Urbild und Ursache in der Biologie [Reprint 2019 ed.] 9783486762570, 9783486762563


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German Pages 375 [380] Year 1931

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VORWORT
Inhaltsverzeichnis
I. Historische Grundlegung
II. Der Kampf der Mathematisierenden u. d. Biolog. Naturanschauungen
III. Der Ausgang dieses Kampfes in der Gegenwart
IV. Anwendung auf die heutige biologische Erkenntnis besonders in der Botanik 197
A. Probleme der individuellen Formgestaltung der Pflanze (Formreizbarkeit, biologische Feldtheorie usw.)
B. Das Todes- und Verjüngungsproblem in der Individual- Art- und Stammesentwicklung
D. Einblick in fortschreitende Wesensentwicklung der Pflanze (Planck, Heidenhain, Uittien, Troll, Humboldt)
E. Vereinigung der bildbedingten mit der kausalen Grundlegung der Phylogenie. Deszendenz und Konvergenz. Typologie und Ideenlehre. Concursus divinus
A. Anmerkungen und Literaturhinweise
B. Gesamtübersicht über die Literatur
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Urbild und Ursache in der Biologie [Reprint 2019 ed.]
 9783486762570, 9783486762563

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URBILD UND URSACHE IN DER BIOLOGIE VON

HANS ANDRÉ

MIT 127 ABBILDUNGEN UND 3 TAFELN

MÜNCHEN U N D B E R L I N 1931

VERLAG VON R.OLDENBOURG

Alle Rechte, einschließlich des Übersetzungsrechtes, vorbehalteil Copyright 1931 by R.Oldenbourg, München und Berlin Druck von R. Oldenbourg, München und Berlin

MEINER

LIEBEN

MUTTER

„Aller Weg geht zur Form, zur Gestalt des Zieles. Nennt diese Form das Zweckmäßige. Sie ist immer mehr, H e r k u n f t und Erfüllung. Mag sie wechseln, das Urbild, welches ihr zu erreichen bestimmt ist, birgt sich in ihr von der Zelle an. Alles Geschaffene, auch das ungereift Fallende, Überzählige vollendet treu sein gegebenes Maß und steht im Angesicht des Vollkommenen seiner Art. Freund, Piatons Garten, das Land der reinen F o r m lädt uns ein. Und wir bekennen uns zu seinem Wesen, welches Himmel und Erde schuf." Hans Heinrich

Ehrler.

VORWORT. Das vorliegende Buch ging aus einer Vorlesung hervor, die ich im Winter-Semester 1930/31 an der Staatlichen Akademie in Braunsberg gehalten habe. Die Vorlesung war den w e s e n t l i c h e n Fragen der Biologie gewidmet, jenen Fragen, die sie an die lebendige Wirklichkeit als solche richtet. Sie versuchte zu zeigen, daß die Biologie als Wissenschaft nicht erst anfing, als sie vom Bildgehalt, von den reinen Erscheinungsformen des Lebens, sich abwandte u n d mit den Kategorien des Unlebendigen ihren Gegenstand zu erfassen suchte. Die Fragen der k l a s s i s c h e n Biologie, die von der Erscheinungsform als der G a n z d a r s t e l l u n g des Gegenstandes ausging, scheinen vielmehr auch heute noch den K e r n der biologischen Problematik zu bilden. Diese Problematik gesehen zu haben, war freilich nicht das Verdienst der Vorzeit allein. Von der klaren realistischen Grundlage des klassischen Denkens aus gilt es heute, die Früchte voll ans Licht zu heben, die die so reich anschauungsbedingte und zu tieferer Sinndeutung neigende d e u t s c h e N a t u r p h i l o s o p h i e f ü r die Biologie gezeitigt hat und in der Gegenwart aufs neue ansetzt. Die heutige Bewegung im deutschen naturphilosophischen Denken wird am besten gekennzeichnet als eine auf die K r i t i k d e r S i n n e (H. Pleßner und Herrn. Friedmann) gegründete Wendung zum Objekt in seinem V o l l b e s t a n d e , also auch in seiner uns durch den o p t i s c h e n S i n n sich offenbarenden Verfassung. Und so möchte diese Schrift zum G o e t h e j a h r 1 9 3 2 gerade auch von der heutigen Erkenntnislage aus das Tiefste in Goethes Metamorphosenlehre u n d in der erst vollendeten D u r c h f ü h r u n g des Metamorphosengedankens durch K. Chr. P l a n c k aufzeigen.

VII

Der zweite Teil dieses Buches zeigt dann, wie aus der ideengeschichtlichen Orientierung der Wissenschaft selbst neue Lebenssäfte zufließen: eine ungeahnte Fülle von Problemstellungen, die wirklich konkretisierbar, wirklich der empirischen Forschungsarbeit zugänglich sind und diese selbst allseitig neu befruchten. Und als wertvollster Auszug aus der ideengeschichtlichen Orientierung wird sich uns eine genügend tiefe und breite Grundlage für eine neue biologische Wissenschaftslehre ergeben, eine Grundlage, die in der bildbedingten und konkret-kausalen Analyse und in der abstrakt-kausalen der exakten Naturwissenschaft z u s a m m e n g e h ö r i g e Gesichtspunkte erkennen läßt. Die weitere Ausarbeitung dieser Grundlage muß ich dem Fachphilosophen überlassen. Für mich kam es nur darauf an, im eigenen Fachgebiete sozusagen die höchste Spannweite des geistigen Horizontes, freie Aussicht und Übersicht zu gewinnen. Und so hoffe ich besonders in naturwissenschaftlichen Kreisen dazu beizutragen, daß man sich über die verschiedenen „Einstellungen" zum Objekt und ihre relative Richtigkeit und Einseitigkeit klar wird und so die Leute der verschiedensten Richtungen einander näher kommen und die Gegensätze sich überbrücken. Fräulein M a t h i l d e P l a n c k , die mir die Werke ihres Vaters, die fast alle vergriffen sind, in liebenswürdiger Weise zur Verfügung stellte, sei an dieser Stelle herzlichst gedankt. Ebenso Frau Maria Scheler für die durch sie mir ermöglichte Einsichtnahme in frühere Manuskripte von M a x S c h e l e r . So wenig ich Schelers philosophischer Wandlung folgen kann, so verdanke ich ihm doch — besonders den persönlichen Unterhaltungen mit ihm — die stärkste Befestigung in der Überzeugung, d a ß , w a s d i e r e i n e E r s c h e i n u n g u n s l e h r t , in W a h r h e i t d a s s e l b e i s t , was a u c h im inn e r e n W e s e n d e r S a c h e l i e g t . Durch diese Überzeugung ist mir auch das Verständnis P l a n c k s erst voll zuteil geworden. Die Deckungseinheit so vieler Entwicklungen Plancks mit den Gegenwartsergebnissen der Biologie haben mir die Zuversicht gegeben, hier auf dem w a h r h a f t r e a l i s t i s c h e n Boden mich zu befinden. Wesentlich ergänzend aber kam hierzu die genuinaristotelische Grundlegung der k o n k r e t k a u s a l e n Fragestellung, die in der Unterscheidung von VIII

Materialfeld (Potenz) u n d Verwirklichungsfeld (Akt) u n d in der E r k e n n t n i s der P r i o r i t ä t des Verwirklichungsfeldes (d. Aktes) wurzelt. Diese F o r m u l i e r u n g liegt als tiefstes e r k e n n t n i s a u f b a u e n d e s E l e m e n t allen meinen A u s f ü h r u n g e n z u g r u n d e u n d f ü h r t auf d e m Gebiete der organischen Wirkl i c h k e i t s b e s t i m m u n g erst zu j e n e r feineren U n t e r s c h e i d u n g der BegriiFe, die nicht n u r ü b e r das V e r h ä l t n i s v o n Stoff- u n d F o r m w e c h s e l sondern a u c h ü b e r das T o d e s p r o b l e m u n d ü b e r das V e r j ü n g u n g s - u n d S e x u a l i t ä t s p r o b l e m einiges Licht verb r e i t e t . Zur E n t w i c k l u n g dieser G e d a n k e n g ä n g e w a r e n f ü r mich v o r b e r e i t e n d die L e k t ü r e einer kleinen A b h a n d l u n g v o n M i c h a e l G l o ß n e r ü b e r den aristotelischen Begriff der realen Möglichkeit sowie die kosmologischen S t u d i e n v o n J o s . G r e d t O. S. B . in der Zeitschrift Divus T h o m a s . Die hier e n t w i c k e l t e n ontologischen Prinzipien f ü h r t e n mich z u m W e s e n der k o n k r e t e n K a u s a l i t ä t hin, d a s ich bei der G r u n d l e g u n g des K a u s a l g r u n d s a t z e s a u c h p h ä n o m e n o l o g i s c h (charakterologisch) zu erhellen suchte. Ich sehe von dieser G r u n d l e g u n g aus d e n tiefsten I r r t u m der G e g e n w a r t d a r i n , d a ß sie den W e g z u m O b j e k t v o m Menschen (von der philosophischen Anthropologie aus) u n d nicht v o m S e i n aus zu finden s u c h t . W e m ich in der G e s a m t o r i e n t i e r u n g ü b e r den Gegens t a n d zu philosophisch geworden b i n , der möge b e d e n k e n , d a ß d e m n i c h t einer b e s t i m m t e n M e t h o d e oder G e w o h n h e i t sondern d e m S e i n v e r p f l i c h t e t e n D e n k e n d i e adaequatio c u m re, die A n n ä h e r u n g a n die Sache selbst, d a s e i n z i g W e s e n t l i c h e ist. U n d w e n n zu dieser a d a e q u a t i o eine Gesichtskreiserweiterung n ö t i g ist, die m a n als philosophische zu bezeichnen h a t , so g e h ö r t diese eben a u c h z u m F a c h g e b i e t hinzu. Die A u f g a b e einer Fachdisziplin k a n n doch n i c h t sein, u m einer p r a k t i s c h - v e r e i n f a c h e n d e n D e n k ökonomie willen Sein u n d W e s e n ihres G e g e n s t a n d e s auf sich b e r u h e n zu lassen. I h r S c h w e r p u n k t m u ß vielmehr i m O b j e k t e selbst liegen u n d nichts, was der tieferen A u f h e l l u n g des Gegenstandes dient, darf sie v o n sich ausschließen. V o n diesem S c h w e r p u n k t aus b e s t i m m t , m u ß d e m n a c h a u c h jedes N a t u r e r k e n n e n sich i m e r k e n n t n i s t h e o r e t i s c h e n R e a l i s m u s zu vollenden suchen. Sonst kreist es ewig u m sich selber u n d nicht u m die N a t u r . Der Biologe, der von sich a u s zu diesem

IX

Realismus geneigt ist, wird sich aber auch nicht ohne intellektuelle Rechenschaftsablegung zu ihm entschließen können, er m u ß eine biologische Wissenschaftslehre fordern, die in diesem Sinne grundgelegt ist. Und das f ü h r t ihn wieder in das Gebiet der Philosophie. Man h a t t e es selbstverständlich gefunden, als die alte theoretische Physik sich in der Erkenntnislehre K a n t s verankert hatte. So wird m a n es auch gelten lassen müssen, wenn das neue biologische Denken zu ihm ursprünglicher zukommenden Grundlagen zurückkehrt. F ü r den Forscher ist dabei zunächst das Ausschlaggebende, die innere Befruchtung und Ausweitung seiner Methoden selber, die darzustellen ich mich besonders b e m ü h t h a b e . Zum Schlüsse sei auch meinem Freund und Kollegen Prof. D. Dr. Switalski f ü r so manche kritische Anregung in der Dialektik des Gespräches herzlich gedankt! B r a u n s b e r g , den 21. Juli 1931.

Prof. Dr. HANS ANDRÉ.

X

Inhaltsverzeichnis. I. Historische

Grundlegung.

Piaton, Aristoteles, Thomas v. Aquin. Konkrete Kausalität, Ideenproblem. Verwirklichungslehre und Entwicklungstheorie. Pflanze, Tier und Mensch. Rangordnung und Wertproblem . . II. Der Kampf der Mathematisierenden schauungen.

u. d. Biolog.

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Naturan-

Reaktion des abstrakt-kausalen (mechanomorphen) Denkens und sein Umschlagen in anthropomorphe Naturdeutung. Wiederherstellung des bildbedingten Denkens in der Biologie durch G o e t h e und K. Chr. P l a n c k I I I . Der Ausgang

dieses Kampfes

in der

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Gegenwart.

Die zweite Reaktion durch die neuere positivistische Biologie. Überwindungsversuche dieser Reaktion durch kritische Analyse (bei Driesch), positive Wesensforschung (bei Scheler und Buy tendijk), neue Kritik der Sinne (bei Pleßner und Friedmann) und neuen Realismus (bei N. Hartmann) 146 IV. Anwendung auf die heutige sonders in der Botanik

biologische Erkenntnis

be197

A. Probleme der individuellen Formgestaltung der Pflanze (Formreizbarkeit, biologische Feldtheorie usw.) B. Das Todes- und Verjüngungsproblem in der IndividualArt- und Stammesentwicklung C. Mögl. phylogenet. Entfaltung auf Grundlage der Stoffbereitung 1. Dialektik des Stoffwechsels 2. Das komplikatorische Prinzip Rosens D. Einblick in fortschreitende Wesensentwicklung der Pflanze (Planck, Heidenhain, Uittien, Troll, Humboldt) . . . . E. Vereinigung der bildbedingten mit der kausalen Grundlegung der Phylogenie. Deszendenz und Konvergenz. Typologie und Ideenlehre. Concursus divinus

201 223

232 261 269 310

XI

I. Das bildbedingt-typologische und das konkret-kausale Denken in seinen antiken Wurzeln (Piaton und Aristoteles) und in seiner klassischen Synthese (Thomas von Aquin). Darlegung des Aufbaues der Natur aus Material- und Verwirklichungsfeldern. Das Wesen der konkreten Kausalität. Das Ideenproblem und das Problem des Ursprungs der Ideen (in der menschlichen Erkenntnis) in seiner Bedeutung für die Biologie. Thomistische Verwirklichungslehre und Entwicklungstheorie. Der typologische Auf bau des Lebens: Pflanze, Tier und Mensch. Die Verbindung der Stufenlehre mit dem platonischen Teilnahmegedanken. Die Seinsgrundlagen des mathematischen Geltens (Bionomie). Das Problem der Rangordnung in der Natur in seiner Bedeutung für die Biologie (Wertproblem). Wenn die Gegenwart bestrebt ist, die Bedeutung des Begriffs des G a n z e n f ü r die Erkenntnis der mannigfaltigsten Gegenstandsgebiete nachzuweisen, so geht sie davon aus, d a ß diese Gebiete bisher nur bruchstückartig und u n t e r sehr unzureichenden Gesichtspunkten betrachtet wurden. Was speziell die Gegenstände der Naturerkenntnis angeht, so wissen wir, d a ß dieselben einer unbefangenen Charakteristik recht verschiedene Seiten darbieten, daß aber diese ihre mannigfachen Ansichten von einer Zeit, die vorwiegend n u r messend u n d zählend an die Dinge herangetreten ist, nicht alle gleichmäßig beachtet wurden. Und wenn schon diese gleichmäßige Beachtung aller Eigentümlichkeiten an den Naturgegenständen vernachlässigt wurde, so wurde erst recht außer acht gelassen, diese Eigentümlichkeiten unter Gesichtspunkte zu bringen, die sie nicht als etwas zufällig Zusammen-Geratenes, A n d r é , Urbild.

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sondern als etwas Z u s a m m e n g e h ö r i g e s erscheinen lassen. Was wir an den Gegenständen erfaßten, das waren m a t e r i a l e Merkmale, und diese waren in Begriffe gefaßt, die selbst wieder m a t e r i a l e waren, d. h. nicht das Typische zum Ausdruck brachten, welches das e i n e die Hauptzüge enthaltende Bild von dem a n d e r n deutlich unterscheiden ließ. Das gilt z. B . von den bekannten Definitionen, die von der Pflanze überhaupt in den Lehrbüchern der Botanik gegeben wurden. Sie enthielten noch nicht den letzten formalen Gesichtspunkt, unter dem wir die Pflanze als Pflanze bestimmen und dem jede Art von Pflanze eingeordnet und jede Art von Tier ausgeordnet werden kann. Einen solchen Begriff gab es für die neuere Biologie überhaupt nicht. Man sagte, daß weder durch den Stoffwechsel noch durch den Formwechsel noch durch die Reizbewegungserscheinungen eine scharfe Abtrennung von Tier und Pflanze möglich sei. Das ist ganz richtig; aber diese Begriffe sind j a selbst wieder nur Materialbegriffe, die nicht eingefaßt sind in einen obersten formalen Rahmen, der das t y p i s c h vegetabilische Verhalten gegenüber dem animalischen des Tieres bestimmt. Dadurch, daß man bloß mit Materialbegriffen arbeitete, kam es auch, daß die Anthropologie im Menschen im Vergleich zum Tier nur graduell veränderte Organisationscharaktere und der Physiologe im Belebten nur eine graduelle Steigerung des Unbelebten erblickte. Gegenwärtig sieht man nun ein, daß man mit so gänzlich bruchstückartigen Begriffen keine Wissenschaft aufbauen kann, die ihren Gegenstand als G a n z e s , in seinem V o l l b e s t a n d e , zu erfassen trachtet. Immer mehr bedient sich daher die Wissenschaft wieder einer b i l d b e d i n g t e n , auf die Erfassung des W e s e n s gerichteten (quidditativen) Abstraktion. So erst vermag sie die Ordnung, die in den Erscheinungen zum Ausdruck kommt, ideal grundzulegen. Man könnte versucht sein, einzuwenden, daß eine solche Orientierung die Ebene strenger Wissenschaftlichkeit verläßt und sich dabei auf K a n t berufen, der nur die q u a n t i t a t i v e Seite der Naturerscheinungen einer streng wissenschaftlichen Erforschung fähig gehalten habe. Aber unter den modernen Kantforschern hat namentlich H a n s H e y s e (1) gezeigt, daß eine solche Berufung auf K a n t nicht gerecht2

fertigt erscheint. Nach Heyses Ausführungen, die mir recht gediegen erscheinen, sind gerade nach K a n t die Begriffe und ihre Gegenstände in verschiedenen F e l d e r n zu denken, je nachdem, ob sie als E r s c h e i n u n g e n , d . i . wesentlich durch die Mittel von R a u m und Zeit, oder als D i n g e a n s i c h , und dann ohne jene Mittel — aber vielleicht durch andere — zur Erfassung gebracht werden können. I n dem physikalischen Bezirk ist der R a u m ein Ganzes, das die Grundlage der Möglichkeit der Teile und als reine Mannigfaltigkeit die Grundlage der Konstruktion der Bewegungen repräsentiert. Auch die Zeit wird als grundlegendes Prinzip mit hineingenommen. Sie wird z. B. von K a n t verknüpft mit Raumdifferentialen, u m die Bewegung eines Körpers zu definieren, der „in jeder noch so groß anzugebenden Zeit gleichförmig doch n u r einen R a u m , der kleiner ist, als jeder anzugebende R a u m " , zurücklegt, „mithin seinen Ort in alle Ewigkeit gar nicht v e r ä n d e r t " . Wenn n u n in R a u m und Zeit konkretisierbare Ganzheitsoder Systembegriffe für den physikalischen Bezirk ermittelbar sind, Begriffe, durch welche die physikalischen Vorgänge mathematisch in Funktionsgleichungen typisiert werden können, so ist nicht einzusehen, warum nicht der biologische Seinsbezirk mit besonderen nur für ihn geltenden Systembegriffen erfaßt werden kann. Dieser Versuch der Erfassung unter einem höheren integrierenden Gesichtspunkt bräuchte die physikalische Betrachtungsweise j a keineswegs auszuschalten. Diese ist ja nur als e i n Gesichtspunkt zu betrachten, zu dem weitere nur der biologischen Ebene zugehörige Gesichtspunkte hinzukommen können. Wesentlich ist die Erhöhung der Mannigfaltigkeit der Perspektiven für j e n e Ordnungseinsichten, die die Biologie als eine Wissenschaft sui generis nicht entbehren kann. Diese Art, in das Leben und seine objektiven Ordnungsbestimmtheiten einzudringen, war in keiner Zeit völlig ausgeschaltet. Aber ihre erste tiefe Grundlage h a t sie in der A n t i k e erhalten. Schon G o e t h e gab deshalb eine Anweisung, Naturforschung im Geiste und Stile P i a t o n s zu treiben. In seinen „Maximen und Reflexionen" (Nr. 664) schreibt e r : „ U m sich aus der grenzenlosen Vielfachheit, Zerstückelung und Verwickelung der modernen Naturlehre wieder ins Ein1*

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fache zu retten, muß man sich immer die Frage vorlegen: wie würde sich Piaton gegen die Natur, wie sie uns jetzt in ihrer größeren Mannigfaltigkeit, bei aller gründlichen Einheit, erscheinen mag, benommen haben ? " Aber damit hat Goethe nur die eine Wurzel wissenschaftlicher Betrachtungsweise in der Antike aufgezeigt, die i d e a l n o r m a t i v e . Sie ordnet die Naturphänomene in bestimmte T y p e n ein, so, wie man etwa Gemälde dem klassischen, impressionistischen, expressionistischen oder kubistischen Typus einordnet, um seinen Charakter als Kunstwerk der Malerei ganz allgemein zu „normieren" (vom Wesen des Typus aus zu begreifen). Ein ausgesprochener Platoniker in der Biologie, K a r l C a m i l l o S c h n e i d e r , hat so auch tatsächlich neuerdings versucht, die Mannigfaltigkeitsgehalte in der Malerei als Beispiele aller biologischen Mannigfaltigkeit heranzuziehen. Diese Betrachtungsweise ist an sich erkenntnisaufbauend, aber sie berücksichtigt nur die e i n e Seite der synthetischen Betrachtung, nämlich die Zusammenfassung der Erscheinungen unter einem allgemeinen Begriff, in dem sie wie in einer i d e a l e n F a s s u n g der Möglichkeit und idealen Ordnung nach enthalten sind. Aber sowohl das Natur- wie das Kunstgebilde bringt nicht nur diese allgemeine Fassung zur Darstellung, sondern stellt auch in sich selber ein k o n k r e t e s i n d i v i d u e l l e s G a n z e s dar, eine streng in sich geschlossene Einheit, die, wie wir heute sagen würden, einen komplexkausalen Gestaltcharakter zeigt, d. h. in ihrer Eigenart sich nicht aus der Summenwirkung der Teile ableiten läßt. Diese konkrete Einheit in ihrem Vollbestande zu erfassen und ursächlich zu ergründen, war das Hauptbestreben des A r i s t o t e l e s im Gegensatz zu Piaton. „Was immer Natur und Kunst hervorbringt, sagt Aristoteles, wird durch die aktuelle Kraft des Dinges aus seiner potentiellen herausgefördert." E r e r g ä n z t so d i e i d e a l e B e s t i m m u n g v o n G r u n d u n d F o l g e , d i e der b i l d b e dingt-typologischen Betrachtungsweise Piatons z u g r u n d e l i e g t , d u r c h die W i r k l i c h k e i t s b e s t i m m u n g eines M a t e r i a l f e l d e s d u r c h ein V e r w i r k l i c h u n g s f e l d . Das Materialfeld umfaßt das bestimmungsbereite Möglichsein (die passive Anlage oder Potenz), das Verwirklichungsfeld das in Eigenkraft stehende Wirklich4

sein (den Akt, die Form). Ganz allgemein zeigt Aristoteles der Einblick in die obersten Seinsunterschiede in Verbindung mit dem Widerspruchsprinzip, daß eine Wirklichkeitsbestimmung als Übergang von der Potenz in den Akt immer schon ein actu Seiendes, ein in Eigenkraft stehendes Sein, voraussetzt. Denn etwas kann nicht zugleich und in gleicher Hinsicht bestimmungs e m p f a n g e n d und bestimmungs mächt i g sein. Als F o r m a k t u a l i t ä t , d. h. als Verwirklichungsfeld zu fassendes bestimmungsmächtiges Sein, das den Körper in das eine wirkliche Ganze fügt, kann aber der Akt dem Körper nur innewohnen, insofern dieser ein Z u s a m m e n h ä n g e n d e s , ein K o n t i n u u m ist. Daraus folgt notwendig die A b l e h n u n g der K o r p u s k u l a r p h y s i k des D e m o k r i t mit ihrer Vorstellung eines sogenannten leeren Raumes und eine A n n ä h e r u n g an die G e s t a l t p h y s i k u n d F e l d p h y s i k von heute. Letztere setzt Elektronen und Wellen miteinander in Beziehung und erweist es als unmöglich, vom Elektron das einfache Bild eines „kleinsten Dinges", eines starr mit sich selbst identisch bleibenden „Wirklichkeitsklötzchens'4 beizubehalten. Auch umfaßt der Begriff der „ E n e r g i e " als der Möglichkeit Arbeit zu leisten, wobei dann jeder „Energieform" ein Bewegungsäquivalent irgendwelcher Art irgendwie zugeordnet werden kann, nach der heutigen Auffassung nur eine S e i t e des Energiebegriffs. Ihrem Wesen nach ist sie auch „ineinsbildende Energie": F o r m e n e r g i e . Es ist das Verdienst von W e y l , auf die Beziehungen der heutigen Physik zu den ontologisch-dynamischen Vorstellungen des Aristoteles wieder hingewiesen zu haben (2). Wenn Aristoteles den Blick so vor allem auf den i n n e r e n ursächlichen Bestand der Naturdinge und auf den k o n k r e t e n V e r w i r k l i c h u n g s p r o z e ß in den Naturvorgängen richtet, so entgehen ihm doch nicht auch die a l l g e m e i n e n W e s e n s z ü g e , die dem Leben selber und seinen großen Abstufungen in P f l a n z e , T i e r und M e n s c h zukommen. Auch dieses Allgemeine ist nach A r i s t o t e l e s eine A r t G a n z e s , d a s die s p e z i f i s c h e n U n t e r s c h i e d e a l s i d e a l e M ö g l i c h k e i t e n in sich e i n s c h l i e ß t . Ganz allgemein charakterisiert er das L e b e n als B e w e g u n g , die den G r u n d ihrer B e s t i m m u n g in s i c h 5

