Untersuchung über die Prinzipien der Moral: Herausgegeben:Kühn, Manfred;Übersetzung:Kühn, Manfred 3787313559, 9783787313556

»Eine Untersuchung über die Prinzipien der Moral« (1751) ist Humes ausgereifteste Erörterung zur Frage der Begründung un

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German Pages 256 [258] Year 2002

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Untersuchung über die Prinzipien der Moral: Herausgegeben:Kühn, Manfred;Übersetzung:Kühn, Manfred
 3787313559, 9783787313556

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DAVI D H UME

Eine Untersuchung über die Prinzipien der Moral Übersetzt, mit einer Einleitung und Anmerkungen herausgegeben von manfred kühn

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 511

Bibliographische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet abrufbar über . – ISBN 3-7873-1355-9

© Felix Meiner Verlag 2003. Alle Rechte vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Satz: Type & Buch Kusel, Hamburg. Druck: Strauss, Mörlenbach. Buchbinderische Verarbeitung: Schaumann, Darmstadt. Werkdruckpapier: alterungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100 % chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany. www.meiner.de

INHALT

Einleitung. Von Manfred Kühn .................................................... vii 1. Leben und Schriften ............................................................ vii 2. Humes philosophische Intentionen ............................... xii 3. Humes Ethik ......................................................................... xviii 4. Die Geschichte des Textes ................................................. xxix 5. Deutsche Übersetzungen ................................................... xxxi dav id hume Eine Untersuchung über die Prinzipien der Moral Abschnitt 1 Von den allgemeinen Prinzipien der Moral ..........................

3

Abschnitt 2 Von dem Wohlwollen ................................................................

10

Abschnitt 3 Von der Gerechtigkeit ...............................................................

17

Abschnitt 4 Von der bürgerlichen Gesellschaft .........................................

41

Abschnitt 5 Warum Nützlichkeit gefällt .....................................................

48

Abschnitt 6 Von Eigenschaften, die uns selbst nützlich sind .................

70

Abschnitt 7 Von Eigenschaften, die uns selbst unmittelbar angenehm sind ...........................................................................

88

Abschnitt 8 Von Eigenschaften, die anderen unmittelbar angenehm sind ...........................................................................

99

VI

Inhalt

Abschnitt 9 Schluß ..........................................................................................

107

Anhang 1 Von dem moralischen Gefühl .................................................

124

Anhang 2 Von der Selbstliebe ....................................................................

135

Anhang 3 Einige weitere Überlegungen über die Gerechtigkeit .........

144

Anhang 4 Über einige Wortstreitigkeiten ................................................

153

Ein Dialog ......................................................................................

165

Anmerkungen des Herausgebers ............................................

187

Bibliographie ..............................................................................

197

Namenregister ............................................................................

210

Sachregister .................................................................................

213

EINL EITUNG

David Hume war mit Sicherheit einer der wichtigsten Philosophen der westlichen Welt. Lange verkannt als ein rein negativer Skeptiker, der lediglich die falschen Annahmen des sogenannten »Britischen Empirismus« ad absurdum geführt und damit John Locke (1632 –1704) und George Berkeley (1685 –1753) widerlegt habe, wird er heute vor allem von Philosophen des englischen Sprachraums als ein origineller Denker gewürdigt, der nicht nur dem Positivismus und der analytischen Philosophie wichtige Impulse vermittelt habe, sondern auch noch für die heutige systematische Diskussion von großer Relevanz ist. Dies gilt nicht nur für seine theoretische Philosophie, wie er sie in seinem Treatise of Human Nature (1739/40) und seiner Enquiry Concerning Human Understanding (1748) entwickelt hat, sondern vor allem auch für seine praktische Philosophie. Die Untersuchung über die Prinzipien der Moral stellt Humes reifste Diskussion moralischer Probleme dar. Er selbst bezeichnete sie als das »unvergleichlich beste« aller seiner Werke.1 Es ist darum nicht verwunderlich, daß sie noch die ethische Diskussion unserer Gegenwart beeinflußt. Humes Untersuchung über die Prinzipien der Moral gehört nicht umsonst neben Immanuel Kants Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785) und John Stuart Mills Utilitarismus (1861) nach wie vor zu den meistgelesenen Werken der neuzeitlichen Moralphilosophie. 1. Leben und Schriften Hume wurde am 26. April 1711 (7. Mai nach unserer Zeitrechnung) in Edinburgh geboren.2 Sein Vater, Joseph Home of Ninewells, starb 1713. Da der ältere Bruder nach geltendem Hume, »My Own Life«, The Letters of David Hume, ed. J. Y. T. Greig, 2 Bde. (Oxford 1932), Bd. 1: 3, 7. 2 Die Standardquelle für Humes Biographie ist »My own Life«, das 1

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Recht Haupterbe wurde und der Vater außerdem noch Schulden hinterließ, erhielt David Hume nur eine jährliche Leibrente von 50 Pfund, einen Betrag, mit dem er seinen Lebensunterhalt keinesfalls bestreiten konnte. Darum sollte er, wie schon sein Vater, Rechtsanwalt werden. 1723 begann er seine Studien an der Universität Edinburgh. Neben Latein, Griechisch, Logik und Metaphysik belegte er auch Veranstaltungen in der Naturphilosophie und lernte so die Werke Isaac Newtons und John Lockes kennen. Nach drei Jahren verließ er die Universität, und zwar ohne einen Abschluß – obwohl er die gewöhnliche Ausbildung erfolgreich durchlaufen hatte. 1726 kehrte er an die Universität Edinburgh zurück, um sich auf den Beruf des Rechtsanwaltes vorzubereiten, und blieb dort bis zum Frühjahr 1729. Nach einem kurzen Versuch, sich in die Jurisprudenz einzuarbeiten, ging Hume schließlich doch seiner Leidenschaft für Literatur, Geschichte und Philosophie nach, die seiner eigenen Auskunft zufolge nicht nur sein Leben beherrschte, sondern auch die Quelle des größten Vergnügens für ihn wurde. Cicero und Vergil zählten schon in dieser Zeit zu seinen Lieblingsautoren. Seit Beginn des Jahres 1729 setzte sich Hume mit neuerer Philosophie auseinander, was jedoch nach anfänglicher BegeiHume für eine geplante Ausgabe seiner philosophischen Werke im April 1776 verfaßte; diese Edition letzter Hand erschien 1777. Ein Vorabdruck dieser autobiographischen Skizze erschien aber schon im Januar 1777 in The Scots Magazine, Bd. 39, 1–7. Eine erste deutsche Übersetzung ließ nicht lange auf sich warten. Das Brittische Museum für die Deutschen publizierte noch im selben Jahr [1 (1777), 83 –107] eine Übersetzung mit dem Titel Leben David Hume’s von ihm selbst beschrieben. (Siehe auch Christian Wilhelm Franz Walch, Neueste Religionsgeschichte, Bd. XIII, Lemgo 1781, 213 –226.) Eine neuere Übersetzung findet sich bei Jens Kulenkampff in: David Hume, Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand. Übersetzt von Raoul Richter. Mit einer Einleitung hrsg. v. Jens Kulenkampff und den Beilagen David Hume: Mein Leben, Brief von Adam Smith an William Strahan übers. v. Jens Kulenkampff (Hamburg 1995). Als Hume-Biographie unübertroffen bleibt trotz zahreicher Mängel noch immer Ernest Campbell Mossner, The Life of David Hume (Edinburgh 1954; 2nd ed., Oxford 1980). Eine sehr gute deutsche Biographie bietet Gerhard Streminger, David Hume. Sein Leben und sein Werk (Paderborn et. al. 1995).

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sterung zu einer existentiellen Krise geführt zu haben scheint, die durchaus Zeichen eines geistigen Zusammenbruchs trug. Hume beschreibt eine derartige Erfahrung im Schlußkapitel des ersten Buches des Treatise of Human Nature (1739 /1740).3 Es gibt gute Gründe für die Annahme, daß er in diesem Werk der Öffentlichkeit in anonymer Form die Ergebnisse seiner Auseinandersetzung mit der »new scene of thought« mitteilen wollte, die ihn zwischen 1729 und 1739 beschäftigt hatte. Das Werk trägt sehr persönliche Züge, und insbesondere das letzte Kapitel des ersten Buches hat einen ausgesprochen autobiographischen Charakter. Der Traktat hatte jedoch nicht den gewünschten Erfolg – Hume nennt ihn eine Totgeburt, die nicht einmal ein Murren unter den religiösen Fanatikern hervorrief. Er gab jedoch nicht ohne Kampf auf, das Publikum von der Wichtigkeit seiner Ideen zu überzeugen. 1740 veröffentlichte er einen Abriß des Traktats, der die Grundlinien seiner Position klären sollte. Doch auch dieser Versuch blieb erfolglos.4 Er mußte erkennen, daß ihm sein Erstlingswerk als literarischer Versuch mißlungen war, hielt aber zugleich an seiner philosophischen Position fest; und viele Philosophen betrachten den Traktat heute als sein stärkstes Buch. 1741 publizierte er die Essays: Moral and Political, die Hume, Ein Traktat über die menschliche Natur. Buch I: Über den Verstand. Übersetzt, mit Anmerkungen und Register versehen von Theodor Lipps. Mit neuer Einführung hrsg. v. Reinhard Brandt (Hamburg 1989), 341–352. Eine sehr schöne Übersetzung dieses Kapitels wurde von Johann Georg Hamann 1771 unter dem Titel »Nachtgedanken eines Zweiflers« veröffentlicht. Diese erschienen zunächst in den Königsbergischen gelehrten Anzeigen und dürften einen nicht unerheblichen Einfluß auf Kant gehabt haben. Siehe Johann Georg Hamann, Sämtliche Werke, hrsg. v. Josef Nadler (Wien 1949 –1953), Bd. IV, 364 –370. Da Hamann den wahren Autoren des Textes nicht angibt und statt dessen die feinen Spuren verwischt, die auf ihn verweisen, wird er noch heute von vielen als Hamanns eigenes Werk gelesen und von manchen so ediert. Siehe z. B. Vom Magus im Norden und der Verwegenheit des Geistes. Ein Hamann Brevier, hrsg. v. Stefan Majetschak (München 1988), 183 –188. 4 David Hume, Abriß eines neuen Buches. Ein Traktat über die menschliche Natur, etc. (1740); Brief eines Edelmannes an seinen Freund (1745), übers. und hrsg. v. Jens Kulenkampff (Hamburg 1980). 3

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in mehreren Auflagen erschienen und sehr erfolgreich wurden.5 Nachdem er die Essayform für sich entdeckt hatte, entschloß sich Hume, auch die wichtigsten Resultate seines Traktats noch einmal in einigen Bänden von eleganten Essays vorzulegen. So veröffentlichte er 1748 nicht nur drei weitere Essays unter dem Titel Three Essays: Moral and Political – das erste Buch, das seinen Namen trug –, sondern auch einen Band, den er Philosophical Essays concerning Human Understanding nannte. Es handelt sich dabei um eine Überarbeitung des ersten Buches des Traktats. Später, d. h. ab 1758, betitelte er diese philosophischen Essays An Enquiry concerning Human Understanding, nachdem er schon im Jahr 1751 eine systematischer angeordnete Serie von Essays als Enquiry concerning the Principles of Morals geschrieben hatte, die Buch III des Traktats ersetzen sollten. Diese Werke werden heute oft »erste« und »zweite Enquiry« genannt.6 Beide erfuhren zahlreiche Auflagen als integrale Teile von Sammelausgaben der Werke Humes, die zunächst Essays and Treatises on Several Subjects (1753/54) hießen. Hume blieb in dieser Zeit der Essayform treu. So publizierte er 1752 die Political Discourses, die wiederum eine Anzahl neuer Essays enthielten. Gleichzeitig übte er sich jedoch auch an der Form des Dialogs, von der er in der Untersuchung über die Prinzipien der Moral schon eine Probe geliefert hatte. Da er aber wegen religiöser Ansichten in das Zielfeuer der Kritik geraten war, unterließ er eine Veröffentlichung der Dialogues concerning Natural Religion, die er zu dieser Zeit ausgearbeitet hatte.7 Wie sehr sich Hume um das weitere publikatorische Schicksal der Essays und Enquiries sorgte, zeigen die vielen und gründlichen Überarbeitungen und Revisionen, die er für die verschiedenen Editionen vornahm. Während er mit den Essays eine gewisse Berühmtheit erlangte, machte ihn der Treatise, der zu seinen Siehe David Hume, Politische und ökonomische Essays, übers. v. S. Fischer, hrsg. v. U. Bermbach, Teilbände 1 u. 2 (Hamburg 1988). 6 Buch II des Traktats erschien in überarbeiteter Form 1757 als Dissertation on the Passions. 7 Hume, Dialoge über natürliche Religion. Neu bearbeitet und hrsg. v. Günter Gawlick (Hamburg 1993), xi. 5

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Lebzeiten hauptsächlich von seinen Feinden gelesen wurde, eher berüchtigt. Als 1757 die Natural History of Religion erschien, in der er zu zeigen versuchte, daß Religion auf nichts anderem als Ignoranz, Furcht und Hoffnung basiere, und daß daher eine berechtigte Hoffnung auf ihr Absterben durch Aufklärung bestehe, wurde sein Ruf als Atheist nur noch verstärkt.8 Schon seit der Veröffentlichung seines Treatises verdächtigte man ihn der Häresie, des Deismus, des Skeptizismus, des Atheismus und fast jeder anderen erdenklichen Untugend. Die Kleriker der Presbyterianischen Kirche Schottlands, die großteils einem strikten Calvinismus verpflichtet waren, konnten in Hume nur ihren Feind sehen. Schon allein aus diesem Grund kam er für bestimmte Ämter, wie z. B. für eine Professur der Ethik und pneumatischen Philosophie in Edinburgh, nicht in Frage.9 Außerdem mußte er wegen seiner religiösen Überzeugungen und seiner skeptischen Grundeinstellung von Klerikern und gläubigen Philosophen heftige Attacken erleiden. Als friedliebender Mensch, der persönliche Kontroversen eher mied, scheint er unter der Kritik gelitten zu haben – auch wenn nur wenige seiner Gegner philosophisch ernstzunehmen waren. Eine der großen Ausnahmen unter diesen Kritikern stellte Thomas Reid (1710 –1796) dar, dessen Einwände allerdings nicht so sehr religiös als vielmehr epistemologisch begründet waren.10 Neben Reid war in dieser Hinsicht auch George Campbell (1719 –1796) von Bedeutung. Aber schon James Beattie (1735 –1803) und James Oswald (1703 –1793), die oft mit Reid in einem Atemzug genannt werden, lohnen heute kaum die Lektüre. Hume, Die Naturgeschichte der Religion. Über Aberglaube und Schwärmerei. Über die Unsterblichkeit der Seele. Über Selbstmord, übers. und hrsg. v. Lothar Kreimendahl (Hamburg 2000). 9 In diesem Zusammenhang schrieb er den Brief eines Edelmannes an seinen Freund. 10 Siehe Manfred Kühn und Heiner F. Klemme, »Die schottische Common Sense Philosophie«, Grundriss der Geschichte der Philosophie. Begründet von Friedrich Ueberweg. Die Philosophie des 18. Jahrhunderts. Bd. 3 : Grossbritannien – Nordamerika – Niederlande. Hrsg. v. Helmut Holzhey (Basel 2003, im Erscheinen). Siehe auch Heiner F. Klemme, »Scepticism and Common Sense«, The Cambridge Companion to the Scottish Enlighten8

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Humes Ruhm zu seinen Lebzeiten beruhte jedoch mehr auf der History of England, die zwischen 1754 und 1762 erschien. Diese Geschichte Englands, die schließlich auch zu vielen Kontroversen Anlaß bot, brachte ihm nicht nur den Titel »Hume, der Historiker« ein, sondern legte auch den Grundstein zu einem Vermögen, das es ihm erlaubte, in der Gesellschaft seiner Freunde in Edinburgh zu leben. Hume starb 1776 in Edinburgh, jedoch nicht ohne kurz vor dem Tod von James Boswell (1740 –1795) belästigt worden zu sein, der gern gesehen hätte, wie Hume im Angesicht des Todes seine Zweifel an einem Weiterleben nach dem Tod aufgeben würde. Hume enttäuschte ihn aber und ließ ihn wissen, daß kein wahrhaft religiöser Mensch in seinen Augen moralisch sein könne. Zunächst ginge er nämlich immer davon aus, daß ein religiöser Mann ein Schurke sei, auch wenn die Erfahrung ihm gezeigt habe, daß es Ausnahmen gäbe. 2. Humes philosophische Intentionen Nach der Standardauffassung des sogenannten »Britischen Empirismus« soll dieser alle Erkenntnis auf sinnliche Erfahrung reduzieren und gegenüber sogenannten Rationalisten in der Nachfolge Descartes’ (1596 –1650) dahingehend argumentieren, daß rationales Denken keine eigenständige Quelle der Erkenntnis ist. Hume wird als der Vollstrecker des Empirismus angesehen oder als derjenige, der diese Ansicht am konsequentesten vertrat und sie gerade dadurch ad absurdum führte. Locke ging von der Voraussetzung aus, daß wir Dinge nicht direkt, sondern nur indirekt über »Ideen« oder »Vorstellungen« erfahren, die selbst wiederum nur mentale Gegenstände sind und dennoch in gewisser Weise Eigenschaften der weltlichen Dinge abbilden können. Diese Position wurde von Berkeley mit guten Argumenten in Frage gestellt, insbesondere in Hinsicht auf den ment, ed. Alexander Broadie (Cambridge 2003), 117–135. Für die Auswirkungen dieser Kritik in Deutschland siehe Manfred Kuehn, Scottish Common Sense in Germany, 1768–1800 (Montreal und Kingston 1987).

Einleitung

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Unterschied zwischen Primär- und Sekundäreigenschaften, der ein wichtiger Bestandteil der Lockeschen Erkenntnistheorie ist. Farbe und Geschmack, zum Beispiel, repräsentieren die Dinge nicht so sehr wie diese selbst sind, sondern nur deren Einfluß auf uns. Raum oder Ausdehnung hingegen repräsentieren die Dinge so wie sie sind. Darum ist es wichtig, sekundäre Eigenschaften wie Farbe und Geschmack auf die Ausdehnung, eine primäre Eigenschaft, zu reduzieren. Berkeley nun zeigte mit großer Schlüssigkeit, daß die Unterscheidung zwischen Ideen, die primäre Eigenschaften von Dingen repräsentieren, und Ideen, die sich nur auf sekundäre Eigenschaften beziehen, auf der Grundlage der Lockeschen Auffassung von »Materie« und »Idee« nicht getroffen werden kann, denn einen von den Ideen unabhängigen Standpunkt einzunehmen ist uns Menschen unmöglich. Er kommt daher zu dem Schluß, daß kein konsistenter Begriff von geistesunabhängiger Materie möglich sei und ihr Begriff daher erkenntnistheoretisch auf Ideen reduziert werden müsse. Diese Auffassung kennzeichnet Berkeleys Idealismus bzw. Immaterialismus. Hume geht noch einen Schritt weiter. Er zweifelt nicht nur an der Existenz materieller Dinge, sondern auch an der Existenz Gottes und der Realität eines geistigen Selbst. Wir können ihm zufolge letztlich weder unsere Ideen des Selbst, noch der Substanz oder der Kausalität rechtfertigen. Wir glauben an diese Ideen, aber sie machen keine Erkenntnis der Realität aus. Deswegen müssen nicht nur religiöse Glaubensinhalte wie die Wiederauferstehung und die Wunder bezweifelt werden, sondern sogar die Wahrheit der Naturwissenschaften. Doch da nach dieser philosophiehistorischen Lesart des Empirismus der Skeptizismus Humes ebenso wie der Idealismus Berkeleys auf der Lockeschen Ideentheorie basiert, kann Hume eigentlich nur zeigen, daß die Ideentheorie falsch ist. Es sollte klar sein, daß ein derart schematisches Verständnis der Geschichte der neueren Philosophie im allgemeinen und der Rolle Humes darin im besonderen mehr als fragwürdig ist. Es beruht letztlich auf einem Schema, das von Karl Leonhard Reinhold (1758 –1823) in der Nachfolge Immanuel Kants (1724 –1804) entworfen wurde, um zu zeigen, warum die große

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Kant-Reinholdische Synthese des Rationalismus und des Empirismus auch historisch notwendig war. Da diese Ansicht auch von Hegel, den Hegelianern und den hegelianisierenden Philosophiehistorikern des späten neunzehnten Jahrhunderts übernommen wurde, besaß sie lange Zeit erheblichen Einfluß.11 Norman Kemp Smith zeigte jedoch schließlich 1941, daß dieses Bild von Humes Philososphie mindestens unausgewogen ist.12 In Wahrheit war Hume mehr daran interessiert, ein Fundament für die Moralphilosophie zu legen. Er versuchte zu zeigen, daß sowohl unsere theoretischen wie auch unsere moralischen Überzeugungen auf bestimmten natürlichen Glaubenssätzen (natural beliefs) beruhen, die eher der Ausdruck des Gefühls und der Sinne sind, als Sätze des Verstandes oder der Vernunft. Kemp Smith identifizierte diese Theorie als Humes »Naturalismus« und vertrat damit die Ansicht, daß Hume eigentlich nicht den Begriff der Kausalität schlechthin oder die Wahrheiten der Naturwissenschaft in Frage stellen, sondern lediglich aufweisen wollte, worin diese Wahrheiten für uns bestünden. Eine Pointe dieser Hume-Interpretation besteht darin, daß der Intellektualismus oder Rationalismus, wie er sich in Restbeständen auch noch bei Locke und Berkeley findet, nicht aufrechterhalten werden kann. Eine zentrale Rolle in Humes theoretischer Philosophie spielt seine Auffassung von der Kausalität, denn seines Erachtens setzen alle Erfahrungssätze das Kausalprinzip voraus. Wenn Hume aber darin Recht hat, daß dieses Kausalprinzip nichts anderes bedeutet als eine bestimmte Erwartungshaltung, die durch wiederholte Erfahrungszusammenhänge modifiziert Dieses Verständnis beruht letztlich auf Argumenten, wie sie von Reid vorgetragen worden waren, fand jedoch seine größte Verbreitung durch T. H. Greens Einleitung zu Humes Philosophical Works, 4 Bde., hrsg. v. Thomas Hill Green und Thomas Hodge Grose (London 1886) Bd. 1, 1–299. Green war in seiner Auffassung Humes durch Hegel beeinflußt. Siehe auch Kühn und Klemme, »Die schottische Common Sense Philosophie«. 12 Norman Kemp Smith, The Philosophy of David Hume: A Critical Study of its Origins and Central Doctrines (London 1941). 11

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wird, dann können wir nie sicher sein, ob wir die Welt so erkennen, wie sie ist, oder ob wir nur bestimmte Regelmäßigkeiten in der Abfolge unserer Ideen erkennen, die nicht unbedingt etwas mit der Beschaffenheit der realen Welt zu tun haben müssen (wie unsere Träume beweisen). Wenn die Philosophen erkennen wollen, was die Welt im Innersten zusammenhält, so besteht Humes Skeptizismus darin zu zeigen, daß eine solche Erkenntnis unmöglich ist. Es wäre aber falsch anzunehmen, er bezweifele die Zuverlässigkeit oder Gültigkeit unserer Erfahrung in alltäglichen und wissenschaftlichen Zusammenhängen. Dieses Hume -Verständnis hatte sich auch Kant zu eigen gemacht, als er schrieb: »Es war nicht die Frage, ob der Begriff der Ursache richtig, brauchbar und in Ansehung der ganzen Naturerkenntniß unentbehrlich sei, denn dieses hatte Hume niemals in Zweifel gezogen; sondern ob er durch die Vernunft a priori, gedacht werde und auf solche Weise eine von aller Erfahrung unabhängige innre Wahrheit und daher auch wohl weiter ausgedehnte Brauchbarkeit habe, die nicht blos auf Gegenstände der Erfahrung eingeschränkt sei: hierüber erwartete Hume Eröffnung.«13 Humes Herausforderung an die Philosophen bestand also darin, daß er der Vernunft keine fundamentale Rolle in der Entwicklung dieses und anderer zentraler Begriffe zuweisen wollte. Mit Blick auf den Kausalitätsbegriff räumte Kant ein: Hume »bewies unwidersprechlich: daß es der Vernunft gänzlich unmöglich sei, a priori und aus Begriffen eine solche Verbindung zu denken, denn diese enthält Nothwendigkeit; es ist aber gar nicht abzusehen, wie darum, weil Etwas ist, etwas anderes nothwendiger Weise auch sein müsse, und wie sich also der Begriff von einer solchen Verknüpfung a priori einführen lasse.« Aber er konnte die Schlußfolgerung, die Hume daraus zog, nicht akzeptieren, »daß die Vernunft sich mit diesem Begriffe ganz und gar betrüge, daß sie ihn fälschlich für ihr eigen Kind halte, da er doch nichts anders als ein Bastard der EinbildungsImmanuel Kant, Gesammelte Schriften [Akademieausgabe] (Berlin 1900 ff.), Bd. IV, 259. 13

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kraft sei, die, durch Erfahrung beschwängert, gewisse Vorstellungen unter das Gesetz der Association gebracht hat und eine daraus entspringende subjective Nothwendigkeit, d. i. Gewohnheit, für eine objective, aus Einsicht, unterschiebt.«14 Kant versuchte darum diese objektive Notwendigkeit der Begriffe gegen Hume zu beweisen, der ihn, wie er selbst bekannte, aus seinem »dogmatischen Schlummer« geweckt hatte. Vermutlich hätte allerdings Hume gegen Kant argumentiert, daß jeder Versuch, die objektive Notwendigkeit der Kausalität zu beweisen, von vornherein zum Scheitern verurteilt ist und Kant damit auch weiterhin seinen dogmatischen Träumen nachhing. Ob und inwieweit Humes Kontrastprogramm zum Rationalismus jedoch »Naturalismus« im Sinne Kemp Smiths ist oder eine Art von Skeptizismus bleibt, soll hier nicht entschieden werden. Ein großer Teil der gegenwärtigen Diskussion um Humes theoretische Philosophie befaßt sich genau mit dieser Frage.15 So argumentiert David Fate Norton gegen diese Assimilation der Humeschen Position an den Naturalismus der schottischen Schule: bei Hume fehle jeglicher Versuch, die natürlichen Glaubenssätze durch eine Berufung auf Gott zu legitimieren. Weiterhin verweist Norton auf einen Unterschied zwischen Humes metaphysischer und moralischer Position. Wie schon der Titel seines Buches zum Ausdruck bringt, versteht Norton Hume als einen Skeptiker in metaphysischen Angelegenheiten und als einen »common-sense«-Moralisten, einen Moralphilosophen also, der dem gemeinen Menschenverstand oder der allgemeinen Menschenvernunft folgt.16 Norton hat zumindest insoweit Recht, daß Humes Moralphilosophie nicht aus seiner Metaphysik abgeleitet werden kann. Auf der anderen Kant, Schriften, Bd. IV, 258. Siehe z. B. H. O. Mounce, Hume’s Naturalism (London 1999). Interessant in diesem Zusammenhang ist auch P. F. Strawson, Scepticism and Naturalism: Some Varieties (London 1985). Deutsch: Skeptizismus und Naturalismus, übers. v. M. N. Istase und Renate Soskey (Frankfurt/M. 1987). 16 David Fate Norton, David Hume: Common-Sense Moralist, Sceptical Metaphysician (Princeton 1982). Siehe auch The Cambridge Companion to Hume, hrsg. v. D. F. Norton (Cambridge 1993). 14 15

Einleitung

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Seite gehen viele, die Hume eine Art von Naturalismus zuschreiben, von einem moderneren Verständnis von »Naturalismus« aus, das z. B. mehr durch die Ansichten Ludwig Wittgensteins oder Willard Van Orman Quines bestimmt ist. Nach diesem (anachronistischen) Verständnis des Begriffs kann man Hume sicher auch als Naturalisten bezeichnen. Es bleibt jedoch die Frage, ob diese Art von Naturalismus eine Antwort auf Humes skeptische Vorbehalte sein kann oder ob sie nicht letztlich eine Variante seines gemäßigten Skeptizismus ist. Humes Interesse an der Philosophie konzentriert sich ähnlich stark auf die Grenzen des Philosophierens wie beispielsweise dasjenige Kants. Philosophie ist für ihn wichtig, aber sie ist nicht das einzige, was für uns wichtig sein sollte. Sie ist nicht einmal das Wichtigste im menschlichen Leben, denn das Leben selbst ist von größerer Bedeutung. Die Philosophie kann einen schädlichen oder aber einen heilsamen Einfluß auf unser Leben haben, doch die größten Probleme resultieren daraus, daß wir die Philosophie als zu wichtig erachten. Skeptische oder vielleicht besser: Sokratische Bescheidenheit steht dem Philosophen nicht nur besser zu Gesicht, sondern vermeidet auch die Gefahren, die in einem Dogmatismus, wie er auch von der christlichen Religion gefördert wird, lauern. Mit Blick auf seine eigene Person schreibt Hume, »daß ich geneigt bin, alle meine Bücher und Papiere ins Feuer zu werfen, daß ich [in jedem Falle] den Entschluß fasse, niemals um des Denkens und der Philosophie willen auf die Vergnügungen des Lebens zu verzichten.«17 Es ist auf jeden Fall besser, zu bekennen, daß man etwas nicht weiß (und vielleicht nicht wissen kann), als andere vorschnell wegen ihrer philosophischen oder religiösen Ansichten anzugreifen und zu verfolgen. Diese Auffassung verteidigt Hume vor allem in seinen theoretischen und religionsphilosophischen Schriften. Aber sie bildet gleichzeitig auch den Hintergrund seiner Ethik.

17

Hume, Traktat, Bd. 1, 347.

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3. Humes Ethik Es wäre ein Fehler anzunehmen, daß es zwischen Humes theoretischer und seiner praktischen Philosophie überhaupt keine engeren Zusammenhänge gibt. Beide sind durch Humes ausgeprägten Newtonianismus gekennzeichnet: Hypothesen zählen nicht, sondern nur die Untersuchung der Wirkungen und Ursachen, wobei dieselben Wirkungen immer durch dieselben Ursachen erklärt werden müssen. Worin unsere moralischen Prinzipien bestehen, ob sie auf der Vernunft oder auf unserer Sinnlichkeit basieren, muß durch Experimente entschieden werden. Es geht also stets um Beobachtung und Argumente, die sich auf diese Beobachtung gründen. Diese Beobachtungen betreffen zwar in erster Linie uns selbst und unsere Zeitgenossen, sie können aber auch unsere Vorfahren und Vorgänger betreffen, die uns aus Literatur und Geschichte bekannt sind. Humes Moralphilosophie muß darum auch im Zusammenhang mit seinen geschichtlichen Forschungen gesehen werden. Da die menschliche Natur für ihn im wesentlichen unveränderlich ist, ist das Studium der Geschichte auch für die Moralphilosophie relevant. Hume ist, wie nahezu alle Aufklärungsphilosophen, ein Optimist. Wenn man die relevanten Umstände verändert, dann werden die Menschen moralisch urteilen und handeln. Gleichzeitig besteht Hume jedoch darauf, daß nicht alle geschichtlichen Phänomene von gleicher Bedeutung sind. Der Philosoph beschreibt nicht nur das menschliche Verhalten, sondern versucht, aus dieser Beschreibung die Prinzipien zu gewinnen, die dem Menschen wesentlich oder natürlich sind. So haben die Prinzipien der Moral nichts mit Religion zu tun, auch wenn die Religion, geschichtlich gesehen, großen Einfluß auf die moralischen Überzeugungen gehabt hat. Mit dieser Ansicht steht Hume in Opposition zu vielen Philosophen und Theologen vor und nach ihm.18 Man müsse einen großen Unterschied Siehe Manfred Kuehn, »Kant’s Critique of Hume’s Theory of Faith«, Hume and Hume’s Connexions, hrsg. v. M. A. Stewart und J. P. Wright. (Edinburgh 1994), 239–255. Siehe auch Christopher Bernard, 18

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machen zwischen dem, was faktisch der Fall ist, und dem, was der Fall sein sollte. Der religiöse Mensch lebe kein natürliches Leben, sondern ein künstliches,19 was jedoch nicht heißen soll, daß dies ein Leben ist, das von bestimmten gesellschaftlichen Entwicklungen unabhängig ist, denn jedes menschliche Leben findet in bestimmten sozialen Kontexten statt. Hume meint vielmehr, daß das religiöse Leben gegen gewisse fundamentale moralische Prinzipien verstößt, die er in seiner ethischen Theorie beschreibt. Einer der wichtigsten Widersprüche der christlichen Lehre gegen fundamentale moralische Prinzipien betrifft zum Beispiel die Erbsünde. Nach Hume ist es Unsinn zu behaupten, daß der Mensch von Natur aus dem Bösen verfallen ist. Der Mensch als Mensch ist weder gut noch schlecht, denn »gut« und »schlecht« sind Begriffe, die aus der menschlichen Natur selbst zu erklären sind. Es gibt keinen unabhängigen Standpunkt, von dem aus man die Menschheit oder den Menschen als »schlecht« oder »verdorben« beurteilen könnte. Humes Ethik kann darum auch als ein expliziter Versuch verstanden werden, eine vollkommen säkulare oder nicht-religiöse Moral zu begründen. Dies zeigt sich vor allem an seinen Ergebnissen. Calvin, dessen Lehre zu Humes Zeiten einen großen Einfluß auf die geistige Situation in Schottland ausübte, hatte darauf bestanden, daß Christen sich in der Verachtung des gegenwärtigen Lebens einüben und ihr Heil nur im nächsten Leben suchen sollten. Hume hingegen beschränkt sich in seinen Überlegungen zur Moral auf das gegenwärtige, diesseitige Leben. Für die moralische Motivation benötigen wir kein Versprechen einer jenseitigen Belohnung. Während Calvinisten jedes bewußte Streben nach menschlichem Glück nur um des Glücks willen als unchristlich verdächtigten, geht Hume davon aus, daß das Glück geradezu des Menschen höchstes Gut ist und daß wir es zu unserem wichtigsten Ziel machen sollten. Der Calvinismus und vielleicht sogar das Christentum als Ganzes »Hume and the Madness of Religion« in derselben Aufsatzsammlung, 224–238. 19 Siehe »Ein Dialog« in diesem Band, 165 –185.

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bestehen ferner darauf, daß ein wichtiger Unterschied zwischen dem inneren und dem äußeren Menschen existiere und daß letztlich nur der innere Mensch und dessen Seelenheil von Wichtigkeit seien. Für Hume hat im Gegensatz dazu das moralische Leben mit den Handlungen der Menschen in der realen weltlichen Gesellschaft zu tun. Dazu gehören sowohl innere als auch äußere Merkmale.20 Der ›innere Mensch‹ ist weder wichtiger noch unwichtiger als der ›äußere Mensch‹. Mönchische Tugenden (monkish virtues) sind überhaupt keine Tugenden. Damit kehrt Hume explizit zur Tugendlehre der Antike zurück: Cicero und Epikur stehen ihm wesentlich näher als Augustinus, Luther oder Calvin. Und aufgrund dieses Standpunkts ist Hume vielleicht auch für die Moralphilosophie einer pluralistischen Demokratie von größerer Bedeutung als diese und andere Philosophen in deren Tradition. Gleichzeitig wendet sich Hume jedoch auch gegen einen Rationalismus in der Moral, wie er z. B. von Ralph Cudworth (1617–1688), Samuel Clarke (1675 –1729) oder William Wollaston (1660 –1724) vertreten wurde.21 Nach deren Auffassung gibt es so etwas wie rationale Wahrheiten in der Moral, die sogar noch logische Priorität vor dem Willen Gottes besitzen. In Abgrenzung davon argumentiert Hume, daß die Prinzipien der Moral nicht auf der Vernunft, sondern auf dem Gefühl beruhen. Die Moral hat es nicht primär mit Wahrheiten zu tun, sondern mit Handlungsdirektiven oder besser, mit Beurteilungskriterien für Handlungen und Charaktereigenschaften. Und diese letzteren basieren nach Hume auf Gefühlen. Wenn wir eine Handlung oder Charaktereigenschaft als »gut« oder »schlecht« qualifizieren, dann ist diese Einschätzung angemessen oder unangemessen, aber nicht wahr oder falsch. Wahrheit und Falschheit haben mit Urteilen über Fakten zu tun, und es ist die Vernunft, die diese Fakten und Wahrheiten beurVergleiche J. B. Schneewind, »Introduction«. In: David Hume, An Enquiry concerning the Principles of Morals, hrsg. v. J. B. Schneewind (Indianapolis 1983), 2–5. 21 Hume nennt Clarke und Wollaston als Adressaten seiner Kritik im Brief eines Edelmannes an seinen Freund. 20

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teilt. Wie wir aber eine Handlung oder Charaktereigenschaft beurteilen, ist nicht nur eine Frage von Fakten, sondern auch eine Frage unserer eigenen Einstellung zu ihnen. Wie Hume in seiner Untersuchung zeigt, besteht ein großer »Unterschied zwischen einem faktischen und einem rechtlichen Irrtum, und dies ist der Grund, warum der eine normalerweise ein Vergehen ist, der andere nicht. Als Ödipus den Laios tötete, wußte er nichts über ihre Verwandtschaft und faßte unschuldig und unwillentlich eine falsche Meinung über die Handlung, die er beging. Als Nero jedoch die Agrippina tötete, kannte er alle Verhältnisse, die zwischen ihm und dieser Person bestanden, alle Tatumstände waren ihm bekannt.«22 Die Unwissenheit des Ödipus darüber, daß die Person, die er erschlug, sein Vater war, macht einen großen Unterschied für unser moralisches Urteil. Wir beurteilen Ödipus mit größerer Milde als Nero, der wissentlich und willentlich seine Mutter umbrachte. Aber dies heißt nicht, daß die Moralität der Handlung selbst in einem Faktum oder einer Relation besteht. Und dies müßte nach Hume der Fall sein, wenn die Moral allein auf der Vernunft basierte. Hume ist weiterhin der Auffassung, daß die Vernunft allein keine menschliche Handlung motivieren kann. Wenn wir etwas tun oder etwas nicht tun, ist dies eher in unserem Wollen oder Wünschen begründet. Unsere Reaktionen auf bestimmte Fakten können durch die menschliche Natur und ihre Entwicklung erklärt werden, aber sie können nicht durch Vernunft gerechtfertigt werden. So wie bestimmte Dinge für uns wohlschmeckend sind und andere nicht, oder uns das Gras grün und der Himmel blau erscheinen, so sind auch bestimmte Dinge moralisch zu befürworten und andere nicht. Unsere moralischen Urteile sind begründet in dem Wohlgefallen (Vergnügen), das Handlungen oder Charaktereigenschaften hervorrufen, die den Menschen zuträglich sind, und dem Mißfallen an Handlungen und Charaktereigenschaften, die den Menschen schaden. Beides hat weniger mit Prinzipien der Vernunft zu tun als mit unserer körperlichen Konsti22

Siehe in diesem Band, 130.

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tution. Das heißt aber nicht, daß die Vernunft unwichtig wäre. In Abschnitt 1, der »Von den allgemeinen Prinzipien der Moral« handelt, betont er sogar, daß er geneigt ist »zu vermuten, daß […] die Vernunft und das Gefühl in fast allen moralischen Bestimmungen und Schlüssen übereinstimmen. Es ist wahrscheinlich, daß das endgültige Urteil, das Charaktere und Handlungen als liebens- oder hassenswert, lobens- oder tadelnswert erklärt, das ihnen die Prägung von Ehre oder Niederträchtigkeit, Billigung oder Tadel verleiht, welches die Moralität zu einem Handlungsprinzip und die Tugend zu unserem Glück und das Laster zu unserem Unglück macht, es ist wahrscheinlich, sage ich, daß dieses endgültige Urteil von einem inneren Sinn oder Gefühl abhängt, das die Natur dem ganzen menschlichen Geschlecht verliehen hat. Denn was sonst kann einen Einfluß dieser Art haben? Um aber den Weg für ein derartiges Gefühl zu bahnen und eine richtige Einschätzung seines Gegenstandes zu erhalten, finden wir, daß oft viel Denken vorausgehen muß, daß feine Unterscheidungen gemacht, richtige Schlußfolgerungen gezogen, entfernte Vergleiche aufgestellt, komplizierte Verhältnisse untersucht, allgemeine Tatsachen festgestellt und bestimmt werden müssen.«23 Die Vernunft ist notwendig, um unserem inneren Sinn und unserem Gefühl den Weg zu bahnen. Sie kann auch – wie in der Ästhetik – die Bedeutung der ersten Eindrücke berichtigen oder verändern.24 Das heißt jedoch nur, daß moralische Urteile, genau wie ästhetische Urteile, die auch letztlich auf dem Gefühl beruhen, Reflexion und Denken voraussetzen, die mit in das Urteil einfließen. Hume spricht daher auch lieber von einem moralischen »Sentiment« als von einem moralischen »Sinn«. Das Wort »Sentiment« impliziert neben Reflexion auch gewisse kulturelle Praxen und Einflüsse. In der Auffassung, daß die moralischen Urteile auf dem Gefühl oder einem inneren Sinn basieren, folgt Hume wie sein Freund Adam Smith (1723 –1790) der Philosophie Francis 23 24

Siehe in diesem Band, 6 f. Vgl. dazu in diesem Band, 7.

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Hutchesons (1694 –1746). Er gehört damit zu der moral senseTradition in der Philosophie, als deren Begründer Shaftesbury (Anthony Ashley Cooper, 1671–1713) angesehen wird. Hume bleibt jedoch in seiner Auffassung näher an Hutcheson als Smith. Er stimmt mit Hutcheson darin überein, daß unsere moralischen Urteile auf affektiven Grundlagen beruhen, die Zeichen für wirkliche Eigenschaften der Dinge sind. Moralische Urteile verweisen somit auf objektiv, oder vielleicht besser, intersubjektiv gültige moralische Prinzipien. Weder Hutcheson noch Hume befürwortet daher einen konsequenten Subjektivismus. Doch während Hutcheson die Ansicht vertritt, daß diese Übereinstimmung zwischen unseren Gefühlen und den moralischen Eigenschaften der Dinge aufgrund einer Art von Harmonie besteht, die von Gott vorherbestimmt ist, reduziert Hume sie auf die menschliche Natur. Man sollte aber beachten, daß auch er den moralischen Sinn ähnlich wie den Gesichtssinn als einen kognitiven Sinn betrachtet.25 Es ist auch interessant, daß Hume im Gegensatz zu Hutcheson auf der Reflexion als Bahnbrecher für das moralische Gefühl insistiert. Adam Smith, der mit seiner Betonung der Sympathie und des unparteiischen Beobachters noch weiter als Hume über Hutcheson hinausgeht, akzentuiert die Rolle des Verstandes und der Reflexion noch stärker als Hume. Für ihn gibt es schließlich keinen Sinn, den »die Natur dem ganzen menschlichen Geschlecht verliehen hat« und der moralische Urteile begründen könnte. Für Smith ist »Sympathie« nicht dasselbe wie »Wohlwollen«, sondern unsere Fähigkeit, mit anderen Menschen zu fühlen: Wir können uns in andere Menschen hineinversetzen, und, was noch wichtiger ist, wir können uns aus dem Gesichtspunkt anderer betrachten und unser eigenes Verhalten von diesem Standpunkt aus beurteilen. Dies ist die Bedeutung des »unparteiischen Beobachters« bei Das Verhältnis von Hutcheson und Hume wird dadurch kompliziert, daß Hume Hutcheson als einen Subjektivisten auffaßt. Siehe Norton, David Hume: Common-Sense Moralist, Sceptical Metaphysician, 55 –151; siehe auch James Moore, »Hume and Hutcheson«, Hume and Hume’s Connexions, 23 –57, und J. L. Mackie, Hume’s Moral Theory (London 1980), 7– 43. 25

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Smith, die, bei aller Verwandtschaft, von der Humes sehr verschieden ist.26 Hutcheson, Hume und Smith wenden sich in bezug auf Moralphilosophie aber nicht nur gegen religiöse Momente auf der einen und den Rationalismus auf der anderen Seite, sondern auch gegen den Egoismus bzw. die egoistische Grundlegung der Ethik, wie sie vor allem durch Thomas Hobbes (1588 –1679) und Bernard de Mandeville (1670 –1733) vertreten wurde. Nach dieser Theorie ist der Mensch eigentlich immer nur an seinem eigenen Wohlbefinden und Nutzen interessiert und die Moral mit ihren vermeintlich altruistischen Prinzipien muß und kann aus egoistischen Überlegungen erklärt werden. Hume nennt diese Position den moralischen Skeptizismus und versucht ihn im fünften Teil seiner Untersuchung mit dem Argument zu entkräften, daß wir moralische Urteile auch dann fällen, wenn unser eigenes Interesse in keiner Weise tangiert ist. Unsere Äußerungen des Lobs und des Tadels sind somit zu einem gewissen Grade unabhängig von egoistischen Überlegungen. Das heißt aber auch, daß sie nicht auf derartige egoistische Überlegungen reduziert werden können. Die moralischen Reaktionen der Menschen sind in einem moralischen Sinn begründet, der dem menschlichen Geschlecht genauso eigen ist wie der Gesichts- oder der Gehörsinn. Aber ebenso wie die Farbwahrnehmung allen Menschen eigen und damit universell ist, ohne die Dinge so zu repräsentieren wie sie sind, erkennt auch der moralische Sinn keine ewigen oder universellen Eigenschaften des Universums. Er zeichnet uns als soziale Wesen aus, für die bestimmte Verhaltensformen nützlich und andere schädlich sind. Wären wir anders konstituiert, hätten wir mit Sicherheit auch einen anderen moralischen Zum Verhältnis von Hume und Smith, siehe William Leslie Taylor, Francis Hutcheson and David Hume as Predecessors of Adam Smith. (Durham 1965) and Charles L. Griswold, Adam Smith and the Virtues of Enlightenment. (Cambridge 1999). Aufschlußreich in diesem Zusammenhang ist auch Walther Ecksteins »Einleitung« in seine Übersetzung von Adam Smith Theorie der ethischen Gefühle, übers. v. W. Eckstein, mit einer Bibliographie von Günter Gawlick (Hamburg 1994), xi–lxxi. 26

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Sinn. In dieser Rückführung der moralischen Prinzipien auf die menschliche Natur besteht Humes Beitrag zur Diskussion um die Grundlagen der Moral, die seit Hugo Grotius (1583 –1645) geführt wurde.27 Hume versucht zu zeigen, daß die Antwort auf diese Frage in der psychologischen Untersuchung der menschlichen Natur, nicht aber in der metaphysischen Spekulation über die Natur des Universums gefunden werden muß. Hume vertraut allerdings nicht einfach den alltäglichen moralischen Reaktionen der Menschen, sondern zeigt die Notwendigkeit einer gewissen Distanziertheit im moralischen Urteil auf. Wir können, wie er glaubt, unseren moralischen Reaktionen nur dann trauen, wenn wir erstens genau verstehen, welche Handlung stattgefunden hat, und zweitens selbst unbeteiligt an der beurteilten Handlung sind. Als moralisch Urteilende müssen wir unparteiische Beobachter sein.28 Der Inhalt unserer moralischen Urteile ist also nicht vollkommen determiniert durch den moralischen Sinn. Er hängt weiterhin von der Gesellschaft und der Umgebung ab, in der wir leben. In verschiedenen Gesellschaften reagiert man verschieden auf bestimmte Verhaltensformen, wie Hume in seinem Dialog immer wieder betont. Die Unterscheidung zwischen »gut« und »schlecht« ist für uns unvermeidbar, so wie Körper unvermeidlich der Schwerkraft unterliegen; was wir aber als »gut« oder »schlecht« bezeichnen, kann innerhalb gewisser Grenzen genauso variieren wie der Lauf und die Geschwindigkeit des Wassers, die sich auch mit der Umgebung verändern. Die Moral ist demnach immer relativ zur Umgebung und zur Gesellschaft, in der wir uns befinden. Daß Hume keinem radikalen RelativisNorton diskutiert diesen Zusammenhang detailliert in »Hume, Human Nature, and the Foundations of Morality«, The Cambridge Companion to Hume, 148 –181. 28 Hume selbst benutzt den Ausdruck »unparteiischer Beobachter« nicht. Er findet sich wohl zuerst bei seinem Freund Adam Smith. (Siehe dessen Theorie der ethischen Gefühle, übers. v. W. Eckstein, 166 –171.) Der Sache nach findet sich ein »unparteiischer Beobachter« jedoch auch bei Hume (vgl. insbes. in diesem Band, • • • ). Was bei Hume fehlt, ist die explizite Bezugnahme auf das reflexive Element dieses Beobachters. 27

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mus huldigte, wird hingegen daraus klar, daß seiner Ansicht nach Variationen nur innerhalb bestimmter Grenzen möglich sind. Diese Grenzen werden nicht allein durch unsere natürlichen Reaktionen bestimmt, sondern auch durch utilitaristische Überlegungen. So besteht das dritte Kapitel in dem Versuch zu zeigen, daß der Wert der Gerechtigkeit sowie der Wert anderer sozialer Tugenden einzig und allein in deren Nützlichkeit für die Gesellschaft bestehen.29 Diese Tugenden sind künstlich, ebenso wie die mönchischen Tugenden der christlichen Religion. Ähnlich den letzteren glauben wir an sie, wie wir an bestimmten abergläubischen Vorstellungen festhalten (wie z. B. der Aussagekraft von Horoskopen). Sie unterscheiden sich jedoch in einer äußerst wichtigen Hinsicht vom Aberglauben: Sie sind nützlich, während der Aberglaube schädlich ist. Diese utilitaristische Komponente zeigt wiederum, daß es Hume nicht darum geht, der Vernunft oder dem Verstand jegliche Bedeutung bei der moralischen Urteilsbildung abzusprechen, sondern nur um den Aufweis, daß unsere intellektuellen Fähigkeiten nicht die fundamentale Rolle spielen, die ihnen traditionell zugewiesen wurde. Die Vernunft ist und soll Sklavin der Leidenschaften bleiben, sagt er in seinem Treatise ; und nichts anderes behauptet er in der Untersuchung. Natürlich muß der erwartete oder wirkliche Nutzen, welcher der Öffentlichkeit durch eine bestimmte Praxis erwächst, kalkuliert werden, aber – und dies ist wichtig – der Nutzen gefällt, weil uns Dinge, die dem Menschen helfen, gefallen. Humes »Utilitarismus« verweist somit wieder auf seinen »Sentimentalismus«. Die normative Kraft des Nutzens erklärt sich aus dem Gefühl. Moral sense - Theorien werden heute oft als eine Art von Emotivismus betrachtet, als Theorien, nach denen moralische Für eine Diskussion von Humes Verhältnis zum Utilitarismus, siehe z. B. Stephen Darwall, »Hume and the Invention of Utilitarianism«, Hume and Hume’s Connexions, 58–82. Darwall vernachlässigt jedoch die Gerechtigkeit und Humes Argumente, warum sie nur auf öffenlichem Nutzen ( public utility) basiert. 29

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Sätze keinen Wahrheitswert besitzen und eher einfache Gefühlsäußerungen als kognitive Leistungen darstellen. Diese Auffassung wurde zum Beispiel von William Frankena auch Francis Hutcheson ›angelastet‹.30 Doch, wie sich schon gezeigt hat, sind weder Hutcheson noch Hume im eigentlichen Sinne Emotivisten.31 Die Art des Subjektivismus, die der Emotivismus impliziert, ist Hume fremd. Moralität ist für ihn etwas Objektives, etwas, das eine vom Beobachter unabhängige Realität besitzt.32 Diese Objektivität gleicht eher der Realität, die nach Lockes Konzeption »sekundäre Eigenschaften« im Gegensatz zu den »primären Eigenschaften« besitzen (und dies ist Humes Antwort auf einen naiven Naturalismus), d. h. die Objektivität, die Hume intendiert, kann nicht vollkommen auf den jeweiligen Beobachter in seiner Individualität reduziert werden. Es ist fraglich, ob ihn diese Auffassung zu einem moralischen Realisten macht, aber auf jeden Fall zeigt sie hinreichend, daß Hume kein Emotivist war. Der moralische Sinn darf nicht als ein nichtkognitiver Sinn verstanden werden, sondern muß in Analogie zum Gesichtssinn verstanden werden. Und so wie wir uns über Farben und Gerüche verständigen können, werden auch unsere Aussagen über moralische Eigenschaften von anderen Personen anders aufgefaßt als ein bloßer Ausruf der Freude oder des Schmerzes. Man erwartet zumindest, daß die andere Person zustimmen wird. Ja, man glaubt, daß sie unter den gegebenen Umständen zu denselben Resultaten kommen muß, da sie dem Sachverhalt angemessen sind. In unseren moralischen Urteilen gehen wir davon aus, daß es einen gemeinsamen moralischen Standpunkt gibt, daß es Prinzipien der Moral gibt, die aufzusuchen, zu analysieren und klarer zu formulieren sich lohnt. Siehe William Frankena, »Hutcheson’s Moral Sense Theory«, Journal of the History of Ideas 16 (1955), 356 –375. 31 Siehe David Fate Norton, »Hutcheson’s Moral Sense Theory Reconsidered«, Dialogue 13 (1974), 3 –23, sowie »Hume’s Common Sense Morality«, Canadian Journal of Philosophy 5 (1975), 523 –543. 32 Siehe auch R. F. Atkinson, »Hume on the Standard of Morals«, David Hume. Many-Sided Genius, hrsg. v. Kenneth R. Merrill und Robert W. Shahan, (Norman 1976), 25– 44. 30

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Hume ist in der Geschichte der Philosophie weniger einflußreich gewesen, als man sich vielleicht wünschen könnte. Die Theorien Arthur Schopenhauers (1788 –1860) und Max Schelers (1874 –1928), in denen auch die emotionale Grundlage der Ethik herausgestellt wird, stehen in der Humeschen Tradition (auch wenn Scheler sich dessen nicht bewußt war). Aber noch heute bleibt seine Moralphilosophie von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit in der philosophischen Diskussion über moralische Prinzipien. Die Theorie des unparteiischen Zuschauers, die Theorie des moralischen Sinns und seine kritischen Ausführungen zum Utilitarismus werden darum immer wieder diskutiert und neu interpretiert. Und so ist Humes Moraltheorie in den letzten Jahren zu einer ernstzunehmenden Alternative zur Kantischen Ethik einerseits und dem Utilitarismus andererseits geworden. Wie fragwürdig auch immer viele Aspekte der Humeschen Psychologie heute geworden sind, sein Versuch, eine Moralpsychologie zu begründen, bleibt von großer Bedeutung.33 Wie kaum ein anderer Philosoph hat er einerseits gezeigt, daß jede Theorie, die eine Betrachtung psychologischer Fragen a priori aus der Ethik ausschließt, letztlich irrelevant bleiben muß. Auf der anderen Seite läßt sich aber auch sagen, daß er dem universalen Anspruch der Moral, der über das bloße Verzeichnen psychologischer Regelmäßigkeiten hinausgeht, nicht gerecht geworden ist. Es ist darum vielleicht nur konsequent, sich um eine Synthese zwischen Kantischen und Humeschen Ansichten in der Ethik zu bemühen, die den subjektiven und objektiven Aspekten der Moraltheorie gerecht wird.

Siehe Terence Penelhum, »Hume’s Moral Philosophy«, The Cambridge Companion to David Hume, 117–147. 33

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4. Die Geschichte des Textes Die Untersuchung über die Prinzipien der Moral erschien zuerst im Jahr 1751. Wie schon gesagt, betrachtete Hume sie als das »unvergleichlich beste« aller seiner Werke.34 Über den Dialog, den er zusammen mit der Untersuchung veröffentlichte, dachte er allerdings anders. So teilte er einem Freund kurz nach dessen Fertigstellung mit, daß er kaum jemals etwas Launenhafteres geschrieben habe oder etwas, von dessen Wert er weniger überzeugt gewesen sei.35 Wie eingangs erwähnt, ist die Untersuchung eine Überarbeitung des 3. Buches von Humes Erstlingswerk, des Traktats über die menschliche Natur. Es ist das Buch, das von Hume am gründlichsten überarbeitet wurde. Die Gliederung der Untersuchung weicht von der des dritten Buches so weit ab, daß es schwer ist zu sagen, welche Teile einander korrespondieren. Außerdem betont er in der Untersuchung bestimmte Dinge mehr oder weniger als im Traktat. So spielen die Nützlichkeit und das Wohlwollen eine größere Rolle, wohingegen die Diskussion der Vernunft und des Mitgefühls weniger Raum einnimmt. Weiterhin tritt Humes Ziel, psychologische Fähigkeiten auf einige wenige Prinzipien zu reduzieren, in den Hintergrund. Auch fehlt die Diskussion des Sein-Sollen-Unterschiedes, die in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts in der Nachfolge G. E. Moores als das Problem der Unmöglichkeit einer Reduktion des Sollens auf das Sein heftig diskutiert wurde.36 Der Hauptunterschied zwischen Buch III des Traktats und der Untersuchung hat jedoch mit der Darstellung seiner Gedanken zu tun.37 Hume scheint Hume, »My Own Life«, The Letters of David Hume, ed. J. Y. T. Greig, 2 Bde. (Oxford 1932), Bd. 1: 3, 9. 35 10. Februar 1751, an Gilbert Eliot of Minto, Hume, The Letters of David Hume, Bd. 1, 145. 36 Siehe die Beiträge in Hume: A Collection of Critical Essays, hrsg. v. V. C. Chappell (Garden City, New York 1966), 240–307. 37 Siehe Beauchamp, »Introduction: A History of the Enquiry on Morals«, David Hume, An Enquiry concerning the Principles of Morals. A Critical Edition, hrsg. v. Tom L. Beauchamp (Oxford 1998), liv – lxiv für 34

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große Mühe darauf verwandt zu haben, seinen philosophischen Stil zu perfektionieren. Abschließend läßt sich zu diesem Vergleich feststellen: Es besteht kein fundamentaler Unterschied in der Theorie, die er in den beiden Werken vertritt; Hume ist in dem späteren Werk bescheidener in seinen Ansprüchen geworden, aber im Prinzip hält er an seinen im ersten Werk vorgetragenen Ansichten fest.38 Hume begann 1749 an der Untersuchung über die Prinzipien der Moral zu arbeiten und scheint die Arbeit 1750 mehr oder weniger abgeschlossen zu haben. Das Buch erschien zuerst als Einzelausgabe. Doch ähnlich wie die Philosophical Essays concerning Human Understanding versteht Hume das Werk als eine Sammlung von Essays. Die Essays, die heute als Anhänge bekannt sind, waren zunächst Teile einiger dieser Essays.39 1753 revidierte er das Werk für die zweite Auflage, die im Zusammenhang mit anderen Essays als Band 3 der zweiten Auflage der Essays and Treatises on Several Subjects erschien.40 Der erste Band dieser Ausgabe enthielt die Essays Moral and Political, der zweite An Enquiry Concerning Human Understanding und der vierte die Political Discourses. 1758 fügte Hume noch andere Werke hinzu und veränderte die Rechtschreibung. Hume revidierte die Essays einen kurzen Vergleich. L. A. Selby-Bigges Edition enthält auch einen Vergleich von Buch III des Traktats mit der Untersuchung über die Prinzipien der Moral. Siehe »Table III« in David Hume. Enquiries Concerning Human Understanding and Concerning the Principles of Morals, Reprinted from the Posthumous Edition of 1777 and edited with an Introduction, Comparative Table of Contents, and Analytical Index. Hrsg. v. L. A. Selby-Bigge. 3rd ed. with Text Revised and Notes. Hrsg. v. P. H. Nidditch (Oxford 1975), xxxviii – xl. 38 Hume selbst schrieb 1751 an Gilbert Minto: »Indem ich die Fragen kürze und vereinfache, vervollständige ich sie. Addo dum minuo. Die philosophischen Prinzipien sind in beiden [Werken] dieselben. Doch ich ließ mich vom Feuer der Jugend und der Erfindung dazu hinreißen, zu früh und unbesonnen zu publizieren«. David Hume, The Letters of David Hume, Bd. 1, 158. 39 Siehe Tom L. Beauchamp, »Introduction«, xvii. Dies ist die beste Quelle zur Entstehungsgeschichte der Untersuchung. 40 Die erste Auflage der Essays and Treatises enthielt noch die erste Auflage des Enquiry concerning the Principles of Morals.

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and Treatises oft (1760, 1764, 1767, 1768, 1770, 1772, 1777).41 So wandern mehr und mehr komplizierte Materien, die den eleganten Fluß der »Essays« oder der »Abschnitte« des Textes stören, über die Jahre hinweg in die »Anhänge«. Die meisten dieser Revisionen sind jedoch nicht substantieller, sondern stilistischer oder auch nur orthographischer Natur. Manchmal mußten auch Fehler, die sich bei einem Drucker eingeschlichen hatten, berichtigt werden. Erst 1772 war Hume mit der Edition seiner Essays zufrieden. Er schrieb seinem Buchhändler, er habe die Essays sorgfältig gelesen und sie als sehr korrekt empfunden und mit weniger Druckfehlern als fast jedes andere Buch, das er kenne. Dennoch revidierte er das Werk noch einmal für die Edition, die jedoch erst 1777 posthum erschien. Die hier vorgelegte Übersetzung basiert auf dieser Edition von 1777, nicht auf dem Text der neuen, kritischen Oxford-Ausgabe, herausgegeben von Tom L. Beauchamp. Da diese Edition auf dem Text von 1772 beruht, aber in substantiellen Veränderungen dem Text von 1777 folgt, ist der Unterschied zwischen der Selby-BiggeAusgabe und der kritischen Edition nicht so gravierend, als daß er für eine Übersetzung in eine andere Sprache von großer Relevanz wäre. Dies bedeutet jedoch keinesfalls, daß diese Übersetzung nicht von der kritischen Edition profitiert hätte, das Gegenteil ist der Fall. Jeder, der sich ernsthaft mit diesem Werk auseinandersetzt, sollte diese Edition konsultieren, da sie die verschiedenen Varianten der vielen Editionen nachweist.

5. Deutsche Übersetzungen Es gibt bisher vier deutsche Übersetzungen von Humes Enquiry concerning the Principles of Morals.42 Die erste erschien 1756 als dritter Teil einer Übersetzung von Humes Vermischten Schriften Siehe Beauchamp, »Introduction«, xlii – liii für ein »Bibliographical Schema« aller Editionen. 42 Eine fünfte Übersetzung erschien gerade zu dem Zeitpunkt, da die 41

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unter dem Titel Sittenlehre der Gesellschaft.43 Der Übersetzer scheint Hermann Andreas Pistorius gewesen zu sein, und die Grundlage der Übersetzung war wahrscheinlich der Nachdruck der ersten Auflage, der 1753 als dritter Band der Essays and Treatises on General Subjects erschien. Obwohl die Übersetzung auch oft Johann Georg Sulzer zugeschrieben wird, war dieser doch wohl nur der Herausgeber der vier Bände dieser Vermischten Schriften. Es ist diese Übersetzung, die auf die Philosophen des 18. und frühen 19. Jahrhunderts gewirkt hat. Während Gerhard Streminger die erste deutsche Übersetzung als eine »durchaus gediegene« ansieht,44 bemerkten Günter Gawlick und Lothar Kreimendahl »eine gewisse Sprödigkeit und Schwerfälligkeit des Ausdrucks, die dem Original fremd ist«.45 Unabhängig jedoch davon, ob man nun Streminger oder Gawlick und Kreimendahl zustimmt, ist diese Übersetzung überholt. Sie basiert auf einer frühen Edition des Enquiry concerning the Principles of Morals und nicht auf dem Standardtext, nämlich der Version von 1772 bzw. 1777. Erwartungsgemäß ist ihr Deutsch sehr antiquiert. Sie ist aber durchaus für das Studium der Philosophie des 18. Jahrhunderts von Interesse und sollte darum wieder verfügbar gemacht werden. Die zweite Übersetzung erschien 1883 in Wien. Der Übersetzer war Thomas Garrigue Masaryk.46 Sie ist zwar noch immer gut lesbar, zeigt aber gleichwohl unverkennbare Spuren ihres Alters. Die dritte Übersetzung (Untersuvorliegende Übersetzung und Edition abgeschlossen war. David Hume. Eine Untersuchung der Grundlagen der Moral. Hrsg. u. kommentiert von Karl Hepfer. Sammlung Philosophie Bd. 2 (Göttingen 2002). Sie konnte darum nicht mehr berücksichtigt werden. 43 Der genaue Titel ist Herrn David Hume, Esqu., Sittenlehre der Gesellschaft. Als dessen vermischten Schriften Dritter Theil (Hamburg und Leipzig 1756). 44 Streminger, »Einleitung«, David Hume, Eine Untersuchung über die Prinzipien der Moral (Stuttgart 1984),74. 45 Günter Gawlick und Lothar Kreimendahl, Hume in der deutschen Aufklärung: Umrisse einer Rezeptionsgeschichte (Stuttgart 1987), 23. 46 Eine Untersuchung über die Prinzipien der Moral von David Hume. Deutsch – herausgegeben und mit einem Namens- und Sachregister versehen von Thomas Garrigue Masaryk (Wien 1883).

