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Unternehmer, Firmen, Produkte
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MEMORIA AUSTRIAE III: UNTERNEHMER, FIRMEN, PRODUKTE

Memoria Austriae III Unternehmer, Firmen, Produkte

Herausgegeben von Emil Brix, Ernst Bruckmüller und Hannes Stekl Mit Beiträgen von Oliver Kühschelm und Andre Pfoertner

2005 VERLAG FÜR GESCHICHTE UND POLITIK

Drucklegung gefördert durch: das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, das Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie, das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit.

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© 2005. Verlag für Geschichte und Politik Ges.m.b.H., Wien Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Weg und der Speicherung in EDV-Anlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Satz: Peter Eder Druck: Grasl Druck & Neue Medien, 2540 Bad Vöslau Umschlaggestaltung: Christina Brandauer, 1080 Wien ISBN 3-7028-0419-6 Verlag für Geschichte und Politik Wien ISBN 3-486-57756-5 Oldenbourg Wissenschaftsverlag München

INHALT

Vorwort

7

Oliver Kühschelm - Andre Pfoertner Unternehmer, Firmen und Produkte als österreichische „Gedächtnisorte"

9

Oliver Kühschelm Julius Meinl Patriarchalisch, (groß)bürgerlich, österreichbewusst

43

Manner „Die Schnitte der Patrioten"

97

Swarovski Österreichischer „Multi" und Tiroler „Weltmarke"

131

Atomic, Fischer, Kneissl und Blizzard Die Bretter, die Österreichs Welt bedeuten

169

Austrian Airlines und Lauda Air Das nationale Projekt und die One-man-Show

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Andre Pfoertner VOEST Flaggschiff der verstaatlichten Industrie

261

Die Steyr-Daimler-Puch AG (SDPAG) Der Traum vom österreichischen Automobil

311

ÖMV/OMV „Unser Erdöl muss österreichisch bleiben"

352

Autoren und Herausgeber

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Vorwort Die österreichische Geschichtsschreibung sah sich nicht selten mit dem Vorwurf konfrontiert, gezielt oder unbewusst als eine „Gedächtnisgeschichte" zu wirken, die zu einer wissenschaftlich legitimierten Begründung oder Stärkung eines Gruppen-, Klassen- oder auch Nationalbewusstseins beiträgt. Hier hat sich in den letzten Jahren ein entscheidender Wandel vollzogen. Die einsetzende demokratische Transformation in zahlreichen zentral- und osteuropäischen Staaten sowie die fortschreitende europäische Integration beschleunigten die Auseinandersetzung mit Identitäten und Nationalbewusstsein, mit Selbst- und Fremdbildern, mit nationalen Mythen und deren Konstruktion. Das ministerielle Forschungsprogramm „Grenzenloses Österreich", das 1995/1996 zu den Gedenkjahren „Zweite Republik" und „Millennium" entwickelt wurde, vermittelte dazu zahlreiche Impulse. Zwei der Herausgeber dieses Bandes konzipierten damals ein breit angelegtes Projekt über Geschichte, Funktion und Wandel von historischen Gedenktagen in Mitteleuropa. In einer breiten Überschau wurden Brüche und Kontinuitäten in der Geschichte dieses teils homogenen, teils heterogenen Kulturraumes sowie nationale Neupositionierungen von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die unmittelbare Gegenwart untersucht. Mit diesen Studien war nicht nur eine detaillierte Beschäftigung mit den vielfältigen Ursachen und Formen des „Feierns von Geschichte", sondern mit theoretischen Fragen zur Herausbildung eines „kollektiven" und „kulturellen Gedächtnisses" von Gesellschaften verbunden. Die Auseinandersetzung mit den Denkmodellen von Maurice Halbwachs, Pierre Nora, Jan und Aleida Assmann sowie mit anderen Publikationen über nationale „Erinnerungsorte" beschleunigte die Pläne zur Untersuchung von Bausteinen der nationalen Identität Österreichs. Um durch die Festlegung der Untersuchungsobjekte durch die Forschenden eine wissenschaftlich kanonisierte Mythenproduktion auszuschalten, wurde im Sommer 1998 eine repräsentative, quantitative und offene Meinungsumfrage zur Erhebung von Österreichs sinnstiftenden Erinnerungsfiguren durchgeführt. Zwei Workshops intensivierten den Gedankenaustausch über gemeinsame Problemansätze, Abgrenzungsfragen, aber auch sinnvolle Überschneidungen, welche die komplexen Verflechtungen deutlicher erkennbar machen. Entstanden sind daraus drei Bände: Band I über Menschen, Mythen, Zeiten, Band II über symbolkräftige Bauten, Orte und Regionen, Band III über Unternehmer, Firmen, Produkte und österreichische Identität. Angesichts der zunehmenden Geschwindigkeit ökonomischer Prozesse erscheint an dieser Stelle auch ein Wort zu der Frage notwendig, inwiefern die

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Vorwort

Beiträge des vorliegenden Bandes den aktuellen Stand der Unternehmensentwicklung und ihrer Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit erfassen. Die Arbeit an den Texten wurde zum Teil bereits vor einiger Zeit abgeschlossen, so dass die jüngsten Veränderungen nicht mehr berücksichtigt werden konnten. Um nur einige Wandlungsvorgänge von höchst unterschiedlicher Tragweite zu nennen: Der OMV gelang durch die Übernahme der Erdölgesellschaft SN Petrom SA eine spektakuläre Expansion nach Rumänien. Der österreichische „Skizirkus" war durch personelle Rochaden und Werbegags selbst im Sommer in aller Munde. Die Austrian Airlines wieder gerieten sowohl wegen steigender Passagierzahlen als auch wegen Streikdrohungen mehrfach in die Schlagzeilen. Nikolaus Lauda, im Jahr 2000 aus der Lauda Air ausgeschieden, hat sich als Unternehmer neu etabliert; an der Stelle seines Nachnamens wird nun das liebevolle „Niki" als Bezeichnung einer neuen Fluggesellschaft verwendet. Die MannerSchnitten feierten einen Auftritt in „Terminator 3", dem Film des derzeit populärsten Auslandsösterreichers Arnold Schwarzenegger. Die verbleibenden staatlichen Anteile der VOEST wurden infolge einer heftig diskutierten Entscheidung der Regierung veräußert, die derzeit laufenden Diskussionen über den Verkauf der VA-Tech entfachen ein reges Medieninteresse. Jedoch fügt sich selbst die Privatisierung des Stahlerzeugers, der vermutlich wichtigste Punkt dieser kursorischen Aufzählung, in eine längere Entwicklung, die Eingang in die Analyse fand, da die Auseinandersetzung mit „Gedächtnisorten" auf deren grundlegende (und somit relativ dauerhafte) Elemente fokussiert. Aus diesem Grund erachteten die beiden Autoren des Bands die systematische Einarbeitung der jeweils neuesten Nachrichten für verzichtbar, zumal geschichtswissenschaftliche Forschung, auch wenn sie an die Gegenwart heranführt, nicht journalistische Tagesaktualität bieten kann. Der Dank der Herausgeber gilt dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur für die Finanzierung des Forschungsprojekts und für einen Beitrag zu den Druckkosten, dem Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie sowie dem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit für einen Druckkostenzuschuss, dem Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank für die Unterstützung der Untersuchungen zum Themenkreis „Wirtschaft und österreichische Identität", der Österreichischen Forschungsgemeinschaft für die Übernahme der Kosten einer Umfrage durch das Fessel-GfK Institut für Marktforschung GmbH. (Wien), welche das „kulturelle Gedächtnis" der österreichischen Bevölkerung erhob und damit eine empirisch abgesicherte Grundlage für die weiteren Forschungsarbeiten schuf. Die Zusammenarbeit mit den beiden Autoren, die bereit waren, mit dem Blick auf das kulturelle Gedächtnis den Spuren des Österreichischen im Bereich der Wirtschaft nachzugehen, gestaltete sich höchst anregend. Ihnen gilt unser besonderer Dank. Wien, im Frühjahr 2005

Emil Brix - Ernst Bruckmüller - Hannes Stekl

Oliver Kühschelm - Andre

Pfoertner

Unternehmer, Firmen und Produkte als österreichische „Gedächtnisorte" Die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage „Gibt es Firmen/Unternehmen/Unternehmer, die für Sie typisch österreichisch sind?" Mit dieser Frage wurden 1.000 Österreicherinnen von dem Marktforschungsinstitut Fessel-GfK konfrontiert, das im Juli und August 1998 eine Erhebung zum Thema „Österreichs lieux de memoire" durchführte. Keine Vorgaben schränkten die Antwort ein, auch Mehrfachnennungen waren möglich. 18 % der Befragten erwähnten die Vereinigten Österreichischen Eisen- und Stahlwerke, besser unter der Abkürzung VOEST geläufig. An den Fahrzeughersteller Steyr-Daimler-Puch erinnerten sich 14%. Immerhin 10% dachten an die Julius Meinl AG, die ausgehend von der Ware Kaffee zu einem Konzern anwuchs, der den Handel und die Produktion von Nahrungsmitteln vereinte. 6 % führten den Erzeuger von Kristallglasprodukten Swarovski an. Je 5 % entsannen sich des Süßwarenherstellers Manner und der Österreichischen Mineralölverwertung (OMV). Auf den weiteren Plätzen folgten mit 3 % Nennungen so unterschiedliche Firmen wie das Elektrotechnikunternehmen Elin und die Handelskette Spar sowie mit je 2 % der Skierzeuger Atomic, das noble Hotel Sacher, die Lauda Air, die im Bereich Nahrungs- und Genussmittel tätige Mautner-Markhof AG und die Salzburger Firma Mirabell, bekannt vor allem für ihre Mozartkugeln. Neben jenen Unternehmen, die in einer statistisch relevanten Häufigkeit vorkamen, weist die Umfrage noch eine große Zahl weiterer, meist nur einmaliger Nennungen nach. Die breite Palette reicht von der Einkaufsgenossenschaft des Lebensmitteleinzelhandels Adeg und dem Modeschöpfer Fred Adlmüller über den Papierkonzern Leykam und den traditionsreichen Glaserzeuger Lobmeyr bis zu dem auf Strumpfmode spezialisierten Textilunternehmen Wolford. Oft assoziierten die Befragten auch nicht Firmennamen, sondern Branchen: Biobauern wurden ebenso wie Biochemie, Fremdenverkehrsbetriebe oder Schokoladeerzeuger als charakteristisch für Österreich eingestuft. Immerhin 13 % hielten gar kein Unternehmen für typisch österreichisch. Die starke Streuung der Nennungen deutet auf eine gewisse Zufälligkeit der vorliegenden Reihung. Bei der VOEST, die immerhin von fast einem Fünf-

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Oliver Kühschelm - Andr6 Pfoertner

tel erwähnt wurde, mag man nur geringe Bedenken hegen, ebenso bei SteyrDaimler-Puch. Schon bei Manner und Meinl liegt der Fall weniger eindeutig. 1998 feierte Manner mit erheblichem Aufwand das hundertjährige Jubiläum seiner berühmten Haselnussschnitten. Die intensivierten Werbeanstrengungen, die von zahlreichen Medienberichten über das Traditionsunternehmen und sein populärstes Erzeugnis ergänzt wurden, rückten den Österreicherinnen die Firma mit Sicherheit stärker ins Bewusstsein. Mit Recht wird man eine Auswirkung auf die Zahl der Nennungen von Manner in der Umfrage vermuten. Meinl stand wiederum gerade im Sommer 1998, als Fessel-GfK seine Erhebung durchführte, im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses, denn die Eigentümerfamilie veräußerte das Filialnetz ihrer Handelskette an den Konkurrenten Billa, den seinerseits zwei Jahre vorher der deutsche Rewe-Konzern erworben hatte. Die Medien thematisierten aus diesem Anlass breit die Sorge um den Ausverkauf heimischer Betriebe an das Ausland und speziell den „großen Bruder" Deutschland. Wer nicht wusste, dass Meinl ein österreichischer Mythos sei, wurde nun daran erinnert. Typisch österreichische Unternehmen (Nennungen in %)

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2

4

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Quelle: Fessel-GfK, Österreichs Lieux de Memoire, 1998

Unter vielen Gesichtspunkten erweist sich das kollektive Gedächtnis hinsichtlich der für Österreich charakteristischen Unternehmen als stark fraktioniert. 18% der Befragten mit einem Haushalts-Nettoeinkommen über 26.000 Schilling (1.889,5 Euro) hielten Swarovski für „typisch österreichisch", hingegen nur 5 % der Personen mit einem niedrigeren Verdienst. 34 % der Landwirte erwähnten Steyr-Daimler-Puch, aber nur 4% der Schülerinnen und Studentinnen.

Unternehmer, Firmen und Produkte als österreichische „Gedächtnisorte"

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Die VOEST wurde von 20% der befragten Männer, aber nur von 16% der Frauen genannt. Oft gewinnt das Bild bei näherem Hinsehen weiter an Komplexität. So legen die Gesamtwerte der VOEST den Verweis auf die maskuline Punzierung schwerindustrieller Arbeitsleistung nahe. Freilich zeigt sich das Unternehmen bei den über 44-Jährigen als übergreifendes Symbol: Frauen und Männer nennen zu je 18% den Konzern; bei den jüngeren hingegen ist die Differenz nach dem Geschlecht umso markanter: 21 % der Männer, aber bloß 13% der Frauen war die VOEST präsent. Auch die regionale Verteilung der Nennungen fiel in der Erhebung von Fessel-GfK sehr ungleichmäßig aus: 22% der Wienerinnen führten Meinl als typisch österreichisches Unternehmen an, jedoch nur 2% der Salzburgerinnen. Die VOEST kam in Oberösterreich auf satte 35%, im Burgenland dagegen nur auf magere 2%. Bei den Spitzenwerten lässt sich meist ein Zusammenhang mit den Unternehmensstandorten ersehen. OberösterreicherInnen oder gar Linzerlnnen liegt die VOEST in vieler Hinsicht näher als Menschen aus dem industriell vergleichsweise wenig entwickelten Burgenland. Meinl hat sich am stärksten im Bewusstsein der Wienerinnen festgesetzt - kein Wunder, nahm doch die Meinl-Story zu Zeiten der Monarchie in der Haupt- und Residenzstadt ihren Ausgang. Die Firma Spar fügt sich indes nicht in das Muster: Sie erreicht den höchsten Wert in Wien, obwohl die Handelskette ihren Schwerpunkt im Westen Österreichs hat. In Salzburg, wo sich die Zentrale befindet, wurde das Unternehmen überhaupt nicht in statistisch relevantem Maß erwähnt. Dasselbe gilt für Tirol, obschon die Gründungsversammlung 1954 in Kufstein stattgefunden hatte. Um die regionalen Unterschiede interpretieren zu können, müssten wir also noch andere Faktoren berücksichtigen als nur den Unternehmensstandort, der ja bei einem auf das gesamte Bundesgebiet ausgedehnten Filialnetz auch nicht ohne weiteres zu bestimmen ist. Eine wesentliche Rolle spielt sicherlich, inwieweit ein Unternehmen die Verbundenheit mit einer bestimmten Region als Teil seiner Selbstdarstellung zelebriert. Im Vergleich von Spar und der Julius Meinl AG besitzt dieser Hinweis große Erklärungskraft. Die Betrachtung des vorliegenden statistischen Materials mahnt zur Vorsicht: Die Metapher des kollektiven Gedächtnisses darf nicht zur undifferenzierten Annahme von Mythen mit angeblich nationaler Reichweite führen. Wenn wir ein bestimmtes Unternehmen als Identifikationsfigur analysieren, müssen wir uns vor Augen halten, dass es diese Funktion nicht unterschiedslos für alle Bevölkerungsgruppen erfüllt, sondern im Gegenteil je nach regionaler Herkunft, Schicht, Geschlecht, Alter, Beruf, Schulbildung, etc. in geringerem oder größerem Ausmaß. Um die Aussagekraft der Umfrage von Fessel-GfK besser einschätzen zu können, ist der Vergleich mit den Resultaten ähnlich gelagerter Erhebungen sinnvoll: Im Wirtschaftsmagazin „Trend" wird man in dieser Hinsicht mehrfach fündig. Nehmen wir z.B. das Image-Ranking von 1997.1 Die Zeitschrift, die jedes Jahr die Top 500 unter den österreichischen Unternehmen zusammen-

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Oliver Kühschelm - Andr6 Pfoertner

stellt, legte die gesamte Liste 1.000 Personen vor. Die Befragten sollten angeben, welche der Unternehmen besonders wichtig für Österreich seien und welche hohes Ansehen genießen. An die Spitze stellten sie in beiden Fällen die Austrian Airlines vor der Lauda Air, gefolgt vom hiesigen Ableger des Siemens-Konzerns. Hinsichtlich der Bedeutung für die Nation waren sich die Befragten sehr sicher: Die zehn besten Werte liegen alle über 50%, zum Teil sogar deutlich. Wie der „Trend" bemerkte, dürfte die Alltagspragmatik für die Reihung eine erhebliche Rolle spielen: Einkaufen bei Billa, Briefe aufgeben, das Tätigen von Banktransaktionen, die Benützung der Bahn, etc. Übereinstimmungen mit der Umfrage von Fessel-GfK gibt es nur wenige (die Lauda Air findet sich zumindest in der Reihe jener Unternehmen, die auf 2% Nennungen kamen; und Steyr-Daimler-Puch landet im Ranking sogar auf dem zweiten Platz). Zwei Erklärungen für diese Diskrepanz bieten sich an. Angesehene und für Österreich wichtige Unternehmen 1997 (in % der Nennungen) Unternehmen

Hohes Ansehen

Unternehmen

Wichtig für Österreich

Austrian Airlines

66

Austrian Airlines

72

Lauda Air

65 52

Lauda Air

69

Siemens AG Österreich ORF

62 62

Flughafen Wien

61

Austria Tabak

60

Kika

45 44 44

Post & Telekom

58

Billa

42

Bank Austria

56

Austria Tabak

41 41

Semperit Reifen AG

55 55 54 53

Siemens AG Österreich Bank Austria Flughafen Wien Casinos Austria

Steyr-Daimler-Puch Palmers Ankerbrot

50

39 38

Billa Shell Austria Steyr-Daimler-Puch ÖBB Casinos Austria

53 53

Quelle: Goldener Trend 1997

Erstens: Die Kategorien „wichtig", „angesehen" und „typisch" mögen zueinander in Beziehung stehen, sind aber nicht deckungsgleich. So zählen die wichtigen Unternehmen nicht zwangsläufig auch zu den angesehenen. Der ORF erscheint den Auskunftspersonen zwar wichtig, erfreut sich ihrer Ansicht nach aber trotzdem keines hervorragenden Rufes. Viele Menschen benützen regelmäßig die Bundesbahnen, die unliebsamen Erlebnisse mit einem ungenügenden Service sind indes Legion und beeinflussen zweifellos die Einschätzung der Reputation des Transportunternehmens. Erweitern wir die Überlegungen um die Kategorie des Typischen, so fällt auf: Billa, die expansivste Handelsket-

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te der Zweiten Republik, ist wichtig und angesehen, aber nicht typisch. Daran dürfte sich nach der Übernahme durch die deutsche Rewe auch so bald nichts ändern. Zweitens: Die Ergebnisse einer offenen und einer gestützten Umfrage lassen sich nur bedingt miteinander vergleichen. Anscheinend assoziieren die Menschen zur Frage nach Unternehmen nicht von selbst Monopolbetriebe wie die Casinos Austria oder die (vor einiger Zeit privatisierte) Austria Tabak durchaus mit gutem Grund: Die Tabakregie verdankt ihre Entstehung dem fiskalischen Interesse des Landesfürsten an sicheren Einnahmen, die sich durch die Ausschaltung des Wettbewerbs besonders lukrativ - de facto als indirekte Steuer - gestalten ließen. Dasselbe gilt für die Lotterie. Auch Post und Bahn entsprechen möglicherweise nicht dem Begriff, den sich die Österreicherinnen von einem Unternehmen machen. Über viele Jahrzehnte hinweg stand die Ausrichtung am Gewinn, die für kapitalistisches Unternehmertum konstitutiv ist, hinter einer flächendeckenden Versorgung mit einer infrastrukturellen Grundleistung zurück. Außerdem traten gerade Post und ÖBB als (privat)beamtete Apparate auf, die sich stärker als Behörden denn als kundenorientierte Unternehmen präsentierten. Bei Fessel-GfK fehlten 1998 auch Geldinstitute und Versicherungen unter den meistgenannten Unternehmen. Am öftesten noch entsannen sich die Befragten, genau gesagt 1 % von ihnen, der Bank Austria. Unter den Bedingungen einer offenen Umfrage scheint sich eine in der Bevölkerung verankerte Vorstellung von Unternehmen abzuzeichnen, die eher in Richtung von Industrie und dem Handel mit ihren Erzeugnissen geht als in die von abstrakteren Dienstleistungen, die sich als Produkte - im wörtlichen Sinne - nicht greifen lassen. Eine Rolle könnte dabei auch die im deutschen Sprachraum tief verwurzelte Hochschätzung von physischer Produktion spielen. Marken als Objekte des Nationalstolzes (in % der Nennungen) Marken Atomic, Voest-Alpine Swarovski, Mirabell Ja! Natürlich, Manner, Kärntner Milch, Spar Austrian Airlines, Semperit, Suchard, Nöm Billa, Biochemie Kundl, Blum Beschläge, Fischer Ski, Humanic, Iglo, Kneissl, Philips

% 11 % 6% 4% 3% 3%

Quelle: Format 2002, Nr. 41

Wesentlich mehr Übereinstimmungen zeigen sich zu einer Erhebung von 2002, die das Wochenmagazin „Format" in Auftrag gab. Die Auskunftspersonen wurden unter anderem gefragt: „Auf welche österreichischen Marken sind Sie besonders stolz?" Im Ranking tauchen einige gute Bekannte weit vorne auf: Atomic und VOEST (11 %) nehmen den ersten Platz ein, gefolgt von Swarovski und Mirabell mit (6%). Des Weiteren stoßen wir auf Manner und Spar (4%) sowie

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die Austrian Airlines (3 %). Andererseits fehlen im Vergleich zu Fessel-GfK prominente Namen wie Steyr-Daimler-Puch (bzw. Magna Steyr), OMV, Julius Meinl und Lauda Air.2 Somit kommen wir zu jener zentralen Frage, auf die unsere Ausführungen hinauslaufen: Bietet die Erhebung von Fessel-GfK eine hinreichend solide Basis, um geeignete Untersuchungsobjekte für unsere Studien über Unternehmen als nationale Erinnerungsfiguren auswählen zu können? Wären nicht zu einem anderen Zeitpunkt andere Firmen am öftesten mit der Eigenschaft „typisch österreichisch" in Verbindung gebracht worden? Zum Teil ja, zum Teil nein, und das mögliche Auftauchen anderer Namen ist weniger dramatisch, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Die relativ hohen Werte für Meinl und Manner z.B. sind vermutlich einer bestimmten medialen Situation zum Zeitpunkt der Umfrage geschuldet. Dennoch sind sie nicht bloß Ausdruck der irrelevanten Laune eines Augenblicks. Wenn im Sommer 1998 der Verkauf von Meinl unter dem Blickwinkel des möglichen Verlustes von österreichischer Identität diskutiert wurde, so müssen sich diesem Diskurs geeignete Ansatzpunkte geboten haben, die vor allem in einem über Jahrzehnte von der Firma kultivierten Selbstbild und seiner Wahrnehmung durch die österreichische Öffentlichkeit zu suchen sind. Der Verkauf schuf nicht ein neues Bild des Unternehmens, sondern verstärkte eher das alte. Meinl gehört zu einem Pool an „typischen" Unternehmen, aus dem es aufgrund besonderer Umstände besonders oft herausgegriffen wurde. Wenn wir nun diese Firma, ebenso wie Manner, für eine Fallstudie heranziehen, so müssen wir uns keine Sorgen machen, damit einen Fehlgriff zu tun. Wir sollten aber sehr wohl im Auge behalten, dass der Lebensmittelkonzern nur eines von mehreren - wenngleich nicht unendlich vielen - Unternehmen ist, die sich für die Untersuchung als Symbole des Österreichischen anbieten. Neben Meinl und Manner widmeten wir zunächst folgenden Unternehmen eigene Texte: Swarovski, einem der raren heimischen Privatunternehmen, die zum internationalen Konzern anwuchsen, sowie der VOEST, Steyr-DaimlerPuch und OMV als Flaggschiffen der (ehemals) verstaatlichten Industrie. In dieser Auswahl spiegelt sich jene Zweiteilung in verstaatlichte Großbetriebe einerseits und patriarchalische Familienunternehmen andererseits, die für die österreichische Wirtschaft nach 1945 lange Zeit charakteristisch war. Obgleich wir uns im Wesentlichen an das durch Fessel-GfK vorgegebene Ranking halten wollten, haben wir uns, als etwas später die Entscheidung über zwei weitere Einzelstudien anstand, doch etwas Flexibilität erlaubt. Eine Untersuchung beschäftigt sich mit der Skiindustrie, der in den Umfrageresultaten einiges Gewicht zukommt, sofern man die Nennungen mehrerer Firmen summiert: Atomic 2%, Fischer und Kneissl je 1%; Blizzard wurde zumindest mehr als einmal erwähnt. Ähnliches gilt für die Luftfahrtbranche: Austrian Airlines und Lauda Air kommen zusammengenommen auf 3%. Die beiden Firmen scheinen eine interessante Ergänzung zu bilden: Sie verkörpern einen Anspruch auf Fortschritt und Mobilität, stehen in vieler Hinsicht aber in einem kontrapunktischen Ver-

Unternehmer, Firmen und Produkte als österreichische „Gedächtnisorte"

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hältnis. Wir treffen wiederum auf die Trennlinie staatlich - privat. Diese erhält allerdings dadurch einen besonderen Akzent, dass Niki Lauda nicht dem Typus des patriarchalischen Firmenchefs klassischen Zuschnitts entspricht, sondern ein charismatisches Unternehmertum kulturgeschichtlich jüngeren Datums repräsentiert.

Zum theoretischen und methodischen Rahmen der Studien VOEST 18% Nennungen, Steyr-Daimler-Puch 14%, Meinl 10%. In solchen Ergebnissen begegnen uns komplexe Erinnerungsfiguren verkürzt auf bloße Namen, somit in ihrer reduziertesten und abstraktesten Gestalt. Drei Dimensionen gilt es zu beachten, die in jeweils unterschiedlicher Gewichtung die zu untersuchenden Symbole konstituieren: Erstens das Unternehmen als Institution mit seiner Geschichte und der ihm eigenen corporate culture; zweitens Unternehmerinnen als Gründer- und Führungsfiguren; drittens Produkte; hier ist wiederum zu differenzieren einerseits zwischen Investitionsgütern wie dem Stahl und andererseits Konsumgütern, z.B. einer Haselnussschnitte, auf die sich zur Marke Manner-Schnitte konfiguriert - das Begehren von Konsumentinnen richtet. Um die folgenden Einzelstudien in einen größeren Theorie- und Forschungszusammenhang einzuordnen, muss klargelegt werden, aus welcher Perspektive wir uns mit der Geschichte einiger Unternehmen/Unternehmerinnen/Produkte auseinandersetzen. Unser Hauptinteresse gilt einem bestimmten Aspekt: jenem der gesellschaftlichen Symbolproduktion. Wir beziehen daher wesentliche Anregungen aus einer verstärkten kulturwissenschaftlichen Orientierung der historischen Forschung, wie sie sich seit einiger Zeit auch im deutschsprachigen Raum abzeichnet. Häufig wird von einem „Cultural Turn" gesprochen. 3 Seine Quintessenz ist die „Betonung der Bedeutung von Bedeutung", 4 die Erkenntnis, dass die Analyse der objektiven Sozialstrukturen allein nicht ausreicht, sondern dass gleichermaßen die subjektiven Erfahrungen der geschichtlichen Akteure zu betrachten sind. Die Selbstdeutungen und Weltbilder der historischen Subjekte dürfen nicht nur als abhängige Variable betrachtet werden, als abgeleitet von sozialen und ökonomischen Faktoren. Die Sphäre der kulturellen Praxis hat ihr Eigengewicht, die handelnden Subjekte haben ihren Eigensinn. Auf unseren Fall umgelegt heißt das: Wir müssen dem jeweils als Element des kollektiven Gedächtnisses in den Blick genommenen Unternehmen eine gewisse Autonomie von den harten Fakten seiner Geschichte einräumen. Die Untersuchung von Aufstieg und Krisen, ökonomischen Erfolgen und Fehlschlägen genügt nicht als Erklärung für die symbolischen Bedeutungen des Unternehmens bzw. seiner Produkte. Die Begeisterung für die diskursive Ebene, für (sprachliche) Zeichen und ihren Gebrauch, darf allerdings nicht so weit gehen,

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Oliver Kühschelm - Andre Pfoertner

dass sie auf die Gesellschaft als eine darüber hinausgehende Realität vergisst. Lynn Hunt wies darauf hin, dass man eine „Vorstellung vom Verhältnis zwischen Symbolen und einer Welt (Erfahrungen und Kontext)" benötigt, um überhaupt von Symbolisierungsprozessen sprechen zu können. 5 Ein zentraler Begriff zur Charakterisierung unserer Untersuchungsgegenstände ist jener des „lieu de memoire" (im Deutschen „Gedächtnisort" bzw. „Erinnerungsort"), wie ihn Pierre Nora für sein großangelegtes Forschungsvorhaben über die Nation Frankreich entwickelte. Bei Abschluss des Projekts bestimmte er ihn folgendermaßen: „tout unite significative, d'ordre materiel ou ideel, dont la volonte des hommes ou le travail du temps a fait un element symbolique du patrimoine memoriel d'une quelconque communaute". 6 Sobald wir Unternehmen auf diese Weise betrachten, ändert sich unser Blick auf ihre Geschichte drastisch, denn der Akzent ruht nicht auf der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, sondern auf der Beschäftigung damit, wie die Vergangenheit in der jeweiligen Gegenwart erinnert wird. Das ist die Pointe des Kompositums „Gedächtnisort", dessen erster Teil auf einen Forschungszusammenhang verweist, der Gedächtnis aus einer konstruktivistischen Perspektive analysiert. Ernst Langthaler fasst die Grundüberlegung in einem Satz zusammen: „Ereignisse lagern sich nicht als abrufbare Erinnerungen im Gedächtnis ab, sondern sie werden durch gesellschaftlich geformte Wahrnehmungsweisen als solche rekonstruiert." 7 Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht aber nicht das individuelle, sondern das kollektive Gedächtnis, der Bestand an Erinnerungen, den „die Gesellschaft in jeder Epoche mit ihrem gegenwärtigen Bezugsrahmen rekonstruieren kann" 8 - so die klassische Formulierung von Maurice Halbwachs, auf dessen Überlegungen sich Pierre Nora in hohem Maß stützt. Uns beschäftigt daher primär nicht die historische Realität, sondern die Vorstellung, die sich Menschen von dieser im Rückblick machen. Unsere Frage muss lauten: Welche Elemente der Unternehmensgeschichte und ihrer Rezeption durch die österreichische Gesellschaft sind den Menschen erinnerlich und weshalb? Eine solche Herangehensweise hat Pierre Nora sehr prägnant als eine Geschichte zweiten Grades bezeichnet: „Pas les evenements pour eux-memes, mais leur construction dans le temps, l'effacement et la resurgence de leurs significations; non le passe tel qu'il est passe, mais ses reemplois permanents, ses usages et mesusages, sa pregnance sur les presents successifs; pas la tradition, mais la maniere dont eile s'est constituee et transmise." 9 Nehmen sich Historikerinnen vor, ein Gebäude, ein Ereignis, ein Ritual, ein Buch oder auch einen Konversationsstil gemäß dem Programm einer Gedächtnisgeschichte zu untersuchen, so werden sie ihren Anspruch nur einlösen, wenn sie sich stets des Umstandes bewusst bleiben, dass sie es mit Konstruktionen zu tun haben. Als solche entstehen Gedächtnisorte nicht naturwüchsig, sondern werden gemacht. So wurde die VOEST nach dem Zweiten Weltkrieg von den politischen Funktionsträgern als Symbol des Wiederaufbaus inszeniert. Man kann dieses Paradeunternehmen der verstaatlichten Industrie als

Unternehmer, Firmen und Produkte als österreichische „Gedächtnisorte"

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einen „beherrschenden Ort" beschreiben. Diese sind gemäß Nora „in der Regel aufgedrückt: von einer nationalen Autorität oder einer Körperschaft, jedenfalls immer von oben". 10 Außerdem seien sie „spektakulär und triumphal, eindrucksvoll" - auf welchen Gedächtnisort träfen die genannten Attribute besser zu als auf die Linzer Hüttenanlage mit ihren mächtigen Schloten? Diese wurden, tausendfach abgebildet, ebenso wie der Arbeiter am Feuer speienden Hochofen zu fixen Bestandteilen der Ikonographie des Wiederaufbaus. Auch Meinl oder Lauda Air sind gemachte Gedächtnisorte, wenngleich als Akteure nicht der Staat und die regierenden Parteien auftreten, sondern private Unternehmer. Anders als beim Stahlkonzern VOEST, dessen Bild massiv von politischer Propaganda geprägt wurde, stoßen wir hier stärker auf Mechanismen der Konsumgesellschaft. Wer in der geschichtswissenschaftlichen Beschäftigung mit Unternehmen und Produkten versucht, von „kulturalistischen" Ansätzen auszugehen, der betritt keinen ausgetretenen Weg. Festgefahrene Denkmuster haben lange als Barrieren gewirkt. Ein Primat der harten Struktur gegenüber dem kulturellen „Überbau" lenkt z.B. automatisch den Blick auf quantifizierbare Größen als Kern von Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte. Eine marxistisch inspirierte Herangehensweise trifft sich hierin problemlos mit einer traditionellen Auffassung der Tätigkeit von Unternehmen, die man folgendermaßen zusammenfassen könnte: Unternehmen erzeugen Produkte, die Gebrauchswerte repräsentieren, anschließend stellt sich das Problem des Verkaufs. Man ist daher - wohl oder übel - gezwungen, Werbung zu treiben. Sie ästhetisiert die Produkte eine Draufgabe, die diese besser verkäuflich macht. Das Modell greift am besten bei industriellen Erzeugnissen, und hier wiederum besonders bei Investitionsgütern, weil in der Tat gilt: Ohne Produktion als technischen Vorgang kein Produkt. Doch mindestens in hochindustrialisierten Wohlstandsgesellschaften gilt ebenso: Ohne Marketing kein Produkt, denn dieses ist mehr als sein materielles Substrat, von dem es sich in marktrelevanten Zusammenhängen oft weitgehend löst. Kulturkritische Theoretiker haben das zwar schon vor Jahrzehnten erkannt, sind aber vornehmlich gegen die Warenästhetik als schönen Schein angetreten, der vom traurigen Sein der kapitalistischen Realität ablenke. Eine Abneigung der „Linken" gegen die überflüssige Warenwelt, die der manipulativen Werbung bedürfe, um künstlich Nachfrage zu erzeugen, ging eine merkwürdige Verbindung mit einem kulturkonservativen Argwohn gegenüber der Moderne ein. 11 Lange Zeit wurden daher - sieht man von Fachliteratur über Marketing ab - die symbolischen Komponenten von Produkten entweder kaum beachtet oder unter einseitigen Prämissen diskutiert. Der deutsche Historiker Rainer Gries bemühte sich kürzlich in seiner Habilitationsschrift um eine Kulturgeschichte einzelner Markenartikel wie Nivea und Deinhard-Sekt, indem er die Bedeutungen rekonstruierte, die ihnen soziale Gruppen, aber auch Individuen im Laufe der Jahrzehnte beimaßen. Gries geht davon aus, dass solche Attribuierungen nicht einfach vom Unternehmen bzw.

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Oliver Kühschelm - Andre Pfoertner

seinen Marketingabteilungen und den von diesen beauftragten Werbeagenturen diktiert werden. Einer Sichtweise, die auf einseitig senderorientierten Kommunikations- und Wirkungsmodellen basiert, hält er ein dreidimensionales Modell entgegen: Ins Zentrum stellt er das Produkt als eine Art Sonne, um die sich die gesamte Kommunikation dreht. Sie weist einen statischen Kern auf das Produkt in seiner physischen Wahrnehmungsdimension. Daran lagert sich eine relativ stabile Schicht von Denotationen an und um diese baut sich zusätzlich eine sehr flexible konnotative Aura auf. Sie entsteht im Zuge der Interaktionen von verschiedenen Akteurinnen. Zu diesen zählen Unternehmensführung, Marketingabteilung, Agenturen, aber auch Konsumentinnen, Journalistinnen, die Belegschaft, Händlerinnen oder die Bewohnerinnen der Gemeinde, in der sich die Herstellerfirma befindet. Die Kommunikationshandlungen, die um die Produktsonne kreisen, verlaufen nicht nur in eine bestimmte Richtung und sind prinzipiell nicht auf den Austausch zwischen bestimmten Akteurinnen beschränkt. Das Unternehmen kommuniziert mit den Konsumentinnen, diese tauschen sich aber auch untereinander über das Produkt aus oder schreiben Leserbriefe an Zeitschriften. Journalistinnen wiederum befragen Verbraucherinnen ebenso, wie sie Unternehmerinnen interviewen; umgekehrt werden ihre Beiträge von (potenziellen) Käuferinnen und den Führungskräften der Betriebe gelesen.12 Die Öffnung des Blicks für die Vielfalt von Interaktionen, deren Angelpunkt ein bestimmtes Produkt bildet, darf uns zwar nicht dazu verleiten, dass wir das strukturelle Ungleichgewicht übersehen, das zwischen verschiedenen Teilnehmerinnen an der Kommunikation besteht. Man nähert sich dann allzu rasch einer neoliberalen Sicht, dergemäß die unsichtbare Hand des Marktes für einen gerechten Zustand sorgt und zu allseitiger Zufriedenheit Anlass gibt.13 Wenn man aber das Gefalle an Ausdrucks- und Einflussmöglichkeiten zwischen den Akteurinnen beachtet, so eignet sich der Begriff der Produktkommunikation sehr gut für unser Unterfangen, da er die die ganze Breite der diskursiven Auseinandersetzung mit Produkten erfasst.

Business History und die Erforschung von Unternehmen als lieux de memoire Wenn wir uns aus einer geschichtswissenschaftlichen Perspektive mit Unternehmen und Unternehmerinnen beschäftigen, so erhebt sich die Frage, wie sich unsere Herangehensweise zu den Zielen und Methoden einer in die Wirtschaftsforschung eingebundenen Business History verhält. Hören wir dazu Toni Pierenkemper, der die scharfe Abgrenzung der historischen Auseinandersetzung mit Unternehmen gegenüber der „Allgemeingeschichte" vertritt. Im Zentrum einer genuin unternehmensgeschichtlichen Forschung muss seiner Ansicht nach die spezifische Rationalität des ökonomischen Handelns stehen. Aus diesem Primärziel ergibt sich die Notwendigkeit eines engen methodischen Anschlus-

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ses an wirtschaftswissenschaftliche Methoden. Es gilt, „den Unternehmer als Unternehmer endlich ernst zu nehmen und nicht in erster, sondern erst in zweiter Linie sein Handeln in anderen gesellschaftlichen Subsystemen zu untersuchen." 14 Unternehmerinnen mögen zwar als Mäzene auftreten oder in die lokale, regionale und nationale Politik eingreifen, doch die Business History interessiert sich zunächst dafür, welche kurz-, mittel- und langfristigen wirtschaftlichen Ziele Unternehmerinnen verfolgen und welche Entscheidungen sie daher z.B. hinsichtlich Finanzierung, Produktion, Lagerung und Absatz treffen. Pierenkemper gesteht zwar zu, dass Business History über die Entschlüsselung der inneren Logik von Unternehmen hinausgeht, „aber zuerst und vor allem ist sie genau dieses und nichts anderes". 15 Mit Blick auf dieses erkenntnisleitende Interesse stellt er weiters fest, dass eine Forschung, die auch die jüngere Vergangenheit und Gegenwart umfasst, sich mit der Unzugänglichkeit von vielen archivalischen Unterlagen konfrontiert sieht. Die Quellenbasis übersteige daher oft kaum „die eines interessierten Zeitungslesers". Für wissenschaftliches Arbeiten genüge das nicht. Für unser Projekt sind die Anforderungen einer wirtschaftshistorisch orientierten Aufarbeitung von Unternehmensgeschichte zwar nicht irrelevant, doch ziehen wir kaum Bilanzen, Verkaufszahlen und anderes unternehmensinterne Zahlenmaterial als Primärquellen heran und untersuchen sie jedenfalls nicht systematisch mit wirtschaftswissenschaftlichen Methoden. Wir setzen hingegen gerade bei jenen Quellen an, die jeweils zu einem bestimmten Zeitpunkt den „interessierten Zeitungsleserinnen" bzw. allgemein den Konsumentinnen von Massenmedien zur Verfügung standen. Wenn man die Rekonstruktion des ökonomischen Kerns anstrebt, so mögen Mythen sich als Hindernisse darstellen, die zu überwinden sind, indem man sämtliche Buchhaltungsunterlagen durchsucht. Da wir indes als Kern unserer Forschung jene Narrative herausarbeiten wollen, die einen „Gedächtnisort" konstituieren, sind die Mythen, die sich um Unternehmen ranken, die eigentlichen Objekte der Analyse. Selbst eine Forschung, die sich der Entschlüsselung der ökonomischen Leistung von Unternehmen verschreibt, kann allerdings aus der Betrachtung der symbolischen Ebene wichtige Hinweise beziehen. Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte wurden lange vor allem als Produktions- und Angebotsgeschichte betrieben. In der Hinwendung zu Nachfrage, Distribution und Marketing muss die Business History eine ihr gemäße Spielart des „cultural turn" durchlaufen, ebenso in der Berücksichtigung von Unternehmenskultur. 16 Dieser Begriff fand seit den frühen Achtzigerjahren Eingang in die deutschsprachige Betriebswirtschaftslehre, weil zahlreiche US-amerikanische Publikationen die Erfolge von japanischen Firmen maßgeblich auf Spezifika ihrer „corporate culture" zurückgeführt hatten. 17 Das japanische Wirtschaftswunder, das in den Neunzigerjahren viel an Strahlkraft verloren hat, steht somit am Anfang einer Diskussion, die gerade der Beschäftigung mit Unternehmen in historischer Perspektive viele Anknüpfungspunkte liefert. Auf diesem Terrain kommen einan-

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der Business History und unser eigenes Projekt sehr nahe. Herbert Matis und Dieter Stiefel leiten ihre Monographie über die Porr AG, die größte österreichische Baufirma, mit dem Hinweis ein: „Unternehmen haben wie Menschen ihre ganz besondere Biographie. Es handelt sich dabei um eine Art von kollektivem Gedächtnis, um Spuren, die in der Vergangenheit gemachte Erfahrungen und gemeinsam bewältigte Aufgaben im Bewusstsein der Mitarbeiter hinterlassen haben. Im Laufe seiner Geschichte erwirbt ein Unternehmen ein eigenständiges Profil, eine besondere Eigenart, die sich im inneren ,Klima' und in der ,Kultur' der Firma widerspiegeln." 18 In einem marktwirtschaftlichen System bildet zwar die Erwirtschaftung von Gewinn den Fluchtpunkt, auf den sich unternehmerisches Handeln orientieren muss, doch lassen sich unzählige Varianten denken und realisieren, in denen man diesem Ziel zustrebt, bzw. auch wie man es im einzelnen definiert. Geht es um kurzfristigen Profit oder wird eher mittel- und langfristig gedacht? Steht im Vordergrund die Erreichung einer möglichst hohen Gewinnrentabilität, um kühl kalkulierende Anlegerinnen zufrieden zu stellen oder genügt es einer Unternehmerfamilie, die sich der Gründung ihres Vorfahren verpflichtet fühlt, dass sie ihr Auskommen findet und im Übrigen die Firma weiter arbeitet? Auf diese und andere Fragen gibt es so viele Antworten, wie Unternehmen existieren. Das hängt mit einer Reihe von Einflussgrößen zusammen: Mit Ort und Zeit, der Branche, der Persönlichkeit von Unternehmerinnen, der Firmengröße und der Gesellschaftsform, der Stellung am Markt und der aktuellen Etappe im „Lebenszyklus" des Unternehmens. Die Komponenten von Unternehmenskultur sind: Normen, Werte und Zielvorstellungen, typische Verhaltensmuster und eine charakteristische Organisationsstruktur, der bestimmte Führungsstile und -methoden korrespondieren. 19 Bei dem bunten Bild, das die Betrachtung verschiedener corporate cultures ergibt, handelt es sich trotzdem nicht bloß um ein Phänomen von geschichtlicher Kontingenz, das zumindest aus betriebswirtschaftlicher Sicht als Situation der Unordnung erscheinen könnte und durch effizienzsteigernde Maßnahmen im Idealfall zu beseitigen wäre. Corporate cultures bieten gerade durch ihre Unterschiedlichkeit den Teilhaberinnen, sei es nun Management oder Belegschaft, eine positive Identität. Sie schaffen ideelle Gemeinsamkeiten, die einem von egoistischen Kosten-Nutzen-Rechnungen geleiteten Handeln dort entgegenwirken, wo es den Unternehmenszielen schaden könnte. Ein rein utilitaristisches Kalkül ist nicht in der Lage, Widersprüche zwischen dem Vorteil von einzelnen und dem Gesamtnutzen aufzuheben, eine starke Unternehmenskultur hingegen sehr wohl. Gerade bei Firmen wie Meinl oder Swarovski, deren Geschichte bis ins 19. Jahrhundert zurückgeht, hat sich im Laufe der Zeit um den ökonomischen Kern unternehmerischen Handelns eine Vielzahl von Bedeutungen angelagert und stabilisiert. Sie bieten Anreiz, eine emotionale Beziehung zum Unternehmen aufzubauen, die über das dürre Faktum „Ort des Geldverdienens" hinausweist. Sie erzeugen zugleich sozialen Druck, indem sie gegenüber Angestellten

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und Arbeiterinnen auch die Forderung nach einer Identifizierung mit der Firma formulieren. Dass einem solchen Anspruch von Seiten der Unternehmerinnen ein reelles Angebot korrespondiert, sollen oft betriebliche Sozialleistungen belegen - und auch wieder auf symbolischer Ebene ausdrücken. Neben den verstaatlichten Firmen der Zweiten Republik haben sich vor allem patriarchalisch geführte Unternehmen in diesem Punkt stets hervorgetan. Meinl, Manner, Swarovski und die Skifirmen gehörten eindeutig über viele Jahrzehnte hinweg in letztere Kategorie. In Festschriften, deren Existenz schon auf eine gezielte Arbeit an der corporate culture verweist, darf die Erwähnung der betrieblichen Wohltaten nie fehlen. Die legitimatorische Kraft der Aufzählungen von Firmenbibliothek bis Werkskantine, vom betrieblichen Unterstützungsfonds bis zur Feier für die lang gedienten Mitarbeiterinnen ist offensichtlich. Was aber hat die Binnenkultur eines Unternehmens mit seiner Eintragung im nationalen Gedächtnis zu tun? In jedem Fall eine ganze Menge. Wie direkt ihre Wirkung auf die Gestalt der Erinnerungsfigur ausfällt, hängt jedoch davon ab, ob das Unternehmen auch als Betrieb in Kommunikationszusammenhängen jenseits des lokalen Umfelds auftaucht oder ob es in erster Linie seine Produkte sind, dessen Konnotationen in den Gedächtnisort eingehen. Die mediale Präsenz eines Unternehmens als Produktionsstätte ist sicherlich eine Funktion der Betriebsgröße. Die VOEST mit ihren vielen tausend Mitarbeiterinnen wird in dieser Hinsicht stärker thematisiert als ein Mittelbetrieb wie Manner. Meinl wiederum war nicht bloß ein industrieller Erzeuger von Nahrungsmitteln, sondern eine Handelskette. Das bestimmte in entscheidender Weise die Bedingungen der Wahrnehmung des Unternehmens durch die Österreicherinnen: Die Julius Meinl AG verfügte mit ihren Filialen im gesamten Staatsgebiet über starke Präsenz. Unzählige Konsumentinnen machten auf diese Weise im Alltagsleben Erfahrungen mit einer Unternehmenskultur, die jedes Geschäft sichtbar durchzog. Selbst wenn indes das Unternehmen als Institution, die das berufliche Tun einer mehr oder minder großen Zahl von Mitarbeiterinnen koordiniert, im Hintergrund bleibt und sich das nationale Symbol hauptsächlich auf Produkte stützt, darf man diese nicht losgelöst von der Kultur sehen, die sie hervorgebracht hat. Mit Manner assoziiert man zwar vor allem sein Paradeprodukt, die Haselnussschnitten, und sein Markenzeichen, den Wiener Stephansdom. Die Glaubwürdigkeit der patriarchalischen Gemütlichkeit, welche die Manner-Schnitte ausstrahlt, wurzelt aber maßgeblich in einer diesem Bild entsprechenden Unternehmenskultur. Produkttypen (Nahrungsmittel, Parfüms, Unterhaltungselektronik, etc.), Markenwelten und Unternehmenskulturen sind keine identischen Kategorien, stehen jedoch zueinander in enger Beziehung. An Mitarbeiterinnen einerseits und Konsumentinnen andererseits werden nicht die gleichen Botschaften vermittelt, doch Kohärenz zwischen der Binnenkultur und der Darstellung gegenüber der Gesellschaft ist ein Erfolgsfaktor. Die Erfahrungen, die Verbraucherinnen mit einem Produkt machen, wecken eben

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ihre Erwartungen an das herstellende Unternehmen. Gleichzeitig beeinflusst das Image der Firma ihre Wahrnehmung durch die Insiderinnen und auch deren Selbstwertgefühl als Mitarbeiterinnen. Das Verhältnis zwischen Innen und Außen, zwischen gelebter Unternehmenskultur und ihrer symbolischen Darstellung, ist stets komplex und längst zum Feld von gezielten Anstrengungen geworden, Kommunikation zu kanalisieren und Bilder zu generieren. Wie man die Konsumentinnen an sich heranlässt und doch wieder nicht, führt Swarovski äußerst geschickt vor. A l s sich die Käuferinnen der Kristallerzeugnisse interessiert zeigten, wo und wie diese hergestellt werden, reagierte der Konzern mit dem Auftrag für den Themenpark der „Kristallwelten". Die Inszenierung des Unternehmens an seinem Stammsitz in Wattens erzählt viel über die Produkte, doch nur nach Art des Mythos. Sie verrät daher über das Unternehmen als Institution, die ein Produkt herstellt und es als Marke konstituiert, gerade so viel, wie die Konsumentinnen wissen sollen. Die Beschäftigung mit den Unternehmenskulturen wird in der Betriebswirtschaftslehre heute als Teil einer Antwort auf die Frage nach den Gründen für Erfolg oder Misserfolg von Firmen betrachtet. Für uns ist sie Teil einer Antwort auf die Frage nach den Inhalten, die bestimmte Unternehmen zu nationalen Identifikationsfiguren machen.

Wirtschaft und österreichische Identität Die österreichische Wirtschaft: Etwa die Hälfte ihres Lebens verbringen Herr und Frau Österreicher dort aktiv während ihres Berufslebens - mehr als an irgendeinem Ort kollektiven Gedenkens und damit sicherlich von entscheidendem Einfluss auf ihre individuellen Erinnerungen. Doch wie steht es mit dem kollektiven Gedächtnis? Schließlich arbeitet jeder an einem anderen Arbeitsplatz. Wie kann da Gemeinschaft entstehen? Was verbinden wir überhaupt mit dem Begriff „österreichische Wirtschaft"? „Die Wirtschaft", definiert z . B . als „Inbegriff aller Einrichtungen und planvollen Tätigkeiten, die die Knappheit der für die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse zur Verfügung stehenden Mittel verringern sollen", 20 ist ein abstrakter Begriff, der nichts über die Assoziationen aussagt, die seine Vernehmung auslöst. Doch gerade sie müssen hier in erster Linie interessieren. Durch gleiche und vielen Österreicherinnen gemeinsame Assoziationen entstehen erst Gedächtnisorte im Sinne des Projekts, dessen Ergebnisse der vorliegende Band präsentiert. Woran denken wir also beim Begriff „österreichische Wirtschaft"? Gibt es eine spezifisch österreichische Wirtschaftsmentalität? Und wenn ja, wie sieht sie aus? Auf den ersten Blick scheint das Verhältnis der Österreicherinnen zu ihrer Wirtschaft ein fast ausschließlich negatives zu sein - so zumindest das Urteil einer Unzahl von wissenschaftlichen Studien: Gemäß Umfragen sind die Österreicherinnen auf ihre wirtschaftlichen Leistungen kaum stolz. 21 Zu die-

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sem miserablen Selbstbild betreffend die eigene Wirtschaft kommt ein entsprechendes Image im Ausland. Bei einer (für deutsche Großunternehmen repräsentativen) Umfrage unter deutschen Managern konnte fast ein Drittel nur weniger als drei österreichische Firmen nennen. Mehr als drei Viertel kannten spontan kein österreichisches Markenprodukt. 22 Im Vergleich zu seinen Nachbarländern Deutschland und Schweiz werden Österreich gemäß mehrerer Umfragen in diversen Ländern in den meisten wirtschaftsrelevanten Bereichen (Hightech, Fleiß, Verlässlichkeit als Geschäftspartner etc.) gravierende Defizite zugeschrieben. 23 Abgerundet wird dieses Bild durch eine entsprechend düstere Schilderung der österreichischen Wirtschaft in gewissen Kreisen der österreichischen Geschichtsschreibung. Da ist etwa zu lesen, „unternehmerisches Handeln" hätte sich im österreichischen Wirtschaftsbürgertum nur unzureichend entfaltet, „ein gering entwickelter Erwerbstrieb" wäre vorherrschend gewesen und der fehlende „unternehmerische Geist" hätte aus dem Ausland nach Österreich importiert werden müssen. 24 „Unternehmer von echtem Schrot und Korn" habe es in Österreich nie gegeben. 25 Verabsolutiert man diese Stellungnahmen, kann die österreichische Wirtschaft wohl kaum identitätsstiftend gewirkt haben und wirken. Folgerichtig findet sie in den meisten bis dato publizierten Werken, die sich mit der österreichischen Identität beschäftigen, nur eine periphere Würdigung. Doch Achtung: Gerade in den 1990er-Jahren hat sich die Anzahl der Studien vermehrt, welche die These von der „Unterentwicklung" der österreichischen Wirtschaftsmentalität differenzierter betrachten. 26 Dies kann man natürlich einerseits als Zeichen dafür ansehen, dass die Wirtschaft in den letzten Jahren an Bedeutung für die nationale Identität der Österreicherinnen gewonnen hat; aber daran allein kann es nicht liegen, dass eine von Günter Schweiger und anderen 1995 veröffentlichte Studie über österreichische Markenprodukte zu entgegengesetzten Schlüssen kommt wie die oben genannten Arbeiten: Die Österreicherinnen hätten großes Vertrauen in ihre eigene Industrie und hielten sie auch international für konkurrenzfähig. Spitzenwerte erzielte dabei die österreichische Ski-Industrie (Durchschnittswerte von 1,5 auf einer sechsstelligen Skala, wobei der Wert 1 für vollständige internationale Konkurrenzfähigkeit, der Wert 6 für das Fehlen von Konkurrenzfähigkeit steht). Ähnlich stark mit Werten von 2 oder besser z.B. Swarovski, Augarten Porzellan, Austrian Airlines, Palmers, Carrera, Gmundner Keramik, Wittmann Möbel, Schlumberger Sekt und Mäser; weiters Hirsch-Uhrenbänder, Eudora, Inzersdorfer, SchneidersKleidung und Steyr-Daimler-Puch. 2 7 Besonders positiv würden die Österreicherinnen dabei auch die Qualität ihrer Produkte einschätzen. 28 Wie ist die Diskrepanz der verschiedenen Arbeiten zu erklären? Zwei Faktoren dürften eine wichtige Rolle spielen: Erstens die Relativität von Mentalitäten und Umfrageergebnissen, die jene widerspiegeln sollen, und zweitens der Faktor Zeit sowohl bei der Veränderung der realen Wirtschaft wie der Mentalitäten.

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Zum erstgenannten Faktor: Es gibt kein absolutes Maß für die Messung von Mentalitäten und Images. Dass 47% der Österreicherinnen stolz auf die Leistungen ihrer Wirtschaft sind, ist für sich allein genommen eine inhaltsleere Angabe. Ist das viel? Ist das wenig? Aussagekraft bekommt sie erst dadurch, dass man sie zu weiteren Angaben in Relation setzt und zwar entweder zu den Prozentanteilen des Stolzes der Österreicherinnen auf andere Dinge in ihrem Land oder zu Datenmaterial darüber, wie stolz die Angehörigen anderer Nationen auf ihre Wirtschaft sind. Wenn es also vieles gibt, worauf die Österreicherinnen stolzer sind als auf die Leistungen ihrer Wirtschaft (z.B. die Schönheit ihrer Landschaft, ihre Kultur, ihre Musikalität etc.), könnte man zumindest vermuten, dass die Wirtschaft relativ schwächer identitätsstiftend ist, aber nicht, dass ihr jegliche identitätsstiftende Wirkung abgeht. Von ähnlicher Wichtigkeit ist auch der Vergleich mit anderen Ländern. Gerade hier liegt eine der Hauptursachen für die so unterschiedliche Beurteilung von Österreichs Wirtschaft und Wirtschaftsmentalität. Jene Studien, bei denen Österreich schlecht wegkommt, vergleichen Österreich immer mit Deutschland und/oder der Schweiz. Vor allem die Fixierung auf Deutschland als Vergleichsland scheint auch die österreichische Bevölkerung an einer Höherbewertung ihrer Wirtschaft gehindert zu haben, respektive zu hindern. Man starrte lange Zeit gebannt auf das Wirtschaftswunder der Deutschen, ohne das eigene wahrzunehmen. Oder wie es Manfred Prisching formulierte: „Wirtschaftswunder das war Deutschland. Vergangenheitskultur - das war Österreich. Man hielt die Deutschen für tüchtig und sich selbst für kultiviert. Man rümpfte über sie die Nase, als sie auf den für sie erfundenen Tourismuszauber hereinfielen, aber man buckelte vor der imposanten Kaufkraft der Gäste." 29 Wie gesagt, es ist eben alles relativ: Im Vergleich zu den Deutschen hielten sich die Österreicherinnen für das Land der Vergangenheitskultur und ihre Wirtschaft für unbedeutend. 30 Und da die österreichische Nationsbildung sich als eine Emanzipation vom wirtschaftlich potenteren Deutschland vollzog, konnte die potenziell identitätsstiftende Kraft der österreichischen Wirtschaft offenbar nicht jene Rolle spielen, die ihr wahrscheinlich zugefallen wäre, hätte es sich bei Deutschland um das wirtschaftlich schwächere Land gehandelt. Das soll aber - wie schon betont - nicht heißen, dass der Wirtschaft jegliche identitätsbildende Wirkung abging. Nun zu Faktor zwei, dem Faktor Zeit: Sie spielt bei der Frage nach der Wechselwirkung von Wirtschaft und Mentalität eine fundamentale Rolle. Die Wirtschaft verändert sich rasend schnell und die Meinungen über sie scheinen dieser Dynamik Rechnung zu tragen. Zeigten sich die Österreicherinnen z.B. im August 1991 zu 46% stolz auf die Leistungsfähigkeit ihrer Wirtschaft, waren es im Dezember 1999 gerade einmal 29%. 31 Derart große Schwankungen traten bei den wenigsten der anderen untersuchten Objekte des österreichischen Stolzes auf. Ziemlich konstante Werte wiesen in denselben Erhebungen u.a. die landschaftliche Schönheit, die hohe soziale Sicherheit, die Neutralität, Traditi-

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on und Brauchtum sowie die Umweltqualität auf. Dies sollte misstrauisch stimmen bezüglich Umfragewerten über den Stolz der Österreicherinnen auf ihre Wirtschaft. Die Stimmung wechselt offenbar rasch gemäß der gerade vorherrschenden ökonomischen und politischen Großwetterlage, und je nachdem werden andere „Bruchstücke" aus der österreichischen Wirtschaftsgeschichte aus den Tiefen des kollektiven Gedächtnisses an die Oberfläche getragen. Um die Herkunft dieser „Bruchstücke" soll es im Folgenden gehen. Dabei wollen wir drei zeitliche Ebenen ökonomischer Trends unterscheiden, die das kollektive Gedächtnis beeinflussen: Langfristige Trends (z.B. Wirtschaftsethik, Wirtschaftsstruktur); mittelfristige Trends (z.B. politökonomische Rahmenbedingungen, soziale Strömungen); kurzfristige Trends (z.B. saisonale Konjunkturschwankungen, einmalige Werbefeldzüge einzelner Unternehmen). Beeinflussung des kollektiven Gedächtnisses durch langfristige Trends (Wirtschaftsmentalität und Wirtschaftsstruktur) Als Kristallisationskern der österreichischen Mentalitätsbildung, die sich auf Wirtschaft und Wirtschaftsmentalität durchschlug, ist die Gegenreformation anzusehen. 32 Österreich konstituierte sich unter der habsburgischen Herrschaft als Kreuzzugsempire (gegen die Türken nach außen, gegen die Protestanten und Juden nach innen), dessen Zusammenhalt ein einheitlicher Katholizismus gewährleisten sollte. Die Durchsetzung des Katholizismus bedeutete jedoch auch die Durchsetzung der katholischen Wirtschaftsethik. Diese war zwar nicht a priori wirtschaftsfeindlich und wäre im Vergleich zur Wirtschaftsethik anderer Religionen, wie z.B. jener der orthodoxen Kirche, wahrscheinlich sogar als wirtschaftsfreundlich zu bezeichnen; in Relation zum Protestantismus und besonders zu den vom Calvinismus abgeleiteten Strömungen schuf die katholische Kirche indes ein eher anti-ökonomisches Klima: Die mittelalterliche Wucherdoktrin behielt ihre Gültigkeit, während sich die meisten protestantischen Denominationen rasch vom Verbot des Zinsnehmens befreiten. 33 Außerdem schätzte der Katholizismus die Armut als „geistigen Wert": Es müsse Arme geben, damit die Reichen sich durch Almosengeben bewähren könnten. Die Liturgie des Almosengebens war eine große Zeremonie, die Demonstration der Frömmigkeit der Reichen. Dieser Reichtum stand naturgemäß den großen adeligen Herren zu. Dagegen hielt das Misstrauen gegenüber dem Großkaufmann an. Er störte durch seine Reichtumsanhäufung die gottgewollte, „natürliche", ständische Ordnung und wurde verdächtigt, ständig eine der Hauptsünden zu begehen, die Habsucht. Dadurch stand er mit der Hure moralisch auf einer Stufe. 34 Dies stellt das Gegenteil jener Ethik dar, die sich in den USA aus dem Protestantismus herausbildete. Max Weber fasste ihr Hauptziel folgendermaßen: „der Erwerb von Geld und immer mehr Geld, unter strengster Vermeidung alles unbefangenen Genießens, gänzlich aller eudämonistischen oder gar hedonistischen Gesichtspunkte entkleidet, so rein als Selbstzweck gedacht, daß

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es als etwas gegenüber dem ,Glück' oder dem ,Nutzen' des einzelnen Individuums jedenfalls gänzlich Transzendentes und schlechthin Irrationales erscheint." 35 Die katholische Verdammung des Profitstrebens wurde im Österreich des späten 19. Jahrhunderts durch die christlich-soziale Bewegung politisch instrumentalisiert und konnte auf diese Weise bis weit ins 20. Jahrhundert fortwirken: Die heimische Wirtschaftskultur wurde u.a. deshalb in die Bahnen einer organisierten Marktwirtschaft geleitet. Obrigkeitliche Bestimmungen, kartellmäßige Absprachen und soziale Regulierungen sollten die anonymen Kräfte des Marktes in geordnete Bahnen zwingen. Begriffe wie Gemeinschaft und Gesamtwohl spielten in der theoretischen und politischen Reflexion eine zentrale Rolle, Eigennutz und Einzelinteresse erforderten eine gesonderte Rechtfertigung. Nicht zufällig wurde der Begriff „Wettbewerb" in den österreichischen Gesetzen lange Zeit fast ausschließlich pejorativ verwendet, als „planloser" und „ruinöser Wettbewerb" oder als „unzumutbare" und „unzulässige Konkurrenzierung". 36 Hinsichtlich der Wirtschaftsstruktur blieb Österreich ein Eldorado der Kleinbetriebe. Die katholische Kirche stand zwar Großkaufleuten und Bankiers mit Misstrauen gegenüber, schätzte aber die Welt der kleinen Händler und Handwerker, da diese nicht nach immer mehr Gewinn, sondern lediglich nach einem standesgemäßen Einkommen strebten und dadurch die „gottgewollte" Ordnung nicht in Frage stellten. 37 Der politische Katholizismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts forderte dementsprechend entschiedene Staatsinterventionen zugunsten des Gewerbes. Dieser Sonderweg des forcierten Sozialprotektionismus führte dazu, dass in der Phase von 1890 bis 1910 Österreich das einzige von allen industrialisierten Ländern war, in dem der Anteil der Selbstständigen in Industrie und Gewerbe leicht zunahm; überall sonst ging er zurück. 38 Die moderne Massenproduktion konnte - von wenigen Ansätzen wie z.B. der Österreichischen Waffenfabrikgesellschaft (Vorläufer der Steyr-Werke) abgesehen - kaum Fuß fassen. Diese Entwicklung begann wahrscheinlich bereits in der Frühen Neuzeit, als das Zentrum der Weltwirtschaft an den Atlantik (Niederlande und England) abwanderte und Österreich auf die Stufe der Semiperipherie herabsank. Obwohl es zwischendurch immer wieder wirtschaftsliberalere Phasen wie unter Joseph II. gab, verzögerten Perioden eher wirtschaftsfeindlicher Politik (vor allem während der ersten zwei Drittel des 19. Jahrhunderts) 39 ein Aufholen in der Produktionstechnik. Österreich konnte bis zum Ersten Weltkrieg nicht zu den Spitzenreitern der Entwicklung aufschließen. Die mehrmalige Desintegration Österreichs aus einem großen Wirtschaftsraum im 20. Jahrhundert tat ihr Übriges, um Unternehmen, die über die Grenzen der Republik hinaus expandiert hatten (z.B. Julius Meinl in die Länder des späteren Ostblocks), wieder auf das Territorium der Republik zu beschränken. Nach 1945 akzeptierte man die neuen Größenverhältnisse auch im Wirtschaft-

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liehen Denken und produzierte innerhalb eines kleinen, lange Zeit relativ geschützten Marktes. Firmen erreichten unter diesen Vorraussetzungen aber sehr rasch eine „optimale" Unternehmensgröße. Die Expansion ins Ausland erschien als ein Risiko, auf das viele Unternehmer (wie z.B. Billa-Gründer Karl Wlaschek) freiwillig verzichteten. Diese Situation ist vermutlich einer der Gründe für die große Zahl von Klein- und Mittelbetrieben sowie das weitgehende Fehlen von Großbetrieben. 40 Da Kleinbetriebe aber meist nur im näheren Umkreis bekannt sind, könnte sich das Fehlen einer Anzahl bedeutender „Multis", wie sie etwa die Schweiz aufzuweisen hat, im kollektiven Gedächtnis dadurch niederschlagen, dass die Österreicherinnen die heimische Wirtschaft für relativ unbedeutend halten, weil sie mit ihr keine international bekannten Großkonzerne assoziieren. Die Kombination der ethischen Verdammung des Gewinnstrebens mit der Dominanz handwerklicher Produktion machte aus der frühen Republik Österreich in wirtschaftlicher Hinsicht eine „Anti-USA". Hierzulande gewann man lange Zeit kaum Zugang zu neuen, von den Vereinigten Staaten ausgehenden wirtschaftlichen Methoden, während sich Deutschland (primär über die Massenproduktion) und die Schweiz (primär über die Wirtschaftsethik) an die von den USA vorgeführten Modelle annäherten. 41 Die Haltung des ehemaligen Bundeskanzlers Ernst Streeruwitz - als früherer Präsident der Kammer für Handel, Gewerbe und Industrie immerhin ein Mann der Wirtschaft - scheint die österreichische Haltung zu charakterisieren: Er bezeichnete die USA 1931 als ein Land, „wo die Technik die innere Zivilisation als einen Appendix hinter sich herschleift" und geißelte die ausbeuterische Tendenz der US-amerikanischen Methoden sowie ihre ungehemmte spekulative „money-maker-Tendenz".42 Diese innere Abgrenzung dürften auch die US-Amerikaner selber gespürt haben: Noch 1971 hielt der Geschäftsmann John Ney in einem Vergleich der drei deutschsprachigen Länder die Deutschen für das „amerikanisierteste", Österreich jedoch für das am wenigsten „amerikanisierte" Volk Europas.43 Fazit: Wenn also „Wirtschaft" in Österreich identitätsstiftend gewirkt hat, so wahrscheinlich nicht unter den Leitideen von Gewinnmaximierung, Massenproduktion und Marketing, sondern eher im Sinne von Gemeinwirtschaft, Qualitätsarbeit, handwerklicher und technischer Leistung. Einflüsse von mittelfristigen Trends (politökonomische Rahmenbedingungen, soziale Strömungen) auf das kollektive Gedächtnis Neben den langfristigen Trends der Wirtschaftsethik und Wirtschaftsstruktur sind es die mittelfristigen Trends der politökonomischen und geistigen Rahmenbedingungen, welche die Wirtschaft und die Reflexion über sie beeinflussen. Als mögliche Einteilung des an politökonomischen Umbrüchen reichen 20. Jahrhunderts wären folgende Phasen zu berücksichtigen: Erstens die Zeit der Monarchie (bis 1914); zweitens die Zwischenkriegszeit (1918-1938); drit-

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tens die NS-Zeit (1938-1945); viertens Wiederaufbau und Entfaltung der Konsumgesellschaft (1945-1975); fünftens die Krise des österreichischen Wirtschaftssystems (1975-1989) und sechstens Öffnung und Liberalisierung (ab 1989). Die Zeit der Monarchie

(bis

1914)

Obwohl kaum jemand aus der Gegenwart die Zeit der Monarchie miterlebt hat, stellt sie u.a. aufgrund ihrer rückblickenden Verklärung ein wichtiges Reservoir an Erinnerungsbruchstücken für das kollektive Gedächtnis dar. Neben dem „Wiederaufbau" ab 1950 war das Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg die wirtschaftlich erfolgreichste Zeit Österreichs im 20. Jahrhundert. Damit leistete die Wirtschaft einen zusätzlichen, meist nicht bewusst wahrgenommenen Beitrag zur Mythisierung der Kaiserzeit, um so mehr als in der darauf folgenden Etappe der Zwischenkriegszeit das Bruttosozialprodukt stagnierte. 44 In punkto Unternehmenskultur erwies sich die Zeit der Monarchie besonders langlebig: Als in den Zwanziger- und Dreißigerjahren vor allem in den USA die „rationale" Unternehmensführung Eingang fand, wurden im krisengeschüttelten Österreich kaum neue Unternehmen gegründet und für die bereits bestehenden gab es nur wenig Anreiz, sich mit den neuen amerikanischen Methoden zu beschäftigen. Erst der Boom nach dem Zweiten Weltkrieg führte wieder zu einer regen Gründertätigkeit. Für die Zweite Republik bedeutete dies eine Spaltung der österreichischen Unternehmenskulturen in zwei Gruppen: Einerseits in eine wachsende Anzahl von erfolgreichen, nach 1945 entstandenen Klein- und Mittelbetrieben, die nicht nur technisch, sondern auch organisatorisch modern waren, d. h. an einem in den westlichen Industriestaaten gängigen Leistungsbegriff orientiert, und andererseits in einen relativ hohen Anteil von patriarchalisch geführten Familienunternehmen, deren Gründung aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg datierte und in denen somit ein Stück Monarchie weiterlebte. Die Zwischenkriegszeit

(1918-1938)

Österreich wurde 1918 vom integralen Bestandteil eines quasi-autarken ökonomischen Großreiches zu einem Kleinstaat, dessen Industrie sich über Nacht dem scharfen Wind der internationalen Konkurrenz ausgesetzt sah. Dem Außenhandel, in der Monarchie eine quantite negligeable, kam von nun an entscheidende Bedeutung zu.45 Dementsprechend versuchte man in den 1920erJahren von Wien aus - als ehemaligem Zentrum - mit einer eher liberalen Wirtschaftspolitik die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den übrigen Nachfolgestaaten aufrechtzuhalten. Zusätzlich führte die Nichtbewältigung der Inflation zu einer Sanierung durch den Völkerbund (Genfer Anleihe 1922). Das Finanzkomitee des Völkerbundes gewann direkten Einfluss auf die österreichische Wirtschaftspolitik und richtete sie nach wirtschaftsliberalen Grundsätzen aus

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(stabile Währung, ausgeglichenes Budget, etc.). In einem konfliktreichen Gegensatz stand dieser liberale wirtschaftspolitische Ansatz zur gleichzeitigen Erstarkung der Arbeiterbewegung und der gesetzlichen Verankerung ihrer Errungenschaften in der ersten Nachkriegszeit (Kollektivvertrag, Sozialgesetze). Die österreichische Wirtschaftskultur, sowohl der staatlichen Wirtschaftspolitik als auch des Verhältnisses der Sozialpartner in den Unternehmen selbst, war in dieser Zeit daher eine des Konfliktes. Die Diskussionen um die ökonomische „Nichtlebensfähigkeit", um zu hohe Löhne bzw. soziale Lasten und um den Budgetausgleich waren Ausdruck dieser Problemlage und dürften nicht dazu beigetragen haben, die österreichische Wirtschaft als integrative Kraft im kollektiven Gedächtnis zu verankern. Die Weltwirtschaftskrise nach 1929 tat ihr Übriges. Der Staat betätigte sich ungewollt und unbeholfen im Krisenmanagement. Die Unternehmenszusammenbrüche im Bereich von Banken und Versicherungen hinterließen deutliche Spuren. Der Einfluss der Arbeiterbewegung ging durch die hohe Arbeitslosigkeit deutlich zurück. Arbeit wurde zum Privileg und die Disziplinierung in den Unternehmen verschärfte sich. Als Antwort versuchte der Ständestaat eine Versöhnung zwischen Wirtschaftsliberalismus und Interventionismus bei gleichzeitiger Ausschaltung der Arbeiterbewegung. Auf der einen Seite setzte man vor allem im Finanzbereich und in der Budgetpolitik die Linie der 1920er-Jahre fort, auf der anderen Seite wurde mit Gewerbeordnung, Marktordnung in der Landwirtschaft, Devisenund Außenhandelsbewirtschaftung massiv in die Wirtschaft eingegriffen. Die Errichtung des Gewerkschaftsbundes und der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft legten die Grundlagen für die zentralistische Wirtschaftspolitik der Nachkriegszeit. Ideologisch war der Ständestaat durchaus bemüht, der Wirtschaft eine integrative Funktion für Österreich zukommen zu lassen; aber eben nicht einer modernen, gewinnorientierten Wirtschaft, sondern einer rückschrittlich berufständischen. Ein Zitat aus einem zeitgenössischen Buch für Mittelschullehrer: „Wirtschaft, Gesellschaft und Staat des neuen Österreich sind durch den berufständischen Gedanken zu einer großen, in sich geschlossenen Einheit verbunden, vor allem Wirtschaft und Gesamtgesellschaft. Die Idee des berufsständischen Aufbaues knüpft, wie schon gezeigt, bewusst an altes Erbgut des deutschen Katholizismus an, an die alte ständische Wirtschaftsorganisation des Mittelstandes und die Ständetradition der Romantik [..,]"46 Der Ständestaat begeisterte sich an der traditionellen katholischen Wirtschaftsethik und der handwerklichen Produktionsweise. Gleichzeitig wollte er - mit einer gewissen Ambivalenz, aber doch - ein gegenüber Deutschland eigenständiges österreichisches Nationalbewusstsein schaffen. Diese Kombination von Strategien dürfte eine Konnotation von „Österreich" und „Wirtschaft" im modernen Sinn weiter erschwert und verzögert haben. Der ökonomische Misserfolg des ständestaatlichen Regimes musste außerdem der breiten Bevölkerung den Schluss nahe legen, dass wirtschaftlicher Erfolg nicht „Öster-

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reich", sondern - wie damals viele glaubten - „Deutschland" bzw. „Drittes Reich" heiße. 47

Die NS-Zeit

(1938-1945)

Der wirtschaftliche Aufschwung nach dem „Anschluss" 1938 stand denn auch in krassem Gegensatz zu der Entwicklung Österreichs in der Zwischenkriegszeit. Die rasche - wenngleich unvollständige - Integration in den Großraum des Deutschen Reiches brachte Produktivitätssteigerungen und eine Modernisierung des österreichischen Produktionsapparates. Durch positive Maßnahmen (Investitionen) wie negative Maßnahmen (Schließung von „arisierten" Betrieben, etc.) erzwang das „Dritte Reich" eine Strukturverbesserung in vielen Bereichen. So wurde in Ausrichtung auf den „großgermanischen" Wirtschaftsraum die bisher vernachlässigte großbetriebliche Produktionsweise forciert. Die Zahl der Betriebe mit mehr als 1.000 Beschäftigten stieg zwischen 1930 und 1948 um rund 50%, die Zahl der in Großbetrieben beschäftigten Arbeitskräfte um ca. 80%. 48 Im NS-Staat war das liberale Wirtschaftsmodell völlig diskreditiert, allerdings ging die Wirtschaftskultur des Deutschen Reiches weit über das österreichische Modell, auch jenes des Ständestaates, hinaus. Staatsintervention wurde zur Befehlswirtschaft, das patriarchalische zum autoritären Führungsmodell, das Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer behördlich reguliert, der Vorrang der Politik vor der Wirtschaft festgeschrieben. Die „faschistische Erfahrung" war aber grundlegend für die österreichische Wirtschaftskultur nach 1945: nicht nur aufgrund des viel diskutierten Modernisierungsschubs in der NS-Zeit, sondern auch durch die Einsicht, dass die autoritäre Lösung des „Klassenkonflikts" durch die Unterdrückung der Arbeitnehmerseite kein gangbarer Weg war.

Wiederaußau

und Enfaltung der Konsumgesellschaft

(1945-1975)

Das Jahr 1945 stellt zwar nicht jene vielbeschworene Stunde Null dar, mit der man sich von der gesamten Vergangenheit abkoppeln konnte. So kamen z.B. die führenden politischen und wirtschaftlichen Persönlichkeiten zwangsläufig aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Ebenso mussten planwirtschaftliche Maßnahmen für den Wiederaufbau zunächst weitergeführt werden. Dennoch markieren das Kriegsende und das damit einhergehende Wiedererstehen der Republik Österreich sowohl in politischer und ökonomischer Hinsicht als auch in der Wirtschaftsmentalität einen Wendepunkt. Aufgrund von Lernprozessen aus den vorangegangenen Katastrophen und unter dem Druck der praktischen Wiederaufbauprobleme entwickelte sich eine die Zweite Republik lange Zeit dominierende Konsensmentalität. Sie fand ihren Ausdruck in der Großen Ko-

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alition und in der Sozialpartnerschaft, der in Österreich besonders ausgeprägten korporatistischen Kooperation zwischen den sozialen Gruppen unter Beihilfe und Förderung durch den Staat.49 Auch die Wirtschaftsstruktur der Zweiten Republik wies gravierende Unterschiede zur Ersten Republik auf: 1946 wurden die wichtigsten Banken (Creditanstalt-Bankverein, Länderbank und Österreichisches Creditinstitut, indirekt damit auch deren Industriekonzerne) sowie die Grund- und Schwerindustrie verstaatlicht, einerseits um Ansprüchen der Alliierten auf das „Deutsche Eigentum" zu entgehen und andererseits weil es im Inland an Privatkapital mangelte, das als Käufer hätte in Erscheinung treten können. Ausländische Investoren schienen nach der Erfahrung mit deutschen Beteiligungen in der Zwischenkriegszeit keine plausible Alternative. Die SPÖ sah zusätzlich in der Verstaatlichung einen Schritt auf dem Weg zum Sozialismus, aber auch weite Kreise der ÖVP akzeptierten in der schwierigen Nachkriegssituation staats- und gemeinwirtschaftliche Bestrebungen. Die durch den Nationalsozialismus stark ausgebaute Grundstoffindustrie blieb erhalten, trotz vereinzelter Kritik, dass sie für das kleine Österreich zu groß und unpassend sei, und fungierte in der Folge als einer der Wachstumsmotoren des Wirtschaftsaufschwungs. Ende der 1950er-Jahre zählte die Verstaatlichte ca. 130.000 Beschäftigte und war für 30% der österreichischen Exporte verantwortlich. 50 Aus zwei Gründen konnte sich langsam ein günstigeres assoziatives Verhältnis zwischen den Begriffen „Österreich" und „Wirtschaft" etablieren: Erstens verzeichnete das Land seit langem wieder ein kräftiges wirtschaftliches Wachstum und zweitens wurde das erreicht, ohne dass man gewisse als „typisch österreichisch" betrachtete wirtschaftsethische Grundsätze wie die Desavouierung privatwirtschaftlichen Gewinnstrebens aufgegeben hätte. Zur erstgenannten Entwicklung: „Fortschrittsglauben ist kein zentraler Bestandteil der Wirtschaftsmentalität dieses Landes," urteilte Manfred Prisching 1997" - eine Auffassung, der wir uns grundsätzlich anschließen. Aber da man - wie Prisching fortfährt - den Österreicherinnen auch Zukunftsangst nicht pauschal zuschreiben kann, liegt es nahe anzunehmen, dass ihre Meinung kurz- und mittelfristigen Schwankungen entweder zum Optimismus oder zum Pessimismus hin unterliegt. Die Periode von 1945 bis Mitte der Siebzigerjahre kann gerade im wirtschaftlichen Bereich als eine zuversichtliche bezeichnet werden. Am Anfang, als man vor den Trümmern des Zweiten Weltkriegs stand und Österreich zu den ärmsten Ländern Europas zählte, handelte es sich um reinen Zweckoptimismus, aber es war verbal eben schon Optimismus. 1946 schrieb Handelsminister Eduard Heini: „Der Wiederaufstieg Österreichs wird in entscheidendem Maße davon abhängen, ob die Wirtschaft imstande sein wird, unserem Lande jene notwendigen Impulse zu verleihen, um österreichischer Arbeit und österreichischer Qualitätserzeugung in der Welt wieder die alte Anerkennung zu verschaffen. Das Ergebnis einjähriger Arbeit läßt uns heute mit Vertrauen in die Zukunft blicken [...]"52

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Derartige Bekundungen des wirtschaftlichen Überlebenswillens sind Legion. Sie drücken u.a. jenen Zweckoptimismus aus, dass es Österreich jetzt wirtschaftlich allein, ohne den „großen Bruder" Deutschland schaffen musste. Die Wirtschaftsentwicklung gab auch bald Grund zu Hoffnung. Nach einer kurzen Stabilisierungskrise 1952/53 setzte in der zweiten Hälfte der Fünfzigerjahre ein weitgehend ungebremstes Wachstum mit jährlichen Raten von sieben bis acht Prozent ein, die in Europa nur von Westdeutschland übertroffen wurden. 53 Gibt man sich in Krisenzeiten zweckoptimistisch, ist es schwer, pessimistisch zu sein, wenn der ersehnte Aufschwung tatsächlich eintritt; und da in den Sechzigerjahren das Zukunftsvertrauen in den westlichen Industriestaaten bereits entfaltet war, drang der technokratisch-fortschrittliche Zeitgeist auch nach und nach in die österreichischen Provinzen vor.54 Wohl zum ersten Mal in der Geschichte ließ sich ein „Mythos Österreich" aus vorwiegend wirtschaftlichtechnischen Elementen zusammenbauen, aus der Großglocknerstraße, dem Kraftwerk Kaprun, der VOEST, dem LD-Verfahren und der Europabrücke zum Beispiel. Die eigenen wirtschaftlichen Erfolge konnten die Minderwertigkeitsgefühle gegenüber Deutschland zwar nicht ausräumen, da der große Nachbar sowohl in punkto absoluter Wirtschaftskraft als auch von seinem Wachstum her das europäische Wirtschaftswunderland Nummer eins blieb. Aber dieser Komplex wurde in Relation zur Zwischenkriegszeit um einiges gemildert: Die technischen Wunderwerke in Österreich bewiesen, dass man „mithalten" konnte, dass man doch zu etwas fähig war.55 Die österreichische Wirtschaft trug daher wesentlich zur Entwicklung eines eigenständigen österreichischen Nationalbewusstseins bei. Zur Bedeutung von Sozialpartnerschaft und „österreichischem Modell": Großkapitalisten (multinationale Unternehmen, Großindustrielle oder private Großbanken) gab es 1945 nach den vorangegangenen Wirren in Österreich kaum mehr. Dem „Klassenkampf" war in gewissem Sinn der Gegner verloren gegangen. Einer gut organisierten Arbeiterschaft standen die durch Zwangsmitgliedschaft ebenso gut organisierten Klein- und Mittelbetriebe gegenüber. Aufgrund der gleichzeitigen engen Verflechtung beider Seiten mit den Großparteien regulierten Arbeitnehmer und Arbeitgeber sozialpartnerschaftlich die Märkte, wobei erstere eher auf dem Arbeitsmarkt und letztere vor allem auf den Gütermärkten ihre wettbewerbs-eindämmenden Ziele durchsetzen konnten. Der Motor des Konjunkturaufschwungs war die verstaatlichte Industrie, die keineswegs nach kapitalistischen, sondern nach gemeinwirtschaftlichen Grundsätzen geführt wurde und z.B. die heimischen Metallverarbeiter zu Preisen unterhalb des Weltmarktes belieferte. Die mögliche Schlussfolgerung: Es schien ein „österreichisches Modell" der Wirtschaft zwischen Kapitalismus und Sozialismus zu geben. Eine erfolgreiche Wirtschaft musste offenbar nicht auf dem profitorientierten „amerikanischen Modell" beruhen, das man mit Argwohn betrachtete, sondern ließ sich auch auf der Grundlage traditioneller österreichischer Werte begründen, die dem individuellen Gewinnstreben skeptisch gegenüber-

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standen. Dies erleichterte eine positive Bewertung der Wirtschaft im kollektiven Gedächtnis.