s e l b e r t r ä g t . Die leblosen K ö r p e r h a b e n n a c h Aristoteles kein P r i n z i p der S e l b s t b e s t i m m u n g u n d w e r d e n d e s h a l b in d e r A r t , wie sie sich bewegen, ganz v o n a u ß e n her b e s t i m m t . D a z u k o m m t n o c h ein Zweites. W e n n die leblosen K ö r p e r ihre E i g e n s c h a f t e n ä u ß e r n , so w i r k e n sie auf a n d e r e s v e r ä n d e r n d ein. I m Gegensatz zu einer solchen sich v e r ä u ß e r n d e n Wirks a m k e i t n e n n t Aristoteles die L e b e n s t ä t i g k e i t „ e i n e n F o r t schritt d e r eigenen N a t u r zu sich selber". D a s Lebewesen ist also n i c h t n u r a u s sich selber, sondern a u c h f ü r sich selber t ä t i g . M a n n e n n t eine solche T ä t i g k e i t eine i m m a n e n t e . W a s n u n die S t u f e n des Lebens a n g e h t , so f a ß t Aristoteles d a b e i n i c h t n u r den körperlichen Vollzug der Bewegung u n d die rein körperlichen H i l f s m i t t e l dabei ins Auge, sondern es k o m m t i h m vor allem d a r a u f an, den B e w e g u n g s t y p u s , u m den es sich h a n d e l t , festzustellen, also eine A r t T y p o l o g i e der B e w e g u n g s f o r m e n d e r N a t u r und d a d u r c h a u c h ihrer Seinsstufen zu geben. Aus der E r k e n n t n i s , d a ß der Pflanze die in der H a n d l u n g selbständige T ä t i g k e i t des Tieres u n d das Sinnesleben f e h l t , h a t Aristoteles tiefe Einblicke in ihre ganze B a u k o n s t r u k t i o n u n d ihre V e r h a l t u n g s gesetze gewonnen. Die P f l a n z e n e n t b e h r e n mit d e m T r i e b u n d der S i n n e s t ä t i g k e i t des e i n h e i t l i c h e n M i t t e l p u n k t e s f ü r ihr L e b e n u n d sind d u r c h ihre E r n ä h r u n g s w e i s e n u r polar nach oben und unten und nicht nach vorn und hinten und rechts u n d links gegliedert. E r s t beim Tier ist d u r c h das E r k e n n e n ein i n t e n t i o n a l e r A u s g a n g s p u n k t der B e w e g u n g in einem V o r n u n d ein R i c h t u n g s s p i e l r a u m zwischen r e c h t s u n d l i n k s gegeben. E i n verschiedenes B a u p r i n z i p als Ausd r u c k v e r s c h i e d e n e r W e s e n s a r t der B e w e g u n g w a l t e t d a n n a u c h zwischen Mensch u n d Tier. „ D i e Tiere, sagt Aristoteles drastisch, h a b e n n u r e i n e H i l f e u n d k ö n n e n sie mit keiner a n d e r n v e r t a u s c h e n , sondern müssen d a r a n sein wie ein Mensch, der i m m e r in den S c h u h e n s c h l ä f t u n d alles in den S c h u h e n v e r r i c h t e t , die L e i b e s r ü s t u n g niemals ablegt u n d die W a f f e , die er einmal h a t , nie v e r t a u s c h t . D e r Mensch dagegen k a n n H i l f s m i t t e l in Menge h a b e n u n d jederzeit mit i h n e n wechseln u n d a u c h W a f f e n f ü h r e n , welche er will u n d wo er will. I s t es doch seine H a n d , die i h m K r a l l e , H u f u n d H o r n , Spieß u n d Schwert wird u n d welche W a f f e n u n d welche

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Werkzeuge es sonst noch sein sollen. Denn sie k a n n all das werden, weil sie alles fassen und halten k a n n und dieser ihrer natürlichen Bestimmung entsprechend auch ihre Gestalt gebildet ist" (3). Dieser aristotelische Gedanke, der das Charakteristische im Menschen in der r e l a t i v e n O r g a n a u s s c h a l t u n g sieht, ist bekanntlich vor mehreren J a h r e n von A l s b e r g in seinem Buche „Menschheitsrätsel" wieder aufgegriffen und zu einer orginellen, wenn auch etwas einseitigen Anthropologie ausgearbeitet worden. Auch die allgemeinen Wesenszüge des vegetativen Lebens, die der Ernährung, des Wachstums, der Fortpflanzung und der Vererbung h a t Aristoteles in einer R e i n h e i t erfaßt, die uns in Erstaunen versetzt. E r n ä h r u n g im aristotelischen Sinne ist nicht rein physiologisch zu verstehen als Hervorbringung von organischen Substanzen, d. h., wie wir heute sagen würden, von verwickelten Kohlenstoffverbindungen. Sie besagt vielmehr eine echte spezifische Einverleibung der verarbeiteten Nahrung in die aktuelle Einheit des lebenden Körpers und in diesem Sinne eine wahre „ H i n z u z e u g u n g " lebender Substanz. „Dasselbe, sagt deshalb Aristoteles, ist das Ernährende und das seinesgleichen Erzeugende. Wie die K r a f t der ernährenden Seele aus der Nahrung später das W a c h s t u m bewirkt, indem sie sich als Werkzeug dazu der Wärme und Kälte bedient — denn darauf beruht ihre und gewissermaßen jede Bewegung — so setzt sie auch v o n G r u n d a u f das, was von N a t u r wird, z u s a m m e n " (De generat. animal. I I , cap 4, pag740b). Sehr instruktiv ist auch eine Stelle bei Aristoteles, welche das Rätsel der F o r t p f l a n z u n g berührt. Aristoteles geht, wie wir schon erwähnt haben, davon aus, d a ß in allem, was von N a t u r oder durch K u n s t entsteht, durch ein in der T a t Seiendes das der Möglichkeit nach Seiende wird. Der Same nun erhält vom Zeugenden, von dem in d e r T a t Seienden, eine solcheBeschaffenheit und h a t von ihm eine solche Bewegung und ein solches Prinzip, daß er aus dem von der Mutter gelieferten Material den E m b r y o bildet. Aber daß der Same, nach dem er alle oder einige Teile hervorgebracht hat, wieder untergehe, ist nach Aristoteles widersinnig. Indem der Befruchtungsstoff unter Zufuhr von N a h r u n g vermehrt und beim Organisierungs7

prozeß verbraucht wird, bleibt doch noch etwas unverbrauchtes Samenmaterial übrig, „so, sagt Aristoteles, w i e e i n Maler oft F a r b e übrig läßt, derjenigen ähnlich, d i e e r b e n u t z t h a t " . Und aus diesem unverbrauchten Material wird im männlichen Organismus wieder neuer Same gebildet, so d a ß d u r c h d i e s e S a m e n k o n t i n u i t ä t d i e E r b s u b s t a n z v o n G e n e r a t i o n zu G e n e r a t i o n w e i t e r g e g e b e n w i r d . Auf diese Weise erklärt Aristoteles nach J o h a n n s e n (4) die Vererbung, d. h. die Tatsache, d a ß der Nachkomme den Eltern wieder gleicht. Neuerdings h a t freilich eine eingehendere Untersuchung festgestellt, daß zu der von Johannsen angeführten Stelle auch widersprechende Stellen bei Aristoteles zu finden sind, welche die Samenkontinuität ausschließen. Wie dem auch sei, wichtig ist, d a ß von Aristoteles die stofflichen Grundlagen der Vererbung auch wirklich m a t e r i a l (in Analogie zu den Farben) aufgefaßt werden, während die ordnende, die Teile ins wirkliche Ganze fügende Ursache der Organismus selber bzw. sein Verwirklichungsfeld ist. Plato, der Philosoph der Idealbestimmung d u r c h die Wesensnormen, u n d Aristoteles, der vorwiegend von der konkreten Wirklichkeitsbestimmung (des Materialfeldes durch das Verwirklichungsfeld) ausgehende Denker, haben sich in T h o m a s v o n A q u i n zu einer durchaus neuen und höher gestaffelten Einheit verbunden, und man k a n n diese wie aus These u n d Antithese schöpferisch vollzogene Synthesis des Aquinaten mit Recht als den S t a n d p u n k t der p e r s p e k t i vischen T o t a l i t ä t s b e t r a c h t u n g der Wirklichkeit überhaupt bezeichnen. Thomas verwirklicht die Verbindung beider durch seine Lösung des Ideenproblems im allgemeinen u n d des Problems des Ursprungs der Ideen in der menschlichen Erkenntnis (ideogenetisches Problem) im besonderen. Diese Lösung gelingt ihm, indem er Piaton mit dem konkretkausalen Denken des Aristoteles durchdringt und umgekehrt Aristoteles durch den christlich gedeuteten Teilnahmegedanken Piatons zu einem gereinigten Platonismus emporhebt. Die Vermittelung der aristotelischen Philosophie u n d vor allem auch der biologischen Grundanschauungen derselben dankt Thomas von Aquin seinem Lehrer A l b e r t u s

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M a g n u s . Dieser war ein ausgezeichneter Naturbeobachter mit einem ausgeprägten Formensinn, was schon daraus hervorgeht, daß wir bei ihm als erstem in der Literatur eine Beschreibung der feinen Schneekriställchen finden sowie die erste richtige Schilderung der Knospenlage des Kelches und der abwechselnden Stellung der Blütenteile bei der Rose. Als theoretischer Biologe übernimmt Albert von Aristoteles die scharf das Eigentümliche erfassenden Begriffe des Wachstums und der Ernährung, seine treffliche Charakteristik des vegetativen und sensitiven Lebens, er vertieft sie und belegt sie durch neue Beobachtungen. Er kennt auch und beschreibt die Schlafbewegungen der Blumen, aber der echte Schlaf ist ihm ein Vorzug der auch nur am echten Wachsein teilnehmenden Tiere. Ganz modern mutet es uns an, wenn er den Formwechsel der Pflanze in innige Beziehung zu ihrem Stoffwechsel bringt und hier schon so etwas wie eine B l a t t m e t a m o r p h o s e durch wechselnde Stoffzufuhr annimmt. Das von Stufe zu Stufe eich verfeinernde Blatt ist nach ihm als ein Anhang der Knoten aufzufassen, in welchem der überflüssige Teil der Nahrung abgeschieden wird. J e nachdem diese Abscheidung gröber oder feiner ist, soll auch das Blatt sein Formgepräge ändern. Eine ganz ähnliche Vorstellung legte auch später G o e t h e seiner Auffassung von der Blattmetamorphose zugrunde. G e s t a l t t y p o l o g i s c h e Untersuchungen können wir darin erblicken, daß Albert die Gestaltungen der Blüten auf g e o m e t r i s c h e F o r m e n zurückführt, sie als g e f l ü g e l t e F o r m , G l o c k e n f o r m und (häufigste) S t e r n e n f o r m unterscheidet. Wie Goethe, so hat auch schon Albert botanische E x p e r i m e n t e angestellt. So beschreibt er selbst einen hübschen Versuch mit Rosen. Wenn man eine Rosenknospe zeitig unterbinde und im Herbst wieder löse, so blühe sie an klaren Herbsttagen wieder auf. Die scharfe Beobachtung, die wir bei Albert auf dem botanischen Gebiete finden, zeigt sich auch auf dem zoologischen. Er weiß, daß die Ameise auf Reizung einen scharfen Saft absondert, beschreibt richtig ihre Brutpflege, weiß, daß die Fühler ein Organ zum EinanderErkennen sind. Dies beweist er, indem er die Fühler abschneidet; fühlerlose Ameisen irren dann ziellos umher und beißen sich an ihren Gefährtinnen fest. Wie ich einer inter9

essanten Notiz von Kohlbrügge entnehme, berichtet Albertus Magnus auch über eine Art Sprache der Affen. Neben solcher Fülle wesentlicher Beobachtungstatsachen findet sich bei Albert auch immer wieder der Versuch, die lebendigen Bildungen als solche zu erkennen u n d namentlich in der Anthropologie b e m ü h t er sich, die greiflichen Teile des Menschen im Zusammenhang zu erfassen u n d als Andeutungen seines Innern aufzunehmen. Er nennt den Menschen nicht bloß spezifisch verschieden vom Tiere, sondern gewissermaßen generisch; er zeigt, wie er die höchste Entwicklung des Zentralsinnes, des Gefühles, habe, während die anderen Sinne edler ausgebildet sind als bei den Tieren; er weist auf die H a n d als das Organ des Verstandes und der Kunst hin, auf die vollkommenste Leibesgestalt, die nach den drei Dimensionen harmonisch sich entfaltet, auf die vollkommenste Bewegung des Menschen, auf seinen aufrechten Gang, auf die Verklärung aller K r ä f t e und Triebe durch die Seele, die „wie der feste Sitz sei, auf dem alle Schönheiten der göttlichen Schau und Wahrheit und Güte t h r o n e n " . Was ihn an der Seele am meisten in Erstaunen setzt, ist ihre reine, dem Erkenntnisstreben entsprechende Richtung auf die Wahrheit als solche. „Die Seele, sagt Albert, ist etwas Wunderbares; aber in ihr ist wunderbarer als alles, daß der Mensch durch sich selber zu wissen verlangt." Was den Erwerb des Wissens im Menschen durch die Ideenbildung angeht, so h a t Alberts Lösung dieses Problems, das man das i d e o g e n e t i s c h e gen a n n t hat, schon im wesentlichen das Richtige getroffen, wenn seine Lehre vom i n t e l l e c t u s a g e n s (wonach der Verstand zwar Schüler der E r f a h r u n g und insofern rezeptiv d. h . empfangend, aber doch zugleich sein eigener Lehrer ist), auch manchmal akut mystisch im neuplatonischen Sinne wird. Auch die Lösung des Ideenproblems wird schon von Albert auf die klassische Formel gebracht: Die Ideen sind v o r d e n D i n g e n ( a n t e r e s ) als V o r b i l d e r , i n d e n D i n g e n (in r e b u s ) als W e s e n und n a c h d e n D i n g e n ( p o s t r e s ) als unsere menschlichen A b s t r a k t i o n e n . Was in Alberts Versuch, den Aristotelismus und Platonismus auf einer höheren Ebene zu vereinigen, noch unzulänglich und unausgeglichen blieb, hat die ungleich höhere 10

spekulative K r a f t des Aquinaten zur inneren Vollendung gebracht. Die Fragen, inwieweit Thomas von Aquin aus den antiken Quellen rein geschöpft oder inwieweit er sie christlich interpretiert oder selbständig weiter gebildet h a t , können hier u n b e r ü h r t bleiben, da es sich uns n u r d a r u m handelt, den platonischen Aristotelismus in der Naturanschauung des Aquinaten s e l b e r kennenzulernen — also jene Synthese, die in der kritisch wesentlich höher gestaffelten Erkenntnislage von heute das uns zutiefst bewegende Problem bildet. Wenn ich sie zu ihrer besseren Exemplifizierung schon gleich mit der Gegenwartserkenntnis in lebendige Verbindung setze, so rechtfertigt sich das dadurch, daß ich n u r a u f d e n e n t w i c k l u n g s f ä h i g e n K e r n i n i h r u n d nicht auf die historisch bedingte Schale gehe, die der mittelalterlichen Naturerkenntnis angepaßt war. E r s t am Schluß unserer Ausführungen werden wir sehen, wie auch dieser Kern aus der heutigen Problemlage heraus n e u sich innerlich a u f b a u e n muß, insofern die e i n h e i t l i c h e Lösung eine viel feinere und tiefere S c h e i d u n g der Gesichtspunkte in ihr verlangt. Sicher ist die k o n k r e t - k a u s a l e Fragestellung das Charakteristische in dem s e i n s g e r e c h t e n Denken des hl. Thomas. I n b e w u ß t e m G e g e n s a t z z u d i e s e r s e i n s g e r e c h t e n K a u s a l a u f f a s s u n g ist der gesetzesgerechte Kausalbegriff der m o d e r n e n Naturwissens c h a f t , ihre auf m a t h e m a t i s i e r e n d e I d e a l b e s t i m m u n g (nicht primär auf Wirklichkeitsbestimmung) hinausgehende Tendenz herausgebildet worden. Wenn wir diese Idealbestimmungen ins Auge fassen, so steht darin der N o t w e n d i g k e i t s c h a r a k t e r im Vordergrund. Das Kausalverhältnis löste sich auf in das Verhältnis der gesetzmäßignotwendigen Aufeinanderfolge und besagte, d a ß mit dem tatsächlichen Vorhandensein bestimmter körperlicher Bedingungen notwendig das Auftreten eines ganz bestimmten Erfolges v e r k n ü p f t ist. K e n n t m a n die Anfangslage und die Anfangsgeschwindigkeit eines Massenpunktes in einem gegebenen Kraftfeld, so k a n n m a n seine Bewegung genau bestimmen. Zwischen den q u a n t i t a t i v erfaßbaren Größen der Bedingungen und des Erfolges wurde eine m a t h e m a t i s c h - r a t i o n a l e Funktionsgleichung aufgestellt. Bei Ein11

Setzung bestimmter Bedingungsweise sollte dann auch eiD ganz bestimmter Erfolgswert notwendig herauskommen. Daß dem so ist, war aber lediglich eine Voraussetzung, ein Postulat der Naturwissenschaft, und zwar oberstes Postulat, auf das sie ihre ganze Zuversichtlichkeit in der Erforschung allgemeiner, unverbrüchlicher Naturgesetze gründete — eine Zuversichtlichkeit, die sich dann auch immer bei der E n t deckung eines neuen Gesetzes durch die E r f a h r u n g zu bestätigen schien. Diese Auffassung des Naturgesetzes wurde nun aber durch die neueste Entwicklung der Physik mächtig erschüttert. Die kritische Analyse zeigte zunächst, daß viele Gesetze in ihrer wissenschaftlichen Formulierung nur statistische Feststellungen sind. Durch die exakte Forschung wird lediglich konstatiert, d a ß Dinge, die man für gleich ansieht, u n t e r bestimmten gleichen Umständen in gleicher Weise reagieren, u n d diese gleiche Reaktionsweise wird dann als Naturgesetz formuliert. Daß aber zwei Dinge, die man f ü r gleich ansieht, wirklich gleich sind, ist schon eine bloße Annahme. Schon zwei Sauerstoffatome sind, wie wir heute wissen, in jedem Moment voneinander verschieden. Daraus, d a ß die bisher beobachteten Sauerstoffatome sich gleich verhalten haben, können wir also nicht schließen, d a ß alle Sauerstoffatome sich unter den angenommenen gleichen Umständen gleich verhalten m ü s s e n . Von bestimmten gleichen Umständen der Reaktion zu sprechen u n d andere Umstände zu vernachlässigen, weil sie nach den bisherigen Erfahrungen ohne Einfluß auf die Reaktion geblieben sind, ist noch weniger zulässig. J e mehr m a n freilich einzelne Fälle mit dem immer gleichen Resultat verglichen h a t , desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, d a ß das gefundene Resultat sich in einem bestimmten Falle einstellen wird. Aber es bleibt immer n u r die Wahrscheinlichkeit einer statistischen Feststellung, die empirisch nie zur vollen Gewißheit erhoben werden kann. Dazu k o m m t die neueste Erkenntnis der Atomphysik, daß im Gebiete atomistischer Größenordnungen bestimmten Berechnungen nicht n u r durch die unvollkommene Praxis mit den äußeren I n s t r u m e n t e n , sondern g r u n d s ä t z l i c h d u r c h die N a t u r d e r zu m e s s e n d e n O b j e k t e u n d das Sin12

n e s o r g a n d e s B e o b a c h t e r s eine unüberschreitbare Genauigkeitsgrenze gesetzt ist. Die Annahme einer letzten Gesetzlichkeit des Geschehens würde dadurch f ü r die Physik als Postulat mindestens überflüssig sein, da sie j a jetzt auch grundsätzlich nie bestätigt werden könnte. Man spricht daher von einer Kausalitätskrisis in der modernen Physik, weil man unter Kausalität die mathematisch-funktionale Idealbestimmung der gesetzmäßig notwendigen Verknüpfung materieller Zustände versteht, die jetzt grundsätzlich durch die E r f a h r u n g nicht mehr auf ihre Richtigkeit n a c h p r ü f b a r erscheint. J a , es sieht so aus, als ob die Physik in der Wechselwirkung der letzten Wirkungszentren eine streng festgelegte Ordnung sogar positiv leugnen wollte.*) Bei dieser Sachlage ist es wichtig einzusehen, d a ß die Physik n u r b e s t i m m t e B e z ü g e am Naturwerden ins Auge f a ß t , aber nicht dessen eigentliches Wesen. So wenig die Regeln der Grammatik dem blühenden sprachlichen Leben eines Gedichtwerkes Ausdruck verleihen können, so wenig können Formeln, die die Abhängigkeit q u a n t i t a t i v ermittelbarer Größen darstellen, die Wissenschaft zum Abbild der N a t u r machen. Aber wie soll man n u n f a k t i s c h an die Wirklichkeitsbestimmung herankommen ? E t w a dadurch, d a ß wir auf der Grundlage eines p s y c h o l o g i s c h e n Empirismus in die Natur d e s h a l b tätigende Ursachen hineinverlegen, weil w i r s e l b s t uns als tätigende Ursachen e r l e b e n (und so die N a t u r als produktive N a t u r n u r in Analogie zu uns selbst zu verstehen suchen ?). Dieser Weg wäre r e i n e r A n t h r o p o m o r p h i s m u s . I m Gegensatz zu jener mathematisch abstrakten oder zu dieser psychologistisch-vermenschlichenden Kausalitätsauffassung finden wir bei Aristoteles u n d der genuinen Scholastik ihre Einsichtigmachung v o m O b j e k t des Seienden selbst her. *) S c h r ö d i n g e r freilich ist der Ansicht: Wenn die Philosophen glaubten, aus anderen Gründen an der strengen Geltung des Kausalgesetzes festhalten zu müssen und dürfen, so stehe seitens der Physik dem nichts im Wege, nur müsse sie freilich erklären, daß sie daran, wenigstens in ihrem gegenwärtigen Zustande, kein grundsätzliches Interesse habe. (Vgl. die immer ausgezeichneten Berichte von Bavink über diese Fragen in der Zeitschrift „Unsere Welt").