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chung über die Prinzipien der Moral) ist von Carl Winckler und im Jahr 1929 erschienen.47 Der »Dialog«, der einige Konsequenzen der Diskussion der moralischen Prinzipien Humes illustriert und besonders auf die Veränderlichkeit moralischer Prinzipien eingeht, fehlt in Wincklers Übersetzung. Da der »Dialog« in allen Ausgaben der Untersuchung, die zu Humes Lebzeiten publiziert wurden, abgedruckt ist und es von Anfang an so scheint, als sei er der letzte Anhang des Buches, sollte er auf jeden Fall mit übersetzt werden.48 Wincklers Übersetzung ist darüber hinaus häufig zu frei und ungenau. Die vierte Übersetzung, Eine Untersuchung über die Prinzipien der Moral (1984), ist von Gerhard Streminger. Sie lehnt sich eher an Masaryk als an Winckler an. Streminger schreibt von Wincklers Übersetzung, er habe über »weite Strecken den Eindruck, als sei die Übersetzung in erster Linie weniger unter dem Gesichtspunkt geschehen, alle Gedanken Humes so wörtlich als möglich und so frei als notwendig wiederzugeben, sondern sich von der Masaryks abzugrenzen«.49 Ich kann nicht beurteilen, ob Stremingers Eindruck gerechtfertigt ist, habe aber in meiner eigenen Übersetzung versucht, Humes Worte und Sätze so treu wie möglich ins Deutsche zu übersetzen. Seine Gedanken und Argumente sprechen, wie ich hoffe, für sich selbst. Hume zielte in all seinen Schriften auf Eleganz und war erfolgreich in seinem Bemühen. So ist es nicht überraschend, Untersuchung über die Prinzipien der Moral. Übersetzt, mit Einleitung und Register versehen von Carl Winckler (Hamburg 1929). 48 Gerhard Streminger, »Einleitung«, 75, hat darum nicht ganz recht, wenn er sagt, daß der Dialog seit der ersten Ausgabe ein Teil der Untersuchung war, auch wenn es natürlich richtig ist, daß die beiden Werke eng miteinander verbunden sind. Es ist nicht klar, welches Verhältnis der Dialog zum Rest des Textes hat. Er gehört weder zu den Sektionen noch zu den Anhängen, denn Hume hat ihm keine Nummer gegeben. Er scheint ein marginales Anhängsel darzustellen. Da man aber kaum sagen kann, daß Humes Untersuchung als Ganzes streng durchkomponiert ist, und die Anordnung der einzelnen Sektionen ohnehin eine gewisse Beliebigkeit aufweist, ist dies auch nicht von allzu großer Bedeutung. Auf jeden Fall kann jeder Abschnitt unabhängig von jedem anderen Abschnitt verstanden werden. 49 Streminger, »Einleitung«, 76. 47

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daß er von den Philosophen des 18. Jahrhunderts als stilistisches Vorbild in der Philosophie betrachtet wurde. Kant schreibt, vielleicht ein wenig neidvoll, es sei »nicht jedermann gegeben, so subtil und doch zugleich so anlockend zu schreiben als David Hume, oder so gründlich und dabei so elegant als Moses Mendelssohn«, aber Popularität sei ja nun einmal auch gar nicht sein Ziel.50 Es besteht aber die große Gefahr, den Begriff der »Eleganz«, wie er von Hume, Mendelssohn und Kant verstanden wurde, mißzuverstehen. Denn es ist nicht die Eleganz der Moderne oder der Postmoderne, nicht »Bauhaus« oder historisch versetzte Zitatkunst, sondern ein genuines Phänomen des 18. Jahrhunderts. Selbst muttersprachlich-englische Studierende haben heute große Probleme damit, Hume zu verstehen.51 Und auch Mendelssohn erschließt sich dem heutigen Leser nicht leicht. Die Arabesken und Schnörkel, die Hume, Mendelssohn und Kant elegant erschienen, würden wir lieber geglättet und vereinfacht sehen. Ich habe mich bemüht, dieser Versuchung nicht zu erliegen und Hume nicht durch ein neudeutsches und am heutigen Feuilleton orientiertes Idiom philosophisch und stilistisch abzuflachen. Marginalziffern verweisen auf Anmerkungen des Herausgebers. Hervorhebungen im Grotesk-Schrifttyp erscheinen im Original als Kapitälchen. Zum Schluß möchte ich mich für die große Hilfe von Heiner F. Klemme, Konstantin Pollok, Dorothea Wildenburg und Silke Weller bei dieser Übersetzung und Edition bedanken. Mein Dank gilt aber vor allem Konstantin Pollok und Dorothea Wildenburg, die eine frühe Version der Übersetzung ausführlich kommentiert und unzählige Verbesserungsvorschläge dazu gemacht haben. Marburg, im Dezember 2002

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Kant, Gesammelte Schriften IV, 262. 51 Aus mehr als zwanzigjähriger Lehrerfahrung in Kanada und den USA kann ich bestätigen, daß Studierende dort Humes Englisch in der Regel schwieriger zu lesen finden als die Übersetzungen Kants. 50

DAVID HUME Eine Untersuchung über die Prinzipien der Moral

abschnitt 1

Von den allgemeinen Prinzipien der Moral Streitgespräche mit Menschen, die einen hartnäckigen Eigensinn in ihren Prinzipien beweisen, sind besonders ärgerlich, ausgenommen vielleicht solche mit vollkommen unaufrichtigen Personen, die eigentlich die Meinungen, die sie verteidigen, nicht selber vertreten, sondern an der Kontroverse aus einem bloß vorgegebenen Interesse, einem Geist des Widerspruchs oder einem Verlangen teilnehmen, Witz und Einfallsreichtum zu demonstrieren, welche den Rest der Menschheit übertreffen. Das gleiche blinde Beharren auf ihren eigenen Argumenten, dieselbe Geringschätzung der Kontrahenten und dieselbe leidenschaftliche Vehemenz im Kampf für Sophisterei und Unwahrheit darf in beiden Fällen erwartet werden. Und da Argumente nicht die Quellen sind, aus denen diese Disputanten ihre Lehren schöpfen, erwartet man vergeblich, daß eine Logik, die nicht die Neigungen anspricht, sie dazu bewegen wird, bessere Prinzipien anzunehmen. Diejenigen, welche die Realität von moralischen Unterscheidungen verneint haben, dürfen unter die unaufrichtig Streitenden gezählt werden. Auch ist es nicht vorstellbar, daß ein menschliches Geschöpf jemals ernsthaft glauben könnte, daß alle Charaktere und Handlungen gleichermaßen die Zuneigung und die Achtung eines jeden verdienten. Der Unterschied, den die Natur zwischen zwei verschiedenen Menschen gesetzt hat, ist so groß und außerdem durch Erziehung, Beispiel und Gewohnheit noch so vergrößert worden, daß, wenn die entgegengesetzten Extreme einmal zusammengesehen werden, keine Skepsis so kleinlich und keine Überzeugung so stark sein kann, jeden Unterschied zwischen ihnen vollkommen zu leugnen. Mag jemand auch noch so unempfindlich sein, so muß er dennoch oft von Beispielen des Richtigen und des Falschen berührt

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Abschnitt 1

werden. Auch wenn seine Vorurteile äußerst hartnäckig sind, muß er zumindest bemerken, daß andere solche Eindrücke empfinden können. Der einzige Weg, einen Antagonisten dieser Art zu überzeugen, ist darum, ihn sich selbst zu überlassen. Denn wenn er bemerkt, daß niemand mehr mit ihm streiten will, so ist es wahrscheinlich, daß er letztendlich aus bloßer Erschöpfung auf die Seite des gesunden Menschenverstandes und der Vernunft übertritt. In den letzten Jahren hat eine Kontroverse begonnen, deren Untersuchung sehr viel lohnender ist, nämlich die über das allgemeine Fundament der Moral: Ob sie auf der Vernunft oder auf dem Gefühl beruht, ob wir sie durch eine Kette von Argumenten und Induktion erkennen oder durch ein unmittelbares Gefühl und einen feineren inneren Sinn; ob die Moral, wie alle verläßlichen Urteile über Wahrheit und Falschheit, für jedes rationale und intelligente Wesen dieselbe sein soll, oder ob sie, wie die Wahrnehmungen von Schönheit und Häßlichkeit, voll und ganz auf der besonderen Struktur und Konstitution der menschlichen Gattung beruht. Obwohl die Philosophen der Antike oft behaupten, daß die Tugend in nichts als einer Übereinstimmung mit der Vernunft besteht, scheinen sie doch im allgemeinen zu glauben, daß die Moral dem Geschmack und dem Gefühl ihr Dasein verdankt. Auf der anderen Seite haben unsere modernen Forscher, obwohl auch sie viel von der Schönheit der Tugend und der Häßlichkeit des Lasters reden, meistens versucht, diese Unterscheidungen durch metaphysische Argumente und Deduktionen aus den abstraktesten Prinzipien des Verstandes abzuleiten. Die Verwirrung bei diesen Themen ist so groß, daß zwischen diesen verschiedenen Systemen und sogar den Teilen der meisten Systeme selbst ein Gegensatz von größter Tragweite bestehen konnte, der bis vor kurzer Zeit noch von niemandem als solcher bemerkt worden ist. Selbst der elegante Lord Shaftesbury, der den ersten Anlaß gab, diesen Unterschied zu bemerken, und der im allgemeinen den Prinzipien der Antike anhing, war von dieser Verwirrung nicht ganz frei. Man muß zugeben, daß beide Antworten auf diese Frage

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trügerische Argumente erlauben. Man könnte sagen, daß moralische Unterscheidungen durch die reine Vernunft erkennbar sind. Woher sonst sollen die vielen Streitigkeiten über dieses Thema kommen, die im täglichen Leben wie in der Philosophie vorherrschen, und woher die lange Kette von Argumenten, die oft von beiden Seiten vorgebracht werden, die angeführten Beispiele, die Autoritäten, auf die man sich beruft, die Analogien, die man benutzt, die Trugschlüsse, die man aufdeckt, die Schlüsse, die man zieht, und die Zahl der Schlußfolgerungen, die den richtigen Prinzipien angepaßt werden ? Über die Wahrheit kann gestritten werden, nicht über den Geschmack. Was in der Natur der Dinge liegt, ist der Maßstab unserer Urteile; was ein jeder Mensch in sich fühlt, ist der Maßstab der Empfindung. Sätze der Geometrie können bewiesen werden, Systeme der Physik können angefochten werden, aber die Harmonie eines Verses, die Zärtlichkeit einer Leidenschaft, die Brillanz des Witzes müssen unmittelbares Vergnügen hervorrufen. Kein Mensch argumentiert über des anderen Schönheit, oft aber über die Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit seiner Handlungen. In jeder Strafverhandlung versucht der Gefangene zunächst die Tatsachen, die als gegen ihn sprechend vorgebracht werden, zu bestreiten und die Taten, die ihm vorgeworfen werden, zu verneinen. Als zweites versucht er zu beweisen, daß diese Taten, selbst wenn er sie begangen hätte, begründet, harmlos und dem Gesetz gemäß wären. Der erste Punkt wird zugegebenermaßen durch Deduktionen des Verstandes entschieden. Wie können wir annehmen, daß ein anderes Vermögen des Geistes bei der Festsetzung des zweiten Punktes beschäftigt ist ? Auf der anderen Seite könnten diejenigen, die alle moralischen Bestimmungen auf das Gefühl reduzieren wollen, versuchen zu zeigen, daß die Vernunft niemals Schlußfolgerungen dieser Art ziehen kann. Sie sagen, es gehöre zur Tugend, liebenswert, und zum Laster, hassenswert zu sein. Dies macht ihre eigentliche Natur oder ihr eigentliches Wesen aus. Können die Vernunft oder irgendein Beweis diese verschiedenen Namen jedoch irgendwelchen Gegenständen zuschreiben und im voraus festlegen, daß der eine Liebe und der andere Haß hervorbringen

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müsse ? Oder welchen anderen Grund können wir jemals für diese Neigungen angeben, als die ursprüngliche Struktur und Einrichtung des menschlichen Geistes, der von Natur aus so eingerichtet ist, sie zu empfangen. Das Ziel aller moralischen Spekulationen ist es, uns unsere Pflicht zu lehren, durch angemessene Darstellung der Häßlichkeit des Lasters und der Schönheit der Tugend die korrespondierenden Gewohnheiten hervorzubringen und uns dazu zu bringen, das eine zu meiden und das andere anzunehmen. Können wir dies aber jemals von Schlüssen und Folgerungen des Verstandes erwarten, die selbst keinen Einfluß auf die Gefühle haben und die aktiven Kräfte der Menschen nicht in Bewegung setzen können ? Sie entdecken Wahrheiten. Wenn aber diese Wahrheiten, die sie entdecken, gleichgültig sind und weder Verlangen noch Abneigung hervorrufen, dann können sie keinen Einfluß auf das Handeln und Verhalten haben. Was ehrenhaft, schön oder angemessen, edel und großmütig ist, nimmt von unseren Herzen Besitz und bringt uns dazu, es anzunehmen und zu erhalten. Was einsichtig, evident, wahrscheinlich oder wahr ist, bewirkt nur die kühle Zustimmung des Verstandes und beendet unsere Forschungen, indem es eine spekulative Neugier befriedigt. Lösche alle herzlichen Gefühle und Vorurteile für die Tugend und allen Ekel und Abscheu gegen das Laster aus. Mache die Menschen vollkommen gleichgültig gegen diese Unterschiede, dann ist die Moral kein praktisches Studium mehr und hat keine Tendenz, unser Leben und unsere Handlungen zu regulieren. Diese Argumente für jede Seite (und viele weitere könnten angeführt werden) sind so plausibel, daß ich geneigt bin zu vermuten, daß beide, die einen sowohl wie die anderen, richtig und befriedigend sind, und daß die Vernunft und das Gefühl in fast allen moralischen Bestimmungen und Schlüssen übereinstimmen. Es ist wahrscheinlich, daß das endgültige Urteil, das Charaktere und Handlungen als liebens- oder hassenswert, lobens- oder tadelnswert erklärt, das ihnen die Prägung von Ehre oder Niederträchtigkeit, Billigung oder Tadel verleiht,

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welches die Moralität zu einem Handlungsprinzip und die Tugend zu unserem Glück und das Laster zu unserem Unglück macht, es ist wahrscheinlich, sage ich, daß dieses endgültige Urteil von einem inneren Sinn oder Gefühl abhängt, das die Natur dem ganzen menschlichen Geschlecht verliehen hat. Denn was sonst kann einen Einfluß dieser Art haben ? Um aber den Weg für ein derartiges Gefühl zu bahnen und eine richtige Einschätzung seines Gegenstandes zu erhalten, finden wir, daß oft viel Denken vorausgehen muß, daß feine Unterscheidungen gemacht, richtige Schlußfolgerungen gezogen, entfernte Vergleiche aufgestellt, komplizierte Verhältnisse untersucht, allgemeine Tatsachen festgestellt und bestimmt werden müssen. Einige Formen der Schönheit, besonders die natürlichen, wecken unsere Zuneigung und Billigung, sobald sie erscheinen; und wenn sie diese Wirkung nicht haben, ist es dem Denken unmöglich, sie zu ändern oder sie unserem Geschmack und Gefühl besser anzupassen. Aber bei vielen Arten der Schönheit, besonders bei denen der höheren Künste, ist es notwendig, viele Argumente anzuführen, um die angemessene Empfindung hervorzurufen; und ein falscher Geschmack kann oft durch Argument und Reflexion berichtigt werden. Es gibt gute Gründe für den Schluß, daß die moralische Schönheit viel von dieser letzteren Art hat, und daß sie der Unterstützung durch unsere intellektuellen Fähigkeiten bedarf, um einen geeigneten Einfluß auf das menschliche Gemüt zu erlangen. Obgleich diese Frage nach den allgemeinen Prinzipien der Moral interessant und wichtig ist, müssen wir uns jetzt nicht weiter mit Untersuchungen über sie aufhalten. Denn sollten wir so glücklich sein, im Fortgang dieser Untersuchung den wahren Ursprung der Moral zu entdecken, dann wird es leicht sein festzustellen, inwieweit entweder Gefühl oder Vernunft in alle Entscheidungen dieser Art einfließt.1 Um dieses Ziel zu erreichen, werden wir versuchen, einer sehr einfachen Methode zu folgen. Wir werden den Sachverhalt von geistigen Eigenschaften untersuchen, der das ausmacht, was wir im täglichen Leben 1

Siehe Anhang 1.

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persönliches Verdienst nennen. Wir werden jede Eigenschaft des Gemüts untersuchen, die einen Menschen zum Gegenstand von Hochachtung und Zuneigung oder von Haß und Verachtung macht, jede Gewohnheit, Empfindung oder Fähigkeit, die, wenn sie auf eine Person angewandt werden, entweder Lob oder Tadel einschließen, und so Teil eines Lobliedes oder einer Satire seines Charakters und seines Benehmens werden können. Die spontane Einfühlung, die in dieser Hinsicht so allgemein unter den Menschen verbreitet ist, gibt dem Philosophen hinreichende Sicherheit, nie einen gänzlich falschen Katalog zu erstellen oder der Gefahr zu erliegen, die Gegenstände seiner Kontemplation aus dem Blick zu verlieren: Er muß nur für einen Augenblick in sein Herz schauen und überlegen, ob er möchte, daß ihm diese oder jene Eigenschaft zugeschrieben wird, und ob eine solche Zuweisung von einem Freund oder Feind ausginge. Die Natur der Sprache selbst führt uns nahezu unfehlbar, wenn wir ein Urteil dieser Art formulieren; und so wie jede Sprache über eine Gruppe von Worten verfügt, die in einem guten Sinn, und eine andere, die in einem gegenteiligen Sinn verstanden wird, so genügt die geringste Vertrautheit mit diesem Sprachgebrauch, uns ohne jedes Denken in der Sammlung von schätzens- oder tadelnswerten Eigenschaften der Menschen zu leiten. Das einzige Ziel des Denkens ist, die Umstände auf beiden Seiten zu entdecken, die diesen Eigenschaften gemein sind, und das Besondere zu erkennen, das allen liebenswerten Eigenschaften auf der einen und allen tadelnswerten auf der anderen Seite zukommt, um von hier das Fundament der Ethik und die universellen Prinzipien zu erreichen, von denen sich alle Zensur und Billigung ableitet. Da dies eine Frage von Tatsachen, nicht von abstrakter Wissenschaft ist, können wir nur dann Erfolg erwarten, wenn wir die experimentelle Methode befolgen und allgemeine Maximen aus einem Vergleich besonderer Beispiele erschließen. Die andere Methode der Wissenschaft, bei der zuerst ein abstraktes Prinzip aufgestellt und dieses dann nachher durch verschiedene Schlüsse und Schlußfolgerungen aufgegliedert wird, ist vielleicht an sich vollkommener, aber sie paßt weniger zu den Unvollkommenheiten der menschlichen

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Natur und ist eine häufige Quelle von Illusion und Irrtum bei diesen und anderen Themen. Die Menschen sind jetzt von ihrer Leidenschaft für Hypothesen und Systeme in der Naturphilosophie kuriert und vertrauen nur Argumenten, die auf Erfahrung beruhen. Es ist wirklich an der Zeit, daß sie eine ähnliche Reform bei allen moralischen Untersuchungen anstreben und jedes ethische System verwerfen, das nicht auf Tatsachen und Beobachtungen beruht, gleichgültig wie subtil und einfallsreich es sein mag. Wir werden unsere Untersuchungen über dieses Thema mit der Betrachtung der sozialen Tugenden von Wohlwollen und Gerechtigkeit beginnen. Ihre Erklärung wird uns wahrscheinlich einen Weg zeigen, durch den die anderen erklärt werden können.

abschnitt 2

Von dem Wohlwollen Teil 1 Der Beweis, daß unsere wohlwollenden oder sanftmütigeren Gefühle schätzenswert sind und daß sie immer die Billigung und den guten Willen der Menschheit hervorrufen, darf vielleicht als ein überflüssiges Unternehmen angesehen werden. Die Attribute gesellig, gutmütig, menschlich, gütig, dankbar, freundlich, großzügig, wohltätig oder deren Entsprechungen sind in allen Sprachen bekannt, und sie drücken universell das höchste Verdienst aus, das die menschliche Natur zu erreichen fähig ist. Wenn diese liebenswerten Eigenschaften mit hoher Geburt, Macht und herausragenden Fähigkeiten verbunden sind und sich in guter Regierung oder nützlicher Belehrung der Menschheit zeigen, dann scheinen sie sogar ihre Eigentümer über den Rang der menschlichen Natur hinauszuheben und sie in gewisser Hinsicht der göttlichen anzunähern. Höchste Begabung, unbezwingbarer Mut, großer Erfolg können einem Helden oder einem Politiker vielleicht nur den Neid und die Feindschaft der Öffentlichkeit einbringen, aber sobald das Lob von Menschlichkeit und Wohltätigkeit hinzukommen, wenn Beispiele von Nachsichtigkeit, Milde oder Freundschaft aufgezeigt werden, dann wird der Neid still oder schließt sich dem allgemeinen Ausdruck von Billigung und Beifall an. Als Perikles, der große athenische Staatsmann und General auf seinem Todesbett lag, begannen die Freunde, die um ihn waren und ihn als nicht mehr aufnahmefähig betrachteten, ihre Trauer über ihren sterbenden Patron auszudrücken, indem sie seine großen Eigenschaften und Erfolge, seine Eroberungen und Siege, die ungewöhnliche Länge seiner Regierungszeit und die neun Trophäen, die als Zeichen seines Triumphs über die Feinde der Republik errichtet worden waren, aufzählten. Der

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sterbende Held aber, der alles gehört hatte, rief: »Ihr vergeßt das wichtigste Lob, indem ihr so sehr auf diese vulgären Vorzüge Acht habt, in denen das Glück einen wichtigen Anteil hatte. Ihr habt nicht bemerkt, daß bis jetzt kein Bürger meinetwegen jemals ein Trauerkleid trug.«2 Die sozialen Tugenden bei Männern von eher durchschnittlichen Talenten und Fähigkeiten sind, wenn möglich, noch wesentlich wichtiger, da es in diesem Fall nichts Hervorragendes gibt, das ihre Abwesenheit ausgleichen könnte oder die Person vor unserem größten Haß wie auch vor Verachtung retten könnte. Cicero sagte, großer Ehrgeiz und Mut können bei weniger vollkommenen Charakteren leicht zu heftiger Grausamkeit degenerieren. Die sozialeren und milderen Tugenden sind bei ihnen besonders zu bemerken. Diese sind immer gut und liebenswert.3 Den größten Vorteil, den Juvenal bei der vielfältigen Fähigkeit der menschlichen Gattung findet, ist der Umstand, daß sie auch unser Wohlwollen erweitert und uns eine bessere Gelegenheit dazu bietet, unseren freundlichen Einfluß auszubreiten, als es der niederen Schöpfung erlaubt ist.4 Wir müssen in der Tat zugeben, daß ein Mann nur dadurch wahrhaft die Vorteile seines Ruhmes genießen kann, daß er Gutes tut. Seine herausragende Position selbst setzt ihn Gefahren und Sturm aus. Sein einziges Vorrecht ist es, Untergebenen, die sich unter seine Deckung und seinen Schutz begeben, Zuflucht zu gewähren. Aber ich vergesse, daß es nicht mein gegenwärtiges Geschäft ist, Großzügigkeit und Wohltätigkeit zu empfehlen oder alle wirklichen Reize der sozialen Tugenden in ihren wahren Farben zu malen. Sie bewegen in der Tat ein jedes Herz hinreichend, sobald man sie wahrnimmt. Und es ist schwierig, einen Ausbruch von Lobeshymnen zu unterdrücken, sobald sie in einer Unterhaltung oder einem Argument auftauchen. Da aber unser Thema mehr spekulativ ist und nicht der praktischen Plutarch, Perikles [Plutarch, Leben, 38, § 4, 173 C] Cicero, De officiis, lib. 19 [Cicero, De officiis, Buch I, Kap. 19, §§ 62 f., Kap. 44, § 157] 4 Sat. 15. 139 &. sequ. [ Juvenal, Satiren 15, 139 –147] 2 3

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Ethik angehört, genügt es, wenn ich hier anmerke (was von allen, wie ich glaube, zugegeben wird), daß es keine Eigenschaften gibt, die den guten Willen und die Billigung der Menschheit mehr verdienen als Wohltätigkeit und Menschlichkeit, Freundschaft und Dankbarkeit, natürliche Zuneigung und Gemeinsinn oder was auch immer einem sanftmütigen Mitgefühl mit anderen entspringt und einer freigebigen Sorge um unsere Art und unser Geschlecht. Wo immer diese Eigenschaften auftreten, scheinen sie sich selbst auf eine gewisse Art jedem Betrachter mitzuteilen und für sich selbst die gleichen vorteilhaften und liebevollen Empfindungen hervorzurufen, die sie auch auf alle anderen ausüben. Teil 2 Wir können hier beobachten, daß, wenn ein menschlicher und wohltätiger Mensch gelobt wird, es einen Umstand gibt, der immer ausführlich betont wird, nämlich das Glück und die Befriedigung, die der Gesellschaft durch den Umgang mit ihm und durch seine guten Taten zukommen. Wir sagen wahrscheinlich, daß er sich seinen Eltern gegenüber durch seine fromme Liebe und pflichtvolle Sorge noch mehr beliebt macht, als durch die natürlichen Verbindungen. Seine Kinder erfahren nur dann seine Autorität, wenn sie ihnen nützt. Bei ihm werden die Bande der Liebe durch Wohltätigkeit und Vorteil gestärkt. Die Bande der Freundschaft kommen denen der Liebe und der Neigung gleich in der liebenswürdigen Wahrnehmung einer jeden verpflichtenden Aufgabe. Seine Hausdiener und die von ihm Abhängigen besitzen in ihm eine sichere Unterstützung und sie fürchten die Macht des Schicksals nur noch in dem Maße, in dem es Macht über ihn hat. Die Hungrigen bekommen Nahrung von ihm, die Bedürftigen Kleidung, die Unwissenden und Bequemen Fertigkeit und Fleiß. Wie die Sonne ist er ein untergeordneter Helfer der Vorsehung und erfreut, belebt und erhält die Welt um ihn herum. Wenn sie auf das private Leben begrenzt ist, dann ist die Sphäre seines Handelns enger, aber sein Einfluß ist vollkommen gut und sanftmütig. Wenn er auf eine höhere Stellung gehoben

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wird, dann ernten Mitmenschen und Nachkommen die Früchte seiner Mühen. Da diese Arten des Lobs immer und erfolgreich vorgebracht werden, wenn wir die Schätzung eines Menschen erwecken wollen, können wir vielleicht daraus schließen, daß der Nutzen, der aus den sozialen Tugenden folgt, wenigstens einen Teil ihres Verdienstes ausmacht und eine Quelle derjenigen Billigung und Zuneigung ist, die man ihnen ganz allgemein zollt ? Wenn wir selbst ein Tier oder eine Pflanze nützlich oder gut nennen, geben wir Applaus und heißen sie ihrer Natur entsprechend gut. Genauso ruft auf der anderen Seite die Reflexion auf die schädlichen Wirkungen jedes dieser untergeordneten Geschöpfe immer die Empfindung der Abneigung in uns hervor. Das Auge wird von der Ansicht der Kornfelder und prallen Weingärten erfreut, von grasenden Pferden und weidenden Herden. Aber es flieht die Gegenwart von Dornensträuchern und Gestrüpp, die den Wölfen und Schlangen Unterschlupf gewähren. Eine Maschine, ein Möbelstück, ein Gewand, ein Haus, das so entworfen ist, daß es gut und bequem zu benutzen ist, wird aus diesem Grunde mit Vergnügen und Billigung betrachtet. Ein erfahrenes Auge bemerkt hier viele Vorzüge, die unwissenden und ungelernten Personen entgehen. Kann etwas Stärkeres zum Lob eines Berufs, wie zum Beispiel dem Handel oder dem Handwerk, gesagt werden, als die Vorteile herauszustellen, die er der Gesellschaft bereitet ? Und ist nicht ein Mönch und Inquisitor erbost, wenn wir seinen Orden als nutzlos oder schädlich für die Menschheit bezeichnen ? Der Historiker triumphiert, wenn er den Nutzen, der aus seiner Arbeit resultiert, aufzeigen kann. Der Autor von Romanzen mildert oder verneint die schlechten Folgen, die man seiner Art von Komposition zuschreibt. Ganz allgemein, welch ein großes Lob liegt in dem einfachen Attribut nützlich und welch großer Tadel in dessen Gegenteil. Eure Götter, sagt Cicero5 als Antwort auf die Epikureer, könDe nat. deor. Lib. 1. [Cicero, De natura deorum, Buch 1, Kap. 36, §§ 100 f.] 5

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nen nicht gerechterweise Anbetung oder Verehrung fordern, ganz gleichgültig, mit welcher eingebildeten Vollkommenheit ihr sie euch auch vorstellt. Sie sind vollkommen nutzlos und ohne jede Aktivität. Sogar die Ägypter, die ihr so sehr auslacht, haben Tiere nur wegen ihres Nutzens geheiligt. Die Skeptiker behaupten,6 wenn auch mit einiger Absurdität, daß der Ursprung aller religiösen Verehrung aus dem Nutzen materieller Dinge, wie der Sonne und des Mondes, für die Unterstützung und die Gesundheit der Menschheit entsprang. Dies ist auch der übliche Grund, den die Historiker für die Vergöttlichung herausragender Helden und Gesetzgeber angeben.7 Einen Baum zu pflanzen, ein Feld zu bestellen, Kinder zu zeugen – das alles sind verdienstliche Handlungen nach der zoroastrischen Religion. Bei allen moralischen Bestimmungen ist dieser Umstand der öffentlichen Nützlichkeit prinzipiell immer Objekt der Betrachtung. Und sobald es einen Streit in der Philosophie oder im täglichen Leben über die Grenzen der Pflicht gibt, kann die Frage durch nichts mit größerer Sicherheit entschieden werden, als durch die Bestimmung der wahren Interessen der Menschheit. Wenn sich irgendeine falsche Meinung, die auf trügerischen Eindrücken beruht, als vorherrschend herausgestellt hat, dann revidieren wir diese erste Empfindung (sentiment) und ändern die Grenzen des moralisch Guten und Bösen erneut, sobald weitere Erfahrung und bessere Argumente uns genauere Begriffe des menschlichen Lebens geliefert haben. Das Geben von Almosen an gewöhnliche Bettler wird natürlich gelobt, weil es dem Bedürftigen und Mittellosen zu helfen scheint. Wenn wir aber bemerken, daß es Untätigkeit und Verführung verursachte, dann betrachten wir diese Art von Wohltätigkeit eher als Schwäche denn als Tugend. Tyrannenmord oder das Attentat auf Thronräuber oder tyrannische Prinzen wurde in der Antike sehr gelobt, weil es zugleich Sext. Emp., Adversos mathem. Lib. 9 [Sextus Empiricus, Gegen die Physiker, Buch 1, § 18 / Adversos mathematicos, Buch 9, § 18.] 7 Diod. Sic. Passim [Diodomus Siculus, Historische Bibliothek, Buch 4, Kap. 1, §§ 4–7, Kap. 2, §§ 1 ff.] 6

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die Menschheit von vielen dieser Ungeheuer befreite und die übrigen, die das Schwert oder der Dolch nicht erreichen konnte, in Furcht zu versetzen schien. Doch Geschichte und Erfahrung haben uns seitdem überzeugt, daß diese Praxis die Eifersucht und Grausamkeit der Prinzen vergrößert. Obwohl ein Timolean und ein Brutus wegen der Vorurteile der Zeit, in der sie lebten, mit Nachsicht beurteilt werden, betrachten wir sie doch heute als völlig unangebrachte Vorbilder der Nachahmung. Freizügigkeit bei Prinzen wird als ein Zeichen von Wohltätigkeit angesehen. Wenn es aber geschieht, daß das schlichte Brot der Ehrlichen und Fleißigen dadurch in köstliche Speisen für Nichtstuer und Verschwender verwandelt wird, so ziehen wir unser unbedachtes Lob schnell zurück. Das Bedauern eines Prinzen, einen Tag vertan zu haben, war edel und großzügig. Doch wenn er die Absicht gehabt hätte, seine freigebigen Handlungen für gierige Höflinge zu tun, dann wäre es besser gewesen, den Tag zu verlieren, als ihn so zu vergeuden. Luxus oder eine Verfeinerung der Vergnügen und Bequemlichkeiten des Lebens wurden lange verdächtigt, die Quelle jeder Korruption von Regierungen und die unmittelbare Ursache von Spaltung, Sezession, Bürgerkrieg und vollkommenem Verlust der Freiheit zu sein. Luxus wurde darum generell als ein Laster angesehen und war Gegenstand der Deklamation für alle Satiriker und strengen Moralisten. Diejenigen, die beweisen oder zu beweisen versuchen, daß solche Verfeinerungen eher den Fleiß, die Höflichkeit und die Künste stärken, revidieren unsere moralischen und politischen Empfindungen erneut und repräsentieren etwas als löblich und unschuldig, das vorher als schädlich oder tadelnswert betrachtet wurde. Im Ganzen scheint es daher unbestreitbar, daß nichts einem menschlichen Geschöpf mehr Verdienst verleihen kann als die Empfindung eines starken Wohlwollens, und daß wenigstens ein Teil seines Verdienstes aus seiner Tendenz resultiert, die Interessen unserer Gattung zu befördern und der menschlichen Gesellschaft Glück zu bringen. Wir richten unsere Aufmerksamkeit auf die heilsamen Folgen eines derartigen Charakters und einer derartigen Disposition und betrachten mit Wohlgefallen

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und Freude, was einen derart guten Einfluß hat und ein derart wünschenswertes Ziel befördert. Die sozialen Tugenden werden niemals ohne ihre wohltätigen Tendenzen betrachtet und werden nie als unfruchtbar und fruchtlos angesehen. Das Glück der Menschheit, die Ordnung der Gesellschaft, die Harmonie der Familien und die gegenseitige Unterstützung von Freunden werden immer als das Resultat ihrer milden Herrschaft über die menschlichen Herzen angesehen. Wie groß der Anteil des Verdienstes ist, den wir ihrem Nutzen zuschreiben sollten, wird aus den nachfolgenden Betrachtungen8 klar werden, wie auch der Grund, warum dieser Umstand einen derartigen Einfluß auf unsere Schätzung und Billigung hat.9

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Abschnitt 3 und 4. Abschnitt 5.

abschnitt 3

Von der Gerechtigkeit Teil 1 Ein Versuch zu beweisen, daß die Gerechtigkeit für die Gesellschaft nützlich ist und daß darum zumindest ein Teil ihres Verdienstes aus dieser Überlegung entstehen muß, wäre überflüssig. Daß der öffentliche Nutzen der einzige Ursprung der Gerechtigkeit ist und daß die Reflexion auf die nützlichen Folgen dieser Tugend die einzige Grundlage für ihr Verdienst ist, stellt eine interessantere und wichtigere Behauptung dar und ist darum eher ein angemessener Gegenstand unserer Prüfung und Untersuchung. Nehmen wir einmal an, daß die Natur dem menschlichen Geschlecht einen so reichlichen Überfluß an allen äußeren Bequemlichkeiten gegeben hätte, daß sich jedes Individuum ohne jede Ungewißheit gegenüber der Zukunft, ohne jede Sorge oder Fleiß von unserer Seite mit allem ausgestattet findet, was auch sein unersättlichster Appetit oder seine üppigste Phantasie wünschen oder verlangen kann. Wir wollen weiterhin annehmen, daß seine natürliche Schönheit allen erworbenen Schmuck übertrifft. Die immerwährende Milde der Jahreszeiten macht alle Kleidung oder Bedeckung überflüssig. Die wilden Pflanzen geben ihm die wohlschmeckendste Nahrung und die klaren Quellen den reichhaltigsten Trunk. Keine mühselige Beschäftigung ist notwendig: kein Pflügen, keine Schiffahrt. Musik, Dichtung und Denken stellen sein einziges Geschäft dar: Gespräch, Heiterkeit und Freundschaft sind seine einzigen Vergnügungen. Es scheint offensichtlich, daß in einer derartigen Situation jede andere soziale Tugend blühen und sich zehnfach ausdehnen würde, daß man aber von der vorsichtigen und eifersüchtigen Tugend der Gerechtigkeit nicht einmal auch nur

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geträumt hätte. Denn welcher Absicht würde die Aufteilung der Güter dienen, wenn jeder schon mehr als genug hat ? Warum Eigentum entstehen lassen, wenn es nicht verletzt werden kann ? Warum soll ich diesen Gegenstand mein nennen, wenn ich nur meine Hand ausstrecken muß, um einen gleichwertigen zu erhalten, sollte einmal ein anderer ihn wegnehmen ? Gerechtigkeit, weil vollkommen nutzlos, wäre in diesem Falle ein leeres Zeremoniell und könnte unmöglich einen Platz im Katalog der Tugenden beanspruchen. Wir können sogar aus der gegenwärtigen entbehrungsreichen Situation der Menschheit erkennen, daß es keine Unterteilung von Recht und Eigentum gibt, wenn die Natur uns einen Vorteil in unbegrenztem Überfluß gewährt und wir ihn dann immer dem ganzen menschlichen Geschlecht gemeinsam überlassen. Obwohl Wasser und Luft die notwendigsten aller Dinge sind, werden sie nicht als Eigentum von Individuen beansprucht, und niemand kann eine Ungerechtigkeit begehen, auch wenn er sie verschwenderisch nutzt und sich an ihrem Segen erfreut. In fruchtbaren und großen Ländern mit wenigen Einwohnern wird Land ähnlich betrachtet. Und kein anderes Thema als der unbegrenzte Gebrauch der Meere durch die Schiffahrt findet größere Beachtung bei denen, die deren Freiheit verteidigen. Wären die Vorteile der Schiffahrt wirklich so unbegrenzt, dann hätten diese Denker nie Gegner gehabt, die sie hätten besiegen müssen, und es hätte nie Ansprüche auf eine besondere und ausschließliche Herrschaft über die Meere gegeben. Es kann in einigen Ländern und zu einigen Zeiten vorkommen, daß ein Eigentum an Wasser, aber nicht an Land10 eingeführt wird, wenn Land in größerem Überfluß vorhanden ist, als es von den Einwohnern genutzt werden kann, und das Wasser nur schwierig und in kleinen Mengen zu finden ist. Nehmen wir weiterhin an, daß, obwohl die Dinge, die für das menschliche Geschlecht notwendig sind, so bleiben wie sie jetzt sind, daß aber das menschliche Gemüt so erweitert und so von Freundschaft und Großzügigkeit erfüllt ist, daß ein jeder 10

Genesis, Kap. 13 und 21 [Gen. 13:7; 21:25–30]

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Mensch das größte Mitgefühl mit jedem anderen empfindet und sich um sein eigenes Interesse nicht mehr kümmert als um das seines Mitmenschen. Es scheint offenbar, daß in diesem Fall der Gebrauch der Gerechtigkeit durch eine derartig umfassende Wohltätigkeit suspendiert würde und daß man nie an die Aufteilung und die Barrieren von Eigentum und Pflicht gedacht hätte. Warum sollte ich einen anderen durch einen Titel oder ein Versprechen verpflichten, mir einen guten Dienst zu erweisen, wenn ich weiß, daß er schon durch die stärkste Neigung dazu angetrieben wird, mein Glück zu suchen und den gewünschten Dienst von sich aus zu tun, es sei denn, daß der Schmerz, den er dafür leiden müßte, größer wäre als der Vorteil, den ich dadurch empfinge. Und in dem letzten Fall würde er wissen, daß ich aufgrund meiner angeborenen Menschlichkeit und Freundschaft der erste wäre, der seiner unbesonnenen Großzügigkeit entgegenträte. Wozu Steine zwischen meinem Feld und dem meines Nachbarn aufrichten, wenn mein Herz keinen Unterschied zwischen unseren Interessen macht, sondern all sein Freud und Leid mit derselben Macht und Lebhaftigkeit teilt, als wären sie ursprünglich mein eigenes Freud und Leid. Jeder Mensch wäre unter dieser Voraussetzung eines anderen Menschen zweites Selbst und würde die Verfolgung aller seiner Interessen der Sorge eines jeden anderen überlassen, und zwar ohne Eifersucht, Aufteilung oder Unterschied. Und die Menschheit würde eine einzige Familie bilden, in der alle alles gemeinsam besitzen würden und es frei und ohne Rücksicht auf Eigentum benutzen dürften, wenn auch sorgfältig und mit vollkommener Rücksicht auf die Bedürfnisse eines jeden einzelnen, als wären dadurch unsere eigenen Interessen auf die direkteste Weise betroffen. Bei der gegenwärtigen Verfassung des menschlichen Herzens wäre es vielleicht schwierig, ein vollkommenes Beispiel einer so erweiterten Zuneigung zu finden, aber wir können doch beobachten, daß der Fall von Familien ihm nahekommt. Und je stärker das gegenseitige Wohlwollen unter den einzelnen ist, desto mehr kommt es dazu, daß sich fast alle Unterschiede des Eigentums verlieren und ineinanderfließen. Zwischen verheira-

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teten Personen setzt das Gesetz eine derartig starke Bindung von Freundschaft voraus, daß alle Aufteilung von Eigentümern aufgehoben wird; und oft hat diese Bindung auch wirklich die Kraft, die man ihr zuschreibt. Auch kann man beobachten, daß in der Hitze eines neuen Enthusiasmus, wenn alle Prinzipien im Übermaß entflammen, häufig die Gütergemeinschaft angestrebt wurde, und nur die Erfahrung der Schwierigkeiten, die von dem wiederkehrenden oder versteckten Egoismus der Menschen herrühren, konnte die unbesonnenen Fanatiker dazu bringen, die Ideen der Gerechtigkeit und des Privateigentums wieder anzunehmen. Es ist also wahr, daß diese Tugend ihre Existenz nur ihrem notwendigen Gebrauch im menschlichen Umgang und dem sozialen Zustand der Menschheit verdankt. Um diese Wahrheit noch evidenter werden zu lassen, wollen wir die vorhergehenden Annahmen umkehren und, indem wir alles zum entgegengesetzten Extrem führen, betrachten, was die Folge dieser neuen Situation sein würde. Nimm an, eine Gesellschaft erlebt einen derartigen Mangel an allen gemeinschaftlichen Lebensnotwendigkeiten, daß die höchste Sparsamkeit und der größte Fleiß nicht verhindern können, daß die meisten von ihnen sterben und alle anderen höchstes Leid erleben. Man wird sofort zugeben, glaube ich, daß die strengen Gesetze der Gerechtigkeit in einer so dringenden Notlage aufgehoben werden und den stärkeren Motiven der Notwendigkeit und Selbsterhaltung Platz machen. Ist es ein Verbrechen, bei einem Schiffbruch ein jedes mögliche Mittel oder Instrument zu ergreifen, ohne dabei Rücksicht auf frühere Einschränkungen zu nehmen, die aus Eigentumsverhältnissen resultierten ? Wenn eine belagerte Stadt eine Hungersnot erleidet, können wir uns dann vorstellen, daß die Menschen die Mittel für das Überleben vor Augen haben und dennoch ihr Leben verlieren, nur weil sie sorgfältig das berücksichtigen, was in anderen Situationen die Regeln der Gerechtigkeit wären ? Der Nutzen und der Zweck dieser Tugend sind die Beschaffung von Glück und Sicherheit durch die Bewahrung der Ordnung in der Gesellschaft. Wenn aber die Gesellschaft im Begriff ist, an extremer Not zugrunde zu gehen, kann kein Übel von Gewalttätigkeit und Unrecht befürchtet

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werden, das größer als diese Not ist; und ein jeder kann dann mit allen Mitteln, die von der Besonnenheit vorgeschrieben oder von der Menschlichkeit zugelassen werden, für sich selbst sorgen. Die Öffentlichkeit öffnet Kornspeicher sogar in weniger dringenden Fällen ohne die Zustimmung der Besitzer, weil sie zu Recht annimmt, daß die Autorität des Magistrats gerechterweise so weit gehen darf. Wenn sich aber in einer Hungersnot eine gewisse Anzahl von Männern versammelte und ohne das Band der Gesetze oder der zivilen Rechtsprechung eine gleiche Aufteilung des Brots vornähme, wenn auch mit Macht und sogar Gewalttätigkeit, würde das dann als kriminell und schädlich angesehen ? Nehmen wir in ähnlicher Weise an, daß ein tugendhafter Mensch von dem Schicksal getroffen würde, weit ab von dem Schutz der Gesetze und der Regierung in eine Bande von rauhen Gesellen zu fallen. Welches Verhalten muß er in dieser traurigen Situation annehmen ? Er sieht, daß eine derartig verzweifelte Habgier vorherrscht, eine derartige Mißachtung der Gerechtigkeit, eine derartige Verachtung der Ordnung und eine derartig dumme Blindheit gegenüber zukünftigen Folgen, die unmittelbar zu einem äußerst tragischen Resultat führen. Sie führen zu der Vernichtung der meisten und für die anderen zu der vollkommenen Auflösung der Gesellschaft. In der Zwischenzeit kann es für ihn keinen anderen Ausweg geben, als sich selbst zu bewaffnen, wem auch immer das Schwert und der Schild gehören mag, die er an sich reißt. Er muß alle Anstalten zur Verteidigung und Sicherheit treffen. Und da seine besondere Rücksicht auf die Gerechtigkeit für seine eigene Sicherheit und die anderer keinen Nutzen mehr hat, muß er die Vorschriften der Selbsterhaltung allein befolgen, und zwar ohne Rücksicht auf diejenigen, die nicht mehr seine Sorge und Pflege verdienen. Selbst in einer politischen Gesellschaft bestrafen die Gesetze einen Menschen, der sich durch seine Verbrechen verhaßt gemacht hat, an Gütern und Person; d. h. die normalen Gesetze der Gerechtigkeit werden seinethalben für eine gewisse Zeit suspendiert und um des Vorteils der Gesellschaft willen wird es

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gerecht, ihm das anzutun, was er sonst nicht ohne Unrecht oder Verletzung erleiden dürfte. Die Furie und Gewalt eines öffentlichen Krieges – was ist dies anderes als eine Aufhebung der Gerechtigkeit unter den feindlichen Parteien, die sehen, daß diese Tugend keinen Gebrauch oder Vorteil mehr für sie hat ? Die Gesetze des Krieges, die dann diejenigen der Fairneß und der Gerechtigkeit ersetzen, sind Regeln, die für die Vorteile und den Nutzen dieses besonderen Zustands angelegt worden sind, in dem die Menschen sich nun befinden. Und wenn eine zivilisierte Nation mit Barbaren Krieg führt, die auch im Krieg keinen Regeln folgen, dann muß auch die erstere aufhören, diese Regeln zu beachten, da sie keinem Ziel mehr dienen, und sie muß jede Kriegshandlung oder Auseinandersetzung für die ersten Angreifer so blutig und schädlich wie möglich gestalten. Darum hängen die Regeln der Fairneß oder Gerechtigkeit voll und ganz von dem besonderen Zustand und der Situation ab, in denen sich die Menschen finden, und sie schulden ihren Ursprung und ihre Existenz nur dem Nutzen, der aus ihrer genauen und gleichmäßigen Beachtung für die Öffentlichkeit resultiert. Wenn man die Situation der Menschen zu einem beträchtlichen Grad umkehrt, d. h. wenn man extremen Überfluß oder extreme Armut schafft oder dem menschlichen Herzen vollkommene Bescheidenheit und Menschlichkeit oder vollkommene Habgier und Bösartigkeit einpflanzt, dann zerstört man das Wesen der Gerechtigkeit vollkommen und hebt ihre Verbindlichkeit für die Menschheit auf, indem man sie voll und ganz nutzlos macht. Die gewöhnliche Situation der Gesellschaft findet sich in der Mitte zwischen all diesen Extremen. Wir sind von Natur aus an unserem eigenen Vorteil und dem unserer Freunde interessiert, aber wir können auch die Vorteile erkennen, die aus einem vorurteilsfreieren Umgang resultieren. Die Natur selbst gewährt uns nur wenige freie und ausgiebige Vergnügen; mit Kunst, Arbeit und Fleiß aber können wir uns Vergnügen aus ihr in großem Überfluß besorgen. Darum werden die Vorstellungen von Eigentum in allen zivilen Gesellschaften notwendig. Daraus

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leitet sich der Nutzen der Gerechtigkeit für die Öffentlichkeit ab. Und hieraus allein entsteht ihr Wert und ihre moralische Verbindlichkeit. Diese Schlußfolgerungen sind so natürlich und so offensichtlich, daß sie nicht einmal den Dichtern entgangen sind, wenn sie das große Glück beschreiben, das mit dem goldenen Zeitalter oder der Regierung des Saturn verbunden ist. Wenn wir diesen angenehmen Fiktionen trauen dürfen, waren die Jahreszeiten in diesem ersten Zeitalter der Natur so mild, daß für die Menschen keine Not bestand, sich gegen die Gewalt von Hitze und Kälte mit Kleidung und Häusern zu schützen. Die Flüsse bestanden aus Wein und Milch. Die Eichen gaben Honig und die Natur brachte von selbst die größten Köstlichkeiten hervor. Und dies waren nicht die wichtigsten Vorteile dieses glücklichen Zeitalters. Nicht nur waren Stürme aus der Natur verbannt, sondern auch die wilderen Stürme des menschlichen Herzens, die heute für großen Aufruhr und große Verwirrung sorgen, waren unbekannt. Man hörte nie von Neid, Ehrgeiz, Grausamkeit oder Selbstsucht. Freundliche Zuneigung, Mitleid und Mitgefühl waren die einzigen Bewegungen, mit denen der Geist zu jener Zeit vertraut war. Sogar die peinliche Unterscheidung von mein und dein war aus dem glücklichen Geschlecht der Sterblichen verbannt, und damit auch selbst der Begriff von Eigentum, Verpflichtung, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit. Die poetische Fiktion eines goldenen Zeitalters ist in mancher Hinsicht identisch mit der philosophischen Fiktion eines Naturzustandes. Die erste repräsentiert nur den attraktivsten und friedlichsten Zustand, den man sich vorstellen kann, während die andere einen Zustand von gegenseitigem Krieg und Gewalttätigkeit malt, der mit der größten Not verbunden ist. Man sagt, daß bei der Entstehung der Menschheit Unwissenheit und die wilde Natur der Menschen so stark waren, daß es kein gegenseitiges Vertrauen geben konnte, sondern daß sich in bezug auf Schutz und Sicherheit vielmehr jeder auf sich selbst und seine eigene Kraft oder List verlassen mußte. Es wurde nicht von einem Gesetz gesprochen, es gab Regeln der Gerechtigkeit, Unterscheidungen von Eigentum wurden nicht beobachtet; Macht

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war das einzige Maß des Richtigen; und ein stetiger Krieg aller gegen alle war das Resultat des ungezähmten Egoismus und der Barbarei der Menschen.11 Ob ein solcher Zustand der Menschheit jemals stattfinden konnte oder ob er, wenn er stattfand, so lange anhielt, daß er den Namen Zustand verdiente, kann mit Recht bezweifelt werden. Zumindest werden Menschen notwendig in die Gesellschaft der Familie hineingeboren und werden von ihren Eltern in bestimmte Regeln des Benehmens und Verhaltens eingeübt. Man wird jedoch so viel zugeben müssen, daß, wenn ein solcher Zustand des gegenseitigen Krieges und der Gewalttätigkeit jemals existierte, die Aufhebung aller Gesetze der Gerechtigkeit eine notwendige und unfehlbare Folge ihrer absoluten Unnützlichkeit ist. Je mehr wir unsere Ansichten des menschlichen Lebens variieren und je neuer und außergewöhnlicher das Licht ist, in dem wir es betrachten, desto mehr wird die Überzeugung wachsen, Die Fiktion eines Naturzustands wurde nicht zuerst von Herrn Hobbes vorgebracht, wie man es sich gemeinhin vorstellt. Platon versucht im zweiten, dritten und vierten Buch der Republik eine Hypothese zu widerlegen, die ihr sehr ähnlich ist. [Thomas Hobbes, Leviathan, Teil 1, Kap. 13 f.; Teil 2, Kap. 17, 21. Platon, Republik, Buch 2, 358e ff.] Cicero im Gegensatz dazu nimmt sie in der folgenden Passage als wahrscheinlich und allgemein akzeptiert an: ›Quis enim vestrum, judices, ignorat, ita naturam rerum tulisse, ut quodam tempore homines, nondum neque naturali, neque civili jure descripto, fusi per agros, ac dispersi vagarentur, tantumque haberent quantum manu ac viribus, per caedem ac vulnera, aut eripere, aut retinere potuissent ? Qui igitur primi virtute et consilio praestanti extiterunt, ii perspecto genere humanae docilitatis atque ingenii, dissipatos, unum in locum congregarunt, eosque ex feritate illa ad justitiam ac mansuetudinem transduxerunt. Tum res ad communem utilitatem, quas publicas appellamus, tum conventicula hominum, quae postea civitates nominatae sunt, tum domicilia conjuncta, quas urbes dicamus, invento et divino et humano jure, moenibus sepserunt. Atque inter hanc vitam, perpolitam humanitate, et illam immanem, nihil tam interest quam JUS atque VIS. Horum utro uti nolimus, altero est utendum. Vim volumus extingui ? Jus valeat necesse est, id est, judicia, quibus omne jus continetur. Judicia displicent, aut nulla sunt ? Vis dominetur necesse est ? Haec vident omnes.‹ – Pro Sext. l. 42. [»Jeder von uns, ihr Richter, weiß doch, daß die Menschen in einer bestimmten Epoche ihrer 11

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daß der Ursprung, den wir hier der Tugend der Gerechtigkeit zugewiesen haben, richtig und zufriedenstellend ist. Wenn es eine Art von Lebewesen gibt, die mit den Menschen zusammenleben und die, obwohl rational, so schwach an Körper und Geist sind, daß sie sich in keiner Weise wehren oder uns die Folgen ihrer Verstimmung fühlen lassen können, dann haben wir die Pflicht, sie aufgrund der Gesetze der Menschlichkeit milde zu behandeln. Wir sind ihnen gegenüber aber, genau genommen, nicht dem Zwang der Gerechtigkeit unterworfen. Sie hätten auch kein Recht auf Besitz, durch das ihre willkürlichen Herren von ihrem Besitz ausgeschlossen würden. Unser Verhältnis zu ihnen könnte nicht Gesellschaft genannt werden, die einen Grad von Gleichheit voraussetzt, sondern wäre durch absolute Macht auf der einen Seite und knechtische Unterwerfung auf der anderen gekennzeichnet. Was uns gefällt, müssen sie sofort abgeben. Unsere Erlaubnis ist die einzige Art und Weise, in der sie Eigentum besitzen. Unser Mitleid und unsere Entwicklungsgeschichte, als es noch kein Natur- und Staatsrecht gab, zerstreut und einzeln umherstreifend auf den Feldern lebten und nur soviel besaßen, wie sie gewaltsam mit der Faust unter Morden und Blutvergießen anderen entreißen oder behaupten konnten. Dann traten Männer auf, die sich durch überragende Tapferkeit und kluge Überlegung hervortaten. Diese erkannten die spezifische Bildungsfähigkeit des Menschengeschlechts und seine Begabung. Sie vereinten daher die zerstreut Lebenden an einem Ort und führten sie aus dem Zustand tierischer Wildheit zu einer gerechten und gesitteten Lebensweise. Dann folgte die Ordnung der sogenannten öffentlichen Einrichtungen, die dem Nutzen der Allgemeinheit dienen, dann der Zusammenschluß der Menschen, der später Staat genannt wurde, sowie die Gründung zusammenhängender Wohnstätten, die wir Städte nennen. Alles dies wurde mit dem neugefundenen göttlichen und menschlichen Recht wie mit einer Mauer umgeben. Nun aber zeigt den Unterschied zwischen unserer verfeinerten menschlichen Lebensweise und jener rohen nichts so deutlich wie der zwischen Recht und Gewalt. Wollen wir das eine nicht anwenden, so müssen wir uns an das andere halten. Wir wollen, daß die Gewalt ausstirbt, also muß das Recht gelten, das heißt das Gerichtswesen, auf dem die Geltung des gesamten Rechts beruht. Will man keine Gerichte oder existieren sie gar nicht, dann muß die Gewalt herrschen. Das sehen alle.« Cicero: Pro Sestio (Lateinisch/Deutsch). Übersetzung von Gerhard Krüger (Stuttgart 1980). Kap. 42, §§ 91 f.]

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Freundlichkeit sind die einzigen Kontrollen, durch die sie unseren gesetzlosen Willen einschränken. Und da durch die Ausübung unserer Macht, die so fest in der Natur begründet ist, nie ein Nachteil entsteht, würden die Kontrollen der Gerechtigkeit und des Eigentums, da vollkommen nutzlos, nie einen Platz in einer so ungleichen Konföderation haben. Dies ist offensichtlich das Verhältnis, in dem sich Menschen zu Tieren befinden; und inwieweit letztere Vernunft besitzen, sollen andere entscheiden. Die große Überlegenheit der zivilisierten Europäer über die barbarischen Indianer hat uns zu der Vorstellung verleitet, daß wir auf ähnliche Weise zu ihnen stehen, und hat uns dazu geführt, alle Schranken der Gerechtigkeit und sogar der Menschlichkeit im Umgang mit ihnen aufzuheben. In vielen Ländern wird das weibliche Geschlecht zu einer ähnlichen Sklaverei erniedrigt und, im Gegensatz zu ihren Herrschern und Meistern, von jedem Eigentum ausgeschlossen. Obwohl aber die Männer, wenn sie sich einig sind, in allen Ländern die notwendige körperliche Macht haben, diese schwere Tyrannei aufrechtzuerhalten, sind die Frauen als ihre schönen Begleiterinnen durch Anspielungen, Benehmen und Charme in der Lage, diesen Bund zu brechen und mit dem anderen Geschlecht alle Rechte und Privilegien der Gesellschaft zu teilen. Wäre das menschliche Geschlecht von der Natur so erschaffen worden, daß jedes Individuum selbst alle Fähigkeiten besäße, die für sein Überleben und die Fortpflanzung seiner Art notwendig sind; wäre jede Gesellschaft und jeder Kontakt zwischen den Menschen durch den ursprünglichen Willen des höchsten Schöpfers aufgehoben, dann würde ein solch einsames Wesen evidentermaßen so wenig der Gerechtigkeit wie der sozialen Unterhaltung und des Gesprächs fähig sein. Wenn gegenseitige Rücksicht und Unterstützung keinerlei Funktion haben, können sie auch nie das Benehmen eines vernünftigen Menschen leiten. Der unbedachte Strom der Leidenschaften würde durch keine Reflexion auf zukünftige Folgen eingeschränkt. Und da nach dieser Annahme jeder Mensch nur sich selbst liebt und sich hinsichtlich seiner Sicherheit und seines Glücks nur auf sich selbst und seine eigenen Handlungen ver-

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läßt, würde er immer und mit größter Kraft versuchen, seine Wünsche gegenüber jedem anderen Wesen durchzusetzen, da er mit niemanden durch irgendein Band der Natur oder des Interesses verbunden wäre. Wenn wir hingegen annehmen, die Verbindung der Geschlechter sei in der Natur begründet, dann entsteht unmittelbar eine Familie; besondere, für ihre Erhaltung notwendig scheinende Regeln werden unmittelbar akzeptiert, auch wenn der Rest der Menschheit in ihre Vorschriften nie mit einbezogen wird. Wenn wir annehmen, daß sich einige Familien zu einer Gesellschaft zusammenschließen, die vollkommen von allen anderen abgeschlossen ist, dann erweitern sich die Regeln, die Frieden und Ordnung sichern, auf den größten Umfang dieser Gesellschaft, aber sie werden vollkommen nutzlos, wenn man sie auch nur einen Schritt über diese Gesellschaft ausdehnt. Wenn wir aber weiterhin annehmen, daß einige verschiedene Gesellschaften eine Art von Umgang zum gegenseitigen Nutzen und Vorteil unterhalten, dann erweitern sich die Grenzen der Gerechtigkeit noch mehr im Einklang mit der Ausdehnung des menschlichen Wissens und der Macht ihrer gemeinsamen Verbindungen. Geschichte, Erfahrung und Vernunft belehren uns hinreichend über die natürliche Weiterentwicklung der menschlichen Empfindungen und die allmähliche Vergrößerung unserer Rücksicht auf Gerechtigkeit, die proportional zu unserer Bekanntschaft mit der großen Nützlichkeit dieser Tugend erfolgt. Teil 2 Wenn wir die besonderen Gesetze untersuchen, durch die Gerechtigkeit ausgeübt und Eigentum angemessen bestimmt wird, begegnen wir derselben Schlußfolgerung. Das Wohl der Menschheit ist das einzige Objekt all dieser Gesetze und Regulierungen. Es ist nicht nur notwendig für den Frieden und das Interesse der Gesellschaft, daß die Besitztümer der Menschen voneinander getrennt werden, sondern die Regeln, denen wir bei dieser Trennung folgen, sind auch am besten dazu geeignet, das Interesse der Gesellschaft weiter zu fördern.

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Nehmen wir einmal an, daß ein Wesen, das zwar Vernunft besitzt, aber die menschliche Natur nicht kennt, darüber nachdenkt, welche Regeln der Gerechtigkeit oder des Eigentums das öffentliche Interesse am besten fördern und Frieden sowie Ordnung unter den Menschen aufrechterhalten würden. Die einleuchtendste Idee für dieses Wesen wäre es, die größten Besitztümer der größten Tugend zuzuordnen und jedem die Macht zu geben, so viel Gutes zu tun, wie er dazu geneigt ist. In einer vollkommenen Theokratie, in der ein unendlich vernünftiges Wesen durch seine besonderen Willensäußerungen regierte, würde diese Regel sicher einen Platz haben und den weisesten Zwecken dienen. Wenn aber die Menschheit ein derartiges Gesetz erlassen würde, dann würde aus ihm nie eine feste Regel des Verhaltens entstehen, weil die Unsicherheit des Verdienstes wegen dessen natürlicher Verworrenheit und der Selbstüberschätzung der Individuen so groß ist; und die vollkommene Auflösung der Gesellschaft wäre die unmittelbare Folge. Fanatiker können annehmen, daß die Herrschaft auf Gnade gründet, und daß die Heiligen allein die Erde erben, aber der zivile Magistrat hat mit Sicherheit recht, wenn er diese hocherhabenen Theoretiker genau wie gemeine Räuber betrachtet und ihnen mit der strengsten Disziplin beibringt, daß eine Regel, die in der bloßen Theorie der Gesellschaft höchst nützlich zu sein scheint, in der Praxis doch für vollkommen schädlich und zerstörerisch befunden werden kann. Es gab derartige religiöse Fanatiker während der Bürgerkriege in England, wie wir aus der Geschichte lernen; es ist aber doch anzunehmen, daß die offensichtliche Tendenz dieser Prinzipien eine solche Furcht bei den Menschen hervorrief, daß diese gefährlichen Enthusiasten bald von der Notwendigkeit überredet wurden, sie aufzugeben oder zumindest zu verbergen. Vielleicht waren die Nivellierer [ levellers ], die eine gleichmäßige Verteilung allen Eigentums forderten, eine Art von politischen Fanatikern, die sich aus der religiösen Art entwickelt hatte und die ihre Ziele offener erklärten, als seien diese Ziele überzeugender und sowohl praktisch selbst zu verwirklichen und auch der Gesellschaft nützlich.

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Man muß in der Tat zugeben, daß die Natur so großzügig zu den Menschen ist, daß, wenn all ihre Geschenke in der menschlichen Gattung gleichmäßig verteilt und durch Kunst und Fleiß verbessert worden wären, jedes Individuum sich an allem erfreuen könnte, was zum Leben notwendig ist, und sogar an vielem, was es angenehm macht. Es wäre nur der Not ausgesetzt, die zufällig aus der kränklichen Anlage und Konstitution seines Körpers entspringt. Man muß auch zugeben, daß wir, wo immer wir von dieser Gleichheit abgehen, die Armen um mehr Befriedigung berauben, als wir sie den Reichen zu geben vermögen, und daß die kleine Befriedigung einer frivolen Eitelkeit eines Individuums häufig mehr kostet als das Brot vieler anderer Familien oder sogar Provinzen. Es kann im ganzen so scheinen, als wäre die Regel der Gleichheit, weil höchst nützlich, nicht vollkommen undurchführbar, sondern schon in unvollkommener Form in einigen Republiken verwirklicht worden – besonders in Sparta, wo sie, wie man sagt, mit großem Nutzen verbunden gewesen ist; ganz zu schweigen davon, daß die Landgesetze, die so oft in Rom aufgestellt und in vielen griechischen Städten angewandt wurden, alle von der allgemeinen Idee der Nützlichkeit dieses Prinzips ausgingen. Historiker und sogar der gesunde Menschenverstand können uns jedoch zeigen, daß diese Ideen der vollkommenen Gleichheit, gleichgültig wie verführerisch sie erscheinen mögen, letztlich unmöglich zu verwirklichen sind; und wären sie dies nicht, dann wären sie für die menschliche Gesellschaft höchst schädlich. Auch wenn die Besitztümer der Menschen einmal vollkommen angeglichen werden könnten, so würden die verschiedenen Grade der Kunst, der Vorsicht und des Fleißes diese Gleichheit sofort wieder zerstören. Unterdrückte man diese Tugenden, würde man andererseits die schlimmste Armut schaffen, und statt einer Verringerung der Armut und der Bettelei würden diese für die ganze Gemeinschaft unvermeidbar werden. Außerdem wäre die strengste Inquisition notwendig, um jede Erscheinung der Ungleichheit sofort zu bemerken, und die strengste Rechtsprechung, um sie zu bestrafen und zu beseitigen. Abgesehen davon aber, daß eine solche Autorität bald in Tyrannei

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ausarten und mit großer Parteilichkeit ausgeübt werden würde, wer könnte in der Situation, wie sie hier vorausgesetzt wird, eine derartige Autorität wirklich besitzen ? Vollkommene Gleichheit des Eigentums zerstört allen Gehorsam, schwächt die Autorität des Magistrats extrem und muß die Macht ebenso wie das Eigentum nahezu restlos nivellieren. Wir dürfen daher schließen, daß wir mit der Natur und der Situation des Menschen bekannt sein müssen, bevor wir Gesetze für die Regulierung des Eigentums einführen; wir müssen Scheinregeln zurückweisen, die, obwohl faszinierend, falsch sind; und wir müssen nach den Regeln suchen, die im großen und ganzen am nützlichsten und wohltätigsten sind. Gemeiner Verstand und ein wenig Erfahrung sind hinreichend für diesen Zweck, solange die Menschen sich nicht einer zu großen und selbstsüchtigen Hoffnung oder einem übertriebenen Enthusiasmus hingeben. Wer sieht zum Beispiel nicht, daß alles, was durch menschliche Kunst oder Fleiß geschaffen oder verbessert worden ist, ihm für immer gehören sollte, damit derartig nützliche Gebräuche und Fertigkeiten gefördert werden; daß das Eigentum aus dem gleichen nützlichen Zweck auch an Kinder und Verwandte vererbt werden sollte; daß es mit Einverständnis abgegeben werden kann, um den Handel und Umgang zu erschaffen, der für die menschliche Gesellschaft so gewinnbringend ist, und daß alle Verträge und Versprechen genau eingehalten werden sollten, um das gegenseitige Vertrauen und die Zuversicht zu gewährleisten, durch die das allgemeine Interesse der Menschheit so sehr gefördert wird ? Befrage die Schriftsteller, die über das Naturrecht geschrieben haben, und du wirst immer finden, daß sie, gleichgültig, von welchen Prinzipien sie ausgehen, mit Sicherheit letztlich hier enden und die Vorteile und Bedürfnisse der Menschen als den letzten Grund für jede Regel angeben, die sie aufstellen. Ein Eingeständnis, das im Gegensatz zu Systemen erzwungen worden ist, besitzt eine größere Autorität, als eines, das in der Befolgung von diesen abgelegt wird. In der Tat, welchen anderen Grund könnten Schriftsteller

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jemals angeben, warum dies mein ist und das dein, da die unausgebildete Natur sicher niemals einen derartigen Unterschied gemacht hat ? Die Gegenstände, die diese Bezeichnung erhalten, sind uns an sich fremd; sie sind vollkommen abgetrennt und losgelöst von uns; und nichts als das allgemeine Interesse der Gesellschaft kann ihre Verbindung zu uns herstellen. Manchmal können die Interessen der Gesellschaft eine Regel der Gerechtigkeit für einen besonderen Fall erfordern, aber nicht eine besondere Regel für mehrere verschiedene Fälle, die alle gleich vorteilhaft sind. In diesem Fall benutzt man die schwächsten Analogien, um jene Indifferenz und Zweideutigkeit zu vermeiden, die eine Quelle ständigen Streits wären. Darum soll Besitz allein, und zwar erste Besitznahme, Eigentum schaffen, wenn niemand einen früheren Titel und Anspruch darauf hat. Viele Argumente der Rechtskundigen sind von dieser analogischen Natur und hängen von sehr schwachen Verbindungen der Einbildungskraft ab. Macht man sich in außerordentlichen Fällen wirklich Sorgen, wenn alle Rücksicht auf das private Eigentum von Individuen außer acht gelassen und wegen des öffentlichen Interesses ein Unterschied mißachtet wird, der für dieses Interesse gemacht wurde ? Die Sicherheit der Bürger ist das höchste Gesetz. Alle anderen und besonderen Gesetze sind ihm gegenüber von untergeordnetem Rang und hängen von ihm ab. Und wenn sie im täglichen Lauf der Dinge befolgt und beachtet werden, dann nur deshalb, weil die öffentliche Sicherheit und das öffentliche Interesse gemeinhin eine derart gleichartige und uneigennützige Anwendung verlangen. Manchmal versagen Nutzen und Analogie gleichermaßen, und die Gesetze der Gerechtigkeit bleiben vollkommen unsicher. So ist es zwar dringend notwendig, daß Gewohnheitsrecht oder langer Besitz Eigentum übertragen; wieviele Tage, Monate oder Jahre aber für diesen Zweck hinreichen, kann die Vernunft alleine nicht bestimmen. Zivile Gesetze treten hier an die Stelle des natürlichen Kodex und schreiben für das Gewohnheitsrecht unterschiedliche Zeiträume vor, die von den verschiedenen Arten des Nutzens abhängen, wie sie der Gesetzgeber vorschlägt.

