstoßen werde, dass die Grenzen sanktionsfreien Handelns dem Titelschuldner aus dem Unterlassungstitel (Tenor, gegebenenfalls unter Berücksichtigung der Gründe) erkennbar sein müssen.2324 Sie überzeugt, soweit sie sich gegen die „vollstreckungsrechtliche Kernlehre“ heute herrschender Prägung richtet, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der Begriff der „kerngleichen Handlung“ im Rahmen der Bestimmung des Verbotsumfangs eines von „Verallgemeinerung“ absehenden Titels und der Bestimmung des Schutzumfangs des Verletzungsunterlassungsanspruchs einheitlich verwendet wird. Sie überzieht, soweit sie von einem die konkrete Verletzungshandlung spiegelnden Titel Abwandlungen jedweder Art nicht erfasst sieht.2325 Dem Titelschuldner kann und darf es bei Tenorierung in Anlehnung an die konkrete Verletzungshandlung nicht erlaubt sein, das jeweilige Unterlassungsgebot nur dem Buchstaben nach zu beachten, durch Nahezu-Identverstöße indes zu unterlaufen: Der Verbotstitel erfasst richtigerweise2326 – ohne dass dies explizit verlautbart werden müsste – auch manifeste Umgehungshandlungen, freilich auch nur entsprechend zu qualifizierende Verhaltensweisen. Teilt man die hier entwickelte Position, erfährt die Option des die konkrete Verletzungsform verallgemeinernden Unterlas-
_____
2319 BGH 6.2.2013 – I ZB 79/11 – GRUR 2013, 1071 Tz. 14 – Umsatzangaben; BGH 30.3.1989 – I ZR 85/87 – WRP 1989, 572, 574 – Bioäquivalenz-Werbung; Teplitzky/Feddersen Kap. 57 Rn. 12; Jestaedt Rn. 1133; Speckmann Rn. 1936; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 6.4. 2320 Statt vieler: Teplitzky/Schwippert Kap. 51 Rn. 14 f.; Fezer/Büscher/Obergfell § 12 Rn. 291; Ohly/ Sosnitza § 12 Rn. 63. 2321 Kramer passim, insbs. S. 51 ff.; Backsmeier S. 59 f.; Schubert ZZP 85 (1972), 29, 33 ff.; Borck WRP 1979, 180, 184. sowie GRUR 1996, 522, 525; Scharen FS Erdmann (2002) 877 ff. 2322 Backsmeier S. 68 f.; Schubert ZZP 85 (1972), 29, 37 f. 2323 Backsmeier S. 71. 2324 Kramer S. 132 ff.; Backsmeier S. 70 f.; Scharen FS Erdmann 879 f. 2325 Einschränkend denn auch bereits Schubert ZZP 85 (1972), 29, 48 f. 2326 Einlässlich Lindacher FS Rüßmann (2013) 567, 569 ff.
Lindacher/Peifer
998
G. Verfahrensfragen
§5
sungsanspruchs eine deutliche Aufwertung: Die mit „engem“ Antrag verbundenen Vorteile (allemal hinreichende Bestimmtheit i.S. von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO; Meidung des Risikos einer Teilabweisung durch Einbeziehung nicht vom Verletzungsunterlassungsanspruch gedeckter, möglicherweise gar rechtmäßiger Verhaltensweisen) haben ihren Preis: Wer den Verletzungsunterlassungsanspruch voll ausschöpfen will, kommt nicht umhin, sich um die jeweils zielgenaue Verbotsform zu mühen, die dem in der konkreten Verletzungshandlung strukturell zum Ausdruck kommenden Gefährdungspotential gerecht wird. III. Beweis, Beweismittel, Beweislast Schrifttum Bornkamm Die Feststellung der Verkehrsauffassung im Wettbewerbsprozeß, WRP 2000, 830; Doepner Verbraucherleitbilder zur Auslegung des wettbewerbsrechtlichen Irreführungsverbots – Anmerkungen zum Diskussionsstand, FS Lieberknecht (1997) 165; Eichmann Gegenwart und Zukunft der Rechtsdemoskopie, GRUR 1999, 939; Gloy Verkehrsauffassung – Rechts- oder Tatfrage, FS Erdmann (2002) 811; Kur Beweislast und Beweiswürdigung im Wettbewerbsprozeß, 1981; Knaak Demoskopische Umfragen in der Praxis des Wettbewerbs- und Warenzeichenrechts, 1986; Lindacher Beweisrisiko und Aufklärungslast der nicht risikobehafteten Partei in Wettbewerbssachen, WRP 2000, 350; ders. Das lauterkeitsrechtliche Irreführungsverbot. Tatbestandsprägung durch empirische und normative Elemente, FS G.H. Roth (2011) 461; Mes Sic tacuisses – Zur Darlegungs- und Beweislast im Prozess des gewerblichen Rechtsschutzes, GRUR 2000, 934; Scherer Normative Bestimmung von Verwechslungs- und Irreführungsgefahr, GRUR 2000, 273; Schweizer Die „normative Verkehrsauffassung“ – ein doppeltes Missverständnis, GRUR 2000, 923; Teplitzky Zu Anforderungen an Meinungsforschungsgutachten, WRP 1990, 145; Tilmann Die Verkehrsauffassung im Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht – Möglichkeiten und Grenzen der demoskopischen Wahrheitsfindung im Prozeß, GRUR 1984, 716; Ullmann Der Verbraucher – ein Hermaphrodit, GRUR 1991, 789; I. Westermann Bekämpfung irreführender Werbung ohne demoskopische Gutachten, GRUR 2002, 403.
1. Die Feststellung der Verkehrsauffassung sowie der Geschäftsentscheidungs- 1089 relevanz allfälliger Irreführung als Tatsachenfeststellung. Der Begriff der Irreführung i.S. von § 5 ist als Funktionsbegriff normativer Natur (näher insoweit bereits Rn. 61 ff.), enthält indes (s. bereits Rn. 64 ff.) einen empirischen Kern: Die Verkehrsauffassung ist eine ontologische, keine normative Kategorie. Zu ermitteln ist, wie der angesprochene Verkehr die Werbeangabe tatsächlich versteht, nicht wie er sie „vernünftigerweise“ verstehen sollte. Und, auch die Frage nach der Geschäftsentscheidungsrelevanz einer allfälligen Irreführung (Rn. 238 ff.) zielt auf Faktenerkenntnis. Richterliche Feststellung ist, hier wie dort, immer Tatsachenfeststellung. Eine besondere gesetzliche Beweislastregelung besteht bei Preisherabsetzungen (oben Rn. 1081h). 2. Erheblichkeit und Beweisbedürftigkeit des Fehlvorstellungsvorbringens. 1090 Wer Unterlassung nach § 8 i.V. mit §§ 3, 5 begehrt, hat schlüssig darzulegen, in welcher Hinsicht das Verständnis des angesprochenen Verkehrs von der Wirklichkeit abweicht.2327 Die einschlägige Fehlvorstellungsbehauptung ist Tatsachenbehauptung, freilich nur schlüssig, wenn sie rechtlich erheblich ist. Die Fehlvorstellungsbehauptung bleibt jenseits der Fallgruppe gezielter Ansprache eines besonders schutzbedürftigen Personenkreises rechtlich irrelevant, wenn das geltend gemachte Verständnis außerhalb
_____
2327 BGH 13.7.2006 – I ZR 222/03 – GRUR 2007, 161, 162 = WRP 2007, 66, 67 – dentalästhetika II; Ahrens/ Bähr Kap. 27 Rn. 7.
999
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
der Vorstellung des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen „Durchschnittsmitglieds“ liegt. Nicht jede erhebliche, von der Gegenseite nicht unstreitig gestellte und damit fest1091 stellungsbedürftige Fehlvorstellungsbehauptung bedarf freilich der Verifizierung durch Beweis (hierzu: Rn. 1099). Der Richter kann vielmehr unter bestimmten, nach billigenswerter neuerer BGH-Rechtsprechung erleichterten Voraussetzungen von der Anordnung einer Beweisaufnahme absehen und die erforderliche Feststellung in Anwendung einschlägiger Erfahrungssätze selbst treffen (hierzu sogleich Rn. 1092 ff.). 3. Feststellung der Verkehrsauffassung ohne Beweis. Klassische Form der Verkehrsauffassungsfeststellung ist die richterliche Eigenfeststellung: Der Richter ermittelt das Verkehrsverständnis in Anwendung einschlägigen Erfahrungswissens, sei es in Anwendung allgemeiner Erfahrungsregeln, sei es in Anwendung vorhandenen Eigenspezialwissens, sei es in Anwendung aus gegebenem Anlass verschafften Eigenwissens. Die entsprechende Eigenfeststellungskompetenz stand im Grundsatz von jeher au1093 ßer Frage, war jedoch nach höchstrichterlicher – von den Instanzgerichten freilich nicht immer beachteter – Vorgabe bis zur Jahrhundertwende an relativ enge Voraussetzungen geknüpft: Zum Erfordernis der Verkehrskreiszugehörigkeit und zum Erfordernis des Werbungsbezugs auf Gegenstände des täglichen und allgemeinen Bedarfs2328 kam die Kompetenzbeschränkung nach dem Ergebnis der Entscheidung. Nach der sog. Bärenfang-Doktrin war Verneinung der Irreführungsgefahr auf Grund eigener Sachkunde dem Richter zumindest grundsätzlich verwehrt.2329 Die jüngere BGH-Rechtsprechung hat die Schranken für eine Verkehrsauffassungsermittlung ohne Beweis – der vom EuGH in der Gut Springenhof-Entscheidung2330 ausgesprochenen Erwartung entsprechend – unter allgemeiner Billigung des Schrifttums2331 deutlich gesenkt: Die richterliche Eigenentscheidungskompetenz wird zutreffenderweise nicht länger vom Ergebnis der Entscheidung abhängig gemacht,2332 im Übrigen auch das Erfordernis der Verkehrskreiszugehörigkeit gelockert. Jüngere Entscheidungen betonen zu Recht die Befugnis zur richterlichen Eigenermittlung des Verständnisses von Fachkreisen gestützt auf allgemeines Erfahrungswissen, wenn und soweit diese für die Beurteilung der fraglichen werblichen Äußerung keine besonderen Kenntnisse und Erfahrungen einsetzen.2333 Sie sprechen dem Richter eine gewisse Sacherfahrung kraft Sachbefassung zu, die diesem eine eigenständige Beurteilung darüber erlaubt, wie Fachkreise eine bestimmte Werbeaussage fachkreisspezifisch verstehen.2334 Defizitäres Wissen zur Frage, in welchem Sinne bestimmte Begriffe von den angesprochenen Fachkreisen verstanden werden, lässt sich grundsätz-
1092
_____
2328 BGH 1.12.1960 – I ZR 6/59 – GRUR 1961, 193, 195 – Medaillenwerbung; 20.2.1992 – I ZR 32/90 – GRUR 1992, 406, 407 = WRP 1992, 469, 470 – Beschädigte Verpackung I; 17.6.1999 – I ZR 149/97 – GRUR 2000, 239, 240 = WRP 2000, 92, 93 – Last-Minute-Reise. 2329 BGH 13.7.1962 – I ZR 43/61 – GRUR 1963, 270, 273 = WRP 1962, 404, 407 – Bärenfang; 12.2.1987 – I ZR 54/85 – GRUR 1987, 444, 446 = WRP 1987, 463, 465 – Laufende Buchführung. 2330 16.7.1998 – C-210/96 – EuGHE 1998 I-4657: Beurteilung des Verkehrsverständnisses durch die nationalen Gerichte ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens als mutmaßliche „Regel“. 2331 Gloy/Loschelder/Erdmann/Lubberger § 41 Rn. 14 ff.; Ahrens/Bähr Kap. 27 Rn. 10 ff.; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 474; Bornkamm WRP 2000, 830, 831 ff.; Lindacher FS G.H.Roth 461, 468. 2332 BGH 18.10.2001 – I ZR 133/99 – GRUR 2002, 550, 552 = WRP 2002, 527, 529 – Elternbriefe; 2.10.2003 – I ZR 150/01 – GRUR 2004, 244, 245 = WRP 2004, 339, 342 – Marktführerschaft. 2333 BGH 12.7.2001 – I ZR 261/98 – GRUR 2002, 77, 79 = WRP 2002, 85, 87 – Rechenzentrum; 2.10.2003 – I ZR 150/01 – GRUR 2004, 244, 245 = WRP 2004, 339, 342 – Marktführerschaft. 2334 BGH 2.10.2003 – I ZR 150/01 – GRUR 2004, 244, 245 = WRP 2004, 339, 342 – Marktführerschaft.
Lindacher/Peifer
1000
G. Verfahrensfragen
§5
lich auch im Wege Eigenrecherche erschließen.2335 Sachkunde kann endlich auch aus dem Vortrag der Parteien und/oder den von diesen vorgelegten (Privat-)Gutachten zuwachsen.2336 Erfahrungswissen erlaubt im Allgemeinen nicht nur mehr oder weniger realitäts- 1094 nahe Aussagen darüber, wie der angesprochene Verkehr die werbliche Äußerung versteht, bei konstatierter Divergenz der Bedeutungsvorstellungen vielmehr auch Grobaussagen zur Fehlvorstellungsverteilung:2337 Kommt es im Rahmen gebotener Interessenabwägung auf Quotierungen an (s. Rn. 284 ff.), kann von einem generellen Gebot, auf Meinungsforschungsgutachten zurückzugreifen,2338 keine Rede sein. Ermessensfehlerfreie Einschätzung der richterlichen Eigenkompetenz bleibt Einzelfallfrage. Hinreichende Eigensachkunde des Richters bei der Beurteilung der Frage, wie die 1095 streitgegenständliche Werbeangabe vom angesprochenen Verkehr – gegebenenfalls unterschiedlich – verstanden wird, dispensiert den auf Unterlassungsverurteilung Antragenden von der Führung des Hauptbeweises, verträgt sich nach zutreffender, heute ganz h.M.2339 auch nicht mit einem Recht der Gegenseite auf Führung des Gegenbeweises via Einholung eines Meinungsforschungsgutachtens. Die gegenteilige, § 291 ZPO ins Feld führende Ansicht2340 verkannte den elementaren Unterschied zwischen Tatsachen, die in Anwendung eines Erfahrungssatzes festzustellen sind, und den keiner Feststellung bedürftigen allgemein- und gerichtsbekannten Tatsachen i.S. von § 291 ZPO. Bei Bejahung aus dem Gesichtspunkt der Offenkundigkeit steht der Gegenbeweis offen. Hier bleibt allein der Versuch einer Erschütterung des Erfahrungssatzes, auch und vor allem durch Präsentation eines Parteigutachtens.2341 Die Entscheidung Eigenfeststellung oder Feststellung unter Inanspruchnahme sach- 1096 verständiger Hilfe trifft der Richter in pflichtgemäßem Ermessen.2342 Die ohne Beweisaufnahme getroffenen Feststellungen stehen deshalb unter eingeschränkter Fehlerkontrolle. Angreifbar – auch im Revisionsverfahren – sind sie im Einzelnen unter drei und nur unter drei Gesichtspunkten:2343 (1) wenn die Nichteinholung eines Sachverständigenbeweises eine manifeste Fehlanmaßung hinreichender Eigensachkunde darstellt; (2) wenn der Richter sich eine fernliegende Sachkunde zuschreibt, ohne darzulegen, worauf dieselbe sich stützt, und (3) wenn der Richter beim Versuch der Verkehrsauffassungsermittlung einen nicht existenten Erfahrungssatz zugrunde legt oder einen existenten Erfahrungssatz falsch anwendet. 4. Feststellung der Geschäftsentscheidungsrelevanz ohne Beweisverfahren. 1097 Das vorab für die Feststellung der Verkehrsauffassung Ausgeführte gilt entsprechend für die Ermittlung der Geschäftsentscheidungsrelevanz konstatierter bzw. angenommener Irreführung (allgemein zu diesem Erfordernis Rn. 238 ff.).2344 Tendenziell wird sich eine
_____
2335 BGH 11.9.2008 – I ZR 58/06 – GRUR 2009, 418 Tz. 23 = WRP 2009, 304 – Fußpilz. 2336 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.233; Ohly/Sosnitza Rn. 139. 2337 Lindacher FS G.H.Roth 461, 468. 2338 So MünchKommUWG/Ruess Rn. 282. 2339 BGH 2.10.2003 – I ZR 150/01 – GRUR 2004, 244, 245 = WRP 2004, 339, 341 f. – Marktführerschaft; Ahrens/Bähr Kap. 27 Rn. 13 ff.; Gloy/Loschelder/Erdmann/Lubberger § 41 Rn. 18; Fezer/Büscher/Obergfell/ Peifer Rn. 471; Bornkamm WRP 2000, 830, 833 f. 2340 BGH 29.3.1990 – I ZR 74/88 – GRUR 1990, 607, 608 = WRP 1990, 699, 700 = BB 1991, 1524 m. krit. Anm. Lindacher – Meister-Kaffee. 2341 Vgl. insoweit jetzt auch MünchKommUWG/Ruess Rn. 287 ff. 2342 Bornkamm WRP 2000, 830, 833. 2343 Fezer/Büscher/Obergfell § 12 Rn. 326; Bornkamm WRP 2000, 830, 833. 2344 Ausdrückliche einschlägige Klarstellung: Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 196.
1001
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
Beweisaufnahme freilich noch häufiger erübrigen als bei Feststellung des Verkehrsverständnisses; vor allem die positive Feststellung lässt sich weithin durch Rekurs auf Erfahrungssätze treffen. 2345 Von einer umfassenden einschlägigen richterlichen Entscheidungskompetenz (mit der Folge der Entbehrlichkeit der Erhebung von Meinungsumfragen)2346 kann indes keine Rede sein:2347 Wo es an jedem Erfahrungssatz fehlt, bliebe die richterliche Aussage ohne Beweiserhebung Spekulation. Zu beachten bleibt freilich die geminderte Leistungsfähigkeit der Demoskopie bei 1098 der Ermittlung der Kaufmotivation: Da Kaufmotive den Befragten typischerweise nur unvollständig „bewusst“, teilweise sogar tabuisiert sind, weisen einschlägige Gutachten tendenziell einen geringeren Gültigkeitsgrad auf. 1099
5. Beweiserhebung über die Verkehrsauffassung. Sieht sich der Richter außerstande, das Verständnis der angesprochenen Verkehrskreise gestützt auf eigene Sachkunde festzustellen, lässt sich die Verkehrsauffassung nur unter Inanspruchnahme sachverständiger Hilfe ermitteln: über die Einholung einschlägiger Auskünfte von Kammern oder Verbänden oder die Einholung eines Meinungsforschungsgutachtens. Das Einschlagen des erstgenannten Wegs zielt auf schlichten Erfahrungswissenstransfer: Die Kammer/der Verband vermittelt spezielle, dem Richter nicht oder nicht hinreichend bekannte Erfahrungssätze, damit der Richter in Anwendung derselben auf die jeweilige Verkehrsauffassung schließen kann.2348 Beim Meinungsforschungsgutachten geht es um die Inanspruchnahme methodischen Sachverstands. Der Sachverständige trifft in Anwendung seines Fachwissens auf der Basis lege artis durchgeführter Verkehrsbefragungen Schlussfolgerungen hinsichtlich des erfragten Verkehrsverständnisses, dem Richter bleibt „nur“ die Beweiswürdigung nach § 286 ZPO.2349
1100
a) Kammer- und Verbandsauskünfte. Die Einholung entsprechender Auskünfte, früher in Wettbewerbsprozessen das wesentliche einschlägige Beweismittel, ergibt nach wie vor Sinn, wenn zu ermitteln ist, wie angesprochene Fachkreise (die weiterverarbeitende Industrie, der Handel, fachkundige Abnehmer) die zu beurteilende Angabe verstehen:2350 Da Fachleute Fachtermini üblicherweise in ihrem technischen Sinn verstehen, ist die – gegebenenfalls ihrerseits auf eine Mitgliederbefragung gestützte – Kammer- bzw. Verbandsauskunft insbesondere ein probates Mittel zur Ermittlung des Verkehrsverständnisses in der Fachsprache gehaltener Äußerungen. Je nach Gegenstand und/oder Fassung der Werbeangabe (vor allem, wenn es sich um eine Äußerung handelt, die in der Fachsprache keine Entsprechung findet) kann freilich auch bei der Werbung gegenüber Fachkreisen von vornherein die Einholung eines Meinungsforschungsgutachtens geboten sein. U.U. gibt auch erst und gerade die Kammer- bzw. Verbandsauskunft Anlass zum Demoskopierekurs.
_____
2345 Zutreffend Hösl Interessenabwägung 191. 2346 So Tilmann GRUR 1984, 718 Fn. 30. 2347 Rekurs auf das Mittel der Meinungsumfrage denn auch z.B. in BGH 6.6.1980 – I ZR 97/98 – GRUR 1981, 71, 73 = WRP 1981, 18, 20 – Lübecker Marzipan sowie BGH 29.4.1982 – I ZR 111/80 – GRUR 1982, 564, 566 = WRP 1982, 570, 572– Elsässer Nudeln. 2348 Zum Erfahrungswissen vermittelnden Sachverständigengutachten allgemein: Rosenberg/Schwab/ Gottwald ZPR, 17. Aufl. (2010), § 121 Rn. 4. 2349 Zum auf Tatsachenfeststellung gerichteten Sachverständigengutachten allgemein: Rosenberg/ Schwab/Gottwald aaO § 121 Rn. 7 f. 2350 Statt vieler: BGH 16.1.1997 – I ZR 225/94 – GRUR 1997, 669, 670 = WRP 1997, 731 – Euromint; BGH 2.10.2003 – I ZR 150/01 – GRUR 2004, 244, 245 – Marktführerschaft; Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 14; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.238. Eher kritisch Gloy/Loschelder/Erdmann/Pflüger § 42 Rn. 7.
Lindacher/Peifer
1002
G. Verfahrensfragen
§5
Geht es um die Klärung der Frage, wie Verbraucher eine bestimmte werbliche Äuße- 1101 rung verstehen, vermittelt eine Kammer- oder Verbandsauskunft (als Versuch einer Aussage zu den Vorstellungen der Kammer- bzw. Verbandsmitglieder über die Erwartungen ihrer Kunden) im Allgemeinen von vornherein kaum bessere und sicherere Erkenntnisse als richterliche Wahrscheinlichkeitsüberlegungen. Sachverstand im Problemfeld verbrauchertäuschender Reklame ist zuerst und vor allem bei den Wettbewerbskammern und -senaten der Land- bzw. Oberlandesgerichte versammelt. Stoßen diese an die Grenze einschlägiger Sach- und Fachkompetenz, bleibt als (Aus-)Weg gemeinhin nur das Mittel der Meinungsumfrage. b) Meinungsforschungsgutachten. Die prinzipielle Eignung dieses Beweismittels 1102 steht – zu Recht – außer Streit:2351 Lege artis veranstaltete demoskopische Umfragen sind im Allgemeinen die bestverfügbare Methode zur Feststellung der Verkehrsauffassung und/oder Marktentscheidungsrelevanz. Sie genügen nicht nur dem Erfordernis methodischer Zuverlässigkeit (reliability), sondern in aller Regel auch in hohem Maß dem Postulat der Ergebnisgültigkeit (validity), also der Spiegelung der Realität. Die (absoluten) Grenzen der Verwendbarkeit des Instruments ergeben sich aus 1103 den Grenzen der Leistungsfähigkeit der Demoskopie:2352 Soweit offene Fragen auf Unverständnis stoßen und jede Art einer geschlossenen Befragung nur ein Raten und Räsonieren auslöst und demgemäß nicht zu einer Eindruckswiedergabe führt, hilft auch das Mittel der Meinungsumfrage nicht weiter. Davon, dass der Richter „im Zweifelsfall“ gleichwohl Beweis zu erheben habe, weil sich die Beweiseignung zuverlässigerweise erst nach Durchführung der Umfrage beurteilen lasse,2353 kann keine Rede sein. Geboten und ausreichend ist bei (echten) Problemfällen die Einholung des Gutachtens eines Meinungsforschungsinstituts über die hinreichende Erfolgsaussicht einer allfälligen demoskopischen Umfrage.2354 Bloße Aussageschwäche des allfälligen Gutachtens steht dem Rekurs auf das Be- 1104 weismittel nicht schlechthin entgegen, erlangt freilich richtigerweise (sogleich Rn. 1105) Relevanz im Rahmen richterlicher Ermessensentscheidung hinsichtlich des einzuschlagenden Wegs der Verkehrsauffassungsfeststellung. c) Entscheidungskriterien. Die Entscheidung, darüber ob, das Richtergremium Ei- 1105 genfeststellungen trifft oder ein Sachverständigengutachten einholt, steht in gebundenem Verfahrensermessen. Dabei ist zu unterscheiden:2355 Zweifel an der eigenen Sachkunde muss der Richter zum Anlass nehmen, verfügbare Beweismittel auszuschöpfen.2356 Zweifel an der Treffgenauigkeit der unter Einsatz von Erfahrungswisssen getroffenen „Mutmaßung“2357 zwingen hingegen nicht ohne weiteres zur Einholung eines Meinungsforschungsgutachtens. Denn selbst lege artis veranstaltete demoskopische Umfragen bilden die Realität – erkenntnisgegenständlich bestimmt in gestufter Weise – nur näherungsweise ab. Bereits eine reine Effizienzbetrachtung führt im Grenzfall zur Dehnung der richterlichen Feststellungskompetenz ohne Beweis: richterlicher self restraint ergibt,
_____
2351 Statt mancher: Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 16; Gloy/Loschelder/Erdmann/Pflüger § 42 Rn. 13 f. 2352 Zum Folgenden bereits Tilmann GRUR 1984, 722 f. 2353 So Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 201. 2354 Richtig: Tilmann GRUR 1984, 723. 2355 Lindacher FS G. H. Roth 461, 469. 2356 Richtig: Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 7. 2357 EuGH 16.7.1998 – C-210/96 – EuGHE 1998 I-4657 Tz. 31 – Gut Springenheide.
1003
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
ebenso wie der Verzicht auf eine Kammer-/Verbandsauskunft, nur Sinn, wenn die demoskopische Untersuchung die eindeutig überlegene Alternative ist. Darüber hinaus darf auch der Kostenaspekt2358 nicht aus den Augen verloren werden: Wie für andere Sachverständigengutachten gilt zwar auch für Meinungsforschungsgutachten der Grundsatz, dass angetretener Beweis nicht allein wegen der Unverhältnismäßigkeit von Streitwert und Kostenaufwand abgelehnt werden kann. Legitim und geboten ist es jedoch, die StreitwertKosten-Relation bei der Bestimmung der Grenzen richterlicher Eigenentscheidungsbefugnis (Rn. 1092 ff.) bzw. der Doch-noch-Verwertbarkeit einer Kammer-/Verbandsauskunft (Rn. 1100 f.) mit zu berücksichtigen. Das (Verfassungs-)Recht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes wird nicht nur bei Ablehnung der Erhebung angebotenen Beweises, sondern auch bei einem Insistieren auf sozialwissenschaftlicher Perfektion der Tatsachenfeststellung unter Ausblendung des Streitwert-Kosten-Verhältnisses thematisiert. Wenn die Gewinnchance mit einem – bei Obsiegenswahrscheinlichkeit kleiner als eins – mehr oder weniger exorbitanten Kostenrisiko erkauft werden muss, erlahmt nicht selten die Bereitschaft zur Durchsetzung bzw. Verteidigung „guten Rechts“. 6. Darlegungs- und Beweislast 1106
a) Der Grundsatz: Darlegungs- und Beweislast des Klägers. Die Darlegungs- und Beweislastfrage kann sich im Rahmen der Feststellung des Tatbestandsmerkmals „Irreführung über geschäftliche Verhältnisse“ in dreierlei Hinsicht stellen: bei der Ermittlung des Inhalts der Werbeangabe, hinsichtlich der Frage, ob die ausgelöste Verkehrserwartung der Realität entspricht, schließlich hinsichtlich der Marktentscheidungsrelevanz einer allfälligen Erwartungsenttäuschung. Der Satz, dass derjenige, der ein Recht in Anspruch nimmt, die rechtsbegründenden Tatsachen darlegen und beweisen muss, führt dabei zur Darlegungs- und Beweislastzuweisung an den Kläger: uneingeschränkt in der Bedeutungssinn- und Verhaltensrelevanzfrage, mit gestufter Einschränkung aber auch in der Richtigkeitsfrage.2359 b) Ausnahmen und Lockerungen
aa) Beweislastumkehr nach § 5 Abs. 4 S. 2. § 5 Abs. 4 S. 2 flankiert und effektuiert im Zusammenspiel mit § 5 Abs. 4 S. 1 das in § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 zu verortende Verbot irreführender Preissenkungswerbung. Während § 5 Abs. 4 S. 1 für den Fall, dass der frühere höhere Preis überhaupt nicht oder nur für eine unangemessen kurze Zeit gefordert worden ist, die Vermutung einer Irreführung nach § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 begründet (Einzelheiten: Rn. 659 ff.), hilft § 5 Abs. 4 S. 2 dem interventionswilligen Konkurrenten/Verband, der den begründeten Verdacht hat, dass der Bezugspreis nicht oder jedenfalls nicht für angemessene Zeit gefordert wurde, aus seiner Darlegungs- und Beweisnot. 1108 Mit der Sonderregelung trägt das Gesetz in einer dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verpflichteten Weise dem Umstand Rechnung, dass Preissenkungswerbung nicht 1107
_____
2358 Nach Teplitzky/Schwippert Kap 47 Rn. 16 fallen bei Einholung eines Meinungsforschungsgutachtens Kosten von mindestens 15.000 € an. 2359 BGH 13.7.1962 – I ZR 43/61 – GRUR 1963, 270, 271 = WRP 1962, 404, 405 – Bärenfang; 17.10.1984 – I ZR 187/82 – GRUR 1985, 140, 142 = WRP 1985, 72, 74 – Größtes Teppichhaus der Welt; 26.10.2006 – I ZR 33/04 – GRUR 2007, 247 Tz. 33 = WRP 2007, 303 – Regenwaldprojekt I; BGH 14.3.2019 – I ZR 167/18 – K&R 2019, 401 („Anwaltsforum Patientenanwälte“); Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 30; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 478; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.240; Harte/Henning/Dreyer M Rn. 5 ff.
Lindacher/Peifer
1004
G. Verfahrensfragen
§5
nur von hoher werblicher Relevanz, sondern auch in besonders hohem Maß missbrauchsanfällig, einschlägiger Missbrauch von Mitbewerbern und interventionsbereiten Verbänden nur schwer konkret zu belegen ist. Das geltende Recht verzichtet auf grobe Brandmauern wie eine rigorose Beschränkung von Sonderveranstaltungen (so noch § 7 Abs. 1 a.F.) und arbeitet stattdessen2360 mit Darlegungs- und Beweislastzuweisungen, die über die allgemeinen ungeschriebenen Darlegungs- und Beweislasterleichterungen hinausgehen. § 5 Abs. 4 S. 2 statuiert eine echte sektorale Beweislastumkehr, richtiger Ansicht nach darüber hinaus eine korrespondierende Darlegungslastumkehr.2361 Der Intervenient genügt seiner Darlegungslast mit der Behauptung, der Bezugspreis sei, wenn überhaupt, nur für eine unangemessen kurze Zeit gefordert worden. Grenzen ergeben sich für ihn nur aus der Wahrhaftigkeitspflicht nach § 138 Abs. 1 ZPO, die indes gerade nicht bereits dadurch verletzt wird, dass die Intervention lediglich verdachtsgeleitet erfolgt. bb) Ausnahmen sowie Behauptungs- und Beweiserleichterungen ungeschriebenen Rechts (1) Absenkung der Substantiierungslast bei Erweiterung der Erklärungslast der 1109 Gegenpartei nach dem Näheprinzip. Allgemein anerkannt sind gewisse Erleichterungen für den Kläger in der Richtigkeitsfrage nach dem Näheprinzip: Die Anforderungen an den darlegungs- und beweisbelasteten Kläger reduzieren sich, während spiegelbildlich dem Beklagten im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren gewisse Informationspflichten zuwachsen, wenn und soweit der Kläger außerhalb des maßgeblichen Geschehensablaufs steht und den rechtserheblichen Sachverhalt deshalb von sich aus nicht oder nur unter größeren Schwierigkeiten ermitteln kann, der Beklagte hingegen die einschlägige Aufklärung aus präsentem oder unternehmensintern abrufbarem Wissen unschwer leisten kann.2362 Für den Kläger senken sich situationsangemessen zunächst die Substantiierungsanforderungen: Vermag er jenseits vager Verdachtsmomente Anhaltspunkte geltend zu machen, die Zweifel an der Richtigkeit der zu beurteilenden Angabe rechtfertigen, kann er sich im Übrigen gegebenenfalls gar mit der Behauptung der Unrichtigkeit begnügen. Der Beklagte darf sich umgekehrt nicht mit reinem Bestreiten begnügen, ist vielmehr bei Meidung der Geständnisfiktionsfolge des § 138 Abs. 3 ZPO gehalten, dem – unbeschadet der Abmagerung schlüssigen – Klägervortrag in substantierter Form entgegenzutreten (sog. sekundäre Darlegungslast). Kasuistik: Berühmt sich ein „Juristischer Pressedienst“ im Impressum der „Mitwirkung von Bundesrichtern, Oberlandesgerichtspräsidenten, Generalstaatsanwälten, Präsidenten von Landgerichten, Landesarbeitsgerichten, Landessozialgerichten, Verwaltungsgerichten und Finanzgerichten“, lässt dies hinsichtlich des benannten Personenkreises ein Minimum an Beiträgen oder an redaktioneller Einflussnahme erwarten. Wur-
_____
2360 Explizite Betonung des Zusammenhangs mit der Aufhebung von § 7 Abs. 1 a.F. in Begr. BT-Drucks 15/1487 S. 20. 2361 OLG Karlsruhe 8.11.2006 – 6 U 227/05 – WRP 2007, 819, 820; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.119; Ohly/Sosnitza Rn. 467. A.A. Harte/Henning/Weidert L Rn. 8. 2362 BGH 20.1.1961 – I ZR 79/59 – GRUR 1961, 356, 359 = WRP 1961, 158, 160 – Pressedienst; 13.7.1962 – I ZR 43/61 – GRUR 1963, 270, 271 = WRP 1962, 404, 405 f. – Bärenfang; 27.11.2003 – I ZR 94/01 – GRUR 2004, 246, 247 = WRP 2004, 343, 344 – Mondpreise?; 26.10.2006 – I ZR 33/04 – GRUR 2007, 247 Tz. 33 = WRP 2007, 303 – Regenwaldprojekt I; 19.2.2014 – I ZR 7230/12 – GRUR 2014, 578 Tz. 14 – Umweltengel für Tragetasche; Teplitzky/Schwippert Kap. 47 Rn. 31; Ahrens/Bähr Kap. 27 Rn. 52; Köhler/Bornkamm/ Feddersen Rn. 1.246; MünchKommUWG/Ruess Rn. 245 f.; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 480; Lindacher WRP 2000, 950, 952.
1005
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
den die angeblichen „Mitarbeiter“ derart rekrutiert, dass sie sich auf einer vorgedruckten Antwortkarte zu (gelegentlichen) Beiträgen bereit erklärten, kann sich der Kläger unter Hinweis auf die Form der „Mitarbeiter“-Gewinnung darauf beschränken, allgemein die Unrichtigkeit der Impressum-Angabe geltend zu machen. Äußert sich der Beklagte hierauf hinsichtlich Art, Umfang und Stetigkeit effektiver Mitarbeit nicht, ist das Klägervorbringen als zugestanden zu erachten.2363 Die Likörwerbung „altes ostpreußisches Familienrezept“ weckt Zweifel, wenn das werbende Unternehmen seinen Sitz in Köln hat und auch sonst über keine näheren Beziehungen zum ehemaligen Ostpreußen verfügt. Der Werbende ist gehalten, sich auf die Unrichtigkeit der Angabe geltend machende Unterlassungsklage über Herkunft und Inhalt des Rezepts zu erklären, wenn auch – aus Gründen der Geschäftsgeheimniswahrung – nur gegenüber einem vom Gericht zu bestellenden Sachverständigen.2364 Werden in einem Schachcomputerkatalog unter Berufung auf „noch unbestätigte Informationen“ Tatsachen behauptet, die das eigene, beworbene Programm in einem günstigen Licht erscheinen lassen (hier: vorgebliche Weigerung eines Schachweltmeisters gegen das beworbene Programm anzutreten), muss der Beklagte im Einzelnen dartun, auf welche konkret zu belegenden Hinweise sich seine Annahme stützt.2365 Der den Zusatz „Spezialist“ führende Rechtsanwalt hat darzulegen, dass er über entsprechende theoretische Kenntnisse verfügt und auf dem benannten Gebiet in erheblichem Umfang tätig gewesen ist.2366 Wer sich gegen eine vergleichende Preiswerbung mit der Behauptung wendet, der dort genannte eigene Angebotspreis des im Vergleich genannten Klägers für eine standardisierte Dienstleistung sei unrichtig, muss beweisen, dass der vom Konkurrenten angegebene Preis gerade nicht der von ihm regelmäßig verlangte Preis ist.2367 Gegenbeispiele (keine sekundäre Darlegungslast des Beklagten): Macht ein Verband irreführende Preiswerbung mit der Behauptung geltend, der dem Eigenpreis gegenübergestellte, vom Hersteller empfohlene Preis stelle eine unrealistische Phantasiegröße dar, bleibt es bei der uneingeschränkten Darlegungsund Beweislast des Klägers: Ob der empfohlene Preis gemessen an den marktüblich geforderten Preisen ein Mondpreis ist, kann der Verband genauso gut (oder schlecht) ermitteln wie der Werbende.2368 Macht ein Unternehmer unter Berufung auf die Erfahrung namentlich benannter Mitarbeiter auf seinem Tätigkeitsfeld besondere Material- und Verfahrenskompetenz geltend, trifft ihn im Streit mit einem Mitbewerber, dem er die betreffenden Mitarbeiter abgeworben hat, keine Darlegungslast hinsichtlich der Mitarbeiterqualifikation: Mangelnde Befähigung der Mitarbeiter kann ohne weiteres von der Gegenseite dargelegt und bewiesen werden.2369 Sind auch bestimmte Beweismittel nur dem Beklagten zugänglich, umschließt des1110 sen Erklärungslast wertungskonsequenterweise auch die Benennung der betreffenden Beweismittel:2370 Die Beweisführungslast des Klägers bleibt zwar unberührt. Zur Vortragshilfe kommt indes die (unmittelbare) Beweisführungshilfe. Bestreitet der Beklagte
_____
2363 BGH 20.1.1961 – I ZR 79/59 – GRUR 1961, 356, 359 – Pressedienst. 2364 BGH 13.7.1962 – I ZR 43/61 – GRUR 1963, 270, 271 = WRP 1962, 404, 406 – Bärenfang. 2365 BGH 13.2.2003 – I ZR 41/00 – GRUR 2003, 800, 803 = WRP 2003, 1111, 1114 – Schachcomputerkatalog. 2366 BGH 24.7.2014 – I ZR 53/13 – GRUR 2015, 286 Tz. 27 – Spezialist für Familienrecht; OLG Stuttgart 24.1.2008 – 2 U 91/07 – GRUR-RR 2008, 177, 179. 2367 BGH 20.2.2013 – I ZR 175/11 – GRUR 2013, 1058 Tz. 23 – Kostenvergleich bei Honorarfactoring. 2368 BGH 27.11.2003 – I ZR 94/01 – GRUR 2004, 246, 247 = WRP 2004, 343, 344 f. – Mondpreise?. 2369 BGH 22.10.2009 – I ZR 73/07 – GRUR 2010, 352 Tz. 22 = WRP 2010, 636 – Hier spiegelt sich Erfahrung. 2370 Stürner Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses, 1976, 136; Lindacher WRP 2000, 950, 952 f.