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Wenn wir ihre Kausalbegründung zeitentsprechend durchführen wollen, so müssen wir modern p h ä n o m e n o l o g i s c h vorgehen, d. h. d u r c h s c h l i c h t e W e s e n s c h a r a k t e r i s t i k in d a s Sein u n d W e r d e n als s o l c h e s e i n z u d r i n g e n v e r s u c h e n . Es handelt sich dabei gar nicht u m die Einsicht in eine Tätigkeit als spezifisch menschliche Tätigkeit, sondern um das unmittelbare Aufzeigen der beiden obersten Seinsunterschiede, die allerdings durch Analogien, die die innere Anschauung uns bietet, am besten sich verdeutlichen lassen. Wir gehen in der phänomenologischen Analyse a m erfolgreichsten von gewissen konkret-sinnlichen E r k e n n t n i s a k t e n , nämlich von der Auffassung bestimmter Figuren aus. I n Abb. 2 ist uns rein gegenständlich ein Flechtmotiv gegeben, das durch Vereinigung der vier Hakenkreuze von Abb. 3 entstanden ist. In diesem Flechtmotiv finde ich n u n aber ein Moment vor, das mich überrascht. Es ist zunächst so beschaffen, d a ß die vier vorhergegebenen Hakenkreuze nicht mehr in ihm vorhanden sind. W i l l i c h s i e t r o t z d e m i n d e r A n s c h a u u n g a u s i h m h e r a u s i s o l i e r e n , so z e i g t d a s F l e c h t m o t i v e i n e n g e w i s s e n W i d e r s t a n d . Noch deutlicher zeigen dieses Moment die Abb. 4 bis 7. In allen ist als Kern das Hakenkreuz 4 enthalten. Seine Herauslösung gelingt am leichtesten bei Abb. 5, am schwersten bei Abb. 7. Indem ich nun den W i d e r s t a n d erfasse, den die Gestalten in verschiedener Weise der Herauslösung bestimmter Glieder entgegensetzen, erfasse ich darin zugleich auch ein gewisses G e f e s t i g t s e i n der Gestalt, und zwar ein Gefestigtsein, das n i c h t ein rein i n h a l t l i c h e s Z u s a m m e n g e h a l t e n s e i n a l s E l e m e n t d e r E r k e n n t n i s b e d e u t e t . Auch ein solches gibt es. Aus der Zweckbestimmung der Uhr sind gewisse rein ideale Widerstände gesetzt gegen beliebig viele Konstruktionsvariationen. Eine solche n u r rein sinngesetzliche Festigung im Verbundensein der Teile liegt in der Gestaltauffassung nicht vor (was, wie wir später sehen werden, bei bestimmten rein zwangsläufigen Gestaltergänzungen besonders deutlich hervortritt). Deshalb stellen die vier Hakenkreuze auch nicht rein ideale Möglichkeiten zum Flechtmotiv und dieses nicht nur eine rein inhaltlich begründete Vereinigung derselben vor. I m M o m e n t i h r e r F e s t i g u n g l i e g t 14

a l s o ein l e d i g l i c h v o m S e i n a l s S e i n , u n d zwar a l s e i n e m in E i g e n k r a f t s t e h e n d e n ( b e s t i m m u n g s m ä c h tigen) Wirklichsein und nicht inhaltlich vom

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Abb. 1 — 16 mit Ausnahme Abb. 12 u. 13 aus Matthaei, Das Gestaltproblem.

S i n n her g e s e t z t e r W i d e r s t a n d . Daß dieser erlebte Widerstand von etwa unsere Tätigkeit begleitenden Tastempfindungen scharf zu unterscheiden ist, hat zuerst D i l t h e y scharf gesehen, der ihn im Gegensatz zur toten örtlichen 15

Empfindung „die E r f a h r u n g der lebendigen K r a f t im Widers t a n d e " n e n n t . Wenn wir weiterhin das in Eigenkraft stehende Wirklichsein als ein psychisches bestimmen müssen, so t u t das nichts zur Sache, da es sich f ü r uns vorläufig nur u m den Einblick in die beiden obersten Seinsunterschiede handelt. Wir stellen ferner fest, d a ß in bezug auf das Flechtmotiv die vier Hakenkreuze, wenn sie zusammengerückt werden, ihre Erscheinungsform verlieren. Sie haben zur Neubildung ein M ö g l i c h s e i n , aber nicht eines das zunächst inhaltlich sinngesetzlich einsichtig ist, wie die Bildung einer Uhr aus so oder so geformten Teilen. Sie stehen vielmehr zur Flechtmotivbildung, deren Festigung, wie wir gesehen haben, immer nur vom Sein als einem in Eigenkraft stehenden Wirklichsein u n d nicht rein inhaltlich vom Sinn her gesetzt werden kann, sie stehen, sage ich, zu dieser Flechtmotivbildung in einem r e a l e n Möglichsein. Dieses Möglichsein „ g i l t " in der r e a l e n Ordnung, wie eine mögliche Konstruktionsvariation der Uhr z u n ä c h s t in der i d e a l e n Ordnung „ g i l t " . Obwohl an diesem Beispiel aus der Wahrnehmungslehre das reale Möglichsein nicht unmittelbar verdeutlicht werden k a n n , so läßt sich das in ihm enthaltene Moment einer realen „Bestimmungsbereitschaft" (im Gegensatz zur idealen) doch an anderen Beispielen, etwa an den Phänomenen des reinen inneren „Geöffnetseins", der „maximalen Empfänglichkeit" des Lernenden dem Lehrenden gegenüber, anschaulich einsichtig machen. Nun ist es aus dem W i d e r s p r u c h s p r i n z i p einleuchtend, daß einem Etwas, dem ein reines reales Möglichsein in bezug auf ein anderes Etwas zukommt, nicht zugleich u n d in gleicher Hinsicht ein bestimmungsmächtiges Wirklich- oder Aktuellsein in bezug darauf zukommen kann. Da es also der Eigenkraft in bezug auf das, zu dem es in Potenz steht, entbehrt, m u ß es sie von einem von ihm verschiedenen Etwas, das schon in Eigenkraft steht (also wirklich bestimmungsm ä c h t i g ist) empfangen. Dieses aber ist die Ursache (oder das Verwirklichungsfeld) der Überführung des bestimmungsbereiten Möglichseins (der Potenz oder des Materialfeldes) in das d a n n tatsächlich durchbestimmte Wirklichsein (den Akt), d. h. eines Vorganges, der das Wesen jedes Werdens 16

überhaupt (als Wirklichkeitsbestimmung) ausmacht. D i e Ü b e r l e g u n g gilt also f ü r j e d e s dem W e r d e n u n t e r w o r f e n e n S e i n , da sie v o n d e n b e i d e n als g a n z allgemein erschauten Crundunterschieden des S e i n s , d e r P o t e n z u n d d e s A k t e s , a u s g e h t . Das eigentlich seinsoffenbarende Moment im Sein ist vor allem das „Eigenkräftige" im aktuellen Sein, weshalb schon P l a t o das Sein mit K r a f t identifiziert h a t (Soph. p. 247 d. e.). Es ist durchaus wahrscheinlich, d a ß unsere auf die oberste Wesensanalyse des Seins gegründete Ableitung des Ursächlichkeitsgrundsatzes einen heutigen Positivisten nicht überzeugen wird. Dessen immer noch durch die Assoziationspsychologie befangenes Urteil läßt ihn n u r schwer zu der Erkenntnis dessen kommen, was dem geistigen Blick unmittelbar sich a u f t u t : des bestimmungsmächtigen „In-Eigenkraft-Stehens" und des bestimmungsbereiten „In-AnlageStehens" als obersten Unterschieden im kreatürlichen Sein. E r neigt dazu, diese Unterscheidung als eine reine Fiktion des Sicheinlebens zu betrachten. Es gilt deshalb, unseren Ursächlichkeitsgrundsatz zunächst auf die vitalen Vorgänge der Wirklichkeitsbestimmung anzuwenden und den Dualismus von Materialfeld und Verwirklichungsfeld in ihnen aufzuzeigen. Es wird sich dabei empfehlen, zunächst die p s y c h o l o g i s c h e n Erfahrungen beim Sehakt noch etwas näher zu analysieren, a l s o n i c h t d e s s e n I n h a l t a l s E l e m e n t der E r k e n n t n i s , s o n d e r n die ihn als p s y c h i s c h e n Vorgang charakterisierenden Erscheinungen. Wenden wir zunächst dem einen Anteil bei der optischen Wahrnehmung unsere Aufmerksamkeit zu, der das zu formende Material, den optischen Stoff, bei ihr darstellen soll, u n d durch das Reizaufnahmeorgan, die Netzhaut, geliefert wird. Die Netzhaut unseres Auges besitzt eine komplizierte Strukt u r und ist aus verschiedenen Schichten aufgebaut. Die oberste, also nach vorn (zur Linse) gewendete Schicht e n t h ä l t die vom Gehirn herkommenden Sehnervenfasern mit ihren Ganglienzellen, welche schließlich in ihre E n d b ä u m c h e n auslaufen. Zwischen diesen Endbäumchen und den Stäbchenund Zapfenzellen vermitteln die bipolaren Zellen. Die Stäbchen- und Zapfenzellen liegen also zuhinterst u n d sind wie A n d r é , Urbild.

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die H ä r c h e n eines feinen S a m t ü b e r z u g e s dicht z u s a m m e n gedrängt." E t w a 500 S t ä b c h e n u n d 200 Z a p f e n k o m m e n auf einen m m . I m ganzen z ä h l t m a n in der N e t z h a u t e t w a 120 Millionen S t ä b c h e n u n d 3 Millionen Z a p f e n . Die Lichts t r a h l e n müssen d u r c h die glashelle N e t z h a u t bis zu diesen S t ä b c h e n u n d Z a p f e n d u r c h d r i n g e n u n d sie erregen. Die E r r e g u n g wird v o n d e n bipolaren Zellen zu d e n S e h n e r v e n überm i t t e l t u n d d u r c h diese ins Gehirn. Die Stelle des d e u t l i c h s t e n Sehens, der s o g e n a n n t e gelbe Fleck, e n t h ä l t bloß Z a p f e n , die hier a u ß e r o r d e n t l i c h d ü n n sind u n d d i c h t e r s t e h e n wie sonst, a u c h m i t eigenen bipolaren Zellen u n d S e h n e r v e n f a s e r n verb u n d e n sind. W e n n wir ein homogenes tiefschwarzes Sehfeld wählen, u n d in demselben einen m i n i m a l e n a n der Grenze der Sichtb a r k e i t s t e h e n d e n L i c h t p u n k t a u f l e u c h t e n lassen, so e n t spricht das der E r r e g u n g eines einzigen E l e m e n t e s oder einer E l e m e n t a r e r r e g u n g . E s ist wichtig, d a ß jedes Sehelement n u r einer einzigen E m p f i n d u n g f ä h i g ist, also n i c h t verschiedene E i n d r ü c k e sondern k a n n . J e zahlreicher n u n die Netzh a u t e l e m e n t e sind, u m so besser k a n n bei gleicher E n t f e r n u n g zwischen Auge u n d G e g e n s t a n d dieser in einzelne P u n k t e aufgelöst w e r d e n , die sich z u m e n t s p r e c h e n d feinen E r r e g u n g s m o s a i k auf der N e t z h a u t vereinigen. J e geringer die Zahl der Sehelemente ist, u m so weniger scharf ist das Mosaik des Gesamtbildes. W e n n m a n eine p h o t o g r a p h i s c h e A u f n a h m e d u r c h i m m e r gröbere R a s t e r v e r u n d e u t l i c h t u n d sich vorstellt, d a ß j e d e m R a s t e r p u n k t ein Sehelement ents p r i c h t , so g e w i n n t m a n v o m A u f l ö s u n g s v e r m ö g e n der einzelnen T i e r a u g e n , deren N e t z h a u t m o s a i k j a ebenfalls feiner oder gröber sein k a n n , ein u n g e f ä h r e s Bild. Obwohl n u n d a s E r r e g u n g s b i l d aus zahllosen E l e m e n t a r erregungen z u s a m m e n g e s e t z t g e d a c h t wird, k a n n in der W a h r n e h m u n g e t w a s h e r a u s k o m m e n , was sich keineswegs als S u m m e zahlloser e l e m e n t a r e r S e h a k t e r e p r ä s e n t i e r t . G u r w i t s c h (5) geht v o n f o l g e n d e m G e d a n k e n e x p e r i m e n t a u s : „ D a s Gesichtsfeld sei m i t einem b u n t e n , kleinscheckigen Mosaik aus grellen F a r b e n ausgefüllt. I n n e r h a l b eines geometrisch wohl d e f i n i e r b a r e n Bezirkes (z. B. eines Dreiecks) g l ä t t e m a n n u n vorsichtig u n d stetig (ohne Wissen der Ver-

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suchsperson) die Differenzen zwischen den einzelnen Mosaikelementen aus. Die Gestalt des Dreiecks wird nun ganz allmählich, für einen Beobachter früher, für den anderen später, aber schließlich für alle, und zwar zwangsmäßig hervortreten. Wir können dabei alle Stufen dieser Vereinheitlichung einzelner eventuell liminaler Wahrnehmungen verfolgen und sogar quantitative Gesetzlichkeiten aller Art ableiten. Dieser eigenartige Vorgang ist aber weit mehr als eine bloße Verschmelzung im Sinne der Bildung einer Summe oder Resultante, da mit ihr auch das Auftreten einer G e s t a l t verknüpft ist, die dem durch das bunte Mosaik ausgefüllten Felde noch fehlte. Wir können demnach von einem a m o r p h e n und einem g e s t a l t h a f t e n (morphogenen) Felde sprechen und die schrittweise Verwandlung des ersteren in das letztere bzw. ein gestalthaftes Werden (eine M o r p h o g e n e s e ) des Gesichtsfeldes verfolgen und feststellen. Die innere Verwandtschaft des hier auftauchenden Problems mit dem Grundproblem der Morphogenese ist geradezu ergreifend. Ebensowenig wie die Ausbildung der embryonalen Form aus den Elementarleistungen allein ableitbar ist, ist es auch die Entstehung des an Stelle des bloßen Nebeneinander liminaler Erregungszustände des amorphen Feldes auftauchenden gestaltenreichen Gesichtsfeldes." Das dualistische Verhältnis zwischen Materialfeld und Verwirklichungsfeld, wie es uns hier entgegentritt, läßt sich noch näher bestimmen als das Verhältnis des optisch-sensorischen Zentrums im Gehirn zum peripherischen Sinnesorgan und speziell zur Netzhaut. Das Verwirklichungsfeld im optisch-sensorischen Zentrum oder die „ i n - e i n s - b i l d e n d e E n e r g i e " , um einen O t t o W i l l m a n n s c h e n Ausdruck für sein bestimmungsmächtiges und Einheit stiftendes Wesen zu gebrauchen, tritt dem von ihm beherrschten o p t i s c h e n M a t e r i a l f e l d besonders dann sehr deutlich gegenüber, wenn ein einseitiger Defekt des optisch-sensorischen Feldes (der sog. Calcarina) vorliegt. Der normale Mensch faßt, um einen Gegenstand deutlich zu sehen, ihn scharf ins Auge, d. h. er richtet sein Auge so, daß eine gerade Linie von dem Zentrum des Gegenstandes durch die Mitte seiner Pupille und den Augenmittelpunkt genau auf den g e l b e n F l e c k , die 2*

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Stelle des schärfsten Sehens, fällt. G o l d s t e i n beschreibt nun den Fall des Sehens, wo bei einem Patienten einseitig eine Totalläsion des optisch-sensorischen Feldes im Gehirn eingetreten ist, die eine Calcarina also total funktionsunfähig geworden ist. Wenn ein solcher Patient gezwungen wird, den Fixierpunkt so mit geradeaus gehaltenen Augen festzuhalten, daß er dem gelben Fleck entspricht, so sieht er außerhalb des Fixierpunktes die nach der blinden Feldseite zu liegenden Reize nicht. Sobald man aber neben der fixierten Marke weitere Objekte in einer solchen Lage bietet, daß sie sich auf der sehenden Netzhaut abbilden, und ihn dann auffordert, das deutlichste Objekt anzusehen, dann blickt der Kranke an der Marke vorbei. Daraus folgt, daß ihm offenbar eine Stelle am deutlichsten erscheint, die nicht mit dem gelben Fleck in Übereinstimmung zu bringen ist, sondern innerhalb der gesunden um ihn herum ausgebreiteten Netzhaut liegt. Durch die T e n d e n z des Organismus, ein dem Wesen nach wie das normale struktuiertes Sehfeld zu besitzen, hat sich an Stelle des gelben Flecks eine neue Stelle funktioneller Höchstleistung gebildet und haben sich die Leistungen sämtlicher Netzhautpunkte geändert. Das Wesentliche, was durch die Verschiebung erreicht wird, ist eine solche Herbeischaffung des Materials, daß dadurch wenigstens die eine (noch unverletzte) Calcarina das g a n z e S e h f e l d aufbauen kann. Das untergeordnete Feld, die Netzhaut, die das Material vermittelt, verändert sich nach Maßgabe und Intention des übergeordneten Verwirklichungsfeldes, das das Material „ f o r m t " . D a s M a t e r i a l wird s e l b s t d a n n g e s t a l t h a f t (vere i n h e i t l i c h e n d ) d u r c h g e b i l d e t , w e n n es g a r n i c h t v o l l s t ä n d i g g e g e b e n i s t . Fallen Kreise, Flächenquadrate, Ellipsen oder Sternfiguren aus drei einander sich schneidenden Balken teilweise auf den normalen und teilweise auf den völlig rindenblinden Teil eines Gesichtsfeldes, so können sie unter Umständen doch zu v o l l k o m m e n e n F i g u r e n ergänzt werden. Diese Ergänzung findet selbst dann statt, wenn die ergänzten Teile auf der dargebotenen Figur objektiv fehlen. Wie bei der durch Hirnverletzung geschädigten Synthese optischer Wahrnehmungen die ursprüngliche stationäre Feldstruktur wieder hergestellt wird, zeigen auch 20

G e l b s Untersuchungen des Farbensehens bei rindengeschädigten Patienten. Bei solcher zentralen Störung des Farbensinnes k o m m t es vor, d a ß das Vermögen, die Farbe mit dem sie tragenden Objekt zu einem gefärbten Dinge zu vereinigen, aufgehoben ist. Die Dinge werden farblos gesehen, während eine farbige Fläche vor den Dingen liegt, durch die der Patient hindurchgreifen muß, wenn er das Ding berühren will. Bei der Genesung legt sich d a n n die F a r b e langsam wieder auf die Oberfläche der Objekte. I n anderen Fällen kann m a n den A u f b a u des gestörten Wahrnehmungsvermögens Schritt f ü r Schritt verfolgen. Bei starker Rindenverletzung wird die optische Wahrnehmung zunächst völlig entdifferenziert. Eine leuchtende Glühbirne wird n u r als Helligkeit empfunden. D a n n k o m m t es zum Eindruck einer leuchtenden Wolke ohne scharfe K o n t u r . Gibt man zwei Lampen zugleich, so sieht der K r a n k e nicht zwei Scheine, sondern einen größeren Schein in der Mitte. I m Laufe weiterer Genesung bildet sich zunächst die „amorphe F o r m " großer weißer Objekte heraus, woraus sich die distinkte Mehrheitswahrnehmung entwickelt: Zwei diskrete Lichter oder Objekte können jetzt zugleich wahrgenommen werden. Zum tieferen Verständnis des Aufbaues der Wahrnehmungswelt sind freilich die sensorischen Verwirklichungsfelder psychologisch (von innen her) noch viel feiner zu analysieren, als dies bisher unter der Vorherrschaft der Assoziationspsychologie mit ihrer Art „psychischen Chemie" geschehen ist. Hier hat namentlich P a l ä g y i (6) auf einen wichtigen Gesichtspunkt hingewiesen. W e n n , d u r c h d i e S i n n e s e m p f i n d u n g e n a u s g e l ö s t , n i c h t ein dem E r k e n n t n i s streben entsprechendes (intentionales) Hineinvers e t z e n in die r ä u m l i c h e n V e r h ä l t n i s s e d u r c h Bewegungseinbildungen oder Bewegungsphantasmen möglich wäre, wäre auch der A u f b a u einer bewußten r ä u m l i c h e n G e s t a l t w a h r n e h m u n g nicht mögl i c h . Bedecke ich z. B. mit der Handfläche die kreisförmige Öffnung eines Bechers, so nehme ich die Kreisform der Öffnung nicht vermittelst der Empfindung wahr, die der Glasrand erweckt, sondern diese Empfindungen müssen erst meine Einbildung anregen und mich zu einer eingebildeten Bewe21

gung rund um den Glasrand herum veranlassen, damit ich dessen Kreisform zu erfassen vermag. Ähnlich erkannte auch schon P a u l C l a u d e l (7), daß das Sehen sich nicht aus einem Bild ergibt, das sich in unser Gehirn einzeichnet, sondern aus einer Art Berührung mit dem Gegenstand, den der Blick anrührt und „umschreibt". Was mit großem Scharfblick K a n t geahnt hat, wenn er sagt, „daß die Einbildungskraft ein notwendiges Ingredienz der Wahrnehmung selbst sei, daran hat wohl noch kein Psycholog gedacht", das erhebt Palägyi zum Prinzip seiner Wahrnehmungslehre. Empfindungen sind allerdings eine unerläßliche Bedingung (die „Nahrung") für die Wahrnehmung irgendwelcher wirklich daseiender Gestalten der Dinge, aber nicht die Empfindungen selbst, sondern die durch diese erweckten virtuellen Bewegungen sind es, die uns die Gestalten e n t h ü l l e n . Daß Berührungsempfindungen mit einem Etwas, einem „Lokalzeichen", verbunden sind, beruht darauf, daß wir in der E i n b i l d u n g „lokalisieren", d. h. eine h i n w e i s e n d e B e w e g u n g nach dem Orte machen, an dem unser Leib berührt wird. Aber damit ist die Funktion der virtuellen Bewegung noch nicht erschöpft. „Indem wir mit der eingebildeten Bewegung auf einen Punkt unseres Körpers hinzielen, wird in diesem Punkt w i e d e r u m eine Empfindung erregt, die freilich wegen ihrer sehr geringen Intensität gewöhnlich nicht deutlich zum Bewußtsein kommt. E s ist aber bekannt, daß, wenn jemand einen Punkt unseres Leibes scharf beobachtet, wir in jenem Punkte eine Empfindung verspüren, nicht etwa, weil aus dem fremden Auge ein erregendes Fluidum nach dem fixierten Punkt hinströmt, sondern, weil unsere eigene Einbildung sich mit jenem fixierten Punkt zu beschäftigen beginnt und die eingebildete Bewegung, die nach einem Punkte unseres Leibes zielt, dort auch eine Empfindung weckt. E s gehört zu unseren alltäglichsten Erfahrungen, daß eine jede Bewegung, die wir in der Einbildung vollziehen, die mannigfachsten Empfindungen zu erwecken vermag. Streckt man z. B . in der Einbildung die Hand nach der metallnen Türklinke aus, so wird in der Hand nicht nur eine Berührungs- sondern auch eine Kälteempfindung wie bei dem wirklichen Erfassen des Metalles ausgelöst. Allerdings sind diese induzierten Empfin22

düngen von sehr geringer Intensität, aber es gibt Fälle, wo diese Intensität auch einen höheren Grad erreichen kann. F ü h r t man etwa in der Einbildung eine Zitronenschnitte in den Mund, was gewöhnlich dann geschieht, wenn irgend j e m a n d das vor unseren Augen t u t , dann k a n n diese eingebildete Bewegung eine so lebhafte Geschmacksempfindung von Zitronensäure hervorrufen, daß die induzierte Empfindung an Intensität beinahe der wirklichen gleichzukommen scheint." Das Interessanteste an diesem Sachverhalte ist, d a ß die Empfindung nicht n u r eine eingebildete Bewegung, sondern diese rückläufig auch wieder Empfindungen erweckt. Man muß also sagen, d a ß der sensorische Nervenprozeß einen zweiten Nervenprozeß, den der virtuellen Bewegung anrege und diesen zu dem ersten zurückführe, so d a ß die Nervenbahnen des ganzen Vorganges eine in sich geschlossene Linie bilden müssen. Natürlich schließen sich außer Geschmacksempfindungen, Kälteempfindungen (wie bei obigen Beispielen) auch Muskelempfindungen an eine eingebildete Bewegung an, und sind geeignet, modifizierend auf sie zurückzuwirken, so daß e i n g a n z e r H o f v o n E r i n n e r u n g e n u m sie herum entsteht. Ist die Empfindungszone der Muskelbewegungen in bezug auf den Tastsinn erkrankt, so k a n n eine im Dunkeln ertastete Gestalt nicht mehr aufgebaut werden. Palägyi hat uns so auf jenes relativ souveräne Feld der Phantasietätigkeit hingewiesen, das uns eine „ F i n d u n g " der Außenwelt in ihren räumlichen Verhältnissen allererst ermöglicht. Diese Findung beruht nicht auf einfachen Empfindungen, auch nicht auf einem G e d a n k e n an die Bewegung, sondern auf einer phantasmatischen, einer „ e i n g e b i l d e t e n " Bewegung, d u r c h d i e s i c h d a s S u b j e k t i n e i n e a n d e r e R a u m l a g e v e r s e t z t , o h n e sie a u c h w i r k l i c h e i n z u n e h m e n . D a d u r c h , d a ß wir in d e r P h a n t a s i e in der einen H i n s i c h t ein r e z e p t i v e s , die v o n außen kommenden Empfindungen aufnehmendes, a n d e r s e i t s a b e r a u c h ein sie f ü r die r ä u m l i c h e Zurechtfindung aktiv verwertendes Prinzip sehen, wird in Analogie zu diesem Dualismus auch das eigentliche Wesen der vitalen Wirklichkeitsbestimmung viel klarer. „Die Instruktion, welche die Keimteile fortschreitend zu 23

ihrem Schicksal bestimmt, wird in Gestalt eines biologischen (Verwirklichungs-) Feldes gedacht, indem dem unorganisierten Material Organisation vom bereits organisierten so mitgeteilt wird, wie etwa E l e k t r i z i t ä t e i n e m u n g e l a d e n e n v o m g e l a d e n e n K ö r p e r " (Rudy). Die Stoffwechselreize haben dabei nur eine auslösende, keine im eigentlichen Sinne schöpferisch-realisierende Funktion. Eine solche tritt uns aber schon in relativ primitiven Gestaltungsprozessen entgegen. Ein feiner Kenner der ungeheuer mannigfaltigen Kieselgerüste der Radiolarien schreibt: „Die Abscheidung aus Kieselerde bestehender Gerüste beruht auf den elementaren Lebensfähigkeiten des Stoffwechsels und des Wachstums. Wären bei der Bildung der Hartteile diese Fähigkeiten allein wirksam, so könnten die Weichteile bei entsprechender Stoffzufuhr wohl Mineralsubstanz abscheiden. Durch Wachstum könnte auch eine Massenzunahme der mineralischen Teile eintreten. Indessen müßten die Kieselgerüste dann bald so, bald so, aber immer wieder anders aussehen. Die Wirklichkeit zeigt jedoch eine ganz erstaunliche Regelmäßigkeit der Gestaltungen. Sie zeigt ferner, daß das Wachstum des Kieselgerüstes bei jeder Art einer besonderen, nur für diese eine Art geltenden Gesetzmäßigkeit unterliegt. D i e s e Erscheinungen können nur auf Wirkungen von physiolog i s c h e n F u n k t i o n e n b e r u h e n , die den F ä h i g k e i t e n des S t o f f w e c h s e l s und des W a c h s t u m s übergeordnet sind, die diese F ä h i g k e i t e n beherrschen, l e i t e n u n d r e g u l i e r e n . " (8) Auch sonst sehen wir bei der Bildung von Skeletteilen ein dem Stoffwechsel (als Materialfeld) übergeordnetes Verwirklichungsfeld, in das Reize auslösend hineinwirken können. Der Dualismus der sich zwischen beiden auftut, tritt übrigens am schönsten in den klassischen Versuchen von S. B e c h e r über die Bildung der S k e l e t t e l e m e n t e bei den H o l o t h u r i e n hervor (9). Die Holothurien (Seewalzen oder Seegurken) bilden eine Klasse der Stachelhäuter, haben aber im Gegensatz zu den übrigen Stachelhäutern einen äußerlich kriechenden, raupenähnlichen, walzen- oder schlauchförmigen Körper ohne festes Skelett. Die Körperwand besteht — von innen nach außen betrachtet — aus einem inneren 24

Leibesepithel, einer starken Ringmuskelschicht, einer dicken Lederhaut, die aus einer dichten inneren und einer lockeren äußeren Schicht besteht, und schließlich aus dem äußeren Epithel. In der Lederhaut eingebettet liegen in bestimmter Ordnung eine Menge Kalkkörperchen in Gestalt von Rädchen, Stäben, Gitterfiguren und Ankern. Becher richtet sein besonderes Augenmerk auf die viel bewunderten Anker und

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Abb. 17 — 20 aus der zitierten Arbeit von S. Becher. (Verkl.) Abb. 21 aus Carus Sterne, Werden und Vergehen.