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Nach den Gesetzen der meisten Länder verjähren Wechsel und Schuldscheine früher als Wertpapiere, Hypotheken und Verträge formalerer Art. Im allgemeinen können wir beobachten, daß alle Fragen des Eigentums der Autorität des Zivilgesetzes untergeordnet sind, welche die Regeln der natürlichen Justiz nach den besonderen Vorteilen einer jeden Gemeinschaft erweitern, eingrenzen, modifizieren oder abändern. Diese Gesetze haben oder sollten eine konstante Beziehung auf die Verfassung der Regierung, zu den Sitten, zum Klima, zur Religion, zum Handel und zu der Situation einer jeden Gesellschaft haben. Ein verstorbener Autor von ebensoviel Genie wie Gelehrsamkeit hat dieses Thema ausgiebig verfolgt und aus diesen Prinzipien ein System des politischen Wissens aufgebaut, das reich an geistvollen und brillanten Gedanken ist und dem es auch nicht an Gründlichkeit mangelt.12 Der Autor von L’Esprit des Loix. Dieser berühmte Schriftsteller fängt 12 jedoch mit einer anderen Theorie an und vermutet, daß jedes Recht auf bestimmten rapports oder Verhältnissen gegründet ist, welches meiner Meinung nach ein System ist, das nie mit einer wahren Philosophie in Einklang gebracht werden wird. Pater Malebranche war, so weit ich weiß, 13 der erste, der diese abstrakte Theorie der Moral befürwortete, die später von Cudworth, Clarke und anderen übernommen wurde. Da sie jede 14 Empfindung ausschließt und vorgibt, alles auf die Vernunft zu gründen, hat es ihm in diesem philosophischen Zeitalter nicht an Anhängern gefehlt. Siehe Abschnitt 1 und Anhang 1. Das Argument gegen diese Theorie im Zusammenhang mit der Gerechtigkeit oder der Tugend, die wir hier behandeln, scheint kurz und entscheidend zu sein. Eigentum ist zugestandenermaßen abhängig von zivilen Gesetzen; zivile Gesetze haben zweifellos keinen anderen Gegenstand als das Interesse der Gesellschaft. Dieses muß darum als das einzige Fundament von Eigentum und Gerechtigkeit akzeptiert werden. Es muß nicht angemerkt werden, daß selbst unsere Pflicht, dem Magistrat und seinen Gesetzen zu gehorchen, auf nichts anderem gründet, als auf den Interessen der Gesellschaft. Wenn die Ideen der Gerechtigkeit manchmal nicht den Bestimmungen der Zivilgesetze entsprechen, dann finden wir in derartigen Fällen, daß sie der gerade entwickelten Theorie nicht widersprechen, sondern sie bestätigen. Wo ein Zivilgesetz so pervertiert ist, daß es alle Interessen der Gesellschaft durchkreuzt, verliert es seine Autorität, und die Menschen urteilen nach den Ideen der natürlichen Gerechtigkeit, die mit diesen Interessen übereinstimmen. Manchmal benötigen Zivilgesetze auch wegen 12

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Was ist das Eigentum eines Menschen ? Ein jedes Ding, das er und nur er dem Gesetz nach benutzen darf. Aber welche Regel besitzen wir, durch die wir diese Gegenstände unterscheiden können ? Hier müssen wir uns auf Statuten, Bräuche, Präzedenzfälle, Analogien und hundert andere Umstände berufen, von denen einige konstant und unflexibel sind, andere veränderlich und willkürlich. Der letzte Punkt aber, auf den sie zugegebenermaßen alle abzielen, ist das Interesse und das Glück der menschlichen Gesellschaft. Wo dies nicht berücksichtigt wird, kann nichts abenteuerlicher, unnatürlicher und sogar abergläubischer erscheinen als alle oder die meisten unserer Gesetze der Gerechtigkeit und des Eigentums. Diejenigen, die vulgäre abergläubische Vorstellungen verspotten und die Narrheit der besonderen Rücksichten auf Nahrung, Tage, Plätze, Haltungen oder Kleidung aufdecken, haben eine leichte Aufgabe, indem sie alle Eigenschaften und Verhältnisse der Dinge betrachten und keine adäquate Ursache für die Zu- oder Abneigung, Verehrung oder Furcht entdecken, die einen derart mächtigen Einfluß auf einen beträchtlichen Teil der Menschheit haben. Ein Syrer sei lieber verhungert, als eine Taube zu essen; ein Ägypter habe keinen Speck angerührt. Wenn aber diese Arten der Nahrung mit den Sinnen des Gesichts, des Geruchs oder des Geschmacks untersucht oder durch die Wissenschaften der Chemie, Medizin oder Physik analysiert nützlicher Ziele eine Zeremonie oder Form für irgendeine Tat, und wo diese fehlen, laufen ihre Vorschriften der gewöhnlichen Auffassung von Gerechtigkeit zuwider; wer sich aber solcher Ausflüchte bedient, wird gemeinhin nicht als ehrlicher Mann angesehen. Darum verlangen die Interessen der Gesellschaft, daß Verträge erfüllt werden; und es gibt keinen substantielleren Artikel der natürlichen oder zivilen Gerechtigkeit. Das Vergessen eines trivialen Umstandes wird aber oft dem Gesetze nach 15 einen Vertrag in foro humano, aber nicht in foro conscientiae aufheben, wie die Theologen sagen. In diesen Fällen wird angenommen, daß der Magistrat nur seine Macht, das Recht durchzusetzen, zurückgezogen, nicht aber das Recht selbst geändert hat. Wenn seine Intention das Recht mit einschließt und mit den Interessen der Gesellschaft übereinstimmt, dann fehlt er nie darin, das Gesetz zu ändern. Dies ist ein klarer Beweis des Ursprungs der Gerechtigkeit und des Eigentums, wie oben angegeben.

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würden, dann würde nie ein Unterschied zwischen ihnen und irgendeiner anderen Art gefunden werden; noch kann man den genauen Umstand festlegen, der eine angemessene Grundlage für die religiöse Leidenschaft abgäbe. Eine Art von Geflügel am Donnerstag ist dem Gesetz gemäß; am Freitag ist es verwerflich; in diesem Haus und in dieser Diözese sind Eier in der Fastenzeit erlaubt; hundert Schritte weiter ist dies eine verdammungswürdige Sünde. Dieser Fleck Erde oder dieses Gebäude waren gestern profan; heute, durch das Murmeln bestimmter Worte, wurden sie heilig und geweiht. Wir können getrost sagen, daß Reflexionen wie diese zu offensichtlich für einen Philosophen sind, und daß sie keinen Einfluß haben können, da sie jedermann immer sofort einfallen, und wenn sie nicht vorherrschen, dann geschieht dies nicht aus Unwissenheit oder eines Fehlers wegen, sondern mit Sicherheit, weil sie von Erziehung, Vorurteil und Leidenschaft geschwächt wurden. Einer sorglosen, oder besser, einer zu abstrakten Reflexion mag es so vorkommen, als dringe ein gleicher Aberglaube in alle Empfindungen der Gerechtigkeit ein; und daß, wenn jemand ihren Gegenstand oder das, was wir Eigentum nennen, derselben Prüfung durch die Sinne und die Wissenschaft überließe, er auch durch die genaueste Untersuchung keine Grundlage für den Unterschied finden würde, den das moralische Gefühl macht. Ich kann mich rechtmäßig von diesem Baum ernähren, aber es ist ein Verbrechen, die Frucht eines anderen von derselben Sorte, der zehn Schritte weiter steht, anzufassen. Hätte ich diese Kleidung vor einer Stunde getragen, hätte ich die schwerste Strafe verdient; aber ein Mann, der einige magische Silben ausgesprochen hat, machte sie für meinen Gebrauch und Dienst geeignet. Hätte man dieses Haus auf ein benachbartes Territorium gebaut, so wäre es unmoralisch für mich, darin zu wohnen; da es aber auf dieser Seite des Flusses gebaut ist und anderen Gemeindegesetzen untersteht, werde ich nicht getadelt oder verurteilt, wenn es mein Haus wird. Man könnte meinen, daß dieselbe Art von Argumenten, die so erfolgreich den Aberglauben bloßstellt, auch auf die Gerechtigkeit anzuwenden ist. Auch scheint es in beiden Fällen gleich unmöglich, an der Sache

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die genaue Eigenschaft oder den genauen Umstand aufzuzeigen, der die Grundlage für die Empfindung ist. Es besteht aber dieser eine wichtige und substantielle Unterschied zwischen Aberglaube und Gerechtigkeit: Aberglaube ist frivol, nutzlos und beschwerlich, Gerechtigkeit ist absolut notwendig für die Wohlfahrt und das Bestehen der Gesellschaft. Wenn wir von dem letzteren Umstand absehen (denn er ist zu offensichtlich, um jemals übersehen werden zu können), müssen wir zugeben, daß ebenso wie der primitivste und vulgärste Aberglaube auch alle Beachtung von Recht und Eigentum vollkommen ohne Fundament zu sein scheint. Wären die Interessen der Gesellschaft in keiner Weise betroffen, dann wäre es genauso unverständlich, warum die Artikulation bestimmter Laute einer anderen Person Zustimmung beinhalten und die Natur meiner Handlungen in Hinsicht auf einen bestimmten Gegenstand verändern sollte, wie es unverständlich ist, warum das Aufsagen einer Liturgie von einem Priester, der eine bestimmte Kleidung trägt und eine bestimmte Haltung einnimmt, einen Haufen Ziegel und Holz weihen und ihn von da an für immer heilig machen sollte.13 Es ist offenbar, daß der Wille oder die Einwilligung allein niemals das Eigentum überträgt oder die Verpflichtung durch ein Versprechen verursacht (denn dasselbe Argument gilt für beide), sondern daß der Wille in Worten oder Zeichen ausgedrückt werden muß, um einen Menschen zu verpflichten. Der Ausdruck, der zunächst dem Willen dienen soll, wird bald der wichtigste Teil des Versprechens. Und ein Mensch ist nicht weniger durch sein Wort verpflichtet, wenn er insgeheim seiner Intention eine andere Richtung gibt und den Zuspruch seines Geistes zurückhält. Obwohl aber der Ausdruck meist das ganze Versprechen ausmacht, stimmt dies nicht immer; und wenn jemand einen Ausdruck benutzt, dessen Bedeutung er nicht kennt, und den er benutzt, ohne die Folgen zu kennen, dann wäre er dadurch sicher nicht verpflichtet. Sogar wenn er seine Bedeutung kennt, aber ihn nur im Spaß benutzt und deutlich macht, daß er keine ernsthafte Intention hat, sich zu binden, dann wäre er nicht verpflichtet, das Versprechen zu erfüllen; vielmehr ist es notwendig, daß Worte ohne widersprechende Anzeichen ein vollkommener Ausdruck des Willens sind. Aber auch dies müssen wir nicht so weit führen, daß wir uns einbilden, daß jemand, den wir durch unseren raschen Verstand an seinen Mienen als jemanden erkennen, der uns be13

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Diese Überlegungen schwächen nicht nur nicht die Verpflichtungen der Gerechtigkeit im geringsten oder nehmen der heiligen Beachtung des Eigentums irgendetwas, sondern die betreffenden Empfindungen müssen im Gegenteil von diesen Argumenten eine neue Kraft empfangen. Denn kann man für eine Pflicht ein stärkeres Fundament verlangen oder sich vorstellen als die Feststellung, daß die menschliche Gesellschaft oder sogar die menschliche Natur nicht ohne die Einführung der Gerechtigkeit bestehen kann; und daß sie weiterhin einen Grad von Glück und Perfektion erreichen wird, der umso größer sein wird, je unverletzlicher die Beachtung ist, die dieser Pflicht geschenkt wird ?

trügen will, durch seinen Ausdruck oder sein verbales Versprechen nicht verpflichtet ist, wenn wir es akzeptieren; wir müssen diese Schlußfolgerung auf Fälle eingrenzen, in denen die Zeichen anderer Natur sind als die des Betrugs. Alle Widersprüche dieser Art können leicht aus dem Weg geräumt werden, wenn die Gerechtigkeit nur auf ihrem Nutzen für die Gesellschaft beruht; sie können aber niemals durch irgendeine andere Hypothese erklärt werden. Wenn wir der Autorität des Mons. Bayle folgen dürfen, ist es bemer- 16 kenswert, daß die moralischen Entscheidungen der Jesuiten und anderer sorgloser Kasuisten sich gemeinhin auf derartigen argumentativen Subtilitäten gründen, wie sie hier aufgeführt wurden, und daß sie ebensosehr aus der Gewohnheit scholastischer Feinheiten wie aus der Korruption des Herzens hervorgingen. Siehe sein Wörterbuch, Artikel Loyola. Und ist die Entrüstung der Menschheit gegenüber diesen Kasuisten nicht gerade deshalb so groß, weil jeder bemerkt, daß die menschliche Gesellschaft nicht bestehen kann, wenn derartige Verhaltensweisen autorisiert würden, und daß die Moral immer mehr mit Rücksicht auf öffentliches Interesse behandelt werden muß als mit philosophischer Einheitlichkeit ? Jeder Mensch von Verstand sagt, daß unsere Sicherheit verlorengeht, wenn die heimliche Richtung der Intention eines Menschen einen Vertrag aufhebt. Und doch kann ein metaphysischer Schulmann denken, daß keine Folge gelten und keine Verpflichtung entstehen sollte, wenn eine Intention als notwendig angesehen wird, diese Intention aber nicht wirklich bestand. Die kasuistischen Subtilitäten mögen nicht größer sein als die Subtilitäten von Rechtsanwälten, auf die wir oben anspielten; aber weil die ersteren schädlich und die letzteren unschuldig und sogar notwendig sind, so ist dies der Grund, warum sie sehr verschieden von der Welt aufgenommen werden.

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Das Dilemma ist offenbar dieses: Da die Gerechtigkeit den öffentlichen Nutzen evidentermaßen zu fördern scheint und die zivile Gesellschaft unterstützt, entspringt die Empfindung der Gerechtigkeit entweder unserer Reflexion auf diese Tendenz oder einem einfachen und ursprünglichen Instinkt, den die Natur aus einem ebenso nützlichen Grund in unsere Brust eingepflanzt hat wie Hunger, Durst und andere Verlangen, ebenso wie das Gefühl der Verletzung, die Liebe des Lebens und die Verbundenheit mit den Nachkommen. Wenn das letztere der Fall sein sollte, dann folgt, daß auch Eigentum, der Gegenstand der Gerechtigkeit, durch einen einfachen und ursprünglichen Instinkt identifiziert wird und man sich nicht durch irgendein Argument oder irgendeine Reflexion seiner versichert. Wer aber hat jemals von einem derartigen Instinkt gehört ? Oder ist dies ein Gebiet, auf dem neue Entdeckungen zu machen sind ? Genauso gut können wir erwarten, daß in unserem Körper neue Sinne zu entdecken sind, die vorher den Beobachtungen der ganzen Menschheit entgangen sind. Obwohl die Behauptung, daß die Natur Eigentum durch ein instinktives Prinzip unterscheidet, etwas Einfaches auszusagen scheint, finden wir doch, daß die Natur in Wirklichkeit für diesen Zweck zehntausend verschiedene Instinkte brauchte, die es mit den kompliziertesten Gegenständen und den feinsten Es gehört zu den Lehren der römischen Kirche, daß ein Priester ein Sakrament durch eine geheime Richtung seiner Intention aufheben kann. Diese Ansicht folgt aus der strikten und regelmäßigen Anwendung der evidenten Wahrheit, daß leere Worte allein, ohne Sinn oder Intention eines Sprechers, niemals von einer Wirkung begleitet sein können. Wenn dieselbe Schlußfolgerung nicht für Argumente über zivile Verträge zugelassen wird, wo die Sache zugegebenermaßen weit weniger folgenreich ist, als die Errettung von Tausenden für die Ewigkeit, dann ist dies nur das Resultat des Verständnisses der Gefahr und des Schadens im ersten Fall. Wir dürfen darum bemerken, daß ein Aberglaube, wie sicher, arrogant und dogmatisch er sich auch zeigen mag, nie eine vollkommene Überzeugung der Realität seines Gegenstandes vermitteln kann oder sie zu irgendeinem Grad von Übereinstimmung mit den gewöhnlichen Vorfällen des Lebens bringen kann, die wir aus der täglichen Beobachtung und aus experimentellem Denken lernen.

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Unterschieden zu tun hätten. Man findet nämlich, wenn man eine Definition von Eigentum verlangt, daß dieses Besitzverhältnis durch Besetzung, durch Fleiß, durch Vorschrift, durch Erbe, durch Vertrag usw. entstanden ist. Können wir uns vorstellen, daß uns die Natur in all diesen Methoden durch einen natürlichen Instinkt unterrichtet ? Auch die Wörter Erbe und Vertrag stehen für Ideen, die unendlich kompliziert sind; und um sie exakt zu definieren, haben sich hundert Gesetzbücher und tausend Bände von Kommentatoren als unzulänglich erwiesen. Umfaßt die Natur, deren Instinkte beim Menschen alle einfach sind, derart komplizierte und künstliche Gegenstände und bringt gleichzeitig ein rationales Geschöpf hervor, ohne der Vernunft irgendetwas anzuvertrauen ? Aber selbst wenn all dies zugegeben würde, wäre es nicht zufriedenstellend. Positive Gesetze können sicher Eigentum übertragen. Ist es ein anderer ursprünglicher Instinkt, der uns erlaubt, die Autorität von Königen und Senaten anzuerkennen und alle Grenzen ihrer Rechtsprechung zu bestimmen ? Auch den Richtern, selbst wenn ihr Urteil falsch und ungesetzlich sein sollte, muß wegen des Friedens und der Ordnung die maßgebende Autorität eingeräumt werden, in letzter Instanz über Eigentum zu entscheiden. Haben wir ursprüngliche und angeborene Ideen von Prätoren, Kanzlern und Geschworenen ? Wer sieht nicht, daß all diese Institutionen nur aus den Notwendigkeiten der menschlichen Gesellschaft entspringen ? Alle Vögel einer bestimmten Art bauen ihre Nester in jedem Zeitalter und in jedem Land gleich. Hier sehen wir die Kraft des Instinkts. Menschen bauen ihre Häuser zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten verschieden. Hier sehen wir den Einfluß der Vernunft und der Gewohnheit. Ein gleicher Schluß kann aus dem Vergleich des Instinkts der Fortpflanzung mit der Institution des Eigentums gezogen werden. Wie groß die Verschiedenheit der Gemeindegesetze auch ist, so muß man doch zugeben, daß sie in ihren Hauptpunkten nahezu immer übereinstimmen, weil die Zwecke, auf die sie zielen, überall gleich sind. In ähnlicher Weise haben alle Häuser ein

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Dach und Wände, Fenster und Schornsteine, obwohl sie sich nach Gestalt, Figur und Materialien unterscheiden. Die Zwecke der letzteren, die nach den Annehmlichkeiten des menschlichen Lebens ausgerichtet sind, erweisen ihren Ursprung aus der Vernunft und der Reflexion so offensichtlich wie die ersten, die auf ein gleiches Ziel verweisen. Die Variationen, die alle Regeln des Eigentums durch die diffizileren Veränderungen und Verbindungen der Einbildungskraft und die Subtilitäten und Abstraktionen der Themen und Argumente der Jurisprudenz erfahren, muß ich hier nicht anführen. Es ist vollkommen unmöglich, diese Beobachtung mit dem Begriff von ursprünglichen Instinkten zu vereinbaren. Das einzige, was einen Zweifel an der von mir verteidigten Theorie hervorrufen wird, ist der Einfluß der Erziehung und der erlernten Sitten, die uns üblicherweise Ungerechtigkeit mißbilligen lassen, so daß wir uns nicht in jedem Fall einer unmittelbaren Reflexion auf die schädlichen Folgen bewußt sind. Wir neigen dazu, die Ansichten, die uns am bekanntesten sind, aus genau diesem Grund nicht zu bemerken; und wir neigen gleichermaßen dazu, das, was wir sehr oft aus bestimmten Motiven getan haben, auch weiterhin mechanisch so zu tun, ohne uns in jedem Fall an die Reflexionen zu erinnern, die uns zunächst dazu führten, es zu tun. Die Bequemlichkeit oder besser, die Notwendigkeit, die zur Gerechtigkeit führt, ist universell und weist überall auf dieselben Regeln hin. Darum ist diese Gewohnheit in jeder Gesellschaft zu finden; und wir können ihren wahren Ursprung nur nach einiger Untersuchung feststellen. Die Sache ist allerdings nicht so dunkel, daß wir nicht schon im täglichen Leben jederzeit auf das Prinzip des öffentlichen Nutzens zurückgreifen und uns fragen würden: Wohin würde die Welt kommen, wenn sich eine derartige Praxis durchsetzte? Wie könnte die Gesellschaft bei derartigen Regelwidrigkeiten bestehen? Wäre die Unterscheidung oder Aufteilung von Eigentum vollkommen nutzlos, könnte sich dann jemand vorstellen, daß sie jemals in der Gesellschaft eingeführt worden wäre ? Deswegen scheint es, daß wir im großen und ganzen eine Erkenntnis der Kraft desjenigen Prinzips erreicht haben, auf

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dem wir hier bestehen, und daß wir bestimmen können, welcher Grad der Schätzung oder der moralischen Billigung aus den Reflexionen über das öffentliche Interesse und den öffentlichen Nutzen entstehen kann. Die Notwendigkeit der Gerechtigkeit für die Erhaltung der Gesellschaft ist das einzige Fundament dieser Tugend; und da kein moralischer Vorzug höher eingeschätzt wird, können wir schließen, daß dieser Umstand der Nützlichkeit im allgemeinen die größte Energie und uneingeschränkte Macht über unsere Empfindungen besitzt. Sie muß darum die Quelle eines beträchtlichen Teils des Verdienstes sein, das der Menschlichkeit, dem Wohlwollen, der Freundschaft, dem Gemeinsinn und den anderen sozialen Tugenden dieser Prägung zugeschrieben wird, so wie sie auch die einzige Quelle der moralischen Billigung ist, die wir der Treue, Gerechtigkeit, Ehrlichkeit, Integrität und jenen anderen schätzenswerten und nützlichen Eigenschaften und Prinzipien zuschreiben. Wenn ein Prinzip eine große Kraft und Energie in einem Fall besitzt, so kann man die gleiche Energie auch in allen ähnlichen Fällen vermuten. Diese Entdeckung stimmt vollkommen mit den Regeln der Philosophie und denen der allgemeinen Vernunft überein. Sie ist in der Tat Newtons wichtigste Regel des Philosophierens.14

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Von der bürgerlichen Gesellschaft Wenn jeder Mensch genügend Weisheit besäße, um das starke Interesse zu bemerken, das ihn zur Befolgung von Gerechtigkeit und Fairneß verpflichtet, und wenn er zusätzlich genügend Stärke des Gemüts besäße, ein allgemeines und entferntes Interesse statt der Versuchungen eines zeitweiligen Vergnügens und Vorteils beharrlich zu verfolgen, dann hätte es niemals so etwas wie eine Regierung oder politische Gesellschaft gegeben, sondern jeder Mensch hätte in vollem Frieden und vollkommener Harmonie mit allen anderen gelebt. Warum brauchen wir positives Recht, wenn die natürliche Gerechtigkeit selbst schon eine hinreichende Einschränkung ist ? Warum soll man einen Magistrat erschaffen, wenn es Unordnung und Unrecht niemals gibt ? Warum soll unsere angeborene Freiheit eingeschränkt werden, wenn ihre dauernde Ausübung in jedem Fall und in jedem Umfang unschuldig und wohltätig ist ? Es ist klar, daß die Regierung, wenn sie vollkommen nutzlos wäre, niemals entstanden wäre, und daß das einzige Fundament der Bürgerpflicht der Vorteil ist, den sie einer Gesellschaft bringt, indem sie Frieden und Ordnung unter der Menschheit aufrechterhält. Wenn einige politische Gesellschaften entstanden sind, die einen ausgeprägten Umgang miteinander unterhalten, dann entdeckt man sofort eine neue Art von Regeln als nützlich für diese besondere Situation, die unter dem Titel Völkerrecht zusammengefaßt werden. Von dieser Art sind die Heiligkeit der Person des Botschafters, der Verzicht auf vergiftete Waffen, Schonung im Krieg und andere Rechte dieser Art, die offensichtlich zum Vorteil von Staaten und Königreichen in ihrem Verkehr miteinander berechnet worden sind. Die Regeln der Gerechtigkeit, wie sie zwischen einzelnen Personen gelten, sind zwischen politischen Gesellschaften nicht

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vollkommen aufgehoben. Alle Prinzen geben vor, daß sie die Rechte anderer Prinzen beachten, und einige von ihnen sind sicher ehrlich. Allianzen und Verträge zwischen unabhängigen Staaten werden jeden Tag geschlossen, die jedoch nur eine Verschwendung von Pergament wären, wenn die Erfahrung nicht zeigte, daß sie einen gewissen Einfluß und eine gewisse Autorität besitzen. Hier besteht jedoch ein Unterschied zwischen Königreichen und Individuen. Die menschliche Natur kann nur durch die Vereinigung von Individuen bestehen, und diese Vereinigung könnte nie bestehen, wenn die Gesetze der Fairneß und Gerechtigkeit nicht beachtet würden. Unordnung, Verwirrung und der Krieg aller gegen alle sind die notwendigen Folgen eines derart freizügigen Benehmens. Nationen hingegen können alle auch ohne Verkehr bestehen. Sie können sogar in gewisser Weise bei einem allgemeinen Krieg Bestand haben. Die Beachtung der Gerechtigkeit, obwohl für sie nützlich, ist nicht auf eine so starke Notwendigkeit gestützt, wie sie es für die einzelnen ist; und die moralische Verpflichtung hängt proportional von der Nützlichkeit ab. Alle Politiker und die meisten Philosophen werden zugeben, daß Staatsgründe in besonderen Notfällen die Regeln der Gerechtigkeit aufheben und jeden Vertrag und jede Allianz ungültig machen können, wenn deren genaue Einhaltung einem der Vertragspartner zu einem beträchtlichen Nachteil gereichen würde. Wie aber zugegeben wird, kann nichts weniger als das Höchstmaß an Notwendigkeit Individuen rechtfertigen, ein Versprechen zu brechen oder das Eigentum anderer zu verletzen. In einer Föderation wie dem Achaischen Bund in der Antike oder den Schweizer Kantonen und den Vereinigten Provinzen in der Neuzeit besitzen die Satzungen der Vereinigung eine besondere Heiligkeit und Autorität, weil die Verbindung eine besondere Nützlichkeit hat, und eine Verletzung derselben würde nicht als weniger kriminell, sondern sogar als krimineller betrachtet werden als eine jede private Verletzung oder Ungerechtigkeit. Die lange und hilflose Kindheit des Menschen macht einen Zusammenschluß der Eltern für die Erhaltung ihrer Nachkommen notwendig, und dieser Zusammenschluß verlangt die

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Tugend der Keuschheit oder der ehelichen Treue. Ohne diesen Nutzen hätte man, wie jeder zugeben wird, nie an diese Tugend gedacht.15 Eine Untreue dieser Art ist viel verderblicher bei Frauen als bei Männern. Darum sind die Gesetze der Keuschheit für das eine Geschlecht viel strikter als für das andere. Regeln dieser Art haben alle einen Bezug auf Fortpflanzung: und doch werden Frauen, die keine Kinder mehr bekommen können, so wenig von ihnen ausgenommen wie diejenigen, die in der Blüte ihrer Jugend und Schönheit stehen. Allgemeine Regeln werden oft über das Prinzip hinaus ausgedehnt, aus dem sie zunächst entsprungen sind, und zwar in allen Dingen, die Geschmack und Gefühl betreffen. Es gibt eine beliebte GeDie einzige Lösung, die Platon gibt, um alle Einwände zu entkräften, die gegen die Gemeinschaft der Frauen in seinem idealen Staat erhoben werden, ist »K£llista g¦r d¾ toàto kaˆ lšgetai kaˆ lelšxetai, Óti tÕ me`n çfšlimon kalÕn. TÕ de` blaberÕn ai’ scrÒn.« »Scite enim istud & dicitur & dicetur, Id quod utile sit, honestum esse; quod autem inutile sit, turpe esse.« De rep. Lib. 5. P. 457. ex edit. Serr. [»Denn das ist und bleibt doch der schönste Spruch, daß das Nützliche schön und das Schädliche häßlich ist.« Platon, Der Staat. Übersetzung von Otto Apelt (Hamburg 1989).] Diese Maxime wird keinen Zweifel zulassen, soweit sie öffentlichen Nutzen betrifft; und dies ist, was Platon sagen will. In der Tat, welchen anderen Zweck könnten die Ideen von Keuschheit und Bescheidenheit haben ? »Nisi utile est quod facimus, stulta est gloria, sagt Phaedrus.« [»Denn wenn es keinen Nutzen bringt, was wir verrichten, so ist es nichts als eitler Ruhm und Prahlerei.« Phaedros, Liber Fabularum (Lateinisch/Deutsch). Übersetzung von Friedrich Fr. Rückert (Stuttgart 41987).] »KalÕn tïn blaberîn oÙde`n«, sagt Plutarch, de vitioso pudore. »Nihil eorum qual damnosa sunt, pulchrum est.« [»Nichts von dem, was schädlich ist, ist schön.«] Die Stoiker vertraten dieselbe Meinung. »Fasˆn oân oƒ Stwikoˆ ¢gaqÕn ei’nai çfšle…an À oÙc ›teron çfele…aj, çfšle…an me`n lšgontej t¾n ¢ret¾n kaˆ t¾n spouda…an pr©xin.« Sextus Empiricus lib 3. cap. 20 [»Die Stoiker sagen, das Gute sei Nutzen oder von Nutzen nicht verschieden, wobei sie Nutzen die Tugend und die tugendhafte Handlung nennen.« Sextus Empiricus, Grundriß der pyrrhonischen Skepsis. Übersetzung von Malte Hossenfelder, 21993.] [Plato, Republik, Buch 5, 457B, trans. Loanne Serranus (1578 edu.) 457. Phaedrus, Aesopische Fabeln, Buch 3, Fabel 17, 12. linie. Plutarch, Moralische Essays »Über falsche Scham«, Kap. 3, 529E. Sextus Empiricus, Grundzüge des Pyrrhonismus, Buch 3, Kap. 22 (20 in älteren Editionen), § 169]. 15

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schichte aus Paris, nach der ein Buckliger während der Mississippi-Spekulation jeden Tag in die Rue de Quincempoix ging, wo die Börsenmakler sich in großen Mengen trafen und er gut dafür bezahlt wurde, daß er ihnen erlaubte, seinen Rücken als Tisch für das Unterschreiben ihrer Verträge zu benutzen. Der Reichtum, den er dadurch erwarb, hat ihn zwar nicht zu einem schönen Mann gemacht, aber man muß zugeben, daß persönliche Schönheit zu einem großen Teil auf Ideen der Nützlichkeit beruht. Die Einbildungskraft wird durch die Verbindungen von Ideen beeinflußt, die, auch wenn sie zunächst auf einem Urteil beruhen, nicht einfach von jeder besonderen Ausnahme, die uns begegnet, verändert werden. Wir können hier noch hinzufügen, daß in dem vorliegenden Fall der Keuschheit das Beispiel der Alten schädlich für die Jungen sein würde und daß Frauen, die jederzeit voraussehen könnten, daß sie in einer bestimmten Zeit die Freiheit der Ausschweifung haben werden, diese Zeit verkürzen und diese ganze Pflicht, die für die Gesellschaft so notwendig ist, auf die leichte Schulter nehmen würden. Diejenigen, die in derselben Familie leben, haben so häufig Gelegenheiten zu dieser Art von Freizügigkeit, daß nichts die Reinheit der Sitten erhalten könnte, wenn Heirat oder irgendein Liebesverhältnis zwischen nächsten Verwandten erlaubt oder durch Gesetz und Brauch geboten wäre. Darum ist auch Inzest, verderblich im höchsten Grade, eine moralische Schlechtigkeit und Entartung höchsten Grades. Warum erlaubte das Gesetz der Athener die Heirat einer Halbschwester des Vaters, nicht jedoch die einer Halbschwester der Mutter ? Der Grund ist einfach der, daß die Athener so streng waren, daß es einem Mann auch in derselben Familie nie erlaubt war, sich der Wohnung einer Frau zu nähern, außer, wenn er seine Mutter besuchte. Seine Stiefmutter und ihre Kinder waren genauso von ihm weggeschlossen wie die Frauen anderer Familien, und darum gab es kaum die Gefahr unrechtmäßiger Verhältnisse zwischen ihnen. Onkel und Nichten konnten in Athen aus einem ähnlichen Grund heiraten. Aber in Rom, wo der Verkehr zwischen den Geschlechtern offener war, konnten weder Neffen und Nichten noch Halbbrüder und -schwestern

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eine Verbindung eingehen. Der öffentliche Nutzen ist die Ursache aller dieser Verschiedenheiten. Um es noch einmal zu sagen: es ist für den Ruf eines Mannes sehr schädlich, wenn er in privater Unterhaltung eine Indiskretion begeht oder wenn er sie in privater Korrespondenz benutzt. Der freie und soziale Verkehr der Geister muß äußerst beschränkt sein, wenn es keine derartigen Regeln der Verbindlichkeit gibt. Sogar im Wiedergeben von Anekdoten, bei denen man keine schlechten Folgen voraussehen kann, wird es als Indiskretion betrachtet, wenn man den Autor angibt. Diese Geschichten, die von Hand zu Hand gehen und die dabei die üblichen Veränderungen erfahren, kommen oft zu der betroffenen Person zurück und bringen so Verstimmungen und Streitereien bei Leuten hervor, deren Intentionen äußerst unschuldig und unanstößig sind. In solche Geheimnisse einzudringen, die Briefe von anderen zu öffnen oder gar zu lesen, ihre Worte, ihre Mienen und Handlungen zu belauschen, sind Taten, die einer Gesellschaft äußerst ungenehm sind. Welche folgeträchtigen Angewohnheiten könnten schädlicher sein ? Dasselbe Prinzip ist auch das Fundament der meisten Gesetze des guten Benehmens, eine Art von schwächerer Moral, die der Leichtigkeit von Geselligkeit und Konversation dienen soll. Zu viel oder zu wenig Zeremonie werden gleichermaßen getadelt, und alles, was Leichtigkeit ohne unziemliche Freizügigkeit befördert, ist nützlich und löblich. Dauerhaftigkeit bei Freundschaften, Verbindungen und Bekanntschaften ist lobenswert und notwendig für die Erhaltung von Vertrauen und guter Übereinkunft in der Gesellschaft. An Orten von allgemeinem und doch informellem Verkehr, an denen das Streben nach Gesundheit und Vergnügen Menschen auf vielfältige Weise zusammenbringt, hat aber der öffentliche Nutzen diese Maxime aufgehoben, und die Sitte fördert dort für eine gewisse Zeit ein freies Gespräch, indem es das Privileg in Anspruch nimmt, später jede flüchtige Bekanntschaft ohne jeden Bruch von Höflichkeit oder guten Manieren wieder zu vergessen.

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Sogar in Gesellschaften, die auf Prinzipien beruhen, die höchst unmoralisch und destruktiv für die Interessen der Allgemeinheit sind, gibt es bestimmte Regeln, die ihre Mitglieder durch eine Art falscher Ehre und privates Interesse zwingen, sie zu beachten. Räuber und Piraten könnten, wie man oft bemerkt hat, ihre schädliche Verbindung nicht aufrechterhalten, wenn sie nicht eine neue distributive Gerechtigkeit unter sich errichtet hätten und sich so wieder an die Gesetze der Fairneß erinnerten, die sie gegenüber der übrigen Menschheit verletzt haben. Ein griechisches Sprichwort sagt: Ich hasse einen Trinkgenossen, der nie vergißt. Die Torheiten des letzten Gelages sollten in ewiger Vergessenheit begraben werden, um den Torheiten des nächsten vollen Raum zu geben. Bei Nationen, deren Sitten eine unmoralische Galanterie autorisieren, auch wenn diese durch einen dünnen Schleier der Heimlichkeit verdeckt wird, entsteht sofort eine Anzahl von Regeln für den Vorteil dieser Verbindungen. Der berühmte Hof oder das Parlament der Liebe in der Provence entschied früher über alle schwierigen Fälle dieser Art. Bei Spielgesellschaften gibt es Gesetze für den Ablauf des Spiels. Diese Regeln sind für jedes Spiel anders. Die Gründung solcher Gesellschaften ist, wie ich zugebe, frivol, und die Regeln sind, wenn auch nicht vollkommen, so doch weitgehend launenhaft und willkürlich. In dieser Hinsicht besteht ein substantieller Unterschied zwischen ihnen und den Regeln der Gerechtigkeit, Treue und Loyalität. Die allgemeinen Gesellschaften der Menschen sind absolut notwendig für das Bestehen der menschlichen Gattung, und der öffentliche Vorteil, der die Moral beherrscht, ist unausweichlich in der menschlichen Natur und in der Welt, in der wir leben, begründet. Der Vergleich ist darum in dieser Hinsicht sehr unvollkommen. Wir können von ihm nur die Notwendigkeit von Regeln für alles menschliche Beisammensein lernen. Die Menschen können ohne Regeln nicht einmal auf der Straße aneinander vorbeifahren. Fuhrleute, Kutscher und Postillione haben Prinzipien, nach denen sie einander ausweichen,

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und diese beruhen hauptsächlich auf gegenseitiger Erleichterung und Bequemlichkeit. Manchmal sind sie auch willkürlich und hängen zumindest von einer launenhaften Analogie ab, wie viele der Argumente von Rechtsanwälten.16 Um die Sache noch weiter zu treiben, können wir anmerken, daß es für Menschen sogar unmöglich ist, sich gegenseitig ohne Statuten und Maximen und einer Idee von Gerechtigkeit und Ehre zu ermorden. Der Krieg hat ebenso seine Gesetze wie der Frieden, und selbst der Krieg, den Sportler wie Ringer, Boxer, Knittelfechter und Gladiatoren ausführen, wird von festen Prinzipien geregelt. Gemeinsame Interessen und gemeinsamer Nutzen bringen unfehlbar einen Standard von ›richtig‹ und ›falsch‹ bei den betroffenen Parteien hervor.

Daß der leichtere Wagen dem schwereren und bei gleichschweren der unbeladene dem beladenen ausweicht, ist eine Regel, die auf Vorteil beruht. Daß diejenigen, die zur Hauptstadt fahren, Vorrang haben vor denen, die aus der Hauptstadt kommen, scheint auf einer Idee der Vornehmheit der großen Stadt und auf der Bevorzugung der Zukunft vor der Vergangenheit zu beruhen. Aus dem gleichen Grund gibt die rechte Seite bei Fußgängern einem das Recht der Mauer und verhindert Rempeleien, die friedliche Menschen unangenehm und unbequem finden. 16

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Warum Nützlichkeit gefällt Teil 1 Der Gedanke, daß unser Lob der sozialen Tugenden auf deren Nützlichkeit beruht, scheint so natürlich zu sein, daß man erwarten würde, dieses Prinzip bei jedem moralischen Schriftsteller als das Hauptfundament seines Denkens und seiner Untersuchung anzutreffen. Im täglichen Leben können wir beobachten, wie man immer an den Umstand der Nützlichkeit appelliert; und man glaubt, daß es keine größere Lobrede auf einen Menschen geben kann, als dessen Nützlichkeit für die Öffentlichkeit hervorzuheben und die Dienste aufzuzählen, die er der Menschheit und der Gesellschaft erwiesen hat. Wie groß ist das Lob sogar eines unbelebten Gegenstandes, wenn die Regelmäßigkeit und Eleganz in den Teilen seine Eignung für irgendeinen nützlichen Zweck nicht zerstört. Und wie zufriedenstellend ist die Entschuldigung einer jeden Unregelmäßigkeit und scheinbaren Verzerrung, wenn wir die Notwendigkeit dieser besonderen Konstruktion für ihren Gebrauch aufzeigen können. Einem Künstler und jemandem, der einigermaßen geschickt in der Schiffahrt ist, erscheint ein Schiff, dessen Bug weit ist und vom Heck her anschwillt, schöner als eines, das mit einer präzisen geometrischen Gleichmäßigkeit gebaut ist, die allen Gesetzen der Mechanik widerspricht. Ein Gebäude, dessen Türen und Fenster exakte Quadrate wären, würde das Auge genau durch diese Proportion schmerzen, weil sie dem Menschen, zu dessen Nutzen die Struktur geplant wurde, schlecht angepaßt ist. Wie kann es einen dann verwundern, daß ein Mann, dessen Gewohnheiten und Benehmen der Gesellschaft schädlich und einem jeden, der Umgang mit ihm hat, gefährlich und verderblich sind, gerade darum ein Gegenstand der Mißbilligung sein soll und jedem Betrachter

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die stärkste Empfindung des Widerwillens und des Hasses vermittelt.17 Möglicherweise hat aber die Schwierigkeit, diese Wirkungen der Nützlichkeit oder ihres Gegenteils zu erklären, die Philosophen davon abgehalten, sie in ihre ethischen Systeme aufzunehmen, und sie dazu verleitet, lieber ein anderes Prinzip bei der Erklärung des Ursprungs des moralisch Guten und Bösen anzuwenden. Es ist jedoch unangemessen, ein Prinzip, das von der Erfahrung bestätigt wird, nur darum zu verwerfen, weil wir keine zufriedenstellende Erklärung seines Ursprungs geben und es nicht auf andere und allgemeinere Prinzipien zurückführen können. Und wenn wir ein wenig über den gegenwärtigen Gegenstand nachdächten, dann dürften wir nicht davon ablassen, den Einfluß der Nützlichkeit zu erklären und sie von Prinzipien abzuleiten, die zu den bekanntesten und anerkanntesten der menschlichen Natur gehören. Wir sollten uns nicht einbilden, daß ein unbelebter Gegenstand nach diesem System die Bezeichnung tugendhaft schon verdient, weil er so nützlich sein kann wie ein Mensch. Die Empfindungen, die durch die Nützlichkeit hervorgerufen werden, sind in diesen beiden Fällen sehr voneinander verschieden; das eine ist mit Zuneigung, Achtung, Billigung usw. vermischt, das andere aber nicht. In ähnlicher Weise kann ein unbelebter Gegenstand ebenso wie eine menschliche Figur eine gute Farbe und Proportion aufweisen. Aber können wir jemals in einen Gegenstand verliebt sein ? Es gibt eine große Anzahl von Leidenschaften und Gefühlen, deren angemessener Gegenstand durch die ursprüngliche Konstitution der Natur nur ein denkendes und rationales Wesen ist. Und auch wenn dieselben Eigenschaften auf ein gefühl- und geistloses Wesen übertragen werden, rufen sie nicht dieselben Empfindungen hervor. Die wohltätigen Eigenschaften von Kräutern und Mineralien werden in der Tat manchmal Tugenden genannt; aber dies ist eine Folge einer sprachlichen Laune, die man nicht als Argument betrachten sollte. Denn auch wenn es eine Art von Billigung gibt, die sogar unbelebten Gegenständen zukommt, wenn sie wohltätig sind, so ist diese Empfindung so schwach und so andersartig als die, die einem wohltätigen Magistrat oder Staatsmann entgegengebracht wird, daß man sie nicht demselben Genus oder demselben Namen zuordnen sollte. Die geringste Veränderung des Gegenstandes wird eine Empfindung zerstören, auch wenn dieselben Eigenschaften erhalten bleiben. So ruft dieselbe Schönheit, auf ein anderes Geschlecht übertragen, keine Leidenschaft der Liebe hervor, es sei denn, die Natur ist äußerst entartet. 17

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Aus der offensichtlichen Nützlichkeit der sozialen Tugenden haben antike und neuere Skeptiker bereitwillig geschlossen, daß alle moralischen Unterscheidungen aus der Erziehung stammen, daß sie zuerst erfunden und dann von der Kunst der Politiker gefördert wurden, um die Menschen gefügig zu machen und ihre natürliche Grausamkeit und Selbstsucht zu unterdrücken, die sie für das gesellschaftliche Leben unfähig machten. In der Tat muß diesem Prinzip von Vorschrift und Erziehung eingeräumt werden, daß es zumindest einen großen Einfluß auf die Empfindungen der Billigung oder der Abneigung hat, indem es sie oft über ihr natürliches Maß hinaus verstärkt oder abschwächt. In bestimmten Fällen kann dieses Prinzip sogar eine neue Empfindung dieser Art ohne ein natürliches Prinzip erschaffen, wie an allen abergläubischen Handlungsweisen und Gewohnheiten klar wird. Daß aber alle moralische Zu- oder Abneigung hieraus entspringt, wird sicher von keinem sorgfältigen Forscher zugegeben werden. Wenn die Natur keine derartige Unterscheidung getroffen hätte, die auf der ursprünglichen Struktur des Geistes basiert, fänden sich die Wörter ehrbar und schmachvoll, liebenswert und hassenswert, edel und verachtungswürdig in keiner Sprache; und die Politiker hätten sie nicht verständlich machen oder durch sie den Zuhörern irgendeine Idee vermitteln können, wenn sie diese Wörter nur erfunden hätten. Darum kann nichts oberflächlicher sein als dieses skeptische Paradox; und es wäre gut, wenn wir die anderen Spitzfindigkeiten dieser Sekte in den verworreneren Studien der Logik und der Metaphysik so leicht überwinden könnten, wie es in den praktischen und verständlicheren Wissenschaften der Politik und der Moral der Fall ist. Den sozialen Tugenden muß darum eine natürliche Schönheit und Liebenswürdigkeit zugestanden werden, die sie zunächst ohne alle Vorschrift und Erziehung der Schätzung der unbelehrten Menschheit empfehlen und deren Zuneigung hervorrufen. Und da der öffentliche Nutzen dieser Tugenden der Hauptumstand ist, aus dem sie ihren Wert beziehen, so folgt daraus, daß der Zweck, auf deren Verwirklichung sie hinzielen, uns auf irgendeine Art sehr angenehm sein und von irgendeiner na-

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türlichen Zuneigung Besitz ergreifen muß. Der Zweck muß uns entweder aufgrund von Erwägungen des Eigeninteresses oder aufgrund von edleren Motiven und Betrachtungen gefallen. Man hat oft behauptet, daß jeder Mensch daher, weil er eine starke Bindung an die Gesellschaft hat und die Unmöglichkeit seiner isolierten Erhaltung erkennt, auch eine positive Einstellung zu all denjenigen Gewohnheiten und Prinzipien gewinnt, die die Ordnung in der Gesellschaft fördern und ihm den ruhigen Besitz eines so unschätzbaren Gutes sichern. Ebenso wie wir unser eigenes Glück und unsere Wohlfahrt wertschätzen, müssen wir auch der Ausübung von Gerechtigkeit und Menschlichkeit applaudieren, durch die allein die soziale Gemeinschaft aufrechterhalten werden und jedermann die Früchte des gegenseitigen Schutzes und der Hilfe ernten kann. Diese Deduktion der Moral aus der Selbstliebe oder aus Rücksicht auf privates Interesse ist ein selbstverständlicher Gedanke, der nicht nur aus den mutwilligen Einfällen und leichtfertigen Angriffen der Skeptiker entstanden ist. Auch Polybios, um nicht noch andere anzuführen, einer der ernsthaftesten, vernünftigsten und darüber hinaus moralischsten Schriftsteller der Antike, behauptet diesen selbstsüchtigen Ursprung aller Empfindungen von Tugend.18 Aber selbst wenn der gesunde praktische Verstand dieses Autors und seine Aversion gegen alle Verletzung der Pflicht gegen die Eltern wird von der Menschheit mißbilligt, »proorwmšnouj tÕ mšllon, kaˆ sullogizomšnouj, Óti tÕ pa rapl»sion ˜k£stoij aÙtîn sugkur»sei« [»Sieht die Folgen voraus und bedenkt, daß dasselbe auch jeden anderen treffen kann.«] Undankbarkeit aus einem ähnlichen Grund (obwohl er hier auch eine großzügigere Ansicht vertritt), »sunaganaktoàntaj me`n tù tšlaj, ¢nafhšrontaj d’ ™p’ aÙtoàj tÕ parapl»sion. Ex ïn Øpog…gneta… tij œnnoia par’ ˜k£stñ toà kaq»kontoj dun£mewj kaˆ qewr…aj.« Lib. vi. cap. 4. [»Dann müssen selbstverständlich alle, die davon wissen, Mißfallen empfinden und Anstoß nehmen, die Empörung ihres Nächsten teilen und für sich selbst ein Gleiches befürchten.« Polybios, Geschichte. Gesamtausgabe in zwei Bänden, 1. Bd. Übersetzung von Hans Drexler (Zürich u. Stuttgart 1961)]. Vielleicht meinte der Historiker nur, daß unser Mitgefühl und unsere Menschlichkeit dadurch lebendiger werden, daß wir die Ähnlichkeit unseres Falles mit dem der Person betrachten, die leidet; und dies ist eine gerechte Empfindung. 18

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eitlen Spitzfindigkeiten seiner Autorität in dieser Sache große Bedeutung verleihen, so ist dies dennoch keine Angelegenheit, die durch Autorität zu entscheiden wäre, und die Stimme der Natur und der Erfahrung scheint der selbstsüchtigen Theorie deutlich zu widersprechen. Wir loben oft tugendhafte Handlungen, die in einem lang vergangenen Zeitalter und in weit entfernten Ländern vollzogen worden sind, wo die äußerste Spitzfindigkeit der Einbildungskraft keinen Anschein von Selbstinteresse entdecken oder eine Verbindung mit unserem gegenwärtigen Glück und unserer Sicherheit bezüglich dieser Ereignisse finden würde, die so weit von uns entfernt sind. Eine tapfere und edle Tat eines Gegners verlangt unsere Billigung, obwohl man zugibt, daß ihre Folgen unserem besonderen Interesse schaden könnten. Wenn das private Interesse mit der allgemeinen Zuneigung für die Tugend übereinkommt, dann sehen und befürworten wir sofort die Mischung dieser unterschiedlichen Empfindungen, die ein sehr unterschiedliches Gefühl und einen sehr verschiedenen Einfluß auf den Geist mit sich bringen. Vielleicht loben wir mit größerer Bereitwilligkeit, wenn eine großmütige und menschliche Handlung in unserem eigenen Interesse liegt. Aber die Gegenstände des Lobs, auf denen wir insistieren, sind weit von diesem Umstand entfernt. Außerdem können wir versuchen, andere von unseren Empfindungen zu überzeugen, und zwar ohne daß wir zu zeigen versuchen, daß sie irgendeinen Vorteil aus den Handlungen ziehen, die wir ihrer Billigung und ihrem Beifall empfehlen. Entwerfe das Modell eines lobenswerten Charakters, der alle liebenswertesten moralischen Tugenden besitzt. Gib Beispiele an, in denen sie sich in einer bemerkenswerten und außergewöhnlichen Art zeigen, so rufst du sofort die Wertschätzung und Billigung deines ganzen Publikums hervor, das nicht einmal danach fragt, in welchem Zeitalter und in welchem Land die Person lebte, die diese edlen Eigenschaften besaß. Dieser Umstand ist aber derjenige, der vor allen anderen für die Selbstliebe und die Sorge um unser eigenes Glück wesentlich ist.

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Es gab einmal einen Staatsmann, der im Konflikt und Parteienstreit so erfolgreich war, daß er durch seine Beredsamkeit die Verbannung eines geschickten Gegners erwirkte, dem er dann heimlich folgte und ihm zur Unterstützung im Exil Geld anbot. Außerdem beruhigte er ihn in seinem Unglück mit tröstenden Worten. Daraufhin rief der verbannte Staatsmann aus: »Aber mit welchem Bedauern muß ich meine Freunde in dieser Stadt verlassen, in der sogar meine Feinde so großzügig sind.« Tugend, wenn auch bei einem Feind, gefiel ihm. Und auch wir geben ihr das gerechte Maß an Lob und Billigung. Auch revidieren wir diesen Eindruck nicht, wenn wir hören, daß diese Handlungen vor zweitausend Jahren in Athen stattfanden und die Namen der Personen Aischines und Demosthenes waren. Was bedeutet mir dies? Es gibt wenige Fälle, in denen diese Frage nicht angebracht ist. Und wenn diese Frage wirklich diesen universellen und unfehlbaren Einfluß hätte, den man annimmt, dann würde sie jede Dichtung und fast jedes Gespräch lächerlich machen, das ein Lob oder eine Kritik der Menschen und Sitten beinhaltet. Es ist nur eine schwache Ausflucht, wenn man als Antwort auf diese Fakten und Argumente behauptet, daß wir uns durch die Kraft der Imagination in ferne Zeiten und Länder versetzen und die Vorteile betrachten, die wir von diesen Charakteren geerntet hätten, wenn wir ihre Zeitgenossen gewesen wären und mit diesen Personen Umgang gehabt hätten. Es ist unvorstellbar, wie eine wirkliche Empfindung oder Leidenschaft jemals aus einem als eingebildet erkannten Interesse entstehen kann – besonders, wenn unser wirkliches Interesse noch immer in Sicht bleibt und oft von dem eingebildeten gänzlich unterschieden, ja ihm manchmal sogar entgegengesetzt ist. Ein Mensch, der an einem Abgrund steht, kann nicht ohne Zittern hinuntersehen; und dabei bewegt ihn im Gegensatz zu einer Meinung oder einem Glauben an wirkliche Sicherheit die Empfindung einer eingebildeten Gefahr. Die Einbildungskraft wird jedoch hier von der Gegenwart eines augenfälligen Gegenstandes unterstützt; und dennoch ist sie nicht beherrschend, es sei denn, sie würde auch durch die Neuigkeit und die unge-

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wohnte Erscheinung des Gegenstandes beeinflußt. Gewohnheit beruhigt uns bald bei Höhen und Abgründen und läßt die falschen und irreführenden Beängstigungen in den Hintergrund treten. Das Umgekehrte läßt sich bei unseren Wertschätzungen von Charakteren und Sitten beobachten. Und je stärker wir uns an eine richtige Prüfung in der Moral gewöhnen, desto feinere Gefühle entwickeln wir in den subtilsten Unterscheidungen von Laster und Tugend. Wir haben im täglichen Leben tatsächlich so oft Gelegenheit, Urteile über alle Formen von moralischen Bestimmungen zu fällen, daß kein Gegenstand dieser Art uns jemals neu oder ungewohnt erscheinen kann. Auch können falsche Ansichten oder Vorurteile angesichts einer so allgemeinen und vertrauten Erfahrung keinen Bestand haben. Da es in der Hauptsache die Erfahrung ist, welche die Verbindung der Ideen herstellt, ist es unmöglich, daß sich irgendeine Verbindung im direkten Widerspruch zur Erfahrung entwickeln und durchsetzen kann. Nützlichkeit ist angenehm und ruft unsere Zustimmung hervor. Dies ist eine Tatsache, die durch die tägliche Beobachtung untermauert wird. Aber nützlich ? Wofür ? Sicherlich für jemandes Interesse. Doch wessen Interesse ? Sicher nicht allein unser eigenes Interesse, denn unsere Billigung reicht oft weiter. Es muß darum das Interesse derjenigen sein, denen durch den Charakter oder die gebilligte Handlung gedient ist; und wir können schließen, daß diese Menschen uns nicht vollkommen gleichgültig sind, wie entfernt auch immer sie von uns sein mögen. Durch die Aufstellung dieses Prinzips können wir eine wichtige Quelle der moralischen Unterscheidungen erkennen. Teil 2 Selbstliebe ist ein Prinzip der menschlichen Natur von einer derart großen Kraft und das Interesse eines jeden Individuums im allgemeinen so eng mit dem der Gemeinschaft verbunden, daß dies die Philosophen entschuldigt, die sich einbildeten, unsere ganze Sorge um die Öffentlichkeit reduziere sich auf die Sorge um unser eigenes Glück und unsere eigene Erhaltung. Sie sahen jeden Moment Beispiele der Zustimmung oder des Tadels, der

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Befriedigung oder der Unzufriedenheit gegenüber Charakteren und Handlungen; sie nannten die Gegenstände dieser Empfindungen Tugenden und Laster; sie beobachteten, daß die ersten eine Tendenz besaßen, das Glück, und die andern, das Unglück der Menschheit zu fördern; sie fragten, ob es möglich sei, daß uns eine kontinuierliche Rücksicht auf das menschliche Geschlecht oder ein uneigennütziges Mißfallen der Wohlfahrt oder der Verletzung anderer auszeichnen könnte; sie fanden es einfacher, all diese Empfindungen als Veränderungen der Selbstliebe zu betrachten. Und für diese Einheit des Prinzips fanden sie den scheinbaren Grund in jener so offenkundigen und engen Verbindung von öffentlichen und individuellen Interessen. Trotz dieser häufigen Verwirrung von Interessen ist es aber leicht, etwas anzustellen, das Naturphilosophen seit Lord Bacon gern das experimentum crucis nennen oder das Experiment, das angesichts eines Zweifels oder einer Zweideutigkeit den richtigen Weg weist. Wir haben Beispiele aufgewiesen, in denen das private Interesse von dem öffentlichen verschieden war oder ihm sogar widersprach; und doch beobachteten wir, daß sich die moralische Empfindung erhielt, obwohl die Interessen auseinandergingen. Und wo immer diese verschiedenen Interessen merklich übereinstimmten, fanden wir stets einen sinnfälligen Zuwachs der Empfindung und eine stärkere Zuneigung zur Tugend und größere Verachtung des Lasters, also zu dem, was wir angemessenerweise Dankbarkeit und Rache nennen. Überzeugt von diesen Beispielen, müssen wir die Theorie zurückweisen, die alle moralischen Empfindungen durch das Prinzip der Selbstliebe erklärt. Wir müssen eine eher auf die Allgemeinheit gerichtete Zuneigung annehmen und zugeben, daß uns die Interessen der Gesellschaft sogar um ihrer selbst willen nicht vollkommen gleichgültig sind. Nützlichkeit ist nur eine Tendenz zu einem bestimmten Ziele, und sie ist etwas, das uns als ein Mittel zum Zweck gefällt. Die Idee, daß uns etwas als Mittel zu einem Zweck gefällt, ohne daß uns der Zweck gefällt, konstituiert einen begrifflichen Selbstwiderspruch. Wenn die Nützlichkeit darum eine Quelle der moralischen Empfindungen ist, und sie nicht immer als das verstanden wird, was uns nützt, so

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folgt daraus, daß alles, was zum Glück der Gesellschaft beiträgt, sich selbst direkt unserer Billigung und unserem guten Willen empfiehlt. Dies ist ein Prinzip, das zu einem großen Teil den Ursprung der Moralität erklärt. Und warum sollten wir verworrene und fernliegende Systeme suchen, wenn es eines gibt, das so offensichtlich und natürlich ist.19 Haben wir irgendeine Schwierigkeit, die Kraft der Menschlichkeit und des Wohlwollens zu verstehen oder einzusehen, daß der Anblick von Glück, Freude und Erfolg selbst Vergnügen bereitet und der von Schmerz, Leiden und Sorge Unbehagen verursacht ? Horaz 20 sagt: Das Angesicht des Menschen leiht sich das Lächeln und die Tränen vom Angesicht der Menschheit. Wenn eine Person zur Einsamkeit verbannt wird, dann verliert sie alle Freuden, außer denen der sinnlichen oder spekulativen Art; und dies, weil die Bewegungen ihres Herzens nicht von den entsprechenden Bewegungen ihrer Mitmenschen unterstützt werden. Die Zeichen der Sorge und Trauer berühren uns mit Melancholie, obwohl sie willkürlich sind; aber die natürlichen Symptome wie Tränen, Ausrufe und Wehklagen fehlen nie darin, Mitleid und Bedrückung in uns hervorzuruEs ist unnötig, unsere Forschungen so weit zu treiben und zu fragen, warum wir Menschlichkeit oder Mitgefühl für andere haben. Es reicht, daß dies als ein Prinzip der menschlichen Natur erfahren wird. Wir müssen bei unserer Untersuchung der Ursachen irgendwo aufhören, und es gibt in jeder Wissenschaft einige allgemeine Prinzipien, über die hinaus wir ein noch allgemeineres zu finden nicht hoffen können. Kein Mensch ist vollkommen gleichgültig dem Glück und dem Leid anderer gegenüber. Das erste hat eine natürliche Tendenz, Freude zu bringen, das zweite, Schmerz zu bereiten. Dies kann jeder bei sich selbst beobachten. Es ist nicht wahrscheinlich, daß diese Prinzipien auf andere reduziert werden können, die einfacher und universeller sind, gleichgültig, welche Versuche in dieser Hinsicht gemacht worden sind. Aber selbst wenn es möglich wäre, dann gehörte es nicht zur gegenwärtigen Untersuchung, und wir dürfen diese Prinzipien hier mit Sicherheit als ursprünglich ansehen. Wir dürfen glücklich sein, wenn wir all ihre Folgen hinreichend klar und einsichtig machen können. 20 »Uti ridentibus arrident, ita flentibus adflent Humani vultus.« Hor. [»Wie wir lachenden Augen mit Lächeln begegnen, so weinen wir mit den Weinenden.« Horaz, De Arte Poetica Liber (Lateinisch/Deutsch). Übersetzung von Horst Rüdiger (Zürich 1961), 101 f.] 19

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fen. Und wenn uns die Wirkungen der Not in einer derartig lebhaften Weise berühren, können wir dann glauben, daß wir selbst vollkommen gefühllos und gleichgültig gegenüber ihren Ursachen sind, wenn uns ein bösartiger und verräterischer Charakter oder ein entsprechendes Verhalten begegnet ? Nehmen wir an, wir betreten eine bequeme, warme und gut eingerichtete Wohnung. Wir erfahren dann mit Sicherheit ein Vergnügen durch die Begutachtung dieser Wohnung selbst, weil sie uns die angenehmen Ideen der Leichtigkeit, Zufriedenheit und der Freude vermittelt. Der gastfreundliche, heitere und menschliche Eigentümer erscheint. Dieser Umstand muß sicher das Ganze noch verschönern; und wir können kaum verhindern, mit Vergnügen auf die Zufriedenheit zu reflektieren, die jeder durch seinen Umgang mit ihm und seinen guten Taten erfährt. Seine ganze Familie drückt ihre Zufriedenheit hinreichend durch die Freiheit, Leichtigkeit, Zuversicht und ruhige Freude aus, die sich in ihren Gesichtern spiegeln. Ich fühle ein angenehmes Mitgefühl angesichts aller Freuden, die sie versprechen, und ich kann ihre Quelle nie ohne die angenehmsten Gefühle wahrnehmen. Der Eigentümer verrät mir, daß ein rücksichtsloser und mächtiger Nachbar versucht hatte, ihm sein Erbe streitig zu machen. Seit langer Zeit stört dieser seine unschuldigen und sozialen Vergnügen. Ich bemerke sofort, daß in mir ein Ressentiment gegen eine solche Gewalt und Verletzung entsteht. Aber er fügt hinzu, es sei kein Wunder, daß eine private Verletzung von einem Mann herrührt, der Provinzen versklavt, Städte entvölkert und Schlachtfelder und Richtstätten mit menschlichem Blut getränkt hat. Ich werde angesichts so viel Leids von Abscheu erfüllt und von der stärksten Antipathie gegen den bewegt, der es hervorgerufen hat. Wohin wir auch gehen, auf was auch immer wir reflektieren oder über was auch immer wir uns unterhalten, es ist sicher, daß uns alles mit dem Bild des menschlichen Glücks und Leids konfrontiert und in unserer Brust eine mitfühlende Bewegung von Vergnügen oder Mißfallen hervorbringt. Dieses Prinzip übt

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stets einen aktiven Einfluß aus, sei es in unseren ernsthaften Beschäftigungen oder in unseren sorglosen Vergnügungen. Ein Mensch, der in das Theater geht, wird unmittelbar von der Ansicht einer sehr großen Menschenmenge getroffen, die an einem gemeinsamen Vergnügen teilnimmt, und er erfährt von dieser Ansicht selbst ein höheres Gefühl oder eine Fähigkeit, von jeder Empfindung berührt zu werden, die er mit seinen Mitmenschen teilt. Er bemerkt, daß die Schauspieler von der Erscheinung eines vollbesetzten Hauses animiert und zu einem Grad des Enthusiasmus gereizt werden, den sie in einem einsamen und ruhigen Moment nie erreichen würden. Von einem geschickten Dichter wird jede Gefühlsregung auf der Bühne den Zuschauern wie durch Magie übermittelt. Sie weinen, zittern, ärgern oder freuen sich und werden von der ganzen Vielfalt der Leidenschaften erregt, die auch verschiedenen Figuren im Drama erregen. Wenn irgendein Ereignis unsere Wünsche durchkreuzt und das Glück der beliebtesten Charaktere gefährdet, dann fühlen wir deutlich Angst und Sorge. Wenn aber ihre Leiden von dem Verrat, der Grausamkeit oder der Tyrannei eines Feindes herrühren, dann werden unsere Herzen von dem lebhaftesten Ärger über den ergriffen, der für diese schlechten Taten verantwortlich ist. Dabei gilt als Verletzung der Kunstregel, etwas kühl und gleichgültig darzustellen. Ein weitläufiger Freund oder Vertrauter, der kein unmittelbares Interesse an der Katastrophe hat, sollte vom Dichter möglichst gemieden werden, weil er dem Publikum eine ähnliche Gleichgültigkeit übermittelt und so die Steigerung der Leidenschaften verhindert. Wenige Arten der Dichtung sind unterhaltsamer als die pastorale, und jedermann weiß, daß die wichtigste Ursache des Vergnügens, das sie bereitet, in der Darstellung einer feinen und zarten Ruhe liegt, die sie in ihren Figuren repräsentiert und von denen sie dem Leser eine ähnliche Empfindung vermittelt. Sannazaro, der die Szene an den Meeresstrand verlegte, soll in seiner Wahl gefehlt haben, obwohl er in ihr die großartigsten Gegen-

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stände der Natur darstellte. Die Vorstellung von Mühe, Arbeit und Gefahr der Fischer ist schmerzlich wegen eines unvermeidlichen Mitgefühls, das eine jede Auffassung von menschlichem Glück oder Leid begleitet. Als ich zwanzig war, sagt ein französischer Dichter, war Ovid mein Liebling. Jetzt bin ich vierzig und ich bevorzuge Horaz. Wir fühlen mit Sicherheit die Empfindungen leichter, die denen ähnlich sind, die wir jeden Tag fühlen. Keine Leidenschaft jedoch kann uns ganz gleichgültig sein, wenn sie gut dargestellt wird, denn es gibt keine, von der ein Mensch nicht zumindest einen Keim und ein erstes Prinzip besitzt. Es ist die Aufgabe der Dichtung, uns alle Zuneigungen durch lebhafte Bilder und Vorstellungen näherzubringen und sie wie Wahrheit und Realität erscheinen zu lassen. Dies ist ein sicherer Beweis dafür, daß unsere Gemüter dazu neigen, stark von dieser Realität berührt zu werden, wenn sie gefunden wird. Jedes neue Ereignis oder jede Neuigkeit, die das Schicksal von Staaten, Provinzen oder vieler Individuen betrifft, ist sogar für diejenigen äußerst interessant, deren Wohlbefinden nicht unmittelbar betroffen ist. Derartige Nachrichten verbreiten sich schnell, werden mit Neugier gehört und mit Aufmerksamkeit und Sorgfalt geprüft. Das Interesse der Gesellschaft scheint in derartigen Fällen zu einem gewissen Grad identisch mit dem Interesse eines jeden einzelnen zu sein. Mit Sicherheit wird die Einbildungskraft berührt, obwohl die Leidenschaften nicht immer so stark und gleichbleibend sind, daß sie einen großen Einfluß auf das Benehmen und die Verhaltensweisen haben. Das Studium eines Geschichtsbuches scheint eine ruhige Form der Unterhaltung zu sein. Doch es wäre überhaupt keine Unterhaltung, wenn unsere Herzen nicht im gleichen Takt mit den Herzen derer schlagen würden, die der Historiker beschreibt. Thukydides und Guicciardini haben große Schwierigkeiten, unsere Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten. Der eine beschreibt die trivialen Auseinandersetzungen kleiner griechischer Städte, der andere die harmlosen Kriege von Pisa. Die geringe Anzahl betroffener Menschen und die kleinlichen Interessen

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befriedigen weder die Einbildungskraft, noch rufen sie Zuneigung hervor. Die tiefste Not der großen Armee der Athener vor Syrakus und die Gefahr, von der Venedig so sehr bedroht war, rufen Mitleid hervor und bereiten Furcht und Angst. Der indifferente und uninteressante Stil des Suetonius kann uns ebenso wie die meisterhafte Hand des Tacitus von der grausamen Verderblichkeit eines Nero oder Tiberius überzeugen. Aber welch ein Unterschied der Empfindung ! Während Suetonius kühl die Tatsachen berichtet, stellt uns Tacitus die verehrungswürdigen Figuren von Soranus und Thrasea vor Augen, die von ihrem Schicksal unerschüttert, nur vom tiefen Leid ihrer Freunde und Verwandten gerührt werden. Welche Sympathie rührt dann das menschliche Herz ! Wie groß ist die Verachtung gegen den Tyrannen, dessen grundlose Furcht und willkürliche Grausamkeit eine derart abscheuliche Barbarei hervorbrachten! Wenn wir uns diese Gegenstände näherbringen und jeden Verdacht von Erfindung und Betrug zerstreuen, wecken wir ein mächtiges Mitgefühl, das in vielerlei Hinsicht den engherzigen Regungen von Selbstliebe und privatem Interesse überlegen ist. Bürgerkrieg, Parteieneifer und unterwürfiger Gehorsam gegen einen Rädelsführer sind einige der sichtbarsten und weniger lobenswerten Folgen dieses sozialen Mitgefühls in der menschlichen Natur. Wir dürfen noch anmerken, daß uns selbst die Belanglosigkeit des Gegenstandes nicht vollkommen von dem ablenken kann, was ein Bild der menschlichen Empfindung und Zuneigung mit sich bringt. Wenn jemand stottert oder Schwierigkeiten mit der Aussprache hat, sympathisieren wir sogar mit dieser trivialen Behinderung und leiden mit ihm. Auch ist es eine Regel der Kritik, daß jede Kombination von Silben oder Buchstaben, die den Sprachorganen beim Rezitieren Schmerzen bereitet, auch dem Ohr aufgrund einer Art des Mitgefühls hart und unangenehm erscheint. Selbst wenn wir ein Buch mit unseren Augen überfliegen, bemerken wir eine derartig unharmonische Komposition, weil wir immer noch annehmen, daß eine Person es uns vorträgt

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und an der Betonung dieser störenden Laute leidet. So fein ist unser Mitgefühl. Leichte und ungezwungene Haltungen und Bewegungen sind immer schön. Der Eindruck von Gesundheit und Lebenskraft ist angenehm. Kleider, die wärmen, ohne den Körper zu belasten, die bedecken, ohne die Glieder einzuengen, sind gut geschneidert. In jedes Urteil über Schönheit werden die Gefühle der betroffenen Personen in die Betrachtung einbezogen und vermitteln dem Beobachter ähnliche Eindrücke von Schmerz oder Vergnügen.21 Darum sollte es nicht verwundern, daß wir kein Urteil über den Charakter und das Verhalten von Menschen aussprechen können, ohne die Tendenz ihrer Handlung und das Glück oder Unglück zu betrachten, das für die Gesellschaft aus diesen erwächst. Welche Verbindung von Ideen könnte jemals entstehen, wenn dieses Prinzip dabei unbeteiligt wäre. 22 »Decentior equus cujus astricta sunt ilia; sed idem velocior. Pulcher aspectu sit athleta, cujus lacertos exercitatio expressit; idem certamini paratior. Nunquam enim species ab utilitate dividitur. Sed hoc quidem discernere modici judicii est.« Quintilian Inst. lib. viii. cap. 3 [»Zierlicher ist ein Pferd anzuschauen, dessen Flanken schlank sind, aber zugleich ist es auch schneller. Mag schön als Anblick ein Ringer sein, dessen Muskeln das Training ausgeprägt hat, zugleich ist er dadurch besser zum Wettkampf gerüstet. Niemals läßt sich, was wirklich schön aussieht, trennen von der Zweckmäßigkeit. Doch um dafür den Blick zu schärfen, bedarf es nur mäßiger Urteilskraft.« Quintilianus, Ausbildung des Redners (Lateinisch/Deutsch). Übersetzung von Helmut Rahn (Darmstadt 1975), Buch 8, Kap. 3, §§ 9 f.] 22 Im Verhältnis zum Status eines Menschen und nach den Beziehungen, in denen er sich befindet, erwarten wir stets ein größeres oder kleineres Maß an Gutem, und wenn wir enttäuscht werden, dann tadeln wir seine Nutzlosigkeit. Noch mehr tadeln wir ihn, wenn etwas Schlechtes oder ein Nachteil durch sein Benehmen und Verhalten entsteht. Wenn die Interessen eines Landes mit denen eines anderen kollidieren, dann bewerten wir das Verdienst eines Staatsmannes nach dem Guten oder Schlechten, das seinem eigenen Land aus seinen Maßnahmen oder Ratschlägen erwächst, ohne zu berücksichtigen, welcher Nachteil seinen Feinden und Rivalen daraus erwächst. Seine Mitbürger sind dasjenige, was dem Auge in der Beurteilung seines Charakters als das nächste erscheint. Und so wie die Natur allen Menschen ein höheres Gefühl für 21

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Wenn ein Mensch aus kalter Gefühllosigkeit oder engherziger Selbstsucht des Temperaments vollkommen gleichgültig gegenüber dem Anblick menschlichen Glücks oder Unglücks ist, dann muß er genauso gleichgültig angesichts von Laster und Tugend sein. Ebenso können wir andererseits beobachten, daß eine wohlwollende Anteilnahme an den Interessen unserer Gattung immer von einem subtilen Gefühl aller moralischen Unterscheidungen begleitet wird, wie auch von ausgeprägtem Haß gegen Verletzungen der Menschen und lebhafter Billigung ihres Wohlbefindens. Auch wenn man hier große Unterschiede bei verschiedenen Menschen beobachten kann, ist doch niemand gegenüber den Interessen seiner Mitmenschen so vollkommen gleichgültig, daß er keine Unterschiede zwischen dem moralisch Guten und dem moralisch Bösen wahrnimmt, wenn er verschiedene Zwecke von Handlungen und Prinzipien bemerkt. Wie sollte es in der Tat möglich sein, daß jemand, der ein menschliches Herz hat, nicht zumindest eine kühle Präferenz für einen wohltätigen Charakter oder ein nützliches System des Verhaltens fühlt, wenn er diese mit solchen vergleicht, die seiner Gattung oder Gemeinschaft schädlich sind ? Wäre es möglich, daß er dem ersten Charakter oder System das geringste Verdienst und den geringsten Vorteil abspricht ? Nehmen wir einmal an, daß eine derartige Person äußerst egoistisch ist, daß ihre privaten Interessen ihre Aufmerksamkeit fast vollkommen beanspruchen, so muß sie doch in Fällen, wo diese Interessen keine Rolle spielen, unausweichlich eine gewisse Neigung zum Wohl der Menschheit fühlen und dieses zu einem Gegenstand ihrer Wahl machen, wenn alle anderen Dinge gleichgültig sind. Würde ein Spaziergänger ebenso gern auf die gichtkranken ihr eigenes Land eingepflanzt hat, so erwarten wir nie eine Rücksicht auf weit entfernte Nationen, wenn ein Wettstreit entsteht. Ganz abgesehen davon, wird das allgemeine Interesse der Menschheit mehr gefördert, wenn jeder Mensch das Gut seiner eigenen Gemeinschaft im Auge hat, anstatt irgendwelche lockeren und unscharfen Ansichten über das Wohl der menschlichen Gattung zu haben, aus welchen nie eine wohltätige Handlung entstehen kann, da ein richtig bestimmter Gegenstand fehlt, auf den sie zielen könnte.