Krise des österreichischen

Wirtschaftssystems

(1975-1989)

In den späten Siebzigerjahren und der folgenden Dekade dominierten wieder eher wirtschaftskritische Haltungen. Im Gefolge der Studentenrevolten des Jahres 1968 waren die Friedens- und Alternativbewegung, die Anti-Atomkraftund die Frauenbewegung entstanden. 5 6 Die Sympathisantinnen solcher Strömungen kritisierten die Fortschrittssymbole Nachkriegsösterreichs: Die Brennerautobahn hatte bislang den erfolgreichen Aufbau eines modernen Straßennetzes repräsentiert, nun assoziierte man sie vor allem mit der Transitbelastung. Die Schlote der VOEST waren nicht mehr das Wahrzeichen der industriellen Leistungsfähigkeit, sondern die Luftverschmutzer von Linz. Kaprun symbolisierte plötzlich nicht mehr die Verfügbarkeit von Energie, sondern die Gefährdung der Alpen. Als Markierung des Wendepunkts mag man die 1978 durchgeführte Abstimmung über das bereits fertig gebaute Atomkraftwerk Zwentendorf ansehen, das aufgrund der Ablehnung durch die Bevölkerung nicht in Betrieb genommen wurde. 57 Seit Beginn der Siebzigerjahre gestaltete sich auch die internationale Wirtschaftslage zunehmend schwieriger und stellte das „österreichische Modell" auf den Prüfstand. Bundeskanzler Bruno Kreisky und seine SPÖ sahen sich als die Retter und Vollender des heimischen Sonderweges zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Ihre Rechnung schien zunächst aufzugehen: Durch eine Mischung aus expansiver Budgetpolitik, Hartwährungspolitik, Einkommenspolitik, Arbeitszeitverkürzung sowie einer Ausweitung des öffentlichen Sektors meisterte Österreich die auf den ersten Ölschock von 1973 folgende Rezession besser als die meisten anderen westlichen Länder. Die „Insel der Seligen" und der so genannte „Austro-Keynesianismus" wurden kurzfristig zum Vorbild. Doch langfristig betrachtet destabilisierte die Wirtschaftspolitik der Kreisky-Ära den „österreichischen Sonderweg": Einerseits setzte die Öffnung des Binnenmarktes (Assoziationsvertrag mit der EG 1972) die heimische Wirtschaft stärker dem internationalen Wettbewerb aus und zwang damit die Unternehmen, immer gewinnorientierter und damit jenen anderer westlicher Industrieländer immer ähnlicher zu werden. Die Arbeitsplatzpolitik der Verstaatlichten half zwar kurzfristig die Arbeitslosigkeit niedrig zu halten, jedoch um den Preis, dass notwendige Anpassungsmaßnahmen immer wieder verschoben wurden. Mitte der Achtzigerjahre kollabierte die Verstaatlichte. Für all jene, die an einen „österreichischen Sonderweg" geglaubt hatten, musste der Zusammenbruch der verstaatlichten Industrie wie ein Schock wirken. Für viele dürften daher - zumindest im Unterbewusstsein - die Begriffe „Österreich" und „Wirtschaft" wieder einen gegensätzlichen Charakter erhalten haben.

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Öffnung und Liberalisierung

Oliver Kühschelm - Andre Pfoertner

(ab 1989)

Die Privatisierung der Verstaatlichten ab 1987, die Ostöffnung 1989 und die Mitgliedschaft in der Europäischen Union 1995 trieben die Anpassung an westeuropäische Standards voran. Die Kommunikationsrevolution und die damit verbundene Globalisierung setzten die heimische Wirtschaft noch stärker dem scharfen Wind des Weltmarktes aus. Die Beteiligung am Euro legte zusätzlich neo-liberale Grundsätze für die österreichische Wirtschaftspolitik fest. Damit scheint heute der Traum vom österreichischen Sonderweg endgültig Vergangenheit (Prisching spricht von „Entaustrifizierung" 58 ) und auch die Wirtschaftsethik, die wir hier ja als langfristige Konstante geschildert haben, unterliegt einem langsamen, aber doch stetigen Wandel hin zu mehr Liberalismus und einer Aufwertung des individualistischen Gewinnstrebens. Wie sich dies auf das Verhältnis der Österreicherinnen zu ihrer Wirtschaft auswirken wird, bleibt abzuwarten.

Kurzfristige Trends Der Vollständigkeit halber sei auch in wenigen Worten ausgeführt, wie kurzfristige Trends das kollektive Gedächtnis beeinflussen. Gerade in Bereichen, die so dynamisch sind wie die Wirtschaft, könnten sie längerfristige Entwicklungen im kollektiven Gedächtnis sogar derart stark überlagern, dass Umfrageergebnisse eher die kurzfristigen Schwankungen widerspiegeln als Informationen über längerfristige Einstellungen vermitteln. Ein banales, aber plausibles Beispiel hierfür wäre die Hypothese: Ist die Stimmung bezüglich der Wirtschaftslage positiv, sind die Leute stolz auf ihre Wirtschaft; ist sie negativ, sind sie weniger stolz. Solange man also nicht genau weiß, ob es sich bei Abweichungen von Umfrageergebnissen um kurzfristige Schwankungen oder längerfristige Entwicklungen handelt - und dies könnte man nur herausfinden, indem man die Erhebung in regelmäßigen Abständen (z.B. jedes Jahr) wiederholt - scheint es unzulässig, aus derartigen Schwankungen längerfristige Bewegungen ableiten zu wollen. Natürlich unterliegen auch die Einzelfälle auf der Mikroebene und ihre Resonanz im kollektiven Gedächtnis derartigen kurzfristigen Schwankungen. So kann sich z.B. ein Unternehmen durch eine einmalige Werbekampagne bei den Österreicherinnen kurzfristig ins Gedächtnis rufen. Dadurch entsteht auf der Makroebene aufgrund des hohen Aggregationsgrades ein zusätzliches Problem, und zwar eines der Zuordnung. Nehmen wir z.B. an, dass zum Zeitpunkt einer Umfrage über den Stolz der Österreicherinnen auf ihre Wirtschaft im Jahre 1990 gerade die OMV eine Werbekampagne durchgeführt hat, während zum Zeitpunkt einer anderen hypothetischen Untersuchung von 1995 Swarovski besonders umtriebig war. Das könnte dazu führen, dass die Auskunftspersonen unter österreichischer Wirtschaft 1990 relativ mehr die OMV assoziieren, 1995

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hingegen eher Swarovski; und je nachdem, wie die Mehrheit der Befragten zu den beiden Unternehmen steht, fällt der kundgegebene Stolz auf die heimische Wirtschaft relativ größer oder kleiner aus. Dieses Zuordnungsdilemma führt eines drastisch vor Augen: So wichtig - und häufig auch so plausibel - Analysen auf Makroebene sind, so notwendig sind Einzelstudien. Wenn man die identitätsbildende Kraft der österreichischen Wirtschaft untersuchen will, muss man feststellen, welche Einzelelemente es denn sind, die identitätsbildend gewirkt haben könnten.

Konsum und österreichische Identität Als nachfrageorientiertes Gegenstück unserer angebotslastigen Reflexion über den Zusammenhang von „Wirtschaft" und „Österreich" soll in einem letzten Abschnitt die Frage nach dem Beitrag des Konsums zur Herausbildung einer nationalen Identität angeschnitten werden. Sowohl der Gebrauch von Gütern als auch dessen symbolische Dimensionen nehmen in allen menschlichen Gesellschaften einen zentralen Platz ein. Insofern könnte man alle als Konsumgesellschaften bezeichnen - um den Preis freilich, dass der Begriff seine Trennschärfe verlieren würde. In vormodernen Kontexten betrieben die Menschen überwiegend Subsistenzwirtschaft, durch Geld vermittelte Tauschbeziehungen spielten für sie eine geringe Rolle. Knappheit von Gütern war eine Konstante, sie in großen Quantitäten und in hoher Qualität zu besitzen ein auf die Oberschichten beschränktes Phänomen. Noch im frühen 20. Jahrhundert konnten Arbeiterinnen oft gerade das Gewand, das sie am Leibe trugen, ihr eigen nennen. Die voll entfaltete consumer society charakterisiert sich hingegen dadurch, dass durchschnittliche Privathaushalte mit großer Selbstverständlichkeit über Tausende von Gütern verfügen. Das setzt einen hohen Industrialisierungsgrad und einen relativ breit verteilten Wohlstand voraus. Marktbeziehungen strukturieren nun (fast) alle Lebensbereiche. Der Alltag ist über weite Strecken durch Konsum geprägt, und zwar nicht nur im unspezifischen Sinn des Verbrauchens, sondern als Marktentnahme durch Kauf. Auf diese Weise befriedigen die Menschen einen großen Teil ihrer sozialen Bedürfnisse und Sehnsüchte. Damit massenhaft erzeugte und standardisierte Konsumgüter diese Aufgabe erfüllen können, muss die Produktkommunikation eine neue Intensität erreichen: Sie nimmt nicht nur die Dienste von Medien in Anspruch, die Produkte selbst werden zu Medien, die eine Vielzahl von Botschaften transportieren. 59 Der Verweis auf den instrumentellen Grundnutzen tritt dabei hinter die Inszenierung von Anmutungsleistungen zurück. 60 Die allmähliche Transformation der westeuropäischen Gesellschaften zu Konsumgesellschaften setzte im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ein. 6 ' Gasbeleuchtung, Elektrizität, Fahrrad, Automobil, Schreibmaschine, Telefon sind nur einige markante Erfindungen, die als Massenprodukte den Alltag zu erobern begannen. Obgleich viele der neuen langlebigen Konsumgüter zunächst nur für

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die Oberschicht erschwinglich waren, machte der kräftige wirtschaftliche Aufschwung, den das Habsburgerreich um die Jahrhundertwende verzeichnete, auch hierzulande erstmals breiten Schichten die Früchte der industriellen Revolution zugänglich. 62 Kaffee, Zigaretten, Schokolade und andere Genussmittel rückten in Reichweite. 6 3 Ab welchem Zeitpunkt können wir aber von voll ausgebildeten Konsumgesellschaften sprechen? Die anhaltend gute Konjunktur nach dem Zweiten Weltkrieg, in Deutschland und Österreich als „Wirtschaftswunder" gefeiert, schuf die materiellen Grundlagen. Nun verfügten auch die Arbeiterinnen mehrheitlich über ein Einkommen, das nicht durch die Deckung von Grundbedürfnissen in ihrer elementarsten Form aufgezehrt wurde. Sie konnten sich daher regelmäßig einen darüber hinausgehenden Konsum erlauben. Sie leisteten sich außerdem zunehmend auch langlebige Güter wie den Fernsehapparat und das Auto oder kostspielige Vergnügungen wie z.B. Reisen. Die Entwicklung kulminierte ab den Sechzigerjahren in einer „Konsumrevolution". Sie beseitigte letzte Barrieren in den Köpfen der Menschen, deren dringendstes Problem nicht mehr die Knappheit von Gütern darstellte. Ihr Leben konnten sie nun verstärkt auf das Konsumerlebnis orientieren; 64 im Sinne einer vollen Nutzung der neuen Möglichkeiten mussten aber alte Denk- und Verhaltensmuster abgeschüttelt werden. Das Aufbegehren von Teilen der Gesellschaft, vor allem der Jüngeren, oft unter dem Stichwort der 68er-Generation zusammengefasst, fügt sich in dieses Bild gerade aufgrund der Provokationen gegen das „Establishment". Der Sozialphilosoph Panajotis Kondylis schreibt dazu: „Indem die Kulturrevolution in der selbstgefälligen Gestalt des Bürgerschrecks auftrat, erweckte sie bei vielen den Eindruck, sie könnte den Sturz des ,Systems' herbeiführen. In Wirklichkeit war sie keine Revolution, wenn wir damit die Ablösung einer Gesellschaftsformation oder einer Herrschaftsform durch eine andere meinen, sondern eine Anpassungsbewegung auf dem Weg zur reifen M a s s e n d e m o k r a t i e . " 6 5 Die Kulturrevolution der Sechziger- und Siebzigerjahre entsprach mit ihrer Forderung nach Selbstverwirklichung der Notwendigkeit, sich von einer Ethik zu lösen, die Disziplin, Selbstüberwindung und Maßhalten ins Zentrum stellte. Die an diesen Werten orientierte Lebensform passte nicht mehr zu kapitalistischen Gesellschaften, die ihre bürgerliche Entwicklungsphase überwunden hatten. Die zeitgenössische Form des Konsums zeichnet sich durch eine erlebnisortientierte Grundhaltung aus, die in deutlichem Kontrast zu einer Ökonomie der Genügsamkeit steht. Ihre Logik dringt in alle Bereiche der postmodernen Gesellschaften ein. Von konservativen Geistern bedauert, macht sie vor den brüchig gewordenen Mauern der Privatheit nicht halt, verändert Familienstrukturen wie Sexualverhalten. Alte bürgerliche Werte können heute weder uneingeschränkte Gültigkeit beanspruchen noch sind sie unumstrittenes Ideal, sondern sie stellen sich nur noch als eine Option in einem immer breiter gefächerten Feld dar. Werte sind selbst Konsumgüter geworden. Da postmoderne westliche Gesellschaften, die idealtypisch die Institution des Marktes, Massen-

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demokratie sowie Prozesse der Entstratifikation und Individualisierung vereinen, 66 durchgängig von Konsumgütern strukturiert werden, trifft auch auf alle Menschen das Etikett Konsumentln zu. Deshalb gehört die Konsumentin zu den wichtigsten sozialen Figuren des 20. Jahrhunderts (und ebenso des gerade begonnenen 21.). 67 Selbst die Anspruchsvollen und vermeintlich Eigensinnigen, die nicht die Angebote der populären Massenkultur akzeptieren wollen oder sie selektiv und widerständig nützen, sind Konsumentinnen, um deren Erfassung als Zielgruppen sich die Produzentinnen von materiellen wie immateriellen Gütern unaufhörlich (aber nicht immer erfolgreich) bemühen. Ein auffälliger Zug der zeitgenössischen Konsumgesellschaften ist die Konfiguration von politischer Partizipation als Konsumakt. Zwischen der Entscheidung für das Angebot einer politischen Partei oder für das eines Versandhauskataloges gibt es in diesem Kontext keinen substanziellen Unterschied. Die Rolle der Staatsbürgerin und der Konsumentin konvergieren im Akt des Wählens - von Regierungen und/oder Produkten. 68 Nicht zufällig war der freie Zugriff auf Westwaren ein wesentliches Element der deutschen Wende 1989/90. Die Bürgerinnen der DDR entschieden sich nicht bloß für das Grundgesetz, sondern auch für die „Produktverfassung" der Bundesrepublik. 6 9 Schon an diesem Beispiel zeigt sich eindrucksvoll, dass Verbrauchsgüter Kristallisationspunkte einer übergreifenden nationalen Kultur werden können. Für die USA galt das bereits in den Zwanzigerjahren. 7 0 Westeuropa zog nach 1945 in dem Maß gleich, in dem sich die Klassengrenzen als durchlässiger erwiesen und ein Lebensstandard, der allen Bürgerinnen/Konsumentinnen offen steht, eine verwirklichbare Utopie schien. Da der gemeinsame Konsum unter diesen Bedingungen eine hohe Bindekraft entfaltet, die eine nationale Komponente aufweist, konnten z.B. Meinl-Kaffee und Atomic-Ski ins kollektive Gedächtnis eindringen, das sie als typisch österreichisch rubriziert. Über die Manner-Schnitte heißt es in einer Ausgabe der „Wiener Zeitung" von 1995, dass sie das „süße Wahrzeichen Wiens" 71 sei. Was sagt uns diese Behauptung? Aufschlussreich sind etymologische Hinweise: Der erste Teil des Kompositums geht auf althochdeutsch „wara" zurück. Dieses Wort bedeutete „Aufmerksamkeit". Das Wahrzeichen, worunter heute meist markante Bauwerke verstanden werden, macht also auf etwas aufmerksam. 7 2 Es ist ein Zeichen von besonderem Gewicht, in seine Etablierung wird viel Anstrengung investiert. Sein besonderer Status impliziert einen breiten Konsens über seine Bedeutung und verlangt nach Kontinuität seines materiellen Trägers. Flüchtigkeit vertrüge sich schlecht mit seinem Anspruch, einen Ort, seine Bewohnerinnen, eine Nation zu symbolisieren. Wer Eiffelturm oder Louvre sagt, muss Paris denken und umgekehrt. Die Verknüpfung ist stabil, darin besteht die Funktion und die privilegierte Stellung des Wahrzeichens. Es ist eben eine Art „Superzeichen". Dass eine Haselnussschnitte ein Wahrzeichen Wiens sein soll, mag überraschen und zunächst als journalistische Übertreibung abgetan werden. Hingegen zweifelt mit Sicherheit niemand daran, dass der Stephansdom, den Manner

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auf den Schnittenpackungen abbildet, diese Rolle spielt. Was hat nun ein Dom von riesigen Ausmaßen, gewidmet der religiösen Erbauung der Gläubigen und auf viele Jahrhunderte Geschichte zurückblickend, mit Schnitten gemein, die uns üblicherweise in handlichen Zehnerpackungen begegnen und allenfalls in kulinarischer Hinsicht erbaulich sind, das aber erst seit einer vergleichsweise kurzen Zeit von ca. hundert Jahren? Als Antwort sei nicht primär auf den durch die Verpackung hergestellten Zusammenhang von Schnitten und Stephansdom verwiesen, sondern schlicht darauf, dass erstere zur Gattung der Markenprodukte zählen. Bei diesen handelt es sich aber ebenfalls um „Superzeichen". 73 Zwar transportieren alle Güter Bedeutungen, doch die Marken stellen sie auf Dauer und erhöhen dadurch die Effizienz der Kommunikation. Marken sind Wahrzeichen des Konsums und als solche keineswegs triviale Erscheinungen in vom Konsum geprägten Gesellschaften. Deshalb ist es nur logisch, dass auch die Nation Markenprodukte als Identifikationsfiguren rekrutiert. Das gilt einerseits umso mehr, wenn sich die Markenprodukte an Symbole anderer Ordnung anhängen, wie das auf die Mannerschnitten zutrifft, auf deren Verpackung man den Stephansdom erblickt. Andererseits ist für die japanischen Touristinnen, die ein bekannter Werbespot von Manner aus den Achtzigerjahren zeigte, auch der Stephansdom schlicht ein Markenprodukt, konsumiert auf einer Reise durch Europa. Aus dieser Perspektive, die immer mehr zu universaler Geltung drängt, unterscheidet sich der Sakralbau im Zentrum Wiens von den Schnitten nur mehr dadurch, dass er religiöse und geschichtliche Bedeutungen einbringt, die nicht dem Kontext der Konsumgesellschaft entstammen. Die Süßigkeit der Firma Manner lässt sich hingegen außerhalb dieses gesellschaftlichen Zusammenhangs nicht verstehen. Sie wurde nicht sekundär zum Konsumgut umgeformt, sondern schon als solches geboren. Die genuinen Wahrzeichen unserer Zeit sind daher solche Markenprodukte. Das Auto sei „das genaue Äquivalent der großen gothischen Kathedralen", meinte Roland Barthes 74 - das gilt in einem bestimmten Sinn auch für die Manner-Schnitten. Wahrzeichen geben Orientierung. Den Eiffelturm, die Tower-Bridge, den Hradschin, den Stephansdom und das Riesenrad sieht man von weitem. Es handelt sich um mächtige Bauwerke, oft hoch aufragend oder auf einer Anhöhe gelegen. Sie sind aber nicht nur im buchstäblichen Sinne Wegweiser, sondern auch im übertragenen. Der Sakralbau zeigt den Gläubigen die Richtung an, Versailles oder Schönbrunn den Untertaninnen, und eine markante Stahlkonstruktion wie der Eiffelturm schwört auf den Fortschrittsglauben ein. Marken erfüllen als „Superzeichen" dieselbe Aufgabe: In der unübersichtlichen Vielfalt von kulturellen Artefakten, die eine Industriegesellschaft herstellt, schaffen sie Orientierungssicherheit, sowohl in funktionaler wie in symbolischer Hinsicht. Die Waschmittelmarke garantiert weiße Wäsche, so lautet zumindest ihr Anspruch, von dem sich die konkrete Erfahrung der Konsumentinnen mit dem Produkt nicht allzu drastisch unterscheiden darf. Selbst das Waschmittel, einer Produktkategorie ohne jeglichem Glamour angehörend, verspricht aber nicht

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nur Funktionalität, sondern operiert mit einem symbolischen Mehrwert. „Ariel wäscht nicht nur sauber, sondern rein", verkündete ein erfolgreicher Slogan, der belegt, dass z.B. Konzepte wie moralische Reinheit, die mit der Einhaltung von penibler Hygiene verknüpft wird, eine wesentliche Rolle spielen. 75 So orientiert uns die Marke auch hinsichtlich der gesellschaftlich erwünschten Werte, ganz wie Stephansdom und Eiffelturm. Indem Marken verlässlich bestimmte Bedeutungen transportieren, bieten sie sich den Konsumentinnen als Medien zur Schaffung von intersubjektiven Verbindlichkeiten an. Alte Ordnungsstrukturen wie Familie, Schule, Dorfgemeinschaft, etc. haben in unseren westlichen Gesellschaften erheblich an Kraft verloren. Marken gewinnen deshalb an Gewicht als Mittel zum Ausdruck von Identität und Differenz. Sie dienen dadurch der Bildung von überschaubaren Gruppen und helfen auch, imaginierte Gemeinschaften zu konstruieren, die jenseits der Ebene eines konkreten zwischenmenschlichen Kontakts liegen. Das wird durch die bemerkenswerte Resonanz bewiesen, auf die erst kürzlich das Buch „Wickie, Slime und Paiper" 76 stieß. Die Konfrontation mit der in den Siebzigerjahren verfügbaren Warenwelt weckt offenbar bei jenen, die in dieser Zeit aufwuchsen, Erinnerungen an ihre Kindheit. Eine Palette von Konsumgütern fungiert als Gedächtnisort einer Generation - einer Generation von Österreicherinnen. Denn trotz der Intemationalität vieler Waren stand ihr Konsum oft in einem nationalen Bezugsrahmen: Das „Hitpanorama", zusammengestellt von Jaroslav Fiala, bediente sich zwar aus dem Fundus internationaler Popmusik, konnte aber dennoch nur innerhalb der Grenzen des Sendebereichs von 0 3 empfangen werden. Obwohl der Nationalstaat zu jenen Ordnungsstrukturen gehört, die im Zuge der Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur immer deutlicher ausgehöhlt werden, steckt er bis in die Gegenwart - und sicher auch noch in absehbarer Zukunft - Konsumräume ab. Die Markenprodukte, die innerhalb dieses nationalen Raums produziert und konsumiert werden, erfüllen ihn mit Leben, und zwar um einiges wirkungsvoller als manche traditionelle Herrschaftszeichen wie Hymnen oder Fahnen.

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Holger Rust, Image 1997, in: Goldener Trend 1997, 102-107. Reinhard Christi, Österreichs bekannteste Marken, in: Format 2002, Nr. 41, 8 0 - 8 3 . Als brauchbare Einführungen aus der inzwischen überbordenden Literatur vgl.: Kulturwissenschaften, Beiträge zur historischen Sozialkunde, Sondernummer 1999; Christina Lutter und Markus Reisenleitner, Cultural Studies. Eine Einführung, Wien 1998; Simon During, The Cultural Studies Reader, London 1993. Ute Daniel, Clio unter Kulturschock. Zu den aktuellen Debatten der Geschichtswissenschaft, in: Kulturwissenschaften, 7 - 2 2 , hier 7; eine längere Fassung des Beitrages in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 48 (1997), Heft 4, 1 9 5 - 2 1 9 u. Heft 5/6, 2 5 9 - 2 7 8 . Lynn Hunt, Geschichte jenseits von Gesellschaftstheorie, in: Geschichte schreiben in der Postmoderne. Beiträge zur aktuellen Diskussion, hg. von Christoph Conrad und Martina Kessel, Stuttgart 1994, 9 8 - 1 2 2 , hier 117 f. Pierre Nora, Comment ecrire l'histoire de France?, in: Les Lieux de Memoire III. Les Frances 1, Conflits et Partages, hg. von dems., Paris 1992,20; ins Deutsche übertragen lautet das Zitat:

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„jede Bedeutungseinheit, ob materieller oder ideeller Gestalt, die der Wille der Menschen oder die Arbeit der Zeit zu einem Symbolelement des Gedächtniserbes einer beliebigen Gemeinschaft gemacht hat" (Übersetzung O . K . ) . Ernst Langthaler, Gedächtnisgeschichte: Positionen, Probleme, Perspektiven, in: Kulturwissenschaften, 3 0 - 4 5 , hier 32. Maurice Halbwachs, Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen, Frankfurt/Main 1985, 390. Nora, Comment ecrire l'histoire, 24 f.: „Nicht die Ereignisse an sich, sondern ihre Konstruktion in der Zeit, die Tilgung und das Wiederauftauchen ihrer Bedeutungen; nicht die Vergangenheit, wie sie sich ereignet hat, sondern ihre dauernden Wiederverwendungen, die Formen ihres Gebrauchs und Missbrauchs, ihre Wirkung auf die folgenden Gegenwarten; nicht die Tradition, sondern die Weise, in der sie sich konstituiert hat und weitergegeben wurde." (Übersetzung O . K . )

Pierre Nora, Geschichte und Gedächtnis, Berlin 1990, 31. ' Ulrich Wyrna, Consumption, Konsum, Konsumgesellschaft. Ein Beitrag zur Begriffsgeschichte, in: Europäische Konsumgeschichte. Zur Gesellschafts- und Kulturgeschichte des Konsums, hg. von Hannes Siegrist, Hartmut Kaelble und Jürgen Kocka, Frankfurt/Main-New York 1997, 7 4 7 - 7 6 2 , hier 760.

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Rainer Gries, Produkte als Medien. Kulturgeschichte der Produktkommunikation in der Bundesrepublik und der D D R , Leipzig 2 0 0 3 , 8 4 - 8 8 . Siehe auch: Lutter und Reisenleitner, Einführung, 7 8 - 8 0 (mit Blick auf die Arbeiten von John Fiske). Toni Pierenkemper, Was kann eine moderne Unternehmensgeschichtsschreibung leisten?, in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte (ZUG) 4 4 (1999), 1 7 - 3 1 , hier 21; eine Monographie zum Thema: derselbe, Unternehmensgeschichte, Stuttgart 2000. Toni Pierenkemper, Sechs Thesen zum gegenwärtigen Stand der deutschen Unternehmensgeschichtsschreibung, in: ZUG 45 (2000), 1 5 8 - 1 6 6 , hier 162. Anne Nieberding und Clemens Wischermann, Unternehmensgeschichte im institutionellen Paradigma, in: ZUG 43 (1998), 3 5 - 4 8 . Georg Schreyögg, Unternehmenskultur: Zur Unternehmenskulturdiskussion in der Betriebswirtschaftslehre und einigen Querverbindungen zur Unternehmensgeschichtsschreibung, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 2 (1993), 2 1 - 3 5 , hier 21 f. Herbert Matis und Dieter Stiefel, „Mit der vereinigten Kraft des Capitals, des Credits und der Technik ...". Die Geschichte des österreichischen Bauwesens am Beispiel der Allgemeinen Baugesellschaft - A. Porr Aktiengesellschaft, 2 Bde., Wien-Köln-Weimar 1994, hier Bd. 1, 11. Herbert Matis und Dieter Stiefel, Unternehmenskultur in Österreich. Ideal und Wirklichkeit, Wien 1987, 60. Großes Donauland Lexikon in vier Bänden, 4. Bd. ( S - Z ) , Wien 1968, 632. Z . B . Günter Martinek, Das Selbstbild der Österreicher, Wien 1990, 107; Ernst Bruckmüller, Österreichbewußtsein im Wandel. Identität und Selbstverständnis in den 90er Jahren, Wien 1994, 29. „Was das Ausland von Österreichs Wirtschaft hält", in: Industriemagazin, Nr. 1 O/Oktober 1996, 16 ff. Z . B . Katharina Karmel, Das Weltimage Österreichs - demoskopische und ökoskopische Ansätze zum Image Österreichs, Diplomarbeit Wirtschaftsuni v. Wien 1987; Andrea Gasperl-Singer, Das Image Österreichs und der Schweiz in den Vereinigten Staaten von Amerika, Diplomarbeit Wirtschaftsuniv. Wien 1985. Siehe Literaturangaben dazu in: Wolfgang Meixner, Aspekte zur Mentalität eines österreichischen Unternehmertums im 19. und frühen 20. Jahrhundert in: Mentalitäten und wirtschaftliches Handeln in Österreich, hg. von Ernst Hanisch und Theo Faulhaber, Wien 1 9 9 7 , 7 0 (Anm. 2). „Land ohne Unternehmertradition", in: Wirtschaftspolitische Blätter, 15 ( 1 9 6 8 ) H . l / 2 , 1 ff.

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Mentalitäten, hg. von Emst Hanisch und Theo Faulhaber; Günter Schweiger, Gereon Friederes, Andreas Strebinger, Ingrid Rehrl und Thomas Otter, Made in Austria. Kapital für österreichische Marken, Wien 1995. Schweiger u.a., Made in Austria, 67. Ebd., 26. Manfred Prisching, Fortschrittsglaube und Zukunftsangst in: Mentalitäten, hg. von Ernst Hanisch und Theo Faulhaber, 145. Siehe auch Günter Schweiger, Österreichs Image in der Welt. Ein weltweiter Vergleich mit Deutschland und der Schweiz, Wien 1992, 298. Werner Beutelmeyer/market-Institut, Stolz auf's Wohnen. Demoskopische Fährtensuche nach der österreichischen Wohnkultur, Möbelmesse Köln 2000. Ernst Hanisch, Aus den Tiefen der Zeit, in: Mentalitäten, hg. von Ernst Hanisch und Theo Faulhaber, 11. Ebd., 13. Ebd., 16. Max Weber, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie 1, Tübingen, 9 1988, 35. Siehe dazu H. Stolzlechner, Formen und Instrumente des Konkurrenzschutzes im öffentlichen Wirtschaftsrecht, in: Österreichische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht, Heft 9/1982. Hanisch, Aus den Tiefen der Zeit, 17. Ernst Hanisch, Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert, Wien 1994, 101. Fritz Weber, Die wirtschaftliche Entwicklung, in: Handbuch des politischen Systems Österreichs, hg. von Herbert Dachs u.a., Wien 3 1997, 28. Matis und Stiefel, Unternehmenskultur, 111. Siehe dazu Andre Pfoertner, Amerikanisierung der Betriebswirtschaftslehre im deutschsprachigen Raum. Versuch der Nachzeichnung eines historischen Prozesses unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Österreich und der Schweiz, Phil. Dissertation Univ. Wien 1999. Ernst Streeruwitz, Ordnung und Aufbau der Weltwirtschaft, Wien 1931, 73, 97 und 307. John Ney, Die europäische Kapitulation, Luzern-Frankfurt/Main 1971, 210 ff. (Deutschland) und 242 f. (Österreich). Matis und Stiefel, Unternehmenskultur, 106. Weber, Die wirtschaftliche Entwicklung, 25. Ernst Nepomucky, Wirtschaft, Gesellschaft, Staat, in: Österreich. Grundlegung der Vaterländischen Erziehung, hg. von der Vereinigung christlich-deutscher Mittelschullehrer Österreichs, Wien-Leipzig 1936, 85. Weber, Die wirtschaftliche Entwicklung, 34. Ebd., 35. Prisching, Fortschrittsglaube und Zukunftsangst, 142. Österreichische Wirtschafte- und Sozialgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, hg. von Peter Eigner und Andrea Heiige, Wien 1999, 194; siehe auch Dieter Stiefel, 50 Years State-Owned Industries in Austria 1946-1996, in: The Rise and Fall of State-Owned Enterprises in Western Countries, hg. von Franco Amatori, London 2000, 237-252. Prisching, Fortschrittsglaube und Zukunftsangst, 135. Eduard Heini, Österreichs Wirtschaft zu neuen Aufgaben bereit in: Österreich. Illustrierte Zeitschrift für Kultur, Wirtschaft, Export, Fremdenverkehr, 1 (1946), Heft 3/4, 7. Eigner und Heiige, Österreichische Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 201. Prisching, Fortschrittsglaube und Zukunftsangst, 146. Eigner und Heiige, Österreichische Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 199; Prisching, Fortschrittsglaube und Zukunftsangst, 147. Eigner und Heiige, Österreichische Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 217. Prisching, Fortschrittsglaube und Zukunftsangst, 157. Ebd., 166. Gries, Produktkommunikation, 8 7 - 9 3 .

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Stefan Haas, Die neue Welt der Bilder: Werbung und visuelle Kultur der Moderne, in: Bilderwelt des Alltags. Werbung in der Konsumgesellschaft des 19. und 20. Jahrhunderts. Festschrift für Hans Jürgen Teuteberg, hg. von Peter Borscheid und Clemens Wischermann, Stuttgart 1995, 64-77. Kaspar Maase, Grenzenloses Vergnügen. Der Aufstieg der Massenkultur 1850-1970, Frankfurt/Main 1997; Wolfgang König, Geschichte der Konsumgesellschaft, Stuttgart 2000. Roman Sandgruber, Ökonomie und Politik. Österreichische Wirtschaftsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Wien 1995. Roman Sandgruber, Bittersüße Genüsse. Kulturgeschichte der Genußmittel, Wien-Köln-Graz 1986. Gerhard Schulze, Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt/Main 5 1995. Panajotis Kondylis, Der Niedergang der bürgerlichen Denk- und Lebensform. Die liberale Moderne und die massendemokratische Postmoderne, Weinheim 1991, 234. Konstantin Ingenkamp, Werbung und Gesellschaft. Hintergründe und Kritik der kulturwissenschaftlichen Reflexion von Werbung, Frankfurt/Main-Berlin u.a. 1996, 120 f. Heinz-Gerhard Haupt, Der Konsument, in: Der Mensch des 20. Jahrhunderts, hg. von Ute Frevert und Heinz-Gerhard Haupt, Frankfurt/Main-New York 1999, 301-323. Zum Zusammenhang der Begriffe citoyen und Konsumentin siehe: Kondylis, Niedergang, 188 f. Gries, Produktkommunikation, 16. Victoria de Grazia, Amerikanisierung und wechselnde Leitbilder der Konsum-Moderne (consumer-modernity) in Europa, in: Siegrist, Kaelble und Kocka, Europäische Konsumgeschichte, 109-137, hier 118. Uwe Mauch, Süßes Wahrzeichen Wiens, in: Wiener Zeitung, 5. Mai 1995. Brockhaus Enzyklopädie 23, Mannheim "1994, 522. Helene Karmasin, Produkte als Botschaften Wien 21998, 183. Roland Barthes, Mythen des Alltags, Frankfurt/Main 1964, 76. Karmasin, Produkte als Botschaften, 343-346. Susanne Pauser und Wolfgang Ritsehl, Wickie, Slime und Paiper. Das Online-Erinnerungsalbum für die Kinder der 70er Jahre, Wien-Köln-Weimar 1999.

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Julius Meinl Patriarchalisch, (groß)bürgerlich, österreichbewusst Betritt man das Areal der Zentrale in der Julius-Meinl-Gasse in Hernais, so springen einem förmlich die liebgewordenen Meinl-Symbolvorstellungen ins Auge: das altehrwürdige Firmenschild, der devot-freundliche Portier, der gewiss auch die Meinl-Schule absolviert hat, die Omnipräsenz des Präsidenten, der - wie in den Schulen der Dr. Kirchschläger von den Wänden zahlreicher Zimmer lächelt. Die Silhouette des Mohren, langzeitkonserviertes Symbol aus jener Zeit, da Handel treiben und Kaffee rösten fast eins war, da der gute Name des Händlers als Garant für die gute Qualität der Kolonialware aus fernem exotischem Land galt.'

Mit einigen Sätzen skizziert das Branchenmagazin „Regal" 1977 ein Bild der Firma Meinl, wie wir es auch in unzähligen anderen Zeitungsartikeln, früheren ebenso wie späteren, finden können. Allerdings will das Blatt die Gültigkeit „der liebgewordenen Symbolvorstellungen" bestreiten. Die zitierte Stelle wird nämlich von der Bemerkung eingeleitet: „Die Fassade trügt." In der Folge versucht „Regal" seine Leserinnen davon zu überzeugen, dass bei Meinl längst ein neuer Stil gepflogen wird, der alten Klischees nicht mehr entspricht. Doch betrachten wir kurz die Merkmale der trügerischen „Fassade": Sie besteht offenbar aus Tradition, unterwürfiger Höflichkeit, einem sympathischen Patriarchalismus, dem Mohr als Markenzeichen, dem Paradeprodukt Kaffee und dem Anspruch, hohe Qualität zu bieten. „Regal" entfaltet hier zwar nicht alle Dimensionen des Gedächtnisortes Julius Meinl, nennt aber einige wesentliche Elemente einer Konstruktion, die an vielen Punkten Bezüge zum Diskurs um die nationale Identität Österreichs herstellt. Bevor wir uns dem Mythos Meinl zuwenden, werden wir aber die Firmengeschichte Revue passieren lassen. Dass sich Meinl als nationales Symbol etablieren konnte, hängt mit dem ungewöhnlichen Erfolg des Unternehmens in der ersten Jahrhunderthälfte zusammen. Der beeindruckende Aufstieg zum größten Handelskonzern der Monarchie und ihrer Nachfolgestaaten bildete die Grundlage für die Popularisierung eines Bildes, das wir in unserer Studie zu analysieren gedenken. Vermutlich würde dieses aber längst dem „unbewohnten Speichergedächtnis" angehören, wenn es nach dem Zweiten Weltkrieg nicht gelungen wäre, die Firma weiterzuführen. Da man bis zum Ende des 20. Jahrhunderts in

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weiten Teilen des Landes bei Meinl einkaufen konnte und häufig genug mit einschlägiger Werbung konfrontiert wurde, gehörte das Unternehmen zum Alltag vieler Österreicherinnen. Das sicherte ihm einen Platz im kommunikativen Gedächtnis. Zwar kam Julius Meinl nur schlecht mit den Veränderungen im Lebensmittelhandel zurecht, die sich seit den Fünfzigerjahren vollzogen, und verlor dadurch nach und nach die einstige dominierende Marktstellung, doch die Erinnerungsfigur Meinl wurde von diesem Niedergang kaum bedroht: Die Unfähigkeit zu profitträchtigem Wandel verstärkte nur den Eindruck von Traditionsgebundenheit, die seit jeher eine Komponente des Firmenimages war. Zwischen dem unternehmerischen Erfolg bzw. Misserfolg und der Bedeutung des lieu de memoire besteht also ein Zusammenhang, aber keine lineare Korrelation. Mehr noch: Zwar lässt sich der Erinnerungsort Julius Meinl nicht völlig vom kommerziellen Schicksal der Julius Meinl AG lösen, doch können wir nicht von einer fixen und unveränderlichen Beziehung sprechen. Es gibt keine stets gültige Regel, ob und wie sich z.B. gewonnene oder verlorene Marktanteile auf das Bild auswirken müssen, das sich die Menschen von dem Unternehmen machen. Der Gedächtnisort Meinl ist nicht der Schatten des Unternehmens und vollzieht daher nicht jede Bewegung desselben getreulich nach. Eine Beschreibung des Verhältnisses von Firma und Firmenimage muss sich folglich davor hüten, in letzterem ausschließlich eine abhängige Variable zu sehen. Das Gegenteil kann zutreffen. Angemessener erscheint es, von Wechselwirkungen auszugehen. Der Fall Meinl ist in dieser Hinsicht sehr instruktiv: Seit der Jahrhundertwende kreierte das Unternehmen mit Hilfe von Marketingstrategien ein Image, das zu einer relativ festen Größe wurde - sowohl für die Konsumentinnen als auch für die Unternehmer. Der Mythos Meinl entzog sich daher als Gegenstand des kollektiven Gedächtnisses der willkürlichen Steuerung durch Werbefachleute - ein Umstand, der dem Unternehmen Meinl in der Zweiten Republik gehörig zu schaffen machte. Die Geister, die man gerufen hatte, wurde man nicht nach Wunsch wieder los: Die Versuche, die Firma neu zu positionieren, scheiterten nicht nur an der Unentschlossenheit der Eigentümer, sondern auch an der Wirkungsmächtigkeit jener Vorstellungen, die sich für die Österreicherinnen mit dem Begriff „Meinl" verbanden. „Meinl ist Meinl", konstatierte „Regal" 1975 2 - eine tautologische Formulierung und doch enorm aussagekräftig: Was Meinl ist, muss nicht expliziert werden. Man weiß es ohnehin. Darin bestand die Stärke der Firma ebenso wie ihre Schwäche: Jahrzehnte hindurch war Meinl eben Meinl und konnte auch nichts Anderes mehr werden.

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Die Firmengeschichte Vom Kaufmannsladen zum internationalen (1862-1945)3

Lebensmittelkonzern

Julius Meinl, Gründer des gleichnamigen Unternehmens, wurde 1824 im nordböhmischen Graslitz [Kraslice] geboren. In Prag [Praha] absolvierte er eine Kaufmannslehre. Sein weiterer Lebensweg führte ihn aber nach Wien, wo er am 5. April 1862 den entscheidenden Schritt in die Selbstständigkeit wagte: Er eröffnete am Fleischmarkt ein eigenes Geschäft, in dem er Kaffee verkaufte. Infolge der Wirtschaftskrise von 1873 geriet sein Unternehmen in Zahlungsschwierigkeiten. Er musste mit den Gläubigern einen Ausgleich suchen und seinen Laden an eine weniger prominente Stelle verlegen. Bis 1879 hatte er die Schwierigkeiten allerdings überwunden und konnte sich ein größeres Geschäftslokal, wieder am Fleischmarkt (Ecke Laurenzerberg), leisten. Der Aufschwung des Unternehmens wird gemeinhin auf eine neue Verkaufsidee zurückgeführt: Julius Meinl bot Kaffee in bereits geröstetem Zustand an. Dadurch ersparte er seinen Kundinnen eine lästige Arbeit. Außerdem bemühte er sich durch Mischung von Kaffeesorten um gleichbleibende Qualität. Nach der Konsolidierung in den Achtzigerjahren folgte eine erste Phase des Ausbaus. 1891 erwarb die Firma in der Neustiftgasse im 7. Bezirk ein fünfstöckiges Haus, um Bohnen-, Feigen- und Malzkaffee en gros herstellen zu können. Ab 1894 beherbergte das Gebäude eine erste Filiale und 1896 wurde ein weiterer Laden in der Mariahilferstraße eröffnet. Fast jedes Jahr kamen von nun an Standorte hinzu. 1899 übersiedelte das Stammgeschäft in ein eigens zu diesem Zweck am Fleischmarkt errichtetes repräsentatives Haus, dem unverkennbar bereits die Rolle einer Unternehmenszentrale zugedacht war. Im selben Jahr tauschte Meinl den Gewerbeschein für den Verschleiß von Zucker und Kaffee in jenen für Gemischtwaren um, was den Handel mit einem breiteren Sortiment erlaubte. All diese Veränderungen ergeben zusammen genommen das Bild einer Neupositionierung des Unternehmens: Man zielte auf Expansion ab. Treibende Kraft war aber bald nicht mehr Julius I., sondern bereits sein 1869 geborener Sohn Julius II. Dieser trat 1889 als Gehilfe in das Geschäft ein. 1892 schien er als Prokurist im Handelsregister auf und vier Jahre später wurde er Gesellschafter des in eine OHG umgewandelten Unternehmens. Julius II. hatte - Zeichen des sozialen Aufstiegs der Familie - eine bessere Ausbildung erhalten als einst der Vater: Dem Besuch eines humanistischen Untergymnasiums und einer Handelsakademie war als Krönung ein Aufenthalt in London, dem Mekka des modernen Handelskapitalismus, gefolgt. Die Eindrücke, die er hier sammelte, trugen zweifellos dazu bei, dass er sich nicht mit dem von seinem Vater geschaffenen Wohlstand zufrieden geben wollte. Bis zum Ersten Weltkrieg konnte Meinl auf dem Weg zum Einzelhandelskonzern enorme Fortschritte verzeichnen. 1900 besaß das Unternehmen in Wien

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elf Geschäftslokale. Bis 1914 erhöhte sich ihre Zahl auf 44. Schon 1900 hatte Meinl Filialen in Budapest, Brünn [Brno] und Mährisch Ostrau [Moravskä Ostrava] gegründet. Damit begann die Expansion in die „Provinz", die bald alle wichtigen Städte der Monarchie einbezog. Insgesamt besaß Meinl im Jahr des Kriegsausbruches 115 Filialen. In der Habsburgermonarchie war die Firma die unangefochtene Nummer eins in ihrem Metier. Ein Blick ins Deutsche Reich macht uns allerdings mit Handelsunternehmen der Kaffeebranche bekannt, die unter den Bedingungen einer weiter gediehenen ökonomischen Entwicklung und eines höheren Urbanisierungsgrads noch weit größere Filialnetze schaffen konnten. Das exakte Gegenstück zu Meinl bildete Kaiser's Kaffeegeschäft. Das Unternehmen mit Stammsitz in Viersen, einer Stadt in Nordrhein-Westfalen, hatte 1885, also rund ein Jahrzehnt vor Meinl, seine erste Filiale eröffnet. 1914 verfügte es über deren 1.420! Kaiser's Kaffeegeschäft übertraf damit andere deutsche Einzelhandelsketten um ein Vielfaches: Buchthals Kaffeemagazin aus Dortmund kam „nur" auf 500 Filialen, Emil Tengelmann aus Mühlheim am Rhein auf 400. Die Ausdehnung ihrer Geschäftstätigkeit war jeweils regional beschränkt, Kaiser's Kaffeegeschäft hingegen als einzige Firma in gesamt Deutschland präsent. Sie baute auch, ausgehend von der Kaffeeröstung, einen bedeutenden eigenen Produktionsapparat auf - eine weitere Ähnlichkeit zu Meinl. 4 Da Kaffee durch lange Transportwege an Qualität verlor, schien es dem Wiener Unternehmen geraten, in zentralen Orten der Monarchie Röstereien zur Deckung des regionalen Bedarfs einzurichten. Daneben weitete die Firma die Produktpalette aus. 1900 wandte sie sich erstmals kaffeeverwandten Erzeugnissen zu: Sie nahm die Schokoladen- und Kakaoherstellung auf. Einen Quantensprung bedeutete die Errichtung der neuen Unternehmenszentrale. Zu diesem Zweck erwarb Julius II. im 16. Bezirk ein 20.000m 2 großes Grundstück, das sehr verkehrsgünstig an der Vorortelinie lag. Im Jubiläumsjahr 1912 wurde der riesige Gebäudekomplex fertiggestellt. Hier fanden Lagerung, Versand und Verwaltung Platz, außerdem die Röstung von Bohnenkaffee, die Malz- und Feigenkaffeeherstellung, die Marmeladenfabrikation und ab 1913 die Kekserzeugung. Einer Unternehmenspolitik, zu der massive Investitionen in die Produktion gehörten, entsprach es, auch bei der Einfuhr von Rohprodukten aus Übersee die Abhängigkeit von anderen Firmen zu scheuen. Im September 1900 lief der Dampfer „Preußen" mit der ersten „Meinl-Ladung" Ceylon-Tee in Hamburg ein5 und 1912 schuf Julius II. ein eigenes Importbüro in London. Der Sommer 1914 brachte dem Konzern Aufträge der Armee und generell die Integration in die Kriegswirtschaft. Julius II., der als Experte für die schwierige Ernährungsfrage galt, glänzte durch Kooperation mit den Behörden. Eine weit größere Herausforderung musste er einige Jahre später nach dem Zerfall der Monarchie bewältigen. Wie auch andere Großindustrielle hatte Julius II. einen leistungsfähigen Produktionsapparat geschaffen, um die Nachfrage eines Marktes zu befriedigen, der nun zum Gutteil im „Neuausland" lag. „Business as usual" wurde dadurch verhindert, dass die Nachfolgestaaten der politischen

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Emanzipation die wirtschaftliche hinzufügen wollten. Sie führten hohe Zölle ein, die den österreichischen Export erschwerten. Während aber z.B. die Firmen der Maschinen- und Fahrzeugindustrie für ihre Produkte auf dem stark verkleinerten Binnenmarkt schwerlich genügend Abnehmerinnen finden konnten, stellte sich für das Unternehmen Julius Meinl, 1919 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, die Lage anders dar: Als Alternative zur Belieferung der Geschäfte jenseits der Grenzen bot sich die stärkere Durchdringung des nationalen Marktes an. Die Gefahr von nutzlosen Überkapazitäten legte die weitere Expansion des österreichischen Filialnetzes nahe, die bald nach dem Krieg eine nie gekannte Intensität erreichte. Zwischen 1919 und 1933 richtete Julius II. pro Jahr durchschnittlich elf bis zwölf Geschäfte auf dem Gebiet der Republik Österreich ein. Zugleich trieb er die vertikale Integration energisch voran: Das Spektrum der Eigenerzeugnisse erweiterte er um Essig, Senf, Bonbons, Teigwaren, Spirituosen, Margarine und anderes mehr. Von 1927 bis 1930 zog Meinl ein ambitioniertes Rationalisierungsprogramm durch: Die Produktion wurde durch Fließbandarbeit, neue Maschinen, etc. effizienter gestaltet, der Personalstand im Gegenzug um 35 % vermindert. Julius II. zog sich aber auch nicht aus den Nachfolgestaaten der Monarchie zurück - ganz im Gegenteil. Er intensivierte sogar sein Engagement, obwohl er sich einer drastisch veränderten politischen und wirtschaftlichen Situation gegenüber sah. Allerdings konnte Meinl durchaus an früher gemachte Erfahrungen anknüpfen. Innerhalb des Habsburgerreiches existierten zwar keine Zollschranken, seit 1867 bestand es aber aus zwei weitgehend von einander unabhängigen Staaten. Diesem Umstand trug Meinl Rechnung, als er in die ungarische Reichshälfte expandierte. 1900 rief er die offene Handelsgesellschaft „Meinl Gyula" mit Sitz in Budapest ins Leben und 1909 fasste er seine ungarischen Aktivitäten in einer eigenen Aktiengesellschaft zusammen. Nach demselben Muster verfuhr Julius nach 1918 in den neuen Staaten: Er gründete jeweils nationale Tochterunternehmen und schuf damit die rechtlichen Voraussetzungen für die Fortführung seiner Geschäfte. Natürlich genügte das noch nicht. Meinl musste vor allem die Versorgung seiner Filialen im Ausland auf eine neue Basis stellen. Er versuchte in den Nachfolgestaaten parallel zueinander dieselbe Produktpalette aufzubauen - eine Strategie, wie sie in den 1960er-Jahren viele multinationale Konzerne (z.B. Unilever) bei ihrer Expansion anwenden sollten. 6 Besonders in Ungarn und der Tschechoslowakei 7 richtete Meinl zahlreiche Erzeugungsbetriebe ein. In der Tschechoslowakei nahm auch das Filialnetz seinen größten Aufschwung. 1918 hielt man bei 21 Geschäften, 1937 waren es 111. In Ungarn konnte Meinl seine Präsenz auf 57 Filialen erhöhen. Wesentlich geringere Bedeutung erlangten die Tochterunternehmen in Polen, Jugoslawien und Rumänien, die je 28 Geschäfte ihr eigen nannten. Am wenigsten Erfolg war Meinl in Italien beschieden, wo die Firma nicht richtig Fuß fassen konnte. Dafür gelang 1927 der Sprung nach Berlin. In der deutschen Hauptstadt brachte es Meinl immerhin auf 20 Filialen.

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Mit Fug und Recht kann man behaupten, dass Meinl mit den neuen Verhältnissen in Mitteleuropa ausgezeichnet zurechtkam. 1937 war das Unternehmen in acht Staaten tätig, verfügte über 493 Filialen und hatte den schon vor 1914 ansehnlichen Produktionsapparat wesentlich ausgebaut. Es beschäftigte über 3.000 Arbeiterinnen und Angestellte, ca. die Hälfte davon in Österreich. Allerdings war auch an Meinl die Weltwirtschaftskrise nicht spurlos vorübergegangen. Die Auswirkungen der Depression verschärften sich für den international agierenden Handelskonzern noch dadurch, dass Devisenbewirtschaftung und Kontrolle des Außenhandels das Standardrepertoire der damaligen Wirtschaftspolitik bildeten. In Österreich endete mit dem „Anschluss" für das Unternehmen eine Phase der Stagnation: 1938 und 1939 erhöhte sich erneut die Zahl der Meinl-Filialen. Auch die Umsätze stiegen wieder an. Diese Entwicklung setzte sich nach Kriegsbeginn fort, da Meinl die Wehrmacht belieferte. 8 Überhaupt konnte Meinl die deutsche Großraumwirtschaft zu einer gewaltigen Expansion nützen: 1943 besaß der Konzern 687 Filialen; das war gegenüber 1937 eine Steigerung um fast 40%! Filialen von Julius Meinl 1900-1943

Vom Branchenieader

zum Problemfall

(1945-2000)

Der Wachstumsschub, den Meinl während der NS-Zeit erlebte, fand ein jähes Ende. 1945 stand das Unternehmen vor Problemen, die es nicht mehr in ähnlich eleganter Weise wie nach dem Ersten Weltkrieg lösen konnte. Meinl verlor seinen Besitz in Ungarn, der Tschechoslowakei, Polen, Rumänien und Jugoslawien; aus Berlin zog sich das Unternehmen 1951 zurück. Insgesamt soll der Konzern durch die Umwälzungen infolge des Zweiten Weltkriegs mehr als zwei Drittel seiner Substanz verloren haben. Es galt nun, wenigstens den österreichischen Besitz des geschrumpften Konzerns zu festigen. Dieses Ziel erreichte

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Meinl. 1968 rangierte die Aktiengesellschaft, gemessen an ihrem Umsatz, an elfter Stelle aller österreichischen Unternehmen und war nach wie vor die bedeutendste Handelskette. 9 Geführt wurde das Unternehmen nun bereits von der dritten Meinl-Generation. Julius II. war 1944 verstorben; ihm folgte sein Sohn nach, der denselben Namen wie schon sein Vater und sein Großvater trug. Julius III. wurde 1903 geboren, absolvierte das Gymnasium und anschließend eine Kaufmannslehre. Den letzten Schliff holte er sich wie einst schon Julius II. in England. Ab 1925 fungierte er als Verwaltungsrat des väterlichen Unternehmens in Budapest und Lemberg [Lvov, Lviv], 1933 avancierte er zum geschäftsführenden Vizepräsidenten der Julius Meinl AG, musste diese Funktion aber 1938 aufgeben, da er nach Großbritannien emigrierte. Erst 1948 kehrte er aus dem Exil zurück und übernahm das Amt des Aufsichtsratspräsidenten, das er bis 1987 bekleidete. In der Unternehmenspolitik verfolgte er jene Strategien weiter, die sein Vater entwickelt hatte.

JitliHr

Mein! F l i i a i r n

Das Land ein Schnitzel, die Hauptstadt eine Zitronenscheibe, die Filialen Zitronenstücke (Meinl-Geschäftsbericht 1995)

Die Veränderungen, die als Übergang vom Verkäufer- zum Käufermarkt beschrieben werden, konfrontierten jedoch die Julius Meinl AG mit neuen Anforderungen, die sie nur schlecht bewältigte, weil sie an überkommenen Erfolgsrezepten starr festhielt. Auf diese Weise verspielte sie die dominierende Stellung im Handel mit Kaffee, nachdem 1961 der deutsche Konzern Jacobs in den österreichischen Markt eingestiegen war. Während Meinl daran festhielt, den eigenen Kaffee nur in den eigenen Geschäften zu verkaufen, belieferte Jacobs Supermärkte ebenso wie Diskonter, partizipierte so an deren Wachstum und überrundete seinen alteingesessenen Konkurrenten. Dennoch rang sich die Firma Meinl erst 1993 (!) dazu durch, ihre Kaffeeprodukte dem gesamten Handel zu öffnen. 1 0

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Generell trat Meinl nur sehr ungern und zögernd in Beziehung zur Außenwelt. Mit großer Ausdauer verfolgte die Firma das Ziel, bei der Versorgung ihrer Geschäfte möglichst nicht von fremden Produkten abhängig zu sein. Was man nicht selbst herstellte oder importierte, wollte man nicht verkaufen. Der „Trend" hat in einem Firmenporträt diese Politik sehr pointiert zusammengefasst: „Die Hausfrau, die einen halben Liter Milch, zehn Deka Aufschnitt oder Obst haben wollte, ließ man zunächst leichten Herzens zum billigen Jakob um die Ecke gehen."" Die Filialleiterinnen aber erkannten die Gefahr für die Attraktivität der Geschäfte. Sie drängten auf Erweiterung des Sortiments und auf seine Bereicherung durch Markenprodukte.' 2 Die Philosophie hinter der nie ganz überwundenen Fixierung auf die eigene Produktion erklärte die Firmenzeitung „Meinl-Post" 1978 folgendermaßen: Markenartikel ließen sich zwar leicht verkaufen, aber da sie die Konkurrenz zu niedrigen Preisen verschleudere, seien nur geringe Spannen möglich. „Bei der ,eigenen' Ware ist dies anders." 13 Allerdings hatte die Sache einen Haken: Andere Unternehmen boten vergleichbare Produkte wesentlich günstiger an, auch wenn man dies bei Meinl als „Verschleuderung" sehen wollte. Lebensmittelketten wie Billa und Spar erzielten auf diese Weise zunehmend höhere Umsätze, die sich letztlich in größeren Profiten niederschlugen. Nach und nach liefen sie Meinl den Rang ab. Schon Mitte der 1960er-Jahre hatte die Meinl AG laut „Trend" „ein spürbares Absacken der Filialumsätze" verzeichnet. Julius III. visierte seit damals eine Umstrukturierung an. Einerseits bemühte er sich, das elitäre Image zu bewahren: Im Oktober 1967 wurde der „Meinl am Graben" eröffnet, der als Delikatessengeschäft das Aushängeschild des Unternehmens werden sollte. Andererseits wollte Meinl sich auch jene Kundinnen nicht entgehen lassen, die es weniger exklusiv liebten. Als billigere Anbieter betrieb man daher jene Geschäfte, die nicht unter dem Markenzeichen Meinl firmierten: Dazu gehörten die Kunz-Filialen, seit 1935 im Besitz des Konzerns, sowie die 1967 erworbene Dittrich-Kette. In den Siebzigerjahren versuchte Meinl außerdem den Einstieg in die Welt der großen Verbrauchermärkte. 1972 öffnete der erste PamPam-Markt in Wien seine Pforten. Das Sortiment enthielt nicht bloß Lebensmittel, sondern z.B. auch Elektrogeräte und Möbel. Bis 1996 wurden 41 PamPam-Märkte eingerichtet, konnten sich aber auf Dauer gegen die Konkurrenz nicht behaupten. Sie gerieten nicht zuletzt durch die Expansion der Karl Wlaschek gehörenden MerkurKette enorm unter Druck. 14 Versuche, einen Relaunch durchzuziehen, fruchteten wenig. PamPam setzte sich zwischen alle Stühle und bot weder Diskont noch Qualität. 15 Ähnlich erging es Meinl mit dem ab 1979 betriebenen Diskonter „Renner". Um in diesem Bereich mit seinen sehr niedrigen Margen erfolgreich zu sein, war die Meinl AG einerseits zu schwerfällig, andererseits konnte sie sich nicht zu einem eindeutigen Konzept durchringen. Aufschlussreich ist in dieser

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Hinsicht ein Artikel der „Meinl-Post", die Renner als den „Diskonter mit Niveau" feierte. Stolz verwies man darauf, dass Renner zu 2 0 % eine hochqualitative und damit kostenintensivere Sortimentstruktur aufweise. Das Wesen des Diskonts besteht aber im Angebot einer begrenzten Auswahl von schnelldrehenden Produkten zu Niedrigpreisen. Renner wurde schließlich 1989 an Spar verkauft. Weit erfolgreicher bemühte sich Meinl um eine Rückkehr in jene Länder, in denen sich nach 1945 kommunistische Regime etabliert hatten. Meinl verlor seine angestammten Märkte nie völlig aus den Augen. So berichtete die Firmenzeitschrift über den „neuen Kontakt mit alten Bekannten" bei der Budapester Messe des Jahres 1967, an der sich Meinl mit zwei Schauvitrinen und einer Tonbildvorführung beteiligte. 16 In den frühen Achtzigerjahren begann Meinl eine Zusammenarbeit mit der ungarischen Lebensmittelkette Csemege, 17 die nach dem Krieg 45 Meinl-Filialen übernommen hatte. Die Kooperation führte 1989 zur Gründung der Csemege-Julius Meinl AG. Anfangs hielt die Julius Meinl International AG (JMI), die Holdinggesellschaft für die Engagements im Ausland, nur einen Minderheitsanteil an dem Joint Venture, letztlich ging das Unternehmen aber ganz in ihren Besitz über. 1996 verfügte die JMI in Ungarn über 110 Csemege-Julius Meinl-Geschäfte, 70 Jeee-Diskonter und 5 Cash-andcarry-Läden für Großverbraucherinnen. 18 Damit hatte man den in der Zwischenkriegszeit erreichten Stand bei weitem übertroffen. Der Erfolg beruhte darauf, dass sich Meinl im Nachbarland zwar nicht als elitär verstand, aber trotzdem für ungarische Verhältnisse einen hohen Standard bot. Außerdem befand sich Csemege-Julius Meinl mit 9% Marktanteil 1998 in der Position des Branchenleaders, so dass die Markenartikler größeres Interesse als in Österreich zeigten, gelistet zu werden. Dafür mussten sie aber entsprechende Konditionen bieten. 19 Der revolutionäre Umbruch der Jahre 1989/90 ebnete auch in anderen ehemals kommunistischen Staaten den Weg für Investitionen der Firma Meinl. Vor allem in Tschechien gelang ein erfolgreicher Neueinstieg. Ende 1995 verfügte der Konzern hier über 50 Filialen und schon zwei Jahre später hatte er auf 90 Geschäfte aufgestockt. 20 Man bewegte sich also bald wieder in den Größenordnungen der Zwischenkriegszeit. Meinl hatte die Chancen, die sich auf den neuen Märkten boten, in einer für den behäbigen Konzern unüblichen Schnelligkeit wahrgenommen und konnte dadurch Profite in einem Ausmaß erzielen, das viele Beobachterinnen überraschte. Noch 1990 erwartete die „Wirtschaftspresse" von der Expansion im einstigen „Ostblock" „wahrscheinlich erst in fernerer Zukunft" Positives für das Unternehmen.21 Sechs Jahre später bezeichnete dieselbe Zeitschrift die „Geschäfte in den früheren Kronländern" bereits als „Cash-cow". 22 Recht günstig entwickelte sich für Meinl seit den 1980er-Jahren auch ein Geschäftsfeld jenseits von Lebensmittelhandel und -produktion: die hauseigene Bank. Ihre Existenz verdankte sie - wie so viele andere Konzernunternehmungen - dem Autarkiestreben der Meinls. Julius II. hatte 1923 den „Spar-

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und Konsumverein der Angestellten und Freunde der Julius Meinl AG" gegründet, um sich durch die zu erwartenden Einlagen günstige Finanzierungsmöglichkeiten zu schaffen. Julius III. wiederum kaufte 1969 die Bankkonzession der Brunner & Co KG. Zehn Jahre später wurden beide Kreditunternehmen zur Meinl-Bank verschmolzen. 1983 trat Julius V., der in St. Gallen Bankwirtschaft studiert hatte, als Vorstand in die Bank ein und versuchte mit einigem Erfolg, sie „von einer Art Sparkasse zu einer Investmentbank mit Vermögensverwaltung" 23 umzuwandeln. Ende der Achtzigerjahre häuften sich Berichte über die Schwierigkeiten, mit denen Meinl im österreichischen Lebensmittelgeschäft schon seit langem kämpfte. Man sprach vom „traditionsbeladenen Handelsriesen", der in einer „Ideologiekrise" stecke, kritisierte die antiquierte Struktur und fehlende Dynamik und verwendete wenig schmeichelhafte Wortschöpfungen wie „Meinl-Lethargie", um den Zustand des Unternehmens zu beschreiben. 24 Nachdem sich im Management ein überfälliger Generationswechsel vollzogen hatte, versuchte der neue Finanzvorstand Ferdinand Hacker in den Neunzigerjahren, das bisherige Hochpreis-Image von Meinl abzubauen. Er gab die Losung aus: Qualität muss nicht teuer sein. In einem Interview konfrontierte ihn die „Wirtschaftswoche" allerdings mit der berechtigten Frage, ob Meinl nicht Gefahr laufe, profillos zu werden, zumal Billa die Werbebotschaft „Qualität zu einem angemessenen Preis" bereits seit Jahren glaubhaft vermittle. 25 Erleichtert wurde die angestrebte Neupositionierung auch dadurch nicht, dass konzernintern anscheinend keine Klarheit darüber herrschte, welche Richtung man einschlagen sollte. So beschrieb die Firmenzeitschrift den Mitarbeiterinnen die neue Strategie, als „Meinl für alle", „der aber trotzdem ganz besonders exklusive Waren anbietet". 26 Das Dilemma des Unternehmens brachte der Chef einer konkurrierenden Kette auf den Punkt: „Meinl ist immer schon zwischen zwei Sesseln gesessen: Man geht mit der Meute mit, will aber auch mit Qualität punkten." 27 Den Bemühungen, die Konsumentinnen von der Preisgünstigkeit des Einkaufs bei Meinl zu überzeugen, blieb der Erfolg tatsächlich versagt, dafür lief man Gefahr, die Marke Meinl zu beschädigen. Dass Artikel wie Toilettenpapier mit dem Mohrenkopf versehen wurden, sorgte branchenintern für Unverständnis, aber eben nicht für höhere Umsätze. In der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre setzte man daher wieder auf eine exklusivere Positionierung und eine neue Gourmet-Linie. Um aber betuchte Käuferinnen anzulocken, muss man das entsprechende Ambiente bieten. Meinl wurde in diesem Punkt seinem Anspruch nicht mehr gerecht. Der vielgerühmte „Meinl am Graben" und einige andere Filialen galten als untypisch. Das Bild prägten eher Geschäfte wie jenes am Ring schräg gegenüber der Oper, das einst zu den Prestigeobjekten des Konzerns gehört hatte, über das man nun aber in einer Wirtschaftszeitschrift das Urteil lesen konnte: „abgewohnt und durchweht von einem Hauch Osteuropa". 28 Die Filialen von Meinl bedurften indes nicht nur der Renovierung, sondern waren oft

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auch zu klein. Nur 45% der Standorte wiesen 1995 mehr als 450m 2 auf, 29 Supermärkte benötigen heute aber eher noch größere Flächen, um eine adäquate Höhe der Umsätze zu ermöglichen. In den Neunzigerjahren bewegte sich Meinl auf einer schiefen Ebene. Die Marktanteile fielen, die Umsätze sanken, die Margen seit dem EU-Beitritt gleichfalls. Scharfe Rationalisierungschnitte wie der Abbau von 500 Arbeitnehmerinnen bis 1997 brachten ebenso wenig eine Trendwende wie die Schließung von unrentablen Filialen und die Einleitung des Rückzugs aus Westösterreich, wo dem Unternehmen aufgrund der geringen Dichte des Filialnetzes die Belieferung mit Waren zu teuer kam. Wenn man die Probleme von Meinl zu resümieren versucht, so erhält man eine lange Liste: Zu hohe Personalkosten; zu geringer Umsatz und folglich zu geringe Rentabilität; zu geringe Einkaufsmacht und daher zu hohe Preise; exklusiver Anspruch und traurige Realität abgetakelter Filialen; zu kleine Filialen; Interessengegensätze zwischen den eigenen Produktionsbetrieben und der Handelskette; unklare Strategie in bezug auf die Eigenmarken; wiederholt fehlgeschlagener Einstieg in den Diskont. Die Familie Meinl zog 1998 die Notbremse. Nachdem schon monatelang einschlägige Gerüchte geschwelt hatten, schlug die Nachricht Ende Juli doch wie eine Bombe ein: Das gesamte Filialnetz sollte an den Billa-Konzern veräußert werden, den seinerseits zwei Jahre zuvor das deutsche Handelsunternehmen Rewe von Karl Wlaschek erworben hatte. Die Brüsseler Kartellbehörde, der die Überprüfung von Transaktionen dieser Größenordnung obliegt, genehmigte den Verkauf aber nicht im vollen Umfang. Eingedenk ihrer dominanten Marktstellung durfte die Billa-Kette nur 162 von den 341 Filialen der MeinlGruppe erwerben. Meinl veräußerte in der Folge noch 21 PamPam-Märkte an Spar und 19 Filialen an Löwa. Für weitere 38 Geschäfte kam bald das Aus. Mit dem verbleibenden Rest versuchte man einen Neustart. Meinl, im Massenmarkt gescheitert, erwartete nun von einer Gourmet-Linie höhere Quadratmeterumsätze und Margen. Sie sollte das geschrumpfte Unternehmen in die Gewinnzone zurückbringen. 30 Damit schwenkte Meinl wieder auf eine eindeutige Linie ein, nachdem man in der Vergangenheit widersprüchliche Signale an die Konsumentinnen gesendet hatte. Vieles deutete aber bereits darauf hin, dass Meinl zukünftig im Lebensmittelhandel nicht mehr das Hauptfeld seiner geschäftlichen Aktivitäten erblicken würde. So trennte sich die Julius Meinl International AG im Juni 1999 von ihrer ungarischen Kette, die nach Aussage des Finanzchefs als „Filetstück des Konzerns" zu gelten hatte. Neuer Besitzer wurde die belgische Lebensmittelhandelsgruppe Louis Delhaize. In Österreich zeichnete sich die Verschiebung des Gewichts vom Handel auf eine ebenfalls reduzierte Produktion ab. In der Vergangenheit war dem MeinlKonzern seine zwiespältige Politik nicht gut bekommen: Einerseits am Bedarf der eigenen Geschäfte ausgerichtet, hatte er andererseits mit renommierten Produkten wie Kaffee und Tee am Gesamtmarkt reüssieren wollen. 1989 begann

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mit der Trennung der Fabriken vom Filialgeschäft ein Klärungsprozess, der durch die Schließung einer Reihe von Erzeugungsbetrieben begleitet wurde und zehn Jahre später in der Übertragung der Markenrechte an die Produktionsfirma gipfelte. Außerdem bereinigte man das Sortiment und beseitigte damit die Spuren der Abwege in den Diskont: 4 0 0 von 6 0 0 Produkten, die bislang unter dem Namen Meinl firmiert hatten, wurden eliminiert. 31 Im April 2 0 0 0 machte Meinl wieder mit einem „Paukenschlag" von sich Reden: Die Firma gab alle Filialen mit Ausnahme des „Meinl am Graben" an den Konkurrenten Spar ab. Der Plan eines (fast) völligen Rückzuges aus dem österreichischen Lebensmittel-Einzelhandel war endgültig verwirklicht. Heute besteht das Unternehmen nur noch in profitablen Restbeständen weiter.

Probekochen, Auswahlläden und Meinl-Mohr - Grundzüge von Werbung und Marketing der Firma Julius Meinl Die Geschichte der Entwicklung von Meinl zu einem profitablen Industrie- und Handelskonzern ist zugleich eine Geschichte geschickten Werbens. Das Unternehmen war ein Pionier auf diesem Gebiet, seit Julius II. die Zügel in der Hand hielt. Die Schaffung eines durchkomponierten Firmenimages bildete ein wesentliches Element seiner ehrgeizigen Pläne. Entscheidungen über werbliche Maßnahmen waren deshalb der Zentrale vorbehalten und das letzte Wort sprach der Chef selbst. 32 Ab 1926 verfügte Meinl über ein eigenes Werbeatelier. Im selben Jahr trat der Grafiker Otto Exinger 3 3 in die Dienste der Firma. Er wurde federführend in der Gestaltung ihres Werbebildes und gab bis in die Fünfzigerjahre sehr erfolgreich die Linie vor. Auch nach dem Ende der Ära Exinger, der 1957 verstarb, stellte Meinl seine Werbemittel selbst her, wie es der generellen Unternehmenspolitik entsprach, die stets auf möglichste Unabhängigkeit von fremden Dienstleistungen und Produkten Bedacht nahm. Noch in den Achtzigerjahren verließ man sich zumindest in der Ausführung nach wie vor auf die hauseigene Abteilung, wenn man auch als Ideenlieferant die Werbeagentur G G K zu Rate zog. 34 Erst im Zuge von Umstrukturierungen im Jahre 1996 gab das Unternehmen sein grafisches Atelier und sein Fotostudio auf. 35 Das Spektrum an Werbemitteln, die Meinl einsetzte, war schon in der Zwischenkriegszeit äußerst umfangreich: Neben Zeitungsinseraten betrieb die Firma eine sehr intensive Plakatwerbung, die sie äußerst effektvoll in Szene zu setzen wusste. 1931 reservierte das Unternehmen Wiener Anschlagflächen und ließ sie vorerst einige Tage weiß. Sodann trat Otto Exinger auf den Plan und malte vor den Augen der Schaulustigen in wenigen Minuten ein Plakat. Meinl erregte mit dieser Aktion, die in der Presse sehr positiv kommentiert wurde, einige Aufmerksamkeit. 3 6 Für ein gutes Image der Firma sorgten auch die Reklamewagen, mit denen die Firma bei sportlichen und karitativen Veranstal-

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tungen Flagge zeigte - und natürlich Kaffee ausschenkte: Ob Eröffnung der Großglocknerstraße oder Notstandsausspeisung in Wiener Neustadt, ob Fußballländerkampf Österreich-Tschechoslowakei oder Sängerfahrt nach Hartberg, die Meinl-Reklamewagen waren überall mit dabei. 37 Meinl verstand es, jede sich bietende Gelegenheit für Werbung zu nützen, sodass es keine Übertreibung war, wenn die Firmenfestschrift von 1962 konstatierte: „Das Haus Julius Meinl ist heute bis ins kleinste von Werbung durchzogen." 38 Gegenüber dem damals gerade populär werdenden Fernsehen kultivierte man allerdings eine abwartende Haltung. Bis Mitte der 1960er-Jahre bevorzugte die Firma weiterhin grafische Werbemittel wie das Plakat. 39 In der Öffentlichkeit war Meinl vor allem auch durch seine Filialen präsent, die von Anfang an sehr bewusst dazu eingesetzt wurden, ein geschlossenes Bild des Unternehmens zu formen. Der frühe Reklamefachmann Hans Kropff betonte 1913, dass die Werbung der großen Kaufhäuser bereits mit der Architektur des Hauses beginne und „bis zur Erziehung des letzten Laufburschen" reiche. 40 Julius II. setzte dieses Konzept nicht nur für ein Geschäft, sondern für eine ganze Ladenkette um, womit er in Österreich Neuland betrat. Jede Filiale des Unternehmens sollte die unverwechselbare Corporate Identity der Firma Meinl ausstrahlen. Man strebte daher eine möglichst einheitliche Fassadengestaltung an, wenngleich das Erscheinungsbild im Laufe der Zeit immer wieder modernisiert wurde. Ab den Dreißigerjahren wurde die Fassade mit gelben Kacheln verfliest, während der Sockel meist in braun gehalten war.41 Dieser neue Filialtypus hielt sich bis in die Nachkriegszeit. Als zusätzliches Merkmal kreierte Otto Exinger damals die orange-gelb gestreifte Markise vor den Schaufenstern. 42 Jedes Geschäftslokal wurde auch nach demselben Muster eingerichtet: Das Zentrum bildete die Stellage mit den Kaffeedosen, die sich unmittelbar hinter dem Verkaufspult befand. Auf diesem stand eine Balkenwaage aus Messing, mit deren Hilfe die Verkäuferinnen den Kaffee abwogen. Zum Grundinventar zählten weiters eine Wanduhr und ein Porträt des Firmeninhabers. Die Schaufenster zeigten ebenfalls in allen Filialen das gleiche Bild: Bis in die Zwanzigerjahre war der Boden mit Rohkaffee bedeckt. Damit wurde symbolisch darauf verwiesen, dass dieses Produkt dem kommerziellen Erfolg von Meinl zugrunde lag. Den Blick der Betrachterinnen sollten typische Meinl-Waren auf sich ziehen, die zu Pyramiden, Treppen oder Säulen aufeinander geschichtet wurden. Die standardisierte Außen- und Innenausstattung wurde durch ein perfekt auf Linie gebrachtes Personal ergänzt: Das begann bei der einheitlichen Arbeitskleidung und ging bis zu ritualisierten Formeln, die im Verkaufsgespräch ihre Anwendung finden mussten. Als sich die Firma Meinl um die Jahrhundertwende auf Expansionskurs begab, konnte sie sich nicht damit begnügen, den Konsum in Richtung der eigenen Filialen zu kanalisieren. Sie musste ihn zum Teil erst schaffen, denn damals war man noch längst nicht dazu übergegangen, den gesamten Nahrungsbedarf durch den Einkauf in Lebensmittelgeschäften abzudecken. In der vor-

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industriellen Gesellschaft hatte der Haushalt nicht bloß die Aufgabe einer Rekreationssphäre erfüllt, die ihm das bürgerliche Familienkonzept zuschreiben wollte, sondern mannigfache Produktionsfunktionen wahrgenommen. Die Substitution einer weitgehenden Selbstversorgung durch die Inanspruchnahme von Dienstleistungen des Handels war ein allmählicher, von Kriegen und wirtschaftlichen Krisen verzögerter Prozess. Seit dem 19. Jahrhundert erfasste er zuerst die städtischen Oberschichten und erreichte parallel zur Wohlstandsentwicklung immer weitere Bevölkerungsgruppen, bis er im Gefolge des „Wirtschaftswunders" die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit einbezog. Meinl nahm seit seiner Gründung an dieser Entwicklung aktiv Anteil. Den Aufstieg der Firma hatte ja die Idee begründet, das Rösten des Kaffees nicht mehr den Konsumentinnen zu überlassen. Als das Unternehmen z.B. 1912 in seiner neuen Zentrale die Herstellung von Marmelade begann, war das Einkochen von Obst noch eine Selbstverständlichkeit. Im Wettbewerb mit der hausgemachten Konkurrenz kam dem Einsatz von Werbemethoden eine essenzielle Rolle zu: Man lobte in Broschüren die Naturechtheit des eigenen Produktes oder ermäßigte dessen Preis zu Anfang des Sommers, da dieser Zeitpunkt geeignet schien, die Hausfrauen davon abzuhalten, selbst Marmelade zu erzeugen. 43 Der Meinl-Konzern hielt sich aber zugute, dass seine Werbung nie „vom rein verkaufsegoistischen Sinn" beherrscht gewesen sei, sondern immer „eine künstlerisch lehrreiche oder charmante Note" aufgewiesen habe.44 In die Schaufenster legte man Kaffeezweige als Ergänzung zu Messingschalen mit dem gebrannten Fertigprodukt, um den Kundinnen dessen Herkunft zu verdeutlichen. Die Firmenzeitschrift der 1950er-Jahre brachte wiederum häufig Informationen über ferne Weltgegenden, aus denen Meinl importierte, oder erzählte die Geschichte von Nahrungsmitteln, wie Kaffee, Tee, Zucker, Reis, etc. In dieser Tradition stehen noch die Poster, die 2000 exklusive Kundschaft in das renovierte Delikatessengeschäft am Wiener Graben locken sollten. Unter dem Titel „Edition Meinl am Graben" wurden teure Produkte abgebildet und ihre Besonderheiten, ihre Geschichte, etc. erläutert. Die Firma Meinl wollte nie bloß verkaufen, sondern auch erziehen - oder präziser gesagt: Für Meinl ging das eine stets mit dem anderen einher. Objekt dieser Bemühungen waren in erster Linie die Frauen, denen es durch den Kauf und die richtige Veredelung von Meinl-Waren gelingen sollte, den Ansprüchen ihrer Ehemänner gerecht zu werden. 1962 informierte eine PR-Beilage zur „Presse" darüber, dass Julius III., der damalige Chef des Hauses, „am liebsten jeder Kunde einzeln zeigen [würde], wie man Kaffee richtig kocht - die periodischen Gratiskostproben in den einzelnen Filialen erscheinen ihm beinahe ein noch zu geringer Ersatzunterricht." 4 5 Schon in den Zwanzigerjahren hatte Meinl „Hausfrauennachmittage" organisiert und außerdem die „hauswirtschaftliche Beratungsstelle" eingerichtet, an die sich die besorgte Hausfrau mit Fragen über „Küche, Haushalt, Einkauf" etc. wenden konnte. Einschlägige Publikationen begleiteten seit jeher das Engagement.