Lindacher/Peifer
1006
G. Verfahrensfragen
§5
zwar substantiiert, verweigert er aber die gebotene Beweisführungshilfe, kann das Gericht im Rahmen der sog. Verhandlungswürdigung hieraus für den Beklagten negative Schlüsse ziehen. (2) Absenkung der Substantiierungslast bei Erweiterung der Erklärungslast der 1111 Gegenpartei jenseits des Näheprinzips? Eine verbreitete Literaturmeinung2371 bejaht im Anschluss und in Verallgemeinerung der zu Fällen der Alleinstellungswerbung ergangenen Entscheidungen „Kreditvermittlung“2372 und „Größtes Teppichhaus der Welt“2373 Vortrags- und Beweisführungshilfen zugunsten der außerhalb des Geschehensablaufs stehenden risikobelasteten Partei auch dann, wenn der Werbende zur Aufklärung der maßgeblichen Faktenlage nicht leichter beizutragen vermag. Unter Behauptung einer Vorabprüfungspflicht des Werbenden (verstanden als Richtigkeitsprüfung desselben) werden Werbeangaben, die Interna Dritter oder sonstiger der risikobelasteten Partei nicht oder nur schwer zugängliche Umstände einbeziehen, auf Eigeninterna basierenden Werbeangaben gleichgestellt. Einer solch allgemeinen, gewissermaßen flächendeckenden Ausweitung der sekundären Darlegungslast der Gegenpartei des Werbenden ist mit Nachdruck zu widersprechen:2374 vom Ergebnis her, weil ein solcher Satz der Sache nach gerade doch einer generellen Beweislastumkehr in der Richtigkeitsfrage gleich käme, hinsichtlich der Begründung, weil die Argumentation letztlich zirkelschlüssig bleibt. Dass nur mit geprüften und gesicherten Behauptungen geworben werden darf, wäre gerade zu belegen. Angezeigt ist freilich in der Tat eine Sonderbeurteilung der Allein- sowie sonstiger 1112 Spitzenstellungswerbung: Wie jede bezugnehmende Werbung (sogleich Rn. 1114) ist Spitzenstellungswerbung (als Unterfall abstrakt bezugnehmender, ausnahmsweise mittelbar individualisierender bezugnehmender Werbung) nur zulässig, wenn sie nachweislich wahr ist. Die Regelungssituation rechtfertigt und gebietet die Durchbrechung der allgemeinen Darlegungs- und Beweislastregel, d.h. die Zuweisung der entsprechenden Lasten an den sich der einschlägigen Spitzenstellung Berühmenden,2375 zumindest eine Absenkung der Substantiierungslast des Klägers bei Erweiterung der Erklärungslast des Werbenden.2376 Das gilt allerdings nicht, wenn der Kläger selbst und ohne erhebliche Schwierigkeiten, insbesondere durch Zugriffe auf allgemein verfügbare Daten2377 oder auch Testkäufe oder Testanfragen, die für die Beurteilung der Spitzenstellung maßgeblichen Tatsachen darlegen und beweisen kann.2378 Auf ein Geheimhaltungsinteresse kann sich der die eigenen Verhältnisse zum Ge- 1113 genstand der Werbung machende Beklagte nur noch eingeschränkt berufen: Ein verständliches und verständiges einschlägiges Interesse wirkt sich allenfalls dahin aus, dass die Information unter Zwischenschaltung eines zur Verschwiegenheit verpflichte-
_____
2371 Repräsentativ: Ahrens/Bähr Kap. 27 Rn. 54; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 192. 2372 BGH 20.12.1977 – I ZR 1/76 – GRUR 1978, 249, 250 = WRP 1978, 210. 2373 BGH 17.10.1984 – I ZR 187/82 – GRUR 1985, 140, 142 = WRP 1985, 72, 74. 2374 Lindacher WRP 2000, 950, 953. 2375 BGH 22.10.2009 – I ZR 73/07 – GRUR 2010, 352 Tz. 22 – Hier spiegelt sich Erfahrung; BGH 24.7.2014 – I ZR 53/13 – GRUR 2015, 286 Tz. 27 – Spezialist für Familienrecht; OLG Frankfurt 30.4.2015 – 6 U 3/14 – WRP 2015, 883 Tz. 22 – spezialisierter Rechtsanwalt für Arbeitsrecht; Fezer/Büscher/Obergfell/Peifer Rn. 482; Lindacher WRP 2000, 950, 953. 2376 OLG Köln 24.6.2016 – 6 U 190/15 – WRP 2016, 1391 Tz. 28 – Eines der wichtigsten Meinungsforschungsinstitute; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.246; MünchKommUWG/Ruess Rn. 247; Fezer/Büscher/Obergfell § 12 Rn. 341. 2377 OLG Düsseldorf 10.11.2016 – 20 U 55/16 – WRP 2017, 586 Tz. 14 – Keiner ist schneller. 2378 BGH 3.7.2014 – I ZR 84/13 – GRUR 2015, 186 Tz. 10 – Wir zahlen Höchstpreise.
1007
Lindacher/Peifer
§5
Irreführende geschäftliche Handlungen
ten Sachverständigen zu leisten ist.2379 Trifft einen Unternehmer die Beweislast in Bezug auf seine Angebotspreise, muss er jedenfalls bei standardisierten Preisen seine Preisstruktur anhand typischer Vorgänge darlegen.2380 1114
(3) Sonderfallgestaltung: bezugnehmende Werbung. Wer sich durch In-BezugSetzen eigener geschäftlicher Verhältnisse zu denen der Konkurrenz auf Kosten derselben profiliert, trägt billigerweise die Verantwortung für die Richtigkeit seines den Vergleich konstituierenden Tatsachenvortrags – gleich, ob der Vergleich einzelne Konkurrenten erkennbar macht (Fall der vergleichenden Werbung im technischen Sinn, § 6 Abs. 1) oder sich auf die „Konkurrenz im Allgemeinen“ (Fall abstrakt bezugnehmender Werbung) bezieht. Dem gegen die Werbung Angehenden ist partiell bereits das Beweisrisiko abgenommen,2381 es bedarf keiner Erleichterungen unterhalb der Schwelle der Beweislastumkehr.2382
1115
(4) Beweislastzuweisung bei Werbung mit fachlich umstrittenen Behauptungen. Vor allem für den Bereich irreführender Gesundheitswerbung gilt: Spiegeln Wirksamkeits- und Wirkaussagen ein fachliches Urteil über komplexe Sachverhalte, verstehen Teile des relevanten Verkehrs die vorbehaltlose Werbung situationsabhängig nicht selten dahin, die Werbeaussage sei nicht ernstlich bestritten. Der Kläger muss dann bereits nach der allgemeinen Beweislastgrundregel nur behaupten und gegebenenfalls beweisen, dass dies nicht der Fall ist.2383 Aber auch jenseits dieser Konstellation darf vom Kläger letztlich nicht mehr erwartet werden: Wer im angesprochenen Feld vorbehaltlos wirbt, übernimmt die Verantwortung für die Richtigkeit der getroffenen Aussage. Es kommt zu einer Beweislastspaltung: Der die Zulässigkeit der Werbung Angreifende genügt seiner Behauptungs- und Beweisführungslast, wenn er belegt, dass die vom Werbenden seiner Aussage zugrunde gelegte Ansicht fachlich umstritten ist. Der Nachweis, dass die werbliche Äußerung gleichwohl hinreichend wissenschaftlich abgesichert ist, obliegt dem Beklagten.2384 Das gilt auch für den Fall, dass die ursprüngliche Behauptung durch neuere Erkenntnisse erschüttert wurde, also fragwürdig geworden ist2385 und wenn der Werbende bei umstrittenen Behauptungen eine fachliche Gegenmeinung nicht erwähnt hat.2386 Für kosmetische Wirkungsaussagen ist dies in Art. 20 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1223/2009 (Kosmetik-VO) eigens kodifiziert.2387 Bei Angaben, die von der VO (EG) Nr. 1924/2006 (HCVO) erfasst sind, muss der Werbende die Wirkungen seines Lebensmittels auf die Gesundheit kennen, also insbesondere wissen, welche Verzehrmuster erfor-
_____
2379 BGH 19.2.2014 – I ZR 230/12 – GRUR 2014, 578 Tz. 27 – Umweltengel für Tragetasche; MünchKommUWG/Ehricke v 12 Rn. 113; Lindacher WRP 2000, 950, 953. 2380 BGH 20.2.2013 – I ZR 175/11 – GRUR 2013, 1058 Tz. 28 – Kostenvergleich bei Honorarfactoring. 2381 Lindacher WRP 2000, 950, 953 f. 2382 So freilich beispielsweise Fezer/Büscher/Obergfell § 12 Rn. 340. 2383 Zutreffende einschlägige Klarstellung: MünchKommUWG/Ruess Rn. 249. 2384 BGH 6.2.2013 – I ZR 62/11 – GRUR 2013, 649 Tz. 32 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil; OLG Frankfurt 26.9.2013 – 6 U 195/10 – WRP 2014, 103 Tz. 43 – Mauerentfeuchtung; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.248; Fezer/Büscher/Obergfell § 12 Rn. 342; MünchKommUWG/Ehricke v § 12 Rn. 113; Harte/Henning/Dreyer M Rn. 18 sowie C 145; RWW/Doepner 3.0 Rn. 342 ff.; Lindacher WRP 2000, 950, 954. 2385 BGH 7.5.2015 – I ZR 29/14 – GRUR 2015, 1244 Tz. 36 – Äquipotenzangabe in Fachinformation. 2386 BGH 8.5.2013 – I ZR 94/09 – GRUR-RS 2013, 08444 Tz. 3; OLG Düsseldorf 19.11.2013 – 20 U 165/11 – MD 2014, 133, 135 – Kalkwasserbehandler; 24.3.2015 – 20 U 160/14 – GRUR-RR 2015, 343 Tz. 27 – KISSSyndrom. 2387 BGH 28.1.2016 – I ZR 36/14 – GRUR 2016, 418 Tz. 16 – Feuchtigkeitsspendendes Gel-Reservoir.
Lindacher/Peifer
1008
G. Verfahrensfragen
§5
derlich sind, um eine (zulässigerweise) behauptete Wirkung zu erzielen.2388 Dass dieses Wissen vorhanden war, muss daher der Werbende beweisen.2389 Kasuistik: Der Bezeichnung „Rheumalind“ für wollene Bettwaren entnimmt der Verkehr die Aussage, die betreffenden Waren übten hinsichtlich rheumatischer Erkrankungen vorbeugende und/oder lindernde Wirkungen aus. Wird in der neueren Fachliteratur eine einschlägige Wirkung nicht für erwiesen erachtet, genügt der Kläger seiner Darlegungslast mit eben diesem Hinweis. Will der Beklagte sein eingetragenes Warenzeichen weiterführen, ist es seine Sache, den hierdurch behaupteten Wirkzusammenhang darzutun.2390 Wird in der Werbung für ein zu kosmetischen Zwecken eingesetztes Ultraschallgerät eine hautverjüngende Wirkung behauptet, kommt der Intervenient seiner Darlegungslast nach, wenn er unter Bezugnahme auf Lehrbuchaussagen oder Aussagen eines gerichtlichen Sachverständigen in einem anderen Verfahren vorträgt, dass ein Einfluss von Ultraschall auf die Hautalterung in der Wissenschaft zumindest in Zweifel gezogen wird.2391 Wer bei der Bewerbung eines Naßrasierers behauptet, dass die Klinge beim Einsatz ein Feuchtigkeits-Gel spende, behauptet eine kosmetische Wirkung, für die er beweispflichtig ist.2392 (5) Richtlinienverträglichkeit des Darlegungs- und Beweislastregimes nationa- 1116 len Rechts. Anders als der Entwurf der Irreführungs-RL 84/450/EWG kennen die einschlägigen Richtlinien selbst keine allgemeine Beweislastregel des Inhalts, dass der Werbende die Richtigkeit seiner werblichen Tatsachenbehauptung zu beweisen hat. Wesentlich moderater bestimmt Art. 7 lit. a RL 2006/114/EG für den Business-to-BuisinessBereich lediglich: Die Mitgliedstaaten übertragen ihren Gerichten die Befugnis, je nach den Umständen des Einzelfalls und unter Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten vom Werbenden Beweis für die Richtigkeit werblicher Tatsachenbehauptungen zu verlangen und die Tatsachenbehauptungen als unrichtig anzusehen, wenn der verlangte Beweis nicht angetreten oder vom Gericht als unzureichend erachtet wird. Auch Art. 12 lit. a RL 2005/29/EG gebietet für den Unternehmer-Verbraucher-Bereich nur, vom Gewerbetreibenden den Beweis der Richtigkeit von Tatsachenbehauptungen zu verlangen, wenn ein solches Verlangen unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Gewerbetreibenden und anderer Verfahrensbeteiligter angemessen erscheint. Richtigerweise wird man beiden RL-Bestimmungen schwerlich eine Festlegung auf 1117 das Gebot echter „Beweislastumkehr im Einzelfall“ zu entnehmen haben, für das nationale Recht vielmehr nach wie vor eine Lösungskontinuum (von der Beweislastumkehr bis zur Darlegungs- und Beweisführungslasterleichterung für die risikobelastete Partei) als offengehalten anzusehen haben.2393 Beweisrisikozuweisungen abweichend von der Beweislastgrundregel sollten dabei freilich nur für bestimmte Fallgruppen erfolgen:2394 Der für das deutsche Beweisrecht anerkannte Satz, dass die Unbilligkeit der Beweisrisikozuweisung im Einzelfall keine Beweislastumkehr fordert und rechtfertigt,2395 bedarf vom EU-Recht her wohl keiner Revision.
_____
2388 EuGH 10.4.2014 – C-609/12 – GRUR 2014, 587 Tz. 43 – Ehrmann/Zentrale (Fall Monsterbacke). 2389 BGH 12.2.2015 – I ZR 36/11 – GRUR 2015, 403 Tz. 45 – Monsterbacke II. 2390 BGH 7.3.1991 – I ZR 127/89 – GRUR 1991, 848, 849 f. – Rheumalind II. 2391 OLG Karlsruhe 23.11.2011 – 6 U 93/11 – WRP 2012, 368. 2392 BGH 28.1.2016 – I ZR 36/14 – GRUR 2016, 418 Tz. 17 – Feuchtigkeitsspendendes Gel-Reservoir. 2393 Gleichsinnig, explizit: Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.242 f.; Ohly/Sosnitza Rn. 110; Alexander GRUR Int 2005, 809, 814. 2394 Lindacher WRP 2000, 950, 951. 2395 Aus der Rspr.: BGH 17.12.1996 – XI ZR 41/96 – NJW-RR 1997, 892, aus dem Schrifttum Stein/Jonas/ Leipold ZPO, 22. Aufl. (2008), § 286 Rn. 71; MünchKommZPO/Prütting, 4. Aufl. (2013) § 286 Rn. 123.
1009
Lindacher/Peifer
§ 5a
1118
Irreführung durch Unterlassen
Spricht nach alledem alles für eine Richtlinienverträglichkeit des vorab entwickelten nationalen Darlegungs- und Beweislastregimes, bleibt freilich allemal die gemeinschaftsrechtliche „Erdung“ zu beachten: im Zweifel kann und muss in richtlinienkonformer Auslegung immer unmittelbar auf Art. 7 RL 2006/114/EG resp. Art. 12 RL 2005/ 29/EG zurückgegriffen werden.
1119
(6) Vorprozessuale Aufklärungspflicht. Aus Zuweisungen von Beweislast bzw. sekundärer Darlegungslast an den Werbenden lässt sich keine materiellrechtliche (= vorprozessuale) Informationspflicht ableiten:2396 Eine entsprechende allgemeine Informationspflicht würde all diejenigen unangemessen belasten, deren Werbung nicht zu beanstanden ist.2397 Eine Ausnahme statuiert § 6 Abs. 2 Nr. 2 für den Bereich der vergleichenden Wer1120 bung: Die Streitfrage, ob die verglichenen Eigenschaften für die angesprochenen Verkehrskreise vorprozessual nachprüfbar sein müssen oder ob die Nachprüfbarkeit lediglich abstrakt i.S. einer Beweisbarkeit gegeben sein muss, hat der EuGH2398 in Auslegung der einschlägigen Richtlinien-Vorgabe (Art. 4 lit. c RL 2006/114/EG) dahin entschieden, dass der Werbende den Werbeadressaten die Informationen bereitzustellen hat, die es diesen ermöglicht, die Werbeaussage vorprozessual selbst nachzuprüfen bzw. durch einen Sachverständigen überprüfen zu lassen. Im Prozess bleibt es bei der konstatierten Beweislastzuweisung an den Werbenden (Rn. 1107 ff.): Die einschlägige RL-Bestimmung ist Art. 7 lit. a RL 2006/114/EG, der eine solche Zuweisung erlaubt (Rn. 1116 ff.). 1121
c) Sonderproblem: Darlegungs- und Beweislast und Interessenabwägung. Im Rahmen möglicher Interessenabwägungen (Rn. 268 ff.) ist das Rechtswidrigkeitsurteil Ergebnis offener Gewichtung. Dem Wechselspiel von Verbotsgründen und Verbotsgegengründen entspricht die dialektische Darlegungs- und Beweislastzuweisung: Verbotsgegeninteressen tragende Fakten, die dem faktenunterlegten Verbotsinteressen die Kraft nehmen, sind vom Beklagten (dem potentiellen Verletzer) vorzutragen und nachzuweisen.2399
§ 5a Irreführung durch Unterlassen § 5a Irreführung durch Unterlassen Irreführung durch Unterlassen https://doi.org/10.1515/9783110545944-009
(1) Bei der Beurteilung, ob das Verschweigen einer Tatsache irreführend ist, sind insbesondere deren Bedeutung für die geschäftliche Entscheidung nach der Verkehrsauffassung sowie die Eignung des Verschweigens zur Beeinflussung der Entscheidung zu berücksichtigen. (2) 1 Unlauter handelt, wer im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller Umstände dem Verbraucher eine wesentliche Information vorenthält, 1. die der Verbraucher je nach den Umständen benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen, und 2. deren Vorenthalten geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.
_____
2396 BGH 4.3.1977 – I ZR 117/75 – GRUR 1978, 54, 59 = WRP 1977, 569, 570 – Preisauskunft; Köhler/ Bornkamm/Feddersen § 12 Rn. 2.91; Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 194. 2397 Helm aaO. 2398 EuGH 19.9.2006 – C-356/04 – GRUR 2007, 69 Tz. 70 ff. = WRP 2006, 1348 – Lidl Belgium/Colruyt. 2399 Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 189; MünchKommUWG/Ruess Rn. 241.
Lindacher/Peifer https://doi.org/10.1515/9783110545944-009
1010
Irreführung durch Unterlassen
§ 5a
2
Als Vorenthalten gilt auch § 5a Irreführung durch Unterlassen Irreführung durch Unterlassen das Verheimlichen wesentlicher Informationen, die Bereitstellung wesentlicher Informationen in unklarer, unverständlicher Lindacher/Peifer oder zweideutiger Weise, 3. die nicht rechtzeitige Bereitstellung wesentlicher Informationen. (3) Werden Waren oder Dienstleistungen unter Hinweis auf deren Merkmale und Preis in einer dem verwendeten Kommunikationsmittel angemessenen Weise so angeboten, dass ein durchschnittlicher Verbraucher das Geschäft abschließen kann, gelten folgende Informationen als wesentlich im Sinne des Absatzes 2, sofern sie sich nicht unmittelbar aus den Umständen ergeben: 1. alle wesentlichen Merkmale der Ware oder Dienstleistung in dem dieser und dem verwendeten Kommunikationsmittel angemessenem Umfang; 2. die Identität und die Anschrift des Unternehmers, gegebenenfalls die Identität und Anschrift des Unternehmers, für den er handelt; 3. der Endpreis oder in den Fällen, in denen ein solcher Preis auf Grund der Beschaffenheit der Ware oder Dienstleistung nicht im Voraus berechnet werden kann, die Art der Preisberechnung sowie gegebenenfalls alle zusätzlichen Fracht-, Liefer- und Zustellkosten oder in den Fällen, in denen diese Kosten nicht im Voraus berechnet werden können, die Tatsache, dass solche zusätzlichen Kosten anfallen können; 4. Zahlungs-, Liefer- und Leistungsbedingungen sowie Verfahren zum Umgang mit Beschwerden, soweit sie von Erfordernissen der sachlichen Sorgfalt abweichen, und 5. das Bestehen eines Rechts zum Rücktritt oder Widerruf. (4) Als wesentlich im Sinne des Absatzes 2 gelten auch Informationen, die dem Verbraucher auf Grund unionsrechtlicher Verordnungen oder nach Rechtsvorschriften zur Umsetzung unionsrechtlicher Richtlinien für kommerzielle Kommunikation einschließlich Werbung und Marketing nicht vorenthalten werden dürfen. (5) Bei der Beurteilung, ob Informationen vorenthalten wurden, sind zu berücksichtigen: 1. räumliche oder zeitliche Beschränkungen durch das für die geschäftliche Handlung gewählte Kommunikationsmittel sowie 2. alle Maßnahmen des Unternehmers, um dem Verbraucher die Informationen auf andere Weise als durch die Kommunikationsmittel nach Nummer 1 zur Verfügung zu stellen. (6) Unlauter handelt auch, wer den kommerziellen Zweck einer geschäftlichen Handlung nicht kenntlich macht, sofern sich dieser nicht unmittelbar aus den Umständen ergibt, und das Nichtkenntlichmachen geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. 1. 2.
Art. 7 UGP-RL Irreführende Unterlassungen (1) Eine Geschäftspraxis gilt als irreführend, wenn sie im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände und der Beschränkungen des Kommunikationsmediums wesentliche Informationen vorenthält, die der durchschnittliche Verbraucher je nach den Umständen benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen, und die somit einen Durchschnittsverbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst oder zu veranlassen geeignet ist, die er sonst nicht getroffen hätte. (2) Als irreführende Unterlassung gilt es auch, wenn ein Gewerbetreibender wesentliche Informationen gemäß Absatz 1 unter Berücksichtigung der darin beschriebenen Einzelheiten verheimlicht oder auf
1011
Lindacher/Peifer
§ 5a
Irreführung durch Unterlassen
unklare, unverständliche, zweideutige Weise oder nicht rechtzeitig bereitstellt oder wenn er den kommerziellen Zweck der Geschäftspraxis nicht kenntlich macht, sofern er sich nicht unmittelbar aus den Umständen ergibt, und dies jeweils einen Durchschnittsverbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst oder zu veranlassen geeignet ist, die er ansonsten nicht getroffen hätte. (3) Werden durch das für die Geschäftspraxis verwendete Kommunikationsmedium räumliche oder zeitliche Beschränkungen auferlegt, so werden diese Beschränkungen und alle Maßnahmen, die der Gewerbetreibende getroffen hat, um den Verbrauchern die Information anderweitig zur Verfügung zu stellen, bei der Entscheidung darüber, ob Informationen vorenthalten wurden, berücksichtigt. (4) Im Falle der Aufforderung zum Kauf gelten folgende Informationen als wesentlich, sofern sie sich nicht unmittelbar aus den Umständen ergeben: a) die wesentlichen Merkmale des Produkts in dem für das Medium und das Produkt angemessenen Umfang; b) Anschrift und Identität des Gewerbetreibenden, wie sein Handelsname und gegebenenfalls Anschrift und Identität des Gewerbetreibenden, für den er handelt; c) der Preis einschließlich aller Steuern und Abgaben oder in den Fällen, in denen der Preis aufgrund der Beschaffenheit des Produkts vernünftigerweise nicht im Voraus berechnet werden kann, die Art der Preisberechnung sowie gegebenenfalls alle zusätzlichen Fracht-, Liefer- oder Zustellkosten oder in den Fällen, in denen die Kosten vernünftigerweise nicht im Voraus berechnet werden können, die Tatsache, dass solche zusätzlichen Kosten anfallen können; d) die Zahlungs-, Liefer- und Leistungsbedingungen sowie das Verfahren zum Umgang mit Beschwerden, falls sie von den Erfordernissen der beruflichen Sorgfalt abweichen; e) für Produkte und Rechtsgeschäfte, die ein Rücktritts- oder Widerrufsrecht beinhalten, das Bestehen eines solchen Rechts. (5) Die im Gemeinschaftsrecht festgelegten Informationsanforderungen in Bezug auf kommerzielle Kommunikation einschließlich Werbung oder Marketing, auf die in der nicht erschöpfenden Liste des Anhangs II verwiesen wird, gelten als wesentlich.
Schrifttum Schrifttum Zu §§ 5a Abs. 1 bis Abs. 5 UWG: Alexander Die „Aufforderung zum Kauf“ im Lauterkeitsrecht, WRP 2012, 125; ders. Neuregelungen zum Schutz vor Kostenfallen im Internet, NJW 2012, 1985; ders. Bedarf § 5a einer Korrektur? WRP 2013, 716; ders. Das Vorenthalten wesentlicher Informationen im Regelungssystem des UWG, FS Bornkamm (2014) 297; ders. Die Neufassung von § 5a UWG, WRP 2016, 139; ders. Aktuelle lauterkeitsrechtliche Problemfelder von Online-Vergleichsportalen, WRP 2018, 765; Bergmann Richtlinienkonforme Auslegung im Unlauterkeitsrecht am Beispiel der Irreführung durch Unterlassen, FS Krämer (2009) 163; Böhler Verbraucherschützende Informationspflichten im Lauterkeitsrecht (2017); ders. Die wesentliche Information in § 5a II UWG, GRUR 2018, 886; Bornkamm Irrungen, Wirrungen. Der Tatbestand der Irreführung durch Unterlassen, WRP 2012, 1; Burger Lauterkeitsrechtliche Informationspflichten (2012); Busch Informationspflichten im Wettbewerbs- und Vertragsrecht (2008); Dreiser Die Wesentlichkeit von Informationen gemäß § 5a UWG (2013); Fezer Das Informationsgebot der Lauterkeitsrichtlinie als subjektives Verbraucherrecht – Zur Umsetzung des Art. 7 der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, WRP 2007, 1021; ders. Lebensmittelimitate, gentechnisch veränderte Produkte und CSR-Standards als Gegenstände des Informationsgebots im Sinne des Art. 7 UGP-RL – Lauterkeitsrechtliche Informationspflichten nach § 5a UWG zum Schutz vor irreführender Lebensmittelvermarktung, WRP 2010, 577; Hamacher MeinPaket.de II – Zum Verhältnis des Vorenthaltens wesentlicher Informationen zur geschäftlichen Entscheidung im Rahmen von Art. 7 Abs. 1 UGP-RL, WRP 2018, 161; Jahn/Schäfer Digital is(s)t besser? Lebensmittelhandel 2.0 und das Dilemma der richtigen Verbraucherinformation, ZLR 2011, 593; Janal/Isikay Der Einsatz von Socialbots im geschäftlichen Verkehr, GRUR-Prax 2018, 393; Kieffer Die Informationspflichten des § 5a UWG und die Bedeutung des Informationsmodells für das Privatrecht (2014); Köhler Preisinformationspflichten, FS Loschelder (2010) 127; ders. Verbraucherinformation im Spannungsverhältnis von Lebensmittelrecht und Lauterkeitsrecht, WRP 2014, 637; ders. UWG 2015: Neue Maßstäbe für Informationspflichten der Unternehmer, WRP 2017, 1; Koch/Schmidt-Hern Alexa, wo bitte geht es hier zum BGH? WRP 2018, 671; Körber/Heinlein Informationspflichten und neues UWG, WRP 2009, 780; Leible/Schäfer Proaktive Informationspflichten aus Art. 7
Lindacher/Peifer
1012
Schrifttum
§ 5a
UGP-RL – eine wettbewerbsrechtliche Allzweckwaffe? WRP 2012, 32; Lettl Haftung eines Unternehmers (z.B. Hersteller) für Werbung unter Bezug auf das Angebot anderer selbständiger Unternehmen (z.B. Vertragshändler) insbesondere nach § 5a Abs. 2, Abs. 3 Nr. 2, WRP 2013, 1105; Lindacher Allgemeines Irreführungsverbot und konditioniertes Informationsgebot – Doppelgleisiger lauterkeitsrechtlicher Schutz materialer Privatautonomie, FS Spellenberg (2010) 43; Luy Kapitalmarktinformationspflichten und Lauterkeitsrecht (2017); A. Müller Abenteuer online – Zur Informationspflicht des Anbieters nach § 5a Abs. 3 Nr. 2 UWG, GRUR-Prax 2011, 118; Nickel/Feuerhake/Schelinski Lootboxen in Computerspielen, MMR 2018, 586; v. Oelffen § 5a UWG – Irreführung durch Unterlassen – Ein neuer Tatbestand im UWG (2012); Peifer Die Zukunft der irreführenden Geschäftspraktiken, WRP 2008, 556; ders. Lauterkeitsrechtliche Informationspflichten – Dogmatik und Verhältnis zu (lebensmittelrechtlichen) Kennzeichnungsgeboten, ZLR 2011, 161; Scherer Die Problematik des Medienbruchs – Bruchloses System oder unsystematische Regellosigkeit? WRP 2018, 659; Steinbeck Irrwege bei der Irreführung durch Unterlassen, WRP 2011, 1221; von Walter/Kluge Identitätsangaben nach § 5a Abs. 3 Nr. 2 UWG – Ein Plädoyer gegen das Impressumsdenken, WRP 2013, 866. Zu §§ 5a Abs. 6 UWG: Abeltshauser Redaktionelle Presseäußerungen im Lichte von § 1 UWG, WRP 1997, 1143; A. Ahrens/ Richter Fingierte Belobigungen im Internet, WRP 2011, 814; H.J. Ahrens Beteiligung der Presse an Wettbewerbsverstößen von Anzeigenkunden, FS Traub (1994) 11; ders. Redaktionelle Werbung – Korruption im Journalismus, GRUR 1995, 307; ders. Influencer-Marketing – Regulierungsrahmen und Konsequenzen, GRUR 2018, 1211; Alexander Die Erkennbarkeit kommerzieller Kommunikation – Neuerungen durch die UWG-Novelle, K&R 2016, 73; Asche Das Product Placement im Kinospielfilm (1996); Balasubramanian/Karrh/Patwardhan Audience Responses to Product Placements: An Integrative Framework and Future Research Agenda, 35 Journal of Advertising 115–141 (2006); Beater Medienspezifische Beurteilung von Werbung im Wettbewerbsrecht – Ausgewählte Problemfragen am Beispiel der Fernseh- und Internetwerbung, FS Herrmann (2002) 85; H. St. Becker Anruf in Abwesenheit!? WRP 2011, 808; Bente ProductPlacement (1990); Benz Werbung vor Kindern unter Lauterkeitsgesichtspunkten, WRP 2003, 1160; Berndt Handbuch Marketing-Kommunikation (1993); Böhme-Neßler Rechtsprobleme der Internet-Werbung, ZUM 2001, 547; R. Bork Product Placement und Wettbewerbsrecht – Zu den Grenzen „medialer“ Fernsehwerbung, GRUR 1988, 264; ders. Werbung im Programm – Zur wettbewerbsrechtlichen Haftung der Fernsehanbieter für unzulässige Werbung im Fernsehprogramm (1988); ders. Der Sponsorhinweis beim Ereignissponsoring, ZUM 1988, 322; Borsch Der angemaßte Influencer – Markenpiraterie 2.0, MMR 2018, 127; Brömmelmeyer E-Mail-Werbung nach der UWG-Reform, GRUR 2006, 285; Bruhn/Mehlinger Rechtliche Gestaltung des Sponsoring, Bd. I, 2. Aufl. (1995); Bülow Product-Placement und Freiheit der Kunst, WRP 1991, 9; Busche Restriktion des rundfunkrechtlichen Trennungsgrundsatzes im Unterhaltungsbereich, MMR 2003, 714; Castendyk Werbeintegration im TV-Programm – wann sind Themen Placements Schleichwerbung oder Sponsoring? ZUM 2005, 857; Chang Psychological reactance and branded product placement, Michigan State Univ. (2005); von Danwitz Zur Regulierung von „product placement“ bei der Novellierung der EU-Fernsehrichtlinie, AfP 2005, 417; Dörfler Product Placement im Fernsehen (1993); Eckert/ Freudenberg Schleichwerbung mit Fantasieprodukten, GRUR 2012, 343; St. Engels Wettbewerbsrechtliche Grenzen der Fernsehwerbung für Kinder, WRP 1997, 6; ders./Giebel Das neue Fernsehwerberecht, ZUM 2000, 265; Erfurth/Ellbogen Ping- oder Lockanrufe auf Mobiltelefone, CR 2008, 353; Ernst Wirtschaftsrecht im Internet, BB 1997, 1057; Federhoff-Rink Social Sponsoring in der Werbung, GRUR 1992, 643; Felser Werbe- und Konsumentenpsychologie, 2. Aufl. (2011); A. Fuchs Die wettbewerbsrechtliche Beurteilung redaktioneller Werbung in Presseerzeugnissen unter besonderer Berücksichtigung der Kopplung von entgeltlicher Anzeige und redaktioneller Berichterstattung, GRUR 1988, 736; Chr. Fuchs Leise schleicht’s durch mein TV (2005); Gabel Die Haftung für Hyperlinks im Lichte des neuen UWG, WRP 2007, 1102; Gerecke Kennzeichnung von werblichen Beiträgen im Online-Marketing, GRUR 2018, 153; Gounalakis/Wege Product Placement und Schleichwerbungsverbot – Widersprüche im neuen Fernsehrichtlinien-Entwurf, K&R 2006, 97; Grabowiecki/Halff Product Placement in Computerspielen (2007); Griesebner Erweiterung des Kunstsponsoring im Theaterwesen um Product Placement (2002); Gröning Hintertüren für redaktionelle Werbung? WRP 1993, 685; Gummig Rechtsfragen bei Werbung im Internet, ZUM 1996, 573; Gurevitch The Cinemas of Transactions: The Exchangeable Currency of Digital Attractions Across Audiovisual Economies, 11 Journal of Television and New Media 367–385 (2010); Hampe/Köhlert Branchenverzeichnisse im Internet – Arglistige Täuschung durch wettbewerbswidrige Formularschreiben? MMR 2012, 722; Hartel Product Pla1013
Lindacher/Peifer
§ 5a
Irreführung durch Unterlassen
cement, ZUM Sonderheft 1996, 1033; Hartwig Zur Zulässigkeit produktbezogener Sponsoring-Werbung, WRP 1999, 744; Hauschka Product Placement und Wettbewerbsrecht – Ein Lösungsversuch, DB 1988, 165; Hefermehl Redaktionelle Werbung in Kundenzeitschriften, AfP 1971, 111; Henning-Bodewig Die wettbewerbsrechtliche Haftung von Massenmedien, GRUR 1981, 867; dies. Das „Presseprivileg“ in § 13 Abs. 2 Nr. 1 UWG, GRUR 1985, 258; dies. Produkt Placement und andere Arten der „absatzfördernden“ Kommunikation – Die neuen Formen der Schleichwerbung? BB 1986, Beilage 18 zu Heft 33; dies. Die Trennung von Werbung und Programm im deutschen und europäischen Rundfunk- und Wettbewerbsrecht, GRUR Int. 1987, 583; dies. Product Placement im Kino, ZUM 1988, 263; dies. Product Placement und Sponsoring, GRUR 1988, 867; dies. Sponsoring, AfP 1991, 487; dies. Die Tarnung von Werbung, GRUR Int. 1991, 858; dies. Werbung im Kinospielfilm – Die Situation nach „Feuer, Eis & Dynamit“, GRUR 1996, 321; dies. InfluencerMarketing – der „Wilde Westen des Werbens“? WRP 2017, 1415; Hess Die EG-Rundfunkrichtlinie vor dem BVerfG, AfP 1990, 95; Heuking Werbung im Zusammenhang mit Kunst (2003); Hörle Werbung in redaktioneller Form aus rechtlicher Sicht, AfP 1973, 361; Hollerbach-Kapp Fehlentwicklungen der wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung zum Social Sponsoring, DB 1998, 1501; Holzgraefe Werbeintegration in Fernsehsendungen und Videospielen (2010); Hormuth Placement: eine innovative Kommunikationsstrategie (1993); John Das rundfunkrechtliche Trennungsgebot im Lauterkeitsrecht unter Geltung der UGPRichtlinie, WRP 2011, 1357; Kilian Die Neuregelung des Product Placement, WRP 2010, 826; H. Köhler Redaktionelle Werbung WRP 1998, 349; ders. Ranking als Rechtsproblem, FS Sonnenberger (2004) 249; M. Köhler ‚Alles Werbung? – Sind Influencer-Posts redaktionell getarnte Werbung? ZUM-RD 2019, 141; Kohl Wettbewerbsrechtliche Schranken für Presseberichterstattung und Pressekritik, AfP 1984, 201; Ladeur Neue Werbeformen und der Grundsatz der Trennung von Werbung und Programm, ZUM 1999, 672; Leeb/Maisch Social-Media-Stars und –Sternchen im rechtsfreien Raum? ZUM 2019, 29; Ph. Lehmann Influencer-Marketing – Millionengeschäft in rechtlicher Grauzone, WRP 2017, 6; ders. Lauterkeitsrechtliche Risiken beim Influencer Marketing, WRP 2017, 772; Lettmann Schleichwerbung durch InfluencerMarketing – Das Erscheinungsbild der Influencer, GRUR 2018, 1206; Leupold „Push und Narrowcasting“ im Lichte des Medien- und Urheberrechts, ZUM 1998, 99; ders./Bräutigam/Pfeiffer Von der Werbung zur kommerziellen Kommunikation: Die Vermarktung von Waren und Dienstleistungen im Internet, WRP 2000, 575; Lichtnecker Neues aus dem Social Media-Marketing, MMR 2018, 512; Lindacher Zur wettbewerbsrechtlichen Unterlassungshaftung der Presse im Anzeigengeschäft, WRP 1987, 585; B. Lorenz Redaktionelle Werbung in Anzeigeblättern, WRP 2008, 1494; Lutz Redaktionell gestaltete Anzeigen und „Schleichwerbung“, AfP 1969, 832; Mach Influencer-Marketing: „Raus aus der Grauzone – hinein in die rechtliche Problemzone“, WRP 2018, 1166; Mallick/Weller Aktuelle Entwicklungen im Influencer Marketing – Ein Blick aus der Praxis, WRP 2018, 155; R. Mann Werbung auf CD-ROM-Produkten mit redaktionellem Inhalt, NJW 1996, 1241; ders. Anmerkung zu BGH, Beschluss vom 19.7.2012 – I ZR 2/11 (GOOD NEWS), K&R 2012, 675; Messer Wettbewerbsrechtliche Beurteilung von Presseäußerungen, FS von Gamm (1990) 95; Meyer-Harport Neue Werbeformen im Fernsehen (2000); Möller Laienwerbung, WRP 2007, 6; Möschel Mehr Wettbewerb für Hörfunk und Fernsehen, FS Gaedertz (1992) 431; Peifer Influencer Marketing – Rechtlicher Rahmen und Regulierungsbedürfnis, GRUR 2018, 1218; Pießkalla/Leitgeb Product-Placement im Fernsehen – Schleichwerbung ohne Grenzen? Rundfunk-, wettbewerbs- und zivilrechtliche Aspekte einer Werbeform, K&R 2005, 433; Piper Zur wettbewerbsrechtlichen Bewertung von Werbeanzeigen und redaktionellen Beiträgen werbenden Inhalts insbesondere in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, FS Vieregge (1995) 715; Platho Werbung, nichts als Werbung – Und wo bleibt der Trennungsgrundsatz? ZUM 2000, 46; Pluskat Die Tücken von „Kaffeefahrten“, WRP 2003, 18; Raeschke-Kessler Der Presseinformant und das Wettbewerbsrecht, DB 1986, 843; Rath-Glawatz/Engels/Dietrich Das Recht der Anzeige, 3. Aufl. (2006); Reidt Art. 7 IV RStV – Das Verhältnis von Werbung und Programm in Hörfunk und Fernsehen, AfP 1990, 101; Reinholz/Schirmbacher Anforderungen an die Kennzeichnung von Influencer-Werbung, K&R 2017, 753; Rodekamp Wettbewerbsrechtliche Beurteilung redaktionell gestalteter Anzeigen, GRUR 1978, 681; Rüggeberg Product Placement und Sponsorship, GRUR 1988, 873; Ruhl/Bohner Vorsicht Anzeige! Als Information getarnte Werbung nach der UWG-Reform 2008, WRP 2011, 375; Sack Zur wettbewerbsrechtlichen Problematik des Product Placement im Fernsehen, ZUM 1987, 103 (Sonderheft); ders. Wer erschoß Boro? WRP 1990, 791; ders. Neue Werbeformen im Fernsehen – rundfunk- und wettbewerbsrechtliche Grenzen, AfP 1991, 704; ders. Die Durchsetzung unlauter zustande gebrachter Verträge als unlauterer Wettbewerb? WRP 2002, 396; Schaar Rechtliche Grenzen des „In-Game-Advertising“, GRUR 2005, 912; Schaub Sponsoringverträge und Lauterkeitsrecht, GRUR 2008, 955; dies. Haftung der Betreiber von Bewertungsportalen für unternehmensbezogene Äußerungen, FS Köhler (2014) 593; Scherer „Product Placement“ im FernsehproLindacher/Peifer
1014
Systematische Übersicht
§ 5a
gramm (1990); Scheuch Eigenproduktionen der Filmwirtschaft und Product placement – Schranken wettbewerbsrechtlicher Kontrolle, FS Piper (1996) 439; Schirmbacher „Under cover“-Kommentar von Versicherungsmitarbeiter in Blog als Schleichwerbung verboten, GRUR-Prax 2012, 309; H. Schneider Die Unterscheidbarkeit von Textteil und Werbung, AfP 1964, 446; Schockenhoff Wettbewerbswidrige Folgeverträge, NJW 1995, 500; Schonhofen/Detmering #AD#SPONSOREDBY#SCHLEICHWERBUNG – Die rechtlichen Voraussetzungen des Influencer-Marketings und ihre Umsetzung in der Praxis, WRP 2018, 1171; Schricker Die wettbewerbsrechtliche Beurteilung der Gratisverteilung von Fachzeitschriften, GRUR 1980, 194; ders./ Lehmann Werbung und unlauterer Wettbewerb, in: Handbuch des Verbraucherrechts, Gruppe 180 (Loseblatt 1977–2004); J. Schröder Rechtliche Grenzen von Marketing, Öffentlichkeitsarbeit und Eigenwerbung bei öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, ZUM 2000, 6; Schultze Product Placement im Spielfilm (2001); Schwarz Entgeltliches Produkt Placement in Kinofilmen: Umfang der Hinweispflicht für Produzenten, Verleiher und Kinotheaterbesitzer, AfP 1996, 31; Sedelmeier Rechtsgutachten zu der Frage, wann die redaktionelle Berichterstattung über Unternehmen und/oder deren Waren und gewerbliche Leistungen als unzulässige redaktionelle Werbung einzustufen ist und wie die Mitwirkung der Unternehmen, über die berichtet wird, rechtlich zu beurteilen ist, Pharma Recht 1992, 34 und 66; Segrave Product Placement in Hollywood-Films: A History (2004); Splittgerber/Zscherpe/Goldmann Werbe-E-Mails – Zulässigkeit und Verantwortlichkeit, WRP 2006, 178; Steinmetz Lauterkeitsrechtliche Beurteilung von In-App-Werbung, WRP 2018, 1415; Tettenborn Die neuen Informations- und Kommunikationsdienste im Kontext der Europäischen Union, EuZW 1997, 462; Troge Herausforderung: Influencer-Marketing, GRUR-Prax 2018, 87; Ukena/ Opfermann Werbung und Sponsoring von Tabakerzeugnissen, WRP 1999, 141; Ullmann Spenden-SponsernWerben, FS Traub (1994) 411; Ulrich Die Laienwerbung, FS Piper (1996) 495; von Ungern-Sternberg Kundenfang durch rechnungsähnlich aufgemachte Angebotsschreiben, WRP 2002, 396; Völkel Produkt-Placement aus der Sicht der Werbebranche und seine rechtliche Einordnung, ZUM 1992, 55; Vonhoff Negative Äußerungen auf Unternehmensbewertungsportalen – Haftungsrisiko für die Betreiber, MMR 2012, 571; Weiand Kultur- und Sportsponsoring (1993); ders. Rechtliche Aspekte des Sponsoring, NJW 1994, 227; Wiebe/Kreutz Native Advertising – Alter Wein in neuen Schläuchen? (Teil 1), WRP 2015, 1053; (Teil 2), WRP 2015, 1179; Wollemann Redaktionell gestaltete Anzeigen, WRP 1979, 679.