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Zehen eines anderen treten, mit dem er keinen Streit hat, wie auf den harten Stein und das Pflaster ? Sicher besteht in diesem Fall ein Unterschied. Wir berücksichtigen mit Sicherheit das Glück und Unglück anderer, auch wenn wir die verschiedenen Motive einer Handlung abwägen, und wir bevorzugen deren Glück, wenn keine Rücksicht auf eigene Interessen uns dazu bringt, unser eigenes Glück oder unseren eigenen Vorteil durch die Verletzung unserer Mitmenschen zu suchen. Und wenn die Prinzipien der Menschlichkeit in vielen Fällen unsere Handlungen beeinflussen können, dann müssen sie immer eine gewisse Macht über unsere Gefühle besitzen und uns zu einer allgemeinen Billigung dessen führen, was der Gesellschaft nützt, und einem Tadel dessen, was gefährlich und schädlich ist. Die Grade dieser Empfindung mögen Gegenstand von Kontroversen sein, aber die Realität ihrer Existenz muß, wie man meinen sollte, in jeder Theorie und jedem System akzeptiert werden. Wenn es ein vollkommen bösartiges und gehässiges Geschöpf gäbe, dann könnte es nicht nur gleichgültig gegenüber gut und böse sein, sondern müßte das Böse bevorzugen. All seine Empfindungen wären verkehrt und genau denen entgegengesetzt, die im menschlichen Geschlecht vorherrschen. Alles, was zum Gut der Menschheit beiträgt, muß Unruhe und Mißbilligung hervorrufen, da es der ständigen Umkehrung seiner Wünsche und seines Verlangens widerspricht, und alles, was Quelle von Unordnung und Unglück ist, muß stattdessen aus demselben Grund mit Vergnügen und Zufriedenheit betrachtet werden. Timon, der von vielen wahrscheinlich mehr wegen einer vorgetäuschten Laune als wegen einer tiefsitzenden Bosheit »der Menschenhasser« genannt wurde, umarmte Alkibiades mit großer Zuneigung: »Mach weiter so, mein Junge«, rief er, »erwerbe dir das Vertrauen der Leute. Ich sehe voraus, daß du eines Tages die Ursache von großem Unglück für sie sein wirst.«23 Wenn wir die zwei Prinzipien der Manichäer akzeptieren könnten, dann hätte dies unausweichlich zur Folge, daß sich ihre Empfindungen von menschlichen Handlungen wie auch von allem anderen 23

Plutarch. In vita Alc. [Plutarch, Leben, Kap. 16, § 6, 199 C–D]

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einander vollkommen widersprächen, und daß jedes Beispiel von Gerechtigkeit und Menschlichkeit aufgrund seiner notwendigen Tendenz der einen Gottheit gefallen und der anderen mißfallen müßte. Die ganze Menschheit ähnelt so sehr dem guten Prinzip, daß wir wegen unserer natürlichen Philanthropie stets dazu neigen, dem Glück der Gesellschaft und darum der Tugend den Vorzug vor ihrem Gegenteil zu geben, außer in den Fällen, in denen Interesse, Vergeltung oder Neid unsere Neigung verderben. Absolute, willkürliche oder uneigennützige Bösartigkeit hat vielleicht nie einen Platz in der menschlichen Brust. Und wenn dem doch so wäre, dann müßte sie alle moralischen Empfindungen und alle Gefühle der Menschlichkeit verderben. Wenn die Grausamkeit des Nero als aus freiem Willen entstammend und nicht als die Wirkung einer permanenten Furcht und Vergeltungssucht angesehen würde, dann ist es offenbar, daß Tigelinus, und nicht Seneca oder Burrhus seine andauernde und gleichartige Zustimmung erfahren hätten. Einem Staatsmann oder Patrioten, der unserem eigenen Land in unserer jetzigen Zeit dient, wird immer ein leidenschaftlicherer Tribut gezollt als einem solchen, dessen wohltätiger Einfluß sich auf weit zurückliegende Zeiten oder entfernte Länder erstreckte, wo das Gute, das aus seiner großzügigen Menschlichkeit resultiert, dunkler erscheint, weil es weniger mit uns verbunden ist und ein weniger lebhaftes Mitgefühl hervorruft. Wir geben vielleicht zu, daß das Verdienst gleich groß ist, auch wenn unsere Empfindungen in diesen zwei Fällen nicht den gleichen Grad erreichen. Hier korrigiert das Urteil die Ungleichheit unserer inneren Gefühle und Wahrnehmungen genau so, wie es uns auch vor Irrtum schützt, wenn unseren äußeren Sinnen verschiedene Perspektiven von Bildern gezeigt werden. Derselbe Gegenstand, der doppelt so weit entfernt ist, wirft eigentlich ein Bild der halben Ausdehnung auf das Auge, und dennoch bilden wir uns ein, daß er in beiden Fällen gleich groß ist, weil wir wissen, daß sich sein Abbild im Auge vergrößern würde, wenn wir uns ihm näherten, und daß der Unterschied nicht im Gegenstand selbst zu finden ist, sondern aus unserer Position zu ihm resultiert. Und in der Tat könnten die Menschen ohne eine

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derartige Korrektur der Erscheinungen im inneren wie auch im äußeren Sinn niemals in derselben Weise über irgendeinen Gegenstand denken oder sprechen, wenn dessen fluktuierende Zustände eine ständige Variation von Gegenständen produzieren und diese in sehr verschiedenen und gegensätzlichen Beleuchtungen und Positionen darbieten würden.24 Je mehr wir mit den Menschen reden und je mehr sozialen Umgang wir pflegen, desto vertrauter werden wir mit diesen allgemeinen Vorlieben und Unterschieden, ohne welche unsere Unterhaltung und Rede anderen kaum verständlich zu machen wäre. Jeder hat seine eigentümlichen Interessen; und die Abneigungen und Verlangen, die daraus entstehen, dürfen nicht so verstanden werden, daß sie andere im gleichen Maße berühren. Die gemeinsame Sprache, die für den allgemeinen Gebrauch geformt ist, muß darum auf einigen allgemeineren Ansichten basieren, und wir müssen die Bezeichnungen von Lob und Tadel im Einklang mit den Empfindungen festsetzen, die aus dem allgemeinen Interesse der Gemeinschaft herrühren. Und diese Empfindungen sind bei den meisten Menschen Aus einem ähnlichen Grund werden nur die Tendenzen der Handlungen und Charaktere, und nicht ihre wirklichen, zufälligen Folgen in unseren moralischen Bestimmungen oder allgemeinen Urteilen betrachtet, obwohl wir es in unseren wirklichen Gefühlen oder Empfindungen nicht vermeiden können, daß wir einen Menschen, der durch seinen Stand und seine Tugend für die Gesellschaft wirklich nützlich ist, höher achten als einen, der die sozialen Tugenden nur durch gute Intentionen und wohlwollende Gefühle ausdrückt. Wenn wir den Charakter vom Schicksal durch eine leichte und notwendige Anstrengung des Denkens trennen, erklären wir beide als gleichwertig und geben beiden dasselbe allgemeine Lob. Das Urteil korrigiert oder versucht die Erscheinung zu korrigieren. Es kann jedoch unsere Empfindung nicht vollkommen überwinden. Warum wird ein Pfirsichbaum höher als ein anderer geschätzt, wenn nicht wegen der größeren Menge oder besseren Qualität der Früchte, die er hervorbringt ? Und würde man ihn nicht genauso loben, wenn Schnekken oder Ungeziefer die Pfirsiche zerstört hätten, bevor sie vollkommen reif waren ? Und sagen wir nicht auch in der Moral, der Baum wird durch seine Früchte erkannt ? Und können wir nicht in beiden Fällen genauso leicht zwischen Natur und Zufall unterscheiden ? 24

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nicht so intensiv wie diejenigen, die in Beziehung zu privatem Gut stehen. Sie müssen aber selbst bei den verdorbensten und selbstsüchtigsten Menschen einen Unterschied ausmachen und einem wohltätigen Handeln den Begriff des Guten und einem entgegengesetzten den Begriff des Bösen zuweisen. Wir werden zwar zugeben, daß dieses Mitgefühl sehr viel schwächer ist als unsere Rücksicht auf uns selbst, und daß unser Mitgefühl für Personen, die weit von uns entfernt sind, viel schwächer ist als das für Personen, die uns nahe oder die anwesend sind. Gerade aus diesem Grund ist es jedoch für uns notwendig, bei unseren besonnenen Urteilen und bei Reden über die Charaktere der Menschen von all diesen Unterschieden abzusehen und unsere Empfindungen öffentlich und sozial zu machen. Darüber hinaus verändert sich diesbezüglich oft unsere Situation, und wir treffen häufig Personen, die in einer anderen Situation sind als wir, und die sich nie mit uns unterhalten könnten, wenn wir immer nur auf der Position und dem Gesichtspunkt beharren würden, die uns eigentümlich sind. Der Umgang mit Gefühlen in der Gesellschaft und in der Konversation führt daher dazu, daß wir einige allgemeine und unveränderliche Kriterien entwickeln, mit deren Hilfe wir Charaktere und Benehmen billigen oder mißbilligen können. Und obwohl das Herz weder völlig an diesen allgemeinen Begriffen teilnimmt noch seine ganze Liebe und seinen ganzen Haß durch die universellen und abstrakten Unterscheidungen von Laster und Tugend ganz ohne Rücksicht auf das Selbst oder die Personen reguliert, mit denen wir intimere Verbindungen pflegen, so haben diese moralischen Unterscheidungen doch einen beträchtlichen Einfluß und dienen, da sie zumindest hinreichend für die Unterhaltung sind, allen unseren Zwecken in der Gesellschaft, auf der Kanzel, im Theater und in den Schulen.25 Es ist von der Natur weise eingerichtet, daß private Verbindungen gemeinhin den Vorrang vor allgemeinen Ansichten und Überlegungen haben sollen; denn sonst würden sich unsere Neigungen und Handlungen mangels eines angemessenen Gegenstandes zu sehr ausdehnen und verlieren. Darum erregt eine kleine Wohltat, die uns oder einem nahen Freund erwiesen wurde, lebhaftere Gefühle der Liebe und Billigung als 25

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Darum erscheint der Wert, den wir den sozialen Tugenden beimessen, derselbe, gleichgültig aus welchem Winkel wir sie betrachten. Er entsteht in der Hauptsache aus der Beachtung der Interessen der Menschheit und der Gesellschaft, zu der uns die natürliche Empfindung des Wohlwollens führt. Wenn wir die Prinzipien der menschlichen Natur betrachten, wie sie in der täglichen Erfahrung und Beobachtung erscheinen, dann müssen wir a priori schließen, daß es für ein Geschöpf wie den Menschen ebenso unmöglich ist, der Wohlfahrt und dem Unglück seiner Mitgeschöpfe gegenüber vollkommen gleichgültig zu sein, wie es ihm unmöglich ist, nicht unmittelbar und ohne weitere Rücksicht oder Betrachtung das als gut zu bezeichnen, was das Glück fördert, und das als schlecht, was zum Unglück führt, sofern nicht etwas durch eine bestimmte Vorliebe hervorgerufen wurde. Dies sind die ungefähren Grundlinien oder der Entwurf eines allgemeinen Unterschieds zwischen Handlungen. Und in dem Maße, in dem die Menschlichkeit einer Person zunimmt, wächst nicht nur seine Verbundenheit mit denen, die verletzt oder gerettet wurden, sondern auch seine lebendige Auffassung ihres Unglücks oder Glücks. Der Tadel und die Billigung, die durch diese Erfahrungen hervorgerufen werden, erwerben eine entsprechende Macht. Es ist nicht notwendig, daß eine großzügige Handlung, die in einer alten Geschichte oder fremden Zeitung nur erwähnt wird, derartig starke Gefühle von Beifall und Bewunderung hervorrufen sollte. Tugend, die so weit entfernt ist, ähnelt einem Fixstern, der so unendlich weit entfernt ist, daß er die Sinne weder durch Licht noch durch Hitze erregt, obwohl er dem Auge der Vernunft so hell wie die Sonne am Mittag erscheinen kann. Wenn uns diese Tugend durch Bekanntschaft oder Verbindung mit den Personen oder auch nur durch eine eindrucksvolle Darstellung des Falles nähergebracht wird, dann werden unsere Herzen sofort davon eineine große Wohltat, die einer entfernten Gemeinschaft erwiesen wurde. Doch sind wir hier, wie bei all unseren Sinnen, in der Lage, diese Ungleichheit durch Reflexion auszugleichen und einen allgemeinen Standard von Laster und Tugend aufrechtzuerhalten, der hauptsächlich auf dem allgemeinen Nutzen beruht.

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genommen, unser Mitgefühl belebt und unsere kühle Billigung in die wärmste Empfindung von Freundschaft und Aufmerksamkeit verwandelt. Diese Dinge scheinen notwendige und unfehlbare Folgen der allgemeinen Prinzipien der menschlichen Natur zu sein, wie sie im täglichen Leben und in der täglichen Praxis entdeckt werden. Nochmals: kehre diese Ansichten und Argumente um. Betrachte die Sache a posteriori und untersuche, die Folgen abwägend, ob das Verdienst der sozialen Tugend nicht in großem Maße von den Gefühlen der Menschlichkeit abhängt, die den Zuschauer berühren. Es scheint eine Tatsache zu sein, daß der Umstand des Nutzens bei allen Dingen eine Quelle des Lobs und der Billigung ist, daß man sich bei allen moralischen Entscheidungen über das Verdienst oder die Schädlichkeit von Handlungen ständig darauf beruft, daß er die einzige Quelle der Hochschätzung ist, die man der Gerechtigkeit, Treue, Ehre, Bürgerpflicht und Keuschheit entgegenbringt, daß er untrennbar ist von allen anderen sozialen Tugenden wie die der Menschlichkeit, Großzügigkeit, Barmherzigkeit, Höflichkeit, Milde, Gnade und Mäßigung, und daß er, mit einem Wort, das Fundament des wichtigsten Teils der Moral ist, der unsere Verbindung mit der Menschheit und unseren Mitgeschöpfen zeigt. Es scheint auch, daß uns bei unserer allgemeinen Billigung von Charakteren und Sitten die nützliche Tendenz der sozialen Tugenden nicht durch Rücksicht auf Selbstinteressen bewegt, sondern daß sie einen allgemeineren und ausgedehnteren Einfluß hat. Es scheint, daß uns eine Tendenz zum öffentlichen Wohl und zur Förderung von Frieden, Harmonie und Ordnung in der Gesellschaft immer für die sozialen Tugenden einnimmt, weil es die wohlwollenden Prinzipien unserer Natur anregt. Und weiterhin scheint dadurch bestätigt zu werden, daß diese Prinzipien der Menschlichkeit und des Mitgefühls so tief in all unsere Empfindungen eindringen und einen derart mächtigen Einfluß haben, daß sie die stärkste Ablehnung und den stärksten Beifall erregen können. Die gegenwärtige Theorie ist das einfache Resultat all dieser Argumente, wovon sich jedes auf gleichförmige Erfahrung und Beobachtung stützt.

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Wäre es zweifelhaft, ob es derartige Prinzipien wie Menschlichkeit oder eine Sorge um andere in unserer Natur gibt, dann sollten wir dennoch die Macht des wohlwollenden Prinzips von den zahllosen Beispielen lernen, in denen alles, was eine Tendenz hat, die Interessen der Gesellschaft zu fördern, den höchsten Beifall findet, da es für eine Sache vollkommen unmöglich ist, uns als Mittel zu einem Zweck zu gefallen, wenn uns der Zweck vollkommen gleichgültig ist. Andererseits, wenn es zweifelhaft wäre, ob unserer Natur ein allgemeines Prinzip des moralischen Tadels und der Billigung eingepflanzt wäre, dann sollten wir dennoch aus den zahllosen Beispielen des Einflusses der Menschlichkeit schließen, daß jedes Ding, welches die Interessen der Gesellschaft fördert, Vergnügen, und was schädlich ist, Unbehagen verbreiten muß. Wenn aber diese unterschiedlichen Reflexionen und Beobachtungen übereinstimmen und zu derselben Schlußfolgerung führen, müssen sie ihr dann nicht eine unbestreitbare Evidenz verleihen ? Wir hoffen allerdings, daß die Weiterführung dieses Arguments eine weitere Bestätigung der gegenwärtigen Theorie bringen wird, indem sie die Entstehung anderer Empfindungen der Achtung und der Wertschätzung aus denselben oder ähnlichen Prinzipien aufzeigt.

abschnitt 6

Von Eigenschaften, die uns selbst nützlich sind Teil 1 Es scheint offenbar, daß eine Eigenschaft oder Gewohnheit sofort getadelt und zu den Fehlern und Unvollkommenheiten gezählt wird, wenn nach unserer Prüfung klar wird, daß sie der Person, die sie besitzt, in irgendeiner Hinsicht zum Nachteil gereicht oder sie unfähig macht, ein Geschäft oder eine Handlung auszuführen. Faulheit, Nachlässigkeit, Unordentlichkeit, Planlosigkeit, Starrsinn, Unbeständigkeit, Unbesonnenheit, Leichtgläubigkeit, all diese Eigenschaften wurden noch von niemandem als für den Charakter unbedeutend angesehen, geschweige denn als eine Leistung oder Tugend gelobt. Das auf sie gegründete Vorurteil fällt uns unmittelbar ins Auge und erzeugt in uns die Empfindung des Schmerzes und der Mißbilligung. Man gibt zu, daß keine Eigenschaft entweder absolut tadelns- oder absolut lobenswert ist. Es handelt sich immer um Abstufungen. Die Peripatetiker sagten, daß die angemessene Mitte die Eigenschaft der Tugend ist. Diese Mitte wird aber in der Hauptsache durch den Nutzen bestimmt. So sind etwa angemessene Eile und Pünktlichkeit im Geschäft lobenswert. Wenn sie fehlen, wird in der Verfolgung eines Zieles kein Fortschritt gemacht. Wenn sie übertrieben werden, führen sie uns zu voreiligen und schlecht geplanten Entscheidungen und Unternehmungen. Durch solche Argumente bestimmen wir das angemessene und lobenswerte Mittelmaß in allen moralischen und praktischen Untersuchungen und bemerken immer die Vorteile, die sich aus einem Charakter oder einer Angewohnheit ergeben. Da aber die Vorteile von der Person, die diesen Charakter besitzt, genossen werden, kann es nie die Selbstliebe sein, die uns als Zuschauern die Erwartung dieser Vorteile angenehm macht

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und unsere Schätzung und Billigung hervorruft. Keine noch so starke Einbildungskraft kann uns in eine andere Person verwandeln und uns vorgaukeln, daß wir, wären wir diese Person, Vorteile aus diesen ihr zugehörigen wertvollen Eigenschaften ziehen. Und wenn dies so sein sollte, könnte keine Einbildungskraft uns so schnell in uns selbst zurückversetzen und uns die Person als verschieden von uns schätzen und lieben lassen. Ansichten und Empfindungen, die so deutlich der anerkannten Wahrheit entgegenstehen und sich widersprechen, könnten nie in der gleichen Person zur selben Zeit Bestand haben. Jeder Verdacht auf selbstsüchtige Rücksichten ist darum hier vollkommen ausgeschlossen. Es ist ein vollkommen anderes Prinzip, das in diesem Falle unser Herz bewegt und Interesse am Glück derjenigen Person erweckt, die wir betrachten. Wenn ihre natürlichen Talente und ihre erworbenen Fähigkeiten uns Fortkommen, gesellschaftlichen Aufstieg, eine Position im Leben, einen lohnenden Erfolg, eine stetige Herrschaft über das Glück und die Ausführung von großen und vorteilhaften Unternehmungen erwarten lassen, stellen sich angenehme Bilder ein, und es entstehen unmittelbar Zufriedenheit und Achtung für sie. Die Vorstellungen von Glück, Freude, Triumph und Reichtum sind mit jeder ihrer Charaktereigenschaften verbunden und verbreiten eine angenehme Empfindung von Mitgefühl und Menschlichkeit über unser Gemüt.26 Man kann zu behaupten wagen, daß es kein menschliches Geschöpf gibt, dem die Erscheinung von Glück kein Vergnügen und die von Unglück kein Mißvergnügen bereitet (solange es keinen Neid oder keine Rache gibt). Dies scheint untrennbar mit unserer Art und Konstitution verbunden zu sein. Aber es sind nur die großzügigeren Gemüter, die deswegen enthusiastisch das Wohl anderer suchen und eine wirkliche Leidenschaft für deren Wohlfahrt besitzen. Bei Männern von engen und wenig großzügigen Gemütern geht dieses Mitgefühl nicht über ein schwaches Gefühl der Einbildungskraft hinaus, das nur dazu dient, Empfindungen von Zufriedenheit oder Tadel hervorzubringen und dem Gegenstand ehrenhafte oder unehrenhafte Namen beizulegen. Ein nörgelnder Geizhals zum Beispiel zollt auch anderen, zum Beispiel für Fleiß und Sparsamkeit, das größte Lob und setzt diese Eigenschaften in seiner Schätzung über alle anderen Tugenden. Er kennt das Gute, das aus ihnen 26

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Stellen wir uns eine Person vor, die ursprünglich so beschaffen ist, daß sie auf ihre Mitgeschöpfe in keiner Weise Rücksicht nimmt, sondern das Glück und Unglück aller sinnlichen Wesen mit noch größerer Gleichgültigkeit betrachtet als zwei Schattierungen einer Farbe, die sich unmittelbar nebeneinander befinden. Wenn wir annehmen, daß der Wohlstand von Nationen in die eine ihrer Hände gelegt würde, deren Ruin in die andere, und sie sich für eines entscheiden müßte, so stünde diese Person da wie der Esel des Scholastikers, unentschieden zwischen gleichen Motiven und unbeeindruckt von ihnen; oder vielmehr wie derselbe Esel zwischen zwei Blöcken Holz oder Marmor, ohne irgendeine Neigung für oder Tendenz zu einer Seite hin. Der Schluß, den man meiner Meinung nach hieraus gerechterweise ziehen muß, ist der, daß eine derartige Person, weil sie vollkommen uninteressiert an dem öffentlichen Gut einer Gemeinschaft oder dem privaten Nutzen anderer ist, jede Eigenschaft, unabhängig davon, wie schädlich oder nützlich sie für die Gesellschaft oder den Besitzer der Eigenschaft ist, mit derselben Indifferenz betrachtet wie den gewöhnlichsten und uninteressantesten Gegenstand. Wenn wir uns aber anstelle dieses eingebildeten Ungeheuers einen Menschen vorstellen, der in diesem Fall ein Urteil oder eine Entscheidung trifft, dann gibt es für diesen, wenn alle anderen Dinge gleich sind, einen einfachen Grund für eine Vorliebe. Wie kühl seine Wahl auch immer sein mag, auch wenn sein Herz selbstsüchtig ist oder die betroffenen Personen weit von ihm entfernt sind, muß es dennoch immer eine Wahl und eine Unterscheidung geben zwischen dem, was nützlich, und dem, was schädlich ist. Nun ist diese Unterscheidung in jeder Hinsicht mit der moralischen Unterscheidung identisch, deren Grundlage so oft und so vergeblich gesucht worden ist. Dieselben Fähigkeiten des Gemüts sind in allen Situationen dem Moralempfinden fließt, und fühlt die Art des Glücks mit einem lebendigeren Mitgefühl als an irgendeiner anderen Tugend, die man ihm vorstellen könnte, auch wenn er sich vielleicht von keinem Groschen trennen würde, um das Glück des fleißigen Mannes zu befördern, den er so hoch lobt.

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und der Menschlichkeit angenehm. Dasselbe Temperament kann einen hohen Grad der einen oder der anderen Empfindung erfahren. Und dieselbe Veränderung in den Gegenständen belebt durch die Annäherung oder durch Assoziationen beide Empfindungen. Nach allen Regeln der Philosophie müssen wir daher schließen, daß diese Empfindungen ursprünglich dieselben sind, da sie sogar in den kleinsten Details von denselben Gesetzen regiert und von denselben Gegenständen hervorgerufen werden. Warum schließen Philosophen mit größter Sicherheit darauf, daß der Mond durch dieselbe Schwerkraft auf seiner Bahn gehalten wird, welche die Körper nahe der Erdoberfläche fallen läßt, wenn nicht aufgrund der berechneten Ähnlichkeit oder Gleichheit der Wirkungen ? Und muß dieses Argument nicht die gleiche Überzeugungskraft für moralische Untersuchungen haben wie für die Untersuchung der Natur ? Bis ins Detail zu beweisen, daß alle Eigenschaften, die ihrem Träger nützlich sind, gebilligt werden und deren Gegenteil getadelt wird, wäre überflüssig. Die kleinste Reflexion auf die Erfahrungen des täglichen Lebens ist dafür hinreichend. Wir werden nur einige wenige Beispiele anführen, um nach Möglichkeit allen Zweifel und alle Bedenken auszuräumen. Die Eigenschaft, die für die Ausführung eines jeden nützlichen Geschäfts am notwendigsten ist, ist die Besonnenheit. Durch diese haben wir einen sicheren Umgang mit anderen, haben angemessene Rücksicht auf unseren eigenen Charakter und den anderer. Durch sie können wir jeden Aspekt des Unternehmens, das wir beginnen, abwägen und den gewissesten und sichersten Weg zur Erlangung eines jeden Ziels und Zweckes einschlagen. Für einen wie Cromwell etwa oder De Retz mag die Besonnenheit wie die Tugend eines Ratsherren erscheinen, wie Dr. Swift sie nennt. Und da sie unvereinbar ist mit den großen Vorhaben, zu denen ihr Mut und ihr Ehrgeiz sie trieb, könnte sie bei ihnen wirklich ein Fehler oder eine Unvollkommenheit sein. Aber im Geschäft des täglichen Lebens ist keine Tugend notwendiger als diese, und zwar nicht nur, um Erfolg zu haben, sondern auch, um die fatalsten Mißerfolge und Enttäu-

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schungen zu vermeiden. Die größten Anlagen mögen, wie ein eleganter Schriftsteller bemerkt, ohne die Besonnenheit für ihren Besitzer verderblich sein, so wie Polyphemos ohne sein Auge durch seine enorme Stärke und Statur nur noch stärker gefährdet war. Wenn er nicht zu vollkommen für die Menschheit wäre, dann wäre der beste Charakter ein solcher, der von keinem Temperament beherrscht wird, sondern abwechselnd Unternehmungslust und Vorsicht anwendet, so wie es für einen bestimmten Zweck nützlich ist. Dies ist die Gabe, die St. Evremond dem Marschall Turenne zuschreibt, der, je älter er wurde, mit jedem Feldzug größere Vorsicht in seinen militärischen Unternehmungen zeigte; und dann, als er sich aus langer Erfahrung mit allen Kriegshandlungen vollkommen auskannte, rückte er mit größerer Festigkeit und Sicherheit auf einem wohlbekannten Weg vor. Machiavelli sagt, daß Fabius vorsichtig und Scipio unternehmungslustig war. Beide waren erfolgreich, weil die Umstände, die während ihrer Befehlshaberschaft in Rom vorherrschten, ihrem Genie besonders entgegenkamen. Keiner von beiden hätte jedoch Erfolg gehabt, wenn diese Umstände umgekehrt gewesen wären. Derjenige ist glücklich, dessen Umstände seinem Temperament angemessen sind, aber derjenige, der sein Temperament jedem Umstand anpassen kann, ist der bessere. Welche Notwendigkeit besteht, das Lob des Fleißes zu singen und seine Vorteile für den Erwerb von Macht und Reichtum herauszustellen oder für das Erreichen dessen, was man in der Welt sein Glück nennt ? Nach der Fabel gewann die Schildkröte das Rennen mit dem Hasen durch Ausdauer, obwohl der Hase viel schneller war. Die Zeit eines Menschen, wenn sie gut genutzt wird, ist wie ein bestellter Acker, auf dem einige Hektar mehr von dem erbringen, was nützlich für das Leben ist, als ausgedehnte Provinzen mit dem fruchtbarsten Boden, wenn sie durch Unkraut und Dornengestrüpp verwildert sind. Alle Aussichten auf Erfolg oder auch nur auf erträgliches Überleben müssen aber fehlschlagen, wenn eine gewisse Sparsamkeit fehlt. Statt zu wachsen, wird das Vermögen täglich

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kleiner und läßt den Besitzer um so viel unglücklicher sein, als er noch weniger zufrieden mit einem kleinen denn mit einem großen Vermögen leben kann, dem er seine Ausgaben auch nicht anpassen konnte. Nach Platon27 schweben die Seelen der Menschen, die von unreinen Begierden entflammt wurden, und die den Körper, der allein die Mittel zu ihrer Befriedigung bereitstellte, verloren haben, über der Erde, besuchen die Plätze, wo ihre Körper begraben liegen, und haben ein sehnsüchtiges Verlangen, die so verlorenen Sinnesorgane wiederzugewinnen. So können wir nichtsnutzige Verschwender sehen, die, nachdem sie ihr Vermögen in wilden Exzessen verloren haben, sich an jede volle Tafel und in jedes lustvolle Fest drängen, und die selbst von den Bösartigen gehaßt und sogar von den Narren verachtet werden. Das eine Extrem der Sparsamkeit ist der Geiz, der in zweifacher Hinsicht zu Recht getadelt wird, da er einem Menschen nicht nur jeden Gebrauch seines Reichtums entzieht, sondern auch jedes gesellschaftliche Vergnügen einschränkt. Das andere Extrem, die Verschwendung, schadet gemeinhin der Person selbst am meisten. Beide Extreme werden nach dem Temperament des Kritikers und nach seiner größeren oder kleineren Empfänglichkeit für soziales oder sinnliches Vergnügen mißbilligt. Eigenschaften erhalten ihr Verdienst oft aus vielgestaltigen Quellen. Ehrlichkeit, Treue, Wahrhaftigkeit werden wegen ihrer direkten Tendenz gelobt, die Interessen der Gesellschaft zu befördern; nachdem aber diese Tugenden auf dieser Basis gegründet worden sind, betrachtet man sie auch als nützlich für die Person selbst und als Quelle des Vertrauens und der Zuversicht, die allein einem Mann im Leben Achtung verleihen können. Man wird verachtungswürdig und verhaßt, wenn man die Pflicht vergißt, die man in dieser Hinsicht nicht nur sich selbst, sondern auch der Gesellschaft schuldet. Vielleicht ist diese Überlegung eine der wichtigsten Quellen des großen Tadels, der jede Verletzung der Keuschheit bei Frauen betrifft. Die größte Achtung, die dieses Geschlecht erwerben 27

Phaedon [Platon, Phaedon 80c–81e]

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kann, resultiert aus dessen Treue; und eine Frau verliert ihren Wert und wird verächtlich, verliert ihren Rang und wird jeder Beleidigung ausgesetzt, wenn sie nicht vollkommen keusch ist. Der kleinste Fehler reicht hier aus, um ihren Charakter zu zerstören. Eine Frau hat so viele Gelegenheiten, ihren Lüsten heimlich nachzukommen, daß uns nichts als ihre absolute Bescheidenheit und Zurückhaltung Sicherheit geben können. Und wenn erst einmal eine Verfehlung stattgefunden hat, kann sie kaum jemals wieder gutgemacht werden. Wenn ein Mann bei einer Gelegenheit feige ist, dann stellt das gegenteilige Benehmen seinen guten Charakter wieder her. Doch mit welcher Handlung kann eine Frau, deren Handlungsweise einmal kompromittiert wurde, uns versichern, daß sie bessere Vorsätze gefaßt hat und ausreichende Selbstbeherrschung besitzt, um diese zu bewahren ? Man gibt zu, daß alle Menschen gleichermaßen das Glück begehren. Wenige sind aber in diesem Unterfangen erfolgreich. Eine wichtige Ursache dafür ist das Fehlen von Willensstärke, die es ihnen ermöglichen würde, den Versuchungen gegenwärtiger Bequemlichkeit und gegenwärtigen Vergnügens zu widerstehen, und diese Menschen zur Suche nach entfernterem Gewinn und Vergnügen weiter zu bewegen. Unsere Neigungen führen zu gewissen Handlungsregeln, die auf allgemeinen Erfolgsaussichten und einem bestimmten Grad der Bevorzugung von einigen gegenüber anderen gründen. Diese Entscheidungen werden aufgrund eines natürlichen Mißbrauchs der Sprache Bestimmungen der reinen Vernunft und Reflexion genannt, obwohl sie eigentlich die Wirkung unserer ruhigen Leidenschaften und Neigungen sind – denn was sonst kann einen Gegenstand wünschenswert oder verächtlich erscheinen lassen ? Wenn sich uns aber solche Gegenstände nähern oder durch bessere Perspektiven und Positionen Vorzüge erwerben, durch die sie unser Herz oder unsere Einbildungskraft für sich gewinnen, dann werden die allgemeinen Regeln oft verletzt, dann wird eine kleine Freude bevorzugt, und es entstehen uns fortwährende Scham und Kummer. Wie sehr auch immer die Dichter ihren Witz und ihre Beredsamkeit anstrengen, jetzige Vergnügen zu feiern und

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jede entfernte Hoffnung auf Ruhm, Gesundheit oder Glück zurückzuweisen, so ist es doch offensichtlich, daß diese Praxis die Quelle aller Unentschiedenheit, Unordnung, Reue und allen Unglücks ist. Ein Mann, der ein starkes und entschiedenes Temperament hat, hält ausdauernd an seinen allgemeinen Maximen fest und wird weder von den Verlockungen der Lust verführt, noch von den Schrecken des Schmerzes verängstigt, sondern behält die entfernten Bestrebungen im Auge, durch die er zugleich sein Glück und seine Ehre sicherstellen kann. Ein gewisses Maß an Selbstzufriedenheit ist ein Vorteil, der dem Dummen und dem Weisen gleichermaßen zukommt. Aber dies ist der einzige Vorteil, den die Dummheit gewährt. Es gibt auch keinen anderen Umstand in der Führung des Lebens, in dem der Narr und der Weise gleichgestellt sind. Geschäft, Bücher, Gespräch können vom Dummkopf gar nicht geschätzt werden, und wäre er durch seine Stellung nicht zur gröbsten Arbeit verurteilt, bliebe er eine nutzlose Belastung dieser Erde. Aus diesem Grunde findet man, daß die Menschen hinsichtlich dieser Charaktereigenschaft äußerst empfindlich sind; und man kann viele Beispiele uneingeschränkter Verworfenheit und des Verrats beobachten, die offen zugegeben werden, aber kein Beispiel von jemandem, der die Anklage von Unwissenheit oder Dummheit still hinnimmt. Sogar Dikaearchus, der makedonische General, der, wie Polybios28 sagt, sowohl dem Unglauben als auch der Ungerechtigkeit öffentlich einen Altar errichtete, um der Menschheit seinen Trotz zu zeigen, hätte, wie ich mir sicher bin, gegen den Namen Dummkopf protestiert und sich überlegt, wie er eine derart verletzende Bezeichnung hätte rächen können. Abgesehen von der Zuneigung der Eltern, dem stärksten und am schwierigsten aufzulösenden Band der Natur, hat keine Verbindung eine ausreichende Kraft, den Ekel, der von diesem Charakter herrührt, auszuhalten. Selbst die Liebe, die bei Verrat, Undankbarkeit, Bösartigkeit und Untreue weiterbestehen kann, wird durch wahrgenommene und zugegebene Lib. 17, Cap. 35 [Polybios, Geschichten, Buch 18 (17 in älteren Editionen), Kap. 54 (35 in älteren Editionen), §§ 6–10] 28

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Dummheit sofort ausgelöscht. Auch Verkrüppelung und hohes Alter sind nicht so schädlich für die Herrschaft dieses Affektes. So furchterregend ist die Vorstellung davon, gänzlich unfähig für jeden Zweck oder jede Unternehmung zu sein und sich ständig zu irren oder verkehrt zu leben. Man kann fragen, ob eine schnelle oder langsame Auffassungsgabe wertvoller ist; ob jemand, der auf den ersten Blick weit in ein Feld eindringt, aber nichts durch Studium erreicht, oder ein diesem entgegengesetzter Charakter, der alles durch harte Arbeit erreichen muß; ob ein klarer Kopf oder eine reiche Erfindungskraft; ob ein großes Genie oder ein sicheres Urteil; kurz, man kann fragen, welcher Charakter oder welche besondere Art des Verstandes besser ist als eine andere. Es ist aber klar, daß wir keine dieser Fragen beantworten können, ohne darauf zu achten, welche dieser Eigenschaften einen Menschen am besten auf die Welt vorbereitet und ihn am weitesten in jedem Unternehmen bringt. Wenn ein verfeinerter oder erhöhter Sinn auch nicht so nützlich sind wie der gesunde Menschenverstand, so gleichen die Seltenheit, die Neuigkeit und das Edle der Gegenstände dieser Sinne diesen Mangel in gewisser Weise aus und sichern ihnen die Bewunderung der Menschheit. Ebenso wie Gold, obwohl es weniger nützlich als Eisen ist, aus seiner Seltenheit einen Wert erlangt, der sehr viel höher ist als der des Eisens. Die Fehler im Urteil können weder durch Kunst noch durch Erfindung vermieden werden, aber die des Gedächtnisses können sowohl beim Geschäft als auch beim Studium durch Methode und Fleiß wie auch durch die Sorgfalt, alles aufzuschreiben, oft kompensiert werden. Wir hören kaum jemals, daß ein Mensch wegen seines schlechten Gedächtnisses Mißerfolg in einem Unternehmen hatte. Doch in der Antike, als niemand einen Ruf erwerben konnte, ohne rhetorisches Talent zu besitzen, und als das Publikum zu empfindlich war, derart rohe und unausgegorene Tiraden zu ertragen, wie sie uns unsere improvisierenden Redner auf öffentlichen Versammlungen bieten, war die Fähigkeit des Gedächtnisses von größter Wichtigkeit und wurde darum viel höher geschätzt als heute. Kaum ein großes Genie der Antike wird erwähnt, das nicht wegen dieses Talents

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gefeiert würde; und Cicero zählt es zu den anderen erhabenen Eigenschaften selbst eines Caesar.29 Bestimmte Sitten und Gebräuche verändern sowohl die Nützlichkeit von Eigenschaften als auch ihr Verdienst. Bestimmte Situationen und Zufälle haben nahezu den gleichen Einfluß. Wer jene Talente und Fähigkeiten besitzt, die zu seinem Stand und seinem Beruf passen, wird immer höher geachtet werden als derjenige, dem das Schicksal eine falsche Rolle zugewiesen hat. Die persönlichen und selbstsüchtigen Tugenden sind in dieser Hinsicht willkürlicher als die öffentlichen und sozialen. In anderer Hinsicht werden sie vielleicht weniger bezweifelt und bestritten. In den letzten Jahren gab es in diesem Königreich bei Männern des praktischen Lebens eine ausgeprägte Vortäuschung von Gemeinschaftssinn, und bei denen des theoretischen Lebens war eine ähnliche Vortäuschung von Wohlwollen so üblich, daß Männer von Welt ohne schlechte Absicht jetzt dazu neigen, diesen moralischen Fähigkeiten einen hartnäckigen Unglauben entgegenzubringen und manchmal sogar deren Existenz und Realität absolut zu leugnen. Dieser Unglauben wurde zweifellos durch die Aufdeckung zahlloser falscher Anmaßungen bestärkt. Das ständige Gerede der Stoiker und Kyniker im Altertum über die Tugend, ihre großartigen Worte und schwachen Taten riefen, wie ich glaube, einen ähnlichen Ekel bei der Menschheit hervor. Und Lukian war, obwohl freizügig in der Lust, auch ein sehr moralischer Schriftsteller, der nur selten von der so vielgepriesenen Tugend reden konnte, ohne Anzeichen von Laune und Ironie zu zeigen.30 Selbst wenn aber diese schlechtgelaunte Feinheit auch manchmal entsteht, so kann sie mit Sicherheit nie so weit ge»Fuit in illo ingenium, ratio, memoria, literae, cura, cogitatio, diligentia«, &c. Philip. 2. 45. [»Er besaß Erfindungsgabe, Berechnung, Gedächtnis, Bildung, Wachsamkeit, Überlegung, Umsicht«. Cicero, Staatsreden. Dritter Teil: Die Philippischen Reden. (Lateinisch/Deutsch). Übersetzung von Helmut Kasten (Berlin 1970), 2, Kap. 45, § 116] 30 »’Aret»n tina kaˆ ¢sèmata kaˆ l»rouj meg£lV tÍ fwnÍ xuneirÒntwn.« Luc. Timon 9. Nochmals, »Kaˆ sunagagÒntej (oƒ filÒsofoi) eÙexap£thta meir£kia t»n te poluqrÚlhton ¢ret¾n traJdoàsi.« Icaromenuppus 30. [»Wenn die Kerls von ich weiß nicht was für einem Dinge, 29

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führt werden, daß wir die Existenz einer jeden Art von Verdienst und aller Unterschiede der Sitten und des Benehmens verneinen. Ich behaupte, daß es, abgesehen von Besonnenheit, Vorsicht, Unternehmungsgeist, Fleiß, Beharrlichkeit, Genügsamkeit, Sparsamkeit, Vernünftigkeit, Klugheit und Unterscheidungskraft, d. h. von solchen Fähigkeiten, deren Namen bereits ein Zugeständnis ihres Wertes verlangen, noch viele andere gibt, denen selbst der entschiedenste Skeptizismus für keinen Moment das Tribut des Lobes und der Billigung verweigern kann. Mäßigung, Nüchternheit, Geduld, Beständigkeit, Ausdauer, Vorsorge, Rücksichtnahme, Verschwiegenheit, Ordnung, Liebenswürdigkeit, Verbindlichkeit, Geistesgegenwart, Verständnis, Ausdrucksgewandtheit, niemand wird jemals verneinen, daß diese Eigenschaften und tausend andere derselben Art Vorzüge und Vollkommenheiten sind. Da ihr Verdienst in der Tendenz besteht, ihrem Eigentümer ohne irgendeinen großartigen Anspruch auf öffentliches oder soziales Verdienst zu dienen, so sind wir weniger eifersüchtig auf ihre Ansprüche und geben bereitwillig zu, daß sie in den Katalog der lobenswerten Eigenschaften gehören. Wir bemerken nicht, daß wir durch dieses Zugeständnis den Weg für all die anderen moralischen Vorzüge geebnet haben und konsequenterweise nicht länger zögern dürfen, auch die uneigennützigen Tugenden von Wohltätigkeit, Patriotismus und Menschlichkeit in den Katalog aufzunehmen. Es scheint in der Tat sicher, daß wir hier wie auch sonst durch den ersten Anschein sehr getäuscht werden, und daß das sie Tugend nennen, und von unkörperlichen Wesen und andern solchen Schnurrpfeifereien aus vollem Halse daherdeklamieren.« (Timon)]. An einem anderen Ort, »–H poà g£r ™stin ¹ polutqrÚlhtoj ¢ret», kaˆ fÚsij, kaˆ eƒmarmšnh, kaˆ tÚch, ¢nupÒstata kaˆ ken¦ pragm£twn ÑnÒmata«. Deor. Concil. 13. [»Und wenn sie leicht zu täuschende junge Leute gesammelt haben, spielen sie sich mit der vielgepriesenen Tugend auf.« Ikaromenipp. »Oder wo wäre denn etwa diese Tugend, von der so viel Aufhebens gemacht wird, wo die Natur und das Verhängnis und das Glück – große Wörter, deren Begriffe sich untereinander selbst aufheben.« (Die Götterversammlung). Lukian, Werke in drei Bänden. Hrsg. v. Jürgen Werner u. Herbert Greiner-Mai. Übersetzung von Christoph Martin Wieland (Berlin u. Weimar 1981). Lukian, Timon oder der Misanthrop, § 9; Ikaromenippus oder der Himmelsmensch § 30, Das Parlament der Götter, § 13]

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es noch viel schwieriger ist, das Verdienst, das wir den oben genannten Tugenden des Selbstinteresses zuschreiben, spekulativ auf die Selbstliebe zu reduzieren, als es bei den sozialen Tugenden von Gerechtigkeit und Wohltätigkeit möglich ist. Um das letztere zu zeigen, müssen wir nur sagen, daß jede Verhaltensweise, die das Gut der Gemeinschaft fördert, von der Gemeinschaft aufgrund dieses Nutzens und des Interesses, an dem jeder teilhat, geliebt, gelobt und geschätzt wird. Und obwohl diese Neigung und Anteilnahme in Wirklichkeit Dankbarkeit und nicht Selbstliebe sein würde, fällt oberflächlichen Denkern eine derart einleuchtende Unterscheidung sehr schwer, wodurch zumindest für eine kurze Zeit Raum gegeben wird für Spitzfindigkeit und Streit. Weil aber Eigenschaften, die nur zum Nutzen ihres Trägers gereichen, auch ohne jedes Verhältnis zu uns oder der Gemeinschaft geehrt und geschätzt werden, fragt man sich, anhand welcher Theorie oder welchen Systems diese Empfindung aus der Selbstliebe erklärt oder aus diesem bevorzugten Ursprung abgeleitet werden können. Man muß hier offensichtlich zugeben, daß das Glück und Unglück anderer keine Schauspiele sind, die uns vollkommen gleichgültig sind, sondern daß die Betrachtung des Glücks, sei es als Ursache oder als Wirkung, eine geheime Freude und Befriedigung vermittelt, so wie dies durch Sonnenschein oder die Aussicht auf gutbestellte Felder geschehen kann (um den Anspruch nicht höher zu schrauben). Die Erscheinung des Unglücks wirft wie eine sinkende Wolke oder eine öde Landschaft einen melancholischen Schleier über die Einbildungskraft. Dieses Zugeständnis behebt die Schwierigkeit sofort. Wir dürfen hoffen, daß eine natürliche, ungezwungene Interpretation der Phänomene des menschlichen Lebens nach diesem Zugeständnis bei allen spekulativen Forschern vorherrschen wird. Teil 2 Es ist vielleicht nicht unangebracht, an dieser Stelle den Einfluß zu untersuchen, den körperliche Fähigkeiten und dem Glück zu verdankende Güter auf unsere Empfindungen von Achtung und Wertschätzung haben, und zu betrachten, ob diese Phänomene

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die hier vertretene Theorie stärken oder schwächen. Es wird natürlich erwartet, daß die körperliche Schönheit, so wie es alle antiken Moralphilosophen annahmen, in mancher Hinsicht der geistigen ähnlich ist, und daß jede Art von Achtung, die man einem Menschen erweisen kann, dem Ursprung nach ähnlich ist, unabhängig davon, ob sie nun aus seinen geistigen Fähigkeiten oder der Situation seiner äußeren Umstände entspringt. Es ist offensichtlich, daß eine beträchtliche Quelle der Schönheit bei allen Tieren in dem Vorteil besteht, den sie aus der besonderen Form ihrer Glieder und Teile ziehen und die der jeweiligen Art des Lebens angemessen ist, welches die Natur ihnen vorschreibt. Die richtigen Proportionen eines Pferdes, wie sie von Xenophon und Vergil beschrieben wurden, sind dieselben, die noch heute von modernen Reitern als richtig angenommen werden, weil das Fundament dieser Zustimmung dasselbe ist, nämlich die Erfahrung, die zeigt, was für das Tier gut oder schädlich ist. Breite Schultern, ein schlanker Bauch, feste Gelenke und sich verjüngende Beine, all diese Eigenschaften sind schön bei unserer Gattung, weil sie Zeichen von Stärke und Lebenskraft sind. Obwohl sie nicht ausschließlich bestimmen, was schön und häßlich ist, sind die Ideen der Nützlichkeit und ihres Gegenteils offensichtlich die Quelle eines beträchtlichen Teils der Billigung und der Abneigung. In der Antike waren körperliche Stärke und Gewandtheit von größerem Nutzen und größerer Bedeutung im Krieg und wurden darum auch höher geschätzt und bewertet als heute. Wir müssen uns nicht auf Homer und die Dichter beschränken, sondern können beobachten, daß auch Historiker keine Skrupel haben, die Körperkraft als eines der Verdienste des Epaminondas anzuführen, den sie als den größten Helden, Staatsmann und General der Griechen ansehen.31 Ein ähnliches Lob wurde Diodorus Siculus, lib. 15 [Diodorus Siculus, Historische Bibliothek, Buch 15, Kap. 88, §§ 3 f.]. Es ist vielleicht nicht ganz unangebracht, den Charakter von Epaminondas, so wie er vom Historiker gezeichnet wird, vorzustellen, um die Idee des vollkommenen Verdienstes, die zu dieser Zeit vorherrschte, aufzuzeigen. Bei anderen berühmten Männern, sagt 31

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Pompejus, einem der größten Römer, erteilt.32 Dieses Beispiel ist dem ähnlich, was wir oben in Hinsicht auf das Gedächtnis angeführt haben. Mit welchem Spott und welcher Verachtung betrachten beide Geschlechter die Impotenz, die, wie man glaubt, das unglückliche Subjekt eines so wichtigen Vergnügens des Lebens beraubt und es zugleich unfähig macht, es anderen zu vermitteln. Unfruchtbarkeit bei einer Frau wird zwar auch getadelt, da es eine Art von Nutzlosigkeit ist, jedoch nicht in demselben Grade. Der Grund dafür ist aus der gegenwärtigen Theorie ganz offensichtlich. Es gibt keine Regel in der Malerei oder Bildhauerkunst, die wichtiger wäre als die der richtigen Verteilung der Figuren. Sie müssen mit der größten Präzision genau an die ihrem Schwerpunkt angemessene Position gestellt werden. Eine Figur, die nicht im richtigen Gleichgewicht steht, wirkt häßlich, weil sie die unangenehmen Ideen von Fall, Schaden und Schmerz vermittelt.33 er, wirst du beobachten, daß jeder eine besondere glänzende Eigenschaft besaß, die das Fundament seines Ruhmes war. Epaminondas besaß alle Tugenden zusammen, Kraft des Körpers, Beredsamkeit im Ausdruck, Geisteskraft, Verachtung des Reichtums, sanfte Einstellung und, was besonders beachtet werden muß, Mut und Betragen im Krieg. 32 »Cum alacribus, saltu; cum velocibus, cursu; cum validis recte certabat.« Sallust apud Veget. [»Er wetteiferte mit den Hurtigen im Sprung, mit den Schnellen im Lauf, mit den Kräftigen im Rammen.« Vegetius, Abriß des Militärwesens (Lateinisch/Deutsch). Übersetzung von Friedhelm L. Müller (Stuttgart 1997), Buch 1, Kap. 9, Z. 14 f. (zitiert Sallust).] 33 Alle Menschen sind gleichermaßen dem Schmerz und der Krankheit ausgesetzt und können Gesundheit und Leichtigkeit wiedererwerben. Diese Zustände unterscheiden sich nicht bei verschiedenen Menschen und sind darum keine Quelle des Stolzes oder der Bescheidenheit, der Achtung oder der Verachtung. Aber wenn wir unsere Gattung mit einer höheren vergleichen, so ist es eine sehr bedrückende Betrachtung, daß wir alle so sehr den Krankheiten und Schwächen unterworfen sind. Theologen benutzen darum dieses Thema, um die Selbstüberschätzung und die Eitelkeit zu dämpfen. Sie hätten größeren Erfolg, wenn die gemeine Richtung unserer Gedanken nicht immer darauf ausginge, uns selbst mit anderen zu vergleichen. Die Schwächen des Alters sind bedrückend, weil ein Vergleich mit der Jugend stattfinden kann. Die Skrofulose wird sorg-

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Eine Einstellung oder eine Ausrichtung des Gemüts, die einen Menschen dazu qualifiziert, in der Welt aufzusteigen und sein Glück zu fördern, verdient Achtung und Aufmerksamkeit, wie wir schon erklärt haben. Man kann darum natürlicherweise annehmen, daß der wirkliche Besitz von Reichtum und Autorität einen beträchtlichen Einfluß auf diese Empfindungen haben wird. Wir wollen jede Hypothese untersuchen, durch welche wir die Achtung erklären können, die man den Reichen und Mächtigen zollt. Wir werden keine Hypothese zufriedenstellend finden, die unsere Achtung aus der Freude ableitet, die einem Betrachter durch die Ansicht von Wohlstand, Glück, Behagen, Autorität und die Befriedigung einer jeden Begierde vermittelt wird. Die Selbstliebe beispielsweise, die viele als die Quelle jeder Empfindung anführen, reicht offensichtlich zu diesem Zweck nicht aus. Wo guter Wille und Freundschaft fehlen, ist es schwer zu verstehen, worauf wir unsere Hoffnung auf Vorteile vom Reichtum anderer gründen können; obwohl wir den Reichen Respekt zollen, noch bevor wir irgendeine günstige Gesinnung uns gegenüber entdecken. Wir werden von denselben Empfindungen beeinflußt, wenngleich wir so weit von ihrem Wirkungskreis entfernt sind, daß wir nicht einmal annehmen können, sie hätten die Macht, uns zu helfen. Ein Kriegsgefangener wird in allen zivilisierten Ländern mit Rücksicht auf seine Verhältnisse behandelt; und es ist offensichtlich, daß Reichtum hinsichtlich der Bestimmung der Verhältnisse einer jeden Person sehr viel zählt. Selbst wenn Geburt und Stand noch hinzukommen, so ist dieser Umstand noch immer ein Argument für unseren gegenwärtigen Zweck. Denn wen sonst bezeichnen wir als einen Mann von Stand, wenn nicht jemanden, der aus einer langen Folge von reichen und mächtigen Vorfahren abstammt und der durch seine Verfältig verheimlicht, weil sie andere befallen kann und oft auf die Nachkommenschaft übertragen wird. Ganz ähnlich ist es mit Krankheiten, die ekelerregende oder furchterregende Erscheinungen mit sich bringen, wie zum Beispiel Epilepsie und Geschwüre, offene Wunden, Krätze usw.

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bindung mit Personen, die wir hochschätzen, Achtung erfährt ? Seine Vorfahren werden darum in gewissem Maße wegen ihres Reichtums respektiert, obwohl sie tot sind, und darum auch ohne jede Art von Erwartung. Man muß aber nicht so weit gehen und Kriegsgefangene oder die Toten anführen, um Beispiele dieser uneigennützigen Rücksicht auf Reichtum zu finden. Wir müssen nur etwas bewußter die Phänomene beobachten, die im täglichen Leben und der Konversation vorkommen. Wir nehmen an, daß ein Mann, der selbst einigermaßen vermögend ist und keinen Beruf hat, Fremde, die ihm vorgestellt werden, natürlicherweise mit verschiedenen Graden von Respekt behandeln wird, sobald er über ihre verschiedenen Vermögen und Verhältnisse unterrichtet wird; und dies, obwohl es unmöglich ist, so plötzlich irgendeinen geldlichen Vorteil von ihnen zu erwarten, den er vielleicht sogar nicht einmal annehmen würde. Ein Reisender wird immer in eine Gesellschaft aufgenommen und so höflich behandelt, wie sein Troß und sein Wagen ein großes oder bescheidenes Vermögen verraten. Kurz, der unterschiedliche Stand von Menschen wird zum großen Teil durch Reichtum bestimmt – und dies sowohl in Hinsicht auf höher- und niedrigergestellte als auch auf Fremde und Bekannte. Was bleibt uns darum anderes übrig als zu folgern, daß der Reichtum, ebenso wie er von uns nur darum begehrt wird, weil er ein Mittel ist, unsere sinnlichen Bedürfnisse entweder jetzt oder in irgendeiner vorgestellten Zukunft zu befriedigen, er auch bei anderen Achtung nur wegen dieses Einflusses hervorruft ? Dies ist in der Tat seine wahre Natur und sein Wesen. Reichtum verweist direkt auf Güter, Vorzüge und Freuden des Lebens. Sonst wären der Wechsel eines bankrotten Geschäftsmannes und das Gold auf einer verlassenen Insel gleich viel wert. Treffen wir einen Menschen, dem es, wie wir sagen, gut geht, so haben wir die befriedigenden Vorstellungen von einem freundlichen Haus, eleganten Möbeln, guter Bedienung und was immer man sich an Essen, Trinken oder Kleidung wünschen kann. Wenn andererseits ein armer Mann erscheint, dann wird unsere Einbildungskraft unmittelbar von unangenehmen

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Bildern des Mangels, der Not, schwerer Arbeit, von schmutzigen Möbeln, rauhen oder lumpigen Kleidern, ekelhaftem Essen und schlechtschmeckendem Getränk bedrängt. Was sonst meinen wir, wenn wir sagen, daß der eine reich und der andere arm ist ? Und da Achtung oder Verachtung die natürliche Folge dieser verschiedenen Lebenssituationen sind, kann man leicht sehen, welches zusätzliche Licht und welche Evidenz dies auf die vorhergehende Theorie in Hinsicht auf alle moralischen Unterscheidungen wirft.34 Ein Mensch, der sich von allen lächerlichen Vorurteilen befreit hat und durch Erfahrung und Philosophie ehrlich und vollkommen davon überzeugt wurde, daß der Unterschied im Wohlstand einen geringeren Unterschied für das Glück ausmacht, als man es gemeinhin annimmt, der mißt den Grad der Achtung nicht nach den Zinseinkünften seines Bekannten. Vielleicht zeigt er sogar dem großen Herrn nach außen hin eine größere Unterwürfigkeit als dem Vasallen, weil Reichtum, die sicherste und bestimmteste Eigenschaft, die nächstliegende Quelle des Unterschieds ist. Aber seine inneren Empfindungen werden eher vom persönlichen Charakter der Menschen als von den zufälligen und launenhaften Gefälligkeiten des Glücks geprägt. Die Bewegungen unserer Leidenschaften besitzen etwas Außerordentliches und scheinbar Unerklärliches, wenn wir den Erfolg und die Situation anderer betrachten. Sehr oft ruft das Fortkommen und der Erfolg eines anderen Neid hervor, der einen starken Anteil von Haß besitzt und in der Hauptsache aus dem Vergleich unserer selbst mit dem anderen entsteht. Zur selben Zeit oder zumindest in sehr kurzen Abständen können wir die Empfindung des Respekts fühlen, die eine Wirkung der Affektion oder des guten Willens mit einem Anteil von Bescheidenheit ist. Auf der anderen Seite ruft das Unglück unserer Mitmenschen oft Mitleid hervor, das einen großen Anteil von Gutwilligkeit beinhaltet. Diese Empfindung des Mitleids ist der der Verachtung nahe verwandt, die eine Art von Abneigung mit einem Anteil von Stolz ist. Ich führe diese Phänomene als einen Gegenstand der Spekulation nur für diejenigen an, die neugierig auf moralische Untersuchungen sind. Für die gegenwärtige Untersuchung ist die allgemeine Beobachtung hinreichend, daß Macht und Reichtum gemeinhin Respekt, Armut und Gemeinheit Verachtung hervorrufen, obwohl besondere Perspektiven und Vorfälle manchmal auch die Affektionen von Neid und Mitleid erzeugen können. 34

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In den meisten Ländern Europas ist die Familie, das heißt vererbter Reichtum, verbunden mit Titeln und Symbolen des Monarchen, die wichtigste Quelle des gesellschaftlichen Unterschiedes. In England bewertet man bestehenden Überfluß und großen Besitz höher. Jede Praxis hat ihre Vor- und Nachteile. Wo die Herkunft respektiert wird, verbleiben passive, geistlose Gemüter in hochmütiger Untätigkeit und träumen nur von Abstammung und Genealogie. Die großzügigen und motivierten suchen Ehre und Autorität, Ruhm und Vorzug. Wo der Reichtum das wichtigste Ideal ist, herrschen Korruption, Bestechlichkeit und Ausbeutung; Künste, Gewerbe, Handel und Landwirtschaft blühen. Das erstgenannte Vorurteil, das die militärischen Tugenden fördert, paßt besser in die Monarchie. Das zweitgenannte Vorurteil paßt besser in einen republikanischen Staat, weil es der wichtigste Ansporn für den Fleiß ist. Daher können wir beobachten, daß jede dieser Regierungsformen gemeinhin einen entsprechenden Einfluß auf die Empfindungen der Menschheit hat, indem es den Nutzen dieser Sitten variiert.

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Von Eigenschaften, die uns selbst unmittelbar angenehm sind Wer jemals einen Abend mit ernstlich melancholischen Menschen verbracht und beobachtet hat, wie sich die Konversation durch das Hinzukommen eines gutgelaunten und lebhaften Gesellschafters plötzlich belebte und welche Munterkeit sich über den Gesichtsausdruck, das Gespräch und das Benehmen eines jeden ausbreitete, der wird leicht zugeben, daß Heiterkeit ein großes Verdienst ist und natürlicherweise den guten Willen der Menschen hervorruft. In der Tat verbreitet sich keine andere Eigenschaft so leicht unter allen Anwesenden, weil keine andere so geeignet ist, sich in freundlicher Sprache und angenehmer Unterhaltung zu zeigen. Der Funke springt auf den ganzen Kreis über, und oft werden sogar die Ernsthaftesten und Traurigsten davon angesteckt. Daß der Melancholiker den Frohsinnigen hasse, kann ich nur schwer zugeben, auch wenn Horaz dies sagt, da ich immer beobachtet habe, daß ernsthafte Menschen durch die Fröhlichkeit besonders erfreut werden, wenn sie sich im Rahmen hält und anständig ist, denn sie vertreibt ihre düstere Stimmung, durch die sie sonst bedrückt werden, und bereitet ihnen eine ungewohnte Freude. Aus dieser Wirkung der Heiterkeit, sich auszubreiten und sich Billigung zu sichern, können wir schließen, daß es eine andere Art von geistigen Eigenschaften gibt, die ohne einen Nutzen oder eine Tendenz, das Gut der Gemeinschaft oder des Besitzers zu fördern, den Betrachtern Befriedigung vermittelt und Freundschaft und Beachtung sichert. Ihre unmittelbare Wahrnehmung ist für die Person, die sie besitzt, angenehm. Andere teilen diese Stimmung und werden von der Empfindung durch Ansteckung oder ein natürliches Mitgefühl berührt. Und da wir nicht anders können als zu lieben, was uns gefällt, ent-

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steht ein freundschaftliches Gefühl für die Person, die so viel Befriedigung verbreitet. Ihre Gestalt ist belebender; ihre Gegenwart bereitet uns eine ruhigere Behaglichkeit und Freude; wenn wir uns in ihre Gefühle und Gemütsverfassung einstimmen, berührt sie unsere Einbildungskraft in einer angenehmeren Weise, als wenn wir uns mit einem melancholischen, niedergeschlagenen, traurigen und ängstlichen Temperament konfrontiert sehen. Daraus kommen die Zuneigung und die Billigung, die der ersten der beiden Personen zuteil werden, und die Abneigung und der Ekel, mit denen wir die andere betrachten.35 Wenige Menschen würden den Charakter beneiden, den Caesar dem Cassius zuschrieb:

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Er liebt kein Spiel Wie du, Antonius: Hört keine Musik: Selten lächelt er; und lächelt so, als wolle er sich selbst verspotten; verachtet seinen Geist, den etwas zum Lächeln bringen konnte.