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Einerseits sah sich der Meinl-Konzern gegenüber den Kundinnen als Erziehungsberechtigter, andererseits - und komplementär dazu - sollten sie mit devoter Dienstbeflissenheit umgarnt werden. Beiden Konzepten ist gemeinsam, dass sie das Verhältnis zwischen der Firma und den Konsumentinnen als hierarchisch strukturiert betrachten. Meinl repräsentierte eine altmodische Höflichkeit, die nie das Bewusstsein für Rangordnungen verlor. Das Verkaufsritual kreiste um die geheiligte Formel: „Womit kann ich dienen?" Sie entstammt einer Zeit, als das Verfügen über Dienstboten für das Bürgertum zum guten Ton gehörte und die Umgangsformen noch einen feudalen Geist atmeten. Ein Branchenmagazin skizzierte 1978 den typischen Meinl-Filialleiter folgendermaßen: „Den blütenweißen Hemdkragen des Mannes ziert ein exakt sitzendes kaffeebraunes Mascherl. Von den Lippen fließt ein gekonntes ,Küß die Hand, gnädige Frau, womit darf ich dienen?'. Sooft nur eine Gnädige das Geschäft verlässt, vollführt der Rücken eine Anzahl kleiner, ruckartiger Verbeugungen." 46 Das besondere Service, das eine unverzichtbare Komponente der Werbebotschaft von Meinl bildete, war in der Zweiten Republik ein liebenswertes Residuum vergangener Zeiten, dessen Anziehungskraft die Firma allerdings überschätzte. Meinl baute auf eine Stammkundschaft, der - so dachte man - daran lag, sich von den Verkäuferinnen ihres Vertrauens bedienen zu lassen. Der Lebensmittelhandel entwickelte sich jedoch weg vom Greißlerladen und hin zum Supermarkt. Die damit einhergehende Anonymisierung verkraftete Meinl nur schlecht. Die PR-Beilage von 1962 entwarf das Horrorszenario des modernen Einkaufs: „In unserer neonbeleuchteten Gegenwart der chromblitzenden Supermarkets, in der sich die von der Arbeit abgehetzte berufstätige Hausfrau hoffnungslos zwischen Warengebirgen zu verlaufen droht, hat der Personalmangel den Dienst am Kunden zum mechanischen Angebot degradiert. , Bediene Dich selbst und stör uns nicht weiter!'" Meinl hingegen offerierte Geborgenheit. Der Terminus Selbstbedienung erschien als fluchwürdiges Wort. Man entschied sich daher, die eigenen Geschäfte, die nach diesem neuen System funktionierten, als „Auswahlläden" zu bezeichnen, „um die mechanisierte Kontaktlosigkeit zwischen Käufer und Verkäufer wenigstens der Formulierung nach von den gelb-braunen Portalen fernzuhalten". 47 Die Firma Meinl war in all ihren Auffassungen einer bürgerlichen Weltanschauung verpflichtet, die mit dem Zeitalter von Massendemokratie und Massenkonsum kaum zu Rande kam. 48 Die zunehmende Individualisierung, die Auflösung von substanziellen Bindungen wollte man nicht zur Kenntnis nehmen - erst recht nicht, wenn es um die Beziehung von Verkäuferinnen und Kundinnen ging: Erstere hatten zu bedienen, letztere sich bedienen zu lassen. Unter dem Druck der Konkurrenz war eine gewisse Anpassung an die geänderten Verhältnisse nicht zu vermeiden, aber auch der „Auswahlladen" sollte die Kundinnen nicht zur Gänze in die schrankenlose Freiheit des Konsums entlassen. Sie sollten zumindest idealiter unter wohlwollender Aufsicht der Verkäuferinnen bleiben. Ihnen gedachte man die Rolle zu, den strauchelnden Irdischen wie Sendboten von Göttervater Julius zu Hilfe zu ei-

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len: „Im Hintergrund stehen sie bereit bis zu dem Augenblick, da eine gequälte Hausfrau ein wenig hilflos stehen bleibt und sichtlich nicht weiter weiß. Dann taucht der Meinl-Verkäufer im lichtbraunen Hemd mit der türkisfarbenen Krawatte auf [,..]"49 Nicht zufällig baute Meinl bis in die Zwischenkriegszeit auf einen Kundenstock, der sich in erster Linie aus dem Bürgertum rekrutierte. Die Firma brachte daher Zeitungsanzeigen nach Möglichkeit auf den Theaterseiten unter. Damit trug sie der Bedeutung dieser Institution für das kulturelle Selbstverständnis des Bürgertums Rechnung. Auch die Plakatwerbung wollte - wie man später selbst eingestand - nur „eine bestimmte Schichte von Menschen" ansprechen. So zeigen in der Zwischenkriegszeit affichierte Plakate für den von Meinl hergestellten Likör z.B. „eine Parforcereiterin hoch zu Roß" oder einen Mann in Frack und Zylinder, der mit Kennermiene auf die Flasche mit dem exquisiten Getränk blickt. 50 Meinl schuf durch seine Werbelinie ein Bild des Unternehmens, das bis in die Gegenwart fortwirkt. 1990 berichtete die „Meinl-Post" zufrieden, dass eine Studie ergeben habe: „Für die Kunden steht Meinl vor allem für (groß-)bürgerliche Lebensart, für ein bißchen Luxus, Verwöhnen und Qualität - eben einfach für ,etwas Besseres'." 51 Ein Hauptmerkmal der Werbung von Meinl war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Verweis auf den exotischen Charakter der angebotenen Waren. Die wichtigsten Bestandteile des Repertoires, das die Firma hierbei einsetzte, versammelt schon die Fassade des 1898/99 errichteten imposanten Hauses am Wiener Fleischmarkt, das bis 1912 als Unternehmenszentrale dienen sollte. Ein mehrteiliges Relief zeigt zwei Bildelemente, die in den folgenden Jahrzehnten in unzähligen Variationen zum Einsatz kamen: 52 das Schiff und die „Exoten", in diesem Fall die schwarzen Kaffeepflücker. Als Firmensymbol verwendete Meinl bis nach dem Zweiten Weltkrieg das Segelschiff. Man sah es im Glasbild über dem Eingang zu der Filiale am Fleischmarkt ebenso wie als Gütezeichen auf Waren des Unternehmens. 53 Auch viele Plakate griffen auf das Motiv zurück: Das Schiff am Horizont bildete den Fluchtpunkt der Sehnsucht, die den Produkten von Julius Meinl gelten sollte. Die zweite dominante Linie der Meinl-Werbung, die mit der ersten vielfach verknüpft wurde, baute auf den exotischen Reiz, der von fremden Kulturen ausging: Mit einer Frau in japanischer Tracht, dazu einer Konifere und der Sonnenscheibe im Hintergrund warb man für Meinl-Tee; zur Popularisierung des Meinl-Kaffees zeigte man einen türkisch gekleideten Mann, der in einem Zelt am Boden sitzend Wasserpfeife rauchte - vor ihm ein kleines Tischchen mit einer Schale des Getränks. Dem Kontext von Exotismus und Kolonialismus entstammt auch das erfolgreichste Symbol des Unternehmens: der Meinl-Mohr. Die deutsche Künstlerin Aenne Koken malte das erste Kaffee-Plakat für Meinl, das einen „Mohren" zeigte: Dieser steht zwischen zwei Fässern mit überdimensionalen Kaffeebohnen. Jahrzehntelang fand man das Motiv als Relief in den Auslagen aller

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Filialen des Unternehmens. Die Grundform des heutigen Firmenlogos geht aber auf den bedeutenden Werbegrafiker Joseph Binder zurück. Im Auftrag von Julius Meinl schuf er Verpackungen, malte Plakate und entwarf 1924 den berühmten Meinl-Mohren: Vor einem weißen Hintergrund sehen wir einen schwarzen Knaben, der einen roten Fez trägt und eine Schale Kaffee zum Mund führt. Binder nannte seine Schöpfung aufgrund der Kombination aus runder Kopfform und langem Fez „das Ausrufezeichen". 54 Die Werbeabteilung von Meinl unterzog in der Folgezeit die Komposition, die 1961 das Segelschiff als Firmenlogo ablöste, einigen Veränderungen. Die Umrisse wurden immer runder und geschwungener, der Stil flächiger und das Bildzeichen insgesamt geschlossener. Ab 1953 trug der Mohr keinen Ohrring mehr. 1955 wurde sein ehemals gestreifter Kragen einfarbig rot und vor allem verschwand selbst die Kaffeetasse als direkter Hinweis auf das Paradeprodukt von Meinl. 55

Pleinl Kaffee Der „Meinl-Mohr" von Joseph Binder (1924)

Schon bald nach seiner „Geburt" stand der Meinl-Mohr im Zentrum vieler Werbeaktivitäten: In der Zwischenkriegszeit engagierte die Firma z.B. einen Schwarzafrikaner, der bei der Veranstaltung von Kaffeekostproben den Meinl-Mohren zu geben hatte,56 und nach 1945 buhlte das Unternehmen um die Gunst der Kinder, indem es „Jumei", den kleinen Meinl-Mohren, in Comics Abenteuer bestehen ließ. Der Mohr wurde auf unzähligen Plakaten in immer wieder neuen Posen dargestellt und schließlich figurierte er als Star zahlreicher Trickfilme,

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die im Werbefernsehen des ORF liefen. Das Mohrensymbol erfreute sich einer derart großen Bekanntheit, dass es nicht mehr der Nennung des Markennamens bedurfte, um eine eindeutige Zuordnung durch die Konsumentinnen zu gewährleisten. So affichierte die Firma 1953 eine volle Tasse Kaffee, auf dessen Oberfläche sich das Gesicht des Meinl-Mohren spiegelte. Überschrieben war das Bild mit dem Ausruf: „Ich bin's!". 57

Ein Plakat von Otto Exinger als Test der Bekanntheit des „Meinl-Mohren"

Auch die Medien machen sich seit langem die Popularität des Firmensymbols zunutze, indem sie den Mohren als prägnante metonymische Bezeichnung für das Unternehmen und die Eigentümerfamilie verwenden. Kein Artikel kommt ohne einschlägige Wortspiele aus, auf denen oft schon die Überschrift basiert. Besonderer Beliebtheit erfreute sich die Abwandlung eines Zitates von Schiller: „Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan." Auch über die Repräsentation der Firma hinausgehend gehört das Markenzeichen fest zum Inventar jener Bilder, die im kollektiven Gedächtnis der Österreicherinnen gespeichert sind. Der Meinl-Mohr gilt als „urösterreichisches Emblem", wie das „Industriemagazin" schrieb. 58 Jedoch fragt man sich, warum der Meinl-Mohr als „urösterreichisch" erscheint, wenn andererseits Menschen mit dunkler Hautfarbe von den Österreicherlnnnen kaum als „echte" Landsleute akzeptiert werden, mögen sie auch

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noch so lange die entsprechende Staatsbürgerschaft besitzen? Das Unternehmen selbst versuchte sich den Erfolg seines Signets damit zu erklären, dass der Meinl-Mohr in Wahrheit weder ein „Neger" sei, wie seine Hautfarbe andeutet, noch ein Türke, wie man aufgrund des Fez annehmen könnte. Als Ergebnis des konstanten Faceliftings, das den Meinl-Mohren aller negroiden Züge entledigte, sei dieser zu einem „wienerischen Mohrenkind" geworden: „bunt, wie Kinder es so gern haben, mit lustigen Augen und kleiner Stupsnase". 59 Wie nahe Exotismus und Rassismus auch im Fall des Meinl-Mohren beieinander liegen, zeigt die folgende Formulierung schlagend auf: „Otto Exinger ersetzte 1935 den Negerkopf durch ein charmantes, europäisiertes Kinderprofil. Der Mohr wurde liebenswürdiger gemacht und vermenschlicht." 60 Als „Neger" hatte das Symbol offenbar nicht ausreichend menschlichen Charakter. Das scheinbar harmlose Markenzeichen fußt auf einer langen Tradition, dunkelhäutige Menschen der Natur zuzuordnen, während der Bereich der Kultur den Weißen vorbehalten wurde. Die Verbindung aus dunkler Farbe, die an jene des Kaffees gemahnte, und dem Stereotyp vom Schwarzen als Diener des weißen Mannes helfen die Wirksamkeit des Symbols zu verstehen. Um nicht durch einen realistisch gezeichneten Schwarzen negative Emotionen zu wecken, verwandelte man ihn außerdem gemäß dem Kindchenschema. Der Meinl-Mohr ist nur eines von zahlreichen Beispielen der Verwendung von Schwarzen als Markenzeichen der Nahrungsmittelindustrie. In den USA wirbt „Aunt Jemima" seit einem Jahrhundert für Pfannkuchenpulver. Die Marke, seit 1925 im Besitz der Quaker Oats Company, wurde für die haushaltspraktischen wie symbolischen Bedürfnisse von weißen Konsumentinnen konzipiert. 61 Ein noch engerer Verwandter des Meinl-Mohren ist die Schutzmarke der Sarotti Chocoladen- und Cacao-Aktiengesellschaft aus Berlin. 1918 ließ sie drei Mohren mit Tablett als neues Signet eintragen und 1922 einen Mohrenknaben. Im Unterschied zu seinem Wiener Gegenstück trägt er keinen Fez, sondern einen Turban. Das galt auch für die Mohrenfigur, die mehrere Jahrzehnte lang für Eigenmarken der österreichischen Konsumgenossenschaften verwendet wurde: Der Mohr, dessen Turban ein Halbmond zierte, saß mit verschränkten Beinen, eine Kaffeetasse in der Hand und lachte den Käuferinnen entgegen. Die Konsumgenossenschaften traten mit ihrer Kaffeeproduktion unter anderem in Konkurrenz zu Meinl - eine Situation, die sich in den Markenzeichen spiegelte. Angesichts einer gestiegenen Sensibilität für rassistische Stereotypen fordern Signets wie der Meinl-Mohr Kritik heraus. Georg Hoffmann-Ostenhof meinte 1996 im „Profil": Die Negerküsse, Mohren im Hemd, etc. hätten ihre Unschuld längst verloren. Er kam zu dem Schluss: „Höchste Zeit, daß Julius Meinl ein neues Emblem sucht. Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen." 62 Bei Meinl dachte man aber nicht daran, auf das eingeführte Firmensymbol zu verzichten. 1998 lautete der Slogan einer Kampagne, die für Kaffee, Marmelade und Konfitüre warb: „Der Mohr bleibt." Für ein

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2002 in Chicago eröffnetes Kaffeehaus gab man freilich dem Mohren zumindest ein goldfarbenes Antlitz, denn wie - Thomas Meinl erklärte - in den USA müsse man aufgrund besonderer Sensibilitäten „mit einem schwarzen Mohrengesicht sehr aufpassen". 63 Generell zehrt das Unternehmen bis in die Gegenwart von der Prägnanz, durch die sich seine Werbung in der Zwischenkriegszeit ausgezeichnet hatte. Im Herbst 1983 z.B. wurden für die Kampagne „Meinl-Corso" alte Plakate der Firma auf die Größe von Sammelmarken verkleinert und auf allen ViertelkiloPackungen Meinl-Kaffee angebracht. Außerdem entwarf man eine passende Sammelkarte: Sie zeigte eine nostalgische Straßenszene mit sechs leeren Anschlagflächen, die zum Aufkleben der Miniaturplakate aufforderten. 64 Die alten Werbesujets gewannen in der Folge derart an Beliebtheit, dass Meinl sie als Poster neu auflegte, die mittlerweile auch über das Internet feilgeboten werden. Die Firma verwendete nicht nur alte Slogans in späteren Kampagnen als Prätexte oder griff auf gut eingeführte Symbole und Sujets zurück - beides gängige Phänomene sondern sie steigerte den Selbstbezug bis zu dem Punkt, an dem die eigene Werbung früherer Zeiten ins Zentrum der aktuellen Werbebotschaft rückte. Dass sich Meinl das erlauben konnte, verweist nicht nur auf Markenqualität, sondern auch auf die Rolle der Firma als Erinnerungsort.

Julius Meinl - Symbolinhalte Meinl und die (Re)Konstruktion zeit

des Österreichischen

in der

Nachkriegs-

„Meinl ist ein Stück Österreich", lautet der Zwischentitel in einer Public Relations Beilage zu einer Ausgabe der „Salzburger Nachrichten" aus dem Jahre 1990. „Meinl ist ein Stück Österreich", meint auch Georg Markus in der „Kronenzeitung" 1998.65 Selbst- und Fremdbild des Unternehmens stimmen in diesem zentralen Punkt überein - und nicht erst seit den 1990er-Jahren. Dafür lassen sich zahlreiche Belege anführen, die uns in die Frühzeit der Zweiten Republik zurückführen, als sich Österreich als Staatsnation neu konstituierte. Das erste Beispiel entstammt einer Satire von Helmut Qualtinger und Carl Merz aus dem „Neuen Kurier" vom 23. April 1955. Sie erschien in ihrer kurz zuvor eingerichteten allwöchentlichen Kolumne „Blattl vor'm Mund". 66 Der Text nimmt Bezug auf den Staatsvertrag, denn kurz zuvor hat die österreichische Delegation in Moskau die entscheidende Zusage erhalten. Er ist betitelt: „Die Befreiung der UdSSR und der USA". Entworfen wird eine verkehrte Welt, in der Österreich als Besatzer aufscheint, während die beiden Siegermächte und Hauptkontrahenten des Kalten Krieges über ihre wiedergewonnene Freiheit jubeln. Die folgende Passage skizziert das Bild der von Österreich besetzten USA in einer Reihe von Sätzen, die im Stil von Zeitungsschlagzeilen gehalten sind:

Julius M e i n l - Patriarchalisch, ( g r o ß ) b ü r g e r l i c h , ö s t e r r e i c h b e w u s s t

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„Das dämonische ,Naa!' des österreichischen Außenministers blieb zum erstenmal ungesprochen! ... Die Lohner-Roller der österreichischen Militärpolizei verschwinden aus dem New Yorker Stadtbild ... Die österreichischen Besatzungstruppen werden mit dem Persil-Hubschrauber evakuiert... ÖROP-Tankstellen aufgelassen! Endlich wieder amerikanisches Benzin! ... Kaiserfilmflut gestoppt! Kein jugendlicher Krimineller kann sich mehr auf K.u.K.-Filme ausreden! ... An allen Straßenwänden prangt die Aufschrift: Sandler go home! ... .Wieners Digest' stellt Erscheinen ein ... Meinl-Mohr bleibt Wahrzeichen von New Orleans ... das ,Österreichhaus' im Empire-State-Building ist weiterhin für jeden Parteienverkehr gesperrt..." Die Sätze lassen sich als eine Serie, ein Paradigma von Österreich-Bildern lesen, die in Entsprechung zu USA- und Sowjetunion-Klischees gesetzt sind. Der Meinl-Mohr, real das Warenzeichen einer Firma, taucht hier als das Wahrzeichen von New Orleans auf. Qualtinger und Merz verwenden ihn somit als eines der Symbole für einen fiktiven österreichischen Konsum- und Kulturimperialismus. Das dokumentiert die Position von Meinl als Unternehmen, dem ein typisch österreichischer (und wienerischer) Charakter zugeschrieben wird, weshalb es sich als Element der satirischen Auseinandersetzung mit dem Staatsvertrag anbot. Dieser wurde ja erfolgreich als identitätsstiftendes Ereignis der Zweiten Republik inszeniert, als politische Grundlage für ein selbstbewusstes Österreichertum oder - anders formuliert - als politisches Gefäß, das mit nationaler Substanz aufgefüllt werden musste. Dabei konnte eben unter anderem SissiFilmen, Lohner-Rollern und dem Meinl-Mohr eine mehr oder minder wichtige Funktion zuwachsen. Meinl eignete sich, um für die (Re-)Konstruktion des Österreichischen in Dienst genommen zu werden. Eine Ende 1949 begonnene Serie in der „Wiener Wochenausgabe", 67 die in sechs Folgen die Biographien von Julius II. und seinem Vater erzählt, zielt unverkennbar auf die Festigung von Nationalstolz ab. Ihr Titel lautet: „Julius der Österreicher". Er bezieht sich primär auf Julius II., aber die referenzielle Undeutlichkeit, die sich aus der zwischen dem Firmengründer und seinem Nachfolger bestehenden Namensgleichheit ergibt, steht in Einklang mit der Absicht, zwei historische Persönlichkeiten zu einer mythischen Figur des Österreichers zusammenzufassen. Die Verwendung des bestimmten Artikels unterstreicht die Funktion von Julius als positiver Held, als Integrationsmodell: Nicht um irgendeinen Österreicher sollte es gehen, sondern um den Österreicher. Bezeichnenderweise erwähnt der Serientitel auch nicht, dass es sich bei Julius um einen Unternehmer handelt. Sein Österreichertum ist das übergeordnete Allgemeine, dem das Unternehmertum nachgeordnet erscheint. Erst der Untertitel von Folge eins bezieht sich daher auf die konkrete Tätigkeit von Julius: „Das Werden einer Weltfirma - vom Wiener Fleischmarkt über ganz Europa". Das Faktum, dass der Firma Meinl ein bemerkenswerter kommerzieller Aufstieg gelang, wird in eine Form gegossen, die ihm die Qualität eines nationalen Mythos verleihen soll: Julius schuf eine „Weltfirma", indem er von

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Wien ausging. Welt - Wien - Europa sind die Koordinaten, den Mittelpunkt bildet nicht zufällig die österreichische Hauptstadt. Besonders deutlich manifestiert sich die im Titel angekündigte Absicht einer Inszenierung von Österreichertum in der ausgedehnten Schilderung eines Disputs zwischen Julius I. und seinem Sohn: 68 Dieser äußert den Wunsch, nach Brasilien zu gehen, um sich dort selbstständig eine Existenz aufzubauen. Julius I. warnt ihn vor einem solchen Schritt, den er mit einer Desertion gleichsetzt: „Man rennt nicht aus dem Vaterland fort, wenn man ein Österreicher ist." Julius II. lässt sich jedoch von seinem Plan nicht abbringen, die Situation spitzt sich zu: „Jetzt und jetzt kann es, muß es zum Bruch kommen." In diesem Moment tritt die Schwester von Julius II. als dea ex machina auf. Gemäß dem traditionellen Rollenmuster fällt ihr die Aufgabe zu, zwischen Vater und Sohn, beide männlich stur, zu vermitteln. Selbstverständlich gelingt es ihr, die Versöhnung einzuleiten. Julius II. bleibt und steigt als Juniorchef in die Firma ein. Der Disput spielt im Gesamtzusammenhang der Serie über die Meinls nicht bloß eine anekdotische Rolle, sondern die „erste und einzige harte Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn" wird zu einem Wendepunkt erhoben: Indem sich Julius II. für Heimat und Familie entscheidet, sind die Würfel gefallen. Ein glänzender Aufstieg beginnt. Die Schilderung legt als mythische Erzählung den Leserinnen Heroen ans Herz. Wenn wir uns vor Augen halten, dass die Artikelserie der unmittelbaren Nachkriegszeit entstammt, können wir die allegorische Bedeutung der Streitszene weiter konkretisieren. Das Verhalten von Julius II. lässt sich als Verweis auf den Wiederaufbauwillen der Österreicherinnen interpretieren. Einerseits mag man darin die indirekte Berühmung der heimattreuen Österreicherinnen (im Unterschied zu den fahnenflüchtigen Emigrantinnen) sehen, andererseits auch eine Handlungsaufforderung: es dem vorbildlichen Julius gleichzutun. Es entzieht sich unserer Kenntnis, ob die Passage vielleicht auf einer Familienüberlieferung basiert. Aber selbst wenn die „Wochenausgabe" auf Informationen zurückgegriffen haben sollte, die uns nicht zugänglich sind, dienten ihr diese nur als Vorwand, um die Treue zu Familie und Heimat als zentrale Werte vorzuführen. Insgesamt gilt für die Serie: Die Geschichte der Meinls und ihres Unternehmens stellt bloß ein Material zur Verfügung, das die Grundlage für Botschaften über den mustergültigen Österreicher abgibt und sogar nach Bedarf ergänzt werden kann. Die Schaffung eines stimmigen Bildes genießt Vorrang gegenüber einem sorgsamen Umgang mit Fakten. Daher wird auch die Etablierung des Mohrenkopfs als Markenzeichen fälschlicherweise auf die Zeit um 1865 vordatiert. Auf diese Weise erhält das Erscheinungsbild, das die Firma Meinl in der Gegenwart der Jahre 1949/50 bietet, die Würde hohen Alters. Das Verfahren erinnert an mittelalterliche Heiligenviten, deren Verfasser sich durchaus nicht an Quellen und Überlieferung gebunden fühlten, da Heiligkeit mit einem relativ festen Inventar an Wundern und anderen typischen Taten in Ver-

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bindung gebracht wurde. Der nationalistische Diskurs charakterisiert sich aber durch eine quasi-religiöse Disposition. Das Auftauchen des „Meinl-Mohren" in der Kolumne „Blattl vor'm Mund" und die Darstellung von Julius I. und Julius II. als ideale Österreicher in der „Wochenausgabe" bezeugen, dass die Firma und ihre Eigentümer bereits in den frühen Jahren der Zweiten Republik feste Bestandteile des kulturellen Gedächtnisses der Österreicherinnen bildeten. Mit der Wahrnehmung von Meinl, die sich durch dichte Bezüge zu Österreich auszeichnete, korrespondierte die konsequente Arbeit der Firma an ihrem patriotischen Image. Das Unternehmen, das selbst schon eine mit Österreich und speziell Wien verbundene Erinnerungsfigur war, suchte in dem Bild, das es nach außen vermittelte, den Anschluss an andere österreichische Gedächtnisorte, die, wollte man eine Skala erstellen, einen übergeordneten Rang einnehmen würden. Diese Strategie fand z.B. in den Titelbildern der Firmenzeitung „Meinl-Post" ihren Ausdruck. Betrachten wir die 55 Ausgaben von Nummer 30/1955 bis 84/1962, so treffen wir auf Abbildungen von Hafenanlagen in fernen Ländern, Reproduktionen von Werken berühmter Künstler, Fotos des Weinkellers von Meinl oder der Ringfiliale. Über ein Viertel der Sujets (genau 29%) signalisieren aber vor allem eines: Österreich. Das Schwergewicht ruht eindeutig auf Wien, das sich uns auf 11 von 16 Abbildungen darbietet. Die Firmenzeitschrift zierten in dem von uns erfassten Zeitraum unter anderem eine alte Ansicht von Grinzing, eine Aufnahme der Liliputbahn im Prater und Fotografien von Denkmälern der imperialen Vergangenheit, wie der Schlossanlagen Belvedere und Schönbrunn, die je zweimal abgebildet wurden, sowie des Stephansdoms. Der Staatsoper als einer der heiligen Orte der Kulturnation gedachte man 1951 und 1955, dem Jahr ihrer Wiedereröffnung. M e i n l - P o s i

Österreichische Symbole auf dem Titelblatt der Firmenzeitung, hier das Belvedere

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Das Titelbild einer Ausgabe von 1956 will Österreich in seiner Gesamtheit darstellen: Es zeigt uns einen Gobelin, der im Konferenzsaal der Meinl-Zentrale in Wien hing und nach einer Idee von Julius III. ausgeführt wurde. Sein Thema: „Eine Allegorie auf Österreich". Diese wurde im beigefügten Text folgendermaßen entschlüsselt: „Das Lebenselement Wasser, im Hochgebirge noch Schnee und Eis, findet den Weg durch Quellen und Bäche zum großen Strom. Der monumentale Bau an seinen Ufern repräsentiert das für Österreich charakteristische Barock. In der ornamentalen Umrahmung ist die Wirtschaft in ihren vielen Verzweigungen in verschiedenen Emblemen bildhaft zum Ausdruck gebracht." Die Darstellung ist in mehrerer Hinsicht charakteristisch für ihre Entstehungszeit: Gerade in den Jahren nach 1945 berief man sich auf das Barock als „lebendiges Geheimnis" des Österreichischen, zog man Parallelen zwischen dieser Blütezeit der Habsburgermonarchie und der Zweiten Republik. Beide wollte man als Produkt einer „Überwindung von Todesnot, Seelenangst und der Gefahr einer Übermachtung durch das Fremde" ansehen, wie es Ernst Marboe in seinem 1948 publizierten Österreich-Buch formulierte. 69 Auf die Ära des Wiederaufbaus verweist außerdem das unproblematische Nebeneinander von Natur und Technik. In der Bordüre erkennt man eine E-Lok, Utensilien des Weinbaus, einen Traktor, Strommasten, Frachtschiffe, etc. Diese Symbole des ökonomischen und technischen Fortschritts empfindet man offensichtlich nicht als unvereinbar mit der Darstellung erhabener Gebirgszüge und eines mächtigen Stromes, sondern als ihre notwendige Ergänzung. Allerdings wird zwischen schöner Landschaft und Technik penibel ein Trennstrich gezogen. Erstere nimmt das Bildfeld selbst ein, zweitere ist nur die Umrahmung. Obwohl real die Veränderung und Zerstörung der Natur in der Nachkriegszeit durch den Wirtschaftsaufschwung eine neue Qualität erreicht, wird die unberührte Landschaft als Kern des Österreichischen präsentiert. Im Zentrum dieses nationalen Idylls hat nur ein dem Stift Melk nachempfundener Barockbau Platz, der durch die Würde des Alters nicht mehr als Fremdkörper gilt. Die (technologische) Moderne, die uns in der Bordüre entgegentritt, erscheint nicht als zur Substanz des Österreichischen gehörend. Wenn man den bei Meinl hängenden Gobelin als aussagekräftigen Hinweis auf die Struktur der nationalen Identität nimmt, so bietet er auch eine Erklärung dafür, weshalb seit den Siebzigerjahren technische und wirtschaftliche Leistungen als Objekte nationalen Stolzes an Bedeutung verlieren konnten. In der Firmenzeitschrift spielte also die Inszenierung Österreichs eine wesentliche Rolle. Für den patriotischen Kurs, der zur Unternehmenskultur der Julius Meinl AG gehörte, ließen sich noch viele andere Beispiele finden, die weit über die Nachkriegszeit hinausreichen. Wir wollen aber an diesem Punkt abbrechen und die Perspektive verändern: Statt von einer bestimmten Zeitperiode auszugehen, soll unser Interesse nun einzelnen Inhalten gelten, mit denen sich Meinl in einen nationalen Rahmen stellt bzw. auch gestellt wird. Chronologische Gesichtspunkte werden dennoch zwangsläufig einfließen: Zu jenen Inhal-

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ten, die erklären, warum Meinl sich als österreichischer Gedächtnisort etablieren konnte, gehört z.B. die Bezugnahme auf die Zeit der Monarchie. Außerdem verlangt die Beschäftigung mit dem Traditionsbewusstsein, das in der Zweiten Republik das Image von Meinl prägt, die Berücksichtigung der Zwischenkriegszeit, als der Firmenname Meinl nicht für Schwerfälligkeit, sondern für unternehmerische Dynamik stand. Die Firma als absolute

Monarchie

Ein auffälliges Merkmal von Zeitungsberichten über die Julius Meinl AG ist die Häufigkeit der metaphorischen Verwendung von Ausdrücken aus dem Bereich monarchischer Herrschaft: Der Unternehmer wird als König oder Herrscher tituliert, seine Mitarbeiterinnen als Untertanen, sein Sohn als Kronprinz, die Familie als Dynastie, ihre Firma als Imperium, Reich oder „Meinl-Staat". Geschäftliche Verbindungen werden als Mesalliance oder standesgemäße Ehe gewertet, die Nachfolge mit der Phrase „das Zepter übernehmen" umschrieben und der Führungsstil als feudal etikettiert. In diesem Sprachgebrauch spiegelt sich die Wahrnehmung des unbestreitbaren Faktums, dass die Firma Meinl über viele Jahrzehnte das perfekte Beispiel einer patriarchalischen Unternehmenskultur darstellte. Vorbild dieses Modells ist der absolutistische Staat. So wie die Donaumonarchie trotz konstitutioneller Reformen im Grunde das Herrschaftsgebiet des Hauses Habsburg blieb, so unterstand die Firma Meinl schlicht dem Haus Meinl, selbst nachdem sich Julius II. für die „konstitutionelle" Form einer Aktiengesellschaft entschieden hatte. Mit seinem paternalistischen Führungsmodell bildete Meinl selbst im Österreich der Zweiten Republik keine Ausnahmeerscheinung. Das erklärt sich aus Besonderheiten der österreichischen Wirtschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts: Als nach dem Ersten Weltkrieg modernere Managementkonzeptionen aufkamen, durchlebte Österreich eine krisenhafte Phase, in der nur wenige Unternehmen gegründet wurden. Der Einfluss von „rationalen" Führungsmodellen, die sich vor allem in den USA durchsetzten, blieb daher gering. Nach 1945 hielten zwar auch hierzulande neue Managementtechniken Einzug, jedoch gingen viele alteingesessene Familienunternehmen nicht von ihren überkommenen Konzeptionen ab. Erst nach Ende des Booms der Nachkriegszeit sahen sich auch diese Firmen vermehrt zum Bruch mit ihrer traditionellen Unternehmenskultur veranlasst. Meinl machte allerdings unter Julius III. kaum Anstalten zu Veränderung. Diesem Umstand kommt für die Frage nach der Firma Meinl als Gedächtnisort einige Bedeutung zu: In ihrem Buch über „Unternehmenskultur in Österreich" weisen Dieter Stiefel und Herbert Matis darauf hin, dass es gerade die patriarchalisch geführten Unternehmen seien, die gemeinhin als typisch österreichisch gelten.70 Nominell war Julius III. zwar bloß Vorsitzender des Aufsichtsrates, hatte also nur eine kontrollierende Funktion inne, während der Vorstand die Geschäf-

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te führen sollte. De facto behielt sich der Enkel des Firmengründers jedoch alle wichtigen Entscheidungen vor - und oft auch die unwichtigen. Dem „Trend" klagte ein Prokurist: „Der Alte kümmert sich manchmal auch um die Arbeitsmäntel der Lehrlinge." Der Herrscher liebte folglich keine starken Persönlichkeiten in seiner Umgebung. Ein Manager bei Meinl musste weniger über Durchschlagskraft und Entscheidungsfreude als über diplomatische Fähigkeiten verfügen. Julius III. ließ sich in seiner Allgewalt auch nicht durch gesetzliche Bestimmungen einschränken, die Arbeitnehmerinnen oder Aktionärinnen Einflussmöglichkeiten geben sollten: Die Vorstellung, dass andere mitreden oder von ihm Rechenschaft fordern könnten, erschien ihm absurd genug, dass er humorig meinte: „Ich bin gar nicht gegen die Mitbestimmung. Jetzt kann ich endlich auch mitbestimmen." 71 Die jährliche Hauptversammlung der Aktiengesellschaft war eine Farce, denn gegenüber der Öffentlichkeit geizte Meinl aus Prinzip mit Informationen. Da sich bei der Firma Meinl die gesamte Macht auf den Eigentümerunternehmer konzentrierte, stand dieser im Mittelpunkt eines ausgefeilten Herrscherkultes. Die Repräsentation von Julius III. baute im Sinne einer Sakralisierung der Macht einen unüberbrückbaren Abstand zu allem Irdischen auf. Julius III. erhob den Anspruch, sich nicht um die kleinlichen Probleme des Tagesgeschäftes kümmern zu müssen, wenngleich sein uneingeschränktes Durchgriffsrecht in jeder Frage, selbst der geringsten, außer Z w e i f e l zu stehen hatte. Als Aufsichtsratsvorsitzender wollte er aber vor allem über die prinzipielle Einhaltung der ehernen Meinl-Gebote wachen: „Er unterschreibt keine Briefe - das machen die Abteilungsleiter. Er führt auch keine Telephongespräche - das heißt: Er ist am Telephon nicht zu sprechen, man wird nicht mit ihm verbunden, und er telephoniert nur, wenn er jemanden sprechen will." 7 2 Die Chefsekretärin war daher nicht schlicht eine Angestellte, sondern jene Priesterin, deren „heiligste Funktion" darin bestand, über den Zugang ins Herz des Tempels, des Büros von Julius III., zu wachen. Sie allein betätigte den Druckknopf der elektrischen Tür, die außen keine Klinke hatte, damit kein Unberufener Julius III. stören konnte.73 Von den Angestellten erwartete man nicht vergebens gebührende Ehrfurcht. „Die Familie Meinl wird von den Mitarbeitern des Hauses verehrt wie sonst nur noch Monarchen von wohlgesonnenen Untertanen", konstatierte die „Wirtschaftswoche" 1991.74 Die Distanz, die Julius III. von allen seinen Untertaninnen trennte, bedeutete nicht Abwesenheit. Die Firmenschriften versuchten stets den Eindruck zu vermitteln, dass Meinl gottgleich der Welt entrückt und doch in allen Dingen gegenwärtig sei. Die mehrseitige PR-Beilage von 1962 versichert: Wer eine der Filialen betrete und von einem Verkäufer bedient werde, habe stets das Gefühl, dem Herrn Meinl selbst gegenüberzustehen, und wer K a f f e e bei Meinl erwerbe, müsse wissen, dass „Meinl in diesem Fall keine A G darstellt, sondern einen Mann persönlich." In der Werbebeilage finden sich noch viele andere Passagen, die immer wieder auf der Omnipräsenz von Julius III. insistieren. Ein wesentli-

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ches Element dieser Botschaft ist die Phantasie der totalen Kontrolle des Unternehmers. Schon der Vorspann des ersten Artikels führt uns daher Julius III. vor, wie er gerade eine seiner Filialen überprüft: „Ein Mann im dunkelblauen Anzug steht im Hintergrund. Unter dem silberweißen Haar ist das Gesicht jung geblieben. Die Augen wandern hin und her. Ein Bleistiftstummel macht Notizen auf kleinen Zetteln. Der Mann sieht und beobachtet. Der Blick trifft haarscharf die Fingernägel des jüngsten Lehrlings und beobachtet den Sauberkeitsgrad. Der nächste Blick gilt den unschlüssig suchenden Fingern einer Hausfrau zwischen den aufgestapelten Waren in der Verkaufsgondel. Sein Zettel registriert, ob der Verkäufer schnell genug da ist, um zu beraten. Das Ohr lauscht gleichzeitig aufmerksam in die andere, entlegenste Ecke des Lokals, ob es dort, wo eben auf der messingglänzenden Balkenwaage Kaffee eingewogen wird, die Formel hört: „Womit kann ich sonst noch dienen?" 75 Diese Darstellung des Unternehmers hatte bei Meinl lange Tradition. Bereits über Julius II. wurden einschlägige Anekdoten in Umlauf gebracht. Zu den beliebtesten Legenden, die sich um Monarchen ranken, gehören jene über Herrscher, die sich inkognito unters einfache Volk mischen. Was man sich über Josef II. erzählt, berichtet man daher auch über Julius II. und Julius III:76 Über beide ging die Fama, dass sie bisweilen unerkannt nach dem Rechten sahen. Ein Mittel, Allgegenwärtigkeit symbolisch ins Werk zu setzen, stellte das Konterfei des Unternehmenschefs dar, das zur Grundausstattung aller Filialen zählte. Unwillkürlich erinnert man sich des Kaiserporträts, das in den Amtsstuben der Monarchie unvermeidlich war. Die stets wohlwollende Branchenzeitung „Regal" assoziierte auch - ebenfalls naheliegend - das Porträtbild des Bundespräsidenten, des Ersatzmonarchen der Republik. 77 Der weniger wohlwollende „Trend" sprach indes von Orwells „großem Bruder", weil das Bild von Julius III. auch alle Büroräume zierte. Nur die beiden Söhne Julius IV. und Thomas durften auf diesen Wandschmuck verzichten. Der unternehmensinternen Hierarchie wurde außerdem dadurch Rechnung getragen, dass auf die Vorstandsdirektoren ein Foto jüngeren Datums herabblickte, während sich die gewöhnlichen Angestellten mit einer älteren Protokollaufnahme begnügen mussten. 78 Als sich in den Achtzigerjahren der Chef des zum Konzern gehörenden Diskonters Renner als einziger Meinl-Direktor erlaubte, ohne das Bild von Julius III. seinen Arbeitsalltag zu verleben, wurde dies unternehmensintern und -extern als Zeichen besonderer Aufsässigkeit gewertet. Nicht zufällig empfand man bei Meinl die Diskontkette als Fremdkörper, der nicht recht zur Unternehmenskultur passte. 79 Das dynastische Prinzip wurde bei den Meinls dadurch betont, dass der älteste Sohn und Nachfolger stets den Namen Julius erhielt. Derzeit halten wir bereits beim sechsten Julius en suite. Um die Unterscheidung zu erleichtern, erhielt jeder Julius einen Beinamen - wie es eben bei Herrschern üblich ist. Der erste Julius wurde ehrfurchtsvoll als „der Gründer" bezeichnet, der zweite als

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„der Konsul", weil er seit 1933 das Amt des dänischen Generalkonsuls innehatte. Julius III. führte den Ehrentitel „der Präsident". An Julius IV., über lange Jahre hinweg als Thronfolger in Warteposition, blieb ein Spitzname aus der Kindheit hängen: Er wurde firmenintern „Jackie" genannt, weil man - so ein Vorstandsmitglied der Firma - „net allerweil der Klaane sagen kann". 80 Auch nachdem sich sein Vater im Alter von 84 Jahren endlich zurückgezogen hatte, gewann er nie dessen Format. Nach einer vergleichsweise kurzen Regentschaft trat Julius IV. ab und übertrug in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre Julius V. die Vertretung der Familieninteressen. Dieser trägt wieder einen Beinamen, der nach Ehrerbietung heischt. Ihn nennt man „der Lizentiat" - nach dem Titel, den er an der angesehenen Universität St. Gallen erworben hat. „Eine Epoche ist zu Ende", verkündete „Regal" bedeutungsschwanger, als Julius III. 1987 das Feld räumte. In der Tat gerieten nun die autoritären Attitüden der Meinls und ihre Geheimniskrämerei gegenüber der Öffentlichkeit verstärkt ins Schussfeld der Kritik. 1992 begehrte die Börsekammer aufgrund eines neuen Gesetzes, das Investorinnen schützen sollte, Aufschluss über die Eigentumsverhältnisse - bei Meinl ein Tabuthema ersten Ranges. Trotz heftigen Drängens ließ sich die Firma nicht mehr entlocken, als dass der Schweizerische Bankverein 92% der Stimmrechtsanteile als Fremdbesitz halte. In letzter Konsequenz drohte der Julius Meinl AG die Widerrufung ihrer Zulassung zum amtlichen Handel. Die Turbulenzen trugen dazu bei, innerhalb eines Jahres den Kurswert der Meinl-Aktien mehr als zu halbieren. Nun bot sich die ideale Gelegenheit zum Rückzug von der Börse: Den Kleinaktionärlnnen, die begonnen hatten, lästige Fragen zu stellen, unterbreitete man ein Abfindungsangebot, das sich am aktuellen Tiefstand des Aktienkurses orientierte. Allgemein wurde es als wenig großzügig eingestuft, weil es den hohen Substanzwert des Unternehmens unberücksichtigt ließ.81 Daher verlief 1993 die Hauptversammlung sehr aufgeregt. Das „Profil" berichtete: „Um 17 Uhr riß einem Noch-Aktionär des Kaffeerösters Julius Meinl die Geduld. ,Ich fühle mich verarscht', rief der Kleinkapitalist vor den 200 Anwesenden Vorstand und Aufsichtsrat des Feinkostkonzerns mit überkippender Stimme zu, .nehmen Sie das zu Protokoll.' Der Schriftführer flüsterte betreten: ,So etwas ist nicht üblich.'" 82 Angesichts der offensichtlichen Probleme der Handelskette, deren Umsatzschwäche den Gesamtkonzern immer stärker belastete, wurden Gerüchte laut, dass die Familie plane, ihr Filialnetz abzustoßen. Julius IV. betonte zwar noch im Jahr vor dem Verkauf: „Es hängt viel Liebe an diesem Unternehmen. Vor allem sind Nachfolger da [...]"83 Sein Sohn präsentierte sich jedoch als strenger Rechner: „Aus Sentimentalität hänge ich mir bestenfalls ein Bild an die Wand", verlautbarte er.84 Was zähle, sei allein der steigende Wert, den zu realisieren man bei günstiger Gelegenheit bereit sein müsse. 85 Julius V. versuchte in seiner Selbstinszenierung den Bruch mit der quasi-imperialen Tradition, die auf eine Identifikation von Unternehmen und Unternehmer gebaut hatte. Julius

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III. erschien als „die unsterbliche Seele seines Geschäftes", 8 6 sein Enkelsohn verspürte nicht mehr den Wunsch, ein solches Bild zu vermitteln.

Die Firma als Familie „Alle Arbeiter und Angestellten unseres Unternehmens bilden die große MeinlFamilie, in welcher sie sich geborgen und sicher fühlen können", verkündete die Festschrift von 1962. 8 7 Diese Vorstellung hängt eng mit der Stilisierung des Unternehmers zum absoluten Monarchen zusammen. Der Herrscher wird als pater familias imaginiert, die Untertaninnen als seine Söhne und Töchter. Diese schulden ihm Ehrfurcht und Treue, jener kümmert sich im Gegenzug väterlich um ihr Wohlbefinden. Bei einer Belegschaft, die schon zu Zeiten der Monarchie in die Tausende ging, musste der direkte Kontakt zwischen dem Unternehmer und den Beschäftigten eine Fiktion sein. Trotzdem versuchten Julius II. und Julius III. keinen Zweifel darüber aufkommen zu lassen, dass ihnen das Schicksal jedes einzelnen Mitarbeiters und jeder einzelnen Mitarbeiterin am Herzen lag. In einem internen Rundschreiben vom Juli 1948 erläuterte Julius III., der nach zehnjährigem Exil in die Heimat zurückgekehrt war, das Verhältnis, das die Mitarbeiterinnen zur Firma pflegen sollten - oder besser: zum „Haus Julius Meinl", wie es im Briefkopf hieß. Er bestimmte die Würde des Menschen als „Selbstgefühl, das die Zugehörigkeit zu einem übergeordneten, geachteten Ganzen, in unserem Falle zu unserem Unternehmen, verleiht" und folgerte daraus die Notwendigkeit zur Treue: „Manche werden fragen, was dies mit einem kaufmännischen Unternehmen zu tun habe? Alles! Kein Staat, kein Orden, keine Gruppe von Gleichgesinnten, nicht die Familie und ebensowenig die Freundschaft könnten lange bestehen, gehörte nicht die Treue, die Anhänglichkeit zu den schönsten menschlichen Eigenschaften." 8 8 Julius III. bestimmte die Rolle der Mitarbeiterinnen in der für eine patriarchalische Führungskultur charakteristischen Weise: Er forderte weniger Dynamik und Spitzenleistungen als vielmehr die jahrzehntelange gewissenhafte Pflichterfüllung und die strenge Beachtung der Unternehmenshierarchie. An diesem Konzept hielt Julius III. zeit seines Lebens fest. Ein Quell großen Stolzes war für ihn daher die hohe Zahl von Arbeiterinnen und Angestellten, die ihre gesamte Berufslaufbahn bei Meinl absolvierten. Besondere Aufmerksamkeit widmete das Unternehmen der Rekrutierung und Sozialisierung von neuen Familienmitgliedern. Die Meinl-Laufbahn begann im Idealfall mit der Absolvierung einer Lehre in einer der Filialen. Der gute Eindruck, den die beim Vorstellungsgespräch anwesenden Eltern der Jugendlichen machten, bildete bezeichnenderweise ein entscheidendes Kriterium für die Beurteilung der Bewerberinnen. Die Ausbildung erfolgte schließlich bei den Wiener Lehrlingen zur Gänze im eigenen Haus, denn seit 1906 verfügte die Firma in der österreichischen Hauptstadt über eine eigene Berufsschule mit Öffentlichkeitsrecht. 89

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Aus dem Kreis derjenigen, die als Lehrlinge bei Meinl begannen, sollten auch die Spitzenkräfte kommen, die im Unternehmen die höchsten Positionen einnahmen. Betriebsfremde Manager zu engagieren erschien die längste Zeit undenkbar und auch als man langsam den mittleren und oberen Unternehmensbereich für Zugänge von außen öffnete, blieben Aufsteiger aus den eigenen Reihen generell bevorzugt. Noch Mitte der Siebzigerjahre galt außerdem selbst für Akademikerinnen, die bei Meinl einen Posten antraten, dass sie zunächst einige Zeit hinter der „Budel" verbringen mussten, um den Verkaufsalltag in einer Filiale kennen zu lernen. Das Ergebnis der Personalpolitik war letztlich allerdings ein überaltertes Management, das - so das Branchenblatt „Cash" 1989 - das Durchschnittsalter eines „altehrwürdigen britischen Herrenklubs" aufwies. 90 Um der Vorstellung einer umfassenden Gemeinschaft Leben einzuhauchen, versuchte das Unternehmen zu erreichen, dass die Mitarbeiterinnen möglichst alle Lebensbedürfnisse im Rahmen der „Meinl-Familie" befriedigen konnten: Wer sich für Gesang begeisterte, konnte dem „Meinl-Bund 1907" beitreten, und wer sich für Fotografie interessierte, für den waren die „Lichtbildfreunde" das Richtige. Im Sommer stand der Belegschaft das Meinl-Bad an der Alten Donau zur Verfügung. Sportliche Aktivitäten, wie Tennis oder Schifahren, ermöglichte die Firma ebenfalls. Mit Lesestoff konnte man sich in der Werksbibliothek eindecken und natürlich gab es die Firmenzeitschriften. 1907 war die erste erschienen, seither wurden die Mitarbeiterinnen (und Kundinnen) des Hauses regelmäßig informiert, belehrt und unterhalten. Konto und Sparbuch sollten die Mitarbeiterinnen bei der Meinl-Bank einrichten und ihren täglichen Bedarf in Meinl-Filialen decken, wo sie Preisvergünstigungen erhielten. Wer in Not geriet, dem half der Meinl-Unterstützungsverein, wer Erholung suchte, dem wurden günstige Zimmer in Vertragspensionen vermittelt. „Die sozialen Bestrebungen sind seit jeher ein unverrückbarer Teil des Etats des Konzerns, vor allem die besondere Obsorge des Chefs des Hauses. Wir haben mit der öffentlichen Sozialverwaltung immer Schritt gehalten, wenn nicht öfter sogar geführt", verkündete die „Meinl-Post" 1950 voller Stolz.91 Noch zu Zeiten der Habsburgermonarchie schuf die Firma eine selbstständige Pensionsversorgung, gewährte bezahlten Urlaub und Abfertigungen. 1907 führte sie die Sonntagsruhe ein, die erst durch die Sozialgesetzgebung nach 1918 im Handel obligatorisch wurde. In der Zwischenkriegszeit richtete sie eine Werksküche und einen Gesundheitsdienst ein. Ab Jänner 1932 wurde bei Meinl nur mehr 43 Stunden pro Woche gearbeitet und 1935 ging das Unternehmen bei vollem Lohnausgleich für die Beschäftigten zur 40-Stunden-Woche über.92 Auch nach 1945 erkannte es Meinl als wichtige Aufgabe, für die Seinen zu sorgen. „Wenn jemand einen sicheren Arbeitsplatz sucht, wo er weiterkommen kann, wenn er etwas leistet und wo er auch nicht fallengelassen wird, wenn er einmal nicht mehr so kann wie früher - dann ist er bei uns richtig", erläuterte 1989 einer der Meinl-Direktoren die Unternehmensphilosophie. 93 Verkäuferinnen, denen das

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viele Stehen gesundheitlich zu schaffen machte, konnten auf eine Stelle im Hauptbüro hoffen, und wenn Filialleiterinnen nicht mehr die gewünschte Leistung brachten, drückte man entweder ein Auge zu oder versetzte sie in den Innendienst. So wie Swarovski oder Manner war Meinl die patriarchalische Variante des sozialpartnerschaftlichen Klimas von Konsens und Zusammenarbeit, das die Zweite Republik jahrzehntelang prägte. Während in den verstaatlichten Betrieben die Vertretung der Arbeiternehmerinnen großen Einfluss ausübte, konnte sich bei Meinl zwar der Unternehmer als uneingeschränkter Alleinherrscher fühlen, jedoch begriff Julius III. seine Rolle nach dem Muster des aufgeklärten Absolutismus: Nichts durch die Belegschaft, aber doch einiges für sie. Die Unternehmenskultur von Meinl unterschied sich in dieser Hinsicht drastisch von jener des Konkurrenten Billa. Karl Wlaschek stellte zwar einen ebenso unangefochtenen Führungsanspruch wie Julius III., doch betrieb er eine wesentlich härtere Personalpolitik, die den Mitarbeiterinnen maximale Leistung abforderte. Sentimentalitäten wurden Wlaschek keine nachgesagt. Hier muss man einen Teil der Erklärung dafür suchen, dass Meinl als „typisch österreichisch" galt, während dem Billa-Konzern, der die längste Zeit ebenfalls in österreichischer Hand war und nur auf österreichischem Boden agierte, diese Qualität nicht im selben Maß zugeschrieben wurde. In den Neunzigerjahren ging aber bei Meinl die Epoche der patriarchalischen Gemütlichkeit ihrem Ende zu, so wie auch bei den verstaatlichten Gegenstücken zum sozial gesinnten Privatkapitalismus neue Zeiten anbrachen bzw. teils schon im Jahrzehnt zuvor angebrochen waren. Indem der Konzern Personalabbau erheblichen Ausmaßes in Angriff nahm, brach er mit der Tradition, sichere Arbeitsplätze zu garantieren. „Sogar Filialleiter, die die geforderten Umsatzsteigerungen nicht schaffen, müssen wir heute auswechseln", klagte Julius IV. gegenüber „News" und meinte: „Wir haben das Gegenteil betrieben von dem, was heute unter dem Stichwort Shareholder value so hoch gepriesen wird. Ich habe da gerade im ,Spiegel' von so einem Amerikaner gelesen [,..]"94 Sein Sohn Julius V. hingegen pochte auf die Notwendigkeit, Unternehmen „nach Aktionärskriterien" zu führen. 95 Als Meinl im Sommer 1998 die Handelskette zur Gänze an Billa veräußern wollte, zitierte die „Presse" die Mitarbeiterin einer Filiale: „Der Meinl hat immer auf seine Leute geschaut. Wir waren immer so etwas wie eine Familie. Jetzt hat er uns irgendwie alle verkauft [...]"96 Wiener Kaffee- und

Esskultur

Als Julius Meinl 1862 sein erstes Geschäft gründete, erfreute sich der Kaffee in der Hauptstadt des Habsburgerreiches längst großer Popularität. Meinl stand also nicht an der Wiege der Kaffee(haus)kultur Wiens. Diese Scharte merzte das Unternehmen jedoch aus, indem es später oft Bezüge zu den legendären Anfängen des Kaffeegenusses herstellte. Die Festschrift von 1962 erzählt, dass

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die erste Meinl-Filiale in der Neustiftgasse zufälligerweise genau an jener Stelle errichtet wurde, an der 1683 das Zelt von Kara Mustapha gestanden sei. Die siegreichen Wiener hätten sich aber der Kaffeevorräte des türkischen Feldherrn bemächtigt und solcherart Bekanntschaft mit dem Getränk geschlossen. 97 „Wien und Kaffee wurden seitdem, besonders von Fremden, ähnlich identifiziert wie Wien und Wein", betonte die PR-Beilage von 1990. Meinl sei „gleichbedeutend mit exquisitem Kaffee und Tee", verlautbarte sie außerdem. 98 Die Identifizierung von Meinl mit Kaffee und von Kaffee mit Wiener Kultur ergaben zusammen genommen die Prämissen eines Syllogismus, mit dem das Unternehmen stets operierte: Die Conclusio erwies Meinl als unverzichtbaren Bestandteil einer auf Wien zentrierten österreichischen Identität. Rund um den Kaffeeverkauf pflegte die Firma einen eigenen Kult. Obwohl sich im Handel seit den Fünfzigerjahren mehr und mehr die Selbstbedienungsgeschäfte durchsetzten, hielt Meinl lange daran fest, dass die Verkäuferlnnnen den Kaffee vor den Augen der Kundinnen wiegen mussten. Daher stand in jeder Filiale am Verkaufspult, dem „Hochaltar im Tempel der Kunst, Kaffee zu verkaufen", die Balkenwaage aus Messing. 99 Dieses „vornehm-altmodische" Gerät symbolisierte perfekt die konservativen Inhalte, die Meinl in seiner Werbung vermitteln wollte. Auch innerhalb der Firma bildete der Kaffee Gegenstand von Ritualen, die sich jahrzehntelang nicht veränderten. Der „Trend" berichtete über das tägliche Probekosten um halb zwölf Uhr mittags, bei dem der Leiter der Kaffeeabteilung und die Rösttechniker den Geschmack der laufenden Produktion überprüften. Auch Julius III. soll häufig daran teilgenommen haben.' 00 Das entsprach dem Selbstverständnis von jemandem, der sich als Hohepriester des Kaffeegeschmacks feiern ließ: „Bei den Meinl vererbt sich die Kaffeezunge", ließ man die Öffentlichkeit wissen.101 Konsequenterweise benannte das Unternehmen eine Kaffeesorte nach dem Beinamen, den Julius III. firmenintern trug: „Der Präsident". Dem Kaffee verdankte Meinl maßgeblich seinen Ruf der Exklusivität. Das Getränk hatte sich zunächst in der Wiener Oberschicht etabliert, die es Mitte des 18. Jahrhunderts bereits anstelle des bis dahin üblichen Alkohols zum Frühstück genoss. Zwar erfreute sich der Kaffee (bzw. billigere Ersatzstoffe) schon bald auch bei den minder privilegierten Bevölkerungsteilen großer Beliebtheit, doch haftete ihm während des 19. Jahrhunderts weiterhin der Nimbus des Vornehmen an.102 „Das Meinl-Konzept [...] war von seinen Wurzeln her sehr elitär: Für Kaffee und Kolonialwaren mußte man damals viel bezahlen", erläuterte Julius V. die Genese der Firmenphilosophie. 103 Den Anspruch auf gehobene Klasse hielt das Unternehmen bis in die Gegenwart aufrecht, ohne allerdings den gesellschaftlichen Wandel ausreichend zu berücksichtigen. Traditionell an den Codes der bürgerlichen Oberschicht orientiert, übersah Meinl nach 1945, dass mit dem „Wirtschaftswunder" der Übergang zu einer Wohlstandsgesellschaft begonnen hatte, die nicht mehr den alten, ständisch fraktionierten Konsum kannte. Julius IV. verdeutlichte die Unternehmenspolitik 1997 mit einer

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Redensart, die nur noch wenig mit der heutigen Realität gemein hat: „Die Wahrheit ist doch: Um drei Kreuzer kriegt man keine Gräfin." 104 Folglich erübrigte die Julius Meinl AG nur Verachtung für die aggressive Konkurrenz, die mit preisgünstigeren Angeboten die Kundinnen lockte. Man wiegte sich in der Gewissheit, dass „Schleuderpreise" letztlich kein wirksames Verkaufsargument seien: „The bitterness of poor quality remains long after the sweetness of low price is forgotten", dozierte die „Meinl-Post" 1970.105 Verbraucheranalysen belegen, dass die Österreicherinnen gutem Essen und Trinken großen Wert zumessen. Für das Nationalbewusstsein spielt die Überzeugung, eine spezifische (in erster Linie: Wiener) Esskultur zu besitzen, eine wesentliche Rolle und tritt meist in Verbindung mit dem Bild des genussfreudigen, gemütlichen und friedliebenden Österreichers auf.106 Deshalb verdient Meinls beharrlicher Verweis auf hochwertige Nahrungsmittel einige Aufmerksamkeit. Die Reputation der Firma beruhte aber nicht bloß darauf, dass sie mit Nahrungsmitteln handelte, sondern auch darauf, wie sie dies tat: Indem sie den Verkaufsakt sakralisierte und die Ware Kaffee mit besonderer Bedeutung auflud, indem sie auf Tradition pochte und die Wärme des Altvertrauten vermittelte, indem sie durch ihre Behäbigkeit zwar Marktanteile verlor, aber gleichzeitig das als konservativ geltende österreichische Wesen perfekt zu verkörpern schien. Als vor dem Beitritt zur Europäischen Union Ängste vor dem Verlust österreichischer Identität kursierten, artikulierten sich diese nicht zuletzt im kulinarischen Bereich. Das Eindringen von „Blutschokolade" auf den österreichischen Markt wurde ebenso befürchtet wie die Verdrängung österreichischer Bezeichnungen für einzelne Speisen und Nahrungsmittel durch bundesdeutsche Ausdrücke. 107 „Erdäpfelsalat bleibt Erdäpfelsalat", beruhigte die Bundesregierung in ihrer Werbekampagne. Die Firma Meinl verfocht seit langem den kulinarischen Patriotismus. Ende der Siebzigerjahre startete sie eine Werbeaktion mit dem Motto: „Echt österreichisch, echt Julius Meinl". Im Mittelpunkt sollten heimische Qualitätsprodukte stehen, die gleichzeitig aus den unternehmenseigenen Erzeugungsbetrieben stammten. 108 In der Firmenzeitschrift mokierte sich Meinl über „manche unserer Mitbewerber", die den Großteil ihrer Waren aus dem EG-Raum einführten. 109 Das minderwertige Fremde und das hochqualitative Eigene (im doppelten Sinne: österreichisches Produkt und Eigenmarke) wurden sorgfältig unterschieden. Auch nachdem sich Österreich der Europäischen Union angeschlossen hatte, änderte Meinl sein Sortiment nur unwesentlich. Die Branchenzeitung „Regal" zitierte die Devise: „Wir sind ein österreichisches Unternehmen und halten den österreichischen Lieferanten die Treue!"" 0 Auf dieser Linie lag z.B. die Entscheidung, nur noch Eier österreichischer Herkunft anzubieten. Laut Bericht der „Presse" garantierte man den Kundinnen, „daß nicht nur das Ei, sondern sogar die jeweilige Legehenne in Österreich das Licht der Welt erblickt hat (die Großeltern dürfen auch Ausländer sein)."111

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1999 begann ein neuer Abschnitt in der Geschichte des Unternehmens, das einen Großteil seiner Filialen an Konkurrenten abgegeben hatte und einen Neustart beabsichtigte. Man versuchte den Bruch mit der jüngeren Vergangenheit, in der Meinl Exklusivität nicht mehr ausreichend glaubwürdig vermittelt hatte. Die Renovierung der Filiale am Graben, des Flaggschiffs von Meinl, wurde zum nationalen Ereignis aufgebauscht - mit tatkräftiger Unterstützung der Medien. Nach der Eröffnung des Geschäfts jubelte die Zeitschrift „Format": „Die Wiener City hat ein neues Glanzstück." Meinl biete am Graben eine „Theaterkulisse für den Einzelhandel", ein „Weltstadtfeinkosthaus". 112 Den Leserinnen wurde auf diese Weise dargelegt: Wien ist/ißt Weltstadt. Als Spielverderber in der Euphorie über das jüngste Aushängeschild der Wiener Esskultur trat hingegen die Stadtzeitung „Falter" auf den Plan. Sie höhnte über das „Weltstadteinkaufswagerl", dessen Handgriffe mit Leder und nicht mit ordinärem Plastik überzogen sind. Für das Blatt war klar: „Endlich haben ,News'und ,Format'-Leser das Weltstadtkaufhaus, das sie verdienen." 113 Julius Meinl und die nostalgisch

verklärte

Habsburgermonarchie

1936 konstatierte die Unternehmenszeitschrift mit berechtigtem Stolz: „Die Firma Meinl war ja schon vor dem Kriege, da sie im alten Österreich fast in jedem Kronlande und bei jeder Nationalität vertreten war, international im wahrsten Sinne des Wortes. Sie hat aber erst nach dem Kriege ihre ganz große Entwicklung vollzogen [.,.]"114 Dennoch schreibt 1959 der Historiker Josef Mentschl in einem biographischen Text über Julius II., dass „die Katastrophe von Sarajewo" das Bild eines blühenden Unternehmens düster umschattet habe. Das mag man ja noch gelten lassen, sofern man den rhetorischen Überschwang abzieht und nicht weiter berücksichtigt, dass sich Meinl recht gut in die Kriegswirtschaft einfügte. Wenn Mentschl aber in Bezug auf die Zwischenkriegszeit behauptet: „Das Unternehmen mit demselben Tempo wie vor dem Krieg auszubauen, war jedoch nicht mehr möglich", sitzt er seinen eigenen Projektionen auf.115 Die negative Einschätzung der Ersten Republik, die sich als Common Sense durchgesetzt hat,116 verträgt sich offenbar schlecht mit einer adäquaten Wahrnehmung des Faktums, dass die Firma Meinl nach 1918 ihre Hochblüte erlebte. Wenn in einem Zeitungsartikel die einstige Bedeutung von Meinl in größtmöglicher Kürze angedeutet werden soll, greifen daher die Verfasserinnen oft zu Formulierungen wie der folgenden: „Meinl, der während der Monarchie immerhin über ein Filialnetz von Innsbruck bis Kronstadt und von Czernowitz bis zum Adria-Kriegshafen Pola verfügte". 117 Mit der Zeitangabe „während der Monarchie" verbindet sich eine räumliche Vorstellung, die durchaus zutreffend den Einflussbereich von Meinl umreißt. Schließlich hielt sich das Unternehmen, sieht man vom Engagement in Berlin ab, stets an Länder, deren Staatsgebiet wenigstens teilweise zum Habsburgerreich gehört hatte.

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Die Behandlung der Firmengeschichte durch die Medien kennt die Zwanziger- und Dreißigerjahre nicht als eigenständige Periode großen unternehmerischen Erfolges, sondern betrachtet sie bestenfalls unter dem Gesichtspunkt der Erhaltung eines alten Idealzustandes: In Meinl will man den Geist der Monarchie fortleben sehen. So schrieb die „Wiener Wochenausgabe" in ihrer Serie „Julius der Österreicher": „Das Reich zerfiel in Nationalstaaten, der Chauvinismus trieb Blüten, der Haß gegen das Alte zerschlug sich in tollen Kapriolen. Da aber bewährte sich wunderbar die geniale Konzeption der Meinl-Dynastie, die Erziehungsarbeit an allen Mitarbeitern der Firma, die bindende Kraft des ,Meinl-Staates'."" 8 Die Passage stilisierte das Unternehmen zum eigentlichen Nachfolgestaat des Habsburgerreiches. Die Firma selbst präsentierte sich schon in der Zwischenkriegszeit gerne als legitime Erbin der Donaumonarchie. Das war damals nicht bloße Nostalgie, sondern durchaus funktional, denn Meinl wandte sich mit seinem Warenangebot vor allem an die bürgerlichen Schichten. Diese hatten mit dem Zerfall der Monarchie zum Teil erhebliche Statuseinbußen hinnehmen müssen und standen der Republik, die sie in der Anfangsphase als „rot" erlebten, skeptisch gegenüber. Bei Meinl war die Welt aber noch heil. Das Unternehmen hatte es nicht nur geschafft, nach 1918 sein angestammtes Terrain zu wahren, sondern der „Meinl-Staat" erreichte sogar eine neue Größe. Wir sind in ganz Mitteleuropa präsent, lautete die oft wiederholte Botschaft. Mit dem Schicksal der Monarchie ist Meinl auch durch das persönliche Engagement von Julius II. verbunden, der sich während des Ersten Weltkriegs für die Rettung des Habsburgerreiches einsetzte. Die vaterländischen Anstrengungen des Unternehmers, der zuvor politisch nicht hervorgetreten war, begannen, als er 1915 gemeinsam mit dem Industriellen Max Friedmann die Österreichische Politische Gesellschaft ins Leben rief. Diese wollte dem liberalen Großbürgertum ein Gesprächsforum bieten, das die Heranbildung gemeinsamer Auffassungen in zentralen politischen Fragen ermöglichen sollte. Davon erhoffte man sich auch eine Stärkung des eigenen Einflusses auf die Regierung. Ab Dezember 1916 engagierte sich Meinl immer intensiver in den Debatten, die er für einige Zeit dominierte. Als Großindustrieller besaß er den nötigen Einblick, um zu erkennen, dass es in wirtschaftlicher Hinsicht um Österreich-Ungarn miserabel stand. Beunruhigt über die Zukunftsaussichten des Habsburgerreiches, trachtete er, die Gesellschaft, die er als eine Art Nebenparlament ansah, auf Friedenskurs zu bringen. Im Oktober 1917 gewannen jedoch seine Gegner die Oberhand. Im Winter 1917/18 entfaltete Meinl unverdrossen eine lebhafte Reisediplomatie, die ihn nach Berlin und in die Schweiz führte. Dort verhandelte er mit britischen Diplomaten und einem Vertrauensmann des US-amerikanischen Präsidenten Wilson. Freilich scheint ihn das State Department nicht sonderlich ernst genommen zu haben.119 Dieser Teil der Biographie von Julius II. gehört zu einem Fundus an historischem Wissen, das im kommunikativen Gedächtnis längst nicht mehr präsent

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ist. Bei Bedarf kann es aber hervorgeholt werden, um zu bekräftigen, dass sich Meinl seit jeher als Österreich-patriotisches Unternehmen verstand. Als die Firma 1998 ins Zentrum des medialen Interesses geriet, informierte der „Kurier" in einem kurzen Resümee von 136 Jahren Firmengeschichte, dass Julius II. „für den Kaiser in diplomatischen Missionen unterwegs" war. Auch Georg Markus berichtete damals in der „Kronenzeitung" über die Friedensinitiative von Julius II. Dieser habe zwischen den Staaten zu vermitteln versucht, sei jedoch an der unnachgiebigen Haltung des Deutschen Reichs gescheitert. Wir sehen hier übrigens das friedensliebende Österreich in seiner Paraderolle: als unschuldiges Opfer Deutschlands. Als sich Meinl in den 1980er-Jahren und besonders nach dem Umbruch 1989/90 wieder in Nachfolgestaaten der Monarchie einkaufte, wies man zwar Sentimentalitäten als Motiv für die „Rückkehr" von sich, 1 2 0 doch bildete der einstige Besitzstand unleugbar den Maßstab, an dem man die Erfolge in Ländern wie Ungarn, Tschechien und Polen maß. „Von der großen Vergangenheit in die blühende Zukunft", formuliert die „Meinl-Post" 1990 in einem Beitrag über die Tschechoslowakei. Ergänzt wird der Artikel durch eine Karte des Landes mit den Standorten der Meinl-Filialen im Jahre 1937. 1 2 1 Kein Zweifel herrschte bei Meinl darüber, dass die Expansion nicht nur den eigenen Profit steigerte, sondern ihr eine darüber hinausgehende Bedeutung zukam. „Wir haben das Gefühl, daß wir in den Ländern der ehemaligen Monarchie, die j a unser ursprüngliches Tätigkeitsfeld war, eine gewisse Sendung haben", werden Thomas Meinl, der jüngere Sohn von Julius III., und Vorstandsvorsitzender Friedrich Hofinger im „Gewinn" zitiert. 122 Diese Überzeugung hat bei Meinl Tradition. Ein mit deutlichen Überlegenheitsgefühlen gepaartes Sendungsbewusstsein strahlt ein Artikel aus, der 1936 in der Firmenzeitschrift erschien. Er schildert eine Eisenbahnfahrt durch die rumänische Landschaft zu einer nicht näher genannten Stadt. Die Reise gipfelt in der Ankunft bei einer Meinl-Filiale - der Titel des Berichtes: „Auf vorgeschobenem Posten". „Stundenlange rollt der Schnellzug durch endlose Weiten. Ackerboden wechselt mit Weideflächen. Hie und da die Spur einer Ansiedlung: Ein schräg gestellter Lehmbau mit wenigen Miniaturfenstern. [ . . . ] Dann geht die Fahrt durch schlecht beleuchtete, dorfartig breite Straßen dem Stadtzentrum zu. Auf dem Gehsteig sieht man immer wieder Tische, wo auf weißem Packpapier als Tischtuch Leute ihr Abendbrot verzehren. [...] Die Straßen werden heller. Asphalt umsäumt die Fahrstraße und plötzlich fühlt man sich wie nach West-Europa versetzt. Winkt da nicht ein Meinl-Schild? Die gekachelten Mauerpfeiler, das Eichenportal, der Firmenkopf mit schwarzem Glas und den charakteristischen Buchstaben! Du träumst von Wien? Von der lichterfüllten Mariahilferstraße? Ein ganz kleines Stück davon grüßt dich hier. Sogar das Auslagenarrangement ist zum Verwechseln ähnlich. Und wenn du erst den Laden betrittst, Fremder, dann fühlst

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du dich ganz wie zu Hause. Der Gruß klang noch ungewohnt fremd, dann aber hörst du deutsche Worte, siehst die bekannte Einrichtung und spürst den Duft des Meinl-Kaffees. [...]

„Auf vorgeschobenem Posten": Filiale im rumänischen Galatz [Galati] um 1930

Reise getrost! Irgendwo, auch im fernsten Zipfel Europas, wirst du ein Stück Heimat finden: Die Meinl-Filiale!" 123 Das Unternehmen Meinl gibt sich hier als Entwicklungshelfer. Der Beschreibung eines rückständigen Agrarlandes wird jene der eigenen Filiale als Inbegriff eines gehobenen zivilisatorischen Niveaus gegenübergestellt. Das Meinl-Geschäft erscheint in einer Stadt mit „schlecht beleuchteten, dorfartig breiten Straßen" als kleines Stück der „lichterfüllten Mariahilferstraße". Meinl rückt sich somit als Botschafter der Heimat Wien ins Blickfeld. Diese aber ist Teil des fortschrittlichen Westeuropas, während Rumänien zu den „fernsten Zipfeln" des Kontinents gehört. Man erkennt bereits eine Zweiteilung zwischen Westen und Osten, die in Zeiten des Kalten Krieges mit besonderer Energie inszeniert wurde. Die Erinnerung an das Meinl-Imperium ließ sich gut dazu verwenden. Ein Beispiel findet sich in einem Artikel der Zeitschrift „Regal" von 1985: „Gegenüber dem recht schmuddelig wirkenden Hauptbahnhof von Brünn liegt am Beginn der Fußgängerzone ein großes tschechisches Feinkostgeschäft. Statt sauberer Fassaden gibt es dort nur mehr abbröckelndes Mauerwerk. Im Inneren erblickt man die ganze Erbärmlichkeit kommunistischer Planwirtschaft made in Praha. Es

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sieht aus wie bei uns in den Fünfzigerjahren. Ältere Brünner sagen einem freilich, daß es hier einmal anders war. .Früher war dieses Geschäft ein strahlender Meinl.""24

Unternehmerische Dynamik, Wirtschaftsliberalismus und demokratie - das Bild von Meinl in der Zwischenkriegszeit

Konsens-

Wesentliche Züge des Images von Meinl wurden bereits vor 1914 und mehr noch in den Zwanziger- und Dreißigerjahren grundgelegt. Dennoch müssen wir davon ausgehen, dass sich die Selbstdarstellung des Unternehmens und seine Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit in manchen Punkten vor dem Zweiten Weltkrieg anders gestalteten als danach. Quellen aus der Zwischenkriegszeit lassen dies ebenso vermuten wie die Unterschiede in der Firmenpolitik, die damals noch nicht dem bloßen Bewahren galt, sondern vor allem der Expansion. Meinl scheint sogar als ein Paradebeispiel modernen Unternehmertums gegolten zu haben. Das „Wiener Tagblatt" betitelte 1928 einen Bericht über den Konzern: „Ein rationalisiertes Großunternehmen". Man sprach von der „restlosen Anwendung wissenschaftlicher Ergebnisse auf den ganzen Arbeitsprozeß", von einem „Standardwerk", „das in der Lebensmittelbranche in ganz Europa einzig darsteht". 125 Die Maßnahmen, mit denen Meinl sein Unternehmen wettbewerbsfähiger machte, fanden natürlich nicht in allen Blättern denselben begeisterten Widerhall wie im „Tagblatt". Die linksgerichtete Tageszeitung „Der Abend" setzte die Leserinnen über „Terrormethoden bei der Firma Julius Meinl" in Kenntnis und die kommunistische „Rote Fahne" schäumte über die „rationalisierte Schinderbude", der man auch den wenig schmeichelhaften Namen „Meinlhölle" gab. Während sich Meinl für Reklamezwecke human gebe, setze er Arbeiterinnen auf die Straße und beute die verbleibenden bis aufs Mark aus. 126 In der Tat reduzierte Meinl die Beschäftigtenzahl vom 1924 verzeichneten Höchststand bis 1930 von 2.100 auf ca. 1.500 Personen. 127 Nicht nur von links geriet das Unternehmen wegen der von ihm entfalteten kapitalistischen Dynamik unter Beschuss. Die energisch vorangetriebene Expansion der Meinl AG beunruhigte die Konkurrenz. Der Zentralverband der Lebensmittelhändler betrieb in seinem Organ den publizistischen Kampf gegen die Firma Meinl, die in puncto Marketing zu den Pionieren in Österreich zählte und deren Methoden folglich von kleinen Gewerbetreibenden als aggressiv empfunden wurden. 128 In der Zwischenkriegszeit wurde die Julius Meinl AG ob ihrer unternehmerischen Durchschlagskraft bewundert und gefürchtet, der Kontrast zu ihrem betulichen Image in der Zweiten Republik könnte größer nicht sein. Das ist jedoch nicht die einzige Veränderung im Bild der Firma und ihrer Eigentümer. Julius III. und seine beiden Söhne vermieden nach Tunlichkeit jede mediale

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Präsenz und fielen nicht durch Engagement abseits ihrer unternehmerischen Tätigkeit auf. Hingegen war Julius II. eine Figur des öffentlichen Lebens, seit er in der Österreichischen Politischen Gesellschaft eine tragende Rolle gespielt hatte. Dieser Vereinigung gehörte er auch nach dem Ende des Ersten Weltkrieges weiterhin an. 1929 gründete er den Österreichischen Klub, der wie die Gesellschaft als „eine überparteiliche Institution zur Erleichterung der Fühlungnahme zwischen den verschiedensten politischen Richtungen und zur zwangslosen Erörterung kultureller und politischer Themen" 129 dienen sollte. Julius II. stand als Präsident an der Spitze, dem Vorstand gehörten z.B. Anton Wildgans und Bertha Zuckerkandl an.130 Der Unternehmer meldete sich darüber hinaus immer wieder zu politischen und wirtschaftlichen Fragen zu Wort, indem er seine Gedanken in Form von Broschüren veröffentlichte und Artikel in verschiedenen Zeitungen schrieb. So trat er nach dem Auseinanderbrechen des Habsburgerreichs vehement gegen den Anschluss an Deutschland auf - seine eigenen Handelsinteressen konzentrierten sich ja auf die Nachfolgestaaten der Monarchie. 131 Mit großer Ausdauer verbreitete Meinl vor allem sein Credo eines bedingungslosen Wirtschaftsliberalismus. Während des Ersten Weltkrieges bezog er gegen die gesteigerte Macht der Bürokratie Stellung. Hier sah er die Wurzel allen ökonomischen Übels. Als Lösung der gewaltigen finanziellen Probleme Österreichs favorisierte Julius II. - womit er heutzutage wieder voll im Trend läge - den Abbau staatlichen Einflusses und die Privatisierung von staatlichen Unternehmen. 132 In den 1920er-Jahren verfolgte die österreichische Regierung eine Linie, die eher nach seinem Geschmack gewesen sein dürfte als die „Zwangswirtschaft" der Kriegszeit. Durch die Genfer Protokolle war sie auf eine Politik des Budgetgleichgewichtes festgelegt. Nach außen hielt sie an einer freihändlerischen Linie fest. Das Jahr 1930 brachte aber die massive Erhöhung der Zollsätze bei Produkten von Landwirtschaft und Industrie. Damit schwenkte Österreich auf eine Politik um, die das Gewicht auf den Schutz des Inlandsmarktes legte. Das trieb Meinl publizistisch auf die Barrikaden, denn er sah erstens die Interessen seines Konzerns gefährdet und zweitens die ihm heiligen Prinzipien des orthodoxen Liberalismus verletzt.133 Die Auffassungen von Julius II. vertrat auch die „Wirtschaftliche Rundschau", die sein Unternehmen ab 1934 herausgab. Die Blätter sollten - so das Geleitwort der ersten Nummer „einer völlig unvoreingenommenen Untersuchung wichtiger Tendenzen der internationalen Wirtschaftspolitik dienen". Diesen Anspruch sah man im energischen Kampf für den Freihandel eingelöst. Mit seinem Lobbying gegen Protektionismus machte sich Meinl mancherorts eher unbeliebt. Als Julius II. seine Broschüre „Mahnung" 1929 an Bundespräsident Miklas sandte, vermerkte die Kanzlei, dass diese „in eher oberflächlicher Weise" Freihandelspolitik propagiere. Drei Jahre später notierte man deutlich ungehalten über eine weitere Schrift von Julius II.: „Es ist die ewig gleiche Meinl'sche Melodie. Der an den Staat gerichtete Appell bezieht sich auf die

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Grundsätze des Manchestertums. Man mag über staatliche Eingriffe in die Wirtschaft denken, wie man will, daß der Meinl'sche Weg des reinen Individualismus in der gegenwärtigen Zeit indiskutabel ist und zum raschesten Ruin führen würde, ist klar."134 Mit der Propagierung wirtschaftsliberaler Ideen korrespondierte bei Julius II. das Eintreten für die Demokratie. Das war nicht selbstverständlich. Für einen autoritären Staat plädierten Anfang der Dreißigerjahre z.B. bedeutende Vertreter der österreichischen Schule der Nationalökonomie, wie Friedrich von Wieser oder Ludwig Mises, die sich auf wirtschaftlichem Gebiet der liberalen Orthodoxie verpflichtet fühlten. Meinl hingegen konstatierte in einem Artikel, den er im Dezember 1932 veröffentlichte: „Geht die politische Freiheit verloren, dann ist es auch aus mit der wirtschaftlichen Freiheit." 135 Meinl gehörte zweifellos nicht zu jenen Unternehmern, die, wie die maßgeblichen Teile der Christlichsozialen Partei, in der gewaltsamen Ausschaltung der linken Opposition die einzige Lösung für die Probleme des Landes erblickten. Mit der Sozialdemokratie verband Julius sogar manche Gemeinsamkeit in der Beurteilung der protektionistischen Maßnahmen, die in den Dreißigerjahren von der Regierung ergriffen wurden: Auch die Arbeiterpartei setzte trotz der Weltwirtschaftskrise ihre Hoffnungen auf den Außenhandel und nicht auf den Binnenmarkt. 136 Für die Nationalsozialisten lag es deshalb auf der Hand, dass die Sozialdemokratie mit dem Kapitalisten Meinl gemeinsame Sache machte. Scharf attackierten sie die „Meinl-Marxisten": Wenn die „roten Betrüger" gegen die Erhöhung von Kaffee- und Teezöllen aufträten, gehe es ihnen nicht um die notleidende Bevölkerung, sondern darum, der Meinl AG und ihren Aktionären, d.h. den „Handelsjuden", die fetten Dividenden zu erhalten. 137 Julius II. positionierte sich somit in der Öffentlichkeit als prononcierter Liberaler in wirtschaftlicher wie politischer Hinsicht, der unter Ausschluss von Extremen, wie dem Kommunismus oder dem Nationalsozialismus, nach links und nach rechts gleichermaßen Anknüpfungspunkte suchte. Dieses Bild vermittelte er durchaus erfolgreich: Meinl habe seine Kräfte stets in den Dienst der „inneren Versöhnungspolitik" gestellt, betont das „Jahrbuch der Wiener Gesellschaft" von 1929.138 Die Orientierung am Konsens, die Julius II. an den Tag legte, hatte prinzipielle und pragmatische Aspekte. Einerseits entsprach es einer liberaldemokratischen Haltung, sich nicht mit Haut und Haar einem der beiden Lager zu verschreiben, die einander in der Ersten Republik zunehmend unversöhnlich gegenüberstanden. Andererseits wollte es sich Meinl mit niemandem nachhaltig verderben, was sich negativ auf sein Unternehmen hätte auswirken können. Generell verlor Julius II. seine kommerziellen Interessen nie aus den Augen. Dass sich der Eigentümer zu Demokratie und Parlamentarismus bekannte, hinderte die Julius Meinl AG nicht daran, in der „Heimwehrzeitung" den Aufruf zu inserieren: „Kameraden! Deckt euren Bedarf an Kaffee und Tee nur bei Julius Meinl." 139 Die „Arbeiterzeitung" zeigte sich zwar erbost ob des Wider-

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spruchs zwischen der Haltung des Chefs, „der sich persönlich immer für eine Politik der Versöhnung eingesetzt hat", und jener des Unternehmens, das sich nicht scheute, die Mitglieder der teilfaschistischen Heimwehr als „Kameraden" anzusprechen. 140 Jedoch lautete für Meinl die Grundregel offenbar stets: Das Geschäft hat Vorrang.