Systematische Übersicht A.
B.
C.
1015
Systematische Übersicht Einleitung | 1 I. Gesetzesgeschichte | 1 II. Inhalt und Zweck der Vorschrift | 3 1. Regelungsinhalt | 3 2. Normzweck | 8 III. Dogmatik und System | 9 1. Natur der Informationspflicht | 9 2. Konditioniertes Informationsgebot als Ergänzung des Irreführungsverbots | 11 3. Informationsgebot und Bezeichnungsrecht | 12 Informationspflichten im beiderseitigen Unternehmensverkehr, Abs. 1 | 13 I. Grundaussagen | 13 II. Einzelfragen | 17 Informationspflichten gegenüber Verbrauchern, Abs. 2–5 | 19 I. Originäre Informationspflichten, Abs. 2/3 | 19 1. Grundaussagen | 19 2. Voraussetzungen, Abs. 2 | 21 a) Information | 21 b) Geschäftliche Entscheidung | 22
c) d) e)
f)
g) h)
Kein konkretes Geschäftsangebot erforderlich | 23 Wesentlichkeit | 26 „Im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller Umstände“ geschuldete Information | 29 Vorenthalten (§ 5 Abs. 2 S. 2 mit Abs. 5) | 33 aa) Allgemeines | 33 bb) Nichtinformation, verheimlichte, unklare, mehrdeutige, unvollständige oder verspätete Information | 34 cc) Kommunikationsmittelbedingte Abstriche (§ 5a Abs. 5) | 35 dd) Der Gefahr des information overload geschuldete Abstriche | 36 ee) Allgemeine Interessenabwägung | 37 Geschäftliche Relevanz | 40 Kausalität | 41
Lindacher/Peifer
§ 5a
Irreführung durch Unterlassen
i)
II.
Sonderverkaufsveranstaltungen, Preisausschreiben, Gewinnspiele, Kopplungsangebote | 42 3. Angebote zum Geschäftsabschluss, Abs. 3 | 43 a) Allgemeines | 43 b) Katalog der als wesentlich geltenden Umstände | 46 aa) Wesentliche Produktmerkmale, Abs. 3 Nr. 1 | 46 bb) Identität und Anschrift des Unternehmers, Abs. 3 Nr. 2 | 50 cc) Preis, Preisberechnung, Zusatzkosten, Abs. 3 Nr. 3 | 55 (1) Preis | 55 (2) Preisberechnung | 58 (3) Zusatzkosten | 59 dd) Zahlungs-, Liefer- und Leistungsbedingungen, Beschwerdeverfahren, Abs. 3 Nr. 4 | 60 (1) Bedingungen | 61 (2) Beschwerdeverfahren | 62 (3) Abweichen vom Erfordernis fachlicher Sorgfalt | 63 ee) Rücktritts- oder Widerrufsrecht, Abs. 3 Nr. 5 | 66 Inkorporierte Informationspflichten, Abs. 4 | 67 1. Funktionale Bedeutung der Wesentlichkeitsvermutung | 67 2. Unionsrechtliche Informationsanforderungen in Bezug auf kommerzielle Kommunikation | 69 a) Kommerzielle Kommunikation | 69 b) Verankerung im Unionsrecht | 71 3. Generalklausel mit unionsrechtlichem Beispielskatalog | 72 a) Katalog Anhang II UGP-RL | 73 b) Sonstige Fälle | 74
Lindacher/Peifer
4.
D.
Wesentlichkeitsvermutung, geschäftliche Relevanz und Kausalität | 77 III. Zeitlich und räumlich beschränkte Kommunikationsmittel (§ 5a Abs. 5) | 79 1. Regelungszweck und Bedeutung | 79 2. Verhältnis zu § 5 Abs. 2 S. 2 und Anwendungsbereich | 83 3. Räumliche und zeitliche Beschränkungen | 84 a) Räumliche Beschränkungen | 84 b) Zeitliche Beschränkungen | 85 4. Anderweitige Mitteilung der unterbliebenen Angabe | 86 Vorenthaltung des kommerziellen Zwecks einer geschäftlichen Handlung (Abs. 6) | 88 I. Einleitung | 88 1. Geschichtliche Entwicklung | 88 a) Bedeutung des Schutzes gegen Verschleierung | 88 b) Gesetzesgeschichte | 92 aa) UWG 1896 bis UWG 2000 | 92 bb) UWG-Modernisierung 2004 | 93 cc) UWG-Reform 2008 | 94 dd) UWG-Reform 2015 | 95 c) Unionsrechtliche Vorgaben | 96 aa) E-CommerceRL | 96 bb) UGPRL | 97 cc) AVMD-RL | 104 dd) Zusammenfassung | 111 2. Dogmatik und Zweck der Regelung | 112 a) Dogmatik | 112 b) Normzweck | 116 aa) Bisherige Gesetzeslage | 116 bb) Heutige Gesetzeslage | 118 c) Anwendungsfälle | 122 d) Weitere Transparenzgebote | 123
1016
Systematische Übersicht
II.
1017
aa) Nr. 11 der Anlage (Blacklist) | 123 bb) Verbandsregeln | 124 Voraussetzungen | 130 1. Überblick | 130 2. Geschäftliche Handlung | 131 a) Begriff | 131 b) Absatzförderndes Verhalten und Äußerungsfreiheiten | 132 c) Publizistisches Verhalten und Äußerungsfreiheiten | 137 3. Kommerzieller Zweck | 140 a) Definition und Reichweite | 140 b) Erscheinungsweisen | 141 aa) Verhaltensweisen mit Werbewirkung | 141 bb) Verkaufs- und Werbeveranstaltungen, Hausbesuche und Telefonanrufe | 142 cc) Adresserhebung | 144 dd) Laienwerbung | 145 ee) Meinungsumfragen | 146 ff) Untergeschobene Leistungen, Gutscheine, Bestellformulare, Rechnungen | 147 c) Publizistische, fachliche und wissenschaftliche Zwecke | 150 aa) Charakterisierung | 150 bb) Redaktionell eingekleidete kommerzielle Äußerungen | 151 (1) Grundsatz | 151 (2) Grenzen | 153 (a) Übermaßverbot | 153 (b) Indizien für eine übermäßige kommerzielle Motivation | 154 (c) Aufmachung der Äußerung | 158 (aa) Problemstellung | 158 (bb) Eigenwerbung | 159
4.
§ 5a
(cc) Anzeigenblätter, Kundenzeitschriften und Sonderveröffentlichungen | 160 (dd) Bewertungen von Unternehmen (Rankings) | 162 (ee) Redaktionelle Zugaben | 164 (ff) Produktplatzierungen in redaktionellen Inhalten, Produktinterviews und sonstige Beiträge Dritter | 165 (gg) Gewinnmöglichkeiten (Preisrätsel, Gewinnspiele) | 166 (hh) Sponsornennung | 168 (d) Art und Maß der Darstellung | 169 (e) Publizistischer Anlass | 170 Nichtkenntlichmachung und Erkennbarkeit der kommerziellen Zwecke aus den Umständen | 171 a) Charakterisierung | 171 b) Erkennbarkeit und Adressatenverständnis | 172 aa) Grundsatz: § 5a Abs.6 als Kommunikationsdelikt | 172 bb) Fehlende Kommunikation (Verlinkung, subliminale Werbung, Cookies) | 173 cc) Adressatenverständnis | 177 (1) Grundlagen | 177 (2) Normativ geprägtes Verständnis | 178 (3) Situationsbezogene Einflussfaktoren | 179 c) Kennzeichnung | 181
Lindacher/Peifer
§ 5a
Irreführung durch Unterlassen
aa) Allgemeine Anforderungen | 181 bb) Kommunikationsspezifische Besonderheiten | 184 (1) Kommerzieller Rahmen | 184 (a) Verkaufsveranstaltungen | 184 (b) Hausbesuche, Telefonanrufe, Briefe | 185 (c) Laienwerbung | 187 (2) Neutraler Rahmen | 188 (a) Meinungsumfragen | 188 (b) Wissenschaftliche Gutachten | 190 (3) Journalistischer Rahmen | 192 (a) Kennzeichnungspflichten bei Presseinhalten | 192 (b) Rundfunk | 198
(c)
III.
Telemedien | 200 (d) Film, Buch und sonstige Trägermedien | 202 5. Relevanz und Kausalität der Nichtkenntlichmachung | 204 a) Relevanz | 204 b) Kausalität | 207 6. Verantwortlichkeit | 208 a) Allgemeines | 208 b) Haftung des Medienveranstalters | 209 c) Haftung des Informanten | 211 Verfahrensfragen | 213 1. Klagebefugnis | 213 2. Darlegungs- und Beweislast | 214 a) Nichtkenntlichmachung als Tatsachen- und Rechtsfrage | 214 b) Beweisbedürftigkeit und Beweislast | 215 3. Fassung des Unterlassungsantrages | 218
Alphabetische Übersicht Alphabetische Übersicht Absatzförderung 135, 139, 141 Absicht s. Wettbewerbsförderungsabsicht Abweichen von Erfordernissen fachlicher Sorgfalt 63 f. Adressatenverständnis 177 ff. Adresserhebung 144 Angabe (Abgrenzung zur Vorenthaltung) 96, 101 Anzeige 124 ff., 137, 156 ff., 164, 178, 192 ff., 219 Anzeigenblätter 160, 197, 208 Aquis communitaire 4, 67, 72 Aufmerksamkeits- und Imagewerbung 20, 23, 141 Ausgewogenheit 152 f., 164, 190 Auslaufmodell 49 Äußerungsfreiheiten 132 ff., 137 AVMD-RL 104 ff. Beschwerdeverfahren 62 Bewertungen s. Rankings Blogger 180 – Corporate Blogger 89 – Internetfreiheiten von Bloggern (Medienprivileg) 137 f. Buch (Werbecharakter und Kennzeichnungspflichten) 202
Lindacher/Peifer
Business-to-Business-Verkehr (B2B) 6 f., 10, 13 ff., 18 f., 95, 113, 181, 186 Computerspiele (Werbecharakter und Kennzeichnungspflichten) 203 Cookies 176 Darlegungs- und Beweislast – redaktionelle Werbung 214 ff. E-CommerceRL 96, 111, 140, 200 Eigenwerbung 159 Elektronischer Geschäftsverkehr (Kennzeichnung kommerzieller Äußerungen) 96 Endpreis 55 ff. EU/EG-Import-Wagen 11 Fernabsatz 73 Filialunternehmen 53 Film (Werbecharakter und Kennzeichnungspflichten) 202 Freizeitveranstaltung (s. auch Kaffeefahrt) 142, 180 Garantieerklärung 76 Geschäftliche Handlung 130 ff., 150 Gewinnspiele 42, 104, 166 ff., 197 Gütezeichen 26a Gutscheine 147 f.
1018
Alphabetische Übersicht
Haftung – des Medienveranstalters 209 f. – des Informanten (Unternehmers) 211 f. Hausbesuche 142, 185 Identität und Anschrift des Unternehmers 50 ff. Imagepflege (als geschäftliche Handlung) 132 Influencer 89, 133, 136 ff., 150, 157 information overload 27, 36 Informationsfreiheit (der Rezipienten als Schutzzweck) 116 Informationsgebot – und Irreführungsverbot 9 ff. – und Kennzeichnungsrecht 2 Informationspflichten nach Abs. 2/3 – Voraussetzungen 21 ff. – Wesentlichkeit der Information 26 ff. Informationspflichten nach Abs. 4 67 ff. Interessenabwägung 16, 33, 37 ff. Internetplattformen 138 – Verkaufsplattformen 35, 76 – Video- und Fotoplattformen 180, 201 Irreführung 6, 9 f., 114 ff., 145 ff., 177 Kaffeefahrt 142, 184 Kennzeichnung (Definition) 181 Kommerzielle Kommunikation 69 f. Kommerzieller Zweck 98, 141 ff. Kommunikationsmittel 27, 33, 35 f., 47, 80 – Beschränkungen 79 ff. Konkretes Geschäftsangebot 23 ff. Kopplungsangebote 42 Koppelungsverbot (redaktionelle Inhalte und Werbeanzeigen) 156 Kostenfallen im Internet 75 Kundenzeitschrift 160, 196 Laienwerbung 145, 180, 187 Leistungen, untergeschobene 147 Links (Werbelinks) 175 – Anzeigen 56, 76, 83, 97, 111 ff. – getarnte 2, 28 f., 34 – Film 202 – Gutachten und fachliche Äußerungen 4, 70, 109 f. – Internet 56 f., 92, 119 – Meinungsfreiheit 53 – Presse 40 ff., 71 ff., 97, 102, 111 ff. – Produktplatzierung 19 f. 47, 118 – redaktionell getarnte 56, 71 ff. – Rundfunk 16 ff., 45 ff., 97, 102, 117 ff. Marktentscheidungsrelevanz 101, 104, 115, 130, 204 ff. Marktverhaltensnorm 10, 119 f. Mediendienste (audiovisuelle) 104 ff., 159, 201 Medienklausel 35, 47 Medienprivileg 137 ff.
1019
§ 5a
Meinungsumfragen 146, 188 Mittelbare Stellvertretung 54 Native Advertising 89 Nichtkenntlichmachen 3, 95, 97, 130, 171 f. Normgeschichte 1 f. Normstruktur 3 ff., 20 Normzweck 8 Per-se Verbot (Tarnungsverbot), Verhältnis zu 102, 123 PKW-Ausstattung 49 Preis 55 ff. Preisausschreiben 42 Preisberechnung 58 Preisrätsel 166 ff. Presse 92, 120, 124 ff., 192 ff. – Pressegesetze 178, 192 Pressekodex 128 Presseprivileg s. Medienprivileg Produktinterviews 122, 165, 197 Produktionshilfe 106, 110 f., 133, 155, 157, 199 Produktmerkmale 46 ff. Produktplatzierung 90 ff., 106 ff., 133, 138, 155, 165 ff., 197 ff. Prüfzeichen 26a Publizistischer Anlass 154 ff., 170 Rankings 162 f. Reaktanz 89 Rechnungen, getarnte 147 f. Relevanz 3, 13, 15, 20, 26, 40 ff., 77, 102, 115, 130, 204 ff. Rezipientenschutz 116 Rücktritts-/Widerrufsrecht 66 Rundfunk 119 f., 133, 137, 159, 168, 174 ff., 197 ff., 219 Rundfunkstaatsvertrag (RStV) 85, 116, 168, 198 ff., 201 Schleichbezug 149 Schleichwerbung 94, 102, 106 ff., 122, 128, 155 Schockwerbung 23 Sicherheits- und Gesundheitsinteressen 22, 49 Sonderverkaufsveranstaltung 42 Sonderveröffentlichung – mit Werbecharakter 161 – Kennzeichnungspflichten 196 Sponsoring 132, 135, 141, 168 Suggestivwerbung 141 Tarnung 208 – kommerzieller Absichten 10, 143, 146 – Werbung 89, 92 ff., 116 f. Telefonanruf 142 f., 185 – PING-Anruf 143 Telemedien 200 Testwerbung (Fundstellennachweis) 26a, 49
Lindacher/Peifer
§ 5a
Irreführung durch Unterlassen
Transparenzgebot 97, 118 Trennungsgrundsatz 105 – rundfunkrechtlicher 118, 198, 201 Übermaßverbot 153 ff. Übernahme von Beiträgen Dritter 165 UGPRL 97 ff. Unabhängigkeit, redaktionelle 116, 119 Unionsrechtliche Informationsanforderungen 69 f., 73 ff. Unterlassen, irreführendes 97 f., 112 ff., 145 Unternehmensäußerung 150, 165, 190 Unternehmenszeitschrift (Werbecharakter) 160 Verbandsregeln 124 ff. VerbraucherrechteRL 73, 75 Verkaufsveranstaltungen 42, 142, 180 ff., 184 Verschleierung 88, 171 ff., 214 – sa. Nichtkenntlichmachen – Erkennbarkeit 93, 172 Vorenthalten 33 ff. Vorfeld der Marktentscheidung 31, 33
Warn- und Rückrufpflicht 22 Web-Bug 176 Werbecharakter 93 f., 112, 139 ff., 173 – Kennzeichnung 127, 181 ff. – sa. Kommerzieller Zweck Werbung 141 ff. – Schleichwerbung s. Schleichwerbung – subliminale 317 f. – Übernahme von Beiträgen Dritter 165 Werturteil 131 Wesentlichkeitsvermutungen 16, 67 ff., 77 Wettbewerbsförderungsabsicht 139 Wettbewerbshandlung 93 f. Wissenschaftliche Gutachten 91, 122, 150, 190 f., 211 Zahlungsaufforderung 103 Zahlungsbedingungen 60 f. Zusatzkosten 59 ZAW-Richtlinien 125 ff., 155, 178, 192 f. Zugabe, redaktionelle 127, 156, 164
A. Einleitung A. Einleitung I. Gesetzesgeschichte 1
Die durch die Novelle 2008 eingeführte Vorschrift stellt, soweit sie ein konditioniertes Informationsgebot statuiert (hierzu Rn. 3 ff.), im geschriebenen deutschen Recht ein Novum dar: Das überkommene lauterkeitsrechtliche Irreführungsverbot war und ist Desinformationsverbot, kein Informationsgebot. Noch die Novelle 2004 sah lediglich besondere Informationspflichten für Verkaufsförderungsmaßnahmen und Gewinnspiele vor, erteilte weitergehenden rechtspolitischen Forderungen1 aber eine klare Absage.2 Der Umstand, dass auch ein Unterlassen irreführend sein konnte, war nicht als dogmatisches Gegenstück zum Täuschungsverbot konstruiert, sondern in § 5 Abs. 2 S. 2 UWG 2004 als eine Form der unklaren Angabe konstituiert.3 Tastende Ansätze in der Rechtsprechung (s. Vor §§ 5, 5a Rn. 121) redeten den Unterschied zwischen Desinformation und Information klein. Die Neuregelung 2008 erfolgte in Umsetzung der Vorgabe durch die RL 2005/29/EG, deren Art. 7 im Laufe des kommunitären Gesetzgebungsverfahrens selbst Gegenstand lebhafter Diskussionen war und der letztlich, was die Ausbalancierung der Unternehmer- und Verbraucherinteressen anbelangt, Ausdruck eines „politischen Kompromisses“ (Glöckner)4 ist. Die deutsche Umsetzung durch die UWG-Reform 2008 blieb in mehrfacher Hinsicht hinter dem Wortlaut des Art. 7 RL zurück und erzeugte damit den deutlichen Eindruck einer unklaren und unvollständigen Umsetzung.5 § 5a Abs. 2 UWG 2008 hat zwei tatbestandliche Unklarheiten. Zum einen wurde nicht klargestellt, dass die Unlauterkeit einer Vorenthaltung Ergebnis einer Einzelfallbetrachtung ist,
_____
1 Statt mancher Kessler/Micklitz Die Harmonisierung des Lauterkeitsrechts 25, 68 f.; Fezer WRP 2003, 127, 142. 2 Begr. BTDrucks. 15/1487 S. 20. 3 Zusammenfassend von Oelffen, S. 3 ff. 4 Harte/Henning/Glöckner Einl. B Rn. 289. 5 Zusammenfassend Alexander WRP 2013, 716.
Lindacher/Peifer
1020
A. Einleitung
§ 5a
welche die konkrete Bedeutung der Information in einer bestimmten Entscheidungssituation sowie die geschäftliche Relevanz einer Vorenthaltung zu berücksichtigen hatte. Nicht klar umgesetzt war auch der Gedanke, dass wesentliche Informationen in räumlich oder zeitlich beschränkten Kommunikationsmitteln „nachgeliefert“ werden können, eine solche Nachlieferung allerdings keinen Einfluss auf die Frage hat, ob die Information wesentlich für die Verbraucherentscheidung ist. Der Fall der Nichtkenntlichmachung kommerzieller Informationen wurde nicht in § 5a, sondern durch einen eigenen Tatbestand in § 4 Nr. 3 UWG 2008 umgesetzt. Die Umsetzungsdefizite erforderten eine Anpassung, die in der UWG-Novelle 2015 zu einer erheblichen Erweiterung, allerdings auch einer klareren Umsetzung geführt hat. Einige Umsetzungsdefizite bleiben allerdings auch in der Neuregelung.6 Die UWG-Novelle 2015 hat § 5a Abs. 1, der für das B2B-Verhältnis gilt und nicht von 2 der Richtlinie vorgegeben wird, unverändert gelassen. § 5a Abs. 2 wurde deutlicher an Art 7 Abs. 1 RL angepasst. § 5a Abs. 3 blieb unverändert, in § 5a Abs. 4 wurde nur das Wort „gemeinschaftsrechtlich“ durch „unionsrechtlich“ ersetzt. Neu ist § 5a Abs. 5, der die 2008 unterbliebene Umsetzung des Art. 7 Abs. 3 vornimmt. In Abs. 6 findet sich die Umsetzung des Art. 7 Abs. 2, 2. Fall, eine Konstellation, die § 4 Nr. 3 UWG 2008 ersetzt, allerdings damit den Eindruck erweckt, als sei die Nichtkenntlichmachung des kommerziellen Zwecks einer geschäftlichen Handlung nur im B2C-Verhältnis problematisch, während die in Deutschland ebenfalls lange etablierte Fallgruppe der Tarnung geschäftlicher Handlungen gegenüber Unternehmern zulässig sei. Diese vom Gesetz ausweislich der Begründung nicht gewollte Konsequenz ist durch Auslegung zu schließen (unten Rn. 10, 95). II. Inhalt und Zweck der Vorschrift 1. Regelungsinhalt. Über den exakten Inhalt der Vorschrift herrscht Streit und Un- 3 sicherheit. Das liegt auch an der Richtlinienvorgabe, die sich nicht vollständig in die deutsche Dogmatik einordnen ließ. Art. 7 Abs. 1 RL UGP als Grundtatbestand setzt zusammengefasst voraus, dass (1) eine wesentliche Information, die (2) ein Verbraucher in der jeweiligen Entscheidungssituation benötigt, um (3) eine informierte Entscheidung zu treffen, (4) unter Berücksichtigung der konkreten Kommunikationsumstände vorenthalten wird, wobei (5) diese Vorenthaltung zu einer Entscheidung führen kann, die der Verbraucher sonst nicht getroffen hätte. Die Vorschrift trennt also Wesentlichkeit, geschäftliche Relevanz, Vorenthaltung und Kausalität für die getroffene Entscheidung. Die Entscheidung, ob das Verhalten unlauter ist, hängt von Einzelfallprüfungen und Abwägungen ab, die vor allem die Merkmale Vorenthaltung, Relevanz und Kausalität betreffen. Einige der Tatbestände in Art. 7 Abs. 1 sind in den nachfolgenden Vorschriften konkretisiert. Der Begriff der Wesentlichkeit ist in Abs. 4 und Abs. 5 konkretisiert. Bei „Aufforderungen zum Kauf“ gelten bestimmte Basisinformationen (Abs. 4), im Übrigen konkrete Informationsgebote des Unionsrechts stets als wesentlich (Abs. 5). Der Begriff der Vorenthaltung wird auf mehreren Ebenen definiert. Abs. 1 geht von einem vollständigen Verschweigen aus, Art. 7 Abs. 3 erweitert dies auf Fälle der Verheimlichung sowie der unklaren, unverständlichen, missverständlichen oder zu späten Bereitstellung. Art. 7 Abs. 3 stellt zudem – wie auch schon Abs. 1 – klar, dass eine Vorenthaltung gerechtfertigt sein kann, wenn die Bereitstellung einer wesentlichen Information wegen der räumlichen oder zeitlichen Beschränkung des gewählten Mediums unterblieb. In einem sol-
_____ 6
A.A. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.8., der von einer „korrekten Umsetzung“ ausgeht.
1021
Lindacher/Peifer
§ 5a
Irreführung durch Unterlassen
chen Fall muss die Bereitstellung in anderer Form erfolgen. Eine besondere Regelung gilt für die Nichtkenntlichmachung des kommerziellen Zwecks einer Handlung. Art. 7 Abs. 2 2. Alt. gestaltet sie als eigene Fallgruppe aus. Das muss man so verstehen, dass das Unionsrecht die Offenbarung kommerzieller Zwecke als wesentliche Information ansieht, die Nichtkenntlichmachung ist daher Vorenthaltung. Auch bei ihr folgt die Unlauterkeit allerdings erst daraus, dass der Adressat die jeweilige Information in der konkreten Situation benötigt und daraus, dass sie für eine geschäftliche Entscheidung wesentlich ist. § 5a setzt diese Vorgaben in den Abs. 2 bis 6 um. Manche Abweichungen bestanden 4 bereits 2008 und sind auch heute noch sprachlicher Natur.7 Abs. 2–6 sind aber im Übrigen Ausdruck eines den tradierten Ansatz übersteigenden und ergänzenden Denkens: § 5a statuiert in seinen Absätzen 2 (Grundtatbestand) und 3 (Konkretisierung des Teilmerkmals der Wesentlichkeit) in Umsetzung von Art. 7 Abs. 1–3 sowie Abs. 4 UGP-RL für den Business-to-Consumer-Bereich ein konditioniertes, vom Nachweis der Gefahr einer konkreten Irreführung unabhängiges Informationsgebot. Abs. 4 übernimmt in Umsetzung von Art. 7 Abs. 5 UGP-RL den aquis communitaire an Informationsgeboten im Bereich kommerzieller Kommunikation in das Lauterkeitsrecht mit seinen genuinen Sanktionsmechanismen. Auch dieser Absatz konkretisiert das Merkmal der Wesentlichkeit, wobei diesbezüglich allerdings letztlich kein nationaler Umsetzungsspielraum besteht. Das nationale Recht darf hier keine eigenen Informationsanforderungen einfügen, nur das Unionsrecht selbst kann die in Abs. 4 genannten Informationen erweitern.8 Gegenüber der Richtlinie eigenständig ist der 2008 eingeführte § 5a Abs. 1. Er ist al5 lenfalls über die Richtlinie über irreführende Werbung 97/55/EG vorgegeben,9 sofern man irreführendes Unterlassen als eine mögliche Form der irreführenden Angabe ansieht. Über seinen Bedeutungsgehalt gehen die Vorstellungen auseinander. Nach verbreiteter, aber wohl nicht mehr h.M.10 beinhaltet die Vorschrift kein Informationsgebot, sondern erfasst vielmehr als Desinformationsverbot neben bzw. in Verbindung mit § 5 die Irreführung durch Unterlassen. § 5a wird ein Hybridcharakter beigemessen; das einende Band zwischen Abs. 1 und den Abs. 2–4 wird im Handeln in der Begehungsform des Unterlassens gesehen,11 in der Sache indes eine Trennlinie innerhalb des § 5a gezogen. § 5a Abs. 1 wäre systematisch eigentlich § 5 zuzuordnen, unterstellt, dass er regelungsinhaltlich nicht über das hinausgeht, was von diesem ohnehin erfasst wird.12 Die Unklarheit rührt aus der Gesetzesgeschichte. Das deutsche Verständnis zu § 5 (§ 3 UWG 2000) war stets von der Überzeugung geprägt, dass eine positive Täuschung auch durch Unterlassen begangen werden könne.13 Die Schwierigkeiten bei der Einordnung einer solchen Täuschung liegen auch daran, dass § 5 Abs. 1 unter täuschende Angaben nicht nur eindeutige Unwahrheiten, sondern auch unklare, missverständliche oder mehrdeutige Angaben ohne Richtig- oder Klarstellung fasst.
_____
7 Kritisch zur „freien“ sprachlichen Umsetzung denn auch etwa Bergmann FS Krämer (2009) 163, 167. 8 Erwägungsgrund 15 der Richtlinie. 9 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.10. 10 Harte/Henning/Dreyer Rn. 36 f.; Fezer/Büscher/Obergfell Rn. 28; Götting/Nordemann Rn. 4; MünchKommUWG/Alexander Rn. 3, 23; Bergmann FS Krämer 163, 167 f., a.A. mittlerweile wohl Köhler/ Bornkamm/Feddersen Rn. 2.4. 11 Deutlich Steinbeck WRP 2011, 1221 ff.; Büscher/Büscher Rn. 11 und 18. 12 Götting/Nordemann Rn. 4. 13 Vgl. zur Entwicklung des Normverständnisses von Oelffen, S. 3 ff.; in der Rechtsprechung zuletzt zu § 3 UWG: BGH 3.5.2001 – I ZR 318/98 – GRUR 2002, 182, 185 – Das Beste jeden Morgen: Eine „Pflicht zur Aufklärung besteht jedoch in den Fällen, in denen das Publikum bei Unterbleiben des Hinweises in einem wesentlichen Punkt, der den Kaufentschluss zu beeinflussen geeignet ist, getäuscht würde“.
Lindacher/Peifer
1022
A. Einleitung
§ 5a
Richtig und wichtig erscheint die Unterscheidung von Irreführung und irrtumsun- 6 abhängiger Information (s. bereits v §§ 5, 5a Rn. 114 f.). Nützlich ist es zudem, sich zu vergegenwärtigen, dass für die Figur des Irreführens durch Unterlassen nur ein begrenzter Bedarf besteht, weil nämlich in vielen Fällen die Irreführung bereits durch positives (desorientierendes) Tun begründet wird. Aufklärende Hinweise, die der Angabe den sonst gegebenen Irreführungscharakter nehmen, sind in solchen Konstellationen nicht als in Erfüllung einer selbständigen angabeunabhängigen Aufklärungspflicht anzusehen (vgl. insoweit bereits v §§ 5, 5a Rn. 116 ff.), sie folgen vielmehr einem Gedanken der Ingerenz: Wer auf einer ersten Ebene täuscht, ist zur Richtigstellung verpflichtet, um die ausgelöste Irreführung wieder zu beseitigen. Das Gewicht des unlauteren Verhaltens liegt dann jedoch in der positiven Täuschung. Abweichend vom Ansatz der h.M. sollte man daher (s. bereits v §§ 5, 5a Rn. 127) § 5a Abs. 1 nicht länger als systematisch deplatzierte Ausformung des Irreführungsverbots, vielmehr die wenigen Fälle irreführenden Unterlassens (v §§ 5, 5a Rn. 116) schlicht als von § 5 erfasst ansehen, § 5a Abs. 1 demgegenüber als gemäßigtes echtes Informationsgebot mit Geltungsanspruch für den Businessto-Business-Bereich verstehen.14 Dass § 5a Abs. 1 in Fortschreibung von § 5 Abs. 2 S. 2 UWG 2004 vom Wortlaut her 7 das hier propagierte Normverständnis nicht unbedingt nahelegt, sollte nicht entgegenstehen: Ausweislich der Begründung15 ging es dem Novellengesetzgeber 2004, wie aus der Bezugnahme auf die Kopplungsangebot I-Entscheidung16 folgt, um die legislatorische Bestätigung höchstrichterlicher Praxis, die in vorgeblich schlichter Gesetzesanwendung in der Sache rechtsfortbildend für Ausnahmefälle – ohne Unterscheidung nach Business-to-Consumer- und Business-to-Business-Verkehr – echte Informationspflichten anerkannte.17 Das eröffnet in der Tat die Möglichkeit, Fallgruppen von Informationspflichten auch im Rahmen des B2B-Verkehrs und innerhalb des § 5a Abs. 1 auszuformen.18 De lege ferenda würde § 5a allerdings an Übersichtlichkeit gewinnen, würde man § 5a Abs. 1 streichen und § 5a Abs. 2, Abs. 4 bis 6 auch für den B2B-Verkehr öffnen. Die auch in § 5a Abs. 2 mögliche Einzelfallbetrachtung würde dann genügend Raum lassen, um situationsbezogen passgenaue Maßstäbe nur für die Kommunikation unter Unternehmern zu entwickeln, dabei aber auch zu berücksichtigen, dass nicht jeder Unternehmer dieselbe Kommunikationsgeschicklichkeit und Geschäftserfahrung besitzt, also auch im B2B-Verkehr Abstufungen angezeigt sein können. 2. Normzweck. § 5a zielt – nach hier vertretener Ansicht: in allen seinen Teilen – 8 auf Abbau von Marktintransparenz durch Abbau von Informationsasymmetrie. Die Vorschrift schützt – anders als § 5 – nicht gegen Beeinträchtigungen der Entscheidungsgrundlage. Sie will vielmehr die Fähigkeit des Marktgegenseiteangehörigen garantieren, die in Frage stehende geschäftliche Entscheidung auf der Basis hinreichender Information zu treffen.19 Abweichende Ansichten halten § 5a Abs. 1 für eine Verlängerung des Desin-
_____
14 Lindacher FS Spellenberg 43 ff., 48; Alexander GRUR Int. 2012, 1, 7; insoweit zustimmend nun auch Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.4.; Fezer/Büscher/Obergfell Rn. 15; a.A. Harte/Henning/Dreyer Rn. 23, 31; Ohly/Sosnitza Rn. 3. 15 BTDrucks. 15/1487 S. 20. 16 BGH 13.6.2002 – I ZR 173/01 – BGHZ 151, 84, 90 f. = GRUR 2002, 976, 978 = WRP 2002, 1256, 1258 f. 17 Für Deutung von § 5a Abs. 1 als Informationsgebot (freilich mit Geltungsanspruch für den B2B- und den B2C-Verkehr) auch Fezer/Büscher/Obergfell Rn. 12 ff. 18 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.4. 19 Fezer/Büscher/Obergfell Rn. 28 f.; Fezer WRP 2007, 1021, 1026; Lindacher FS Spellenberg 43, 44. Ebenso zu Art. 7 UGP-RL: EuGH 12.5.2011 – C-122/10 – GRUR 2011, 930 Tz. 58 f. – Ving Sverige.
1023
Lindacher/Peifer
§ 5a
Irreführung durch Unterlassen
formationsverbots.20 Die Ansicht, dass § 5a Abs. 2 bis 6 Informationsgebote enthält, welche die Entscheidungsgrundlage verbessern sollen, ist aber ganz h.M.21 III. Dogmatik und System 1. Natur der Informationspflicht. Gebotenes „Reden“ in Erfüllung von Informationspflichten nach § 5a räumt nicht – wie ein aufklärender Hinweis im Rahmen des § 5 – notwendigerweise eine sonst gegebene Irreführungsgefahr aus, ermöglicht vielmehr irreführungsunabhängig eine „informierte geschäftliche Entscheidung“. Informationspflichten nach § 5a sind deshalb (s. bereits Vor §§ 5, 5a Rn. 114 f.) ein aliud gegenüber allfälligen mit Blick auf § 5 zu berücksichtigenden Aufklärungsobliegenheiten bzw. -pflichten.22 Nicht die Täuschung (Desinformation) steht im Zentrum, sondern die unterlassene Unterrichtung (Information). Das hat Auswirkungen auch auf alle weiteren Tatbestandselemente. Wer getäuscht wird, kann falsche Entscheidungen treffen, wem Informationen fehlen, der trifft unreflektierte, nicht aber notwendigerweise auch unrichtige Entscheidungen. Die unreflektierte oder uninformierte Entscheidung als kausale Folge der Nichtinformation bildet allerdings bereits den Kern der Unlauterkeit. § 5a verbessert die Markttransparenz, § 5 verhindert deren Verschlechterung. Eine Täuschung kann ggf. richtiggestellt werden, eine fehlende Information muss nachgeliefert, also durchaus erst einmal erbracht werden. Auch Nichtstun kann daher unlauter sein. Nur bei § 5a spielt die Frage der Beschränkung von Kommunikationsmedien eine originäre Rolle, bei § 5 kann sie allenfalls dort von Relevanz sein, wo eine Täuschung erfolgt ist, die Richtigstellung aber wegen beschränkter Kommunikationsmittel unterbleibt oder unklar ist. In diesem Falle bleibt es bei der Täuschung, bei § 5a besteht dagegen ein breiteres Spektrum von Möglichkeiten, Informationen an verschiedenen Stellen zu positionieren. Dies führt dazu, dass die Frage, ob § 5a oder § 5 einschlägig ist, weder offengelassen werden kann noch die Normen untereinander austauschbar sind.23 Der Normanwender muss sich hier klar positionieren. Auch auf den Streitgegenstand hat dies insoweit Auswirkungen als bei § 5 diejenigen Angaben vorgetragen werden müssen, die zu einer Irreführung geführt haben sollen, während bei § 5a diejenigen Angaben zu nennen sind, die wesentlich für die konkrete Entscheidung waren. Bei § 5 muss dargelegt werden, dass die Irreführung zu einer unrichtigen Entscheidung geführt hat, bei § 5a dagegen, dass ohne die Information die konkrete Entscheidung (mag sie auch „richtig“ gewesen sein, wie z.B. eine Kündigung oder die Durchführung einer medizinischen Behandlung), nicht getroffen worden wäre. Das Vorenthalten geschuldeter Information ist Verletzung eines Handlungsge10 bots.24 Man mag in Anlehnung an die einschlägige strafrechtliche Unterscheidung von einem echten, erfolgseintrittsunabhängigen Unterlassungsdelikt sprechen.25 Von einem Irreführen durch Unterlassen kann freilich keine Rede sein: Die Artikel- und Paragraphenüberschrift (Art. 7 UGP-RL: „irreführende Unterlassungen“, § 5a: „Irreführung durch Unterlassen“) sind ihrerseits irreführend. In der Sache geht es um eine wertende Gleichstellung der Nichtentsprechung von Informationsgeboten mit der Missachtung des Irreführungsverbots. Für § 5a Abs. 1 ist danach Raum in Fällen, in denen es um echtes 9
_____
20 Fezer/Büscher/Obergfell Rn. 28. 21 Harte/Henning/Dreyer Rn. 26; Fezer/Büscher/Obergfell Rn. 68, MünchKommUWG/Alexander Rn. 21; Ohly/Sosnitza Rn. 6; Büscher/Büscher § 5 Rn. 96. 22 Fezer WRP 2007, 1021, 1029; Peifer WRP 2008, 556, 558. 23 Für nebeneinander anwendbar hält §§ 5, 5a Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.16; 2.5. 24 Peifer ZLR 2011, 161, 162 f.; abweichend Büscher/Büscher Rn. 8: eigener Unlauterkeitstatbestand. 25 So Bornkamm WRP 2012, 1.
Lindacher/Peifer
1024
A. Einleitung
§ 5a
Unterlassen (nicht nur um Missverständliches, Unklares oder Unvollständiges) geht. Soweit unionsrechtliche Informationsgebote bestehen, die auch im Unternehmensverkehr gelten, würde sich de lege ferenda eine Erweiterung des § 5a Abs. 4 auch auf den B2B-Verkehr anbieten. De lege lata wird man hier auf § 3a i.V.m. dem Informationsgebot als Marktverhaltensnorm oder auch auf § 5a Abs. 1 zurückgreifen können, um das Gebot durchzusetzen. Noch unklar ist die Einordnung der Tarnung kommerzieller Absichten. Dieser Fall war bis 2015 in § 4 Nr. 3 UWG geregelt (vgl. hierzu die Kommentierung in der Vorauflage). Nach Streichung dieser Norm durch die Novelle 2015 wetteifern mehrere Normen um ihre Aufnahme. Denkbar ist es, eine Tarnung als irreführende produktbezogene Angabe gem. § 5 Abs. 1 S. 1 anzusehen. So mag es liegen, wenn Ärzte von einem Marktforschungsunternehmen über Behandlungsmethoden befragt werden, tatsächlich die Befragung aber im Auftrag von Pharmaunternehmen erfolgte, also auch Werbecharakter hatte.26 In manchen Fällen wird die Sanktionierung medienrechtlicher Spezialverbote für getarnte redaktionelle Inhalte über § 3a abwehrbar sein.27 Doch stellt sich die Frage, ob dieser Fall nicht besser in § 5a Abs. 128 (mit der Kenntlichmachung als Informationsgebot) anzusiedeln oder eine analoge Anwendung des § 5a Abs. 629 in Betracht zu ziehen ist. In Betracht gezogen wird auch ein Rückgriff auf § 3 Abs. 1.30 Vorzugswürdig ist der Rückgriff auf § 5a Abs. 6, mag auch die direkte Anwendung durch den Wortlaut gesperrt und die Analogie angesichts der noch jungen Regelung gewagt sein. Die Gesetzesbegründung scheint das Problem im Ansatz gesehen, allerdings methodisch nicht allzu sehr reflektiert zu haben. Die Begründung argumentiert, dass § 4 Nr. 3 aufgehoben wurde, „da der Regelungsgehalt sich nunmehr in § 5a und dort zum Schutz von Verbrauchern insbesondere in Absatz 6 findet“.31 Das zeigt, dass die Vorenthaltung wesentlicher Informationen als Grundgedanke auch im B2B-Verkehr eine Rolle spielt und kommerzielle Zwecke auch im B2B-Verkehr als wesentlich angesehen werden. Da die Korrektur erst im Rechtsausschuss erfolgte und nicht mehr intensiv beraten wurde, spricht manches für eine versehentliche Verkürzung des Problems, wenn man es nur in § 5a Abs. 1, nicht aber eigenständig regelt, also letztlich vieles für die analoge (dann aber auch B2B entsprechende flexible) Anwendung des § 5a Abs. 6. 2. Konditioniertes Informationsgebot als Ergänzung des Irreführungsverbots. 11 Das Informationsgebot nach § 5a und das Irreführungsverbot nach § 5 ergänzen einander. Informationspflichten bestehen unabhängig vom Vorliegen konkreter Irreführungsgefahr, greifen mithin auch dann, wenn sich der Zu-Informierende keine konkreten Vorstellungen macht.32 Nur § 5a bleibt weiterhin einschlägig, wenn der Unternehmer durch
_____
26 OLG Oldenburg 24.11.2015 – 1 U 49/05 – GRUR-RR 2006, 239 (dort als belästigende Werbung behandelt). 27 BGH 6.2.2014 – I ZR 2/11 – GRUR 2014, 879 – GOOD NEWS II (Landespressegesetze als Marktverhaltensnormen), potentiell auch noch BGH 22.2.1990 – I ZR 78/88 – GRUR 190, 611 – Wer erschoss Boro (Rundfunkstaatsvertrag) m. Bspr. Sack WRP 1990, 791; Bork ZUM 1991, 51; ferner BGH 6.7.1995 – I ZR 58/93 – BGHZ 130, 205 = GRUR 1995, 744 – Feuer, Eis & Dynamit m. Anm. Henning-Bodewig GRUR 1996, 321. 28 Alexander K&R 2016, 73, 78; ebenso Büscher/Büscher Rn. 180 mit Rn. 11. 29 Dafür Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.16 und Rn. 7.9; a.A. Fezer/Büscher/Obergfell/Hoeren Rn. 197. 30 So Fezer/Büscher/Obergfell/Hoeren Rn. 197. 31 Wenn auch unter Vernachlässigung des dort (versehentlich?) auf die Verbraucheransprache beschränkten Anwendungsbereichs BTDrucks. 18/6571, S. 15. 32 Harte/Henning/Dreyer Rn. 37; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.38. A.A. – für das Erfordernis konkreter Irreführungsgefahr – freilich Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 124.