Solche Männer sind nicht nur gemeinhin gefährlich, wie Caesar hinzufügt, sie können anderen auch nie gefallen oder zur sozialen Unterhaltung beitragen, da sie so wenig Vergnügen in sich selbst finden. Bei allen höflichen Völkern wurde zu allen Zeiten der Sinn für Freude, wenn von Maß und Zucht begleitet, sogar bei den größten Männern als ein beträchtliches Verdienst betrachtet; und bei solchen von niedrigerem Rang und Charakter ist er noch notwendiger. Ein französischer Schriftsteller schreibt einen schönen Satz über seine eigene Geistesverfassung in dieser Hinsicht: »Ich liebe die Tugend«, sagt er, »ohne Schroffheit; Es gibt keinen Menschen, der nicht in einer besonderen Situation von all den unangenehmen Leidenschaften wie Furcht, Zorn, Niedergeschlagenheit, Trauer, Melancholie, Angst usw. betroffen wäre. Aber diese Leidenschaften, insoweit sie natürlich und allgemein sind, machen keinen Unterschied zwischen verschiedenen Menschen und können niemals Gegenstand des Tadels sein. Erst wenn die Anlage eine Tendenz zu einer dieser unangenehmen Leidenschaften zeigt, verunzieren diese den Charakter und, indem sie mißfallen, bewirken sie bei dem Zuschauer die Empfindung der Mißbilligung. 35

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das Vergnügen ohne Verweichlichung; und das Leben, ohne sein Ende zu fürchten.«36 Wer ist nicht von einem besonderen Beispiel der Geistesgröße oder Würde des Charakters beeindruckt, die aus einer erhöhten Empfindung fließt, der Verachtung der Sklaverei und dem edlen Stolz und Mut, die von bewußter Tugend herrühren ? Longinus sagt, daß das Erhabene oft nichts anderes als das Echo oder das Bild der hohen Gesinnung ist; und wenn diese Eigenschaft bei jemandem zu finden ist, dann ruft sie unseren Beifall und unsere Bewunderung hervor, auch wenn keine Silbe gesagt worden ist; so wie man es an dem berühmten Schweigen des Ajax in der Odyssee sehen kann, das eine edlere Mißachtung und entschiedenere Empörung ausdrückt, als sie je eine Sprache vermitteln kann.37 Parmenio sagte: »Wenn ich Alexander wäre, dann würde ich diese von Darios gemachten Angebote akzeptieren.« Alexander antwortete: »Wäre ich Parmenio, würde ich es auch tun.« Nach Longinus ist dieser Satz aus einem ähnlichen Grund bewundernswert.38 Derselbe Held ruft seinen Soldaten zu, als sie es ablehnen, ihm nach Indien zu folgen: »Geht und erzählt euren Landsleuten, daß ihr die Vollendung der Eroberung der Welt dem Alexander überlassen habt.« Der Prinz von Conde, der diese Passage immer bewunderte, sagte: »Unter den Barbaren, verlassen von seinen Soldaten und noch nicht ganz überwältigt, fühlte Alexander eine derartige Würde und ein derartiges Recht auf ein Reich, daß er es nicht für möglich halten konnte, daß irgend jemand ihm nicht gehorchen würde. Es war für ihn einerlei, ob er in Europa oder Asien, bei den Griechen oder Persern war: wo er Männer fand, glaubte er, Untertanen zu finden.« Medeas Vertraute rät in der Tragödie zur Vorsicht und Unterwerfung; und während sie alle Nöte der unglücklichen »J’aime la vertu, sans rudesse; J’aime le plaisir, sans molesse; J’aime la vie, & n’en crains point la fin.« St. Evremond [Seigneur de Saint-Evremont, ›Lettre a M. le Comte Magalotti‹.] 37 Cap. 9 [Anon. Über das Erhabene, Kap. 9, §§ 2 f.] 38 Idem [Ebd., § 4] 36

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Heldin aufzählt, fragt sie, welche Unterstützung Medea gegen ihre zahlreichen und unversöhnlichen Feinde aufbieten kann: »Mich selbst«, antwortete sie, »mich selbst, sage ich, und das ist genug«. Boileau empfiehlt diese Passage mit Recht als ein Beispiel für das wahrhaft Erhabene.39 Als der bescheidene und sanftmütige Phokion zu seiner Hinrichtung geführt wurde, wandte er sich an einen seiner Leidensgenossen, der sein eigenes hartes Schicksal bedauerte: »Ist es für dich nicht genug Ruhm, daß du mit Phokion stirbst ?«40 Betrachte im Gegensatz dazu das Bild, das Tacitus von Vitellius zeichnet, der, seiner Macht beraubt und dem erbarmungslosen Pöbel ausgeliefert, wegen seiner erbärmlichen Liebe zum Leben seine Schande noch verlängerte, so daß er geworfen, gestoßen, getreten und durch einen unter sein Kinn gehaltenen Dolch gezwungen wurde, seinen Kopf zu erheben und sich jeder Beleidigung auszusetzen. Welch eine schmähliche Unehre ! Welch tiefe Erniedrigung ! Doch sogar hier, sagt der Historiker, erkenne er Zeichen eines Geistes, der nicht völlig verdorben war. Einem Tribun, der ihn beleidigte, antwortete er: »Ich bin noch immer dein Kaiser.«41 Wir entschuldigen niemals das gänzliche Fehlen von Mut und Würde eines Charakters oder das Fehlen eines angemessenen Sinns dafür, was einem in der Gesellschaft und im Reflexion 10 sur Longin. [Nicolas Boileau-Despréaux, Réflexions critiques sur quelques passages de Longin, Réflexion 10] 40 Plutarch. In Phoc [Plutarch, Leben, »Phokion«, Kap. 36, §§ 2 f., 758 D] 41 Tacit., hist. lib. 3. Der Autor sagt zu Beginn seiner Erzählung: »Laniata veste, foedum spectaculum ducebatur, multis increpantibus, nullo inlacrimante: deformitas exitus misericordiam abstulerat.« [»Es war ein garstiges Schauspiel, wie er, die Hände auf dem Rücken gebunden, in zerrissenem Gewand, von Scheltreden überhäuft, von niemand beweint, dahingeschleppt wurde. Sein würdeloses Ende hatte kein Mitleid aufkommen lassen.« Tacitus, Historien (Lateinisch / Deutsch). Übersetzung von Joseph Borst (München 1959), Buch 3, Kap. 84 f.] Um ganz in die Methode dieses Denkens einzudringen, müssen wir die antiken Maximen im Auge behalten, daß niemand sein Leben verlängern sollte, nachdem es unehrenhaft geworden war. Da jeder immer das Recht hatte, es zu beenden, wurde es dann seine Pflicht, es zu beenden. 39

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täglichen Leben zusteht. Dieses Laster macht das aus, was wir zurecht niedrige Gesinnung nennen; etwa wenn ein Mann die niedrigste Sklaverei ertragen kann, um seine Ziele zu erreichen, wenn er vor denen kriecht, die ihn mißhandeln, und sich durch Intimitäten und Vertraulichkeiten mit unwürdigen Untergebenen erniedrigt. Ein bestimmtes Maß an großmütigem Stolz oder Selbstwertgefühl ist derartig notwendig, daß dessen Abwesenheit uns so unangenehm ist wie das Fehlen einer Nase, eines Auges oder irgendeines anderen wichtigen Teils des Gesichts oder eines anderen Körperteiles.42 Der Nutzen des Muts sowohl für die Öffentlichkeit als auch für die Person, die ihn besitzt, ist offensichtlich eine Grundlage des Verdienstes. Jeder aber, der die Sache richtig betrachtet, wird sehen, daß diese Eigenschaft einen eigentümlichen Glanz besitzt, der voll und ganz aus ihr selbst und aus der mit ihr untrennbar verbundenen edlen Erhöhung kommt. Das Bild des Mutes, von Malern und Dichtern ausgeschmückt, zeigt in jedem seiner Züge eine erhabene und unerschrockene Zuversicht, die das Auge auf sich zieht, das Gefühl erweckt und durch Mitgefühl dasselbe Gefühl der Erhabenheit über alle Zuschauer ausbreitet. In welch herrlichen Farben stellt Demosthenes43 den Philip vor, als der Redner seine eigene Regierung verteidigt und die beharrliche Freiheitsliebe rechtfertigt, mit der er die Athener inspirierte. »Ich betrachtete Philip«, sagte er, »mit dem ihr im Wettstreit wart, als einen resoluten Mann, der, als er Königreich Das Fehlen einer Tugend kann oft ein Laster sein, und zwar ein Laster höchsten Grades, wie zum Beispiel das der Undankbarkeit und der Gemeinheit. Wo wir Schönheit erwarten, erregt die Enttäuschung ein unangenehmes Gefühl in uns und schafft eine wirkliche Verzerrung. Ein niedriger Charakter ist auch von einem anderen Gesichtspunkt aus widerwärtig und verachtenswert. Wenn jemand selbst keinen Sinn für seinen eigenen Wert besitzt, haben wir wahrscheinlich keine höhere Wertschätzung von ihm. Und wenn dieselbe Person, die vor ihren Vorgesetzten kriecht, ihren Untergebenen gegenüber anmaßend ist (wie es oft geschieht), dann korrigiert dieser Gegensatz im Verhalten nicht das erste Laster, sondern verschlimmert es durch das Hinzukommen eines anderen Lasters, das noch hassenswerter ist, außerordentlich. Siehe Abschnitt 8. 43 Pro corona [Demosthenes, Über die Krone, §§ 67 f.] 42

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und Herrschaft anstrebte, sich jeder Wunde aussetzte. Sein Auge durchbohrt, sein Hals verrenkt, sein Arm und sein Schenkel durchstochen, gab er freudig jeden Teil seines Körpers hin, der vom Schicksal gefordert wurde, solange er nur in Ehre und Ruhm mit dem leben durfte, was ihm blieb. Und sollte gesagt werden, daß er, in Pella geboren, einem Platz, der bis dahin gemein und unehrenhaft war, von einem so großen Ehrgeiz und Ruhmesdurst inspiriert war, während ihr, Athener usw.« Dieses Lob erregt die lebhafteste Bewunderung, aber die Eigenschaften, die der Redner darstellt, führen uns nicht über den Helden selbst hinaus und nehmen keine Rücksicht auf zukünftige und vorteilhafte Folgen seiner Tapferkeit. Das kriegerische Temperament der Römer, durch ständigen Krieg entflammt, erhöhte ihre Hochschätzung der Tapferkeit so sehr, daß sie in ihrer Sprache Tugend (virtus) genannt wurde und als besonderes Verdienst galt. Die Sueben frisierten ihr Haar nach Tacitus44 in löblicher Absicht, nämlich nicht, um zu lieben oder geliebt zu werden; sie schmückten sich nur für ihre Feinde und um furchterregender zu wirken. In den meisten Völkern und Epochen wäre diese Empfindung des Historikers eher merkwürdig erschienen. Nach Herodot45 gerbten die Skythen die Kopfhaut der Feinde, die sie zuvor skalpiert hatten, wie Leder und benutzten sie als Handtuch; und wer die meisten dieser Handtücher besaß, war der Angesehenste unter ihnen. So sehr hatte die martialische Tapferkeit bei ihnen und vielen anderen die Empfindung der Menschlichkeit zerstört, die sicher eine nützlichere und gefälligere Tugend ist. Man kann in der Tat beobachten, daß bei allen unzivilisierten Nationen, die bis jetzt diejenigen Vorteile, die Wohltätigkeit, Gerechtigkeit und andere soziale Tugenden mit sich bringen, noch nicht wirklich erfahren haben, die Tapferkeit der herausragende Vorzug ist. Sie wird von den Dichtern am meisten gefeiert, von den Eltern und Erziehern empfohlen und von der allgemeinen 44 45

De moribus Germ. [ Tacitus, Germania, Kap. 38] Lib. 4. [Herodot, Geschichte, Buch 4, Kap. 46]

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Öffentlichkeit bewundert. Die Moral des Homer ist in dieser Hinsicht sehr verschieden von der des Fénelon, seines eleganten Imitators, und sie war als solche gut für eine Zeit geeignet, in der, wie Thukydides46 bemerkt, ein Held einen anderen ohne Beleidigung fragen konnte, ob er ein Räuber sei oder nicht. So war auch, wenn wir Spensers sorgfältigem Bericht über den Zustand dieses Königreichs Glauben schenken dürfen, das System der Moral beschaffen, das bei den barbarischen Teilen Irlands bis vor kurzem vorherrschte.47 In dieselbe Klasse von Tugenden wie die der Tapferkeit gehört die ungestörte philosophische Ruhe, die über Schmerz, Leid, Angst und jeden bösen Schicksalsschlag erhaben ist. Seiner eigenen Tugend bewußt, erhebt sich der Weise, wie die Philosophen sagen, über jeden Zufall des Lebens. Sicher im Tempel der Weisheit sitzend, sieht er auf die minderwertigen Sterblichen herab, die mit dem Streben nach Ehren, Reichtümern, Namen und frivolen Unterhaltungen beschäftigt sind. Solche Anmaßungen sind ohne Zweifel zu exaltiert für die menschliche Natur, wenn sie zum Extrem getrieben werden. Aber sie besitzen eine Großartigkeit, die den Zuschauer ergreifen und ihm Bewunderung einflößen kann. Und je näher wir uns in der Praxis dieser erhabenen Ruhe und Gleichgültigkeit annähern (denn wir müssen sie von der dummen Unempfindlichkeit abgrenzen), desto sicherer ist unser Vergnügen und desto mehr Größe zeigen wir der Welt. Die philosophische Ruhe darf in der Tat nur als ein Aspekt hoher Gesinnung betrachtet werden. Wer bewundert nicht Sokrates, seine ständige Heiterkeit und Zufriedenheit inmitten der größten Armut und der häuslichen Lib. 1. [Thukydides, Geschichte, Buch 1, Kap. 5, §§ 2–5] Er sagt: »Es ist ein allgemeiner Brauch unter den Söhnen von Edelmännern, daß sie, sobald sie ihre Waffen gebrauchen können, drei oder vier Vagabunden oder Landstreicher um sich versammeln, mit denen sie eine zeitlang müßig im Land hin- und herwandern, wobei sie nur Fleisch zu sich nehmen, bis sie letztlich in eine böse Situation geraten, die ihnen bereitet wird. Sobald es einmal bekannt geworden ist, wird man dann als ein Mann von Wert betrachtet, der Tapferkeit besitzt.« [Edmund Spenser, A View of the (Present) State of Ireland] 46 47

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Ärgernisse; seine entschiedene Verachtung des Reichtums und seine hochgesinnte Sorge um die Erhaltung der Freiheit bei gleichzeitiger Ablehnung aller Hilfe von seinen Freunden und Schülern und sogar der Vermeidung von Abhängigkeit durch Verpflichtung ? Epiktet hatte nicht einmal eine Tür in seinem kleinen Haus oder seiner Hütte und verlor darum bald seine eiserne Lampe, das einzige Möbelstück, das stehlenswert war. Entschlossen, jeden Dieb in Zukunft zu enttäuschen, ersetzte er sie durch eine tönerne Lampe, die er wahrscheinlich friedlich für immer besaß. Die antiken Helden der Philosophie, des Krieges und des Patriotismus besitzen eine Größe und Macht der Empfindung, die unsere beschränkten Seelen erstaunen und sie vorschnell als extravagant und übernatürlich verstoßen läßt. Andererseits gebe ich zu, daß die Helden der Antike aus gleichem Grund den Grad an Menschlichkeit, Gnade, Ordnung, Ruhe und an anderen sozialen Tugenden, den wir in der Verwaltung der Regierung in moderner Zeit erreicht haben, als romantisch und unglaubwürdig betrachtet hätten, wenn irgend jemand sie ihnen hätte richtig darstellen können. So besteht ein Ausgleich, den die Natur, oder besser, die Erziehung in der Verteilung von Vorzügen und Tugenden in verschiedenen Zeitaltern gemacht hat. Das Verdienst des Wohlwollens, das von seiner Nützlichkeit und seiner Tendenz herrührt, das Gute der Menschheit zu fördern, ist schon erklärt worden, und dies ist ohne Zweifel ein beträchtlicher Teil der Achtung, die ihm so allgemein erwiesen wird. Man wird aber auch zugeben, daß gerade die Milde und Zärtlichkeit dieser Empfindung, ihre gewinnenden Schmeicheleien, ihre freundlichen Ausdrücke, ihre delikaten Aufmerksamkeiten und der ganze Fluß gegenseitigen Vertrauens und gegenseitiger Aufmerksamkeit, die in eine warme Verbindung von Liebe und Freundschaft einfließen, daß all diese Gefühle, die, wie ich behaupte, selbst angenehm sind, den Zuschauern notwendig mitgeteilt werden und sie an derselben Freundlichkeit und demselben Zartgefühl teilhaben lassen. Eine Träne rollt natürlicherweise aus unserem Auge, wenn wir eine warme Empfindung dieser Art aufnehmen. Unsere Brust bebt, unser

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Herz schlägt schneller, und jedes zarte und menschliche Prinzip unseres Seins wird bewegt und gibt uns die reinste und befriedigendste Freude. Wenn Dichter die Eleusischen Gefilde beschreiben, deren selige Einwohner keinerlei gegenseitigen Beistand benötigen, so stellen sie diese dennoch immer als solche vor, die eine ständige Verbindung von Liebe und Freundschaft aufrechterhalten, und sie beruhigen unsere Phantasie mit der angenehmen Ansicht dieser weichen und sanftmütigen Affektionen. Die Idee einer sanften Ruhe in einem pastoralen Arkadien ist, wie schon früher beobachtet wurde, aus dem gleichen Prinzip angenehm.48 Wer wollte inmitten unendlicher Streitigkeiten, Schelte und gegenseitiger Vorwürfe leben ? Die Roheit und Härte dieser Emotionen verstören und mißfallen uns. Wir leiden durch Ansteckung und Mitgefühl. Und wir können keine unbeteiligten Zuschauer bleiben, selbst wenn sicher wäre, daß aus diesen zornigen Leidenschaften nie schädliche Wirkungen erwüchsen. Als sicheren Beweis dafür, daß nicht das ganze Verdienst des Wohlwollens von seiner Nützlichkeit herrührt, können wir anführen, daß wir in einer freundlichen Art des Tadels sagen, eine Person sei zu gut, wenn sie mehr als ihren Teil zur Gesellschaft beiträgt und seine Rücksicht auf andere über das angemessene Maß ausdehnt. In ähnlicher Weise sagen wir, ein Mann sei zu hochgesinnt, zu unerschrocken, zu gleichgültig dem Erfolg gegenüber. Dies sind Tadel, die in Wirklichkeit und prinzipiell eine größere Hochachtung aussprechen als viele Lobreden. Gewohnt, das Verdienst oder die Mängel eines Charakters besonders durch seine nützlichen oder schädlichen Tendenzen zu messen, können wir nicht umhin, den Ausdruck der Mißbilligung anzunehmen, wenn wir eine Empfindung entdecken, die einen schädlichen Grad erreicht. Zugleich kann es jedoch vorkommen, daß ihre edle Größe oder das gewinnende Zartgefühl dieses Charakters unser Herz so sehr ergreift, daß unsere Freundschaft und unsere Sorge um diese Person eher wächst.49 48 49

Abschnitt 5, Teil 2. Übertriebene Heiterkeit könnte kaum zu Tadel führen, wäre nicht

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Die Liebschaften und Affairen Heinrichs IV. von Frankreich während der Bürgerkriege der Ligue schadeten häufig seinem Interesse und seiner Sache, aber zumindest alle Jungen und Verliebten, die mit den zärtlichen Leidenschaften sympathisieren können, werden zugeben, daß gerade diese Schwäche (denn als solche werden sie diese bereitwillig bezeichnen) den Held besonders liebenswürdig und sein Schicksal für sie interessant macht. Die übertriebene Tapferkeit und entschlossene Starrköpfigkeit Karls XII. ruinierten sein eigenes Land und infizierten alle seine Nachbarn, aber sie haben einen derartigen Glanz und eine solche Größe in ihrer Erscheinung, daß sie uns mit Bewunderung erfüllen, und sie könnten in einem gewissen Grade sogar gebilligt werden, wenn sie manchmal nicht zu offensichtlich Zeichen von Geisteskrankheit und Verwirrung gezeigt hätten. Die Athener gaben vor, die Erfinder des Ackerbaus und der Gesetze gewesen zu sein; und sie waren immer äußerst stolz auf das Verdienst, das sie sich damit für das ganze menschliche Geschlecht erworben hatten. Sie prahlten auch zu Recht mit ihren kriegerischen Unternehmungen besonders gegen die ungezählten Flotten und Armeen der Perser, die während der Zeit des Darius und des Xerxes in Griechenland einfielen. Obwohl es aber keinen Vergleich zwischen den friedlichen und den kriegerischen Ehren hinsichtlich ihrer Nützlichkeit geben kann, so finden wir doch, daß sich die Redner, die solch ausführliche Loblieder auf die berühmte Stadt gesungen haben, besonders dadurch hervortaten, daß sie die kriegerischen Erfolge darstellten. Lysias, Thukydides, Platon und Isokrates hatten dasselbe Vorurteil, das, obwohl von der ruhigen Vernunft und Reflexion verurteilt, so natürlich für den Geist des Menschen erscheint. Man kann beobachten, daß die große Anziehungskraft der Poesie in den lebendigen Bildern der erhabenen Leidenschaften besteht, der Geistesgröße, des Muts, der Geringschätzung die Ausgelassenheit ohne angemessenen Gegenstand oder angemessenes Subjekt ein sicheres Symptom und Zeichen der Narrheit und darum auch widerwärtig.

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des Reichtums sowie solchen der zärtlichen Affekte wie Liebe und Freundschaft, die das Herz wärmen und es mit ähnlichen Empfindungen und Gefühlen erfüllen. Und obwohl man bemerken kann, daß alle Arten von Leidenschaften, selbst die unangenehmsten wie Trauer und Zorn, wenn sie durch Poesie hervorgerufen werden, eine durch einen Naturmechanismus nur schwer zu erklärende Befriedigung erreichen, so haben die höheren oder sanfteren Gefühle doch einen besonderen Einfluß und gefallen nicht nur aus einer Ursache oder aus einem Prinzip. Ganz zu schweigen davon, daß sie allein uns in Hinsicht auf das Glück der vorgestellten Person interessieren oder uns eine Schätzung und ein Gefühl für den Charakter mitteilen. Kann man wirklich daran zweifeln, daß dieses Talent der Dichter, die Leidenschaften hervorzurufen, dieses Pathetische und Sublime im Gefühl, ein großes Verdienst ist und daß es, da nur wenige es besitzen, die so begabte Person über jeden Charakter ihres Zeitalters erhöhen kann ? Die Besonnenheit, Höflichkeit, Sicherheit und die milde Regierung des Augustus, geschmückt mit dem vollen Glanz seiner edlen Geburt und der Kaiserkrone, lassen ihn doch im Streit um den Ruhm dem Vergil unterliegen, der nichts als die göttliche Schönheit seines poetischen Genies in die Waagschale legt. Die Empfänglichkeit für diese Schönheiten an sich oder eine Feinheit des Geschmacks ist selbst eine Schönheit des Charakters, da sie das reinste, stetigste und unschuldigste Vergnügen bereitet. Dies sind einige Beispiele der vielen Arten von Verdienst, die wegen des unmittelbaren Vergnügens geschätzt werden, das sie der Person, die sie besitzt, bereiten. Keine Betrachtung des Nutzens oder der zukünftigen wohltätigen Folgen beeinflussen diese Empfindung der Billigung; dennoch ist sie von einer ähnlichen Art wie die Empfindung, die aus Betrachtungen des öffentlichen oder privaten Nutzens resultiert. Dieselbe soziale Sympathie oder dasselbe Mitgefühl für menschliches Glück oder Unglück läßt, wie wir beobachten können, beide entstehen; und diese Analogie zwischen allen Teilen der gegenwärtigen Theorie kann zu Recht als eine ihrer Bestätigungen betrachtet werden.

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Von Eigenschaften, die anderen unmittelbar angenehm sind 50 So wie die wechselseitigen gesellschaftlichen Zusammenstöße und die Gegensätze von Interessen und Eigenliebe die Menschheit gezwungen haben, die Gesetze der Gerechtigkeit zu erschaffen, um die Vorteile gegenseitiger Unterstützung und des Schutzes zu erhalten, so haben auch die ewigen Gegensätze im Umgang miteinander, der menschliche Stolz und Eigendünkel, die Regeln der guten Manieren und der Höflichkeit hervorgebracht, um den geistigen Verkehr sowie einen ungestörten Umgang und eine ebensolche Konversation zu erleichtern. Menschen von gutem Benehmen erweisen einander gegenseitige Achtung. Verachtung anderer wird versteckt, Autorität verdeckt, Aufmerksamkeit wird jedem zu seiner Zeit geschenkt und ein leichter Fluß der Konversation wird erhalten, ohne Heftigkeit, ohne Unterbrechung, ohne Bestrebung nach Sieg und ohne einen Hauch von Überlegenheit. Diese Aufmerksamkeiten und Rücksichtnahmen sind unmittelbar und unabhängig von jeder Betrachtung des Nutzens oder der wohltätigen Folgen angenehm für andere. Sie vermitteln Zuneigung, befördern Achtung und steigern im höchsten Maße das Verdienst einer Person, die ihr Benehmen danach einrichtet. Viele Formen des guten Benehmens sind willkürlich und zwanglos; was aber durch sie ausgedrückt wird, bleibt dasselbe. Ein Spanier verläßt vor seinem Gast sein eigenes Haus, um anDie Natur und sogar die Definition der Tugend besteht darin, daß sie eine Eigenschaft des Geistes ist, die einem jedem angenehm oder von jedem gebilligt wird, der sie sieht oder betrachtet. Manche Eigenschaften jedoch bringen Vergnügen hervor, weil sie für die Gesellschaft oder für die Person selbst nützlich sind, andere bringen es unmittelbarer hervor. Letzteres ist der Fall bei den Tugenden, die hier untersucht werden. 50

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zuzeigen, daß er ihn als Herr des Ganzen betrachtet. In anderen Ländern verläßt der Eigentümer als ein übliches Zeichen der Achtung und Rücksicht zuletzt das Haus. Um aber ein vollkommen guter Gesellschafter zu sein, muß jemand sowohl Witz und Einfallsreichtum als auch gute Manieren besitzen. Was Witz ist, kann vielleicht nicht leicht bestimmt werden, aber es ist sicher leicht zu bestimmen, daß er eine Eigenschaft ist, die für andere unmittelbar angenehm ist und die, sobald sie erscheint, eine lebendige Freude und Befriedigung auf alle überträgt, die auch nur ein wenig Sinn dafür haben. Die profundeste Metaphysik könnte in der Tat dazu benutzt werden, die verschiedenen Gattungen und Arten des Witzes zu erklären, und viele seiner Klassen, die man jetzt nur aufgrund des Zeugnisses von Geschmack und Empfindung akzeptiert, könnten vielleicht auf allgemeinere Prinzipien zurückgeführt werden. Es genügt aber für unsere jetzige Absicht, daß der Witz den Geschmack und die Empfindung berührt und eine sichere Quelle der Billigung und Zuneigung ist, weil er ein unmittelbares Vergnügen bereitet. In Ländern, in denen Menschen die meiste Zeit mit Konversation, Besuchen und Versammlungen verbringen, werden diese, wenn man so sagen darf, geselligen Eigenschaften sehr geschätzt und stellen einen wichtigen Teil des persönlichen Verdienstes dar. In Ländern, in denen die Menschen ein eher häusliches Leben führen und entweder Geschäfte betreiben oder sich in einem engeren Kreis von Freunden vergnügen, werden die bodenständigeren Eigenschaften besonders hoch angesehen. So habe ich oft bemerkt, daß bei den Franzosen die ersten Fragen bezüglich eines Fremden lauten: Ist er höflich ? Hat er Witz ? In unserem Land ist das höchste Lob, das man jemandem erteilen kann, immer, daß er ein gutmütiger, vernünftiger Mitmensch ist. In der Unterhaltung ist der lebendige Geist des Dialogs auch für diejenigen angenehm, die an dem Gespräch gar nicht teilnehmen wollen. Daher ist ein Erzähler langer Geschichten oder ein pathetischer Rhetoriker ganz und gar unbeliebt. Die meisten Menschen wollen jedoch gleichermaßen an einer Konversation beteiligt sein und betrachten mit einem sehr bösen Blick die

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Geschwätzigkeit, die ihnen ein Recht verweigert, auf das sie naturgemäß so begierig sind. Es gibt eine harmlose Art von Lügnern, die viel von wundersamen Dingen sprechen und die man häufig in Gesellschaft trifft. Ihre übliche Absicht ist, zu gefallen und zu unterhalten. Da sich aber die Menschen am meisten über das freuen, was sie als die Wahrheit ansehen, machen sie in der Wahl ihrer Mittel, Gefallen zu finden, einen großen Fehler und ernten allgemeinen Tadel. Man ist jedoch nachsichtig gegenüber Lügen und Erfindungen, wenn sie in lustigen Geschichten vorkommen, weil es dort wirklich angenehm und unterhaltsam ist und es auf die Wahrheit dabei nicht ankommt. Beredsamkeit, Begabung jeder Art, sogar Vernünftigkeit und richtiges Denken, wenn es zu einem hohen Grad ausgebildet ist und auf Gegenstände von einiger Wichtigkeit und Besonderheit angewandt wird, alle diese Talente scheinen unmittelbar angenehm zu sein und haben ein von ihrer Nützlichkeit verschiedenes Verdienst. Die Seltenheit, die den Preis eines jeden Gegenstandes so erhöht, muß auch diesen edlen Gaben des menschlichen Geistes einen zusätzlichen Wert geben. Bescheidenheit kann auf verschiedene Weisen verstanden werden, sogar abgesondert von der Keuschheit, die schon behandelt wurde. Manchmal nennen wir Bescheidenheit jene Milde und Schönheit der Ehre, jene Auffassung des Tadels, jene Furcht, andere zu belästigen oder zu verletzen, oder jenen Pudor, der der angemessene Wächter über jede Art der Tugend und ein wahrer Schutz gegen Laster und Korruption ist. Aber in ihrem gewöhnlichen Sinn ist die Bescheidenheit der Unbescheidenheit und der Arroganz entgegengesetzt und drückt eine Zurückhaltung unseres eigenen Urteils sowie eine gebührende Beachtung und Rücksicht gegenüber anderen aus. Besonders bei jungen Männern ist diese Eigenschaft ein sicheres Zeichen von Vernünftigkeit, und sie ist auch das sichere Mittel, diese Gabe zu erweitern, weil sie ihre Ohren für Belehrung offenhält und sie dazu bringt, nach immer neuen Verdiensten zu streben. Sie hat außerdem eine Anziehungskraft für jeden Zuschauer, indem sie einen gehorsamen Schüler vorstellt, der jedes Wort,

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das jemand äußert, mit gehöriger Aufmerksamkeit und Respekt aufnimmt und auf diese Weise der Eitelkeit eines jeden Menschen schmeichelt. Die Menschen haben im allgemeinen eine größere Neigung sich zu überschätzen, als sich zu unterschätzen, auch wenn Aristoteles anderer Meinung ist.51 Dieser Umstand verstärkt das Mißfallen an übertriebener Selbsteinschätzung und führt uns dazu, jede Tendenz zur Bescheidenheit und Selbstbescheidung mit einer besonderen Rücksicht zu behandeln, da wir die Gefahr, in ein lasterhaftes Extrem dieser Art zu verfallen, als geringer einschätzen. Darum wird die körperliche Schönheit in solchen Ländern, in denen der männliche Körper exzessiv zu Korpulenz tendiert, viel mehr in der Schlankheit gesehen als in Ländern, in welchen die Schlankheit der häufigere Defekt ist. Da die Menschen so oft mit Beispielen einer bestimmten Art körperlicher Fehler konfrontiert werden, denken sie, daß sie sich selbst nie weit genug von diesem entfernen können, und wünschen immer, zum anderen Extrem zu tendieren. Würde dem Selbstlob die Tür geöffnet und Montaignes Maxime eingehalten, daß man so offen sagen sollte: »Ich habe Verstand, ich bin gebildet, ich besitze Mut, Schönheit oder Witz«, wie wir es mit Sicherheit oft denken, dann würde auf diese Art und Weise eine Flut von Frechheit über uns hereinbrechen, die gesellschaftlichen Umgang vollkommen unmöglich machte. Aus diesem Grund hat die Sitte in den meisten Gesellschaften als Regel etabliert, daß die Menschen sich weder in Selbstlob ergehen noch überhaupt viel von sich sprechen sollen, und daß es nur unter vertrauten Freunden oder mit Leuten von äußerst mannhaftem Benehmen erlaubt ist, sich selbst Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Niemand tadelt Moritz, den Prinzen von Oranien, daß er jemandem, der ihn fragte, wen er als den größten General seiner Zeit betrachtete, antwortete: »Der Marquis von Spinola ist der Zweite.« Doch kann man hier sehen, daß das darin enthaltene Selbstlob besser ist, weil es nur implizit, Ethic. ad Nicomachum [Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch 4, Kap. 3, bes. 1125a 19–34] 51

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und nicht direkt und ohne jede Verhüllung oder Verkleidung ausgedrückt ist. Wer sich einbildet, daß alle Beispiele gegenseitiger Höflichkeit ernstzunehmen sind und jemand wegen der Unwissenheit um seine eigenen Vorzüge und Verdienste höher einzuschätzen ist, muß in der Tat ein sehr oberflächlicher Denker sein. Ein kleines Übergewicht an Bescheidenheit, sogar beim Empfinden seiner selbst, wird wohlwollend betrachtet, besonders bei jungen Leuten; im äußeren Verhalten hingegen verlangt man ein großes Übergewicht. Dies schließt jedoch einen edlen Stolz und Mut nicht aus, die sich offen in ihrem vollen Umfang zeigen dürfen, wenn man in irgendeiner Art verleumdet oder unterdrückt wird. Die hochherzige Starrköpfigkeit des Sokrates, wie Cicero sie nennt, ist zu allen Zeit hoch gefeiert worden, und da sie bei ihm mit einer allgemeinen Bescheidenheit im Auftreten verbunden ist, bildet sie einen glänzenden Charakter. Iphikrates, der Athener, der angeklagt wurde, die Interessen seines Landes verraten zu haben, fragte seinen Ankläger: »Wärest du in der gleichen Situation dieses Verbrechens schuldig geworden ?« Und als der andere sagte: »Unter keinen Umständen«, antwortete er: »Wie kannst du Dir denn dann vorstellen, daß Iphikrates schuldig sein kann ?«52 Kurz, ein großzügiger Geist und ein berechtigtes Selbstwertgefühl, anständig verborgen, aber in Not und Verleumdung mutig aufrechterhalten, sind ein großer Vorzug, der sein Verdienst aus der edlen Erhöhung dieses Gefühls oder der unmittelbaren Annehmlichkeit für ihren Besitzer zu ziehen scheint. Bei gewöhnlichen Charakteren befürworten wir ein Übergewicht an Bescheidenheit, einer Eigenschaft, die anderen unmittelbar gefällt. Die lasterhafte Übertreibung der ersteren Tugend, nämlich Anmaßung und Überheblichkeit, sind anderen unmittelbar unangenehm. Die Übertreibung der letzteren ist dem Besitzer unmittelbar unangenehm. So werden die Grenzen dieser Pflichten gegeneinander bestimmt. Quintil. lib. 5. cap. 12 [Quintilian, Institutiones oratoriae (Rednerische Unterweisungen), Buch 5, Kap. 12, §§ 9–11] 52

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Der Wunsch, Ruhm und Namen zu besitzen oder von anderen als ein Charakter angesehen zu werden, ist so weit von dem Tadelnswerten entfernt, daß er untrennbar mit Tugend, Genius, Begabung und einer großzügigen und edlen Veranlagung verbunden scheint. Außerdem erwartet die Gesellschaft in der Verfolgung des Angenehmen auch Aufmerksamkeit für triviale Dinge. Niemand ist überrascht, wenn er feststellt, daß jemand in Gesellschaft darauf bedacht ist, eleganter gekleidet zu sein und sich um einen angenehmeren Fluß der Unterhaltung zu bemühen, als er es zu Hause und bei seiner Familie zu tun pflegt. Worin besteht dann die Eitelkeit, die man so berechtigt als einen Fehler oder eine Unvollkommenheit betrachtet ? Sie scheint hauptsächlich in einer unangemessenen Zurschaustellung unserer Vorzüge, Ehren und Leistungen zu bestehen, in einem derart aufdringlichen und unverhohlenen Verlangen nach Lob und Bewunderung, daß es bei anderen Anstoß erregt und zu weit auf deren geheime Eitelkeit und Ehrgeiz übergreift. Außerdem ist sie ein sicheres Zeichen des Mangels an wahrer Würde und Seelengröße, die eine so große Zierde eines jeden Geistes ist. Denn wozu dieses ungeduldige Verlangen nach Applaus, als stünde er dir eigentlich nicht zu und als könntest du vernünftigerweise nicht erwarten, daß er dich für immer begleitet ? Warum bist du so darauf bedacht, uns über die berühmten Gäste zu informieren, die du gehabt hast, die verbindlichen Dinge, die dir gesagt worden sind, die Ehren, die Titel, die du bekommen hast, als wären diese nicht selbstverständliche Dinge, die wir uns leicht selbst hätten vorstellen können, auch ohne darüber informiert worden zu sein ? Anstand oder eine angemessene Rücksicht auf Alter, Geschlecht oder Stand in der Welt können zu denjenigen Eigenschaften gezählt werden, die für andere unmittelbar angenehm sind und die deshalb Lob und Billigung erfahren. Ein weibisches Benehmen bei einem Mann und eine grobe Art bei einer Frau sind häßlich, weil sie nicht zum Charakter passen und anders als die Eigenschaften sind, die wir von den Geschlechtern erwarten. Das ist so, als ob eine Tragödie von komischen oder eine Komödie von tragischen Schönheiten dominiert würde.

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Die Mißverhältnisse schmerzen das Auge und geben den Zuschauern ein unangenehmes Gefühl, welches die Quelle von Tadel und Mißbilligung ist. Dies ist das indecorum, das Cicero so weitläufig in seinem Buch über die Pflichten erklärt. Unter den anderen Tugenden können wir auch der Reinlichkeit einen Platz einräumen, da sie natürlicherweise dazu führt, daß wir anderen gefallen, und darum keine unwichtige Quelle von Liebe und Zuneigung ist. Keiner wird verleugnen, daß Nachlässigkeit in dieser Hinsicht ein Fehler ist. Da Fehler nichts als kleinere Laster sind und dieser Fehler keinen anderen Ursprung haben kann, als die unerfreuliche Empfindung, die er in anderen hervorruft, können wir an diesem scheinbar so trivialen Beispiel klar den Ursprung moralischer Unterscheidungen erkennen, über den die Gelehrten sich in Irrgärten von Verlegenheit und Fehlern verloren haben. Abgesehen aber von allen angenehmen Eigenschaften, deren Schönheit einen Ursprung hat, den wir zu einem gewissen Grad erklären und erfassen können, bleibt doch etwas Mysteriöses und Unerklärliches, das dem Zuschauer eine unmittelbare Befriedigung gibt, ohne daß er bestimmen könnte, wie, warum oder wieso. Es gibt einen Charme, eine Grazie, eine Leichtigkeit, eine Vornehmheit, ein Ich-weiß-nicht-was, das einige Menschen vor anderen auszeichnet, das ganz anders ist als äußerliche Schönheit und Anmut, und das dennoch unsere Zuneigung fast ebenso plötzlich und heftig erfaßt. Und obwohl man über diesen Charme hauptsächlich in der Liebe zwischen den Geschlechtern redet, wo die verborgene Magie leicht erklärt werden kann, so spielt er sicher auch eine große Rolle in all unseren Charaktereinschätzungen und hat einen großen Anteil an persönlichem Verdienst. Diese Art von Vorzügen muß daher voll und ganz auf dem blinden und doch sicheren Zeugnis von Geschmack und Empfindung basieren und als ein Teil der Ethik angesehen werden, den die Natur uns gegeben hat, um allen Stolz der Philosophie zunichte zu machen und ihr zu zeigen, wie eng ihre Grenzen sind und wie klein ihr Erwerb. Wir billigen einen anderen wegen seines Witzes, seiner Höflichkeit, seiner Bescheidenheit, seiner Gutartigkeit oder wegen

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jeder anderen angenehmen Eigenschaft, die er besitzt; und dies, obwohl er nicht zu unseren Bekannten gehört oder uns jemals durch diese Eigenschaften Anlaß zur Freude gegeben hätte. Die Vorstellung, die wir von ihm gewinnen, wenn wir die Wirkung auf seine Bekannten betrachten, hat einen angenehmen Einfluß auf unsere Einbildungskraft und bereitet uns die Empfindung der Billigung. Dieses Prinzip findet sich in allen Urteilen, die wir über Benehmen und Charaktere fällen.

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Schluß Teil 1 Es mag zu Recht überraschend scheinen, daß jemand in einem so späten Zeitalter es noch für notwendig erachtet, mit ausführlichen Argumenten zu beweisen, daß persönliches Verdienst nur im Besitz von geistigen Eigenschaften besteht, die entweder dieser Person selbst oder anderen nützlich oder angenehm sind. Man könnte annehmen, daß dieses Prinzip schon den ersten unerfahrenen und ungeübten Erforschern der Moral aufgefallen und aufgrund seiner ihm eigenen Evidenz ohne Argument oder Diskussion akzeptiert worden wäre. Alles, was irgendwie wertvoll ist, fällt so natürlich in die Klasse von nützlich oder angenehm, von utile oder dulce, daß es nicht leicht ist sich vorzustellen, warum wir weitersuchen oder die Frage als ein Thema genauer Forschung oder Untersuchung betrachten sollten. Und da jedes nützliche oder angenehme Ding diese Eigenschaften entweder für die Person selbst oder für andere haben muß, so scheint die vollständige Um- und Beschreibung des Verdienstes ebenso natürlich vollzogen zu werden, wie die Sonne einen Schatten wirft oder das Wasser ein Bild reflektiert. Wenn weder der Boden, auf den ein Schatten fällt, aufgeworfen und uneben ist, noch die Oberfläche, die das Bild reflektiert, bewegt oder verworren ist, dann zeigt sich ohne jede Kunst oder Aufmerksamkeit gleich eine richtige Figur. Und es scheint mir eine vernünftige Vermutung zu sein, daß die Systeme und Hypothesen unseren natürlichen Verstand verdorben haben, wenn eine derart einfache und offensichtliche Theorie sich so lange der ausführlichsten Untersuchung entzogen hat. Aber wie auch immer dieser Fall in der Philosophie behandelt worden ist, im gewöhnlichen Leben werden diese Prinzipien implizit noch immer aufrechterhalten. Auch gibt es kein anderes

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Thema des Lobes oder des Tadels, das jemals die Grundlage für eine Lobrede oder eine Satire, Beifall oder Tadel von menschlichen Handlungen und Handlungsweisen gebildet hätte. Wenn wir Menschen in all ihrem geschäftlichen oder vergnüglichen Umgang, bei jeder Rede und Unterhaltung beobachten, finden wir, daß sie außerhalb der Akademie nie Schwierigkeiten mit diesem Thema haben. Was, zum Beispiel, ist so natürlich wie der folgende Dialog ? Nehmen wir an, daß jemand zu einem anderen sagt: »Du bist sehr glücklich, weil du deine Tochter dem Cleanthes als Ehefrau gegeben hast. Er ist ein Mann von Ehre und Menschlichkeit. Jeder, der Umgang mit ihm hat, kann sicher sein, daß er gerecht und freundlich behandelt wird.«53 Ein anderer sagt: »Auch ich beglückwünsche dich, weil dein Schwiegersohn große Aussichten hat. Seine peinliche Aufmerksamkeit auf sein Studium der Jurisprudenz, seine schnelle Auffassungsgabe und seine frühzeitige Kenntnis von Menschen wie auch Geschäften versprechen die größten Ehren und Ämter.«54 »Du überraschst mich«, sagt ein dritter, »wenn du von Cleanthes als von einem Mann des Geschäfts und der Praxis sprichst. Ich habe ihn letztlich in einer äußerst fröhlichen Runde getroffen und er war das wahre Leben und die wahre Seele unserer Unterhaltung. Ich habe bei einem anderen noch nie so viel Witz mit gutem Benehmen, soviel Galanterie ohne Affektiertheit, soviel interessantes Wissen so vornehm vorgetragen erlebt.«55 Ein vierter sagt: »Du würdest ihn noch mehr bewundern, wenn du ihn näher kennen würdest. Die Fröhlichkeit, die du bemerken würdest, ist kein plötzlicher Funke, der durch die Gesellschaft hervorgerufen wird. Sie ist ein Bestandteil seines ganzen Lebens und gibt seinem Gesichtsausdruck Ruhe und seiner Seele einen beständigen Frieden. Er war schweren Krisen, Unglück wie auch Gefahren ausgesetzt; doch durch die Größe seines Gemüts war er ihnen gewachsen.«56 Ich rief aus: »Das Bild, das ihr hier von Cleanthes gezeichnet habt, meine Herren, ist eines von voll53 54 55 56

Eigenschaften, die anderen nützlich sind. Eigenschaften, die der Person selbst nützlich sind. Eigenschaften, die anderen unmittelbar angenehm sind. Eigenschaften, die der Person selbst unmittelbar angenehm sind.

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endetem Verdienst. Jeder von euch hat einen Bleistiftstrich zu diesem Porträt hinzugefügt, und ihr habt unversehens alle von Gracian oder Castiglione geschaffenen Bilder übertroffen. Ein Philosoph könnte diesen Charakter als ein Modell der vollkommenen Tugend wählen.« Und so wie jede Eigenschaft, die uns selbst oder anderen nützlich oder angenehm ist, im gemeinen Leben als Bestandteil des persönlichen Verdienstes anerkannt wird, so wird auch nie eine andere akzeptiert werden, solange die Menschen Dinge nach ihrer natürlichen, vorurteilslosen Vernunft und ohne die täuschende Verfärbung von Aberglauben und falscher Religion beurteilen. Zölibat, Fasten, Buße, Kasteiung, Selbstverleugnung, Demut, Schweigen, Einsamkeit und die ganze Anzahl mönchischer Tugenden werden von vernünftigen Männern zurückgewiesen, weil sie keiner Art von Zweck dienen. Sie tragen weder zum Glück eines Menschen in der Welt, noch zum größeren Nutzen für die Gesellschaft bei. Sie bereiten ihn weder auf die Unterhaltung von Gästen vor, noch steigern sie seine Fähigkeit, sich selbst zu vergnügen. Im Gegenteil, wir sehen, daß sie all diese wünschenswerten Ziele durchkreuzen, den Verstand abstumpfen, das Herz verhärten, die Einbildungskraft verdunkeln und das Temperament versauern. Mit Recht weisen wir ihnen darum die entgegengesetzte Seite zu und bezeichnen sie als Laster. Auch hat kein Aberglaube bei Männern von Welt eine ausreichende Kraft, diese natürlichen Gefühle ganz zu pervertieren. Ein düsterer und unvernünftiger Enthusiast hat nach seinem Tod vielleicht einen Platz im Kalender, aber in seinem Leben wird er kaum in vertrauten Umgang und Gesellschaft eingeschlossen werden, es sei denn bei Menschen, die genauso verwirrt und verächtlich sind wie er selbst. Es scheint ein glücklicher Umstand der jetzigen Theorie zu sein, daß sie nicht in diesen herkömmlichen Streit über die Grade von Wohlwollen oder Selbstliebe eintritt, die in der menschlichen Natur vorherrschen. Dieser Streit wird wahrscheinlich nie entschieden werden, und zwar aus zwei Gründen, weil nämlich einerseits die Männer, die daran teilgenommen haben, nicht leicht zu überzeugen sind, und weil andererseits

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die Phänomene, die auf jeder Seite angeführt werden können, so weit verbreitet, so unsicher und Gegenstand so vieler Interpretationen sind, daß es kaum möglich ist, sie richtig zu vergleichen oder einen bestimmten Schluß zu ziehen. Für unser jetziges Vorhaben ist es genug zuzugeben, was man sicherlich nicht ohne die größte Absurdität bestreiten kann, daß nämlich ein gewisses Wohlwollen, sei es auch sehr gering, in unseren Busen eingepflanzt ist, ein Funken von Freundschaft zur Menschheit; ein kleines Stück der Taube in unsere Gestalt geknetet, zusammen mit Elementen des Wolfes und der Schlange. Wie schwach man diese großzügigen Empfindungen auch immer veranschlagt, seien sie auch nicht hinreichend, um nur eine Hand oder einen Finger unseres Körpers zu bewegen, so müssen sie dennoch die Regungen unseres Geistes leiten und, wenn alle anderen Dinge gleich sind, eine kühle Vorliebe für das Nützliche und das dem menschlichen Geschlecht Zuträgliche hervorrufen, im Gegensatz zu dem, was ihm verderblich und gefährlich ist. Darum entsteht unmittelbar ein moralischer Unterschied, ein allgemeines Gefühl von Tadel und Lob, eine Zuneigung, wie schwach auch immer, zu den Dingen der einen Kategorie und eine korrespondierende Abneigung gegen die der anderen. Auch die Denker, die so ernsthaft die Vorherrschaft der Selbstliebe bei den Menschen behaupten, würden keinen Anstoß nehmen, wenn sie von derart schwachen Empfindungen hören würden, die in unsere Natur eingepflanzt sind. Im Gegenteil findet man, daß sie das eine so oft wie das andere behaupten, und daß ihr Sinn für Satire – denn das scheint er eher zu sein als Korruption – natürlicherweise Anlaß zu beiden Meinungen gibt, die in der Tat eine große und fast unauflösliche Verbindung miteinander haben. Geiz, Ehrgeiz, Eitelkeit und alle anderen Leidenschaften, die gemeinhin doch ungerechterweise unter dem Namen Selbstliebe zusammengefaßt werden, sind hier von unserer Theorie vom Ursprung der Moral ausgeschlossen, nicht weil sie zu schwach sind, sondern weil sie keine eigentliche Tendenz zu diesem Ziel haben. Der Begriff der Moral impliziert eine gewisse Empfindung, die von der ganzen Menschheit geteilt wird und

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denselben Gegenstand der allgemeinen Billigung empfiehlt; sie verbindet alle oder die meisten Menschen in derselben Meinung oder derselben Entscheidung. Sie impliziert auch ein Gefühl, das so universell und umfassend ist, daß es sich über die ganze Menschheit erstreckt und die Handlungen und das Benehmen sogar der entferntesten Personen zu einem Gegenstand von Beifall und Tadel macht, je nachdem, ob sie mit der begründeten Regel des Rechts übereinstimmt oder nicht. Diese beiden Umstände gehören allein zu dem Gefühl der Menschlichkeit, das wir hier verteidigen. Die anderen Leidenschaften rufen in jeder Brust viele starke Empfindungen von Verlangen und Abneigung, Liebe und Haß hervor. Diese fühlt man jedoch weder übereinstimmend, noch sind sie so umfassend, daß sie das Fundament eines allgemeinen Systems und einer begründeten Theorie von Tadel und Lob sein könnten. Wenn jemand einen anderen als seinen Feind, Rivalen, Gegenspieler oder Gegner bezeichnet, dann meint man, daß er die Sprache der Selbstliebe spricht und Empfindungen ausdrückt, die ihm eigen sind und die auf seinen besonderen Umständen und seiner Situation beruhen. Wenn er jedoch einem Menschen die Prädikate bösartig, verwerflich oder verderbt zuschreibt, dann spricht er eine andere Sprache und drückt Empfindungen aus, von denen er erwartet, daß alle seine Zuhörer sie mit ihm teilen. Er muß darum in diesem Fall von seiner privaten und besonderen Situation absehen und einen Standpunkt einnehmen, den er mit anderen teilt. Er muß ein universales Prinzip der menschlichen Natur ansprechen und eine Saite berühren, die in allen Menschen gleichgestimmt und harmonisch ist. Wenn er darum sagen will, daß dieser Mann Eigenschaften besitzt, deren Tendenz der Gesellschaft gefährlich ist, dann hat er einen allgemeinen Standpunkt gewählt und ein Prinzip der Humanität angerührt, mit dem jeder zu einem gewissen Grade übereinstimmt. Solange das menschliche Herz aus denselben Elementen zusammengesetzt ist, wie es heute ist, wird es nie ganz gleichgültig dem öffentlichen Gut gegenüber und nie ganz unbeeinflußt von der Tendenz der Charaktere und Sitten sein. Und obwohl diese Neigung der Menschlichkeit im allgemeinen

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nicht so hoch veranschlagt wird wie Eitelkeit und Ehrgeiz, dennoch aber allen Menschen gemeinsam ist, so kann nur sie das Fundament der Moral oder eines jeden allgemeinen Systems von Tadel und Lob sein. Der Ehrgeiz des einen ist nicht der Ehrgeiz des anderen; und dasselbe Ereignis oder Objekt befriedigt nicht beide. Aber die Menschlichkeit des einen Menschen ist die Menschlichkeit aller, und derselbe Gegenstand berührt diese Leidenschaft in allen menschlichen Geschöpfen. Die Empfindungen, die von der Menschlichkeit herrühren, sind aber darüber hinaus nicht nur die gleichen in allen menschlichen Geschöpfen und bringen die gleiche Zustimmung oder Kritik hervor, sondern sie schließen auch alle menschlichen Geschöpfe ein. Auch gibt es keinen, dessen Benehmen oder Charakter durch diese Gefühle nicht ein Gegenstand der Kritik oder Zustimmung für jeden anderen wäre. Dagegen bringen jene anderen Leidenschaften, die man allgemein als selbstsüchtig bezeichnet, nicht nur, je nach der besonderen Situation, verschiedene Gefühle in jedem einzelnen hervor, sondern sie schließen den größeren Teil der Menschheit mit der größten Gleichgültigkeit und Teilnahmslosigkeit aus. Jeder, der mich hochschätzt und ehrt, schmeichelt meiner Eitelkeit, wer mich verachtet, kränkt mich und bereitet mir Mißvergnügen. Weil mein Name aber nur einem kleinen Teil der Menschheit bekannt ist, gibt es nur wenige Menschen, die in den Wirkungskreis dieser Leidenschaft kommen oder ihretwegen meine Zuoder Abneigung erregen. Wenn man mir hingegen tyrannisches, unverschämtes oder barbarisches Benehmen in irgendeinem Land oder Zeitalter der Welt vorstellt, dann wendet sich meine Aufmerksamkeit bald auf die schädliche Tendenz eines solchen Benehmens und erregt in mir die Gefühle von Widerwillen und Unbehagen. Kein Charakter kann mir so fremd sein, daß er mir, in diesem Licht betrachtet, vollkommen gleichgültig wäre. Was der Gesellschaft oder der Person selbst von Nutzen ist, muß auch bevorzugt werden. Alle Eigenschaften oder Handlungen eines jeden Menschen müssen deswegen unter irgendeiner Klasse oder irgendeinem Namen aufgeführt werden, der allgemeine Zensur oder allgemeinen Beifall ausdrückt.

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Was kann man also noch verlangen, die von der Menschlichkeit abhängenden Gefühle von denen zu unterscheiden, die mit irgendeiner anderen Leidenschaft zusammenhängen ? Was sonst brauchen wir noch zu unserer Überzeugung, daß die einen den Ursprung der Moral ausmachen und die anderen nicht. Wenn ein Benehmen meine Zustimmung findet, indem es meine Menschlichkeit berührt, dann sichert es sich auch den Beifall der ganzen Menschheit, indem es dasselbe Prinzip in ihnen affiziert. Was hingegen meine Habgier oder meinen Ehrgeiz betrifft, befriedigt nur meine Leidenschaften und hat keinen Einfluß auf die Habgier und den Ehrgeiz der restlichen Menschheit. Es gibt keinen Umstand des Benehmens irgendeines Menschen, der nicht meine Menschlichkeit befriedigt, wenn er eine nützliche Tendenz hat, gleichgültig wie fern die Person mir sein mag. Aber jeder Mensch, der so weit von mir entfernt ist, daß er meiner Habgier und meinem Ehrgeiz weder schaden noch helfen kann, wird von diesen Leidenschaften als vollkommen gleichgültig empfunden. Darum ist der Unterschied zwischen diesen Arten von Gefühl so groß und so evident, daß die Sprache bald durch ihn geformt werden und eine besondere Gruppe von Wörtern erfinden muß, um diese universalen Gefühle des Tadels oder der Zustimmung auszudrücken, die auf der Menschlichkeit oder der Erwägung der allgemeinen Nützlichkeit und ihres Gegenteils beruhen. Tugend und Laster werden so erkannt. Die Moral wird anerkannt. Bestimmte allgemeine Ideen über das menschliche Benehmen und Verhalten werden formuliert, bestimmte Maßnahmen werden von Menschen in bestimmten Situationen erwartet. Diese Handlung wird als übereinstimmend mit unserer abstrakten Regel befunden, die andere als das Gegenteil. Und durch derartige universelle Prinzipien werden die besonderen Gefühle der Selbstliebe oft kontrolliert und eingeschränkt.57 Es scheint sicher, und zwar sowohl aus Vernunftgründen wie auch aus Erfahrung, daß ein roher, unkultivierter Wilder seine Liebe und seinen Haß hauptsächlich durch Ideen von privatem Nutzen und Schaden reguliert und nur schwache Vorstellungen von einer allgemeinen Regel oder einem System von Verhaltensweisen besitzt. Den Mann, 57

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Wir können aus Beispielen von Tumulten, Sezessionen, Parteilichkeiten, Paniken und allen Leidenschaften, die von einer Menge geteilt werden, den Einfluß der Gesellschaft lernen, den sie auf die Entstehung und Erhaltung aller Gefühle hat. Wir sehen, daß die höchst anarchischen Unordnungen durch die kleinsten und nichtigsten Anlässe verursacht werden. Solon war nicht sehr grausam, aber vielleicht doch ein ungerechter Gesetzgeber, als er Neutrale in Bürgerkriegen bestrafte; und wenige würden, meiner Meinung nach, in derartigen Fällen die Strafe verdienen, wenn ihre Gemütsbewegung und ihre Aussagen als ausreichend für einen Freispruch betrachtet würden. Keine Selbstsucht und nahezu keine Philosophie haben da hinreichende Macht, um eine vollkommene Kaltherzigkeit und Gleichgültigkeit zu unterstützen; und jemand muß entweder mehr oder weniger als ein Mensch sein, wenn das allgemeine Feuer ihn nicht entzündet. Es ist darum kein Wunder, daß die moralischen Gefühle einen derartigen Einfluß auf das Leben haben, obwohl sie von Prinzipien herrühren, die zunächst ziemder ihm im Kampf gegenübersteht, haßt er aus vollem Herzen nicht nur im Moment – was fast unausweichlich ist –, sondern für immer. Er ist auch nicht mit der schärfsten Bestrafung und Rache zufrieden. Wir aber, gewöhnt an Gesellschaft und an erweiterte Reflexion, verstehen, daß dieser Mann seinem eigenen Land und seiner Gemeinschaft dient; daß jeder Mann in derselben Situation dasselbe tun würde, daß wir selbst unter denselben Umständen dasselbe tun würden; daß die menschliche Gesellschaft im allgemeinen am besten durch derartige Maximen gestützt wird. Und durch diese Vermutungen und Ansichten korrigieren wir in mancher Hinsicht unsere roheren und engeren Leidenschaften. Und obwohl ein großer Teil unserer Freund- und Feindschaft immer noch von privaten Überlegungen von Nutzen und Schaden bestimmt wird, so beachten wir darin wenigstens die allgemeinen Regeln, die wir gewohnt sind zu respektieren, daß wir nämlich gewöhnlich unseres Gegners Benehmen verzerren, indem wir ihm Bosheit und Ungerechtigkeit zuschreiben, um dann den Leidenschaften freien Lauf zu lassen, die aus Selbstliebe und privatem Interesse resultieren. Wenn das Herz voller Zorn ist, dann fehlt es ihm nie an Ausreden dieser Art; doch sind sie manchmal so nichtig wie die, mit denen Horaz, als er beinahe von einem fallenden Baum erschlagen wurde, den Pflanzer des Baumes des Vatermords bezichtigen wollte (Horaz, Oden, Buch 2, Ode 13, Z. 1–12).

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lich klein und schwach erscheinen. Wir müssen aber anmerken, daß diese Prinzipien sozial und universal sind. Sie unterstützen die Partei der Menschheit gegen Laster und Unordnung, ihren gemeinsamen Feind. Und da die wohlwollende Sorge für andere mehr oder weniger über alle Menschen verteilt und bei allen gleich ist, kommt sie in Gesprächen häufiger vor, wird in Gesellschaft und Unterhaltung höher geschätzt, und der Tadel oder das Lob, die ihr folgen, werden dadurch aus der Lethargie erweckt, in die sie wahrscheinlich durch die einsame und unkultivierte Natur gebracht worden sind. Andere Leidenschaften, obwohl vielleicht ursprünglich stärker, aber auch selbstsüchtig und privat, werden oft von ihrer Macht überwältigt, und überlassen diesen sozialen und öffentlichen Prinzipien die Herrschaft in unserer Brust. Eine andere Triebkraft unserer Verfassung, die dem moralischen Gefühl einen großen Zuwachs an Kraft bringt, ist die Liebe zum Ruhm, die mit einer derart großen und unkontrollierbaren Autorität bei allen großzügigen Geistern vorherrscht und oft das große Ziel aller ihrer Pläne und Unternehmungen ist. Durch unser stetes und ernstes Streben nach einem Charakter, einem Namen und einer Reputation in der Welt bringen wir unser eigenes Auftreten oft zur Prüfung und überlegen uns, wie sie in den Augen der anderen erscheinen, die uns ansprechen und betrachten. Diese immerwährende Gewohnheit, uns in der Reflexion gleichsam abzuschätzen, erhält die Gefühle von richtig und falsch lebendig und ruft in edlen Personen eine bestimmte Ehrfurcht vor sich selbst und anderen hervor, die der sicherste Wächter jeder Tugend ist. Die tierischen Bequemlichkeiten und Vergnügen sinken allmählich in ihrem Wert, wohingegen jede innere Schönheit und moralische Anmut sorgfältig erworben werden und der Geist alle Vollkommenheit erreicht, die ein rationales Geschöpf zieren und schmücken kann. Hier findet sich die größte Vollkommenheit der Moral, die uns bekannt ist: Hier zeigt sich die Macht vieler Mitgefühle. Unser moralisches Gefühl ist selbst hauptsächlich ein Fühlen dieser Art. Und unsere Beachtung eines Charakters bei anderen scheint nur von der Sorge herzurühren, unseren eigenen Cha-

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rakter zu erhalten; um dieses Ziel zu erreichen, scheint es uns notwendig, unser schwankendes Urteil auf die entsprechende Zustimmung der Menschheit zu stützen. Um aber diese Dinge leichter zu machen und um jede Schwierigkeit, wenn möglich, aus dem Weg zu räumen, wollen wir annehmen, daß unsere Schlüsse falsch sind. Wir wollen einräumen, wir hätten eine falsche Hypothese angenommen, indem wir das aus der Betrachtung der Nützlichkeit entstehende Vergnügen aus den Gefühlen der Humanität und des Mitgefühls erklärt haben. Wir wollen zugeben, daß es notwendig ist, eine andere Erklärung des Beifalls zu finden, den man Dingen zollt, die, gleichgültig ob leblos, lebendig oder rational, eine Tendenz haben, die Wohlfahrt und den Vorteil der Menschheit zu befördern. Wie schwierig es auch sein mag sich vorzustellen, daß ein Gegenstand darum anerkannt wird, weil er eine Tendenz auf ein bestimmtes Ziel hat, während dieses Ziel selbst vollkommen gleichgültig ist, so wollen wir diese Absurdität doch akzeptieren und sehen, was daraus folgt. Die vorhergehende Beschreibung oder Definition von persönlichem Verdienst muß immer noch ihre Evidenz und Autorität behalten. Man muß immer noch einräumen, daß jede Eigenschaft des Geistes, die nützlich oder erfreulich für die Person selbst oder jemand anderen ist, dem Zuschauer Freude bringt, seine Achtung hervorruft und unter dem ehrenvollen Namen von Tugend oder Verdienst anerkannt wird. Werden nicht Gerechtigkeit, Treue, Ehre, Wahrhaftigkeit, Loyalität und Keuschheit nur wegen ihrer Tendenz, das Wohl der Gesellschaft zu fördern, akzeptiert ? Ist diese Tendenz nicht untrennbar mit Menschlichkeit, Wohlwollen, Milde, Großzügigkeit, Dankbarkeit, Mäßigung, Zärtlichkeit, Freundschaft und all den anderen sozialen Tugenden verbunden ? Kann man wirklich daran zweifeln, daß Fleiß, Besonnenheit, Sparsamkeit, Verschwiegenheit, Ordnung, Durchhaltevermögen, Vorsicht, Urteilskraft und die ganze Klasse von Tugenden und Verdiensten, für deren Auflistung viele Seiten nicht ausreichen würden – kann man daran zweifeln, frage ich, daß die Tendenz dieser Eigenschaften, die Interessen und das Glück ihres Besitzers zu fördern, das einzige Fundament ihres Verdienstes ist ?