Ankerplattenbildungen der fußlosen Seewalzen (Synaptiden). Das Verhältnis beider Gebilde zueinander zeigt Abb. 17 und 18. Die Ankerplatte bei der Spezies, die Becher seiner Untersuchung zugrunde legte (Leptosynapta bergensis) stellt ein ovales, regelmäßig gitterförmiges, flaches Gebilde dar, das einen besonderen spitz-verschmälerten Teil besitzt, dem der schief gestellte Anker mit dem Stielende aufsitzt, wie der Fuß eines Reiters dem Bügel. Die Platte liegt der 25

äußeren Grenze der dichteren Bindegewebsschicht der äußeren Lederhaut auf. Durch die schief aufwärts gerichtete Lage des am Bügelende aufsitzenden Ankers rückt der Ankerbogen der äußeren Epidermis näher. Die Bogenenden sind, wie Abb. 17 zeigt, schräg nach außen, d. h. der Epidermis zu,

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Abb. 22 — 27 aus der zitierten Arbeit von S. Becher. (Verkl.)

gerichtet. Wenn bei starker Spannung und damit verbundener Verdünnung der Körperwand sich der Anker flach legen muß, dann müssen sich die Spitzen des Bogens nach außen kehren und auch die Epidermis in feinen Spitzen vordrücken. Dieses sog. „Kletten" ist den fußlosen Tieren von Nutzen bei 26

der Fortbewegung, die durch Kontraktionen der Körperwand bewirkt wird. Anker und Platte sind in der Querrichtung des Körpers mit ihrer Symmetrieebene orientiert, stehen also mit derselben auf der Längsrichtung des Körpers senkrecht.

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Abb. 28 — 33 aus der zitierten Arbeit von S. Becher. (Verkl.)

Der gitterförmige Bauplan der Ankerplatte kommt, wie die Entwicklungsgeschichte an ihren verschiedenen Stadien zeigt, durch gabelige Verzweigung eines Kalkstäbchens zustande. Wie Abb. 22 zeigt, liegt dieses Stäbchen normal 27

s e n k r e c h t zum Anker gelagert und gabelt sich bald an beiden Enden unter einem Winkel von 120°. An der Hand der Abb. 23—26 ist es leicht einzusehen, wie durch weitere Gabelung der ersten Ästchen ein Gitterwerk mit sechseckigen Löchern entstehen muß, das durch Modifizierung und ungleich schnelles Wachstum der Teile ein geschlossenes ovales Ganzes bildet. In diesem Endgebilde (Abb. 27) ist die ursprüngliche zum Anker senkrecht orientierte Lage des Bälkchens noch deutlich zu erkennen. Bezeichnet man die Enden des Bälkchens als dessen Pole, so ist aus dem rechten Pol die rechte Hälfte der Ankerplatte hervorgegangen (in der vorhergehenden Abbildung grau gehalten). Dieses Differenzierungsschema ändert sich aber, sobald das Bälkchen ursprünglich nicht quer zum Anker, sondern in dessen Längsrichtung orientiert ist, wie das manchmal vorkommt und von Becher aus der abweichenden Endform des Gitterwerkes, namentlich im zentralen Teil, erschlossen werden konnte. In diesem Falle entsteht durch die Gabelung aus dem einen rechten jetzt nach vorn gelagerten Teil nicht die rechte Plattenhälfte, s o n d e r n d e r e n o b e r e r T e i l , also etwas g a n z a n d e r e s wie im Normalfall. Durch die graue Farbe des rechten Pols ist das in Abb. 28—32 deutlich erkennbar. Die Plattenbildung ist also keineswegs durch eine ein für allemal festgelegte Selbstdifferenzierung bestimmt, sondern die Pole sind ihrer Bestimmungsbereitschaft nach harmonischgleichvermögend, können einmal den rechten resp. linken, das andere Mal den oberen resp. unteren Teil der Ankerplatte bilden. Die Ausdifferenzierung vollzieht sich offenbar in Abhängigkeit von einem ü b e r g e o r d n e t e n V e r w i r k l i c h u n g s f e l d , von dem aus das Material „instruiert" wird. T r o t z d e r V a r i a t i o n mancher Teilprozesse bleibt die Forms y n t h e s e in i h r e m E n d e r g e b n i s w e s e n t l i c h k o n stant. Weitere Beobachtungen von Becher zeigen auch deutlich, daß das Bügelende der Platte in seiner Ausbildung von dem sog. Handhabenende des Ankers beherrscht wird. Abb. 19 zeigt einen Anker, dessen Schaft oder Stiel sich in zwei Schäfte mit normalen Handhabenenden geteilt hat. Es ist unverkennbar, daß die zugehörige Ankerplatte 28

sich den zwei Enden entsprechend erweitert hat — mit einem zugespitzten Ende rechts und links. Noch deutlicher zeigt die Abhängigkeit Abb. 20. Der kräftige Ankerschaft ist nahe seinem Handhabenende wieder in zwei Äste gespalten, die einen schwachen Wulst und wohlausgebildete Handhabenenden erkennen lassen. Die Äste divergieren unter einem spitzen Winkel (von ungefähr 60°). Dementsprechend sind auch zwei schön ausgebildete spitze Bügelenden vorhanden, die wiederum genau unter den Ankerschaftästen liegen. Während in Bechers Beobachtungen das Verwirklichungsfeld für die Ankerbildung wegen der Kleinheit des Objektes experimentell nicht faßbar und nicht lokalisierbar ist, lassen sich in anderen Fällen die Verwirklichungszentren der Formbildung sehr bestimmt erfassen. So hat sich heute in der Entwicklungsphysiologie die Scheidung und Verknüpfung von Materialfeld und Verwirklichungsfeld geradezu als Ariadnefaden durch die komplizierten Gestaltungsvorgänge erwiesen. Die Entwicklung eines Amphibienorganismus aus einem befruchteten Ei zeigt ein gar merkwürdiges Wechselspiel von Teilen, die formend und gestaltend wirken, und solchen Teilen, denen das Vermögen zu einer bestimmten Differenzierung erst mitgeteilt oder induziert werden muß. Bei Amphibienembryonen konnte S p e m a n n Zellbezirke als Träger der gestaltenden Kräfte erweisen, die auf die morphologische Ausbildung in ihrer Umgebung einen bemerkenswerten Einfluß nehmen. Er nennt sie O r g a n i s a t o r e n . Die immer feinere Analyse der Keimesentwicklung zeigte dann, daß die ursprünglich aus sich selber zu ihrer Gestaltung unfähigen Teile, die wir Materialfelder nennen, immer die Verwirklichungsfelder, die Organisatoren, schon voraussetzen, so daß die alte Formulierung: jedes Lebendige aus einem anderen Lebendigen jetzt auch — wenigstens einmal für die Amphibienentwicklung — dahin ergänzt werden muß: jede Überführung aus der möglichen in die wirkliche Form durch ein in Eigenkraft stehendes Verwirklichungsfeld der Form, oder, wie die Scholastik sagt, durch einen formgestaltenden Akt. Die relative Überordnung dieses Verwirklichungsfeldes über das zu gestaltende Material ergibt sich besonders schön durch 29

den Vergleich mit einer M e l o d i e . Eine Melodie enthält als sinnliches Material die in der Zeit aufeinanderfolgenden Töne. Wir konstatieren nun aber leicht, daß die gehörte Melodie von den Tönen relativ unabhängig ist, denn es genügt das Vernehmen von wenigen Tönen, um das ganze Melodienbild in uns wachzurufen, d. h. die in uns schlummernden Bestimmungsbereitschaften hierzu zu aktivieren. Noch mehr wird diese Eigentümlichkeit ersichtlich in der Stelle aus einem Briefe von M o z a r t über das Werden und Wachsen eines Kunstwerks. „Da wird es", schreibt er, „immer größer, und ich breite es immer weiter und heller aus, und das Ding wird im Kopfe fast fertig, wenn es auch lang ist, so daß ich's hernach mit einem Blick gleichsam wie ein schönes Bild oder einen hübschen Menschen im Geist übersehe, und es auch gar nicht nacheinander, wie es hernach kommen muß, in der Einbildung höre, sondern wie gleich alles zusammen." Man sieht, wie tief schon K a r l E r n s t v. B a e r den die Form aus dem Material herausführenden Verwirklichungsprozeß des Organismus charakterisiert hat, wenn er ihn als eine „Ges t a l t u n g s m e l o d i e " bezeichnete. Dieser Vergleich leitet uns zugleich zu den wesensverschiedenen Melodienstrukturen bei den verschiedenen Individualentwicklungen hin. Die verschiedene Struktur zeigt sich schon darin, daß die Zeitpunkte des Hervortretens der einander entsprechenden Organe oft erhebliche Unterschiede zeigen. So treten bei der Kaulquappe des Frosches die Hintergliedmaßen zuerst auf, während bei den Larven der nahe verwandten Tritonen die Vordergliedmaßen zuerst auftreten. Beim Menschen dagegen erscheinen alle vier Gliedmaßen gleichzeitig. Das Einsetzen der Organisationszentren scheint im wachsenden Keim zu verschiedenen Zeitpunkten zu erfolgen, die äußerlich sich ähnlich sehenden Entwicklungsstadien verschiedener Organismen sind also funktionell in keiner Weise gleichwertig. Das Blastulastadium eines Frosches oder eines Fisches oder eines Menschen deswegen gleichwertig zu setzen, weil sie äußerlich sich ähnlich sehen, wäre genau so, als wollte man Zucker, Saccharin und Bleisalze für identisch erklären, weil sie äußerlich sich gleichen (ohne aber ihr chemisches Reaktionsverhalten festzustellen). 30

Wenn wir bisher zur Verdeutlichung der vitalen Wirklichkeitsbestimmung psychische Analogien aus dem A u f b a u der Wahrnehmungswelt benutzt haben, so besagt doch der a n a l o g i s c h e Charakter dieser Verdeutlichung, daß der Begriff der Verwirklichung in beiden Fällen nicht eindeutig (univok) gebraucht wird. Beim Erkenntnisakt als einem auf einen I n h a l t gerichteten Akt, ist nämlich das Wesentliche, d a ß er in seinem Abschluß e i n A n d e r e s a l s d a s A n d e r e h a t , ohne es dabei in seinem Bestände zu verletzen. Beim organischen Assimilationsakt ist dies nicht der Fall. Leider ist selbst K a n t dem Fehler eines eindeutig aufgefaßten Verwirklichungsbegriffes nicht entgangen. „ E s ist unmöglich, sagt er, das, was außerhalb unseres Geistes u n d unabhängig von ihm ist, zu erkennen, weil die Tätigkeit des Erkennens wie jede Tätigkeit das verändert, was sie b e r ü h r t . " Hier wird aber die gewöhnliche p h y s i s c h e Tätigkeit vitaler Reaktion mit der m e t a p h y s i s c h e n Tätigkeit, welche d e r dem E r k e n n t n i s s t r e b e n entsprechenden (idealeni n t e n t i o n a l e n ) B e z i e h u n g zum Einwirkenden zugrunde liegt, einfach in gröbster Weise vermengt und dadurch das Wesen des Erkenntnisaktes von Grund aus gefälscht. Das Wesen der Ideenbildung (Ideogenese) (und auch schon der sinnlichen Wahrnehmung) besteht ja nicht, wie das der vitalen Formbildung (Morphogenese) in der Tendenz, etwas Anderes dem Subjekt zu verähnlichen u n d dadurch dieses Andere physisch zu verändern, sondern gerade darin, d a s A n d e r e a l s d a s A n d e r e in s i c h s e l b e r i n i d e a l e r W e i s e e x i s t e n t zu m a c h e n . Die Ideenbildung ist also, ontologisch betrachtet, eine wesenshöhere Stufe der Selbstbewegung wie die vitale Bewegung (so sehr auch auf der Stufe des niederen, sinnlichen Erkennens, soweit dies psychologisch als Vorgang betrachtet wird, Analogien zu den vitalen Verinnerlichungsprozessen vorliegen). Dem Erkennen k o m m t die Selbstbewegung im höchsten Sinne (in eminenter Weise) zu, insofern das Erkennen, wie G r e d t sagt, „in einem immateriellen, gegenständlichen Besitz besteht, durch den das Erkenntnissubjekt, eine Form, einen Akt in vollkommener Weise, d. h. objektiv besitzt. Das Erkenntnissubjekt wird durch diese Form nicht passiv vervollkommnet, es verhält 31

sich nicht leidendlich, da es nicht passiv, materiell besitzt, sondern es besitzt als Akt, in aktueller Weise einen Akt und bewegt dadurch sich selbst in einer Weise, die keinerlei Unvollkommenheit in sich einschließt. Diese Selbstbewegung ist reine Vollkommenheit, die auch Gott als solche zukommt. Dem geschöpflichen Erkennen aber ist immer etwas Leidendliches beigemischt, insofern dieses Erkennen ohne eigentliche Bewegung, ohne U b e r g a n g aus der Möglichkeit in die Wirklichkeit nicht stattfinden kann" (10). Und hier, beim Problem dieses Ü b e r g a n g e s , setzt, was das menschliche Erkennen betrifft, die tiefe Lehre des hl. Thomas v o m t ä t i g e n V e r s t ä n d e ( i n t e l l e c t u s a g e n s ) ein. Dieser Übergang muß nämlich einerseits die enge Sachverbundenheit des Idealen und des empirisch Wirklichen in seinem Wesen zum Ausdruck bringen, anderseits darf die Abhängigkeit der Erkenntnis von den bildhaften Stoffquellen nicht eine derartige sein, daß durch sie objektive Geltungen überhaupt relativiert werden, und, wie E r n s t M a r k u s den Empiristen gegenüber ironisch bemerkt, alle Denkresultate auf gleicher Stufe rangieren würden, wie die Verschiedenheit des Geschmacks von Rheinwein und Burgunder. Um beide Einseitigkeiten, den Rationalismus und den Empirismus, zu vermeiden, sieht Thomas im Anschluß an Aristoteles die Vernunftanlage in einem passiven Vermögen — dem m ö g l i c h e n V e r s t ä n d e —, den eine von ihm unterschiedene, einerseits von den D i n g e n (dem P h a n t a s m a ) kommende, und anderseits eine von einem angeborenen Vernunftlicht: dem t ä t i g e n V e r s t ä n d e ( i n t e l l e c t u s agens) körnende Einwirkung zur Tätigkeit des Verstehens bestimmt. Durch Vereinigung des tätigen Vernunftlichtes mit dem vorgehaltenen Bilde wird, wie aus einem durch eine höhere Kraft weit über sein Vermögen erhobenen I n s t r u m e n t e , das aus ihm herausgeführt, was in einer dem geistigen Erkenntnisstreben entsprechenden (also nicht vitalen, sondern idealen-intentionalen) Weise eben nur das Vernunftlicht aus ihm herausführen kann: d a s A b s t r a k t e des W e s e n s . Durch dieses wird nun der mögliche Verstand (der intellectus possibilis) zum t a t s ä c h l i c h e n Erkennen bestimmt. Nur durch v i t a l e Analogien kann man diesen geistigen Bestim32

mungsprozeß dem Verständnis etwas näher bringen, und zwar auch nur wieder dadurch, daß man das U n t e r s c h e i d e n d e zugleich scharf herausstellt. Man kann sagen, daß der Same ( = Sperma) des Sinnesbildes durch seine Hineinversetzung in das tätige Vernunftlicht in ähnlicher Weise ein dem geistigen E r k e n n t n i s s t r e b e n entsprechendes zeugerisches Vermögen gewinnt, wie ein Ferment durch Hineinversetzung in das Verwirklichungsfeld des Organisators ein der F o r m g e s t a l t u n g e n t s p r e c h e n d e s Vermögen gewinnt. Es tritt zu den übrigen Stoffen in eine aktive gestaltschöpferische Beziehung und dabei wird in p h y s i s c h e r Weise sein individuelles Fürsichsein ebenso a u f g e h o b e n wie im Abstraktionsprozeß in g e i s t i g e r (dem Erkenntnisstreben entsprechender) Weise die materiellen Bedingungen des Gegenstandes in Raum und Zeit, das Hier und Jetzt, a b g e s t r e i f t werden. Das Resultat des gesamten geistigen Erkenntnisprozesses wird Conceptus (Begriff = Empfängnis) genannt, insofern das erkennende Subjekt das Objekt des Erkennens als Erkanntes, also seinem idealen Sein nach ins Dasein setzt, nachdem es die befruchtende Einwirkung des Objektes empfangend in sich aufgenommen hat. Man mag diese Interpretation ablehnen, aber man wird dann keine andere an die Stelle setzen können, die die e n g e S a c h v e r b u n d e n h e i t des I d e a l e n mit d e m e m p i r i s c h W i r k l i c h e n ebenso sichert wie seine Erhebung zu den z e i t l o s g e l t e n d e n W e s e n s b e s t i m m t h e i t e n in der begrifflichen Abstraktion. Die Veranlagung des geistigen Erkenntnisvermögens, die bildhaften Stoffquellen nach den zeitlos geltenden Ordnungsformen so zu verarbeiten, daß ihm an der Hand der Stoffquellen die Allgemeinheit und Notwendigkeit der Grundbedingungen unseres Wissens sofort aufleuchtet, nennt die Scholastik den habitus principiorum. Die Formen dann in Urteilen zu objektivieren, welche in ihrer Gültigkeit und Notwendigkeit von der Sinneserkenntnis nicht abhängen, und so als Erkenntnisprinzipien für das wissenschaftliche Erkennen der durch die Sinneserkenntnis gebotenen Objekte dienen können, nennt sie den habitus principiorum complexorum. Gleich der thomistischen Erkenntnislehre unterscheidet auch K a n t zwischen Erkenntnisformen und Sinneserfahrung. Doch kann das von der Sinneserkenntnis gebotene Material nach ihm streng wissenschaftlich nur insoweit geordnet werden, als es wesentlich durch die Mittel von R a u m und Zeit zur Erfassung gebracht, d. h. mathematisch in Funktionsgleichungen A n d r « , Urbild.

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typisiert werden kann. Ein solcher WissenschaftsbegrilT hat für ein echtes Verstehen des Qualitativen keinen Raum. Wenn ferner für K a n t der Gegenstand, so weit er nicht mehr durch die Mittel von R a u m und Zeit, also mathematisch erfaßbar ist, ein der strengen Erkenntnis sich entziehendes Ding an sich (ein Noumenon) ist, so liegt, wie wir später noch sehen werden, dieses Noumenon für Thomas in einer viel tieferen Erkenntnisschicht und ist identisch mit der individuellen Wesenheit. Die heutigen Fragestellungen der Individualbiologie wie der Individualpsychologie hängen mit dieser erkenntnistheoretischen Frage natürlich fundamental zusammen. Wenn nach K a n t die Phänomene in Zahlenreihen — Naturkonstanten, Exponenten — übersetzt werden müssen, um letztlich einem mathematisch formulierten Naturgesetz zuzustreben, so ist das nach Thomas zwar auch zulässig, aber solche Gesetzeserkenntnis würde nach ihm nur eine vollkommen unzulängliche (inadäquate) Gegenstandserfassung bedeuten. Bei der möglichst adäquaten Gegenstandserfassung werden die qualitativen Sinnesdaten nicht verlassen, es wird im Gegenteil an Hand derselben gerade das T y p i s c h e einer Prozeßform abstrahiert und als Leitfaden zur Einordnung der Einzelphänomene benutzt. In solcher Einordnung betätigt sich der Intellekt als ein auf das Urbild gerichteter Intellekt, als i n t e l l e c t u s a r c h e t y p u s . Scharf unterscheidet die genuine Scholastik das Urteil als psychischen A k t von dessen I n h a l t , also von dem Urteil als Element der Erkenntnis, hält also die Gefahr des P s y c h o l o g i s m u s fern. In der Logik ist der Unterschied der thomistischen und suarezianischen Schule bedeutsam. Nach Suarez und seiner Schule ist Gegenstand der Logik der D e n k a k t , sofern er auf Erfassung der Wahrheit gerichtet ist (Denklogik). Nach der thomistischen Schule besteht das Formalobjekt der Logik in den gedanklichen Beziehungen der Gegenstände untereinander, insofern im Denken der Gegenstand erfaßt wird als Subjekt, als Prädikat, als Mittelbegriff, als Gattung, als Art und als unter der Gattung und Art enthaltenes Einzelding (Gegenstandslogik).