1025
Lindacher/Peifer
§ 5a
Irreführung durch Unterlassen
besonderen Hinweis zwar die Irreführungsgefahr ausräumt, den Verbraucher aber ohne die gebotene positive Information lässt, wie dies beispielsweise der Fall ist, wenn der Unternehmer aus dem EU-Ausland importierte Kraftfahrzeuge defizitärer Ausstattung mit dem Zusatz „EU/EG-Wagen“ anbietet: Der angemessen informierte und verständige Durchschnittsverbraucher mag zwar zwischenzeitlich wissen, dass die Ausstattung ausländischer Fahrzeuge nicht unbedingt die des inländischen Pendants ist. Die Chance zu erfahren, dass das Auto anders als das Inlandsmodell keinen Beifahrer-Airbag, keine geteilte Rücksitzbank hat, vermittelt nur der Informationsanspruch nach § 5a. Umgekehrt erfasst § 5 unter dem Gesichtspunkt unzulässigen Anlockens (hierzu § 5 Rn. 255 ff.) anders als § 5a auch gewisse Geschäftspraktiken im Vorfeld konkreter Geschäftsangebote. Die Feststellung eines Verstoßes gegen § 5 erübrigt nicht notwendig die Prüfung, ob auch § 5a erfüllt ist, denn beide Verhaltensweisen können einander ergänzen.33 Einwirkende Konkurrenz besteht dabei insoweit, als der seinen Informationspflichten genügende Unternehmer grundsätzlich nicht irreführend i.S. von § 5 handelt.34 12
3. Informationsgebot und Bezeichnungsrecht. Kennzeichnungsvorschriften bergen für den Kennzeichnungspflichtigen Last und Chance. Die jeweilige Vorschrift markiert auch, was dem Pflichtigen an Information zuzumuten ist. Wer der sektoralen und spezifischen Kennzeichnungspflicht korrekterweise nachkommt, befindet sich nach der labelling approach-Philosophie des EuGH und der Intention des EU-Richtliniengebers lauterkeitsrechtlich auf der sicheren Seite: Dem Pflichtigen ist – jenseits der Sonderkonstellation plusfaktorenbedingter Irreführung – weder ein Verstoß gegen das allgemeine Irreführungsverbot des § 5 (s. Vor §§ 5, 5a Rn. 184) noch ein Verstoß gegen das konditionierte Informationsgebot nach § 5a anzulasten.35 Das Informationsgebot tritt nicht konkurrierend neben das Kennzeichnungsgebot,36 der Kennzeichnungspflichtige erfüllt vielmehr mit der korrekten Kennzeichnung zugleich seine Informationspflicht.37 Die unionsrechtlichen und nationalen Vorschriften, die Kennzeichnungen verlangen, beschränken sich vielfach auf Einzelangaben, konkrete Produkte und konkrete Verwendungszusammenhänge. Ein allgemeines Informationsgebot kennt weder das Unionsnoch das nationale Recht. Wo es sektorale Informationsgebote gibt, ist also Vorsicht geboten bei einer Antwort auf die Frage, ob diese Einzelgebote generalisierbar sind oder ob neben den Einzelfragen ergänzend auf § 5a Abs. 2 zurückgegriffen werden kann. Naheliegend mag es daher sein, § 5a Abs. 2 vor allem dort großzügiger anzuwenden, wo Produktinnovationen auf den Markt gebracht werden, die der Abnehmer noch nicht einschätzen kann, für die es aber auch keine konkreten Informationsgebote gibt. Das könnte die Vermarktung von „Smoothie-Getränken“38 ebenso treffen wie die von EZigaretten.39 Die grundlegende Veränderung von Produkten kann im Übrigen dazu führen, dass zwar keine Informationspflichten aus § 5a Abs. 2, wohl aber die Pflicht zur Richtigstellung einer Verbrauchergewöhnung entsteht, sofern es noch keine spezialgesetzlichen Bezeichnungsgebote gibt. Wer für Hähnchenbrustfilets wirbt, der knüpft an die Erwartung des Verbrauchers an, der dieses Produkt nicht als Formfleisch erfahren
_____
33 Vgl. aber OLG Hamm 20.7.2010 – I-4 U 101/10 – GRUR-RR 2011, 189, 190. 34 Fezer WRP 2007, 1021, 1028. 35 Vgl. Peifer ZLR 2011, 161, 168; Jahn/Schäfer ZLR 2011, 593, 603; a.A. Fezer WRP 2010, 577, 581, 583. 36 So freilich Fezer WRP 2010, 577, 582 f. 37 Wie hier: Peifer ZLR 2011, 161, 168 f. 38 LG Hamburg, 24.3.2009 – 312 O 722/08 – BeckRS 2009, 18574 („100% pure fruit Smoothie Heidelbeere & Himbeere“). 39 Vgl. OLG Frankfurt 27.2.2014 – 6 U 244/12 – GRUR-RR 2012, 402, 404 (dort Informationspflichten für das Fehlen von Studien über die gesundheitliche Unbedenklichkeit verneint).
Lindacher/Peifer
1026
B. Informationspflichten im beiderseitigen Unternehmensverkehr, Abs. 1
§ 5a
hat. Die Änderung der Produktherstellungsmethode ist also jedenfalls bei Beginn der Produktinnovation klarzustellen, sonst liegt eine konkrete Irreführung darüber vor, dass das Produkt unverändert vertrieben wird.40 B. Informationspflichten im beiderseitigen Unternehmensverkehr, Abs. 1 B. Informationspflichten im beiderseitigen Unternehmensverkehr, Abs. 1 I. Grundaussagen § 5a Abs. 1 schreibt nach hier vertretener Ansicht (Rn. 6) für den Business-to- 13 Business-Verkehr in Verbraucherfällen entwickeltes, aber bereichsbegrenzungsfrei konzipiertes Richterrecht fest: die behutsame Anerkennung fehlvorstellungsunabhängiger Informationspflichten. Für eine Erstreckung des Geltungsanspruchs von § 5a Abs. 1 auf den Business-to-Consumer-Bereich41 besteht weder Anlass noch Raum: Ob und in welchem Umfang Informationspflichten im Verhältnis Unternehmer-Verbraucher gegeben sind, beurteilt sich abschließend nach richtliniengeleitetem Recht, also nach § 5a Abs. 2– 5. Andererseits folgt § 5a Abs. 1 letztlich in weitem Umfang der in § 5a Abs. 2 vorgegebenen Logik. Der Tatbestand der Norm ist also um einige Elemente zu erweitern, die für ein unlauteres irreführendes Unterlassen charakteristisch sind, insbesondere die Relevanz der vorenthaltenen Information für eine Marktentscheidung und ggf. die Antwort auf die Frage, ob ohne Vorenthaltung die Entscheidung ebenfalls getroffen worden wäre (Kausalität). Der Tatbestand des § 5a Abs. 1 ist so flexibel formuliert, dass diese Gedanken darin Platz finden.42 Die Rechtsprechung43 arbeitete bei der Aufstellung ungeschriebener lauterkeits- 14 rechtlicher Informationspflichten gemeinhin mit zwei gegenläufigen Formeln: dem Satz, der Verkehr erwarte nicht ohne weiteres die Offenlegung aller – auch der weniger vorteilhaften – Eigenschaften der angebotenen Ware/Leistung,44 sowie dem Satz, eine Pflicht zu einschlägiger Offenbarung bestehe allerdings insoweit (und nur insoweit) als dies zum Schutz der Marktgegenseite unter Berücksichtigung berechtigter Interessen des Werbenden „unerlässlich“ ist.45 Im Schrifttum mühte man sich um die Herausarbeitung fallübergreifender Kriterien für eine Ergebnisgewinnung in dialektischem Prozess,46 plädierte für eine „kombinatorische“ Betrachtungsweise, das Begreifen der herausgearbeiteten Wertungsgesichtspunkte als Bausteine eines „beweglichen Systems“. 47 Die Kommentarliteratur knüpft an die Figur der Aufklärungspflichten an,48 die aus „Treu
_____
40 So für die „Formfleischfälle“ VG Berlin 14.7.2010 – VG 14 A 133.07, VG 14 K 3.10 und VG 14 K 4.10 – Beck-Link 1002750; VG Düsseldorf 2.12.2008 – 16 L 1731/08 – LMRR 2008, 24 ("Vorderschinken nach italienischer Art aus Vorderschinkenteilen geformt" als irreführend angesehen). Ab 2014 wird die LebensmittelinfoVO für Lebensmittelimitate gesonderte Kennzeichnungspflichten vorsehen, z.B. „aus Fleischstücken zusammengefügt“ für „Klebefleisch“. Vgl. zur Täuschung durch nicht offengelegte Produktveränderung bereits OLG Düsseldorf 26.7.1974 – 2 U 153/65 – GRUR 1975, 146 – Kunststofffolien. 41 So Harte/Henning/Dreyer Rn. 23, 31; Ohly/Sosnitza Rn. 3; wie hier: Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.1; MünchKommUWG/Alexander Rn. 108, 132; Fezer/Büscher/Obergfell Rn. 15. 42 So auch Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.17 (zur geschäftlichen Relevanz). 43 BGH 3.12.1998 – I ZR 63/96 – GRUR 1999, 757, 758 = WRP 1999, 842, 843 – Auslaufmodelle I; BGH 15.7.1999 – I ZR 44/97 – GRUR 1999, 1122, 1123 = WRP 1999, 1151, 1152 – EG-Neuwagen; BGH 6.10.1999 – I ZR 92/97 – GRUR 2000, 616, 618 = WRP 2000, 514, 516 – Auslaufmodelle III. 44 BGH 14.12.1995 – I ZR 213/93 – GRUR 1996, 367, 368 – Umweltfreundliches Bauen; BGH 10.1.2013 – I ZR 190/11 – GRUR 2013, 945 Tz. 34 – Standardisierte Mandatsbearbeitung; BGH 16.11.2017 – I ZR 160/6 – GRUR 2018, 541 Tz. 38 – Knochenzement II. 45 BGH 16.5.2012 – I ZR 74/11 – GRUR 2012, 1275 Tz. 36 – Zweigstellenbriefbogen. 46 Beispielhaft: Busch S. 89 ff. 47 Busch S. 107 f. 48 Harte/Henning/Dreyer § 5a Rn. 27; Ohly/Sosnitza Rn. 21.
1027
Lindacher/Peifer
§ 5a
Irreführung durch Unterlassen
und Glauben“ oder den „anständigen Marktgepflogenheiten“,49 letztlich also den Anforderungen an die „unternehmerische Sorgfalt“ gem. § 3 Abs. 1, oder aber auch aus Gesetz, vertraglicher Bindung oder vorangegangenem Tun50 resultieren. Für das UWG 2008 konnte man noch auf § 4 Nr. 4 und § 4 Nr. 5 a.F. als gesetzliche Normierung von Aufklärungspflichten zurückgreifen.51 Nach Streichung dieser Norm wird es schwierig, im Gesetz Kriterien für eine Aufklärungspflicht zu finden. Es hilft auch noch nicht von einem Informationsgebot aus § 5a Abs. 1 auszugehen,52 solange nicht klar ist, welchen Inhalt dieses Gebot hat. § 5a Abs. 1 weist bereits darauf hin, dass die „Bedeutung“ für die Entscheidung der Schlüssel ist. Die Gerichte haben schon früher argumentiert, dass der Verbraucher ohne die Information in einem „wesentlichen“ Punkt getäuscht oder einer Täuschungsgefahr ausgesetzt wird.53 Wer in § 5a Abs. 1 mehr als nur eine Modifikation des § 5 sieht, muss daher den 15 nächsten Schritt gehen und zumindest akzeptieren, dass Informationspflichten immer dort bestehen, wo eine Information in der konkreten Entscheidungssituation „wesentlich“ ist, um eine informierte Entscheidung zu treffen.54 Damit trifft sich letztlich § 5a Abs. 1 mit § 5a Abs. 2. § 5a Abs. 1 könnte also auch in § 5a Abs. 2 aufgehen. Wie im Business-to-Consumer-Verkehr sollte auch im Business-to-Business-Verkehr gelten, dass eine Informationspflichtverletzung die Wesentlichkeit der unterbliebenen Information, das Benötigen der (Fremd-)Information (Relevanz) und ein Vorenthalten sowie die Kausalität des Vorenthaltens für die getroffene Entscheidung voraussetzt. Diese Kriterien sind im Rahmen der UWG-Reform 2015 nicht kodifiziert worden, obgleich jedenfalls die Marktentscheidungsrelevanz der Irreführung in § 5 Abs. 1 S. 1 eingeführt wurde. Gleich, ob man § 5a Abs. 1 als Ausformung des § 5 oder als besonderes Informationsgebot sieht: in beiden Fällen ist die Vorenthaltung einer wesentlichen Information nur unlauter, wenn der Adressat sie auch in der konkreten Situation benötigt (Entscheidungsrelevanz) und wenn ohne Vorenthaltung die getroffene Entscheidung eine andere gewesen wäre (Kausalität). Auch insoweit besteht ein Gleichlauf mit § 5a Abs. 2. Schließlich sollte der Begriff der Vorenthaltung nicht zu eng verstanden werden und Elemente des § 5a Abs. 2 berücksichtigen. Gleichlauf der Prüfungsschritte heißt aber nicht Ergebnisgleichlauf. Im beiderseiti16 gen Unternehmensverkehr ist kein Raum für Wesentlichkeitsvermutungen nach Art des § 5a Abs. 3. Im Business-to-Business-Bereich dürfte der konkrete Informationsbedarf vielmehr anders sein als im Business-to-Consumer-Bereich. Stufungen der Pflichtenlage resultieren vor allem daraus, dass der Unternehmensverkehr an schnellen und unkomplizierten Geschäftsabschlüssen interessiert ist, von Unternehmern als Werbungsadressaten zudem ein deutlich höheres Maß an informationeller Eigensorge erwartet werden kann, bei der Ausbalancierung gegenläufiger Interessen im Rahmen der Prüfung, ob die Information als „vorenthalten“ zu erachten, schließlich dem Kostenbelastungsgesichtspunkt dem Gesetzgeberwillen entsprechend55 ein stärkeres Gewicht beizumessen ist. Unklar ist noch, ob § 5a Abs. 1, wie auch § 5a Abs. 2, eine Interessenabwägung erfordert. Die Kommentarliteratur fordert sie zum Teil schon, um überhaupt ein Informationsgebot begründen zu können.56 Die Rechtsprechung verlangt sie auch für § 5a Abs. 2,
_____ 49 50 51 52 53 54 55 56
Köhler/Bornkamm/Feddersen R. 2.8. Gloy/Loschelder/Erdmann/Helm § 59 Rn. 126; Ohly/Sosnitza Rn. 23. Fezer/Büscher/Obergfell Rn. 29. Fezer/Büscher/Obergfell Rn. 29. BGH 13.11.1951 – I ZR 44/51 – GRUR 1952, 416, 417 – Dauerdose. Götting/Nordemann Rn. 85. Begr. RegE BTDrucks. 16/10145 S. 25. So aber MünchKommUWG/Alexander Rn. 106.
Lindacher/Peifer
1028
B. Informationspflichten im beiderseitigen Unternehmensverkehr, Abs. 1
§ 5a
um ein „Finetuning“ der Informationslastenverteilung vorzunehmen und erweckt dabei den Eindruck, eine wesentliche Information könne im Einzelfall auch einmal unterbleiben, wenn ihre Beibringung zu teuer oder zu aufwändig ist. Das ist fragwürdig, denn jedenfalls nach der UWG-Reform 2015 folgt auch aus dem Zusammenspiel von § 5a Abs. 2 mit § 5a Abs. 5 für den Unternehmer-Verbraucher-Bereich, dass eine wesentliche Information stets geschuldet, allerdings bei beschränkten Kommunikationsmöglichkeiten nicht in jeder Form der Kommunikation erbracht werden muss. Es ist nicht einzusehen, warum dies im Unternehmer-Unternehmer-Verkehr anders sein sollte. Die Frage, ob eine Information wesentlich ist, kann daher nicht Ergebnis einer Interessenabwägung sein,57 Kosten und Aufwand der Informationserbringung können aber eine Rolle spielen bei der Frage, wie genau die Information zu liefern ist. Die Interessenabwägung betrifft also die Frage der Vorenthaltung, nicht die der Bedeutung einer Information. Davon unberührt bleibt die Frage, ob eine Information in jeder Situation wesentlich ist, oder ob es Entscheidungssituationen gibt, in denen die konkrete Information nicht von Bedeutung ist (dazu nachfolgend Rn. 17), etwa deswegen, weil sie schon vorliegt, sei es aufgrund der Umstände der Kommunikationssituation (Einkauf im Ladenlokal des Fachhändlers) oder weil der typischerweise angesprochene Verkehr sie aufgrund Besonderheiten der Lieferbeziehung in der Vergangenheit kennt. II. Einzelfragen Wie für den Business-to-Consumer-Verkehr (s. Rn. 23 f.) gilt auch und erst recht im 17 beiderseits unternehmerischen Verkehr: Informationspflichten erwachsen, wenn überhaupt, nur aus Geschäftsangeboten, die hinreichend konkret sind. In beiden Bereichen gilt im Rahmen der Prüfung des Merkmals der Informationsvorenthaltung das Prinzip gestufter Wesentlichkeit. Methodisch lässt sich dieser Aspekt über den flexiblen Tatbestand des § 5a Abs. 1 erzielen (oben Rn. 15). Eine allgemeine Informationspflicht statuiert § 5a weder gegenüber Verbrauchern noch gegenüber Unternehmern.58 Die zum früheren Recht über § 3 UWG 2000 oder § 5 UWG 2004 formulierten Rechtsprechungsgrundsätze versuchten Fallgruppen zu entwerfen, die etwa die Aktualität eines Produkts, die Abweichung von Produkteigenschaften, die Einschränkung von Nutzungsmöglichkeiten, Preis oder das Erfordernis besonderer Aufwendungen in die Fallgruppe der wesentlichen Informationen erhob.59 Diese Entscheidungen mögen im B2C-Verhältnis weiterhin beachtlich sein, im B2B-Verhältnis sollten sie nur mit größter Vorsicht angewendet werden. Hier sind letztlich neue Fallgruppen zu entwickeln, die genauer auf den unternehmerischen Informationsbedarf und die typische Erwerbssituation des Unternehmers zugeschnitten sind. In einer der wenigen neueren Entscheidungen geht der BGH davon aus, dass bei einer Spitzenstellungswerbung im B2B-Verkehr offenzulegen ist, dass die Spitzenstellung nicht auf eigener Leistung, sondern aufgrund der Verletzung von Betriebsgeheimnissen besteht.60 Signifikante Unterschiede sind indes hinsichtlich des Merkmals notwendiger 18 (Fremd-)Information zu konstatieren. Dem herrschenden „Unternehmerleitbild“ (Vor §§ 5, 5a Rn. 99) entspricht eine rigorose Beschneidung des (Fremd-)Informationsbedarfs. Von Unternehmern ist nicht nur ein höheres Maß an Fachwissen, sondern auch eine er-
_____
57 BGH 21.7.2016 – I ZR 26/15 – GRUR 2016, 1076 – LGA-tested. 58 BGH 10.1.2013 – I ZR 190/11 – GRUR 2013, 945 Tz. 34 – Standardisierte Mandatsbearbeitung; BGH 16.11.2017 – I ZR 160/6 – GRUR 2018, 541 Tz. 38 – Knochenzement II; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 1.1. 59 Vgl. hierzu Fezer/Büscher/Obergfell Rn. 56–67. 60 BGH 16.11.2017 – I ZR 160/16 – GRUR 2018, 541 Tz. 38 – Knochenzement II.
1029
Lindacher/Peifer
§ 5a
Irreführung durch Unterlassen
höhte Bereitschaft zur Ausschöpfung naheliegender Informationsquellen zu erwarten. Auch wenn grundsätzlich das Gewicht des Informationsbedarfs aus Adressatensicht zu bestimmen ist, bleibt allemal zu prüfen, ob es bei wertender Betrachtung angemessen ist, die Informationslast gerade dem Werbenden zuzuweisen. Eine Zuweisung allein nach dem cheapest-cost-avoider-Prinzip erscheint nicht ohne weiteres indiziert. Jedenfalls im konkreten Einzelfall der Vorbereitung einer Entscheidung kann die Belastung mit Informationsbeschaffungs- bzw. Informationsweiterleitungskosten eine interessenabwägende Rechtfertigung erfordern. Auch hierbei ist zu berücksichtigen, dass diese Abwägung nicht das Gewicht der Information, sondern die Elemente Vorenthaltung und auch Erforderlichkeit im Sinne von Entscheidungsrelevanz betrifft. Dass allenfalls vorhandenes Wissen weiterzugeben ist, erscheint im Business-to-Business-Bereich – anders als im Business-to-Consumer-Bereich (s. Rn. 38) – als Regelaussage weithin plausibel. Und, während im Business-to-Consumer-Bereich wesentliche Informationen ungefragt zu leisten sind, der Werbende zwecks Meidung unverhältnismäßig hoher medienbedingter Kosten freilich die Information streckend auf andere Kommunikationsformen ausweichen darf (s. Rn. 35), stellt sich im Business-to-Business-Bereich auch und gerade die Frage, ob dem Werbenden überhaupt eine Kosten bedingende Information zuzumuten ist, wenn es sich nicht um Umstände von zentraler geschäftlicher Bedeutung handelt, deren Kenntnis beim Adressaten aufgrund geschäftlicher Üblichkeit vermutet werden darf. Zumindest dort, wo ein Nachfassen nach Art der Kommunikation ohne weiteres möglich ist, muss sich die Marktgegenseite nicht selten darauf verweisen lassen, Information nur auf Nachfrage zu erhalten. C. Informationspflichten gegenüber Verbrauchern, Abs. 2–5 C. Informationspflichten gegenüber Verbrauchern, Abs. 2–5 I. Originäre Informationspflichten, Abs. 2/3 19
1. Grundaussagen. Bleiben Informationspflichten im Business-to-Business-Bereich unbeschadet ihrer grundsätzlichen Anerkennung durch § 5a Abs. 1 praktisch nach wie vor die Ausnahme, treten im Business-to-Consumer-Bereich Informationspflichten nach Maßgabe von § 5a Abs. 2/3 nunmehr durchaus breitflächig (und gleichrangig) neben die Unterlassungspflichten aus § 5. Der Anwendungsbereich wird künftig vor allem über gesetzliche Informationspflichten anwachsen. Der Gesetzgeber neigt dazu, vor allem solche Fälle, die aus dem Irreführungsverbot herausfallen, gleichwohl aber als wichtige Aufklärungsinstrumente angesehen werden, in Spezialregelungen festzuschreiben, mit der Folge, dass die dort geforderte Information über § 5a Abs. 4, eventuell aber auch über §§ 5a Abs. 2 und 3 als „wesentlich“ angesehen wird, also primär auch geschuldet wird (unten Rn. 25). Streit- und Zweifelsfragen wirft freilich das Verständnis der Struktur von § 5a Abs. 2 20 und das Verhältnis von § 5a Abs. 2 als Grundnorm zu § 5a Abs. 3 auf. Die verschlankte Umsetzung der RL-Vorgabe macht leicht glauben, die Würfel in der Informationspflichtenfrage fielen in umfassender Interessenabwägung mit der Bejahung bzw. Verneinung der „Wesentlichkeit“ der jeweiligen Information,61 Bejahung der Tatbestandsmäßigkeit nach § 5a Abs. 3 sei gleichbedeutend mit der Bejahung einer Informationspflicht.62 Das im Wege richtlinienkonformer Auslegung heranzuziehende Unionsrecht äußert sich demgegenüber freilich differenzierter, erlaubt und gebietet – mit Gewinn an Argumenta-
_____ 61 62
Köhler WRP 2009, 109, 116; Steinbeck WRP 2011, 1221, 1222. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.1 ff.
Lindacher/Peifer
1030
C. Informationspflichten gegenüber Verbrauchern, Abs. 2–5
§ 5a
tionstransparenz – ein auf Mehrgliedrigkeit setzendes Verständnis von § 5a Abs. 2, das auch das Verhältnis von § 5a Abs. 2 und 3 in einem anderen Licht erscheinen lässt:63 Tatbestandsvoraussetzung nach § 5a Abs. 2 ist (1) die abstrakt-typisierend zu bestimmende Wesentlichkeit der Information, (2) das Benötigen dieser Information vom Unternehmer in der konkreten Entscheidungssituation (Marktentscheidungsrelevanz), (3) ein Vorenthalten der benötigten wesentlichen Information im Sinne nicht gerechtfertigter Informationsverweigerung und (4) die Beurteilung, ob die bereitgestellte Information zu einer anderen als der getroffenen Entscheidung hätte führen können (Kausalität). Es geht also um vier Voraussetzungen: (1) Wesentlichkeit, (2) Relevanz, (3) Vorenthaltung und (4) Kausalität. § 5a Abs. 3 normiert kein eigenständiges Informationsgebot neben § 5a Abs. 2, konkretisiert vielmehr dessen Tatbestandselement Wesentlichkeit i.e.S. bei Vorliegen eines „konkreten Geschäftsangebots“. Für die auf Geschäftsabschluss zielenden Unternehmeraktivitäten markiert das Erfordernis zugleich die Aufgreifschwelle des lauterkeitsrechtlichen Informationsgebots: Reine Aufmerksamkeits- und Imagewerbung löst (noch) keine solchermaßen gesteigerten Informationspflichten aus. 2. Voraussetzungen, Abs. 2 a) Information. Der Verbraucher ist als Marktakteur informiert, wenn er über ein- 21 schlägiges Tatsachenwissen verfügt. Zum gegebenenfalls zu vermittelnden Tatsachenwissen gehört auch das Wissen um Werturteile anderer.64 b) Geschäftliche Entscheidung. Geschäftliche Entscheidungen, die dank Informa- 22 tionsgewährung hinreichend informiert getroffen werden sollen, sind nicht nur Entscheidungen über den Abschluss von Verträgen, sondern auch alle im Rahmen der Durchführung und Abwicklung von Verträgen zu treffenden Entscheidungen (arg. § 2 Abs. 1 Nr. 1). Dass Gegenstand potentieller lauterkeitsrechtlicher Informationspflichten auch nach Vertragsvollzug zutage tretende Gesundheits- oder Sicherheitsmängel sind,65 § 5a mithin (neben dem Produkthaftpflichtrecht) eine weitere Grundlage für Warn- und Rückrufpflichten sein kann, erscheint zumindest zweifelhaft. Der Begriff der geschäftlichen Handlung ist weit zu verstehen. Das betrifft auch die Einordnung privater und redaktioneller Verhaltensweisen, die bei § 5a Abs. 6 eine Rolle spielen. Da es bei ihnen oft darum geht, gerade den Bereich der kommerziellen Veranlassung von redaktionellen Notwendigkeiten zu unterscheiden, wird man das Tatbestandsmerkmal beim Verdacht kommerzieller Absichten großzügig behandeln müssen. Demgegenüber geht der EuGH davon aus, dass das Handeln eines Presseveranstalters, der interessengeleitete, unternehmensfinanzierte Beiträge publiziert, keine geschäftliche Handlung darstellen soll (zu Nr. 11 des Anhangs zu § 3 Abs. 3).66 Diese Ansicht hebt die deutsche Ansicht aus den Angeln, dass geschäftlich auch derjenige handelt, der fremde Absatzinteressen fördert.67 Daher muss die EuGH-Rechtsprechung mit größter Vorsicht und allenfalls sehr eng angewendet werden,68 um nicht eine
_____
63 Ähnlich Harte/Henning/Dreyer Rn. 41 ff. 64 Zust. Fezer/Büscher/Obergfell Rn. 73; ebenso Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.9 mit Hinweis auf Produkttests. 65 So beispielsweise Ohly/Sosnitza Rn. 69; Köhler WRP 2009, 109, 116. 66 EuGH 17.10.2013 – C-391/12 – GRUR 2013, 1245 Tz. 41–44 – RLvS Verlagsgesellschaft mbH/Stuttgarter Wochenblatt GmbH, so auch juris-PK/Diekmann Rn. 1. 67 Zu Recht krit. insoweit_Glöckner FS Köhler, S. 159, 165 m.w.N.; Demuth WRP 2014, 35, 38; Koch FS Köhler (2014) S. 359, 366. 68 Zu Recht krit. insoweit Glöckner FS Köhler, S. 159, 165 m.w.N.; Demuth WRP 2014, 35, 38. So wohl auch Glöckner FS Köhler, S. 159, 167.
1031
Lindacher/Peifer
§ 5a
Irreführung durch Unterlassen
Kernfallgruppe des § 5a Abs. 6 auszuhöhlen. Der BGH hat die Rechtsprechung vorläufig etwas mutig beiseitegeschoben, indem er meint, die „geschäftliche Handlung“ nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG sei weiter als der betreffende Richtlinienbegriff. Das hielt das Gericht für möglich im Bereich der Anwendung des § 3a UWG (mit dem Tarnungsverbot der Landespressegesetze). 69 Naheliegender ist zu prüfen, inwieweit der Presseunternehmer kommerziell motiviert handelt, wenn er werbende Beiträge Dritter übernimmt und damit seine Kostenstruktur entlastet. c) Kein konkretes Geschäftsangebot erforderlich. Grundvoraussetzung der lauterkeitsrechtlichen Informationspflichten im Bereich der Werbung ist erst im Bereich des § 5a Abs. 3 ein gewisser Konkretisierungsgrad geschäftlicher Ansprache:70 Werbliche Kommunikation im Vorfeld der Vertragsanbahnung löst durchaus bereits Informationspflichten aus, wenngleich diese noch nicht auf die in § 5a Abs. 3 genannten Basisinformationen konkretisiert sein müssen. Auch die bloße Aufmerksamkeits- oder Imagewerbung ist nicht grundsätzlich frei von Informationspflichten. Gerade im Bereich der besonders sensiblen Werbung um ein gutes Image im Bereich Nachhaltigkeit, Umweltförderung oder bei der Verknüpfung des Verkaufsverhaltens mit den dadurch bewirkten Zwecken will der Verbraucher zunehmend wissen, ob die behaupteten Images und Selbstverpflichtungen auch eingehalten werden. Das spielte bereits im „Benetton-Fall“ eine Rolle.71 Die dort als aggressive Praktik angegriffene Präsentation von Schockmotiven erweckte jedenfalls den Eindruck gesellschaftlichen Engagements. Es war mit der Bedeutung der Kampagne durchaus nicht zu rechtfertigen, über die Art dieses Engagements keinerlei Erklärungen abzugeben. Aus heutiger Sicht hätte der Fall einer Untersuchung nach § 5a Abs. 2 allerdings standgehalten, weil die reine Kampagne keinerlei Produktbezug aufwies, also nicht „unmittelbar“ mit der Absatzförderung zusammenhing. Die Abstufung zwischen § 5a Abs. 2 und Abs. 3 deutet systematisch allerdings darauf hin, dass Informationspflichten nicht erst entstehen, wenn die Werbebotschaft dem angesprochenen Durchschnittsverbraucher den Eindruck vermittelt, er könne auf der Grundlage der erfolgten Angaben eine auf Produkterwerb gerichtete Willenserklärung abgeben.72 Das zeigt etwa der zum UWG 2004 entschiedene Fall „Regenwaldprojekt“. Dort wurde produktbezogen mit einem gesellschaftlichen Engagement geworben, ohne Details über die Umsetzung des Engagements zu nennen. Der BGH hat damals angenommen, dass eine entsprechende Informationspflicht nicht bestand.73 Das ist jedenfalls fragwürdig, wenn das gesellschaftliche Engagement ein entscheidendes Motiv für den Kauf des konkreten Produktes wird. Konkret heißt dies: Informationspflichten können in jeder Situation entstehen, in 24 der Entscheidungen des Verbrauchers über seine zeitlichen oder finanziellen Ressourcen in der Planung oder Vorbereitung eines Erwerbsvorgangs zu treffen sind. Der Begriff der geschäftlichen Entscheidung, zu der ein Verbraucher verleitet werden mag, ist demgemäß auch weit gesteckt. Dazu gehört in einer stets mehr die Aufmerksamkeit und die Zeitressourcen des Adressaten geschäftlicher Kommunikation beanspruchenden Welt 23
_____
69 BGH 6.2.2014 – I ZR 2/11 – GRUR 2014, 879 Rn. 13 – GOOD NEWS II. 70 A.A. Vorauflage. 71 BGH 6.7.1995 – I ZR 180/94 – GRUR 1995, 600 – H.I.V. POSITIVE; BGH 6.7.1995 – I ZR 239/93 – GRUR 1995, 598 – Ölverschmutzte Ente; aufgehoben durch BVerfG 12.12.2000 – 1 BvR 1762/95, 1 BvR 1787/95 – GRUR 2001, 170. 72 A.A. Busch Informationspflichten 101 ff.; Harte/Henning/Dreyer Rn. 53 und die Vorauflage dieses Kommentars. 73 BGH 26.10.2006 – I ZR 97/04 – GRUR 2007, 251 Tz. 20 – Regenwaldprojekt II; BGH 26.10.2006 – I ZR 33/04 – GRUR 2007, 247 Tz. 23 – Regenwaldprojekt I.
Lindacher/Peifer
1032
C. Informationspflichten gegenüber Verbrauchern, Abs. 2–5
§ 5a
nicht nur eine Erwerbsentscheidung, sondern auch das Aufsuchen eines Ladenlokals (als Folge einer Kommunikation), das Aufsuchen einer Webressource, z.B. eines Internet-Verkaufsportals.74 Dementsprechend müssen Informationen grundsätzlich auch dort bereitgestellt werden, wo solche Verhaltensweisen provoziert werden sollen: Informationspflichten werden nicht erst durch bindende Vertragsangebote und Äußerungen in der Form der invitatio ad offerendum ausgelöst.75 Abgefedert ist dieses auf den ersten Blick strenge Regime dadurch, dass eine Informationspflicht stets einzelfallabhängig und situativ zu beurteilen ist, ferner auch eine wesentliche Information nur dann unlauter vorenthalten wird, wenn sie relevant und kausal für das Verbraucherverhalten war, schließlich wenn die Information in knapper Kommunikationssituation nicht vollständig vorenthalten, sondern in zumutbarer Weise vom Verbraucher anderweitig beschafft werden konnte (vgl. § 5a Abs. 5). Informationspflichten im Vorfeld eines „konkreten Geschäftsangebots“ bestehen 25 zum Teil auch bereits aufgrund spezialgesetzlicher Anordnung, wie dies beispielsweise bezüglich der – überwiegend umweltschutzmotivierten – Pflichtangaben zum Kraftstoffverbrauch und CO2-Emissionen neuer Personenkraftwagen der Fall ist: Nach der in Umsetzung der RL 1999/94/EG ergangenen Pkw-EnVKV schulden Hersteller und Händler die einschlägige Information nicht nur beim Ausstellen und Anbieten um Kauf oder Leasing, sondern auch bei vorgängiger Werbung. Eine Verletzung der Informationspflicht ist lauterkeitsrechtlich über § 5a Abs. 2/Abs. 4 sanktioniert.76 Wichtig für die Möglichkeit zur Einführung solcher Informationspflichten ist, dass nur dem Unionsgesetzgeber § 5a Abs. 4 offensteht. Die dort angesprochenen Informationspflichten sollen gerade harmonisiert unionsweit gelten. Allerdings können die Mitgliedstaaten im Bereich des Vertragsrechts bereits eingeführte Informationsanforderungen aufrechterhalten und erweitern.77 Produktbezogen dürfen sie zudem Kennzeichnungen für besondere Produktarten, wie z.B. Sammlerstücke oder elektrische Geräte festlegen, die dann insoweit „wesentlich“ im Sinne des § 5a Abs. 2 sein können.78 d) Wesentlichkeit. Wesentlich sind alle Informationen, die den angesprochenen 26 Verkehr in die Lage versetzen, das Für und Wider einer geschäftlichen Entscheidung angemessen abzuwägen,79 an deren Innehabung mithin situations- und produktbezogen ein besonderes Interesse besteht. Nicht erforderlich ist hingegen, dass die Entscheidung des Verbrauchers mit der Information „steht und fällt“,80 dieser Aspekt betrifft allenfalls die geschäftliche Relevanz, die jedoch gesondertes Tatbestandsmerkmal ist. Daraus folgt allerdings, dass das konkrete Informationsinteresse stets in Relation zu der zu treffenden Entscheidung ist. Je weiter die geschäftliche Ansprache vom Erwerbsvorgang ist desto weniger Informationen werden als wesentlich angesehen. Je geringwertiger das Produkt, desto weniger spezifisch müssen seine Eigenschaften beschrieben werden. Informationserheischende Interessen sind allgemein thematisiert: bei drohender Gefährdung des
_____
74 Mittelbar EuGH 30.3.2017 – C146/16 – GRUR 2017, 535 Tz. 33 – VSW/DHL; eindeutiger BGH 14.9.2017 – I ZR 231/14 – GRUR 2017, 1269 – MeinPaket.de II. 75 A.A. Vorauflage, ferner Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.10; Ohly/Sosnitza Rn. 70; Alexander WRP 2012, 125, 130. Noch weitergehend – mindestens invitatio ad offerendum – beispielsweise Götting/Nordemann Rn. 126 sowie Apostopoulos WRP 2004, 847, 848. 76 BGH 4.2.2010 – I ZR 66/09 – GRUR 2010, 852 Tz. 21 = WRP 2010, 1143 – Gallardo Spyder. 77 Erwägungsgrund Nr. 15 RL 2005/29/EG. 78 Erwägungsgrund Nr. 14 RL 2005/29/EG. 79 Harte/Henning/Dreyer Rn. 53. 80 Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.12 (ohne diesen Standpunkt selbst einzunehmen).