Die Firma Meinl und ihre Eigentümer in der Zeit des Nationalsozialismus - die verzerrte Wahrnehmung einer diffizilen Geschichte Auch nach dem „Anschluss" an Deutschland hielt Julius II. am Primat einer gedeihlichen Weiterentwicklung seines Unternehmens fest. Er trachtete, sich mit dem nationalsozialistischen Regime zu arrangieren, obwohl ihm dessen Ideologie fern stand. Ein Schreiben des Gaupersonalamts gibt Einblick in die Anstrengungen, die Julius II. in diese Richtung unternahm: „Nach dem Umbruch hat er in der zuständigen Ortsgruppe einen Fragebogen eingereicht, in dem er ausführt, daß er von der früheren Regierung verfolgte Nationalsozialisten trotz vorübergehenden Strafen eingestellt hat und illegale Kämpfer seiner Firma trotz bekannter Vorstrafen neu einstellte." 141 Im Sinne guter Kontakte zu den nationalsozialistischen Machthabern rückte die Firma außerdem Personen in den Vordergrund, die dem Regime zu Gesicht standen: Betriebsführer der Julius Meinl AG wurde Friedrich Schüngel, der bis Mitte 1939 das Berliner Tochterunternehmen geleitet hatte und seit 1932 Mitglied der NSDAP war. Für Interventionen bei NS-Stellen war Rudolf Starke, ein Schwager von Reichsstatthalter Seyß-Inquart, in besonderem Maß geeignet. Über den künftigen Erben des Firmenimperiums hingegen konstatierte die Reichsstatthalterei Bürckel in einer Korrespondenz von Anfang 1940 mit Befriedigung: „Julius Meinl jun., der mit einer Jüdin verheiratet ist, ist seit Juni 1939 gänzlich aus dem Unternehmen ausgeschieden und befindet sich außerhalb der Reichsgrenzen." 142 In der Tat hatte Julius III., Vizepräsident der Julius Meinl AG, sein Amt aufgegeben und war über Jugoslawien nach England emigriert. Dort engagierte er sich in verschiedenen Organisationen des österreichischen Exils. 1940 gehörte er zu den Exponenten des Austria Office, das als offizielle österreichische Exilvertretung gedacht war, von der britischen Regierung allerdings nicht anerkannt wurde. 1941 gründete er gemeinsam mit anderen Vertretern des liberalen Bürgertums die Austrian Democratic Union, als deren Präsident er auch fungierte. Die Gruppe um Meinl propagierte ein demokratisches Österreich mit prowestlicher Orientierung und - natürlich - kapitalistischer Wirtschaftsordnung.143 Während sich Julius III. in der Emigration für ein freies Österreich einsetzte, wachte sein Vater weiterhin als Aufsichtsratspräsident über die Julius

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Meinl AG. Das Unternehmen machte während des Krieges gute Geschäfte und konnte enorm expandieren. Dem mittlerweile über 70-jährigen Julius II. musste es allerdings Kopfzerbrechen bereiten, dass sein logischer Nachfolger im „feindlichen" Ausland weilte. 1942 adoptierte er deshalb Friedrich Hiksch, der ein guter Freund seines Sohnes gewesen sein soll. Hiksch leitete damals das rumänische Tochterunternehmen des Konzerns. 144 Binnen kurzem wurde er zum Nachfolger aufgebaut und im Testament auch als Erbe eingesetzt. Als Julius II. im Mai 1944 verstarb, übernahm Fritz als neuer Eigentümer die alleinige Führung des Unternehmens. Schon ein Polizeibericht von Juli 1944 äußerte freilich den Verdacht, dass es sich um eine Tarnung gegenüber Öffentlichkeit und Behörden handle: „Dies insbesondere deshalb, um die Erbansprüche des seit Jahren sich im Auslande derzeit angeblich in New York - aufhaltenden Sohnes des Generalkonsuls zu wahren. Generalkonsul Julius Meinl war alles andere als national eingestellt und hätte es angeblich lieber gesehen, wenn die Feinde Deutschlands den Krieg gewinnen würden und er und seine Nachkommen somit ihren kapitalistischen Tendenzen freien Lauf geben könnten." 145 Wie von den NS-Behörden geargwöhnt, hatte das Testament von Julius II. einen doppelten Boden: Im Fall eines Sieges der Alliierten, der beim Tod von Julius II. längst absehbar war, sollte der leibliche Sohn Julius III. 53 % des Aktienbesitzes erhalten und Fritz an der Spitze des Unternehmens ersetzen. 146 Dieser zog sich daher nach dem Krieg plangemäß aus der Meinl AG zurück und lebte fortan als Privatier in Wien.147 Die Zeit des Nationalsozialismus, die dem „Regierungsantritt" von Julius III. unmittelbar vorauslag, bildete auch im Fall der Julius Meinl AG eine Phase der Geschichte, über die man sich nur mit einigen Floskeln äußerte, wenn man sie nicht gänzlich überging. Man sprach jedenfalls nicht über eine Konzernpolitik, die von der NS-Großraumwirtschaft profitiert hatte. Ein sehr heikler Punkt war ferner die Emigration von Julius III. In einer Serie über die Unternehmensgeschichte, die zu Beginn der Fünfzigerjahre in der „Meinl-Post" erschien, wurde lapidar festgehalten: „Nach Einstellung der Kampfhandlungen in Europa konnten die Mitarbeiter des Hauses den heutigen Chef in ihrer Mitte begrüßen [...]" Indem die Firmenzeitschrift vermied, das Exil von Julius III. zu thematisieren, trug sie dem politischen Klima in Österreich Rechnung. Leopold Figl meinte 1945 bei einer Versammlung in Salzburg: „Es war für die Emigranten sicherlich bequemer, in ihren Clubsesseln zu sitzen, als für Österreich zu leiden." 148 Die Unterstellung, die der damalige Bundeskanzler formulierte, ist bezeichnend für die damals in Österreich vorherrschende Meinung über jene, die aus dem NS-Staat geflüchtet waren. Für die Julius Meinl AG, die sich als Inbegriff eines österreichischen Unternehmens verstehen wollte, bildete die Emigration ihres Eigentümers einen dunklen Fleck auf der heimattreuen Weste; umso mehr als Julius III. sich im Exil tatsächlich einer materiell privilegierten Position erfreut hatte, wie sie Figl mit seiner Metapher der Clubsesseln als ty-

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pisch hinstellte. Der Industrielle war zwar für ein demokratisches Österreich eingetreten, doch darf bezweifelt werden, ob ihm und seiner Firma die Erwähnung dieses Engagements besondere Sympathie unter jenen Landsleuten und Konsumentinnen hätte einbringen können, die auf Seiten des Deutschen Reiches den Krieg erlebt und „ihre Pflicht" getan hatten. Auch Printmedien, die dem Konzern Wohlwollen entgegenbrachten, achteten darauf, die Zeit des Nationalsozialismus nur flüchtig zu berühren. Sie berücksichtigten sorgsam Empfindlichkeiten des Unternehmens wie der Mehrheit der Österreicherinnen. Wenn hingegen eine kritische Beschäftigung mit der Firma Meinl und ihren Eigentümern versucht wurde, so hakte man gerade beim Verhalten der Meinls während des NS-Regimes ein. Ein frühes Beispiel dafür gibt die „Volksstimme". Sie nahm 1956 in ihrer Serie „Österreichs größte Geldsäcke" den „Meinl-Mohr und seine Eltern" aufs Korn. Das kommunistische Blatt beschreibt die Meinls als „Großmeister in der Kunst, Beziehungen zu pflegen": Dank ihrer Fähigkeit, sich nach dem Wind zu drehen, hätten sie die NS-Zeit gut überstanden. Ins Auge stach der Zeitung natürlich „das einzigartige Testament" von Julius II., der sich „gegen alle Eventualitäten" abgesichert habe. Gestützt auf den gut recherchierten, aber sehr tendenziösen Artikel der „Volksstimme" übernahmen später liberale und konservative Blätter wie der „Trend", die „Wirtschaftswoche" oder der „Kurier" diese Linie der Auseinandersetzung. 149 Man übersah geflissentlich, dass Julius II. sich nicht die Mühe eines „kreativen" Testamentes hätte machen müssen, wären er und sein Sohn so wie viele ihrer Kollegen begeisterte Nationalsozialisten gewesen.

Tradition Republik

- Hauptelement

des

Images

von Meinl

in der

Zweiten

Der Begriff Tradition spielt für das Fremd- und Selbstbild Österreichs eine zentrale Rolle. Einerseits vermarktet die Tourismuswerbung Österreich als Historyland, von dem sich die Besucherinnen das Erlebnis eines imperialen Erbes und klassischer (Musik-)Kultur erwarten können. Andererseits sind für den Nationalstolz der Österreicherinnen „eher biedermeierliche Assoziationen" 150 charakteristisch: Ihr Selbstbewusstsein stützt sich maßgeblich auf Unveränderliches wie die Landschaft und auf kulturelle Leistungen, die in ferner Vergangenheit erbracht wurden.151 Ein Artikel in der „Presse" von 1957 thematisierte Traditionsbewusstsein anhand der Meinl-Filiale gegenüber der Oper.152 Diese galt als „hypermodern", denn in das Geschäft konnte man sich über eine Rolltreppe von der Opernpassage aus befördern lassen. Weiters verfügte es über eine Klimaanlage und war - so versicherte die „Presse" - „mit allen Finessen der modernen Verkaufstechnik ausgestattet". Trotz aller Modernität ließ die Filiale nach Ansicht der Zeitung jedoch „die wienerische Eigenschaft [erkennen], der Tradition treu zu

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bleiben, wo immer dies möglich ist". Der Kaffee werde nicht mit automatischen Geräten gewogen, sondern auf der „blitzblanken Messingwaage". Diese sei „nicht anders beschaffen, als jene am Laurenzerberg [wo sich das Geschäft von Julius I. ab 1879 befand, O.K.] es gewesen sein mag." Auch habe man den Kaffee am Eröffnungstag nicht mit der Espressomaschine zubereitet, sondern „nach dem alt-wienerischen Rezept". Fazit: „Das Nebeneinander von Hypermodernem und Althergebrachten an der Opernkreuzung ist typisch für Wien, für den baulichen Charakter der Stadt ebenso wie für die Wesensart der Bewohner."

Wiederaufbau: die neue Meinl-Filiale an der Opernkreuzung in Wien (1957)

Recht instruktiv ist auch, wie die „Wiener Wochenausgabe" die Laufbahn von Julius II. auf eine mit Österreich-Klischees verträgliche Dimension zurechtstutzt: „Es war kein amerikanischer Aufstieg vom Stiefelputzer bis zum Chef des Großkonzerns, den Julius Meinl nahm. Sein Weg war typisch österreichisch. Ein langsames Wachsen aus gegebenen Verhältnissen, ein kluges Entwickeln einer schon vorhandenen Voraussetzung zu einem - allerdings im Vorhinein kaum abschätzbaren - Erfolg." 153 Kein Selfmademan zu sein wird hier zur österreichischen Qualität stilisiert. Wenn wir diese Spur verfolgen, stoßen wir auch auf eine weitere mögliche Erklärung, warum Billa als Gedächtnisort eine vergleichsweise geringe Bedeutung erlangt hat. Über Karl Wlaschek, den Gründer des Lebensmittelkonzerns, urteilte der „Trend": „Er machte den importierten amerikanischen Traum von der Karriere des kleinen Mannes wahr." 154 Das Handelsmagazin „Cash" meinte 1989 über die steile Karriere Wlascheks seit

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Erfindung des Labels „Billa": „Was danach kam, liest sich wie aus einem jener unzähligen amerikanischen ,Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Biographien. l " 155 Generell wurde die Laufbahn von Wlaschek als Ausnahmeerscheinung dargestellt - nicht nur, weil seine Bilanz als Unternehmer objektiv betrachtet ungewöhnlich ist, sondern weil man diese Art von Erfolg als untypisch für Österreich ansah. Das (Un)Typische ist aber keine statistische Kategorie, denn auch in den USA bringen es nur wenige zu Millionärinnen. Während jedoch der Selfmademan dem Bild entspricht, das man sich von diesem Land der kapitalistischen Freiheit macht, gilt das für Österreich offenbar nicht. Meinl wurde in den vergangenen Jahrzehnten von den Medien stets mit einer konservativen Haltung, mit Beständigkeit und Behäbigkeit in Verbindung gebracht. Komplementär dazu unterließ Meinl es nie zu betonen, als welch hohen Wert man Tradition erachtete. „Tradition ist hier keine leere Phrase", verkündete die „Meinl-Post" 1952 als Motto.156 Es ist hilfreich, sich der ursprünglichen Bedeutung des Begriffes zu erinnern. Im römischen Erbrecht meinte traditio eine Eigentumsübertragung: „Das Ideal dieser Form von Tradition besteht darin, Besitzverhältnisse trotz widerständiger Umstände ungeschmälert in einer Familie zu erhalten." 157 Gegenüber allem Neuen kultivierte die Firma eine demonstrative Skepsis, obwohl Julius III. den Begriff Fortschritt nach altliberaler Sitte stets im Munde führte. „Der Einsatz moderner Maschinen bedeutet für Präsident Meinl viel, aber nicht alles", ließ man 1978 die Öffentlichkeit wissen, denn sie könnten „die heute vielfach minderbewertete Erfahrung" nicht ersetzen. Auch moderne Marketing-Methoden hielt man für überschätzt, während man den „traditionellen Kaufmannsgeist" als ungebrochen aktuell ansah. In dieser Selbstdarstellung scheint ein Unbehagen mit den Entwicklungen der Jahrzehnte nach 1945 durch. Julius III. konnte sich im Grunde genommen mit der seit den Sechzigerjahren entstehenden Überflussgesellschaft nie richtig anfreunden. Der Besitzer eines Handelskonzerns erachtete es vielmehr als seine Mission, die „Euphorie der Konsumgesellschaft" zu verurteilen und die Gefangenschaft der Menschen „in ihrem reißenden Bedürfnisstrom" zu bedauern. 158 Einen tiefen Einblick in die Mechanismen der Selbststilisierung des MeinlKonzerns gibt ein Gespräch, das die „Wirtschaftswoche" 1995 mit dem Vorstand Ferdinand Hacker führte. Dieser räsonierte über die Lehren aus der spektakulären Pleite des Konsums: „Bis vor 20 Jahren war der Konsum nicht nur das Synonym für den Lebensmitteleinzelhandel, sondern eine Religion. Ich stelle mir natürlich die Frage, wie aus einer Religion eine Insolvenz werden kann." Die Interviewerin replizierte treffend: „Der katholischen Kirche laufen auch die Gläubigen davon." 159 Wenn Hacker über den Konsum nachdachte, so war ihm zweifellos bewusst, dass man genau dasselbe über Meinl hätte sagen können, der in dieser Hinsicht das bürgerliche Pendant zum „roten Riesen" bildete: Auch Meinl verstand sich als Religion mit ihrer eigenen Liturgie des Einkaufs und auch Meinl liefen die Gläubigen davon.

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Im „Trend" wurde Julius III. 1974 mit der sehr bezeichnenden Aussage zitiert: „Die Menschen bewundern am liebsten, was Dauer hat." 160 Wenn man sich die Befunde über die nationale Identität der Österreicherinnen vor Augen hält, mag man Julius III. in diesem Punkt Recht geben. Jedoch übersah er geflissentlich, dass Bewunderung nicht automatisch die Bereitschaft zum Einkauf im Meinl-Laden zur Folge haben muss. Meinl wurde zum Inbegriff eines altmodischen Konsumstils, zum Gedächtnisort im Sinne der Erinnerung an eine nostalgisch verklärte Gewohnheit der Vergangenheit, die man jedoch in der Gegenwart keineswegs aufrechterhalten oder wiederbeleben will. Eine Journalistin meinte anlässlich des Verkaufs von Meinl 1998: „Sehen Österreicher den typischen Meinl-Marken-Mohr mit dem roten Fez, weht imaginärer Kaffeeduft, werden Kindheitserinnerungen vom Einkauf an der Hand der Großmutter wach [,..]"161 Der Satz enthält eine Reihe von Signalen, dass Meinl einer unwiederbringlichen Vergangenheit angehört: Das Mohrenzeichen auf gelbem Grund weckt Erinnerungen an die Kindheit, der man ebenso wie dem Meinl-Geschäft entwachsen ist, und an die Großmutter - als alter Mensch die typische Kundschaft der Meinl-Filiale. Tradition macht in der Zweiten Republik die Stärke von Meinl als österreichischem Gedächtnisort aus und zugleich seine Schwäche als Handelsunternehmen. Freundliche Firmenporträts schwärmten vom Konzern, „getragen von einer großen Tradition", 162 kritische Artikel sprachen schlicht von „Tradition als Bremsklotz". 163

Der Verkauf der Meinl-Filialen

- Ausverkauf

österreichischer

Identität?

Als Ende Juli 1998 bekannt wurde, dass der Meinl-Konzern sein Filialnetz an Rewe zu veräußern gedachte, wirbelte die Neuigkeit - wie nicht anders zu erwarten - gehörig Staub auf. Die zum Teil recht emotionellen Reaktionen auf den „Deal" mit dem deutschen Lebensmittelkonzern kamen nicht aus heiterem Himmel: Die Debatte um den Beitritt zur Europäischen Union und generell die Diskussionen um die Internationalisierung der Wirtschaft, die unter dem Schlagwort der Globalisierung geführt werden, hatten das Feld entsprechend aufbereitet. Auch war Meinl nicht die erste Firma, die in ausländisches Eigentum wechselte. Gerade der Rewe-Konzern, der nun Meinl „schlucken" wollte, hatte erst 1996 Billa von Karl Wlaschek erworben. „Wieder ist ein Konzern ins feindliche Ausland verkauft worden", ironisierte damals das „Wirtschaftsblatt" die Stimmung in Österreich. 164 In den Kommentaren zur Übernahme von Billa durch Rewe entdeckt man bereits all jene Motive, die sich auch in den Zeitungsartikeln finden, die zwei Jahre später anlässlich des Geschäftes zwischen Meinl und Rewe verfasst wurden. Allerdings regte der Besitzwechsel bei Billa weniger auf. Zwar spielte die Julius Meinl AG eine viel kleinere Rolle im heimischen Lebensmittelhandel, doch ihr Symbolwert war ungleich höher.

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„Beim Meinl werden sie weich. Plötzlich werden Menschen von Bedenken über den .Ausverkauf' der heimischen Wirtschaft geplagt, denen Übernahmen von Steyr-Daimler-Puch, Leykam oder Atomic durch ausländische Mehrheitseigentümer so ziemlich egal sind", notierte das „Industriemagazin". 165 Meinl wurde als vorläufiger Schlusspunkt in einer identitätsgefährdenden Kette von Firmenübernahmen durch ausländische Eigentümer thematisiert. Die Zeitungen schrieben allerdings durchwegs gegen diese Sichtweise an, von der sie vermuteten, dass sie die Meinung der Österreicherinnen beherrsche. Gleichzeitig (re)produzierten sie jene Mythen, als deren Bekämpfer sie sich deklarierten. Worin man das typisch Österreichische bei Meinl sieht, müssen wir wohl nicht mehr in extenso ausführen. Um ihren Leserinnen die entsprechenden Inhalte zu vergegenwärtigen, brachten die Zeitungen Hintergrundinformationen über das Unternehmen und seine Geschichte. Sie riefen jene Bilder ab, die das kulturelle Gedächtnis über Meinl aufbewahrt, und nie fehlte die Feststellung, dass die Firma in einem besonderen Maß österreichische Tradition verkörpere. Richard Nimmerrichter erklärte aber als „Staberl" in der „Kronenzeitung": „Fruchtlos ist die Nostalgie." 166 Als Beleg listete er Objekte nationalen Stolzes auf, die durch gesellschaftlichen Wandel unter Druck geraten waren. Etwas Fremdes und/oder Modernes verdrängte aus seiner Perspektive jeweils das typisch Österreichische: Manches bodenständige Wirtshaus habe schon wegen der Konkurrenz eines „unfeinen amerikanischen Fleischlaberltempels" schließen müssen; die sublime Erotik des 19. Jahrhunderts sei durch Pornografie ersetzt worden; „wildgewordene linke Regisseure" profanierten das Theater, einst Stätte eines „edlen Pathos", und „was sind schon in der Musik Mozart, Beethoven oder Bruckner, wenn zeitgenössische Komponisten, die den Kontrapunkt ebenso geschwänzt haben wie die Harmonielehre, heute Nähmaschinen rattern oder Staubsauger brummen lassen?" Nimmerrichter suggerierte: Wenn es nicht gelungen war, diese leidigen Veränderungen zu verhüten, so konnte man auch nicht verhindern, dass Meinl an ein deutsches Unternehmen veräußert würde. Der Journalist problematisierte nicht ein nationalistisches Wir-Gefühl, mit dem die „Kronen Zeitung" immer sehr geschickt spielt, sondern er versuchte, einschlägige Ressentiments zu bedienen. Gleichzeitig nahm er den Verkauf von Meinl aus der Schusslinie, indem er dumpfen Nationalismus zu einer resignativen Klage über moderne Zeiten formte. Als Objekt der Abneigung wurden Komponistinnen oder Theaterregisseurlnnen vorgeschoben. In den Medienberichten klingt immer wieder an, dass der Verkauf von Meinl deshalb besonders schmerze, weil der neue Besitzer ein deutsches Unternehmen sei. Richard Nimmerrichter zeigt Verständnis für den Unmut: „Tatsächlich muß man ja in der Geschichte unseres Landes bis ins Jahr 1938 zurückgehen, um auf eine ähnlich rabiate Einverleibung österreichischer Vermögenswerte durch deutsche Heilsbringer zu stoßen."167 Wenn Rewe 1998 die Firma Meinl erwirbt, so gemahnt diese „Eroberung" daran, wie Österreich - so das von der „Kronen Zeitung" gerne strapazierte Selbstbild der Zweiten Republik - schon

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1938 zum wehrlosen Opfer des deutschen Imperialismus wurde. Die Akquisition einer großen österreichischen Firma durch eine deutsche ist also kein xbeliebiges Geschäft, sondern es erfährt vor dem Hintergrund des diffizilen Verhältnisses Österreichs zu seinem nördlichen Nachbarn eine spezielle Deutung. Bekannte Stereotype kommen zum Zug: „Die Deutschen san da sehr knaschtig, die legen gleich alles auf die Waagschale", äußern laut einem Bericht der „Presse" die Mitarbeiterinnen einer Meinl-Filiale, die sich um ihre Zukunft sorgen.168 Die Zeitung gibt sich hier nur als Spiegel von Gefühlen der Beschäftigten, doch fügt sich das Zitat in das von den Medien gezeichnete Bild von Meinl als Repräsentant einer typisch österreichischen Liebenswürdigkeit. Dem steht Rewe als Beispiel einer typisch deutschen unternehmerischen Tüchtigkeit gegenüber, die sich durch Effizienz und Kostenbewusstsein auszeichnet. Unter negativen Vorzeichen betrachtet erscheint der Kauf von Meinl durch Rewe/Billa als der eines Unternehmens, das (ehemals) für hohe kulinarische Qualität stand, durch einen (ehemaligen) Billiganbieter und entpuppt sich auch in diesem Sinn als eine Attacke auf das österreichische Wesen, dem - so ein gängiges Stereotyp das gute Essen heilig ist.169

Wirtschaftsminister Hannes Farnleitner gegen den deutschen Michel, der Meinl geschluckt hat. Karikatur aus der „Kleinen Zeitung"

Als Grund dafür, dass der Verkauf von Meinl an ein deutsches Unternehmen keinen Anlass zu Besorgnis gebe, wurde von den Zeitungen gerne angeführt, dass Österreich ja Mitglied der Europäischen Union sei. Innerhalb ihrer Grenzen entpuppe sich aber aufgrund des Binnenmarktes die alte Gegenüberstellung von Inland und Ausland als nichtig. Christian Rainer verfasste im „Profil" ei-

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nen Leitartikel mit dem interessanten Titel „Der europäische Mohr". Schon im Vorspann legte er mit demonstrativer Kaltschnäuzigkeit klar, dass Jammern keinen Sinn habe. Barsch gab er den Befehl aus: „Wer sich vor dem Verkauf der österreichischen Identität fürchtet, der sollte sich schleunigst eine neue zulegen." Rainer war sich allerdings bewusst, dass die „bleischweren rationalen Erklärungen" alleine nicht ausreichen würden. Deshalb legte er den Österreicherinnen Europa als „Andockstation für Orientierung suchende Seelen" ans Herz. 170 In der Diskussion um den Meinl-Verkauf schwingt als Unterton die Mystifizierung von Kleinstaatlichkeit mit, wie sie in unterschiedlicher Akzentuierung für die Erste und die Zweite Republik von wesentlicher Bedeutung war. Während die politischen Eliten und die Bevölkerung in der Zwischenkriegszeit an der Lebensfähigkeit des geschrumpften Österreichs zweifelten, erfuhr die Kleinheit des Staates nach 1945 eine positive Deutung, denn Österreich inszenierte sich als harmlose Unschuld, was besonders hinsichtlich der nationalsozialistischen Vergangenheit einigen Reiz hatte. Die ökonomische Erfolgsstory, die mit dem „Wiederaufbau" begann, schien außerdem den Beweis zu erbringen, dass die geringe Größe des Binnenmarktes keinesfalls den Weg zu Wohlstand versperrt. Die Bemühungen um den Beitritt zur EG/EU führten einen P a r a d i g m e n w e c h s e l herbei: Die Ü b e r z e u g u n g , dass Österreich ohne den Anschluss an einen großen Wirtschaftsraum nicht existieren kann, gewann wieder an Boden. 171 Im Zeitalter der Globalisierung hielt man zunehmend den Kleinstaat für ein hilfloses Opfer von „global players". In seiner KronenzeitungsKolumne „anders gesehen" nahm Günther Nenning diese Betrachtungsweise aus Anlass des Verkaufs von Meinl an Rewe aufs Korn. 172 Sein Artikel ist eine eigenwillige Kombination aus kritischer Auseinandersetzung und Rückgriff auf Österreich-Klischees. Er beginnt mit der Sentenz: „Verkauft's mei' Gwand, Γ fahr' in' Himmel." Diese sei das „Prinzip der alt-österreichischen Ökonomie", aber auch der gegenwärtigen: „Wir verkaufen alle unsere Gwandeln, soweit wir noch im Besitze solcher sind, und f a h r ' n kerzengrad in den EU-Himmel." Nachdem Meinl in der Gegenwart die Präsenz verloren hat, die ein dichtes Filialnetz im kommunikativen Gedächtnis gewährleistete, wird die zukünftige Bedeutung des Unternehmens als Erinnerungsfigur stärker vom kommerziellen und symbolischen Erfolg seiner Markenprodukte, des Kaffees und der Marmelade, abhängen. Wir können getrost annehmen, dass sich der Zeitraum von 1998 bis 2000 (Verkauf der restlichen Filialen an Spar) in einem späteren Rückblick als Wendepunkt in der Geschichte des Erinnerungsortes „Julius Meinl" darstellen wird. 173

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Regal 1/1977, 7. Regal 7/1975. Die Darstellung der Unternehmensgeschichte bis zum Zweiten Weltkrieg stützt sich weitgehend auf: Ingrid Proksch, Das Haus Julius Meinl. Die Entwicklung eines österreichischen Unternehmens von 1862-1937, Phil. Diss. Univ. Wien 1970. Uwe Spiekermann, Basis der Konsumgesellschaft. Entstehung und Entwicklung des modernen Kleinhandels in Deutschland 1850-1914, München 1999, 325-330. Josef Mentschl, Julius Meinl. Der Organisator des Meinl-„Staates", in: ders., Österreichische Wirtschaftspioniere, Wien 1959, 148. Herbert Matis und Dieter Stiefel, Die Weltwirtschaft. Struktur und Entwicklung im 20. Jahrhundert, Wien 1991,212. Zum tschechoslowakischen Tochterunternehmen siehe Jana Gerslovä, Julius Meinl: im Kaffeerausch einer altehrwürdigen Firma, in: Kontakte und Konflikte. Böhmen, Mähren und Österreich: Aspekte eines Jahrtausends gemeinsamer Geschichte, hg. von Thomas Winkelbauer, Waidhofen/Thaya 1993, 355-362. Rudolf Maurer, Die Finanz- und Absatzpolitik der Firma Julius Meinl von der Gründung bis 1971, Diplomarbeit Hochschule für Welthandel Wien 1972, 55 u. 71. Meinl-Post 15/1969: Hier wurde eine von der „Wochenpresse" veröffentlichte Aufstellung abgedruckt. Trend 1974, Nr. 6, 72 f.; Margareta Lehrbaumer, Womit kann ich dienen? Julius Meinl - auf den Spuren einer großen Marke, Wien 2000, 247. Trend 1974, Nr. 6, 67. Ebd., 76. Meinl-Post 36/1978. Cash. Das Handelsmagazin 1989, Nr. 5, 18. So das Urteil von Dieter Weihs, dem Chef der ZEV-Einkaufsorganisation, zitiert in: News 1996, Nr. 42, 108. Meinl-Post 8/1967. Cash 1992, Nr. 5, 30. Wirtschaftswoche, 17. Oktober 1996, 44. Cash 1998, Nr. 7 - 8 . Wirtschaftswoche, 17. Oktober 1996, 44; Trend 1997, Nr. 12, 88. Wochenpresse, 29. Juni 1990. Wirtschaftswoche, 17. Oktober 1996, 40. Trend 1997, Nr. 12, 93. Die zitierten Wendungen stammen aus: Cash 1989, Nr. 5; Arbeiterzeitung, 23. März 1990; News, 17. Oktober 1996. Wirtschaftswoche, 1. Juni 1995, 32. Meinl-Post 86/1993. News, 17. Oktober 1996. Industriemagazin 1998, Nr. 9. Julius Meinl. Geschäftsbericht 1995, 15. Cash 1999, Nr. 2; Wirtschaftsblatt, 4. Februar 1999; Profil 1999, Nr. 40. Trend 1999, Nr. 6, 75; Lehrbaumer, Womit kann ich dienen, 147, 155 u. 164. Proksch, Haus Meinl, 85-90. Eine Kurzbiographie bei Bernhard Denscher, Österreichische Plakatkunst 1898-1938, Wien 1992, 195; Meinl-Post 43/1956. Extradienst, 19. November 1987. Lehrbaumer, Womit kann ich dienen, 189. Im Zeichen des Mohren 2/1936, 5 - 7 . Im Zeichen des Mohren 3/1936. Julius Meinl. Die Unternehmungen des Hauses von 1862 bis heute, Wien 1962, 41. Maurer, Finanz- und Absatzpolitik, 156. Zitiert nach Stefan Haas, Die neue Welt der Bilder: Werbung und visuelle Kultur der Moderne,

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in: Bilderwelt des Alltags. Werbung in der Konsumgesellschaft des 19. und 20. Jahrhunderts. Festschrift für Hans Jürgen Teuteberg, hg. von Peter Borscheid und Clemens Wischermann, Stuttgart 1995, 64-77, hier 77. Proksch, Haus Meinl, 270 f.; Maurer, Finanz- und Absatzpolitik, 158. Lehrbaumer, Womit kann ich dienen, 125. Proksch, Haus Meinl, 118. Meinl-Post 3/1950. Die Presse, 26. September 1962, PR IV. Regal 1978, H. 3. Die Presse, 26. September 1962, PR IV. Siehe Panajotis Kondylis, Der Niedergang der bürgerlichen Denk- und Lebensform. Die liberale Moderne und die massendemokratische Postmoderne, Weinheim 1991. Die Presse, 26. September 1962, PR II. Meinl-Post 42/1956. Meinl-Post 76/1990. Vgl. Sylvia Amonn, Das österreichische Wirtschaftsplakat während der Zwischenkriegszeit, Diplomarbeit Univ. Wien 1996, 105-113. Unternehmungen 1862 bis heute, 21. Denscher, Plakatkunst, 168. Lehrbaumer, Womit kann ich dienen, 206. 1938 musste der Darsteller des Meinl-Mohren übrigens Österreich verlassen. Er ging nach Monrovia, der Hauptstadt von Liberia, wo er einen Nachtklub eröffnete. Meinl-Post 10/ 1951. Das von Otto Exinger gestaltete Sujet wurde 2002 übrigens als Bildunterlage eines Inserats verwendet, das im Fließtext die Anekdote erzählt, wie ein Grazer Afrikareisender in Monrovia zufällig auf den ehemaligen Darsteller des Meinl-Mohren traf. Der Standard, Rondo, 18. Oktober 2002. Industriemagazin 1998, Nr. 7 - 8 . Die Presse, 26. September 1962, PR III. Meinl-Post 10/1968. Slave in a Box: The Strange Career of Aunt Jemima, by M.M. Manring, Rezension von Robert E. Weems, in: Business History Review 73 (1999), 298-300. Profil 1996, Nr. 35, 78. Format 2002, Nr. 37, 77. Meinl-Post 52/1983. Salzburger Nachrichten (Wirtschaft im Bild), 20. Juli 1990,2; Neue Kronenzeitung, 2. August 1998, 28. Neuer Kurier, 23. April 1955, 4; allgemein zur Kolumne „Blattl vorm Mund" siehe: Helmut Qualtinger, Werkausgabe 5, hg. von Traugott Krischke, Wien-München 1997, 237. Wiener Wochenausgabe, 26. November 1949, 6; 24. Dezember 1949, 7; 31. Dezember 1949, 8; 7. Jänner 1950, 7, 9; 14. Jänner 1950, 7; 21. Jänner 1950, 7. Der Verfasser oder die Verfasserin wird nicht namentlich ausgewiesen. Wiener Wochenausgabe, 7. Jänner 1950, 7, 9. Siehe das Stichwort „Barock" in: Susanne Breuss, Karin Liebhart und Andreas Pribersky, Inszenierungen. Stichwörter zu Österreich, Wien 1995, 68 f. Herbert Matis und Dieter Stiefel, Unternehmenskultur in Österreich. Ideal und Wirklichkeit, Wien 1987, bes. 18 f., 105-114, 137, 113. Die Meinl-Saga, in: Trend 1974, Nr. 6, 55. Die Presse, 26. September 1962, PR II. Ebd. Wirtschaftswoche 1991, Nr. 38, 50 f. Die Presse, 26. September 1962 PR I. Wiener Wochenausgabe, 21. Jänner 1950, 7; Trend 1974, Nr. 6, 59. Regal 1977, Nr. 1,38.

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Trend 1974, Nr. 6, 57. Cash-Flow 1990, Nr. 2, 33. Ebd. Wirtschaftswoche, 9. Juli 1992 u. 21. Jänner 1993; Kurier, 16. Jänner 1996; Die Presse, 11. Februar 1993. Profil 1993, Nr. 27, 40. News 1997, Nr. 16, 102. Format 1999, Nr. 47. Format 1999, Nr. 6, 73. Wirtschaftswoche 1991, Nr. 38, 50. Unternehmungen 1862 bis heute, 15. Rundbrief von Julius III., Wien 29. Juli 1948, Archiv der Julius Meinl A G (JMAGArchiv). Die Presse, 28. Juli 1956; Wiener Wirtschaft 1985, Nr. 11, 24; Isabell Baner und Daniela Kalmar, Die Meinl-Schule. Ein Beispiel für erfolgreiche Lehrlingsausbildung in Österreich, 1903-1999, Diplomarbeit Wirtschaftsuniv. Wien 2001. Cash 1989, Nr. 5, 20. Meinl-Post 2/1950. 5-Tage-Arbeitswoche, in: Neues Wiener Tagblatt, 22. Jänner 1932; Lehrbaumer, Womit kann ich dienen, 58. Cash 1989, Nr. 5, 20. News 1997, Nr. 16, 99 u. 100. Trend 1992, Nr. 12, 93. Die Presse, 30. Juli 1998. Unternehmungen 1862 bis heute, 11. Salzburger Nachrichten (Österreichs Wirtschaft im Bild), 20. Juli 1990; vgl. auch den PRArtikel in: Salzburger Nachrichten, 10. November 1978. Die Presse, 26. September 1962, PR IV; Maurer, Finanz- und Absatzpolitik, 36. Trend 1974, Nr. 6, 74. Die Presse, 26. September 1962, PR IV. Roman Sandgruber, Bittersüße Genüsse. Kulturgeschichte der Genußmittel, Wien-KölnGraz 1986, 5 9 - 8 8 . Trend 1997, Nr. 12, 93. Ebd., 91. Meinl-Post 17/1970. Stichwörter „Essen und Trinken", „Gemütlichkeit" und „Kaffeehaus" in: Breuss, Liebhart und Pribersky, Inszenierungen, 117-126, 135-139, 154-156. Ebd., 125 f. Regal 1978, Nr. 2, 30. Meinl-Post 36/1978. Regal, 1. März 1995, 18. Die Presse, 24. Mai 1996. Format 1999, Nr. 49. Falter 2000, Nr. 1,60. Im Zeichen des Mohren 2/1936, 21. Mentschl, Meinl, 149. Siehe auch die Ergebnisse von 1995 geführten Gruppendiskussionen: Ruth Wodak u.a., Zur diskursiven Konstruktion nationaler Identität, Frankfurt/Main 1998, 334 f. Cash-Flow, 1. Februar 1990, 35. Wiener Wochenausgabe, 14. Jänner 1950, 7. Siehe: Birgit Morgenbrod, Wiener Großbürgertum im Ersten Weltkrieg. Die Geschichte der „Österreichischen Politischen Gesellschaft 1916-1918", Wien-Köln-Weimar 1994; Heinrich Benedikt, Die Friedensaktion der Meinlgruppe 1917/18. Die Bemühungen um einen Verständigungsfrieden nach Dokumenten, Aktenstücken und Briefen, Graz-Köln 1962; derselbe,

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Julius Meinl, in: Neue Österreichische Biographie XVI, Wien-München-Zürich 1965, 140-152. Interview mit Vorstand Hofinger in der Arbeiterzeitung: „Nostalgie steckt weniger dahinter, wir wollen aber dorthin, wo wir einmal waren." Arbeiterzeitung, 23. März 1990. Meinl-Post 75/1990. Gewinn 1990, Nr. 6, 28. Im Zeichen des Mohren 2/1936, 15 f. Regal 1985, Nr. 5, 114. Neues Wiener Tagblatt, 29. November 1928; der Artikel findet sich in einer Mappe mit Zeitungsausschnitten im JMAG-Archiv. Der Abend, 28. November 1931; Rote Fahne, 14. Juni 1930; dazu noch ein weiterer Artikel ohne Datum - alle Zeitungsausschnitte im JMAG-Archiv. Proksch, Haus Meinl, 285. Der österreichische Lebensmittelhändler 20/1929, 6 u. ein weiterer undatierter Artikel im JMAG-Archiv. Telegraf, 14. Jänner 1933, JMAG-Archiv. Lehrbaumer, Womit kann ich dienen, 55. „Über den Anschluß", abgedruckt in: Benedikt, Friedensaktion, 297 ff. Morgenbrod, Großbürgertum, 85, 167. Siehe z.B.: Julius Meinl, Der Irrglaube von der passiven Handelsbilanz/passiven Zahlungsbilanz; ein Exemplar der Denkschrift in: Allgemeines Verwaltungsarchiv (AVA), Präsidentschaftskanzlei (Pk) 5037/1932. AVA, Pk 7991/1929. Julius Meinl, Demokratie und Kaufmann, in: Der Wiener Tag, 8. Dezember 1932, JMAGArchiv. Zur Haltung der Sozialdemokratie vgl. Dieter Stiefel, Die große Krise in einem kleinen Land. Österreichische Finanz- und Wirtschaftspolitik 1929-1938, Wien-Graz-Köln 1988, 355 f.; siehe auch: Die Zollpolitik der europäischen Staaten, in: Arbeiterzeitung, 7. Februar 1930. Das Blatt berichtet hier zustimmend über einen einschlägigen Vortrag Meinls. Abschrift eines Straßenplakates aus dem Herbst 1932, JMAG-Archiv. Franz Planer, Das Jahrbuch der Wiener Gesellschaft, Wien 1929, 412; „Überaus große Opfer hat J.M. für die innere Versöhnungspolitik gebracht", liest man auch in: Die geistige Elite Österreichs. Ein Handbuch der Führenden in Kultur und Wirtschaft, Wien 1936, 5 9 9 - 6 0 1 , hier 601. Heimwehrzeitung, 18. August 1929, JMAG-Archiv. Arbeiterzeitung, 30. August 1929, JMAG-Archiv. Politische Beurteilung von Julius Meinl, Wien 15. Dezember 1939, Archiv der Republik (AdR), Bürckel-Korrespondenz, K. 124. Schreiben an Reichsstatthalter Forster in Danzig, 23. Januar 1940, Ebd. Zur Tätigkeit von Julius III. im Exil: Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933. Bd. 1 Politik, Wirtschaft, öffentliches Leben, M ü n c h e n - N e w York-London-Paris 1990, 487; Helene Maimann, Politik im Wartesaal. Österreichische Exilpolitik in Großbritannien 1938 bis 1945, Wien-Köln-Graz 1975, 99 f., 2 2 5 - 2 2 7 ; Österreicher im Exil. Großbritannien 1938-1945, hg. vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands, Wien 1992, 162, 238 f. Zeugnis für Fritz Meinl, Wien 5. September 1949, JMAG-Archiv. Bericht des Polizeipräsidenten in Wien, Wien 26. Juli 1944, JMAG-Archiv. Internationale Wirtschaft 1947, Nr. 9, 4. Trend 1974, Nr. 6, 72; Lehrbaumer, Womit kann ich dienen, 123. Albert Stemfeld, Betrifft: Österreich, Wien 1990, 19. Wirtschaftswoche 1991, Nr. 38, 52 f. u. 1996, Nr. 4 3 , 4 0 ; Profil 1995, Nr. 16, 52; Die Presse, 29. Juli 1998; Kurier, 29. Juli 1998, 15. Emst Bruckmüller, Österreichbewußtsein im Wandel. Identität und Selbstverständnis in den 90er Jahren, Wien 1994, 58.

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Stichwort „Tradition", in: Breuss, Liebhart und Pribersky, Inszenierungen, 330-333. Die Presse, 3. April 1957, 5. Wiener Wochenausgabe, 26. November 1949, 6. Fast den gleichen Satz findet man bei Josef Mentschl: „Julius Meinl machte keinen amerikanischen Aufstieg durch, der den Zeitungsjungen oder Tellerwäscher nach den Sternen am Wirtschaftshimmel greifen läßt." Mentschl, Meinl, 144. Trend 1980, Nr. 1,44. Cash 1989, Nr. 1, 16. Meinl-Post 12/1952. Aleida Assmann, Zeit und Tradition. Kulturelle Strategien der Dauer, Köln-Weimar-Wien 1999, 93. Regal 1978, Nr. 5. Wirtschaftswoche, 1995, Nr. 23, 32. Trend 1974, Nr. 6, 67. Oberösterreichische Nachrichten, 1. August 1998. Regal 1975, Nr. 7, 9. News 1996, Nr. 42, 107. Wirtschaftsblatt, 18. Juli 1996. Industriemagazin 1998, Nr. 9. Neue Kronenzeitung, 9. August 1998, 8. Neue Kronenzeitung, 31. Juli 1998, 6. Die Presse, 30. Juli 1998. Textstellen, die auf diesen Aspekt Bezug nehmen: Kommentar von Andreas Zenker, Der Mohr hat ausgedient, in: Die Presse, 29. Juli 1998; Kolumne von „Staberl" in: NKZ, 9. August 1998, 8. Profil 1998, Nr. 29, 17. Vgl. Robert Menasse, Das Land ohne Eigenschaften, Wien 1992, 7-12, 52 f. Neue Kronenzeitung, 10. August 1998, 12. Im kulturellen Gedächtnis ist Meinl jedenfalls fest eingeschrieben. Ein wesentlicher Bezugspunkt wurde erst im Jahr 2000 geschaffen, als Margareta Lehrbaumer eine üppig bebilderte Monographie über Meinl veröffentlichte. Die Autorin, eine ehemalige Angestellte des Unternehmens, schildert kenntnisreich seinen Werdegang. Zugleich lässt sich das populär angelegte Werk als Inventar all jener Motive lesen, die mit Meinl verbunden sind. Indem es die verschiedenen Elemente der konnotativen Aura des Unternehmens und seiner Paradeprodukte bündelt, bietet es eine kanonisierende Gesamtschau und somit einen guten Ansatzpunkt für die publizistischen Spezialistinnen des kulturellen Gedächtnisses. Das Buch „Womit kann ich dienen?" wurde nach Abschluss der ersten Fassung unseres Manuskripts veröffentlicht. In der vorliegenden Version haben wir es - wie in den Anmerkungen ausgewiesen dort berücksichtigt, wo es gegenüber unserer eigenen Auseinandersetzung Präzisierungen erlaubte.

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Manner „Die Schnitte der Patrioten"1 25. Mai 1998: In der niederösterreichischen Kleinstadt Wolkersdorf findet eine feierliche Grundsteinlegung statt. Landeshauptmann Erwin Pröll versenkt gemeinsam mit Carl Manner, seines Zeichens Vorstandsvorsitzender der Josef Manner & Comp. AG, zwei Packungen Haselnussschnitten in das Fundament einer zu errichtenden Fabrikanlage. 2 Eine der Packungen trägt ein Design, das auf längst vergangene Tage verweist, die andere das aktuelle. Symbolisch spannen sie eine Brücke von der guten alten Zeit in die Gegenwart. Man versteht sich ja als Traditionsunternehmen. Das neue Werk soll übrigens nicht Schnitten erzeugen, wie man vielleicht glauben würde, sondern andere Produkte aus dem breiten Sortiment des Süßwarenherstellers, wie z.B. Rumkugeln und Drageekekse. Diese Erzeugnisse des Unternehmens sind auch recht beliebt. Dennoch: Sein Fundament, so wird uns signalisiert, bilden die Schnitten. Die Geschichte der Firma begann im späten 19. Jahrhundert: 3 Josef Manner, Jahrgang 1865 und gebürtiger Wiener, betrieb ab Mai 1889 ein Geschäft am Stephansplatz. Er verkaufte Schokolade und Feigenkaffee. Anfang Februar des folgenden Jahres übernahm er von seinem bisherigen Partner dessen halben Anteil am Lokal und wenige Wochen später erwarb er in der Strobachgasse im fünften Bezirk um 500 Gulden ein Geschäft für Schokolade samt der Gerätschaft zu ihrer Erzeugung. Manner tat damit den Schritt vom Handel zur Produktion, auf die er sich bald ganz konzentrierte. Die eigentliche Unternehmensgründung wird deshalb vom Firmenschrifttum auf 1890 datiert. Damals übersiedelte Josef Manner auch schon mit seiner Produktion in das Haus seiner Eltern in der Kulmgasse (Hernais). An diesem Ort befindet sich seither der Firmensitz. Seine Schokoladenhandlung beim Stephansdom hatte Josef Manner übrigens bald wieder veräußert. 1893 nahm er seinen Mitarbeiter Alfred Teller als Kompagnon auf, dem 50% der 1897 registrierten offenen Handelsgesellschaft gehörten. Teller verkaufte jedoch 1900 an seinen Schwager Johann Riedl, dessen Nachkommen gemeinsam mit jenen von Josef Manner bis in die Gegenwart an der Spitze des Unternehmens stehen. Dieses wurde 1913 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Die Anteile hielten je zu einem Drittel Josef Manner, Johann Riedl und die Anglobank als Kapitalgeber. Nach und nach kaufte man aber dem Geldinstitut seine Aktien wieder ab. Die Umwandlung der Firma

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in eine Kapitalgesellschaft war beredter Ausdruck ihres raschen Aufstiegs. 1897 hatte sie bereits 100 Beschäftigte gezählt. Ihre Zahl wuchs auf 1.000 im Jahr vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Diese Ausweitung verlangte entsprechende bauliche Maßnahmen. In der Kulmgasse errichtete man von 1908 bis 1913 eine groß dimensionierte Fabrik.

Rechnungszettel (frühes 20. Jahrhundert) in patriotischer wie mondäner Variante

Der Zerfall Österreich-Ungarns im Jahre 1918 versetzte Manner einen harten Schlag: Die Firma büßte etwa 3 5 % ihres Umsatzes ein. Abgesehen von den Schwierigkeiten im „Neuausland", das sich durch Zollschranken und andere protektionistische Maßnahmen wirtschaftlich vom ehemaligen Zentrum zu emanzipieren suchte, verlor Manner in der Zwischenkriegszeit auch auf dem verkleinerten Binnenmarkt an Terrain. Dem einst tonangebenden Schokoladeerzeuger, der eine konservative Unternehmenspolitik verfolgte, machte in den Dreißigerjahren die Konkurrenz sehr zu schaffen. Als Österreich 1938 an das Deutsche Reich „angeschlossen" wurde, sah die Firma Grund für Zuversicht. „Was uns der Führer versprochen hat, das geht auch in Erfüllung", prophezeite Direktor Wilhelm Riedl der Manner-Belegschaft für die Zukunft der Ostmark. 4 Das Unternehmen erhoffte einen Aufschwung der Geschäfte - keineswegs vergebens. Der Heereslieferant Manner verzeichnete bis 1941 eine ausgesprochen günstige Entwicklung der Gewinne. Man übertraf selbst die stärksten Jahre der Ersten Republik. Nach Kriegsbeginn wurde Manner viel besser mit Rohstoffen

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versorgt als die übrigen Süßwarenhersteller. Ab 1942 verschlechterte sich die Situation, doch blieb die Firma von Bombenschäden verschont und verfügte 1945 noch über genügend Vorräte und einen intakten Maschinenpark, um den Betrieb rasch wieder aufnehmen zu können. Die zweite Hälfte der Vierzigerjahre gestaltete sich aufgrund von Rohstoffproblemen als schwierig, die Produktion wuchs aber an. Im folgenden Jahrzehnt blieb Manner hinter der übrigen Süßwarenindustrie zurück. Die Firmenleitung agierte zu vorsichtig und investierte zu wenig, so dass sie die sich bietenden Möglichkeiten nicht voll ausschöpfen konnte. Erst 1964 erreichte sie wieder den Umsatz von 1914. In den Sechzigerjahren expandierte das Unternehmen jedoch kräftig und machte auf diese Weise Boden gut. Heute stellt sich Manner als Unternehmen mittlerer Größe dar. 1998 beschäftigte es 7 0 0 Mitarbeiterinnen und verbuchte einen Umsatz von 1,3 Milliarden Schilling. 5 Am heimischen Süßwarenmarkt hielt Manner aber immerhin einen Anteil von über 2 0 % 6 und kann außerdem einen enorm hohen B e kanntheitsgrad vorweisen: Die Marke ist gemäß Untersuchungen des Marktforschungsinstitutes AC Nielsen 9 7 % der Österreicherinnen ein Begriff. 7 Mit Manner hat man außerdem zu rechnen, wenn es um heimische Unternehmen geht, deren Nennung positive Emotionen hervorruft. Carl Manner, der Enkelsohn des Firmengründers, stellte in einem Interview mit Recht fest: „Komischerweise ist der ganze Manner ein Mythos. Wir werden über unsere Umsatzbedeutung hinaus bewertet." 8 Diese Hochschätzung verdankt das Unternehmen vor allem seinem populärsten Erzeugnis, der Neapolitanerschnitte, die in der unverkennbaren rosa Zehnerpackung mit dem Stephansdom als Markenzeichen verkauft wird. Im Jahre 1898 kreiert, waren die Neapolitanerschnitten zunächst ein vergleichsweise teures Produkt. Noch in der Zwischenkriegszeit haftete Süßwaren generell der Nimbus des Luxuriösen an, doch mit dem „Wirtschaftswunder" kam es zu ihrer „Veralltäglichung". Auch die Schnitten wurden zu einer Ware, die jedem problemlos zugänglich ist. Laut Marktanalysen erfreuen sie sich zudem in allen sozialen Schichten gleicher Beliebtheit. Rein rechnerisch konsumiert angeblich die Österreicherin ein Kilo der Schnitten pro Jahr. 9 Kurz gesagt: Wir haben es mit einem Produkt zu tun, das unsere Nation vereint - und von anderen unterscheidet. Gemäß Angaben der Firma zeichnet sich Österreich nämlich dadurch aus, dass nur hierzulande der Pro-Kopf-Verbrauch an Waffeln über jenem von Schokolade liegt. 10 Von diesen Konsumgewohnheiten profitiert Manner: In punkto Waffeln ließ die Firma ihre Konkurrenz weit hinter sich. 1998 erfreute sie sich eines Marktanteils von mehr als 5 0 % . „Chocolade für alle", lautete die Devise von Firmengründer Josef Manner, lesen wir verschiedentlich. Es sei dahingestellt, ob er tatsächlich diese Losung formuliert hat oder ob sie ihm bloß in den Mund gelegt wird, weil sie seinem Unternehmen retrospektiv eine Mission zuweist. Jedenfalls erfüllte sich die Ambition in Form eines „Schnitten für alle". Da sich die Nation als imaginäre

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Gemeinschaft einer unüberschaubaren Großgruppe auch über Konsumgüter herstellt, ist es höchst relevant, dass sich die Firma Manner damit brüsten kann, über eines der am besten distribuierten Produkte Österreichs zu verfügen. Ein Zeitschriftenartikel entfaltet als Einstieg in das Thema Manner-Schnitten das Panorama all jener Orte, an denen die Süßware anzutreffen ist: „Sie zählen zur Grundausstattung jedes Zuckerlgeschäfts, jeder Schihütte und jeder Hotel-Minibar. Sie stehen in den Vitrinen der Landgasthäuser und Stadtbeisln ebenso wie in den Buffets der meisten Theater, Kinos, Schulen und Sportplätze. Im Viererpack sind sie praktisch in jedem Supermarkt erhältlich, auch beim Greißler ums Eck, in den Kantinen der österreichischen Betriebe und auf immer mehr Tankstellen." 11 Präsenz in möglichst allen Kontexten des Konsums ist ein wesentliches Element, das aus einer Waffel einen Gedächtnisort im Sinne des Begriffs von Pierre Nora machen kann. Dank dieser konsequent angestrebten Allgegenwart kann sich die Firma den selbstbewussten Werbeslogan „Manner mag man eben" leisten. Die nationale Bedeutung von Manner geht jedoch über das bloße Faktum einer großen Marktdurchdringung weit hinaus. Die Firma spielt eine bewusst „staatstragende" Rolle, indem sie gezielt österreichische Symbole einsetzt und zwar in einer enormen Dichte. Diese Symbole, darunter in erster Linie der Stephansdom, entstammen allerdings dem Wiener Kontext. Manner kann sich vor allem deshalb als typisch österreichisch gerieren, weil der Hauptstadt und den ihr zugeschriebenen Eigenschaften in Selbst- wie Fremdbild der Österreicherinnen die Funktion eines pars pro toto zukommt. Andererseits lässt sich bezeichnenderweise in der Beliebtheit der Schnitte nach Marktanalysen ein leichtes Ost-West-Gefälle ausmachen, das sich auch in der Erhebung von Fessel-GfK spiegelt. Am häufigsten wird Manner in der Bundeshauptstadt als typisch österreichisches Unternehmen genannt. Die Schnitten sind eben - um eine Formulierung der „Wiener Zeitung" aufzugreifen - „Das süße Wahrzeichen Wiens". 12

David gegen Goliath - die österreichische Süßwarenbranche und die internationalen Konzerne In der Umfrage zu den österreichischen lieux de memoire fällt der prominente Platz von Unternehmen auf, die starke Bezüge zu „süßen" Erinnerungsorten aufweisen bzw. selbst als solche gelten können. Neben Meinl und Manner wurden häufig als „typisch österreichisch" genannt: das Hotel Sacher, das mit der berühmten Torte als Spezialität des Hauses aufwarten kann, und die Firma Mirabell, die ihre „Salzburger Mozartkugeln" im In- und Ausland vertreibt. Dieser Wahrnehmung durch die Konsumentinnen korrespondiert das Auftreten der heimischen Süßwarenindustrie: Stets pochte sie auf ihren genuin österreichischen Charakter. Darin gleichen einander Unternehmen wie Manner, Viktor

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Schmidt & Söhne, Pischinger, Hofbauer, Engelhofer, Auer, Blaschke oder Heller. Diese Liste zeichnet sich freilich durch eine Besonderheit aus: Die angeführten Namen verweisen mit Ausnahme von Manner nicht mehr auf eigenständige Unternehmen. Viele Fusionen und einige Pleiten dezimierten in den letzten Jahrzehnten die Zahl der Süßwarenhersteller, die außerdem großenteils in den Besitz ausländischer Konzerne übergingen. Vor allem Schweizer Firmen begaben sich auf „Einkaufstour" in Österreich: Suchard erwarb 1975 den Salzburger Erzeuger Mirabell. Lindt & Sprüngli wiederum rettete 1994 Hofbauer aus einem „Finanzdebakel", Auer und Blaschke gingen ebenfalls an ein eidgenössisches Unternehmen, bevor dieses selbst in Schwierigkeiten geriet und seine österreichischen Erwerbungen 1999 an die aus den Beneluxländern stammende Continental Bakeries veräußern musste. Nestle, der größte Nahrungsmittelkonzern der Welt, erwarb 1997 die Markenrechte von Engelhofer. Zuvor hatte er schon mit Victor Schmidt & Söhne eines der traditionsreichsten Unternehmen der österreichischen Süßwarenbranche erstanden. Die Akquisition erfüllte allerdings nicht die Erwartungen des Konzerns, der die Firma Schmidt Ende 1999 Manner überließ. Auch im Falle von Manner kursierten immer wieder Gerüchte über einen bevorstehenden Verkauf. 1990 berichtete die Presse über entsprechende Absichten von Jacobs-Suchard und 1991 machte angeblich der französische Mischkonzern B S N dem heimischen Süßwarenunternehmen Avancen. 1998 wusste der „Trend", dass Haribo der Wunschpartner von Manner sei, aber auch Bahlsen, United Biscuits, Cadbury und der US-Konzern Philip Morris, der 1990 Jacobs-Suchard übernommen hatte, wurden genannt. 13 Der „Wirtschaftswoche" verriet Carl Manner 1995: „Mit Ausnahme von Ferrero gibt es keinen einzigen internationalen Konzern der Branche, der uns nicht schon schlucken wollte." 1 4 Das „Wirtschaftsblatt" kommentierte die Entwicklungen auf dem Süßwarensektor folgendermaßen: „Kaum eine andere Branche hat aus guten Marken so wenig gemacht. Und kaum eine andere Branche ist so sehr zum Synonym für den .Ausverkauf' der österreichischen Industrie geworden." 1 5 Die Positionierung der Süßwarenhersteller im Zentrum einer nationalen Identität, zu der das Phäaken-Stereotyp als fester Bestandteil gehört, bringt es zwar mit sich, dass ihrem Schicksal einige Beachtung geschenkt und ihr „Ausverkauf" ans Ausland schmerzlich empfunden wird. Der Branche kommt jedoch keine herausragende Stellung im österreichischen Wirtschaftsgefüge zu, geht man von ihrem Anteil am Bruttoproduktionswert der gesamten Industrie aus: Dieser betrug 1982 0,86%. 1 6 Die relative Schwäche der heimischen Süßwarenbranche - gemessen an der Schlagkraft ihrer internationalen Konkurrenz - lässt sich bis in ihre Entstehungsphase zurückverfolgen. Da die Habsburgermonarchie insgesamt in der wirtschaftlichen Entwicklung hinter anderen Ländern Europas nachhinkte, erfolgte der Übergang zur fabriksmäßigen Fertigung von Süßwaren später als

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ζ. Β. in Frankreich, Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden. Zwar stand den österreichischen Herstellern, die sich vor allem in der Metropole Wien etablierten, ein großer Binnenmarkt zur Verfügung, doch die im internationalen Vergleich hohen Preise für Rohstoffe, wie Kakaobohnen und Zucker, verteuerten das Endprodukt und hemmten den Massenabsatz. Trotzdem entstanden mehrere Firmen, die Süßwaren im großen Stil erzeugten. Auch ausländische Unternehmen stiegen am österreichischen Markt ein. Der Schweizer Hersteller Suchard gründete 1881 in Bludenz eine GesmbH. Stollwerck, aus Köln stammend, richtete 1896 in Wien eine Niederlassung ein. Die niederländische Firma Bensdorp etablierte sich 1907 in Wien. 17 Seit der Zwischenkriegszeit wurde „Chocolade Manner" ausgerechnet bei Tafelschokolade von Suchard und Bensdorp zunehmend in den Hintergrund gedrängt. Für Josef Manner & Comp, gewann folglich die Erzeugung von Dauerbackwaren, zu denen auch die populären Schnitten zählen, immer mehr an Bedeutung. 18 Während sich ihre ausländischen Konkurrenten in Österreich eine starke Marktposition schufen, war umgekehrt der Firma Manner kein Erfolg beschieden, als sie nach 1945 durch Direktinvestitionen versuchte, in anderen Staaten Fuß zu fassen. In den Fünfzigerjahren errichtete Manner eine Schnittenfabrik in Nordirland. Das Projekt scheiterte, ebenso jenes in Brasilien, wo man Mitte der 1970er-Jahre eine Produktionsstätte aufbaute. Ab 1994 bemühte man sich gemeinsam mit Nestle vergeblich um die Etablierung einer Waffelerzeugung in Ungarn. Das Joint Venture mit dem Schweizer Konzern wurde mangels Erfolgs bereits 1997 wieder liquidiert. 19 Seit Jahrzehnten leidet die Süßwarenbranche unter Strukturmängeln, die in den Neunzigerjahren offen zu Tage traten, als der Wettbewerb erheblich an Schärfe gewann. Die Unternehmen, die im internationalen Vergleich nur eine geringe Größe aufweisen, gerieten durch die Konzentration im Lebensmittelhandel und die damit steigende Nachfragemacht unter Preisdruck, während sie selbst aufgrund ihrer geringen Auftragsvolumina nur schwer bessere Konditionen bei Vor- und Verpackungslieferanten erreichen konnten. 20 Das „Wirtschaftsblatt" diagnostizierte als wichtigste Defizite zu geringe Finanzkraft sowie fehlende Bereitschaft zu Innovationen und Kooperation. 21 Viele branchentypische Probleme lassen sich anhand von Hofbauer zeigen. Die 1882 gegründete Firma begann in der Zwischenkriegszeit mit der fabriksmäßigen Erzeugung von Pralinen und erreichte die Größe eines Mittelbetriebes: 1939 beschäftigte sie 150 Mitarbeiterinnen. Als sich nach der Phase des „Wiederaufbaus" im Lebensmittelhandel allmählich die Tendenz zu Supermärkten zeigte, die zunehmend die kleinen Greißlereien ersetzten, reagierte Hofbauer nur widerwillig auf diese Entwicklung. Zwar erwarb das Unternehmen 1972 den Konkurrenten Küfferle, um mit dessen Produkten auch die Handelsketten zu beliefern, doch die „Spezialerzeugnisse" der Marke Hofbauer sollten nur im „Zuckerlgeschäft" erhältlich sein. Man war überzeugt, dass Konsumentinnen die Beratung und den Service des Fachhandels zu schätzen

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wüssten. „Wilde Preisaktionen" lehnte man selbstverständlich ab. Außerdem baute man darauf, dass die Identifizierung des Produktes mit einer Unternehmerfamilie besonders Vertrauen wecke: „Es gibt eben keinen Herrn Milka", strich Andreas Hofbauer, der letzte Chef des Hauses, hervor. Wer sich mit der Geschichte der Firma Meinl beschäftigt hat, dem kommen all diese Überlegungen recht vertraut vor. Der Handelskonzern ging an der Kombination aus antiquierter Firmenphilosophie und geringer Produktivität zugrunde - ebenso der Süßwarenerzeuger Hofbauer. Erst 1988 begann die Firma auch in Supermärkten die „Hofbauer"-Produkte zu offerieren. 1992 wurde die Fabrikation nach Gloggnitz übersiedelt, wofür Land und Gemeinde hohe Förderungen bereitstellten. Kaum zwei Jahre später musste aber infolge einer finanziellen Krise an Lindt & Sprüngli verkauft werden. 22 Angesichts eines drohenden unrühmlichen Endes quittierte die Presse den Einstieg des Schweizer Unternehmens mit Erleichterung. Meist wird jedoch die Verhinderung des „Ausverkaufs" von österreichischen Familienbetrieben bzw. ihres Untergangs im harten Konkurrenzkampf zu einem nationalen Anliegen stilisiert. „Wieder wird ein traditionsreicher österreichischer Süßwarenproduzent von einem internationalen Konzern geschluckt", kommentierte der „Kurier" 1994 den Verkauf von Viktor Schmidt & Söhne an Nestle. 23 „Wieder hat es einen Wiener Traditionsbetrieb erwischt", klagte dieselbe Zeitung, als 1998 der Schokoladenerzeuger Czapp den Konkurs anmelden musste. 24 Ein möglicher Ausweg aus der Misere? Der „Kurier" verweist auf „die große österreichische Schokolade-Lösung", 2 5 d.h. die Fusion der in österreichischer Hand verbliebenen Betriebe, um den „Multis" besser gewachsen zu sein. Manner entspricht am ehesten dieser Vorstellung. In den Sechzigerjahren konnte die Firma nach einem Generationswechsel an der Führungsspitze ein starkes Wachstum erzielen. Allerdings lieferte man sich einen zunehmend härteren Kampf um Marktanteile mit Napoli Regendorfer & Co. Als 1966 der Eigentümer dieses Unternehmens starb, suchte dessen Witwe nach Partnern. Den Zuschlag erhielt schließlich 1970 die Firma Manner, die verhindern wollte, dass ihr schärfster Konkurrent in ausländische Hände fiel. So hatte Napoli z . B . Angebote des US-Konzerns Nabisco (National Biscuit Company) erhalten. „Wenn eine solche Firma nach Österreich hereinkommt, kann sie uns spielend erledigen", erläuterte Vorstandsmitglied Otto Riedl sen. der „Wochenpresse" die Überlegungen der Firma Manner. Auf die Frage, wie die heimischen Mitbewerber auf die Fusion reagierten, antwortete der Unternehmer: Es sei hinlänglich bekannt, „daß man bei Manner wie auch bei Napoli Casali österreichisch denkt". 26 Die Konkurrenz schlief aber nicht: Viktor Schmidt & Söhne kaufte 1971 Gustav & Wilhelm Heller und Hofbauer verleibte sich 1972 Küfferle ein. Obwohl Manner durch die Akquisition von Napoli seine Position beträchtlich stärken konnte, machte sich ab Mitte der 1970er-Jahre der Druck ausländischer Produzenten am österreichischen Markt zunehmend bemerkbar. 1979 wurde die Firma von Suchard als umsatzstärkstes Unternehmen der Branche

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verdrängt. In den Achtzigerjahren stagnierte Manner, 27 legte aber im folgenden Jahrzehnt wieder mehr Dynamik an den Tag. Nachdem die Firma 1994 in Ungarn ein (erfolgloses) Joint Venture mit Nestle begonnen hatte, übernahm sie im folgenden Jahr von dem Unternehmer Hans Poll die Lebkuchenerzeugung Walde GmbH & Co KG im Tiroler Vomp und die Candita GmbH & Co KG im niederösterreichischen Wolkersdorf. „Seit Jahren hat uns Candita mit aggressiver Preispolitik ins Geschäft gepfuscht", erläuterte Carl Manner gegenüber „News" den Kauf. 28 1999 erwarb Manner schließlich von Nestle den traditionsreichen Wiener Süßwarenproduzenten Viktor Schmidt & Söhne und somit die Markenrechte für Produkte wie die Austria Mozartkugel und den Nougatwürfel Ildefonso. Die Expansion von Manner wurde in Zeitungsartikeln mit einiger Begeisterung quittiert. Die Fusion mit Candita und Walde veranlasste die „Salzburger Nachrichten" zu einem Kommentar, dessen Titel „Schokowaffeln und Patriotismus" anzeigt, dass der Transaktion nationale Bedeutung beigemessen wurde. 29 Der Kauf von Viktor Schmidt fand ein noch größeres Medienecho. Die „Wiener Zeitung" verlautbarte in Anspielung auf die Figur des spanischen Edelmannes, mit dem die Süßware Ildefonso beworben wird: „Don Alonso ist wieder Österreicher". Auch das „Wirtschaftsblatt", sonst einer eher nüchternen Betrachtungsweise zugetan, räsonierte über „Don Alonsos Heimkehr". 30 Fernsehen und Radio meldeten ebenfalls die Rückkehr von Mozartkugel und Ildefonso in österreichischen Besitz. Die Rezeption der Transaktion als nationale Großtat wurde durch die Statements des Unternehmens selbst gefördert. „Es freut mich sehr, daß damit das älteste österreichische Süßwarenunternehmen wieder in österreichischer Hand ist", erklärte Carl Manner in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Nestle nach Abschluss des Geschäftes. 31 „Wir haben die ehemals österreichische Firma Schmidt & Söhne wieder nach Österreich zurückgekauft und sind daher stolz, wieder eine österreichische Mozartkugel produzieren zu können", unterstrich Otto-Wilhelm Riedl im Interview mit einer Zeitschrift. 32 Gegenüber demselben Blatt hob Riedl hervor, dass die Manner-Schnitte „in Zeiten, in denen die Multis auf die Märkte drängen", als traditionsreiches österreichisches Produkt eine Besonderheit sei. Manner präsentiert sich eben gerne als Bollwerk gegen den Ansturm der ausländischen Konkurrenz. Im Jubiläumsjahr 1998 verlautbarte man der Presse: „Die Josef Manner & Comp. AG ist das letzte große heimische Süßwarenunternehmen [...]".33 Zahlreiche Berichte über Manner greifen diese Information auf und übernehmen sogar den Wortlaut. In der Gegenüberstellung zwischen dem österreichischen Unternehmen Manner und den ausländischen Mitbewerbern fehlt auch selten der Hinweis auf die Größenunterschiede: Von multinationalen Giganten oder Riesen, von übermächtigen Konkurrenten ist die Rede. Selbst vor wenig geglückten Metaphern scheut man nicht zurück: Manner erscheine im Vergleich zu Nestle wie eine Nussschale neben der Titanic34 - letztere war zwar ein macht-

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voller Ozeandampfer, sank aber trotzdem. Wenn Manner als Zwerg unter Riesen inszeniert wird, der sich behauptet, sich aber ständig der Bedrohung gegenüber sieht, von den Großen zermalmt zu werden, so sind die Berührungspunkte mit dem nationalen Selbstbild der Österreicherinnen offensichtlich. Wann immer die Medien von einem bevorstehenden Verkauf Manners an einen der „Giganten" zu wissen glaubten, wurde selbstverständlich sofort dementiert. „Wir sind ein österreichisches Unternehmen, und das werden wir auch bleiben", stellte z.B. Vorstandsmitglied Hans-Peter Andres mit Nachdruck fest. 35 Auch der aktuelle Vorstandsvorsitzende Carl Manner betonte stets, dass die Erzeugung der berühmten Schnitten in österreichischen Händen bleiben solle. Zugleich ließ er aber meist durchblicken, dass er die Veräußerung des Betriebes auf Dauer keineswegs ausschließen könne. Die Eigentümer würden es sich immerhin nicht leicht machen, lautete seine Botschaft. Man fühle schließlich eine „kulturelle Verantwortung gegenüber den Österreichern", so Carl Manner im Interview mit „Format". 36 Die Firma Manner versteht sich - so die Selbstbeschreibung - „als Bewahrer österreichischer Kultur und Identität". Aus diesem Grund fördere man die Erhaltung des Stephansdomes durch die Bezahlung eines Steinmetzes. 37 Die Erwähnung dieses Sponsorings spielt eine tragende Rolle in einem Artikel der Zeitschrift „Format", der das Gerücht kolportierte, der Schnittenerzeuger plane den Verkauf an Nestle. Um der Information eine besondere Bedeutung zu verleihen, wurde den Leserinnen im einleitenden Satz die generöse Spende für den Sakralbau im Herzen Wiens in Erinnerung gebracht. Anschließend setzte der Autor den möglichen Eigentümerwechsel bei Manner mit einer Gefährdung dieser Unterstützung gleich, die er als „mildtätige Tradition" bezeichnet. 38 Damit schreibt er seinen Wirtschaftsbericht in einen emotional aufgeladenen Diskurs ein, dessen zentrale Achse die Thematisierung von nationaler Identität und ihrer Bedrohung durch die anderen, in diesem Fall die vaterlandslosen „Multis", bildet. Die Seriosität der Konstruktion erscheint allerdings zweifelhaft: Erstens handelt es sich bei der Bezahlung eines Steinmetzes für das Wahrzeichen der Bundeshauptstadt um eine Investition in das Firmenimage, die sich abseits von etwaigen mildtätigen Motiven der Unternehmer als Kultursponsoring verstehen lässt, dessen Wirkung vielfach belegt ist. Warum sollte sich ein neuer Eigentümer dieser Erkenntnis verschließen? Warum sollte zudem ausgerechnet ein „Multi" den Fauxpas begehen, die öffentliche Meinung, die auf den „Ausverkauf" heimischer Unternehmen sensibel reagiert, gegen sich aufzubringen, indem er mit einer „mildtätigen Tradition" bricht, die der Pflege der Marke dient? Diese stellt im Übrigen jenes Asset dar, das Manner überhaupt erst interessant macht. Die Auseinandersetzung mit eventuellen Verkaufsabsichten der Eigentümerfamilien wird also in fragwürdiger Weise konfiguriert, um ein nationales Wir einem potenziell bedrohlichen Ausland gegenüberstellen zu können und dadurch das Interesse der Leserinnen zu steigern.

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Ein Tableau am Stephansplatz: Honoratioren, vom Wiener Bürgermeister Häupl und dem Niederösterreichischen Landeshauptmann Pröll bis hin zu Dompfarrer Faber, heben gemeinsam beim „Steffi-Fest" im April 2002 ein Bier. Im Hintergrund die „Manner-Bim" und jede Menge Schnitten

Manner eignet sich für eine solche Emotionalisierung, wie ein Kommentar eindrucksvoll vor Augen führt, den Eva Deissen im April 1999 für die Boulevardzeitung „Täglich Alles" verfasste. Unter dem Titel „Ausgerechnet Bananen" griff die Journalistin einen Handelskonflikt zwischen der Europäischen Union und den USA auf. Zunächst erzählt Deissen „einen Moment der großen Rührung". Am Flughafen New York erhielt sie ihr Gepäck nicht, musste in einen Drugstore gehen, um wenigstens eine Zahnbürste zu erwerben - und stieß dort auf Manner-Schnitten. Im Weiteren erfahren die Leserinnen über die „Änderung der Bananenordnung". „Sie [die USA] wollen nicht, daß wir Bananen aus Afrika, Karibik und aus der Pazifikregion essen." Doch nicht genug damit: Da sich die Europäische Union diesem unverschämten Ansinnen verweigert, drohen Strafzölle für europäische Waren. Davon wären auch die Manner-Schnitten betroffen. „Da weinte ich beinah bitterlich. Ich stellte mir vor, ich hätte in jener gruseligen, kofferlosen Nacht in New York keine Mannerschnitten bekommen. Der Trost wäre nicht halb so gut ausgefallen, hätte ich nur ein paar geschmacksarme amerikanische Bananen beim nächsten koreanischen Lebensmittelgeschäft ums Eck kriegen können [...]" 39 Der Text baut darauf, dass die Manner-Schnitte als ein genuin österreichisches Produkt betrachtet wird, dem man als echter homo austriacus

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nicht gleichgültig gegenübersteht. Indem Deissen eine „Bananenverordnung" als Bedrohung dieses Stücks Heimat präsentiert und dabei nicht mit xenophoben Untertönen spart, versucht sie chauvinistischen Ingrimm zu erzeugen. Ein zentrales Motiv in der Gegenüberstellung von österreichischen Firmen und ausländischen Konzernen ist die Sorge um heimische Arbeitsplätze. Diese ist wohl auch der Grund, warum ein Gewerkschafter der Süßwarenbranche, den „Format" nach der Pleite von Czapp interviewte, bedauernd meinte, dass „die österreichische Identität der Süßwarenindustrie verlorengegangen" sei. „Die Ausländer kaufen unsere Marken und lassen die Produkte dann in den untersten Regalen dahintümpeln. Aber die Konsumenten kriegen das gar nicht mit. Sie kaufen eben die Überraschungseier von Ferrero [anstatt jene von Czapp, O.K.].'"10 Deutlich schlägt der Gewerkschafter nationalistische Töne an. Es gilt, gegen die Ausländer zusammenzustehen, die danach trachten, die heimischen Marken zu zerstören. Treue und Verrat (nämlich der österreichischen Konsumentinnen an den heimischen Süßwarenprodukten) stellen sich als maßgebliche Kategorien dar. In dieselbe Richtung geht der Aufruf des Zentralbetriebsratsvorsitzenden von Manner, den die „Welt der Arbeit" in einem Bericht über die „starken Schnitten" zitiert: „Wem unsere Arbeitsplätze wichtig sind, der soll österreichische Qualität kaufen." 41 Die Forderung an die Konsumentinnen, beim Kauf von Waren Nationalbewusstsein zu beweisen, hat man schon unzählige Male gehört. Der patriotischen Konsumentin entspricht der österreichbewusste Unternehmer. „Wir sind Patrioten", stellte Carl Manner gegenüber dem Branchenmagazin „Cash" fest. „Wir sind jene, die Arbeitsplätze in Österreich sichern." 42 Böse vaterlandslose „Multis" einerseits und gute heimische Betriebe andererseits? Als viele Medienberichte die Rückkehr von „Ildefonso" in österreichische Hände bejubelten, bemerkte ein Journalist des „Wirtschaftsblattes" in einem Kommentar, dass ausgerechnet der neue österreichische Eigentümer den Standort von Viktor Schmidt & Söhne in Tulln schließe, nachdem es der ausländische Konzernherr nicht getan hatte.43 „Format" vermutete hinter der Transaktion einen geschickten Schachzug von Manner und Nestle: Der heimische Betrieb könne viel billigere Sozialpläne aushandeln als der Schweizer Konzern. Das Magazin zitierte einen Gewerkschafter, der im Kauf von Schmidt nur eine Vorleistung der Firma Manner erblicken wollte, die diese für Nestle zu einer „süßen Braut" mache. 44 Die Stilisierung der Firma Manner zum letzten Mohikaner der österreichischen Süßwarenindustrie, einer Branche, deren Produkte ein bevorzugtes Objekt der Begierde des genusssüchtig imaginierten homo austriacus sind, trägt dazu bei, dass Manner mit dem Attribut „typisch österreichisch" belegt wird. Der Tenor jenes Diskurses, in den sich Manner selbst stellt und von anderen gestellt wird, lautet: Beim Verkauf an einen ausländischen Konzern droht der Verlust von Identität und Arbeitsplätzen.