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Wer kann bestreiten, daß ein Geist, der allen eine ständige Ruhe und Frohsinn, eine edle Ehrwürdigkeit, einen unverzagten Mut, eine zärtliche Zuneigung und einen guten Willen zeigt, eben deshalb, weil er selbst größere Freude empfindet, auch ein bewegterer und freudigerer Anblick für andere ist, als wenn er sich niedergeschlagen von Melancholie, gequält von Angst, irritiert von Zorn oder versunken in die tiefste Niedrigkeit und Verkommenheit zeigte. Und die Eigenschaften, die unmittelbar angenehm für andere sind, sprechen hinreichend für sich selber. Derjenige, der niemals den Charme eines leichtfertigen Witzes oder der überquellenden Liebenswürdigkeit, der feinen Bescheidenheit oder der edlen Vornehmheit in Umgang und Sitte gesehen hat, muß wirklich unglücklich sein, sowohl durch sein eigenes Temperament wie auch durch seine Situation und Gesellschaft. Ich weiß, daß nichts unphilosophischer ist, als starrsinnig und dogmatisch in Hinsicht auf ein bestimmtes Thema zu sein, und daß selbst ein übertriebener Skeptizismus, wenn er sich erhalten könnte, richtiges Denken und richtige Untersuchung weniger gefährden würde. Ich bin überzeugt, daß die Menschen, wo sie am sichersten und arrogantesten sind, auch gemeinhin am meisten fehlen, daß sie dort den Leidenschaften ohne jene gehörige Überlegung und Aufschiebung, die sie allein vor den größten Absurditäten schützen kann, die Zügel überlassen haben. Immerhin muß ich zugeben, daß diese Aufzählung das Thema in ein so helles Licht setzt, daß ich in diesem Moment von keiner Wahrheit, die ich durch Vernunft und Argument erreichen kann, mehr überzeugt sein könnte, als der, daß das persönliche Verdienst voll und ganz in der Nützlichkeit und Annehmlichkeit der Eigenschaften für die Person selbst, die sie besitzt, oder für andere, die Umgang mit ihr haben, besteht. Wenn ich aber darüber nachdenke, daß die Ausdehnung und die Figur der Erde gemessen und beschrieben, daß die Bewegungen der Gezeiten erklärt, die Ordnung und Bewegung der Gestirne ihren gehörigen Gesetzen unterworfen, und selbst die Unendlichkeit auf Berechnung reduziert worden ist, die Menschen jedoch noch immer über das Fundament ihrer moralischen Pflichten

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streiten – wenn ich darüber nachdenke, so verfalle ich wieder der Indifferenz und dem Skeptizismus und vermute, daß eine derart offensichtliche Hypothese schon vor langer Zeit durch die einstimmige Zusage und Übereinstimmung der Menschheit akzeptiert worden wäre, wenn sie wahr wäre. Teil 2 Nachdem ich die moralische Billigung, die Verdienst oder Tugend begleitet, erklärt habe, muß nun nur noch unsere mit Eigeninteresse verbundene Verpflichtung ihr gegenüber betrachtet werden. Dabei muß untersucht werden, ob nicht jeder Mensch, der an seinem eigenen Glück und seiner eigenen Wohlfahrt interessiert ist, seinen Profit am besten in der Erfüllung einer jeden Tugend finden wird. Wenn dies aus der vorgehenden Theorie klar hervorgeht, dann werden wir mit Zufriedenheit darauf reflektieren, daß wir Prinzipien angeführt haben, die nicht nur, wie wir hoffen, den Test der Vernunft und Untersuchung bestanden haben, sondern auch zur Erweiterung des menschlichen Lebens und zur Verbesserung der Moralität und sozialen Tugend beitragen. Obwohl die philosophische Wahrheit eines jeden Urteils in keiner Weise von seiner Tendenz abhängt, die Interessen der Gesellschaft zu fördern, zeigt ein Mann nur schlechtes Benehmen, wenn er eine Theorie vorträgt und dann zugeben muß, daß sie zu einer gefährlichen und schädlichen Praxis führt, wie wahr auch immer sie ist. Warum in den Winkeln der menschlichen Natur kratzen, wenn dies nur Ärger schafft ? Warum die Pest aus dem Loch ausgraben, in dem sie vergraben ist ? Man kann die Originalität deiner Untersuchungen bewundern, aber deine Systeme werden verachtet werden. Und die Menschheit wird darin übereinstimmen, daß sie auf jeden Fall in ein ewiges Schweigen und Vergessen gehüllt werden, auch wenn man sie nicht widerlegen kann. Wahrheiten, die der Gesellschaft schädlich sind, werden, wenn es derartige geben sollte, Irrtümern weichen, die heilsam und vorteilhaft sind. Doch welche philosophischen Wahrheiten können der Gesellschaft mehr nutzen als jene, die hier vorgestellt worden sind, die die Tugend in all ihren echten und ansprechendsten Reizen

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darstellen und uns erlauben, sich ihr mit Leichtigkeit, Vertrauen und Zuneigung zu nähern ? Das häßliche Kleid, mit dem viele Theologen und einige Philosophen sie bedeckt haben, fällt ab, und es zeigt sich nichts anderes als Zärtlichkeit, Menschlichkeit, Wohltätigkeit, Freundlichkeit, ja, zu angebrachten Zeiten sogar Spiel, Ausgelassenheit und Fröhlichkeit. Sie spricht nicht von nutzlosen Enthaltsamkeiten und Härten, Leiden und Selbstverneinung. Sie behauptet, daß es ihr einziger Zweck ist, ihre Anhänger und die ganze Menschheit in jedem Moment ihrer Existenz möglicherweise fröhlich und glücklich zu machen. Auch gibt sie freiwillig kein einziges Vergnügen auf, sondern höchstens in der Hoffnung auf ausgiebige Kompensation zu irgendeiner späteren Lebenszeit. Die einzige Anstrengung, die sie fordert, ist die genaue Berechnung und die fortdauernde Wahl des größeren Glücks. Und wenn irgendein strenger Heuchler, ein Feind von Glück und Vergnügen, ihr nahekommt, dann weist sie ihn entweder als Scheinheiligen und Betrüger zurück, oder, wenn sie ihn in ihre Partei einläßt, dann weist sie ihm den am wenigsten favorisierten Platz unter den Anhängern zu. Um alle bildlichen Ausdrücke zu vermeiden, können wir in der Tat fragen: Welche Hoffnung können wir jemals haben, alle Menschen in einer Praxis zu vereinigen, die wir als streng und rigoros erklären ? Oder, welche Theorie der Moral kann jemals ein wirkliches Ziel haben, wenn sie nicht im Detail zeigt, daß alle Pflichten, die sie empfiehlt, auch im wahren Interesse des Individuums liegen ? Der besondere Vorteil des vorangegangenen Systems scheint zu sein, daß es angemessene Mittel für diesen Zweck angibt. Es wäre sicherlich überflüssig zu zeigen, daß die Tugenden, die unmittelbar nützlich oder angenehm für die Person sind, die sie besitzt, auch aus Selbstinteresse zu bevorzugen sind. Die Moralisten können sich in der Tat die Mühe sparen, die sie oft darauf verwenden, diese Pflichten zu empfehlen. Zu welchem Zweck sollen wir Argumente sammeln, die zeigen, daß Mäßigung nützlich und Exzeß im Vergnügen schädlich sind ? Denn es scheint, daß diese Exzesse nur darum als schädlich bezeichnet werden, weil sie schädlich sind. Und wenn etwa der unbe-

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grenzte Genuß von starken Getränken die Gesundheit oder die geistigen und körperlichen Kräfte nicht mehr schädigte als der Genuß von Luft und Wasser, dann wäre er nicht um das geringste lasterhafter oder tadelnswerter. Es erscheint ebenso überflüssig zu beweisen, daß die freundschaftlichen Tugenden der guten Manieren und des Witzes, des Anstands und der Vornehmheit wünschenswerter sind als die gegenteiligen Eigenschaften. Eitelkeit allein, ohne jede andere Betrachtung, reicht hin, uns den Besitz dieser Errungenschaften zu wünschen. Kein Mann hat jemals willentlich darin gefehlt. All unsere Verfehlungen in dieser Hinsicht resultieren aus einer schlechten Erziehung, Unfähigkeit oder einer verdorbenen und unflexiblen Einstellung. Würdest du es nicht lieber wollen, daß deine Mitmenschen dich lieben, bewundern und dir folgen, als daß sie dich hassen, verachten und meiden ? Kann jemand allen Ernstes darüber nachdenken ? So wie Vergnügen ohne ein Verhältnis zu Mitmenschen und Gesellschaft nicht ehrlich sein kann, so kann keine Gesellschaft angenehm oder auch nur erträglich sein, wenn ein Mensch seine Gegenwart als unwillkommen empfindet und überall Zeichen von Ekel und Abneigung spürt. Warum aber sollte für die größere Gesellschaft oder die Vereinigung der Menschheit nicht dasselbe zutreffen, was für bestimmte Klubs und Vereine gilt ? Warum ist es zweifelhaft, daß die erweiterten Tugenden der Menschlichkeit, wie Großzügigkeit und Wohltätigkeit, ebenso wünschenswert in Hinsicht auf Glück und Selbstinteresse sind wie die Gaben des Einfallsreichtums und der Höflichkeit ? Sorgen wir uns, daß die sozialen Gefühle mehr und direkter dem privaten Nutzen entgegenstehen und nicht ohne einen wichtigen Verlust an Ehre und Vorteil befriedigt werden können ? Wenn das so wäre, dann wären wir nur schlecht über die Natur der menschlichen Leidenschaften informiert und mehr von verbalen Unterscheidungen beeinflußt als von wirklichen Unterschieden. Welcher Gegensatz auch immer gemeinhin zwischen den selbstsüchtigen und den sozialen Gefühlen oder Neigungen angenommen wird, in Wirklichkeit sind diese nicht mehr entge-

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gengesetzt als »selbstsüchtig« und »ehrgeizig«, »selbstsüchtig« und »rachsüchtig«, »selbstsüchtig« und »eitel«. Als Grund für die Selbstliebe muß es eine ursprüngliche Neigung geben, da sie den angestrebten Gegenständen einen besonderen Vorzug verleiht, und es gibt nichts, das zu diesem Zweck geeigneter wäre, als das Wohlwollen oder die Menschlichkeit. Die Glücksgüter werden für den einen oder anderen Genuß ausgegeben. Der Geizhals, der sein jährliches Einkommen spart und es gegen Zinsen ausleiht, hat es in Wirklichkeit ausgegeben, um seinen Geiz zu befriedigen. Und es dürfte schwierig zu zeigen sein, warum ein Mann mehr durch eine großzügige Handlung verliert als durch andere Arten von Ausgaben, da das Höchste, das er durch die ausschweifendste Selbstsucht gewinnen kann, die Befriedigung irgendeiner Neigung ist. Da nun das Leben ohne jede Leidenschaft vollkommen geschmacklos und ermüdend sein muß, wollen wir einmal annehmen, daß ein Mensch uneingeschränkt in der Lage ist, seine eigene Einstellung zu formen und darüber nachzudenken, welche Begierde oder welches Verlangen er als Fundament seines Glücks und seiner Freuden wählen würde. Er würde beobachten, daß jede Neigung, wenn sie erfolgreich gestillt ist, proportional zu ihrer Kraft und Heftigkeit befriedigt wird, daß aber das unmittelbare Gefühl des Wohlwollens und der Freundschaft, der Menschlichkeit und der Freundlichkeit nicht nur diesen Vorteil hat, der allen gemein ist, sondern auch noch mild, gleichmäßig, zärtlich und angenehm ist, und dies unabhängig von allem Glück und Zufall. Diese Tugenden sind außerdem noch von einem angenehmen Bewußtsein oder einer angenehmen Erinnerung begleitet, und sie erhalten uns in Einklang mit uns selbst und mit anderen, solange wir das angenehme Bewußtsein haben, unseren Teil für die Menschheit und die Gesellschaft getan zu haben. Obwohl alle Menschen Eifersucht in Hinsicht auf unseren Erfolg in Unternehmungen von Geiz und Ehrgeiz zeigen, können wir doch, solange wir den Pfad der Tugend verfolgen und uns in der Ausführung großzügiger Pläne und Absichten bemühen, ihres guten Willens sicher sein. Gibt es eine andere Leidenschaft, in der man so viele Vor-

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teile vereint findet, wie ein angenehmes Gefühl, ein zufriedenstellendes Bewußtsein und einen guten Ruf ? Wir können aber beobachten, daß die Menschen von diesen Wahrheiten schon von selbst sehr überzeugt sind. Sie fehlen auch in ihrer Pflicht gegenüber der Gesellschaft nicht deshalb, weil sie nicht großzügig, freundlich oder menschlich sein wollen, sondern weil sie diese Dinge einfach nicht fühlen. Wenn wir das Laster mit der größten Aufrichtigkeit behandeln und alle möglichen Zugeständnisse machen, müssen wir zugeben, daß es in keinem Fall auch nur die kleinste Ausflucht gibt, ihm aus Selbstinteresse den Vorzug vor der Tugend zu geben. Eine Ausnahme ist der Fall der Gerechtigkeit, in dem jemand, wenn man die Dinge in einem gewissen Licht sieht, oft seine Integrität zu verlieren scheint. Obwohl man zugibt, daß keine Gesellschaft ohne Beachtung des Eigentums möglich ist, kann ein kluger Schuft dennoch in bestimmten Situationen aufgrund der unvollkommenen Methode, mit der die menschlichen Geschäfte geführt werden, denken, daß eine ungerechte oder untreue Handlung einen nennenswerten Zuwachs seines Reichtums mit sich bringt, ohne einen beträchtlichen Bruch in der sozialen Einheit und Gemeinschaft zu verursachen. Der Satz »ehrlich währt am längsten« ist vielleicht eine gute allgemeine Regel, aber er hat viele Ausnahmen. Und man könnte vielleicht denken, daß derjenige am klügsten handelt, der dieser allgemeinen Regel folgt und den Vorteil aller Ausnahmen wahrnimmt. Ich muß zugeben, daß es etwas schwierig sein dürfte, jemandem, der glaubt, daß dieses Argument einer Widerlegung bedarf, so zu antworten, daß er sie zufriedenstellend und überzeugend fände. Wenn sein Herz nicht gegen so bösartige Maximen rebelliert, wenn er kein Zögern gegenüber Gedanken von Verbrechen und Niedrigkeit fühlt, dann hat er tatsächlich ein wichtiges Motiv für die Tugend verloren; und wir dürfen erwarten, daß seine Praxis seiner Spekulation Rechnung trägt. Bei allen aufrichtigen Naturen ist jedoch die Antipathie gegen Verrat und Gaunerei zu stark, um durch Aussichten auf Profit oder finanzielle Vorteile aufgewogen zu werden. Innerer Frieden des Geistes, Bewußtsein von Integrität, eine wohlwollende

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Ansicht unseres Handelns, dies sind die Umstände, die für das Glück außerordentlich notwendig sind und die von einem jeden ehrlichen Menschen, der ihre Wichtigkeit fühlt, verehrt und kultiviert werden. Ein solcher Mensch hat zudem die häufige Befriedigung, Bösewichte mit all ihren vorgetäuschten Listen und Begabungen durch ihre eigenen Maximen betrogen zu sehen; und während sie versuchen, mit Mäßigung und im Geheimen zu betrügen, entsteht eine verführerische Gelegenheit. Da die Natur schwach ist, gehen sie in die Falle, aus der sie sich nie wieder befreien können, ohne ihren Ruf vollkommen zu verlieren und das zukünftige Vertrauen der Menschheit zu verscherzen. Aber auch wenn sie äußerst geheim und erfolgreich sind, wird der ehrliche Mann, solange er die geringste Ahnung von Philosophie hat oder auch nur eine einfache Beobachtungsgabe und Reflexionsvermögen besitzt, erkennen, daß sie selbst letztlich die größten Gimpel sind und daß sie auf jeden Fall für sich selbst dieses unschätzbare Vergnügen an ihrem Charakter aufgegeben haben, um wertloses Spielzeug und Lappalien zu erwerben. Wie wenig brauchen wir, um die Notwendigkeiten der Natur zu erfüllen ? Und wie können wir die fieberhaften und leeren Belustigungen durch Luxus und Konsum mit dem Vergnügen vergleichen, das wir aufgrund der unkäuflichen Befriedigung durch Konversation, Gesellschaft, Studium und sogar durch Gesundheit und die einfachen Schönheiten der Natur, aber vor allem durch die friedliche Reflexion auf unser eigenes Benehmen erhalten ? Diese natürlichen Vergnügen sind in der Tat ohne Preis; und dies, weil sie unter allem Preis in ihrem Erwerb und über allem Preis in ihrem Genuß sind.

anhang 1

Von dem moralischen Gefühl Wenn die gerade vorgeschlagene Hypothese angenommen wird, dann wird es uns jetzt leicht fallen, eine Antwort auf die am Anfang gestellte Frage nach den allgemeinen Prinzipien der Moral zu geben.58 Wir hatten die Beantwortung dieser Frage aufgeschoben, weil wir nicht in komplizierte und für moralische Diskurse unpassende Spekulationen verwickelt werden wollten. Jetzt aber dürfen wir sie wieder aufnehmen und untersuchen, inwieweit entweder Vernunft oder Gefühl in alle unsere Entscheidungen über Lob und Tadel einfließt. Da der Nutzen einer jeden Eigenschaft oder Handlung eine wichtige Grundlage des moralischen Lobs sein soll, ist es offensichtlich, daß die Vernunft in jeder Entscheidung dieser Art eine beträchtliche Rolle spielen muß; denn nur dieses Vermögen kann uns über die Tendenz von Eigenschaften und Handlungen Auskunft geben und ihre nützlichen Folgen für die Gesellschaft und deren Eigentümer selbst aufzeigen. In vielen Fällen ist dieser Sachverhalt sehr umstritten. Es mag Zweifel geben; entgegengesetzte Interessen können entstehen; und es kann sein, daß eine Seite wegen sehr schöner Aussichten und einem kleinen Übergewicht an Nutzen bevorzugt wird. Dies ist in Fragen der Gerechtigkeit besonders bemerkenswert, was bei der Art des Nutzens, der zu dieser Tugend gehört, auch nur zu erwarten ist.59 Wenn jedes einzelne Beispiel der Gerechtigkeit für die Gesellschaft so nützlich wäre wie jedes Beispiel der Wohltätigkeit, dann wäre dies ein einfacherer Fall, der selten Anlaß zu großen Kontroversen gäbe. Weil aber einzelne Beispiele der Gerechtigkeit in ihrer ersten und unmittelbaren Tendenz oft schädlich 58 59

Erster Abschnitt. Siehe Anhang 3.

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sind und ihr Vorteil für die Gesellschaft nur aus der Beobachtung der allgemeinen Regel und dem Einverständnis und der Verbindung von verschiedenen Personen in demselben rechtmäßigen Verhalten resultiert, ist dieser Fall komplizierter und verwickelter. Die verschiedenen Verhältnisse der Gesellschaft, die verschiedenen Folgen einer jeden Praxis, die verschiedenen Interessen, die vorgebracht werden können – all diese Dinge sind in vielen Fällen zweifelhaft und Gegenstand ausgedehnter Diskussion und Untersuchung. Ziel der bürgerlichen Gesetze ist es, alle Fragen der Gerechtigkeit festzulegen. Die Debatten der Rechtswissenschaftler, die Reflexionen der Politiker, die Präzedenzfälle aus der Geschichte und aus den öffentlichen Archiven, sie alle haben denselben Zweck. Bei so vielen komplizierten Zweifeln, die aus dunklen und widersprüchlichen Nützlichkeiten entstehen, ist für die richtige Bestimmung häufig eine vollkommen zuverlässige Vernunft oder eine vollkommene Urteilskraft notwendig. Obwohl aber die Vernunft, wenn sie vollständig informiert und ausgebildet ist, hinreichend sein mag, um uns über die schädlichen und nützlichen Folgen von Eigenschaften und Handlungen aufzuklären, so ist sie jedoch allein nicht hinreichend, um moralischen Tadel oder moralisches Lob hervorzurufen. Nutzen ist immer eine Ausrichtung auf ein bestimmtes Ziel, und wenn das Ziel uns vollkommen gleichgültig wäre, dann würden wir dieselbe Gleichgültigkeit den Mitteln gegenüber fühlen. Es ist notwendig, daß sich hier ein Gefühl einstellt, das bewirkt, daß wir das Nützliche dem Schädlichen vorziehen. Dieses Gefühl kann nichts anderes sein als eine Freude über das Glück der Menschheit und eine Empörung über deren Elend, da dies die verschiedenen Ziele sind, auf deren Verwirklichung Tugend und Laster hinzielen. Die Vernunft belehrt uns hier über die verschiedenen Tendenzen der Handlungen und die Menschlichkeit trifft eine Entscheidung zugunsten derjenigen Handlungen, die nützlich und wohltätig sind. Die vorangegangene Hypothese sollte diese verschiedenen Rollen von Verstand und Gefühl in allen moralischen Entscheidungen aufgeklärt haben. Ich werde aber von der Vermutung

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ausgehen, sie sei falsch: Es wird dann notwendig sein, nach einer anderen Theorie Ausschau zu halten, die zufriedenstellend sein mag; und ich wage zu behaupten, daß eine solche Theorie nicht gefunden werden kann, solange wir davon ausgehen, daß die Vernunft die einzige Quelle der Moral ist. Für einen Beweis dieser These ist es zweckdienlich, die folgenden fünf Überlegungen zu prüfen. 1. Eine falsche Hypothese kann leicht einen gewissen Anschein von Wahrheit behalten, wenn man sie ganz allgemein hält, undefinierte Wörter benutzt und Vergleiche statt Beispiele anführt. Gerade dies kann besonders bei der philosophischen Position beobachtet werden, bei der die Erkenntnis aller moralischen Unterschiede ohne Zutun des Gefühls allein der Vernunft zugeschrieben wird. Es ist unmöglich, diese Hypothese auch nur in einem einzigen Beispiel verständlich zu machen, auch wenn sie eine beeindruckende Rolle in allgemein gehaltenen Reden und Unterhaltungen spielt. Untersuche zum Beispiel das Vergehen der Undankbarkeit, das immer dann vorliegt, wenn wir auf der einen Seite Hilfsbereitschaft beobachten, die durch gute Taten ausgedrückt und an solchen erkannt wird, und auf der anderen Seite Bösartigkeit oder Gleichgültigkeit, die mit schlechten Taten oder Nachlässigkeit verbunden ist. Analysiere all diese Umstände und prüfe allein mithilfe der Vernunft, worin hier der Unwert oder Tadel besteht: Du wirst nie zu einem Ergebnis oder einer Entscheidung kommen. Die Vernunft beurteilt entweder Tatsachen oder Verhältnisse. Untersuche also zuerst, was der Tatbestand ist, den wir Vergehen nennen, zeige ihn auf, bestimme die Zeit, als er bestand, beschreibe sein Wesen oder seine Natur, zeige sie auf, erkläre den Sinn oder das Vermögen, durch die wir ihn entdecken. Er findet sich im Gemüt der undankbaren Person. Der Undankbare muß ihn darum fühlen und sich seiner bewußt sein. Dort findet sich aber nichts außer der Leidenschaft, der Bösartigkeit oder der absoluten Gleichgültigkeit. Du kannst nicht sagen, daß diese Leidenschaften für sich genommen und in allen Umständen Vergehen sind. Nein, sie sind nur dann Vergehen, wenn sie Personen betreffen, die uns gegenüber vorher Wohltätigkeit

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ausgedrückt und gezeigt haben. Daraus dürfen wir schließen, daß das Vergehen der Undankbarkeit keine besondere, isolierte Tatsache ist, sondern von einer Verwicklung von Umständen abhängt, die, wenn sie einem Zuschauer gezeigt wird, durch die besondere Struktur und Eigenschaft seines Gemüts das Gefühl des Tadels hervorruft. Du sagst, diese Beschreibung sei falsch. Ein Vergehen bestehe in Wirklichkeit nicht in einer besonderen Tatsache, deren Realität uns die Vernunft versichert, sondern in bestimmten moralischen Verhältnissen, die durch die Vernunft entdeckt werden, so wie wir auch die Wahrheiten der Geometrie und der Algebra durch die Vernunft entdecken. Aber, so frage ich, welches sind denn die Verhältnisse, von denen du sprichst ? In dem Fall, den ich gerade angeführt habe, sehe ich zuerst die Wohltätigkeit und die guten Taten einer Person und dann die Bösartigkeit und die bösen Taten einer anderen. Zwischen diesen beiden Fällen besteht das Verhältnis des Widerspruchs. Besteht das Vergehen in diesem Verhältnis ? Nimm aber einmal an, daß ein Mensch uns gegenüber Böswilligkeit zeigte oder mir etwas Böses antat, und daß ich ihm dann Gleichgültigkeit oder Wohltätigkeit zeigte. Hier haben wir das gleiche Verhältnis des Widerspruchs, und doch ist mein Benehmen oft im höchsten Grade lobenswert. Drehe und wende diese Sache, wie du willst, du kannst die Moralität nie auf das Verhältnis gründen, sondern mußt dich auf die Entscheidungen des Gefühls berufen. Behauptet man, die Summe von zwei plus drei ist gleich der Hälfte von zehn, dann verstehe ich dieses Verhältnis von Gleichheit problemlos. Wenn ich mir vorstelle, daß zehn Teile in zwei geteilt werden, von denen der eine soviele Einheiten wie der andere hat, und daß einer dieser Teile mit zwei plus drei Einheiten verglichen wird, dann wird der eine auch soviele Einheiten enthalten wie der andere. Wenn du aber einen Vergleich zwischen diesem Sachverhalt und den moralischen Verhältnissen anstellst, dann muß ich sagen, daß ich dich überhaupt nicht verstehe. Eine moralische Handlung, ein Vergehen wie Undankbarkeit, ist eine komplizierte Sache. Besteht die Moralität im Verhältnis der Teile zueinander ? Aber wie ? Auf welche Weise ?

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Bestimme das Verhältnis: Wenn du spezifischere und explizitere Urteile anführst, so wirst du leicht ihre Falschheit erkennen. Nein, sagst du, die Moralität besteht in dem Verhältnis der Handlungen zu der Norm des Rechts. Und diese Handlungen werden gut oder schlecht genannt, je nachdem, ob sie mit der Norm übereinstimmen oder nicht. Was ist aber die Norm des Rechts ? Worin besteht sie ? Wie wird sie bestimmt ? Du sagst: Durch die Vernunft, die die moralischen Verhältnisse der Handlungen untersucht. Das heißt, daß die moralischen Verhältnisse durch den Vergleich einer Handlung mit einer Regel bestimmt werden. Und diese Regel wird durch die Betrachtung der moralischen Verhältnisse von Objekten bestimmt ? Das ist wirklich ein schönes Argument ! Dies alles ist Metaphysik, rufst du. Das genügt: Nichts anderes wird gebraucht, um einen starken Anschein von Falschheit vermuten zu lassen. Ja, sage ich, es ist mit Sicherheit Metaphysik. Doch alle diejenigen, die eine obskure Hypothese vorbringen, die niemals verständlich gemacht und die nie mit einem einzigen Beispiel belegt oder einer Erklärung in Einklang gebracht werden kann, sind auf deiner Seite. Die Hypothese, die von uns verteidigt wird, ist einfach. Sie besagt, daß die Moralität durch das Gefühl bestimmt ist. Sie definiert die Tugend als jede geistige Handlung oder Eigenschaft, die in einem Zuschauer das angenehme Gefühl der Billigung hervorruft, und das Laster als dessen Gegenteil. Dann fahren wir fort, eine einfache Tatsache zu untersuchen, nämlich, welche Handlungen diesen Einfluß auf uns haben. Wir betrachten alle Umstände, in denen diese Handlungen miteinander übereinstimmen, und versuchen, daraus einige allgemeine Beobachtungen hinsichtlich dieser Gefühle zu ziehen. Wenn du dies Metaphysik nennst und hierbei etwas Abstruses findest, dann solltest du nur den Schluß ziehen, daß deine geistige Verfassung nicht für die moralischen Wissenschaften geeignet ist. 2. Wenn sich ein Mensch irgendwann Gedanken über sein eigenes Verhalten macht (ob er beispielsweise in einer besonderen Notlage eher seinem Bruder oder seinem Wohltäter helfen soll), dann muß er diese unterschiedlichen Verhältnisse unter allen Bedingungen und in allen Situationen der Personen betrachten,

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um die höhere Pflicht und Schuldigkeit zu bestimmen. Auch um die Proportionalität von Linien in einem Dreieck zu bestimmen, muß man das Wesen dieser Figur und das Verhältnis, das seine verschiedenen Teile zueinander haben, untersuchen. Doch trotz der scheinbaren Ähnlichkeit der zwei Fälle, sind sie im Grunde äußerst verschieden. Ein spekulativer Denker, der sich mit Dreiecken oder Kreisen beschäftigt, betrachtet einige bekannte und gegebene Verhältnisse der Teile dieser Figuren und schließt von ihnen auf ein unbekanntes Verhältnis, das von dem ersteren abhängig ist. In moralischen Überlegungen hingegen müssen wir schon mit allen Gegenständen und ihren Verhältnissen zueinander bekannt sein. Und wir treffen unsere Wahl oder geben unseren Beifall auf der Basis eines Vergleichs des Ganzen. Keine neue Tatsache muß gefunden werden. Keine neuen Verhältnisse müssen entdeckt werden. Alle Umstände des Falls müssen schon bekannt sein, bevor wir ein Urteil des Tadels oder der Billigung fällen können. Sollte ein wichtiger Umstand noch unbekannt oder zweifelhaft sein, dann müssen wir zunächst unsere Untersuchung oder unsere intellektuellen Fähigkeiten anwenden, um uns seiner zu versichern und jede moralische Entscheidung oder jedes moralische Gefühl erst einmal aufschieben. Wenn wir noch nicht wissen, ob jemand der Angreifer war oder nicht, wie können wir dann bestimmen, ob die Person, die ihn tötete, schuldig oder unschuldig ist ? Wenn aber jeder Umstand und jedes Verhältnis bekannt ist, hat der Verstand keinen weiteren Spielraum und keinen Gegenstand, mit dem er sich beschäftigen könnte. Der Beifall oder der Tadel, der dann folgt, kann nicht das Werk des Verstandes, sondern nur das Werk des Herzens sein; und es ist weder ein spekulatives Urteil noch eine Behauptung, sondern ein aktives Fühlen oder Empfinden. In den Untersuchungen des Verstandes schließen wir von bekannten Umständen und Verhältnissen auf neue und unbekannte. In moralischen Entscheidungen müssen alle Umstände und Verhältnisse schon bekannt sein; und das Gemüt hat ein neues Gefühl der Zärtlichkeit oder des Ekels, der Hochschätzung oder der Verachtung, des Beifalls oder des Tadels bei der Betrachtung des Ganzen.

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Hieraus resultiert der große Unterschied zwischen einem faktischen und einem rechtlichen Irrtum, und dies ist der Grund, warum der eine normalerweise ein Vergehen ist, der andere nicht. Als Ödipus den Laios tötete, wußte er nichts über ihre Verwandtschaft und faßte unschuldig und unwillentlich eine falsche Meinung über die Handlung, die er beging. Als Nero jedoch die Agrippina tötete, kannte er alle Verhältnisse, die zwischen ihm und dieser Person bestanden, alle Tatumstände waren ihm bekannt. Jedoch überwältigte das Motiv der Rache, der Furcht oder des Eigennutzes die Gefühle der Pflicht und Menschlichkeit in seinem verwilderten Herzen. Und wenn wir dieser Abscheu vor ihm Ausdruck geben, die er selbst in so kurzer Zeit nicht mehr fühlen konnte, dann ist das nicht wegen neuer Verhältnisse, die er nicht kannte, sondern deshalb, weil er durch Schmeichelei und lang anhaltendes und extrem verbrecherisches Verhalten Gefühlen gegenüber stumpf geworden war, die wir aufgrund unseres aufrichtigen Gemüts haben. In diesen Gefühlen, nicht in dem Entdecken von Verhältnissen irgendwelcher Art, bestehen alle moralischen Bestimmungen. Bevor wir uns anmaßen dürfen, eine Entscheidung dieser Art zu fällen, muß alles über den Gegenstand oder die Handlung bekannt und erkannt sein. Es bleibt darum nur noch, daß wir selbst ein Gefühl des Tadels oder des Lobs erfahren, aufgrund dessen wir die Handlung als schlecht oder tugendhaft beurteilen. 3. Diese Lehre wird noch deutlicher, wenn wir die moralische Schönheit mit der natürlichen vergleichen, mit der sie in vielen Einzelheiten sehr große Ähnlichkeit besitzt. Alle natürliche Schönheit hängt von der Proportion, der Relation und der Position der Teile ab, aber es wäre absurd, wenn man hieraus schließen würde, daß die Wahrnehmung der Schönheit gänzlich in der Wahrnehmung der Verhältnisse bestünde, so wie dies bei der geometrischen Wahrheit der Fall ist, und daß die Schönheit nur von dem Verstand oder den intellektuellen Fähigkeiten aufgefaßt wird. In allen Wissenschaften untersucht unser Gemüt das Unbekannte durch bekannte Verhältnisse. In allen Entscheidungen des Geschmacks oder der äußeren Schönheit sind jedoch alle Verhältnisse schon vorher augenscheinlich;

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und das Gefühl des Gefallens oder Mißfallens erfolgt dann aus diesen Verhältnissen nach der Natur des Gegenstandes und der Verfaßtheit unserer Organe. Euklid hat alle Eigenschaften des Kreises voll und ganz erklärt, aber über dessen Schönheit hat er in seinen Lehrsätzen nicht ein einziges Wort gesagt. Der Grund ist offensichtlich: Die Schönheit ist keine Eigenschaft des Kreises. Sie kann nicht in irgendeinem Punkt der Linie, deren Punkte gleich weit von einem gemeinsamen Mittelpunkt entfernt sind, gefunden werden. Sie besteht ganz allein in der Wirkung, die diese Figur auf das Gemüt ausübt, dessen besondere Eigenschaft und Struktur es für solche Gefühle empfänglich macht. Du würdest vergeblich nach ihr in dem Kreise suchen. Weder durch Sinne noch durch mathematische Schlüsse kann sie in irgendeiner seiner Eigenschaften gefunden werden. Sieh dir die Erklärung aller Teile und Proportionen der Säule bei Palladio und Perrault an. Sie sprechen von Kranzgesims, Fries, Säulenbasis, Gebälk, vom Säulenschaft und vom Architrav. Sie beschreiben jeden Teil und geben dessen Position an. Wenn du sie aber nach der Beschreibung und der Position der Schönheit fragen würdest, dann würden sie sofort sagen, daß die Schönheit in keinem der Teile liegt, sondern aus dem Ganzen resultiert, wenn die komplizierte Figur einem intelligenten Geist gezeigt wird, der fähig ist, diese höheren Sinneseindrücke zu empfinden. Bevor solch ein Zuschauer erscheint, gibt es nur eine Figur von bestimmten Dimensionen und Proportionen. Ihre Eleganz und Schönheit entspringt nur aus seinen Gefühlen allein. Oder sieh bei Cicero nach, wo er die Untaten von Verres oder Catilina schildert. Du mußt zugeben, daß moralische Verderbtheit in der gleichen Weise durch die Betrachtung des Ganzen entsteht, wenn sie sich einem Wesen von ganz besonderer Struktur und Einrichtung darbietet. Dieser Redner schildert einmal die Wut, die Überheblichkeit und die Barbarei, und ein anderes Mal die Sanftmut, das Leiden, den Kummer und die Unschuld. Sollte aber keine Entrüstung oder kein Mitleid durch diese Verflechtung der Umstände in dir aufkommen, dann würdest du

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ihn vergeblich fragen, worin das Verbrechen oder die Schandtat besteht, gegen die er so heftig deklamiert. Wann oder mit welcher Sache fing es an ? Was wird nach einigen Monaten aus dem Verbrechen, wenn sich die Einstellung und die Auffassung aller Beteiligten vollkommen verändert hat oder verschwunden ist ? Die abstrakte Hypothese der Moral kann keine Antwort auf irgendeine dieser Fragen geben. Und wir müssen letztlich zugeben, daß das Vergehen oder das Unmoralische keine besondere Tatsache oder kein besonderes Verhältnis ist, welches ein Gegenstand des Verstandes sein kann. Es entsteht im Gegenteil allein aus dem Gefühl des Tadels, das wir unausweichlich durch die Struktur der menschlichen Natur fühlen, wenn wir Barbarei und Verrat wahrnehmen. 4. Unbelebte Gegenstände können in genau denselben Verhältnissen zueinander stehen, wie wir sie bei moralisch handelnden Wesen beobachten. Doch die unbelebten Gegenstände können nie Gegenstand von Liebe und Haß sein. Darum sind sie auch nie Gegenstand von Verdienst oder Unrecht. Das Verhältnis eines jungen Baums, der über seinen Mutterstamm hinauswächst und ihn zerstört, ist dem Verhältnis Neros, der Aggripina ermordete, vollkommen gleich. Sollte die Moralität nur in Verhältnissen bestehen, dann würden beide gleich schlecht sein. 5. Es scheint offenkundig, daß die letzten Zwecke menschlicher Handlungen in keinem einzigen Fall durch die Vernunft erklärt werden können, sondern daß sie sich ganz allein den Gefühlen und Neigungen empfehlen, ohne in irgendeiner Weise von den intellektuellen Vermögen abzuhängen. Frage einen Menschen, warum er sich körperlich betätigt. Er wird sagen, weil er gesund bleiben will. Fragst du ihn, warum er gesund sein will, wird er sofort antworten, weil Krankheit schmerzhaft ist. Solltest du weiter fragen und eine Antwort auf die Frage verlangen, warum er Schmerz haßt, dann kann er Dir unmöglich eine Antwort geben. Dies ist ein letzter Zweck, der niemals auf irgendeinen anderen Gegenstand bezogen wird. Auf deine zweite Frage, warum er Gesundheit will, könnte er auch antworten, daß sie für die Ausübung seines Berufs notwendig

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ist. Wenn du fragst, warum ihm dies wichtig ist, wird er antworten, weil er Geld verdienen will. Wenn du fragst: Warum ?, wird er sagen: Weil es das Mittel zum Vergnügen ist. Darüber hinaus nach einem Grund zu fragen, wäre absurd. Ein regressus ad infinitum ist hier unmöglich. Es kann nicht immer wieder einen Grund geben, warum etwas anderes gewollt wird. Es muß etwas geben, daß um seiner selbst willen und wegen seiner unmittelbaren Harmonie und Einstimmung mit dem menschlichen Gefühl gewollt wird. Weil aber die Tugend ein Zweck ist und um ihrer selbst willen, ohne Bezahlung oder Belohnung, ganz allein wegen der unmittelbaren Befriedigung gewollt wird, ist ein gewisses Gefühl notwendig, das von der Tugend berührt wird, irgendein Geschmack oder eine Empfindung oder wie immer man es nennen soll, das zwischen dem moralisch Guten und Schlechten unterscheidet, das eine annimmt und das andere zurückweist. So werden die deutlichen Grenzen und Aufgaben der Vernunft und des Geschmacks leicht erkannt. Die Vernunft ist für uns die Quelle der Erkenntnis des Wahren und Falschen. Der Geschmack ist die Quelle des Gefühls von Schönheit und Mißbildung, Laster und Tugend. Die eine entdeckt Gegenstände, wie sie wirklich in der Natur vorkommen, ohne ihnen etwas hinzuzufügen oder wegzunehmen. Der andere besitzt ein produktives Vermögen und vergoldet oder färbt alle natürlichen Gegenstände mit solchen Farben, die er sich von dem inneren Gefühl leiht, und so schöpft er in gewisser Weise etwas Neues. Die Vernunft ist kühl und distanziert. Sie ist kein Motiv der Handlung und zeigt dem Impuls, den wir von der Lust oder der Neigung empfangen, nur die Mittel, durch die wir Glück erreichen oder Unglück vermeiden können. Der Geschmack wird ein Motiv der Handlung und ist die erste Quelle oder der erste Impuls für Verlangen und Wollen, weil er Freude oder Schmerz erzeugt. Die Vernunft führt uns von den bekannten oder vermuteten Umständen und Verhältnissen zur Entdeckung des Verborgenen und Unbekannten. Nachdem alle Umstände und Verhältnisse bekannt sind, läßt uns der Geschmack durch das Ganze ein neues Gefühl von Tadel oder Lob fühlen. Der

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Maßstab der einen, in der Natur der Dinge gegründet, ist ewig und unbeugsam – und wäre es der Wille des höchsten Wesens, der ihn beugen wollte. Der Maßstab des anderen, der aus der inneren Natur und der Konstitution der Tiere resultiert, hängt letztlich vom höchsten Willen ab, der jedem Wesen seine eigene Natur gegeben und die verschiedenen Klassen und Ordnungen des Seins eingerichtet hat.

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Von der Selbstliebe Es gibt ein Prinzip, das anscheinend von vielen akzeptiert wird und mit jeder Tugend und jedem moralischen Gefühl vollkommen unvereinbar ist; und da es nur aus einer höchst verdorbenen Einstellung entstehen kann, so trägt es auch wiederum dazu bei, diese Verderbtheit weiter zu fördern. Dieses Prinzip besagt, daß alles Wohlwollen nichts als Scheinheiligkeit, daß jede Freundschaft nichts als Betrug, daß das Gemeinschaftsgefühl ein schlechter Witz und die Treue eine Falle ist, durch die Vertrauen und Sicherheit eingefangen werden. Und obwohl wir alle eigentlich nur unsere eigenen Interessen verfolgen, tragen wir diese schönen Verkleidungen, um die Wachsamkeit anderer zu verringern, so daß sie unserer Schlauheit und Manipulation noch stärker ausgesetzt sind. Es ist leicht zu sehen, welches Herz derjenige haben muß, der diese Prinzipien befürwortet und durch kein inneres Gefühl darauf hingewiesen wird, daß eine derart schädliche Theorie falsch ist. Weiterhin ist auch leicht zu sehen, wie wenig Zuneigung und Wohlwollen er zu einer Gattung haben kann, die er in so häßlichen Farben malt und die er so wenig der Dankbarkeit oder der Erwiderung von Zuneigung fähig hält. Selbst wenn wir diese Prinzipien nicht gänzlich einem verdorbenen Herzen zuschreiben wollen, so müssen wir sie doch zumindest auf eine sehr sorglose und flüchtige Untersuchung zurückführen. Oberflächliche Denker, die viele falsche Versprechen bei den Menschen beobachtet haben und die vielleicht selbst keinen starken Widerstand gegen diese in ihrer eigenen Einstellung fühlen, könnten in der Tat einen allgemeinen und voreiligen Schluß ziehen, daß alles gleichermaßen korrupt ist und daß die Menschen, anders als alle anderen Tiere und sogar alle anderen Arten des Seins, keinen Grad von gut oder schlecht besitzen, sondern in jedem Fall die

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gleichen Geschöpfe mit verschiedenen Verkleidungen und Erscheinungen sind. Es gibt ein anderes Prinzip, das dem ersten ähnlich ist, auf dem Philosophen mit großem Nachdruck bestanden haben und das die Grundlage vieler Systeme gewesen ist. Nach diesem Prinzip gibt es keine Leidenschaft, die uneigennützig ist, ganz gleich, ob wir Zärtlichkeit wirklich fühlen oder uns nur einbilden, ein Gefühl für andere zu haben. Die freigebigste Freundschaft, wie ehrlich sie auch sein mag, ist nichts als eine Form der Selbstliebe. Wir suchen nur unsere eigene Befriedigung, wenn wir uns intensiv mit Plänen für die Freiheit und das Glück der Menschheit beschäftigen, auch wenn wir uns dessen nicht bewußt sind. Durch eine Wendung der Einbildungskraft, eine Verfeinerung des Reflexionsvermögens und durch eine schwärmerische Leidenschaft scheinen wir an den Interessen anderer teilzunehmen und bilden uns ein, von allen selbstsüchtigen Überlegungen frei zu sein. Aber der freigebigste Patriot und der größte Geizhals, der tapferste Held und der verächtlichste Feigling haben im Grunde in jeder Handlung das gleiche Interesse an ihrem eigenen Glück und Wohlergehen. Wer aus der scheinbaren Tendenz dieser Meinung den Schluß zieht, daß diejenigen, die sie vertreten, unmöglich selbst das wahre Gefühl der Wohltätigkeit empfinden oder ein Interesse an der eigentlichen Tugend haben können, wird oft durch die Praxis widerlegt. Redlichkeit und Ehre waren dem Epikur und seiner Schule nicht unbekannt. Atticus und Horaz scheinen wegen ihrer durch Reflexion kultivierten Natur eine ebenso großzügige und freundliche Einstellung gehabt zu haben wie irgendein Schüler der strengeren Schulen. Und unter den modernen Denkern scheinen Hobbes und Locke, die das System der Selbstliebe in der Moral vertreten haben, vorbildlich gelebt zu haben, und dies, obwohl Hobbes von keinen religiösen Skrupeln beeinflußt wurde, die diese Defekte seiner Philosophie hätten beheben können. Ein Epikureer oder ein Hobbesianer gibt natürlich zu, daß es so etwas wie Freundschaft ohne Verstellung oder Verschleierung wirklich gibt, obwohl er versuchen würde, die Elemente

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dieser Leidenschaft durch eine chemische Analyse der Philosophie, wenn ich es so nennen darf, auf etwas anderes zu reduzieren. Er würde versuchen, jede Zuneigung dadurch zu erklären, daß die Selbstliebe durch eine besondere Ausrichtung der Einbildungskraft in eine Anzahl von verschiedenen Erscheinungen verzerrt und verformt wird. Da aber dieselbe Ausrichtung der Einbildungskraft nicht jeden Menschen beherrscht und auch der ursprünglichen Leidenschaft nicht dieselbe Richtung gibt, so ist dies genug, die größten Unterschiede zwischen menschlichen Charakteren hervorzubringen und den einen tugendhaft und menschlich, den anderen gefährlich und als einen Menschen von niederen Interessen zu bezeichnen. Ich achte den Menschen, dessen Selbstliebe ihn so geleitet hat, daß er Anteilnahme an anderen empfindet und so der Gesellschaft nützlich ist, wie auch immer dies geschehen ist. Genauso hasse oder verachte ich denjenigen, der keinerlei Interesse an irgendeiner Sache hat, die nicht seine eigene Befriedigung oder eigenen Freuden betrifft. Du würdest vergeblich versuchen mir einzureden, daß diese Charaktere, obwohl scheinbar einander entgegengesetzt, letztlich dieselben sind und daß nur eine sehr unscheinbare Veränderung des Denkens den ganzen Unterschied zwischen ihnen ausmacht. Abgesehen von diesen unwichtigen Unterschieden, scheinen mir beide Charaktere in der Praxis durchaus beständig und unveränderlich zu sein. Auch kann ich in diesem Gebiet nicht mehr als in anderen finden, daß die natürlichen Empfindungen, die von den allgemeinen Erscheinungen der Dinge hervorgerufen werden, leicht durch subtile Reflexionen über die kleinsten Einzelheiten des Ursprungs dieser Erscheinungen zerstört werden. Erweckt nicht die lebendige und fröhliche Farbe eines Gesichtsausdrucks das Gefühl von Zufriedenheit und Freude in mir, auch wenn ich aus der Philosophie weiß, daß jeder Unterschied in der Farbe des Gesichts aus den geringsten Unterschieden der Dichte in den kleinsten Bestandteilen der Haut resultiert, durch welche die Oberfläche in der Lage ist, eine der ursprünglichen Farben des Lichts zu reflektieren und die anderen zu absorbieren ?

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Obwohl die Frage nach der universellen oder eingeschränkten Selbstsucht des Menschen vielleicht nicht so wichtig für die Moralität und Praxis ist, wie man im allgemeinen annimmt, so hat sie mit Sicherheit Folgen für die spekulative Wissenschaft über die menschliche Natur und ist ein legitimer Gegenstand der Neugier und Forschung. Es mag darum nicht unangebracht sein, ihr hier einige Reflexionen zu widmen.60 Der offensichtlichste Einwand gegen die Hypothese der Selbstsucht ist, daß es der größten Anstrengung der Philosophie bedarf, ein derart außergewöhnliches Paradox zu beweisen, weil es dem allgemeinen Gefühl und den vollkommen vorurteilsfreien Begriffen widerspricht. Dem unbesorgtesten Zuschauer scheint es, daß es Anlagen wie Wohlwollen und Großmut, Neigungen wie Liebe, Freundschaft, Mitleid und Dankbarkeit gibt. Die alltägliche Sprache und Beobachtung haben Ursachen, Wirkungen, Gegenstände und Verlauf dieser Empfindungen benannt und sie klar von denen der selbstsüchtigen Leidenschaften getrennt. Da die Dinge offensichtlich so zu sein scheinen, müssen wir sie so akzeptieren, wenn wir nicht durch eine gründlichere Untersuchung der menschlichen Natur eine Hypothese entdecken, die vielleicht beweist, daß die vorherigen Neigungen nur Formen der Selbstsucht sind. Alle Versuche, dies zu zeigen, waren bislang fruchtlos und scheinen nur ein Resultat der Vorliebe für Einfachheit zu sein, die so viele Von Natur aus gibt es zwei Arten von Wohlwollen, das allgemeine und das besondere. Die erste Art wird in Fällen angetroffen, in denen wir mit einer Person weder durch Freundschaft, Verwandtschaft oder Achtung verbunden sind, sondern nur ein allgemeines Mitgefühl für sie haben, Mitleid oder Mitfreude. Die andere Art von Wohlwollen gründet sich auf eine Überzeugung von Tugend, auf Diensten, die uns erwiesen wurden, oder auf irgendwelche besondere Verbindungen. Beide Empfindungen müssen als zur menschlichen Natur gehörig angenommen werden; ob sie sich aber auf einige subtile Erwägungen der Selbstliebe reduzieren lassen, ist eine Frage, die eher interessant als wichtig ist. Ich werde die erste Art von Empfindung, nämlich die des allgemeinen Wohlwollens, der Menschlichkeit oder des Mitgefühls, die wir im Zuge dieser Untersuchung oft behandeln werden, auf der Basis der allgemeinen Erfahrung, ohne jeden anderen Beweis, als wirklich annehmen. 60

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falsche Argumente in der Philosophie hervorgebracht hat. Ich werde hier nicht auf irgendwelche Einzelheiten dieses Themas eingehen. Viele fähige Philosophen haben die Unzulänglichkeit dieser Systeme aufgezeigt. Und ich werde hier als bewiesen ansehen, was meiner Meinung nach die geringste Überlegung jedem uneigennützigen Forscher sofort als evident erscheinen lassen wird. Die Natur dieses Themas gibt uns jedoch die größte Zuversicht, daß auch in Zukunft kein besseres System erfunden werden wird, um den Ursprung der wohlwollenden aus den selbstsüchtigen Neigungen zu erklären und all die verschiedenen Gefühle des menschlichen Geistes auf etwas vollkommen Einfaches zu reduzieren. Der Fall ist in dieser Art von Philosophie nicht identisch mit dem in der Physik. So manche Hypothese über die Natur, die den primären Erscheinungen widerspricht, hat sich nach genauerer Untersuchung als wohlbegründet und überzeugend erwiesen. Beispiele dieser Art sind so zahlreich, daß ein Philosoph, der ebenso einsichtig wie geistreich war, die Behauptung gewagt hat, daß, wenn es mehr als eine Ursprungsart für ein Phänomen gibt, die Wahrscheinlichkeit dafür, daß es eine Wirkung der am wenigsten offensichtlichen Ursachen ist, groß ist.61 Bei allen Untersuchungen über den Ursprung unserer Neigungen und der inneren Tätigkeit des menschlichen Geistes hingegen findet sich die Wahrscheinlichkeit immer auf der anderen Seite. Die einfachste und offensichtlichste Ursache, die hier irgendeinem Phänomen zugeordnet werden kann, ist wahrscheinlich die wahre. Wenn ein Philosoph sich auf sehr spitzfindige und raffinierte Reflexionen verlassen muß, um sein System zu erklären, und sie als wesentlich für die Entstehung einer jeden Leidenschaft oder Empfindung ansehen muß, dann haben wir einen Grund, äußerst vorsichtig gegenüber einer so trügerischen Hypothese zu sein. Die Neigungen sind gar nicht empfänglich für einen Eindruck, der aus der Kultivierung der Vernunft oder der Einbildungskraft resultiert; und Mons. Fontenelle [Bernard le Bovier de Fontenelle, Entretiens sur la pluralité des mondes]. 61

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wir entdecken in jedem Fall, daß eine heftige Anstrengung der Vernunft und der Einbildungskraft infolge der eingeschränkten Fassungskraft des menschlichen Geistes alle Tätigkeit der Affektionen notwendig zerstört. Die uns beherrschenden Motive oder Intentionen sind uns in der Tat oft nicht bewußt, wenn sie mit anderen Motiven vermengt und verwechselt werden, die der Geist aus Eitelkeit oder Selbsttäuschung gern als wichtiger annehmen möchte. Es gibt aber kein Beispiel dafür, daß eine derartige Täuschung jemals aus der Verworrenheit und Unübersichtlichkeit des Motivs herrührte. Ein Mensch, der seinen Freund und Helfer verloren hat, mag sich selbst schmeicheln, daß all seine Trauer aus großzügigen Gefühlen entsteht, ohne jede Beimischung von Überlegungen, die parteiisch sind und Eigeninteresse zeigen. Wie können wir jedoch glauben, daß die innige Zärtlichkeit desjenigen, der um einen werten Freund trauert, der seine Unterstützung und seinen Schutz brauchte, aus einer metaphysischen Überlegung über das eigene Interesse entsteht, das keine Grundlage oder Realität hat ? Wenn wir den Ursprung der Leidenschaft aus derart verworrenen Reflexionen erklären, dann können wir ebenso gut glauben, daß die winzigen Räder und Federn, die sich in einer Taschenuhr befinden, einen beladenen Wagen antreiben. Man glaubt, daß Tiere Freundlichkeit gegenüber ihrer eigenen Gattung und gegenüber der unseren zeigen können, und in diesem Fall gibt es nicht den geringsten Grund, Verstellung oder List anzunehmen. Sollen wir auch alle ihre Gefühle aus raffinierten Deduktionen des Eigeninteresses ableiten ? Wenn wir aber ein derart uneigennütziges Wohlwollen bei der niedrigeren Gattung annehmen, nach welcher Regel der Analogie können wir sie dann der höheren absprechen ? Die Liebe zwischen den Geschlechtern bringt eine Selbstzufriedenheit und Hilfsbereitschaft hervor, die von der Befriedigung einer Begierde sehr verschieden ist. Zärtlichkeit gegenüber den Nachkommen wiegt bei allen fühlenden Wesen gemeinhin schon die stärksten Motive der Selbstliebe auf und hängt in keiner Weise von diesem Gefühl ab. Welches Interesse sollte eine liebende Mutter im Auge haben, die ihre eigene Gesundheit

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durch die unermüdliche Pflege ihres kranken Kindes verliert, um dann später dahinzusiechen und aus Trauer zu sterben, wenn sie durch dessen Tod von der Sklaverei dieser Pflege befreit wird ? Ist Dankbarkeit eine Wirkung des menschlichen Herzens oder ist sie nur ein Wort ohne jeden Sinn und jede Bedeutung ? Ziehen wir nicht die Gesellschaft eines Menschen der eines anderen vor; und haben wir nicht den Wunsch, daß es unserem Freund gutgeht, auch wenn Abwesenheit oder Tod es uns nicht erlauben würden, daran in irgendeiner Weise teilzuhaben ? Was ist es, wenn nicht unsere Zuneigung und Sorge, die uns gemeinhin daran Anteil nehmen lassen, selbst wenn wir noch leben und bei ihm sind ? Dies und tausend andere Dinge mehr sind Zeichen eines allgemeinen Wohlwollens in der menschlichen Natur, auch wenn uns kein wirkliches Interesse an den Gegenstand bindet. Und es scheint schwer erklärbar zu sein, wie ein eingebildetes Interesse, das als solches bekannt und anerkannt ist, die Quelle irgendeiner Leidenschaft oder irgendeines Gefühls sein kann. Bis jetzt ist noch keine befriedigende Hypothese in dieser Hinsicht entdeckt worden, und es besteht auch nicht die geringste Wahrscheinlichkeit, daß künftigem Fleiß der Menschen jemals größerer Erfolg beschieden sein wird. Wenn wir diesen Sachverhalt richtig betrachten, dann werden wir außerdem finden, daß die Hypothese eines uneigennützigen, von der Selbstliebe verschiedenen Wohlwollens in Wirklichkeit einfacher ist und auch in größerem Einklang mit der Analogie der Natur steht als jene Hypothese, die vorgibt, alle Freundschaft und Humanität in das Prinzip der Selbstliebe aufzulösen. Es gibt körperliche Wünsche oder Begierden, die von jedermann akzeptiert werden, die notwendigerweise allen sinnlichen Vergnügen vorausgehen und uns unmittelbar dazu antreiben, den Besitz des Gegenstandes anzustreben. So haben Hunger und Durst Essen und Trinken zum Ziel, und aus der Befriedigung dieser primären Begierden entsteht ein Vergnügen, das Ziel einer anderen Art von Wunsch oder Neigung werden kann, die dann sekundär und parteiisch ist. In gleicher Weise

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gibt es geistige Leidenschaften, durch die wir interesselos und unmittelbar bewegt werden, besondere Ziele, wie Ruhm, Macht oder Rache anzustreben. Wenn man diese Dinge erreicht hat, dann entsteht aus der erfüllten Neigung ein angenehmes Gefühl der Freude. Die Natur muß aufgrund der inneren Struktur und Konstitution des Geistes einen ursprünglichen Hang zum Ruhm hervorrufen, ehe wir irgendein Vergnügen aus seiner Erwerbung erhalten oder ihn aus Selbstsucht oder einem Wunsch nach Glück anstreben können. Bin ich nicht eitel, kann ich keine Freude am Lob haben. Wäre ich ohne jeglichen Ehrgeiz, würde mich Macht nicht erfreuen, wäre ich nicht zornig, dann würde die Bestrafung eines Gegners mir vollkommen gleichgültig sein. In all diesen Fällen gibt es eine Leidenschaft, die unmittelbar auf den Gegenstand zielt und ihn zu unserem Gut oder Glück macht. Ebenso gibt es auch sekundäre Leidenschaften, die später entstehen und denselben Gegenstand als Teil unseres Glücks anstreben, sobald unsere ursprünglichen Neigungen ihn so konstituiert haben. Gäbe es keine Art von Lust, die der Selbstliebe vorausgeht, dann könnte sich diese Vorliebe kaum jemals zeigen, da wir in diesem Fall nur wenige und schwache Schmerzen und Vergnügen fühlen würden und wenig Unglück oder Glück vermeiden oder anzustreben hätten. Welches Problem nun liegt in der Annahme, daß etwas Ähnliches für Wohlwollen und Freundschaft gilt und daß wir wegen der ursprünglichen Ausrichtung unseres Temperaments einen Wunsch nach Glück oder Gut eines anderen fühlen können, das durch dieselbe Neigung zu unserem eigenen Gut wird und später aufgrund der Vereinigung der Motive des Wohlwollens und der eigenen Befriedigung selbst angestrebt wird ? Wer versteht nicht, daß die Rache allein aufgrund der Macht dieser Leidenschaft so eifrig verfolgt werden kann, daß sie uns dazu verleitet, jede Rücksicht auf Bequemlichkeit bewußt zu mißachten und unsere Seele selbst in die Wunden zu legen, die wir einem Feind zufügen ?62 Wie bösartig muß eine Philosophie sein, die der Hu»Animasque in vulnere ponunt.« Virg. [»und lassen ihr Leben in der Wunde« Vergil: Georgica (Lateinisch/Deutsch). Übersetzung von Otto 62

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manität und der Freundschaft nicht dieselben Vorzüge zugestehen will, die sie ohne jeden Disput den dunkleren Leidenschaften der Feindschaft und der Mißgunst einräumt ? Eine derartige Philosophie ähnelt mehr einer Satire als einer wahren Analyse und Beschreibung der menschlichen Natur. Sie mag eine gute Grundlage für paradoxen Witz und Spott sein, aber sie ist sehr schlecht für ernsthaftes Folgern und Denken.

Schönberger (Stuttgart 1994).] »Dum alteri noceat, sui negligens«, [»seinen eigenen Vorteil mißachtend, während er einem Anderen schaden will«] sagt Seneca vom Zorn. De ira, lib. 1 [Vergil, Georgica Buch 4, Z. 238, Seneca, Moralische Versuche, Buch 3, ›De ira‹, Kap. 1, § 1]

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Einige weitere Überlegungen über die Gerechtigkeit Es ist die Intention dieses Anhangs, eine genauere Erklärung des Ursprungs der Gerechtigkeit zu liefern und einige der Unterschiede zwischen ihr und den anderen Tugenden anzugeben. Die gesellschaftlichen Tugenden der Humanität und des Wohlwollens üben ihren Einfluß unmittelbar durch eine direkte Tendenz oder einen Instinkt aus, der zumeist den einfachen Gegenstand, der die Neigungen bewegt, betrifft. Dieser Instinkt versteht weder einen Plan oder ein System, noch die Folgen, die aus dem Zusammenwirken, der Nachahmung oder dem Beispiel anderer entstehen. Eltern eilen ihrem Kind zu Hilfe, angetrieben durch das natürliche Mitgefühl, das sie bewegt und ihnen keine Muße läßt, auf die Gefühle oder das Benehmen der übrigen Menschheit unter denselben Bedingungen zu reflektieren. Ein großzügiger Mann ergreift freudig die Gelegenheit, seinem Freund zu helfen, da er sich gerade von den wohltätigen Neigungen beherrscht fühlt und sich nicht darüber sorgt, ob eine andere Person in der Welt jemals von derart edlen Gefühlen motiviert worden ist oder jemals deren Einfluß beweisen wird. In all diesen Fällen richten sich die sozialen Empfindungen auf einen einzelnen und individuellen Gegenstand und verfolgen nur die Sicherheit oder das Glück der geliebten oder geschätzten Person. Damit sind sie zufrieden, darin finden sie ihre Ruhe. Und so wie das Gut, das aus ihrem wohltätigen Einfluß resultiert, in sich selbst vollendet und vollkommen ist, so ruft es auch das moralische Gefühl der Billigung ohne jede Reflexion auf weitere Folgen und ohne erweiterte Einsichten über das Zusammenwirken oder die Nachahmung der anderen Mitglieder der Gesellschaft hervor. Im Gegenteil: Sollte ein großzügiger Freund oder ein uneigennütziger Patriot der einzige sein, der Wohltätigkeit ausübt, dann würde dies seinen Wert in unseren

Weitere Überlegungen über die Gerechtigkeit

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Augen eher erhöhen und das Lob der Seltenheit und Neuheit mit den anderen höherstehenden Verdiensten verbinden. Dies ist nicht der Fall bei den sozialen Tugenden von Gerechtigkeit und Treue. Diese sind in hohem Maße nützlich und wirklich absolut notwendig für die Wohlfahrt der Menschheit: Aber der Nutzen, den sie bringen, ist nicht das Resultat einer jeden einzelnen Handlung, sondern das des ganzen Plans oder Systems, an dem alle oder der größte Teil der Gesellschaft mitwirken. Allgemeiner Friede und allgemeine Ordnung sind die Begleiter der Gerechtigkeit oder der allgemeinen Rücksichtnahme auf das Eigentum anderer. Eine besondere Rücksicht auf die besonderen Rechte eines einzelnen Bürgers kann jedoch oft die schädlichsten Folgen mit sich bringen, wenn man sie isoliert betrachtet. Einzelne Handlungen haben hier oft ein Resultat, das dem des ganzen Handlungssystems genau widerspricht. Die einzelnen Handlungen können äußerst schädlich sein, während das System der Handlungen sehr nützlich ist. Reichtum, von Eltern geerbt, ist in den Händen eines schlechten Menschen ein Werkzeug des Unheils. Das Recht der Erbfolge kann in einem bestimmten Fall schädlich sein. Sein Nutzen ergibt sich nur aus der Beachtung der allgemeinen Regel, und es genügt, wenn dadurch alle Übel und Nachteile ausgeglichen werden, die durch besondere Charaktere und Umstände entstehen. Cyrus, jung und unerfahren, betrachtete nur den besonderen Fall, der ihm vorlag, und eine begrenzte Brauchbarkeit und Zweckmäßigkeit, als er den langen Rock einem großen Jungen und den kurzen dem kleineren gab. Sein Erzieher belehrte ihn eines Besseren, indem er ihn auf allgemeinere Ansichten und Folgen hinwies und so seinen Schüler auf die allgemeinen, unverletzlichen Regeln aufmerksam machte, die zur Erhaltung des allgemeinen Friedens und der Ordnung in der Gesellschaft notwendig sind. Das Glück und Wohlergehen der Menschheit, das aus der sozialen Tugend des Wohlwollens und seinen Unterarten entsteht, kann mit einer Mauer verglichen werden, die, von vielen Händen erbaut, mit jedem hinzugefügten Stein höher wird und durch die Sorgfalt und Umsicht eines jeden Handwerkers

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wächst. Dieselbe Glückseligkeit, die durch die sozialen Tugenden der Gerechtigkeit und ihrer Unterarten begründet wird, kann mit dem Bau eines Gewölbes verglichen werden, wo jeder einzelne Stein allein zu Boden fallen würde und der ganze Bau nur durch die gegenseitige Unterstützung und Verbindung seiner entsprechenden Teile gestützt wird. Alle Gesetze der Natur, die das Eigentum regulieren, sowie auch alle Zivilgesetze sind allgemein und beziehen sich allein auf wesentliche Umstände des Falles, ohne die Charaktere, Situationen und Verbindungen der betroffenen Person oder die besonderen Folgen in Betracht zu ziehen, die durch die Bestimmung dieser Gesetze in einem besonderen Fall zutage treten. Sie rauben ohne Skrupel einem wohltätigen Mann alle seine Besitztümer, wenn er sie durch einen Fehler und ohne legitimen Anspruch erworben hat, um sie einem selbstsüchtigen Geizigen zu geben, der schon einen großen Vorrat an überflüssigen Reichtümern angehäuft hat. Der öffentliche Nutzen verlangt, daß Eigentum durch allgemeine unverletzliche Regeln bestimmt wird, und obwohl derartige Regeln so aufgestellt worden sind, daß sie denselben Zweck des öffentlichen Rechts am besten unterstützen, ist es unmöglich, daß sie alle besonderen Härtefälle verhindern oder in einzelnen Fällen ausschließlich gute Wirkungen haben. Es genügt, daß der ganze Plan oder das ganze Vorhaben notwendig für den Erhalt der bürgerlichen Gesellschaft ist und daß das Gute im wesentlichen ein großes Übergewicht über das Böse erhält. Sogar die allgemeinen Gesetze des Weltalls können nicht jedes Übel oder jede Unannehmlichkeit in jeder einzelnen Wirkung ausschließen, obwohl sie von einer unendlichen Weisheit geplant worden sind. Einige haben behauptet, daß Gerechtigkeit durch menschliche Konventionen entsteht, aus freier Wahl, Zustimmung oder Übereinkunft der Menschheit. Wenn man hier unter Konvention ein Versprechen versteht (was der gebräuchlichste Sinn des Wortes ist), dann kann es nichts absurderes als diese Ansicht geben. Die Einhaltung von Versprechen ist selbst einer der wichtigsten Teile der Gerechtigkeit; und sicher sind wir nicht deshalb verpflichtet, unser Wort zu halten, weil wir unser Wort gegeben ha-

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ben, es zu halten. Wenn aber Konvention so zu verstehen ist, daß damit ein Sinn von gemeinsamem Interesse gemeint ist, den jedermann in seinem eigenen Herzen fühlt, den er bei seinen Gefährten auch bemerkt und der ihn in Zusammenstimmung mit anderen zu einem allgemeinen Plan oder System von Handlungen führt, das zum öffentlichen Wohl beiträgt, dann muß man zugeben, daß die Gerechtigkeit in diesem Sinne auf Konventionen beruht. Wenn man nämlich zugibt, was in der Tat offensichtlich ist, daß die besonderen Folgen von einzelnen gerechten Taten der Allgemeinheit und dem einzelnen schädlich sein können, dann folgt, daß jeder Mensch, der diese Tugend befürwortet, den ganzen Plan oder das ganze System im Auge haben und die Zustimmung seiner Mitbürger zu derselben Handlungsart und demselben Benehmen erwarten muß. Wenn all seine Ansichten nur auf die Folgen seiner eigenen Handlungen zielten, dann würden ihm sein Wohlwollen und seine Menschlichkeit wie auch seine Selbstliebe oft Handlungsmittel vorschreiben, die sehr verschieden von denen sein würden, die mit den strikten Regeln des Rechts und der Gerechtigkeit übereinstimmen. So ziehen zwei Männer nach einer allgemeinen Konvention aus einem gemeinsamen Interesse die Ruder eines Bootes, ohne jedes Versprechen oder jeden Vertrag. So werden Gold und Silber zu Maßen der Börse gemacht, so sind Rede, Wörter und Sprache durch menschliche Konvention und Übereinkunft festgelegt worden. Alles, was für zwei oder mehr Personen von Vorteil ist, wenn alle ihren Teil tun, aber allen Vorteil verliert, wenn nur einer es tut, kann auf keinem anderen Prinzip beruhen. Es gäbe sonst kein Motiv für die Beteiligten, sich diesem Plan des Handelns anzuschließen.63 63

Die Theorie über den Ursprung des Eigentums und darum auch

66 der Gerechtigkeit ist in der Hauptsache dieselbe, die von Grotius vor-

geschlagen und akzeptiert wurde. »Hinc discimus, quae fuerit causa, ob quam a primaeva communione rerum primo mobilium, deinde & immobilium discessum est: nimirum quod cum non contenti homines vesci sponte natis, antra habitare, corpore aut nudo agere, aut corticibus arborum ferarumve pellibus vestito, vitae genus exquisitius delegissent, industria opus fuit, quam singuli rebus singulis adhiberent: Quo minus

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Das Wort natürlich wird gemeinhin in so vielen Bedeutungen benutzt und hat einen so weiten Sinn, daß es vergeblich scheinen muß, darüber zu streiten, ob die Gerechtigkeit natürlich ist oder nicht. Wenn Selbstliebe und Wohlwollen, Vernunft und Vorsorge dem Menschen gleichermaßen natürlich sind, dann kann derselbe Titel auch auf Gerechtigkeit, Ordnung, Treue, Besitz und Gesellschaft angewandt werden. Die menschlichen Neigungen und Bedürfnisse bewegen uns zur Vereinigung, unser Verstand und unsere Erfahrung sagen uns, daß diese Vereinigung unmöglich ist, wenn wir uns alle ohne jede Regel verhalten und keine Rücksicht auf den Besitz anderer nehmen. Aus der Verbindung dieser Neigungen und Reflexionen entsteht, sobald wir die gleichen Neigungen und Reflexionen bei anderen beobachten, autem fructus in commune conferrentur, rimum obstitit locorum, in quae homines discesserunt, distantia, deinde justitiae & amoris defectus, per quem fiebat, ut nec in labore, nec in consumtione fructuum, quae debebat, aequalitas servaretur. Simul discimus, quomodo res in proprietatem iverint; non animi actu solo, neque enim scire alii poterant, quid alii suum esse vellent, ut eo abstinerent, & idem velle plures poterant; sed pacto quodam aut expresso, ut per divisionem, aut tacito, ut per occupationem.« De jure belli & pacis, lib. 2. Cap. 2. § 2. Art. 4 & 5. [»Es ergibt sich hieraus, weshalb man von der Gütergemeinschaft erst bei den beweglichen Sachen und später bei den unbeweglichen abgegangen ist. Die Menschen begnügten sich nicht mehr, von wilden Früchten zu leben, Höhlen zu bewohnen, nackt zu gehen oder sich in Baumrinde und Tierfelle zu kleiden, sondern sie verlangten nach einer feineren Lebensweise. Es wurde deshalb die Arbeit nötig, welche der Einzelne auf den einzelnen Gegenstand verwendete. Die Früchte der Arbeit wurden aber nicht zusammengebracht, weil die Orte, wohin die Menschen sich getrennt hatten, zu weit entfernt voneinander waren und es an der Gerechtigkeit und Liebe fehlte, ohne welche bei der Erzeugung und dem Verbrauch der Früchte die erforderliche Billigkeit nicht möglich war. Man sieht zugleich, wie die Güter in das Eigentum übergegangen sind. Es geschah nicht durch den bloßen Willen. Dann hätten die anderen nicht wissen können, was jeder für sich haben wollte und wessen sie sich zu enthalten hätten. Auch hätte es dann sein können, daß mehrere dieselben Sachen haben wollten. Es geschah vielmehr durch eine Art Vertrag, der entweder ausdrücklich abgeschlossen wurde, indem man teilte, oder den man als geschlossen ansehen muß, indem jeder Besitz ergriff.« Hugo Grotius, Drei Bücher vom Recht des Krieges und des Friedens. Übersetzung von Walter Schätzel (Tübingen 1950).]