1033
Lindacher/Peifer
§ 5a
Irreführung durch Unterlassen
Vertragszwecks,81 drohender Verletzung von Sicherheits- oder Gesundheitsinteressen,82 geschäftlichen Praktiken mit Lebensplanungsrelevanz,83 aber auch bei drohenden wirtschaftlichen Schäden von gewissem Gewicht, insbesondere drohender Beeinträchtigung des Äquivalenzinteresses. Allemal wesentlich sind auch Informationen, die dem Verbraucher den Charakter bestimmter Verhaltensweisen als vertragskonstitutive Erklärung verdeutlichen. Auch vor der Erwerbsentscheidung erforderlich sind Angaben, die das Produkt für den Verbraucher erkenn- und identifizierbar machen.84 Wesentlich sein können überdies neben direkten Preisen, die einer bestimmten Ware bzw. Dienstleistung zugeordnet sind, auch Eckpreisangaben: „Ab“-Preise zählen dazu, wenn es sich um ein Produkt in mehreren Ausführungen (Beispiel: Fahrzeugmodell in unterschiedlicher Ausstattung) oder um Produktgruppen (Beispiel: Flugverbindungen einer bestimmten Strecke) handelt.85 Folgende generelle Leitlinien haben sich durchgesetzt: Zu den wesentlichen Infor26a mationen gehört bei der Werbung mit Testergebnissen ein deutlicher Hinweis auf eine leicht auffindbare und nachprüfbare Fundstelle, die Aufschluss über Testkriterien und Testverfahren in einem Maße gibt, die es dem Verbraucher ermöglicht, den Test nachvollziehen zu können.86 Das gleiche gilt bei der Werbung mit Prüf- oder Gütezeichen.87 Eine solche Information ist vor allem wichtig, wenn es um unbekannte, etwa im Ausland verliehene Zeichen geht,88 aber auch dann erforderlich, wenn es um allgemein bekannte Prüforganisationen oder Prüfzeichen geht.89 Diese Informationspflicht besteht unabhängig davon, ob in der Werbung das Wort Prüf- oder Gütezeichen auftaucht, wenn nur tatsächlich die Behauptung einer unabhängigen Begutachtung aufgestellt wird.90 Auch bei Bewertungsportalen hat sich dieser Ansatz durchgesetzt. Der Adressat muss wissen, aufgrund welcher Kriterien bewertet wurde und welche Auswahlmöglichkeiten bereitgestellt werden.91 Kasuistik: Umfasst das Angebot von Telefondienstleistungen nicht auch die Möglichkeit der fallweisen Betreiberauswahl („Call-by-Call“), muss hierüber in der Werbung informiert werden; dies gilt auch dann, wenn für Gespräche ins Festnetz ein Pauschaltarif („Flatrate“) angeboten wird.92 Soll ein Verbraucher bei Unterschriftsleistung an seiner Wohnungstür gegenüber dem Briefträger bei Entgegennahme einer „PostIdentSendung“ nicht nur den Empfang quittieren, sondern eine zum Vertragsschluss mit dem Absender führende Willenserklärung dokumentieren, betrifft dies eine wesentliche Information i.S. von § 5a Abs. 2.93 Bei Angaben zur Energieeffizienz eines Staubsaugers
_____
81 Busch S. 96. 82 Busch S. 97. 83 Busch S. 97. 84 EuGH 12.5.2011 – C 122/10 – GRUR 2011, 930 Tz. 49 = WRP 2012, 189 – Ving Sverige; Alexander WRP 2012, 125, 129. 85 EuGH 12.5.2011 – C 122/10 – GRUR 2011, 930 Tz. 37, 41 = WRP 2012, 189 – Wing Sverige; Alexander WRP 2012, 125, 130. 86 Vgl. BGH 16.7.2009 – I ZR 50/07 – GRUR 2010, 248 Tz. 48 – Kamerakauf im Internet; OLG Frankfurt 24.3.2016 – 6 U 182/14 – WRP 2016, 750 Tz. 4; OLG Frankfurt 31.3.2016 – 6 U 51/15 – WRP 2016, 1024 Tz. 10. 87 BGH 21.7.2016 – I ZR 26/15 – GRUR 2016, 1076 Tz. 39 – LGA tested. 88 Rehart MMR 2017, 594, 596. 89 OLG Düsseldorf 25.11.2014 – 20 U 208/13 – WRP 2015, 762 Tz. 13 – TÜV-geprüft; abweichend für einen Design-Preis, wenn das prämierte Design in der Werbung abgebildet ist: OLG Köln 24.5.2017 – 6 U 203/16 – WRP 2017, 868 Tz. 16 – World Car Design of the Year. 90 OLG Zweibrücken 2.5.2017 – 4 U 168/16 – WRP 2017, 1015; LG Aachen 23.2.2018 – 42 O 118/17 – WRP 2018, 634 (unabhängig von der Bezeichnung als „award“). 91 BGH 27.4.2017 – I ZR 55/16 – GRUR 2017, 1265 Tz. 20 – Preisportal. 92 BGH 9.2.2012 – I ZR 178/10 – GRUR 2012, 943 Tz. 11 ff. = WRP 2012, 1083 – Call-by-Call. 93 KG 21.10.2011 – 5 U 93/11 – WRP 2012, 247.
Lindacher/Peifer
1034
C. Informationspflichten gegenüber Verbrauchern, Abs. 2–5
§ 5a
muss nicht zudem über die Testbedingungen informiert werden, unter denen die Energieeinstufung ermittelt wurde.94 Allerdings muss der Anbieter eines Bewertungsportals die Kriterien, die für eine Benotung stehen und ihre Anwendung, erläutern.95 Betreiber von Preisvergleichsportalen für Bestattungsleistungen müssen offenlegen, wenn im Vergleichsportal nur Anbieter aufgelistet werden, die sich für den Fall eines Vertragsabschlusses zur Zahlung einer Provision verpflichtet haben, weil der Adressat ohne solche Angaben neutrale und breite Auflistungen erwartet.96 Wer als Rechtsanwalt seine berufliche Tätigkeit an verschiedenen Standorten ausübt, ist demgegenüber nicht gehalten, auf den jeweiligen Kanzleibriefbögen sämtliche Niederlassungsorte zu nennen oder durch Verwendung der Begriffe „Kanzlei“ und „Zweigstelle“ kenntlich zu machen, wo er seine Kanzlei i.S. von § 27 Abs. 1 BRAO und wo er Zweigstellen unterhält. Dem allfälligen Mandanteninteresse, das Ausmaß der Präsenz des Anwalts an den einzelnen Standorten einschätzen zu können, mangelt das erforderliche Gewicht.97 Selbst innerhalb der Kategorie der wesentlichen Informationen sind Stufungen zu 27 konstatieren – ein Umstand, den es im Rahmen der kommunikationsmittelbedingten Einschränkung des Informationsgebots, des Gegensteuerns bei drohendem information overload und der Abwägung des Verbraucherinformationsinteresses mit gegenläufigen Unternehmerinteressen zu berücksichtigen gilt. Wie breit und tief die Information sein muss, bestimmen die Fallumstände: Je nach Bedeutung und Tragweite der in Frage stehenden geschäftlichen Entscheidung und Bedeutung der Information für deren zutreffende Einschätzung verlangt die Zielvorgabe einer „informationsgeleiteten Entscheidung“ ein Mehr oder Weniger an Information.98 Umständebedingt kann ein in anderem Kontext durchaus wesentlicher Umstand schließlich so gut wie bedeutungslos bleiben: Während das Wissen darum, dass das anbietende Unternehmen im Status der Insolvenz, für langlebige Wirtschaftsgüter gehobener Preisklasse mit Blick auf die aus der Konkurslage resultierenden Risiken hinsichtlich Gewährleistung und nachvertraglichem Service für Kaufinteressenten von durchaus nicht unerheblichem Interesse ist, kommt dem Insolvenzfall bei Bargeschäften im unteren Preissegment mit marginalem Gewährleistungsrisiko praktisch keine Bedeutung zu. Die Würfel in der Wesentlichkeitsfrage fallen typischerweise im Rahmen der Prü- 28 fung nach § 5a Abs. 3: Erfüllt die Information einen der Tatbestände des Katalogs von § 5a Abs. 3, steht die Wesentlichkeit nach § 5a Abs. 2 fest. Tatbestandsverneinung im Konkreten bei An-sich-Einschlägigkeit eines der Tatbestände nach § 5a Abs. 3 bedeutet der Sache nach zugleich Verneinung der Wesentlichkeit i.S. von § 5a Abs. 2. In unmittelbarem Zugriff auf § 5a Abs. 2 bleibt die Wesentlichkeitsfrage beispielsweise in Bezug auf ergänzende Angaben zu Kopplungsgeschäften (hierzu Rn. 42) zu beurteilen. Kasuistik: Typenbezeichnungen von beworbenen Elektrogeräten in einer Komplettküche sind erst wesentliche Informationen, wenn sie der Kunde bei Angeboten nach Abs. 3 benötigt, um das Produkt identifizieren und ggf. auf dieser Basis auch weitere Informationen, wie Testberichte, darüber einholen zu können.99 Auch Angaben über die textile Zusammensetzung von Bekleidungsstücken müssen nicht schon in der Werbung, sondern erst bei konkreten Angeboten gemacht werden.100
_____
94 EuGH 25.7.2018 – C-632/16 – GRUR 2018, 940 Tz. 44 – Dyson/BSH. 95 Büscher GRUR 2017, 433, 441; zust. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.21a. 96 BGH 27.4.2017 – I ZR 55/16 – GRUR 2017, 1265 Tz. 20 – Preisportal; a.A. noch KG 26.2.2016 – 5 U 129/14 – BeckRS 2016, 127219; zust. Alexander WRP 2018, 765. 97 BGH 16.5.2012 – I ZR 74/11 – WRP 2012, 1275 Tz. 35 f. – Zweigstellenbriefbögen. 98 Harte/Henning/Dreyer Rn. 55, 90. 99 BGH 19.2.2014 – I ZR 17/13 – GRUR 2014, 584 Tz. 19 – Typenbezeichnung. 100 BGH 24.3.2016 – I ZR 7/15 – GRUR 2016, 1068 Tz. 20 – Textilkennzeichnung.
1035
Lindacher/Peifer
§ 5a
Irreführung durch Unterlassen
29
e) „Im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller Umstände“ geschuldete Information. Eine Anbieterinformation ist nicht vonnöten, wenn und soweit der Verbraucher bereits über die gebotene Information verfügt. Wird eine solche Information, mag sie auch wesentlich sein, vorenthalten, so kann die Vorenthaltung nicht mehr kausal für eine Marktentscheidung des Verbrauchers sein. Das lauterkeitsrechtliche Informationsgebot ist untrennbar mit den im maßgeblichen Verbraucherleitbild zum Ausdruck kommenden Grundentscheidungen verbunden.101 Umstände, die in aktueller oder potentieller Kenntnis der Referenzfigur des angemessen informierten und verständigen Durchschnittsverbrauchers stehen, müssen nicht eigens verlautbart werden. Beispiele: Kündigt ein Händler Teilzahlungsmöglichkeit an, versteht es sich von selbst, dass keine unbedingte Lieferbereitschaft in Fällen zweifelhafter Kundenbonität besteht. Eine vorbehaltlose einschlägige Werbung verstößt weder gegen § 5102 noch gegen § 5a Abs. 2. Der durchschnittlich informierte Verbraucher weiß auch, dass „Fertiglesebrillen“ kein vollwertiger Brillenersatz sind, längerer Gebrauch zu gesundheitlicher Beeinträchtigung führen kann. Es bedarf keiner einschlägigen Aufklärung. Das Anbieten ohne gesonderten Hinweis ist weder nach § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1103 noch nach § 5a Abs. 2 zu beanstanden. Wendet sich die Werbung an einen engeren Verbraucherkreis, zählt der zu erwar30 tende Kenntnisstand des Durchschnittsmitglieds dieser Gruppe (§ 3 Abs. 4 S. 2): Ein typischerweise geringerer Wissensstand erhöht die Informationslast. Allgemein gilt es in Fruchtbarmachung der Unterscheidung in Such-, Erfahrungs31 und Vertrauensgüter (s. Vor §§ 5, 5a Rn. 15) zu konstatieren, dass das Bedürfnis nach Fremdinformation in der Fallgruppe der Suchgüter tendenziell eher gering, in der Fallgruppe der Erfahrungs-, vor allem aber der der Vertrauensgüter hingegen durchaus beträchtlich ist. Wer die Unvollständigkeit einer Merkmalsbenennung erkennt, unterliegt zwar kei32 ner Täuschung, bleibt indes im Status der Unsicherheit, der in wesentlichen Punkten ein Informationsgebot rechtfertigt. f) Vorenthalten (§ 5 Abs. 2 S. 2 mit Abs. 5) 33
aa) Allgemeines. Nicht jedes Unterbleiben einer inhaltlich wesentlichen und mit Blick auf den aktuellen bzw. potentiellen Kenntnisstand des Verbrauchers an sich nötigen Information stellt sich als ein Vorenthalten i.S. von § 5a Abs. 2 dar. Das Merkmal des „Vorenthaltens“ ist normativ überwölbt: Ein „Vorenthalten“ stellt nur das nicht gerechtfertigte Informationsunterlassen dar, wobei die Entscheidung über die Einordnung des in Frage stehenden Unterlassens unter Berücksichtigung aller Umstände einschließlich der Beschränkungen des Kommunikationsmittels durch Interessenabwägung zu erfolgen hat.104 Das Gesetz konkretisiert das Merkmal seit der UWG-Novelle 2015 in zwei Vorschriften. Abs. 2 S. 2 erweitert den Begriff des Verschweigens oder Vorenthaltens auf intransparente Angaben (Rn. 34), Abs. 5 stellt klar, dass eine unter beschränkten Kommunikationsbedingungen vorenthaltene Angabe dann nicht unlauter ist, wenn sie auf anderen Kommunikationswegen nachgeliefert wird (unten Rn. 35). Die Trennung der beiden Vorschriften ist etwas unglücklich. Sie ist dem Umstand geschuldet, dass die
_____
101 EuGH 26.10.2016 – C-611/14 – GRUR 2016, 1307 Tz. 57 – Canal Digital. 102 BGH 17.12.1987 – I ZR 190/85 – GRUR 1988, 459, 460 = WRP 1988, 368, 369 – Teilzahlungsankündigung. 103 BGH 20.6.1996 – I ZR 113/94 – GRUR 1996, 793, 794 = WRP 1996, 1027, 1031 – Fertiglesebrillen. 104 Harte/Henning/Dreyer Rn. 92.
Lindacher/Peifer
1036
C. Informationspflichten gegenüber Verbrauchern, Abs. 2–5
§ 5a
UWG-Novelle 2008 die Kommunikationsklausel im heutigen Abs. 5, die auf Art. 7 Abs. 3 RL zurückgeht, nicht explizit umgesetzt hat. Nach Korrektur dieser Unterlassung durch die Novelle 2015 wäre es sinnvoller gewesen, diesen Gedanken an korrekter Stelle, nämlich in Abs. 2 S. 2 zu berücksichtigen. Der Umstand, dass auch die Richtlinie zwei Absätze verwendet, um die Vorenthaltung zu konkretisieren, hat offenbar dazu verleitet, eigentlich Zusammengehöriges systematisch auseinanderzureißen. In beiden Konstellationen entscheidet allein die objektive Sichtweise. Auf ein Verschulden kommt es ebenso wenig an wie auf die Anzahl der Verbraucher, gegenüber denen die Unterlassung wirkt.105 bb) Nichtinformation, verheimlichte, unklare, mehrdeutige, unvollständige 34 oder verspätete Information. „Vorenthalten“ einer Information heißt zunächst, dass ein angemessen informierter und verständiger, situationsadäquat aufmerksamer Durchschnittsverbraucher (bei Ansprache eines engeren Verbraucherkreises: eine angemessen informierte und verständige, situationsadäquat aufmerksame Durchschnittsperson dieses Kreises) die betreffende Information nicht oder nicht so erhält, dass er sie bei seiner Entscheidung gebührend berücksichtigen kann. Trifft den Anbieter nach konkreter Sachlage die Pflicht zu ergänzender Information, darf er sie nicht zwischen oder durch unwesentliche Textpassagen verstecken, muss die Information klar und eindeutig sowie vollständig sein: Unklare, mehrdeutige, unvollständige oder verspätete Informationen stehen – ebenso wie die nicht rechtzeitige Information – der schlichten Nichtinformation gleich (klarstellend und über das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung zu berücksichtigen: Art. 7 Abs. 2 UGP-RL). Die in Abs. 2 S. 2 genannten Handlungen beabsichtigen ersichtlich, den Anwendungsbereich der Vorschrift nicht auf das platte Verschweigen zu begrenzen, sondern auch intransparente Informationen jeder Art mit zu erfassen. Alle Tathandlungen sind einander gleichgestellt. Ob eine Information vollständig ungenannt bleibt oder aber verheimlicht, also versteckt oder getarnt, unklar, unverständlich, missverständlich oder verspätet bereitgestellt wird, ist gleichgültig. Ein klassischer Fall solcher Intransparenz besteht darin, dass eine zu kleine Schrift verwendet wird, um die geschuldete Information zu liefern.106 Eine solchermaßen bewirkte Information fehlt im Ergebnis, wird also vorenthalten. cc) Kommunikationsmittelbedingte Abstriche (§ 5a Abs. 5). Wesentliche und aus 35 Adressatensicht nötige Informationen sind grundsätzlich (zu interessenabwägungsbegründeten Ausnahmen s. Rn. 37 ff.) zu leisten. Dabei sind freilich je nach Werbemedium, was die Art und Weise der Informationsvermittlung anbelangt, Abstriche erlaubt bzw. hinzunehmen:107 TV- bzw. Rundfunkwerbung108 eignet sich mit Blick auf die anfallenden Kosten, aber auch die begrenzte Fähigkeit des Umworbenen zur Informationsaufnahme und -verarbeitung nicht für „Informationspakete“. Auch die Internet-Domain, Anzeigen in Printmedien,109 Werbung für Mobiltelefone oder SMS-Botschaften lassen der Natur der Sache nach nur begrenzt Raum für umfänglichere aufklärende Hinweise. Fallgruppenweise mag das auch für Produktverpackungen gelten. Will man einschlägige Werbung nicht praktisch unmöglich machen, bleibt nur der Ausweg, dem Unternehmer in Orientierung am Grad der Wesentlichkeit eine Informationsauswahl zu erlauben und im Übri-
_____
105 106 107 108 109
1037
EuGH 16.4.2015 – C-388/13 – GRUR 2015, 600 Tz. 48 f. – UPC. OLG Celle 24.2.2011 – 13 U 172/10 – GRUR-RR 2011, 278. Ausführlich: Peifer ZLR 2011, 161, 166 f. EuGH 26.10.2016 – C-611/14 – WRP 2017, 31 Tz. 60 – Canal Digital. EuGH 12.5.2011 – C-122/10 – GRUR 2011, 930 Tz. 59 – Ving Sverige.
Lindacher/Peifer
§ 5a
Irreführung durch Unterlassen
gen eine Verweisung auf fernere Informationsquellen als genügend zu erachten. Wenn eine Information kommunikationsmittelbedingt im Zusammenhang mit der geschäftlichen Handlung selbst nur unvollständig gegeben werden kann, liegt eine Vorenthaltung nahe. § 5a Abs. 5 stellt in Umsetzung des Art. 7 Abs. 3 UGP-RL klar, dass kein Vorenthalten im Sinne des § 5a Abs. 2 vorliegt, wenn der Unternehmer im erforderlichen Zusammenhang mit der geschäftlichen Handlung die unerlässliche Kerninformation liefert, im Übrigen das ihm Zumutbare getan hat, um dem interessierten Verkehr die Möglichkeit der Kenntnisnahme der „ausgegliederten“ Information zu gewähren. § 5a Abs. 5 betrifft also einen Medienwechsel.110 Die einschlägige Kenntnisnahme muss vom „Durchschnittsverbraucher“ nicht unbedingt zu erwarten, demselben aber im konkreten Fall unter zumutbarem Zeit- und Kostenaufwand möglich sein.111 Konkret heißt dies u.a.: Dem Verbraucher muss durch entsprechenden „Fundstellenhinweis“ (Benennung einer Website oder Hotline) deutlich gemacht werden, wo sich die Zusatzinformation findet. Bei der Website-Bezugnahme muss die dort gelagerte Information durch einfache Navigation auffindbar sein. Erreichbarkeit über zwei Klicks wurde und wird als hinreichend angesehen.112 Abrufbarkeit von Informationen über Internetdienste oder eine Hotline, bei der mehr als die üblichen Internet- bzw. Telefonkosten anfallen, genügt nicht.113 Kasuistik: Eine ganzseitige Zeitungswerbung ist nicht in der Weise räumlich beschränkt, dass die Angabe von Identität und Anschrift der Warenanbieter auf einer Verkaufsplattform dort nicht erfolgen könnte.114 Bei Internetverkaufsangeboten von Kosmetikprodukten ist die Angabe der Inhaltsstoffe im Online-Angebot selbst geschuldet, eine Verweisung auf die Verpackungsbeilage des tatsächlichen Produkts ist nicht genügend.115 Bei Aufforderungen zum Kauf in einer Rundfunkwerbung kann für die nach § 5a Abs. 3 geschuldeten Informationen auf eine Website verwiesen werden.116 Auch eine Printanzeige darf weiterverweisen, wenn die unionsrechtlich geschuldeten Informationen, die in einem Reiseprospekt zu nennen sind, in der Anzeige selbst nicht unterzubringen sind.117 36
dd) Der Gefahr des information overload geschuldete Abstriche. § 5a Abs. 2 S. 1 stellt zusätzlich klar, dass eine Vorenthaltung auch unabhängig von Beschränkungen des gewählten Kommunikationsmediums stets die Berücksichtigung des konkreten Falles und der konkreten Umstände erfordert. Das Maß der Erfüllung von Informationspflichten können produkt-, situations- und adressatenabhängig variieren. Diese Umstände beeinflussen nicht nur die Frage, was wesentlich ist, sondern auch die Frage, ob die Information vorenthalten wurde. Die Erkenntnis, dass ein information overload infolge begrenzter Fähigkeit zur Informationsaufnahme und -verarbeitung nicht zu besseren, sondern zu schlechteren Entscheidungen führt, erlaubt und gebietet daher – mit Zurückhaltung – Differenzierungen in der Modalität der Information unabhängig von kommunikationsmittelbedingten Gegebenheiten: Während Kerninformationen
_____
110 Näher Scherer WRP 2018, 659. 111 Harte/Henning/Dreyer Rn. 105 ff. 112 BGH 20.7.2006 – I ZR 228/03 – GRUR 2007, 159 Tz. 23 = WRP 2006, 1507 – Anbieterkennzeichnung im Internet. 113 Harte/Henning/Dreyer Rn. 108; Peifer ZLR 2011, 161, 167. 114 EuGH 30.3.2017 – C-146/16 – GRUR 2017, 535 Tz. 29 – VSW/DHL Paket; BGH 14.9.2017 – I ZR 231/14 – GRUR 2017, 1269 Tz. 28 – Mein Paket.de II. 115 OLG Karlsruhe 26.9.2018 – 6 U 84/17 – WRP 2019, 117. 116 EuGH 26.10.2016 – C-611/14 – WRP 2017, 31 Tz. 71 – Canal Digital. 117 EuGH 12.5.2011 – C-122/10 – GRUR 2011, 930 Tz. 59 – Ving Sverige.
Lindacher/Peifer
1038
C. Informationspflichten gegenüber Verbrauchern, Abs. 2–5
§ 5a
ungefragt in einer Art und Weise zu leisten sind, die effektive Kenntnisnahme erwarten lässt, sind nützliche, aber eher zweitrangige Informationen bei ansonsten drohender Informationsüberfrachtung nur so bereitzustellen, dass der informationsabrufwillige Verbraucher sie – vor Vertragsschluss – abrufen kann. ee) Allgemeine Interessenabwägung. Ob und unter welchen Voraussetzungen 37 eine wesentliche und vom Verbraucher an sich benötigte Information legitimerweise ganz zurückgehalten werden darf, von einem Vorenthalten i.S. von § 5a Abs. 2 mithin dann auch keine Rede sein kann, entscheidet sich in einer umfassenden Interessenabwägung. Ausgangspunkt ist insoweit die legislatorische Anerkennung des verständlichen und verständigen Interesses der Verbraucher, über wesentliche, nicht in eigener aktueller oder potentieller Kenntnis stehende Umstände auch informiert zu werden. Die Informationspflicht mit Informationskostenzuweisung an das werbende Unternehmen ist die unter Korrekturvorbehalt stehende Regel.118 Die Interessenabwägung beeinflusst zunächst noch nicht die Frage, ob eine Information wesentlich ist,119 daran fehlt es insbesondere nicht allein deswegen, weil ihre Beibringung aus Unternehmersicht lästig ist. Allerdings besteht eine Informationspflicht nur nach Maßstab des durch § 5a Abs. 2 konkretisierten Erfordernisses der unternehmerischen Sorgfalt. Der EuGH hat klargestellt, dass das Bestehen einer solchen Pflicht „den Erfordernissen der anständigen Marktgepflogenheiten oder des allgemeinen Grundsatzes von Treu und Glauben im Bereich (des jeweiligen Produktbereichs) zu genügen und dass der Gewerbetreibende damit Sorgfalt gegenüber einem Verbraucher an den Tag“ zu legen hat.120 Der BGH hat daraus geschlossen, dass Aufwand des Unternehmers und Gewicht der Information für den Verbraucher miteinander abzuwägen sind, um zu beurteilen, ob sie konkret und unter den betreffenden Umständen geschuldet wird. 121 Diese Abwägung obliegt auch nach der EuGHRechtsprechung den nationalen (Instanz-)Gerichten.122 Auf der Verbraucherseite ist also vor allem das Gewicht des gefährdeten Interesses dafür entscheidend, ob eine wesentliche Information konkret auch erwartet werden darf. Auf der Unternehmerseite in die Interessenabwägung einzubringen sind Geheim- 38 haltungsinteressen123 sowie, bei im eigenen Unternehmen nicht vorhandenem Wissen, die fehlende Möglichkeit, sich die Information unter zumutbarem Aufwand zu beschaffen.124 Die verbreitete, weiter gehende Ansicht, den Unternehmer treffe von vornherein keine Informationsbeschaffungspflicht,125 dürfte allerdings richtlinienwidrig sein, steht zudem argumentativ auf schwachen Füßen: „Vorenthalten“ lässt sich sprachlich sehr wohl auch potentielles Wissen. Zwar lässt sich allgemein sagen, dass dem Unternehmer kein negativer Vergleich 39 zuzumuten ist.126 Der Unternehmer muss zwar gegebenenfalls durchaus Negativeigen-
_____
118 Harte/Henning/Dreyer Rn. 109; Apostolopoulos GRUR Int. 2005, 292, 293. 119 So zutreffend EuGH 8.2.2017 – C-562/15 – GRUR 2017, 280 Tz. 30 – Carrefour Hypermarché/ITM; jedenfalls missverständlich Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 3.13 unter Berufung auf BGH 21.7.2016 – I ZR 26/15 – GRUR 2016, 1076 Tz. 31 – LGA tested. 120 EuGH 7.9.2016 – C-310/15 – WRP 2016, 1342 Tz. 37 – Deroo-Blanquart/Sony. 121 BGH 21.7.2016 – I ZR 26/15 – GRUR 2016, 1076 Tz. 31 – LGA tested; BGH 27.4.2017 – I ZR 55/16 – BGHZ 215, 12 = GRUR 2017, 1265 Tz. 19 – Preisportal. 122 So EuGH 7.9.2016 – C-310/15 – WRP 2016, 1342 Tz. 37 – Deroo-Blanquart/Sony und ergänzend BGH 21.7.2016 – I ZR 26/15 – GRUR 2016, 1076 Tz. 37 – LGA tested. 123 Harte/Henning/Dreyer Rn. 110. 124 Harte/Henning/Dreyer Rn. 110. 125 So im Anschluss an Köhler WRP 2009, 109, 116 u.a. Ohly/Sosnitza Rn. 12. 126 BGH 10.1.2013 – I ZR 190/11 – GRUR 2013, 945 Tz. 34 – Standardisierte Mandatsbearbeitung in Übernahme der früheren Sicht zu § 3 UWG 1909: BGH 24.1.1985 – I ZR 173/81 – GRUR 1985, 450, 451 –
1039
Lindacher/Peifer
§ 5a
Irreführung durch Unterlassen
schaften der eigenen Ware/Dienstleistung offenbaren, allfällige Vorzüge bzw. Positiveinschätzungen der Konkurrenzprodukte muss er indes keinesfalls benennen.127 g) Geschäftliche Relevanz. § 5a Abs. 2 UWG 2008 war missverständlich formuliert, weil er den Eindruck erweckte, dass die Relevanz der konkreten Verbraucherentscheidung bereits Einfluss darauf hat, ob eine Information wesentlich ist.128 Tatsächlich trennt die Richtlinienvorgabe in Art. 7 Abs. 1 die Wesentlichkeit von der Entscheidungsrelevanz.129 Das UWG 2008 hätte also bereits vorher richtlinienkonform dahingehend ausgelegt werden müssen, dass das Merkmal eigenständig zu prüfen ist.130 Die Neufassung 2015 korrigiert diese Unklarheit durch eine deutlicher am Richtlinienwortlaut orientierte Fassung. Die Rechtsprechung ist dem gefolgt und hat die frühere Ansicht, dass der Relevanzklausel keinerlei sachliche Bedeutung zukommt und sie daher nicht eigens zu prüfen ist, aufgegeben.131 Nach wie vor schwierig ist die Antwort auf die Frage, wann eine wesentliche Information keine Relevanz für die Verbraucherentscheidung haben soll. Die Rechtsprechung behilft sich mit einer Regelvermutung dahingehend, dass eine wesentliche Information auch Bedeutung für die jeweilige Verbraucherentscheidung hat.132 Ausnahmsweise fehlt es daran, wenn der Verbraucher über die konkrete Information bereits verfügt oder die Information zwar allgemeinwesentlich ist, allerdings produkt- oder situationsbezogen für den Kauf keine Rolle spielt. Die bisherige Rechtsprechung hat noch keine eindeutigen Fallkonstellationen offenbart, in denen dieser Umstand offensichtlich war. Daher ist es zutreffend und billigenswert, die Darlegungsund Beweislast für einen solchen Ausnahmefall dem Unternehmer aufzuerlegen.133 Die gesonderte Relevanzprüfung ist auch bei § 5a Abs. 3 erforderlich, zumal die Norm auf § 5a Abs. 2 verweist.134 Auch bei § 5a Abs. 4 ist eine gesonderte Relevanzprüfung nach der Tatbestandsfassung erforderlich.135 Die Praxis geht darüber meist hinweg, weil sie die Informationspflichten auch über § 3a durchsetzt. Auch dort findet sich allerdings ein Spürbarkeitserfordernis. Nur wenn man dieses Erfordernis wie die Relevanzprüfung bei § 5a behandelt, droht kein Unterlaufen der UGP-RL im Bereich des Art. 7 (dazu unten Rn. 68). Der Begriff der geschäftlichen Entscheidung des Verbrauchers ist weit zu ver40a stehen. Darunter fällt nicht erst die konkrete Kaufentscheidung, sondern bereits jede 40
_____
Benzinverbraucher; ebenso die allgM im Schrifttum, vgl. nur Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.7; Götting/Nordemann Rn. 81. 127 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.7. 128 So BGH 18.4.2013 – I ZR 180/12 – WRP 2013, 1458 Tz. 16 – Brandneu von der IFA; OLG Hamm 2.2.2012 – 14 U 168/11 – WRP 2012, 985, 988; Peifer ZLR 2011, 161, 164 ff., dem folgend auch die Vorauflage/ Lindacher. 129 EuGH 12.5.2011 – C-122/10 – GRUR 2011, 930 Tz. 71 – Ving Sverige. 130 Richtig Harte/Henning/Dreyer Rn. 115; Steinbeck WRP 2011, 1221, 1223 f.; Leible/Schäfer WRP 2012, 32, 38; Alexander WRP 2013, 716. 131 Angedeutet in BGH 4.2.2016 – I ZR 194/14 – WRP 2016, 450 Tz. 25 – Fressnapf; eindeutig sodann BGH 2.3.2017 – I ZR 41/16 – GRUR 2017, 922 Tz. 31 – Komplettküchen; ebenso Köhler WRP 2017, 1, 4; Alexander WRP 2016, 139 Tz. 45. 132 BGH 2.3.2017 – I ZR 41/16 – GRUR 2017, 922 Tz. 32 – Komplettküchen (Angaben zur Typenzeichnung von Küchengeräten); BGH 5.10.2017 – I ZR 232/16 – GRUR 2018, 438 Tz. 3 – Energieausweis (Angaben zur Energieeffizienz von Immobilien in Maklerangeboten). 133 BGH 2.3.2017 – I ZR 41/16 – GRUR 2017, 922 Tz. 31 – Komplettküchen; ebenso Köhler WRP 2017, 1, 4; Alexander WRP 2016, 139 Tz. 45. 134 So bereits früher Steinbeck WRP 2011, 1221, 1223 f.; ebenso BGH 2.3.2017 – I ZR 41/16 – GRUR 2017, 922 Tz. 34 – Komplettküchen; BGH 18.10.2017 – I ZR 84/16 – GRUR 2018, 324 Tz. 25 – Kraftfahrzeugwerbung. 135 EuGH GRUR 2011, 930 Tz. 24 – Ving Sverige; ebenso jetzt auch Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.2.; anders noch BGH 19.2.2014 – I ZR 17/13 – WRP 2014, 686 Tz. 23 – Typenbezeichnung.
Lindacher/Peifer
1040
C. Informationspflichten gegenüber Verbrauchern, Abs. 2–5
§ 5a
Handlung des Verbrauchers im Vorfeld, sofern sie den Produkterwerb durch Einholen von Informationen oder Produktprüfungen vorbereitet. Dazu gehört das Betreten eines Ladenlokals,136 aber auch das Aufsuchen einer Internetressource,137 um aufgrund vorangegangener geschäftlicher Ansprache ein Angebot zu suchen (und in einen virtuellen Warenkorb zu legen)138 oder sich eingehender damit zu befassen. Auch die nähere Befassung mit einer Werbeanzeige, die über das bloße Betrachten hinausgeht,139 ist bereits geschäftlich relevant.140 h) Kausalität. Mit der Formulierung, dass eine Vorenthaltung „geeignet“ sein muss, 41 „den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte“ enthält das Gesetz ein weiteres „Relevanz“-Erfordernis, das auf die Richtlinienvorgabe zurückgeht. Zur Trennung von der Marktentscheidungsrelevanz empfiehlt es sich, von „Kausalität“ zu sprechen. Eine wesentliche Information muss danach zum einen relevant für die geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers sein, zum anderen muss die Vorenthaltung gerade der wesentlichen Information die Gefahr uninformierter Entscheidungen hervorrufen. Auch hier ist die Subsumtion schwierig. Wenn eine Information wesentlich für eine Marktentscheidung war, dann dürfte sie im Regelfall auch dafür verantwortlich sein, dass eine ohne diese Entscheidung getroffene Auswahl uninformiert getroffen wurde. Aus dem Begründungsdilemma kommt man auch hier nur heraus, indem man diese Regelvermutung zum Anlass nimmt, die Darlegungs- und Beweislast für eine ausnahmsweise fehlende Kausalität dem Unternehmer zuzuweisen. Die in Rn. 40 zitierte Rechtsprechung geht richtigerweise ebenfalls diesen Weg. i) Sonderverkaufsveranstaltungen, Preisausschreiben, Gewinnspiele, Kopp- 42 lungsangebote. Nach Streichung der § 4 Nr. 4 und Nr. 5 UWG 2008 sind Transparenzanforderungen in Bezug auf Sonderverkaufsveranstaltungen, Preisausschreiben und Gewinnspiele nunmehr nach § 5a Abs. 2 zu beurteilen. Die dazu ergangene Rechtsprechung ist damit grundsätzlich noch relevant (vgl. oben § 5 Rn. 752). Die Bedingungen für die Inanspruchnahme von Preisnachlässen, Zugaben oder Geschenken sind wesentliche Informationen im Sinne des § 5a Abs. 2, die regelmäßig auch von Relevanz für die geschäftlichen Entscheidungen von Verbrauchern sind und deren Vorenthaltung daher auch kausal für uninformiert getroffene Entschlüsse sein kann.141 Bei Preisausschreiben und Gewinnspielen droht der Verbraucher vor allem Zeit, gelegentlich aber auch Geld zu investieren. Auch insoweit ist über die Bedingungen der Inanspruchnahme zu informieren. Schließlich können den Unternehmer Informationspflichten bei Kopplungsangeboten treffen, zumal die bloße Koppelung noch nicht irreführend sein muss. Wird beispielsweise ein Mobiltelefon zusammen mit einer Prepaid-Card einschließlich eines festen Startguthabens angeboten, das in den ersten zwei Jahren nur mit weiteren Netz-
_____
136 EuGH 19.12.2013 – C-281/12 – GRUR 2014, 196 Tz. 36 – Trento Sviluppo; BGH 4.2.2016 – I ZR 194/14 – WRP 2016, 450 Rn. 31 – Fressnapf. 137 BGH 28.1.2016 – I ZR 231/14 – GRUR 2016, 399 Tz. 16 – MeinPaket.de; BGH 28.4.2016 – I ZR 23/15 – GRUR 2016, 1073 Tz. 34 – Geo-Targeting; Köhler WRP 2014, 259, 260. 138 OLG Hamm 4.8.2015 – 4 U 66/15 – WRP 2015, 1381 Rn. 25. 139 BGH 18.12.2014 – I ZR 129/13 – GRUR 2015, 698 Tz. 20 – Schlafzimmer komplett. 140 OLG Frankfurt 23.11.2015 – 6 W 99/15 – GRUR-RR 2016, 25 Rz. 11 (Bei Magenta EINS inklusive); ebenso OLG Koblenz 3.12.2014 – 9 U 354/12 – NZA-RR 2015, 145 Tz. 29; a.A. Köhler/Bornkamm/Feddersen § 2 Rn. 159. 141 OLG Naumburg 31.5.2018 – 9 U 4/18 – WRP 2018, 1130 Tz. 17 („Gilt nicht für Werbezeilen“).
1041
Lindacher/Peifer
§ 5a
Irreführung durch Unterlassen
karten des Anbieters betrieben werden kann, resultiert aus der Nichtbenennung der für das Startguthaben maßgeblichen Tarife und der Kosten des Aufladens der Karte zwar noch keine Irreführung i.S. von § 5.142 Die entsprechenden Angaben sind indes als wesentliche Angaben i.S. von § 5a Abs. 2 geschuldet: Die Günstigkeit des „Paketpreises“ lässt sich nur bei entsprechender Kenntnis einschätzen. Bei der Koppelung eines Computers mit vorinstallierter Software ist allerdings nur der Gesamtpreis wesentliche Information, nicht auch der Preis der Software ohne Bündelung.143 3. Angebote zum Geschäftsabschluss, Abs. 3 a) Allgemeines. § 5a Abs. 3 nennt in seinen fünf Nummertatbeständen Voraussetzungen, unter denen eine Information als wesentlich i.S. von § 5a Abs. 2 gilt. Einschlägige Tatbestandserfüllung erübrigt weitere Prüfung des Tatbestandsmerkmals Wesentlichkeit i.S. von § 5a Abs. 2, dispensiert freilich nicht von der Prüfung der sonstigen Tatbestandsmerkmale der Grundnorm (s. bereits Rn. 20), einschließlich der geschäftlichen Relevanz und der Kausalität einer Vorenthaltung für die getroffene Entscheidung (Rn. 40, 41).144 Soweit § 5a Abs. 3 die Bedeutung bestimmter Basisinformationen nummertatbe44 standsübergreifend von einem „konkreten Waren- bzw. Dienstleistungsangebot“ abhängig macht, setzt er eine höhere Aufgreifschwelle für das lauterkeitsrechtliche Informationsgebot als für den Bereich der Werbung allgemein gilt (oben Rn. 23 f.): Die Ankündigung („Angebot“) muss inhaltlich so konkret gefasst sein, dass ein durchschnittlicher Verbraucher das betreffende Geschäft abschließen kann. Diese Definition rekurriert auf Art. 2 lit. i) der UGP-RL. Dort ist die Schwelle etwas missverständlich als „Aufforderung zum Kauf“ benannt, aber definiert als „jede kommerzielle Kommunikation, die die Merkmale des Produkts und den Preis in einer Weise angibt, die den Mitteln der verwendeten kommerziellen Kommunikation angemessen ist und den Verbraucher dadurch in die Lage versetzt, einen Kauf zu tätigen“. Der deutsche Gesetzgeber hat diese Definitionsnorm nicht in den Katalog des § 2 Abs. 1, sondern in der hauptsächlich betroffenen Norm, nämlich § 5a Abs. 3, mit aufgenommen. Nur so ist zu erklären, warum die Blacklist-Vorschriften Nr. 5 und Nr. 6 Anh. zu § 3 Abs. 3 nicht eine Definition in § 2 Abs. 1 aufgreifen können, sondern auf § 5a Abs. 3 verweisen müssen.145 Im Ergebnis liegt eine „Aufforderung zum Kauf“ oder ein „Angebot“ im Sinne des § 5a Abs. 3 also häufig bereits vor, wenn in einer kommerziellen Kommunikation ein identifizierbares Produkt mit Preisangabe auftaucht und der Verbraucher „hinreichend über das beworbene Produkt und dessen Preis informiert“ und keine weiteren Informationen benötigt, um eine geschäftliche Entscheidung zu treffen.146 Einer konkreten Bestellmöglichkeit bedarf es dagegen nicht.147 Der Begriff ist weit und verbraucherfreundlich auszulegen. Hinreichende Preisangabe ist auch bereits ein „ab-Preis“, wenn der Verbraucher mit dieser Angabe bereits eine Auswahlentscheidung treffen kann.148 Kasuistik: Werden in der Werbeanzeige eines Automobilhändlers Kraftfahrzeuge unter Angabe von Modell, Motorisierung, Ausstattungsmerkmalen und Preis beworben, ist 43
_____
142 143 144 145 146 147 148
BGH 5.11.2008 – I ZR 55/06 – GRUR 2009, 690 Tz. 17 ff. = WRP 2009, 809 – XtraPac. EuGH 7.9.2016 – C-310/15 – WRP 2016, 1342 Tz. 51 – Vincent Deroo-Blanquart/Sony. EuGH 12.5.2011 – C-122/10 – GRUR 2011, 930 Tz. 58 f. – Ving Sverige. Krit. dazu Alexander WRP 2013, 716. EuGH 12.5.2011 – C-122/10 – GRUR 2011, 930 Tz. 33 – Ving Sverige. EuGH 12.5.2011 – C-122/10 – GRUR 2011, 930 Tz. 41 – Ving Sverige. EuGH 12.5.2011 – C-122/10 – GRUR 2011, 930 Tz. 40 – Ving Sverige.