Mit der heutigen Phänomenologie hat die thomistische Erkenntnislehre gemeinsam, daß sie sich gleichfalls aufbaut auf ein unmittelbares (wenn gleich abstrahierendes), einfaches (nicht nur und nicht zuerst verknüpfendes) Erfassen, Erschauen, von inhaltlichen Seinsgegebenheiten, von „ Q u a l i t ä t e n " im Sinne der phänomenologischen Terminologie. Aber sie war sich bewußt, daß diese einfache Verstandesauffassung (simplex apprehensio) und verkürzte Induktion, besonders w e n n es s i c h u m v e r w i c k e i t e r e G e g e n s t ä n d e handelt, zu ihrer Bewahrheitung oder Verbürgung der Deckungseinheit ihrer Ergebnisse mit den Ergebnissen einer e r s t m e t h o d i s c h w i s s e n s c h a f t l i c h e n ausgeb a u t e n E r f a h r u n g bedarf. Das bildbedingte (also von den Qualitäten keineswegs absehende) Denken wird dabei 34

nicht n u r auf die Kunstgebilde, sondern auch auf die Naturgebilde ausgedehnt. Für den Geisteswissenschaftler, den Kunsthistoriker, Philologen, besteht kein Bedenken, daß er aus der Wahrnehmung seines Objektes — etwa eines Denkmals oder eines Dokumentes — schon einen „ S t i l " oder einen „ A u s d r u c k " abliest. Aber die brennende Frage von heute (die, wie wir später sehen werden, erst P l e ß n e r und F r i e d m a n n wieder mit ganzer Energie aufgeworfen haben), ist die, ob auch von jener uns umgebenden Gegenstandswelt, die wir N a t u r nennen, eine von der Deutung der Kulturdenkmäler zwar streng zu unterscheidende (und insofern keineswegs anthropomorphe) aber doch b i l d b e d i n g t e ( b e i F r i e d m a n n w e s e n h a f t o p t i s c h - b e d i n g t e ) E r k e n n t n i s möglich ist. Die exakte Naturwissenschaft sah nämlich bewußt v o m Qualitätenreichtum dieses Bildgehaltes ab und suchte n u r die q u a n t i t a t i v erfaßbaren Beziehungen aus den Sinnesdaten zu ermitteln. Aber diese frontphysikalische abstraktkausale Gegenstandsanalyse ist f ü r die Biologie absolut unzureichend. S i e s e t z t „ h i n t e r " d i e P h ä n o m e n e e t was ganz a n d e r e s als d a s , was an i h n e n e r s c h e i n t , und macht sich vielfach eines unglaublichen B e g r i f f s r e a l i s m u s schuldig. Dieser f ü h r t dann einerseits in einen gegenstandsfremden Mechanismus u n d anderseits in einen gegenstandsfremden metaphysischen Vitalismus hinein, wobei letzterer f ü r die Forschung selber gänzlich u n f r u c h t b a r ist. Der Mechanismus bringt, soweit er sein Schema rein methodisch zur Ermittelung der Abhängigkeitsbeziehungen quant i t a t i v feststellbarer Größen benützt und nicht metaphysisch verabsolutiert wird, die exakte Forschung kräftig vorwärts. Sobald er aber metaphysisch verabsolutiert und seine Bestimmungen im ursächlichen Bestände des Organismus als das einzig „Wirkliche" gesetzt werden, f ü h r t er zur Vernichtung jeder echten biologischen Erkenntnis. Zum gleichen Ergebnis k o m m t man, wenn m a n infolge der Unmöglichkeit, aus den mechanischen Bestimmungen das vitale Geschehen abzuleiten, nun zu denselben ein zweites „Wirkliches" ä u ß e r l i c h hinzufügt, das durch seine Tätigkeit ersetzen soll, was das rein physikalische System aus sich selber nicht fertig bringt. Durch solches Verfahren wird nämlich, was den 3*

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Verwirklichungsfeldern des O r g a n i s m u s s e l b e r ursprünglich zukommt und sich ebenso wenig vom Organismus trennen läßt, wie die Rundung vom Kreis, als ein h i n t e r ihn rückendes X eingeführt. W a s m a n z u e r s t b e w u ß t d u r c h eine a n s c h a u u n g s f r e m d e V o r s t e l l u n g eliminiert h a t , wird nun, weil sich diese V o r s t e l l u n g a l s unzureichend erweist, durch eine erst recht der Ans c h a u u n g sich e n t z i e h e n d e F i k t i o n wieder einges c h m u g g e l t . Von einem nachhelfenden Regulieren des an sich rein physikalischen Systems des Körpers durch eine äußerlich hinzukommende K r a f t kann aber die Erfahrung niemals etwas aufzeigen und der Organismus ist auch weit davon entfernt, sich in der Erscheinung als ein solches Zwitterwesen zu offenbaren. Gehen wir dagegen schon ursprünglich den Weg rein bildbedingter Analyse, dann erfassen wir auch von vornherein die Verwirklichungsfelder des Organismus selbst in ihrer d a s M a t e r i a l i n s w i r k l i c h e G a n z e f ü g e n d e n (totalisierenden und synthetisierenden) Funktion. Das beste Beispiel hiefür war uns schon früher der Aufbau der optischen Wahrnehmungswelt durch das Apperzeptionszentrum, das optisch-sensorische Zentrum und das Auge. Wenn auch natürlich für die Wahrnehmung als E r k e n n t n i s das, „ d a ß etwas h e r v o r g e b r a c h t wird", zufällig (akzidentell) ist, so ist doch dieser psychische P r o z e ß für eine Analogisierung mit der vitalen Formbildung gerade das Wesentliche. A r i s t o t e l e s war sich dessen durchaus bewußt und trägt keine Bedenken, das seelisch-körperliche Verwirklichungsfeld des Auges mit dem Verwirklichungsfeld des ganzen Organismus in Analogie zu bringen. „Wenn das Auge, sagt er (genauer müßten wir heute sagen: der gesamte optisch-sensorische Apparat), selbständig wäre, dann könnten wir das Sehen (eben den das optische Material ins wirkliche Ganze fügenden Akt) seine Seele ( = Form) nennen" (11). Nun ist aber dieser Apparat nicht selbständig, sondern selbständig ist nur der Organismus, dessen Organ er ist. Erst dessen Verwirklichungsfeld als G a n z e s , das trotz der Aufspaltung in Unterzentren e i n e in Eigenkraft stehende bestimmungsmächtige Wirklichkeit bildet, ist nun in Wahrheit seine W e s e n s f o r m (seine Seele im aristotelischen Sinne). Diese W e s e n s f o r m r ü c k t 36

n u n d i r e k t in den B e r e i c h der k o n k r e t - k a u s a l e n und typologischen A n a l y s e , insofern die von ihr ausgehende Wirklichkeitsbestimmung ganz schlicht c h a r a k t e r i s i e r b a r und durch die n o r m a t i v e n biologischen Regeln des v i t a l e n K r e i s p r o z e s s e s v e r s t ä n d lich zu m a c h e n ist. Mit der Herausstellung des das Material zum tätigen Ganzen bestimmenden Verwirklichungsfeldes ist aber die vitale Gegenstandsanalyse nur erst unvollständig durchgeführt. Zunächst sind Verwirklichungsfeld u n d Materialfeld in ihrer r e a l e n Verschiedenheit noch tiefer zu begründen. E i n Hinweis auf diese reale V e r s c h i e d e n h e i t liegt z u n ä c h s t d a r i n , daß das V e r w i r k l i c h u n g s f e l d bei ganz v e r s c h i e d e n e m q u a n t i t a t i v e n A u s m a ß des Materialfeldes dem Wesen nach dasselbe bleibt. W e n n man einen Keimling teilt, so kann sich, wie Driesch gezeigt h a t , aus der Hälfte der normalen Zellenzahl doch eine ganze, freilich proportional verkleinerte, Larve entwickeln. Bei Moosen hat man es fertiggebracht, das Material der Eizelle oder Samenzelle, also auch deren stoffliche Vererbungsgrundlagen, zu vervielfachen. Der Erfolg war ein größeres Pilänzchen wie normal, mit größeren Zellen, aber es war doch ein wohlproportioniertes Ganzes. D i e s e s G a n z e i s t z u v e r gleichen mit einem Gemälde, das wegen der größeren Menge der zur V e r f ü g u n g s t e h e n d e n F a r b e e t w a n o c h e i n m a l so g r o ß a u s g e f e r t i g t w u r d e . Wenn bei Kreuzung nur auf der einen Seite das Material gesteigert wurde, so waren deren erbliche Eigenschaften wie Farben, die zugleich auch etwas dicker aufgetragen waren wie normal, so d a ß v. W e t t s t e i n von einer Art M a s s e n w i r k u n g s g e s e t z dieser Grundlagen sprechen konnte. Aus allen diesen Versuchen geht hervor, d a ß das das Material ins Ganze fügende Verwirklichungsfeld, das die Beziehungen der Teile untereinander ordnet, eben v o n d e m M a t e r i a l s e l b s t , das jeweils das quantitative Ausmaß bedingt, r e a l verschieden ist. Wir können also sagen, daß die Materie nicht nur die Vielheit der Individuen innerhalb einer Art, sondern auch ihre Miniatur- und Riesenformen bedingt, während der Artcharakter selbst im Verwirklichungsfelde (der Form) 37

wurzelt. Eine gute Analogie dafür ist der Gestaltcharakter des Bildes einer Person, der sich gleichbleibt, ob das Bild näher oder entfernter betrachtet wird, das optische Reizmaterial der Netzhaut also mehr oder weniger umfangreich ist. E s ergibt sich auch aus dieser relativen Unabhängigkeit der vitalen Wirklichkeitsbestimmung vom Umfang des Materials die Unrichtigkeit der Auffassung D e s c a r t e s , der die W e s e n h e i t der Naturkörper, auch der organischen, in die A u s d e h n u n g verlegte. Die Ausdehnung kommt den Körpern vielmehr infolge des p o t e n t i e l l e n Bestandteiles ihrer Wesenheit zu, also desjenigen Bestandteiles, durch den z. B. eine Pflanze, die in Wirklichkeit eine, der Möglichkeit nach eine Vielheit ist. Sie ist also nicht die W e s e n h e i t des materiell Seienden, sondern ein ihm wesentlich zukommendes Akzidens. Wie bei der Vermehrung oder Verminderung des Stoffes die Identität des das Material ins Ganze fügenden Verwirklichungsfeldes gewahrt bleibt, so auch beim Wechsel des Stoffes. Wie eine Melodieauffassung die gleiche bleibt, wenn das Tonmatcrial wechselt (d. h. einmal eine Oktave tiefer, das andere Mal eine Oktave höher liegt), so kann auch seinem Verwirklichungsfelde nach der Organismus derselbe bleiben, wenn auch durch das beständige Kommen und Gehen der chemischen Substanzen sein Stoff ständig erneuert wird. Trotz des Stoffwechsels geht die Identität der Person in uns nicht verloren und das Gedächtnis reicht in das frühe Kindesalter zurück. Wie durch die Materie die begrenzende Bedingung zu den Zwerg- und Riesenformen, so werden durch sie auch, und zwar schon im ersten vitalen Grundbestande (actus primus) des Organismus, die Bedingungen zu all den anderen Zufälligkeiten gesetzt, die sich einer Einordnung in die N o r m e n des Verwirklichungsprozesses (insofern diese j a für uns einsichtig — intelligibel — sein sollen) entziehen. Auf diese Zufälligkeiten im Werden der Organismen hat schon K a r l E r n s t v. B a e r , neuerdings aber besonders G u r w i t s c h , hingewiesen. In den ersten Embryonalstadien, namentlich in der Furchung, ist eine strenge Regelmäßigkeit des Geschehens nachweisbar und die zeitliche Übereinstimmung gleicher Zustände 38

ist bei verschiedenen Keimen vollkommen. Auch die statistische Behandlung eines späteren Stadiums, z. B. der Gastrula, ergibt eine Regelung der Teilungen, die aber durch ein bedeutendes Maß von Streuung maskiert ist. Bei noch späteren Stadien verteilen sich die indirekten Kernteilungen nach den Regeln des Zufalls. Trotzdem das Verwirklichungsfeld bestimmte Orte für bestimmte Leistungen gleichsam festlegt, ist ein gewisser Spielraum im Verhalten der Zellen gegeben. Die allgemeine Ordnungsregel könnte uns recht wohl einmal verständlich werden aus dem, was am Ende der Entwicklung und demzufolge auch immer eine Stufe weiter vorher erreicht werden soll. Wir hätten dann die allgemeine Ordnungsregel als ein für uns verständliches normatives Gesetz von den material bedingten Zufälligkeiten abgezogen oder abstrahiert. H i e r s c h l i e ß t s i c h der R i n g mit der t h o m i s t i s c h e n E r k e n n t n i s l e h r e . Wenn die bei der E r z e u g u n g eines Wesens verwirklichte Vereinzel u n g g e w i s s e r m a ß e n ein H e r a b z i e h e n der Idee d u r c h d i e F o r m (das V e r w i r k l i c h u n g s f e l d ) in den S t o f f i s t , so muß m a n o f f e n b a r , wenn m a n e r k e n n e n w i l l , d i e s p e z i f i s c h e in d e m V e r w i r k l i c h u n g s f e l d g r u n d g e l e g t e O r d n u n g a u s der V e r e i n z e l u n g wieder h e r a u s z i e h e n . Auf Grund dieser Beschränkung unserer Erkenntnis auf die Abstraktion ist uns eine strenge E i n s i c h t in die i n d i v i d u e l l e W e s e n h e i t n i c h t m ö g l i c h , wir können nur gleichsam ein mehr oder minder gelungenes „Abziehbild" von ihr herstellen. Es bleibt also für uns im Erkenntnisgegenstand immer ein h y l e t i s c h e r K e r n , ein rational unerfaßbarer Rest, ein D i n g an s i c h bestehen. Aber dieses Ding an sich liegt, wie wir schon früher betont haben, für Thomas in einer viel tieferen Erkenntnisschicht als das Kantische Ding an sich. Die Analyse des lebenden Objektes und seines Verhaltens führt uns so immer auf zwei Faktoren hin, die das vitale Sein in seinem Grundbestande ausmachen: auf die M a t e r i e , als das für die Erhebung ins wirkliche Ganze bestimmungsb e r e i t e Sein, und auf die Form, als das dabei bestimmungsm ä c h t i g e Sein. Durch die Formen (Verwirklichungsfelder) gibt es, wie Thomas sagt, der A r t nach viele Naturwesen, 39

durch die bestimmungsbereite Materie innerhalb der Art der Zahl nach viele Wesen. Sie ist das letzte Prinzip, vermöge dessen das den Artcharakter begründende Verwirklichungsfeld sich in vielen I n d i v i d u e n , im getrennten Einzelsein derselben, realisiert*). Als Material eines Wirkungsbereiches ist sie notwendig hingeordnet zur Q u a n t i t ä t der neu entstehenden Wesen und wird in dieser Hinordnung als mat e r i a q u a n t i t a t e s i g n a t a bezeichnet. Als reine Bestimmungsbereitschaft überhaupt, vermöge dessen derselbe Stoff ganz verschiedenen Wesen, wie Pflanze, Tier und Mensch zum Aufbau dienen kann, heißt die Materie auch e r s t e Materie oder m a t e r i a p r i m a . In beiderlei Eigenschaft ist die Materie nicht Gegenstand der Physik, sondern der Ontologie. Ebenso ist das Verwirklichungsfeld, die Form, sofern sie durch unvermittelte Mitteilung ihrer selbst an das stoffliche Substrat zuerst das neue spezifische Sein eines Wesens in seinem G r u n d b e s t a n d , also als erste Wirklichkeit oder a c t u s p r i m u s begründet, nicht Gegenstand der Physik. Erst was sich als Folge der metaphysisch grundbestandlichen Zusammensetzung aus Materie und Form darstellt, das sekundäre Materialfeld (materia secunda) und die sekundären Energieakte (des actus secundus) sowie auch die aus der Form fließende Mikrostruktur des Körpers, treten in den Forschungsbereich der Naturwissenschaft. Die sekundären Verwirklichungs- und Materialfelder, die uns in der Organisatorenlehre begegneten, haben dabei ein Analogon auch im Anorganischen. Wir haben in der einfachsten Form des Atoms, im Wasserstoffatom, einen bestimmungsmächtigen K e r n (Proton) und eine relativ bestimmungsbereite S c h a l e (Elektron), zu unterscheiden, die beide durch den Fluß elektrischer Kraftlinien miteinander verbunden sind, wobei die Bewegung von den Kernen aus zu den Elektronen geht und als Zugspannung, elektrische Spannung, erscheint. Atome, denen ein Elektron entrissen wurde, zeigen eine gewisse „Ausheilungstendenz". Mit dem D u a l i s m u s von Materialfeld und Verwirklichungsfeld hängt auch *) Da die Form sich aus eigener Natur zur Materie bezieht, geht die numerische Individuation, die aus der Materie stammt, auf die Form über, welche dadurch selbst individuiert wird.

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der D u a l i s m u s von R a u m u n d Zeit z u s a m m e n . Beide sind uns nur Maße für E n e r g i e a k t e und für unsere e i g e n e M ö g l i c h k e i t , eine gewisse Summe von Energie zu verwerten bzw. zu verausgaben. Aber indem wir von Energiea k t e n reden, drücken wir schon das N a c h e i n a n d e r aus, während das N e b e n e i n a n d e r der (im Materialfeld grundgelegte) W i r k u n g s b e r e i c h der Energie ist, der Raum (12). N u r soweit die E n e r g i e als M ö g l i c h k e i t , A r b e i t zu l e i s t e n , a u f g e f a ß t w i r d , u n d i h r e i n B e w e gungsäquivalent (mechanische Arbeit) irgendwelc h e r A r t irgendwie z u g e o r d n e t werden k a n n , i s t sie i n Z a h l e n a u s d r ü c k b a r , d. h. m e ß b a r u n d k a n n e i n e G l e i c h h e i t der I n t e n s i t ä t s g r ö ß e b e i m Ü b e r g a n g e i n e r E n e r g i e f o r m i n die a n d e r e f e s t g e s t e l l t w e r den. Dieses Gesetz a b s t r a h i e r t aber v o l l k o m m e n v o n der E n e r g i e soweit sie „ F o r m e n e r g i e " ist. S i e a l s F o r m e n e r g i e in i h r e r g e s e t z m ä ß i g e n A u s w i r k u n g d u r c h die V e r w i r k l i c h u n g s f e l d e r zu s t u d i e r e n , ist a b e r h e u t e schon wieder die A u f g a b e d e r B i o l o g i e . In bezug auf die strenge Unterscheidung der konkreten und der physikalisch-abstrahierten Bedeutung im Energiebegriff verweise ich auf die ausgezeichneten Ausführungen von Th. H a e r i n g in: „Philosophie der Naturwissenschaft" pag.274 ff. Wenn das Erste, was vom Stoff bedingt ist, die Individuation ist, kommt aus der Form oder dem Verwirklichungsfeld zuerst die g a n z s p e z i f i s c h e D i s p o s i t i o n oder S t r u k t u r d e s K ö r p e r s . Eine solche ist schon bei chemischen Verbindungen nachweisbar. Bestimmte Moleküle zeigen eine völlig regelmäßige oktaedrische oder tetraedrische Anordnung von Atomen oder Atomgruppen um ein Zentralatom, obwohl vom mechanistischen Standpunkt aus die wahrscheinliche Verteilung als eine ganz unregelmäßige anzunehmen wäre. Bei den optisch-aktiven Substanzen, die aus ganz bestimmter einseitiger Determination hervorgehen, findet bei längerem Aufbewahren ein freiwilliger Übergang aus dem (vom Zufallsstandpunkt aus) unwahrscheinlicheren aktiven in den wahrscheinlicheren inaktiven Zustand statt, eine Erscheinung, die zu dem Altern und Absterben der Lebe-

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wesen eine schwache Analogie bildet. Soweit Kristalle, Atome, Moleküle usw. ein Ganzes sind, lassen sich ihre mikrostrukturellen Verhältnisse mit denen eines Organismus analogisieren. Polar ausgebildete Kristalle von Kandiszucker z. B . sind an dem Pol, mit dem sie festgewachsen sind, leichter auflösbar wie an dem freien Pol. Da nur dieser freie Pol dem Lösungsmittel ausgesetzt ist, kann man seine größere Widerstandsfähigkeit gleichsam als Schutz auffassen. Wie ferner Atome, denen ein Elektron gewaltsam entrissen wurde, eine gewisse „Ausheilungstendenz" zeigen, so auch in ihrer Formganzheit verletzte Kristalle. Bei Mischkristallen gleicht die eine Komponente die andere sich zur Wahrung eines einheitlichen Kristallgitters an. Kupfervitriol (CuS0 4 ) kristallisiert mit fünf Molekülen Kristallwasser, während Eisenvitriol mit sieben Molekülen kristallisiert. Ein Mischkristall aus beiden gliedert die Kupfervitriolmoleküle so ein, daß sie in das Raumgitter passen, was zur Folge hat, daß auch diese jetzt sieben Moleküle Kristallwasser aufnehmen. Es erscheint dies fast wie eine der Assimilation analoge Angleichung. Doch gewinnen im Organismus selbst die Teilchen, wenn sie assimiliert sind, einen motus naturalis von ganz neuer Selbständigkeit, was darauf schließen läßt, daß sie auch in ihrer räumlichen Gruppierung, in der Mikrostruktur des Protoplasmas, Besonderheiten zeigen. Sie sind hineinversetzt in die neue Einheit des vitalen Verwirklichungsfeldes, und diese Hineinversetzung findet empirisch ihren Ausdruck: 1. in der spezifischen diesem Verwirklichungsfeld entsprechenden Einverleibung des Stoffes, die artfremdes Eiweiß erst auflöst und in das arteigene Eiweiß überführt und 2. in der, wenn ich so sagen darf, spezifischen Einrhythmisierung der Prozesse, die jedem Teilvorgang seinen besonderen Z e i t p u n k t vorschreibt. Dieses Aufgenommenwerden in das Spezifische des Verwirklichungsfeldes ist es, was H e d w i g G o n r a d - M a r t i u s treffend als „ I n n e r u n g " bezeichnet, und wir haben keinen Grund, daran zu zweifeln, daß diese Innerung im Sinne der strengen Thomisten eine vollständige ist, d. h. ein völliges Hineingenommensein in die eigene geformte Wirklichkeit des Organismus bedeutet. Einige Erfahrungen sprechen durchaus f ü r eine solche An42

nähme und keine dagegen. So n i m m t D i f f l u g i e n p r o t o p l a s m a nur im s t r e n g e n S i n n e a r t e i g e n e P r o t o p l a s m a s t ü c k c h e n als seiner Innerung entsprechend a u f , w ä h r e n d es a r t f r e m d e , und seien es auch solche von ganz nahe verwandten Difflugien, a b l e h n t . In Nahrungspartikelchen löscht es durch die Assimilation die fremde Spezifität erst aus und die artfremde Struktur wird im strengsten Sinne in die Struktur des Difflugienprotoplasmas übergeführt. Verschieden von unmittelbarer Einschmelzung einerseits und einverleibender Assimilation anderseits ist die Vereinigung der Geschlechtszellen in der Befruchtung. Die Differenzen beider Zellen gleichen sich hier aus, und es entsteht unter der Auslöschung der Spezifität beider eine neue Spezifität, was schon daraus hervorgeht, daß, wenn väterlicherund mütterlicherseits ein verschiedener Entwicklungsrhythmus bestanden hat (z. B. bei Artbastarden) diese Verschiedenheit in einem neuen einheitlichen Rhythmus aufgehoben ist. Als besonders vollkommenes Ebenbild der beweglichen Mikrostruktur, wie sie nach der philosophisch verarbeiteten Elektronenlehre in den anorganischen Körpern angenommen wird, ist das B l u t zu betrachten. Es ist ein aus Zellen und Plasma bestehendes lebendes, zusammenhängendes Ganzes, eine Art Gewebe, durch dessen plasmatische Zwischensubstanz die Zellen nicht nur unter sich, sondern auch mit der lebenden Aderwand zusammenhängen. Der Hauptunterschied, der in der Blutstruktur hinzukommt, ist das bewegliche Gleichgewicht, der Zustand fortwährender Selbstbewegung, durch die in ihm das vitale Verwirklichungsfeld die chemischen Prozesse wie auf unsichtbaren Bahnen leitet, chemische Sendboten abschickt, die nicht nur den Nachrichtendienst zwischen den einzelnen Organen vermitteln und ihre Eigentätigkeit beschleunigen und verlangsamen, sondern auch in den Geschlechtshormonen die sekundären Geschlechtscharaktere von Mann und Weib und die Unterschiede der Gemütsstimmung bestimmen. Neuere Untersuchungen haben gezeigt, daß jedes menschliche Individuum ein Blut von ganz bestimmter Blutgruppenzusammensetzung besitzt und daß die Blutgruppenzugehörigkeit ein Erbgut ist, das dem Mendelgang unterliegt. 43