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„Manner mag man eben" - Absatzstrategien und die Konstruktion eines österreichischen Erinnerungsortes In Überflussgesellschaften mit hochentwickelten Produktionstechnologien und kompetitiven Märkten hat die Absatzpolitik für das Überleben von Unternehmen ein Gewicht, wie es in früheren Phasen der Wirtschafts- und Gesellschaftsentwicklung kaum vorstellbar war. Idealtypisch lassen sich auf der Ebene der Unternehmen mehrere Etappen unterscheiden: Am Beginn des industriellen Zeitalters stand für den Fabrikanten oft noch der Kampf mit den Schwächen der Herstellungsmethoden und den Mängeln des Enderzeugnisses im Mittelpunkt. Diese produktionsorientierte Phase wurde im Zuge der vollen Entfaltung der Industrialisierung von einer produktorientierten abgelöst. Man konnte auf eine gleichbleibend hohe Qualität des Produktes bauen und darauf, dass diese bereits den Zuspruch der Konsumentinnen garantierte. Seit dem späten 19. Jahrhundert rückte die Frage des Verkaufs aber immer stärker ins Zentrum der Überlegungen. 45 Wenn wir die Geschichte der Absatzpolitik von Manner in Beziehung zu dem skizzierten Entwicklungsschema setzen, sehen wir die Firma in ihrer Frühzeit am Übergang zwischen Produkt- und Verkaufsorientierung. In Hinsicht auf Preis und Distribution entwickelte der Süßwarenhersteller schon um die Jahrhundertwende gezielte Strategien. Ihnen kommt ein wesentlicher Anteil am steilen Aufstieg zu. Die Massenproduktion erkannte man als Möglichkeit, die Ware günstig zu gestalten. Darüber hinaus achtete Manner auf die Bedürfnisse des Handels: Man bemühte sich die Kartons mit der Ware des Hauses zu runden Einheitspreisen anzubieten, um den Kaufleuten mühsame Rechenarbeit zu ersparen. Generell pflegte die Firma die Geschäftsbeziehungen zu den Greißlereien, die bis weit ins 20. Jahrhundert fast konkurrenzlos im Kontakt mit den Endverbraucherinnen waren. Manner hielt es sich zugute, selbst kleinste Mengen anstandslos zu liefern. Auf diese Weise baute der Süßwarenhersteller in Wien, dem größten Markt, ein stabiles und sehr dichtes Vertriebsnetz auf. Die Firma konnte die solcherart erarbeitete Omnipräsenz bis heute bewahren, obwohl längst die Supermärkte der Handelskonzerne die wichtigste Vertriebs schiene bilden. In den 1890er-Jahren nahm durch den Wirtschaftsboom, den die Habsburgermonarchie erlebte, das Konzept des Markenartikels einen starken Aufschwung. Josef Manner partizipierte an dieser Entwicklung. Die Entscheidung für eine einprägsame Schutzmarke hat in diesem Zusammenhang höchste Bedeutung. Dass sich sein erstes Schokoladengeschäft in unmittelbarer Nähe des Stephansdoms befand, mag den Jungunternehmer auf die Idee gebracht haben eine Darstellung der Kathedrale zu wählen; angemeldet „am 8. Mai 1890, Nachmittags 1 Uhr, unter Register-Nr. 6533", wie der österreichische Markenanzeiger vermerkt. Acht Jahre später erfuhr das Warenzeichen der Firma eine geringfügige Veränderung: Die Perspektive wurde leicht modifiziert, und hatte die ur-

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sprüngliche Fassung nur ein paar Fußgängerinnen vor dem Dom gezeigt, wurde die Szenerie nun durch einige Pferdewagen und einen Radfahrer zusätzlich belebt. Abgesehen von solch winzigen Details hat sich seither nichts mehr geändert - ein zentrales Stück Konstanz im Marktauftritt von Manner.

Die Schutzmarke als Bildsujet eines Kalenders

Ideologisch war Josef Manner noch fest in der produktorientierten Phase verankert. Er vertrat angeblich die Meinung: „Wer Werbung macht, hat es notwendig." Viele Unternehmer des 19. Jahrhunderts teilten diese Auffassung, die mit den damals geltenden bürgerlichen Codes harmonierte. Der Anspruch auf Solidität, die sich in einem bescheidenen Auftreten manifestieren sollte, stand im Widerspruch zu marktschreierischem Verhalten, zum „Reklamieren". Während Meinl unter Julius II. bereits konsequent und auf hohem Niveau Werbung machte, unterließ Manner laut dem Firmenschrifttum derartige Anstrengungen weitgehend. Einige werbliche Maßnahmen sind aber doch schon aus der Zeit des Firmengründers bekannt. Manner versorgte z.B. die Greißlereien mit gelben Kartonstreifen. Sie trugen die Aufschrift „Chocolade Manner" und wurden an den Regalen befestigt. Ein bis heute in Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln oft gezeigtes Sujet ist die um 1910 produzierte Spielzeugeisenbahn. Lok und Waggon tragen die Schutzmarke, den Stephansdom. Am Dach des Waggons liest man „Chocolade Manner, Wien" und die Seitenfläche verkündet: „Manner's reiner Kakao". Man präsentierte die Ware außerdem in bebilderten Preislisten; jene aus dem Jahre 1913, als man in einem recht aufwändig gemachten

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Katalog das gesamte Sortiment darstellte, soll der Konkurrenz ein Vorbild gewesen sein. 46 In der Zwischenkriegszeit wirkte sich die Zurückhaltung bei werblichen Maßnahmen merkbar nachteilig aus: Manner verlor an Terrain gegenüber der niederländischen Konkurrenz Bensdorp, die viel systematischer Werbung betrieb. Sie erteilte z . B . dem bedeutenden Grafiker Joseph Binder, dem Schöpfer des Meinl-Mohren, zahlreiche Aufträge. 47 Auch auf die Bedingungen des Käufermarktes, der in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg entstand, reagierte Manner zunächst verhalten. Erst ab den Sechzigerjahren intensivierte die Firma ihren Werbeeinsatz. Damals vollzog sich an der Spitze ein Generationswechsel. Die in die maßgeblichen Positionen nachrückenden Mitglieder der Familien Manner und Riedl gingen von der bisherigen, allzu vorsichtigen Investitionspolitik ab. Sie stellten sich der neuen Realität einer Wohlstandsgesellschaft, in der es nicht mehr genügte, sich auf die Verteilung der Ware zu beschränken. Das mediale Auftreten von Carl Manner, einem soignierten älteren Herrn, spiegelt aber noch heute eine gewisse Distanz zu glatten Public Relations, wie sie längst der Standard sind. Auf die Frage des „Falter", wie viele Schnitten er pro Tag esse, antwortete der Vorstandsvorsitzende: „Nach Möglichkeit gar keine! Ich hab' schon gern Süßes, aber eher etwas, wo Marmelade drinnen ist. [...] Die Schnitten, die kratzen mich. Die will ich nicht. Aber sie sind nicht schlecht. Man kann sie durchaus essen." 4 8 Man stelle sich zum Vergleich vor, ein hochrangiger Manager von Coca Cola würde zu einer Zeitung sagen, der Soft-Drink treffe nicht seinen Geschmack, und wenn schon Koffein, dann doch gleich eine Tasse Kaffee. Eine solche Aussage ließe sich kaum mit der Corporate Identity des Getränkeherstellers vereinbaren. Dass hingegen Carl Manner in seinem persönlichen Umgang mit den Medien öfters die üblichen Regeln des MarketingSpiels verletzt, fügt sich zumindest in das Bild eines konservativen Familienunternehmens, das für Tradition in einer bürgerlichen Prägung steht. Eine der interessantesten Fragen ist für uns, wann und wie die Verpackung der Manner-Schnitten ihr heutiges Aussehen erhielt. Zunächst stückweise verkauft, wurden die Schnitten 1907 erstmals in einer Zehnerpackung aus Karton angeboten. Diese war in der Firmenfarbe Altrosa gehalten und zeigte - natürlich - den Stephansdom. 1924 begann man die Schnitten in der Anordnung 2 χ 5 Stück in einer Faltschachtel zu verkaufen. 1949 wurden sie in Aluminiumfolie gewickelt und erhielten eine rosa Papierschleife. 1961 folgte eine wesentliche Innovation: Eine luftdichte Aluminiumdoppelfolie mit Aufreißfaden sorgte dafür, dass die Schnitten künftig länger frisch blieben. Die erreichte Haltbarkeit und das praktische Taschenformat bildeten nach Ansicht des Unternehmens entscheidende Faktoren dafür, dass die Schnitte zum „Umsatzrenner" avancierte. 49 Die optische Gestaltung der Packung erfuhr ebenfalls einige wichtige Veränderungen: 1959 wurde das Manner-Logo erneuert, indem die alte gotische Schrift einer moderneren und runderen wich. Seit 1965 werden Waffel und

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Haselnüsse auf der Hülle abgebildet. Andere kleinere Modifikationen, die das Verpackungsdesign immer wieder erlebte, stören nicht den vom Produkt erhobenen Anspruch auf bemerkenswerte Kontinuität. Sie ruht seit vielen Jahrzehnten auf drei Eckpfeilern: der quadratischen Form, der charakteristischen Farbgebung und dem Stephansdom als Markenzeichen. Wie fest sich diese Merkmale in das Bewusstsein der Österreicherinnen eingeschrieben haben, deutet eine Erhebung an, die Ende 2 0 0 0 von Studentinnen für eine Seminararbeit durchgeführt wurde: 50 Konfrontiert mit mehreren Antwortmöglichkeiten entschieden sich 96 % der zufällig ausgewählten 80 Personen für die quadratische Form als typisches Element der Schnittenpackung. Auf die Frage nach den Symbolen, die auf ihr zu sehen sind, erinnerten sich 81 % ungestützt des Stephansdoms. 9 6 % konnten nach demselben Modus rosa als Farbe der Verpackung nennen. Manner ließ sich diese also aus gutem Grund erst vor kurzem markenrechtlich schützen. Immerhin 63 % der Befragten wussten auch, dass der Manner-Schriftzug in blau gehalten ist. Ein weiteres Kernstück des Erinnerungsortes Manner kam Ende der 1960erJahre hinzu. Damals begann der Süßwarenhersteller mit der selbstbewussten Feststellung aufzutreten: „Manner mag man eben." Sie nahm auf das unbestreitbare Faktum Bezug, dass die Industriefirma auf eine vorzüglich etablierte Marke bauen konnte. Kaum jemandem in Österreich dürfte der Spruch unbekannt sein. 51 Unzählige Medienberichte über Manner spielen mehr oder minder originell mit diesem Verweis auf die Popularität der Marke. „Manner mag man eben" - der Slogan ist fester Bestandteil der Fernsehwerbung von Manner. Betrachten wir die Spots für die Manner-Schnitten, so erkennen wir einige wiederkehrende Muster, die diesen Kurzfilmen ihren besonderen Charakter geben. Seit jeher spielte die Verpackung in der Werbung für die Schnitten eine Hauptrolle. Fast unweigerlich wird sie am Ende der Fernsehspots in Großaufnahme gezeigt - manchmal sieht man nur diese selbst, manchmal auch die Person, der das Privileg zukommt, das Produkt in der Hand zu präsentieren. Einige Spots inszenieren die Übergabe eines Päckchens; z . B . der folgende, der in den 1970er-Jahren gedreht wurde: Vor einer roten Verkehrsampel wartet eine blond e j u n g e Frau in ihrem Kleinwagen der Marke Mini neben einem Manner-Lieferwägen, dessen Fahrer sie durch pantomimische Zeichen zu bewegen sucht, ihr eine Schnittenpackung zu schenken. Der Erfolg bleibt der attraktiven Dame natürlich nicht versagt. Der Chauffeur des Lieferwagens reicht ihr von seiner erhöhten Position beim offenen Fenster die Packung hinunter. Zuletzt sieht man in Großaufnahme das schräg gestellte Päckchen, das der Mann an der rechten oberen Ecke hält, während es die Frau an der linken unteren ergreift. Obwohl das Bild eine ins Komische verfremdete Alltagssituation abschließt, haftet ihm ein sakraler Charakter an: Die Bewegungsrichtung der Übergabe - von oben nach unten - und die Fokussierung auf die Packung, die im Zentrum des Bildes steht, verleihen dieser einen symbolischen Mehrwert. Die Schnitten sind kein x-beliebiges Konsumgut: Wie Manna vom Himmel wird den Gläubigen die

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Manner-Schnitte als göttliches Geschenk zuteil. Man mag z.B. Michelangelos „Erschaffung des A d a m " assoziieren, handelt es sich doch um eines jener Kunstwerke, die fest im Bildgedächtnis des Abendlandes verankert sind. Das Fresko taucht daher nicht selten in der Werbung auf. Im Fall des Spots von Manner können wir aber höchstens von einem indirekten Zitat sprechen - oder auch ohne Bezug auf ein konkretes Kunstwerk schlicht davon, dass der Bildaufbau an Konventionen der Darstellung des Erhabenen anknüpft. Ein ständig wiederkehrendes Element der Spots von Manner aus den Siebzigerjahren ist die Vorführung der richtigen Methode, die Verpackung zu öffnen. Diese zeichnet sich j a seit Beginn des vorangegangenen Jahrzehnts durch einen Aufreißfaden aus, der es erleichtern soll, an den süßen Inhalt heranzukommen. In einer Reihe von Werbefilmen der Siebzigerjahre wird, wie in dem vorhin besprochenen Beispiel, pantomimisch das Begehren nach den Schnitten kommuniziert. Der Sender der Botschaft zeichnet mit den Fingern in der Luft die Konturen eines Quadrates nach. Gemeint ist natürlich die Manner-Packung. Dazu ertönt eine bestimmte Sequenz von Tönen, die gleichsam ihre Eckpunkte markieren. Als nächstes vollführt die Person, der es nach den Schnitten gelüstet, die charakteristische Handbewegung, mit der man das Päckchen unter Zuhilfenahme des Reißfadens öffnet und anschließend knickt. In diesem Moment versteht der Empfänger, worum er gebeten wird. Ende der Achtzigerjahre stellte man den Stephansdom als Symbol der Verpackung ins Zentrum. Einer dieser Spots sei kurz referiert: Wir erkennen zunächst die Pestsäule am Graben, dann wird auf eine japanische Familie, bestehend aus Vater, Mutter und Tochter, fokussiert, die auf der Säulenbrüstung einen Wien-Plan aufgelegt hat (Manner finanziert übrigens Stadtpläne, die gratis an Touristinnen ausgegeben werden) und angestrengt auf diesen blickt. Da die Bemühungen offenbar erfolglos bleiben, wendet sich das Mädchen an einen vorübergehenden jungen Mann. Beide beugen sich nun über den Plan, sie zeichnet die Konturen eines Turms in die Luft. Welche Sehenswürdigkeit der Wiener Innenstadt sie sucht, ist nicht schwer zu entschlüsseln, der junge Mann schaut dennoch ratlos. Er versteht erst, als ihm das Mädchen auf einer Mannerpackung die Schutzmarke der Firma zeigt. Zu guter Letzt wird der Stephansdom groß ins Bild gebracht und festgestellt: „Manner mag man eben." Vier im Jahr 2000 entworfene Spots nehmen die Thematisierung des Zusammenhangs von Manner mit dem Stephansdom wieder auf. Sie stellen den Kirchenbau in eine dreigliedrige Kette von Wiener Wahrzeichen: Die Kathedrale, das Riesenrad und das Rathaus werden in dieser Reihenfolge kurz gezeigt. Abgesehen von der Hauptrolle, die der Verpackung zugedacht wird, kann man als konstantes Element der Werbespots von Manner ihre humoristische Note ansprechen. In der ersten Hälfte der Sechzigerjahre durfte ein schnauzbärtiges, mit wenigen Strichen gezeichnetes Männlein allerlei Abenteuer bestehen: Unter anderem grub es als Schatzsucher eine Truhe mit Goldmünzen und Manner-Schnitten aus; gegen einen Straßenräuber verteidigte es siegreich das

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bekannte Packerl, und wieder in einem anderen Spot ließ es einen Flaschengeist die Waffeln herbeizaubern. Vom Zeichentrick- zum Realfilm übergegangen, behielt man das Bemühen um den komischen Effekt bei - z.B. durch den Einsatz der Mittel des Slapsticks: So erschreckt in einem Spot der Siebzigerjahre ein Mädchen einen beleibten Herrn, der sich zu Boden bückt, indem sie durch Öffnen der Verpackung ein Geräusch erzeugt, das ihn glauben lässt, seine Hose wäre aufgerissen. In einem zweiten Spot simuliert ein Verkehrssünder das Zerreißen eines Strafzettels, den er gerade von einer Politesse erhalten hat. Die Filme dieses Typs rücken natürlich vor allem den Aufreißfaden ins rechte Licht. In einer Reihe von Werbefilmen traten die Schnitten als Protagonisten in einem gehobenen sozialen Milieu auf: Ihnen gilt z.B. das Begehren eines soignierten älteren Herren, der in einem Park dem Schachspiel frönt. In einem weiteren Spot verdeutlicht ein Chorleiter pantomimisch sein Verlangen nach den Schnitten anstatt den erwarteten Einsatz zu geben. Auch den Besucher eines Konzerts beschäftigt weniger die dargebotene Kammermusik als die Frage, wie er einem weiteren Zuhörer, der sanft entschlummert ist, sein Bedürfnis nach Manner-Schnitten mitteilen kann. In solchen Spots verknüpfte Manner sein Produkt mit einer im In- und Ausland als typisch österreichisch wahrgenommenen Hochkultur. Um diese Verbindung in den Köpfen der Konsumentinnen zu verankern, bediente sich Manner nicht nur der Fernsehwerbung. So schenkte die Firma der Nationalbibliothek eine Partitur von Schubert - ein gutes Beispiel für Kultursponsoring als logische Ergänzung der konventionellen Werbemittel. Nicht zufällig vergleicht der Marketingleiter des Unternehmens seine Aufgabe mit der eines Dirigenten der Wiener Philharmoniker. Die Schnitte sei (in ihrem Bereich) „einerseits das traditionsreichste Produkt Österreichs, aber auch das erfolgreichste" - was sie mit dem Orchester gemeinsam habe.52 Da Manner seine Werbebotschaft erfolgreich vermitteln konnte, übernehmen längst auch von der Firma unabhängige Akteurinnen ihre Verbreitung: „Mozart, Haydn, Mannerschnitten", definiert der Kabarettist Georg Ringsgwandl in einem Beitrag der Fernseh-Nachrichtensendung ZIB 3 das Produkt. Mit einer ähnlichen Gleichsetzung von klassischem Musikgenuss und dem Genuss des Schnittenklassikers operiert ein Text des Schweizer Journalisten Charles E. Ritterband. Für das Feuilleton der „Neuen Zürcher Zeitung" verfasste er eine Liebeserklärung an die Oper, die zugleich als Hommage an die Manner-Schnitte zu lesen ist. Ritterband erinnert sich seiner Einführung in die „Welt des Opernglanzes und glitzernden Operettenkitsches", die er als Kind bei der Großmutter in Wien erlebte. Das Waffelprodukt habe für die Dame zur Grundausstattung eines Opernbesuches gehört. Der Text hebt demgemäß mit einem Lob auf die Verpackung an: „Sie passte ebenso präzis in die Jackettasche des Abendanzugs wie in das zierliche Gobelintäschchen der Großmutter oder eines seiner perlenbestickten Gegenstücke." 53 Seit Jahrzehnten lockt Wien devisenbringende Gäste an, indem es sich als Mischung aus imperialem Glanz und klassischer Musik, sei es nun Oper oder

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Walzerseligkeit, präsentiert. Die Markenpersönlichkeit der Manner-Schnitte legte den Anschluss an diese touristische Erlebniswelt nahe. Auf die Spitze wurde die Verknüpfung in zwei Werbespots getrieben, die sich japanischer Akteurinnen bedienen. Besucherinnen aus dem fernöstlichen Land gehören längst zum Stadtbild der ehemaligen kaiserlichen Metropole. Die beiden Spots bauen somit darauf, dass die österreichischen Fernsehkonsumentlnnen die japanischen Protagonistinnen sofort als Fremde identifizieren und als Inbegriff von musik- und kulturbegeisterten Wien-Reisenden verstehen würden. Den einen in diesem Zusammenhang zu nennenden Werbefilm haben wir schon behandelt, der zweite brachte Ende der Siebzigerjahre folgende Szene: Der Schaffner eines Zuges betritt ein Abteil mit japanischen Fahrgästen. Obwohl man nicht hört, was er zu diesen sagt, ist die Situation eindeutig: Fahrscheinkontrolle. Die jungen Reisenden, der Kleidung nach zu schließen Geschäftsleute, schauen einander jedoch verständnislos an. Daraufhin erklärt der Schaffner pantomimisch seine Kontrollmission - indem er die Konturen einer Schnittenpackung in die Luft zeichnet. Prompt geht einem der Fahrgäste ein Licht auf. Er holt das Päckchen hervor und bedeutet seinen Kollegen, das gleiche zu tun. Man sieht sodann drei nebeneinander sitzende Japaner, die ein Päckchen Manner-Schnitten hochhalten. Der Schaffner nickt zustimmend und verabschiedet sich. Im Schlussbild hält einer der Passagiere das Päckchen in die Kamera, dazu ertönt die Stimme aus dem Off: „Manner mag man eben". Der Spot suggeriert: Selbst im Fernen Osten ist man mit den Manner-Schnitten vertraut. Auf diese Weise betont die Firma besonders nachdrücklich, dass mit ihrem Produkt Wien und Österreich zu assoziieren ist. Marketingleiter Riedl bringt die Werbelinie auf den Punkt: Die Schnitte fungiere als „der süße Botschafter Österreichs". 54 Mit der Versicherung, ihre Haselnussschnitte sei ein besonders herzeigbares Stück Österreich, operiert das Unternehmen nicht nur am heimischen Markt. Auch in der Werbung, die auf Konsumentinnen jenseits der Grenzen abzielt, vertraut man darauf, dass diese Selbstdarstellung Sympathien weckt. So wurde den für die Ausfuhr bestimmten Schnitten ein - natürlich altrosa gehaltenes - Faltheftchen beigelegt, das in Englisch und Deutsch darüber informiert, dass der Schriftsteller Peter Glaser das Produkt zu den „Lieblingsheimatdingen" bzw. „favorite things from home" zählt: „Nähme man dem Österreicher ein paar ganz bestimmte Sachen weg, hätte das zur Folge, daß der Österreicher nur noch wenig Österreicher wäre, vielleicht gar kein Österreicher mehr. Er wäre dann ent-österreichert, ein unbestimmtes, wesenloses Individuum, letztendlich neutralisiert. Diese ganz bestimmten, wie ich sie nennen will: austrolegendären Sachen sind maßgebliche Bausteine unseres nationalen Selbstwertgefühls. Es sind die wahren Wappen der Republik [...] Da muß augenblicklich die Mannerschnitte erwähnt werden." Eine solche Botschaft gewinnt Plausibilität dank der Würde des Alters, die Manner als Marke anhaftet. Wie Meinl kann auch Manner die eigene Vergangenheit als Reklame betreibendes Unternehmen für die aktuelle Werbung ein-

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setzen; die Grenzen zwischen einer durch Quellen belegten (Marken)Geschichte und der „Erfindung von Tradition"55 sind allerdings fließend. Zwar hat die Marke unbestritten eine verhältnismäßig lange Vergangenheit, diese ist aber auch für das Unternehmen selbst nicht in all ihren Aspekten präzis greifbar, und vor allem muss eine Geschichte, die für die Konsumentinnen der Gegenwart erzählt wird, auf deren Erwartungen zugerichtet werden. Als Manner 1998 das Jubiläum seines wichtigsten Produktes beging, kreierte das Unternehmen eine „Nostalgiepackung". Diese entstand jedoch nicht einfach als Rückgriff auf einen früheren Zustand der Verpackungsentwicklung. Den Materialstandard einer Frischhaltefolie konnte man ohnehin nicht unterlaufen. Das Packerl war aber auch optisch ein Konstrukt. Sein Design arrangierte Elemente aus dem Manner-Fundus in einer Weise, die bei den Konsumentinnen die Assoziation mit einer guten alten Zeit wecken sollte. Die Verpackung im Retro-Design erreichte zweifellos ihr Ziel: Gemeinsam mit anderen Werbeaktivitäten, die man aus Anlass der ersten 100 Jahre Manner-Schnitten startete, sorgte sie für „das beste Ergebnis seit Schnitten-Gedenken", 56 wie die Zeitschrift „Produkt" informierte. Das Wortspiel des Magazins stößt uns auf das Faktum, dass wir es bei der Analyse von Marken generell mit Mythen zu tun haben. Die Behauptung einer Existenz seit Menschengedenken ist ein unpräzises „immer schon", die Formulierung „seit Schnitten-Gedenken" erhebt das Produkt selbst zum Maßstab. Niemand kann sich mehr an eine Zeit vor Manner erinnern. Die Schnitte gehört zum österreichischen Lebensstil, so wie Coca-Cola nicht bloß ein Softdrink ist, sondern die Verkörperung des American way of life. Darin lag ebenso der Erfolg dieses Getränks wie der Misserfolg heimischer Nachahmer begründet, die ihre Ware z.B. „Austro-Cola" betitelten - ein Markenname, der durch den expliziten Bezug auf das Eigene die Abhängigkeit vom Original verriet, das ohne „American" als Attribut auskommt. 57 Die Schnitte von Manner ist hingegen nicht ein Versuch von Importsubstitution, sie ist das Original, das von der Werbung gefeiert wird - und ganz von selbst wird dadurch immer wieder Österreich gefeiert.

Die Schnitte am Schnittpunkt von kommunikativem und kulturellem Gedächtnis Das berühmte Waffelprodukt der Firma Manner erscheint als Konstante auf einer österreichbezogenen diachronen Achse. Mehrere Dimensionen lassen sich differenzieren: Das Produkt taucht erstens in den Erinnerungen von Menschen an ihre eigene Lebensgeschichte auf, zweitens wird es, da bereits seit 100 Jahren im Handel, als Invariante der österreichischen Geschichte des 20. Jahrhunderts dargestellt und drittens als Vermächtnis einer Epoche präsentiert, die fast alle Österreicherinnen nur noch aus Geschichtsunterricht, Büchern und Filmen kennen: jener der Habsburgermonarchie unter Kaiser Franz Joseph. Im

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ersten Fall sind die Schnitten ein Gegenstand des kommunikativen Gedächtnisses, während sie sich im zweiten und vollends im dritten Fall eher als Objekte des kulturellen Gedächtnisses verstehen lassen. Es lohnt sich auch zu überlegen, welche Form von Zeitvorstellung sich jeweils mit den drei von uns unterschiedenen Dimensionen des Gedächtnisortes Manner verbindet. Wenn Österreicherinnen die Manner-Schnitten als Element der eigenen Konsumbiographie betrachten und ebenso wenn Manner als Begleiter der österreichischen Geschichte des gerade zu Ende gegangenen Jahrhunderts dargestellt wird, bildet die Vorstellung einer linear ablaufenden Zeit den Rahmen. Sie hat einen Anfangs- und Endpunkt, der allerdings höchst unterschiedlich ist: Zum einen die Geburt als Beginn und der Tod als Ende, zum anderen die Zahlenmagie der Geschichtswissenschaft, die der Einheit von zehn mal zehn Jahren Bedeutung zumessen will; zum einen also eine durch die Natur vorgegebene Zeitstrecke, zum anderen eine kulturelle Übereinkunft. Auch Manner als Erbe der versunkenen Monarchie lässt sich selbstverständlich an bestimmte Punkte auf der Zeitachse binden, doch geht dies am Kern dessen vorbei, was wir beschreiben wollen, indem wir diese dritte Dimension des Gedächtnisortes einführen. Ein auffälliges Phänomen ist die Konstituierung des Bildes von Manner sowohl über eine Essenzialisierung seines wichtigsten Produktes als Teil des österreichischen Wesens als auch über den Hinweis auf eine lange Geschichte. Beide Momente scheinen auf den ersten Blick als unvereinbare Gegensätze: Wo ein zeitloses Sein auftritt, hat Geschichte keinen Platz. Wir sprechen aber auch nicht von einem „echten" Bewusstsein der Geschichtlichkeit, sondern von einem mythischen „Es war einmal", das sich nur insoferne an das Bewusstsein linearer Zeit anbindet, als es im Sinne der Vermarktung des Produktes attraktive Referenzpunkte sucht - konkret die Epoche der Monarchie als Objekt nostalgischer Verklärung. Die vorgeschlagenen Differenzierungen sind allerdings mit Flexibilität zu handhaben. So muss man die Unterscheidung mehrerer Zeitvorstellungen eher als Versuchsballon sehen und auch die Zuordnung mit Hilfe der Dichotomie von kommunikativem und kulturellem Gedächtnis ist nur eine sehr grobe. Unsere Aufmerksamkeit muss sich daher gerade darauf richten, wie die einzelnen Formen des Auftretens von Manner, die beiden Gedächtnistypen und die verschiedenen Zeitvorstellungen ineinander greifen. (Vgl. das folgende Schaubild.) Formen des Auftretens von Manner im Gedächtnis

Gedächtnistyp

Zeitvorstellung

Kindheitserinnerung, Teil der eigenen Biographie als Konsumentin

Kommunikatives Gedächtnis

Lineare Zeit - Eigene Lebensgeschichte

Invariante der österreichischen Geschichte Vermächtnis der Monarchie

Kulturelles Gedächtnis

Lineare Zeit Historie Mythische Zeit „Es war einmal"

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Wenden wir uns zunächst der Erinnerung an erlebte Vergangenheit zu: „Wenn ein Produkt 100 Jahre alt ist, kennt es jeder seit seiner Kindheit", antwortete Otto-Wilhelm Riedl, Miteigentümer und Marketingleiter des Süßwarenunternehmens, auf die Frage einer Zeitschrift nach dem „Geheimnis der Manner-Schnitte". 58 Wir tun gut daran, dem Hinweis nachzugehen, den dieses Zitat gibt. Süßigkeiten wecken kindliches Begehren, dessen Befriedigung Eltern und andere Erziehungsinstanzen als Belohnung und/oder zur Gewinnung von Sympathien einsetzen. Die Manner-Schnitten zählen daher zu jenen Gütern, mit denen der österreichische Nachwuchs seine ersten Konsumerfahrungen macht. Die symbolische Beziehung des Produktes zum Feld der Kindheit beschränkt sich indes nicht auf diesen Umstand. Die Verknüpfung ist deshalb besonders eng, weil es sich um ein Nahrungsmittel handelt. 59 Im Bereich der Esskultur wird das Eigene scharf vom Fremden unterschieden, das potenziell eine Gefahr für den (Volks)Körper bildet. Die endogame Küche verspricht Geborgenheit, wie es - so zumindest das von der Gesellschaft vorgesehene Idealbild - das Kind im Haus der Eltern finden soll, das zugleich Heimat im engsten Sinn darstellt. Die Verbindung der Manner-Schnitte mit Bedeutungsinhalten von Kindheit wird durch die Stellung von süßen Speisen innerhalb des kulinarischen Codes unserer Kultur noch weiter erhöht. Süßwaren garantieren jenen üppigen Genuss, auf den die österreichische Küche großen Wert legt. Gegenüber einem prononciert rationalen Gesundheitsdiskurs, der vor fetten Speisen warnt, legen die Österreicherinnen hinhaltenden Widerstand an den Tag, wie Studien über ihre Ernährungsgewohnheiten belegen. Die Forderung nach einer methodischen Kontrolle des eigenen Speiseplans bildet einen Gegensatz zur Orientierung am Genuss, die aus dem Blickwinkel ernährungswissenschaftlicher Erkenntnisse als „unvernünftig" erscheint. Ein „erwachsenes" Verhalten steht in Opposition zur Vorliebe für gleichermaßen weiblich wie kindlich konnotierte Speisen. Die Werbeexpertin Helene Karmasin spricht auch von „regredierenden Speisen". Dennoch ließ der international beobachtbare Trend zu mehr Gesundheitsbewusstsein Österreich nicht unberührt. Von einem Branchenblatt darauf angesprochen, reagierte Carl Manner abwehrend: „Light bei Süßwaren geht nicht, weil's nicht schmeckt. [...] Außerdem, um auf die Manner-Schnitte zu kommen - wie sollten wir das machen? Den Zucker könnten wir vielleicht durch einen Füllstoff ersetzen, der dann ein wenig nach Leim schmeckt. Aber sie brauchen ja auch das Fett, um die Haselnusscreme zu schmieren - wie sollten wir das ersetzen? Nein, ich sage Ihnen: Das ist alles nur teuer und schlecht, und wenn die Menschheit davon leben will, müssen wir eben zusperren!" 60 Der Vorstandsvorsitzende präsentiert sein Unternehmen als Bastion einer typisch österreichischen Sinnenfreude, zu der es für Manner nur eine Alternative gibt: Wenigstens anständig zugrunde zu gehen. Die Positionierung von Süßwaren im Zentrum eines mit Kindheit korrelierten Feldes zeigt sich auch, wenn man die Nahrungsmittel entlang der Dicho-

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tomie Fleisch - Nicht-Fleisch anordnet. Innerhalb der letzteren Kategorie spielt Gemüse für die österreichische Küche eine geringe Rolle; das Gewicht ruht (im wahrsten Sinne des Wortes) auf den Süßspeisen. Im Unterschied zu Fleisch, das mit dem Messer geschnitten und den Zähnen gebissen werden muss, ist die körperliche Aneignung von Mehlspeisen leichter. Dem Fleischessen konnotiert männliche Aktivität, den Mehlspeisen passiv-rezeptives Verhalten, wie es Frauen und Kindern zugeschrieben wird. Kurzum: Eine Süßware ist besonders geeignet zur Symbolisierung von Kindheit. Der Rückblick auf diesen Lebensabschnitt liefert wiederum Elemente für die Bildung und Stabilisierung einer positiven Identität. Dies ist wesentlich Bewusstseins- und Gesellschaftsstrukturen zu verdanken, die auf eine bürgerliche Konzeption von Kindheit zurückgehen. Sie betrachtet das erste Lebensjahrzehnt und zum Teil auch das zweite als eine Phase, in der Menschen als Kinder nicht nur eines besonderen Schutzes bedürfen, sondern ihr Dasein von jenem der Erwachsenen klar geschieden sein muss. Eine eigene Pädagogik löst die Fragen, die sich daraus ergeben. Kinder werden in der Schule und anderen für sie entwickelten Sozialisierungsagenturen auf ihre Rolle als Arbeitskräfte, Konsumentinnen und Bürgerinnen vorbereitet. Sie müssen zwar einen erheblichen Leistungsdruck aushalten, ihre Existenz gilt aber trotzdem als sorgenfrei, weil sie von Erwerbsarbeit ausgenommen sind. Das Klischee einer glücklichen Kindheit, 61 wie es in unzähligen bürgerlichen Autobiographien seit dem 19. Jahrhundert formuliert wurde, ist fest etabliert. Denken Erwachsene an Erlebnisse der Einführung in die Konsumgesellschaft zurück, so oft mit nostalgischen Gefühlen, die sie mit einer großen Zahl von Menschen teilen, die im selben, in vieler Hinsicht nationalstaatlich abgesteckten Konsumraum aufwuchsen. Diese Feststellung verweist freilich nicht auf einen spezifisch österreichischen Sachverhalt. Man könnte sie zumindest auf jede Wohlstandsgesellschaft westlichen Typs anwenden. Dass die MannerSchnitten als Element von Kindheit zu einem nationalen Symbol avancierten, hängt aber auch mit einem besonderen historischen Kontext zusammen. Einerseits erahnt man in der Vorliebe für süße und fette Speisen Traditionen von langer Dauer, die freilich nur schwer präzise zu fassen sind. Die Prägekraft von Katholizismus und Barock mag einen Erklärungsansatz bieten und ist zugleich selbst schon Klischee. Andererseits können wir die Anziehungskraft des Infantilen auch in der Zeitgeschichte verorten. Die Nation Österreich, wie sie in der Zweiten Republik konstruiert wurde, betrieb die Distanzierung von der Verantwortung an den Verbrechen, die in der unmittelbar vorausliegenden nationalsozialistischen Zeit begangen wurden. Der Anspruch auf Unschuld bildete in diesem Bemühen eine zentrale Kategorie. Wird jemand mit Bezug auf ein inkriminiertes Vergehen als unschuldig bezeichnet, so meint das gemeinhin, dass er/sie an der Tat nicht beteiligt war. Das Attribut „unschuldig" kann andererseits einer Person schlicht jene Naivität zuschreiben, die als Eigenschaft von Kindern gilt. Diese werden deshalb in unserer Rechtssprechung nicht als

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schuldfähig betrachtet. Die Vorstellung vom österreichischen „Volkscharakter" zeichnete sich durch eine Affinität zum Kindlichen aus - und damit gleichzeitig zum Weiblichen. 62 Beiden Konzepten ist die Betonung von Passivität gemeinsam. Problemlos lässt sich die Brücke zu Harmlosigkeit und Friedfertigkeit schlagen. Solche Komponenten der österreichischen Identität werden durch ein Produkt wie die Manner-Schnitte perfekt verkörpert. Die kindliche Unschuld, die zu ihrer konnotativen Aura gehört, bleibt unberührt von dem Faktum, dass sich ihr Hersteller unter dem NS-Regime eines Geschäftsganges erfreute, der jenen der gesamten Zwischenkriegszeit übertraf. Die Firma war mit den Problemen nach 1918 besonders schlecht zurechtgekommen. Ihre Erklärung dafür: „[...] weil wir unter der Verjudung unserer Branche sowohl in Erzeuger- als auch Händlerkreisen besonders zu leiden hatten". 63

Ein der Schnitte wie der österreichischen Nation gemeinsamer Anspruch: „Beliebt in aller Welt"

Seine Fähigkeit, einen unschuldigen Genuss zu repräsentieren, dem Kindheit und Heimat korrelieren, machte das Waffelprodukt aber auch für vertriebene Jüdinnen zum Gedächtnisort. Diese Menschen, die aus der deutschen Nation ausgeschlossen und in die österreichische nach 1945 nicht mehr integriert wurden, sind in Übersee ein kleiner, aber für die Firma wahrnehmbarer Kundenkreis. Der Schriftsteller Frederic Morton führt uns in einem kurzen Text durch

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die literarische Bearbeitung eigener Erinnerungen vor Augen, welche Bedeutung man den Schnitten in der erzwungenen Emigration zumessen konnte. 64 Morton, 1924 als Fritz Mandelbaum in Wien geboren, musste 1939 vor der rassistisch motivierten Verfolgung des NS-Regimes flüchten. Als er die Fahrt ins Exil nach England antritt, steckt ihm die Hausbesorgerin eine Packung Manner-Schnitten zu: „was Süßes für die schwere Reis'". Morton kommt in seinem autobiographischen Essay mehrfach auf das kleine Geschenk zurück. So bei Schilderung der folgenden Situation: Als der Krieg ausbrach, mussten sich sein Vater und er wie alle Inhaber eines deutschen Passes registrieren lassen. Nach Stunden des Wartens teilte ein Lautsprecher mit, dass sich die in Österreich geborenen Ausländer als „friendly aliens" hinsetzen dürften. Der Vater von Morton machte von dieser Erlaubnis zunächst keinen Gebrauch. Er weigerte sich, das seit März 1938 reichsdeutsche Wien als freundliches Ausland zu betrachten. Frederic Morton zieht nun die Schnitten hervor, die er zufällig noch bei sich trägt. „Ich bot sie meinem Vater an. Er starrte auf den Stephansdom auf der Verpackung. Er schüttelte den Kopf. Ich sagte: ,Von Frau Ecker, weißt du noch?' Er zögerte einen Augenblick. Er nahm eine Schnitte, vorsichtig, als ob sie siedend heiß sein könnte. Er schob sie in den Mund. Mit einem tiefen Atemzug, langsam kauend, nicht gerade lächelnd, setzte er sich." Die Schnitten symbolisieren in dieser Passage das Angebot der Versöhnung. Seine Legitimität fußt auf der Solidaritätsgeste der Hausbesorgerin. Der Vater akzeptiert es, doch nur mit Vorbehalt. Dieser drückt sich im vorsichtigen Genuss des trostverheißenden Produktes aus. Am Schluss seines Essays berichtet der heute in New York lebende Morton von einem Ritual, das er täglich um vier Uhr nachmittags begeht: Er tunke Mannerschnitten in seine Kaffeetasse. „Alle Schnitten schmecken, als wären sie aus der Packung von Frau Ecker. Ich bin nämlich noch immer auf einer schweren Reis' und brauche etwas Süßes." Die Nascherei fungiert als sehnsuchtsgeladene Verbindung mit einer Kindheit, die ein abruptes Ende nahm, und einer Heimat, die dem Vertriebenen entzogen bleibt. Generell vermögen es Produkte und die Artefakte der Produktkommunikation, vielen Menschen Etappen ihrer Lebensgeschichte über die Erinnerung an einstige Konsumerlebnisse für Augenblicke wieder zu vergegenwärtigen. Öfters wird daher in Zeitungsartikeln über Manner als Illustration ein Inserat aus den Sechzigerjahren verwendet, das die textuell realisierte Aufforderung zum Konsum „und jetzt Manner-Schnitten [··.]" mit einer Zeichnung kombiniert, die eine Familie vor dem Fernsehgerät versammelt zeigt: Der Vater im bequemen Lehnstuhl, zwei Buben zu seinen Füßen, die Mutter gerade das Gerät einschaltend. Das Sujet entstammt einer Werbekampagne, mit der Manner 1960/61 die neue luftdichte Packung und den Aufreißfaden einführte. Die Schnitten wurden als Element des Freizeitlebens der Mittelschicht inszeniert: Man sah Jugendliche bei einer Party oder dem Skifahren, die Kleinfamilie auf der Reise im Zugabteil, beim Picknick - oder eben beim Fernsehen. Die Kampagne

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stellte somit diese damals relativ neue Variante des Medienkonsums in eine Reihe mit anderen Freizeitaktivitäten, die als Erlebnis von Wohlstand und (Familien)Gemeinschaft präsentiert wurden. Längst haben freilich Computer, Video, Satelliten- und Kabel-TV die Zentrierung auf ein einziges Programm aufgebrochen, dessen Genuss dereinst alle Fernsehwilligen notgedrungen vereinte. Die Werbung führt also einen bestimmten Punkt der Entwicklung unserer Konsum- und Mediengesellschaft vor, der unserer Gegenwart entrückt ist - nicht bloß zeitlich, sondern vor allem durch die Vervielfältigung und Veränderung der Konsummöglichkeiten und -gewohnheiten. Das Inserat von Manner bietet sich deshalb als Vehikel einer verklärten Erinnerung an. Diese wurde längst als Markt erkannt. Ihn bearbeiten Ausstellungen, Bücher und Filme, die auch den Manner-Schnitten einen festen Platz im kollektiven Gedächtnis sichern. Für die Ausstellung „Die wilden fünfziger Jahre", die 1985 auf der Schallaburg in Niederösterreich stattfand, stellte Manner verschiedene Werbemittel zur Verfügung: Z . B . einen Ladenaufsteller in Form des „Haselnussmannes", dessen Körper eine Schnitte und dessen Kopf eine Haselnuss bilden; oder fünfzig Schnitten-Attrappen und eine gleiche Zahl von Schokoladetafel-Attrappen. Als jüngst die Siebzigerjahre wiederentdeckt wurden, durfte auch die Erinnerung an die Produkte der Firma Manner nicht fehlen. So unterhalten sich einige Teilnehmerinnen an dem Online-Chat, der die Grundlage für das Buch „Wickie, Slime und Paiper" 6 5 bildet, über die verschiedenen Geschmacksrichtungen der Manner-Schnitten, denn neben dem „Klassiker" mit Haselnussfüllung vertreibt das Unternehmen z . B . Waffeln mit Zitronencreme. Die Ausstellung über „Die Wilden fünfziger Jahre" und der Bestseller „Wickie, Slime und Paiper" stehen für durchaus unterschiedliche Zugänge: Wissenschaftliche Auseinandersetzung - nicht frei von Nostalgie, aber methodisch reflektierend - auf der einen Seite und auf der anderen ein unkritisches Muster der Beschäftigung. „Weißt Du noch?" lautet die Leitfrage von „Wickie, Slime und Paiper". Beide thematisieren aber das Alltagsleben einer noch nicht weit zurückliegenden Vergangenheit und bedienen ein Bedürfnis nach sehnsüchtiger Erinnerung an Kindheit und Jugend. Sie befinden sich somit zwangsläufig am Schnittpunkt von kommunikativem und kulturellem Gedächtnis. Das ist besonders bei „Wickie, Slime und Paiper" augenfällig: Die Teilnahme an einem Chatforum des Internets gehört in den Bereich des vergleichsweise ungenormten Alltagshandelns. Das Publizieren des dadurch entstehenden Materials in Buchform ist hingegen ein Beitrag zum kulturellen Gedächtnis und bietet wiederum vielen Tausenden Leserinnen Anknüpfungspunkte für ihre persönlichen Lebenserinnerungen. Diese werden durch die Medien „autorisiert" und genormt: Ein Kanon von Konsumerfahrungen, die als typisch für die Kindheit der Siebzigerjahre gelten, entsteht. Betrachten wir die Zusammenfassung eines Nachrichtenbeitrages über „Wickie, Slime und Paiper", 6 6 die eine von Manner beauftragte Medienbeobachtungsfirma vorlegte: „Im Beitrag ist eine Eskimo Tafel aus den 70er Jahren zu sehen. Weiters wird erzählt, daß es Manner

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Schnitten noch in 4 Geschmacksrichtungen gab. Gezeigt werden auch Bauwerke aus Lego." 6 7 Eskimo-Eis, Manner und L e g o sind also Elemente einer Gedächtniskultur, die den 1970er-Jahren huldigt. Die derzeit herrschende Begeisterung für diese Dekade ist einerseits ein internationales Phänomen, das uns als solches nicht zu interessieren hätte, da es uns um österreichische Gedächtnisorte geht. Sie hat jedoch andererseits ihre nationalen Eigenheiten. Während Lego als dänisches Produkt keine spezifisch österreichische Note aufweist, gilt das sehr wohl für die Tafel mit den „Eskimo"-Eissorten von Unilever. Der Konzern agiert zwar in vielen Ländern, operiert aber jeweils mit anderen Markennamen. Manner bildet den Kulminationspunkt dieser Skala des Österreichischen. Das Unternehmen verfügt anders als Unilever und L e g o nur in heimischen Gefilden über einen derart massiven Marktauftritt, dass sich seine Produkte, d.h. vor allem die Schnitten, als wichtiges Symbol der Konsumkultur etablieren konnten. So trägt der Diskurs um die Kindheit der Siebzigerjahre einiges dazu bei, dass Manner vermutlich auch in Zukunft als typisch österreichisches Unternehmen gelten wird. Als zweite Dimension auf der diachronen Achse haben wir die Darstellung von Manner als Konstante der österreichischen Geschichte des 20. Jahrhunderts genannt. Die Süßwarenfirma und ihre Schnitte eignen sich in hohem Maß als alltagsgeschichtliches Unterfutter für Abrisse der österreichischen Historie. Dies zeigt uns das Beispiel der Info-Illustrierten „ N e w s " , die sich in einem Sonderheft mit „Österreichs Jahrhundert" beschäftigte. Der Untertitel lautete: „1900-1999: Was uns bewegte". A m Ende eines Saeculums sollte Rückschau gehalten werden: „ W i r " bilanzieren „unser Jahrhundert". Das auf die Leserinnen abzielende „ W i r " , historisch auch auf jene längst Verstorbenen ausgedehnt, die einst Teil des nationalen Kollektivs waren, signalisiert die Absicht einer Aneignung im Sinne der Arbeit an einem gemeinsamen österreichischen Gedächtnis, an einer nationalen Identität. „Uns bewegte" - um nur die Zwischentitel einer Seite heranzuziehen - der Tod des „greisen Kaisers", „das Inferno am Isonzo", der Wechsel von Kaisertum zu Republik. Den Text ergänzen Fotos von Karl Habsburg, Österreichs letztem Kaiser, von Karl Renner, Österreichs erstem Kanzler, und von der Ausrufung der Republik. Hinzu tritt die Abbildung von einem jener Kronenscheine, den die junge Republik zur Schaffung einer eigenen Währung schlicht mit dem Stempel „Deutschösterreich" versah. Komplettiert wird das Seitenbild von einem Werbesujet der Firma Manner: Ein kleiner Bub blickt voller Begeisterung auf die Schnittenpackung, die ihm ein etwas älteres Mädchen präsentiert. Die Illustration wird folgendermaßen erläutert: „Die Manner Schnitte: Für Kinder ist sie zu Beginn des Jahrhunderts der größte Genuß." Diese Bildunterschrift vermittelt keine substanzielle Information, sieht man vom Hinweis auf die Existenz eines Süßwarenproduktes ab. Die Schnitten werden aber durch den Umstand, dass sie im Kontext einer äußerst knappen Darstellung des frühen 20. Jahrhunderts aufscheinen, mit Bedeutung aufgeladen. Sie stehen am Anfang „unseres Jahrhunderts" und bleiben sein treuer Be-

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gleiter. Einige Seiten danach behandelt „News" die Sechzigerjahre: Wir sehen Fotos von Gerd Bacher hinter seinem Schreibtisch („Bacher übernimmt die ,Medien-Orgel' O R F " ) , von Innenminister Olah, Songcontest-Gewinner Udo Jürgens und drei erfolgreichen Eiskunstläufern sowie von Brillen in grellbuntem Design - außerdem stoßen wir wieder auf Reklame von Manner: Ein Plakat und der Haselnussmann sollen laut Bildunterschrift den Charakter der damaligen Werbung veranschaulichen. Zweifellos setzt „News" die Manner-Werbesujets in einer Weise ein, deren Beliebigkeit auffällig ist. Allerdings mag zwar der Informationsgehalt jener beiden Illustrationen, mit denen „News" das Seitenbild auffettet, gering sein. Ihre Funktion besteht jedoch vor allem im Effekt des Wiedererkennens. Ihre Verwendung stützt sich somit auf die Präsenz von Manner in Alltagszusammenhängen und lebensgeschichtlichen Erinnerungen, die wir als ersten Punkt besprochen haben. Da es sich bei der Geschichte Österreichs um „unsere Geschichte" handeln soll, müssen sich den Leserinnen entsprechende Anhaltspunkte bieten, damit sie sich in der Darstellung wiederfinden können. Das historische Wissen, über das nicht alle verfügen, kann nur Teil einer Konstruktion von Identität sein, die auch auf allgemein Bekanntes rekurrieren muss, um ihren Erfolg zu sichern. Das selbstverständliche Wissen, das aus dem täglichen Gebrauch von Konsumgütern erwächst, spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Wann immer man aber ein Versatzstück aus der österreichischen Konsumgeschichte benötigt, ist Manner eine mögliche Wahl. Manner hat sich ins kollektive Gedächtnis drittens als Teil des Erbes eingetragen, das uns die Monarchie hinterließ. Immerhin kann man die Herstellung der Schnitten bis ins Jahr 1898 zurückverfolgen. Da Kaiser Franz Joseph damals seine bereits 50 Jahre dauernde Regentschaft feierte, wurden sie auch als „Jubiläumsschnitten" vertrieben. Die Firma pflegt aus Überzeugung und Kalkül sorgfältig den Nimbus eines Traditionsunternehmens. Im Interview, das er dem „Falter" gab, konstatierte Carl Manner nicht nur, dass sein Unternehmen „komischerweise" ein Mythos sei, sondern deutete auch eine Erklärung für dieses Phänomen an: „Weil wir Übriggeblieben sind, wir sind j a fast ein Fossil." 6 8 1898 lässt sich erstmals die Produktion der Schnitten nachweisen; Kaiser Franz Joseph starb 1916, die Monarchie zerbrach zwei Jahre darauf, die Manner Schnitten hingegen sind „Übriggeblieben" - so wie Schönbrunn, der Sissi-Mythos und generell die Erinnerung an einstige imperiale Größe „übriggeblieben" sind. Wenn Carl Manner bekennt, seine Firma sei „fast ein Fossil", so erfahren wir Entscheidendes über das Unternehmen, das seinen Konservativismus als Qualität vor sich her trägt. Zugleich wirft es Licht auf das Selbstbild der Österreicherinnen, die dieses Unternehmen als eines der landestypischen erachten. In vielen Kontexten tritt Manner als Symbol Österreichs und des Österreichischen auf. Allen diesen Diskursen ist, soweit sie auf ein heimisches Publikum abstellen, ein identitätsstiftender Charakter gemeinsam. Sie unterscheiden

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sich jedoch erheblich in ihren Strategien. Um diese allgemein gehaltene Feststellung zu belegen, lohnt sich eine vergleichende Gegenüberstellung von zwei Beiträgen über Manner, die 1998 im ORF gesendet wurden. Der eine war am 7. Mai 1998 in „Willkommen Österreich", also im Vorabendprogramm, zu sehen. Im anderen Fall haben wir es mit einem Ausschnitt aus der ZIB 3 vom 29. Dezember 1998 zu tun. Mit dieser Nachrichtensendung, die um Mitternacht beginnt, will der ORF vor allem jüngere und gebildetere Schichten ansprechen. Die Konsumentinnen tragen folglich an die ZIB 3 andere Erwartungen heran als an „Willkommen Österreich". Letztere Sendung empfängt die Zuschauerinnen in einem Studio, das Wohnzimmeratmosphäre erzeugen soll. Die Österreicherinnen werden als Familie konstituiert, deren Mitglieder man täglich am Spätnachmittag „willkommen" heißt. Die ZIB 3 ist hingegen Schlusspunkt im dreistufigen Spektrum der Abendnachrichten: Die ZIB 1 um 19.30 Uhr bildet schon seit Jahrzehnten einen Fixpunkt für die ganze Familie, die Dichte und Ausführlichkeit der Information ist deutlich niedriger als bei den späteren Ausgaben. Die ZIB 2 bringt auch längere Interviews mit Studiogästen und in der ZIB 3 werden Live-Diskussionen mit mehreren Teilnehmerinnen gezeigt. Solche dialogischen Elemente verlangen von den Rezipientlnnen ein Abwägen des Gewichts von Argumenten und lassen mehr Leerstellen, die von den Betrachterinnen mit ihrer Meinung gefüllt werden müssen, als die vorgefertigten Kurzbeiträge, die nach einer kurzen Einleitung der Moderatorinnen abgespult werden. Kurzum: Wenn die ZIB 3 und „Willkommen Österreich", zwei sehr verschieden ausgerichtete Sendeformate, die Manner-Schnitte als österreichisches Symbol thematisieren, beschreiten sie zwangsläufig unterschiedliche Wege. Der Beitrag in „Willkommen Österreich" wurde von der Moderatorin Theresia Zierler mit einer rhetorischen Frage eingeleitet: „Wer kennt sie nicht, die berühmten rosa verpackten Schnitten mit dem Steffi als Markenzeichen?" Wer sie nicht kennt, gehört wohl nicht zu dem nationalen Kollektiv, an das die Sendung adressiert ist. Zierler setzt fort, indem sie sich direkt an die Zuschauerinnen wendet: „Ich nehme an, nicht nur die Naschkatzen unter Ihnen wissen jetzt, wovon ich spreche, nämlich von der Manner Schnitte." An den beiden zitierten Sätzen fällt das prononciert familiäre Vokabular auf: Von Naschkatzen ist die Rede und bei Erwähnung des Markenzeichens bevorzugt Zierler - wie übrigens noch ein zweites Mal im weiteren Verlauf des Beitrags - das liebevolle Wort „ S t e f f i " anstatt der offiziösen Bezeichnung Stephansdom. Implizit wird eine emotionale Bindung der Zuschauerinnen an diesen Sakralbau vorausgesetzt. Es handelt sich eben nicht um irgendeine Kirche, sondern um eines der wichtigsten Wahrzeichen Wiens. „Das ist j a ein für Österreich sehr schönes Markenzeichen", lobt Zierler die Ausführungen des Studiogasts Carl Manner, nachdem dieser die Entstehung des Firmensymbols erläutert hat. Während sich „Willkommen Österreich" um eine familiäre Note mit nationalen Bezügen bemüht, zeigt schon der Einstieg des ZIB 3-Beitrags an, dass

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wir es hier mit einer ironisch angelegten Behandlung des Themas zu tun haben: Wir sehen hintereinander einen Kabarettisten, einen Architekten und eine Radiomoderatorin, die jeweils ein forciert originelles Statement zu den prominent ins Bild gerückten Manner-Schnitten abgeben. In „Willkommen Österreich" wurde die „gute alte Manner-Schnitte" als Objekt nostalgischer Erinnerung ins Bild gerückt. Nach ihren einleitenden Worten fragt die Moderatorin: „Erinnern Sie sich eigentlich noch an die Werbung von einst?" Es folgt Fernsehreklame der Firma Manner aus dem Jahre 1970. Der Appell, den Zierler und der Beitrag insgesamt an die Zuschauerinnen richten, wird am Schluss nochmals verdeutlicht, indem Reinhard Jesionek, der zweite Moderator der Sendung, in seiner Überleitung zum nächsten Thema konstatiert: „Das war also ausnahmsweise mal eine angenehme Erinnerung an meine Schulzeit, weil in der 10-Uhr-Pause hat es immer ein Packerl MannerSchnitten gegeben." Jesionek nimmt die Position eines Rezipienten des Beitrags ein und liefert somit eine Gebrauchsanweisung zur Verknüpfung des Gesehenen mit eigenen Lebenserinnerungen - wobei es müßig ist, über die Authentizität der Aussage des Moderators zu räsonieren. Was zählt, ist ihre Funktion im Text. Auch die ZIB 3 suchte die Anbindung an die Konsumerfahrungen der Zuschauerinnen. Jedoch ist ihr Diskurs weniger nostalgiegesättigt, sondern betreibt eher die Stilisierung von Manner zu einer „Ikone" der aktuellen Konsumkultur. Die Schnitten werden als Teil einer Welt von Konsumgütern betrachtet, deren Kauf und Verbrauch keinen rein technischen Vorgang, sondern ein Freizeitvergnügen darstellen sollen. Waren, die diesem Konzept entsprechen wollen, müssen in erster Linie Spaß machen. Der Beitrag der ZIB 3 kultiviert daher einen flapsigen Ton, der das Produkt ironisiert und damit zugleich seine Attraktivität steigert. Die Zuseherlnnen erhalten zwar einige Informationen über die Firmengeschichte, doch die Bezüge zur Vergangenheit der Ware spielen eine geringere Rolle als in „Willkommen Österreich". Das Schwergewicht des Diskurses ruht auf der synchronen Ebene. Er verwendet z.B. Sequenzen, die sich keinem bestimmten Ort oder Datum zuordnen lassen und dadurch nur gegenwärtig sein können: Als durchgängiges Motiv wird der Verzehr des Produktes aus dem Hause Manner in immer wieder anderen Varianten gezeigt. Greifen wir drei Szenen heraus, die unmittelbar aufeinander folgten: Wir sehen zunächst in Großaufnahme einen Mann, der eine Schnitte verspeist. Als akustische Untermalung wurde die Filmmusik aus dem Italowestern „Spiel mir das Lied vom Tod" gewählt. Sie signalisiert Dramatik und verleiht dadurch der Szene eine groteske Note. Als nächstes bieten sich uns die rot geschminkten Lippen einer Frau dar. Auch sie isst natürlich eine Manner-Schnitte. Aus dem Off wird erläutert: „Andere geben sich voll dem sinnlichen Genuss hin". Dazu hört man das Lied „Je t'aime". Schließlich wird der Mund eines Mannes gezeigt, der die Schnitten gierig verschlingt. Die Stimme aus dem Off meint: „Und dann gibt es noch die bedauernswerten Geschöpfe, die der Süßigkeit einfach

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verfallen sind." Das Lied „Ich will mehr, ich will mehr, ich will mehr von dir" aus dem österreichischen Film „Müllers Büro" (1986) ergänzt Bild und Kommentar. So erstellt die ZIB 3 eine Trias des Schnittenverzehrs. Sie stellt die Süßware als Objekt des Begehrens dar. In diesem Zusammenhang spielen sexuelle Konnotationen eine wichtige Rolle. Abgesehen von der Untermalung einer Szene durch „Je t'aime" wird z.B. schon zu Beginn des Beitrags die Radiomoderatorin Martina Rupp gezeigt, die ein Päckchen hält und erklärt: „Das ist da so dicht dran die Verpackung, das ist irgendwie geil." Das Verlangen der Konsumentinnen, das die ZIB 3 inszeniert, basiert nicht auf der Geschichte von Firma und Produkt, sondern auf der Einordnung in eine Kultur sinnlichen Konsumvergnügens, die je gegenwärtig ist. Der spielerischen Kombination von beliebig einsetzbaren Versatzstücken, deren Botschaft für alle, die an der Konsumgesellschaft teilhaben, leicht zu entschlüsseln ist, steht in „Willkommen Österreich" ein Diskurs gegenüber, der sich nach einem weit traditionelleren Muster organisiert. Seine Bestandteile sind vergleichsweise fix: Informationen über die Geschichte des Hauses, Gespräch mit dem Chef des Hauses, Interesse für die Zukunft des Hauses - eine konservativ angelegte Grundlinie: Das Bewahren des Erreichten und der Tradition stehen im Vordergrund. Der Diskurs hat eine narrative Struktur, für eine analytische Auseinandersetzung mit der Firma und ihrem Produkt ist kein Platz. Die Fragen, die Zierler im Zuge des Studiogesprächs an Carl Manner richtet, sind keine Fragen im eigentlichen Sinn, sondern mehr die Stichwörter, die den Firmenchef zum Erzählen auffordern. „Wie hat alles begonnen?" und „Was wird die Zukunft bringen?". Geschichte und Mythos fließen in einem unpräzisen „Es war einmal" und „es wird einmal sein" ineinander. Es soll nicht Geschichtswissenschaft betrieben, sondern es sollen Geschichten fabriziert werden. Auch der Film über das Unternehmen, der vor dem Gespräch mit Carl Manner eingespielt wird, verfolgt dieses Ziel. Der Sprecher erläutert: „Und dank des gut florierenden Exports ist Manner mit seinem Markenzeichen, dem Stephansdom, in aller Welt bekannt." Das Gesagte wird durch Ausschnitte aus jenem Werbespot von 1987 illustriert, in dem ein japanisches Mädchen durch Deuten auf das Emblem der Schnittenpackung den Weg zum Stephansdom in Erfahrung bringt. Weltweite Bekanntheit zu behaupten und als Beleg oder Illustration eine Werbung des Unternehmens heranzuziehen, wäre in einer historischen Studie grob unseriös. Man mag die Kombination von Kommentar und Bild, die uns „Willkommen Österreich" vorführt, zwar für sorglos halten, sie ist aber im Medium Fernsehen nicht gerade selten. In diesem Fall dient sie schlicht der Pflege eines Mythos. Aufschlussreich ist wiederum der Vergleich mit der Thematisierung des Exporterfolgs von Manner durch die ZIB 3. Man sieht am Fließband Schnittenpackungen vorüberziehen und der Sprecher fragt: „Große Teile Europas werden mit der kitschigen Packung beliefert. Europa - ein rosa Manner Land? Nein, die unbeugsamen Hellenen wehren sich." Sodann wird eine kurze Interview-

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sequenz gebracht. Carl Manner erklärt, dass die Firma beim Markteinstieg in Griechenland zunächst die Hausfarbe rosa verwenden wollte. Diese könnte aber, so sei man gewarnt worden, unbeabsichtigte Assoziationen zu Männern wecken, „die sich nicht normal verhalten". Es folgt ein Schnitt, wir erblicken eine rote Manner-Packung und hören den Kommentar: „Und das in einem Land, in dem einst ungestraft jeder jeden küssen durfte. Man beugte sich und steckte die Süßigkeit kurzerhand in schreiendes Rot." Der Beitrag in der ZIB 3 erlaubt sich eine Haltung ironischer Distanz, die sanfte Kritik in mehr oder minder expliziter Form einschließt. Zugleich impliziert sie aber eine Bejahung von Manner als Teil der schönen, neuen Konsumwelt. Dem Duktus von „Willkommen Österreich" würde eine offene Anspielung auf Homosexualität ebenso widersprechen wie die Titulierung der Schnittenpackung als kitschig. Das hängt maßgeblich mit den unterschiedlichen Rezeptionsgewohnheiten des Zielpublikums zusammen. Kitsch und Kunst liegen in einer Interpretation der Konsumwelt, die zuerst von der Pop-art im großen Stil entwickelt wurde, nahe beieinander. Die Packung als kitschig zu bezeichnen kann daher sogar ihren Mehrwert erhöhen, sie über das Gewöhnliche zum „Kultobjekt" emporheben. Die Information, dass Manner in Griechenland mit einer roten Packung auftritt, ist auch in ihren intertextuellen Bezügen interessant. Wenn von den „unbeugsamen Hellenen" gesprochen wird, die sich gegen die Eroberung durch Manner zur Wehr setzen, so ist das Comic „Asterix" als Referenztext deutlich. Jeder der vielen Bände, die sich den Abenteuern des mutigen Galliers widmen, beginnt mit einer Abbildung Frankreichs, deren Bedeutung durch eine Feststellung und eine rhetorische Frage geklärt wird: „Ganz Gallien ist von den Römern besetzt... ganz Gallien? Nein. Ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten." Zum einen gehört die Anlehnung an diese unvermeidliche Passage aller Asterix-Hefte zum Spiel mit Elementen einer fast globalen, aber doch zumindest westlichen Konsumkultur. Zum anderen hat dieser intertextuelle Bezug eine Bedeutung, die auf den österreichischen Kontext zugeschnitten ist. Man kann sie als Ironisierung des kulturellen Auftrags verstehen, den sich Österreich gerne zuschreibt und der manch kulturimperialistischen Zug aufweist. Manner ist ja dank seines Markenzeichens „Träger österreichischen Kulturgutes", wie die ZIB 3 formuliert. In der Tat entspricht es der Firmenpolitik, Exportbemühungen auch als kulturelle Mission zu betrachten: Man macht ausländische Konsumentinnen mit einem der wichtigsten architektonischen Symbole des Landes und allgemein mit österreichischer Tradition bekannt. Sowohl in „Willkommen Österreich" als auch in der ZIB 3 lassen sich zwei Themen unterscheiden, die in der Darstellung von Manner dominieren: Die Schnitte als nationales Symbol einerseits und als populäres Stück Konsumkultur andererseits. Während aber „Willkommen Österreich" vor allem ersteres betont, stilisiert die ZIB 3 Manner eher zum „kultigen" consumer good. Beide Themen sind freilich eng miteinander verknüpft, und auch die ZIB 3 partizi-

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piert am ständig laufenden Prozess nationaler Selbstvergewisserung. Dennoch ist es selbst aus diesem Blickwinkel nicht bedeutungslos, dass die ZIB 3 und „Willkommen Österreich" in unterschiedlicher Form am Diskurs um nationale Identität teilnehmen. Die ZIB 3 wählt eine ironische Herangehensweise. Die Ironie wird aber in der Rhetorik nicht zufällig als Sprungtrope bezeichnet. Sie basiert auf einem Bruch zwischen dem Gesagten und dem Gemeinten und verlangt somit von den Zuseherlnnen die Fähigkeit, zum Objekt der Betrachtung auf Distanz zu gehen.

Spiel mit nationalen Symbolen - Schnitte, Stephansdom und Freiheitsstatue (1998)

Der ZIB-Beitrag ist beispielhaft für eine Positionierung der Schnitte, die in den letzten Jahren stärker hervortritt. Indem das Waffelprodukt zum „Kultprodukt" stilisiert wird, das voller Nostalgie steckt, doch ebenso Ironie zulässt, gewinnt es Bedeutungsfelder hinzu, die der Verengung auf eine patriarchalisch-biedere Unternehmenskultur und konservative Gemütlichkeit entgegensteuern. Im Jubiläumsjahr 1998 rief die Firma zu einem Fotowettbewerb auf, als dessen Siegespreis der damals neue VW Beetle winkte. Der Zuspruch war enorm. Sorgfältig setzten Konsumentinnen die Haselnusswaffeln und sich selbst in Szene, ob in einer mit Schnittenpackungen gefüllten Badewanne sitzend oder einen Burger verzehrend, dessen Mitte die rosa Packung statt des faschierten Leibchens bildete. Die Aufnahmen zeigen Schnitten beim Tauchgang, Fallschirmspringen, Wasserskifahren, vor dem Kreml ebenso wie vor der Freiheitsstatue gehalten von einem deren Pose imitierenden Konsumenten. Gemeinsam ist den

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F o t o s das Versprechen v o n Spaß als M e h r w e r t des S c h n i t t e n k o n s u m s , g a n z auf die Erwartungen einer erlebnisorientierten G e s e l l s c h a f t z u g e s c h n i t t e n . S o m a g die Schnitte zwar weiterhin ein Österreich-zentriertes Wir-Gefühl bedienen, d o c h j e n s e i t s allen h e i l i g e n E m s t s , denn auch die Kathedrale, d i e als M a r k e n z e i c h e n dient, ist abseits sakraler B e d e u t u n g e n längst in erster Linie z u m Objekt d e s touristischen K o n s u m s g e w o r d e n .

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Cash 1998, Nr. 5. Der Lebensmittelkaufmann 1998, Nr. 11, 1 u. 4. Zur Firmengeschichte siehe: Hans Peter Andres, Historische Analyse der österreichischen Süßwarenindustrie am Beispiel der Firma J. Manner & Comp. AG, Diplomarbeit Wirtschaftsuniversität Wien 1986; Josef Manner, unveröffentlichte Familienchronik (ein Exemplar im Wiener Stadt- und Landesarchiv). Archiv der Republik (AdR), Bürckel-Korrespondenz, Karton 120: Bericht der nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation (NSBO) Hernais über die Zelle Manner, Wien 3. Mai 1938. Cash 1998, Nr. 5. Presseaussendung, April 1998, Archiv der Fa. Manner, Wien. Laut Angabe des Marketingvorstands Schönthaler in: Regal 1999, Nr. 10, 112. ... mag man eben, in: Falter 1998, Nr. 46, 77. Ärzte-Magazin 1998, Nr. 11, 28. Presseaussendung, April 1998, Archiv der Fa. Manner, Wien. Ärzte-Magazin 1998, Nr. 11, 28. Wiener Zeitung, 5. Mai 1995, 8. Arbeiterzeitung, 28. Juli 1990; Volksstimme, 1. März 1991; Trend 1998, Nr. 7/8, 50. Wirtschaftswoche 1995, Nr. 26, 41. Wirtschaftsblatt, 27. Oktober 1999. Andres, Historische Analyse, 6. Roman Sandgruber, Schokolade. Von der Götterspeise zum Massenprodukt, in: Genuß und Kunst. Kaffee - Tee - Schokolade - Tabak - Cola, hg. von dems. und Harry Kühnel, Ausstellung Schloß Schallaburg 1994, Innsbruck 1994, 64-72. Andres, Historische Analyse, 163 u. 302. Wochenpresse 1993, Nr. 50, 32 f.; Die Presse, 12. Juni 1997. Siehe die Aussagen des Süßwarenfabrikanten Otto Engelhofer in: Wirtschaftsblatt, 2. Juli 1997. Wirtschaftsblatt, 27. Oktober 1999. Salzburger Nachrichten, 23. Dezember 1982; Der Konditor 1987, Nr. 2/3; Die Wirtschaft 1988, Nr. 43; Cash 1990, Nr. 7/8, 44 f.; Volksstimme, 3. Februar 1991, 5; Der Lebensmittelkaufmann 1992, Nr. 8,4; Profil 1994, Nr. 17, 48; Die Presse, 3. Mai 1994; Profil 1994, Nr. 19, 50; Der Standard, 17. Mai 1994. Kurier, 21. Dezember 1994. Kurier, 5. März 1998. Ebd. Wochenpresse, 20. Mai 1970. Manner, Familienchronik; Andres, Historische Analyse. News 1995, Nr. 48, 95; Salzburger Nachrichten, 21. November 1995; Tiroler Tageszeitung, 21. November 1995. Salzburger Nachrichten, 21. November 1995. Wiener Zeitung, 25. Oktober 1999; Wirtschaftsblatt, 23. Oktober 1999. Wiener Zeitung, 25. Oktober 1999. Von. Noblesse, Milleniumsausgabe.

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Presseaussendung, April 1998. Die Metapher findet sich in: Format, 30. Oktober 1999. Wirtschaftswoche 1995, Nr. 26, 41. Format, 30. Oktober 1999. Presseaussendung, April 1998. Bernhard Salomon, Altrosa Aussichten, in: Format, 30. Oktober 1999. Täglich Alles, 9. April 1999. Format 1998, Nr. 11. Welt der Arbeit 1999, Nr. 2, 6. Cash 1998, Nr. 5. Arne Johannsen, Don Alonsos Heimkehr, in: Wirtschaftsblatt, 23. Oktober 1999. Format, 30. Oktober 1999. Toni Pierenkemper, Unternehmensgeschichte, Stuttgart 2000, 166-170. Manner, Familienchronik, 34; zu der Eisenbahn siehe den Katalogteil von Sandgruber und Kühnel, Genuß und Kunst, 321. Bernhard Denscher, Österreichische Plakatkunst 1898-1938, Wien 1992, 173 f. Falter 1998, Nr. 46, 77 Siehe Cash 1998, Nr. 5 und die Angaben auf der Homepage des Unternehmens: http://www. manner.com, 17. Jänner 2004. Miriam Theumer, Elisabeth Kienast und Marina Stix, Seminararbeit über Manner am Institut f ü r Publizistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien, Wintersemester

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In der Umfrage von Theumer u.a. konnten 8 4 % der Interviewten seinen genauen Wortlaut wiedergeben. Von. Noblesse, Milleniumsausgabe. Charles E. Ritterband, Die Welt der Oper - die Oper als Welt, in: Neue Zürcher Zeitung, 11-/12. September 1999. Von. Noblesse, Milleniumsausgabe. Vgl. The Invention of Tradition, hg. von Eric Hobsbawm und Terence Ranger, Cambridge 2 1992. Produkt 1999, Nr. 1. Vgl. Irene Bandhauer-Schöffmann, Coca-Cola im Kracherlland, in: Sandgruber und Kühnel, Genuß und Kunst, 9 2 - 1 0 1 ; siehe auch den Katalogteil, 408 ff., bes. 414. Von. Noblesse, Milleniumsausgabe. Zum Folgenden siehe Susanne Breuss, Einverleibte Heimat. Österreichs kulinarische Gedächtnisorte, in: Heroen, Mythen, Identitäten. Die Slowakei und Österreich im Vergleich, hg. von Hannes Stekl und Elena Mannovä, Wien 2003, 351-372; Helene Karmasin, Produkte als Botschaften, Wien 2 1998, 275 f. u. 3 7 4 - 3 8 5 . Cash 2000, Nr. 1,91. Siehe die Einführung in: „Es war eine Welt der Geborgenheit . . . " Bürgerliche Kindheit in Monarchie und Republik, hg. von Andrea Schnöller und Hannes Stekl, Wien-Köln 2 1999, 9-50. Siegfried Mattl, Geschlecht und Volkscharakter. Austria engendered, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 7 (1996), 4 9 9 - 5 1 5 . AdR, Bürckel-Korrespondenz, K. 124: Schreiben der Josef Manner & Comp. AG an die NSBO Hernais, Wien 4. Mai 1938. Frederic Morton, Etwas Süßes für die schwere Reis', in: Profil extra, Juni 1998, 3 8 - 4 0 . Susanne Pauser und Wolfgang Ritsehl, Wickle, Slime und Paiper. Das Online-Erinnerungsalbum für Kinder der Siebzigerjahre, Wien-Köln-Weimar 1999. O R F 2, 20. Februar 1999, 00.00, ZIB 3. Archiv der Fa. Manner, Wien. Falter 1998, Nr. 46, 77.

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Swarovski Österreichischer „Multi" und Tiroler „Weltmarke" Als das Meinungsforschungsinstitut Fessel-GfK im Juli und August 1998 nach typisch österreichischen Unternehmen fragte, entfielen immerhin 6 % der Nennungen auf die Swarovski-Gruppe. Sie war nach Meinl und noch vor Manner das am zweithäufigsten erwähnte Familienunternehmen. Während man aber bei den beiden Wiener Firmen hinsichtlich des nationalen Symbolwerts von einiger Kontinuität ausgehen kann, beschränkte sich die Strahlkraft von Swarovski lange Zeit auf einen geographisch enger gefassten Raum und wesentlich kleinere Kollektive. Natürlich drückte die Firma der Gemeinde Wattens, ihrem Stammsitz, den Stempel auf. Im Unterinntal hinterließ sie auch andernorts, namentlich in Absam und Schwaz, deutlich lesbare Spuren. Darüber hinaus dürfen wir annehmen, dass sie nicht erst seit kurzem zu den Tiroler Gedächtnisorten zählt, denn Swarovski war schon in der Zwischenkriegszeit eines der potentesten Industrieunternehmen des Bundeslandes. Zu einer Erinnerungsfigur gesamtösterreichischen Maßstabs avancierte der Konzern aber erst in den Achtzigerund Neunzigerjahren des 20. Jahrhunderts. Je nachdem auf welcher Ebene man die Analyse ansiedelt, ob auf der lokalen, der regionalen oder der nationalen, variieren die Inhalte, die wir als Komponenten des Gedächtnisortes ausmachen können, bzw. ändert sich ihre Gewichtung. Für den Ort Wattens steht bis heute der unternehmerische Patriarchalismus im Zentrum: Der Gründer Daniel sorgte väterlich für die Seinen, und die folgenden Generationen der Industriellenfamilie taten es ihm gleich. In der Wahrnehmung des Unternehmens jenseits der engeren Standortregion spiegelt sich hingegen die Neupositionierung, mit der Swarovski auf eine schwere Krise 1974/75 reagierte: Jahrzehntelang hatte man sich als Industriefirma verstanden, die spröde Investitionsgüter und Produkte zur Weiterverarbeitung lieferte. Nun versuchte die Gruppe zunehmend die Endverbraucherinnen anzusprechen, indem sie Souvenir- und Geschenkartikel in ihr Programm aufnahm. Seither hat Swarovski seine Aktivitäten im Bereich Marketing und Public Relations enorm intensiviert. Wenn man den genauen Zeitpunkt angeben will, ab dem diese Veränderungen eine breitere Öffentlichkeit erhielten, so kann man mit einigem Recht das Jahr 1987 nennen: Damals engagierte Swarovski den Er-

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folgstrainer Ernst Happel für den Fußballverein FC Tirol, den die Firma als Großklub von europäischem Niveau aufziehen wollte. Zudem setzte der Konzern einen viel bewunderten unternehmerischen Paukenschlag, indem er die US-amerikanische Schmuckhandelskette Zale erwarb. Bei Swarovski, einem weltweit tätigen Konzern, scheint es letztlich auch geboten, den Blick nicht auf den nationalen Rahmen zu beschränken, sondern die Einordnung des Gedächtnisortes in Diskurse zu berücksichtigen, die keineswegs österreichische Spezifika sind. Das gilt z.B. für die 1995 eröffneten „Kristallwelten", mit denen Swarovski ein bemerkenswerter Marketing-Coup gelang. Das Unternehmen hat mit der von Andre Heller konzipierten Touristenattraktion den ersten Themenpark in Österreich eingerichtet und damit Entwicklungen in Richtung Erlebnisgesellschaft Rechnung getragen, die sich in allen hochentwickelten Industriestaaten beobachten lassen. Im Übrigen kann man dasselbe über die von Swarovski betriebene Wohnbauförderung sagen. Jeder Arbeiter sollte über sein eigenes Häuschen im Grünen verfügen, meinte schon Firmengründer Daniel. „Das Land der Häuslbauer'" betitelte Roman Sandgruber ein Kapitel seiner österreichischen Wirtschaftsgeschichte. 1 Doch viele europäische Staaten erweisen sich als Länder von „Häuslbauern", sobald man einschlägige Statistiken betrachtet.

Swarovski - die Erfolgsstory des Unternehmens Anfänge, Erste Republik

und NS-Zeit

Die Geschichte der Tiroler Unternehmerdynastie beginnt mit Daniel Swarovski, der 1862 im nordböhmischen Ort Georgenthal [Jiretin] als Sohn eines Glasschleifers das Licht der Welt erblickte. 2 Dieser Beruf war in der Gegend, die auf eine lange Tradition in der Glasherstellung zurückblickte, sehr verbreitet. Auch Daniel blieb dem Metier treu. In den Achtzigerjahren gründete er mit Eduard Weis, seinem späteren Schwiegervater, eine Firma. Das Geschäft lief nicht schlecht an und 1886 mieteten die beiden in Johannesthal, einem Ort in der Nähe von Reichenberg [Liberec], eine kleine Fabrik, in der sie bald mit 70 Leuten produzierten. 1888 geriet das Unternehmen jedoch in enorme Schwierigkeiten, weil sich die Mode geändert hatte. Plötzlich war die bislang gut gehende Ware unverkäuflich - ein Krisenmuster, auf das wir noch häufig stoßen werden. Daniel musste eine Stelle als technischer Berater bei einem Exporteur in Gablonz [Jablonec] annehmen, wo sich das Zentrum der böhmischen Glasund Bijouteriewarenerzeugung befand. 1891 kehrte Daniel Swarovski nach Johannesthal zurück. Auf einen großen Bedarf an kleinen Glassteinchen aufmerksam geworden, erfand er einen Schleifapparat, der ihre Herstellung gegenüber der bisher üblichen Handarbeit verbilligte. Die mechanisch gefertigten Steinchen waren außerdem regelmäßi-

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ger. Die höhere Qualität eröffnete neue Möglichkeiten der Schmuckherstellung und vergrößerte somit die Nachfrage. Um entsprechende Kapazitäten in der Produktion aufbauen zu können, gewann Daniel seinen kapitalkräftigen Pariser Kunden Armand Kosmann für die Gründung eines gemeinsamen Unternehmens. Da er fürchtete, seinen technologischen Vorsprung durch Industriespionage zu verlieren, suchte er einen Standort außerhalb Böhmens. Am günstigsten schien ein Angebot der Firma Rhomberg, die in Wattens eine seit 1885 außer Betrieb stehende Lodenfabrik besaß. Daniel Swarovski mietete das Objekt um 1.200 Gulden pro Jahr. Im Oktober 1895 übersiedelte er Betrieb und Familie in das kleine Dorf im unteren Inntal.