Lindacher/Peifer
1042
C. Informationspflichten gegenüber Verbrauchern, Abs. 2–5
§ 5a
der Werbende nach § 5a Abs. 3 Nr. 3 verpflichtet, seine vollständige Firmierung gemäß Handelsregistereintragung bereits in dieser Werbung anzugeben.149 Das Unionsrecht (Art. 7 Abs. 4 UGP-RL: „Aufforderung zum Kauf“) verlangt aner- 45 kanntermaßen keine Beschränkung auf Akte, die bereits auf den Abschluss eines Kaufvertrags zielen.150 Erfasst wird bei Waren der gesamte Bereich der Veräußerungs- und Überlassungsgeschäfte (Miete, Leasing), bei Dienstleistungen das gesamte Feld der Leistungsgewährung gegen Entgelt.151 Auch im deutschen Recht ist der Begriff der Aufforderung zum Kauf weit zu verstehen. Er ist weder bereits die konkrete Willenserklärung, die Teil des Rechtsgeschäfts wird (§ 145 BGB) noch die invitatio ad offerendum, die so konkret ist, dass der Kunde eine bindende rechtsgeschäftliche Erklärung seinerseits abgeben kann.152 Eine Zeitungswerbung, in der eine konkrete Flugreise mit einem „ab-Preis“ beworben wird, kann bereits Aufforderung zum Kauf sein.153 Ebenso ist es bei einer ganzseitigen Zeitungsanzeige, bei der nach Art eines Verkaufsportals konkrete Waren mit Preisangaben angepriesen werden.154 Eine Zeitungsbeilage, mit der Komplettküchen beworben werden, sind auch dann schon konkrete Aufforderungen zum Kauf, wenn der Kunde sich später noch beraten lassen wird.155 Aufforderung in diesem Sinne kann auch die Bewerbung eines konkreten Automobils unter Angabe einer unverbindlichen Preisempfehlung sein, mag der Adressat auch wissen, dass der Preis noch nach Ausstattungsmerkmalen variieren kann.156 Angebot im Sinne der Norm ist auch die Bewerbung einer konkreten Heißluftballonfahrt mit Preisangaben, auch wenn der Verbraucher den individuellen Anbieter noch auswählen muss.157 b) Katalog der als wesentlich geltenden Umstände aa) Wesentliche Produktmerkmale, Abs. 3 Nr. 1. Als potentiell wesentlich für die 46 geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers nennt das Gesetz an erster Stelle Angaben über Produktmerkmale. Da nur die Information über wesentliche Merkmale der Ware oder Dienstleistung ein Vorenthalten i.S. von § 5a Abs. 2 sein kann, hält sich der durch § 5a Abs. 3 Nr. 1 ermöglichte Konkretisierungsgewinn freilich durchaus in Grenzen. Der Umstand, dass ein Angebot vorliegt, bedeutet noch nicht, dass die in § 5a Abs. 3 genannten Basisinformationen sämtlich und auf jedem Werbeträger bereits zu vermitteln sind. Auch bei § 5a Abs. 3 spielen produkt- und situationsbezogene Einzelfallumstände eine Rolle. Es gilt zu fragen, welche produktbezogenen Angaben für den Verbraucher unverzichtbar sind, damit er das offerierte Produkt bewerten und mit anderen Produkten vergleichen kann. Im Ergebnis läuft das auf die Aussage dahin hinaus, dass sich der Verbraucher nicht mit der Benennung der essentialia negotii begnügen muss, andererseits auch nicht erwarten kann, dass ihm jeder irgendwie für die Produktwertschätzung interessanter Umstand mitgeteilt wird. Die Beschränkung der Wesentlichkeitsvermutung auf den der Ware/Dienstleistung „angemessenen Umfang“ wiederholt für den Vermutungs-
_____
149 OLG München 20.10.2011 – 29 U 2357/11 – WRP 2012, 230 f. 150 Fezer/Büscher/Obergfell Rn. 119; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.17. 151 Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.12. 152 BGH 9.10.2013 – I ZR 24/12 – GRUR 2014, 580 Tz. 12 – Alpenpanorama im Heißluftballon; Köhler/ Bornkamm/Feddersen Rn. 4.19. 153 EuGH 12.5.2011 – C-122/10 – GRUR 2011, 930 Tz. 40 – Ving Sverige. 154 BGH 14.9.2017 – I ZR 231/14 – GRUR 2017, 1269 – MeinPaket.de II. 155 BGH 2.3.2017 – I ZR 41/16 – GRUR 2017, 922 – Komplettküchen. 156 BGH 12.9.2013 – I ZR 123/12 – GRUR 2014, 403 Tz. 8 – DER NEUE. 157 BGH 9.10.2013 – I ZR 24/12 – GRUR 2014, 580 Tz. 12 – Alpenpanorama im Heißluftballon.
1043
Lindacher/Peifer
§ 5a
Irreführung durch Unterlassen
tatbestand das für den Grundtatbestand (s. Rn. 27) entwickelte Gebot, bei Beantwortung der Frage nach dem Ob einer Informationspflicht sowie der Bestimmung von Breite und Tiefe der Informationspflicht den Fallumständen die gebührende Beachtung zu schenken: Bei geringwertigen Gegenständen des täglichen Bedarfs erwartet der Verkehr im Allgemeinen keine, jedenfalls keine umfängliche Information.158 Die Beschränkung in Bezug auf das eingesetzte Kommunikationsmittel gilt auch 47 hier. Insbesondere die Medienklausel des § 5a Abs. 5 kann daher dazu führen, dass eine Information zwar geschuldet, zu ihrer Befriedigung aber auf andere Medien verwiesen werden kann. Sofern räumliche oder zeitliche Beschränkungen eine Rolle spielen, kann der Katalog des § 5a Abs. 3 also auch in anderer Weise erfüllt werden. Der Unternehmer muss keinesfalls alle genannten Angaben bereits in einer Werbung für mobile Empfangsgeräte bereitstellen. Selbst in einer Printwerbung können räumliche Restriktionen es gestatten, auf andere Medien auszuweichen.159 In der Praxis ist daher stets zu untersuchen, ob gerade die als fehlend gerügte Information räumlich oder zeitlich in einer Weise hätte untergebracht werden können, dass die Information vom Verbraucher auch noch angemessen verarbeitet werden kann. Bei komplexeren Informationen ist eine zu starke Verdichtung an früher Stelle möglicherweise verwirrend und daher wenig hilfreich. So kann bei der Bewerbung eines Events (wie ein Heißluftballonflug) die Angabe der konkret zur Verfügung stehenden Partner, die den Flug durchführen sollen, zwar wesentliche Information sein, allerdings kann es angemessen sein, eine Vielzahl von Partnern erst anzuzeigen, wenn der konkrete Flug gebucht werden kann.160 Potentiell relevante Produktmerkmale finden sich in § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1. Die Auf48 nahme in den Bezugspunktekatalog jener Vorschrift macht den jeweiligen Umstand freilich mitnichten selbstläufig zum Gegenstand geschuldeter Information: Für eine informierte Geschäftsentscheidung sind keineswegs Informationen über alle Umstände erforderlich, über die irregeführt werden kann.161 Demonstrationsbeispiel par excellence sind Informationen über Produktions- oder Handelsbedingungen: Beschönigende einschlägige Falschangaben erfüllen allemal den Tatbestand des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1. Allfällig eingegangene Selbstverpflichtungen sind einzuhalten. Eine allgemeine Informationspflicht hinsichtlich der Produktions- und Handelsbedingungen in Bezug auf Arbeit und Umwelt besteht hingegen weder nach § 5a Abs. 2/Abs. 3 Nr. 1 noch nach § 5a Abs. 2.162 Auch das Maß artgerechter Tierhaltung ist nicht per se offenbarungspflichtig. Dass beim Angebot von Eiern die Haltungsart der Hühner zu verlautbaren ist,163 erklärt sich daraus, dass die Art der Haltung (Freiland-, Boden- oder Käfighaltung) einen die Produktqualität mitbestimmenden Faktor darstellt. Sortiert man die von der Vermutungsregel des § 5a Abs. 3 Nr. 1 erfassten Informatio49 nen nach ihrem Interessebezug, ist an erster Stelle die Fallgruppe der sicherheits- und gesundheitsbezogenen Informationen zu nennen: Produktmerkmale sind geschäftsentscheidungserheblich, wenn der normale Produktgebrauch Sicherheits- und/oder Gesundheitsinteressen des Nutzers betrifft.164 Verfügt ein Neuwagenfahrzeug nicht über
_____
158 Statt mancher – jeweils unter Bezugnahme auf Begr. RegE BTDrucks. 16/10145 S. 26 – Fezer/ Büscher/Obergfell Rn. 134 sowie Ohly/Sosnitza Rn. 71. 159 EuGH 2.3.2017 – I ZR 194/15 – GRUR 2017, 537 Rn. 27, 30 – DHL Paket. 160 So i.E. BGH 9.10.2013 – I ZR 24/12 – GRUR 2014, 580 – Alpenpanorama im Heißluftballon. 161 Zutreffende einschlägige Klarstellung: Fezer/Büscher/Obergfell Rn. 133. 162 Ohly/Sosnitza Rn. 71; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.27; Köhler WRP 2009, 109, 116 f.; Körber/ Heinlein WRP 2009, 780, 786. A.A. – globale Produktion verlange globale Information – insbes. Fezer WRP 2007, 1025, 1029 f. 163 Götting/Nordemann Rn. 137. 164 Fezer/Büscher/Obergfell Rn. 133.
Lindacher/Peifer
1044
C. Informationspflichten gegenüber Verbrauchern, Abs. 2–5
§ 5a
einen Beifahrerairbag, ist bei Verdichtung des Angebots zu einem „konkreten Geschäftsangebot“ auf das fehlende Ausstattungsmerkmal hinzuweisen. In Bezug auf wirtschaftliche Interessen zählen zunächst den Vertragszweck beeinträchtigende Umstände: Einschränkungen der Nutzungsmöglichkeit des beworbenen Produkts auf Grund gesetzlicher Vorschriften können ein Produkt praktisch wertlos machen. Wesentlich sind überdies alle Faktoren, die das Äquivalenzinteresse des Verbrauchers in gewichtiger Weise beeinträchtigen. Kasuistik: Eine wesentliche, mittelbar produktbezogene Information ist bei der Testwerbung der Fundstellennachweis für den Test (oben Rn. 26a).165 Bei hochwertigen Geräten der Unterhaltungselektronik besteht grundsätzlich eine Verpflichtung des Handels, darauf hinzuweisen, dass es sich um Auslaufmodelle (Geräte, die vom Hersteller nicht mehr produziert und nicht mehr im Sortiment geführt oder von ihm selbst als Auslaufmodelle bezeichnet werden) handelt.166 Wird von einer Krankenkasse mit einem Tarif „direkt +“ geworben, dem Leser allerdings verschwiegen, dass er nur online und telefonisch betreut wird, wird diesem eine wesentliche Information vorenthalten.167 Beim Angebot eines Gutscheins für die Teilnahme an einem Aufbauseminar, die es einem „Verkehrssünder“ ermöglicht, Punkte im Verkehrszentralregister abzubauen, muss darauf hingewiesen werden, dass der Besuch eines solchen Seminars nur alle fünf Jahre möglich ist.168 Beim Verkauf eines gebrauchten PKW wurde die Laufleistung als wesentliche Information angesehen.169 bb) Identität und Anschrift des Unternehmers, Abs. 3 Nr. 2. In Einklang mit einer 50 Reihe spezialgesetzlicher Gebote (prominentes Beispiel Art. 4 Fernabsatzrichtlinie, s. Rn. 72) statuiert § 5a Abs. 3 Nr. 2 via Deklarierung der einschlägigen Angaben als wesentlich die Pflicht zur Angabe von Name und Anschrift: Der Verbraucher soll wissen, wer sein Vertragspartner ist und wie er denselben – auch und gerade im Rechtsverfolgungsfall – ansprechen kann. Die Fallgruppe hat sich als besonders abmahnintensiv erwiesen, was damit zusammenhängt, dass fehlende Angaben in diesem Bereich besonders leicht zu recherchieren sind. Anzugeben ist bei Handelsunternehmen die Firma, unter der gehandelt wird, das 51 gilt auch für den eingetragenen Kaufmann (e.K.).170 Bei natürlichen Personen ohne Kaufmannseigenschaft sind Name und Vorname zu nennen. Die Anschrift muss vom Zweck des einschlägigen Benennungsgebots her eine ladungsfähige Anschrift sein, also Ort und Straße (einschließlich Hausnummer) verlautbaren. Eine Postfachadresse genügt nicht.171 Bestehen zwei selbständige Unternehmen mit identischer Firma seit Jahrzehnten nebeneinander in der Weise, dass ihre Häuser in getrennten Wirtschaftsräumen betrieben werden, treffen die Unternehmen bei „grenzüberschreitenden“ Angeboten gegebenenfalls verschärfte Kennzeichnungsanforderungen.172 Kasuistik: Spricht die Peek & Cloppenburg KG mit Sitz in Düsseldorf („Peek & Cloppenburg SÜD) mit einer Hemdenwerbung auch im Gebiet der Peek & Cloppenburg KG
_____
165 BGH 16.7.2009 – I ZR 50/07 – GRUR 2010, 248 Tz. 31 ff. = WRP 2019, 370 – Kamerakauf im Internet; KG 11.2.2011 – 5 W 17/11 – GRUR-RR 2011, 278 f. 166 OLG Düsseldorf 7.9.2010 – I-20 U 171/02 – WRP 2010, 1551. 167 OLG Hamm 23.2.2010 – 14 U 169/09 – WRP 2010, 797. 168 LG München I 22.3.2012 – 33 O 27257/11 – WRP 2012, 1023. 169 OLG Naumburg 31.5.2018 – 9 U 3/18 – WRP 2018, 1129. 170 BGH 18.10.2017 – I ZR 84/16 – GRUR 2018, 324 Tz. 21 – Kraftfahrzeugwerbung; MünchKommUWG/ Alexander Rn. 19. 171 Fezer/Büscher/Obergfell Rn. 141; Büscher/Büscher Rn. 107. 172 Götting/Nordemann Rn. 141.
1045
Lindacher/Peifer
§ 5a
Irreführung durch Unterlassen
mit Sitz in Hamburg („Peek & Cloppenburg NORD“) ansässige Verbraucher an, reicht der Zusatz „Düsseldorf“ als Individualisierungshinweis nicht aus.173 Dem Erfordernis leichter Erkennbarkeit der personenbezogenen Angaben genügt: 52 bei Internetangeboten die Erreichbarkeit über Links wie „Kontakt“ oder „Impressum“.174 Im stationären Einzelhandel erfüllt der Unternehmer hinsichtlich seiner Vorort-Werbung die Verpflichtung zur Identitätsverlautbarung durch Frontbeschilderung bzw. Anbringung eines allgemeinen einschlägigen Hinweises in der durch § 15a GewO gebotenen Art und Weise. Die Anschrift ergibt sich dann aus der Ortslage.175 Bei Prospektwerbung hat die Angabe hingegen auf dem Prospekt selbst zu erfolgen. Es reicht nicht aus, dass sich der Verbraucher die Information über eine benannte Internetseite oder durch Aufsuchen des Geschäftslokals verschaffen könnte. Wenn der Verbraucher erst Internetseiten aufrufen oder sich zum Geschäftslokal begeben muss, wird dem gewünschten Verbraucherschutz nicht hinreichend Genüge getan.176 Auch der Umstand, dass das Geschäftslokal bekannt ist, macht die Angabe grundsätzlich nicht entbehrlich.177 Man kann in solchen Fällen also nicht an der Wesentlichkeit der genauen Angabe Zweifeln, sondern allenfalls argumentieren, dass die Information beim typischerweise angesprochenen Verbraucher (z.B. der Bevölkerung einer Kleinstadt, für deren örtlichen Baumarkt geworben wird) schon vorhanden ist, also kein konkretes Informationsbedürfnis mehr besteht.178 Bei Filialunternehmen muss auf das Unternehmen hingewiesen werden, der Pros53 pekthinweis auf den „nächsten Markt“ genügt nicht.179 Auch im Übrigen muss bei Rabattpreisen, die auf bestimmte Filialen in einer Unternehmensgruppe beschränkt sind, angegeben werden, welche Filialen an der Aktion teilnehmen.180 Bei „Handeln für einen anderen“ verlangt § 5a Abs. 3 Nr. 2 Angaben zur Identität 54 und zur Anschrift dessen, für den gehandelt wird. Erfasst wird damit zweifelsfrei der Fall direkter Stellvertretung,181 unangesprochen bleibt hingegen der Fall klassischer mittelbarer Stellvertretung (etwa das Handeln eines Kommissionärs), für den es gerade wesenseigentümlich ist, dass der Hintermann unbekannt bleibt: Anerkannte Institute des Zivilrechts werden vom Lauterkeitsrecht respektiert.182 Mit der unmittelbaren Stellvertretung „zumindest vergleichbar“ ist nach OLG München183 die Fallgestaltung, dass ein Unternehmen Event-Gutscheine anbietet, die bei ausgewählten Dritten einzulösen sind: Die potentiellen Leistungserbringer seien bei Gutscheinangeboten im Internet bereits dortselbst, nicht erst bei Zusendung der Gutscheine zu benennen (zweifelhaft).
_____
173 OLG Hamburg 17.1.2008 – 3 U 143/07 – GRUR-RR 2008, 345. 174 BGH 20.7.2006 – I ZR 228/03 – GRUR 2007, 159 ff. = WRP 2006, 1507 ff. – Anbieterkennzeichnung im Internet; Harte/Henning/Dreyer Rn. 152; Götting/Nordemann Rn. 144. 175 Peifer WRP 2008, 556, 560; Büscher/Büscher Rn. 180 mit Rn. 11. 176 OLG Hamm 2.2.2012 – 14 U 168/11 – WRP 2012, 985, 988; LG Hamburg 1.8.2013 – 327 O 116/13 – WRP 2013, 1669. 177 Insoweit i.E. wohl zutreffend OLG Bamberg 9.4.2018 – 3 W 11/18 – GRUR-RR 2018, 259 Tz. 25. 178 LG Hamburg 1.8.2013 – 327 O 116/13 – WRP 2013, 1669; a.A. OLG Bamberg 9.4.2018 – 3 W 11/18 – GRUR-RR 2018, 259 Tz. 25. 179 OLG München 31.3.2011 – 6 U 3517/10 – WRP 2011, 1213, 1215. 180 BGH 4.2.2016 – I ZR 194/14 – GRUR 2016, 403 Tz. 24 – Fressnapf; OLG Nürnberg 16.1.2018 – 3 U 761/ 18 – WRP 2019, 128 Tz. 16. 181 Statt aller: Ohly/Sosnitza Rn. 76. 182 Ohly/Sosnitza Rn. 76; Büscher/Dittmer/Schiwy/Koch Rn. 30. 183 OLG München 9.9.2010 – 6 U 2690/10 – WRP 2011, 134, 135 f.
Lindacher/Peifer
1046
C. Informationspflichten gegenüber Verbrauchern, Abs. 2–5
§ 5a
cc) Preis, Preisberechnung, Zusatzkosten, Abs. 3 Nr. 3 (1) Preis. Wer mit Preisen wirbt (und damit den Tatbestand eines „konkreten Ge- 55 schäftsangebots“ setzt, s. Rn. 24) hat, wenn sich die Werbung (auch) an Verbraucher richtet, den Endpreis anzugeben. Die einschlägige Information ist wesentliche Information par excellence. Eine Aufschlüsselung des Preises in seine Bestandteile ist auch bei Koppelungsangeboten grundsätzlich nicht geschuldet (vgl. oben Rn. 42).184 Genauere Preisregeln sieht die PAngV vor, soweit sie auf die RL 98/6/EG zurückgeht. Allerdings greifen diese Angaben erst, wenn ein konkretes und individualisiertes Einzelproduktangebot gemacht wird, nicht bereits in der allgemeinen Werbung.185 Allerdings überschneiden sich hier die Voraussetzungen des § 5a Abs. 3 mit denen der PAngV weitgehend, sodass – sei es über § 5a Abs. 4, sei es über § 5a Abs. 3 – gleichlautend von einer wesentlichen Information ausgegangen werden muss.186 Endpreis ist der Preis, der für die Ware/Dienstleistung insgesamt zu zahlen ist. Ein- 56 zurechnen ist insbesondere die Mehrwertsteuer. Nebenleistungsentgelte sind einzubeziehen, wenn sie auf jeden Fall und ohne Wahlmöglichkeit des Kunden anfallen: Nur der Kfz-Einzelhändler, der dem Kunden nicht die Wahl zwischen Selbstabholung und Überführung überlässt, muss die Kosten für die Überführung in den Endpreis einstellen, ansonsten gehören die Überführungskosten nicht zum Endpreis eines PKW.187 Bei Vermietung einer Ferienwohnung umschließt der Endpreis auch die Pauschale für Strom, Wasser, Heizung, Bettwäsche und Ähnliches. Bei Reisen ist die zwingend zu zahlende Buchungsgebühr einzurechnen; Gleiches gilt für Preisaufschläge für bestimmte Zeiten. Kasuistik: Die unabhängig von der Nutzungsdauer pauschalierten und in jedem Fall zu entrichtenden Kosten für die Endreinigung einer Ferienimmobilie sind in den Mietpreis als Endpreis einzuberechnen. Die zusätzliche Angabe der Kosten im Rahmen eines Preistableaus reicht nicht aus.188 Zum Endpreis gehört beim Angebot eines nur für eine begrenzte Zeit kostenlosen Girokontos oder einer Versicherung auch die Angabe, welcher Preis nach Ablauf der Befristung anfällt.189 Spricht die Werbung objektiv die Allgemeinheit (und damit auch die Verbraucher) 57 an, kann sich der Werbende nicht darauf berufen, dass er mit privaten Letztverbrauchern keine Verträge schließt und deshalb die Vorschriften der PAngV nicht zur Anwendung kommen: Geboten ist Endpreisangabe mit Mehrwertsteuer.190 (2) Preisberechnung. Angaben zur Preisberechnung sind in allen Fällen geboten, in 58 denen der Endpreis (noch) nicht angegeben werden kann. Erfasst werden insoweit insbesondere alle Fälle, in denen ein umfassender Endpreis aus Verbrauchsabhängigkeitsgründen nicht gebildet werden kann.191 Auch bei Dienstleistungen, die nach Stunden-,
_____
184 EuGH 7.9.2016 – C-310/15 – WRP 2016, 1342 Tz. 46, 51 – Deroo-Blanquart; OLG Celle 27.11.2014 – 13 U 89/14 – WRP 2015, 364 Tz. 3. 185 EuGH 7.7.2016 – C-476/14 – GRUR 2016, 945 – Citroёn; näher Köhler GRUR 2016, 891. 186 BGH 2.3.2017 – I ZR 41/16 – WRP 2017, 1081 Rn. 32 – Komplettküchen; OLG Frankfurt 18.6.2018 – 6 U 93/17 – WRP 2018, 1355 Rn. 8 (dort sogar als wesentlich im Sinne des § 5a Abs. 2 angesehen). 187 EuGH 7.7.2016 – C-476/14 – GRUR 2016, 945 Tz 37 – Citroёn; BGH 18.9.2014 – I ZR 201/12 – WRP 2014, 1444 Tz. 20 – Preis zuzüglich Überführung. 188 LG Rostock 24.2.2012 – 6 HK O 172/11 – WRP 2012, 1023. 189 OLG Stuttgart 7.6.2018 – 2 U 156/17 – WRP 2018, 1248 („Null-Gebühren“-Girokonto). 190 BGH 29.4.10 – I ZR 99/08 – GRUR 2011, 82 Tz. 15 ff. = WRP 2011, 55 – Preiswerbung ohne Umsatzsteuer. 191 BGH 8.10.1998 – I ZR 7/97 – GRUR 1999, 261, 264 = WRP 1999, 94, 95 – Handy-Endpreis; Fezer/ Büscher/Obergfell Rn. 151.
1047
Lindacher/Peifer
§ 5a
Irreführung durch Unterlassen
Tages- oder Aufwandsmaßen berechnet werden, genügt die Angabe der Informationen, aus denen ein konkreter Preis berechnet werden kann.192 Kasuistik: Wird ein Mobiltelefon in der Werbung zu einem besonders günstigen Preis mit der Maßgabe angeboten, dass – vermittelt durch den Werbenden – gleichzeitig ein flatratefreier Netzkartenvertrag abgeschlossen wird, kommt ein monatlicher Gesamtpreis ob der Varianz der anfallenden Gesprächsgebühren der Natur der Sache nach nicht in Betracht. Der Anbieter muss die bereits feststehenden Posten (Abschlussgebühr, monatliche Grundgebühr, allfällige Mindestumsätze während der Mindestlaufzeit) benennen und zur Ermöglichung der Abschätzung der variablen Kosten den Preis je näher zu definierender Gesprächseinheit angeben. Die Zusammenfassung der fixen Preisbestandteile zu einem (Teil-)Endpreis wäre der Preisklarheit mangels Vergleichbarkeit der entsprechenden Preise verschiedener Anbieter eher abträglich: Ein Anbieter, der hohe verbrauchsabhängige Gebühren verlangt, wäre berechtigt, einen niedrigen Gesamtpreis zu bilden und damit zu werben, während der Wettbewerber mit niedrigen Gesprächsgebühren einen aus den fixen Preisbestandteilen gebildeten, verhältnismäßig hohen Preis zu nennen verpflichtet wäre.193 Wird eine Reise beworben, die mehrere Ausstattungsvarianten enthält und daher mit einem „ab-Preis“ beworben wird, genügt diese Information, wenn eine Vielzahl von Varianten zur Verfügung steht, die eine individuelle Auswahl des Kunden erforderlich machen.194 59
(3) Zusatzkosten. Allfällige Fracht-, Liefer- und Zustellkosten sind zwar nicht in den Endpreis einzurechnen, wohl aber gesondert anzugeben. Lassen sich die betreffenden Kosten nicht im Voraus berechnen, genügt der Hinweis, dass zusätzlich Fracht-, Liefer- bzw. Zustellkosten anfallen. Spalten sich die Kosten in einen berechenbaren und nicht berechenbaren Teil auf, ist ersterer anzugeben und darauf hinzuweisen, dass weitere, derzeit nicht berechenbare Kosten hinzukommen.195
60
dd) Zahlungs-, Liefer- und Leistungsbedingungen, Beschwerdeverfahren, Abs. 3 Nr. 4. Gemäß § 5a Abs. 3 Nr. 4 gelten als wesentliche Informationen auch Informationen über Zahlungs-, Liefer- und Leistungsbedingungen sowie Informationen, die das Verfahren zum Umgang mit Beschwerden betreffen, soweit die Bedingungen/das Verfahren den Erfordernissen fachlicher Sorgfalt nicht gerecht wird.
61
(1) Bedingungen. Zahlungsbedingungen betreffen die Synallagmafrage, die Zahlungsmodalität (Barzahlung, Zahlung per Kredit- oder Scheckkarte, Zahlung per Überweisung oder Lastschriftabbuchung), im Übrigen den Zahlungszeitpunkt. Liefer- und Leistungsbedingungen bestimmen, wann, wo und unter welchen sonstigen Voraussetzungen die Ware zu liefern, die Dienstleistung zu erbringen ist. Den Leistungsstörungsfall und/oder die Vertragsabwicklung betreffende Vorgaben gehören nicht dazu.196
62
(2) Beschwerdeverfahren. Beschwerdeverfahrensfragen stellen sich u.a. hinsichtlich des Reklamationsorts und -adressaten.197
_____
192 BGH 14.1.2016 – I ZR 61/44 – WRP 2016, 581 Tz. 39 – Wir helfen im Trauerfall. 193 BGH 8.10.1998 GRUR 1999, 261, 262 f. = WRP 1999, 94, 95 – Handy-Endpreis zu § 1 Abs. 1 PAngV, auf § 5a Abs. 3 Nr. 3 übertragbar. 194 EuGH 12.5.2011 – C-122/10 – GRUR 2011, 930 – Ving Sverige. 195 Harte/Henning/Dreyer Rn. 161. 196 Harte/Henning/Dreyer Rn. 173. 197 Fezer/Büscher/Obergfell Rn. 156.
Lindacher/Peifer
1048
C. Informationspflichten gegenüber Verbrauchern, Abs. 2–5
§ 5a
(3) Abweichen vom Erfordernis fachlicher Sorgfalt. Nach welchen Kriterien ein 63 Abweichen von Erfordernissen der fachlichen Sorgfalt zu bestimmen ist, ist streitig. Teils verbindet man mit dem Begriff der fachlichen Sorgfalt die Notwendigkeit eines Hinweises bei Abweichung vom dispositiven Recht mit Leitbildfunktion,198 teils eine Hinweispflicht bei Abweichung von Branchenstandards.199 Richtigerweise ist keinem Kriterium Alleinmaßgeblichkeit zuzusprechen. Auf Abweichungen vom Grundsatz der Zahlung Zug um Zug ist – jenseits von Vor- 64 leistungspflichten kraft Natur der Sache – ob des Wertigkeitsgehalts der gesetzlichen Regel mit gebotener Deutlichkeit hinzuweisen. Wer branchenübliche Zahlungsmodalitäten ausschließt, muss dies klar und hinreichend auffällig tun. Branchenunübliche Lieferbzw. Leistungserbringungsfristen sind klar erkennbar zu verlautbaren. Dem Unternehmer mag fallgruppenweise die „Medienklausel“ helfen (s. Rn. 35); ein eher versteckter Hinweis in einem umfänglichen Klauselwerk genügt nicht. Was das Verfahren zum Umgang mit Beschwerden betrifft, erwartet der Verkehr 65 grundsätzlich, geboten erscheinende Reklamationen dort anbringen zu können, wo die (Haupt-)Leistung entgegengenommen wurde. In der Nichtinformation über eine gegenteilige Praxis liegt eine Abweichung von der fachlichen Sorgfalt, die geschuldete Information ist wesentlich i.S. von § 5a Abs. 3 Nr. 4.200 ee) Rücktritts- oder Widerrufsrecht, Abs. 3 Nr. 5. Nach dem Wortlaut von § 5a 66 Abs. 3 Nr. 5 zählt zu den wesentlichen Informationen auch die Information über das „Bestehen eines Rechts zum Rücktritt oder Widerruf“, auch der einschlägige Richtlinienpassus nennt das Recht zum „Rücktritt“ neben dem Recht zum „Widerruf“. Auf ein bestehendes gesetzliches Widerrufsrecht muss demnach (auch) nach § 5a Abs. 2/Abs. 3 Nr. 5 hingewiesen werden.201 Dass § 5a Abs. 2/Abs. 3 Nr. 5 auch zum Hinweis auf die Existenz allfälliger gesetzlicher Rücktrittsrechte anhält, 202 erscheint hingegen zweifelhaft: Ausweislich der Begründung zu § 5a Abs. 3 Nr. 5203 doppelt die Vorschrift nur die Rechtsgrundlage für eine ohnehin gegebene Informationspflicht. Zur Belehrung ohnehin gehalten war und ist der Unternehmer im Business-to-Consumer-Verkehr aber nur hinsichtlich der gesetzlichen Widerrufsrechte (neuerdings aufgegliedert in das Widerrufsrecht i.e.S. und das sog. Rückgaberecht), nicht hinsichtlich der gesetzlichen Rücktrittsrechte. Es spricht daher vieles dafür, die Informationspflicht nach § 5a Abs. 2/Abs. 3 Nr. 5 in wortlautkorrigierender Auslegung nicht auf gesetzliche Rücktrittsrechte zu erstrecken. Ein Paradigmenwechsel in der Frage der Informationsrisikozuweisung hinsichtlich der Verbraucherrechte im Leistungsstörungsfall ist vom nationalen Gesetzgeber nicht intendiert, letztlich wohl auch nicht durch Art. 7 Abs. 3 lit. e UGP-RL vorgegeben. Der Richtliniengeber hätte eine derart gewichtige Ausweitung der Informationslast des Unternehmers wohl in den Erwägungsgründen zur Richtlinie angesprochen und begründet. Erfasst ist neben dem gesetzlichen Widerrufsrecht i.e.S. freilich richtigerweise wohl auch das gesetzliche Rückgaberecht.
_____
198 199 200 201 202 203
1049
Ohly/Sosnitza Rn. 80. Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.49. Fezer/Büscher/Obergfell Rn. 160. Statt aller: Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.50. So beispielsweise Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 4.50; Ohly/Sosnitza Rn. 81. Begr. RegE BTDrucks. 16/10 145 S. 26.
Lindacher/Peifer
§ 5a
Irreführung durch Unterlassen
II. Inkorporierte Informationspflichten, Abs. 4 1. Funktionale Bedeutung der Wesentlichkeitsvermutung. Abseits des Lauterkeitsrechts hat sich mit der Zielrichtung Verbraucherschutz zwischenzeitlich ein Geflecht sektoraler Informationsgebote entwickelt – weithin unmittelbar oder jedenfalls mittelbar europarechtlichen Ursprungs. § 5a Abs. 4 übernimmt in Umsetzung von Art. 7 Abs. 5 UGP-RL den einschlägigen aquis communitaire im Bereich der „kommerziellen Kommunikation“ in das Lauterkeitsrecht mit seinen genuinen Sanktionsmechanismen. Der Verstoß gegen die unionsrechtliche Verordnung bzw. die in Umsetzung einer Richtlinie erlassene Regelung nationalen Rechts löst über die Wesentlichkeitsvermutung des § 5 Abs. 4 den lauterkeitsrechtlichen Abwehranspruch aus.204 Im Ergebnis doppelt § 5 Abs. 4 in seinem Anwendungsbereich § 3a. Das ist problema68 tisch, wenn man berücksichtigt, dass § 5a Abs. 4 mit seinen Verweisungen auf die geschäftliche Relevanz und Kausalität einer Informationspflichtverletzung zusätzliche Kriterien enthält. Eine reine Anspruchskonkurrenz unterhöhlt dieses System.205 Reparabel ist dies allenfalls dadurch, dass man in das Spürbarkeitserfordernis des § 3a all das hineinliest, was § 5a Abs. 2 bis 5 an zusätzlichen Voraussetzungen bereitstellt. Das ist wenig sinnvoll, so dass man anerkennen sollte, dass § 5a Abs. 4 gegenüber § 3a nicht nur die speziellere, sondern auch die besser auf die UGP-RL abgestimmte, und damit allein unionsrechtskonforme Regelung darstellt. 67
2. Unionsrechtliche Informationsanforderungen in Bezug auf kommerzielle Kommunikation a) Kommerzielle Kommunikation. Die Gleichstellung des Verstoßes gegen das spezialgesetzliche Informationsgebot mit einem Verstoß gegen § 5a Abs. 2 auf der Rechtsfolgenebene setzt die Zugehörigkeit der spezialgesetzlichen Regelung zum Bereich der „kommerziellen Kommunikation einschließlich Werbung und Marketing“ voraus. Zur „kommerziellen Kommunikation“ zählt man unter Rückgriff auf die Legaldefinition in Art. 2 lit. f. RL 2000/31/EG üblicherweise alle Formen der Kommunikation, die der unmittelbaren oder mittelbaren Förderung des Absatzes und des unternehmerischen Erscheinungsbilds dienen.206 Die Reichweite von § 5a Abs. 4 geht deshalb insoweit über § 5a Abs. 2/3 hinaus als der Begriff der „kommerziellen Kommunikation“ nicht nur „konkrete Geschäftsangebote“, sondern den gesamten Bereich der Werbung erfasst.207 Nicht unter § 5a Abs. 4 fallen, da nicht im Zusammenhang mit der Förderung des 70 Produktabsatzes oder des Erscheinungsbilds des Unternehmens stehend, Informationsgebote, die zu anderen Zwecken erst im Zuge des Vertragsschlusses oder bei der Vertragsabwicklung zu erfüllen sind. Die Wesentlichkeitsvermutung nach § 5a Abs. 4 greift deshalb beispielsweise nicht hinsichtlich der nach Art. 246c EGBGB bei Verträgen im elektronischen Geschäftsverkehr geschuldeten Informationen: Angaben hinsichtlich der Schritte, die zum Vertragsschluss führen, zur Speicherung von Daten und zur Korrektur, zu den zur Verfügung stehenden Sprachen sowie über Verhaltenskodizes, denen sich der Unternehmer unterworfen hat, sind nicht der Absatzförderung zuzuordnen.208
69
_____
204 205 206 207 208
Lindacher FS Spellenberg 43, 47. Zu Recht kritisch auch Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 5.35. Harte/Henning/Dreyer Rn. 184 f. Fezer/Büscher/Obergfell Rn. 169. Harte/Henning/Dreyer Rn. 186.
Lindacher/Peifer
1050
C. Informationspflichten gegenüber Verbrauchern, Abs. 2–5
§ 5a
b) Verankerung im Unionsrecht. Nur Informationsanforderungen, die sich aus EU- 71 Verordnungsrecht oder aber aus richtliniengeleitetem nationalen Recht ergeben, zählen: Eine Erstreckung der Wesentlichkeitsvermutung des § 5a Abs. 4 auf rein nationale Informationsanforderungen würde dem Anspruch der RL 2005/29/EG auf Vollharmonisierung zuwiderlaufen (ErwGr 15 UGP-RL). 3. Generalklausel mit unionsrechtlichem Beispielskatalog. Der Kern des unions- 72 rechtlichen aquis (Stand Mai 2015) wird im Anhang II der RL 2005/29/EG aufgelistet. Der einschlägigen Liste wird in Art. 7 Abs. 5 UGP-RL freilich ausdrücklich nur Beispielcharakter beigemessen. § 5 Abs. 4 arbeitet von vornherein mit einer generalklauselartigen dynamischen Verweisung. Der Katalog des Anhangs II ist im Wege richtlinienkonformer Auslegung zu beachten, die Offenheit des Katalogs erlaubt und gebietet die Berücksichtigung im Katalog nicht benannter Rechtsakte, auch und besonders der nach Erlass der RL 2005/29/EG ergangenen Rechtsakte. a) Katalog Anhang II UGP-RL. Der der Richtlinie angefügte Katalog zählt im Ein- 73 zelnen 14 Beispielsfälle unionsrechtlicher Regelungen zu Informationspflichten auf. Die meisten davon sind mittlerweile durch neue ersetzt worden: – Art. 4 und 5 RL 97/7/EG (Fernabsatzrichtlinie) mit vorvertraglichen Informationspflichten z.B. über die Identität des Lieferers bzw. bei Vorauszahlungspflicht seine Anschrift, den Preis und etwaige Lieferkosten, Einzelheiten der Zahlung und Lieferung bzw. Erfüllung, u.U. das Widerrufsrecht. Die Umsetzung erfolgte in § 312c BGB i.V.m. § 1 der 2018 aufgehobenen BGB-InfoV sowie für den Versicherungsbereich in der Verordnung über Informationspflichten bei Versicherungsverträgen. Die Fernabsatzrichtlinie wurde durch die RL 2011/83/EU (Verbraucherrechterichtlinie) aufgehoben. Der Verweis in der UGP-Richtlinie wird durch Art. 31 i.V.m. der Entsprechungstabelle in Anhang II der Verbraucherrechterichtlinie explizit umgelenkt. Die in Art. 4 der Fernabsatzrichtlinie enthaltenen vorvertraglichen Informationspflichten bei Fernabsatzverträgen sind nun in den Art. 6 und 8 Abs. 5 RL 2011/83/ EU enthalten und werden zudem dort noch ausgeweitet und ausdifferenziert. Art. 6 RL 2011/83/EU gilt zugleich für andere außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge. Art. 5 der alten RL 97/7/EG wurde durch Art. 8 Abs. 7 und Art. 3 Abs. 3 lit. m) RL 2011/83/EU ersetzt. Art. 5 RL 2011/83/EU statuiert darüber hinaus auch Informationspflichten für den stationären Handel (für Verträge, die nicht Fernabsatzverträge sind und die nicht außerhalb der Geschäftsräume geschlossen werden). Die Verbraucherrechterichtlinie wurde durch das Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie vom 20. September 2013 (BGBl I S. 3642) umgesetzt. Die Informationspflichten sind im Wesentlichen in § 312a Abs. 2 BGB i.V.m. § 246 EGBGB und § 312d Abs. 2 BGB i.V.m. § 246b EGBGB umgesetzt. – Art. 3 RL 90/314/EWG (Pauschalreiserichtlinie) mit besonderen Informationspflichten für das Prospekt. Die alte Pauschalreiserichtlinie wurde durch die neue EU-Pauschalreiserichtlinie 2015/2302/EU aufgehoben und ersetzt. Am 1. Juli 2018 sind die deutschen Umsetzungsregelungen in Kraft getreten. Die in der neuen Richtlinie geregelten Informationspflichten sind erschöpfend, lassen aber Informationsregeln anderer Unionsrechtsakte unberührt (Erwgr. 27). Die vorvertraglichen Informationspflichten – freilich angesichts der heute üblichen Kommunikations- und Buchungswege nicht mehr spezifisch für Reiseprospekte – stehen in Art. 5 der Richtlinie. Die Pflichten sind in § 651d BGB i.V.m. Art. 250 §§ 1–3 EGBG umgesetzt. – Art. 3 Abs. 3 RL 94/47/EG (Teilzeitnutzungsrechterichtlinie); an die Stelle dieser Richtlinie ist die RL 2008/122/EG über den Schutz der Verbraucher im Hinblick auf 1051
Lindacher/Peifer
§ 5a
– –
–
–
–
–
–
–
Irreführung durch Unterlassen
bestimmte Aspekte von Teilzeitnutzungsverträgen, Verträgen über langfristige Urlaubsprodukte sowie Wiederverkaufs- und Tauschverträgen getreten, deren Art. 4 die vorvertraglichen Informationspflichten enthält, umgesetzt in § 482 BGB i.V.m. Art. 242 EGBGB. Art. 3 Abs. 4 RL 98/6/EG (Verbraucherschutz bei Preisangaben), umgesetzt in § 2 PAngV. Art. 86–100 RL 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel, umgesetzt durch die Vorschriften des Heilmittelwerbegesetzes. Art. 5 und 6 RL 2000/31/EG (E-Commerce-Richtlinie) mit allgemeinen Informationspflichten der Dienstanbieter im elektronischen Geschäftsverkehr sowie besonderen Informationspflichten für kommerzielle Kommunikation, umgesetzt in §§ 5 und 6 des Telemediengesetzes. Art. 1 lit. d RL 98/7/EG zur Änderung der Verbraucherkredit-Richtlinie 87/102/ EWG mit Informationspflichten zum effektiven Jahreszins bei Krediten bzw. Kreditvermittlungen. Die alte Verbraucherkredit-Richtlinie wurde durch die neue Verbraucherkredit-Richtlinie RL 2008/48/EG ersetzt, die umfangreiche Informationspflichten begründet. Die Art. 4 bis 6, betreffend Informationen in der Werbung und vorvertragliche Informationen, sind in den §§ 6 bis 6b PAngV und § 491a BGB i.V.m. Art. 247 EGBGB umgesetzt. Art. 3 und 4 RL 2002/65/EG (Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen) mit besonderen Anforderungen an die Unterrichtung des Verbrauchers vor Abschluss eines solchen Vertrags. Diese Richtlinie wurde zunächst durch Art. 31 und 90 der RL 2007/64/EG und später durch Art. 110 der RL 2015/2366/EU geändert. Die Informationspflichten finden sich in § 312d Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 246b EGBGB umgesetzt. Art. 1 Nr. 9 RL 2001/107/EG zur Änderung der Richtlinie 85/611/EWG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren mit Informationspflichten gegenüber Anlegern. Die RL 85/611/EWG wurde durch die RL 2009/65/EG (OGAWRichtlinie) ersetzt, die in den Art. 78 ff. umfangreiche Informationspflichten gegenüber Anlegern enthält. Umgesetzt waren die Pflichten zunächst in § 42 InvestmentG. Nachdem das InvestmentG durch das Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) ersetzt wurde, finden sich Informationspflichten wesentlich in den §§ 164 ff., 270, 318 Abs. 5 KAGB. Eine spezielle Werbevorschrift ist § 302 KAGB. Art. 12 und 13 RL 2002/92/EG über Versicherungsvermittlung; aufgehoben und ersetzt durch die Art. 18 ff. RL 2016/97/EU (Versicherungsvertriebsrichtlinie) (siehe Entsprechungstabelle in Anh. III der Richtlinie), umgesetzt im Wesentlichen in den §§ 60 f. VVG und §§ 15 f. VersVermV.209 Die RL 2016/97/EU weitet die Informations- und Beratungspflichten i.V.m. der Durchführungsverordnung 2017/1469/EU zur Festlegung eines Standardformats für das Informationsblatt zu Versicherungsprodukten erheblich aus. Diese weiteren Informationen sind jedoch von dem Entsprechungsverweis nicht erfasst. Art. 36 RL 2002/83/EG über Lebensversicherungen mit vorvertraglichen und vertragsbegleitenden Informationspflichten. An die Stelle dieser Regelung ist Art. 185 der RL 2009/138/EG getreten (siehe Entsprechungstabelle in Anh. VII der Richtlinie), umgesetzt in der VVG-Informationspflichtenverordnung (VVG-InfoV).