Wir müssen ü b e r h a u p t in der spezifischen S t r u k t u r w e s e n t l i c h e und u n w e s e n t l i c h e Züge unterscheiden. Unwesentliche Züge sind, wie W o l t e r e c k gezeigt h a t , durch die im Materialfeld austauschbaren stofflichen Grundlagen der Mendeleigenschaften bedingt. Das Materialfeld ist in dieser Hinsicht mit einem Farbkasten zu vergleichen, in welchem für die mendelnden Eigenschaften Farbsteinchen bereit liegen. Diese können vertauscht und neu kombiniert werden, so d a ß das Yerwirklichungsfeld die individuelle Ausprägung je nach dem zur Verfügung stehenden Material in der verschiedensten Weise nüancieren kann. Aber das Bild behält dabei die w e s e n t l i c h e n Züge. So zeigen die Flügeldecken mancher Coccinelliden außer der höchst variablen (wahrscheinlich mendelnden) Fleckenzeichnung nach Woltereck einen durchaus konstanten Crundplan der Zeichnung, der in einer bei jeder Art bestimmten Quer- oder Längsordnung besteht. Bei der höchst variablen Kiemenschnecke Neritina fluviatilis findet sich hinter dem Zeichnungsgewirr von Längs- u n d Querstreifen, R a u t e n und Tropfen usw. eine konstante Crundordnung, die, wie Woltereck sagt, „ z u r W e sensgesetzlichkeit aller V a r i a n t e n , also zur Ganzh e i t d e r A r t zu g e h ö r e n s c h e i n t . " Interessant ist ferner die Frage, ob es außer den die feinsten Unterschiede bedingenden Erbfermenten (austauschbaren „ F a r b s t e i n c h e n " im obigen Sinne) noch ganz besondere I n d i v i d u a i s t o f f e gibt, die nicht mehr in dem Farbkasten der Ahnen als gesonderte „Steinchen" nachweisbar wären. Die Untersuchungen über diese Frage gingen aus von der merkwürdigen Erscheinung, daß Blüten nicht von dem Pollenstaub d e s s e l b e n Baumes befruchtet werden können, sondern n u r von dem eines anderen Baumes — freilich d e r s e l b e n Art. Der Pollenstaub desselben Baumes keimt auf der Narbe nicht aus, so d a ß die Samenzellen resp. der Kern nicht zum Ei gelangen kann. Jost n a h m zur Erklärung dieser Erscheinung an, d a ß das Anregungsmittel zur Auskeimung des Pollens immer nur auf den Pollen der f r e m d e n Pflanze wirkt, während es f ü r den eigenen Pollen unwirksam bleibt. Die Anregungsmittel wären also in zwei Individuen der gleichen Art verschieden, wären ganz spezifische, n u r dem Individuum eigene Individual44

Stoffe. Die Bastardierungsversuche von Correns mit einer weiß und lila blühenden Art des Wiesenschaumkrauts haben jedoch mit Wahrscheinlichkeit ergeben, daß die Individualstoffe doch im obigen Sinne zu feinst differenzierten Nüancen gehören, die im „Erbfarbkasten" grundgelegt sind. Ist das Insdaseintreten eines neuen Wesens mit der Verwirklichung einer ganz spezifischen Struktur verbunden, so ist das damit verknüpfte Vergehen eines anderen Körpers nicht ohne Auflösung s e i n e r spezifischen Struktur zu denken. Die alte Scholastik konnte sich ein echtes W e r d e n nicht ohne ein „ E n t w e r d e n " denken. Zunächst ist es hier naheliegend chemische Analogien heranzuziehen. Bei der chemischen Synthese kann nach der genuin-scholastischen Vorstellung aus den zwei Verwirklichungsfeldern der reagierenden Körper nur dann ein neues Verwirklichungsfeld entstehen, wenn erstere der Auflösung verfallen. Man nennt den Auflösungszustand, der als notwendige D u r c h g a n g s p h a s e zu dem neuen Verwirklichungsfeld betrachtet wird, die B e r a u b u n g oder s t e r e s i s und denkt sich dieselbe mit einer r e l a t i v e n S t r u k t u r z e r s t ö r u n g der reagierenden Substanzen verbunden. Ob tatsächlich eine solche erfolgt und wie die neue Stoffzubereitung jeweils zu verstehen ist, darüber wissen wir heute noch wenig. Immerhin hat sich gezeigt, daß, wenn man in organische Verbindungen gewisse Gruppen einführt, diese ihren Einfluß nicht bloß lokal an ihrer Stelle, sondern durch Festigung oder Lockerung des Gefüges auf das Gesamtmolekül geltend machen. Man glaubt dies eventuell so erklären zu können, daß bei der Entstehung des neuen Moleküls Ladungsverschiebungen innerhalb des gesamten Elektronengefüges eintreten — ähnlich, wie etwa beim Umkristallisieren eines Körpers Atomverschiebungen, die den Übergang von einer Kristallform in die andere vermitteln. Solche Möglichkeiten der Umkristallisierung gibt es bei verschiedenen Körpern. Besonders instruktiv ist das Ammoniumnitrat. Das geschmolzene Salz erstarrt bei ungefähr 160° zu Kristallen des regulären Systems. Etwas unterhalb 125° wandeln sich die regulären Formen in rhomboedrische Kristalle um; hiermit geht eine Änderung des spezifischen Gewichts und aller übrigen Eigenschaften Hand 45

in Hand. Diese Temperatur ist ein Übergangspunkt und der Temperatur, bei der monokliner Schwefel in rhombischen Schwefel übergeht, vergleichbar. Sinkt die Temperatur etwas unter 83°, so gehen die rhomboedrischen Kristalle in Kristalle des rhombischen Systems über, die wiederum durch eine Reihe besonderer physikalischer Eigenschaften ausgezeichnet sind. Schließlich findet unterhalb 35° eine vierte Umwandlung in rhombische Nadeln statt, und in dieser Kristallform tritt das Ammoniumnitrat bei gewöhnlicher Temperatur auf. Alle diese Umwandlungen finden bei steigender Temperatur in umgekehrter Richtung statt. Im Bereich der Lebewesen wird man, wenn man das Problem der Strukturauilösung verfolgt, zunächst daran denken müssen, daß im lebenden Plasma die assimilierten Teilchen, damit sie aus der zerstreut anorganischen in die geeint organische Tätigkeit versetzt werden, auch einer besonderen strukturellen Anordnung bedürfen, die ihnen in einem bloßen Gemisch nicht zukommen kann. Mit dem Kreislauf der Substanzen durch die Lebewesen würden die Teilchen also durch verschiedene organische Systemgruppierungen, durch verschiedene Mikrostrukturen hindurchgehen müssen. Aber man könnte auch an eine Art U m k r i s t a l l i s i e r u n g der organischen Formen selber etwa in dem Sinne denken, daß die Korruption des alten Erbgefüges (Genotypus) zur Bildung eines neuen hinüberleitet. Und diese Korruption könnte, da die strukturelle Grundlage des Erbgefüges der Chromosomenkomplex ist, vielleicht auch der direkten Beobachtung zugänglich sein. T a t s ä c h l i c h h a t n u n die n e u e C h r o m o s o m e n f o r s c h u n g so e t w a s w i e e i n e K o r r u p t i o n d e r Chromosomengarnitur a u f g e d e c k t , und zwar wird dieselbe durch einen morphologisch äußerst intere s s a n t e n V o r g a n g , d u r c h die B i l d u n g d e r sog. Möbiusringe bei der R e i f u n g s t e i l u n g , in die Wege g e l e i t e t (13). Indem ein männliches oder weibliches Chromosom unter Drehung seines einen Endes um 180° mit seinem Partner an den Enden sich verbindet, entsteht ein gedrehter Ring, ein sog. Möbiusring. Dieser spaltet längs durch und löst sich wieder an den Verklebungsstellen. Wie 46

man sich leicht durch einen Modellversuch überzeugen kann, findet dabei ein Austausch und eine Verlagerung von Chromosomenstücken statt, die im Verlaufe mehrerer Möbiusspaltungen zu einer völligen Dissoziation der Garnitur der homologen Chromosomen führen muß. Besonders instruktiv ist diese Erscheinung bei zu starker Mutation neigenden Formen, wie O e n o t h e r a . Bei vielen Arten dieser Gattung sind die Chromosomen oft durch Verklebung zu aus je zwei Chromosomen bestehenden bivalenten Möbiusringen vereinigt, so daß an Stelle der diploiden die haploide Zahl zu beobachten ist. Die Ringe hängen oft in eigentümlicher Weise ineinander, von der man sich durch Modellversuche eine Vorstellung bilden kann. Außerdem kommen Kettenringe aus mehreren hintereinandergeschalteten und miteinander verklebten Chromosomen vor. Denkt man sich, daß, während die Chromosomen sich in gedrehter Ringverbindung befinden, eine Durchspaltung des Ringes stattfindet, so ist damit die Möglichkeit zu einem neuen mannigfaltigen Segmentaustausch gegeben, und zwar nicht nur zwischen homologen Chromosomen, sondern auch zwischen den verschiedenwertigen in der Kette einander benachbarten Chromosomen. Eine derartig hochgradige Auflösung der Erbgarnitur mag zu den Mutationen selber hinüberleiten. Im Sinne der H e i d e n h a i n s c h e n S y n t h e s i o l o g i e wird man sich die aktiven Grundlagen der Vererbung in den Chromosomen als lebende Einheiten niedrigster Stufe vorstellen müssen, die in ihren Reaktionen der Umstimmung fähig sind, und zwar wahrscheinlich durch wechselseitige fermentative Beeinflussung. Durch die Verlagerung der Chromosomenteilchen würde eine der Atomsynthese analoge neue Synthese im Erbgefüge geschaffen, indem, durch ein gewisses Auflösungsstadium hindurchgehend, der Prozeß in einen neuen, innerlich wieder harmonisch in sich selbst zurückgehenden Verwirklichungsprozeß einlenken könnte. Die neueren Feststellungen der organischen Chemie, wonach man durch neue Stoffkombinationen eine Auflockerung des Molekülgefüges und eine Aktivierung bestimmter Abbau- oder Aufbautendenzen bewirken kann, rücken Betrachtungen, wie die soeben erwähnte, durchaus aus dem 47

Gebiet des Unwahrscheinlichen heraus. Die weiterhin durch die chemischen Analogien nahe gelegte Annahme einer gerichteten, orthogenetischen Entwicklung scheint durch die neuen Beobachtungen über künstliche Mutationen ebenfalls an Wahrscheinlichkeit zu gewinnen. G o l d s c h m i d t u n d J o l l o s haben nämlich zeigen können, daß durch fortgesetzte Einwirkung gleicher abgeänderter Außenweltsbedingungen (Temperatur) Mutationen in stufenweisem Fortschritt erzielt werden konnten, so daß z. B. bei der Taufliege (Drosophila) es möglich war, die Augenfarbe von dunkelrot über eosinrot zu gelb und schließlich zu weiß abzuändern. „ E s ist", sagt Jollos, „ j e t z t experimentell dargetan, daß bei gleichmäßiger, sich auf zahlreiche Generationen erstreckender Einwirkung einer Mutation bewirkenden Veränderung von Umweltfaktoren an Stelle des sonst beobachteten regellosen Auftretens von Mutation ein ,gerichtetes Mutieren' t r i t t — ,gerichtet', nicht als Anpassung in bezug auf die auslösenden Außenbedingungen, sondern in der Aufeinanderfolge sich in ihrer Auswirkung gleichsinnig verstärkender Mutationsschritte." Das Problem der in manchen Fällen zu vermutenden gleichzeitigen „ a b g e s t i m m t e n " Veränderungen mehrerer Anlagen oder ganzer Anlagegruppen wird freilich dadurch noch keineswegs gelöst. Aber diese T e n d e n z z u r A u s g e p r ä g t h e i t d e r G e s t a l t a l s G a n z e s erweist sich durch die Ergebnisse der Gestaltpsychologie als eine dem Leben in keiner Weise fremde Tendenz. Sie kann infolgedessen als Analogie zur inneren E r f a h r u n g für die vitalen Verwirklichungsfelder in Anspruch genommen werden. Wir wollen sie noch kurz durch ein Beispiel erläutern. Abb. 9—16, zeigen, d a ß die Auffassung von Figurganzheiten nicht bei jeder Strichanordnung gleich gut gelingt und daß, wenn man an dem gleichen Strichmaterial von einer Ganzheit zur anderen durch die möglichen Zwischenglieder übergehen will, oft eine A u f l o c k e r u n g d e s G a n z h e i t s g e f ü g e s nötig ist. Geht man z. B. von Abb. 11 zu Abb. 13 über, indem m a n die Striche b und c u m 90° nach innen zum Zentrum dreht, so entsteht eine Störung in bezug auf die Ganzheitsfundierung von Abb. 11, die gleichsam ihre S t ü t z p u n k t e verliert und ihre Ausgeprägtheit stark eingebüßt h a t . Erst wenn ich auch die 48

beiden Striche o und d zum Zentrum hingedreht habe, gelingt die Herausführung einer neuen geschlossenen Figurganzheit. Der Übergang von Abb. 11 zu Abb. 14 führt durch eine Art schöpferischer Indifferenz, wobei das indifferente Moment sich auf die vorhergehende, das gestaltschöpferische Moment sich als Ergänzungstendenz auf die folgende Abbildung beziehen soll. D a ß d i e s e E r g ä n z u n g s t e n d e n z nicht von der begrifflichen Analyse hineingetragen wird, zeigt sich an dem B e i s p i e l der f a k t i s c h e n d i e T e i l e i n s G a n z e f ü g e n d e n S y n t h e s e n bei Fig u r e n , die e i n e m h a l b s e i t i g e r b l i n d e t e n A u g e n u r h a l b g e b o t e n w e r d e n (z. B . e i n e m K r e i s , einer E l l i p s e , e i n e m Q u a d r a t , e i n e m aus drei S t ä b c h e n e r z e u g t e n Stern). Sie werden ganz gesehen. Man wende gegen eine solche Analogisierung nicht ein, daß sie wissenschaftlich bedeutungslos sei. Denn in der Möglichkeit einer an d i e E r f a h r u n g s i c h a n s c h l i e ß e n d e n Analogisierung der hypothetischen Umbildungsfaktoren liegt der letzte erfahrungswissenschaftliche Halt der Deszendenztheorie überhaupt. Streng logisch schließt ein vergleichend morphologisch und paläontologisch begründeter Formenzusammenhang noch nicht einen Entwicklungszusammenhang, d. h. eine Wirklichkeitsbestimmung ein, bei der die Glieder dieser Formenreihe nun tatsächlich durch die natürliche Eigenkausalität der vitalen Verwirklichungsfelder auseinander hervorgegangen sind. Man muß eine Wirklichkeitsbestimmung, die solches leisten kann, entweder durch einen tatsächlichen Vorgang oder durch eine A n a l o g i e a u s d e r e r l e b t e n W i r k l i c h k e i t erst w a h r s c h e i n l i c h machen, wenn man nicht unsinnigerweise Erfahrungswissenschaft auf bloße Denkmöglichkeiten gründen will. Durch die gestaltpsychologischen Analogien wird j a aber namentlich auch der a u t o m o r p h e C h a r a k t e r solcher Umbildungsfolgen in ein neues Licht gesetzt. Wenn man als physiologische Unterlage im Aufbau der psychischen Gestalten annimmt, daß jede Ganglienzelle eine Form, deren Urgestalt gegeben ist, weiter ausbilden kann, so, wie wir „ahnen" können, wie eine Melodie, welche wir teilweise gehört haben, sich weiter fortsetzen wird, so liegt es nahe, André,

Urbild.

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etwas Analoges auch in den „Urzeiten" anzunehmen, die den „ F o r m e n k r e i s e n " , den A r t e n i m w e i t e s t e n S i n n e , zugrunde liegen. Ihre zur Ausgeprägtheit drängende (prägnante) Entfaltungsrichtung und die Unvermischbarkeit solcher Kreise ist dann recht wohl verständlich. Ohne uns hier im einzelnen auf die Richtigkeit der F o r m e n k r t i s 1 e h r e festlegen zu wollen, sei bloß ihr wesentlicher I n h a l t kurz angedeutet. Kleinschmidt glaubt auf dem zoologischen Gebiet gezeigt zu haben, wie man durch das so oft verspottete Studium der kleinsten geographischen Abweichung der Form einem ganz neuen Spezifizierungsgesetz auf die Spur kommen kann, durch das man die Realgattung als natürliche Einheit abgrenzen kann. Die Beobachtung zeigt, daß noch so ähnliche Tiere, die denselben geographischen R a u m bewohnen, ihrer inneren N a t u r nach verschieden sein können. So kommen bei uns in Gärten, auf Wiesen und Feldern drei Weißlinge vor: der große Kohlweißling, Pieris brassicae (L.), der kleine Kohlweißling, auch Rübenweißling genannt, Pieris rapae (L.), und der Rübensaatweißling, Pieris napi (L.). Diese drei Weißlinge flattern gemeinsam über derselben oder sitzen nebeneinander auf derselben Blumengruppe ohne die geringste Notiz voneinander zu nehmen. Sie erweisen sich dadurch als Rassen von drei ihrer N a t u r nach verschiedenen Formenkreisen, die sich nicht miteinander begatten. Dagegen zu demselben Formenkreis, zu dem unser Kohlweißling gehört, zählt auch derjenige der kanarischen Inseln, ferner gehört unser Rübenweißling und derjenige von J a p a n und schließlich unser Rübensaatweißling und sein Verwandter aus Ostasien derselben Realgattung an. Sie können sich untereinander paaren und sind nur verschiedene, geographisch einander sich ausschließende „Ausgaben" oder „Masken" desselben Wesens. Außer den Rassen, die sich als geographisch (durch Nahrung, Boden, Klima usw.) bedingte Abarten eines und desselben Formenkreises darstellen, gibt es noch Spielarten, die lediglich Variationen einer Rasse sind und sich bei der Züchtung durch den Menschen verstärken können. Auf die Abgrenzung der Formenkreise und Rassen wird zur Zeit eine ungeheuere Präzisionsarbeit verwendet, und in dem Buch von Kleinschmidt finden wir die schönsten Beispiele gesammelt. So unterscheidet dieser gründliche Vogelkenner bei dem großen Edelfalken zwei Formenkreise oder Arten, den Jagdfalken (Falco Hierofalco) und den Wanderfalken (Falco Peregrinus). Von jenem finden wir nicht weniger als 13, bei diesem sogar 17 geographische Rassen, von Grönland bis Madagaskar, durch alle Erdteile und Zonen verbreitet. Ähnlich ist es bei den Haubenlerchen, deren größter Formenkreis sogar in 36 Rassen abändert und bei den Sumpfameisen, von denen eine Art, die Weidenameise (Parus Salicarius) 30 Rassen aufweist. Auch in den von W a s m a n n mit so vielem Fleiß und so vieler Liebe studierten Mimikryformen bei den Ameisengästen sieht Kleinschmidt schöne Beweise für die Formenkreislehre. Es handelt sich dabei um Insekten, die an der reich gedeckten Tafel der Ameisen Nahrung und in ihren Bauten Unterkommen suchten und in Färbung, Gestalt usw. ein ameisenähnliches Aussehen gewannen.

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Nach der Ansicht Wasmanns h a t die Bedrohung oder die Verhätschelung durch die Ameisen hier keineswegs neue natürliche Arten geschaffen, sondern n u r vorhandene Anlagen zu weiteren Umbildungen veranlaßt, was zur E n t s t e h u n g neuer systematischer Arten führte. Die schon von Wasm a n n getroffene Unterscheidung der natürlichen Arten und der systematischen A r t e n erhält nun gerade durch die Formenkreislehre eine neue Stütze. Schon vorhandene Formenkreise mit altertümlichem Aussehen, wie sie unter Genist und Steinen oder in engen Gängen sich heranbilden, waren in eine Gestalt hineingewachsen, die es ihnen möglich machte, sich in Ameisenbauten einzudrängen. Manche wurden vielleicht von den Ameisen selbst eingeschleppt. Der Aufenthalt im Ameisenpalast beeinflußte die Umbildung weiter. J e nachdem die Einwanderung f r ü h oder spät geschah und j e nach der Taktik ihres Verhaltens machten die einen den Werdegang ihrer Wirte mit. Die anderen beschritten einen Weg der Abwehr oder den der Einschmeichelung. Das sind aber Wege, die jedes Tier schädlichen oder freundlichen Naturgewalten gegenüber einschlägt. D e r F o r m e n k r e i s e n t w i c k e l t sich nach den R i c h t u n g e n hin, in d e r s i c h d i e T i e r e a m m e i s t e n a b z a p p e l n . Auch auf botanischem Gebiete h a t sich die Formenkreislehre zum mindesten schon als eine fruchtbare Arbeitshypothese erwiesen. M ö n k e m e y e r schickte Kleinschmidt einen schönen Formenkreis von C e r a t o d o n p u r p u r e u s . Kleinschmidt selbst bildete früher Formen von Pinus Cembra ab und ein Botaniker schrieb ihm aus J a v a , daß er bei den Tropenpflanzen die Formenkreislehre bestätigt gefunden habe. Das f u n d a m e n t a l Neue bei der Sache aber ist: J e mehr die Forschung fortschreitet, desto mehr zeigt sich, daß bei aller Auseinanderstrahlung in Rassen doch ein Formenkreis nicht in den andern übergeht. Vielmehr entwickeln sich die natürlichen Arten unvermischt parallel zueinander, nach eigenen Spezifizierungsgesetzen, auf selbständigen Wegen. D e r F o r m e n k r e i s , d i e s p e c i e s n a t u r a l i s , s c h l i e ß t z u s a m m e n g e h ö r i g e t o t e und l e b e n d e R a s s e n zu einer erdg e s c h i c h t l i c h e n L e b e n s e i n h e i t z u s a m m e n , die d u r c h ihr bes o n d e r e s S p e z i f i z i e r u n g s g e s e t z a b z u g r e n z e n w ä r e . Kleinschmidt n i m m t in Übereinstimmung mit K a n t an, daß eine Urrasse oder, wie er sie n e n n t : eine Zentral-Wurzel-oder Keimbahnrasse, solange nacheinander Tochterrassen abstößt, bis sie selbst verbraucht ist und erlischt. Damit ergibt sich nun auch eine wesensgesetzliche Unterscheidung zwischen dem entwicklungsgeschichtlichen Ausbau eines Formenkreises und seiner ersten E n t s t e h u n g selbst. Der Ausbau vollzieht sich durch die Rassenbildung mit geographischer Ausschließung der Rassen untereinander, während die Bildung eines neuen Formenkreises nur rückgreifend und rückwärts ausholend von einer noch unausgebauten, primitiveren selbständigen Neubildung her beginnen konnte. Diese Entstehung durch Neubildung, die als eine Neu- und Höherspezifizierung gefaßt werden muß, liegt bei derErstentstehung des Menschen und der jeder anderen natürlichen Art sozusagen auf derselben Linie. DerMenschist sui generis, wie auch jede andereArt sui generis ist.