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Firmengründer Daniel Swarovski mit seiner Familie um 1900

In Tirol durfte sich Swarovski sicherer vor der Neugier von Mitbewerbern fühlen, andererseits konnte er nicht auf ein Reservoir an qualifizierten Arbeitskräften zugreifen. Dieser Nachteil machte sich schnell bemerkbar. Aufgrund der starken Nachfrage produzierte die Firma in Tag- und Nachtschichten, was die Belegschaft ebenso wie die Schleifapparate zu sehr beanspruchte. Die Güte der Kristallsteinchen ließ zu wünschen übrig, der Absatz brach zusammen. Daniel reparierte die Maschinen und verbesserte sie. Er erkannte außerdem die Notwendigkeit einer sorgfältigen Einschulung der Arbeiter und erreichte letztlich eine hohe Qualität, die er S-Qualität nannte - „S" steht für „Superior". 3 Diese Anfangsschwierigkeiten mögen aus der Perspektive einer mittlerweile über hundertjährigen Firmengeschichte als unbedeutende Episode erscheinen, doch

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drückt sich in ihrer Bewältigung eine qualitäts- und technologiezentrierte Unternehmenskultur 4 aus: Sie kombinierte einen Know-how-Vorsprung mit dem Anspruch, im Bereich der Glasschmucksteine das beste Produkt zu bieten. Von Anfang an orientierte sich Swarovski außerdem am Export, am Bestehen auf dem Weltmarkt. Zur Jahrhundertwende beschäftigte das Unternehmen bereits ca. 100 Personen. Diese Zahl erhöhte sich im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts sehr rasch. 1906/07 arbeitete der Betrieb mit 600 bis 700 Leuten, zwischen 1908 und 1912 sogar mit ungefähr 1.000 Personen. Nachdem Daniel Swarovski 1900 die Anlage von Rhomberg erworben hatte, ließ er 1906/07 ein neues Fabriksgebäude, ein Wasserkraftwerk zur Stromerzeugung und für sich privat eine Villa als standesgemäßen Wohnsitz errichten. Er verkaufte damals vor allem an die Bijouterieerzeuger in Gablonz, exportierte aber auch schon nach Frankreich, Nordamerika, England und Deutschland. 1912 verzeichnete die Firma allerdings erstmals Absatzstockungen, so dass sie auf Lager erzeugen und die Beschäftigtenzahl reduzieren musste. Seit 1908 experimentierte Daniel im Nebenhaus seiner Villa mit der Erzeugung von Glas, um das für die Schmucksteine benötigte Rohmaterial selbst herstellen zu können. Den Anlass für die Anstrengungen in Richtung einer vertikalen Integration gab der Gablonzer Hauptlieferant von Rohglas, der begonnen hatte, Glassteine zu schleifen, und somit in die Domäne von Swarovski eingedrungen war. 1910/11 richtete Daniel das so genannte Laboratorium ein und nahm das Schmelzen von Glas auf. Ab 1913 konnte er die Schleiferei „A. Kosmann - D. Swarovski" mit Glas in entsprechender Qualität versorgen. Die Glasfabrik wurde unter der Firma „D. Swarovski" geführt. Daniel war somit endlich alleiniger Inhaber eines Betriebes, während er in der Schleiferei auf den familienfremden Kompagnon Kosmann Rücksicht nehmen musste. Von nun an konnte er Neuentwicklungen ungestört forcieren: Er teilte mit niemandem das Risiko und daher auch nicht die Gewinne. Zu dem Streben nach Unabhängigkeit trat ein weiteres typisch bürgerliches Motiv für die Gründung des zweiten Betriebs in Wattens: Daniel wollte für seine drei Söhne ein eigenes Arbeitsfeld schaffen, das ihm die Glasschleiferei nicht zu bieten schien. Wilhelm (1888-1962), Fritz (1890-1961) und Alfred Swarovski (1891-1960) stiegen erwartungsgemäß in die Firma ein: Wilhelm kümmerte sich um die glaschemische Seite, Fritz um technische Fragen und Alfred, der Jüngste, wurde von seinem Vater für die kaufmännische Leitung bestimmt. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs wirkte sich sehr negativ auf Swarovski aus. Die Geschäftsverbindungen ins Ausland wurden unterbrochen. Zudem besaßen Schmucksteine keine Bedeutung für die Kriegsmaschinerie, so dass der Betrieb zum Stillstand kam. Nachdem sich Daniel aber entschieden hatte, für die Armee zu produzieren, konnte er 1915 die Arbeit wieder aufnehmen. Dem Bemühen um Anpassung an die Bedingungen der Kriegswirtschaft ent-

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sprang die Produktion von Schleifmitteln, die in der Rüstungsindustrie dringend gebraucht wurden. Indem er sein im Schleifen von Glas erworbenes Knowhow nützte, gelang es Daniel 1918, die ersten Schleifscheiben aus Korund herstellen. Mit diesem Beispiel einer branchennahen Diversifikation schuf er seiner Firma ein zusätzliches Standbein. In den Zwanzigerjahren änderte er deshalb ihren Namen auf „Daniel Swarovski, Glasfabrik und Tyrolitschleifmittelwerke". In der Zwischenkriegszeit übertrug Daniel Swarovski, der erst 1956 im hohen Alter von 94 Jahren verstarb, zunehmend den Söhnen die Führung der Geschäfte. Er befasste sich aber nach wie vor mit der Entwicklung neuer Produkte: Ab 1925 beschäftigte ihn die Erzeugung von Rückstrahlern. Seit 1950 werden diese Erzeugnisse, die der Verkehrssicherheit dienen, unter dem Markennamen „Swareflex" vertrieben. 1931 erfand Daniel außerdem ein Patentband, ein gewebeartiges Produkt bestehend aus Textilfäden, Kunstharz und Schmucksteinen, das letzteren neue Verwendungsmöglichkeiten erschloss. 1920 hatte Daniel Swarovski seiner eigenen Firma eine Glasschleiferei angeschlossen. Während der gemeinsam mit Kosmann geführte Betrieb nur Schmucksteine hoher Qualität erzeugte, wollte Daniel nun auch den Markt für billigere Produkte nicht mehr länger der böhmischen Konkurrenz überlassen. Er entwickelte neue Schleifmaschinen, die rationeller produzierten. Das trug dazu bei, dass die Firma die Dreißigerjahre überstehen konnte. Die Glasindustrie wurde zwar später und weniger stark als andere Branchen von der Weltwirtschaftskrise erfasst, 5 doch das Unternehmen „A. Kosmann - D. Swarovski", das mit den alten Schleifmethoden produzierte, musste 1934 schließen. Schon im Juni 1932 war im Landtag Swarovski als Beispiel für die traurige Lage der Tiroler Industrie genannt worden: Die Glasschleiferei habe die Zahl der Arbeiter von 800 auf 50 eingeschränkt, die Tyrolitwerke seien von 600 auf 200 Arbeiter heruntergekommen. 6 Swarovski erholte sich freilich rasch. 1935 nahm „D. Swarovski" die Firma „A. Kosmann - D. Swarovski" in Pacht und 1937 beschäftigte man bereits wieder rund 1.000 Personen. 7 Auf den Zweiten Weltkrieg reagierte Swarovski erneut mit einer Anpassung der Produktpalette. Die Firma nahm die Herstellung optischer Geräte in Angriff. Darüber hinaus erfuhr die Schleifmittelerzeugung, die während der Ersten Republik eine relativ geringe Rolle für die Firma gespielt hatte, eine wesentliche Ausweitung. 8 Zur Aufrüstung trug indirekt auch die Erzeugung von Schmucksteinen bei, die vorwiegend in den Export gingen. Dieser brachte Devisen, die das Deutsche Reich für den Kauf ausländischer Rohstoffe äußerst dringend benötigte. Selbst nach Kriegsbeginn lieferte Swarovski über die Schweiz und Schweden Schmucksteine an die USA. Bis Oktober 1943 konnte die Firma eine erhebliche Friedensproduktion aufrecht halten. 9 Dank intensiver Zusammenarbeit mit dem Regime - und unter Rückgriff auf Zwangsarbeiterinnen - legte Swarovski die Grundlagen für die gedeihliche Weiterentwicklung der Firma nach Ende des Kriegs.

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Die Swarovski arrangierten sich aber nicht bloß mit dem NS-Regime, sie traten als eifrige Nationalsozialisten hervor. Tiroler Wirtschaftskreise hatten in der Anfangszeit der Republik vehement den Anschluss an Deutschland gefordert. Seit der Machtübernahme des Nationalsozialismus pflegten sie diese Idee wieder intensiver - unter ihnen die Swarovski an vorderster Front. Gauleiter Hofer berichtete später dem Reichskommissariat Bürckel, dass die Firma „schon während der Jahre des Kampfes einwandfrei nationalsozialistisch geführt war". Alfred Swarovski avancierte 1938 zum Vorsitzenden der Tiroler Industriellenvereinigung und wurde außerdem Vizepräsident der Handelskammer Alpenland. Von 1943 bis Kriegsende fungierte er als Präsident der Innsbrucker Handelskammer und der Gauwirtschaftskammer Tirol-Vorarlberg. Im Zuge von Erhebungen der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck im Jahre 1947 wurde er als „begeistertes Mitglied der NSDAP" eingestuft. Auch seine beiden Brüder hatten Mitgliedsnummern aus dem Block der „Illegalen" erhalten, ebenso wie Daniel (II.) (1914-1992) und Manfred (1915-1995), die Vertreter der dritten Generation, die im Dezember 1946 in die Geschäftsführung der Firma eintraten.10 Nach dem Krieg bot jedoch Eigentum an Produktionsmitteln weitgehenden Schutz vor „Entnazifierung". 11 Die Swarovski hatten nichts zu befürchten - im Gegenteil: Da die französische Besatzungsmacht an Kompensationsgeschäften für ihre Nahrungsmittellieferungen interessiert war, legte sie dem Unternehmen keine Hindernisse in den Weg, als es unmittelbar nach dem Krieg seine Exporte wieder aufnahm und damit Devisen nach Tirol brachte. 12

Exkurs zur Darstellung der NS-Zeit durch das Unternehmen - Opfermythos und Vergessen Wie erscheint die NS-Zeit aus dem Blickwinkel von Familie und Firma Swarovski? Gerne wird die Auseinandersetzung auf die Begeisterung darüber reduziert, dass der von Wilhelm Swarovski forcierte Einstieg in den Optikbereich gelang. Seine Tochter schrieb dazu 1962: „Als dann der zweite Weltkrieg ausbrach, verlangte man vom Werk die Herstellung eines Feldstechers. Man lud meinen Vater ein, die entsprechenden deutschen Produktionsstätten zu studieren. Aber er lehnte bescheiden ab, denn die Vorarbeiten waren ja bereits geleistet und auf seine Mitarbeiter konnte er sich verlassen. Unverzüglich wurde die Produktion in Wattens auf Grund eigener Ideen und Pläne vorbereitet, und die Berichte von allen Fronten bezeugten recht bald, daß unser Werk auf Anhieb und ohne fremde Hilfe ein hervorragendes ,felddiensttaugliches' Glas herausgebracht hatte." 13 Aus den Zeilen spricht der Stolz über die technologische Leistung, die man ohne Unterstützung durch deutsches Know-how vollbracht habe. Ein anderes Beispiel dafür, wie Swarovski sich seine NS-Vergangenheit zurechtlegte, stammt von Daniel II. Er berichtete 1988:

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„Während des Krieges mussten wir auf die Produktion von Feldstechern, optischen Geräten und Schleifmitteln umstellen. Das war zwar schon im Programm, wurde aber aufgebaut. Die Glasschmuckproduktion ist zurückgedrängt worden und sollte laut Behörde überhaupt nicht mehr gemacht werden. Wir haben aber weitergearbeitet, und da hat sich während des Krieges ein Lager gebildet, ein illegales sozusagen. Und nach dem Krieg sind die Amerikaner nach Wattens gekommen und haben gesagt: ,Wir brauchen dringend nach den sechs Jahren Düsternis und Dunkelheit wieder schöne Farben und fröhliches Leben - liefert uns wieder Steine!' Und da konnten wir das ganze Lager schlagartig nach Amerika liefern. Das war natürlich ein enormer Aufschwung." 14 Daniel II. präsentiert uns Swarovski als Opfer des Krieges und ordnet somit diesen Abschnitt der Firmengeschichte in den für die Nation Österreich konstitutiven Mythos ein. Indem er die „Illegalität" der fortgesetzten Produktion von Schmucksteinen betont, rückt er die Firma außerdem in die Nähe von Widerstand. Eine andere „Illegalität" unterschlägt Daniel hingegen: jene des Engagements von Familienmitgliedern für den Nationalsozialismus in der „Verbotszeit" vor 1938. Dafür erfahren wir, dass die Firma Swarovski ihre Mission nicht in der Produktion von Rüstungsgütern sah, wie das Modalverb „müssen" signalisiert, sondern darin, die düstere Welt mit einem Produkt zu verschönern, das an Harmlosigkeit schwer zu überbieten ist: Glasschmucksteine. Auch an diesem Punkt korrespondiert die Darstellung der Firma dem Stereotyp der friedliebenden Österreicherinnen - ein Volk, das bloß die Menschheit mit seiner Kultur, vor allem der Musik, beglücken will. Für den wertvollen Beitrag zu einem „fröhlichen Leben" wurde Swarovski mit einem Aufschwung belohnt so wie Österreich insgesamt nach dem Krieg ein „Wirtschaftswunder" erleben durfte. Zeitungsartikel über Swarovski folgten den Mustern der Selbstdarstellung des Unternehmens: Sie übergingen die NS-Zeit wortlos oder erwähnten nur die Diversifikation in den Optikbereich. Als Swarovski 1995 das hundertjährige Jubiläum feierte, beschäftigten sich die österreichischen Medien besonders intensiv mit der Firma und ihrem neuen Themenpark, den „Kristallwelten". Obwohl aber 1992 eine Studie über die NS-Zeit in Tirol erschienen war, die das Verhalten von Swarovski in einem Kapitel ausführlich dokumentierte, griff bezeichnenderweise nur ein Journalist der „Volksstimme" zu dem Buch. Einzig ein Wochenblatt, das stets jenseits des politischen Konsenses der österreichischen Gesellschaft stand, thematisierte die Rolle von Swarovski während des Zweiten Weltkrieges und die Affinitäten zu einer völkischen Ideologie, die aus manchem der Essays sprechen, die Daniel II. über Jahrzehnte hinweg veröffentlichte. 15

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Vom Tiroler Industriebetrieb

Oliver Kühschelm

zum „Tiroler Multi"

(1945-2000)

Während des Krieges hatten die Schleifmittelerzeugung und die junge Optiksparte Dimensionen erreicht, die ihre Ausgliederung aus dem Wattener Stammwerk sinnvoll erscheinen ließen. 1948 wurde die „Swarovski-Optik" nach Absam verlegt. Bis in die Siebzigerjahre wandte sie sich als einziger Swarovski-Betrieb mit Produkten (Brillengläser, Ferngläser, Zielfernrohre und Teleskope) an die Endverbaucherlnnen. Sie war deshalb der bekannteste Konzernzweig, obwohl sie in ihren Umsätzen stets weit hinter Schmuckstein- und Schleifmittelherstellung zurückblieb. 1975 bot die Firma 450 Personen eine Anstellung und zur Jahrtau send wende zählte sie rund 550 Beschäftigte. Wie die anderen Konzernzweige kennzeichnet sich die Optik durch einen hohen Exportanteil. 16 Die „Tyrolit-Schleifmittelwerke" in Schwaz nahmen 1949 die Fertigung auf. Bald beschritt Tyrolit den Weg der Internationalisierung: 1953 richtete die Firma ihre erste Verkaufsgesellschaft in Mailand ein, der bis heute viele weitere gefolgt sind. Seit Beginn der Sechzigerjahre baute Tyrolit auch Produktionsstätten im Ausland auf: Den Anfang machte die Beteiligung an einer Fabrik in Mexiko und 2002 verfügt Tyrolit über 18 Werke, verteilt rund um den Erdball. Das hochspezialisierte Unternehmen gehört zu den größten Schleifmittelerzeugern Europas und der Welt. In Österreich beschäftigt die Firma seit Jahrzehnten rund 1.000 Personen - je nach Konjunktur etwas mehr oder weniger. Außer in Schwaz, auf das circa ein Drittel des gesamten Produktionsvolumens entfällt, stellt das Unternehmen seit 1992 in Stans Schleifwerkzeuge her.17 Der umsatzstärkste Konzernzweig ist allerdings nach wie vor „Daniel Swarovski & Co" mit Stammsitz in Wattens. 1960 wurden die Erben Kosmanns ausgezahlt und die 1895 errichtete Firma mit der Glaserzeugung vereinigt, die Daniel Swarovski seit 1910/11 allein aufgezogen hatte.18 Gemäß der von Daniel Swarovski geschaffenen corporate culture baute das Unternehmen vor allem auf hohe Qualität und einen technischen Vorsprung gegenüber der Konkurrenz. So begann Swarovski 1958 mit der Hochvakuumbedampfung der Schmucksteine: Diese werden mit dünnen Lagen von Metall versehen, um ihre Brillanz zu erhöhen. 19 In derartige Entwicklungen investierte die Firma viel Geld und Arbeit. 1997 waren 600 Mitarbeiterinnen im Bereich Forschung tätig.20 Nicht zuletzt mit dem Kalkül, Industriespionage zu erschweren, konstruiert man bis heute fast alle für die Produktion nötigen Maschinen selbst. Abgesehen von Verbesserungen der Fertigungsverfahren, um deren Automatisierung sich das Unternehmen seit den Sechzigerjahren bemühte, wurde das Produktportfolio Schritt für Schritt erweitert. 1965 begann Swarovski, Lusterbehänge zu erzeugen, die seit 1977 unter dem Markennamen Strass vertrieben werden. 1967 nahm die Firma die Herstellung und das mechanische Schleifen von synthetischen Edelsteinen auf und seit 1975 bietet sie Schmucksteine an, die auf die Kleidung aufgebügelt werden können. 21

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Den größten Teil seiner Produkte verkauft Swarovski jenseits der österreichischen Grenzen: Die „Neue Zürcher Zeitung" bezifferte 1985 den Exportanteil auf 80 bis 85% des Umsatzes. 55% des im Ausland getätigten Geschäftes entfielen auf Europa, 30% auf Nordamerika, wobei die USA der größte Einzelmarkt waren. 22 Sukzessive baute Swarovski ein Netz von Vertriebsfirmen auf und besitzt längst auch Produktionsstätten im Ausland. Das Geschäft mit dem Kristallglas zeichnete sich freilich durch markante Höhen und Tiefen aus: In der unmittelbaren Nachkriegszeit machte Swarovski glänzende Gewinne. Um 1950 erreichte der Boom für Schmucksteine auf dem US-amerikanischen Markt dank der Popularität von Modeschmuck einen Höhepunkt. 23 Aufgrund der Schnelllebigkeit von Modeströmungen, aber auch weil Konjunkturverschlechterungen eine größere Zurückhaltung bei Ausgaben für Luxusgüter zur Folge haben, durchlebte Swarovski immer wieder schwere Krisen: In den Fünfzigerjahren ebenso wie in den Sechzigern und - am gravierendsten - in den Siebzigern. Als nach dem ersten Ölpreisschock von 1973 weltweit eine Rezession einsetzte, brach der Markt für Schmucksteine und Lusterbehangteile zusammen. Daniel Swarovski & Co. sah sich zu radikalen Maßnahmen veranlasst: In Wattens wurde die Hälfte von damals 2.700 Beschäftigten abgebaut. Heftige Kritik an Swarovski blieb nicht aus. Vielerorts sah man die patriarchalische Befehlspyramide als Wurzel des Übels und forderte, dass die Familienmitglieder sich auf die Eigentümerfunktion zurückziehen sollten. Trotz ihrer Größe waren die Daniel Swarovski & Co. in Wattens, die Optik in Absam und die Tyrolit-Werke in Schwaz noch immer als Kommanditgesellschaften konstituiert. Unternehmensdaten publizierte Swarovski nur ungern, Ertragszahlen gab man aus Prinzip nicht bekannt. Von der Umwandlung in eine Kapitalgesellschaft erwarteten sich viele Beobachterinnen mehr Effizienz und Transparenz. Die Swarovski hielten aber dem öffentlichen Druck Stand. Während sie den Firmenbesitz im Ausland schon 1969 in eine Aktiengesellschaft mit Sitz in der Schweiz eingebracht hatten, vermieden sie bei ihren österreichischen Firmen eine derart einschneidende Veränderung. Immerhin schlossen sie 1977 einen neuen Gesellschaftsvertrag, da die Unternehmensentwicklung den alten von 1949 längst obsolet gemacht hatte. Als Konzernleitung installierte man den sechsköpfigen Beirat. In dieses Gremium entsandte jeder der drei Swarovski-Stämme, die sich von den Söhnen des Gründers herleiten, zwei Mitglieder. Abgestimmt wurde entsprechend der Höhe der Beteiligung am Unternehmen. Daniel II., der bis zu seinem Tod als primus inter pares an der Spitze des Beirats stand, zog sich ebenso wie sein jüngerer Bruder Manfred aus dem Tagesgeschäft zurück, so dass die vierte Generation stärker in den Vordergrund trat.24 Schon 1975 zeichnete sich für Swarovski Licht am Ende des Tunnels ab. Die Glasschleiferei nahm innerhalb des Konzerns bald wieder ihre alte Position als umsatzstärkste Sparte ein und 1977 berichtete die „Tiroler Tageszeitung", dass Swarovski im vergangenen Jahr wieder an das Rekordergebnis

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von 1973 habe anschließen können. 25 Träger des raschen Aufschwungs waren die Souvenirartikel: 1976 nützte Swarovski die Winterolympiade in Innsbruck, um zu testen, wie der Markt auf derartige Produkte reagieren würde. Noch im selben Jahr lancierte die Firma das erste Glastier: eine Maus, die aus Lusterbehangsteinen zusammengesetzt wurde. Weitere Objekte folgten unter dem Namen Silver Crystal. 1988 schrieb der „Trend" ein Drittel des Konzernumsatzes den seit 1976 geschaffenen Markenartikeln zu!26 Aufgrund dieses immensen Erfolges entwickelte das Unternehmen immer mehr Produkte, die direkt die Konsumentinnen ansprachen. 1989 schuf Swarovski die „Daniel Swarovski Collection". Unter dem Label wurden Handtaschen, Gürtel, Aschenbecher, Kerzenhalter, etc. verkauft. Seit 1992 bietet man unter dem Namen „Swarovski Selection" Designobjekte (Vasen, Uhren, Schüsseln und dergleichen) an. 1987 gründete die Firma die „Swarovski Collectors Society". Sie erlaubt eine intensive Betreuung der Sammlerinnen von Kristalltierchen und anderen Objekten, z.B. durch die Herausgabe eines eigenen Magazins. 1995 zählte die Organisation bereits über 200.000 Mitglieder in aller Welt. Als Mastermind des Aufbaus von Markenprodukten wird gemeinhin Gernot Langes-Swarovski (geb. 1943) gehandelt. Er zeichnete im Konzern für Marketing und Verkauf verantwortlich. Im letzteren Bereich intensivierte Swarovski ebenfalls das Engagement. Nachdem das Unternehmen bereits in vielen Ländern Vertriebsgesellschaften gegründet hatte, versuchte es einen weiteren Schritt vertikaler Integration, indem es seine Aktivitäten auf den Einzelhandel ausdehnte. Ende 1986 erwarb Swarovski gemeinsam mit dem kanadischen Partner Peoples, einer Juwelierkette, die Firma Zale, die größte Schmuckhandelskette in den USA. Der Preis für den fünfzigprozentigen Anteil von Swarovski betrug rund 4,25 Milliarden Schilling. Da aber die Transaktion als so genanntes „leveraged buy out" konstruiert war, wurde die Kaufsumme in erster Linie dem erworbenen Unternehmen aufgebürdet. Die Finanzierung erfolgte über die Emission von hochverzinslichen Obligationen, „Junk-Bonds" genannt. In den ersten Jahren schien die Rechnung aufzugehen, da Zale gute Geschäfte machte. 1989 übernahm die Handelsfirma auch ihren wichtigsten Konkurrenten in den USA, die Gordon Jewellery Corporation. Wieder griff man zur Finanzierung mittels Junk-Bonds. Ein Jahr später gerieten die USA in eine Rezession und Zale schlitterte in eine schwere Krise, deren Überwindung eine massive Kapitalzufuhr durch die Eigentümer Peoples und Swarovski erfordert hätte. Innerhalb der Familie Swarovski gewann allerdings die Skepsis gegenüber dem von Gernot Langes-Swarovski eingefädelten US-Abenteuer die Oberhand. 27 1992 musste Zale Konkurs anmelden und 1993 genehmigte der Konkursrichter einen Reorganisationsplan. Die Handelskette wechselte in den Besitz der Gläubigerinnen, die dafür auf Forderungen in der Höhe von 1,6 Milliarden Schilling verzichteten. Swarovski und Peoples büßten natürlich ihren Anteil von je 50% ein. Über den Verlust, den Swarovski erlitt, kursierten ver-

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schiedene Angaben in den Medien, er bewegte sich aber deutlich jenseits der Milliardengrenze. 2 8 Mit diesem finanziellen Fiasko war ein großangelegter Versuch gescheitert, auf dem wichtigsten Auslandsmarkt die gesamte Wertschöpfungskette von der Produktion bis zum Verkauf an die Endverbraucherinnen in den Griff zu bekommen. Der Konzern gab freilich seine Bemühungen in Richtung Einzelhandel nicht auf: 1991 richtete er eine Daniel-Swarovski-Boutique in Paris ein, weitere Geschäfte in Städten wie Singapur, Antwerpen und Mailand folgten. Als im Februar 2002 auf der Wiener Kärntnerstraße ein zweigeschossiges Flagship-Store seine Pforten öffnete, hielt Swarovski schon bei über 250 Geschäften weltweit. 29

„Dynasty" in Tirol: Der Konzernbeirat, 1990er-Jahre

Die Unternehmen der Familie Swarovski orientierten sich seit ihrer Gründung stark am Export und griffen in der Zweiten Republik häufig zu Direktinvestitionen im Ausland, um sich Märkte rund um den Erdball zu erschließen. 1995 waren von 9.640 Mitarbeiterinnen nur noch 5 6 % deutschsprachig 3 0 - ein eindrucksvoller Beleg für die Internationalisierung des Konzerns. Bis zur Jahrtausendwende konnte die Swarovski-Gruppe ihren Umsatz beträchtlich erhöhen und kam nun auf 11.000 Beschäftigte. 6.000 Personen arbeiteten in Österreich für das Unternehmen, davon 3.800 im Stammhaus Wattens. 31

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Jedem Arbeiter sein Einfamilienhaus - die Siedlungspolitik von Swarovski Swarovski galt stets als Musterbeispiel für eine patriarchalische Unternehmenskultur. Die Autorität der Eigentümerfamilie war in ihrem „Reich" unantastbar. Nach außen hin wurde Swarovski jahrzehntelang von Daniel II. repräsentiert, der sich für diese Aufgabe schon aufgrund der Namensgleichheit mit dem Stammvater besonders eignete. Er veröffentlichte in Zeitungen und Büchern zahlreiche Essays, die einen tiefen Einblick in seine Gedankenwelt geben. Die Idee von innerbetrieblicher Mitbestimmung hielt er für absurd. 32 Auf einer solchen kalten Enteignung würde kein Segen ruhen, war sich Daniel gewiss. Seine eigenen Ansprüche stützte er ab, indem er wirtschaftsliberale Ideologeme mit theologischen Überlegungen kombinierte, die auch die Idee der Wiedergeburt als Rechtfertigung der Unterschiede in ererbten gesellschaftlichen Positionen einbezogen. 33 Andererseits tat sich Daniel II. als Unternehmer hervor, dem das Wohlergehen seiner Mitarbeiterinnen am Herzen lag. Sein Verhältnis zur Belegschaft beschrieb er nach bewährten patriarchalischen Mustern: „Ein Familienvater will ja auch, daß alles in Ordnung ist, daß seine Kinder gut lernen und etwas werden und daß ihnen nichts passiert." 34 Wer sich anstrengt, brav und folgsam ist, der sollte belohnt werden. Das Unternehmen gewährte viele freiwillige Sozialleistungen - den Betriebsrat erzog man auf diese Weise zur „Taubstummblindheit", wie der „Trend" beobachtete. 35 Wann immer aber die Medien die „soziale Ader" der Familie rühmen wollten, verwiesen sie vor allem auf das Siedlungsprogramm des Unternehmens. Schon der Firmengründer hatte sich darum bemüht, seinen Arbeiterinnen Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Er baute allerdings in erster Linie Werksund Mietwohnungen in größeren Einheiten. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg richtete man das Augenmerk verstärkt auf die Förderung des Baus von Einfamilienhäusern. Die Arbeiten an der ersten Siedlung begannen 1947 und von da an folgten immer wieder ähnliche Projekte. 1954 gründete die Firma Swarovski, der darin andere Tiroler Unternehmen wie die Planseewerke oder eine ebenfalls in Wattens ansässige Papierfabrik vorausgegangen waren, 36 eine gemeinnützige Siedlungsgesellschaft. Sie erhielt den programmatischen Namen „Landheim". Die Geschäftsführung behielt sich bis 1978 Daniel II. vor, der anschließend in den Aufsichtsrat wechselte. Die Unterstützung, die Swarovski den Arbeitnehmerinnen angedeihen ließ, bestand primär in der Bereitstellung günstiger Darlehen, so dass sich der finanzielle Aufwand für das Unternehmen im Wesentlichen auf einen Zinsverlust beschränkte. Bis heute entstanden auf diese Weise in über 60 Tiroler Gemeinden Wohnungen und Häuser für die Mitarbeiterinnen. 37 Historisch betrachtet entstammt die Idee, die Beschäftigten bei der Erwerbung eines Eigenheims zu unterstützen, dem Kontext bürgerlicher Wohnreform. Die „Verkleinbürgerlichung" der Arbeiterschaft sollte dem verderblichen sozialistischen Gedankengut seine Anziehungskraft nehmen. Jedoch

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wurde das Einfamilienhaus erst in der Wohlstandsgesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem Massenphänomen. 1991 lebten rund 46% der Österreicherinnen in ihrem eigenen Haus. 38 Die Siedlungen, die Swarovski in der Nachkriegszeit errichtete, spiegelten die Erfahrung der Weltwirtschaftskrise und der akuten Ernährungsprobleme, die gegen Ende des Zweiten Weltkriegs aufgetreten waren. Man entschied sich für den Bau von „Gartenheimen", damit die Bewohnerinnen Gemüse anpflanzen und Kleintiere halten konnten. Daniel I. meinte, dass sich die Menschen nicht zu weit von der Erzeugung ihrer Nahrungsmittel entfernen sollten, um in Notzeiten keinen Hunger leiden zu müssen. 39 Obwohl Österreich die Knappheit der ersten Nachkriegsjahre rasch überwand, propagierte Daniel II. als würdiger Nachfolger seines Großvaters unverdrossen das Ideal des Gartenheimes. 40 Überlegungen in Richtung Selbstversorgung hatten ihre praktische Relevanz verloren und so traten in der Vorliebe für Naturnähe Anklänge an eine Ideologie der Bodenständigkeit, wie sie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Heimatschutzbewegung und der Nationalsozialismus gepflegt hatten, offen zu Tage. Aus dem Jahre 1977 stammt ein Text Daniels, der den Titel „Vision vom Wohnhaus und den Lebensverhältnissen der Zukunft" trägt. In der hier entworfenen Utopie haben Gartensiedlungen die chaotischen Urbanen Gefüge ersetzt. Da nun alle Teile der Bevölkerung über ein Stück „Heimatboden" verfügen, sind krasse soziale Unterschiede verschwunden. Arbeitslosigkeit kennt man ebenfalls nur mehr als Problem der Vergangenheit, denn in der Nutzung des eigenen Fleckens Erde findet jede(r) eine lehrreiche und befriedigende Beschäftigung. Frauen sind nicht mehr außer Haus tätig. Das stärkt die Leistungsfähigkeit der Männer, die im Heim Kraft für ihre Tätigkeit an der „Front" schöpfen. Die gesunden Lebensverhältnisse in Siedlungen, wo jeder jeden kennt, bieten der Kriminalität nur noch wenig Raum, wie sie in den anonymen Großstädten blühte. Obwohl man daher keiner Gefängnisse mehr bedarf, sehen die Gesetzbücher nach wie vor die Todesstrafe für Mord und ähnlich schwere Verbrechen vor. Die Verurteilten werden richtigerweise als Selbstmörder betrachtet, weil sie vor Begehen ihrer Untat wissen mussten, welche Strafe ihnen bevorsteht. Den Rahmen für diese schöne neue Welt bilden Staaten, an deren Spitze Fachleute stehen. Es gibt keine politischen Parteien mehr, deren einseitige Interessen jenen des Volksganzen häufig entgegenstanden. „Ihr Streit, der früher als demokratische Errungenschaft angesehen wurde, bewirkte aber, daß echte organische Aufbauarbeit oft nicht eintreten konnte, denn das dazu notwendige innere Mitgehen des Volksganzen wurde laufend gestört. Man weiß jetzt um die Macht des Gedankens und hütet sich vor destruktivem Denken." Der Staat hat sich auch endlich auf seine eigentliche Aufgabe besonnen: für Recht und Ordnung zu sorgen. Er greift nicht mehr störend in den ökonomischen Kreislauf ein. Die Weltwirtschaft bewegt sich ebenfalls längst in stabilen Bahnen, weil ein oberster Wirtschaftsrat nach dem Rechten sieht. Zollhemmnisse, die den

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internationalen Warenaustausch behindern könnten, existieren nicht mehr, die Besteuerung wurde vereinheitlicht und neben dem nationalen Geld eine weltweit gültige Einheitswährung eingeführt. Der Weg in diese Gesellschaft war allerdings beschwerlich: Sie entstand als Resultat eines harten Reinigungsprozesses. Während die Siedler am Lande die ideale Gesellschaft der Zukunft vorwegnahmen, gruppierten sich die Bewohnerinnen der städtischen Betonund Steinwüsten zu Horden, die über „die in gesunden Verhältnissen lebenden" Menschen herfielen. „Zum Schluß lieferten sich die entwurzelten, verkommenen Menschen der untergehenden Großstädte brutale Selbstvernichtungskämpfe, die nur durch Verhängung des Ausnahmezustandes unter Kontrolle gebracht werden konnten. Das war das Signal für die Staatsführungen, Zug um Zug die gesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen, die dann zur allgemeinen Gesundung führten." 41 Die Vorstellungen von Daniel II. präsentieren sich uns als Mischung aus antiurbanistischen und antimodernen Affekten: Der Konzernchef predigt die Vereinbarkeit einer Lebensweise, die an der Subsistenzwirtschaft vergangener Tage Maß nimmt, mit einem ungehemmtem Kapitalismus. Wirtschaftsliberale Überzeugungen paaren sich mit der Begeisterung für politischen Autoritarismus. Dazu kommt ein Blut-und-Boden-Denken. An dieses knüpft sich ein von vielen Widersprüchen geprägtes Eintreten für Naturschutz. Häufig wurde Daniel II. deshalb in den Medien als „grünbewegt" beschrieben, so 1988 in der „Wochenpresse": „Swarovski dachte schon in ökologischen Kategorien, als ,grün' sein noch keineswegs modern war. Bereits 1971 veröffentlichte er ein ,Biologisches Manifest'." 4 2 Das Zitat enthält eine sehr wohlwollende Interpretation der Anschauungen von Daniel II., zumal die als Beleg angeführte Publikation das Adjektiv „biologisch" in einer Weise versteht, die sich in der wiederholten Verwendung des Terminus „volksbiologisch" ausdrückt. 43 Daniel II. bewegte sich zwar mit seinem Engagement, das vielen seiner Mitarbeiterinnen die Realisierung des Traums vom Eigenheim ermöglichte, innerhalb des österreichischen Mainstreams, doch bei näherem Hinsehen offenbart sich eine Weltsicht, die in scharfem Kontrast zu liberaldemokratischen Auffassungen stand. Die Medien bemühten sich dieses Faktum zu ignorieren bzw. als harmlose Schrulligkeit des Industriellen abzutun. Nie stellte man das Siedlungsprogramm der Firma in jenen Kontext, in dem es Daniel Swarovski als sein wichtigster Proponent sehen wollte. Das hegemoniale kulturelle Gedächtnis speicherte zwar das Bemühen des Unternehmens um das Eigenheim als bester aller Wohnformen, nicht aber Aspekte dieses Einsatzes, die auf ideologische Kontinuitäten verweisen, die nicht existieren durften: Hatte es nicht 1945 eine Stunde Null gegeben?

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„Die Herren von Wattens" „Das moderne Wattens ist geprägt von der Glasindustrie Daniel Swarovski und zwar in dem seltenen Maße, daß beide Begriffe schon nahezu identisch und austauschbar sind." 44 So charakterisierte die Festschrift, mit der Wattens 1985 seine Erhebung zum Markt feierte, das Verhältnis zwischen der Gemeinde und ihrem größten Betrieb. Außenstehende sehen das genauso: „Die Swarovskis sind Wattens, und Wattens ist Swarovski", erläuterte das „Profil". 45 Als sich Daniel Swarovski 1895 in Wattens niederließ, zählte der Ort noch keine 800 Einwohnerinnen, 1984 waren es 6.400. Die Steigerung der Bevölkerungszahl um das Achtfache war größtenteils auf die Expansion von Swarovski zurückzuführen. 1984 arbeiteten 1.600 von 2.900 Wattener Berufstätigen für den Konzern. Das entspricht einem Anteil von 55%! Die Firma Daniel Swarovski & Co. ist außerdem der mit Abstand größte Steuerträger, von dem das Wohl und Wehe der kommunalen Finanzen abhängt. Als Bürgermeister fungierte von 1957 bis 1978 im Übrigen Fritz Schiestl, seines Zeichens Prokurist bei Swarovski und mit der Tochter von Wilhelm, dem ältesten Sohn des Firmengründers, verheiratet. Swarovski ist auch in der symbolischen Selbstdarstellung der Gemeinde allgegenwärtig: Im Wappen, das der Ort 1956 erhielt, prangt ein im Quadrat geschliffener Stein als Hinweis auf die Schmucksteinindustrie und aus Anlass der Markterhebung prägte man 1985 eine Erinnerungsmünze, auf deren Avers Daniel Swarovski die Betrachterin anblickt. 46 Die Inszenierung von Daniel (I.) Swarovski erinnert an die kultische Verehrung, die sich monarchische Herrscherinnen von ihren Untertaninnen erwarten durften. Als der Firmengründer 1956 verstarb, beschloss die Gemeinde dem „Wohltäter von Wattens" ein Denkmal zu widmen. Am 2. Oktober 1960 wurde das Monument enthüllt. Bürgermeister Fritz Schiestl erklärte, die Gemeinde habe hiermit „eine Ehrenpflicht" gegenüber dem Manne erfüllt, dem sie ihren Wohlstand verdanke. 47 Im selben Geiste hatte der Innsbrucker Universitätsprofessor Hugo Rahner bei dem am Vortag abgehaltenen Festkommers gefordert, das Denkmal müsse als Dankmal verstanden werden. Die bemerkenswerte Ansprache Rahners ist ein längeres Zitat wert: „Und wenn die Hüllen des Denkmals morgen fallen, dann möge unser Herz anfangen zu sprechen. Dann möge unser Herz sagen: ,Dank dir, Daniel Swarovski, daß du immer geblieben bist, was du in der Not der Anfänge gewesen bist! Dank deinem Herzen, Dank für die Nächte der Arbeit und der Not, Dank für das Durchhalten, wo andere verzweifeln wollten, Dank für alles, was du für die Arbeiter und Mitarbeiter gedacht, gefühlt, geschaffen und, vor allem, gelitten hast. Solange, meine Freunde, diese Verbundenheit mit dem Herzen des Brotvaters von Wattens lebendig bleibt, solange bleibt dein Denkmal, Daniel Swarovski, sinnvoll. Dann ist dein Denkmal wahrhaftig der Inbegriff deiner Vergangenheit, die wir in die Gegenwart hereinversetzen, dann braucht uns auch nicht bange sein für die Zukunft deines

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Werkes und deiner geliebten Heimat in Wattens, die da lebt von deinem großen Herzen.'" 4 8 Rahner adressiert seine Worte an den Verstorbenen in einem vor Pathos triefenden „Daniel unser". Man beachte die Hervorhebung des Leidens, das Daniel gleich Jesu Christi zum Wohle seiner Schützlinge auf sich genommen habe. Indem Rahner de facto ein Gebet an den Firmengründer richtet, betreibt er dessen Apotheose. Im Vergleich dazu wirkt die häufig anzutreffende Titulierung Daniels als Vater von Wattens recht bescheiden. Sie bildet aber nur die familiäre Komponente des Dreiklangs Gott - Herrscher - Vater, wie man sie aus der monarchischen Repräsentation kennt.

Enthüllung des D e n k m a l s f ü r Daniel Swarovski, 1960

Der Bildhauer Gustinus Ambrosi, Schöpfer des drei Meter hohen bronzenen Standbilds, verfasste für die Enthüllungsfeier einen Prolog, der uns ζ. B. über die symbolische Bedeutung der Handhaltung des verewigten Firmengründers aufklärt: „Die Rechte öffnet sich, die Vaterhand // die gütige, die auch so gerne gab // die Linke hält die Rolle der Patente [..,]" 49 Mancher Herrscher wird mit einem Gesetzespatent in Händen dargestellt und Schriftstellern gern eines ihrer Werke beigegeben. Das Denkmal für Daniel Swarovski befindet sich am Schnittpunkt solcher Assoziationen: Es zeigt uns sowohl den „König von Wattens", 50 dessen Wort Gesetz ist, als auch den Erfinder, dessen Werk den Ort zum Erblühen brachte. Der eherne Firmengründer steht mit dem Rücken zu seinem Betrieb. Das veranlasste in der Krise von 1974/75 einen Wattener Pensionisten gegenüber der „Presse" zu der maliziösen Bemerkung: „Die wer'n scho g'wußt hab'n,

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warum's ihn so aufgeteilt hab'n, daß er von der Fabrik wegschaut." 5 1 Mit Bezug auf die Massenentlassungen meinte der Rentner auch noch: „Wenn das der alte Swarovski sehen könnt', im Grab tät er sich umdreh'n!" Indem er den mythisierten Vater von Betrieb und Gemeinde als Zeugen für die Misere der Gegenwart anrief, bezeugte er dessen gelungene Verankerung im kollektiven Gedächtnis der Wattener Bevölkerung.

„Der Name Swarovski ist ein Tiroler Mythos"52 Swarovski wurde von 16% der durch Fessel-GfK befragten Tirolerinnen als typisch österreichisches Unternehmen angeführt. In keinem anderen Bundesland entsann sich ein ähnlich hoher Prozentsatz dieser Firma (in Kärnten kam Swarovski aber immerhin auf 10% Nennungen). Macht dies Swarovski schon zu einem Tiroler Gedächtnisort? Welcher Rang kommt Swarovski im Vergleich zu anderen lieux de memoire des Landes zu? Um Antworten näherzukommen müssen wir überlegen, was Tirol für seine Bewohnerinnen, aber auch für die übrigen Österreicherinnen repräsentiert. Die Vorstellung von Österreich als dem Land der Berge bezieht sich in hohem Maß auf die Landschaft Tirols, 53 das seit Jahrzehnten alle anderen Bundesländer in puncto Nächtigungszahlen bei weitem übertrifft. 54 Folglich prägt der Tourismus heute das Selbst- und Fremdbild von Tirol. Zuvor hatte die Landwirtschaft Jahrhunderte lang Ökonomie und Gesellschaft dominiert. Nach 1945 sank ihr wirtschaftlicher Stellenwert zwar rapid, sie verlor aber nicht im gleichen Maß an symbolischer Bedeutung - und an politischem Einfluss: Der ÖVP-Bauernbund spielte eine entscheidende Rolle in der Tiroler Politik. Bis 1991 stellte er stets den Landeshauptmann. Die Industrie erfreute sich hingegen schon in den frühen Jahren der Zweiten Republik einer gegenüber der Zwischenkriegszeit gestärkten ökonomischen Position, wozu die Rüstungskonjunktur unter dem NS-Regime und die Neuansiedlungen nach dem Krieg erheblich beigetragen hatten. 55 Gleichwohl gehörte sie bestenfalls am Rande zu jenen Vorstellungen, die über das Wesen Tirols kursierten. Der Jurist und Universitätsprofessor Franz Gschnitzer urteilte 1957 in einem Buch des Titels „Tirol. Geschichtliche Einheit": „Tirol im ganzen genommen ist [...] kein Land für Industrie. Sie würde den lebenswichtigen Fremdenverkehr schädigen und es fehlen die Rohstoffe." 5 6 Seit Gschnitzer seine Auffassung zu Papier brachte, ist zwar einige Zeit vergangen, aber als Indiz für eine gewisse Kontinuität mag man folgenden Satz nehmen, formuliert 1992 bei einer Trauerfeier in Gedenken an Daniel (II.) Swarovski: „Dein Wirken in unserer Heimat Tirol hat tiefe Furchen gezogen im fruchtbaren Boden wirtschaftlichen Wohlergehens abertausender fleißiger Menschen." 5 7 Der Redner Martin Huter war immerhin Präsident der Landesgruppe der Industriellenvereinigung. Um dem Werk des Unternehmers zu huldigen, griff er aber auf eine Metaphorik zurück, die einem

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agrarischen Kontext entstammt und nicht dem einer kapitalistischen und hochindustrialisierten Gesellschaft. 5 8 Das legt es nahe, dem Journalisten Robert Vinatzer recht zu geben, der 1995 konstatierte - wiederum in einem Nachruf, diesmal auf Daniels Bruder Manfred: „In den Köpfen haben wir unsere großartige Industrie nicht verwirklicht." 59 Das „Wir" bezog sich auf das Kollektiv der Tirolerinnen, jedoch stimmen hierin Innen- und Außenperspektive überein, wie eine Studie über die Erlebniswelten der westlichen Bundesländer belegt. Sie basiert auf einer 1990/91 schwerpunktmäßig in Ostösterreich durchgeführten Erhebung. Insgesamt wurden 330 Personen gebeten, Wort- und Bildreize auf die Länder Kärnten, Salzburg, Tirol, Südtirol und Bayern zuzuordnen. Wenig überraschend sahen die Befragten Tirol als Land der hochalpinen Berge, des Skisports und des Brauchtums. Eine leistungsfähige Wirtschaft assoziierten sie hingegen in hohem Maß mit dem benachbarten Bayern. 60 Die gesellschaftliche und politische Entwicklung im deutschen Freistaat lässt sich jedoch in entscheidenden Punkten durchaus mit Tirol vergleichen: In beiden Fällen beherrschte eine christdemokratische Partei nicht nur die politische Szene, sondern ihr Einfluss durchdrang weite Lebensbereiche, und in beiden Ländern suchte man den Ausgleich zwischen einem prononcierten Konservativismus und (wirtschaftlicher) Modernisierung, die soziale Veränderungen mit sich bringt. 6 1 Allerdings wurden in Bayern Industrie und innovative Technik stärker in den Vordergrund geschoben. Die CSU präsentiert sich seit Jahren als Garantin für die gelungene Kombination von „Laptop und Lederhose". An der zuletzt erfolgreicheren deutschen Schwesterpartei orientierte sich Wendelin Weingartner, 1993-2002 Tiroler Landeshauptmann, in seinem Versuch, mit einem zeitgemäßen Politmarketing um Wählerinnen zu werben. Das Ende der absoluten Dominanz der Volkspartei stand spätestens seit dem 1989 eingetretenen Verlust der komfortablen Zweidrittelmehrheit als Drohung im Raum. Das Aufbrechen politischer Strukturen, die jahrzehntelang unveränderlich erschienen, hat seine Ursache in einem raschen gesellschaftlichen Wandel. Vielleicht wird dieser j a in Zukunft Industriekonzerne wie Swarovski zu „zentraleren" Gedächtnisorten auf Ebene des Landes, aber auch Gesamtösterreichs machen. Für die Gegenwart Tirols wird man nicht fehlgehen mit der Behauptung, dass Symbole, die sich mit dem ländlich-agrarischen Bereich und dem Fremdenverkehr verknüpfen, gegenüber industriellen Gedächtnisorten wie Swarovski ein deutliches Übergewicht haben. Für eine exakte Lokalisierung des Konzerns innerhalb einer Hierarchie von Tiroler Erinnerungsfiguren fehlt uns freilich das quantitative Datenmaterial. Anders liegt der Fall, wenn wir die Fragerichtung umdrehen: Wie naheliegend ist es, zu der Firma Swarovski Tirol zu assoziieren? Der Werbewissenschaftler Wolfgang Mayerhofer verknüpfte Erhebungen zum Image der österreichischen Bundesländer mit jenen über Erlebniswelten einzelner Marken, darunter eben auch Swarovski. Das Resultat: Bildreize wie die Nordkette, die Schützen oder das goldene Dachl und Wortreize wie „Berge"

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und „Bergsteiger" wurden in signifikanter Häufigkeit sowohl dem Bundesland Tirol als auch Swarovski zugeordnet. 62 In diesem Ergebnis spiegelt sich das Faktum, dass die Firma Swarovski Hinweise auf Tirol bewusst zu setzen weiß: Zehn Jahre Markenerfolg in Japan feierte man mit Trachtenmusik und Schuhplattlern, und als während der EUPräsidentschaft Österreichs die in Innsbruck tagenden Sozialministerinnen den „Kristallwelten" einen Besuch abstatteten, ließ die Firma die Schützenkompanie und die Swarovski-Musik Wattens aufmarschieren. 63 Eine enge Verknüpfung mit Tirol (und Österreich als Alpenland) ergibt sich aber vor allem durch die Inszenierung der Assoziationskette Kristall - Berg - Wasser. Die Website von Swarovski informiert über das besondere Engagement des Konzerns für Natur und Umwelt. Sie zitiert Daniel II.: „Ein Kristall, rein und klar wie das Wasser: Der Kristall erinnert uns daran, unsere Umwelt rein zu halten." 64 Der Konzern entspricht damit den Anforderungen, die an eine genuin Tiroler Technik gestellt werden: Sauber und naturnahe soll sie sein, keinesfalls darf sie mit rauchenden Schloten und Umweltzerstörung einhergehen. 65 Bei Modeschmuck, Souvenir- und Geschenkartikeln ist trotz der konnotativen Aura des Kristalls die intakte Natur nicht die primäre Erlebnisdimension. Anders liegt der Fall bei den Ferngläsern, den wichtigsten Produkten der Swarovski-Optik. Diese tut sich als besonders „grün" hervor, denn ihre Abnehmerinnen findet sie vor allem unter Jägerinnen, Birdwatcherlnnen und sonstigen Naturliebhaberinnen. Das Unternehmen streicht in seiner Präsentation deshalb seit jeher die Verbindung zur Bergwelt hervor. In einer PR-Beilage zur „Tiroler Tageszeitung" von 1976 liest man über die Arbeitsumgebung, an der sich die Belegschaft erfreut: „Das großartige Bergpanorama vor der Lehrwerkstätte ist eines Hotels würdig. [...] Die Mitarbeiter der Swarovski-Optik arbeiten nicht nur in einer schöneren Umwelt, sie genießen sie auch." 66 Die Wirkung dieser Selbstdarstellung kann man ζ. B. an einer Dokumentation über Swarovski ablesen, die 1995 als „Österreichbild am Sonntag" ausgestrahlt wurde, sich also schon durch die Einbettung in diesen Kontext als Pflege eines Gedächtnisortes erkennen lässt.67 Die Sparte Optik wird vorgestellt, indem wir zunächst eine Bergspitze zu Gesicht bekommen. Anschließend zoomt die Kamera weg, bis wir das im obigen Zitat gepriesene Panorama samt den Betriebsgebäuden sehen. Dazu ertönt die Stimme des Sprechers: „Swarovski-Optik entstand in Absam an den Flanken der Tiroler Berge." Die Swarovski-Optik pflegt sorgfältig ihr Image der Naturverbundenheit: Da Erzeugnisse wie die Ferngläser unter dem Markenzeichen des Habichts verkauft werden, unterstützt sie eine Greifvogelstation des World Wildlife Fund. 1998 errichtete sie außerdem im Hochgebirge eine Beobachtungswarte, die nach Wilhelm, dem Begründer der Optik, benannt wurde. Der hexagonale Glasturm befindet sich nicht auf irgendeinem Berg, sondern auf dem Großglockner, dem als höchster Gipfel des Landes für den österreichischen Symbolhaushalt eine wesentliche Bedeutung zukommt. Die Ortsangabe noch weiter zu präzisieren

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ist in unserem Zusammenhang auch nicht bloße Detailverliebtheit, denn die Warte steht auf der Kaiser-Franz-Josefs-Höhe: „at the spot where Emperor Franz Josef rested on his travels in 1856", wie die englisch gehaltene Website der Swarovski-Optik erklärte, als sie der Autor im Jahr 2001 betrachtete. Dank des Einsatzes von Webcams konnten sich Internet-Userinnen damals sogar an einer halbstündig aktualisierten Aufnahme der Pasterze ergötzen. 68 Als Gegenstand (lokal)patriotischen Stolzes spielen in Österreich Fußballvereine traditionell eine große Rolle. Auch der Ort Wattens verfügte seit 1931 über eine eigene Fußballmannschaft. Als ihr erster Tormann fungierte Daniel (II.) Swarovski. 1967 ging aus dem FC Wattens die Werksportgemeinschaft Swarovski hervor. Diese fusionierte 1971 mit dem Nationalligaverein Wacker Innsbruck. Damit hatte die Firma Swarovski ihren Fuß in die oberste Spielklasse Österreichs gesetzt. Der Verein holte bis 1978 fünfmal den Meistertitel, stieg dann allerdings in die zweite Division ab. Mit seinem Engagement im Fußball lag Swarovski voll im Trend, denn in den späten Sechzigerjahren hatte in Österreich die Blütezeit des Fußball-Sponsoring begonnen. Die Geldgeberinnen stellten damals umstandslos relativ große Summen zur Verfügung. Selbst kleinen Vereinen fiel es leicht, finanzielle Unterstützung zu lukrieren. Ab Mitte der 1970er-Jahre gingen die Sponsoren allerdings verstärkt dazu über, Gegenleistungen zu verlangen, und in der folgenden Dekade begann man die Werbewirksamkeit des Engagements mit wissenschaftlichen Methoden zu überprüfen. Die Begeisterung für das Sponsoring von Fußballvereinen flaute allmählich wieder ab. 69 Gernot Langes-Swarovski war jedoch als Marketingchef von Swarovski zunächst überzeugt, dass es für die Vielzahl unterschiedlicher Artikel des Konzerns keinen prägnanteren gemeinsamen Nenner geben könne als einen Fußballverein - abgesehen vom Firmennamen, und den trugen die Spieler auf ihren Leibchen. 7 0 Das Unternehmen intensivierte in der zweiten Hälfte der Achtzigerjahre seine Aktivitäten im Bereich Fußballsponsoring beträchtlich. Als deutliches Signal für die hochgesteckten Ziele wurde im Juni 1986 Wacker Innsbruck in FC Swarovski Tirol umbenannt. Somit bot sich der Verein explizit nicht nur den Fans der Landeshauptstadt, sondern allen Tirolerinnen als Identifikationsfigur an. Die über das Sportliche hinausweisende Bedeutung des Fußballs besteht unter anderem in seiner Funktion als Forum für die Austragung der Rivalität zwischen der „Provinz" und Wien als Zentrum, das bis in die Sechzigerjahre im Spiel um das runde Leder den Ton angab. So konnte der FC Tirol hinsichtlich der Rekrutierung von Anhängerinnen auf die Mobilisierung von antiwienerischen Ressentiments vertrauen. Jedoch gewann der Verein auch außerhalb Tirols an Boden unter jener Gruppe der Fußballinteressierten, die als Konsumentinnen ohne besondere Vereinsbindung vor allem Leistung erwarteten. Der FC Tirol verkörperte eine hierzulande bis dato nicht gekannte Professionalität, weil die Pläne des Sponsors Swarovski bewusst über den Österreich!-

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sehen Rahmen hinausgingen. Während der schweren Unternehmenskrise 1974/ 75 war beanstandet worden, dass eine Firma, die seit jeher ihre Produkte größtenteils im Ausland verkaufte, Millionen in den Fußballverein Wacker Innsbruck steckte, der jenseits der österreichischen Grenzen kaum wahrgenommen wurde. 71 Der FC Tirol sollte nun aber als Großklub internationalen Standards Furore machen. 72 Gernot Langes-Swarovski, Marketingchef des familieneigenen Konzerns, heuerte den Startrainer Ernst Happel an und investierte erhebliche Summen. Der Verein gewann auch zweimal die österreichische Meisterschaft, die Hoffnungen auf große Erfolge bei den europäischen Bewerben erfüllten sich freilich nicht. Als Ergebnis seines Sponsorings wurde Swarovski in Österreich stark mit Sport assoziiert. 7 3 Die „Neue Zürcher Zeitung" äußerte schon 1979 den Verdacht, dass die breite Öffentlichkeit beim Namen Swarovski eher an den Fußballverein Wacker Innsbruck als an die Erzeugnisse des Unternehmens denke. 7 4 Der „Trend" wiederum schrieb ein Jahrzehnt später Gernot LangesSwarovski „eine für einen Swarovski fast unanständige Bekanntheit" zu und sah diese in seinem Auftreten als „geheimnisumwehter Macher" des FC Tirol begründet. 75 1992 zog sich der Swarovski-Konzern jedoch von seiner Sponsortätigkeit zurück. Der FC Tirol verwandelte sich wieder in Wacker Innsbruck. LangesSwarovski erklärte gegenüber dem „Profil", Ernst Happel habe ihm von einem weiteren Engagement abgeraten, denn „bei der österreichischen Mentalität der Spieler sind dem Fußball bei uns Grenzen gesetzt". 76 Abgesehen von der Enttäuschung über zu geringe Leistungen spielte wohl die Einsicht eine Rolle, dass der Fußball als Instrument f ü r den Transport der W e r b e b o t s c h a f t e n von Swarovski generell problematisch sein könnte. In den 1990er-Jahren schwenkte das Unternehmen auf Kultursponsoring um und auch im Sport ging man neue Wege: 1997 begann Swarovski, ein deutsches Eislaufpaar zu fördern. Eine der Gesellschafterinnen von Swarovski erläuterte diesen Schritt mit dem Hinweis auf die hohe Affinität der Sportart zum Material Kristall. Sie verkörpere dessen Eleganz, Anmut und Ausdruckskraft. 7 7 Statt einer Tiroler Fußballmannschaft zwei deutsche (!) Sportlerinnen zu unterstützen ist nicht gerade ein Zeichen von obstinatem Chauvinismus und durchaus repräsentativ für die Marketingstrategie von Swarovski. Obwohl die Österreicherinnen den Industriekonzern vielfach mit Tirol-typischen Inhalten in Verbindung bringen, definiert er sich in Werbung und Public Relations keineswegs ausschließlich über sein Ursprungsland. Er verwendet das spezifisch Tirolerische durchaus selektiv. Unter diesem Gesichtspunkt ist auch das Abgehen vom traditionellen Markenzeichen zu sehen, dem ein hohes Maß an Lokalkolorit anhaftete. Der Firmengründer hatte sich einst für das Edelweiß entschieden. Diese Alpenblume, deren Name auf eine Tiroler Volksbezeichnung zurückgehen soll, 78 verwies aber nicht nur auf Swarovski. Sie ist bekanntermaßen zugleich ein österreichisches Symbol, das Jahrzehnte hindurch die Ein-Schilling-

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Münze zierte. Schon durch das Markenzeichen die Alpen als Herkunftsgebiet und Österreich als Herkunftsland zu betonen, passte aber anscheinend nicht mehr in das Konzept des Konzerns: 1988 ersetzte Swarovski das Edelweiß durch einen stilisierten Schwan. Die Schriftstellerin Gertraud Fussenegger formulierte in einem Huldigungstext zum Firmenjubiläum: „Das biedermännisch bescheidene Edelweiß mauserte sich zum prachtvollen Schwan." 7 9 In der Tat dürfte das edle Tier mehr als die edle Blume der Botschaft von internationalem Flair, Eleganz und Exklusivität entsprechen, auf die Swarovski zunehmend baute.

Das Firmenlogo: Statt biederem Edelweiß seit 1988 ein edler Schwan

Über die gezielte Steuerung durch das aufwändige Marketing des Unternehmens hinausgehend trieben Veränderungen in der medialen Darstellung seiner Eigentümer den symbolischen Anschluss an die weite Welt voran. Seit jeher befassten sich Firmenporträts mit der Familie, die seit 1895 an den Schalthebeln des Unternehmens sitzt und ihre Macht bis heute nicht an Managerinnen abgegeben hat. Stets unterstrich man den Patriarchalismus der Verhältnisse bei Swarovski. Seit den 1980er-Jahren wurde jedoch ein neues Motto zur Richtschnur in der Berichterstattung: „Dallas" und „Dynasty" in Tirol. Die beiden US-amerikanischen Seifenopern, die allgemein die mediale Aufbereitung von Unternehmerdynastien beeinflusst haben, gaben den Journalistinnen Anleitung zu Inszenierungen, deren Unterhaltungswert höher einzustufen ist als die devote Aufzählung der Wohltaten, welche die Familie ihren Beschäftigten und dem Ort Wattens angedeihen ließ. Die Trennlinie zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten hat sich verschoben: Innerfamiliäre Konflikte, persönliche Tragödien lassen sich entsprechend der Rezeptionsgewohnheiten des Publikums

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als soap opera inszenieren. Ihr besonderer Reiz liegt darin, dass sie von sich behauptet, nicht fiktiv zu sein. Diese Entwicklung ist als Internationalisierung des Wahrnehmungsmusters zu verstehen. Davon unberührt blieb der Bezug auf Tirol und das spezifisch Tirolerische bis heute ein wesentliches Element der Auseinandersetzung mit den Swarovski. Der schon erwähnte Nachruf auf Manfred Swarovski stellte 1995 fest: „So international die Familie auch sein mag, jeder fühlt sich auch in Zürich oder Chicago immer als Wattener. Zu den verwurzelten Tirolern, wie Paul Flora uns gezeichnet hat, gehören auch die Swarovskis. Sie bleiben dem Land und dem Schicksal seiner Menschen verbunden, und genauso wichtig wie ein Geschäftsbericht ist die Frage, wieviel Schnee im Februar am Gilfert liegt. Heimatgefühl ist nicht gekünstelt, sondern gelebt." 80 Den Swarovski attestiert nicht nur der Verfasser dieser Passage ein Heimatgefühl, das sie als echte Tirolerinnen ausweist. Vor allem Daniel II. wurde als volkstümlich und naturverbunden charakterisiert. Aber sogar als der „Trend" 1988 Gernot Langes-Swarovski zum Mann des Jahres wählte und als Musterbeispiel des dynamischen Managers internationalen Formats darstellte, durfte die Betonung der „Erdnähe" des Industriellen nicht fehlen.81 Diese Fremdwahrnehmung trifft sich mit einer Selbstdarstellung, wie sie in einem Interview hervortritt, das Langes-Swarovski 1995 dem Wochenmagazin „News" gab. Die Info-Illustrierte fragte den milliardenschweren Unternehmer, was Luxus für ihn bedeute. Er antwortete: „Die Zeit auf einer Almhütte zu verbringen oder auf einen Berg zu gehen. Das kann ich mir leider nicht leisten. Ab und zu ein bißchen Speck und Brot wäre alles, was ich nötig hätte. Ich bin ein Mensch, der nichts braucht." 82 Langes-Swarovski definiert seine persönliche Auffassung von Luxus, indem er der gängigen Verknüpfung dieses Begriffs mit materiellem Reichtum gezielt entgegenarbeitet. Er vermeidet es damit, den Neid der (vergleichsweise) Besitzlosen zu provozieren. Außerdem signalisiert er Volksverbundenheit in einer Form, die sich perfekt in Klischeevorstellungen einfügt, wonach ein Tiroler am glücklichsten ist, wenn er die freie Natur, am besten auf dem Gipfel eines Berges, genießen kann. Am 20. Februar 1998, dem 188. Todestag von Andreas Hofer, verlieh Wendelin Weingartner dem Unternehmer Gernot Langes-Swarovski das „Ehrenzeichen des Landes Tirol". Bei einem Swarovski, der aktiv in die Geschicke der Firma eingreift, gehört solch eine Auszeichnung zu den Fixpunkten seiner Biographie. Im Jahre 1970 hatten Manfred und Daniel II. das Ehrenzeichen erhalten und auch die Söhne des Firmengründers sowie dieser selbst waren mit den höchsten Auszeichnungen des Landes bedacht worden. 1998 kam also LangesSwarovski an die Reihe. Der Landeshauptmann ließ in seiner Laudatio den Werdegang des Industriellen Revue passieren, wies auf seine unternehmerischen Leistungen ebenso wie seinen Dienst an der Gemeinschaft als Träger verschiedenster Funktionen hin. 83 Darüber hinaus, so betonte Weingartner, verdanke Tirol dem Geehrten und seinem Vetter Christian Schwemberger-Swarovski die

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Gründung der Tyrolean Airways. In der Tat hatten die beiden 1978 die „Aircraft Innsbruck" ins Leben gerufen, aus der zwei Jahre später die Tyrolean Airways hervorgingen. 1988 wurde das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, an der Gernot Langes-Swarovski 9 2 % der Anteile hielt. 1994 stiegen jedoch die Austrian Airlines bei dem regionalen Carrier ein. Die staatliche Fluggesellschaft und die Gernot Langes-Swarovski AG besaßen nun je 42,85 % der Aktien, bis 1998 die AUA zum alleinigen Eigentümer wurde. 84 Es ist augenscheinlich, dass sich die Geschichte der Tyrolean Airways mit Blickrichtung auf das ausgeprägte Landesbewusstsein und die nicht minder starken Anti-WienReflexe der Tirolerlnnnen erzählen lässt. Als Langes-Swarovski das Unternehmen schuf, stand die AUA seinen Absichten reserviert gegenüber. Das Motiv vom wehrhaften Tiroler schwingt mit, wenn Weingartner unterstreicht, dass die Tyrolean Airways „entgegen skeptischer Warnungen vor einer kapitalen Bauchlandung zur erfolgreichsten europäischen Regionalfluggesellschaft aufgestiegen" seien. Die Gründung der Fluglinie fügt dem Bild von Langes-Swarovski ein weiteres Mosaiksteinchen hinzu: modern und international denkend, zugleich aber ein Tiroler mit hohen Verdiensten um sein Heimatland.

Innovation und Internationalisierung - eine österreichische „Weltfirma" Swarovski genieße außerhalb der engeren Standortregion nur geringe Bekanntheit, konstatierte die „Neue Zürcher Zeitung" 1979. 85 Damals hatte Swarovski gerade begonnen, jene Markenartikel zu lancieren, die in den Achtzigerjahren das Bild allmählich wandelten - präziser wäre es wohl zu sagen: Erst diese Produkte führten dazu, dass sich eine breite Öffentlichkeit überhaupt ein Bild von Swarovski machte. Trotzdem brachten natürlich schon zuvor Zeitungen und Fachblätter immer wieder Berichte über die Industriefirma und versuchten ihre Bedeutung im nationalen Rahmen zu bestimmen. In den Nachkriegsjahrzehnten wies man häufig darauf hin, dass Swarovski zu den „wertvollen devisenbringenden Unternehmungen der österreichischen Wirtschaft" zähle oder gar „der größte österreichische Devisenbringer" sei. 86 Stets wurde außerdem hervorgehoben, dass es sich bei Swarovski um eine technisch innovative Firma handle. Die „Industrie-Zeitung" betonte 1960 in einem Artikel über den Schleifmittelerzeuger Tyrolit: Swarovski leiste durch „diese wichtige, wenn auch dem Laien wenig vertraute Produktion - sie dient ja nicht unmittelbar dem Konsum - einen entscheidenden Beitrag dazu, der österreichischen Industrie wichtige Hilfsmittel in die Hand zu geben". Außerdem stelle es „eine besondere Leistung österreichischer Techniker dar, daß unser Land auch auf diesem Spezialgebiet [der Schleifmittelproduktion, Ο. K.] zu einem der führenden Produzenten Europas wurde". Deutlich versuchte die Zeitung, nationalen Stolz zu mobilisieren: Swarovski verdanken wire s, bei der Herstellung von

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Schleifscheiben eine maßgebende Rolle zu spielen. Da aber derartige Erzeugnisse bei Laien im Allgemeinen keine Begeisterungsstürme hervorrufen, fixierte die Überschrift des Artikels die Bedeutung des Investitionsgutes in einer unmissverständlichen Weise: „Steine - die den härtesten Stahl zerschneiden". Während die Stahlproduktion in den Nachkriegsjahrzehnten fast als kategorischer Imperativ, als Selbstzweck erschien, zumindest aber als conditio sine qua non für ein hochindustrialisiertes Land, konnte die Notwendigkeit der Schleifmittelerzeugung nur als hypothetischer Imperativ gefasst werden: „Wir" benötigen Schleifscheiben, um Stahl zu schneiden. Die Betonung dieser finalen Beziehung schuf die Voraussetzung dafür, dass die Rezipientlnnen die Tragweite der Information ermessen konnten, die der Untertitel gab: „Österreich [ist] viertgrößter Schleifmittelexporteur der Welt". Swarovski lieferte dadurch ein Beispiel für nationale Selbstbehauptung: „Was es heißt, sich auf den Märkten führender Industrieländer durchzusetzen, geht aus der Tatsache hervor, daß Deutschland mehr als 50 Fabriken in dieser Branche besitzt." 87 Der Zeitschriftenartikel wendet Mechanismen an, die ein Unternehmen als österreichisches Symbol etablieren können, sofern eine entsprechende Breitenwirkung erreicht wird. Diese Bedingung erfüllte indes Tyrolit zu keiner Zeit. Mit Schleifscheiben ist eben kein Staat zu machen. Der Erinnerungsort Swarovski konstituiert sich schwerpunktmäßig über andere Produkte. Instruktiv ist in dieser Hinsicht ein Interview von „News" mit Andre Heller, der sich beeindruckt vom „Kontinent Swarovski" zeigte: „Wir haben ja alle eine falsche Vorstellung davon. Die meisten sehen nur diese Kristallspielereien, die es auf jedem Flughafen gibt. Daß Swarovski auch die Lüster der Metropolitan-Oper, den Gaultier-Straß und den Glimmer für Madonna kreiert, daran denkt kaum einer." 88 Da Heller zunächst ankündigt, einen falschen Eindruck von der Firma zurechtrücken zu wollen, könnte man auch den Verweis auf Tyrolit oder die Swareflex-Verkehrssicherheitsprodukte erwarten. Die Palette von Swarovski besteht tatsächlich nicht nur aus den erwähnten „Kristallspielereien". Heller erweitert den Horizont aber nicht in Richtung spröder Industrieprodukte, sondern bleibt im Koordinatensystem „Kristall": Der Swarovski-Konzern, Hersteller von Glasartikeln, die man am Flughafen als Souvenir erwerben kann, erfährt seine Nobilitierung dadurch, dass er an der Welt des Mondänen partizipiert. Dem Produkt „Kristall" kann man schwerlich eine klar umrissene Funktionalität zuschreiben; um so leichter lässt es sich mit Bedeutung aufladen, indem man auf die Orte verweist, an denen es anzutreffen ist, und auf die Menschen, die es besitzen. In Zeitungsartikeln zu Swarovski akkumulieren sich deshalb die Informationen über Trägerinnen von Swarovski-Produkten: Greta Garbo, Luciano Pavarotti, Marilyn Monroe (strassbesetztes Kleid bei Kennedy-Geburtstag), Romy Schneider (Kaiserkrone in Sissi), Michael Jackson (Handschuh), Dame Edna (strassbesetzte Brille). Auch über Orte, an denen Kristalllüster von Swarovski hängen, erfährt man: Metropolitan Opera in New York, Schloss Versailles, das Casino „Taj Mahal" von Donald Trump. In solchen Listen spiegelt

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sich die Befindlichkeit westlicher Gesellschaften: Anstelle der früheren scharfen Trennung von Hoch- und Populärkultur eine medientaugliche Mischung demokratisch und durch eine gewisse Beliebigkeit gekennzeichnet. Der Erfolg der Swarovski-Kristalle beruht auch auf ihrer Kompatibilität mit diesem Gesellschaftszustand. Ein Geschäft aus dem Bereich Kristall lieferte den Anlass dafür, dass zum ersten Mal die Internationalität des Konzerns breit thematisiert wurde: Als Swarovski gemeinsam mit einem kanadischen Partner die US-amerikanische Schmuckhandelskette Zale übernahm, setzten sich Wirtschaftsjournalistinnen intensiv mit der Transaktion auseinander. Ihre Dimension umrissen sie stets mit Superlativen. Über den Swarovski-Konzern hieß es, er habe den „Durchbruch zum Weltunternehmen" geschafft. 8 9 Man sprach vom „ersten österreichischen Multi in Privatbesitz" 9 0 . Einige Jahre später wurden allerdings auch die finanziellen Probleme des Schmuckhändlers ausführlich erörtert. Das Wortspiel vom „Zale-Tag" gehörte danach zum Standardrepertoire von Familien- und Firmenportraits. Das Image von Langes, seines Zeichens der größte Einzelgesellschafter des Unternehmenskonglomerates, erhielt zwar ebenso Kratzer wie jenes von Swarovski, nahm jedoch keinen nachhaltigen Schaden. Das Unternehmen erholte sich j a rasch. Die Berichterstattung über den Zale-Deal hatte aber Marksteine für die weitere Auseinandersetzung mit dem Konzern gesetzt. Aus Anlass des hundertjährigen Firmenjubiläums hielt der Journalist Hans Rauscher im „Kurier" fest: „Österreich hat im Unterschied zu anderen kleinen europäischen Ländern keine Weltmarke. Mit einer Ausnahme - Swarovski." 9 1 Der Erfolg des Unternehmens ist Balsam auf die wunden Seelen jener, die neidvoll z . B . nach Schweden oder Finnland blicken: Wo sind „unser" Ikea oder Volvo, „unser" Nokia? In heimischen Medien ist die Klage über den Mangel an österreichischen „Weltkonzernen" ein gängiger Topos. Swarovski lässt sich daher als eine der wenigen ruhmvollen Ausnahmen begreifen. Zu diesen wird seit einiger Zeit auch der Baustoffproduzent Wienerberger gezählt. Eine Formulierung aus einem Artikel des „Profil" über diesen „Global Player" erscheint uns signifikant: „Wienerberger ist zwar ein österreichisches Unternehmen, trotzdem aber weltbekannt." 92 Der Diskurs, in dessen Rahmen auch Swarovski gestellt wird, ist abseits von Überlegungen ökonomischer Natur durch eine gewisse Larmoyanz und durch Sehnsucht nach Größe geprägt. Die Österreicherinnen fanden sich einerseits nach 1945 mit der Kleinheit ihres Staates ab, besaß diese doch unleugbare Vorzüge: Auf sie zu verweisen erhöhte die Plausibilität der Selbststilisierung zum Opfer des nationalsozialistischen Deutschland. Andererseits wurde stets der Anspruch erhoben, dass Österreich in bestimmten Bereichen, wie der Hochkultur oder dem Schisport, nach wie vor die Stellung einer Großmacht innehabe. Die Beachtung, die dem Aufstieg Swarovskis seit den Achtzigerjahren geschenkt wurde, steht in einem Spannungsfeld, dessen Pole ein ungebrochener Wunsch nach Weltgeltung und die Vorstellung vom kleinen, harmlosen und gegenüber mächtigen Feinden hilf-

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losen Österreich bilden. Man könnte auch plakativ über eine Dialektik von Infantilisierung und Großmannssucht sprechen, die in Produkten von Swarovski eine gelungene Synthese findet. Dieser Verdacht drängt sich auf, wenn man z. B. in der „Wochenpresse" liest, dass die Kristallobjekte, „die in ihrer glitzernden Niedlichkeit die ganze Welt eroberten" [Hervorhebung Ο. K.], „mittlerweile sogar in Timbuktu oder Manaus" erhältlich seien. 93 Verkörpert Swarovski als Erinnerungsort innovatives Unternehmertum? Die Antwort lautet: Ja, aber mit Einschränkungen. Der wirtschaftliche Aufstieg der Firma fußt auf technischem Know-how, das mit erheblichem Forschungsaufwand einhergeht. Dessen ungeachtet wird zu den verspielten Kristallobjekten, mit denen Swarovski Furore machte, sicher nicht in erster Linie technologische Kompetenz und Innovationsfreudigkeit assoziiert, wenngleich die Einführung des Produktes und seine Platzierung am Markt beides verlangte. Man muss an diesem Punkt Form und Inhalt unterscheiden: Obschon die Existenz des Gedächtnisortes Swarovski auf Neuerungen in Produktion und Marketing beruht, handelt es sich zunächst nur um seine formale Seite und muss sich nicht auf die Inhalte auswirken, die er transportiert. Wenn ein innovatives Unternehmen als typisch österreichisch gilt, so bedeutet das nicht notwendigerweise, dass ihm dieses Etikett gerade seines innovativen Charakters wegen zugewiesen wird. Die Eigenschaft gehört ja nicht zu den Auto- und Heterostereotypen von Österreich, die empirische Untersuchungen immer wieder ermittelt haben. Swarovski bietet indes durchaus Anknüpfungspunkte an das konventionelle Bild vom Land der Berge, der Kultur und des Tourismus. Immerhin stützt sich aber das Marketing des Konzerns weniger auf solche Klischees, als das bei Meinl oder Manner der Fall ist, die zudem stärker Wien-lastig operieren.

Kristallwelten „[...].we will keep the world glittering", 94 versicherte Danny Swarovski, die Gattin eines geschäftsführenden Gesellschafters des Konzerns, dem Publikum der „Seiina Scott Show" des NBC Super Channel. Erzeugnisse aus Kristallglas sollen der Welt noblen Glanz als leicht zu konsumierendes Produkt bieten. Die Affinität zu Botschaften der österreichischen Fremdenverkehrswerbung ist augenfällig. Swarovski unterstützte daher Bemühungen, dem Ausland einen Eindruck des „Imperial Austria" zu vermitteln. Das Unternehmen sponserte sowohl die in Tokio gezeigte Schau „Der Glanz (sie!) des Hauses Habsburg" als auch eine Wanderausstellung durch US-amerikanische Großstädte, die mit über 250 Gemälden, Skulpturen, Waffen und Rüstungen des Landeszeughauses Graz lockte. Der Konzern wollte sich auf diese Weise „als österreichisches Unternehmen und Überbringer österreichischer Kultur, Kunst und Technologie" etablieren. 95

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Die nostalgisch verklärte imperiale Geschichte ist eine Fundgrube von Mythen, die sich für die Vermarktung durch Tourismus- und Kulturindustrie eignen. Die Mechanismen, derer sich die Inszenierungen bedienen, treten bei Figuren wie Kaiserin Elisabeth, vulgo Sissi, deutlich zu Tage. Ihre heutige Bedeutung besteht in den Vorstellungen, für die sie eine geeignete Projektionsfläche bietet. Die Fantasien, die um sie kreisen, lassen sich zwar vielleicht auf Attribute wie reich, schön und unglücklich reduzieren, aber die Trivialität der Geschichte einer echten (weil doch historisch verbürgten!) Märchenprinzessin tut ihrer Wirksamkeit keinen Abbruch. Die Produkte, die auf die Popularität von Elisabeth setzen, sind bekanntermaßen Legion. Auch die Firma Swarovski trug ihren Teil zur Sissi-Vermarktung bei. Sie präsentierte 1995 die „Erzherzogin Barbie", deren Gestaltung sich am berühmten Porträt von Franz Xaver Winterhalter orientierte. Die Firmenzeitschrift informierte über die Details der Aufmachung der auf die handliche Größe von 29 cm geschrumpften Sissi: „Das Kleid von Barbie besteht aus feinstem Seidenchiffon mit händisch eingelegten Goldakzenten und wird von zahlreichen Swarovski-Kristallen gesäumt. Auch in der Ballfrisur der Erzherzogin sind hundert solche Kristalle eingearbeitet." 9 6 Die Barbie-Erzherzogin fungiert als Scharnier zwischen österreichspezifischen Mythen und einer Ebene von Zeichen, die sich in allen westlichen Konsumgesellschaften gleichermaßen dechiffrieren lassen. Sissi bildet zwar einen Teil des österreichischen kulturellen Gedächtnisses; die kostbar gekleidete Barbiepuppe als Signifikant, dem das Signifikat „Märchenprinzessin" entspricht, ist jedoch ein Zeichen, dessen soziale Trägerinnen nicht allein die Österreicherinnen sind. Die Barbie-Erzherzogin kann somit in zwei Richtungen vermitteln: vom Globalen zum Regionalen und umgekehrt. In diesem Fall wurde primär das erstere angestrebt. Swarovski benützte die gut eingeführte Marke Barbie, um eine Devotionalie zu kreieren. Sie kam passenderweise anläßlich einer Ausstellung in der Bad Ischler Kaiservilla zum Verkauf. Die zwölf handgefertigten Exemplare der Sissi-Barbie fanden angeblich begeisterte Abnehmerinnen. Swarovski bedient Sehnsüchte mit (relativ) preisgünstigen Produkten. Das Unternehmen erzeugt billige Kostbarkeiten. Aus dem Blickwinkel der Rhetorik mag sich die Formulierung als Oxymoron, als Kombination von unvereinbaren Gegensätzen, darstellen, doch verlangt der Widerspruch faktisch keineswegs nach Auflösung. Das wird durch die Verkaufszahlen dokumentiert. Hierin unterscheidet sich die Barbie-Erzherzogin nicht von dem blauen Kristallherz, mit dem das Unternehmen ein Schmuckstück namens „Heart of the Ocean" imitierte, das in dem Kassenschlager „Titanic" eine prominente Rolle spielte. Die mediale Aufregung rund um ein Hollywood-Melodrama kann man sich ebensowenig zur Platzierung eines Produktes entgehen lassen wie die hartnäckige Verehrung für eine österreichische Kaiserin. Für die Firma ist es im Grunde genommen irrelevant, welchem Kontext die Objekte einer Begierde entstammen, die sich durch den Erwerb von Erzeugnissen aus Kristallglas stillen lässt. Die

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Anpassung an die Bedürfnisse unterschiedlicher Märkte gehört zum Um und Auf für ein international agierendes Unternehmen und Swarovski scheint sich in diesem Punkt sehr klug zu verhalten: Die Firma gibt sich je nach Erfordernis als „typisch österreichisch" oder als weltgewandter Konzern oder auch als beides zugleich.