_____ 209
Zur Umsetzung siehe Matusche-Beckmann ZVertriebsR 2018, 285.
Lindacher/Peifer
1052
C. Informationspflichten gegenüber Verbrauchern, Abs. 2–5
–
–
–
§ 5a
Art. 19 RL 2004/39/EG über Märkte für Finanzinstrumente, ersetzt durch Art. 24, 25 RL 2014/65/EU (siehe Art. 94 und Entsprechungstabelle in Anh. IV der Richtlinie), umgesetzt in §§ 63 f. WpHG. Art. 31 und 43 RL 92/49/EWG (Direktversicherungsrichtlinie), ersetzt durch Art. 138 RL 2009/138/EG (siehe Entsprechungstabelle in Anh. VII der Richtlinie), umgesetzt in der VVG-Informationspflichtenverordnung (VVG-InfoV). Art. 5, 7 und 8 RL 2003/71/EG (Wertpapierprospektrichtlinie), umgesetzt in §§ 5– 8 und 12 Wertpapierprospektgesetz (WpPG).
b) Sonstige Fälle. Informationspflichten gegenüber Verbrauchern im Bereich der 74 kommerziellen Kommunikation statuieren darüber hinaus u.a. folgende EU-Verordnungen und -Richtlinien: die VO Nr. 1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel (Health-Claims-VO), die VO Nr. 1008/2008 (Flugpreis-VO), die RL 2006/123/EG (Dienstleistungsrichtlinie) mit in der DienstleistungsInformationspflichten-VO umgesetzten Vorgaben sowie die RL 1999/94/EG mit Informationspflichten über den offiziellen Kraftstoffverbrauch von Kraftfahrzeugen, umgesetzt in § 1 Abs. 1 und § 5 Abs. 1 mit Anl. 4 PKW-ENVKV. Erhebliche praktische Bedeutung im Kampf gegen Kostenfallen im Internet kommt 75 Art. 8 Abs. 2 der RL 2011/83/EU über die Rechte des Verbrauchers sowie dessen Umsetzung in § 312i (vorher § 312g) und § 312j BGB zu:210 Nach § 312i Abs. 2 BGB i.d.F. Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie vom 20. September 2013211 treffen Unternehmer bei Verträgen im elektronischen Geschäftsverkehr, die eine entgeltliche Leistung zum Gegenstand haben, verschärfte Informationsanforderungen. Informationen zu Leistungsmerkmalen, zur Vertragslaufzeit sowie zum Preis und etwaigen Zusatzkosten sind dem Verbraucher unmittelbar vor Abgabe seiner Bestellung klar und verständlich in hervorgehobener Weise zur Verfügung zu stellen. § 312j Abs. 3 S. 1 BGB verlangt, den eigentlichen Bestellvorgang formalisierend, vom Verbraucher die ausdrückliche Bestätigung, sich mit der Bestellung zur Zahlung zu verpflichten. Erfolgt die Bestellung über eine Schaltfläche ist dem Erfordernis der Bestätigung nach § 312j Abs. 3 S. 2 nur Genüge getan, wenn die Schaltfläche gut lesbar mit nichts anderem als den Wörtern „zahlungspflichtig bestellen“ oder mit einer entsprechend eindeutigen Formulierung beschriftet ist. Im Bereich Garantie gilt es zwischen der vertraglichen Garantieerklärung und der 76 Garantiewerbung im Vorfeld derselben zu unterscheiden:212 Nach Art. 6 RL 1999/44/EG, umgesetzt in § 479 Abs. 1 S. 2 BGB, muss die Garantieerklärung neben dem Hinweis auf die gesetzlichen Rechte des Verbrauchers sowie darauf, dass diese durch die Garantie nicht eingeschränkt werden, Angaben zum Inhalt der Garantie sowie diverse die Geltendmachung der Garantie erleichternde Angaben enthalten. Einschlägige Werbung im Vorfeld des verbindlichen Garantieversprechens generiert hingegen noch keine Informationspflichten. Kasuistik: Ein Anbieter von Tintenpatronen und Tonerkartuschen für Computerdrucker muss im Rahmen bloßer Internetwerbung, er gewähre „3 Jahre Garantie“, keine Zusatzangaben machen.213 Wer bei einem Angebot – hier von Mobiltelefonzubehör – zum sofortigen Kauf auf der Auktionsplattform eBay eine „volle Garantie“ anbietet, muss die vom
_____
210 Eingehend Alexander NJW 2012, 1985 ff. 211 BGBl I S. 3642. 212 Grundlegend: BGH 14.4.2011 – I ZR 133/09 – GRUR 2011, 638 Tz. 24 ff. = WRP 2011, 866 – Werbung mit der Garantie. 213 BGH 14.4.2011 – I ZR 133/09 – GRUR 2011, 638 Tz. 24 ff. = WRP 2011, 866 – Werbung mit der Garantie.
1053
Lindacher/Peifer
§ 5a
Irreführung durch Unterlassen
Gesetz für den Fall einer Garantieerklärung geforderten genauen Angaben zu den Bedingungen machen.214 4. Wesentlichkeitsvermutung, geschäftliche Relevanz und Kausalität. Sofern ein unionsrechtliches Informationsgebot besteht, ist die dort geforderte Information auch wesentlich i. S. d. § 5a Abs. 4. Auch bei § 5a Abs. 4 ist eine gesonderte Relevanzprüfung nach der Tatbestandsfassung ebenso erforderlich (oben Rn. 40)215 wie eine Prüfung dahingehend, ob das Vorenthalten kausal für die Verbraucherentscheidung war (oben Rn. 41). Beide Voraussetzungen sind regelmäßig zu vermuten. Der Unternehmer hat daher darzulegen und zu beweisen, warum die Vermutungen ausnahmsweise nicht greifen sollen. Dieser Nachweis dürfte durchaus anspruchsvoll sein, so dass die Vermutung häufig greifen wird. Etwas abgemildert ist die dadurch für den Unternehmer entstehende Härte, weil auch bei § 5a Abs. 4 stets zu prüfen ist, ob das Fehlen der unionsrechtlichen Information tatsächlich ein „Vorenthalten“ darstellt (hierzu Rn. 33 ff.). Berücksichtigungsfähig ist nach hier favorisierter Ansicht (s. Rn. 41) dabei der Um78 stand, dass das Fehlen der einschlägigen Information – ausnahmsweise – keine Rolle für die Verbraucherentscheidung spielt. 77
III. Zeitlich und räumlich beschränkte Kommunikationsmittel (§ 5a Abs. 5) 1. Regelungszweck und Bedeutung. § 5a Abs. 5 setzt Art. 7 Abs. 3 der UGP-RL um. Die Norm trägt dem Umstand Rechnung, dass die Möglichkeiten des Unternehmers zur Vermittlung von Informationen faktisch in räumlicher und zeitlicher Hinsicht beschränkt sein können. Solche Beschränkungen sind bei der Beurteilung der Frage zu berücksichtigen, ob das Unterbleiben der Information wettbewerbsrechtlich relevant ist. Dabei ist auch zu beachten, ob Maßnahmen getroffen worden sind, um die Information anderweitig zur Verfügung zu stellen. Solche räumlichen und zeitlichen Beschränkungen des Kommunikationsmediums sind notwendigerweise verstärkt zu berücksichtigen, wenn durch rechtliche Vorgaben Informationsgebote erhöht werden. Es ist weder denkbar noch ist es Aufgabe der Werbung, sämtliche für die geschäftliche Entscheidung wesentlichen Umstände in jeder Art von Werbung zu vermitteln. Werbung hat zunächst die Funktion, Aufmerksamkeit zu erregen, sie hat aber nicht die Aufgabe, die Gebrauchsanweisung für das Produkt zu ersetzen.216 80 § 5a Abs. 5 hilft dabei, auch innovative Kommunikationsmittel noch werbetauglich zu halten. Es leuchtet unmittelbar ein, dass bei der Werbung auf mobilen Geräten wie Handhelds oder Mobiltelefonen schon die beschränkte Bildschirmgröße dafür sorgt, dass umfangreiche Werbeinformationen nicht vermittelt werden können. Will man diese Kommunikationsgeräte für den werblichen, aber auch den Absatz von immateriellen Gütern und die mobile Kundenbetreuung nicht für völlig ungeeignet erklären und damit wesentliche Refinanzierungswege für mobile Angebote verschließen, so muss man bei ansonsten gesteigerten Informationsanforderungen Einschränkungen vorsehen. § 5a Abs. 5 erinnert entfernt an die frühere Formulierung des § 5 Abs. 1 bzw. des Art. 3 der RL 114/2006/EG über irreführende und vergleichende Werbung, wonach bei der Beurtei79
_____
214 OLG Hamm 22.11.2011 – 4 U 98/11 – GRUR-RR 2012, 282. 215 EuGH 12.5.2011 – C-122/10 – GRUR 2011, 930 Tz. 24 – Ving Sverige; ebenso jetzt auch Köhler/ Bornkamm/Feddersen Rn. 4.2.; anders noch BGH 19.2.2014 – I ZR 17/13 – WRP 2014, 686 Tz. 23 – Typenbezeichnung. 216 Gamerith WRP 2005, 391, 423: "Es ist nicht Sinn und finanzierbarer Zweck der Werbung, eine vollständige Produkt- und Leistungsbeschreibung zu erfordern."
Lindacher/Peifer
1054
C. Informationspflichten gegenüber Verbrauchern, Abs. 2–5
§ 5a
lung, ob eine Werbung irreführend ist, alle ihre Bestandteile zu berücksichtigen sind. Zu solchen Bestandteilen einer Werbung können potentiell nämlich auch Verweisungen auf weitere Aufklärungsmöglichkeiten gehören. Sofern die räumliche oder zeitliche Beschränkung die eigentlich geschuldete Information ausschließt, hat der Unternehmer mithin produkt- und medienbezogen die Pflicht, aber auch die Möglichkeit, denjenigen, der weitere Informationen sucht, auf andere Kommunikationswege zu verweisen.217 Räumlich und zeitlich beschränkt sind sämtliche Medien bereits deswegen, weil 81 Platz und Zeit auch Kosten verursachen. Die Werbeanzeige in der Zeitung wird je nach Umfang teurer, der Werbespot in Fernsehen und Hörfunk wird nach Sekundenpreisen entlohnt. Diese Kostenfragen spielen bei der Einschränkung der Informationslasten zwar eine Rolle, sie können aber nicht zu einer Generalexkulpation für die Nichtzurverfügungstellung von Informationen führen (unten Rn. 84, 85). Es geht vor allem um die Frage, ob es technisch bedingte Restriktionen bei bestimmten Medien gibt. Daher sind sämtliche Medien dem Grunde nach erfasst. Dazu gehören nicht nur räumliche oder zeitliche Beschränkungen bei schriftlichen und Bildschirmangeboten, sondern auch solche bei mündlichen Angeboten. Die genannten Kommunikationsrestriktionen heben nicht die Informationspflichten 82 insgesamt auf, sondern modifizieren sie nur in der Weise, dass für weitergehende Informationen, die auf dem knappen Raum und in der knappen Zeit nicht mehr transparent zu vermitteln sind, auf andere Kommunikationsmöglichkeiten ausgewichen werden kann. 2. Verhältnis zu § 5 Abs. 2 S. 2 und Anwendungsbereich. § 5 Abs. 5 ergänzt § 5 83 Abs. 2 S. 2 in der Weise, dass er das Tatbestandsmerkmal des „Vorenthaltens“ für bestimmte Kommunikationswege definiert und in seinem Anwendungsbereich auch relativiert (oben Rn. 35). § 5a Abs. 5 gilt schon aufgrund seiner systematischen Stellung auch für die Bereitstellung der nach § 5a Abs. 3218 oder nach § 5a Abs. 4219 geschuldeten Informationen.220 Bei richtlinienkonformer Auslegung muss er zudem für § 5a Abs. 6 gelten, auch wenn die deutsche Umsetzung einen anderen Eindruck erweckt. Bei § 5a Abs. 4 kommt es zusätzlich darauf an, ob die dort in Bezug genommenen unionsrechtlichen Informationsgebote einen bestimmten Zeitpunkt oder Ort für die geschuldete Information vorschreiben. Dann ist diese Bestimmung vorrangig anzuwenden mit der Folge, dass bestimmte Werbeformen möglicherweise ihre Eignung für bestimmte geschäftliche Handlungen verlieren. 3. Räumliche und zeitliche Beschränkungen a) Räumliche Beschränkungen des Kommunikationsmittels liegen vor, wenn ein 84 Medium nur beschränkten Platz für verbale oder bildliche Informationen bietet. So liegt es bereits beim Fernsehsehschirm, der weitgehend ungeeignet für die Wiedergabe längerer Erläuterungstexte ist. Die Praxis, Blickfangwerbung im Fernsehen mit einem Sternchenhinweis zu versehen, der auf einen längeren Fußnotentext verweist, ist für dieses
_____
217 Steinbeck WRP 2006, 631, 635. 218 EuGH 26.10.2016 – C-611/14 – WRP 2017, 31 Tz. 71 – Canal Digital; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 6.2. 219 EuGH 12.5.2011 – C-122/10 – GRUR 2011, 930 Tz. 57 f. – Ving Sverige (Informationspflichten nach der Pauschalreiserichtlinie). 220 EuGH 12.5.2011 – C-122/10 – GRUR 2011, 930 Tz. 67 – Ving Sverige; EuGH 26.10.2016 – C-611/14 – WRP 2017, 31 Tz. 71 – Canal Digital; Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 6.2.
1055
Lindacher/Peifer
§ 5a
Irreführung durch Unterlassen
Medium untauglich. Will man § 5a Abs. 5 zeitgemäß auslegen, so wird man eine solche Form der Werbung für ungeeignet halten müssen. Einzig denkbar ist es, im Werbespot auf eine Internetquelle oder eine Servicerufnummer zu verweisen. Besonders starke räumliche Beschränkungen weisen alle Mobilgeräte mit kleineren Bildschirmen auf. Bei Zeitungen, Zeitschriften oder sonstigen Druckschriften wird die Norm dagegen seltener Anwendung finden. Sie ist jedenfalls nicht dazu gedacht, dem Unternehmer die Kosten für denjenigen Werberaum zu ersparen, den er benötigt, um die nach § 5a Abs. 2–4 geschuldeten Informationen zu vermitteln. Räumlich beschränkt können außerdem Internetpräsenzen sein, zumal auch hier die beschränkte Größe des Bildschirms umfassende Informationen hindert. Allerdings kann sich der Internetanbieter durch „Links“ behelfen und weitergehende Informationen auf tiefere Seiten verlagern. Hier kann die bisherige Rechtsprechung zur klaren und gut erreichbaren Angabe von Informationen fruchtbar gemacht werden. So wird ein über zwei Klicks erreichbarer Inhalt auf einer tieferen Seite noch als gut erreichbar angesehen.221 Funktional räumlich beschränkt sind auch Medien, die allein akustische Informationen vermitteln können, wie etwa der Hörfunk, nicht dagegen Plakatwerbung und die Werbung an den Außenfassaden des Ladenlokals oder im Ladenlokal selbst. 85
b) Zeitliche Beschränkungen treffen Werbespots in Fernsehen und Radio sowie Werbebotschaften über Short Message Services (SMS). Bei den Werbespots im Fernsehen geht es nicht darum, die Ausgaben des Werbekunden zu schonen, hier sorgen vielmehr Werbezeitbeschränkungen, denen die Sender selbst unterliegen, dafür, dass Spots nur in Blöcken und nur in beschränkter Zahl gebucht werden können (§§ 15 Abs. 1, 16 Abs. 2; 44 Abs. 2, 45 Abs. 1, Abs. 2 RStV). Zeitliche Beschränkungen vergleichbarer Art gibt es bei telefonischen Angeboten. Wer im (zulässigen) Telefonmarketing Angebote vorstellt, wird sich nicht nur aus Kostengründen, sondern auch zur Schonung der Aufmerksamkeit des Adressaten auf wenige und knapp gefasste Informationen beschränken müssen.
4. Anderweitige Mitteilung der unterbliebenen Angabe. Die unterbliebene Angabe ist zu ersetzen durch einen deutlich wahrnehmbaren, d.h. medienadäquaten Hinweis auf eine „Fundstelle“, wo die nach § 5a Abs. 2 bis Abs. 4 geschuldeten Informationen über entscheidungswesentliche Umstände einsehbar sind. Je nach Zielgruppe wird ein einprägsamer Hinweis auf eine Website genügen, sofern die dort gelagerten Informationen durch einfache und schnelle Navigation auffindbar sind (vgl. Rn. 84). Als keine ausreichende Aufklärung wurde es angesehen, wenn auf einer Über87 blicksseite für ein Basispaket mit hervorgehobenem Blickfangpreis geworben wurde, die Information darüber, dass der Basistarif auch durch externe Zugriffe von Nutzern erschöpft und dann zum ergänzenden Einzelvolumenpreis abgerechnet werde, aber erst auf einer mit „Leistungen im Detail“ bezeichneten Link gegeben wurde.222 Insbesondere wenn mit Blickfangangeboten geworben wird, können sich die Anforderungen an die anderweitige Mitteilung also erhöhen.223 Sofern sich die Angebote an einen Kundenkreis richten, der mit dem Medium altersbedingt oder erfahrungsbedingt nicht vertraut ist, genügt ein solcher Hinweis nicht. Hier hilft es nur, die wesentlichen Informationen je-
86
_____
221 BGH 20.7.2006 – I ZR 228/03 – GRUR 2007, 159, 160 – Anbieterkennzeichnung im Internet (zu § 312c Abs. 1 Satz 1 BGB mit § 1 Abs. 1 Satz 1 BGB-InfoV, § 10 Abs. 2 MDStV aF/§ 6 TDG aF = § 5 TMG bzw. § 55 Abs. 1 RStV). 222 OLG Hamburg 19.7.2006 – GRUR-RR 2007, 169, 172 – Webhosting-Angebote. 223 So explizit OLG Frankfurt 30.11.2006 – 6 U 24/06 – GRUR-RR 2007, 165, 167 – Sparpaket Surf + Phone.
Lindacher/Peifer
1056
D. Vorenthaltung des kommerziellen Zwecks einer geschäftlichen Handlung (Abs. 6)
§ 5a
weils dort zu platzieren, wo die geschäftliche Entscheidung getroffen wird, d.h. bei Fernbestellungen auf den Bestellscheinen oder im Katalogmaterial, bei Platzkäufen am Verkaufsort in räumlicher Nähe zur Ware. Anderweitige Hinweise können auch im Rahmen eines einheitlichen Formates gegeben werden. Bereits derzeit bietet die Möglichkeit der Sternchenwerbung eine Chance, besonders wichtige Flächen für den Werbeeffekt eines Slogans oder einer Schlagzeile zu reservieren und die Erläuterung in einen Fußnotentext zu verlegen. Peifer
D. Vorenthaltung des kommerziellen Zwecks einer geschäftlichen Handlung (Abs. 6) D. Vorenthaltung des kommerziellen Zwecks einer geschäftlichen Handlung (Abs. 6) I. Einleitung 1. Geschichtliche Entwicklung a) Bedeutung des Schutzes gegen Verschleierung. § 5a Abs. 6 gebietet es, den 88 kommerziellen Zweck einer geschäftlichen Handlung kenntlich zu machen. Die damit angesprochene Verhaltensweise betrifft einen Aspekt der Täuschung durch Angaben einerseits und des irreführenden Unterlassens andererseits. Ihr Anwendungsbereich liegt also zwischen § 5 Abs. 1 und § 5a. Die (häufig konkludente) täuschende Angabe kann darin bestehen, dass der Kommunizierende unter dem Anschein einer privaten, behördlichen, ideellen, journalistisch-redaktionellen oder wissenschaftlichen Tätigkeit auftritt, tatsächlich mit seinem Kommunikationsakt aber allein oder vorwiegend absatzfördernde Zwecke verfolgt. Das irreführende Unterlassen besteht darin, dass der unter solcher Tarnung Auftretende den absatzfördernden Zweck nicht offenlegt, also eine Information vorenthält, von der nicht von vornherein klar ist, ob sie für den Adressaten wesentlich ist. Daraus folgt einerseits, dass die eindeutige Offenlegung die Verdeckung beendet, andererseits, dass der Auftritt in kommerziellen Handlungsformen erst gar nicht zu einer Verdeckung führt.224 Die Bedeutung der Tarnung kommerzieller Aktivitäten ist hoch. Da Werbung 89 und sonstige geschäftliche Ansprachen beim Adressaten ein Abwehrverhalten („Reaktanz“) erzeugen können, 225 ferner geschäftliche Handlungen, insbesondere aber die Werbung in den Medien, vielfach besonderen Restriktionen unterliegen, die werbeneutrales Verhalten nicht treffen, schließlich verdeckte Werbung oft preisgünstiger als gebuchte Werbung ist,226 besteht eine Neigung, über Produkte und Dienstleistungen in nur scheinbar neutralem Gewand einseitig zu informieren oder für sie zu werben. Hinzu kommt, dass die Einbindung von Produkten in Unterhaltungs- und Informationsformate image- und bekanntheitsfördernd nicht nur für die unternehmerischen Güter und Leistungen, sondern auch für das Unternehmen selbst ist. Die Werbebranche folgt diesem Trend, indem sie verstärkt dafür sorgt, dass Werbung mehr ist als bloße Kaufaufforderung, sondern stattdessen dialogorientiert und kreativ selbst Unterhaltungs- und Informationscharakter erhält und hierüber authentischer wird. Werbeagenturen verändern ihre eigene Tätigkeit dahingehend, dass sie ihrerseits kreative Inhalte produzieren oder
_____
224 Ebenso MünchKommUWG/Heermann § 4 Nr. 3 Rn. 3. 225 Vgl. nur Beater FS Herrmann (2002) 85, 93 und aus marketingtheoretischer Sicht Kroeber-Riel/ Gröppel-Klein Konsumentenverhalten (2013) 291; Chang (2005). 226 R. Bork GRUR 1988, 264, 265 (mit Hinweis auf die gegenüber der Buchung von Blockwerbung verhältnismäßig günstige Produktplatzierung in Unterhaltungsformaten).
1057
Peifer
§ 5a
Irreführung durch Unterlassen
mitfinanzieren (sog. „Branded Entertainment“, „Native Advertising“)227 oder gar selbst den Versuch unternehmen, Werbezeiten en bloc zu buchen, die sie anschließend mit selbst produzierten Inhalten füllen.228 Diese Tendenz wirkt am deutlichsten im Bereich der Massenkommunikationsmittel, die der Unterrichtung und Unterhaltung, vor allem aber der Meinungsbildung dienen. Aber auch in der Direktkommunikation spielt die Tendenz zur Verdeckung kommerziell motivierter Ansprache eine wachsende Rolle. Sog. „Corporate Blogger“ werden im Internet eingesetzt, um eigene Produkte zu lancieren oder diese gegen Kritik zu verteidigen.229 Darunter finden sich vermehrt auch Privatpersonen, die mit Prämien, Gratisprodukten oder Gewinnspielen dazu angereizt werden, Bewertungen über Unternehmen oder deren Leistungen abzugeben, wobei die inhaltliche Unabhängigkeit durch die gewährten Prämien beeinträchtigt wird.230 „Influencer“, Privatpersonen, die ihr Leben auf Sozialen Medien durch die Platzierung von Texten und/oder Fotos, nicht nur mit ihren engen Freunden, sondern oft auch mit einem großen Publikum teilen, werden von Unternehmen gezielt angesprochen und mit Gratisprodukten versorgt, wobei sich damit die Hoffnung verbindet, dass diese Produkte hernach im Blog oder im Sozialen Mediendienst dargestellt oder auch besprochen, idealerweise gelobt werden.231 Das Recht versucht, dem durch Transparenzpflichten zu begegnen.232 Obgleich in der Marketingliteratur durchaus umstritten ist, ob getarnte Werbepraktiken bessere Aufmerksamkeits- und höhere Kaufanreizwirkungen erzielen als offene geschäftliche Ansprachen,233 sieht das Wettbewerbsrecht in diesem Bereich durchaus berechtig-
_____
227 Dazu aus betriebswirtschaftlicher und werbetechnischer Sicht F. Huber Let Us Entertain You: eine empirische Analyse der Erfolgsfaktoren für Branded Entertainment (2008); Schmalz Werbung als Unterhaltung: wie Branded Entertainment und Advertainment Werbung mit Unterhaltung verschmelzen (2007); Tsvetkova Let us entertain you: branded entertainment als neuer Hoffnungsträger der Werbebranche in der digitalen Zukunft (2007); Lehu Branded entertainment: product placement and brand strategy in the entertainment business (2007); Duttenhöfer Branded Entertainment: Grundlagen – Definition – Beispiele unter besonderer Berücksichtigung des Kurzfilms als Branded-EntertainmentProdukt (2006). 228 Dies wird möglicherweise verstärkt durch die kartellrechtlich mittlerweile beschränkte Praxis der Vergabe von Werbefreiräumen oder -zeiten als Naturalrabatte an die Werbeagenturen, vgl. Pressemeldung des BKartA vom 30.11.2007 „216 Mio. Euro Geldbuße gegen Werbezeitenvermarkter von RTL und Pro7Sat.1“. 229 Julia Löhr Werbung war einmal, FAZ v. 30.12.2011, S. 11; zu fingierten Bewertungen auf Internetplattformen LG Hamburg 24.4.2012 – 312 O 715/11 – NJW-RR 2012, 1001 (nicht kenntlich gemachte Unternehmensbewertung durch Mitarbeiter des Unternehmens) m. Anm. Schirmbacher GRUR-Prax 2012, 309; A. Ahrens/Richter WRP 2001, 814; Vonhoff MMR 2012, 571, 572; vgl. auch Harte/Henning/Frank § 5a Rn. 365 ff. mit weiteren Hinweisen. 230 OLG Frankfurt 22.2.22019 – 6 W 9/19 – WRP 2019, 643. 231 Dazu Lettmann GRUR 2018, 1206; Ahrens GRUR 2018, 1211; Peifer GRUR 2018, 1218; illustrative Beispielsfälle finden sich bei KG 8.1.2019 – 5 U 83/18 – ZUM-RD 2019, 135 (Fall „Vreni Frost“; Sachverhalt etwas genauer in Vorinstanz LG Berlin 24.5.2018 – 52 O 101/18 – ZUM-RD 2019, 159); OLG Braunschweig 8.1.2019 – 2 U 89/18 – MD 2019, 276; LG Hagen 13.9.2017 – 23 O 30/17 – GRUR-RR 2018, 510 (Modeblog), zusammenfassende Hinweis zu den Kennzeichnungspflichten bei Leeb/Maisch ZUM 2019, 29. 232 Dazu mit Beispielen zu Hotelbewertungsportalen Ahrens/Richter WRP 2011, 814 mit Hinweis auf den Fall A&O Hostel/Holidaycheck, der vor dem LG Hamburg verhandelt und über den im Hamburger Abendblatt vom 9.3.2010 berichtet wurde, einsehbar unter: http://www.abendblatt.de/reise/article 1413068/Gefaelschte-Hotel-Bewertungen-Klage-gegen-Internetportale.html. Zur Haftung des Portalbetreibers für unrichtige Angaben BGH 25.10.2011 – VI ZR 93/10 – BGHZ 191, 219 (Meinungsportal); LG Hamburg 1.9.2011 – 327 O 607/10 – WRP 2012, 94; Vonhoff MMR 2012, 571, 572. 233 Vgl. einerseits Berndt Handbuch Marketing-Kommunikation (1993) 678; andererseits Kroeber-Riel/ Gröppel-Klein Konsumentenverhalten (2013) S. 291; Felser S. 353; zusammenfassend zu den Einflussfaktoren der Wirkung von Produktplatzierungen Balasubramanian/Karrh/Patwardhan 35 Journal of Advertising 115–141 (2006).
Peifer
1058
D. Vorenthaltung des kommerziellen Zwecks einer geschäftlichen Handlung (Abs. 6)
§ 5a
ten Anlass, eine Gefährdung für Marktprozesse zu vermuten und die Irreführungsrelevanz verdeckter Werbung durch ein besonderes Verbot zu betonen. Die Marketinggeschichte verweist auf frühe Bespiele verdeckter geschäftlicher 90 Handlungen im medialen Gewand. So wird behauptet, dass der Schriftsteller Jules Verne von Reiseveranstaltern um namentliche Erwähnung in seinem Roman „Reise um die Erde in 80 Tagen“ (1873) angegangen wurde.234 Das Medium Film soll von Beginn an sehr anfällig für kommerzielle Botschaften gewesen sein.235 Die Beispiele für Produktplatzierungen in den massenattraktiven Hollywood-Formaten seit der Stummfilmzeit sind Legion.236 Manche Filmreihen wie die James Bond-Formate sind geradezu Vorführflächen für bestimmte Produktreihen, wie etwa sportliche Automobile.237 Im Jahr 2011 wurde mit der Satire „The Greatest Movie Ever Sold“ der Versuch unternommen, die Produktionskosten eines Filmes vollständig durch den Einsatz kommerzieller Botschaften zu finanzieren.238 Auch die nur für das Fernsehen produzierten Spielfilme und Unterhaltungsformate unterliegen einem erheblichen Druck, der Co-Finanzierung durch kommerzielle Unternehmen zu widerstehen.239 Wegen des hohen interaktiven Involvements der Nutzer sind zudem Computerspiele auf Trägermedien oder in Online-Formaten besonders anfällig für verdeckte geschäftliche Handlungen.240 Berichtet wird über Versuche, verdeckte Werbeauftritte im öffentlichen Straßenraum zu zelebrieren, so die Aktion des USamerikanischen „Spin-Doctors“ Edward Bernays,241 der in den 1920er Jahren weibliche Modelle auf der New Yorker Fifth Avenue mit bewusst provokant zur Schau getragenen Zigaretten flanieren und Passanten kontaktieren ließ, um Zigaretten als „torches of freedom“ auch für Frauen attraktiv erscheinen zu lassen.242 Nicht einmal das klassische Bühnenschauspiel243 und die bildende Kunst244 bleiben von diesen Entwicklungen verschont. Ein frühes Thema für die Rechtsprechung in Deutschland war auch die Verwen- 91 dung wissenschaftlicher Gutachten in der Produktwerbung, wenn nicht deutlich gemacht wurde, ob und inwieweit die Expertise unabhängig zustande gekommen war oder vom werbenden Unternehmer finanziert wurde.245 Nach dem Zweiten Weltkrieg begann erstmals die gedruckte Presse, aber auch die Werbeindustrie damit, sich Selbstverpflichtungen für die Vermeidung, jedenfalls aber die Kennzeichnung kommerziell motivierter redaktioneller Beiträge aufzuerlegen (unten Rn. 124). Im Rundfunkbereich wurde die Problematik insbesondere nach Aufkommen des Privatfernsehens immer dichter gesetzlich geregelt (unten Rn. 118). Ausgehend davon wurde das Verbot getarnter
_____
234 So William Butcher Einführung zur Ausgabe des Jules Verne-Romans in den Oxford World Classics (1995); vgl. im Übrigen zum Product Placement in Büchern Bertram 2008; zur Gebrauchs- und Ratgeberliteratur BGH 13.11.1951 – I ZR 44/51 – GRUR 1952, 416 (Einkochbüchlein als Flankierung des Vertriebs von Einkochgefäßen). 235 Zu den frühen Dokumentationsformaten und den bei audiovisuellen Medien stets vorhanden gewesenen kommerziellen Tendenzen: Gurevitch 11 Journal of Television and New Media 367–385 (2010). 236 Vgl. Asche; Schultze; Segrave. 237 Tata Product Placement in James-Bond-Filmen (2006). 238 Regie: Morgan Spurlock, Sony Pictures Classics (2011). 239 Vgl. die Beispiele bei Chr. Fuchs (2005). 240 Segrave S. 152; Grabowiecki/Halff. 241 Zu ihm Tyes The Father of Spin – Edward L. Bernays and the Birth of Public Relation (1988). 242 Berichtet bei Gore The Assault on Reason (2007) 94. 243 Zum Product Placement im Bühnenbereich Griesebner (2002). 244 Zum Product Placement im Kunstbereich Heuking (2003). 245 RG 16.10.1934 – II 121/34 –GRUR 1935, 55, 59; RG 17.3.1936 – II 239/35 – GRUR 1937, 60, 63; RG 30.3.1938 – II 159/37 – GRUR 1938, 790, 796; ferner BGH 17.11.1960 – I ZR 78/59 – GRUR 1961, 189 – Rippenstreckmetall I; BGH 10.1.1968 – Ib ZR 43/66 – BGHZ 5, 1 = GRUR 1968, 645 – Pelzversand.
1059
Peifer
§ 5a
Irreführung durch Unterlassen
kommerzieller Botschaften im UWG auf alle Medien erweitert (unten Rn. 97). Es erfasst die Einladung zu einer als „Filmvorführung“ ausgewiesenen Werbeveranstaltung,246 die Verwendung wissenschaftlicher Gutachten in der Presse zu Absatzförderungszwecken,247 von der Presse selbst veranlasste redaktionelle Beiträge mit absatzfördernder Tendenz,248 die Verwendung von Produkten und Kennzeichen in Kinofilmen,249 das Sponsoring von im Rundfunk übertragenen Sportveranstaltungen250 und die Produktplatzierung in Sendungen mit Bericht- und Unterhaltungscharakter.251 b) Gesetzesgeschichte 92
aa) UWG 1896 bis UWG 2000. § 4 Nr. 3 UWG heutiger Fassung hat kein Pendant im UWG 1896 bis 2000. Ein ausdrückliches Verbot verdeckter geschäftlicher Handlungen fehlte im UWG vor 2004.252 Die sog. getarnte Werbung wurde aber sowohl unter § 3 a.F. als auch unter § 1 a.F. gefasst und mit diesen beiden Vorschriften richterrechtlich ausgeformt.253 Insbesondere in den die Presse betreffenden Fällen wurde das Verbot damit gerechtfertigt, dass verdeckte kommerzielle Botschaften wegen der drohenden Irreführung der Rezipienten und der Gefährdung der „Unabhängigkeit verantwortungsbewusster redaktioneller Arbeit“ unlauter seien.254 Ursprünglich wurde auch argumentiert, „Schleichreklame“ sei mit dem Gebaren eines anständigen Kaufmanns nicht vereinbar.255 In neuerer Zeit wurde das Verbot auf einen Wahrheitsgrundsatz zurückgeführt, dem das gesamte UWG unterliege.256 Die doppelte Verankerung des Verbots in § 1 und § 3 a.F. wurde gesucht, weil bei getarnten Handlungen nicht eindeutig ist, ob der Rezipient überhaupt in marktrelevanter Weise beeinflusst wird,257 und weil § 3 a.F. nur Werbung, nicht aber auch sonstige geschäftliche Handlungen im Vor- oder Umfeld einer geschäftlichen Transaktion erfasste. Die Tarnungsverbote in den Massenmedien verstärkten die Tendenz, als Schutzsubjekte im UWG nicht nur die Adressaten, sondern auch die
_____
246 BGH 23.3.1962 – I ZR 138/60 – GRUR 1962, 461, 465 – Werbeveranstaltung mit Filmvorführung. 247 BGH 17.11.1960 – I ZR 78/59 – GRUR 1961, 189, 191 – Rippenstreckmetall. 248 BGH 14.12.1966 – Ib ZR 125/64 – GRUR 1967, 362, 365 – Spezialsalz; entsprechend bei Fachzeitschriften BGH 7.6.1967 – Ib ZR 34/65 – GRUR 1968, 382, 384 – Favorit II; BGH 30.4.1997 – I ZR 196/94 – GRUR 1997, 912, 913 – Die Besten I. 249 BGH 6.7.1995 – I ZR 58/93 – BGHZ 130, 205 = GRUR 1995, 744, 747 – Feuer, Eis & Dynamit I; BGH 6.7.1995 – I ZR 2/94 – GRUR 1995, 750 – Feuer, Eis & Dynamit II; dazu Henning-Bodewig GRUR 1996, 321. 250 BGH 19.3.1992 – I ZR 64/90 – GRUR 1992, 518, 521 – Ereignis-Sponsorwerbung. 251 Vgl. den österreichischen Fall ÖOGH 20.9.1992 – 4 Ob 79/92 – GRUR Int. 1993, 503 – Römerquelle II. 252 H.J. Ahrens GRUR 1995, 307, 308. 253 BGH 15.5.1968 – I ZR 17/66 – GRUR 1968, 648 – Farbbildangebot (§ 1 UWG); BGH 18.2.1993 – I ZR 219/91 – GRUR 1993, 566 – Faltenglätter (§ 3 UWG); §§ 1, 3 UWG gleichermaßen: erstmals OLG Celle, 3.7.1957 – 3 U 10/56 – GRUR 1958, 191; ebenso OLG Köln 16.10.1970 – 6 U 74/70 – AfP 1971, 74 m. Anm. H. Schneider; OLG Düsseldorf 26.10.1978 – 2089/78 – GRUR 1979, 165; OLG Hamm 2.5.1985 – 4 U 54/85 – WRP 1985, 655, 656; OLG Saarbrücken 11.2.1987 – 1 U 1/85 – WRP 1987, 507, 508 (§§ 1, 3 UWG); Lutz AfP 1969, 832, 833; Hefermehl AfP 1971, 111 f.; Rodekamp GRUR 1978, 681, 685; Wollemann WRP 1979, 679, 683; Kohl AfP 1984, 201, 208; Piper FS Vieregge (1995) 715, 725. 254 Vgl. OLG Celle 3.7.1957 – 3 U 10/56 – GRUR 1958, 191. 255 OLG Dresden 2.11.1935 – 5 O 40/33, zit. bei Lutz AfP 1969, 832, 835. 256 BGH 6.7.1995 – I ZR 58/93 – BGHZ 130, 205 = GRUR 1995, 744, 747 – Feuer, Eis & Dynamit I; zust. Fezer/Büscher/Obergfell/Hoeren § 5a Rn. 196; Lehmler § 4 Nr. 3 Rn. 1. 257 Dagegen Henning-Bodewig GRUR Int. 1987, 538, 546 (die deswegen nur § 1 UWG anwenden möchte); Schricker/Lehmann Werbung und unlauterer Wettbewerb, Nr. 3.4.1.5 und 3.4.1.6.5; vgl. auch die vorsichtige Annahme einer Vermutung hierfür in BGH 14.12.1966 – Ib ZR 125/64 – GRUR 1967, 362, 365 – Spezialsalz m. zust. Anm. Bauer.