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in jedem Mitglied der menschlichen Gattung zu allen Zeiten unfehlbar und notwendig ein gewisser Grad des Gefühls der Gerechtigkeit. Bei einem so intelligenten Tier wie dem Menschen können wir das, was aus der Anstrengung seiner intellektuellen Kräfte erwächst, zu Recht auch als natürlich betrachten.64 Alle zivilisierten Nationen haben immer versucht, Entscheidungen über Besitz von aller Willkür und Parteilichkeit zu befreien und das Urteil der Richter durch solche allgemeinen Ansichten und Überlegungen festzusetzen, die allen Mitgliedern einer Gesellschaft gleichermaßen zukommen. Denn nicht nur kann nichts gefährlicher sein, als die Richter daran zu gewöhnen, auch im geringsten Fall private Freundschaft oder Feindschaft zu berücksichtigen, sondern es ist auch sicher, daß die Menschen wahrscheinlich den stärksten Widerwillen gegen den Magistrat und die Richter fühlen würden, wenn es keinen anderen Grund für die Bevorzugung ihres Widersachers gäbe als persönlichen Vorteil. Wenn also die natürliche Vernunft keine bestimmte Aussicht auf öffentlichen Nutzen entdeckt, die einen Streit über Besitz entscheiden könnte, werden oft positive Gesetze formuliert, die ihren Platz einnehmen und die Vorgehensweise aller Gerichte der Rechtsprechung bestimmen. Wo auch diese versagen, wie es oft geschieht, müssen Präzedenzfälle herhalten und eine frühere Entscheidung, die selbst ohne hinreichenden Grund gefällt worden ist, wird von Rechts wegen ein hinreichender Grund für eine neue Entscheidung. Wenn direkte Gesetze oder Präzedenzfälle fehlen, helfen unvollkommene und indirekte, und der Streitfall wird durch analogische Argumente und Vergleiche, »Natürlich« kann entweder mit ungewöhnlich, wunderbar oder mit künstlich kontrastiert werden. In den beiden ersten Bedeutungen sind Gerechtigkeit und Besitz ohne Zweifel als natürlich anzusehen. Insoweit aber Gerechtigkeit und Besitz Vernunft, Vorsorge, Planung, soziale Vereinigung und Konföderation voraussetzen, können wir ihnen diesen Titel im letzteren Sinne vermutlich nicht beilegen. Hätten die Menschen nicht in Gesellschaft gelebt, dann wäre Eigentum unbekannt und weder Gerechtigkeit noch Ungerechtigkeit hätten jemals existiert. Aber die menschliche Gesellschaft wäre ohne Vernunft und Vorsorge unmöglich. Niedrigere Tiere, die zusammenleben, werden durch ihren Instinkt geleitet, der die Vernunft ersetzt. Aber all diese Streitigkeiten sind rein verbal. 64

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durch Ähnlichkeiten und gleichartige Verhältnisse, die oft eher eingebildet als wirklich sind, zu einem gleichartigen Fall erklärt. Im allgemeinen dürfen wir sicherlich behaupten, daß sich die Rechtsprechung in dieser Hinsicht von allen anderen Wissenschaften unterscheidet und daß in vielen ihrer subtileren Fragen die Wahrheit weder auf der einen noch auf der anderen Seite zu finden ist. Wenn ein Anwalt einen Fall aufgrund einer subtilen Analogie oder eines Vergleichs unter ein früheres Gesetz oder einen Präzedenzfall bringt, ist der Anwalt der Gegenseite nicht verlegen, eine entgegengesetzte Analogie oder einen Vergleich zu finden. Die Bevorzugung des einen Vergleichs vor anderen beruht dabei oft mehr auf dem Geschmack und der Einbildungskraft des Richters als auf einem guten Argument. Öffentlicher Nutzen ist der allgemeine Gegenstand aller Gerichte, und diese Nützlichkeit benötigt auch eine stabile Regel in allen Streitfällen. Wo es aber mehrere Regeln gibt, die nahezu gleich und gleichwertig sind, wird eine Entscheidung für eine der beiden Parteien auf einem sehr kleinen gedanklichen Unterschied beruhen.65 Es ist absolut notwendig für die Interessen der Gesellschaft und darum für das Entstehen von Gerechtigkeit und Besitz, daß es eine Aufteilung oder Unterschiedenheit der Besitztümer gibt und daß diese Aufteilung stetig und konstant ist. Welche Besitztümer bestimmten Personen zugeordnet werden, ist, allgemein gesprochen, ziemlich unbedeutend und oft durch eher oberflächliche Ansichten und Überlegungen bestimmt. Wir wollen einige Beispiele dafür angeben. Würden sich einige unabhängige Mitglieder zu einer Gesellschaft zusammenschließen, dann wäre die offensichtlichste Regel, auf die sie sich einigen würden, die, das Eigentum auf den gegenwärtigen Besitz zu fixieren und einem jeden Recht über das zu geben, was er gegenwärtig besitzt. Das Verhältnis von Besitz, das zwischen einer Person und einem Ding besteht, ist natürlicherweise von dem Verhältnis des Eigentums beeinflußt. Aus demselben Grund ist die Besetzung oder der erste Besitz das Fundament des Eigentums. Wenn ein Mann Arbeit und Fleiß auf eine Sache verwendet, die vorher niemandem gehörte – wie das Fällen und Bearbeiten eines Baumes, die Bebauung eines Feldes, usw. –, dann bewirkt die Veränderung der Sache ein Verhältnis zwischen ihm und dieser Sache. Und dies führt uns natürlicherweise dazu, es ihm als Eigentum zuzuschreiben. Die Ursache steht hier im Einklang mit dem öffentlichen Nutzen, der aus der Förderung des Fleißes und der Arbeit resultiert. 65

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Bevor wir dieses Thema abschließen, dürfen wir noch anmerken, daß der Schaden, die Not und das Leid, die jemand durch eine Verletzung der Gesetze der Gerechtigkeit erleiden kann, zu einer wichtigen Überlegung und eine große Quelle des allgemeinen Tadels werden, der jedes Unrecht oder jede Ungerechtigkeit begleitet, nachdem diese Gesetze durch die Bestimmung des allgemeinen Nutzens festgelegt worden sind. Nach den Gesetzen der Gesellschaft sind dieser Mantel und dieses Pferd mein und sollen für immer in meinem Besitz bleiben. Ich zähle auf ihren sicheren Genuß. Wenn du sie mir wegnimmst, so enttäuschst du meine Erwartungen, verärgerst mich doppelt und beleidigst alle Anwesenden. Es ist eine öffentliche Verletzung, insofern die Regeln der Gerechtigkeit verletzt werden. Es ist eine persönliche Verletzung, insofern ein einzelner verletzt wurde. Und obwohl die zweite Überlegung nur durch die vorhergehende entstehen kann, da der Unterschied von mein und dein der Gesellschaft sonst unbekannt wäre, so besteht doch kein Zweifel darüber, daß die Rücksicht auf das allgemeine Wohl durch die BeachVielleicht stimmt in diesem Beispiel auch die individuelle Menschlichkeit gegenüber dem Besitzer mit den anderen Motiven überein und führt uns dazu, ihm das zu lassen, was er mit Schweiß und Arbeit erworben hat und als dessen konstanter Besitzer er sich sieht. Obwohl die individuelle Menschlichkeit keinesfalls der Ursprung der Gerechtigkeit sein kann, da diese Tugend oft der Gerechtigkeit widerspricht, so können private Menschlichkeit und die Abneigung, einem anderen Schaden zuzufügen, doch in einem besonderen Fall eine besondere Regel des Besitzes hervorbringen, wenn die Regel von separatem und stetigem Eigentum sich erst einmal durch die unabdingbaren Bedürfnisse der Gesellschaft formiert hat. Ich glaube sehr gern, daß das Recht der Nachfolge und des Erbes weitgehend von diesen Verbindungen der Einbildungskraft abhängt und daß die Relation zu einem vorherigen Eigentümer eine Relation zum Ding hervorbringt, und dies die Ursache dafür ist, daß das Eigentum nach dessen Tod auf einen Verwandten übergeht. Es ist wahr, daß der Fleiß durch diese Übertragung des Besitzes auf die Kinder oder nahe Verwandte mehr gefördert wird. Aber diese Überlegung hat nur einen Platz in einer kultivierten Gesellschaft, das Recht der Erbfolge hingegen wird sogar bei den größten Barbaren beachtet. Erwerb von Eigentum durch Antritt eines Amtes kann nicht anders als durch Relationen und Verbindungen der Einbildungskraft erklärt werden.

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tung der besonderen Fälle sehr verstärkt wird. Was die Allgemeinheit verletzt, ohne ein Individuum zu verletzen, wird oft als weniger wichtig angesehen. Wenn aber die größte öffentliche Verletzung zugleich mit einer beträchtlichen persönlichen Verletzung einhergeht, dann ist es kein Wunder, daß einem derart ungerechten Handeln der höchste Tadel widerfährt.

Das Eigentum an Flüssen wird nach den Gesetzen der meisten Länder und nach der natürlichen Tendenz unseres Denkens den Eigentümern der Ufer zugeschrieben, ausgenommen bei derart großen Flüssen wie dem Rhein oder der Donau, die zu groß erscheinen, um als Erweiterung des Eigentums der angrenzenden Felder zu gelten. Doch sogar diese Flüsse werden als das Eigentum der Länder betrachtet, durch welche sie fließen. Dabei bestimmt die Idee der Nation eine geeignete Größe, die derjenigen dieser Flüsse korrespondiert und in der Einbildungskraft in einem angemessenen Verhältnis zu ihnen steht. Die Vergrößerungen des Landes, das an Flüsse angrenzt, folgen dem Land, wie die Rechtskundigen sagen, solange sie durch Anschwemmung (alluvion), d. h. unbemerkt und unbeobachtbar geschieht. Dies sind Umstände, die der Einbildungskraft in dieser Verbindung helfen. Wenn ein beträchtlicher Teil von einer Seite des Ufers fortgeschwemmt und an der anderen Seite angeschwemmt wird, dann wird es solange nicht das Eigentum desjenigen, an dessen Land es angeschwemmt wurde, bis es sich mit dem Land vereinigt und bis Bäume und Sträucher Wurzeln in beiden geschlagen haben. Vorher sind sie nicht hinreichend begrifflich verbunden. In Kürze, wir müssen immer unterscheiden zwischen der Notwendigkeit der Trennung und Konstanz menschlicher Besitztümer und den Regeln, die einzelne Dinge einzelnen Personen zuordnen. Die Notwendigkeit der ersten Art ist einleuchtend, stark und unbesiegbar; die der zweiten Art kann vom öffentlichen Nutzen abhängen, der schwächer und geringfügiger ist, sowie von dem Gefühl der privaten Menschlichkeit und der Abneigung gegen menschlichen Schaden, von positivem Recht, von Präzedenzfällen und von subtilen Verbindungen und Tendenzen der Einbildungskraft.

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Über einige Wortstreitigkeiten Es ist vollkommen selbstverständlich für Philosophen, in die Provinz der Grammatiker einzudringen, sich über Wörter zu streiten und sich dabei einzubilden, mit Kontroversen von größter Wichtigkeit und Bedeutung beschäftigt zu sein. Um derart unbedeutende und endlose Auseinandersetzungen zu vermeiden, habe ich versucht, den Gegenstand unserer gegenwärtigen Untersuchung mit der größten Umsicht zu formulieren. Einerseits habe ich zunächst versucht, lediglich eine Liste der geistigen Eigenschaften aufzustellen, die Gegenstand unserer Liebe und Wertschätzung sind und die einen Teil des persönlichen Verdienstes bilden. Andererseits habe ich einen Katalog derjenigen Eigenschaften aufgestellt, die Gegenstand von Zensur und Tadel sind und dem Charakter einer Person, die sie besitzt, abträglich sind. Diesem fügte ich einige Bemerkungen über den Ursprung dieser Empfindungen von Lob oder Tadel hinzu. Bei jeder Gelegenheit, bei der man auch nur im geringsten zögern würde, habe ich die Begriffe Tugend und Laster vermieden, da einige der Eigenschaften, die ich unter die Gegenstände des Lobes gezählt habe, in der englischen Sprache Talente, und nicht Tugenden benennen, so wie auch manche tadelnswerten oder kritisierbaren Eigenschaften oft Fehler, und nicht Laster genannt werden. Man wird jetzt vielleicht erwarten, daß wir die beiden Arten klar voneinander trennen, bevor wir diese Untersuchung der Moral beenden, und daß wir die genauen Grenzen zwischen Tugenden und Talenten sowie zwischen Lastern und Fehlern markieren und auch den Grund und den Ursprung der Unterschiede erklären. Statt dessen werde ich, um mich diesem Unterfangen, das sowieso nur eine grammatische Untersuchung sein würde, zu entheben, die folgenden vier Reflexionen anhängen, die alles enthalten, was ich zu dem gegenwärtigen Thema sagen will.

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Erstens finde ich nicht, daß im Englischen oder in irgendeiner anderen modernen Sprache die Grenzen zwischen Tugenden und Talenten, Lastern und Fehlern genau gezogen werden oder daß eine präzise Definition des einen als das Gegenteil des anderen formuliert werden kann. Sollten wir z. B. sagen, daß allein die schätzenswerten Eigenschaften, die dem Willen unterstehen, den Namen Tugend verdienen, dann würden wir uns bald an die Eigenschaften der Geistesruhe, der Geduld, der Selbstbeherrschung erinnern, die zusammen mit vielen anderen in nahezu jeder Sprache unter diesem Namen klassifiziert werden, obwohl sie wenig oder gar nicht von unserer Wahl abhängen. Sollten wir behaupten, daß nur diejenigen Eigenschaften jene ehrenhafte Auszeichnung verdienen, die uns dazu bewegen, unseren Teil in der Gesellschaft zu tun, dann muß sofort auffallen, daß diese Eigenschaften in der Tat die wichtigsten sind und gemeinhin als die sozialen Tugenden bezeichnet werden. Genau diese Auszeichnung setzt aber voraus, daß es auch noch andere Arten von Tugenden gibt. Sollten wir die Unterscheidung von intellektuellen und moralischen Fähigkeiten treffen und die letzteren als die einzig wirklichen und allgemeinen Tugenden festlegen, weil nur sie zu Handlungen führen, dann werden wir finden, daß viele der Eigenschaften, die gemeinhin intellektuelle Tugenden genannt werden, wie Klugheit, Intelligenz und Urteilsvermögen oder Besonnenheit, ebenfalls einen beträchtlichen Einfluß auf das Verhalten haben. Auch die Unterscheidung zwischen Herz und Kopf kann eingeführt werden. Die Eigenschaften des einen können dadurch definiert werden, daß sie in ihrer unmittelbaren Ausführung von Empfindung und Gefühl begleitet werden und allein als eigentliche Tugenden bezeichnet werden können. Doch Fleiß, Sparsamkeit, Mäßigung, Verschwiegenheit, Durchhaltevermögen und viele andere lobenswerte Kräfte oder Gewohnheiten, die allgemein als Tugenden gelten, werden ohne eine unmittelbare Empfindung von der Person, die sie hat, ausgeübt und nur an ihrer Wirkung erkannt. Es ist ein Glück inmitten all dieser scheinbaren Verwirrung, daß die Frage unmöglich in irgendeiner Weise wichtig sein kann, da sie rein verbal ist. Eine moralphilosophische Abhandlung muß nicht

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alle Launen der Sprache untersuchen, die in unterschiedlichen Dialekten und zu unterschiedlichen Zeiten in demselben Dialekt so verschieden sind. Im ganzen gesehen scheint mir jedoch, daß man in der Hauptsache auf die sozialen Eigenschaften sieht, wenn man jemand tugendhaft nennt oder ihn als Mann von Tugend bezeichnet, auch wenn man zugleich einräumt, daß es viele verschiedene Arten der Tugend gibt. Die sozialen Eigenschaften sind nämlich die wertvollsten. Auch ist zugleich sicher, daß jeder merkliche Mangel an Mut, Mäßigung, Sparsamkeit, Fleiß, Verstand oder Würde des Geistes sogar einen sehr gutmütigen und ehrlichen Menschen dieses würdigen Titels berauben würde. Wer hat jemals ohne Ironie behauptet, daß ein derartiger Mann große Tugend besitzt, es sei denn ein überdurchschnittlich großer Dummkopf ? Aber zweitens ist es kein Wunder, daß die Sprachen die Grenzen zwischen Tugenden und Talenten, Lastern und Fehlern nicht ganz genau ziehen, da unsere innere Schätzung keinen großen Unterschied zwischen ihnen macht. Die Empfindung von bewußtem Wert, die Zufriedenheit mit sich selbst, die aus einer Prüfung des eigenen Verhaltens und des eigenen Charakters entsteht, hat keinen eigenen Namen in unserer Sprache, obwohl sie die häufigste ist.66 Es scheint in der Tat sicher, sage ich, daß diese Empfindung von den Gaben der Tapferkeit, des Fleißes, der Erfindungskraft und von jeder anderen geistigen Begabung herrührt. Wer ist auf der anderen Seite nicht tief gedemütigt, wenn er auf seine eigene Torheit und Zügellosigkeit reflektiert, und wer fühlt nicht einen geheimen Stachel oder Selbstvorwurf, so oft ihm seine Erinnerung einen vergangenen Vorfall präsentiert, in dem er sich töricht benommen oder schlechte Manieren Das Wort Stolz wird oft in einem negativen Sinn verstanden, aber dieses Gefühl ist indifferent und kann gut oder schlecht sein, je nachdem, ob es gut oder schlecht begründet ist, und je nach anderen Begleitumständen. Die Franzosen drücken dieses Gefühl mit dem Wort »amour propre« aus; aber weil sie auch Selbstliebe und Eitelkeit so nennen, gibt es bei Rochefoucault und vielen anderen moralischen Schriftstellern Frankreichs eine große Verwirrung [François de la Rochefoucault, Réflexions ou sentences et maximes morales (1665)]. 66

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gezeigt hat ? Die Zeit kann die grausamen Ideen des eigenen törichten Benehmens und die Beleidigungen, welche die eigene Feigheit oder Unverschämtheit einem Menschen zufügten, nicht auslöschen. Sie werden ihn in einsamen Stunden verfolgen, seine höchsten Gedanken dämpfen und ihn vor sich selbst in den verächtlichsten und hassenswertesten Farben erscheinen lassen. Was wollen wir ängstlicher vor anderen verbergen als derartige Fehltritte, Schwächen und Gemeinheiten ? Oder was fürchten wir mehr, als sie durch Spott und Satire aufgedeckt zu sehen. Und sind nicht unsere Tapferkeit oder unser Wissen, unser Geist oder unsere Erziehung, Eloquenz oder Stil, unser Geschmack oder unsere Fähigkeiten die wichtigsten Gegenstände der Eitelkeit ? Wir zeigen diese mit Sorgfalt, wenn nicht sogar mit Übertreibung; und gemeinhin zeigen wir sogar größeren Ehrgeiz, mit ihnen zu glänzen, als selbst mit den sozialen Tugenden, die in Wirklichkeit einen höheren Wert haben. Umgänglichkeit und Ehrlichkeit, besonders aber Ehrlichkeit, sind so unbedingt notwendig, daß gewöhnlichen und für die Erhaltung der menschlichen Gesellschaft vermutlich wesentlichen Beispielen dieser Pflichten kein besonderes Lob folgt, obschon die Verletzung einer dieser Pflichten den größten Tadel auf sich zieht. Dies ist auch der Grund dafür, daß die Menschen meiner Ansicht nach Eigenschaften ihres Herzens so oft aufs höchste Maß loben, während sie zögern, die Eigenschaften ihres Kopfes zu loben. Denn die Tugenden des Kopfes, die als seltener und als etwas besonderes gelten, sind öfter Gegenstände des Stolzes und der Selbstüberschätzung, und wenn jemand mit ihnen prahlt, werden diese Empfindungen sehr verdächtig. Es ist schwer zu sagen, ob man dem Charakter eines Menschen am meisten schadet, wenn man ihn einen Bösewicht oder aber einen Feigling nennt, und ob ein tierischer Vielfraß oder ein Säufer nicht ebenso abscheulich und verächtlich ist wie ein selbstsüchtiger und knausriger Geizhals. Wenn ich die Wahl hätte, würde ich wegen meiner eigenen Glückseligkeit und zu meinem eigenen Vergnügen eher ein freundliches und menschliches Herz wählen als alle anderen Tugenden eines Demosthenes und Philipp zusammengenommen. In der Welt würde ich

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jedoch lieber als jemand gelten, der ein großes Genie und einen unerschütterlichen Mut besitzt, und würde davon mehr allgemeines Lob und Bewunderung erwarten. Die Figur, die jemand in seinem Leben macht, die Aufnahme, die er in der Gesellschaft findet und die Ehre, die seine Bekannten ihm bezeigen, all diese Vorteile hängen ebensosehr von seinem gesunden Verstand und Urteil ab wie von irgendwelchen anderen Charaktereigenschaften. Hätte jemand die besten Absichten der Welt und wäre er unendlich weit von allem Unrecht und aller Gewalt entfernt, so könnte er sich dennoch keine große Anerkennung verschaffen, ohne zumindest einen kleinen Teil von Talenten und Verstand zu besitzen. Worüber sollen wir hier noch streiten ? Wenn Klugheit und Tapferkeit, Mäßigung und Fleiß, Weisheit und Wissen anerkanntermaßen einen wichtigen Teil des persönlichen Werts ausmachen; wenn jemand, der diese Eigenschaften besitzt, gleichzeitig zufriedener mit sich ist und den guten Willen, das Ansehen und die Dienste anderer mehr verdient als jemand, dem sie ganz fehlen; kurz: wenn die Empfindungen, die von diesen Gaben und denjenigen, die von sozialen Tugenden hervorgerufen werden, einander ähnlich sind, gibt es dann irgendeinen Grund, derart außerordentliche Vorbehalte gegen ein Wort anzuführen oder darüber zu streiten, ob sie den Titel Tugend verdienen ? Man mag in der Tat vorbringen, die Empfindung der Billigung, die diese Verdienste hervorrufen, sei nicht nur untergeordnet, sondern auch etwas anderes als diejenige, die die Tugenden von Gerechtigkeit und Menschlichkeit begleitet. Doch scheint das kein hinreichender Grund dafür zu sein, sie unter vollkommen unterschiedlichen Klassen und Namen aufzuführen. Der Charakter des Caesar und der des Cato, wie sie von Sallust beschrieben wurden, sind beide tugendhaft im striktesten und engsten Sinne des Wortes, aber auf verschiedene Weise. Auch sind die Gefühle, die sie hervorrufen, nicht ganz dieselben. Der eine ist liebenswert, der andere furchterregend. Wir würden uns wünschen, den einen Charakter bei einem Freund anzutreffen und vielleicht danach streben, den anderen selbst zu besitzen. Ebenso kann diejenige Billigung, die Mäßigung, Fleiß oder

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Sparsamkeit begleitet, sich von der unterscheiden, die wir den sozialen Tugenden zollen, ohne daß wir sie einer vollkommen anderen Gattung zuordnen. Und in der Tat können wir sehen, daß diese Gaben, mehr als alle anderen Tugenden, nicht alle die gleiche Art der Billigung hervorrufen. Guter Verstand und Genie rufen Achtung und Aufmerksamkeit hervor. Witz und Humor erregen Liebe und Zuneigung.67 Die meisten Leute werden, wie ich glaube, der folgenden Definition des eleganten und vernünftigen Dichters beipflichten: Tugend (denn bloße Gutmütigkeit ist närrisch) ist Verstand und Geist vereint mit Menschlichkeit.68

Welche Ansprüche hat ein Mensch auf unsere großzügige Hilfe oder unsere guten Dienste, wenn er seinen Reichtum durch ausLiebe und Achtung sind nahezu dasselbe Gefühl, und sie werden von ähnlichen Ursachen hervorgerufen. Die Eigenschaften, die beide hervorbringen, sind solche, die Vergnügen vermitteln. Aber wenn dieses Vergnügen streng und ernsthaft oder wenn sein Gegenstand groß ist und einen tiefen Eindruck hinterläßt oder eine gewisse Bescheidenheit und Ehrfurcht hervorbringt, dann sprechen wir in all diesen Fällen mit größerem Recht von Wertschätzung als von Liebe. Wohlwollen begleitet beide. Aber dies ist in einer wichtigeren Art und Weise mit der Liebe verbunden. In der Verachtung scheint sich ein größerer Anteil an Stolz zu finden als an Bescheidenheit in der Achtung; und der Grund ist für jemanden, der die Leidenschaften richtig untersucht hat, nicht schwer zu finden. All diese verschiedenen Mischungen, Zusammensetzungen und Erscheinungen des Gefühls stellen ein sehr interessantes Thema der Spekulation dar, aber sie sind weit entfernt von unserem jetzigen Vorhaben. In der gesamten Untersuchung fragen wir ganz allgemein, welche Eigenschaften häufig Gegenstand des Lobs oder des Tadels sind, ohne auf alle minutiösen Unterschiede der Gefühle einzugehen, die diese hervorbringen. Es ist offensichtlich, daß wir alles, was wir verurteilen, nicht leiden mögen, ebenso wie das, was wir hassen, und wir bemühen uns hier, die Gegenstände nach ihren einfachsten Ansichten und Erscheinungen zu betrachten. Diese Wissenschaften haben eine ausgesprochene Tendenz, dem normalen Leser zu abstrakt zu erscheinen, auch wenn wir alle Vorsicht darauf verwenden, sie von überflüssigen Spekulationen zu befreien und sie für jeden zugänglich zu machen. 68 The Art of Preserving Health. Book 4 [ John Armstrong, The Art of Preserving Health. A Poem. Bd. 4. London 1744, S. 261f., Z. 261–68: »Virtue (for mere good-nature is a fool) is a sense of spirit with humanity.«] 67

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schweifende Unkosten, leere Eitelkeiten, aussichtslose Projekte, leichtsinnige Vergnügen oder übertriebenes Spiel verschwendet hat ? Diese Laster (denn wir haben keinen Vorbehalt, sie so zu nennen) bringen jedem, der ihnen verfallen ist, Elend und Verachtung ohne Mitleid. Achäus, ein weiser und kluger Prinz, wurde Opfer einer verhängnisvollen List, die ihn seine Krone und sein Leben kostete, obwohl er jede vernünftige Vorbereitung getroffen hatte, sich dagegen zu schützen. Der Historiker sagt deshalb, daß er ein angemessener Gegenstand der Achtung und des Mitleids ist. Nur seine Gegner trifft Haß und Verachtung.69 Die voreilige Flucht und unüberlegte Nachlässigkeit des Pompeius zu Beginn der Bürgerkriege erschienen dem Cicero als derart schlimme Fehler, daß seine Freundschaft zu diesem großen Mann fast endete; und dies, wie er sagte, »ebenso wie wir beobachten, daß das Fehlen von Sauberkeit, Anständigkeit oder Verschwiegenheit bei einer Geliebten unsere Zuneigung zu ihr entfremden«. Dies äußerte er gegenüber seinem Freund Atticus, nicht als Philosoph, sondern als Staatsmann und Mann von Welt.70 Aber derselbe Cicero erweitert seine Ansicht der Tugend sehr und führt eine jegliche lobenswerte Eigenschaft des Geistes unter jener ehrbaren Bezeichnung an, wenn er die antiken Moralisten imitiert und wie ein Philosoph argumentiert. Dies führt zur dritten Überlegung, die wir zu machen versprachen, nämlich, daß die antiken Moralisten, die besten Vorbilder, keinen sachlichen Unterschied zwischen den verschiedenen Prinzipien der geistigen Gaben und Fehler machten, sondern alle gleichermaßen unter der Bezeichnung der Tugenden und Laster aufführten und sie ohne Unterschied zum Gegenstand moralischer Überlegungen machten. Klugheit, wie sie in Ciceros Über die Pflichten 71 erklärt wird, besteht aus jener Weisheit, die zur Entdeckung der Wahrheit führt und uns Irrtum und Feh69 70 71

Polybios, Lib. 8, cap. 2 [Historien VIII, 2, 8f.] Lib. 9. Epist. 10 [Cicero, Briefe an Atticus, IX, 10, 2] Lib. 1, cap. 6 [Cicero, De Officiis, I, 5, 16]

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ler zu vermeiden erlaubt. Er spricht dort auch ausführlich von Großmut, Mäßigung und Anstand. Und da dieser redegewandte Moralist der allgemein anerkannten Trennung der vier Kardinaltugenden folgte, bilden unsere sozialen Tugenden nur einen Teil seiner allgemeinen Betrachtung dieses Themas.72 Wir müssen nur die Überschriften der Kapitel in Aristoteles’ Ethik lesen, um uns zu überzeugen, daß er Tapferkeit, Mäßigung, Ehrwürdigkeit, Großmut, Bescheidenheit, Klugheit und männliche Offenheit genauso zu den Tugenden zählt wie Gerechtigkeit und Freundschaft. Aushalten und sich zu enthalten, d. h. Geduld zu haben und mäßig zu sein, schien einigen in der Antike die knappe Zusammenfassung aller Moral zu sein. Epiktet erwähnt das Gefühl der Menschlichkeit und des Mitleids fast nur, um seine Schüler davor zu warnen. Die Tugend der Stoiker scheint hauptsächlich in einem festen Temperament Die folgende Stelle aus Cicero ist es wert, zitiert zu werden, da sie die klarste und ausdrücklichste Bestätigung unserer These ist. Man kann sich alles mögliche vorstellen; aber in einer Auseinandersetzung, die in der Hauptsache verbal ist, muß diese Stelle, schon wegen ihres Autors, eine Autorität besitzen, die keine weitere Berufungsinstanz erlaubt: »Die Tüchtigkeit, die schon an sich zu loben ist und ohne die es nichts zu loben gibt, hat aber dennoch mehr als eine Seite, von denen sich die eine mehr, die andere weniger für eine Lobrede eignet. Da gibt es nämlich Qualitäten, die im menschlichen Charakter, in einer Art von Freundlichkeit und Wohltätigkeit zu liegen scheinen; andere bestehen in einer Eigenschaft des Geistes oder in Seelengröße und Festigkeit der Gesinnung. Denn bei Lobreden hört man gern von Milde und von Gerechtigkeit, von Güte, treuer und tapferer Bewährung in gemeinsamen Gefahren. Von allen diesen guten Eigenschaften glaubt man ja, daß sie nicht so sehr für ihre Träger selbst wie für die Menschheit nützlich sind. Weisheit und Seelengröße, denen alle menschlichen Belange als gering und nichtig gelten, sowie eine gewisse Erfindungskraft des Geistes und selbst die Redekunst erregen nicht weniger Bewunderung, jedoch weniger Wohlgefallen. Von diesen Tugenden hat man nämlich den Eindruck, daß sie mehr zur Zierde und zum Nutzen der Gelobten als derer, vor denen wir sie loben, dienen. Man sollte aber trotzdem in eine Lobrede auch diese Art von Tugenden einbeziehen. Denn die Ohren des Menschen nehmen es ja hin, daß sowohl die gefälligen und angenehmen als auch die staunenswerten Seiten der Tugend gepriesen werden.« De Orat. lib. II. Kap. 89. 72

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und einem gesunden Verstand zu bestehen. Für sie wie auch für Salomon und die Moralisten des Ostens bedeuten Torheit und Weisheit dasselbe wie Laster und Tugend. »Die Menschen werden dich loben«, sagt David, »wenn du dir selbst gut tust.«73 Der griechische Dichter sagt: »Ich hasse einen Weisen, der sich selbst gegenüber nicht weise ist.«74 Plutarch ist in seiner Philosophie ebensowenig von Systemen beeinflußt wie in seiner Geschichtsschreibung. Wenn er die großen Männer von Griechenland und Rom vergleicht, stellt er all ihre Unvollkommenheiten und ihre Verdienste jeglicher Art gegenüber und läßt nichts Wichtiges aus, das ihre Charaktere entweder erhöhen oder erniedrigen könnte. Seine moralischen Untersuchungen enthalten dieselbe freie und natürliche Beurteilung von Menschen und Sitten. Der Charakter des Hannibal, wie er von Livius beschrieben wurde, wird als voreingenommen eingeschätzt, aber es werden ihm viele hohe Tugenden zugeschrieben.75 Niemals gab es ein Genie, sagt der Historiker, das genauso für die entgegengesetzten Ämter des Befehlens und Gehorchens geeignet war, und daher war es schwer festzustellen, ob er sich beim General oder bei der Armee beliebter machte. Hasdrubal hätte keinem lieber die Leitung eines gefährlichen Unternehmens übergeben; bei niemandem fanden die Soldaten mehr Mut und Zuversicht. Große Kühnheit und Klugheit in Gefahr zeichneten ihn aus. Keine Arbeit konnte seinen Körper ermüden oder seinen Geist bezwingen. Kälte und Hitze waren ihm gleichgültig. Essen und Trinken suchte er als Befriedigung der natürlichen Bedürfnisse, nicht zur Befriedigung seiner lüsternen Begierden. Zum Wachen oder Schlafen benutzte er ohne jeden Vorzug Tag oder Nacht. – Diese großen Tugenden wurden von großen Lastern ausgeglichen: Unmenschliche Grausamkeit, eine die punische übertreffende Heimtücke, keine Wahrhaftigkeit, kein Glaube, keine Beachtung von Schwüren, Versprechen oder Religion. 49. Psalm [Psalm 49, 18] Misî soqist¾n Óstij oÙc aØtù soqÒj. Euripides. [Euripides, Fragmente] 75 Lib. 21. cap. 4 [Livius, Geschichte, Buch 21, Kap. 4] 73 74

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Der Charakter des Alexander VI., der von Guicciardini 76 beschrieben wird, ist dem des Hannibal ziemlich ähnlich, aber gerechter; und er ist ein Beweis dafür, daß sogar die modernen Menschen, wenn sie natürlich reden, dieselbe Sprache sprechen wie die Menschen der Antike. Dieser Papst, sagt der Schriftsteller, besaß ein einzigartiges Talent und Urteil: bewundernswürdige Klugheit, ein wunderbares Talent der Überzeugung und in allen wichtigen Unternehmungen eine unglaubliche Sorgfalt und Geschicklichkeit. Aber diese Tugenden wurden von seinen Lastern überschattet: kein Glaube, keine Religion, unersättliche Gier, überschwenglicher Ehrgeiz und eine mehr als barbarische Grausamkeit. Polybios tadelt Timaeus wegen seiner Parteilichkeit gegenüber Agathokles, den er selbst als den grausamsten und ungläubigsten Tyrannen charakterisiert.77 Er sagt: »Als er Zuflucht in Syrakus nahm, wie es von dem Historiker behauptet wird, floh er vor dem Schmutz, dem Rauch und der Arbeit seines vorherigen Berufs als Töpfer, und obwohl er aus derart einfachen Verhältnissen kam, wurde er in kürzester Zeit ein Herrscher über ganz Sizilien, brachte den Staat der Karthager in größte Gefahr und starb letztlich in hohem Alter und im Besitz von Herrscherwürde. Muß man nicht zugeben, daß er etwas Besonderes und Außergewöhnliches besaß und große Talente und Fähigkeiten in Geschäft und Handeln zeigte ? Sein Historiker hätte darum nicht nur das berichten sollen, was zu seinem Tadel und seinem schlechten Ruf beitrug, sondern auch, was zu seinem Lob und seiner Ehre zählen könnte.« Im allgemeinen kann man beobachten, daß der Unterschied zwischen willentlich oder unwillentlich von den antiken Autoren in ihren moralischen Argumenten wenig beachtet wurde. Dagegen diskutierten sie oft die für sie strittige Frage, ob die Tugend gelehrt werden könne oder nicht.78 Sie erkannten, daß Feigheit, Lib. 1 [Francesco Guicciardini, Della historia d’Italia, Buch 1, Kap. 2] Lib. 12 [Polybios, Geschichten, Buch 12, Kap. 15, bes. §§ 5–12] 78 Siehe Platon im Menon, Seneca, De Otio Sap. cap. 31. Auch Horaz, Virtutem doctrina paret, naturane donet. [»Ob Tugend als Gabe der Natur uns angeboren, oder durch Unterricht und Fleiß erworben werde?«, 76 77

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Gemeinheit, Leichtsinn, Ängstlichkeit, Ungeduld, Torheit und viele andere Eigenschaften des Geistes lächerlich oder häßlich erscheinen, obwohl sie von dem Willen unabhängig sind. Man sollte auch nicht glauben, daß es immer und in jedermanns Macht steht, jede Art von geistiger Schönheit zu erreichen, sowenig wie dies bei der äußeren Schönheit möglich ist. Damit komme ich zur vierten Überlegung, die ich mir vorgenommen habe, um anzudeuten, aus welchem Grund moderne Philosophen so oft einen ganz anderen Pfad verfolgt haben als die antiken. In neueren Zeiten findet man, daß alle Arten der Philosophie und besonders die Ethik enger mit der Theologie verbunden wurden, als dies bei den Heiden der Fall war. Da sich die Theologie nicht mit anderen Wissenschaften verbinden läßt, sondern jede Art von Wissenschaft für ihren eigenen Zweck verformt, ohne dabei die Phänomene der Natur oder die unvoreingenommenen Urteile des Geistes irgendwie zu berücksichtigen, hat sie das Denken und sogar die Sprache aus ihren natürlichen Bahnen getrieben. Man hat versucht, Unterscheidungen zu treffen, wo kein Unterschied in den Dingen wahrgenommen werden kann. Philosophen, oder besser, als Philosophen verkleidete Theologen, wurden notwendigerweise gezwungen, diesen Umstand von freiwillig und unfreiwillig zum Fundament ihrer ganzen Theorie zu machen und die ganze Moral sowie die Zivilgesetzgebung als durch die Sanktionen von Belohnung und Strafe geschützt zu behandeln. Jeder kann Wörter so benutzen, wie er will. Man muß aber zugleich zugeben, daß Empfindungen des Tadels oder des Lobes täglich an Gegenständen erfahren werden, die über die Herrschaft des Willens und der Willkür hinausgehen, und für die wir, wenn nicht als Moralisten, so doch wenigstens als spekulative Philosophen eine zufriedenstellende Theorie und Erklärung geben müssen. übers. v. C. M. Wieland, bearb. u. erg. v. H. Conrad, 2. erw. Aufl., Berlin 1991, 203] Epist. lib. 1 ep. 18. Aischines Socraticus, Dial. 1 [Platon, Menon 10a ff., Seneca, Moral Essays, trnsl. J. W. Basore, 3 Bde., Cambridge / Mass., Loeb, CL 1, 628, ›De Otio‹, Kap. 4 (31 in älteren Editionen) besonders § 2. Horaz, Briefe, Buch 1, ep. 18, Aischines Socraticus, Dialogues 1]

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Eine Unvollkommenheit, ein Fehler, ein Verbrechen; diese Ausdrücke scheinen verschiedene Grade des Tadels und der Mißbilligung auszudrücken, die aber letztlich alle nahezu der gleichen Gattung angehören. Die Erklärung des einen führt leicht zu einem richtigen Begriff des anderen, und es ist wichtiger, die Dinge als die Namen zu betrachten. Daß wir eine Pflicht gegen uns selbst haben, wird sogar vom einfachsten moralischen System eingeräumt, und es muß folgenreich sein, diese Pflicht zu untersuchen, um zu sehen, ob sie in irgendeiner Weise mit der Pflicht verwandt ist, die wir der Gesellschaft gegenüber haben. Es ist wahrscheinlich, daß die Billigung, die der Einhaltung beider gilt, ähnlicher Natur ist und daß sie aus ähnlichen Prinzipien resultiert, gleichgültig, welchen Namen auch immer wir diesen beiden Vorzügen geben.

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Mein Freund Palamedes, dessen Prinzipien ebenso ausschweifend sind wie seine Person, und der durch Studien und Reisen fast jede Region der intellektuellen und materialen Welt besucht hat, überraschte mich letztens mit einem Bericht von einer Nation, bei der er, wie er mir sagte, einen beträchtlichen Teil seines Lebens verbracht hatte und die er im wesentlichen als ein höchst zivilisiertes und intelligentes Volk ansah. Es gibt ein Land in dieser Welt, das Fourli heißt, sagte er. Es tut nichts zur Sache, auf welchem Längen- oder Breitengrad es liegt. Seine Einwohner denken in manchen Dingen, besonders in der Moral, genau das Gegenteil von dem, was wir denken. Als ich bei ihnen ankam, fand ich, daß ich mich einer doppelten Mühe unterziehen mußte. Zunächst mußte ich den Sinn der Wörter ihrer Sprache lernen und dann die Bedeutung dieser Wörter und wie sie mit Lob und Tadel verbunden sind. Nachdem mir ein Wort erklärt und der Charakter, den es ausdrückt, beschrieben worden war, zog ich den Schluß, daß eine derartige Bezeichnung notwendigerweise der größte Vorwurf in der Welt sein mußte; und ich war dann äußerst überrascht, als ich fand, daß jemand es in einer öffentlichen Gesellschaft auf eine Person anwandte, mit der er sehr intim und freundschaftlich lebte. Ich sagte dann einmal zu einem Bekannten: »Du glaubst, daß Changuis dein Todfeind ist: Ich schlichte gern Streit und ich muß dir darum sagen, daß ich dabei war, als er sich äußerst positiv über dich äußerte.« Aber zu meiner großen Überraschung fand ich, daß Changuis’ Worte als die tödlichste Beleidigung aufgefaßt wurden, als ich sie wiederholte, obwohl ich mich vollkommen an sie erinnerte und sie vollkommen verstanden hatte. Ich hatte äußerst naiv die Kluft zwischen diesen beiden Personen unüberwindlich gemacht. Da ich das Glück hatte, in diesem Volk eine sehr vorteilhafte Stellung zu erreichen, wurde ich sofort in die beste Gesellschaft

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eingeführt. Und da Alcheic wollte, daß ich bei ihm wohnen sollte, nahm ich seine Einladung bereitwillig an, zumal ich erfuhr, daß er wegen seines persönlichen Verdienstes allgemein geachtet wurde und daß ein jeder in Fourli ihn als einen perfekten Charakter betrachtete. Eines Abends lud er mich ein, mit ihm an einem Vergnügen teilzunehmen. Er wollte der Gulki eine Serenade geben, da er, wie er mir sagte, höchst verliebt war. Und ich erfuhr bald, daß sein Geschmack kein Einzelfall war, denn wir trafen einige seiner Rivalen, die das gleiche Ziel verfolgten. Ich schloß ganz natürlich, daß diese Dame eine der vornehmsten Frauen der Stadt sein müsse, und ich fühlte schon das geheime Verlangen, sie zu treffen und mit ihr bekannt zu werden. Als aber der Mond aufging, war ich überrascht, mich im Zentrum der Universität finden, an der Gulki studierte. Und ich war etwas beschämt, meinen Freund auf solch einem Vorhaben begleitet zu haben. Man erzählte mir später, daß alle vornehmen Leute der Stadt Alcheics Wahl von Gulki guthießen und daß man erwartete, er würde, indem er seine Leidenschaft befriedigte, diesem jungen Mann denselben guten Dienst erweisen, den er selbst Elcouf geschuldet hatte. Es scheint, daß Alcheic in seiner Jugend sehr gut ausgesehen hatte und von vielen Liebhabern umworben wurde, aber seine Gunst hauptsächlich dem weisen Elcouf geschenkt hatte, dem er zu einem großen Teil den erstaunlichen Fortschritt in Philosophie und Tugend schulden sollte. Ich war einigermaßen überrascht, daß Alcheics Ehefrau (die, nebenbei gesagt, auch seine Schwester war) in keiner Weise Anstoß an dieser Art von Untreue nahm. Um dieselbe Zeit erfuhr ich (da niemand es mir oder jemand anderem verheimlichte), daß Alcheic ein Mörder und sogar ein Vatermörder war, und daß er eine unschuldige Person umgebracht hatte, die zu seiner nächsten Verwandtschaft gehörte und die er aller Verbindungen der Natur und Menschlichkeit wegen hätte beschützen und verteidigen müssen. Als ich ihn mit aller vorstellbaren Vorsicht und Bescheidenheit fragte, was das Motiv seiner Handlung war, antwortete er kühl, daß er da-

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mals nicht so gut gestellt war wie jetzt und daß er besonders auf den Rat aller seiner Freunde hin gehandelt hatte. Da ich Alcheics Tugend so außerordentlich gefeiert gesehen hatte, gab ich vor, in dieses allgemeine Lob einzustimmen und fragte nur als ein neugieriger Fremder, welche seiner edlen Taten den größten Beifall fand. Und ich erfuhr bald, daß die Gefühle aller darin übereinstimmten, daß es das Attentat auf Usbek war. Dieser Usbek war bis zu seinem letzten Atemzug Alcheics intimer Freund, hatte ihm viele hohe Ämter verschafft, hatte sogar einmal sein Leben gerettet und hatte ihm in seinem Testament, das nach dem Mord gefunden wurde, einen beträchtlichen Teil seines Vermögens vermacht. Es scheint, daß Alcheic sich mit zwanzig oder dreißig anderen verschworen hatte, von denen die meisten auch Usbeks Freunde waren, und daß sie alle zusammen über den unglücklichen Mann hergefallen waren, als dieser es nicht erwartete, ihn mit hundert Wunden bedeckten und ihm damit all seine vorherige Gunst und seine Wohltaten lohnten. Usbek, so sagte die allgemeine Stimme des Volkes, besaß viele große und gute Eigenschaften. Sogar seine Laster waren glänzend, großartig und großzügig. Aber diese Tat von Alcheic setzt ihn in den Augen aller Richter des Verdienstes weit über Usbek, und sie ist eine der edelsten, die jemals unter der Sonne geschah. Ein anderer Aspekt von Alcheics Benehmen, das, wie ich fand, hoch gelobt wurde, war sein Verhalten gegenüber Calish, mit dem er an einem Projekt oder Geschäft von einiger Bedeutung zusammenarbeitete. Calish, ein leidenschaftlicher Mann, gab Alcheic einmal eine tüchtige Tracht Prügel, die er geduldig über sich ergehen ließ. Alcheic wartete bis Calishs gute Laune zurückkehrte, unterhielt eine schöne Korrespondenz mit ihm, brachte so das gemeinsame Geschäft zu einem glücklichen Ende und erwarb sich eine unsterbliche Ehre durch sein bemerkenswertes Temperament und seine Bescheidenheit. Vor nicht langer Zeit erhielt ich einen Brief von jemand in Fourli, aus dem ich erfuhr, daß sich Alcheic nach meiner Abreise mit Anstand erhängt habe, nachdem er schwer krank geworden war, und allgemein bedauert und gelobt in seinem

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Land starb. Ein so tugendhaftes und edles Leben könne nicht besser gekrönt werden als durch ein so edles Ende, sagten alle Fourlianer. Und Alcheic bewies durch diese wie auch durch alle anderen Taten, welches das konstante Prinzip seines Lebens war und dessen er sich auch in seinen letzten Atemzügen rühmte, daß nämlich ein weiser Mann kaum weniger ist als der große Gott Vitzli. Dies ist der Name der höchsten Gottheit bei den Einwohnern von Fourli. Die Begriffe dieses Volkes, fuhr Palamedes fort, sind gleichermaßen außergewöhnlich in Hinsicht auf gutes Benehmen und gesellschaftlichen Umgang wie auf die Moral. Mein Freund Alcheic bereitete einmal ein Fest für mich, an dem alle erstrangigen Denker und Philosophen Fourlis teilnahmen. Dabei brachte jeder seine eigene Verpflegung zum Versammlungsort mit. Ich bemerkte, daß einer von ihnen schlechter ausgestattet war als der Rest, und ich bot ihm einen Teil meiner Verpflegung an, die aus gebratenem Huhn bestand. Ich konnte nicht übersehen, wie er und all die anderen der Gesellschaft über meine Naivität schmunzelten. Man sagte mir, daß Alcheic einmal einen so großen Einfluß in seinem Club hatte, daß er sie überzeugte, mit ihm zu essen, und daß er in diesem Zusammenhang einen Trick anwandte. Er überredete diejenigen, die er als die am schlechtesten ausgestatteten ausmachte, ihre Mahlzeit den anderen anzubieten; danach waren die anderen, die delikatere Sachen mitgebracht hatten, so beschämt, daß sie dasselbe Angebot machten. Dies wurde als ein so außergewöhnliches Ereignis betrachtet, daß es in der Zwischenzeit, wie ich erfahren habe, in die Biographie des Alcheic aufgenommen wurde, die von einem der größten Genies Fourlis geschrieben wurde. Palamedes, bitte antworte mir, sagte ich, hast du, als du in Fourli warst, auch die Kunst erworben, deine Freunde lächerlich zu machen, indem du ihnen sonderbare Geschichten erzählst und dann über sie lachst, wenn sie dir glauben ? Ich versichere dir, antwortete er, wenn ich eine solche Lektion hätte lernen wollen, hätte es keinen besseren Ort in der Welt gegeben. Mein Freund, den ich schon so oft genannt habe, tat von morgens bis abends nichts anderes als zu verhöhnen, zu scherzen und zu

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hänseln, und man konnte fast niemals sicher sein, ob er etwas aus Spaß oder im Ernst sagte. Aber glaubst du denn, daß meine Geschichte unwahrscheinlich ist, und daß ich das Privileg eines Reisenden gebraucht oder vielmehr mißbraucht habe ? Sicher, sagte ich, du hast nur Spaß gemacht. Derart barbarische und wilde Sitten sind nicht nur unvereinbar mit zivilisierten und intelligenten Menschen, wie du sie nanntest, sondern sie sind auch kaum vereinbar mit der menschlichen Natur. Sie gehen weit über das hinaus, was wir über die Mingrelianer und Topinamboer gelesen haben. Gib acht, rief er, gib acht ! Du ahnst nicht, daß du eine Blasphemie äußerst, und deine Lieblinge, die Griechen, beleidigst – und besonders die Athener, die ich mit bizarren Namen benannt habe. Wenn du es richtig betrachtest, dann gibt es in dem angeführten Charakter nicht einen Zug, der sich nicht bei einem der verdientesten Männer in Athen findet, ohne daß dies auch nur im geringsten den Glanz seines Charakters beeinträchtigt. Die Liebesverhältnisse der Griechen, ihre Ehen,79 das Aussetzen ihrer Kinder muß dich unmittelbar berühren. Der Tod des Usbek ist ein genaues Abbild von Caesars Tod. Alles unwichtig, sagte ich, ihn unterbrechend: du hast nicht gesagt, daß Usbek ein unrechtmäßiger Machthaber war. Ich habe das nicht gesagt, antwortete er, weil ich nicht wollte, daß du die Parallele, die ich anstrebte, entdecken würdest. Doch selbst wenn wir diesen Umstand hinzufügen, würden wir nicht zögern, Brutus und Cassius im Einklang mit unseren moralischen Gefühlen undankbare Verräter zu nennen, obwohl du weißt, daß sie vielleicht die höchsten Charaktere der ganzen Antike waren. Und die Athener bauten ihnen Denkmäler, die sie in der Nähe derer von Harmodius und Aristogiton, ihrer eigenen Befreier, aufstellten. Und solltest du glauben, daß der Umstand, den du anführst, so wichtig für ihre Unschuld ist, dann werde ich ihn durch einen anderen ausgleichen, der noch nicht geDie Gesetze von Athen erlaubten es, daß ein Mann seine Halbschwester väterlicherseits heiratete. Solons Gesetz verbat Päderastie mit Sklaven, weil sie eine zu große Ehre für solch gemeine Personen wäre. 79

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nannt worden ist und der ihr Verbrechen auf gleiche Weise erschwert. Einige Tage, bevor sie ihre böse Tat ausführten, schworen sie Caesar ihre Treue, und während sie verkündeten, daß sie seine Person für immer heilig halten würden, berührten sie den Altar mit den Händen, die sie schon für seine Vernichtung bewaffnet hatten.80 Ich muß dich wohl nicht an die berühmte und gelobte Geschichte des Themistokles und seiner Geduld gegenüber Eurybiades, dem Spartaner, seinem Stabsoffizier, erinnern. Dieser erhob während einer heftigen Diskussion in einer Kriegsberatung seinen Stab – und das war genauso, als hätte er ihn geprügelt, aber der Athener rief: »Schlag zu, schlag zu, aber höre mich an.« Du bist ein zu guter Gelehrter, als daß du nicht den ironischen Sokrates und seinen athenischen Club in meiner letzten Geschichte entdeckt hättest, und du wirst sicher auch bemerkt haben, daß sie genau aus dem Xenophon kopiert worden ist, nur mit einer Veränderung der Namen.81 Ich glaube, richtig gezeigt zu haben, daß ein verdienstvoller Mann in Athen bei uns als Blutschänder, Vatermörder, Menschenmörder, undankbarer und meineidiger Verräter angesehen würde, als etwas, das so verachtenswert ist, das es nicht ausgesprochen werden kann, ganz abgesehen von seinen bäuerischen und schlechten Manieren. Da er auf diese Weise lebte, wäre sein Tod vollkommen angemessen gewesen. Er dürfte diese Aufführung durch einen hoffnungslosen Akt des Selbstmordes beenden und mit den absurdesten Blasphemien auf seinen Lippen sterben. Und trotz all dieser Dinge sollen seinem Gedenken Denkmäler, ja sogar Altäre errichtet werden. Gedichte und Reden werden zu seinem Lob verfaßt, große Sekten sollen stolz sein, sich nach seinem Namen zu nennen, und die entferntesten Nachkommen sollen ihre Bewunderung blind weiterverfolgen, auch wenn sie einen Appian, de bell. Civ. Lib. 2. Suetonius, in vita Caesaris [Appian, Römische Geschichte, Buch 2, Kap. 16, §§ 111 f. Suetonius, Die Leben der Caesaren, Buch 2, Kap. 78–84] 81 Mem. Soc. Lib. 3. Sub fine [Xenophon, Memorabilia, Buch 3, Kap. 14, § 1] 80

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derartigen Menschen, sollte er unter ihnen erscheinen, zu Recht mit Entsetzen und Abscheu betrachten würden. Ich antwortete: Ich hätte deinen Trick erkennen sollen. Du scheinst dich an diesem Thema zu erfreuen, und du bist tatsächlich der einzige von allen, die mir jemals begegnet sind, der die Antike so gut kennt und sie dabei nicht aufs äußerste verehrt. Diesmal machst du jedoch keinen Angriff auf ihre Philosophie, Rhetorik oder Dichtung, die gängigen Themen, über die wir uns streiten, sondern du scheinst ihre Moral in Frage zu stellen und sie der Unwissenheit in einer Wissenschaft zu bezichtigen, die die einzige ist, in der sie von den Modernen nicht übertroffen werden. Geometrie, Physik, Astronomie, Anatomie, Botanik, Geographie, Navigation, in all diesen Wissenschaften behaupten wir zu Recht unsere Überlegenheit. Was können wir aber ihren Moralphilosophen entgegensetzen ? Deine Darstellung der Dinge ist irreführend. Du hast kein Verständnis für das Benehmen und die Sitten anderer Zeiten. Würdest du einem Griechen oder einem Römer mit dem Gewohnheitsrecht Englands den Prozeß machen ? Höre ihm zu, wie er sich nach seinen eigenen Maximen verteidigt und fälle dann ein Urteil. Es gibt kein Benehmen, das so unschuldig und vernünftig ist, daß es nicht abscheulich und lächerlich gemacht werden könnte, wenn man es an einem Maßstab mißt, der den Personen unbekannt war; und dies besonders, wenn du ein wenig Kunst oder Überredungskraft anwendest, indem du einige Umstände übertreibst und andere abschwächst, so wie es gerade den Zielen deiner Rede zuträglich ist. Dieselben Tricks können leicht auch auf dich angewendet werden. Könnte ich den Athenern nicht sagen, daß es ein Volk gab, in dem aktiver und passiver Ehebruch, wenn man so reden darf, höchst modern und geschätzt waren, in dem jeder gebildete Mann eine verheiratete Frau als Geliebte wählte, vielleicht sogar die Ehefrau seines Freundes und Gefährten, und er sich diese unverschämten Eroberungen auch noch als ein solches Verdienst anrechnete, als hätte er mehrere Male bei den olympischen Spielen im Boxen oder Ringen gewonnen. Dabei war jedermann auch noch stolz auf seine Bereitwilligkeit

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und seine Flexibilität in Hinsicht auf seine eigene Frau und war froh, wenn er Freunde gewann oder dadurch Interesse erregte, daß er ihr erlaubte, sich mit ihren Reizen zu prostituieren und ihr auch ohne ein derartiges Motiv die volle Freiheit und Befriedigung erlaubte. Ich frage: Welche Gefühle hätten die Athener einem derartigen Volk gegenüber gehabt, sie, die das Verbrechen des Ehebruchs immer nur im Zusammenhang von Raub und Vergiftung erwähnten ? Was würden sie mehr bewundern, das Verbrecherische oder das Niedrige an diesem Verhalten ? Sollte ich noch hinzusetzen, daß dieselben Leute so stolz auf ihre Versklavtheit und Abhängigkeit waren wie die Athener auf ihre Freiheit ? Obwohl einer ihrer Männer von einem Tyrannen unterdrückt, entehrt, beraubt, beleidigt oder eingekerkert werden konnte, sahen sie es doch immer als ihr höchstes Verdienst an, diesen zu lieben, ihm zu dienen und zu gehorchen und sogar für seinen geringsten Ruhm oder seine Befriedigung zu sterben. Die edlen Griechen hätten mich wahrscheinlich gefragt, ob ich von einer menschlichen Gesellschaft spreche oder von einer niedrigeren und unterwürfigen Gattung ? Ich hätte dann mein athenisches Publikum darüber informieren können, daß es diesen Menschen weder an Mut noch an Tapferkeit mangelte. Ich hätte gesagt, daß sie einem Mann, der, obwohl ihr engster Freund, sie in einer privaten Gesellschaft so verspottete, wie die athenischen Generäle und Demagogen es jeden Tag vor der ganzen Stadt tun, nie vergeben würden, sondern daß sie, um sich zu rächen, ihn sofort auffordern würden, ihren Körper zu durchbohren oder selbst umgebracht zu werden. Und wenn ein ihnen vollkommen fremder Mann sie fragen würde, den Hals eines ihrer Busenfreunde zu durchtrennen oder selbst ihr Leben zu verlieren, dann würden sie ihm sofort gehorchen und glauben, sie wären zu diesem Dienst selbst höchst verpflichtet und dadurch geehrt. Derart sind ihre Maximen der Ehre. Dies ist ihre bevorzugte Moralität. Obwohl sie jedoch bereit sind, ihr Schwert gegen ihre Freunde und Landsleute zu erheben, so würde doch keine Unehre, keine Gemeinheit, kein Schmerz, keine Armut diese Menschen jemals dazu bringen, die Spitze des Schwertes gegen

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ihre eigene Brust zu richten. Ein Mann von Stellung würde auf den Galeeren rudern, um sein Brot betteln und im Gefängnis schmachten, jede Tortur erleiden und doch sein armseliges Leben erhalten. Er würde eher den schmählichen Tod durch seine Feinde erleiden, erschwert durch ihre triumphierenden Beleidigungen und ausgesuchten Schmerzen, als seinen Feinden durch eine großmütige Verachtung des Todes zu entkommen. Es ist auch sehr gebräuchlich unter diesen Leuten, würde ich fortfahren, Gefängnisse zu errichten, in denen jede Art von Plage und Tortur der Gefangenen sorgfältig studiert und praktiziert wird. Und in diesen Gefängnissen finden sich normalerweise auch einige Kinder, die ihr Vater dort freiwillig eingeschlossen hat, damit ein anderer Sohn, der zugegebenermaßen kein größeres, sondern ein geringeres Verdienst als die anderen hat, sein ganzes Erbe genießen und sich in jeder Art von Wollust und Vergnügen wälzen kann. Nichts ist ihrer Meinung nach so tugendhaft wie diese barbarische Parteilichkeit. Ich berichte aber den Athenern, daß es noch etwas Einzigartiges bei diesem launigen Volk gibt, einen Streich, den jene sich nur während der Saturnalien 82 erlauben, wenn nämlich die Sklaven von ihren Herren bedient werden, der bei diesem ernsthaft das ganze Jahr hindurch und während des ganzen Lebens praktiziert wird und von Umständen begleitet ist, die die Absurdität und Lächerlichkeit dieses Brauchs noch vergrößern. Euer Sport erhöht nur für einige Tage diejenigen, die das Schicksal niedergeschlagen hat und die es im Sport auch wirklich und für immer über euch stellen kann. Dieses Volk erhöht jedoch ernsthaft diejenigen, die ihnen die Natur unterworfen hat und deren Minderwertigkeit und Schwächen absolut unheilbar sind. Die Frauen, obwohl ohne Tugend, sind ihre Herren und Meister. Sie verehren, loben und verherrlichen die Frauen und erweisen ihnen die höchste Ehrerbietung und den höchsten Respekt. Überall und immer wird die höhere Stellung der Frauen freizügig zugestanden und von jedem akzeptiert, der auch nur den Die Griechen feierten das Fest des Saturn genauso wie die Römer. Siehe Lukian, epist. Saturn. (Lukian, Saturnalia §§ 10–39). 82

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kleinsten Anspruch auf Bildung und Höflichkeit haben möchte. Es gibt kaum ein Verbrechen, daß so allgemein verabscheut wird, wie die Verletzung dieser Regel. Palamedes antwortete: Du brauchst nicht mehr zu sagen. Ich kann die Leute, die du meinst, leicht erraten. Die Pinselstriche, mit denen du sie gemalt hast, werden ihnen ziemlich gerecht. Und doch mußt du zugeben, daß weder in der Antike noch in der Moderne kaum ein Volk gefunden werden kann, dessen nationaler Charakter im großen und ganzen weniger Anstoß erregt. Ich danke dir aber, daß du mir mit deinem Argument ausgeholfen hast. Ich hatte nicht vor, die neuzeitlichen Völker auf Kosten der Antike zu erhöhen. Ich wollte nur die Unsicherheit sämtlicher Urteile über Charaktere aufzeigen und dich überzeugen, daß Mode, Sitte, Brauch und Gesetz das wichtigste Fundament aller moralischen Bestimmungen sind. Wenn es jemals zivilisierte und intelligente Menschen gegeben hat, dann waren es die Athener. Und doch kann einer ihrer verdienstvollen Männer in unserer Zeit furchtbar und abscheulich erscheinen. Auch die Franzosen sind ohne Zweifel ein sehr zivilisiertes und intelligentes Volk, und doch könnte einer ihrer verdienstvollen Männer den Athenern ein Gegenstand der höchsten Verachtung, Lächerlichkeit und sogar des Hasses sein. Was diesen Umstand noch außerordentlicher macht, ist, daß diese beiden Völker unter allen antiken und modernen Völkern als die ähnlichsten in Hinsicht auf ihren nationalen Charakter angesehen werden. Und während sich die Engländer selber schmeicheln, den Römern ähnlich zu sein, vergleichen sich ihre Nachbarn auf dem Kontinent mit jenen höflichen Griechen. Welch ein großer Unterschied in den Gefühlen der Moral muß daher zwischen zivilisierten Ländern und Barbaren bestehen oder zwischen Ländern, deren Charaktere nichts gemeinsam haben ? Wie können wir vorgeben, eine Richtlinie für Urteile dieser Art festzulegen ? Wir tun dies, indem wir die Materie ein wenig tiefer führen und die ersten Prinzipien untersuchen, die jedes Land für Tadel oder Kritik aufstellt. Der Rhein fließt nach Norden, die Rhone nach Süden, aber beide entspringen auf demselben Berge und werden in ihren entgegengesetzten Richtungen von demselben

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Prinzip der Schwerkraft angetrieben. Die verschiedenen Neigungen des Bodens, auf dem sie fließen, verursachen alle Unterschiede ihres Laufs. In wie vielen Eigenschaften würden verdienstvolle Männer aus Athen und Frankreich mit Sicherheit einander ähnlich sein ? Guter Verstand, Wissen, Witz, Beredsamkeit, Menschlichkeit, Treue, Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit, Mut, Mäßigung, Stetigkeit und Würde des Geistes. All diese Eigenschaften hast du ausgelassen, um nur auf den Punkten zu bestehen, in denen sie sich zufälligerweise unterscheiden. Gut, ich bin bereit, mit dir zusammenzuarbeiten, und werde versuchen, diese Unterschiede aus den allgemeinsten bestehenden Prinzipien der Moral abzuleiten. Die griechischen Liebesbeziehungen möchte ich nicht weiter untersuchen. Ich möchte nur anmerken, daß sie aus einer sehr unschuldigen Ursache resultierten, wie tadelnswert sie auch sein mögen, nämlich der Häufigkeit der gymnastischen Übungen dieses Volkes. Und auch wenn dies absurd ist, so wurden sie doch als die Quelle von Freundschaft, Mitgefühl, gegenseitiger Verbindung und Treue empfohlen,83 Eigenschaften, die in allen Ländern und zu aller Zeit hochgeschätzt werden. Die Heirat von Halbbrüdern und -schwestern scheint keine große Schwierigkeit darzustellen. Liebe zwischen näheren Verwandten ist der Vernunft und dem öffentlichen Nutzen zuwider. Die genaue Stelle jedoch, an der wir aufhören müssen, kann nur schwer durch die natürliche Vernunft bestimmt werden und ist darum ein sehr angemessener Gegenstand für Zivilgesetze und Sitten. Wenn die Athener ein wenig in die eine Richtung abschweiften, dann hat das kirchliche Gesetz diese Materie sicher weit in Richtung auf das andere Extrem getrieben.84 Wenn man einen Athener gefragt hätte, warum er dem Kind das Leben, das er ihm gerade geschenkt hatte, wieder nahm, hätte er gesagt: Ich tue es, weil ich es liebe und weil ich die Ar83 84

Plat. Symp. P. 182 ex. Ed. Serr. [Platon, Symposium, 182a–185c] Siehe Untersuchung, Abschnitt 4.