Die „Barbie-Erzherzogin" - das Kleid aus Seidenchiffon mit Swarovski-Kristallen gesäumt

Eine von Swarovski finanzierte Ausstellung betitelte sich „Jewels of Fantasy". Sie zeigte die Entwicklung des Modeschmucks vom Jugendstil bis zur Gegenwart. 1991 im Mailänder Museo Teatrale alia Scala eröffnet, machte sie bis 1996 18 Stationen in verschiedenen Städten, darunter in Hongkong, London und New York. 1997 war sie schließlich in leicht veränderter Form in Wattens zu sehen. 1992 begann außerdem „The Cutting Edge: 200 Years of Cut Crystal" in San Francisco eine Tour durch die USA. Die Schau präsentierte Objekte aus geschliffenem Kristallglas. Der Konnex zu den Erzeugnissen von Swarovski leuchtet bei diesen Ausstellungen unmittelbar ein. 97 Sie weisen aber auch auf einen Aspekt hin, der hilft zu erklären, warum die Österreicherinnen den Glaskonzern als nationales Symbol verstehen können: die Orientierung am Gefälligen, die alle Produkte des Unternehmens auszeichnet. Kristalltierchen, gläserne Aschenbecher und Vasen sind Dekorationsartikel. Sie provozieren ästhetisch ebensowenig wie die ins Museale entrückte Kunst vergangener Jahrhunderte, auf die sich die (kultur-)touristische Vermarktung Österreichs und Wiens konzentriert. Sie fügen sich somit glänzend (im wahrsten Sinne des Wortes) in ein verbreitetes Kulturverständnis ein, das vor allem das Angenehme und Unterhaltende schätzt. 98

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Als Volltreffer haben sich in dieser Hinsicht die „Kristallwelten" erwiesen. Ihre Eröffnung markierte den Höhepunkt der Feierlichkeiten, mit denen 1995 des hundertjährigen Bestehens von Swarovski in Wattens gedacht wurde. Das Jubiläum war von langer Hand vorbereitet worden. Schon 1991 referierte ein für das Unternehmen tätiger betriebspsychologischer Berater bei einer Tagung grundsätzliche Überlegungen hinsichtlich des runden „Geburtstages": Man plane einige Aktivitäten für die Sammlerinnen, die zunehmend das Bedürfnis verspürten, das „Mekka des Kristalls" in Wattens zu besuchen. Der Wandel vom Fabrikstandort zum Ort kultureller Begegnung müsse daher vorangetrieben w e r d e n . " Mit der Verwirklichung dieses Anspruchs betraute man schließlich Andre Heller, dessen Name für medienwirksame Inszenierungen bürgt. Der vielseitige Künstler konzipierte die „Kristallwelten", in deren Errichtung Swarovski laut Medienberichten 140 Millionen Schilling investierte. Wattens erhielt eine Touristenattraktion ersten Ranges. Auf einer als Park gestalteten Wiese, die an die Plattenbauten des Unternehmens angrenzt, erhebt sich ein grüner Hügel, der den Kopf eines Riesen darstellt. Über ihn erreicht man die unterirdische Anlage und betritt zunächst eine hohe blitzblaue Halle. In ihr hat die elf Meter hohe und 42 Meter lange Kristallwand, gefüllt mit „12 Tonnen edler Steine", ihren Platz. Außerdem sind Kunstwerke, unter anderem von Keith Haring und Niki de Saint Phalle, aufgestellt. Der so genannte Kristalldom, ein Raum mit 590 Spiegeln, bildet das Herzstück der Kristallwelten. Er soll die Besucherinnen das Innere eines Kristalls erleben lassen. Im „Kristalltheater" von Susanne Schmögner wiederum gibt es „kristallbesetzte Figuren wie aus dem Kabinett eines sehr reichen Exzentrikers mit erlesenstem Geschmack" („Kurier") zu bewundern. Die Kristallwelten locken außerdem mit verblüffenden Eindrücken, die mit Hilfe moderner Computertechnologien geschaffen werden, oder mit Superlativen wie dem größten und dem kleinsten geschliffenen Kristall. Kurz: Der aufwändige Themenpark huldigt in sehr geschickter Weise dem wichtigsten Erzeugnis der Firma Swarovski, dem geschliffenen Glas. 100 Setzen die Kristallwelten auch Österreich in Szene? Diese Ansicht vertrat die Journalistin Kristina Maidt-Zinke, die 1995 für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" über die „Kristallwelten" schrieb. Durch die einleitenden Sätze ihres Textes konfigurierte sie ihn als Annäherung an spezifisch Österreichisches: „Wenn man, von München über Kufstein kommend, mit dem Zug in die Hauptstadt Tirols einfährt, grüßt auf der rechten Seite das ,Kaiser-Franz-Joseph-Jubiläums-Greisenasyl. Der Stadt Innsbruck gewidmet von einem Patrioten'. Österreichischer, weiß man, wird es nun nicht mehr werden. Kurz vorher hat der Reisende, ohne es zu ahnen, neuzeitliches Jubiläumsbauwerk passiert: Zur Linken, von der Bahnstrecke nur ein Stück weit entfernt, in der ansonsten niederschmetternd reizlosen Ortschaft Wattens mehren den Ruhm Österreichs neuerdings die unterirdischen ,Swarovski Kristall weiten' [...]."

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„Wallfahrtsort für eine Marke" - die „Kristallwelten", inszeniert von Andre Heller

Mit den „Kristallwelten" betrat Swarovski Neuland. Welcher österreichische Industriebetrieb hatte sich zuvor schon in einer ähnlichen Weise inszeniert? Das große Fest aus Anlass des hundertjährigen Firmenjubiläums, das am 1. Oktober 1995 stattfand, folgte hingegen etablierten Mustern. Bei einem Unternehmen aus dem heiligen Land Tirol musste ein „pompöser Gottesdienst" am Anfang stehen, wie die „Salzburger Nachrichten" bemerkten. 101 Zelebriert wurde die Messe vom Innsbrucker Bischof Reinhold Stecher in der Marienkirche, deren größte Glocke dem Firmengründer Daniel Swarovski gewidmet ist. Anschließend wechselte die Festgesellschaft auf das Betriebsgelände, um in den Räumlichkeiten der Werkskantine die Feierlichkeiten fortzusetzen. Fritz Verzetnitsch, seines Zeichens Chef des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, kam ebenso zu Wort wie Leopold Maderthaner als Repräsentant der Wirtschaftskammer. Es folgten Reden des Tiroler Landeshauptmanns Wendelin Weingartner sowie des Bundespräsidenten Thomas Klestil und zu guter Letzt überbrachten in einem Festzelt nach einer Ansprache des Wattener Bürgermeisters Otto Mair je ein Minister von SPÖ (Rudolf Schölten) und ÖVP (Martin Bartenstein) ihre Grußworte. Wir erkennen das für die Zweite Republik charakteristische Bemühen, all jene Kräfte, die für den gesellschaftlichen Konsens relevant erscheinen, einzubeziehen: Weltliche und geistliche Macht, Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite, Sozialdemokraten und Konservative, Gemeinde, Land und Bund mussten im gleichen Maß berücksichtigt werden. Sie alle durften im Rahmen eines „kristallklaren Staatsaktes" - wie es der „Kurier" treffend formulierte - der Unternehmerfamilie Swarovski ihre Glückwünsche darbringen. Schon der Gottesdienst hatte die Latte hoch gelegt: Man gab die Krönungsmesse von Mozart und als Evangelium wurde die Parabel gelesen, die von zwei Knechten erzählt, die je fünf Talente erhalten. Während der eine die Geldstücke vergräbt, verdoppelt der andere das Kapital. Wem der Bezug zu Daniel Swarovski entgangen sein

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sollte, den klärte Bischof Stecher in seiner Predigt darüber auf, dass der Firmengründer das Beispiel eines schöpferischen Menschen darstellte, wie Gott ihn wünscht. Die Panegyrik der Festansprachen fand in den „Kristallwelten" eine monumentale Entsprechung. Sie betreiben sehr erfolgreich die Sakralisierung des Unternehmens. Das zeigen die Zeitungsartikel, die über das Wunderwerk zur Zeit seiner Eröffnung erschienen. „News" stellte fest: „Österreich ist um einen Wallfahrtsort reicher." Auch die „Tiroler Tageszeitung" erkannte in dem Themenpark einen „Wallfahrtsort für Kristalliebhaber" und die „Kronenzeitung" sprühte vor Begeisterung ob der Möglichkeit einer „Wallfahrt ins Licht und in die Finsternis". 1 0 2 In Medienberichten wurde außerdem stets die Bedeutung der „Kristallwelten" als „Grotte der Phantasie" und als Verwirklichung eines Traumes (jenes von Andre Heller) hervorgehoben. Sowohl die Rede vom Wallfahrtsort als auch die Betonung des Märchenhaften verweisen auf den entscheidenden Punkt: Die „Kristallwelten" bieten nicht Geschichte als Historiographie, sondern jene Form von Geschichten, die mit einem nicht fixierbaren „Es war einmal" anheben. Über die reale Vergangenheit der Firma erfährt man in dem Themenpark nur Belangloses. Er enthebt die Firma elegant des historischen Diskurses, der stets die Gefahr von Kritik in sich birgt. In den „Kristallwelten" stellt sich die Firma keiner anderen Betrachterin als dem oft bemühten „staunenden Kind" oder dem zum „staunenden Kind" geläuterten Erwachsenen. Hans Rauscher urteilte über die Kristallwelten, sie seien kein „SwarovskiLand", denn der Name Swarovski komme kaum vor. Letzteres mag zutreffen, ersteres hingegen nicht. Über die Inszenierung des Kristallglases thematisiert sich die Firma beständig selbst, ohne den Besucherinnen ihren Namen aufdrängen zu müssen. Swarovski reagierte mit der Schaffung eines Themenparks konsequent auf Gesellschaftsentwicklungen, die dazu geführt haben, dass die klassischen Werbeinstrumente oft nicht mehr genügen, um eine Marke im Bewusstsein der Menschen zu verankern. Die Zahl der Produkte wächst unaufhaltsam, jene der gleichartigen Werbeauftritte ebenso. Zudem konstatieren Expertinnen ein Sinken der Markenloyalität. Als Kaufreiz werden daher zunehmend Erlebnisangebote eingesetzt, die man mit dem Kauf und Besitz einer Ware zu verknüpfen sucht.103 Solche Überlegungen standen auch am Anfang des Projekts, das zum Bau der „Kristallwelten" führte. Den Sammlerinnen der Produkte von Swarovski sollte etwas Besonderes geboten werden, um ihre Bindung an die Marke zu erhöhen. Andre Heller wollte sich freilich nicht als bloßer Urheber eines Firmenmonuments oder gar einer effektvollen Verkaufsshow sehen. Er unterstrich in allen Interviews seine Unabhängigkeit gegenüber dem Auftraggeber. Swarovski habe ihm nur die Realisierung eines Traumes ermöglicht und ihm „mit den zahlreichen Synergieeffekten eines bedeutenden Weltkonzerns geholfen, Brücken über alle Untiefen zu bauen" 104 . Gemäß Heller handelte es sich um ein ideales Verhältnis von Sponsor und Künstler. „Nun haben die Swarovski [...] dem

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Multimediakünstler Andre Heller 140 Millionen Schilling in die Hand gedrückt und machen lassen", übernahm Hans Rauscher im „Kurier" zunächst diese Darstellung. 105 „Herausgekommen ist ein Wallfahrtsort für eine Weltmarke", setzte Rauscher fort - damit ist der Rahmen abgesteckt, in dem sich die Freiheit Hellers bewegte. Dieser explizierte aber Journalistinnen gegenüber immer wieder eine Kunstauffassung, die sich ohnehin ausgezeichnet mit dem kommerziellen Nutzen, den ein Unternehmen anstrebt, in Übereinstimmung bringen lässt. Seine Aussagen zur Bedeutung der „Kristallwelten" kann man dahingehend zusammenfassen, dass es ihm nicht um elitäre Hochkultur ging, sondern um eine mit viel theatralischem Pathos inszenierte „Schule der Sinnlichkeit". Sie verlangt keine Vorbildung von den Besucherinnen, sondern zielt darauf ab, Gleichheit im Staunen herzustellen. Die Großmutter und ihr Enkelkind, der Dichterfürst ebenso wie der Gewerkschaftspräsident müssen die Anlage als „Kaleidoskop sinnlicher Möglichkeiten" erfahren können. Gerne bezeichnete Heller sein Projekt als einen Versuch zeitgenössischer Wunderkammern und bezog sich auf das Vorbild des nahegelegenen Schloss Ambras, in dem Kaiser Ferdinand II. Kunst und Kurioses aufgestellt hatte. Für Hellers Karriere waren die „Kristallwelten" ein Meilenstein: Erstmals hatte er statt einer vergänglichen Inszenierung eine dauerhafte Installation gewagt. Von den in Wattens erzielten Resultaten überzeugt, gab der deutsche Mischkonzern RWE, der wie Swarovski sein hundertjähriges Jubiläum feiern wollte, dem Künstler den Auftrag für einen weiteren Themenpark. Dieser errichtete einen „Meteoriten" auf dem Betriebsgelände des Unternehmens in Essen: Die „Wunderkammern" verlegte er wiederum unter die Erde, während die Oberfläche des Grundstücks einem Park vorbehalten blieb. Auch manche Attraktion erinnert an Hellers Tiroler Schöpfung: Statt eines Kristalldoms kann man sich in Essen an einem Bilderdom ergötzen, einer begehbaren Kugel aus unzähligen Spiegeln. 106 Man muss aber gar nicht über die Landesgrenzen hinweg blicken, um zu erkennen, dass die „Kristallwelten" kein isoliertes Phänomen sind. Andere Themenparks wie z.B. der „Styrassic Park" bei Gleichenberg haben seither eröffnet und noch weit mehr wurden projektiert. So mancher hochfliegende Plan verschwand aber auch bald wieder in der Versenkung (man denke nur an die Weltkugel von Frank Stronach). Geht man historisch weiter zurück, stößt man außerdem auf jene aufwändige Vergnügungsstadt, die der Theaterdirektor Gabor Steiner 1895 unter dem Motto „Venedig in Wien" errichten ließ: Auf rund 50.000 m2 Fläche dehnten sich Nachbildungen venezianischer Bauwerke und mit Gondeln befahrbare Kanäle aus. Neben Restaurants, Cafes, Heurigen und Biergärten fanden sich auf dem Gelände zahlreiche Bühnen, auf denen Konzerte, Lustspiele, Operetten, Ballette, Revuen, etc. gegeben wurden.107 Die Gestaltung künstlicher Freizeitwelten hat also auch in Österreich eine längere Vergangenheit, als man vermuten würde, wenn man die „Kristallwelten" ausschließlich als postmodernes Phänomen betrachtet.

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Andererseits darf man den Zusammenhang mit gesellschaftlichen Trends jüngeren Datums nicht übersehen. Die auffällige Konjunktur künstlicher Ferienwelten hängt damit zusammen, dass die Wohlstandsgesellschaft einen hohen Sättigungsgrad bei Konsumgütern wie Wohnung, Auto, Haushaltsgeräten und Unterhaltungselektronik erreicht hat, auf die sich das Begehren lange Zeit konzentrierte. Somit steigt die Nachfrage breiter Schichten nach kulturell angereicherten Gütern. Künstliche Freizeitwelten befriedigen dieses Bedürfnis, indem sie es vermeiden, durch hochkulturelle Bildungsansprüche soziale Barrieren einzuziehen. Sie stellen auf ein gegenwartsbezogenes sinnliches Erleben ab. Der massierte Einsatz moderner Technologie erlaubt eine Perfektion, die der realen Welt fehlt. Die Freizeitindustrie übernimmt Aufgaben, die früher der Religion und quasi-religiösen „großen Erzählungen" zukamen. Sie macht Glücksversprechungen, stellt Traumwelten und Paradiese bereit. 108 Welche Heilserwartungen z.B. die „Kristallwelten" auf sich ziehen, lässt schon die gängige Apostrophierung des Themenparks als Wallfahrtsort erahnen. Ob Heller mit seinen „Kristallwelten" einen „Guerillakrieg gegen die Wirklichkeit" führt, wie er selbst meint, oder bloß eskapistische Bedürfnisse nach Scheinalternativen befriedigt, ob er ein „Gegen-Disney" oder doch nur eine weitere „Freizeittotschlagmaschine" geschaffen hat, sind Fragen, die sich aufdrängen, die zu entscheiden wir uns allerdings nicht anmaßen werden. Der Swarovski-Themenpark erwies sich rasch als gutes Geschäft. Der Zuspruch des Publikums übertraf alle Erwartungen. In den ersten drei Betriebsjahren statteten dem Themenpark insgesamt 1,8 Millionen Menschen eine Visite ab. Bis 2002 stieg ihre Zahl auf rund 4 Millionen. Allein die Eintrittskarten brachten laut einem Bericht des „Standard" von 1999 jährlich 25 Millionen Schilling an Einnahmen. 109 Dazu kamen noch die Gewinne aus dem Merchandising. Darüber hinaus wurden (und werden) die „Kristallwelten" für Konzerte und Ausstellungen verwendet, an Firmen für Präsentationen vermietet und Brautpaaren offerierte man, „den schönsten Tag ihres Lebens mit einem Fest in einzigartigem Ambiente zu begehen". 110 Da sich die Investitionskosten schnell amortisiert hatten, wurden die „Kristallwelten" seither immer wieder ausgebaut: Das Unternehmen ließ bestehende „Wunderkammern" umgestalten und neue hinzufügen. Adolf Krischanitz plante ein dem Riesen gegenüberliegendes Eingangsgebäude, das die Bewältigung des Besucherandrangs erleichtern sollte; von Anfang an durfte auch der Verkauf von Swarovski-Produkten nicht zu kurz kommen. Der vorläufig letzte Streich war in dieser Hinsicht die Gestaltung eines neuen Shops: 800 m2, entworfen von dem englischen Designer und Architekten Terence Conran, wurden im Dezember 2003 ihrer gewinnträchtigen Bestimmung übergeben.111 Seit ihrem Bestehen gehören die „Kristallwelten" zu den meistfrequentierten Sehenswürdigkeiten Österreichs. Betrachten wir zum Beispiel statistische Daten für 1997:112 Schloss und Tierpark Schönbrunn konnten über eine Million Besucherinnen verbuchen. Mit einigem Respektabstand folgten die Großglock-

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ner Hochalpenstraße und die Festung Hohensalzburg. Auch das Riesenrad und das Wiener Kunsthistorische Museum lagen in der Reihung vor den „Kristallwelten". Innerhalb Tirols waren sie aber konkurrenzlos: 580.000 Personen sahen den Themenpark der Firma Swarovski, den Innsbrucker Alpenzoo besichtigten hingegen nur knapp 250.000 und die Hofkirche, ebenfalls in der Landeshauptstadt, gar nur 150.000. Die populärsten Sehenswürdigkeiten sind zugleich jene, die 1998 im Zuge der für unsere Studie grundlegenden Erhebung von Fessel-GfK auf die Frage nach topographischen Gedächtnisorten am häufigsten genannt wurden. Die „Kristallwelten" findet man in der Umfrage nicht als eigenen lieu de memoire ausgewiesen. Das hängt aber vielleicht damit zusammen, dass der Themenpark erst sehr kurze Zeit existierte und somit nicht dieselbe Würde des Alters für sich in Anspruch nehmen konnte wie z.B. das Riesenrad. Da jedoch die Medien („Der Standard", „Kurier", „Tiroler Tageszeitung") damals bereits ihre Leserinnen wissen ließen, dass der Themenpark von Swarovski auf einer Ebene mit den populärsten österreichischen Sehenswürdigkeiten stehe," 3 erscheint es durchaus möglich, dass sich die „Kristallwelten" in Zukunft ebenfalls als Gedächtnisort sui generis etablieren werden. Swarovski, Firma und Familie, ein lieu de memoire des unternehmerischen Patriarchalismus und ein Medienereignis, ein Gedächtnisort des „Häuselbauens" und seiner ideologischen Untiefen, ein typisch tirolerisches und typisch österreichisches Unternehmen, zugleich aber auch „unser" Multi, ein weltweit agierender Konzern - die „Kristallwelten" fügen dieser komplexen Erinnerungsfigur einen weiteren Aspekt hinzu: Swarovski als Touristenattraktion. Angesichts der (überzogenen) Bedeutung, welche die Österreicherinnen dem Fremdenverkehr beimessen, kann man in der Einrichtung des Themenparks, des „Wallfahrtsortes für eine Weltmarke", einen entscheidenden Schritt für die Etablierung von Swarovski als nationales Symbol erblicken.

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Roman Sandgruber, Ökonomie und Politik. Österreichische Wirtschaftsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Wien 1995, 514. Für die Zeit bis 1938 stützt sich die Darstellung vor allem auf folgende Texte: Daniel Swarovski, Aus meinem Leben, in: Ein Denkmal für Daniel Swarovski, hg. von der Gemeinde Wattens, Wattens 1960, 1 0 - 4 2 ; Die Firma D. Swarovski & Co, in: Marktgemeinde Wattens. Festschrift zur Markterhebung, Wattens 1 9 8 5 , 9 2 - 9 8 ; Vivienne Becker, Swarovski. The Magic of Crystal, New York 1995. Swarovski, Aus meinem Leben, 22. Siehe Herbert Matis und Dieter Stiefel, Unternehmenskultur in Österreich. Ideal und Wirklichkeit, Wien 1987, 123-125. Helmut Alexander, Geschichte der Tiroler Industrie. Aspekte einer Wechsel vollen Geschichte, Innsbruck 1992, 167. Ebd., 165. Ebd., 130 f. Franz Mathis, Big Business in Österreich I. Österreichische Großunternehmen in Kurzdarstellungen, Wien 1987, 318. Horst Schreiber, Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Nazizeit in Tirol, Innsbruck 1994, 138.

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Ebd., 134 f., 140. " Siehe: Dieter Stiefel, Entnazifizierung in Österreich, Wien 1981, 191-206, 213-219. 12 Schreiber, Nazizeit in Tirol, 141. 13 Maria Ebenbichler, Chef Willi, der Wissenschaftler, in: Werkzeitung. Jubiläumsausgabe zur 100. Wiederkehr des Geburtstages des Gründers unserer Werke, Dezember 1962, 91-93. 14 ORF Nachlese, 1988, Nr. 8, 21 f. 15 Hannes Schlosser, Bewahrer der Gralsbotschaft, in: Volksstimme 41/1995, 10; die angesprochene Publikation über die NS-Zeit in Tirol ist: Schreiber, Nazizeit in Tirol. 16 Trend 1975, Nr. 12, 82; Tiroler Tageszeitung, 21. April 2000, 17. 17 Mathis, Big Business I, 318 f.; Wirtschaftsblatt, 21. Jänner 1997; Tiroler Tageszeitung, 25. Oktober 1999; Website: www.tyrolit.com, 13. Jänner 2004. 18 Marktgemeinde Wattens, 96. 19 Becker, Magic, 26; Tiroler Tageszeitung, 21. Februar 1995; Crystal News Sondernummer: Manfred Swarovski, 1995, 4. 20 Die Presse, 3. Dezember 1997. 21 Becker, Magic, 28, 31. 22 Neue Zürcher Zeitung, 21. August 1985, 11. 23 Becker, Magic, 25. 24 Neue Zürcher Zeitung, 20. Dezember 1979,10; Trend, 1988, Nr. 1, 131; Wochenpresse, 1988, Nr. 33, 27. 25 Tiroler Tageszeitung, 7. Jänner 1977. 26 Trend 1988, Nr. 1, 122. 27 Wirtschaftswoche 1991, Nr. 47, 43. 28 Wirtschaftswoche 1991, Nr. 8, 32 f., Nr. 47, 4 0 - 4 3 u. Nr. 48, 44 f.; 1992, Nr. 25, 44 f.; Die Presse, 22. Mai 1993, 9. 29 Der Standard, 7. Februar 2002, 22. 30 Crystal News 1995, Nr. 4., V. 31 Tiroler Tageszeitung, 21. April 2000, 17. 32 Daniel Swarowski, „Mitbestimmung" bedeutet kalte Enteignung, in: Die Presse, 9. Mai 1981, 5. 33 Siehe z.B. den Essay „Wiedergeburt - eine nichtchristliche Idee?", in: Daniel Swarovski, Die Zeit ist reif. Zeitgemäße Überlegungen, Essays und Reden, Innsbruck 1981. 34 ORF Nachlese 1988, Nr. 8, 23. 35 Trend 1975, Nr. 12, 90. 36 Alexander, Tiroler Industrie, 195 f. 37 Horst Leitl, Das Siedlungswesen von Swarovski - Raumwirksamkeit einer Idee, Diplomarbeit Univ. Innsbruck 1995. 38 Wolfgang Amann, Wohnbauförderung: Ein Füllhorn für Häuslbauer? in: Wir Häuslbauer. Bauen in Österreich, hg. von Dietmar Steiner, Wien 1998, 32-41, hier 32. 39 Werkzeitung, Jubiläumsausgabe 1960, 8. 40 Siehe z.B.: Daniel Swarovski, Wohnen im Grünen, Innsbruck-Wien 1988. 41 Swarovski, Die Zeit ist reif, 193-225. 42 Wochenpresse 1988, Nr. 33, 29. 43 Daniel Swarovski, Das biologische Manifest. Essays, Wien 1971, 40 u. 42. 44 Marktgemeinde Wattens, 92. 45 Profil 1995, Nr. 39, 50. 46 Marktgemeinde Wattens; Christian Koidl, Die Bedeutung eines großen Industriebetriebes für eine Gemeinde - dargestellt am Beispiel der Fa. D. Swarovski & Co. in der Gemeinde Wattens, Diplomarbeit Univ. Innsbruck 1985. 47 Ein Denkmal für Daniel Swarovski, hg. von der Marktgemeinde Wattens, geleitet von Ludwig Sölder, Innsbruck 1961, 74. 48 Ebd., 58. 49 Ebd., 68. 50 Daniel sei von den Tirolern so bezeichnet worden, berichtete die „Kleine Zeitung" am

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24. Jänner 1956 in ihrem Nachruf auf den Unternehmer. Das Blatt dürfte sich hierin geirrt haben - Daniel firmiert gemeinhin als „Vater von Wattens" - und traf doch einen wesentlichen Aspekt des Verhältnisses von Firmengründer und Gemeinde. Die Presse, 8. März 1975. Aus einem Nachruf auf Manfred Swarovski: Tiroler Wirtschaft 1995, Nr. 8, 4. Stichwort „Tirol", in: Susanne Breuss, Karin Liebhart und Andreas Pribersky, Inszenierungen. Stichwörter zu Österreich, Wien 1995, 315-320. 1990 kam Tirol auf einen Anteil von 32,9% der Nächtigungen, es folgten Salzburg und Kärnten mit 18,4% und 16%. Sandgruber, Ökonomie und Politik, 520. Josef Nussbaumer, Wirtschaftlicherund sozialer Wandel in Tirol 1945-1996, in: Tirol. „Land im Gebirge": Zwischen Tradition und Moderne, hg. von Michael Gehler, Wien-Köln-Weimar 1999, 139-220. Zit. nach: Michael Gehler, Einleitung, in: ders., Tirol, 7 - 2 3 , hier 7. Tiroler Wirtschaft 1992, Nr. 27, 5. Zum Übergewicht der Figur des Bauern über jene des Technikers/Erfinders siehe: Helmut Alexander, Technik und Landesbewußtsein in Tirol, in: Technik, Politik, Identität. Funktionalisierung von Technik für die Ausbildung regionaler, sozialer und nationaler Selbstbilder in Österreich, hg. von Klaus Plitzner, Stuttgart 1995, 39-51. Tiroler Wirtschaft 1995, Nr. 8, 4. Wolfgang Mayerhofen Imagetransfer. Die Nutzung von Erlebniswelten für die Positionierung von Ländern, Produktgruppen und Marken, Wien 1995, 208-210; eine Darstellung der Studie bei: Manuela Fuchs, Erlebniswelt Bundesländer, Diplomarbeit Univ. Wien 1993. Gehler, Einleitung, 20 f. Mayerhofer, Imagetransfer, 240-242, 252-256. Profil 1985, Nr. 43, 28; Crystal News 1998, Nr. 3, 20. www.swarovski.com, 30. Juni 2001. Alexander, Technik, 48 f. Tiroler Tageszeitung, 30. April 1976, Sonderbeilage „Tiroler Industrie", 9. Kristallwelten - 100 Jahre Swarovski, Fernsehmagazinsbeitrag aus dem Landesstudio Tirol, gesendet am 11. Mai 1995 in ORF 2 als „Österreich-Bild". www.swarovskioptik.com, 30. Mai 2000. Ein Link zur Beobachtungswarte wird derzeit aufgrund des zu geringen Interesses von Seiten der Benutzerinnen nicht mehr angeboten. Auskunft von Swarovski Optik, 26. Februar 2004. Roman Horak und Matthias Marschik, Das Stadion - Facetten des Fußballkonsums in Österreich. Eine empirische Untersuchung, Wien 1997, 77 f. Gernot Langes-Swarovski, Vorwort, in: Dieter Chmelar, Die Alpenkönige. Fußballclub Swarovski Tirol, Wien-München 1987, 5. „Reden wir lieber vom Fußball!", in: Die Presse, 8. März 1975. Siehe: Horak und Marschik, Das Stadion, 15 f.; zum Kontext, in dem sich der von Swarovski ausgehende Professionalisierungsversuch bewegte, ist - abgesehen von anderen Buchpublikationen der beiden Autoren - auch ein kürzerer Beitrag zu empfehlen: Roman Horak und Matthias Marschik, Von Simmering nach Tirol. Verösterreicherung und Internationalisierung als Transformationsmomente der Wiener Fußballkultur, in: Österreichische Zeitschrift für Soziologie, 1992, Nr. 4, 38-59. Mayerhofer, Imagetransfer, 252. Neue Zürcher Zeitung, 20. Dezember 1979, 10. Trend 1988, Nr. 1, 122. Profil 1998, Nr. 45. Crystal News 1997, Nr. 2, 18. Österreich-Lexikon I, Wien 1995, 249. Gertraud Fussenegger, Prolog oder Die Vorgeschichte, in: Crystal News 1995, Nr. 4, III. Nachruf von Robert Vinatzer, in: Tiroler Wirtschaft 1995, Nr. 8, 4. Trend 1988, Nr. 1, 130. News 1995, Nr. 21, 192.

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Die Firmenzeitung zitiert die Laudatio ausführlich: Crystal News 1998, Nr.l, 22. Informationen laut Website: www.tyrolean.at, 25. Mai 2000. Neue Zürcher Zeitung, 20. Dezember 1979, 10. Siehe z.B. die Zeitungsnotizen, die unter der Überschrift „Das Werk und der Tod des Seniorchefs im Spiegel der Presse" in der Werkzeitung, Jubiläumsausgabe 1962 gesammelt sind. Industrie-Zeitung, 1. November 1960. News 1995, Nr. 39, 145. ORF Nachlese 1988, Nr. 8, 22. Wochenpresse 1988, Nr. 33, 27. Kurier, 28. September 1995, 24. Profil 1999, Nr. 26, 63-66, hier 64. Wochenpresse 1988, Nr. 33, 27. Crystal News 1996, Nr. 2, 18. Crystal News 1993, Nr. 1, 25. Crystal News 1995, Nr. 4, 20. Becker, Magic, 38; Crystal News 1993, Nr. 1, 26; News 1993, Nr. 43, 191; Der Standard (Album), 13. Juni 1997, 12. Stichwort „Kulturgroßmacht", in: Breuss, Liebhart und Pribersky, Inszenierungen, 172-176. Bernd Klughardt, Geschichte des Unternehmens Swarovski in Hinblick auf das lOOjährige Firmenjubiläum, in: Familienunternehmen, hg. von Alois Brusatti, Wien 1992, 17-32. Swarovski Kristallwelten, hg. von Andre Heller, Wien 1996; Spaziergang durch die Wunderkammem, in: Swarovski Kristallwelten informieren, August 2002, 9-14. Salzburger Nachrichten, 2. Oktober 1995; zu den Feiern außerdem: Crystal News 1995, Nr. 3, 3 - 4 , 19-21 u. 1995, Nr. 4 , 1 - V ; Tiroler Tageszeitung, 2. Oktober 1995, 11; Kurier, 3. Oktober 1995,21. News 1995, Nr. 39, 144; Tiroler Tageszeitung, 2. Oktober 1995, 11; Marga Swoboda, Wallfahrt ins Licht und in die Finsternis, in: Neue Kronenzeitung, 27. September 1995. Mayerhofer, Imagetransfer, 72, 100-104. News 1995, Nr. 39, 145. Hans Rauscher, Ein Wallfahrtsort für eine Weltmarke, in: Kurier, 28. September 1995, 24. News 1998, Nr. 22, 160 f; Kurier, 29. Mai 1998, 31; Der Standard, 3. Juni 1998, 2. Felix Czeike, Historisches Lexikon Wien 5, Wien 1997, 526 f.; Norbert Rubey und Peter Schoenwald, Venedig in Wien. Theater- und Vergnügungsstadt der Jahrhundertwende, Wien 1996. Vgl. auch im Beitrag von Cecile Cordon und Siglinde Bolbecher in Memoria Austriae II. Horst W. Opaschowski, „Wir schaffen Glückseligkeit!" Anspruch und Wirklichkeit künstlicher Freizeit- und Ferienwelten, in: Kathedralen der Freizeitgesellschaft. Kurzurlaub in Erlebniswelten. Trends, Hintergründe, Auswirkungen, hg. von Jochen Franck und Andreas Würbel, Bergisch-Gladbach 1995, 11-34. Der Standard, 7. April 1999; Kristallwelten informieren, 2. Crystal News 1997, Nr. 4, 22; Wirtschaftsblatt, 13. Mai 1998; Salzburger Nachrichten, 5. Dezember 1998; Wirtschaftsblatt, 13. Mai 1998; Der Standard, 7. April 1999, 11. Der Standard, 7. April 1999, 9. April 2002 u. 5. Dezember 2003. Angaben zitiert nach: Tourismus Marketing Informations System (TourMIS), www. tourmis.wu-wien.ac.at, 22. August 2002. Tiroler Tageszeitung, 30. November 1998; Kurier, 2. Dezember 1998; Der Standard, 3. Juni 1998, 2.

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Atomic, Fischer, Kneissl und Blizzard Die Bretter, die Österreichs Welt bedeuten

Die Skifirmen bilden den industriellen Eckpunkt in einem Dreieck, dem für die österreichische Identität besondere Bedeutung zukommt. Die beiden anderen Komponenten sind Winterfremdenverkehr und alpiner Rennsport. Jede für sich ist ein österreichischer „Gedächtnisort", zusammen genommen ergibt die Dreifaltigkeit die „Skination Nummer eins". Von den Skiherstellern wurde Atomic in der Umfrage von Fessel-Gfk am häufigsten als „typisch österreichisch" eingestuft. 2% der Nennungen entfielen auf den Salzburger Sportartikelhersteller, der zum Zeitpunkt der Erhebung bereits seit einigen Jahren in finnischem Besitz war. Immerhin je 1 % entsannen sich der Firmen Fischer und Kneissl. Erstere trug viele Jahre den selbst verliehenen Ehrentitel „größte Skifabrik der Welt". Letztere pflegte den Stolz, der älteste Hersteller zu sein und bot mit dem „White Star" eines der markantesten Produkte auf. In unserer Liste finden wir schließlich auch noch Blizzard, ebenfalls eine der großen Firmen, die von einem polternd patriarchalischen Eigentümer über Rennerfolge bis hin zum kapitalen unternehmerischen Sturz alles aufweist, was das Bild der österreichischen Skiindustrie prägte. Zu den großen in Österreich ansässigen Erzeugern gehört auch Head, einst ein US-amerikanisches Unternehmen, das Ende der 1960er-Jahre in Vorarlberg eine Fabrikation einrichtete und so allmählich heimisch wurde - allerdings nicht genug, um den Österreicherinnen als nationales Symbol zu gelten, wie uns die Umfrage von 1998 andeutet. Im westlichsten Bundesland hatte im Übrigen auch die Firma Kästle ihren Sitz. Sie verlor schon in den Sechzigerjahren ihre Eigenständigkeit, als der Konkurrent Fischer sie übernahm. Eine noch dramatischere Veränderung brachten aber die Neunzigerjahre, als die Fabrik in Hohenems von ihrem nunmehrigen Besitzer, dem italienischen Benetton-Konzern, geschlossen wurde. Als Ansatzpunkt sei jene Firma genommen, die in der Erhebung am öftesten genannt wurde: Atomic. Sie dürfte in der jüngeren Vergangenheit am klarsten jene Eigenschaften auf den Punkt gebracht haben, die aus der Skiindustrie eine Erinnerungsfigur von nationaler Tragweite machen. Allerdings gehen wir sys-

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tematisch über sie hinaus, weil wir glauben, dass eher die ganze Branche denn ein einzelnes Unternehmen als Gedächtnisort anzusprechen ist. Die geringen Abstände der Nennungen und die historische Entwicklung legen diese Vorgangsweise nahe. Fischer, Kneissl, Blizzard und Atomic buhlten Jahrzehnte hindurch als annähernd gleich starke Konkurrenten um die Gunst der Österreicherinnen. Trotz mancher Unterschiede verblüfft die Ähnlichkeit ihrer Geschichten, die sich rasch als Varianten derselben Story erweisen. Außerdem benötigt die Geschichte der einen Firma jene der anderen, denn die vier Unternehmen sind Gedächtnisorte des Wettbewerbs gegeneinander. Ihre Eigentümer kämpften mit harten Bandagen, nicht nobel zurückhaltend, sondern stets auf das Spektakel einer vor Publikum ausgetragenen Konkurrenz bedacht. Firmen, die Namen wie Atomic oder Blizzard tragen, sind keine Orte beschaulichen Österreichertums, wie das auf Meinl oder Manner zutrifft. Wir haben es vielmehr mit alpenländisch gefärbten Symbolen einer kapitalistischen Leistungsgesellschaft zu tun.

Eine kurze Geschichte der österreichischen Skifabrikation Die ersten Ski wurden in Norwegen hergestellt. Die „Verösterreicherung" des skandinavischen Sportgerätes begann mit Mathias Zdarsky. Begeistert vom 1891 in Deutsch erschienen Bestseller des norwegischen Polarforschers Fritjof Nansen „Auf Schneeschuhen durch Grönland" bestellte er ein Paar Ski aus dessen Heimatland. Zdarsky erkannte jedoch, dass sich seine importierten 2,94 Meter langen Ski nicht für das alpine Gelände eigneten. Kürzere Bretter erwiesen sich als entscheidender Vorteil, ebenso eine von ihm erfundene neue Bindung. Verbesserungen des Sportgerätes und ein mit wissenschaflichem Ehrgeiz betriebenes Studium der Bewegungsabläufe griffen ineinander. Zdarsky entwickelte die „Lilienfelder Skilauftechnik", so der Titel seines 1896 veröffentlichten Standardwerkes. Rasch avancierte sie zur „alpinen" Form des Skilaufs. 1 Die durch Georg Bilgeri ab 1906 aufgebauten Salzburger Skiwerkstätten übernahmen in Österreich die Pionierrolle bei der Erzeugung von größeren Stückzahlen. Die Ski waren Rüstungsgüter für die Armee. 2 In der Zwischenkriegszeit entstanden drei der auch in der Gegenwart bekannten zivilen Firmen, allen voran jene von Franz Kneissl, der 1919 die Wagnerei seines Ziehvaters in Kufstein übernahm. Damals herrschte noch die Meinung, hochwertige Ski würden nur in Norwegen, der Heimat des Skilaufs, produziert. Um eine Lösung für das Imageproblem nicht verlegen, engagierte Kneissl den norwegischen Skispringer Johan Blomseth. Dem Gewährsmann für die Qualität seiner Brettel musste er zwar erst selbst deren Herstellung beibringen, seine Produkte vermarktete er dennoch - so z.B. der Wortlaut einer Anzeige - als „jedem Norweger-Erzeugnis an Güte und Ausführung gleich". „Norwegische Arbeiter, norwegische Arbeitsmethoden", versicherte die Annonce weiters. 3

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Auch die Hohenemser Wagnerei Anton Kästle und die Firma Fischer, beheimatet im oberösterreichischen Ried, wandten sich bereits in der Zwischenkriegszeit mit einigem Erfolg der Skierzeugung zu. Josef Fischer sen. produzierte 1932/33 schon an die 10.000 Paar. Noch vor dem Krieg exportierte er auch bereits in die USA - 1938, als er 30 Personen beschäftigte, immerhin 2.000 Paar.4 Der „Anschluss" an Deutschland und der Zweite Weltkrieg, als die drei Unternehmen für die deutsche Armee lieferten, bildeten weit weniger scharfe Einschnitte in die Firmengeschichten als das Kriegsende. Franz Kneissl sen. kam 1945 ums Leben, sein Sohn Franz jun. führte ab 1946 den Betrieb weiter. 1950 zählte die Belegschaft seines Unternehmens bereits 100 Personen. Kästle nahm erst in diesem Jahr die Produktion wieder auf. Die ebenfalls 1950 in Aspen abgehaltenen Weltmeisterschaften gaben sowohl dem Vorarlberger Unternehmen als auch Kneissl erheblich Auftrieb, da Rennläuferinnen auf den Skiern der beiden Firmen Erfolge erzielten. Josef Fischer hingegen, der 1947 wieder mit der Erzeugung von Ski begann, konzentrierte sich damals noch auf billige und in großer Zahl hergestellte Ski, für deren Verkauf er kein Rennimage benötigte. Dank dieser Politik verzeichnete er eine beeindruckende Produktionsentwicklung. 1947 stellte er 13.000 Paar her, für die Saison 1960/61 schon 120.000.5 In die unmittelbare Nachkriegszeit datieren die Anfänge der Skiproduktion des Mittersillers Anton Arnsteiner jun., der in die 1918 gegründete Tischlerei seines Vaters Anton sen. einstieg. Ab 1953 verkaufte der Pinzgauer Unternehmer seine Erzeugnisse unter der zugkräftigen Marke „Blizzard". Bis 1960 stieg die Zahl der Beschäftigten auf 100 an. 6 Als letzte der fünf bedeutendsten österreichischen Skifirmen entstand ebenfalls in Salzburg Atomic. Alois Rohrmoser hatte nach seiner Wagnerlehre 1952 bei Kästle gearbeitet. Es folgte ein Zwischenspiel in der Schweiz, bis er 1955 eine Wagnerei in Wagrain erwarb. Mit Hilfe eines Darlehens der lokalen Sparkasse schuf er die Voraussetzungen für die Skiherstellung in größeren Mengen. 1957 erzeugte er 2.000 Paar, 1958 waren es 5.000 und 1960 immerhin 10.000. Die Beschäftigtenzahl wuchs von 4 Personen im Gründungsjahr bis 1959 auf 30 an.7 Die Sechzigerjahre waren in der Skibranche die Zeit eines nahezu ungebremsten Aufschwungs. Am massivsten fiel er bei Fischer aus. Bis 1969/70 erhöhte sich der Ausstoß der Firma, die nun stolz darauf verwies, der Welt größte Skifabrik zu sein, auf über eine halbe Million Paar Alpinski. Diese Entwicklung wurde von einem großzügigen Ausbau der Produktionsstätten begleitet. Im Laufe der Sechzigerjahre entstand am Rande von Ried die „Fischer Stadt", zwei riesige Produktionshallen, Zubauten, entsprechend großer Parkplatz, Sozialgebäude. Im Endzustand erreichte das Werk 1971 eine Fläche von 50.000m 2 . Fischer beherrschte 40% des heimischen Marktes, stand für über 50% des österreichischen Skiexportes und visierte die Schallmauer von einer Million Paar Ski jährlich an.8 An zweiter Stelle in Österreich, und dritter weltweit, rangierte Ende der Sechzigerjahre die Firma von Franz Kneissl jun. Er eröffnete 1957

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eine neue, leistungsfähige Fabrik. 1962 nahm er Werk II in Betrieb, zu dem sich 1969 Werk III gesellte. Damit verfügte er über eine Kapazität von 300.000 Paar Ski. 9

Atomic in den Anfangsjahren - links Alois Rohrmoser

Während Fischer und Kneissl goldene Zeiten erlebten, fiel ein anderer prominenter Skierzeuger den Problemen der industriellen Expansion zum Opfer. Die Firma Kästle hatte sich in einem teuren Preissegment positioniert. Auf den Qualitätsski aus Hohenems feierten zwar viele Stars der Fünfziger- und Sechzigerjahre große Erfolge. Die Ausgaben für den Rennsport und die Kosten der technischen Innovationen standen letztlich aber in keinem adäquaten Verhältnis zum Umsatz. Die Hausbank, die Creditanstalt, zwang Anton Kästle 1965 dazu, Unternehmensanteile abzugeben und in den Ruhestand zu gehen. Die von der Bader GmbH geführte Firma erholte sich dennoch nicht und wurde 1968 von Fischer erworben. Der oberösterreichische Hersteller sah in der Marke Kästle mit ihrem elitären Image eine gute Ergänzung zum eigenen Sortiment. 10 Atomic verfolgte dieselbe Strategie, die Fischer den Aufstieg ermöglicht hatte: Die Firma baute mit einem günstigen Produkt hohe Stückzahlen auf. Einige Jahre hindurch bot sie deshalb gar nur zwei Typen zu sehr niedrigen Preisen an. Der Übergang zur industriellen Fertigung wird von der Firmenchronik mit 1966 angesetzt: Seit damals verwendete Atomic elektronisch gesteuerte, vollautomatische Skipressen. Erst auf der durch den Massenabsatz geschaffenen Basis arbeitete sich Atomic auch in teurere Segmente vor. So wie zuvor bei Fischer half der Einstieg in den Rennsport, das Image eines Herstellers von minderwertigen Produkten abzulegen. 1968 errang Olga Pali bei der Olympia-

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de in Grenoble die einzige österreichische Goldmedaille und gab dem Verkauf der Skier aus Wagrain einen wichtigen Impuls. Diesen konnte Rohrmoser optimal nützen, weil er zugleich dem Handel sehr günstige Konditionen gewährte. Im Unterschied etwa zu Marktieader Fischer war er außerdem bereit, Spezialwünsche zu erfüllen. Für Großkunden stellte er Sondermodelle her, die den Atomic-Stern trugen und sich nur in der Typenbezeichnung vom Originalprogramm unterschieden. Für die Intersport-Kette oder Kastner & Ohler produzierte er auch eigene Ski, die nicht unter dem Namen Atomic liefen. Für den US-Konkurrenten Head erzeugte er Metallski in Lohnfertigung." Durch diese sehr pragmatische Absatz- und Produktpolitik vermied er hohe Lagerbestände, selbst als Anfang der Siebzigerjahre die anderen österreichischen Firmen mit Stagnation oder Umsatzeinbußen zu kämpfen hatten. 12 Erzeugte Atomic im Geschäftsjahr 1967/68 erst 20.000 Paar Ski, waren es 1971/72 schon 180.000.13 Seit 1971 wurde außer am Stammsitz in Wagrain auch in einem zweiten, wesentlich größeren Werk im nahen Altenmarkt produziert. Bald überrundete Atomic den etablierten Konkurrenten Kneissl und war somit nach Fischer der zweitgrößte Hersteller des Landes. 14 Bei den österreichischen Konsumentinnen stand Atomic - wie Statistiken zu den Marktanteilen zeigen - seit den Siebzigerjahren sogar am höchsten in der Gunst und verdrängte in dieser Hinsicht auch Fischer aus der Pole-Position. Fischer verlor zugleich international seine Führerschaft: Mitte der Siebzigerjahre wurde der oberösterreichische Hersteller in puncto Produktionszahlen und Umsatz von der französischen Firma Rossignol als weltweite Nummer eins abgelöst. Anders als die österreichischen Firmen baute Rossignol ein Netz kleinerer Produktionsstätten auf, das sich über verschiedene Länder verteilte. Damit verschaffte sich das Unternehmen, das seit 1971 an der Börse notierte, einen direkten, von Zollbarrieren und Wechselkursschwankungen unbeeinträchtigten Zutritt zu interessanten Märkten und konnte flexibel auf die sich ihm jeweils bietenden Bedingungen reagieren. Andererseits begab sich das Unternehmen des Vorteils einer groß dimensionierten und durchrationalisierten Serienproduktion, wie sie Fischer aufzog. Insgesamt übertraf der Ausstoß von Rossignol indes bald deutlich den der österreichischen Konkurrenz. Der Konzern kam 1978 auf bemerkenswerte 1,5 Millionen Paar Ski und verwies Fischer mit 900.000 Paar und Atomic mit 520.000 Paar auf die Plätze. 15 Auch die österreichischen Skifabriken überlegten immer wieder, Produktionsstätten im EWG-Raum oder in den USA zu errichten. Die diesbezüglichen Pläne wurden - im Unterschied zum konsequenten Aufbau von Vertriebsfirmen in den wichtigen Märkten - freilich nie realisiert. Den einzigen Schritt zur Internationalisierung der Ski Produktion tat Rohrmoser, indem er 1977 80% der französischen Firma Dynamic übernahm und 1979 die verbleibenden 20% erwarb. Das 1931 gegründete Unternehmen erzeugte ähnlich wie Kästle exklusive Ski, doch es gelang ihm ebenso wenig wie dem Vorarlberger Betrieb, eine lange Reihe von Rennsporterfolgen - die französische Skilegende Jean-Claude

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Killy gewann bei der Olympiade 1968 alle drei alpinen Herrenbewerbe auf Dynamic - in entsprechende Umsätze umzumünzen. Als Rohrmoser Dynamic erwarb, produzierte die Firma bloß 80.000 Paar im Jahr. Der Salzburger Fabrikant erwartete sich nun eine Abrundung seiner Angebotspalette nach oben und vor allem Präsenz am französischen Markt, den Rossignol dominierte. Hier einzudrängen war f ü r ausländische Skierzeuger nicht leicht, denn die Konsumentinnen der Grande Nation ließen sich so wie die Österreicherinnen beim Skikauf maßgeblich von patriotischen Überlegungen beeinflussen. 1 6 Schon Anfang der Siebzigerjahre kündigte sich an, dass die Zeiten einer relativ problemlosen Expansion aufgrund von Sättigungserscheinungen vorbei waren. Wachstum würde in Zukunft stärker auf Kosten der Mitbewerber gehen. Da man mit großen Serien und entsprechenden Umsätzen eine günstigere Kostenstruktur erzielt, mussten sich die tonangebenden heimischen Skiunternehmen, Fischer, Atomic, Kneissl und Blizzard, darum bemühen, ihre Produktion weiter auszudehnen - zumal angesichts des ungebrochenen Expansionsdranges von Rossignol. An der Wende zu den Achtzigerjahren, als sich das gesamtwirtschaftliche Umfeld international als ungünstig erwies, geriet die Skibranche in eine schwere Krise. Es wurden schlicht um einiges mehr Ski produziert, als der Markt aufzunehmen imstande war. An der Wende zu den Achtzigerjahren blieb weltweit eine Reihe von Skierzeugern auf der Strecke. In Österreich musste Franz Kneissl im Dezember 1980 Konkurs anmelden. Eine Auffanggesellschaft kaufte aus der Masse das Markenzeichen sowie das Warenlager und pachtete die Fabrik. Die Sanierung des Unternehmens begann. Ihr zäher Verlauf drückte sich auch in erneuten Änderungen der Eigentümerstruktur aus. 1989 erwarb eine Investorengruppe um Erhard Grossnig den Skihersteller. Mitte der Achtzigerjahre war Kneissl mit einer Stückzahl von 220.000 Alpinski an abgeschlagener letzter Stelle unter den großen heimischen Erzeugern gelegen. Obwohl das Unternehmen in der Folge innovative Produkte, wie den Big-Foot oder den Ergoski, den 1993 kreierten ersten Carver, vorweisen konnte, musste der Geschäftsführer der „Kneissl & Friends" GmbH 2001 eingestehen: „Wir sind heute keiner der großen Player mehr." Eine Jahresproduktion von 130.000 Paar Ski reichte bei weitem nicht aus, um rentabel zu sein. Selbst in Österreich hatte Kneissl bei den Alpinski einen Marktanteil von nur wenigen Prozent. 2002 entschied die Firma deshalb, ihre Kufsteiner Skiproduktion mit Ausnahme der Fertigung von Topmodellen, einem mengenmäßig kleinen Segment, einzustellen. Die Erzeugung von Brettern der Marke Kneissl sollte in Zukunft ausgerechnet bei Fischer, dem einst schärfsten Konkurrenten, in Auftrag gegeben werden. 17 Generell erholte sich die Branche aber nach den dürren Zeiten zu Beginn der Achtzigerjahre zunächst sichtbar. Hinsichtlich der Erzeugung von Alpinski war Atomic in Österreich unangefochtene Nummer eins, wie die folgende Grafik zeigt. In der Saison 1986/87 stellte die Salzburger Firma 720.000 Paar her, während selbst Fischer um ca. 260.000 Stück weniger produzierte. Umgekehrt

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ließ die Rieder Fabrik ihre Konkurrenten weit hinter sich, wenn es um Langlaufskier ging. Fischer hatte 1971 als erste österreichische Firma die Produktion von nordischen Skiern aufgenommen und entwickelte sich in der einstigen Domäne skandinavischer Firmen zum Weltmarktführer. In Österreich aber blieb bis heute die alpine Variante des Skilaufs das Maß aller Dinge, und so kann man auch aus der Grafik wiederum Hinweise auf die Ursachen der Stärke von Atomic als nationale Identifikationsfigur ablesen. Skiproduktion österreichischer Firmen 1986/87 Angaben in Tausend Paar • Alpinski >o Langlauf • Gesamt

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Quelle: Trend 4/1998, 52

Atomic setzte in den Achtzigerjahren mit voller Kraft seinen Expansionskurs fort. Die Skifabriken in Wagrain und Altenmarkt wurden ausgebaut, außerdem zwei Kraftwerke zur Stromversorgung errichtet. 1982 begann Rohrmoser mit der Skistockproduktion, 1988 übernahm er den Allgäuer Bindungserzeuger Ess und im Jahr darauf den steirischen Skischuherzeuger Koflach. Atomic war zum Komplettanbieter für den Skisport avanciert. Anfang der Neunzigerjahre begann man schließlich, die gerade aufkommenden Inlineskates herzustellen. Damit hatte das Unternehmen seine Aktivitäten auch auf den Sommersportbereich ausgedehnt - ähnlich wie andere Firmen, die diesen Weg schon viel früher gegangen waren. Als Nachteil der Spezialisierung auf Ski hatte sich nämlich die ungleichmäßige Auslastung des teuren Vertriebsnetzes erwiesen. Zugleich hoffte man durch die Erzeugung von Sportartikeln für die wärmere Jahreszeit oder für Indoor-Aktivitäten der Abhängigkeit des Geschäftserfolges von der jeweiligen Schneelage gegenzusteuern. Die Diversifizierung der Produktion sollte das Unternehmen somit krisenfester machen. Am weitestgehenden verfolgte Fischer diese Politik. Anfang der Achtzigerjahre beschloss das Unternehmen, sein Know-how in der Bearbeitung von Metall und Kunststoff zu nützen, indem es sich um Aufträge aus der Luftfahrt-

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Industrie bewarb. Da sich die Erzeugung von Flugzeugkomponenten sehr positiv entwickelte, wurde sie 1989 in eigenes Unternehmen, die Fischer Advanced Composite Components (FACC), ausgegliedert. Nach dem Ausbau des Skiherstellers zu einem vielseitig tätigen Konzern schlug jedoch Anfang der 1990erJahre das Pendel in die andere Richtung aus. Schwere Verluste im Sportartikelbereich nötigten Fischer zu einer drastischen Umstrukturierung: Unter anderem wurden 50% von FACC an die damals noch staatliche Salinen AG abgegeben und Kästle ganz an Benetton verkauft. Die japanische Kanematsu-Group übernahm außerdem 31 % der Firma Fischer.' 8 Nicht allein Fischer stand an der Wende zu den Neunzigerjahren vor gravierenden Problemen. Eine Reihe von Faktoren kumulierten sich zu einer äußerst ungünstigen Situation für die österreichischen Skierzeuger: Mehrere schneearme Winter in Europa, ein von 1985 bis 1987 drastisch sinkender Dollar, dazu Rezessionen auf den wichtigsten Überseemärkten, zuerst in den USA und dann in Japan, dadurch ein schrumpfendes Marktvolumen, das zu massiv ausgebauten Kapazitäten in Widerspruch stand. Neben solchen Konjunkturveränderungen wirkten sich auch längerfristige Verschiebungen im Freizeitverhalten aus: Fernreisen wurden immer beliebter, neue Sportarten kamen auf, darunter eben das von den Skiproduzenten lange unterschätzte Snowboarden, neben dem der alpine Skilauf plötzlich veraltet schien. Bezeichnenderweise musste Atomic, um mit Snowboards zu reüssieren, diese unter der neuen Marke Oxygen präsentieren. Darüber hinaus verloren die österreichischen Skiproduzenten auch in ihrem ureigensten Bereich dramatisch an Terrain. Die französische Firma Salomon, bis dahin nur Bindungs- und Skischuhhersteller, entwickelte den Schalenski, eine neue Bautechnik: Obergurte und Seiten werden dabei nicht aus einzelnen Teilen gefertigt, sondern eine Kunststoffhaut von Kante zu Kante über den Skikern gepresst. Die Innovation, die den Ski optisch attraktiver machte, wurde von der Firma Salomon geschickt vermarktet. Aus Sicht der Erzeuger brachte der Schalenski auch den Vorteil, dass die Produktionskosten gegenüber der herkömmlichen Sandwichbauweise um ein Viertel niedriger ausfielen. Die österreichischen Skihersteller hatten damit die Technologieführerschaft verloren, die Preise für konventionelle Ski gaben stark nach. Bei sinkenden Absätzen mussten die Firmen deshalb massiv investieren, um ebenfalls Schalenski auf den Markt bringen zu können, während die französische Konkurrenz inzwischen den Rahm abschöpfte. 19 Durch ihre verfehlte Produktpolitik in einer ohnehin prekären Lage zusätzlich in Bedrängnis geraten, wurde es für die heimischen Skifabriken eng. Im September 1994 beantragte Rohrmosers langjähriger Kreditgeber, die Bawag, den Konkurs über Atomic. Unter den Interessenten für das Unternehmen kam der finnische Mischkonzern Amer zum Zug, der zuvor schon Blizzard hatte übernehmen wollen. Auch der zweite Salzburger Skiproduzent war längst ins Trudeln geraten. Mit Kapital der Raiffeisen hatte Toni Arnsteiner bis 1988

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eine neue Fabrik errichten lassen, deren Kapazitäten nun aber nicht ausgelastet waren. 1990 stieg die Raiffeisen mit 25,8% bei Blizzard ein, wandelte also ihren Kredit in Eigenkapital um. Im folgenden Jahr räumte Arnsteiner seinem Schwiegersohn Franz Schenner das Feld. Trotz einem massiven Personalabbau erholte sich die Firma nicht nachhaltig und 1995 musste Blizzard Konkurs anmelden. Raiffeisen finanzierte eine Auffanggesellschaft, bis das Unternehmen 1996 an die US-amerikanische Scott Sports Group verkauft werden konnte. Schon 1998 musste sich aber doch wieder Raiffeisen bei Blizzard engagieren. 20 Viel Aufsehen erregte der Fall der HTM-Gruppe. Sie besteht aus dem Skierzeuger Head, dem Bindungshersteller Tyrolia und dem Tauchsportspezialisten Mares. Die „Head Ski Company" wurde 1950 in Maryland gegründet. Sie erwarb ihren Ruf als Pionier des Metallskis. Seit 1969 besaß sie im Vorarlberger Kennelbach eine Produktionsstätte. Seit der Schließung des Werkes in Boulder, Colorado (1980) wurden Ski nur noch in der österreichischen Fabrik hergestellt. 350 Mitarbeiterinnen fertigten damals 180.000 Paar Ski, 1987 hielt die Firma schon bei einer Stückzahl von 600.000 und gehörte somit zu den größten in Österreich produzierenden Unternehmen. 1993 erwarb die Austria Tabak die stark verschuldete HTM-Gruppe. Generaldirektor Beppo Mauhart wollte sich für die Zeit nach dem Ende des Tabakmonopols neue Einnahmequellen erschließen, handelte sich aber vor allem Probleme ein. Die österreichische Konkurrenz war über den Einstieg des staatlichen Unternehmens bei HTM nicht begeistert, auch Finanzminister Ferdinand Lacina stand den Plänen von Mauhart reserviert gegenüber. Er entzog der Austria Tabak in Form von Sonderdividenden bedeutende Geldmittel, die zur Sanierung von HTM fehlten. 1995 konnte dennoch nur eine Finanzspritze von einer Milliarde Schilling den Konkurs verhindern, was Mauhart seinen Posten kostete. HTM wurde nun um eher symbolische 20 Millionen Schilling an den schwedischen Sanierer Johann Eliasch abgegeben. 21 Bei allen österreichischen Skierzeugern waren harte Schnitte nötig, um die Krise zu bewältigen. Nachdem die Firmen, abgesehen von Fischer, neue Eigentümer erhalten hatten, hielt ein nüchterneres Management Einzug. Die Veränderungen lassen sich anhand von Atomic gut darlegen. Die Führungsebene wurde von Amer ausgewechselt, das Personal insgesamt deutlich reduziert, der Stammsitz in Wagrain geschlossen, Produktionsabläufe modifiziert, das Markenprogramm gestrafft. Statt mit Ess-Bindungen, Colt-Skistöcken und KoflachSkischuhen aufzutreten, laufen nun alle Erzeugnisse des Skiausrüstungsbereichs unter dem Namen Atomic. Nur das Snowboard-Equipment wurde nicht einbezogen, sondern die Marke Oxygen weitergeführt. Während 1996 noch Gerüchte kursierten, Amer würde sich von seinem Engagement zurückziehen, entwickelte sich das Investment für den finnischen Konzern im weiteren Verlauf sehr günstig. Auch andere österreichische Firmen machten wieder bessere Geschäfte. Daher konnte (und musste) die Familie Fischer die Firmenanteile des Misch-

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konzerns Kanematsu zurückkaufen, dem die wirtschaftliche Situation in Japan zu schaffen machte. 22 Zum neuerlichen Aufschwung der österreichischen Firmen trugen als Volltreffer der Produktpolitik die Carving-Ski entscheidend bei. Nun geriet zur Abwechslung die französische Konkurrenz ins Hintertreffen. Salomon, Anfang der Neunzigerjahre mit dem Schalenski furios in den Markt eingetreten, musste sich als Folge 1997 in Adidas einen starken Partner nehmen. Gegenwärtig scheinen die „typisch österreichischen" Skifirmen also gerettet. Atomic und die Firma Head, die aber ohnehin nur kurz in heimischem Besitz stand, haben nun ausländische Eigentümer. Fischer, Blizzard und Kneissl sind hingegen (wieder) in österreichischer Hand. Die Zukunft muss indes erst zeigen, ob die Skiausrüstung weiterhin ein Produkt bleibt, das in Österreich erzeugt wird. Fischer z.B. errichtete schon 1987 in der Westukraine eine Langlauffabrik und auch andere Firmen lagerten - wie es generell dem Trend in der Sportartikelbranche entspricht - Teile ihrer Produktion in Billiglohnländer aus.

Eine Vorzeigebranche Als 1980 die Firma Kneissl in Konkurs ging, meinten die „Oberösterreichischen Nachrichten" bedauernd, ein „Synonym für österreichische Produktüberlegenheit" sei nun „tot". Der Verlust schmerzte um so mehr, als das Blatt die Skiindustrie - zu Recht - als den raren Fall einer Branche ansah, in der Österreich vom Ausland mit industrieller Tüchtigkeit assoziiert werde. 23 Die reale Grundlage dieses Prestiges bildete eine Vertriebsstrategie, die sich - im Gegensatz zu der für viele heimische Unternehmen charakteristischen Selbstbeschränkung - nicht mit der Befriedigung der Binnennachfrage begnügte. Der sichere Heimmarkt diente den Skiherstellern bloß als Sprungbrett. 1955 lieferten Gewerbe und Industrie 25 bis 30% ihrer Erzeugnisse ins Ausland, Mitte der Sechzigerjahre waren es schon ca. 65 %. 1990 erwirtschafteten Fischer, Atomic und Blizzard jeweils mehr als 80% ihres Umsatzes im Ausland. 24 Dadurch erreichte Österreich einen bemerkenswerten Anteil an der Weltskiproduktion. 2001 lag er im Bereich Alpinski bei 60%. 25 Den Zusammenhang zwischen Exporterfolg und nationaler Emphase illustriert eine Pressaussendung der Wirtschaftskammer aus dem Jahre 1970, die sich der Ausfuhr österreichischer Ski in die USA widmet. Sie verdient es ausführlich zitiert zu werden: „Und wer sind die Firmen, die sich Jahr für Jahr die größten Schnitten von diesem Kuchen [dem US-Markt für Wintersportartikel, O.K.] abschneiden? Deutsche Firmen? Nein. Schweizerische? Auch nicht. Französische? Daneben getroffen. Italienische? Keine Rede davon. Am Ende gar österreichische?? Unser nicht gerade selbstbewußter Fragesteller will die Antwort kaum glauben:

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Kaum mehr als ein halbes Dutzend österreichischer Firmen - nach internationalen Maßstäben Klein- und Mittelbetriebe - lieferte im Vorjahr 178.000 Paar Ski im Werte von rund 160 Millionen Schilling in die USA, das ist mehr als die einschlägigen Amerika-Exporte der Bundesrepublik Deutschland, Frankreichs, Italiens, der Schweiz, Kanadas, Norwegens, Finnlands, Schwedens und Jugoslawiens zusammengenommen. Jedes vierte Paar Ski, das die Vereinigten Staaten im Vorjahr importierten, stammte aus Österreich! [...] Heute braucht sich Österreich nicht mehr zweitrangig vorzukommen, nicht einmal auf einem so anspruchsvollen und verwöhnten Markt wie den USA: Was für die Deutschen der Auto-Export ist, für die Franzosen die Lieferung von Alkoholika und Parfümeriewaren und für die Schweizer die Uhren-Ausfuhr bedeutet, das ist für uns der Export von Wintersportgeräten geworden. Österreich hat dank einer Handvoll Firmen in den USA etwas erreicht, was noch vor ein paar Jahren niemand für möglich gehalten hätte: es ist zur Großmacht bei Wintersportgeräten geworden." 26 Die Presseaussendung konturiert zunächst mit einer Reihe von erstaunten Fragen die idealtypischen Österreicherinnen als zweifelnde Figuren, denen es an Vertrauen in die unternehmerische Kraft ihres Landes gebricht. Das fehlende Selbstbewusstsein ist ein häufiger Topos, wenn es um die Charakterisierung der Österreicherinnen geht.27 Sanfter Tadel gilt hier diesem Mangel. Die Konfrontation mit imponierenden Fakten soll dem „Fragesteller" wie den Leserinnen des Textes zum Pfingsterlebnis werden, das den Glauben stärkt. Die Nation als quasireligiöses Konstrukt wird so noch in der Darstellung von vermeintlich nüchternen Wirtschaftsdaten erkennbar. Wer von ihren Bürgerinnen die Nation Österreich für klein und unbedeutend hält, was der Text als Normalfall annimmt, dem entgegnet er: Klein ja, aber oho. Keinesfalls „zweitrangig". Österreich ist ein kleines Land, seine Skierzeugung dominiert indes den Weltmarkt. Darin liegt ein wesentliches Element ihrer Verwertbarkeit als nationales Symbol - und zwar als Sinnbild ökonomischer Leistungsfähigkeit, mit dem man sogar gegenüber Nachbarländern wie der Schweiz und Deutschland punkten kann. Das ist nicht selbstverständlich, denn das Wirtschaftswunder der Nachkriegsjahre fiel in der Bundesrepublik noch eindrucksvoller aus als hierzulande und überhaupt hat Deutschland mit seinen über 80 Millionen Einwohnerinnen ein wirtschaftliches Gewicht, an dem sich Österreich nicht messen kann. Die Schweiz scheint in dieser Hinsicht eher zum Vergleich geeignet, doch übertrifft ihr Bruttoinlandsprodukt pro Kopf nach wie vor das österreichische bei weitem. All das schlägt sich in der Fremdwahrnehmung deutlich nieder. So zeigen Untersuchungen zu Österreichs Image in der Welt, durchgeführt in der zweiten Hälfte der Achtzigerjahre unter der Ägide von Günter Schweiger: Gesellschaftlicher Wohlstand, Industrie, Forschung und modernes Management werden eher mit Deutschland und der Schweiz als mit Österreich assoziiert. 28 Die Skiindustrie bildet die rühmliche Ausnahme von der Regel. Die Befragten, Angehörige der Bildungs- und Berufseliten verschiedener europäi-

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scher Staaten, aber auch Japans, der USA und Kanadas, erachteten in diesem Bereich die österreichische Produktkompetenz meist für am höchsten. 29 In der Skiindustrie liegen somit die Verhältnisse klar. Hier können weder die Schweiz noch Deutschland mithalten.

Österreichischer „Ski-Imperialismus" - Inserat von Kästle, 1961

Letzteres ist insofern noch bedeutender, als die Betonung einer positiv belegten Differenz zum „großen Bruder" einen zentralen Punkt der österreichischen Nationsbildung nach 1945 darstellte. In der Verkehrstechnologie wählte jedoch das neue Österreich nach dem Krieg (wie schon zuvor) die deutschen Produkte und Standards zum nie ernstlich in Frage gestellten Maßstab. 30 Es erkannte damit dem Gütezeichen „Made in Germany" Überlegenheit in einem Bereich zu, der für die Wohlstandsgesellschaften des 20. Jahrhunderts eine Hauptrolle spielte. Nun mag sich der „verfreundete" Nachbar aber mit seinen Automarken brüsten, „wir" haben ebenfalls produzierenden Anteil am Traum der Mobilität. Wenn Volkswagen und Opel die Straßen bevölkern, so beherrschen Fischer und Atomic die Pisten. Die größten Konkurrenten der heimischen Skiindustrie hat man allerdings nicht in Deutschland zu suchen. Die französischen Firmen, in erster Linie Rossignol und seit den Neunzigerjahren auch Salomon, sind der „ewige Angstgegner". 31 Ihre Siege und Niederlagen registrierte man ebenso penibel wie jene der französischen Rennläuferinnen, die jahrzehntelang gleich ihren österreichischen Kolleginnen als Aushängeschilder der nationalen Wintersportartikelindustrie fungierten. Ab Mitte der Sechzigerjahre konstatierte man missvergnügt

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den Vormarsch von Rossignol. Die Firma wagte sich 1969 sogar direkt in die Höhle des Löwen: Sie richtete in Österreich eine Niederlassung ein, die sich jedoch auf Verkauf und Marketing beschränkte. Die Überzeugungsarbeit beim Handel war zunächst schwierig. Der lokale Direktor von Rossignol erzählte später: „Von ,Ich war in Frankreich in Kriegsgefangenschaft' bis zum ordinären .Schleich di' haben s' mich alles geheißen." 32 Dennoch konstatierte die „Wochenpresse" 1971 beunruhigt: „Der bisher unbekannte blauweißrote gallische Hahn des französischen Spitzenskis Rossignol wird immer dreister auf Österreichs Pisten." 33 Da die expansive Rossignol AG zur Messlatte für die österreichischen Firmen avanciert war, verbuchte man 1977 mit sichtbarer Befriedigung den Gegenschlag: Rohrmoser konnte „im Land des ausgeprägten Hangs zur Glorie das nationale Heiligtum Dynamic" 34 erwerben. „Mausert sich Atomic zum Skigiganten?", fragte das „Völksblatt" hoffnungsfroh. 35 Mindestens ebenso viel Unheil wie von der französischen Skiindustrie erwartete man sich in den späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahren aus den USA. Als z.B. „der amerikanische Industriegigant Head" 1969 in Vorarlberg eine Produktionsstätte einrichtete, fand die „Presse" seine Dynamik „beunruhigend". 36 Zwei Jahre später wurde Head von American Machine Foundry (AMF) übernommen. Die Gruppe erwarb außerdem die Mehrheit am Wiener Bindungshersteller Tyrolia. Die „Presse" berichtete darüber unter dem Titel „US-Konzerne umwerben Ski-Industrie" und spezifizierte: „Zunehmender Einfluss in der österreichischen Sportartikelbranche bereitet Sorgen." 37 Mit dem Zentrum des westlichen Kapitalismus assoziierte man eine bedrohliche Entwicklung: Da dem Freizeitartikelmarkt rasches Wachstum prognostiziert wurde, schlossen große Konzerne, oft US-amerikanischer Provenienz, die Skiherstellung in ihre Diversifizierungsstrategien ein. So bemühte sich die Whittacker Corporation des Milliardärs Howard Hughes um die Firma Kneissl - jedoch ohne Erfolg. Einerseits überboten die österreichischen Medien einander mit düsteren Prognosen für die heimischen Erzeuger. Andererseits sah man im Interesse von US-Firmen einen Beweis für die Leistungsfähigkeit der heimischen Skiindustrie, um so mehr, als sie ja dem Liebeswerben der amerikanischen Konkurrenz im Unterschied zu anderen europäischen Herstellern nicht nachgab. In patriotischer Aufwallung unterstrichen die „Salzburger Nachrichten" ihren Stolz darüber, „daß die großen österreichischen Skierzeuger nicht zu diesen Flüchtenden von der Verantwortung gehören, sondern den Kampf um die Weltgeltung eines Artikels aufnehmen, der für Österreich so charakteristisch ist, wie Uhren für die Schweiz, Kognak für Frankreich, Maschinen für Deutschland und die Erschließung des Weltraumes durch Amerika und Russland." 38 Optimistisch zeigte sich der „Express": „Es ist ihnen zuzutrauen, den Österreichern, daß sie den ,Geldsäcken' aus den USA die Stirn bieten können." 39 Jenseits von betriebswirtschaftlichen Analysen schlug sich in der Wahrnehmung von US-Firmen die Wirkkraft des Symbols Amerika als Inbegriff des modernen Kapitalismus nieder. Die Konzerne aus Übersee umgab ein Nimbus von überlegener unternehmerischer

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Durchschlagskraft und so bot es sich an, den Wettbewerb um Marktanteile als Kraftprobe zwischen dem David Ski-Österreich und den US-Goliaths zu dramatisieren - manchmal selbstbewusst, manchmal den Zeigefinger mahnend erhoben: Der „Trend" gab sich beispielsweise überzeugt, dass angesichts des Vormarsches der Industriekonglomerate aus God's own country „den Brettl-Industriellen in Gottes eigenem Skiland nur die Alternative zwischen Verkauf oder Zusammenschluss" bleibe. 40

„Die österreichische Lösung" - ein patriotischer Traum? Aufgrund der weltweit beschleunigten Internationalisierung der Wirtschaft erlebt das Schlagwort einer „österreichischen Lösung" seit den Neunzigerjahren eine Hochkonjunktur. Sie ist die Alternative zum „Ausverkauf", ob es nun um die Energiewirtschaft geht, um Banken oder Industrie, Unternehmen in Familienbesitz oder solche in staatlichem Eigentum. Dringend wurden diese Wünsche seit jeher in Krisenzeiten. Als z.B. 1972 und 1973 die Geschäfte für die Skiindustrie insgesamt wenig zufriedenstellend verliefen, richtete die „Presse" an Rohrmoser die Frage, ob nicht doch ein teilweises Zusammengehen der Hersteller zielführend wäre. Das Blatt zitierte den Unternehmer mit der Antwort: „Selbst wenn die Erfolge nachlassen, bleibe ich allein." 41 An diesem Beispiel zeigt sich ein immer wieder kehrendes Muster der medialen Darstellung: vernünftiger Vorschlag - irrationale Ablehnung durch die „Skikaiser". Dass der Schulterschluss gegen die ausländischen Multis nie vollzogen wurde, erklärte man mit der Sturheit von ehemaligen Wagnermeistern, die sich lieber „befetzen" als „alte Feindschaften zu begraben". 42 In den Neunzigerjahren, so suggerierten viele Kommentare, ereilte die patriarchalischen Unternehmer schließlich die Strafe für ein Verhalten, das sie selbst, aber auch die Nation geschädigt hatte: „Die Gefahr, dass eine der wenigen Branchen, die die Welt auf Anhieb mit Österreich verbindet [...] bald von anderswo dirigiert wird, ist groß. Und das ist wohl der größte Fehler, den die Skikaiser aus gegenseitigem Futterneid verursacht haben." 43 Obwohl die Skiindustriellen solchen Plänen nichts abgewinnen konnten, wurde eine Konzentration der heimischen Firmen unter einem Dach über viele Jahre hinweg von den Großbanken ventiliert. Sie verfügten natürlich über Einblick in die Bilanzen ihrer Klienten; Kästle, Kneissl und Fischer hatten sogar in der Creditanstalt dieselbe Hausbank. Die Geldinstitute besaßen somit die nötigen Informationen, um die durch Fusionen zu erwartenden Synergieeffekte zu berechnen. Es lag auf der Hand, dass sich durch höhere Stückzahlen Maschinen und Anlagen besser auslasten ließen. Man hoffte außerdem, dass sich alles Kapital auf die Marke „Österreich" konzentrieren und Reibungsverluste wegfallen würden. Den Banken ging es vor allem um die Minimierung ihres Risikos, denn die Skierzeuger hatten für ihre Expansionspläne massiv Fremdkapital in

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Anspruch nehmen müssen. Freilich deckten sich die Interessen von Kreditgeber und Schuldnern keineswegs. Die Eigentümer wollten schon aus einem patriarchalischen Impetus heraus ihr Reich erhalten. Sie begaben sich des Vorteils eines unproblematischen Binnenmarktes, eines durch „patriotisches" Kaufverhalten der Österreicherinnen vor der Konkurrenz gesicherten Refugiums. Andererseits - so lautete die Argumentation der Skifirmen - wirkte der innerösterreichische Wettbewerb als Innovationspeitsche, die jeden Erzeuger für sich größer werden ließ, als sie es gemeinsam hätten werden können. 44 Außerdem ist die Zusammenführung von Unternehmenskulturen, die jeweils ihre Geschichte und ihren Eigensinn aufweisen, nicht ohne Schwierigkeiten. Fischer erwarb 1968 Kästle, ließ es aber im Wesentlichen bei einer Personalunion des Eigentümers bewenden, zog also keine Fusion im vollen Sinn des Wortes durch. Die Übernahme von Kästle durch Fischer ist das einzige realisierte Beispiel für einen Zusammenschluss als „österreichische Lösung". Pläne gab es hingegen zur Genüge. Anfang der Siebzigerjahre betrieben ζ. B. Tyrolia und die Girozentrale unter Leitung von Josef Taus die Vereinigung der heimischen Skifirmen. Das erfahren wir aus einem Artikel der „Presse" mit dem programmatischen Titel „Start zur Konzentration". 45 Da Rohrmoser, Kneissl und Arnsteiner ihre Selbstständigkeit nicht aufgeben wollten, musste sich Tyrolia jedoch anderweitig nach einem starken Partner umsehen. Man fand ihn schließlich in AMF. Wesentlich mehr Aufmerksamkeit durch die Öffentlichkeit erhielten an der Wende zu den Achtzigerjahren die von der Creditanstalt angestrengten Bemühungen rund um ihren Schuldner Kneissl. Die Bank wollte eine Verbindung ihres Tiroler Klienten mit seiner Rieder Konkurrenz initiieren. Diese schrieb jedoch damals selbst Verluste und zeigte dementsprechend wenig Neigung, in den Kauf von Kneissl zu investieren, zumal sie mit ihren eigenen Marken bereits alle Preis- und Qualitätssegmente abdeckte. Erst als Kneissl Konkurs angemeldet hatte, wodurch sich das Unternehmen für potenzielle Käufer verbilligte, zeigte Fischer größeres Interesse und legte ein Konzept für die Übernahme vor. Das Gegenoffert einer Gruppe um den Schweizer Industriellen Walter Hauenstein lag jedoch finanziell besser. Außerdem schien nach wie vor nicht klar, wie und warum Fischer, der auch ohne Kneissl über enorme Kapazitäten und gut etablierte Marken verfügte, in Kufstein Produktion und Beschäftigung garantieren sollte.46 Erneut Anlass für Überlegungen hinsichtlich eines Zusammenschlusses österreichischer Skierzeuger gaben die Probleme der Branche Anfang der Neunzigerjahre. Nun wurde das Thema so breit diskutiert wie nie zuvor, vor allem rund um den Konkurs von Atomic 1994. Rohrmoser hatte die Idee einer „österreichischen Skilösung", in welcher Form auch immer, stets abgelehnt. Seine Begeisterung dafür entdeckte der Unternehmer erst, als er in dem Schlagwort ein Argument im Kampf gegen seine Hausbank, die Bawag, erblickte. Das Geldinstitut, über Jahrzehnte hindurch Kreditgeber von Atomic, drängte seit längerem darauf, dass ein finanzkräftiger Investor für die Firma gefunden

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werden müsse. Zudem hielt die Bawag den Zeitpunkt für gekommen, ein rationales Management jenseits von patriarchalischen Führungsstrukturen zu installieren. Ihre Vorstellungen liefen auf einen Rückzug des bisherigen Alleineigentümers aus der Geschäftsführung hinaus. Die Bawag sah in dem Sanierer Erhard Grossnig den geeigneten Mann für diese Position. Rohrmoser hingegen erblickte in dem Miteigentümer von Kneissl einen Vertreter der Konkurrenz. Er übertrug als Gegenmaßnahme am 7. September 1994 einem Treuhänderkonsortium 85 % seiner Anteile an der Atomic GmbH. Mit diesem vermeintlichen Coup überraschte er die Öffentlichkeit und düpierte die Bank. Den Medien teilte er mit: Während die Bawag einen ausländischen Partner gesucht habe, laufe nun alles auf eine „österreichische Lösung" hinaus. Im Gespräch war eine Verbindung von Atomic mit Blizzard. Auch Head-Tyrolia-Mares wurde als möglicher Teil einer neuen rotweißroten Gruppe genannt. Die Bawag konnte diesen Spekulationen ebenso wenig abgewinnen wie dem von Rohrmoser eingesetzten Konsortium. Die beteiligten Personen hatten Erfahrung mit der Sanierung von Unternehmen, galten freilich auch als Insolvenzspezialisten, die bereit waren, Probleme auf Kosten der Gläubiger zu lösen. Die Bawag stellte Wechsel fällig und sperrte die Konten von Atomic. Schließlich beantragte sie am 15. September den Konkurs über die Firma. In die Enge getrieben, offerierte Rohrmoser der Bank das Unternehmen zum symbolischen Preis von einem Schilling. Diese stieg darauf aber nicht mehr ein und sowohl über Atomic als auch über den Privatmann Rohrmoser wurde der Konkurs eröffnet. Für das Industrieunternehmen bewarben sich in der Folge mehrere Interessenten, die sich als „österreichische Lösung" präsentierten: Einerseits eine Gruppe von Tiroler Seilbahngesellschaften um den ehemaligen Rennläufer David Zwilling, der übrigens 1974 auf Atomic den Weltmeistertitel in der Abfahrt errungen hatte. Andererseits legte der HTM-Konzern, der im Besitz der Austria Tabak stand, ein Konzept für den Zusammenschluss mit Atomic vor. Die beiden Bieter einigten sich auf ein gemeinsames Vorgehen, das Rennen machte trotzdem der finnische Amer-Konzern. 47 So wie die Ereignisse um den Reifenhersteller Semperit oder der Verkauf von Meinl an Billa/Rewe machte der Ausgang des publizistisch breit getretenen „Dramas" rund um Atomic für die medienkonsumierende Nation sichtbar: Die zunehmende Internationalisierung der Wirtschaft hatte auch Österreich erfasst. Dass eine heimische Großbank für eine ins Trudeln geratene Skifirma einen starken Partner suchte, war nichts Neues. Jedoch sehr wohl, dass sie vorzugsweise an einen ausländischen Investor dachte und dies auch nie verhehlte. Dennoch erwartete ein „Branchenkenner" gegenüber der „Wirtschaftswoche" noch im Oktober 1994 eine Konstruktion großkoalitionär-sozialpartnerschaftlichen Zuschnittes: Man werde eine „österreichische Skilösung" präsentieren, „bei der rote und schwarze Banken einigermaßen gut aussteigen". Immerhin sorgte sich ja nicht nur die gewerkschaftseigene Bawag um die Bonität einer Skifirma, sondern auch die „schwarze" Raiffeisen hatte mit Blizzard Probleme am Hals.48

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Die Vorgangsweise der Bawag und ihr Ergebnis fügten sich indes nicht in solch gängige Interpretationsschemata. Der spektakuläre Konkurs, kombiniert mit dem drohenden „Ausverkauf" des Unternehmens ans Ausland ergab ein dankbares Objekt für symbolische Politik. Bundeskanzler Franz Vranitzky und Viktor Klima, damals Verstaatlichtenminister, sprachen sich für eine „österreichische Lösung" aus. Der Salzburger Landeshauptmann Hans Katschthaler befürwortete eine „Skiholding Österreich", bestehend aus allen großen Erzeugern. Jedoch erlahmte nach den nationalen Urnengängen allgemein der Enthusiasmus. Ein ähnliches Schauspiel hatte sich schon Jahre zuvor geboten, als sich bei Kneissl im Dezember 1980 abzeichnete, dass der Versuch eines Ausgleichs scheitern würde. Da der Ruf nach einer vom Staat zu fördernden „österreichischen Lösung" erscholl, kam es im Bundeskanzleramt zu einem „Krisengipfel". Zahlreiche hochrangige Politiker von Finanzminister Androsch bis hin zum Tiroler Landeshauptmann Wallnöfer sowie Wirtschaftsexperten, eine Vertretung der Belegschaft und der Ausgleichsverwalter nahmen daran teil. Der Berg kreißte also - und gebar eine Maus. Bundeskanzler Bruno Kreisky erklärte nach der Sitzung, es habe sich um ein Informationsgespräch gehandelt. 49 Im „Kurier" erschien am nächsten Tag ein Foto von Kreisky und Wallnöfer, dessen Bildunterschrift das Fazit zog: „Die großen Alten wollen Kneissl nicht halten." 50 Auch der Industrielle selbst dürfte seine Hoffnungen enttäuscht gesehen haben, wenn man der Aussage eines Unternehmensberaters Glauben schenken darf, der vergeblich versucht hatte, ihm die Unausweichlichkeit eines Konkurses näher zu bringen: „Kneissl war ein halbes Jahr lang überzeugt, daß so einen Eklat unter anderem Bundeskanzler Kreisky nicht zulassen würde."51 Dieser höhnte jedoch nur: „Erst wird die Marktwirtschaft immer hochgelobt, und wenn die Herren am Ende sind, kommen sie um Hilfe zur Regierung." 52 Mit seinem Spott berührte Kreisky das stets schwierige Verhältnis von Unternehmen und Staat. Sollte sich die öffentliche Hand im Falle Kneissl massiv engagieren? Der Konkurs der Tiroler Industriefirma hatte volkswirtschaftlich gesehen keine bedrohlichen Dimensionen. Jedoch handelte es sich um ein prominentes Unternehmen in einer Branche, die als österreichisches Symbol fest etabliert war. Den Verlust von Arbeitsplätzen zu verhindern besaß zudem höchste wirtschaftspolitische Priorität für die Regierung Kreisky. Die Erwartungen hinsichtlich Kneissl nahmen daher Maß an vorangegangenen Unterstützungen für strauchelnde Industriebetriebe. 1994 stellte sich die Frage nach dem Engagement von öffentlicher Hand und staatseigenen Unternehmen in der Skiindustrie bereits in einem drastisch veränderten wirtschaftspolitischen Umfeld. In Zeiten des Neoliberalismus hatte sich die Forderung nach einem Rückzug des Staates als Maxime etabliert, die auch vom sozialdemokratischen Teil der Koalitionsregierung mitgetragen wurde. Entgegen den Stimmen aus SPÖ und ÖVP, die sich für eine „österreichische Lösung" stark machten, vertraten Finanzminister Ferdinand Lacina und Staats-

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sekretär Johannes Ditz eine ablehnende Haltung gegenüber diesem Vorhaben, sofern es den Staat als Kapitalgeber involvieren sollte. Energisch verwahrten sich beide gegen Investitionen von Head in einen Zusammenschluss der Skifirmen, weil das einer Verstaatlichung der Branche gleichkäme. Beppo Mauhart, Generaldirektor des Noch-Monopolisten Austria Tabak, bemühte sich vergeblich, mögliche Synergieeffekte eines Zusammengehens mit Atomic zu unterstreichen. Die Bedenken Lacinas gegen seine Pläne nannte er in einem Interview „ein ideologisches, komisches Argument". 5 3 Die Aussage ist charakteristisch für seine Vorwärts Verteidigung: Er versuchte den Verdacht ideologiegeleiteten Handelns, der dem Begriff der Verstaatlichung konnotierte, von sich zu wenden und wurde daher nicht müde, sein rein betriebswirtschaftliches Interesse an Atomic hervorzukehren. Unbelastet von den Zwängen, in denen Mauhart stand, gab hingegen David Zwilling als Exponent der vorerst konkurrierenden Bietergruppe den echten Patrioten: „Atomic muss österreichisch bleiben." 54

Rettet die „steirische Eiche " die Skiindustrie?