Zur Beurteilung der Formenkreislehre wird man erst dann etwas Entscheidendes sagen können, wenn das Art1

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bildungsproblem durch die Genetik einmal besser aufgehellt ist. D a es meist unmöglich sein wird, den Kreis bis zu seinem Entstehungspunkt genau abzugrenzen, bleibt seine Charakteristik eine unvollständige. Eine vollständige Charakteristik wäre nur möglich, wenn wir das ganze selbständige Weltwerden der Formenkreise gewissermaßen k i n e m a t o g r a p h i s c h uns vergegenwärtigen könnten, was natürlich unmöglich ist. Immerhin heben sich in dem Weltwerden der organischen Formen bestimmte Spezifizierungsgesetze ab, die uns sein Bild heute viel plastischer sehen lassen wie früher und auch gewisse echte Entwicklungsknoten darin hervortreten lassen. Wie wir später noch sehen werden, hat besonders D a c q u e s T y p e n l e h r e in das Problem der Zwischenformen neues Licht gebracht. Die Natur stellt nach Dacque in bestimmten Zeiten einen neuen Typus heraus, aber gleichzeitig oder kurz vorher, wo er kommt oder kommen soll, macht sich die Tendenz zu ihm schon in anderen Gruppen als eine Art typovergenter Mimikry bemerkbar, d e r d i e s e s N e u e n i c h t u r s p r u n g h a f t z u k o m m t . E s wird so etwas Ähnliches, aber nicht das Gleiche. Und bezeichnend ist, daß es jedesmal ein niederer T y p ist, der das Neue ohne rechtes Gelingen, nur als Nachahmung, vorwegnimmt und daß der nächst höhere T y p in einer solchen Zeit oder kurz nach ihr erst r e i n u n d w u r z e l e c h t hervortritt. Ein präzises Kriterium für die Abgrenzung eines Typus ist bei der Lückenhaftigkeit des paläontologischen Materials natürlich auch nach Dacques wertvollen Ergebnissen noch nicht möglich. Ein wertvoller Fortschritt liegt aber bei Kleinschmidt sowohl wie bei Dacque darin, daß die anschauungsfremden Vorstellungen über die Art der Umbildung der Organismen durch neue viel bessere ersetzt werden. D i e b i l d b e d i n g t e t y p o l o g i s c h e A n a l y s e D a c q u e s u n d K l e i n s c h m i d t s bew e g t s i c h g l e i c h s a m zu e i n e r D e c k u n g s e i n h e i t h i n mit der k o n k r e t - k a u s a l e n D e u t u n g der r e a l e n U m b i l d u n g s f a k t o r e n der E n t w i c k l u n g . In dieser D e u t u n g wird d a s a b s t r a k t - k a u s a l e Werdeschema d e r D a r w i n i s t e n , n a c h w e l c h e m es k e i n e b e v o r zugten Werderichtungen gibt, gleichfalls durch ein b e s s e r e s an der G e s t a l t p s y c h o l o g i e orien52

t i e r t e s S c h e m a ersetzt. Die U n t e r s c h e i d u n g von Materialfeld und V e r w i r k l i c h u n g s f e l d erweist sich a u c h h i e r a l s a u ß e r o r d e n t l i c h f r u c h t b a r . Gerade die genauere Analyse der Entwicklung zeigt uns heute, d a ß der oft als Tautologie bezeichnete Satz, wonach das gewordene Wirkliche vorher ein real Mögliches gewesen sein muß, t a t sächlich keine Tautologie in sich einschließt. W e n n e s n i c h t s r e a l M ö g l i c h e s g i b t , so w i r d i n d e r a u f e i n a n d e r f o l g e n d e n R e i h e des G e s c h e h e n s das f o l g e n d e Glied in den v o r a n g e h e n d e n B e d i n g u n g e n e n t weder schon wirklich oder gar nicht e n t h a l t e n sein. I m e r s t e n F a l l e w i r d ü b e r h a u p t n i c h t s geschehen und nichts werden. Im zweiten Falle wird das Folgende ohne allen realen Z u s a m m e n h a n g m i t d e m V o r a u s g e h e n d e n b e s t e h e n . I n der Wahrscheinlichmachung eines solchen realen Zusammenhanges besteht aber, wie wir später noch ausführlicher sehen werden, gerade eines der wichtigsten Wahrscheinlichkeitsargumente der Deszendenztheorie, und zwar vor allem nach der s t o f f l i c h - c h e m i s c h e n S e i t e hin. Wenn bei niedrig stehenden Tierformen Zellulose, bei höheren Formen Chitin, dann dazu Kollagen usw. zur Anwendung k o m m t , so liegt darin nach U t i t z „die Erfüllung oder Berücksichtigung all der durch das betreffende Material gegebenen Bedingungen". Die Frage der Überführbarkeit der einen F o r m in die andere setzt auch in rein b a u g e s e t z l i c h e r , d. h. in anatomischer u n d morphologischer Hinsicht die reale Möglichkeit oder Bestimmungsbereitschaft zu neuen Formen in der Wurzelform voraus. Diese Bestimmungsbereitschaft t r i t t in den meisten paläontologischen Formenreihen in dem mehr allgemeinen Charakter der Primitivformen hervor, der weitere Spezialisierungen zuläßt, sowie darin, d a ß der Durchgangspunkt zu einer höheren Organisation durch eine Vervielfältigung gleichartiger Körperteile bezeichnet wird, der dann eine Konzentrierung und Vereinheitlichung des gleichartig Vielen zu einer neuen Einheit folgt. Entsprechend der Unterscheidung von bestimmungsbereitem Materialfeld u n d bestimmendem Verwirklichungsfeld m u ß ferner, wenn es zu einer wahren Höherstaffelung der Formen kommen soll, also 53

eine Urgestalt in eine neue übergehen soll, entweder eine Erhöhung der inneren Beweglichkeit des Substrates eingeleitet werden, die wir als r e v o l u t i o n ä r e n Prozeß dem e v o l u t i o n ä r e n gegenüberstellen müßten. T h o m a s v. A q u i n hält eine solche Wandlung für möglich, jedoch spricht er davon nur bei der e m b r y o n a l e n S t u f e n f o l g e der Formen beim Menschen. Hier war es seine Auffassung, daß die Wandlung von einer Form in die andere d u r c h e i n e n s t r u k t u r e l l e n A u f l ö s u n g s p r o z e ß hindurchgehen muß. Wörtlich sagt er darüber: „ D a die Zeugung und das Entstehen des einen Dinges immer die Korruption des andern ist, so muß man, sowohl was den Menschen als auch was das Tier anbetrifft, sagen, daß, sobald die vollendete Form (das letzte Verwirklichungsfeld) da ist, die andere vergeht. Dies geschieht jedoch so, daß diese vollendetere Form alles jene in sich enthält, was an Vollendung die erste in sich hatte und dazu noch etwas mehr; und so gelangt man durch viele Veränderungen im Stoffe, d u r c h v i e l e E n t s t e h u n g e n u n d K o r r u p t i o n e n h i n d u r c h , zur letzten Wesensform sowohl im Menschen wie im Tiere." Daß Naturkräfte in dieser Art und Weise aus dem Unvollkommenen das Vollkommene herausführen können, widerspricht nach Thomas nicht dem Ursächlichkeitsgrundsatze — sobald man nämlich die dabei in Betracht kommenden Vcrwirklichungsfelder als I n s t r u m e n l a l u r s a c h e n auffaßt, d i e in d e r a l l e s g e s c h ö p f liche Sein und Werden t r a g e n d e n W i r k s a m k e i t G o t t e s h i n e i n v e r s e t z t s i n d in d i e L e n k u n g d u r c h d i e g ö t t l i c h e n I d e e n . „Besteht nämlich", sagt Thomas, „eine Ordnung in diesen Ursachen, so hindert nichts, daß die Kraft der höheren, leitenden Ursache die letzte vollendete Form gibt, während die K r a f t der niedrigeren nur bis dahin reicht, daß sie den Stoff vorbereiten; wie z. B. die K r a f t des Samens den Stoff vorbereitet und die K r a f t der Seele die Wesensform gibt beim Entstehen des Tieres. Offenbar aber ist es, daß die ganze körperliche Natur wirkt als Werkzeug der geistigen und zumal Gottes. Und demgemäß steht dem nichts entgegen, daß die Bildung des Körpers von einer körperlichen K r a f t ausgeht, während die vernünftige Seele von Gott allein i s t " (Summa theologica I 9. 113, Art. 2). 54

In dieser perspektivreichen Stelle ist für den Biologen zunächst der erste Teil wichtig, obwohl er für die Individualentwicklung sicher nicht richtig ist. Aber vielleicht läßt er sich sinngemäß auf die p h y l o g e n e t i s c h e Umbildung übertragen, vielleicht gibt es hier ein Werden, das auch mit einem echten „ E n t w e r d e n " verbunden ist. Die Rückdifferenzierung im Sinne der Wiederherstellung einer schöpferischen I n d i f f e r e n z , des M a t e r i a l f e l d e s , wie sie nach L i n s b a u e r schon in jeder Zellteilung und in allen reproduktiven und regenerativen Prozessen in der Einzelentwicklung eintritt, hätte dann in der Stammesentwicklung ein Analogon. Man braucht aber den Gedanken des „ E n t W e r d e n s " gar nicht einmal so stark zu unterstreichen. Es könnte auch die bei der menschlichen Stammesentwicklung notwendige innere Beweglichkeit und Bestimmungsbereitschaft des Materialfeldes durch einen zentralen K o n s e r v a t i v s t a m m gewährleistet sein, der in relativer Indifferenz mitten zwischen allen Vereinseitigungen der tierischen Spezialisierung ( = Entmenschlichung) hindurchgeht u n d i n s o f e r n a l s i m m e r j u n g und u n a u s g e b a u t immer neue Spezialisierungst e n d e n z e n e n t l a s s e n k ö n n t e . Er müßte notwendig in der alle Vereinseitigungen vermeidenden menschlichen Form seinen Abschluß finden und als Seitenzweige die Typen der Tiere aus sich hervorgehen lassen. Diese letzte Auffassung ist die Auffassung D a c q u e s . Dacques Theorie stimmt zunächst vollständig mit den Ergebnissen der biologischen Tierpsychologie überein, wonach alle Tiere U m w e l t s p e z i a l i s t e n sind, die in ihre Umgebung nicht nur psychologisch, sondern auch ihrer Organausstattung nach so vollkommen hineinpassen wie die Schnecke in ihr Haus. Die Werkzeuge, die der Mensch künstlich erst anfertigt, sind dem Tier als körpereigene Organe mitgegeben, und zwar spezialisiert als Schutz- und Trutzwerkzeuge für seine ganz besondere Umwelt. Die Biene führt ihre gefürchtete Injektionsspritze als körpereigenes Organ mit sich, und manche Tiere gehen in der umweltrelativen Organspezialisierung so weit, daß sie sogar die Verschlußvorrichtungen ihrer Wohnung am eigenen Leib mit sich herumtragen. Eines der schönsten Beispiele hierfür ist die Kolbenkopf55

ameise (Colobopsis), eine Ameise mit einer derart veränderten Vorderfläche des Kopfes, daß diese äußerst geeignet ist, u m die kleine Öffnung zu schließen, welche zum Ameisennest Zugang gibt, das sich in einem hohlen B a u m s t a m m oder in einem ausgehöhlten Gallapfel befindet. Ein Gegenstück hierzu bietet die Spinne Cyclosomia t r u n c a t a , die ihre Wohnröhren mit dem eigentümlich umgestalteten Hinterleibende verschließt. Bei Schneckenhäuser bewohnenden Einsiedlerkrebsen können die Scherenfüße unter Heranziehung der benachbarten Schreitbeine zur Bildung eines kunstgerechten Verschlußdeckels ihres Wohnraumes verwandt werden. Dieser e x t r e m e n U m w e l t s p e z i a l i s i e r u n g gegenüber ist die menschliche Gestalt e x t r e m e n t s p e z i a l i s i e r t , indem die H a n d , die jedes Werkzeug ersetzen oder betätigen k a n n , die Ausschaltung jeder einseitigen Verwerkzeuglichung des Körpers ermöglicht. Die zum Menschen führende Formenlinie mußte also jede Sackgasse einer e i n s c h r ä n k e n d fortschreitenden Umweltspezialisierung vermeiden. Vergleicht man aber Menschen- und Menschenaffenschädel in ihrer embryonalen Form und verfolgt sie dann weiter in ihrer Ausbildung, so t r i t t eine e i n s c h r ä n k e n d fortschreitende, d . h . „entmenschlichende" Umweltspezialisierung beim Menschenaffenschädel deutlich hervor. I m Jugendzustande bewahrt der Affenschädel größte Menschenähnlichkeit. Dann aber wächst er in die Umweltspezialisierung immer stärker hinein, die steile Stirn wird bei der Weiterentwicklung zum erwachsenen Affen höchst fliehend, der Unterkiefer erfährt mit der Schnauzenbildung eine nachträgliche Verlängerung zur Aufnahme des viel massigeren Gebisses, die Eckzähne treten in den Winkeln stark hervor. Es ist a priori unwahrscheinlich, daß aus einer solchen schon stark vereinseitigten F o r m durch Rückdifferenzierung oder rückläufigen „ A b b a u " sich wieder eine menschenähnlichere Form gebildet b a t . A priori wahrscheinlich aber ist es, daß der Mensch, so er aus einer vormenschlichen Form entstanden ist, aus einer s o l c h e n seinen Ursprung genommen h a t , die noch die völlig o f f e n e g e s t a l t l i c h e P o t e n z zur weiteren Vermenschlichung hatte*). *) Das Problem ist namentlich im Anschluß an den 1929 gemachten Fund eines chinesischen Schädels (Sinanthropus Pekinensis)

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Wir wollen durch solche Erwägungen natürlich der Urgeschichte in keiner Weise vorgreifen und nur zeigen, d a ß keinerlei empirische Entscheidung grundsätzliche S c h w i e r i g k e i t e n b r i n g e n k a n n . Man wird auch Dacque gegenüber betonen müssen, daß in seinem hypothetischen Konservativstamm die Vorfahren der heutigen Menschenform wohl als den Menschen g r u n d l e g e n d e Formen anzusprechen, nicht aber wohl schon als echte Menschen aufzufassen sind. So wenig der Flötenbauer auch in Wirklichkeit schon der Künstler zu sein braucht, der die Flöte spielt, so wenig brauchen die Formen mit Vermenschlichungstendenz, die gewissermaßen „erwählte", „ a u s e r w ä h l t e " Formen sind, auch schon aktuell in das höhere Yerwirklichungsfeld hineinversetzt sein, von dem Hamlet sagt: „Glaubt mir, es ist viel Musik in dem feinen Mechanismus meines Körpers und eine herrliche Stimme." Die Inkarnation dieses Verwirklichungsfeldes (dieser geistigen Wesensform) war, so sehr die Bereitschaft dazu von unten her in den auserwählten Formen grundgelegt wurde, doch ihrem Wesen nach eine Empfängnis von oben. Nach der Äußerung des hl. Thomas über die Embryonalentwicklung des Menschen können zwar die Naturkräfte über ihr eigenes Vermögen hinaus schöpferisch produzieren, weil sie, wie das der menschlichen Hand geeinte Werkzeug, als Organe der alles geschöpfliche Sein und Werden tragenden Wirksamkeit Gottes aufzufassen sind (14). Ihr Wirken wird so ein „ g a n z g ö t t l i c h e s " und ein „ g a n z k r e a t ü r l i c h e s " Wirken zugleich, so d a ß a u s d i e s e r i n n i g s t e n V e r k n o t u n g die s c h ö p f e r i s c h e P r o d u k t i v i t ä t der Form e n , w i e sie der E n t w i c k l u n g s g e d a n k e e i n s c h l i e ß t , g a n z s e l b s t v e r s t ä n d l i c h s i c h e r g i b t . Aber gerade dadurch, daß in der reinen Anschauung des Naturwirkens dessen einerseits alle menschliche Kunst wesentlich überwieder aktuell geworden. Während H. We nert, wie schon früher am Pithecanthropus Dubois, beim Pekingmenschen Ähnlichkeiten mit der Kopfbildung der Schimpansenformen feststellen und ein,; Brücke zu den tierischen Vorfahrenformen schlagen will, findet O. K l e nschmidt hier ein „rein menschliches Wesen", das allerdings in „e nigen wenigen Einzelheiten" von dem „Urbilde" des menschlichen Typus, das in der „kindlichen Kopfform" seinen Ausdruck findet, sich entfernt.

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ragende P r o d u k t i v i t ä t u n d Zielsicherheit doch anderseits n u r eine S e l b s t ä n d i g k e i t in der A u s f ü h r u n g , n i c h t i n d e r H a n d l u n g , offenbart, scheint die N a t u r als „Grenzfall" ihres Wirkens wohl die Bereitschaft für den Geist, nicht aber diesen selber hervorbringen zu können. „Besteht eine Ordnung in den Ursachen", sagt Thomas, „so hindert nichts, d a ß die K r a f t der höheren, leitenden Ursache die letzte Form gibt, während die K r a f t der niedrigeren (aber auserwählten) Ursachen bis dahin reicht, d a ß sie den Stoff vorbereiten" (S. T h . I, 9 . 1 1 3 , Art. 2). Einer so aufgefaßten Entwicklung widersprechen keinerlei Tatsachen, u n d sie scheint mir dem W e s e n s s c h n i t t zwischen N a t u r u n d Geist vollauf gerecht zu werden*). Hingegen erscheint mir Dacqués weiterer Versuch, die Drachenmythen auf Überlieferungen von Vorfahrenformen des Menschen zurückzuführen, die in der Hoch-Zeit der Saurier lebten, und daraus das Menschsein jener Formen zu dokumentieren, doch recht problematisch. B é l a v. B r a n d e n s t e i n bemerkt mit Recht, daß, „wenn jene Vorfahren alltäglich mit den Sauriern in Berührung gekommen wären, sich kein Mythos gebildet h ä t t e ; über Gewöhnliches — und alles lang Gewohnte wird gewöhnlich — fabelt man keine Heldentaten größten Stils. Die riesigen Saurier sind zwar schnell ausgestorben, aber zweifellos nicht restlos ; einige Familien werden ihr Leben in Zurückgezogenheit bis weit ins Tertiär hinein gefristet haben : d a ß von diesen wenigen nichts gefunden wurde, ist j a kein W u n d e r ; daher der Mythos". (Vgl. v. Brandensteins bald erscheinende Philosophische Anthropologie.) I n d e m wir im Naturwirken dessen Selbständigkeit in der Ausführung von der Selbständigkeit der Handlung unterscheiden, sind wir bereits bei jener Analyse der natürlichen Tätigkeitsformen angelangt, die zur t h o m i s t i s c h e n T y p o *) Wie un enügend gegenüber dem fundamentalen Schema: „ V e r w i r k i c h u n g s f e l d a s O r g a n der g ö t t l i c h e n I d e e " — das durch den bloLen L t i l i t i i t s s t a n d p u n k t verdünnte Kausalschema für das Prollem der Mens hwerdung ist, hat J o s e f R o t h fein formuliert: „Wer da glaul t, der Menschenaffe sei „durch Strebsamkeit 1 ' zum Menschen hochgekommen, dem antworten wir, daß man „durch Strebsamkeit" hö.hstens Materia.ist werden kann, aber nie ein Mensch."

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l o g i e hinüberleitet. Die Verschiedenheit jener Verwirklichungsfelder, die Thomas als Formen bezeichnet, äußert sich nach ihm anschaulich in der aus ihnen hervorgehenden mitteilsamen Tätigkeit, die eine gewisse Fülle, ein Hervorströmen oder, wie Thomas sagt, eine E m a n a t i o n bezeichnet, in der das Feld entweder nach außen sich ausbreitet oder in sich selber bleibt und vollendet. Die Stufen des Seins sind also durch die W e i s e d e s H e r v o r g e h e n s , den m o d u s e m a n a t i o n i s , zu unterscheiden. E r bezeichnet 1. den Grad, in dem die betreffende Tätigkeit der Abhängigkeit von außen u n d der stofflichen Vermittlung unterworfen ist und 2. die Reichweite der Verinnerlichung, durch die das betreffende Wesen entweder vital gestaltend oder erkennend und handelnd an Fülle und an S e l b s t ä n d i g k e i t des Lebens gewinnt. Thomas gibt nun diesen Stufen eine sehr präzise Fassung (bes. in Contra Gentiles I V ; 11). Das pflanzliche Leben hebt zunächst von dem Nicht-Lebendigen sich dadurch ab, d a ß es der Einwirkung von außen nicht restlos erliegt, sondern den Stoffen gegenüber, mit denen es sich vereinigt, eine gewisse Selbständigkeit bekundet. Modern gesprochen ließe sich dieser Unterschied so charakterisieren: wenn im Leblosen der eine Stoff mit einem anderen Stoff sich verbindet, so wird er selbst von diesem verändert, es entsteht ein neues Drittes. Die Pflanze dagegen besitzt den Stoffen gegenüber, die sie in sich a u f n i m m t , die Selbständigkeit, daß sie nicht selbst von ihnen verändert wird, sondern umgekehrt, d a ß sie diese Stoffe sich selber angleicht, in ihre eigene spezifische Substanz h i n ü b e r f ü h r t und sie so sich verinnerlicht im Vollsinne des Wortes. Zweifellos geht diese Tätigkeit aus der Pflanze selbst hervor und findet auch in der Pflanze — mit dem Aufu n d Ausbau ihrer Gestalt — ihren Abschluß. Und doch besteht hier noch die tiefgreifendste Abhängigkeit von außen u n d von der stofflichen Vermittlung. Die Pflanze muß nicht n u r alles, was sie an Lebensunterhalt nötig h a t , rein physisch aus der Umwelt sich einverleiben, sondern sie ist auch in allen ihren Lebensleistungen an die physischen, d. h. modern gesprochen, an die chemisch-physikalischen Leistungsfähigkeiten dieser Stoffe gebunden. Sie k a n n diese Leistungsfähigkeiten auch nicht relativ willkürlich wie ein Chemiker, sondern n u r 59

ausführend auswerten, d. h. anknüpfend an bestimmte Dispositionen des Protoplasmas die Prozesse automatisch gleichsam weiterspinnen. Jede Selbstbeeinflussung im Sinne einer handelnden Zurückwendung auf sich selbst fehlt der Pflanze. Sie ist, wie Thomas sagt, n u r in d e r A u s f ü h r u n g s e l b s t ä n d i g . Zudem findet die höchste Vitalfunktion der Pflanze, die Zeugung, nicht mehr innerhalb der Pflanze ihren Abschluß, sondern in ihr „veräußert" sich, wie Thomas sagt, die Lebenstätigkeit der Pflanze im Dienste der Gattung. Zusammenfassend sagt Thomas selbst über das Leben der Pflanze: „Das aber ist gerade in den Pflanzen ein Zeichen des Lebens, daß sie das, was sie in sich tragen, zu einer bestimmten F o r m hinführen. Aber dieses Leben der Pflanzen ist noch unvollkommen, weil bei ihnen die Emanation, wenn sie auch von innen heraus stattfindet, doch allmählich sich vom Innern loslöst und schließlich vollständig „veräußert" wird. Der Saft, der zunächst vom Baume ausscheidet, wird zur Blume, dann zur Frucht, die zwar von der Substanz des Baumes verschieden, aber doch mit ihr verbunden ist, bis schließlich die reife Frucht vollständig vom Baume getrennt wird und zufolge der ihr mitgegebenen Samenkraft eine neue Pflanze hervorbringt. Dem aufmerksamen Beobachter, fügt Thomas hinzu, wird es dabei nicht entgehen, daß diese Emanation auch ihren ersten Anfang von außen her nimmt. Denn der innere Saft wird durch die Wurzeln aus der Erde gewonnen, aus der die Pflanze ihre Nahrung zieht." Die erste Loslösung von der inneren Gebundenheit an den Stoff und damit von der rein physischen Umweltverkettung, wie wir sie bei der Pflanze finden, haben wir in dem nächsthöheren Seinskreis der Tiere zu suchen. Diese Loslösung findet schon beim Beginne der Emanation in der Sinneswahrnehmung seinen Ausdruck. Sie wird Prinzip der Tätigkeit nicht dadurch, daß sie Eigenschaften der Körper rein physisch auch zu ihren Eigenschaften macht, sondern dadurch, daß sie Eigenschaften der Dinge dem Erkenntnisstreben entsprechend, also ohne deren subjektiven Stoff in intentionaler Weise sich verinnerlicht. Da die in der sinnlichen Intuition erfaßten Eigenschaften in ihr nicht wie etwas Körperliches im Körperlichen (also nicht etwa wie die Atom-

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k r ä f t e des Kohlenstoffs in der Pflanze), sondern auf eine gewisse geistige Art sind, s o , w i e g l e i c h s a m d e r G e g e n s t a n d i m G e m ä l d e i s t , d a s i h n d a r s t e l l t , nennt Thomas von Aquin auch das durch die Einbildungskraft bewirkte Schauen ein geistiges. Diese Lebensstufe liegt auch u m so viel höher über der der Pflanzen, als ihre Äußerungen sich mehr im Innern vollziehen. Wörtlich sagt hierüber T h o m a s : „Die der tierischen Stufe eigentümliche E m a n a t i o n f ä n g t zwar auch bei der Umwelt an, findet aber ihren Abschluß in der Innenwelt. Und je mehr diese E m a n a t i o n fortschreitet, desto mehr dringt sie in das Innere. Denn das äußere Sinnenbild prägt seine F o r m den äußeren Sinnen ein, von dort t r i t t es weiter ein in die Phantasie und schließlich in den Schatz des Gedächtnisses. I n einem jeden dieser Emanationsprozesse fallen jedoch Anfangs- und E n d p u n k t auseinander. Denn keine sinnliche Tätigkeit kann über ihren eigenen Akt reflektieren" (Contra Gentiles I V ; 11). Was zunächst die Abhängigkeit von außen und vom Stoffe u n d zugleich auch die vitale Selbständigkeit dem Stoffe gegenüber angeht, so haben wir zwischen Pflanze und Tier also folgenden Unterschied: Die Pflanze n i m m t von außen den Stoff in sich auf, verbindet sich mit ihm. I m Unbelebten wird ein Körper, der mit einem anderen Körper chemisch sich verbindet, selbst von diesem Körper verändert, und es entsteht ein neuer dritter Körper. Die Pflanze dagegen wird von den Stoffen, mit denen sie sich verbindet, nicht selber verwandelt, sondern sie verwandelt diese in ihre eigene spezifische Substanz. Diese Tätigkeit ist eine physische, u n d sie k a n n sich nicht anders vollziehen, als daß die Pflanze dabei das, was sie durch diese Tätigkeit berührt, in seinem physischen Bestände auflöst und verändert. Die W a h r n e h m u n g dagegen h a t die Eigentümlichkeit, d a ß sie das, was wahrgenommen wird, selbst auf eine i m m a t e r i e l l e Weise wird, also dasselbe in seinem physischen Bestände nicht mehr verletzt und a n t a s t e t . Dieser Wesensuntferschied zeigt zugleich die völlige Sinnlosigkeit des Materialismus, nach dem alles nur in materiell-bewegungsverändernde Beziehung zueinander treten kann. Denn in der Wahrnehmung t r e t e n wir j a in eine aktuelle i d e a l e Korrespondenz zu dem Wahrgenom-