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mut, die es von mir erben müßte, als ein größeres Übel ansehe als den Tod, den es noch nicht fürchten, fühlen oder übelnehmen kann.85 Wie kann öffentliche Freiheit, die wertvollste aller Gaben, aus der Hand eines Thronräubers oder Tyrannen wiedergewonnen werden, wenn seine Macht ihn vor öffentlicher Rebellion und unsere Skrupel vor privater Rache schützen ? Du räumst ein, daß sein Verbrechen ein kapitales ist. Und muß nicht die höchste Steigerung seines Verbrechens, nämlich der Umstand, daß er sich über das Gesetz gestellt hat, seine ganze Sicherheit ausmachen ? Du kannst mit nichts anderem antworten, als die großen Nachteile eines Attentats aufzuzeigen, und wenn jemand sie den Alten klar bewiesen hätte, dann hätte dies deren Gefühle über den Tyrannenmord reformiert. Noch einmal, um dein Auge auf die Ansicht zu richten, die ich von den modernen Sitten gezeichnet habe: es ist fast genauso schwierig, die französische wie die griechische Galanterie zu rechtfertigen, mit der Ausnahme, daß die französische natürlicher und liebenswerter ist als die griechische. Es scheint aber, daß unsere Nachbarn sich entschieden haben, etwas von den häuslichen Freuden den geselligen zu opfern. Sie bevorzugen Leichtigkeit, Freiheit und offenen Verkehr gegenüber strikter Treue und Stetigkeit. Beide Ziele sind gut, aber ziemlich schwierig in Einklang zu bringen. Wir brauchen uns auch nicht zu wundern, daß die Gebräuche einzelner Länder manchmal zu sehr in die eine oder andere Richtung neigen. Die treueste Verbundenheit mit den Gesetzen unseres Landes wird überall als eine der Haupttugenden angenommen, und wenn die Menschen nicht das Glück haben, eine andere Regierung zu besitzen als die einer einzelnen Person, dann ist die strikteste Loyalität der wahrhafteste Patriotismus. Es ist wahr, daß nichts absurder und barbarischer sein kann als die Praxis des Duellierens. Diejenigen aber, die sie rechtfertigen, behaupten, daß sie Höflichkeit und gute Manieren mit sich Plutarch, de amore prolis, sub fine. [Plutarch, Moralia, »Über die Zuneigung zu Nachkommen«, Kap. 5] 85

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bringt. Wie du bemerkt haben dürftest, ist ein Duellant immer stolz auf seinen Mut, seinen Sinn für Ehre, seine Treue und seine Freundschaft – Eigenschaften, die hier sicherlich eigenartig verkehrt worden sind, die aber seit dem Anfang der Welt universell geachtet werden. Haben die Götter den Selbstmord verboten ? Ein Athener gibt zu, daß man ihm widerstehen sollte. Hat die Gottheit ihn erlaubt ? Ein Franzose gibt zu, daß der Tod den Schmerzen und der Ehrlosigkeit vorzuziehen ist. So siehst du, fuhr ich fort, daß die Prinzipien, auf deren Grundlage die Menschen über die Moral nachdenken, immer dieselben sind, obwohl sie sehr verschiedene Schlußfolgerungen ziehen. Ein Moralist muß nicht zeigen, daß alle richtiger über dieses Thema denken als über irgendein anderes. Es reicht aus, daß die ursprünglichen Prinzipien der Kritik und des Tadels gleich sind und daß irrtümliche Schlußfolgerungen durch bessere Argumente und größere Erfahrung berichtigt werden können. Obwohl viele Jahre seit dem Fall von Griechenland und Rom vergangen sind und viele Veränderungen in Religion, Sprache, Gesetzen und Sitten eingetreten sind, hat dennoch keine dieser Revolutionen jemals eine bedeutende Veränderung in den grundlegenden Empfindungen der Moral hervorgebracht, die über die der äußerlichen Schönheit hinausgehen würde. Einige geringfügige Unterschiede kann man vielleicht bei beiden beobachten. Horaz 86 feiert eine niedrige Stirn und Anakreon 87 zusammengewachsene Augenbrauen. Aber der Apoll und die Venus der Antike sind noch immer unsere Modelle der männlichen und weiblichen Schönheit. In der gleichen Weise ist der Charakter des Scipio noch immer unser Maßstab für den Ruhm der Helden und der Charakter der Cornelia für die Ehre der Mütter. Epist. Lib. 7. Auch lib. 1, Ode 33. [Horaz, Briefe, Buch 1, Brief 7, Z. 26–28; auch Oden, Buch 1, Ode 33, Z. 5 f.] 87 Ode 28. Petronius (cap. 126) verbindet diese beiden Umstände als Schönheiten. [Anacreon, Anacreontea, Ode 16 (heutige Zählung), Z. 9–11. Petronius, Satyricon, Kap. 126] 86

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Es scheint, daß jede Eigenschaft, die jemals von irgend jemandem als Tugend oder moralischer Vorzug empfohlen worden ist, nur aufgrund ihrer Nützlichkeit oder Annehmlichkeit für ihn selbst oder für andere so empfohlen worden ist. Denn welchen anderen Grund kann man jemals für Lob oder Billigung anführen ? Wie könnte es sinnvoll sein, einen Charakter oder eine Handlung als gut zu loben, die man gleichzeitig als zu nichts gut bezeichnet ? Alle moralischen Unterschiede können daher auf dieses eine, allgemeine Fundament reduziert und aus den verschiedenen Ansichten, die Menschen von diesen Umständen haben, verstanden werden. Manchmal unterscheiden sich Menschen in ihrem Urteil über die Nützlichkeit irgendeiner Gewohnheit oder Handlung. Manchmal machen auch besondere Umstände von Dingen eine moralische Eigenschaft nützlicher als andere und verleihen ihr einen besonderen Vorzug. Es ist nicht überraschend, daß während der Zeiten des Krieges und der Unordnung die militärischen Tugenden mehr gefeiert werden und mehr Bewunderung und Beachtung der Menschheit auf sich ziehen als die friedvollen. »Wie normal ist es«, sagt Tullius,88 »zu beobachten, daß die Kimbern, die Keltiberer und andere Barbaren zwar mit unbeugsamer Ausdauer alle Ermüdungen und Gefahren des Schlachtfeldes ertragen, aber sofort von dem Schmerz und dem Risiko einer ermattenden üblen Laune entmutigt werden, während die Griechen auf der anderen Seite den langsamen Eintritt des Todes geduldig ertragen, wenn er von Übelkeit und Krankheit begleitet wird, aber furchtsam seine Gegenwart fliehen, wenn er sie mit Schwertern und Lanzen angreift !« So verschieden ist sogar die Tugend der Tapferkeit zwischen kriegerischen und friedlichen Völkern. Wir können in der Tat bemerken, daß, so wie der größte Unterschied von Krieg und Frieden zwischen Nationalstaaten und öffentlichen Gesellschaften entsteht, auch die größte Variation der moralischen Empfindung dadurch hervorgebracht wird Tusc. Quaest. Lib. 2. [Cicero, Tusculanische Gespräche, Buch 2, Kap. 27, § 65] 88

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und die Unterschiede unserer Ideen von Tugend und persönlichem Verdienst am stärksten vermehrt werden. Manchmal paßt auch Großmut, Größe des Geistes, Verachtung von Sklaverei, unbeugsame Strenge und Integrität besser zu den Umständen des einen Zeitalters als zu denen eines anderen und haben einen freundlicheren Einfluß sowohl auf das öffentliche Leben wie auch auf die Sicherheit und den Fortschritt eines Menschen selbst. Unsere Idee von Verdienst wird sich darum mit diesen Veränderungen ein wenig verändern; und Labeo wird vielleicht für dieselben Eigenschaften kritisiert, für die Cato die höchste Billigung zuteil wurde. Ein gewisser Grad von Luxus kann einem Eingeborenen der Schweiz, einem Land, das die Künste nur fördert, gefährlich werden, aber Fleiß bei einem Franzosen oder Engländer hervorrufen. Wir sollten darum in Bern weder dieselben Empfindungen noch dieselben Gesetze vermuten, die in London oder Paris gelten. Auch haben verschiedene Sitten einigen Einfluß und verschiedenen Nutzen. Indem sie dem Geist ein frühes Vorurteil geben, können sie einen größeren Hang zu den nützlichen oder zu den angenehmen Eigenschaften verursachen, die das Selbst oder die Gesellschaft angehen. Diese vier Quellen der moralischen Empfindung existieren immer noch, aber besondere Umstände können zu einer bestimmten Zeit eine jede von ihnen reicher fließen lassen. Die Sitten einiger Länder verbieten Frauen jede soziale Interaktion. Die Sitten anderer Länder machen sie zu einem so wichtigen Teil der Gesellschaft und Unterhaltung, daß mit der Ausnahme der Abwicklung von Geschäften das männliche Geschlecht allein der gegenseitigen Unterhaltung und Gesellschaft beinahe völlig unfähig angesehen wird. Da dieser Unterschied der größte ist, den es im privaten Leben geben kann, muß er auch die größten Unterschiede in unserem moralischen Empfinden hervorrufen. Von allen Nationen der Welt, die Polygamie verboten haben, scheinen die Griechen diejenigen mit der größten Zurückhaltung in ihrem Verkehr mit dem schönen Geschlecht gewesen

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zu sein und diejenigen, die den Frauen die strengsten Gesetze der Keuschheit und des Anstandes auferlegt haben. Das beste Beispiel hierfür finden wir in einer Rede des Lysias.89 Eine Witwe, die verletzt, ruiniert und zugrundegerichtet war, ruft einige ihrer engsten Freunde und Verwandten zusammen, und obwohl sie, wie der Redner berichtet, nicht gewohnt war in der Gegenwart von Männern zu sprechen, wurde sie von der Not der Umstände gezwungen, ihnen ihren Fall vorzutragen. Es scheint, daß selbst das Öffnen ihres Mundes in einer derartigen Gesellschaft eine Entschuldigung verlangte. Als Demosthenes seine Erzieher verklagte, ihm sein väterliches Erbe zurückzuzahlen, mußte er im Laufe des Prozesses beweisen, daß die Heirat zwischen Aphobes Schwester mit Oneter völlig betrügerisch war und daß sie in den letzten zwei Jahren trotz ihrer Scheinehe, d. h. seit ihrer Scheidung von ihrem früheren Ehemann, bei ihrem Bruder in Athen gelebt hatte. Es ist bemerkenswert, daß der Redner den höchsten Rang und Stand, den diese Familie tatsächlich besaß, nur dadurch beweisen konnte, daß er ihre weiblichen Sklaven vorladen ließ und die Evidenz eines Arztes anführte, der sie in ihres Bruders Haus während ihrer Krankheit gesehen hatte.90 So zurückhaltend waren die griechischen Sitten. Wir können sicher sein, daß eine äußerste Reinheit der Sitten die Folge dieser Zurückhaltung war. Wir finden daher, abgesehen von den mythischen Geschichten über Helena und Klytämnestra, kaum ein Beispiel eines Ereignisses in der griechischen Geschichte, das auf weibliche Intrige verweist. In modernen Zeiten, andererseits, besonders in einem benachbarten Land, nehmen Frauen an allen Geschäften und der Verwaltung von Kirche und Staat teil. Niemand, der nicht ihr Wohlwollen besitzt, kann Erfolg erwarten. Heinrich III. gefährdete seine Krone und verlor sein Leben nicht nur, weil er der Ketzerei nachgab, sondern auch, weil er das Mißfallen der Schönen hervorrief. Orat. 33. [Lysias, Oration 32 (33 in älteren Editionen), ›Gegen Diogeiton‹, §§ 11 f.] 90 In Oneterem [Demosthenes, Gegen Oneter I, §§ 33–36] 89

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Es ist unnötig, sich zu verstellen: Die Folge eines freizügigen Umgangs der Geschlechter und ihr häufiges Beisammensein führt oft zu Intrigen und Galanterie. Wir müssen etwas von dem Nützlichen opfern, wenn wir danach streben, alle gefälligen Eigenschaften zu bekommen, und wir können nicht alle Arten von Vorteilen gleichzeitig erhalten. Beispiele von Freizügigkeit, täglich vervielfacht, werden die Anstößigkeit bei dem einen Geschlecht verringern und das andere allmählich überzeugen, die berühmte Maxime von La Fontaine in Hinsicht auf weibliche Untreue anzunehmen, nämlich: »wenn man davon weiß, ist sie eine kleine Sache, wenn man nicht davon weiß, ist sie nichts.«91 Einige Leute sind geneigt zu glauben, daß der beste Weg, alle Unterschiede zu bereinigen und die richtige Mitte zwischen den angenehmen und den nützlichen Eigenschaften des Geschlechts zu erhalten, darin besteht, wie die Römer und Engländer zu leben (denn die Sitten der beiden Länder scheinen in dieser Hinsicht sehr ähnlich),92 d. h. ohne Galanterie93 und ohne Eifersucht. Aus dem gleichen Grund sind die Sitten der Spanier und Italiener eines anderen Zeitalters (die jetzigen sind ganz anders) die schlechtesten von allen, weil sie Galanterie und Eifersucht zugleich fördern. Auch haben diese verschiedenen Sitten der Länder nicht nur Einfluß auf ein Geschlecht. Ihre Idee von persönlichem Verdienst der Männer muß sich auch zu einem gewissen Grade »Quand on le sçait c’est peu de chose: Quand on l’ignore, ce n’est rien« [ Jean de La Fontaine, Contes et nouvelles en vers, ›La coupe enchantée‹] 92 Im Zeitalter der Kaiser scheinen die Römer mehr zu Intrigen und Galanterie geneigt gewesen zu sein als die Engländer zu unserer Zeit. Und die Frauen von Rang versuchten, um ihre Liebhaber zu behalten, diejenigen, die gemeinen Liebschaften und Hurerei verfallen waren, in ein schlechtes Licht zu rücken. Sie wurden Ancillarioli genannt. Siehe Seneca, De Beneficiis, Lib. 1, cap. 9. Siehe auch Martial, Lib. 12. Epig. 58 [Seneca, Moral Essays, Buch 1, De Beneficiis, Kap. 9, § 4; Martial, Epigramme, Buch 12, Epigramm 58]. 93 Die Galanterie, die hier gemeint ist, ist die der Liebeleien und Liebschaften, nicht die der Höflichkeit, die dem schönen Geschlecht in England genauso wie in jedem anderen Land erwiesen wird. 91

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unterscheiden, zumindest was Konversation, Anstand und Humor betrifft. In einem Land, wo die Menschen weit entfernt voneinander leben, werden die Menschen natürlicherweise die Besonnenheit mehr befürworten. In einem anderen Land wird es die Fröhlichkeit sein. In dem einen wird die Einfachheit des Benehmens, in dem anderen wird die Höflichkeit am höchsten geschätzt. Das eine wird sich durch Vernünftigkeit und Urteilskraft, das andere durch Geschmack und Feinfühligkeit auszeichnen. Die Beredsamkeit des einen Landes wird am meisten im Senat glänzen, die des anderen im Theater. Dies, sage ich, sind die natürlichen Folgen derartiger Sitten, denn wir müssen gestehen, daß der Zufall einen großen Einfluß auf die Sitten der Länder hat und daß viele Dinge in der Gesellschaft geschehen, die man nicht durch allgemeine Regeln erklären kann. Wer könnte sich z. B. vorstellen, daß die Römer, die freizügig mit ihren Frauen umgingen, der Musik so gleichgültig gegenüberstanden und das Tanzen als anstößig betrachteten. Dagegen pfiffen, sangen und tanzten die Griechen ständig, obwohl sie Frauen nur in ihrem eigenen Haus sahen. Die Unterschiede der moralischen Empfindung, die natürlicherweise aufgrund einer republikanischen oder monarchischen Regierung entstehen, sind ebenfalls sehr offensichtlich, genau wie diejenigen, die von allgemeinem Reichtum oder Armut, von Einigkeit oder Streit, von Unwissenheit oder Bildung herrühren. Ich werde diese lange Ausführung beschließen, indem ich darlege, daß verschiedene Sitten und Situationen (so sehr sie auch einige Folgen verändern) in keinem wesentlichen Punkt die ursprünglichen Ideen des Verdienstes verändern, und daß sie besonders bei jungen Männern vorherrschen, die versuchen können, die angenehmen Eigenschaften zu erlangen und die zu gefallen versuchen. Das Benehmen, die Zierden, die Grazie, die in diesem Alter Erfolg haben, sind willkürlicher und lockerer. Doch das Verdienst der reiferen Jahre ist fast überall dasselbe und besteht in der Hauptsache in der Integrität, Menschlichkeit, Begabung, dem Wissen und anderen substantielleren und nützlicheren Eigenschaften des menschlichen Geistes.

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Was du behauptest, sagte Palamedes, hat vielleicht ein Fundament, wenn du dich auf die Maximen des täglichen Lebens und des gemeinen Handelns beschränkst. Erfahrung und Praxis in der Welt korrigieren leicht jede Extravaganz in Hinsicht auf beide Extreme. Was sagst du aber über artifizielles Leben und Benehmen ? Wie kannst du die Maximen in Einklang bringen, auf denen ein solches Leben zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Ländern beruht ? Was verstehst du unter artifiziellem Leben und Benehmen ? fragte ich. Ich werde es erklären, antwortete er. Wie du weißt, hatte die Religion in der Antike einen sehr geringen Einfluß auf das tägliche Leben. Nachdem die Männer ihren Pflichten mit Opfern und Beten im Tempel nachgekommen waren, glaubten sie, daß die Götter ihnen den anderen Teil ihres Lebens selbst überließen und durch jene Tugenden oder Laster, die nur den Frieden und das Glück der menschlichen Gesellschaft betrafen, nur wenig erfreut oder beleidigt wurden. In jenem Zeitalter war es allein das Geschäft der Philosophen, das tägliche Benehmen und Betragen der Menschen zu lenken; und hieraus können wir sehen, wie dieses Prinzip viele andere an Wichtigkeit zu überflügeln begann und eine große Anzahl von Maximen und Handlungsweisen hervorrief, weil es das einzige war, durch das ein Mann sich über seine Mitbürger erheben konnte. Heutzutage, da die Philosophie alle Anziehungskräfte der Neuigkeit verloren hat, besitzt sie keinen so weitreichenden Einfluß, sondern scheint sich zumeist auf Spekulationen im Studierzimmer zu beschränken, so wie die Religion der Antike sich auf das Opfern im Tempel beschränkte. Ihr Platz wird nun von der modernen Religion eingenommen, die unser ganzes Verhalten beurteilt und unseren Handlungen, Worten, ja sogar unseren Gedanken und Neigungen eine universelle Regel vorschreibt. Diese Regel ist umso strenger, als sie von unendlichen, obschon weit entfernten Belohnungen und Bestrafungen überwacht wird und keine Übertretung jemals verborgen oder verschleiert werden kann. Diogenes ist das berühmteste Beispiel eines extravaganten Philosophen. Indem wir eine Parallele zu ihm in der modernen

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Zeit suchen, wollen wir allerdings keinen namhaften Philosophen dadurch beleidigen, daß wir ihn mit Dominikanern oder Jesuiten oder irgendeinem heiliggesprochenen Mönch oder Bruder vergleichen. Wir wollen ihn mit Pascal vergleichen, der wie Diogenes ein Mann von Begabung und Genie war und der vielleicht auch ein Mann von Tugend gewesen wäre, wenn er es seinen tugendhaften Neigungen erlaubt hätte, sich zu entfalten und auszudrücken. Das Fundament des Benehmens von Diogenes war sein Bestreben, sich soweit wie möglich als ein unabhängiges Wesen zu erweisen und alle seine Bedürfnisse, Wünsche und Vergnügen nur auf sich selbst und seinen Geist zu begrenzen. Das Ziel Pascals war es, sich ein ständiges Bewußtsein für seine Abhängigkeit vor Augen zu halten und nie seine ungezählten Wünsche und Schwächen zu vergessen. Der Mann der Antike erhob sich durch Großmut, Prahlerei, Stolz und die Idee seiner eigenen Überlegenheit über seine Artgenossen. Der moderne Mann sprach immer von seiner Demut und seiner Erniedrigung, von der Verachtung und dem Haß seiner selbst, und er versuchte, diese vermeintlichen Tugenden so weit wie möglich zu erlangen. Die strengen Charakterzüge des Griechen sollten diesen gegen Härten unempfindlich machen und verhindern, daß er jemals leide. Die des Franzosen wurden nur um ihrer selbst willen angenommen und um soviel wie möglich zu leiden. Der Philosoph befriedigte sich selbst durch die viehischsten Vergnügen, sogar in der Öffentlichkeit. Der Heilige verbot sich selbst das unschuldigste Vergnügen, sogar in der Einsamkeit. Der erste glaubte, es sei seine Pflicht, seine Freunde zu lieben, sie zu beschimpfen, zu tadeln und zu schelten, der andere versuchte, seinen nächsten Verwandten gegenüber vollkommene Gleichgültigkeit zu zeigen, seine Feinde zu lieben und zu loben. Der große Gegenstand des Witzes von Diogenes war jede Art von Aberglauben, d. h. jede Art von Religion, die in seiner Zeit bekannt war. Die Sterblichkeit der Seele war sein Grundprinzip, und sogar seine Empfindungen in Hinsicht auf eine göttliche Vorsehung scheinen freizügig gewesen zu sein. Der lächerlichste Aberglaube regierte Pascals Glauben und Praxis, und eine ex-

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treme Verachtung dieses Lebens im Vergleich mit der Zukunft war das Hauptfundament seines Verhaltens. Diese zwei Männer stehen in einem bemerkenswerten Kontrast. Doch beide sind in ihren verschiedenen Zeitaltern allgemein bewundert und als Vorbilder ausgegeben worden, die man imitieren sollte. Wo ist hier der allgemeine Maßstab der Moralität, von dem du sprachst ? Und welche Regel sollen wir für die vielen verschiedenen, ja widersprüchlichen Empfindungen der Menschen aufstellen ? Ich sagte, daß ein Experiment, das in der Luft erfolgreich ist, nicht immer in einem Vakuum glückt. Wenn die Menschen von den Maximen des Gemeinsinns abweichen und dieses künstliche Leben, wie du es nennst, führen, kann niemand sagen, was ihnen gefallen oder mißfallen wird. Sie leben dann in einem anderen Element als der Rest der Menschheit, und die natürlichen Prinzipien ihres Geistes arbeiten nicht mit derselben Regelmäßigkeit, mit der sie arbeiten würden, wenn sie, gleichsam sich selbst überlassen, frei wären von den Illusionen des religiösen Aberglaubens oder des philosophischen Enthusiasmus.

ANM ERK UN GEN DES HERAUSGEB ERS

abschnitt 1

Hume selbst nennt in seinem Brief eines Edelmannes an seinen Freund in Edinburgh von 1745 Samuel Clarke (1675–1729), William Wollaston (1659–1724), Lord Shaftesbury (Anthony Ashley Cooper, third Earl of Shaftesbury, 1671–1713) und Francis Hutcheson (1696–1746) als Teilnehmer an dieser Debatte. Während Clarke und Wollaston für die Priorität der Vernunft argumentierten, versuchten Shaftesbury und Hutcheson einen moralischen Sinn einzuführen. 2 Hume kannte die antike Philosophie sehr gut. Platon und seine Nachfolger kommen hier ebenso in Frage wie Aristoteles, die Aristoteliker, die Kyniker, die Epikureer, die Stoiker, die Skeptiker und spätere Eklektiker. In der Hauptsache wird er aber wohl an Cicero gedacht haben, auf den er oft verweist. Die modernen Philosophen dürften diejenigen sein, die moralische Unterscheidungen allein auf die Vernunft zurückführen wollen. Hume charakterisiert in diesem Zusammenhang seine Philosophie indirekt auch als eine Rückkehr zur antiken, d. h. vorchristlichen Moral. In einem Brief an Hutcheson (The Letters of David Hume, ed. J. Y. T. Greig, 2 Bde. (Oxford 1932), Bd. I, 34) schreibt er, daß er »seinen Katalog der Tugenden aus Ciceros De officiis nehmen will, nicht aus dem Whole Duty of Man«, und daß er Ciceros Buch bei all seinen Argumenten »im Auge« hatte. The Whole Duty of Man war ein Calvinistisches Erbauungsbuch, das zu Humes Jugendzeit sehr populär war und auch auf ihn zunächst einen gewissen Einfluß ausgeübt hatte. 3 Die experimentelle Methode war für Hume wahrscheinlich nicht primär die Isaac Newtons (1643–1727), auch wenn er dessen »wichtigste Regel des Philosophierens« einmal ausdrücklich nennt (Siehe in diesem Band, 40). Francis Bacon (1561–1626) und Robert Boyle (1627–1691) dürften ihn nachhaltiger beeinflußt haben. Eine ausführlichere Diskussion der experimentellen Methode in den moralischen Wissenschaften findet sich in seiner Einleitung zu den ersten beiden Büchern seines Erstlingswerks, Ein Traktat über die menschliche Natur. Dort nennt er nach Bacon explizit Locke, Shaftesbury, Mandeville, Hutcheson, »etc.« (Traktat über die menschliche Natur I, 4). Da »Experiment« für Hume nicht wie für uns »künstlich 1

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Anmerkungen des Herausgebers

herbeigeführte Situation«, sondern »einzelne Erfahrung« bedeutet, könnte man »experimentelle Methode« auch als »empirische Methode« übersetzen. Die »andere Methode der Wissenschaft« ist die des Aristoteles und seiner Nachfolger, die, ausgehend von universalen Prinzipien, die besonderen Umstände durch die syllogistische Methode zu erkären versucht. abschnitt 2

Marcus Tullius Cicero (106–43 v. Chr.) behauptet in De officiis (1.19, 62 f.; 1.44, 157), daß mutiges Verhalten in der Verfolgung von verräterischen Handlungen nicht wirklich Mut sein kann, da ihm Gerechtigkeit fehlt. Dies ist allerdings ein Satz, der in der antiken Tugendethik nicht ungewöhnlich ist. Jede Tugend impliziert einen tugendhaften Charakter. 5 Juvenal (1./2. Jh. n. Chr.) behauptete, daß Mitleid die Menschen über die Tiere erhebt. 6 Die Götter der Epikureer nehmen keinen Anteil am Leben der Menschen und müssen daher auch nicht gefürchtet werden. Auf der anderen Seite können sie auch nicht helfen und können darum als nutzlos angesehen werden. Hume stellt die Position der Epikureer in »The Epicurean« (1742) dar. Eine deutsche Übersetzung findet sich in G. Müller, David Humes Typologie der Philosophen und deren Lebensformen (Frankfurt/M. 1980), 139–144. 7 Sextus Empiricus (2./3. Jh. n. Chr.) zitiert Prodikos von Keos, der das Beispiel anführt, daß die Ägypter den Nil als Gott anbeten, weil er ihnen nützlich ist. Hume stellt die Position des Skeptikers in »The Sceptic« (1742) dar. Siehe Müller, 154–170. 8 Zoroaster oder Zarathustra (7./6. Jh. v. Chr.), ein altiranischer Religionsstifter, unterschied zwischen einem Reich der Finsternis und einem Reich des Lichts. Die Menschen müssen sich für das Reich des Lichts entscheiden. Ackerbau wird in der zoroastrischen Religion besonders hochgeschätzt. Sie scheint eine Religion gewesen zu sein, die sich in Absetzung von der nomadischen Lebensform entwickelte. 9 Das Thema des Luxus wurde im achtzehnten Jahrhundert ausgiebig diskutiert. Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) argumentierte z. B., daß der Luxus den Menschen verweichliche. Hume hielt es für wichtig festzustellen, ob der Luxus nützlich oder schädlich ist. Bernard de Mandeville (1670–1733) hatte in seiner Fable of the Bees (1714, 1724, 1725, 1728, 1729 und 1732) behauptet, daß private Laster öffentliche Vorteile sind und daß darum der Luxus 4

Anmerkungen des Herausgebers

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von Vorteil ist. Hume spielt sicher auf Mandeville an. Siehe auch Dorit Grugel-Pannier, Luxus. Eine begriffs- und ideengeschichtliche Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung von Bernard Mandeville (Frankfurt/M. 1996). abschnitt 3

Die Levellers waren eine radikal-demokratische Partei zur Zeit Oliver Cromwells (1599–1658), die gleiche Rechte für alle forderte und auch das Privateigentum verwarf. 11 Das Naturrecht wurde in der Antike besonders von den Stoikern und im Mittelalter von Thomas von Aquin (1225–1274) vertreten. Stoische und christliche Theorien des Naturrechts fanden auch in der Neuzeit eine große Verbreitung. Hume meint aber wahrscheinlich Schriftsteller wie Hugo Grotius (1583–1645) und Samuel Pufendorf (1632–1694), bei denen das Naturrecht eine neue Bedeutung gewinnt. Siehe auch Hans Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit. 4. Aufl. (Göttingen 1962). 12 Baron de Montesquieu (1689–1755), ein französischer Moralist, ist besonders bekannt durch die Bücher Die Persischen Briefe (1721) und Der Geist der Gesetze (1748). Hume scheint Montesquieus Werk gut gekannt zu haben. 13 Nicolas de Malebranche (1638–1715) war ein einflußreicher Cartesianer. Hume kannte zumindest die Schrift De la Recherche de la vérité (1674). Siehe E. C. Mossner, The Life of David Hume, 2. Aufl. (Oxford 1980) 626. 14 Ralph Cudworth (1617–1688) gehörte zu den sog. »Cambridge Platonists« und vertrat eine rationalistische Auffassung. Sein Hauptwerk ist The True Intellectual System of the Universe (1678). Zu Clarke und anderen siehe oben, 187, Anm. 1, sowie ›Einleitung‹, xx–xxii. 15 »In foro humano aber nicht in foro conscientiae« soll heißen »vor der Öffentlichkeit und nicht vor dem Gewissen«. 16 Das Dictionnaire historique et critique (1697) ist Pierre Bayles (1647–1706) Hauptwerk oder zumindest sein bekanntestes Werk. Bayle versuchte gegen die rationalistischen Philosophen zu zeigen, daß die Vernunft zu schwach ist, Glaubenswahrheiten zu beweisen. Kasuisten sind diejenigen, die allgemeine Regeln auf besondere Fälle anzuwenden versuchen und sich dabei oft in der Diskussion über Einzelheiten verlieren. Die metaphysischen Schulmänner sind die Philosophen der Spätscholastik, die besonders von der aristotelischen Philosophie geprägt waren. 10

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Anmerkungen des Herausgebers

Isaac Newtons »wichtigste Regel des Philosophierens« ist eine der vier Regeln des philosophischen Denkens, die Newton in seinen Philosophiae naturalis principia mathematica formulierte. Die erste Regel lautet: »Nicht mehr Ursachen der natürlichen Dinge dürfen in den Beweisgang eingeführt werden als die, die wahr sind und zur Erklärung ihrer Erscheinungen zureichen«, die zweite: »Daher muß man als Ursachen natürlicher Wirkungen derselben Art dieselben Ursachen bezeichnen, soweit es möglich ist«, die dritte: »Eigenschaften der Körper, die weder gesteigert noch vermindert werden können und die allen Körpern zukommen, an denen es möglich ist, Erfahrungen zu gewinnen, müssen für Eigenschaften aller Körper gehalten werden«, und die vierte: »In der auf Erfahrung gegründeten Philosophie müssen die durch Induktion aus den Erscheinungen gewonnenen Lehrsätze, ungeachtet entgegengesetzter Hypothesen, entweder genau oder so nahe wie möglich für wahr gehalten werden, solange bis andere Erscheinungen aufgetreten sind, durch die sie entweder genauer gemacht oder Einschränkungen ausgesetzt werden.« 17

abschnitt 4

Der Achaische Bund war eine Vereinigung der Stadtstaaten am Golf von Korinth zum Schutz gegen Piraten. Die einzelnen Staaten behielten jedoch ihre Unabhängigkeit in allen anderen Dingen. Auch die Schweizer Kantone gingen zwischen 1273 und 1291 eine ähnliche Verbindung ein. Die Vereinigten Provinzen Hollands entstanden nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618–1648). 18

abschnitt 5

Die von Hume genannten antiken und neueren Skeptiker dürften vor allen Dingen die Sophisten, Hobbes und Hobbes’ Nachfolger sein. Ihnen allen ist gemeinsam, daß sie die Realität von moralischen Unterscheidungen leugneten und versuchten, sie auf egoistische Überlegungen zu reduzieren. 20 Polybios (2. Jh. n. Chr.) war ein römischer Geschichtsschreiber. 21 Aischines und Demosthenes (4. Jh. v. Chr.) spielten eine große Rolle in dem Konflikt zwischen König Philipp II. (von Makedonien) und Athen. Demosthenes war ein Gegner Philipps, der als Unterhändler an den Hof Philipps geschickt wurde. Aischines, ein anderer Unterhändler für Athen, wurde von Philipp bestochen und von Demosthenes angeklagt. Obwohl Aischines den Prozeß verlor, wurde 19

Anmerkungen des Herausgebers

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Demosthenes später von den Makedoniern wegen Bestechung angeklagt und eingekerkert. Er konnte allerdings entkommen. 22 Bacons experimentum crucis ist ein entscheidendes Experiment, durch das eine bestimmte Theorie als besser oder schlechter aufgezeigt werden kann. 23 Jacopo Sannazarius (1458–1530) war ein italienischer Dichter der pastoralen Tradition. 24 Der von Hume gemeinte französische Dichter ist Jean-Antoine du Cerceau, SJ (1670–1730). Die Verse sind aus seiner Recueil de poésies diverses (1715). 25 Thukydides (460–420 v. Chr.), einer der berühmtesten Historiker der Antike, schrieb die Geschichte des Peloponnesischen Krieges. Der italienische Historiker Francesco Guiccardini (1483–1540) schrieb Della historia d’Italia, in der er die Kriege zwischen 1492 und 1534 beschrieb. 26 Gaius Suetonius Tranquillus (um 70–140), ein römischer Historiker, verfaßte Kaiserbiographien (De viris illustribus), u. a. auch von Tiberius und Nero. 27 Cornelius Tacitus (um 50–116), römischer Historiker, der besonders durch seine Historiae, Annales und Germania bekannt wurde. 28 Timon (5. Jh. v. Chr.) war ein misanthropischer Philosoph, der in Athen lebte. Alkibiades (um 450–404 v. Chr) war ein athenischer Staatsmann und Feldherr, der 415 den gescheiterten Feldzug nach Sizilien durchführte. Er besiegte die Spartaner im Peloponnesischen Krieg 411 bei Abydos und 410 bei Kyzikos. Später wechselte er mehrmals die Seite. 29 Die Manichäer befürworteten einen strikten Dualismus von Gut und Böse, Seele und Materie, Licht und Dunkel. Die Religion geht auf den Perser Mani (3. Jh. n. Chr.) zurück. 30 Lucius Annaeus Seneca (4 v. Chr. – 65 n. Chr.) war Philosoph und Schriftsteller und der Erzieher und Berater Neros. Seine Dramen sind die einzigen vollständig erhaltenen Tragödien in lateinischer Sprache. Seneca nahm sich das Leben, nachdem er bei Nero in Ungnade gefallen war. Burrhus war Neros Ratgeber. Nach seinem Tod wurde Ofonius Tigelinus Neros bevorzugter Ratgeber. abschnitt 6

»Peripatetiker« wurden die Nachfolger des Aristoteles genannt. Der Name kommt von dem Wandelgang, in dem der Unterricht abgehalten wurde. Aristoteles behauptete, daß die Tugend 31

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Anmerkungen des Herausgebers

in der rechten Mitte zwischen zwei Extremen bestehe. So ist die Tapferkeit die Mitte zwischen Feigheit und Tollkühnheit. Diese Theorie entwickelt er ausführlich in seiner Nikomachischen Ethik. 32 Cromwell war ein frommer und strenger militärischer Führer zur Zeit der Levellers (siehe Fußnote 10). Cardinal de Retz (1614–1679) war Erzbischof von Paris und spielte eine herausragende politische Rolle im 17. Jahrhundert. 33 Jonathan Swift (1667–1745), ein englischer Schriftsteller und Pastor, der durch seine Satiren und Pamphlete politischen Einfluß ausübte. Sein bekanntestes Werk ist Gulliver’s Travels (1726). 34 St. Évremond (Charles de Saint-Denis, 1613–1703) war ein Schriftsteller, der Turenne (Henri de la Tour d’Auvergne, 1611– 1675), einen der Generale von Louis XIV, als einen tugendhaften Mann von großer Begabung darstellte. 35 Niccolò Machiavelli (1469–1527), ein italienischer Philosoph, bekannt durch seine politische Theorie, beschrieb Maximus als einen sehr vorsichtigen und Scipio als einen sehr kühnen Feldherrn. Fabius Maximus (3. Jh. v. Chr.) war ein römischer Feldherr, der Rom gegen Hannibal verteidigte. Scipio Africanus (3./2. Jh. v. Chr.) besiegte Hannibal in der Schlacht von Zama (202 v. Chr.). 36 Platon (427–346 v. Chr.) verstand die Philosophie u. a. auch als eine Disziplin, durch die wir lernen richtig zu sterben. Er glaubte, daß diejenigen, die sich in diesem Leben den körperlichen Lüsten hingeben, auch nach dem Tode nicht von diesen Lüsten loskommen können und so als Tiere wiedergeboren werden. 37 Kyniker werden die Anhänger der Lehren des Diogenes von Sinope (um 412 – um 323 v. Chr.) genannt. Sie waren in gewisser Hinsicht Vorläufer des Stoizismus, denn sie legten den größten Wert auf die Tugend der Selbstbeherrschung und zeigten eine ausgesprochene Tendenz zur Askese. Die Kyniker verurteilten dabei aber auch noch das konventionelle Leben. 38 Vergil (70–19 v. Chr.) war einer der bedeutendsten lateinischen Schriftsteller. Seine Werke (Aeneis, Bucolica, Georgica) hatten einen großen Einfluß auf Hume, der am 4. Juli 1727 schrieb, daß er ein Leben wie Vergil führen wolle (Letters of David Hume I, 10). Xenophon (um 430 – um 357 v. Chr.) schrieb nicht nur mehrere geschichtliche Werke, sondern auch ein Buch über die Reitkunst.

Anmerkungen des Herausgebers

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abschnitt 7 39 Horaz (Quintus Horatius Flaccus, 65–8 v. Chr.) wurde Nachfolger Vergils als Poeta laureatus. Seine Satiren (Sermones), Epoden (Iambi), Oden (Carmina), Briefe (Epistolae) übten einen ähnlich starken Eindruck auf Hume aus wie die Werke Vergils. Unter den vier Werken, die er auf seine Reise nach Frankreich mitnahm, war neben Vergil, Tacitus und Tasso auch eine Horaz-Ausgabe (Letters I, 140). Hume meint Epistolae I, 18, 89. 40 William Shakespeare (1564–1616), Julius Caesar I, 2. 41 Louis II, Prinz von Condé, Herzog von Bourbon (1621–1686) war ein Heerführer in den Kriegen Ludwigs XIV. Er wird auch »der große Condé« genannt. 42 Nicolas Boileau-Despréaux (1636–1711), ein französischer Dichter. Hume spricht hier von dessen Reflexionen über die Tragödie Médée von Pierre Corneille (1606–1684). 43 Phokion (402–318 v. Chr.) war ein athenischer Feldherr. Als Makedonenfreund übelbeleumdet wurde er fälschlich wegen Verrats angeklagt und (mit 84 Jahren) zum Tode verurteilt. Er war bekannt für sein tugendhaftes Leben. 44 Vitellius (15–69) war ein römischer Kaiser, der seinen Thron den Soldaten zu verdanken hatte. 45 Philipp II. (382–336 v. Chr.) war König von Makedonien und Vater Alexanders des Großen. Siehe auch Fußnote 21. 46 Herodot (5. Jh. v. Chr.) war ein griechischer Historiker. Die Skythen lebten im heutigen Süden Rußlands. 47 François Fénelon (1651–1715) war ein französischer Schriftsteller. Hume kannte seinen Traité de l’existence et des attributs de Dieu (1713) schon sehr früh. Hume spricht hier von seinen Aventures de Télémaque, fils de Ulysse, in dem er Ideale verkündet, die einen seltsamen Kontrast zu den heroischen Tugenden Homers bilden. 48 Epiktet (um 50–138) war einer der bedeutendsten Stoiker. Seine Unterredungen und vor allem ein Auszug aus diesen, das Handbüchlein der Moral oder Encheiridion, sind bis heute vielgelesene Werke geblieben. Hume stellt den Stoizismus explizit in seinem Essay »The Stoic« dar. 49 Heinrich IV. (1553–1610) von Navarre. Die »Heilige Liga« der Katholiken weigerte sich, einen Protestanten als König anzuerkennen und bekämpfte ihn. Er trat später zum Katholizismus über. 50 Karl XII. von Schweden (1682–1718), auch der »Unbesiegbare« genannt, besiegte Polen und Rußland in erfolgreichen Feld-

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Anmerkungen des Herausgebers

zügen. Voltaire schrieb die Histoire de Charles XII (1731) und verurteilte ihn als einen Abenteurer, der seinem Land geschadet habe. 51 Darius I. (550–486 v. Chr.) und sein Sohn Xerxes I. (519–465 v. Chr.) waren persische Könige, die Krieg gegen die griechischen Stadtstaaten und vor allem Athen führten. 52 Lysias (um 459–380 v. Chr.) und Isokrates (436–338 v. Chr.) waren berühmte griechische Redner. abschnitt 8

pudor (lat.): Scheu, Ehrgefühl, Züchtigkeit. 54 Michel de Montaigne (1533–1592) war ein französischer Essayist und Philosoph. 55 Prinz Moritz von Oranien (1567–1625) kämpfte erfolgreich für die Unabhängigkeit der Niederlande gegen Spanien. Einer seiner wichtigsten Gegner auf spanischer Seite war Ambrosio di Spinola (1569–1630). 56 Iphikrates war ein athenischer Feldherr (4. Jh. v. Chr.). 57 Siehe Cicero, De officiis I, 27 f. Indecorum ist das Gegenteil von decorum (das Schickliche, Passende). 53

abschnitt 9

Cleanthes war Stoiker; Hume gab diesen Namen einer der wichtigsten Figuren in seinen Dialogen über die natürliche Religion. 59 Balthassare Castiglione (1478–1529) war ein italienischer Diplomat und Schriftsteller, der besonders durch sein Buch Il Cortegiano (1528) bekannt ist. Es stellt das Bild eines idealen Hofmannes dar, des uomo universale. Gracian ist mit größter Wahrscheinlichkeit Balthasar Gracián y Morales (1601–1658), ein spanischer Jesuit, dessen Handorakel und Das Kritikon noch heute häufig gelesen werden. 60 Solon (um 640 – um 559 v. Chr.) war ein athenischer Gesetzgeber und Staatsmann. 58

anhang 1

Laios war der Vater des Ödipus. Er setzte Ödipus aus, damit dieser ihn nicht, wie prophezeit, töten würde. Ödipus tötete ihn jedoch später gegen seinen eigenen Willen. Agrippina (16–59) war Neros Mutter und wurde auf dessen Veranlassung hin umgebracht. 62 Andrea Palladio (1508–1580) war ein italienischer Baumeister. Durch seine Schriften beeinflußte er den Klassizismus. Claude Perrault (1613–1688) war ein französischer Architekt. 61

Anmerkungen des Herausgebers

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Gaius Verres (1. Jh. v. Chr.) und L. Sergius Catilina (1. Jh. v. Chr.) waren korrupte Politiker, gegen die Cicero Anklageschriften verfaßte (In Verrem und In Catilinam). 63

anhang 2

Epikur (341–270 v. Chr.), das Haupt der »Sekte« der Epikureer, neben Platonismus, Aristotelismus, Stoizismus und Skeptizismus eine der wichtigsten philosophischen Schulen der Antike, befürwortete einen konsequenten Materialismus und Hedonismus. Atticus (109–32 v. Chr.) war ein Epikureer und Freund Ciceros. Horaz wird auch oft als Epikureer bezeichnet. 64

anhang 3

Cyrus (559–530 v. Chr.) ist der Begründer des persischen Imperiums der Archimeden. Die Anekdote findet sich bei Xenophon (Cyropaedia I, 3, 17). 66 Grotius wurde besonders durch sein Werk De jure belli ac pacis bekannt. Er argumentiert dort, daß Eigentum eine Form der sozialen Konvention darstellt. Siehe auch Fußnote 11. 65

anhang 4

Sallust (86–35 v. Chr.) war ein römischer Historiker und Politiker. Er hielt Caesar und (Marcus Portius) Cato (1. Jh. v. Chr.) für höchst verdienstvolle Männer. 68 Achäus (3. Jh. v. Chr.) war ein Heerführer des Syrischen Königs Antiochus III. 69 Salomon (um 900 v. Chr.) war ein König der Israeliten, der auch wegen seiner Weisheit gerühmt wurde. 70 Plutarch (um 46 – um 125) ist besonders für seine vergleichenden Biographien berühmter Griechen und Römer bekannt (z. B. Alexander/Caesar). 71 Hannibal (247–183 v. Chr.) war ein karthagischer Feldherr, der im Zweiten Punischen Krieg mit Elephanten über die Alpen zog. Er unterlag aber 202 dem Scipio. Livius (59 v. Chr. – 17 n. Chr.) war ein römischer Geschichtsschreiber, dessen bedeutendstes Werk die Geschichte des Römischen Reiches war. Er betrachtete Hannibal als jemanden, der mit übermenschlichen Fähigkeiten ausgestattet war. 72 Polybios (um 200–120 v. Chr.) war ein hellenistischer Historiker, der Rom als Weltmacht bewunderte. Timaeus (4.–3. Jh. v. Chr.), ebenfalls ein Historiker, wurde von Agathocles, einem 67

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Anmerkungen des Herausgebers

sizilianischen Tyrannen, verbannt. Seine Kritik an Agathocles war in den Augen des Polybios unfair. ein dialog

Der Name »Usbek« scheint aus Montesquieus’ Persische Briefe (1721) übernommen zu sein. Überhaupt ähnelt der Dialog diesem Werk. 74 Harmodius und Aristogiton (6. Jh. v. Chr.) waren Tyrannenmörder in Athen. 75 Themistokles (525–460 v. Chr.) war ein General der athenischen Flotte, der zusammen mit dem spartanischen General Eurybiades als Oberbefehlshaber gegen die Perser kämpfte. 76 Cornelia (um 100 v. Chr.), die Mutter der Gracchen (Tiberius Gracchus und Gaius Gracchus), war das Tugendideal römischer Frauen. 77 Labeo (42 v. Chr. – 22 n. Chr.) war ein römischer Jurist zur Zeit des Augustus. 78 Heinrich III. (1551–1589) erließ das Edikt von Nemours gegen die Hugenotten. Als er sich gegen die Katholische Liga wandte, wurde er ermordet. 79 Blaise Pascal (1623–1662) war ein französischer Mathematiker und Philosoph, der den christlichen Glauben gegen den cartesianische Rationalismus zu verteidigen versuchte. 73

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mit einem engeren Bezug zur Untersuchung über die Prinzipien der Moral. Allgemeine Einführungen in Humes Philosophie, Studien zur biographischen Forschung sowie Publikationen zu anderen Schriften Humes sind dagegen nur in begrenztem Umfang aufgeführt.

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NAMENREGISTER

Achäus 159 Agathokles 162 Agrippina 130, 132 Aischines 53 Aischines Socraticus 163 Ajax 90 Alexander (d. Gr.) 90 Alexander VI. 162 Alkibiades 63 Anakreon 177 Antonius 89 Aphobus 180 Apollon 177 Appian 170 Aristogiton 169 Aristoteles 102, 160 Armstrong 158 Atticus 136, 159 Augustus 98 Bacon 55 Bayle 36 Boileau 91 Brutus 15, 169 Burrhus 64 Caesar 79, 89, 157, 169 Cassius 89, 169 Castiglione 109 Catilina 131 Cato (d. J.) 157, 179 Cicero (Tullius) 11, 13, 24, 79, 103, 105, 131, 159, 160, 161, 178 Clarke 32 Condé 90 Cornelia 177

Cromwell 73 Cudworth 32 Cyrus 145 Darius I. 97 Darius III. 90 David 161 Demosthenes 53, 92, 156, 180 Dikaearchos 77 Diodorus Siculus 14, 82 Diogenes 183, 184 Epaminondas 82 Epiktet 95, 160 Epikur 136 Euklid 131 Euripides 161 Eurybiades 170 Evremond 74, 90 Fabius 74 Fénelon 94 Fontenelle 139 Gracian 109 Grotius 147 Guicciardini 59, 162 Hannibal 161 Harmodius 169 Hasdrubal 161 Heinrich III. 180 Heinrich IV. 97 Helena 180 Herodot 93 Hobbes 24, 136 Homer 82, 90, 94

Namenregister

Horaz 56, 59, 88, 114, 136, 162, 177 Iphikrates 103 Isokrates 97 Juvenal 11 Karl XII. 97 Klytämnestra 180 Labeo 179 La Fontaine 181 Laios 130 Livius 161 Locke 136 Longinus 90 Lukian 79, 173 Lysias 97, 180 Macchiavelli 74 Malebranche 32 Martial 181 Medea 90 Montaigne 102 Montesquieu 32 Moritz von Oranien 102 Nero 60, 64, 130, 132 Newton 40 Ödipus 130 Oneter 180 Ovid 59 Palladio 131 Parmenio 90 Pascal 184, 185 Perikles 10 Perrault 131 Petronius 177 Phaedrus 43

211

Philipp (II. von Makedonien) 92, 156 Phokion 91 Platon 24, 43, 75, 97, 162, 175 Plutarch 11, 43, 63, 91, 161, 176 Polybius 51, 77, 159, 162 Polyphem 74 Pompeius 83, 159 Quintilian 61, 103 De Retz 73 Rochefoucault 155 Sallust 83, 157 Salomon 161 Saturn 173 Sannazaro 58 Scipio (d. Ä.) 74, 177 Seneca 64, 143, 163, 181 Sextus Empiricus 14, 43 Shaftesbury 4 Sokrates 94, 103, 170 Solon 114, 169 Soranus 60 Spenser 94 Spinola 102 St. Evremond s. Evremond Sueton 60, 170 Swift 73 Tacitus 60, 91, 93 Themistokles 170 Thrasea 60 Thukydides 59, 94, 97 Tiberius 60 Tigellinus 64 Timäus 162 Timolean 15

212

Namenregister

Timon 63 Tullius s. Cicero Turenne 74

Vergil 82, 98, 142 Verres 131 Vitellius 91

Vegetius 83 Venus 177

Xenophon 82, 170 Xerxes 97

SACHREGISTER

Aberglaube 37, 109, 184 f. – u. Eigentum 33 – u. Gerechtigkeit 34–36 – u. Nutzen 33 f. Affekt 78, 98 – s. a. Leidenschaft Affektiertheit 108 Affektion 86, 96, 140 Ägypter 14 Achaischer Bund 42 Achtung 3, 69, 72, 75, 158, 159, 250 – u. körperliche Fähigkeiten 81–84 – u. Nutzen 81–87 – u. Vorurteil 86 – vor dem Adel 87 – vor den Reichen 84–86 Anstand 104 Aristoteliker s. Peripatetiker Arroganz 101 Athen 10, 44, 53, 60, 92, 97, 103, 169, 170, 172–175, 177, 180 Barbarei 24, 60, 131, 132 Beobachter s. Zuschauer Besitz 25, 31, 149 – s. a. Eigentum Billigung (Mißbilligung) 6, 7, 8, 10, 12, 13, 16, 40, 49, 50, 52–54, 56, 62, 63, 66–71, 80, 82, 88, 89, 96, 98, 99, 104, 106 – u. Einfluß des Nutzens 98 – u. Tugend 79 f., 111, 118,

128, 129, 144, 157, 158, 164, 178, 179 – s. a. Haß, Lob, Tadel Bösartigkeit 22, 63 f., 77, 126, 127 Bürgerkrieg 15, 28, 60, 114, 159 Buße 109 – s. a. Tugend, mönchische Charakter (Charaktere) 3, 6, 7, 11, 15, 52, 55, 66, 77, 89–91, 137, 145, 146, 153, 155, 156–163, 177, 178, 184 – beliebtester 58 – bester (perfekter) 74, 166, 169 – bösartiger 57 – nationaler 174 – seine Schönheit 98 – u. Eigenliebe des Zuschauers 70 – u. eigener Vorteil 53, 54, 74 – u. angenehmes Gefühl für uns selbst 89–98 – u. angenehmes Gefühl für andere 99–106 – u. Glück 87 – u. Tendenz der Handlung 61, 92 – u. Vorteil anderer 41–70, 108 – Unsicherheit des Urteils darüber 174 – uninteressierter 72 – wohltätiger 62

214

Sachregister

Charaktereigenschaften 70, 71, 89–98, 90–106, 175 – die anderen nützlich sind 109; s. a. Tugenden, soziale – die uns selbst nützlich sind 70–87, 109 – die anderen unmittelbar angenehm sind 99–106, 109 – die uns selbst unmittelbar angenehm sind 88–98, 109 f. – s. a. Charakter Demut 184 – s. a. Tugend, mönchische Dichtung 17, 53, 58, 59, 96, 171 – ihre Aufgabe 59 – pastorale 58 – s. a. Poesie Dominikaner 184 Dummheit 77 – s. a. Selbstzufriedenheit Egoismus (Selbstliebe) 20, 24 f., 51, 52, 60, 110, 135–143 – als Prinzip der menschlichen Natur 54 f. – als falsche Erklärung des Wohlwollens 55–59, 71, 81 – als fundamentales Prinzip 54–59, 135–143 – Argument gegen ihn als Quelle der Moral 52–54, 71 – Deduktion der Moral aus ihm 50–52 – Gegensatz zwischen sozialen Gefühlen u. denen der Selbstliebe 120 – Grade der Selbstliebe 109 – Sprache der Selbstliebe 111

– u. universelle Prinzipien 113 – s. a. Selbstinteresse, Selbstsucht Ehrfurcht 115. Ehrgeiz 23, 73, 93, 121, 142, 156, 162 – u. Grausamkeit 11 Eigensinn 3 Eigentum 18, 19, 22, 24, 26, 28, 120–123, 240 – Eigentumsrecht 30 f., 116, 243 – u. höheres Interesse der Gesellschaft 31 Eigentumsregel 112, 118, 124 – seine Vererbung 30 – seine Definition 33 – u. Aberglaube 33–36 – u. Gesetze der Natur 37–40 – u. öffentlicher Nutzen 30– 40 – s. a. Besitz, Gerechtigkeit Einbildungskraft 31, 39, 44, 52, 53, 59, 60, 71, 76, 81, 85, 89, 109, 136, 137, 140, 150 – u. Gefühl der Billigung 106 Einsamkeit 56, 109, 184 – s. a. mönchische Tugenden Empfindung passim – ihr Fortschritt 166, 179 s. a. Gefühl Enthusiasmus 20, 30, 58, 185 Epikureer 13, 136 Erbe 38, 57, 173, 180 – s. a. Eigentum, Vertrag Erhabenheit s. Seelengröße Erniedrigung 91, 184 Erziehung, ihr Einfluß auf die Moral 34, 39, 50, 95, 120, 156 Esel des Scholastikers 72

Sachregister

experimentum crucis 55 Familie 19, 24, 27 Fähigkeit (Talent) 10, 11, 26, 71, 72, 79, 130, 156, 162 – Auffassungsgabe 78 – des Verstandes (intellektuelle) 7, 77 f. – Erfindungsgabe 78 – Gedächtnis 78, 83 – Geistesgegenwart 80 – körperliche 81 – moralische 79, 80 – u. Schönheit 82 f. – Unterschied zwischen intellektuellen u. moralischen 154 – Urteil 78, 157 Fanatiker 28–30 – s. a. Religion Fasten 109 – s. a. Tugend, mönchische Fehler 153–156 – Eitelkeit 101, 104, 110 – Kosten ihrer frivolen Befriedigung 29 – u. Lob 142 – Geiz (Geizhals) 75, 110, 121, 136, 146, 156 – Grausamkeit 11, 15, 23, 50, 58, 60, 64, 160, 162 – Habgier 21, 22, 113 – Neid 10, 23, 64, 86 – Selbstsucht 23, 50, 62, 114, 121, 138, 142 – Starrköpfigkeit 97, 103 – Überheblichkeit 103, 131 – Undankbarkeit 51, 77, 92, 126 f. – Verschwendung 75 – Zügellosigkeit 155

215

– s. a. Dummheit, Ehrgeiz, Fähigkeit, Laster, Lob, Talent, Tadel, Tugend Fortpflanzung 26, 38, 43 – s. a. Familie Frauen 26, 43, 166, 174, 181 – ihre Keuschheit 43 f., 74 f. Freiheit 15, 18, 40, 44, 95, 136, 172, 176 Freiheitsliebe 92 Freundschaft 10, 12, 17, 19, 20, 40, 45, 68, 84, 88, 96, 97, 98, 121, 135–137, 138, 149, 159, 160, 166, 175, 177 – als soziale Tugend 116, 120 – zur Menschheit 110 – u. Selbstliebe 141–143 Gefühl (Empfindung) 3–9, 124–134 – für Dankbarkeit 55 – egoistisches 120 – moralisches 8 f., 44, 55, 72 f., 114 f., 124–134, 144, 182 – seine vier Quellen 179 – politisches 15 – soziales 120 f. – unangenehmes 89 Gemeinsinn (Gemeinschaftssinn) 12, 40, 79, 185 Gerechtigkeit 5, 9, 17–40, 41, 125, 16–40, 51, 64, 99, 102, 122, 144–152, 157, 160 – als soziale Tugend 81, 116 – ihre Gesetze 42 – ihre Natur 148 f. – ihre Regeln 22, 30–33, 42 f., 47 – ihr Ursprung 147 f., 150 f. – ihre Voraussetzung 149 – u. Aberglaube 33–36

216

Sachregister

– u. Eigentum 18–27, 30–33, 36, 38–40 – u. Gleichheit 28–30 – u. Konvention (Vertrag) 146 f. – u. öffentlicher Nutzen 16, 17–27, 37 f., 42, 46, 68, 124 – u. Rechtsprechung 149–152 Geschmack 4, 5, 7, 43, 98, 100, 105, 131, 150, 156, 166, 182 – Grenzen zur Vernunft 133 Geschwätzigkeit 101 Gesellschaft 41–47, 114 – Interessen der 31, 35–38, 55, 66 f., 118, 150–152 – s. a. öffentlicher Nutzen Gesinnung 84, 160 – niedrige (hohe) 90, 92, 94 gesunder Menschenverstand 4, 29, 78 Gewohnheit 38–40 – s. a. Erziehung Gewohnheitsrecht 31 Gleichheit 28–31 – der Verteilung 29–31 Glück 81, 85 Goldenes Zeitalter 23 Gottheit (Götter) 64, 168, 177 Haß (verhaßt) 6, 8, 11, 21, 62, 66, 75, 86, 111, 113, 132, 159, 184 höchster Wille 134 Hobbesianer 136 Impotenz 83 Indianer 26 Individuum, sein wahres Interesse 119 Instinkt 37–39, 144, 149 Inzest 44

Jesuiten 36, 184 Jurisprudenz 39, 108 Kasteiung 109 – s. a. Tugend, mönchische Kasuisten 36 Kirche 180 – römische 37 – s. a. Aberglaube, Dominikaner, Jesuiten kriegerisches Temperament 93 Kriegsgesetze 21 f. Kyniker 79 Landgesetze 29 Laster 4–6, 15, 54, 55, 62, 66, 92, 101–103, 109, 113, 114, 125, 133, 167, 183 – u. Fehler 105, 154–164 – u. Selbstinteresse 122 – s. a. Fehler, Lob, Billigung (Mißbillligung), Talent, Tugend Leben – artifizielles 182–185 – natürliches 182–185 – s. a. Aberglauben, Diogenes, Dominikaner, Fanatiker, Pascal Leidenschaft 3, 5, 9, 26, 34, 49, 53, 58, 59, 64, 71, 76, 86, 89, 96–98, 110–115, 117, 120, 121, 126, 136–143, 158, 166, 167 Levellers s. Nivellierer Liebe 5, 12, 66, 77, 90, 95, 96, 98, 132, 138, 153, 158 – der Eltern 37 – zwischen den Geschlechtern 46, 97, 105, 111, 140 f., 169, 175

Sachregister

– zwischen Verwandten 44 f., 175 – zum Leben 27, 91, 179 – zum Ruhm 115 – s. a. Haß, Wertschätzung Lob 8, 11, 12, 14, 52, 53, 65, 68, 70, 80, 82 f., 93, 100, 108, 110, 111, 115, 124, 130, 133, 142, 145, 153, 156, 158, 160, 161, 163, 165–167, 170, 173, 178, 184 – u. Nutzen 13, 48, 71, 125 – Verlangen nach 103 f. – s. a. Billigung, Tadel Luxus 15, 123, 179 Manichäer 63 Mensch (menschliches Geschöpf, menschliche Gattung, menschliche Natur) 3, 5, 11, 14, 15, 17–30, 42, 46, 51, 54, 56, 57, 59–64, 75, 76, 94, 95, 101, 110 f., 132, 135, 148, 149, 173, 183–185 – u. Egoismus 118, 134–143 – s. a. Natur, Menschheit Menschheit 74, 87, 99 – Interessen der 67–69, 72 f., 115, 148, 153 – s. a. Gesellschaft, Interessen der, Partei der Menschheit, Prinzip der Menschlichkeit, Tugend, der Menschlichkeit Metaphysik 50, 100, 128 Methode 7–9, 40, 55, 78, 91, 122 – u. Sprache 8, 65, 154 f. Mitgefühl 12, 19, 23, 51, 56, 57, 59, 60, 61, 64, 66, 68, 71, 88, 92, 96, 98, 115, 116, 138, 144, 175

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Mitleid (Mitfreude) 23, 25, 56, 60, 86, 91, 131, 138, 159, 160 – s.a. Tugend, der Menschlichkeit, Mitgefühl Monarchie 87 Moral (moralisch, unmoralisch) 3–9, 15, 23, 34–36, 40, 42, 45, 46, 50, 51, 52, 54, 55, 64, 65, 68–70, 79, 80, 82, 86, 94, 105, 107, 114, 115, 117, 119, 124–134, 136, 138, 145, 153, 160, 162–165, 168, 169, 171, 172, 178, 179, 182 – abstrakte Theorie davon 32 f. – Grundlegung (Fundament) 3–9, 112, 175, 177, 182–185 – ihr Ursprung 50, 54, 55 f., 105, 110 f., 113, 126, 174 – moralische Bestimmungen 14, 54, 174 – moralische Häßlichkeit (Anmut, Schönheit) 5, 115, 130 – moralische Unterscheidungen (Unterschiede) 50, 54, 62, 66, 72, 73, 86, 110, 126, 130, 178 – moralische Schlechtigkeit (Entartung, Verderbtheit) 44, 132 – moralische Verhältnisse 32 f., 127 f., 132 – Ziel moralischer Spekulationen 6 – s. a. Gefühl, moralisches, Lob, Mitgefühl, Prinzipien, der Moral, Selbstliebe, Tugend Moralisten (moralische Schrift-

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steller) 8, 48, 79, 119, 155, 159, 160, 163, 177 Nation 22, 42, 46, 62, 72, 93, 149, 152, 165, 173, 174, 178, 179 Natur (natürlich) 3, 5, 6, 7, 22, 59, 73, 82, 123, 133, 139, 141 f., 163 Naturmechanismus 98 Naturphilosophie 9, 40, 139 Naturrecht 25, 30 Naturzustand 23–25 Neigung passim Niederlande, vereinigte Provinzen 42 Nivellierer 28 Nützlichkeit (Nutzen) 13, 14, 16, 42, 43, 44, 48–69, 70–87, 88, 92, 95, 96, 98, 99, 101, 112–120, 125–127, 145, 150–152, 160, 178, 179 – öffentlicher 17–40, 45–47, 109, 136, 146, 149–152, 175 Patriotismus 80, 95, 76 Partei der Menschheit 114 Parteilichkeit 162 Peripatetiker 71 Pflicht 5, 14, 19, 25, 32, 36, 44, 51, 75, 91, 122, 129, 130, 164, 184 – s. a. Verpflichtung Philosophie (Philosophen) 5, 8, 14, 23, 32, 34, 36, 40, 42, 49, 54, 73, 82, 95, 105, 107, 109, 114, 117–119, 123, 126, 136, 137, 138, 139, 143, 144, 155, 159, 161, 163, 166, 168, 171, 183 – u. Ruhe 94 f.

– u. Enthusiasmus 185 –u. Vorurteil 86 Poesie 96–98 Polygamie 179 Präzedenzfall 150 Prinzipien 3 – der Moral 3–8, 32, 46, 50, 61, 124, 174 – der Menschlichkeit 63, 68, 69 – der menschlichen Natur 67, 68 – des Geschmacks 100 – s. a. Moral, Regel, Gefühl Regel(n) 23, 27, 30, 31, 40, 73, 76, 83, 113, 114, 128, 140, 145, 146, 149–152, 174, 185 – allgemeine (universale) 43, 125, 146, 182, 183 – der Fairneß (Gerechtigkeit) 20, 22, 23, 28, 29, 31, 32, 33, 39, 41, 42, 43, 113, 122, 147, 151 – ihre Verbindlichkeit 45–47 – der Höflichkeit 46, 99–105, 102 – Scheinregel 30 Recht 18, 25, 26, 32, 33, 35, 40, 41, 47, 75, 90, 91, 101, 111, 128, 145–147, 150–152, 158 – s. a. Gewohnheitsrecht, Verjährung Rechtskundige (Rechtsanwälte) 31, 36, 47, 125, 152 Rechtsprechung 21, 29, 38, 149 Regierung (Regierungsform) 10, 15, 21, 23, 32, 41, 87, 92, 95, 98, 176, 182

Sachregister

– republikanische 175 Religion 32, 109, 161, 162, 177, 183–185 – falsche 109 – zoroastrische 14 – s. a. Aberglauben, Fanatiker, Kirche Ruhm 11, 43, 77, 83, 87, 91, 93, 104, 105, 115, 142, 172, 177 Sakrament 37 Saturnalien 173 Schönheit 4, 5, 17, 43, 92, 98, 101, 115, 123, 163 – körperliche 49, 82, 102, 104, 105, 177 – natürliche 50, 61, 130, 131, 133 – s. a. moralische Schönheit Schweigen 109 – s. a. Tugend, mönchische Schweizer Kantone 42 Selbstinteresse (Eigeninteresse) 51, 52, 68, 81, 118–120, 122, 140 Seelengröße 104, 160 Selbstliebe s. Egoismus Selbstlob 102 Selbstverleugnung 109 – s. a. Tugend, mönchische Sinn 34, 67, 78, 90, 91, 110, 126, 131, 147, 148, 177 – äußerer 64, 65 – innerer 4, 7, 65 – neuer 37 – verfeinerter 78 – s. a. Empfindung, Gefühl Sitten 167, 258–280 – der Engländer 87, 100, 171–183

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– der Fourlianer 165–170 – der Franzosen 100, 175, 179–182 – der Griechen 82, 90, 169– 183 – der Italiener 181–183 – der Römer 82 f., 91, 169–183 – der Schweizer 179 – der Spanier 181–183 Skeptiker (Skeptizismus) 43, 80, 117 f. – u. moralische Unterscheidungen 50 f. – u. Religion 14 – s. a. Philosophie Sparta 29, 170 Sprache 8, 10, 50, 65, 76, 90, 93, 113, 138, 147, 153–155, 162, 163, 165, 177 – der Selbstliebe 111 – s. a. Methode u. Sprache Staat 25, 41, 42, 43, 59, 87, 162, 178, 180 Staatsgründe 42 Stoiker 43, 79, 161 Sympathie 60, 98 – s.a. Menschlichkeit, Mitgefühl, Wohlwollen Tadel 8, 13, 45, 54, 63, 65, 67, 69, 70, 73, 75, 83, 96, 101, 102, 105, 108, 110–113, 115, 124, 130, 133, 153, 158, 163, 165 Talent 11, 71, 78, 79, 98, 101, 153–157 – s. a. Tugend, Fähigkeit, Fehler, Laster Theater 58, 66, 105, 182 – s. a. Poesie, Zuschauer Theokratie 28

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Theologie (Theologe) 14, 22 f., 63, 83, 119, 134, 135, 140, 163 Tiere 13, 82 – intelligent wie der Mensch 149 – s. a. Mensch Triebkraft 115 Tugend 4–6, 9, 14, 49, 65, 67, 71, 75, 79, 80, 83, 87, 89 f., 92–94, 99, 109, 113, 115, 117–122, 124, 125, 130, 133, 135, 136, 138, 144, 151, 153–164, 166, 167, 173, 174, 176, 178, 179, 183, 184 – Definition 99, 128, 178 – der Peripatetiker 70 – ihr Katalog (Auflistung) 68, 75, 80, 94, 105, 116 – Ausdauer 74, 80, 178 – Beharrlichkeit 80. – Beredsamkeit 53, 76, 101, 175, 182 – Bescheidenheit 22, 76, 43, 83, 86, 158, 101–104, 106, 117, 160, 167 – Besonnenheit 21, 70, 73 f., 80, 98, 116, 154, 182 – Beständigkeit 80 – Dankbarkeit 12, 55, 81, 116, 134, 138, 141; s. a. Fehler, der Undankbarkeit – Durchhaltevermögen 116 – Ehrlichkeit 40, 75, 156 – Ehrwürdigkeit (Ehre) 46 f., 68, 77, 87, 93, 101, 108, 116, 117, 120, 136, 157, 162, 167, 172, 177 – Fleiß 71, 74, 80, 116, 154 – Geduld 154, 170 – Genügsamkeit 80

– Geistesruhe 154 – Großzügigkeit 10, 11, 18, 68, 116, 120 – Gutmütigkeit 10, 100, 154, 158 – Großmut 138, 160, 179, 184 – Höflichkeit 15, 45, 68, 98, 99, 100, 103, 105, 120, 174, 176, 181, 182 – Integrität 40, 122, 179 – Intelligenz 154 – Keuschheit 43 f., 68, 75 f. – Klugheit 80, 154, 159, 160–162 – Mäßigung 68, 80, 116, 154, 157, 160 – Menschlichkeit 95, 116, 175 – Milde 10, 68, 95, 116 – Mut 10, 11, 73, 83, 90–92, 102, 103, 117, 155, 157, 161, 172, 175, 177 – Nüchternheit 80 – Offenheit 160 – Ordnung (Ordnungsliebe) 16, 20, 21, 27, 28, 38, 41, 51, 68, 80, 95, 116 – Reinlichkeit 105 – Ruhe 58, 94, 95, 96, 108, 117, 145 – Selbstbeherrschung 76, 154 – Selbstzufriedenheit 77, 140 – Sparsamkeit 20, 71, 74 f., 80, 116, 154, 158 – Stolz (Selbstwertgefühl) 86, 90, 92, 97, 99, 103, 105, 155, 158, 170, 172, 177, 184

Sachregister

– – – –



– Tapferkeit 92–94, 97, 155, 156, 157, 160, 172, 178 – Treue (Loyalität) 40, 43, 46, 68, 75, 76, 148, 175, 177 – Unternehmungsgeist 80 – Urteilsvermögen (skraft) 61, 116, 125, 154, 182 – Vernünftigkeit 80, 101, 182 – Verschwiegenheit 80, 116, 154, 159 – Vorsicht 29, 74, 80, 90, 116, 166 – Vorsorge 80, 148, 149 – Wahrhaftigkeit 75, 116, 162, 175 – Willensstärke 76 f. – Wohltätigkeit 10–12, 14, 15, 19, 80, 81, 93, 119, 120, 124, 126, 127, 136, 144, 160 – Würde des Geistes 175 – Zärtlichkeit 5, 95, 116, 119, 129, 136, 140 – Zufriedenheit 57, 63, 71, 94 f., 137, 155 der Stoiker 161 uneigennützige 80 selbstbezogene (persönliche, des Selbstinteresses) 79, 81 mönchische 109 – s. a. Buße, Demut, Fasten, Kasteiung, Selbstverleugnung, Schweigen, Einsamkeit soziale 11, 13, 16, 17–40, 43, 48, 50–54, 55, 62, 64, 66–68, 70, 73, 75, 81, 93, 95, 100, 144, 145, 147, 154, 158, 116

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– s. a. Freundschaft, Fehler, Gerechtigkeit, Laster, Wohlwollen, Pflicht Tyrann (tyrannisch) 60, 112, 162, 172, 176 Tyrannei 26, 29 f., 58 Tyrannenmord 14 f., 176 Verdienst 61, 62, 64, 75, 79–82, 88, 89, 92, 93, 96, 98–103, 105, 107, 109, 132, 145, 152, 157, 161, 166, 167, 170–175, 179 – der Gerechtigkeit 17, 40 – persönliches 8, 10, 15, 116– 118, 181 – u. Gefühl 68 – u. Nutzen 13, 95, 96 – s. a. Billigung, Tugend Verjährung 32 Vernunft 4–9, 26, 27, 31, 32, 38, 40, 67, 76, 97, 109, 113, 117, 124–134, 140, 148, 149, 175 Versprechen 19, 30, 35 f., 42, 134, 146 f., 161 – s. a. Vertrag Verstand 4–6, 30, 35, 36, 51, 102, 107, 109, 155, 157, 158, 175 – u. Gefühl 125–134 – s. a. Moral, Grundlegung der, u. Verstand, natürlicher Vertrag 33, 36, 38, 42, 147, 148 Völkerrecht 41 Vorurteile 4, 6, 15, 54, 86 Wert(-schätzung) 23, 50, 54, 67, 69, 78, 81, 101, 115, 144, 153, 155, 156

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Sachregister

– persönlicher 157 – einer Frau 76 – u. Sprache 80 – s. a. persönliches Ansehen Wille 35 f. Witz 76, 100, 102, 105, 108, 117, 120, 135, 143, 158, 175, 184 Wohl der Gesellschaft 22, 28, 32–34, – der Menschheit 28–32, 35–40, 62–69 – s. a. öffentlicher Nutzen Wohlwollen 10–16, 40, 56, 67, 79, 95, 96, 109, 116, 121, 135, 138–142, 144, 145, 147, 148, 180 – zwei Arten von 138 – u. Gerechtigkeit 19

– u. öffentlicher Nutzen 13–16 Zärtlichkeit 5, 95, 116, 119, 129, 136, 140 Zölibat 109 – s. a. Tugend, mönchische Zustimmung 6, 35, 54, 64, 82, 112, 113, 116, 146, 147, 250 – s. a. Billigung Zuschauer (Beobachter) 58, 61, 68, 70, 89, 92, 94–96, 101, 105, 116, 127, 128, 131, 138 Zweck (Ziel) 20, 28, 30, 31, 37, 38, 48, 50, 54–56, 66, 69, 73, 74, 78, 109, 146 – letzte Zwecke menschlicher Handlungen 132–134 – s. a. Mittel, Natur, Billigung