Peifer
1060
D. Vorenthaltung des kommerziellen Zwecks einer geschäftlichen Handlung (Abs. 6)
§ 5a
Allgemeinheit mit ihrem Interesse an unbeeinflusster redaktioneller Arbeit in den Massenmedien zu sehen. Damit ergibt sich aus heutiger Sicht auch eine Schnittstelle zu § 4 Nr. 11, vor allem aber zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften zum Schutz von Meinungsvielfalt und Ausgewogenheit in den Massenmedien.258 Ausdrückliche Verbote der Tarnung von Werbung tauchten erstmals in der Werbe- und Presseselbstkontrolle (unten Rn. 124 ff.) und der Rundfunkgesetzgebung auf. In der richterrechtlichen Praxis überwogen seit den 1950er Jahren absatzfördernde redaktionelle Artikel in der gedruckten Presse.259 Die Wende hin zum ausdrücklichen medien- und diensteübergreifenden speziellen Verbotstatbestand vollzog erstmals die E-CommerceRL mit ihrem Art. 6 lit. a (unten Rn. 96). Im Grunde war das Verbot zu diesem Zeitpunkt aber auch richterrechtlich bereits zu einem medienübergreifenden Verbot erstarkt. bb) UWG-Modernisierung 2004. Eine ausdrückliche Vorschrift, welche die klare 93 Erkennbarkeit von Werbung im UWG generell vorschrieb, wurde erstmals durch die UWG-Modernisierung 2004 mit dem damaligen § 4 Nr. 3 eingeführt. Die Norm war nahezu inhaltsgleich mit dem Entwurf der Arbeitsgruppe Unlauterer Wettbewerb, die beim Bundesministerium der Justiz eingesetzt worden war, um den Entwurf eines UWG vorzubereiten.260 Dort wurde das Verbot in einem Art. 4 § 4 Nr. 7 unter der Überschrift „Beispiele unlauteren Wettbewerbs gegenüber der Marktgegenseite, insbesondere den Verbrauchern“ wie folgt formuliert: „Unlauter handelt insbesondere wer […] 7. den werblichen Charakter von Wettbewerbshandlungen verschleiert.“ In der endgültigen Fassung wurde nur eine sprachliche Korrektur vorgenommen, so dass aus dem „werblichen Charakter“ der heutige „Werbecharakter“ wurde. Diskutiert wurde im Gesetzgebungsverfahren weder die Entwurfsfassung noch die erwähnte sprachliche Änderung. Die Begründung des Regierungsentwurfs weist darauf hin, dass mit § 4 Nr. 3 a.F. das medienrechtliche Schleichwerbungsverbot (dazu unten Rn. 107 f.) auf alle Formen der Werbung erstreckt wurde. Gleichzeitig wurde die Tarnung sonstiger Wettbewerbshandlungen in das Verbot einbezogen.261 Als Beispiel für getarnte Wettbewerbshandlungen nennt der RegE die Gewinnung von Adressen unter Verschweigen des Umstandes, dass diese Adressengewinnung kommerziellen Zwecken dient.262 Die Kodifikation hat insgesamt nicht zu einer grundlegenden Änderung der Rechtslage vor 2004 geführt.263 Allerdings wurden die bisher unter §§ 1, 3 aufgeteilten Verbote dadurch zusammengefasst, dass § 4 Nr. 3 UWG 2004 nicht mehr auf Werbung beschränkt blieb, sondern alle Wettbewerbshandlungen einbezog.264 Unklar ist, ob die Tarnung von Werbung im Rundfunk, die auch gegen die dortigen spezialgesetzlichen Verbote verstößt, noch unter § 4
_____
258 BGH 19.3.1992 – I ZR 64/90 – BGHZ 117, 353 = GRUR 1992, 518, 521 – Ereignis-Sponsoring; BGH 22.2.1990 – I ZR 78/88 – BGHZ 110, 278 = GRUR 1990, 611, 615 – Werbung im Programm; Piper FS Vieregge (1995) 715, 725 und nach neuem Recht BGH 1.7.2010 – I ZR 161/09 – GRUR 2011, 163 Tz. 24 – Flappe: § 4 Nr. 11 i.V.m. den Kennzeichnungspflichten der Landespressegesetze. 259 BGH 7.6.1967 – Ib ZR 34/65 – GRUR 1968, 382 – Favorit II; BGH 14.12.1966 – I B ZR 125/64 – GRUR 1967, 365 – Spezialsalz; OLG Celle 3.7.1957 – 3 U 10/56 – GRUR 1958, 191; LG Düsseldorf 4.6.1962 – 4 O 374/61 – WRP 1963, 17; Baumbach/Hefermehl UWG, 9. Aufl. (1964) § 1 Rn. 9; Schneider AfP 1964, 446. 260 Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig WRP 2002, 1317, 1319 (hervorgegangen aus den Erörterungen der Arbeitsgruppe Wettbewerbsrecht beim BMJ, in WRP 2002 jedoch als persönliche Meinung der Verfasser gekennzeichnet). 261 RegE 2003 S. 17. 262 AaO. 263 OLG Hamburg 14.4.2005 – 5 U 96/04 – GRUR-RR 2006, 15, 16; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 5a Rn. 7.1; Lehmler § 4 Rn. 2; Henning-Bodewig GRUR 2004, 713, 717; Köhler NJW 2004, 2121, 2123. 264 Köhler/Bornkamm/Feddersen § 5a Rn. 7.2.
1061
Peifer
§ 5a
Irreführung durch Unterlassen
Nr. 11 a.F. (heute § 3a) fällt (dazu unten Rn. 120).265 Eine gewisse Rechtsänderung hat sich bereits vor 2004 dadurch abgezeichnet, dass die Erkennbarkeit des Werbecharakters heute nicht mehr generell nach dem Leitbild des flüchtigen Rezipienten erfolgt.266 Die Änderung des sog. Verbraucherleitbildes267 hat auch bei § 4 Nr. 3 dafür gesorgt, dass die Gerichte nunmehr prüften, ob auch der durchschnittlich aufmerksame und verständige Rezipient die Verschleierung erkennen kann.268 Ausdrücklich strengere Maßstäbe gelten nur noch bei der Ansprache von Kindern269 und geschäftlich unerfahrenen Personen (vgl. § 3 Abs. 4, unten Rn. 177). 94
cc) UWG-Reform 2008. Größere Änderungen hat die UWG-Reform 2008 gebracht. Für entgeltfinanzierte Schleichwerbung in den Medien wurde ein Per se-Verbot durch § 3 Abs. 3 i.V.m. Nr. 11 des Anhangs eingeführt (vgl. die dortige Kommentierung). Der Begriff der „Wettbewerbshandlung“ wurde durch den der „geschäftlichen Handlung“ ersetzt, so dass nunmehr auch Verhaltensweisen im Vor- und Umfeld des Vertragsschlusses einbezogen werden, wenn diese sich nicht an die Allgemeinheit, sondern nur an einen prospektiven Vertragspartner richten. Im Übrigen blieb der Wortlaut des § 4 Nr. 3 unverändert. Unberücksichtigt blieb, dass die UGPRL das Tarnungsverbot keineswegs nur auf Handlungen mit Werbecharakter bezieht, sondern sämtliche kommerziellen Zwecke darunter fasst. Der Begriff des Werbecharakters darf daher nicht zu eng verstanden werden.270 Das UWG hat diese wichtige Erweiterung durch die UGPRL im Übrigen nicht nachvollzogen,271 ein Manko, das durch richtlinienkonforme Auslegung zu korrigieren ist (unten Rn. 99).
95
dd) UWG-Reform 2015. Die UWG-Reform 2015 erfolgte, um die richtlinienkonforme Umsetzung des Art. 7 Abs. 2 UGP-RL herzustellen. Dabei wurde erst in der letzten Phase des Gesetzesverfahrens vom Rechtsausschuss vorgeschlagen, den § 4 Nr. 3 zu streichen und die verbraucherbezogene Regelung des Informationsgebotes in § 5a, gewissermaßen an nächstbereiter Stelle, also in einem Absatz 6 vorzunehmen. Die Begründung geht davon aus, dass „der Regelungsgehalt (des § 4 Nr. 3 UWG 2008) sich nunmehr in § 5a und
_____
265 Dafür vor 2004 (zu § 1 a.F.) BGH 19.3.1992 – I ZR 64/90 – BGHZ 117, 353 = GRUR 1992, 518, 521 – Ereignis-Sponsoring; BGH 22.2.1990 – I ZR 78/88 – BGHZ 110, 278 = GRUR 1990, 611, 615 – Werbung im Programm, Piper FS Vieregge (1995) 715, 725. 266 So noch BGH 16.2.1989 – I ZR 72/87 – GRUR 1989, 516, 518 – Vermögensberater; BGH 8.10.1987 – I ZR 184/85 – GRUR 1988, 130, 131 – Verkaufsreisen (flüchtiger Betrachter); BGH 29.3.1974 – I ZR 15/73 – GRUR 1975, 75, 77 – Wirtschaftsanzeigen – public relations; OLG Hamm 2.5.1985 – 4 U 54/85 – WRP 1985, 655, 656 (flüchtiger Durchschnittsleser); OLG Köln 16.10.1970 – 6 U 74/70 – AfP 1971, 74; ebenso die ZAWRichtlinien für redaktionell gestaltete Anzeigen vom 9.6.1964, WRP 1964, 341 Ziff. 1 (flüchtiger Durchschnittsbetrachter) und Ziff. 2 und 3; zust. Hefermehl AfP 1971, 111, 112; H. Schneider Anm., AfP 1971, 75. 267 Vgl. in Deutschland BGH 21.2.2002 – I ZR 281/99 – GRUR 2002, 902,905 – Vanity-Nummer; BGH 19.9.2001 – I ZR 54/96 – GRUR 2002, 160, 162 – Warsteiner III; BGH 17.5.2001 – I ZR 216/99 – BGHZ 148, 1 = GRUR 2001, 1061, 1063 – Mitwohnzentrale.de; BGH 17.2.2000 – I ZR 239/97 – GRUR 2000, 820, 821 – SpaceFidelity-Peep-Show; BGH 20.10.1999 – I ZR 167/97 – GRUR 2000, 619, 621 – Orient-Teppichmuster. 268 OLG Hamburg 8.5.2003 – 5 U 175/02 – NJW-RR 2004, 196, 197; Köhler/Bornkamm/Feddersen § 5a Rn. 7.24. 269 Benz WRP 2003, 1160, 1172; Böhme-Neßler ZUM 2001, 547 551; zur Adressierung junger Erwachsener BGH 16.2.1989 – I ZR 72/87 – GRUR 1989, 516 (Kundenzeitschrift, die sich an junge Verbraucher richtet). 270 MünchKommUWG/Heermann § 4 Nr. 3 Rn. 1; berechtigte Kritik insoweit bei Köhler/Bornkamm/ Feddersen § 5a Rn. 7.2. 271 Vgl. Götting/Nordemann/Hasselblatt § 5a Rn. 210; a.A. Lehmler § 4 Nr. 3 Rn. 3, wonach § 4 Nr. 3 hinter den Richtlinienvorgaben nicht zurückbleibe; ebenso Köhler GRUR 2005, 793, 798; Seichter WRP 2005, 1087, 1093.
Peifer
1062
D. Vorenthaltung des kommerziellen Zwecks einer geschäftlichen Handlung (Abs. 6)
§ 5a
dort zum Schutz von Verbrauchern insbesondere in Absatz 6 findet“.272 Das zeigt, dass im Verbraucherverhältnis ein echtes Informationsgebot besteht, die Nichtkenntlichmachung also als irreführendes Unterlassen anzusehen ist. Im B2B-Verhältnis ist die Frage ungeklärt. Denkbar ist es, eine Tarnung als irreführende produktbezogene Angabe gem. § 5 Abs. 1 S. 1 anzusehen. So mag es liegen, wenn Ärzte von einem Marktforschungsunternehmen über Behandlungsmethoden befragt werden, tatsächlich die Befragung aber im Auftrag von Pharmaunternehmen erfolgte, also auch Werbecharakter hatte.273 In manchen Fällen wird die Sanktionierung medienrechtlicher Spezialverbote für getarnte redaktionelle Inhalte über § 3a abwehrbar sein.274 Doch stellt sich die Frage, ob dieser Fall nicht auch im B2B-Verhältnis passender in § 5a Abs. 1275 (mit der Kenntlichmachung als Informationsgebot) anzusiedeln oder eine analoge Anwendung des § 5a Abs. 6276 in Betracht zu ziehen ist. In Betracht gezogen wird auch ein Rückgriff auf § 3 Abs. 1.277 Vorzugswürdig ist der Rückgriff auf § 5a Abs. 6, mag auch die direkte Anwendung durch den Wortlaut gesperrt und die Analogie angesichts der noch jungen Regelung gewagt sein. Die Gesetzesbegründung scheint das Problem im Ansatz gesehen, allerdings methodisch nicht allzu sehr reflektiert zu haben. Wenn die Begründung argumentiert, dass § 4 Nr. 3 aufgehoben wurde, „da der Regelungsgehalt sich nunmehr in § 5a und dort zum Schutz von Verbrauchern insbesondere in Absatz 6 findet“,278 zeigt dies, dass die Vorenthaltung wesentlicher Informationen als Grundgedanke auch im B2B-Verkehr eine Rolle spielt und kommerzielle Zwecke auch im B2B-Verkehr als wesentlich angesehen werden. Da die Korrektur erst im Rechtsausschuss erfolgte und nicht mehr intensiv beraten wurde, spricht manches für eine versehentliche Verkürzung des Problems, also letztlich vieles für die analoge (dann aber auch B2B entsprechende flexible) Anwendung des § 5a Abs. 6. Dieser Kommentar behandelt aus diesem Grunde den gesamten Komplex der irreführenden Vorenthaltung unter § 5a Abs. 6. c) Unionsrechtliche Vorgaben aa) E-CommerceRL. Die IrreführungsRL 2006 schließt es nicht aus, die Vorenthal- 96 tung von Informationen über den kommerziellen Charakter von werbebezogenen Handlungen als konkludente Irreführung zu behandeln. Eine ausdrückliche Transparenzpflicht für solche Handlungen stellt sie aber nicht auf. Erstmals wurde eine solche Pflicht durch Art. 6 lit. a der E-CommerceRL eingeführt. Danach müssen kommerzielle Kommunikationen als solche klar zu erkennen sein. Da die Richtlinie aber nur für „Dienste der Informationsgesellschaft“ gilt (Art. 1 Abs. 2 E-CommerceRL) und solche Dienste nur „in der Regel gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz und auf individuel-
_____
272 Wenn auch unter Vernachlässigung des dort (versehentlich?) auf die Verbraucheransprache beschränkten Anwendungsbereichs BTDrucks. 18/6571, S. 15. 273 OLG Oldenburg 24.11.2015 – 1 U 49/05 – GRUR-RR 2006, 239 (dort als belästigende Werbung behandelt). 274 BGH 6.2.2014 – I ZR 2/11 – GRUR 2014, 879 – GOOD NEWS II (Landespressegesetze als Marktverhaltensnormen), potentiell auch noch BGH 22.2.1990 – I ZR 78/88 – GRUR 190, 611 – Wer erschoss Boro (Rundfunkstaatsvertrag) m. Bspr. Sack WRP 1990, 791; Bork ZUM 1991, 51; ferner BGH 6.7.1995 – I ZR 58/93 – BGHZ 130, 205 = GRUR 1995, 744 – Feuer, Eis & Dynamit m. Anm. Henning-Bodewig GRUR 1996, 321. 275 Alexander K&R 2016, 73, 78. 276 Dafür Köhler/Bornkamm/Feddersen Rn. 2.16 und Rn. 7.9; a.A. Fezer/Büscher/Obergfell/Hoeren Rn. 197. 277 So Fezer/Büscher/Obergfell/Hoeren Rn. 197. 278 Wenn auch unter Vernachlässigung des dort (letztlich doch versehentlich?) auf die Verbraucheransprache beschränkten Anwendungsbereichs BTDrucks. 18/6571, S. 15.
1063
Peifer
§ 5a
Irreführung durch Unterlassen
len Abruf eines Empfängers erbrachte Dienstleistung[en]“279 sind, werden von dem Gebot nur elektronischer Geschäftsverkehr, Fernabsatz und individuelle Abrufdienste erfasst. Ausdrücklich ausgenommen sind Fernsehen (einschließlich Near-Video-On-Demand) und Hörfunk, ebenso nicht nur virtuell vollzogene Geschäfte wie die Buchung von Flugdiensten in Reisebüros, die Inanspruchnahme von Geldausgabe- und Fahrgeldautomaten sowie bestimmte Telefondienste (Anwälte, Ärzte, Direktwerbung).280 Ein generelles Transparenzgebot für geschäftlich motivierte Kommunikation enthält die Richtlinie daher nicht. Allerdings gelten die für den elektronischen Geschäftsverkehr aufgestellten Transparenzgebote für Dienste der Informationsgesellschaft sowohl im Unternehmensbereich (B2B-) als auch in der Verbraucheransprache (B2C-Sektor). Spezialgesetzlich umgesetzt sind sie in § 6 Abs. 1 TMG (unten Rn. 181). Im Verfahren der UWG-Modernisierung 2004 wurde Art. 6 lit. b E-CommerceRL maßgebliches Argument für die Regelung in § 4 Nr. 3 UWG 2004.281 bb) UGPRL. Die UGPRL hat das Transparenzgebot aus Art. 6 lit. b E-CommerceRL aufgegriffen und für den Bereich der verbraucherbezogenen Ansprache (B2C-Bereich) medienunabhängig ausgestaltet, also zu einem generellen Verbot ausgebaut. Die Richtlinie hat damit das Nichtkenntlichmachen des kommerziellen Zwecks einer Geschäftspraxis als irreführendes Unterlassen klassifiziert (Art. 7 Abs. 2 UGPRL).282 Diese Festlegung ist deshalb wichtig, weil das Transparenzgebot mit ihr für jedes kommerzielle Angebot festgeschrieben wird. Auch in Konstellationen, in denen der Unternehmer gegenüber dem Verbraucher nicht bereits schlüssig erklärt, kein Unternehmer zu sein, also konkludent (und damit durch eine positive, wenn auch verdeckte Angabe) täuscht, gilt die Pflicht. 98 Hinzu kommt, dass Art. 7 Abs. 1 UGPRL Informationsgebote nur für „wesentliche Informationen“ begründet, „die der durchschnittliche Verbraucher je nach den Umständen benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen“. Indem Art. 7 Abs. 2 UGPRL festlegt, dass es „als irreführendes Unterlassen gilt […], wenn ein Gewerbetreibender […] den kommerziellen Zweck der Geschäftspraxis nicht kenntlich macht, sofern er sich nicht unmittelbar aus den Umständen ergibt“, wird klargestellt, dass der kommerzielle Zweck einer Kommunikation stets wesentliche Angabe ist. Der im deutschen Recht gelegentlich geführte Streit darüber, ob in solchen Fällen überhaupt getäuscht wird (oben Rn. 92, unten Rn. 204),283 hat sich damit in den durch die Richtlinie geregelten Bereichen erledigt. Dies spielt auch für den B2C-Bereich eine Rolle. Soweit § 4 Nr. 3 UWG 2008 nun in § 5a verlagert wurde (oben Rn. 95), ist dies als Kodifizierung eines irreführenden Unterlassens zu verstehen. Zu fragen ist dann aber, ob nicht auch im B2BVerhältnis die Nichtkenntlichmachung eine wesentliche Information vorenthält, also der Unterschied zwischen § 5a Abs. 1 und § 5a Abs. 6 insoweit zusammenschmilzt. Die UGPRL hat klargestellt, dass ein Tarnungsverbot nicht auf Werbung be99 schränkt ist, sondern jede Geschäftspraktik erfasst. Es geht nicht mehr nur um ein Schleichwerbeverbot, sondern um das Gebot zur deutlichen Positionierung des Kommu97
_____
279 Art. 2 lit. a E-CommerceRL verweist auf Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 98/34/EG über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Verfahren in der Fassung durch die Richtlinie 98/46/EG, ABl. EG L 217 v. 5.8.1998, S. 18. 280 Der Ausschlusskatalog findet sich in Anhang V der in der vorgenannten Fn. zitierten Richtlinie. 281 Köhler/Bornkamm/Henning-Bodewig WRP 2002, 1317 Nr. 15, die zudem auf Art. 10 Abs. 1 der Fernsehrichtlinie 1989/1997 hinweisen. 282 MünchKommUWG/Heermann § 4 Nr. 3 Rn. 6; Henning-Bodewig GRUR Int. 2005, 629, 632; unklar Gloy/Loschelder/Erdmann/Bruhn § 4 Nr. 10 Rn. 12. 283 Henning-Bodewig GRUR Int. 1987, 538, 546.
Peifer
1064
D. Vorenthaltung des kommerziellen Zwecks einer geschäftlichen Handlung (Abs. 6)
§ 5a
nikators in Fällen, in denen seine Tätigkeit den privaten, ideellen, behördlichen, journalistisch-redaktionellen oder wissenschaftlichen Bereich verlässt. Das entspricht der Festlegung in der E-CommerceRL. Damit bestehen bindende unionsrechtliche Vorgaben im Bereich des elektronischen Geschäftsverkehrs und im B2C-Bereich. Eine weitere Vorgabe macht Art. 7 Abs. 2 UGPRL hinsichtlich der Frage, wann der 100 geschäftliche Zweck nicht kenntlich gemacht wird. Es geht danach nicht um ein Verbot konkludenter Täuschung, sondern eindeutig um ein Gebot der Kenntlichmachung. Gelockert ist dieses Informationsgebot allein dadurch, dass der geschäftliche Zweck sich auch „unmittelbar aus den Umständen“ ergeben kann. Die Formulierung „unmittelbar“ entspricht im Ergebnis Art. 6 lit. a der E-CommerceRL, der gebietet, dass der geschäftliche Charakter „klar“ erkennbar sein muss. Die Anforderungen an das Maß an Transparenz sind daher potentiell hoch und wiederum nur dadurch abgemildert, dass es auf das Verständnis des „Durchschnittsverbrauchers“, der „angemessen gut unterrichtet und angemessen aufmerksam und kritisch ist“, ankommt (Art. 7 Abs. 2 mit Erwägungsgrund Nr. 18 UGPRL). Art. 7 Abs. 2 UGPRL enthält die weiter einschränkende Formulierung, dass eine Vor- 101 enthaltung nur als irreführend gilt (Art. 7 Abs. 1 UGPRL), wenn diese „einen Durchschnittsverbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst oder zu veranlassen geeignet ist, die er ansonsten nicht getroffen hätte“ (Art. 7 Abs. 2 UGPRL). Die Richtlinie behandelt auch die Vorenthaltung des kommerziellen Charakters als „wesentliche Information“. Bei der Vorenthaltung dieser Information lässt sich nicht zuverlässig voraussagen, wie der Adressat reagiert hätte, wenn er die betreffende Information rechtzeitig erhalten hätte. Auch wenn § 5a Abs. 6 systematisch vom übrigen Tatbestand getrennt ist, gelten doch auch für ihn kraft Richtlinienvorgabe die Erfordernisse der geschäftlichen Relevanz und Kausalität (oben Rn. 40 und Rn. 41). Allerdings wird man auch hier typischerweise vermuten können, dass beide vorliegen. Die geschäftliche Handlung, zu der ein Rezipient verleitet wird, ist oft bereits die Beachtung des Angebots als interessenfrei und nicht kommerziell motiviert. Bei redaktionellen Inhalten werden diese oft nur rezipiert, weil sie nicht als Werbung gekennzeichnet sind. Die geschäftliche Handlung, zu welcher die Vorenthaltung (kausal) führt, ist von daher meist die Befassung mit einem Inhalt, den man bei Klarstellung nur flüchtig oder gar nicht zur Kenntnis genommen hätte. Hiervon gibt es wiederum Ausnahmen in den Konstellationen, die unter Nr. 11 des 102 Anhangs I der Richtlinie fallen. Die dortige „Black-List“ enthält Per se-Verbote, „die unter allen Umständen als unlauter anzusehen sind“ (Art. 5 Abs. 5 UGPRL). Daraus folgt, dass es auf die geschäftliche Relevanz einer Vorenthaltung überhaupt nicht ankommt, sie also nicht einmal vermutet werden muss, wenn der Tatbestand einer solchen Verbotsvorschrift erfüllt ist. Nr. 11 verbietet es, redaktionelle Inhalte in Medien zu Zwecken der Verkaufsförderung einzusetzen, wenn diese Verkaufsförderung von einem Gewerbetreibenden bezahlt wurde, der Umstand der Unternehmerfinanzierung aber weder klar erkennbar noch offenbar wird. Unberührt bleiben die teilweise weitergehenden Verbote für audiovisuelle Medien (nachfolgende Rn.). Die klassische Fallgruppe der Schleichwerbung, wie sie im Medienrecht etwa in §§ 2 Abs. 2 Nr. 8; 7 Abs. 7 RStV ausformuliert wurde, fällt damit wohl auch lauterkeitsrechtlich unter ein starres Verbot. Zweifel ergeben sich allerdings dadurch, dass der EuGH zu Nr. 11 des Anhangs die Auffassung vertreten hat, geschäftliche Handlung im Sinne dieser Norm sei nicht der Beitrag des Medienveranstalters (als „Förderung fremden Wettbewerbs“), sondern nur der Tatbeitrag des redaktionelle Inhalte finanzierenden Unternehmers (dazu oben Anh. Nr. 11 zu § 3 D, Rn. 11).284 Folgt man dieser Fest-
_____ 284
1065
EuGH 17.10.2013 – C-391/12 – GRUR 2013, 1245 Tz. 41 – RLvS/Stuttgarter Wochenblatt.
Peifer
§ 5a
Irreführung durch Unterlassen
setzung, so wäre jedenfalls für den Medienveranstalter kein starres Verbot zu konstatieren, sondern die Praktik müsste über § 5a einzelfallabhängig und unter Berücksichtigung der in dieser Norm festgesetzten weiteren Voraussetzungen geprüft werden. 103 Nicht medienbezogen sind weitere Per se-Verbote, so Nr. 21 des Anhangs I (im UWG Nr. 22), der es verbietet, dem bloßen Werbeanschreiben bereits eine Rechnung oder ein ähnliches Dokument mit einer Zahlungsaufforderung beizufügen, sowie Nr. 22 des Anhangs I (im UWG Nr. 23), wonach die fälschliche Behauptung oder Erweckung des Eindrucks, dass ein „Händler nicht für die Zwecke seines Handels, Geschäfts, Gewerbes oder Berufs handelt“, oder das „fälschliche Auftreten als Verbraucher“ verboten wird. Ob diesen beiden Fallgruppen die Verschleierung einer kommerziellen Zwecken dienenden Handlung zugrunde liegt, ist allerdings zweifelhaft. Näher liegt es, hierin irreführende Angaben über das Bestehen einer Zahlungspflicht (UGPRL Nr. 21 bzw. UWG Nr. 22) bzw. über die Eigenschaften des Unternehmers zu sehen und diese Handlungen insoweit § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bzw. Nr. 3 zuzuordnen.285 cc) AVMD-RL. Die zuletzt im November 2018 novellierte AVMD-RL (2010/13/EU)286 ist ein Pendant zur E-CommerceRL. Sie möchte über das klassische Fernsehen hinaus audiovisuelle Mediendienste erfassen, die „fernsehähnlich“ oder Abrufdienste, jedenfalls aber „Massenmedien“ sind,287 jedoch diejenigen Dienste ausnehmen, die nicht durch eine besondere journalistisch-redaktionelle Verantwortung mit meinungsbildenden Absichten gekennzeichnet sind (Art. 1 Abs. 1 lit. a i). Ausgenommen von der AVMD-RL sind Hörfunk288 und Presse, und zwar auch die elektronische,289 ferner „Internetseiten, die lediglich zu Ergänzungszwecken audiovisuelle Elemente enthalten, z.B. animierte grafische Elemente, kurze Werbespots oder Informationen über ein Produkt oder nichtaudiovisuelle Dienste“. Ausgenommen sind überdies „Glücksspiele mit einem einen Geldwert darstellenden Einsatz, einschließlich Lotterien, Wetten und andere Gewinnspiele, sowie Online-Spiele und Suchmaschinen, jedoch nicht Sendungen mit Gewinnspielen oder Glücksspielen.“290 Fernsehähnlichkeit, Meinungsbildungsrelevanz und journalistisch-redaktionelle Verantwortung des Betreibers unter Ausnahme von Presse und Hörfunk markieren daher den Anwendungsbereich der AVMD-RL. Die sonstigen elektronischen Dienste der Informationsgesellschaft unterliegen der E-CommerceRL. Die AVMD-RL bekennt sich zum Trennungsgrundsatz bezüglich Werbung und re105 daktioneller Inhalte, beschränkt ihn aber auf Fernsehwerbung und Teleshopping (Art. 19 Abs. 1 Satz 1).291 Audiovisuelle kommerzielle Kommunikation muss als solche leicht erkennbar sein (Art. 9 Abs. 1 lit. a Satz 1). Art. 9 Abs. 1 lit. a Satz 2 verbietet Schleichwer-
104
_____
285 Anders für Nr. 22 Gloy/Loschelder/Erdmann/Bruhn § 4 Nr. 3 Rn. 10; wohl auch Götting/Nordemann/Hasselblatt § 5a Rn. 212. 286 Die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste erging ursprünglich in Form der Richtlinie 2007/ 65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und trat am 19.12.2007 in Kraft, vgl. Art. 4 der Richtlinie, ABl. EG L 332 v. 18.12.2007, S. 27, 45. Sie war bis zum 19.12.2009 umzusetzen. In Deutschland erfolgte die Umsetzung durch den am 30.10.2009 unterzeichneten 13. RfÄndStV, der zum 1.4.2010 in Kraft trat. Die Novellierung durch Richtlinie (EU) 2018/1808 vom 14.11.2018 wurde im EBl. L 303, S. 69 v. 28.11.2018 veröffentlicht. Sie trat am 18.12.2018 in Kraft (Art. 3) und ist bis zum 19.9.2020 umzusetzen (Art. 2 Abs. 1 RL). 287 Erwägungsgrund Nr. 21. 288 Erwägungsgrund Nr. 23. 289 Erwägungsgrund Nr. 28. 290 Erwägungsgrund Nr. 22. 291 Hier allerdings vorwiegend aus Gründen des Verbraucherschutzes, vgl. Erwägungsgrund Nr. 99– 100.
Peifer
1066
D. Vorenthaltung des kommerziellen Zwecks einer geschäftlichen Handlung (Abs. 6)
§ 5a
bung (Art. 1 Abs. 1 lit. j). Davon unterschieden werden Produktplatzierungen, die von den Mitgliedstaaten entweder verboten (Art. 11 Abs. 2) oder aber unter bestimmten Voraussetzungen und für bestimmte Sendungstypen im klassischen Fernsehen oder in fernsehähnlichen Mediendiensten (Live-Streams, Web-TV, Near-Video-On-Demand) 292 erlaubt werden dürfen (Art. 11 Abs. 3 mit Art. 1 Abs. 1 lit. b).293 Gleichzeitig stellt die AVMDRL klar, dass die Vorschriften der UGPRL unberührt bleiben, also eine getarnte geschäftliche Handlung jedenfalls auch im Fernsehen und in Abrufdiensten die dort genannten Anforderungen zu erfüllen hat.294 Die Begriffe der AVMD-RL gehen teilweise zurück auf Vorläuferbestimmungen in 106 der auf das Fernsehen beschränkten Richtlinie 89/552/EWG des Rates vom 3. Oktober 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit,295 die wiederum durch die Richtlinie 97/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates abgelöst wurde.296 Diese Regelungen sind für das Wettbewerbsrecht deswegen von Interesse, weil sie sich als erste europäische Regelungen mit dem klassischen Konflikt zwischen redaktionellen Inhalten und Werbung befassten. Die Begriffe Schleichwerbung und Produktplatzierung entstammen diesem Bereich. Die AVMD-RL bietet noch heute interessante Abgrenzungskriterien zur Grenzziehung zwischen dem stets verbotenen verdeckten unternehmerfinanzierten redaktionellen Inhalt (Schleichwerbung) und dem nicht per se verbotenen redaktionellen Inhalt, dessen Unternehmerfinanzierung zwar offengelegt wird, der aber gleichermaßen in redaktionellen Medien nur zurückhaltend positioniert werden darf (Produktplatzierung und Produktionshilfe). Schleichwerbung wird in Art. 1 lit. j AVMD-RL definiert als „die Erwähnung oder 107 Darstellung von Waren, Dienstleistungen, dem Namen, der Marke oder den Tätigkeiten eines Herstellers von Waren oder eines Erbringers von Dienstleistungen in Sendungen, wenn sie vom Mediendiensteanbieter absichtlich zu Werbezwecken vorgesehen ist und die Allgemeinheit über ihren eigentlichen Zweck irreführen kann. Eine Erwähnung oder Darstellung gilt insbesondere dann als beabsichtigt, wenn sie gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung erfolgt“.297 Insbesondere Satz 2 dieser Definition stellt klar, dass eine verdeckte entgeltfinanzierte redaktionelle Platzierung zu Absatzförderungszwecken stets verboten ist. Das deckt sich mit Nr. 11 des Anhangs I zur UGPRL. Gleichzeitig folgt aus der Definition, dass die Offenlegung der Unternehmerfinanzierung eines redaktionellen Inhalts dazu führt, dass keine Schleichwerbung mehr vorliegt. Fällt die Verschleierung weg, so wird die Schleichwerbung zur Produktplatzierung. Damit wäre auch § 5a Abs. 6 Genüge getan, soweit der Hinweis auf die Unternehmerfinanzierung deutlich genug ist. Die AVMD-RL lässt diesbezüglich wenig Spielraum.298 Sie empfiehlt etwas undeutlich einen „Hinweis, dass in der gegebenen Sendung gerade eine Produktplatzierung stattfindet, beispielsweise durch ein neutrales Logo“.299 Dafür würde es nicht
_____
292 Die Zulässigkeit wird beschränkt auf „Sendungen“. Die Sendung ist in Art. 1 Abs. 1 lit. b definiert als „Abfolge von bewegten Bildern mit oder ohne Ton, die Einzelbestandteil eines von einem Mediendiensteanbieter erstellten Sendeplans oder Katalogs ist und deren Form und Inhalt mit der Form und dem Inhalt von Fernsehprogrammen vergleichbar sind“. 293 Erwägungsgrund Nr. 81 mit Nr. 90–93. 294 Erwägungsgrund Nr. 82. 295 ABl. EG L 298 v. 17.10.1989, S. 23. 296 ABl. EG L 202 v. 30.7.1997, S. 60. 297 Zu früheren Formulierungen vgl. Gounalakis/Wege K&R 2006, 97, 99. 298 Art. 3 h Nr. 1 lit. c des Richtlinienvorschlags der Kommission KOM (2005) 646 hatte noch eine Hinweispflicht zu Beginn des Programms vorgesehen. 299 Erwägungsgrund Nr. 90.
1067
Peifer
§ 5a
Irreführung durch Unterlassen
genügen, lediglich im Vorspann einer Sendung einen Hinweis darauf zu platzieren, dass Produkte gegen Bezahlung gezeigt werden.300 Auch der zusätzliche Hinweis im Nachspann sei nicht genügend,301 weil hierdurch nicht klar wird, welches Produkt gegen Entgelt gezeigt wird, oder aber der zu warnende Zuschauer noch nicht oder nicht mehr erreicht wird.302 Die Kennzeichnung als Dauerwerbesendung dürfte allerdings unzumutbar sein, sofern nicht die gesamte Produktion von multiplen Unternehmen finanziert worden ist.303 Es bleibt als geeignetes Mittel jedenfalls die Einblendung eines neutralen Logos, etwa ein „P“ oder ein „W“, wie es auch die Richtlinie empfiehlt.304 Diese Lösung dürfte bezahlte Darstellungen zurückdrängen, was der Integrität der Produktionsarbeit hilft, sie zeigt aber auch, dass das Problem kaum zufriedenstellend zu lösen ist. Daher wurde bezweifelt, ob es überhaupt sinnvoll ist, Produktplatzierungen zuzulassen.305 Das Unionsrecht hat daher anlässlich der Neufassung der AVMD-Richtlinie in Erwägung gezogen, die Produktplatzierung stärker zu liberalisieren.306 Der Versuch, dies zu tun, blieb allerdings stecken. Im Ergebnis ist es im Wesentlichen bei der bisherigen Regulierung geblieben. 108 Definitionsgemäß ist Produktplatzierung nach Art. 1 Abs. 1 lit. m AVMD-RL „jede Form audiovisueller kommerzieller Kommunikation, die darin besteht, gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung ein Produkt, eine Dienstleistung oder die entsprechende Marke einzubeziehen bzw. darauf Bezug zu nehmen, so dass diese innerhalb einer Sendung erscheinen“. Charakteristisch ist auch hier die Entgeltfinanzierung. In Abgrenzung zur Schleichwerbung wird dieser Umstand aber offengelegt, sonst handelt es sich nicht um eine Produktplatzierung, sondern um eine stets verbotene Schleichwerbung. Das folgt aus der Gegenüberstellung des Art. 1 Abs. 1 lit. m mit Art. 1 Abs. 1 lit. j AVMD-RL, der „Schleichwerbung“ identisch definiert, allerdings hinzufügt, dass sie erst vorliegt, wenn die Darstellung die Allgemeinheit über ihren eigentlichen Zweck (nämlich die Werbeabsicht) irreführen kann. § 4 Nr. 3 ist nicht mehr erfüllt, wenn der Werbezweck offengelegt wird. Die Produktplatzierung ist daher wettbewerbsrechtlich zulässig, solange die Entgeltfinanzierung und damit die Werbeabsicht klar erkennbar ist. Für Produktplatzierungen in Sendungen, d.h. dem klassischen Fernsehen oder fernsehähnlichen Diensten (vgl. oben Rn. 104), stellt die Richtlinie aber ergänzende Anforderungen, die auch kenntlich gemachte Produktplatzierungen einschränken. Zugelassen werden dürfen entgeltliche Produktplatzierungen nur für Kinofilme, 109 Fernsehfilme und -serien, Programme der leichten Unterhaltung und Sportsendungen mit Ausnahme von Kindersendungen (Art. 11 Abs. 3 Satz 1 lit. a mit Abs. 3 Satz 2 AVMD-RL), stets unter der Voraussetzung, dass die Entgeltzahlung kenntlich gemacht wird. Für Tabakprodukte und Arzneimittel sind Produktplatzierungen unzulässig (Art. 11 Abs. 4 AVMD-RL). Produktplatzierungen dürfen weder „die redaktionelle Verantwortung und Unabhängigkeit des Mediendiensteanbieters beeinträchtig[en]“ (Art. 11 Abs. 3 Satz 3
_____
300 So von Danwitz AfP 2005, 417, 420; Gounalakis/Wege K&R 2005, 97, 99. 301 So aber Hormuth S. 220. 302 Meyer-Harport S. 133. 303 Sack ZUM 1990, 709, 709; vgl. auch die Stellungnahme der Medienanstalt Berlin-Brandenburg für die Ausstrahlung des Spielfilms „Feuer, Eis & Dynamit“ im privaten Fernsehen, SZ vom 2.12.1998. 304 Vgl. Art. 6 RStV 1991, § 8 Btx-Staatsvertrag; Hormuth S. 216; ablehnend wegen der Belästigungswirkung Hauschka DB 1988, 165, 168. 305 von Danwitz AfP 2005, 417, 420. 306 So der 2016 von der Kommission vorgelegte Vorschlag für eine Überarbeitung der Richtlinie, KOM (2016) 287 endg.
Peifer
1068
D. Vorenthaltung des kommerziellen Zwecks einer geschäftlichen Handlung (Abs. 6)
§ 5a
lit. a AVMD-RL) noch direkt zum Erwerb auffordern (lit. b) oder das Produkt zu stark herausstellen (lit. c). Bei entgeltlichen Platzierungen müssen „die Zuschauer […] eindeutig auf das Bestehen einer Produktplatzierung hingewiesen werden. Sendungen mit Produktplatzierung sind zu Sendungsbeginn und -ende sowie bei Fortsetzung einer Sendung nach einer Werbeunterbrechung angemessen zu kennzeichnen, um jede Irreführung des Zuschauers zu verhindern.“ (Art. 11 Abs. 3 Satz 3 lit. d AVMD-RL). Mitgliedstaaten können nach Art. 11 Abs. 3 S. 4 AVMD-RL für die Hinweispflicht Ausnahmen vorsehen, „sofern die betreffende Sendung weder vom Mediendiensteanbieter selbst noch von einem mit dem Mediendiensteanbieter verbundenen Unternehmen produziert oder in Auftrag gegeben wurde.“ Das betrifft insbesondere sog. Produktionshilfen. Von der Produktplatzierung zu unterscheiden sind – auch in Kindersendungen zu- 110 lässige – Produktionshilfen, die in Form der kostenlosen Bereitstellung von Waren oder Dienstleistungen zugelassen werden (Art. 11 Abs. 3 Satz 1 lit. b AVMD-RL). Erwägungsgrund 91 Satz 4 stellt klar, dass Produktionshilfen zur Produktplatzierung werden, wenn sie von bedeutendem Wert sind. Wann dies der Fall ist, entscheidet die AVMD-RL nicht. Für Produktionshilfen stellt die Richtlinie keine Hinweispflicht auf. Auch die Schranken des § 11 Abs. 3 Satz 3 AVMD-RL gelten streng genommen nicht, weil sie nur für Produktplatzierungen angeordnet sind, die Produktionshilfe aber keine Produktplatzierung ist. Da die Richtlinie aber jedwede Einwirkung auf die redaktionelle Arbeit verhindern und zudem nur redaktionell vertretbare Platzierungen zulassen möchte, wird man die Schranke analog anwenden müssen. Auch Produktionshilfen werden mithin unzulässig, wenn mit ihnen entweder Einfluss auf die redaktion