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menen, also in eine Beziehung zu ihm nach der Art des Bildes, zu dem, was es darstellt. Wir betrachten den Gegenstand i n dem Erkenntnisbilde. Aber trotz dieser idealen Korrespondenz ist auch die W a h r n e h m u n g noch gewissen Einschränkungen des Stoffes unterworfen. Sie richtet sich nur auf konkrete, individuelle Eigentümlichkeiten des Wahrgenommenen, nicht aber auf die allgemeine Wesenheit des Gegenstandes, mit der diese Eigentümlichkeiten oft ganz zufällig verbunden sein können. Das Urteilen des Tieres, das von diesen rein sinnfälligen u n d zufälligen Bestimmungen nicht absehen kann, kann deshalb den Gegenstand nicht auf Grund der allgemeinen ihm kons t a n t zukommenden Wesensbestimmungen indentifizieren, sondern nur auf Grund s i n n f ä l l i g c h a r a k t e r i s t i s c h e r S c h e m a t a . Bei einem Affen kann ein Stock den Funktionswert des Astes gewinnen, den er im Freien gebraucht, u m in den Besitz einer Frucht zu gelangen. Ebenso kann er ein gerades Drahtstück dazu benutzen. Sobald aber der D r a h t gebogen ist, also das sinnfällige Schema sich weitgehend verändert h a t , weiß er nichts mehr mit dem Draht anzufangen. Interessant ist auch folgendes Beispiel: Wenn man einem Affen eine Banane halb geschält in die H a n d gibt, so flieht er vor ihr. Ganz geschält frißt er sie, und ungeschält schält er sie zuerst und frißt sie dann auch. Es besteht also beim Tier noch eine Verflechtung in die sinnfälligen und zufälligen Bestimmungen seiner Umgebung. Beim Menschen ist das ganz anders. Bleiben wir beim Drahtstück, das zur Erreichung der F r u c h t dient. Hier erkennt der Mensch direkt die Wesenheit des Drahtstückes a l s e i n e s b e l i e b i g b i e g b a r e n I n s t r u m e n t e s und durch u n m i t t e l b a r e Rückwendung auf die W a h r n e h m u n g erkennt er das Drahtstück in seiner konkreten sinnlichen Bestimmtheit. Menschliche Erkenntnis ist also immer Wissen „ v o n " etwas, „als" etwas, ist Einreihung eines Bildes in die Bedeutungssphäre durch die reilexe Deckung von Gedanke und Bild (15). Von dieser reflexen Wesenserkenntnis des Einzelnen handelt schon A r i s t o t e l e s an jener schwierigen, von Thomas näher erklärten Stelle, wo es heißt, „ d a ß d i e S e e l e d u r c h e i n a n d e r e s e n t w e d e r G e t r e n n t e s o d e r e i n s o l c h e s , d a s s i c h v e r h ä l t , wie 62

die g e b o g e n e L i n i e zu sich s e l b s t , w e n n sie ges t r e c k t ist, die W e s e n h e i t der Sache e r k e n n e . " Durch die abstrahierende und reflexe Erkenntnis erklärt sich also, daß der Mensch nicht wie das Tier durch seine Organe belehrt wird, sondern auch umgekehrt seine Organe belehren, j a in bestimmten Fällen sich, sogar gegen die Belehrung des Organs verhalten kann. Denn in ihr — der abstrahierenden und reflexen Erkenntnis — vollzieht sich eine innere Scheidung und Verbindung der Sinnes- und der geistigen Abstraktionsfähigkeit, durch die sich der Mensch von einer zwangsläufigen und unmittelbaren Rückbeziehung auf das Sinnes- und Nervenleben, wie sie beim Tier noch vorhanden ist, frei macht. Maßgebend ist ihm nicht mehr bloß der Eindruck des Dinges, sondern das W e s e n , das sich in ihm verkörpert und durch dessen Erkenntnis es ihm n u n w a h r h a f t zum Gegenstand, zu einem trotz aller Veränderungen mit sich selbst identischen Objekt wird. J a , der Mensch kann noch weiter gehen und kann das Wesen des Gegenstandes von seiner konkret gegebenen Einzelexistenz unterscheiden, kann von dieser völlig absehen und sich sozusagen vis-ä-vis de rien stellen. Freilich ist dieses Absehenkönnen auch an den normalen Verlauf der phantasmatischen Abstraktion geknüpft. Das sinnliche Absehungsvermögen m u ß mit dem geistigen gleichsam mitgehen, gleichen Schritt mit ihm halten können. Wo es nicht mehr mitgeht, wie bei manchen Großhirn verletzten, kann man die betreffende Person oft nicht dazu bringen, eine dem F a k t u m sinnlicher Erkenntnis widersprechende Behauptung auszusagen, also z. B. zusagen, die Sonne scheint nicht, wenn sie scheint. Wenn aber beim Tier ein solches Absehungsvermögen fehlt u n d es z. B. nie zu einem Ziele gelangen k a n n , wo die Wegr ä u m u n g eines Hindernisses, also das Absehen von einer sinnlich gegebenen Situation die notwendige Vorbedingung d a f ü r ist, da ist ein Mangel echter Abstraktionsfähigkeit überhaupt vorhanden. Beim Großhirnverletzten ist diese der Potenz nach vorhanden, aber der normale Vollzug der Abstraktion ist nicht möglich, weil notwendige Zwischenglieder fehlen. Man darf deshalb keineswegs die Symptome bei Großhirnverletzten als Atavismen deuten, sondern muß sie aus dem Ganzen menschlicher Erkenntnistätigkeit heraus zu verstehen suchen. 63

Seinen Höhepunkt erreicht das intellektive Leben des Menschen in der S e l b s t r e f l e x i o n . Durch sie kann er auch seine eigenen geistigen und körperlichen Akte noch einmal in idealer Weise sich verinnerlichen und so gleichsam in idealer intentionaler Weise noch einmal sich selber werden. Wie die Pflanze in physischer Weise durch die Fortpflanzung noch einmal sich selber wird — freilich unter völliger Veräußerung ihrer selbst —, so kann der Mensch das geistige Bild von sich innerlich hervorbringen, also so, daß diese Hervorbringung nicht außerhalb seiner selbst ihren Abschluß findet. Der m o d u s e m a n a t i o n e s der L e b e n s t ä t i g k e i t s c h r e i t e t a l s o von der P f l a n z e ü b e r d a s T i e r z u m M e n s c h e n n i c h t n u r an A u s b r e i t u n g , F ü l l e u n d S e l b s t ä n d i g k e i t , s o n d e r n a u c h an I m m a n e n z d a d u r c h f o r t , d a ß er i m m e r m e h r im O r g a n i s m u s s e l b e r s e i n e n A b s c h l u ß f i n d e t . Äußerlich aber findet die Erhebung der einen Stufe über die andere ihren Ausdruck in der Leibesform. Die sich veräußernde Reproduktionskraft der Pflanze findet ihren Ausdruck darin, daß die pflanzliche Form in der Regel eine offene ist, d. h. immer neue Vegetationspunkte und Sprosse, die der Vermehrung dienen können, ansetzt und außerdem, wie Thomas sagt, in der normalen Entwicklung in Blüte und Frucht abschließt (Contra Gentiles IV; 11). Beim Tier schließt sich die Form, das ganze Sinnesleben findet auch im Innern seinen Abschluß, aber es steht noch völlig in der Leibeigenschaft des Individuums und der Gattung. Daher auch die geneigte Stellung des Tieres, gegenüber der die Aufrichtung nicht als seine n a t ü r l i c h e Stellung erscheint. Dagegen steht die aufrechte Haltung des Menschen mit der Ausbreitung, Fülle und Selbständigkeit und dem Höchstgrad der Immanenz seines Erkenntnislebens sowie seinem außer dem Begehren r e i n g e g e n s t ä n d l i c h e n Wohlgefallen an den Dingen in innerlich notwendiger Beziehung. „Die Sinne", sagt Thomas, „sind dem Menschen nicht nur deshalb gegeben, daß er sich Speise und Befriedigung des Fortpflanzungstriebes suche, sondern auch, daß er sich ergötze an der Schönheit der sichtbaren Natur. Die Sinne aber haben ihren Platz vorzugsweise im Haupte. Das Tier also schaut auf die Erde, damit es sich Speise suche und die Be64

friedigung des Fortpflanzungstriebes; der Mensch hat sein Haupt aufgerichtet, damit er durch die Sinne und zumal das Gesicht, das unter den Sinnen der feinste ist und die meisten Unterschiede zwischen den Dingen aufdeckt, frei von allen Seiten her das Sichtbare am Himmel und auf Erden erfassen und aus allem sich die W a h r h e i t e r s c h l i e ß e n k a n n . " (S. Th. I, 3. 91, Art. 3.) Die P e r s o n b e z o g e n h e i t der m e n s c h l i c h e n S i n n e s t ä t i g k e i t , ihre über die rein b i o l o g i s c h e O r i e n t i e r u n g h i n a u s g e h e n d e Hinordn u n g auf die ä s t h e t i s c h e und die W e s e n s e r k e n n t n i s , ist d a m i t d e u t l i c h in den V o r d e r g r u n d ges t e l l t . Auch sieht Thomas das Spezifische menschlicher Leiblichkeit überhaupt in ihrem universalen, nicht für bestimmte biologische Bedürfnisse einseitig spezialisierten Charakter. „Im Menschen", sagt er, „muß alles gleichmäßig der Vernunft dienen; es darf also kein sinnlicher Teil für sich allein durchaus hervorragen, so daß andere darunter litten" (S. Th. I. 91, Art. 3). Dieser universale Charakter menschlicher Gestalt spielt bekanntlich heute bei der Beurteilung der Deszendenzfrage wieder eine ausschlaggebende Rolle. Mit der Charakterisierung der drei E m a n a t i o n s s t u f e n des Lebens haben wir drei D u r c h b l i c k s p u n k t e gewonnen, die uns sowohl im Pflanzenreich wie auch im Tierreich und beim Menschen gewisse weitere Einsichten in die objektive Naturordnung gewähren und das ermöglichen, was wir als einen t y p o l o g i s c h e n S y s t e m a u f b a u der Natur bezeichnen können. Der Gedanke, daß das Wesen der Pflanze sich in ihrem modus emanationis offenbart, war der erste Ausgangspunkt zu einer mehr natürlichen Gruppierung der Pflanzen bei C a e s a l p i n , der nach Albertus Magnus als der größte Aristoteliker unter den Botanikern gilt. Als organgebundene Tätigkeit ist sowohl die Ernährung wie die Fortpflanzung der Pflanzen einer Modifikation fähig, was eine Modifikation der Organe beider Tätigkeiten zur Folge haben müßte. Da bei der Pflanze die Fortpflanzung den Gipfel ihrer Lebenstätigkeit darstellt, sind nach Caesalpin die Blüten- und Fruchtformen für die höheren Pflanzen das charakteristischste Merkmal für ihre systematische Einordnung, bei den niederen Pflanzen dagegen die vegetativen Organe. Bei den Tieren gipfelt die A n d r « , Urbild.

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Emanation in der Sinnes-, beim Menschen in der Verstandestätigkeit. Letztere hängt wohl von der organgebundenen Sinnestätigkeit ab, ist aber in sich selber ein vom Stoffe uneingeschränkter, organlos freier Akt, durch den der Erkennende in idealer intentionaler Weise gleichsam alles werden kann. Deshalb kann auch von einer Höherbildung derselben, die zu verschiedenen Menschenspezies mit verschieden hoher Gehirnbildung führen würde, nicht mehr die Rede sein. E s gibt nach Caesalpin rein wesensgesetzlich also n u r e i n e S p e z i e s M e n s c h und die m e n s c h l i c h e Leibesform i s t i h m d i e G r e n z e a l l e r F o r m e n (worauf später auch Schelling einmal hinweist). Dagegen kann bei der Pflanze und beim Tier d a s , w a s d e r , , I d e e " , d. h. d e r W e i s e d e s H e r v o r g e h e n s d e r Lebenstätigkeit (dem m o d u s e m a n a t i o n i s ) n a c h g l e i c h i s t , d o c h in d e r a r t l i c h e n A u s p r ä g u n g s e h r m a n n i g f a l t i g sein, wobei aber diese Mannigfaltigk e i t e n p o t e n t i e l l in d e r „ I d e e " a l s A b w a n d l u n g s m ö g l i c h k e i t e n d e r s e l b e n e n t h a l t e n s i n d . Auch auf die Organe und ihre Modifikation wurde der Gedanke der Abwandlung des Typus übertragen. Wie wir wissen, hat schon A l b e r t u s M a g n u s die verschiedenen B l a t t f o r m e n der Pflanze als reale Abwandlungen des Anhangsorgans betrachtet, die bedingt sind durch die Läuterung der Stoffe von Knoten zu Knoten. Und selbst in der physikalischen Welt hatte man schon im Mittelalter den Versuch gemacht, Phänomene als Abwandlungen ein und desselben Urphänomens zu deuten. Die Farben sind nach R o g e r B a c o n eine A b l e i t u n g des m a t e r i e l l in seiner Reinheit gebrochenen L i c h t e s , d a s , w e n n es d u r c h d a s T r ü b e h i n d u r c h s t r e b t , gelb und gelbrot e r s c h e i n t , oder a b e r , w e n n i h m d i e F i n s t e r n i s e i n e G r e n z e s e t z t u n d es, das T r ü b e e r h e l l e n d als A b g l a n z z u r ü c k k e h r t , zum B l a u u n d V i o l e t t w i r d . Die Einreihung der Farbenerscheinungen in dieses e i n h e i t l i c h e O r d n u n g s s c h e m a einer A u s e i n a n d e r s e t z u n g von L i c h t und F i n s t e r n i s ist bekanntlich auch von G o e t h e wieder aufgegriffen worden. Sie ist als typologische Ableitung prinzipiell nicht verschieden von der Einreihung der organi66

sehen Formen in das Ordnungsschema ihres jeweiligen Emanationskreises. I m thomistischen Aristotelismus gewinnt so, wie wir sehen, das platonische auf die zeitlosen Wesenstypen gerichtete Denken durchaus seinen Platz. A b e r e r s t d u r c h das aristotelische Element werden seine Grenzen d e u t l i c h a b g e s t e c k t und wird das Bereich des U n d u r c h f o r s c h b a r e n n i c h t v e r e n g t , s o n d e r n erw e i t e r t (einem seichten Rationalismus also kräftig vorgebeugt). Mit dem Individuum und der individuellen Wesenheit h a t nämlich Aristoteles zuerst das „Ding an sich", das Noumenon, dem Verstände entgegengehalten, das n u r approximativ und nicht a d ä q u a t erkennbar ist, weil unsere Abstraktionen und abstrahierten Ordnungsregeln gleichsam zu weit sind, um die material bedingten Zufälligkeiten mit zu erfassen. W i r k ö n n e n d e s h a l b a u f d a s I n d i v i d u u m n u r g l e i c h s a m m i t d e m F i n g e r z e i g e n , a b e r es n i c h t a l s I n d i v i d u u m a d ä q u a t e r k e n n e n . Daher k o m m t es auch, daß wir die reale konkrete Pflanze nie so beeinflussen können, als ob wir sie selbst wären, d. h. als ob wir ihr inneres Wesen, soweit es vom (konkreten) Wirklichsein in seinem Bestehen und Wirken abhängt, durchschauen würden. Was wir an ihr erkennen, sind immer nur abstrahierte Wesenszüge. Und so sind unsere Begriffe von ihr nur wie Schattenrisse des Wirklichen und ist unsere Macht über sie n u r wie ein Schatten von Macht. Mit Hilfe der abstrahierten Wesenszüge können wir z. B. verstehen, daß wir der Pflanze nicht wie dem Tier etwas anlernen können, daß ihr Formwechsel dem Stoffwechsel relativ übergeordnet ist, daß aber zugleich alle Vitalfunktionen der Pflanze innerlich gebunden sind an die werkzeuglichen (chemisch-physikalischen) Ausnützungsmöglichkeiten der stofflichen Verbindungen. Wir können künstlich durch modifizierenden Eingriff in die stofflichen Prozeßverkettungen in ihr den Stoff- und Formwechsel in bestimmte erwünschte Bahnen lenken und der Pflanze, soweit es akzidentelle Merkmale angeht, durch Auslese und Bastardierung nach den allgemeinen Regeln der Genetik ganz bestimmte erwünschte Beschaffenheiten geben. A b e r w i r k ö n n e n d i e P f l a n z e n i e so b e e i n f l u s s e n , a l s o b s i e 5*

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in k e i n e r Weise m e h r ein X f ü r uns w ä r e ; u n s e r e Begriffe von ihr bleiben i m m e r u n a b g e s c h l o s s e n u n d n o c h w e i t e r b e s t i m m b a r . Wegen dieser Unabgeschlossenheit h a t auch der Typusbegriff der Pflanze zunächst eine mehr begrenzende Funktion. Er ist nicht f ü r beliebige Spezifikationsmöglichkeiten desjenigen Seins, das wir das pflanzliche nennen, aufnahmefähig. Die Differenzen pflanzlichen Seins haben in ihm weder ein wirkliches noch gar kein Sein, sondern ein mögliches Sein, sie sind als ideale Bestimmungsbereitschaften darin enthalten. In dem T y p u s der Pflanze als einer nur in der Ausführung selbständigen Verhaltungsform des Lebens, die als wesentliche Yitalfunktionen Ernährung, Wachstum und Fortpflanzung zeigt, in diesem Begriff sind sowohl die grüne Pflanze wie auch der Pilz als Spezifikationsmöglichkeiten eingeschlossen — aber doch nicht wie die Wirkung in einer a d ä q u a t wirkenden Ursache enthalten. Sie sind in ihr nach der Analogie der passiven Bestimmungsbereitschaft. Diese Einsichten beugen der größten Gefahr aller Typologie v o r : der Gefahr, rein begriffsdialektisch vorzugehen und unsere unabgeschlossenen, immer noch weiter bestimmbaren Begriffe zum Maß der Wirklichkeit selber zu machen. Anderseits aber verhelfen sie uns als Wesensbegriffe zu einem gewissen B e g r e i f e n der Wirklichkeit. Der Wesensbegriff der Pflanze drückt j a dasjenige aus, was die Eigenschaften und Bestimmungen der Pflanze als zusammengehörig in sich f a ß t , er gibt den Umriß, die Skizze, das die Hauptzüge enthaltende Bild, und läßt in der Abwandlung dieses Bildes eine gewisse Rangordnung der wichtigeren und der weniger wichtigen Charakterzüge erkennen. Insofern auch das Allgemeine bei Hegel als Rückhalt das Wesentliche h a t , das dem begreifenden Denken vorschwebt, ist seine Begriffsdialektik im A u f b a u der N a t u r nicht ohne fruchtbare Anregung für die Typologie, aber auch nicht ohne Gefahr der Grenzüberschreitung. W i r w e r d e n s p ä t e r s e h e n , d a ß ihre M e t h o d e , die d u r c h den A r i s t o t e l i s m u s einerseits eingeschränkt und begrenzt wird, doch auch wieder anderseits ü b e r a u s b e f r u c h t e n d auf den Aristotelismus zurückwirkt. Ja, man kann sagen, daß die t h o m i s t i s c h e Lehre von den E m a n a t i o n s 68

s t u f e n erst d u r c h die N a t u r t h e o r i e eines Hegel i a n e r s , n ä m l i c h K. C h r . P l a n c k s , a u s e i n e r m e h r n e g a t i v e n zu e i n e r v o l l p o s i t i v e n T y p o l o g i e u m gebildet werden kann. Grundsätzlich ist weiterhin zu betonen, d a ß das reale Einzelsein der Dinge, die Verbindung von Sein und Wesenheit in ihnen, nicht ausreichend begründet werden k a n n , wenn wir bei den Dingen selber stehen bleiben. Die Wesensbegriffe, die in der idealen Ordnung eine begründende, d. h. idealbestimmende und zusammenfassende Funktion haben, bezeichnen in der wirklichen Ordnung n u r ein M ö g l i c h s e i n . Der Begriff der Pflanze drückt die Möglichkeit aus, innerhalb welcher die chemisch-physikalischen K r ä f t e des Stoffes in dieses oder jenes nur in der Ausführung selbständige und mit E r n ä h r u n g , Wachstum und Fortpflanzung begabte System hineinversetzt werden können. Vom Begriff aus ist dieses eine und selbe Wirkliche nur in der Weise des Möglichseins. D a ß ihr w i r k l i c h e s Einzelsein z u k o m m t , d a s d a n k t die Pflanze zunächst der K r a f t der Zeugung, durch die der Stoff im Mutterindividuum zubereitet und belebt wurde, das Mutterindividuum also sein eigenes Leben ihr mitgeteilt h a t . Wäre das Mutterindividuum zerstört worden, so wäre auch die Tochterpflanze nicht. So ist alles uns empirisch bekannte Leben zunächst nur ein F a k t u m für uns, ein Leben, in dem Dasein und Wesenheit verbunden sind, aber nicht so, als ob das Wesen dieses Lebens die Verbindung notwendig fordere. Trotz der lebensverleihenden Zeugung bleibt also das Einzelsein nicht ausreichend begründet, wenn es nicht zuletzt in einem schöpferischen Urgrund verankert wird, in dem Sein und Wesenheit zusammenfallen, der ideale Gehalt mit dem konkret Wirklichen und Denken und Sein identisch sind. Die Durchdringung der idealen und realen Ordnung in diesem absoluten Urgrund, die an und f ü r sich völlig jenseits aller Anschauung f ü r uns liegt, sucht Thomas wenigstens negativ zu verdeutlichen, indem er darauf hinweist, d a ß die Pflanze in der r e a l e n Ordnung sich selber produziert u n d sich dabei v e r ä u ß e r t , der Mensch in der i d e a l e n Ordnung e i n B i l d v o n s i c h h e r v o r b r i n g e n k a n n , ohne sich dabei zu veräußern, so daß das Bild von sich i n i h m s e l b s t v e r b l e i b t . 69

Gott umfaßt in demselben unendlichen Lebensakte sich in i d e a l e r und r e a l e r W e i s e z u g l e i c h . Die letzte Garantie dafür, daß unsere bildbedingt-typologische Erfassung der Wirklichkeit zeitlos Gültiges zum Gegenstande hat, ist nun darin gegeben, daß die Wesenstypen graduell abgestufte Möglichkeiten der m e t e x i s , der T e i l n a h m e a m wesenswirklichen Leben Gottes darstellen. D a ß aber etwas, was sowohl so oder anders sein kann, nun in der konkreten W i r k l i c h k e i t s b e s t i m m u n g der Dinge wirklich s o l c h e Bestimmtheit empfängt, ist nicht aus einem dialektischen Entweder-Oder, ist nicht aus einer reinen Idealbestimmung zu begreifen, sondern nur weil und insofern dies in der e r s t e n Wirklichkeitsbestimmung durch den göttlichen W i l l e n so p r ä d e s t i n i e r t ist*). Die rein objektive Wahrheit der Molinisten oder das intellektuelle Ansichsein Hegels bleiben also inhaltsleer, im Verhältnis zum Wirklichen bloße Möglichkeit, wenn v o n der prädestinierenden Ursache abgesehen oder dieselbe entfernt wird. Alles Zufällige kann also nur auf Grund des göttlichen Willensbeschlusses bestimmte Wahrheit haben. „Was im *) E s w a r a u c h eine der t i e f s t e n E r k e n n t n i s s e M a x S c h e l e r s , d a ß Dasein nie a u s d e m Locos der Dinge n o t w e n d i g folge, s o n d e r n d y n a m i s c h g e s e t z t sei. Mit dieser E r k e n n t n i s h a t er, wie zuerst E n g e r t t i e f s c h ü r f e n d gezeigt h a t , d e n t r a n s z e n d e n t a l e n I d e a l i s m u s sowohl wie den kritischen R e a l i s m u s d e r i n d u k t i v e n M e t a p h y s i k a n Tiefblick weit ü b e r t r o f f e n . A b e r in d e r A n t w o r t auf die F r a g e , w a r u m ü b e r h a u p t e t w a s existiert u n d w a r u m es sinnvoll e x i s t i e r t , m a c h t er sich j e n e s v e r h ä n g n i s v o l l e n A n t h r o p o m o r p h i s m u s schuldig, den er selbst einmal g e r ü g t h a t . I n e i n e m seiner g l ä n z e n d s t e n E s s a y s : , , V e r s u i b e einer Philosophie des L e b e n s " , k o m m t er auf B e r g s o n s „ s e h r f r a g w ü r d i g e psychologistische M y s t i k " zu s p r e c h e n , f ü r die d a s psychische Sein und W e r d e n wie ein T o r in d a s W e s e n der Dinge sebst e r s c h e i n t , in die geheime W e r k s t ä t t e alles u n d j e d e n W e r d e n s ü b e r h a u p t . Scheler w e n d e t sehr r i c h t i g dagegen ein, d a ß die N a t u r hier das s e l b s t ä n d i g e u n d eigenherrliche Sein, d a s ihr z u k o m m t , v e r l i e r t , u n d einen a n orientalische S ü n d e n f a l l s k o s m o g e n i e n g e m a h n e n d e n C h a r a k t e r einer „ E n t s p a n n u n g der Seele" g e w i n n t . Aber w e n n er selbst d a s Dasein der D i n g e als wirklich im „ D r a n g o d e r T r i e b " des U r w e s e n s setzt, w a s t u t er d a n n a n d e r s , als f ü r G o t t die p r i m i t i v s t e K o n z e p t i o n des Mana, B r a h m a , A((i[