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SN/R^M

Foto in den „Salzburger Nachrichten", 20. Oktober 1994

Liest man die Berichte in Zeitungen und Zeitschriften über die causa Atomic, so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich die Bekenntnisse zu einer „österreichischen Lösung" durch keine besondere Ernsthaftigkeit auszeichneten. Den Diskurs charakterisierte ein Augenzwinkern auf ökonomische Fakten, die einen anderen Ausgang nach sich ziehen würden. Alois Rohrmoser konnte etwa die biblische Rolle des bekehrten Paulus spielen, der reumütig eingestand, sein bisheriger Widerstand gegen die österreichische Lösung sei falsch gewesen. Wirtschaftskammerpräsident Maderthaner verlangte am 15. November 1994

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in einer Presseaussendung, die noch am selben Tag von der Entwicklung überholt wurde, eine Verlängerung der Frist zur Legung eines Angebotes für Atomic, damit doch noch eine österreichische Lösung zustande kommen könne: „Denn es ist im Grunde genommen tragisch, wenn gerade eine Skifirma wie Atomic, deren Produkte und Erfolg stark mit Österreich identifiziert werden, in ausländische Hände kommt. Ich bin sicher nicht generell gegen ausländische Beteiligungen an österreichischen Firmen. In diesem Fall geht es aber um mehr als einen einfachen Firmenverkauf, da geht es auch um ein Symbol der österreichischen Wirtschaftsidentität." Konsumentinnen/BürgerlnnenAVählerlnnen sollten für den Moment vergessen, dass sie es mit hohlen, ritualisierten Akten einer nationalen Selbstvergewisserung zu tun hatten, dass es sich bei dem Verweis auf die Bedeutung eines österreichischen Eigentümers um ein „Als-Ob-Argument" handelte. Dieses zielte nicht auf die betriebswirtschaftliche Zukunft der fraglichen Firmen ab. Vielmehr baute es auf einen nostalgisch verbrämten Zusammenhang zwischen der Nation und „ihren" Unternehmen, den man aber wirtschaftspolitisch längst nicht mehr herstellen konnte und wollte. Atomic wechselte daher schließlich in den Besitz eines ausländischen Konzerns. Nun schien es den Befürworterinnen der Transaktion ein Gebot der Klugheit, auf die vorangegangene Diskussion Bezug zu nehmen, indem sie - so wie BawagVorstand Helmut Eisner - die Übernahme durch Amer als die wahre „österreichische Lösung" präsentierten. 55 Auch Amer selbst betonte: „Wir sind die österreichische Lösung, weil wir hier produzieren, die Österreicher dafür brauchen und langfristig die Produktion ausweiten und daher mehr Personal benötigen werden." 56 Ist der österreichischen Skiindustrie durch das Scheitern einer Fusion mehrerer Firmen eine wichtige Chance entgangen? Vermutlich nicht. Als ernsthaften Einwand gegen einen Zusammenschluss kann man die Warnung vor seinen möglichen negativen Auswirkungen auf die Skimarken betrachten, deren Persönlichkeiten man über Jahrzehnte hinweg aufgebaut hatte. Außerdem zielten die Vorschläge zu einer „österreichischen Lösung" auf die Konzentration der Produktion an ein, zwei besonders leistungsfähigen Standorten ab. Das hätte eine stärkere Reduzierung der in der Branche Beschäftigten impliziert, als sie die Rationalisierungsmaßnahmen nach sich zogen, die jede Firma für sich durchführte. Mit der Übernahme von Atomic durch Amer war zwar dem Traum einer Vereinigung aller oder doch der maßgeblichen heimischen Skifirmen ein jähes Ende bereitet worden. Seine Anziehungskraft hatte aber ohnehin weniger in seinen betriebswirtschaftlichen Vorteilen als im Identifikationsangebot an die Österreicherinnen bestanden: ein gestärkter David im Kampf gegen den Goliath Ausland.

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Individueller Erfolg und harte Konkurrenz Die österreichischen Skierzeuger sind in ihrer Mehrzahl Personifizierungen des dynamischen Unternehmertyps: geschäftstüchtig, gewandt, robust und sehr durchschlagskräftig. (Die Presse, 1. Februar 1965)

Die heimischen Skihersteller repräsentierten, um die Titel einiger Zeitungsartikel zu zitieren, den Aufstieg „vom Einmannbetrieb zur größten Skifabrik der Welt" (Fischer), „von der Landtischlerei zur modernsten Skifabrik der Welt" (Blizzard), „von einer kleinen Wagnerei zum Skiimperium" (Atomic). Das Prinzip des individuellen Erfolgs verkörperte sich am reinsten in der Person Alois Rohrmosers. Während seine großen Konkurrenten alle bereits einen Gewerbebetrieb geerbt hatten, kam Rohrmoser buchstäblich aus dem Nichts: „uneheliches Kind, aufgewachsen bei der Großmutter am Bergbauernhof" 57 war das Herkunftsprädikat, das seine Leistung adelte. Man erblickte in Rohrmosers Biographie eine „Unternehmerkarriere wie im Kitschroman", 58 ordnete sie also dem Märchenhaften in seiner modernen massenkulturellen Version zu. Die mythischen Erzählungen des Kapitalismus haben jedoch einen bevorzugten Ort: die USA. Man sprach daher auch von „einer für Österreich atypischen, eher amerikanischen Karriere" oder von der „sonst nur in Amerika, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, üblichen Geschichte vom Aufstieg des Tellerwäschers zum Millionär". Die in diesen Wendungen enthaltene Opposition USA - Österreich diente der Inszenierung des Unternehmers als Helden, der schafft, was hierzulande unmöglich scheint: im „Beamten-Eldorado" (Trend) eine amerikanische Karriere. Die unternehmerische Leistung als heroische Großtat, vollbracht fast schon weniger in Österreich als trotz Österreichs, ist ein häufiges Muster der Darstellung. Transportiert wird oft mehr oder minder explizite Kritik an der österreichischen Gesellschaft. Der Vorwurf mangelnden Unternehmergeistes bis hin zur Unternehmerfeindlichkeit ist mindestens bei einem Wirtschaftsmagazin wie dem „Trend" greifbar. Die Skibranche legte durch ihren patriarchalischen Charakter eine Personalisierung von wirtschaftlichem Erfolg nahe. Sie kam damit den Bedürfnissen der medialen Inszenierung entgegen. So verwundert es nicht, dass die Wahl des „Trend", der alljährlich einen Mann oder eine Frau des Jahres kürt, einmal auch auf einen Skifabrikanten fiel: konkret im Jahr 1990 auf Alois Rohrmoser. Einiges sprach dafür, gerade ihn herauszugreifen: Atomic bot sich mehr als die anderen Skifirmen für die Zuspitzung auf den Eigentümerunternehmer an, denn als einzige wurde sie nach wie vor nicht als Kapitalgesellschaft geführt. Erst 1993 gab Rohrmoser dem Druck der Bawag nach und wandelte Atomic in eine GmbH um. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er als Einzelunternehmer „mit Haut und Haar" 59 gehaftet. „Der Rohrmoser ist die Firma, und die Firma ist Rohrmoser", 60 brachte der „Trend" das Image auf den Punkt. In den Achtzigerjahren hatte sich Rohrmoser außerdem als Nummer eins unter seinen heimischen Kon-

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kurrenten herauskristallisiert. Der publicityfreudige Franz Kneissl war aus dem Rennen geschieden, Josef Fischer pflegte einen eher zurückhaltenden Stil und Anton Arnsteiners Firma Blizzard expandierte zwar ebenfalls kräftig, aber doch nicht so spektakulär wie Atomic. Der „Trend" konstatierte dementsprechend: „Neben dem Stern von Atomic verblassen die prominenten Konkurrenten." Das ausführliche Porträt des Magazins von 1990 ist die konsequenteste Stilisierung des Salzburger Skifabrikanten zum unternehmerischen Superhelden.61 Sein Leben schien aus der damaligen Perspektive eine moderne Variante des Mythos von König Midas: Was auch immer er angriff, wurde unter seinen Händen zu Geld. Die Überhöhung der realen Figur Rohrmosers bot wenige Jahre darauf eine ideale Grundlage für die Dramatisierung des Konkurses von Atomic als persönliche Tragödie des bisherigen Eigentümers: „Niemand unter den heimischen Ski-Patriarchen stieg so hoch wie Alois Rohrmoser, niemand ist so tief gefallen", erläuterte der „Kurier". 62 Diese Darstellung deckte sich mit den Interessen des Unternehmers. Er zeigte sich der Öffentlichkeit als gebrochener Mann, dem nicht nur sein Lebenswerk entrissen wurde, sondern der um seine nackte Existenz bangte. Die Medien griffen diese Befürchtungen auf: „Muss Rohrmoser von der Sozialhilfe leben?", fragten die „Salzburger Nachrichten". „Alois Rohrmoser steht vor dem Nichts", schloss eine andere Tageszeitung. 63 Man erfuhr auch von der Sorge des Skifabrikanten um sein Wagrainer Haus, das mit dem Privatkonkurs zur Disposition stand. „Hunderte meiner Mitarbeiter haben sich eigene Häuser gebaut. Und mir wollen sie meines wegnehmen", 64 sagte Rohrmoser in einem Interview und meinte: Ausgerechnet ihm, der es als Arbeitgeber vielen ermöglicht hatte, sich den in unserer Gesellschaft breit verankerten Traum vom Eigenheim zu erfüllen, sollte nun dieses elementare Besitzstück, Ausweis von Respektabilität und solidem Wohlstand, geraubt werden. So weit kam es dann aber doch nicht, wenngleich Rohrmoser auch 2002, von der APA anlässlich seines bevorstehenden 70. Geburtstages interviewt, betonte: „Ich bin brutal enteignet worden. Ich werde nicht aufgeben, bis alles ans Tageslicht kommt." 65 Damit entsprach Rohrmoser noch Jahre nach seinem erzwungenen Abgang bei Atomic dem Bild eines Kämpfers, der sich durch keinen Rückschlag entmutigen lässt und keiner Konfrontation aus dem Weg geht. Dieses Image zeichnete alle Skipatriarchen aus, Rohrmoser aber verkörperte es am klarsten. Er arbeitete sich zu einem Zeitpunkt zum bedeutenden Fabrikanten hoch, als Kneissl, Fischer und selbst Blizzard längst etabliert waren. Josef Fischer habe ihm wörtlich gedroht, „Du kommst mir net hoch, dich bringe ich um", erinnerte sich Rohrmoser laut „Profil" 1977.66 Ob sich der Rieder Unternehmer nun in dieser Weise geäußert hat oder nicht, er warf seinem Konkurrenten jedenfalls Patentdiebstahl vor.67 Zum Ruf einer „Kämpfernatur" passte es, dass Rohrmosers Erfolg maßgeblich auf einer besonders aggressiven Vertriebspolitik beruhte. Folglich zeigte der Wagrainer kein Interesse, als Ende der Sechzigerjahre die Ski-

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fabrikanten unter Federführung des Riesen Fischer durch ein Preis- und Konditionenkartell das „unseriöse Rabattunwesen" beseitigen wollten. 68 Als schließlich 1979 die Skiindustrie als Reaktion auf die damalige Absatzkrise gemeinsam mit dem Handel ein Preiskartell errichtete, beteiligte sich Rohrmoser zwar, doch baute er im großen Stil Sondermodelle, die nicht in die Vereinbarungen eingeschlossen waren. Er übertraf hierin seine Konkurrenten, die ebenfalls die Kartellbestimmungen umgingen. 69 Wer sich auf einen harten Wettbewerb einlässt, der benötigt entsprechendes Selbstvertrauen. Daran aber mangelte es den österreichischen Skiherstellern wahrlich nicht. „Wer meinen Ski nicht fährt, gehört zum Psychiater", soll Toni Arnsteiner 1980 seinen neuen Thermo-Ski vorgestellt haben, mit dem Blizzard ein markantes Produkt geschaffen hatte. 70 Die Skifabrikanten, am wenigsten noch Fischer, waren immer für starke Sprüche gut. Die eigenen Leistungen wurden in den glühendsten Farben ausgemalt, der Bluff mit Umsatz- und Produktionszahlen gehörte zum Standardrepertoire der Industriellen. Die Journalistinnen beglückten sie außerdem mit bissigen und daher gut verwertbaren Wortspenden über die Konkurrenz. Als Kneissl 1980 stolperte, vergossen seine übrig gebliebenen Mitbewerber die eine oder andere Krokodilsträne, ohne aber ihre Genugtuung über den Lauf der Dinge zu verbergen. 71 Im Prinzip galt, was Rohrmoser 1989 der „Presse" sagte: „Ich zerbreche mir grundsätzlich über die anderen nicht den Kopf. Ich rechne fix, dass ich bei denen dabei bin, die überleben." Mit dieser Aussage beantwortete der Atomic-Chef die Sorge der Tageszeitung, ob es angesichts des internationalen Verdrängungswettbewerbs gut gehen könne, dass es im kleinen Land Österreich die meisten Skihersteller der Welt gebe.72 Die Zurschaustellung ihres Willens zur Konkurrenz trug den Industriellen immer wieder harsche Kritik ein. Bundeskanzler Kreisky zürnte nach der Kneissl-Pleite über die Unternehmer, die sich in „hemmungslose Konkurrenzkämpfe" gestürzt hätten 73 und vor allem in den Diskussionen über die „österreichische Lösung" tauchte die Figur des stur auf seinen Eigennutzen bedachten Skifabrikanten nur allzu häufig auf. Atomic, Kneissl, Fischer und Blizzard sind aber eben auch darum Gedächtnisorte privaten Unternehmertums, die wie immer man dem gegenüberstehen mag - zentrale Werte des Kapitalismus inszenierten.

Skifahren als nationales Freizeitvergnügen Das Skifahren kam hierzulande gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf. Rasch verband sich die Entwicklung des jungen Sportes mit dem Fremdenverkehr, dem sich damit eine Wintersaison erschloss. Zu einer frühen Hochburg des Skilaufs entwickelte sich die Semmeringgegend. Sie war dafür auch prädestiniert, lag sie doch in der Nähe Wiens und gehörte zu den bevorzugten Zielen einer

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gehobenen Sommerfrische. 1893 fand in Mürzzuschlag das erste Skirennen Mitteleuropas statt. Rund 2.000 Zuschauerinnen, vielfach aus der besseren Gesellschaft, folgten den gut beworbenen Wettkämpfen. Im nächsten Winter organisierte man eine große Wintersportausstellung: Firmen aus Österreich, Norwegen und Schweden zeigten unter anderem die zum Skilauf nötige Ausrüstung. 74 Ein Jahrzehnt später wurden „Nordische Spiele" veranstaltet. Das Ereignis veranlasste die Hotellerie des Semmerings und die Südbahngesellschaft zu erheblichen Investitionen in den Bau von Sportanlagen, Unterkünften und Transporteinrichtungen. 75 Ein erster einschlägiger Sportverein war 1891 in Wien gegründet worden, gleichartige Vereinigungen entstanden bald auch an anderen Orten. 1905 schuf man als Dachorganisation den österreichischen Skiverband. „Österreichisch" bezog sich noch auf die cisleithanische Reichshälfte. Ein Ort im böhmischen Riesengebirge wurde übrigens zunächst Amtsitz des neuen Verbandes, da hier auch sein erster Präsident lebte. Bis 1912 hatten sich dem ÖSV 55 Vereine mit 8.774 Mitgliedern angeschlossen; Ende 1921 zählte er in der kleinen Republik 63 Vereine mit 7.725 Mitgliedern. 76 In der Zwischenkriegszeit machten vor allem Kitzbühel und St. Anton dem Semmering zunehmend Konkurrenz im Geschäft mit dem nach wie vor mondänen Sport, dessen Popularisierung zwecks Förderung des Wintertourismus energisch betrieben wurde. Zur Massenbewegung wandelte sich der Skilauf schließlich nach dem Zweiten Weltkrieg im Gefolge des Wirtschaftsaufschwungs, der ganz Westeuropa den Durchbruch zu voll entwickelten Konsumgesellschaften brachte. Nun vollendete sich jene Landnahme, die seit dem 19. Jahrhundert das menschenfeindliche winterliche Hochgebirge in einen gezähmten Erholungsraum transformiert hatte. Die Grenzen zwischen Genuss der Landschaft und ihrer Überwältigung durch technische Hilfsmittel sind eben nicht scharf gezogen. Letztere ist oft die Voraussetzung von ersterem. 77 Den zunehmend motorisierten Österreicherinnen erschloss der Straßenbau selbst abgelegene Gebirgstäler und die Bergwelt wurde nach und nach auch für jene adaptiert, die keine Lust verspürten, vor jeder Abfahrt erst hinaufzumarschieren. 1938 installierte man in Zürs den ersten Schlepplift und 1946 in Bad Gastein den ersten Einersessellift. 1957 gab es schon 410 Seilbeförderungsanlagen und bis 1988 erhöhte sich ihre Zahl auf 3.497.78 Dem alpinen Skisport frönten Ende der Sechzigerjahre weltweit rund 15 Millionen Menschen, ein Jahrzehnt später ging man von etwa 35 Millionen Adepten des Skilaufs aus, und Anfang der Neunzigerjahre schätzte man ihre Zahl auf 50 Millionen. 79 In Österreich fuhren laut einer Fessel-Studie am Ausgang der 1960er-Jahre 18% der Bevölkerung Alpinski. 80 Bis Mitte der Achtzigerjahre stiegen die Aktivitätsraten laufend an und stagnierten in weiterer Folge auf einem hohen Niveau: Zwischen 40 und 50% der Österreicherinnen betreiben den alpinen Skilauf zumindest gelegentlich. 81 Wer einen Sport ausüben will, benötigt dazu aber auch die entsprechende Ausstattung: Der Ausrüstungsgrad ist in Österreich ungefähr ebenso hoch wie der Anteil der Schiläuferinnen.

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Über 40% der Haushalte besitzen Alpinskier. Nachdem der Besitz eigener Skier in der Zwischenkriegszeit noch für viele ein Wunschtraum geblieben war, änderte sich mit dem „Wirtschaftswunder" der Zweiten Republik diese Situation gründlich. Bei Jugendlichen kann man Mitte der Siebzigerjahre bereits von „Vollversorgung" sprechen: 72% der Burschen und 60% der Mädchen nannten Skier ihr Eigen. 82 Kein anderes echtes Sportgerät erfreut sich hierzulande eines höheren Verbreitungsgrades. 83 Skifahren ist also „Volkssport", gilt jedoch als teures Hobby. Skier, Bindung, Stöcke, Skischuhe, entsprechende Bekleidung, Schneebrille sind Grundvoraussetzung, dazu kommen die Liftkarte und für jene, die nicht in der Nähe von Pisten wohnen, die Kosten für Transport und Quartier. Bezeichnenderweise wird im österreichischen Winterfremdenverkehr mehr Geld ausgegeben als im Sommertourismus. Der Anteil der Österreicherinnen, die nie dem Alpinskilauf huldigen (können), nimmt folglich von der so genannten A- zur E-Schicht massiv zu: 1990 übte nur ein Drittel aus ersterer Gruppe den Sport nie aus, aber 65 % aus letzterer.84 De facto in höheren Schichten bis heute weiter verbreitet als in einkommensschwachen Gruppen, wirkte der Skisport dennoch als eine die Nation integrierende Kraft. Seine Ausübung stellte sich in einen Rahmen, der solche Elemente einer Konsumbiographie als die individuelle Einlösung eines für die Nachkriegsgesellschaft insgesamt geltenden Versprechens von Wohlstand erscheinen ließ. Die Ausdehnung der Mittelschicht auf alle Bürgerinnen stellte eine zentrale westeuropäische Utopie dar. Solange diese nicht verwirklicht war (und sie ist es bis dato nicht), musste der Skisport prestigeträchtig sein, ohne aber der Nationswerdung durch Einführung von substanziellen Differenzen innerhalb der nationalen Gemeinschaft entgegenzuarbeiten. Eine andere Erkenntnis aus dem Reich der Statistik: 61 % der Österreicherinnen mit Volks- und Hauptschulbildung laufen nie Ski, doch bloß 36% der Universitätsabsolventlnnen. 85 Die Korrelation mit dem Bildungskapital erklärt sich nicht nur über den Zusammenhang mit Einkommensunterschieden, sondern verweist auch auf die Rolle, die der Schule bei der „Nationalisierung" einer Bevölkerung zum Staatsvolk zukommt. Hierzulande bezog man ab 1922 als Ergebnis der Reformierung des Schulturnens durch Karl Gaulhofer den Skisport in den Unterricht ein.86 Er gehörte von nun an zu den Inhalten, deren Vermittlung an die Jugend sich der österreichische Staat zum Anliegen machte. Skilaufen wurde unter anderem dadurch zum nationalen Imperativ. Der Schriftsteller Alois Brandstetter erzählt von der gemischten Erfahrung mit dem Skikurs seines Welser Gymnasiums im Jahre 1953.87 Er benützte Skier, vom lokalen Rechenmacher hergestellt, die Mitschüler hätten alle bereits Markenskier besessen. Sein Fazit: „Meine Mitschüler staunten über meine Ausrüstung, und auch ich merkte den Abstand meines Materials von ihrem - und schämte mich." Die Schule erzieht zu Bürgerin und Konsumentin, in diesem Fall zu Erwerb und Gebrauch der adäquaten Wintersportausrüstung. Nicht jeder muss die gleiche Marke fahren, doch jeder ein Markenprodukt verwenden,

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das - glückliche Fügung - von zahlreichen österreichischen Firmen in noch zahlreicheren Varianten erzeugt wird. Brandstetter allerdings entschied sich für die Verweigerung: „Ich habe seit dem damaligen Skikurs keine neue Anstrengung mehr unternommen, um das Skifahren zu erlernen [...]". Wer den Sport nicht erst durch die Schulskikurse einübte, erwarb sein Können vielfach durch Skischulkurse. Keine eigentliche Alternative, sondern über Jahrzehnte hinweg dasselbe System: Man betrieb den Sport „in einer durch allerlei Scherze gemilderten quasi militärischen Formation", wie Wolfgang Kos bemerkt, die Erinnerung an einen Skikurs reflektierend, den er als Kind in den Fünfzigerjahren genoss. Die Gruppe sollte stets in paralleler Anordnung am Hang stehen. In Bewegung versetzt, war auf die präzise Ausführung der Übungen zu achten. Noch in der Stufe der Perfektion ging es dem österreichischen Skilehrplan vordringlich um „auf die Spitze getriebene Exaktheit". 88 Die Verwandtschaft zwischen den Formen des Skischulwesens und jenen der soldatischen Ausbildung besitzt in unserem Zusammenhang insofern Relevanz, als das Militär im Zeitalter der allgemeinen Wehrpflicht eine weitere staatliche Institution ist, die auf die Homogenisierung der männlichen Bevölkerung zu einem Volk hinarbeitet. Bereits seit den 1890er-Jahren, als das aus Skandinavien kommende Skifahren gerade alpentauglich gemacht wurde, interessierte sich das österreichisch-ungarische Heer für die militärische Nutzung dieser Fortbewegungsart. Mathias Zdarsky, die Gründungsfigur des österreichischen Skilaufs, unterwies ab 1903 Offiziere in der von ihm konzipierten Fahrtechnik. Ein anderer Pionier des alpinen Skisports, Georg Bilgeri, war selbst Berufsoffizier und Hannes Schneider, der später als Darsteller in Skifilmen wie „Der weiße Rausch" (1932) zu großer Popularität gelangte, betätigte sich im Ersten Weltkrieg einschlägig als „Instruktionsunteroffizier". Diese Erfahrung beschreibt er selbst als für ihn ungemein hilfreich: „Denn nun hatte ich Gelegenheit, das ganze Unterrichtswesen und den Aufbau von Skikursen gründlich zu studieren und kennen zu lernen, vor allem dadurch, dass ich hier beim Militär befehlen konnte [Hervorhebung O.K.]. In der vierten Woche sind diese Schüler ausnahmslos alle in Patrouillenadjustierung im Stemmchristiania die Hänge in sturzfreiem, zügigem Tempo abgefahren." 8 9 1922 rief Schneider am Arlberg die erste Skischule ins Leben, die eine „systematische, wohldurchdachte Emporschulung des Schülers durch mehrere Klassen" vorsah. 90 Der Skikurs, ob über die Schule oder privat organisiert, zielte auf jeder Stufe der Beherrschung des Sportgeräts auf die Zugehörigkeit zu einem Kollektiv ab: zu einer der nach dem Können hierarchisierten Gruppen, die ein homogenes Bild geben sollten. Zugleich gliederte man sich durch den sauberen Fahrstil in eine imaginäre Großgruppe ein: die österreichische Ski-Nation. Die materielle Grundlage für die Entwicklung zur wedelnden Österreicherin bildete aber das Paar Ski als der unverzichtbare Kern einer alpinen Wintersportausrüstung. Zur konnotativen Aura der österreichischen Skimarken gehörte also

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eine patriotische Dimension. Diese wiederum umfasste eine quasimilitärische Idee der nationalen Wehrhaftigkeit, verschoben in das zumindest in einer Zivilgesellschaft harmlosere Feld des Sportes: Die Rennläuferinnen nannte man in den Fünfziger- und Sechzigerjahren gerne unsere „Skikanonen", die Ski waren dementsprechend ihre „Munition", die sie zur höheren Ehre des Vaterlandes bei den internationalen Bewerben erfolgreich einsetzten. Seine Entwicklung zum Massensport verdankt das Skifahren Modernisierungsprozessen, die es großen Bevölkerungsteilen ermöglichten, in einem als „Freizeit" definierten Raum einer anstrengenden körperlichen Betätigung nachzugehen. Die sportliche Aktivierung des Leibes hat ebenso ein individualisierendes Potential wie sie andererseits der Formierung eines gesunden und vor allem wehrhaften Volkskörpers dienen kann. In Deutschland und Österreich hatte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Gewicht auf letzterem Ziel gelegen. Das deutsche Turnen, betrieben gleichermaßen von nationalen, katholischen und sozialdemokratischen Vereinen, sah hier seinen besonderen Vorzug. Man betonte die Ernsthaftigkeit des vormilitärischen Dienstes am Vaterland oder an der Arbeiterklasse gegenüber dem fremdländischen „englischen" Sport. Dieser - nicht zufällig aus dem höchstentwickelten kapitalistischen Land kommend - zeichnete sich durch ein Konzept von Leistung, Konkurrenz und Rekord aus. Es stand dem individualistischen Prinzip der Durchsetzung des einzelnen oder seines Teams im Rahmen des freien Spiels der Kräfte näher als die auf Turnvater Jahn zurückgehenden Leibesübungen, die ein auf Gleichklang getrimmtes soldatisches Kollektiv anstrebten. 91 Diese autoritäre Tradition der Körperkultur reichte noch weit in die Wohlstandsgesellschaft der Nachkriegsjahrzehnte hinein. Darum war Skifahren in Österreich eine ernste Sache, die diszipliniert begonnen werden musste. Der stolze Rückblick auf die erzielten Fortschritte sollte Freude machen, ein Gefühl, das deutlich zu scheiden ist von dem eines anarchischen Vergnügens an der Bewegung. Den „Spaß" inthronisierte erst die hedonistische Wendung des Sportes, die in den Siebzigerjahren allmählich einsetzte, als neuen Schlüsselbegriff. Er geht mit einer sich internationalisierenden Waren- und Konsumkultur einher. Diese lässt sich nicht mehr so leicht in den nationalen Rahmen integrieren wie jene pflichtbewusste und dadurch in ihrer Spontaneität gebremste Annäherung an den Sport, die sich in der Institution des Skikurses österreichischer Fasson manifestierte. Schon in der Durchsetzung des Sports gegen das Turnen seit dem späten 19. Jahrhundert kann man Gegensätze zwischen dem kapitalistischen Wirtschaftssystem und der (Kultur-)Nation erkennen. Diese werden mittlerweile in einer neuen Runde ausgetragen. Auf der einen Seite steht der etablierte, auf Kontinuität orientierte Sport, wie er zumeist in Vereinen betrieben wird, auf der anderen eine weit diffusere und flexiblere Praxis. „Sportivität" steigt zum Leitwert auf, dessen Gültigkeit sich nicht mehr auf das Subsystem Sport beschränkt. Sie infiltriert als Chiffre einer neuen Kultiviertheit, die dem Imperativ des Sportlich-Lässigen folgt, auch andere Lebensbereiche. 92

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Snowboarding, das ab Mitte der Achtzigerjahre in Österreich rapide an Popularität gewann, verkörperte diese Herausforderung, die das alterwürdige alpine Skifahren und damit die Skierzeuger in arge Bedrängnis brachte. Schon in puncto Outfit unterschieden sich die jugendlichen Anhängerinnen des neuen Sports von den Skifahrerinnen. Das Snowboarden brachte einen Schub an Internationalisierung. Es kündigte an, dass im Zeitalter der sich beschleunigenden Globalisierung die enge Verknüpfung von Sportpraxis und Nation, die das Skifahren herstellte, ihrem Ende zugeht. Die heimische Skiindustrie, die sehr lange das Snowboarding unterschätzte, rettete sich schließlich mit dem Carving, d.h. durch Übertragung des Fahrgefühls, das die Snowboards vermitteln, auf Alpinski. Bezeichnenderweise begleiteten andere drastische Veränderungen in den corporate cultures der österreichischen Skiproduzenten diese Innovation. Einen wesentlichen Aspekt der Entwicklung bildete die Lockerung der Bindung an Österreich. Am spektakulärsten war in dieser Hinsicht die Übernahme von Atomic durch den finnischen Mischkonzern Amer. Unter den kulturellen Voraussetzungen der Nachkriegszeit ging der wachsende Wohlstand mit einer Nationalisierung des Alltagslebens einher. Den Skisport kann man als signifikantes Beispiel dafür nehmen, wie die zunehmende Verfügbarkeit eines Gutes gemeinsam mit dem Ethos einer noch verhältnismäßig autoritär strukturierten Leistungsgesellschaft homogenisierend im Sinne der Schaffung einer Nation wirkte. Ein Sport, ausgeübt in den österreichischen Bergen zum Nutzen des österreichischen Fremdenverkehrs unter Verwendung von österreichischen Skiern, erlernt nach dem österreichischen Skilehrplan, dabei den österreichischen „Skikanonen" nacheifernd - eine solche Kumulation von Identifikationsfiguren ergab zwangsläufig eine „typisch österreichische" Sportart. Laut einer Erhebung aus dem Jahre 1987 maßen 42% dem alpinen Skisport dieses Attribut zu, an zweiter Stelle folgt das Bergwandern, abgeschlagen an dritter der Fußball. 93

Die Bodenständigkeit von Produkt und Produzent Wie jedes Konsumgut ist der Ski polyvalent, d.h. er lässt sehr unterschiedliche individuelle wie soziale Attribuierungen zu. Im Rahmen unserer Auseinandersetzung mit Skimarken als nationalen Gedächtnisorten interessieren aber vor allem zwei polare Bedeutungsfelder: der Ski als technologisch innovatives Produkt einerseits und als fest im österreichischen Boden verwurzeltes Erzeugnis andererseits. Während man in den Sechzigerjahren den Ski werblich als Produkt industrieller Technologie positionierte, verhielt sich die Sache noch eine Dekade zuvor weniger eindeutig - aus verschiedenen Gründen. Einer davon war das verwendete Material. Holz suggerierte handwerkliche Erzeugung. Bis in die Fünfzigerjahre wurden Skier auch nicht mit färbigen Lacken behandelt. Eine möglichst

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schöne Maserung galt als Qualitätsmerkmal. Der Ski stellte sich somit als ein vom Wagnermeister veredeltes Naturprodukt dar. Von dieser konnotativen Aura des Holzskis zeugt noch ein ausführlicher Beitrag über die „Atomic-Ski aus Wagrain", der 1962 in den „Salzburger Nachrichten" erschien. 94 Das regionale Blatt stellt fest: „Die Tradition ist ein ernstzunehmender Faktor. Das Holz ist nicht abzuschreiben [...]." Rohrmoser habe „in seinem Herzen noch genügend Zuneigung zum Holzski". Soweit war es mit der Liebe zu diesem Material allerdings nicht her: Kaum ein paar Jahre später produzierte Atomic nur mehr Metall- und Kunststoffski. Der Artikel in den „Salzburger Nachrichten" ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, wie sich die Dimension der Bodenständigkeit von Produkt und Hersteller entwickeln ließ. Über den Ski heißt es: „Wo sonst sollte er erzeugt werden, wenn nicht in den Bergen, für die er geschaffen ist." Genau besehen ist diese Frage eine Feststellung, wie auch das der Grammatik zum Trotz gewählte Satzzeichen andeutet. Heute, vierzig Jahre später, könnten wir entgegnen: Z.B. in China, wo mittlerweile Produktionskapazitäten für billige Ski existieren und weiter ausgebaut werden. Damals scheint aber klar: Ski „wachsen" vorzugsweise in den österreichischen Alpen. Das Industrieprodukt wird hier naturalisiert, der Industriebetrieb zum harmonischen Bestandteil der ihn umgebenden Landschaft stilisiert. Dieses Konzept setzen auch die fünf Abbildungen um, die den ganzseitigen Artikel illustrieren: Auf drei davon sehen wir einzelne Schritte der Herstellung des Skis. Ein weiteres Foto zeigt eine verschneite Gebirgslandschaft: „Das sind die Berge von Wagrain". Im Zentrum des Blattes platziert, betont das Foto den metonymischen Zusammenhang zwischen Berg und Skierzeugung. Beim fünften Sujet handelt es sich um „die neue Skifabrik Rohrmoser vor den Wagrainer Bergen". Die Vorzüge des Salzburger Marktfleckens bringen die unbekannte Autorin des Berichtes ins Schwärmen. Nach einer enthusiastischen Beschreibung des Liebreizes der Landschaft und des pittoresken Ortes kehrt der Artikel „zurück zu Rohrmoser, dessen neue Skifabrik am Ufer der Kleinen Arl wie ein Sinnbild in einem Ort wirkt, der eigens für den Skilauf entstanden zu sein scheint." Daher findet Wagrain nur zu sich selbst, indem die „Gemeindeväter" eine Skischaukel errichten. Der den Fremdenverkehr anziehende Skisport ist die Bestimmung des Ortes und die Fabrik ein Symbol für diese. „Rohrmoser, Wagrain und der Atomic-Ski gehören zusammen", wird der Gedanke einer Verklammerung von Ski- und Tourismusindustrie zu einem identitätsstiftenden Ganzen namens Wagrain abgeschlossen. Rohrmoser selbst strich in Worten und Taten seinen engen Bezug zu der Gemeinde hervor, wo er seit 1955 Atomic aufbaute und seinen Wohnsitz hatte. Ab 1969 engagierte er sich in der Kommunalpolitik und wurde 1974 Vizebürgermeister. Es ziehe ihn nicht in die Ferne, „weil's daheim so schön ist", erklärt er im Gespräch mit dem „Kurier" und - so die Zeitung - „zeigt mit einem Armschwenk auf die Berge rund um seine Altenmarkter Fabrik". 95 Auch

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hier an der zweiten Stätte seines Wirkens ist Rohrmoser „daheim", die Region des Pongau bildete für den Besitzer von Atomic jenen Raum, in dem er seine soziale Position darstellte und den in der Industrie erwirtschafteten Wohlstand abzusichern trachtete - unter Rückgriff auf traditionelle Strategien. Schon in den Sechzigerjahren erwarb er ein Gasthaus am Wagrainer Hauptplatz. Zum Dorfwirtshaus als Garant soliden bürgerlichen Wohlstandes traten bedeutende landwirtschaftliche Flächen und ein Schloss. Grundbesitz, in Agrargesellschaften wichtigster Quell von Reichtum, hatte offenbar für Rohrmoser, der in den 1930er-Jahren auf dem kleinen Bergbauernhof der Großmutter aufgewachsen war, einigen Reiz. Die Beteiligung an Skigebieten bzw. deren Errichtung rundete die Immobilisierung von Besitz in einer durch den Tourismus ermöglichten modernen Variante ab. Fester Bestandteil von Beschreibungen der Person Rohrmosers durch die Medien war stets die Betonung der prägenden Kraft seiner regionalen Umgebung. Häufig setzte man Dialektzitate ein, mit denen sich die feste Verwurzelung des Unternehmers in seiner Heimat darstellen ließen. Oft wurde der Sprachduktus Rohrmosers auch direkt thematisiert: „Der Chef des Weltunternehmens hat nichts Weltmännisches angenommen. Selbst mit amerikanischen und japanischen Geschäftsleuten spricht er [...] Pongauerisch." 96 Mit dem gleichen Instrumentarium wird Anton Arnsteiner gezeichnet. Gerne nehmen es die „Salzburger Nachrichten" in eine Reportage über den Pinzgauer Unternehmer auf, wenn dieser die englische Modellbezeichnung „Firebird" für einen seiner Ski aus den Siebzigerjahren zum „Feuerbert" verfremdet oder - besser gesagt - ins Deutschsprachige heimholt. 97 Die Vorführung der prononciert umgangssprachlichen Ausdrucksweise mit stark dialektaler Färbung dient zwar jeweils der Charakterisierung eines Individuums, kreiert aber zugleich den Typus des Skiindustriellen als eine Allegorie obstinaten Österreichertums alpenländischer Prägung. Konfrontiert mit der „Welt", auch durch das Englische wirksam symbolisiert, beharren Rohrmoser und Arnsteiner auf ihrem Habitus. Viele journalistische Texte werfen auf diese „Originale" einen quasi-ethnologischen Blick. Sie protokollieren ihre Merkwürdigkeit mit einer Mischung aus Ver- und Bewunderung. Zur Thematik des sich selbst im Bodenständigen stets treu bleibenden Skifabrikanten gehört weiters der Hinweis auf die soziale Herkunft Rohrmosers. Der „Trend" erkannte schon an seinem Äußeren „bäuerliche Züge". 98 Rohrmoser selbst war interessiert daran, eher mit seinen kleinen Anfängen als mit seinem späteren Wohlstand identifiziert zu werden. So ließ er wissen, dass er seinen Mercedes 500 SE „immer in Anthrazitgrau" kaufe, „damit es nicht auffällt, wenn ich wieder einen neuen habe". 99 Der diskrete Umgang mit seinem Besitz und der Verzicht auf den Versuch eines Milieuwechsels wurden ihm hoch angerechnet. So meinte der Gast eines Wagrainer Cafes gegenüber dem „Inlandsreport" des ORF, der sich 1994 dem „Patriarchen" aus Anlass seiner Schwierigkeiten mit der Bawag widmete: „Er war solide in seinem ganzen Leben, der hat

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mit den anderen an Schweinsbraten g'essen und dann er hat Wiirstl g'essn. Der war immer solide, [ . . . ] er ist net amal in Urlaub g'fahrn." 1 0 0 Das Zeugnis des Cafebesuchers ist es wert genau analysiert zu werden: Es heischt nach Sympathie für Rohrmoser, weil er durch die ihm zugeschriebenen Essgewohnheiten ausdrückt, keine soziale Distanzierung anzustreben. Indem er Hausmannskost zu sich nimmt, setzt er eine Handlung, die ihn mit der Durchschnittsbürgerin, „mit den anderen" verbindet. Auch die Auswahl der Speisen ist sinnfällig. Der Schweinsbraten steht für den üppigen kulinarischen Genuss, der ärztlichen Empfehlungen zuwiderlaufen mag, aber eben als typisch österreichisch und konstitutiv für die nationale Küche gilt. 101 Die Würstel wiederum sind ein Symbol größtmöglicher Einfachheit, sie signalisieren: Rohrmoser ist einer von uns. Anschließend sucht der Sprecher nach einem weiteren Beleg für die Solidität des Unternehmers und findet sie im Hinweis, dass dieser nicht zum Vergnügen den Ort verlässt. Obwohl er es sich leisten könnte, fährt er nicht auf Urlaub, sondern bleibt. Damit wird eine Botschaft unterstrichen, die der Passage insgesamt zugrunde liegt: Rohrmoser ist „solide", weil er sich einem Kollektiv einfügt, das gleichermaßen lokal wie national bestimmt ist. Dadurch wird die dörfliche Gemeinschaft Wagrain mit der imagined community Österreich verknüpft. 102 Dem Sprecher ist j a zweifellos auch bewusst, an wen er sich vermittels des „Inlandsreport" wendet: An die Nation, die der österreichweit ausgestrahlte O R F zumindest potenziell vor den Fernsehschirmen vereint. Erkennen wir in den Figuren Rohrmosers und Arnsteiners die Kombination des Lokalen und Regionalen mit der Nation in einer diffus alpenländischen Punzierung, so tritt im Fall von Franz Kneissl das Bundesland als Bezugspunkt in den Vordergrund. Das überrascht nicht, denn in Tirol ist das Landesbewusstsein besonders ausgeprägt. Während sich Salzburgerinnen im Zuge einer Erhebung von 1987 eher primär mit ihrem Heimatort oder gleich mit Österreich identifizierten, sahen sich 5 8 % der befragten Tirolerinnen vor allem ihrem Land verbunden. 103 Im Nachruf der „Tiroler Tageszeitung" auf den 1994 verstorbenen Franz Kneissl heißt es: „Er war einer der Giganten Tirols, ein Mann, der beharrlich seinen Weg durch die Welt ging; und sich Weltgeltung verschaffen konnte. Der Kufsteiner Franz Kneissl. Ein Mann wie ein Berg, einer jener Sorte, von denen man außerhalb der Landesgrenzen sagte - so und nicht anders müssen Tiroler sein. [...] Der Kufsteiner Skipionier hatte einst mit revolutionären Methoden den Skibau beeinflusst, [...] In der Begegnung mit dem oft polternden, aber dennoch einfühlsamen Franz Kneissl gab es keine halben Sachen - hopp oder dropp war seine Devise; unbeirrbar, kämpferisch, mitreißend, begeisternd zog er seine Spur von einer Ecke der Welt in die andere. Als er sich am - sportlichen - Gipfel wähnen durfte, 1980, nach Stocks Olympiasieg, kam die Wende. Der Mann, der so vielen geholfen hatte, vielen den Weg bereitete, stand plötzlich allein. Ein österreichisches Schicksal." 1 0 4

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Kneissl wird zum Tiroler Helden stilisiert, der als solcher eine Kämpfernatur sein muss - wie einst Andreas Hofer oder in neuerer Zeit die Skirennfahrer vom Schlage eines Toni Sailer oder Karl Schranz. Allen gemeinsam ist der Bezug zu den Bergen, auf denen die Schlachten geschlagen werden. Wie Hofer, hingerichtet von den napoleonischen Truppen, oder Schranz, „hingerichtet" vom IOC-Präsidenten Avery Brundage, der ihn von der Olympiade ausschloss, scheiterte auch Kneissl, „plötzlich allein" gelassen. An diesem Punkt wird er im vorliegenden Text vom Tiroler zur „typisch österreichischen" Figur. Dem Genre des „Nachrufes" angepasst, spricht man nicht von möglichen Fehlentscheidungen Kneissls, sondern stellt seinen Konkurs als tragische Wendung dar. Der Zugriff auf den Topos des „österreichischen Erfinderschicksals", das ihn als Innovator gleichsam ereilen musste, entlastet ihn von der Verantwortung an seinem Missgeschick und stellt ihn zugleich in einen nationalen Rahmen. „Ein Mann wie ein Berg" - der Vergleich lag auch aufgrund der massigen Gestalt Kneissls nahe. Die Herstellung einer Analogie zwischen den Eigenschaften von Landschaft und Mensch, zwischen schroffer Gebirgsformation und kantigen Charakteren, durchzieht die Beschreibungen von Kneissl, Rohrmoser und Arnsteiner. Während diese drei somit als „echte Alpenländer" galten, fügte sich der im oberösterreichischen Ried beheimatete Josef Fischer nicht ins Bild. Er sei „zu wenig energisch, ohne Urwüchsigkeit, vielleicht eine Spur zu vornehm für die Branche", kann man über ihn lesen;105 oder dass ihn die Fabrikanten aus gebirgigen Gefilden als „Flachlandindianer" verhöhnten. 106 Zumindest aus einer Perspektive, die den Alpen als Raum der Verwendung des Skis eine besondere Eignung zum Standort ihrer Erzeugung zuschreiben wollte, stellte die Herkunft der Produkte von Fischer, denen zusätzlich der Geruch des Billigen anhaftete, ein Manko dar, das die Glaubwürdigkeit eines Anspruchs auf Qualität unterminierte. Anderl Molterer, einer der Stars des Kitzbühler „Wunderteams" der Fünfzigerjahre, soll Fischer gefragt haben, was er denn mit seinen „Kipfeln" wolle. „Der hat nicht einmal Ski gesagt zu meine Ski", zitiert ein Blatt den Industriellen, als er seine schwierigen Anfänge Revue passieren lässt.107 Wenn die Alpinskier und die Alpen zusammengehören und der idealtypische Skifabrikant alpenländisch knorrig ist, so ergibt sich zwangsläufig auch ein fes-ter Konnex zwischen dem Ski und seinem Erzeuger. Rohrmoser z.B. verkörperte die totale Identifizierung mit seinem Produkt. Das „Profil" erkannte bei ihm ein „fast erotisches Verhältnis zum Ski". „Der Fabrikant lebt mit seinen Skiern, sein Gespräch erschöpft sich darin, beginnt damit, kehrt immer wieder zum Ski zurück." 108 Was sich unter seinen Füßen nicht angenehm fahre, komme nicht ins Programm, heißt es über den Salzburger Unternehmer, und von Kneissl berichtet der „Trend", er teste jeden Ski selbst. Den Gepflogenheiten von patriarchalischen Unternehmen entsprechend - man denke nur an die Kaffeeverkostungsrituale bei Meinl unter Julius III. - war dem Firmengründer ein unfehlbares Urteil über die Produktqualität zuzuschreiben. Selbst beim nüchterneren Fischer-Konzern stilisierte man den Chef zum „Mister Ski". „Josef

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Fischer denkt ,in Ski'", erklärte die Firmenfestschrift. 1 0 9 Rohrmoser hingegen bezweifelte dies: „Mein Hobby ist, gute Skier zu machen. Dem Fischer sein Hobby ist das Jagern." 110

Alois Rohrmosers Liebe zu seinen Produkten

Die Attacke auf den Konkurrenten setzt bei dessen großbürgerlichen Attitüden an, um ihn als Garanten für die Güte seiner Produkte zu desavouieren. Nur wer mit beiden Beinen fest am Boden steht, kann richtige Ski erzeugen, lautet die Botschaft. Rohrmoser habe im Unterschied zu anderen nicht abgehoben, ist daher die symbolische Bedeutung der lobenden Feststellung eines Wagrainer Wirten: „Ausschweifende Partys oder Helikopterflüge hat Rohrmoser nicht gekannt." Die implizit eingeführte Gegenfigur ist wieder Josef Fischer, der nicht nur ein mondäneres Leben führte, sondern zudem für Firmenzwecke - wie er selbst betonte - einen Hubschrauber angeschafft hatte. Dieser war viel beachtetes Attribut seines Reichtums. In zweifacher Hinsicht deckt sich das Image Fischers weniger exakt als jenes von Rohrmoser mit dem Bild eines „Skipatriarchen": in geografischer als „Flachlandindianer" und in sozialer als Industrieller, der die Dimension seines Wohlstandes nicht verbirgt. Rohrmoser indes kittet durch demonstrative Bescheidenheit symbolisch jenen Bruch zwischen Produkt und

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Unternehmer, der in der Entfernung des Konzernchefs von der eigenhändigen Fertigung besteht. Einer Anekdote zufolge, die unter den Titel „wahr oder gut erfunden" zu stellen ist, gab Rohrmoser vor Gericht, obwohl längst ein bedeutender Unternehmer geworden, seinen Beruf als Wagnermeister an. Erst auf Nachfrage des Vorsitzenden fügte er hinzu: „Man könnte auch sagen, Skifabrikant." Dem „Standard", dem wir die Geschichte entnehmen, diente sie als Beleg dafür, dass Rohrmoser „der erdige (sie!) Schmäh" selten ausgehe. Rohrmoser hielt seine Vergangenheit als armer Bergbauernbub seinen Mitmenschen wie den Medien präsent. Die Selbstinszenierung Kneissls war dem diametral entgegengesetzt. Die Bezeichnung „Skikaiser", die für die Skiindustriellen gerne verwendet wurde, passte perfekt auf ihn. Er vereinigte auf sich all jene Eigenschaften, die man mit einem österreichischen Kaiser assoziiert: Er war autokratisch, patriarchalisch, ein tief gläubiger Katholik und konservativ (zu seinem Freundeskreis zählten bezeichnenderweise Gerd Bacher und Franz Josef Strauss). Außerdem lebte der Tiroler Unternehmer ähnlich wie Josef Fischer erkennbar auf großem Fuß, übertraf ihn aber in seinen Prätentionen. Kneissl liebte es, eine repräsentative Öffentlichkeit - im Sinne von Jürgen Habermas 1 " - herzustellen, indem er dem Volk ein Spektakel bot. Selbst als sich seine Firma bereits in prekärer finanzieller Lage befand, wurde die Hochzeit von Sohn Franz mit der Aristokratin Ala Auersperg in großem Stil gefeiert. Ein Zeitungskommentar bedauerte den Konkurs von Kneissl unter dem Titel „Good old Hollywood is dying", denn das „Tiroler Wahrzeichen" habe im Stile der Filmzaren agiert." 2 Ein Autokrat zwar, aber ein Garant für gute Unterhaltung. Sein Hobby sei die Werbung, gab Kneissl einmal gegenüber der „Presse" an." 3 „Nichts war mir wichtiger als mein Ski, den man mir so unbarmherzig aus den Händen gerissen hat", klagte er, nachdem man ihn zur Abdankung gezwungen hatte." 4 Die bedingungslose Identifikation mit seinem Produkt war anders akzentuiert als bei Rohrmoser. Während dieser die Beziehung des ehemaligen Wagners zu seinem Werkstück darstellte, gerierte sich Kneissl als der „Herr vom weißen Stern" - so betitelte der „Kurier" unter Bezugnahme auf das Markenzeichen der Firma eine üppig bebilderte Homestory über den Unternehmer. 115 Kneissls aufwändiger Lebensstil, sein Machtgehabe, seine polternde, selbstsichere und von Sendungsbewusstsein erfüllte Art fügten sich zu einem Bild, das den Medien stimmig erschien und immer wieder in ähnliche Ketten von Attributen gefasst wurde. Kneissl sei „in dieser Reihenfolge religiös, diktatorisch, tirolerisch, österreichisch", meinte der „Trend" 1978.116 Die Anordnung der Zuschreibungen läuft auf die nationale Komponente hinaus. Diese bildet wiederum den Angelpunkt einer Serie, mit der das „Profil", das politische Schwestermagazin des „Trend", 1999 die Etablierung eines Kanons von großen Österreicherinnen betrieb. Der „Störrische Visionär" - so der Titel des kurzen biografischen Essays zu Kneissl - wurde in eine Liste von „100 Österreichern des 20. Jahrhunderts" aufgenommen. 117 Die Wahl belegt (und betreibt) die Verankerung der Figur des Franz Kneissl im kulturellen Ge-

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dächtnis; sie bezeugt zugleich die Bedeutung der Figur des heimischen Skiproduzenten, die zu repräsentieren die Autorin des Textes dem Kufsteiner Unternehmer explizit zudachte.

„Fortschritt ist unser Prinzip" 118 Die Skiindustrie ist ein Sinnbild des Glaubens an den industriellen Fortschritt in quantitativer Hinsicht, weil sie kompromisslos auf die Magie der großen (Produktions-)Zahl setzte: „Während 1948 erst 4.000 Paare erzeugt wurden, verlassen heute 50.000 Paar Spezialskier die Fabrik in Kufstein", brachte Kneissl in einem Inserat von 1958 die frohe Kunde, und Fischer zeigte eine Stoppuhr: „Alle 40 Sekunden ein Paar Ski", lautete die Erklärung, ergänzt im Fließtext durch den Hinweis: „Die Skierzeugung verlangte den Schritt vom Handwerk zur Industrie." 119

Der Ski im Zeitalter der industriellen Massenproduktion - Inserat von 1962

In qualitativer Hinsicht manifestierte sich der Fortschrittsglaube der Skihersteller als festes Vertrauen in die Verbesserungsfähigkeit des menschlichen Le-

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bens durch die moderne Technik. Beide Dimensionen hängen zusammen. 1973 verfasste Ernest Simharl, Mastermind des Fischer-Managements, einen Artikel, in dem er alle nostalgieverliebten Ungläubigen mit folgenden Worten tadelte: „Manche Menschen trauern der handwerklichen Individualität im Skibau nach, ohne sich darüber Gedanken zu machen, daß sie bisher dem Zufall ausgeliefert waren [...]."120 Das erscheint Simharl absurd, denn es gilt ja auch: „Kein moderner Mensch käme auf den Gedanken, sich ein nach gefühlsmäßigen Überlegungen zusammengebasteltes Auto zu kaufen." Die Feststellung birgt einen Imperativ: Wer als modern durchgehen will, der entscheide sich gegen das Gefühl und für die Kalkulation. Beim Ski habe man zwar bislang keine Wahl gehabt, doch den Konsumentinnen winkt dank Fischer die Errettung aus den Fängen des Zufalls: das Skimodell „C 4", benannt nach dem „ersten Computerprogramm der Skigeschichte". Simharl vertritt - sehr charakteristisch für die Unternehmenskultur von Fischer - eine kühle Technologiezentriertheit abseits von Emotionen. Die Stilisierung des Skis zum hochwertigen Industrieprodukt kristallisierte sich in den frühen Sechzigerjahren deutlich heraus. Sie implizierte, dass es für die Hersteller von zentraler Bedeutung war, der interessierten Öffentlichkeit die Fortschrittlichkeit der eigenen Erzeugnisse plausibel zu machen. Daher lieferten sich Kneissl und Fischer ein hartes Duell um die Frage, welches Material als tragendes Element im Skibau zu bevorzugen sei: der von dem Tiroler Unternehmen propagierte Kunststoff oder doch Metall, das von der oberösterreichischen Konkurrenz favorisiert wurde? Kneissl hatte 1960 den „Epoxi" präsentiert, dessen Name sich von dem Werkstoff Epoxydharz ableitete. Die Werbung versprach nichts weniger denn eine „Revolution im Skibau". Im Rückblick viele Jahre später stellte Franz Kneissl seine Entscheidung für den Kunststoff als gelungene Mischung aus Innovationsfreudigkeit und alpenländischem Stolz dar. Er sei vor der Option gestanden, den von Head patentierten Metallski in Lizenz zu produzieren, doch habe es ihm widerstrebt, „als Bergler die Idee von einem Amerikaner zu übernehmen". 121 Die Formulierung enthält eine Spitze gegen die „Flachländer" aus Ried, die ab 1961 Metallski produzierten. Kein anderer Hersteller hat sich je so mit einem Material identifiziert wie Kneissl mit dem Kunststoff. Dieser war voller Utopie; schon das Wort selbst unterstrich seinen artifiziellen Charakter und somit die völlige Loslösung von den Vorgaben der Natur. „Kunststoff kommt von ,können'", betonte eine Anzeige von Kneissl. 122 In der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre kam Schaumstoff als Material für den Skikern auf, der bis zu diesem Zeitpunkt noch immer aus Holz bestanden hatte. Ein letzter Schritt war getan: Nun gab es den vollsynthetischen Ski, in den Kneissl bald all seine Hoffnungen legte. Der gänzliche Verzicht auf Holz war symbolträchtig und das reizte einen Unternehmer vom Schlage des Kufsteiners. Indem er Holzlager und Sägewerk verkaufte, brach Franz Kneissl die Brücken in eine handwerkliche Vergangenheit ab und gab sich einem Traum von technischer Machbarkeit und totaler Kontrolle hin. Ski

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sollten von jetzt an ausschließlich durch Einspritzen von Polyurethanschaum in eine Form erzeugt werden. Das computergesteuerte Verfahren litt aber unter Kinderkrankheiten. Die Folge waren viele Reklamationen und Einbußen im Verkauf. Als die Firma die Technologie schließlich in den Griff bekam, brach international der Skiabsatz ein. Kneissl schlitterte in den Konkurs. Das den österreichischen Skiindustriellen gemeinsame Ziel eines weltweiten Erfolgs und das Bekenntnis zur Modernität, beides eng miteinander verbunden, drückten sich in der Wahl von entsprechenden Markennamen und -zeichen aus. Die älteren drei unter den großen Fünf, Kneissl, Kästle und Fischer, bauten noch auf ihre Familiennamen. Auch Anton Arnsteiner, dessen Aufstieg in die Nachkriegszeit datiert, versah seine ersten Ski mit dem eigenen Namen. Um über eine zugkräftigere Marke zu verfügen, trug er aber 1950 „Glockner-Schi" ins Markenregister ein. Nach diesem Ausflug ins Regionale kreierte er die „Blizzard"-Ski und verließ damit sprachlich die Sphäre des Bodenständigen.

Von der bodenständigen Marke „Glockner-Schi", registriert 1950, zum dynamischen „Blizzard" (das Markensymbol in seiner Fassung von 1956)

Alois Rohrmoser setzte mit Atomic ab 1957 ebenfalls auf das Englische. Vorbild dieser Wahl sollen dem Unternehmer übrigens die französischen DynamicSki gewesen sein. Neben der durch die Sprache angelegten breiten Assoziation zu Amerika als Inbegriff von Modernität gehört das Wort „Atomic" durch seine Bedeutung ins engere Feld der Technikbegeisterung. Die Marke ist in dieser Hinsicht noch klarer als jene Arnsteiners. Auch dem Blizzard konnotiert Dynamik, sie ist aber nicht der prometheisehen Kühnheit des Menschen zu verdanken, sondern der Naturgewalt eines Schneesturms. Mit leisem Bedauern erläuterten die „Salzburger Nachrichten" 1962 ihren Leserinnen, was Rohrmoser dazu bewogen habe, mit „Atomic"-Skiern am Markt aufzutreten: „Der Name ist etwas wie eine Konzession an das Ausland. Für uns Österreicher hätte ,Rohr-

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moser' oder , Wagrain' oder ,Salzburg' genügt. Den Australier oder den Amerikaner wird vermutlich ,Atomic' mehr ansprechen. Er wird darunter .schnell' und .modern' und .technisch auf der Höhe' verstehen [,..]." 123 Die regionale Tageszeitung erwartete also nur vom Ausland das Bedürfnis nach einer symbolischen Repräsentation von Modernität. Sie unterschätzte die Fortschrittseuphorie des österreichischen „Wir" der Fünfziger- und Sechzigerjahre, das auf Brettel, die Tempo und Technik signalisierten, mindestens genauso „abfuhr". Darauf mussten auch die bereits etablierten Hersteller eingehen. Franz Kneissl erzählte später, ein Rennläufer habe sich seinen Skiern mit dem Argument verweigert, die Marke „Kneissl Inntal" schaue nicht schnell aus. Inspiriert vom Logo des Motoren- und Nutzfahrzeugherstellers Magirus Deutz ließ er eine Werbeagentur die neue Marke ausarbeiten: Einen Stern, der für den 1961 präsentierten „White Star"-Ski verwendet wurde. 124 Das Logo und der Name waren entscheidende Neuerungen gegenüber dem Vorgängermodell „Epoxi". Dieser hatte sich bereits als „das weiße Wunder" vorgestellt und damit seine ungewöhnliche Farbgebung hervorgestrichen: Monocolor und weiß, das war bislang charakteristisch für die Tarnabsichten von Militärski. Nun sollte die Kombination schlichte Eleganz verkörpern. Der „White Star" brachte das Programm des „Epoxi" zur Vollendung. Ihn fuhren nicht nur Spitzenläufer von Karl Schranz bis Leonhard Stock, sondern - und noch wichtiger für das snobistische Image - selbst gekrönte Häupter wie der Schah von Persien oder die niederländische Königsfamilie ließen sich mit dem Ski ablichten. Das Design des „White Star" wurde über viele Jahre nicht geändert, das machte ihn zu einem sehr einprägsamen Symbol von Exklusivität. Nicht zufällig fand das Modell Eingang in einen 1990 erschienen Bildband, der besonders gelungene österreichische Produkte präsentieren wollte, die in ihrem Bereich den Standard gesetzt hatten. 125 Ungefähr zur selben Zeit wie Kneissl begann auch Fischer mit einem neuen Markenzeichen aufzutreten. Der Designer Rudolf Ferch, der jahrzehntelang bei Fischer die Linie vorgab, kreierte ein gleichschenkeliges Dreieck, das sich aus drei kleineren Dreiecken aufbaut. Dieses 1961 angemeldete Firmensymbol ersetzte ein Markenzeichen, das auf Josef Fischers Schwester zurückging: Es zeigte einen abwährtsfahrenden Skisportler vor der Silhouette des Matterhorns. Der Verweis auf die Bergwelt war nahe liegend und bei den Skiherstellern beliebt. Allerdings erscheint es in einer Branche, von der die Österreicherinnen Patriotismus erwarteten und im Regelfall auch geboten erhielten, wenig glücklich, ausgerechnet den Schweizer Gipfel schlechthin zum Firmensymbol zu erheben. Das von Ferch entworfene Dreieck führte nun zwar die vage Assoziation zum Berg als Stätte der Ausübung des Skisports weiter, die klare Form und die Präzision, mit der die kleinen Dreiecke ein großes ergeben, signalisierten aber unmissverständlich die Identifikation mit der Moderne. 126 Abgesehen von der Marke als Dach für die verschiedenen Produkte versuchten die Skihersteller bei den einzelnen Skimodellen gleichfalls durch eine

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entsprechende Namengebung technologische Kompetenz und Dynamik zu suggerieren: Z . B . mit technoiden Kürzeln wie „ A R C " (Atomic) und „C 4 " (Fischer), Attributen wie „Super" oder „Professional" oder Anleihen bei der Automobilbranche wie im Falle des „Quattro", der seinem Erzeuger Blizzard den Unmut von Audi eintrug. Die fast durchwegs englischen Bezeichnungen sollten Internationalität gewährleisten. Ins Auge sticht die häufige Bezugnahme auf das Automobil. Sie charakterisiert die Positionierung des Produktes Ski über mehrere Jahrzehnte hindurch. „Man made the car", dröhnt James Brown, aber auch das Produkt Ski will ein genau berechnetes (männliches) Instrument sein, anzuwenden auf die möglichst jungfräulich daliegenden Skipisten. Fischer verlautbarte 1971, man habe sich vorgenommen, die technischen Daten des Skis allgemein verständlich zu machen, als handle es sich um j e n e eines Pkw. 127 Und noch 1993 pries Arnsteiner sein neuestes Erzeugnis mit den Worten: „Bei an Auto tät i sagen, der hat Servolenkung und Servobremsen." 1 2 8 Diese Auffassung des Skis wurzelte in der Nachkriegszeit, die das Auto als Erfüllung eines Traums individueller Mobilität vergötterte. Die etwas biedere Fortschrittsgläubigkeit passte allerdings schlecht zu den postmaterialistischen Werthaltungen, die sich in den Achtzigerjahren breit machten. 129 Zunehmende Zweifel am Wert von Leistung (auch und gerade von technologischer Leistung) manifestierten sich in der verstärkten Sensibilität für die Umweltproblematik. Das Autofahren, einst als Wochenendausflug auf vier Rädern der Gipfel des Naturerlebnisses, geriet unter Beschuss; ebenso wurden die beträchtlichen Verwüstungen thematisiert, die der alpine Skisport an der Landschaft anrichtete. Der seit den Fünfzigerjahren entwickelten Konzeption des Produktes Ski entsprachen die Attacken Arnsteiners auf „diese Baader-Meinhof der Umwelt". Beschneiungsanlagen z . B . sorgen schlicht für „Bombenschnee" und wer das nicht verstehen wollte, für den hielt Arnsteiner die Kategorie des „missratenen Intellektuellen" parat. 130 Verstört von Tendenzen, die das Wertgefüge der Gesellschaft des „Wiederaufbaus" überholt erscheinen ließen, verloren die Skierzeuger an Tritt bei der Produktgestaltung. Technische Gimmicks sollten nach Art der Zusatzformeln bei Motoröl oder Waschpulver dem Erzeugnis den entscheidenden kleinen Vorteil im harten Wettbewerb um die Käuferinnen bringen. Beim Design versuchte man es mit gnadenlos bunten Skiern. Die Farbpalette erinnerte um 1990 oft an die Sportjacken von Aktivseniorlnnen.' 3 1 Kurz: Dem Ski drohte die Gefahr, ins Altmodische zu kippen, bis die Carving-Ski eine Wende brachten. Seit bald darauf als Draufgabe das österreichische Rennteam begann, die alpinen Bewerbe zu dominieren, ist die Welt der heimischen Skiindustrie wieder in Ordnung. „Der Ski der Sieger ist ein High-Tech-Produkt", wurde 1999 ein Beitrag über Atomic im Vorspann des ORF-Magazins „Modern Times" angekündigt.' 32 Es galt „die enge Zusammenarbeit zwischen Herstellerfirma und der Wissenschaft" zu feiern. Die Skifirmen, allen voran Atomic, scheinen es also vorerst geschafft zu haben, ihr Produkt-

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styling einem durch neue Leitbranchen und Lebensstile modifizierten Bild des Fortschritts anzupassen.

Unternehmer und Idole - die Skiindustrie und der alpine Rennsport Skisport in Österreich ist schließlich kein Kinderspiel, Skisport in Österreich ist Glaubenssache, besser: ein Glaubenskrieg. Nichts kann unsere Nachbarn mehr aufregen, begeistern oder in tiefe Depression stürzen als der Ausgang eines Skirennens. Nichts vermag ihren Stolz ähnlich zu befestigen wie Skisiege der Ihren. Noch Jahre später beben Ereignisse wie der Innsbrucker Abfahrtsolympiasieg Franz Klammers nach. [...] Skisport in Österreich, das ist wie Fußball in Brasilien. Mal zum Schluchzen, mal zum Jauchzen. Und allemal, so oder so, mit dem Seufzer verbunden: O, du mein Österreich. (FAZ, 28. Jänner 1982)

Spitzensport eignet sich als Instrument nationaler Selbstvergewisserung. Leistungen lassen sich objektiv messen. Die Kriterien für die Prämierung der Besten sind ebenso leicht verständlich wie eindeutig. Der Austragungsort des Wettkampfes ist räumlich greifbar und Sieg oder Niederlage entscheiden sich in einem überschaubaren Zeitraum. Die sportliche Konkurrenz findet vor Publikum statt: Tausende und dank Fernsehdirektübertragungen medial vermittelt auch Millionen können den Status von Augenzeuginnen beanspruchen. Der Sport zeichnet sich somit durch eine inszenatorische Stringenz 133 aus, die komplexeren Feldern wie der Wirtschaft abgeht. Um den Erfolg einer Nation im ökonomischen Wettkampf zu bestimmen, benötigt man abstrakte Zahlenakrobatik, Statistiken, deren Zustandekommen den Laien schleierhaft bleibt. Beim alpinen Rennsport, der uns vordringlich interessiert, genügt das Vertrauen in die Funktionstüchtigkeit einer Stoppuhr. Während die Bedeutung des Sieges von Rennläuferinnen, Fußballteams, etc. innerhalb des gesellschaftlichen Systems Sport klar festgelegt ist, lässt sie sich außerhalb desselben auf vielfältige Weise bestimmen. So konnte die deutsche Gesellschaft den Triumph bei der Fußballweltmeisterschaft von 1954 zum symbolischen Ausdruck des Wirtschaftswunders stilisieren. 134 Auch für die Österreicherinnen repräsentierten in der Nachkriegszeit sportliche Erfolge nach außen wie nach innen die (wirtschaftliche) Leistungswilligkeit und -fähigkeit der wiedererstandenen Nation.' 3 5 Bundespräsident Körner sagte 1956 zu den Olympionikinnen, die - allen voran Toni Sailer - medaillengeschmückt aus Cortina heimgekehrt waren: „Ihr habt bewiesen, daß ein kleines Land wie Österreich nicht nur den friedlichen Wettkampf mit den größten Nationen aufzunehmen vermag, sondern dank der Tüchtigkeit seiner Jugend eine ehrenvollen Platz in der vordersten Reihe zu erobern weiß."136 Vom Verweis auf das kleine Land führt die Selbstdarstellung rasch zur Großmachtsphantasie. Im Rahmen der 75-Jahr-Feier des ÖSV 1980 schwelgte der Tiroler Landeshauptmann Eduard Wallnöfer in Erinnerungen: Bei der Innsbrucker Olympiade von 1964 sei Österreich in der Medaillenbilanz Nummer zwei hinter der

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Sowjetunion gewesen. „Endlich und einmalig wieder eine echte Weltmacht!" 137 Sport ist Kampf, aber doch nicht Krieg. Man erringt Siege, aber sie gelten als völkerverbindend. Militärische Rhetorik lässt sich mit demonstrativer Harmlosigkeit verknüpfen. In den ersten Nachkriegsjahren waren Skilauf und Fußball gleichermaßen Kristallisationsobjekte des Nationalstolzes. Während Österreich aber beim Kampf ums runde Leder bald unter „ferner liefen" rangierte, belegten die heimischen Sportlerinnen bei den alpinen Bewerben weiterhin mit schöner Regelmäßigkeit Spitzenplätze. Von ihnen erwartete sich die Nation daher Bestätigung. So warnte die „Kleine Zeitung" 1966, als die Ergebnisse bei den Skiweltmeisterschaften im chilenischen Portillo zu wünschen übrig ließen: „Ist es im Fußball nur noch halb ernst, im alpinen Skilauf hört sich der G'spass auf." 138 Die Skirennen vereinten als Medienereignis die Nation mehr denn jeder andere Bewerb. Nur 17% der Befragten erklärten im Zuge einer IMAS-Erhebung von 1991, sich überhaupt nicht für den Skilauf zu interessieren, immerhin 3 3 % machten dieselbe Angabe über Motorsport und 4 2 % über Fußball. Außerdem lässt sich im Unterschied zu den beiden letztgenannten Sportarten beim Interesse der Bevölkerung für die Skirennen keine markante Polarisierung entlang soziodemographischer Indikatoren wie Schicht, Geschlecht und Alter ausmachen. 139 Wenngleich die Begeisterung in Tirol, Vorarlberg und Salzburg deutlich höher als in den übrigen Bundesländern ist, kann man den Skisport als Erinnerungsort der Österreicherinnen insgesamt ansprechen. Der Erfolg im Rennlauf war schon in den Anfangstagen der Zweiten Republik ein nationales Projekt. Es ging um Ehre - und ums Geschäft. Bei der ersten Olympiade nach dem Krieg, die 1948 in St. Moritz stattfand, blieben die ersehnten Medaillen bei den Herren jedoch weitestgehend aus. Einen Hauptgrund ortete man in der Materialunterlegenheit. Die Skier der Schweizer Firma Attenhofer und jene von Dynamic galten als das Maß aller Dinge. „Wohl oder übel mußten wir alle Anstrengungen machen, um dem devisenarmen Österreich eine Einfuhrbewilligung für ausländische Ski abzuringen", beschrieb rückblickend Otto Lorenz, ÖSV-Chef in der zweiten Hälfte der Fünfzigerjahre, das patriotische Dilemma seines Verbandes. 140 Die ersten WM-Siege auf österreichischen Skiern im Jahre 1950, obschon „nur" von den Damen errungen, leiteten die Wende ein. Die Rechnung lautete von nun an immer gleich, so z.B. in einer Formulierung des „Kurier" aus dem Jahre 1953: „Österreich exportiert Sportler, die durch ihre Leistungen bestechen und für Österreich werben. Österreich exportiert Wintersportartikel, die in der halben Welt gesucht sind." 141 Durch den Zusammenhang mit der einschlägigen Industrie und dem Fremdenverkehr gerieten umgekehrt Niederlagen „unserer" Helden zur existenziellen Bedrohung: „Ein kleiner Staat bangt um den nicht zuletzt durch seinen Wintersportartikelexport garantierten Wohlstand", übertrieb die „Wirtschaftspresse" 1971. 142 Mit der rasch fortschreitenden Kommerzialisierung des alpinen Skisportes wuchsen die organisatorischen und finanziellen Ansprüche, die das nationale

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Projekt implizierte. Ein Vorbild und zugleich der härteste Gegner war für die österreichische „Skination" über viele Jahre Frankreich. Die Läuferinnen der Grande Nation wurden seit Beginn der Sechzigerjahre über einen Pool finanziert. Staat und Unternehmen zahlten ihre Beiträge an diese Einrichtung, die eine solide Basis für professionelles Training schuf. Als bei den Weltmeisterschaften in Portillo die österreichische Ausbeute mit einer einzigen Goldmedaille nur mager ausfiel, verlieh das den Forderungen Nachdruck, es Frankreich mit der Schaffung eines „Topfes" gleichzutun. 143 Indes sollte es noch Jahre dauern, bis die divergierenden Interessen unter einen Hut gebracht werden konnten. Den entscheidenden Schritt bildete eine Gesprächsrunde, die 1971 in Kitzbühel anlässlich des Hahnenkammrennens stattfand. Die Wahl von Ort und Zeitpunkt war sinnfällig. Sie unterstrich die Bedeutung, die man dem Pool für die Skination beimessen wollte. An der Sitzung nahmen der Präsident der Wirtschaftskammer, die großen Skifabrikanten und das Präsidium des Skiverbandes teil. Bei einem Projekt von dieser Tragweite durfte aber auch Bundeskanzler Kreisky nicht fehlen, ihm zur Seite der für den Sport zuständige Unterrichtsminister. Fernsehen, Rundfunk, Presse waren ebenfalls zugegen und verbreiteten die Kunde vom Willen zur Zusammenarbeit im Dienste des Nationalteams. Im September 1971 konnte schließlich ein Pool konstituiert werden, so wie er in Frankreich, Deutschland und der Schweiz bereits existierte. 144 Für ihre Beiträge erhielten die Skifirmen die Garantie, dass den Läuferinnen des Nationalkaders nur heimische Ski zur Wahl standen, denn die Ausrüstung wurde von den Mitgliedern des Pools gestellt. Christian Pravda hatte 1954 die Abfahrt bei der WM in Are noch auf Brettern von Rossignol gewonnen. Schon lange vor der Gründung des Skipools war es jedoch undenkbar geworden, dass österreichische Skisportlerinnen keine österreichischen Ski fuhren. Die Nationalisierung des Produktes stieß allerdings dort auf ihre Grenzen, wo sie die Auflösung der Marken impliziert hätte. Als Franz Hoppichler, bis 1972 ÖSVRennsportleiter, die Idee eines „Austria-Einheitsski" für die Läuferinnen vertrat, begegneten ihm die Skierzeuger naturgemäß mit Ablehnung. Ein VW lasse sich schließlich auch nicht mit einem Opel kreuzen, meinte man bei Fischer.145 Die enge Bindung von Nation und Produkt, der sich die Spitzensportlerinnen fügen mussten, fand erst unter dem Druck des nahenden EU-Beitritts ein Ende. Der Skipool von „Erzfeind" Frankreich hatte sich 1986 für ausländische Firmen geöffnet. Sein österreichisches Pendant nahm 1992 die Firma Salomon auf, mit deren Ski seitdem heimische Athletinnen Spitzenplätze erreichten. Während vor kurzem auch Rossignol dem österreichischen Skipool beitrat, sind ausgerechnet jene beiden heimischen Marken nicht mehr beteiligt, die als erste im Spitzensport reüssierten: Kästle und Kneissl. Bei der Weltmeisterschaft in Aspen 1950 gewann Trude Jochum-Beiser auf Skiern aus Hohenems die Abfahrt, während Dagmar Rom Riesentorlauf und Slalom auf Produkten aus Kufstein für sich entschied. Beide Firmen nützten von da an Medaillen als Werbeargumente. In den Sechzigerjahren baute Kneissl vor allem auf Karl

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Schranz, der bis zu seinem Rückzug 1972 im Zentrum des Firmenteams stand. Danach fehlten dem erfolgsverwöhnten Franz Kneissl zu seinem Leidwesen lange die attraktiven Namen. Auf Blizzard-Skiern wurden ebenfalls schon in den Fünfzigerjahren Siege erzielt, 1958 auch ein erster WM-Titel, dieser allerdings durch die Schweizerin Frieda Dänzer. Die Firma Fischer stieg 1960/61 in den Rennsport ein, als man die neuen Metallskier promoten wollte. Den ersten großen Erfolg verbuchte Fischer, als Egon Zimmermann bei der Olympiade 1964 auf dem Modell „Alu-Steel" die Goldene in der Abfahrt errang. In den Siebzigerjahren erlebte Franz Klammer seine beste Zeit als Läufer für die Rieder Fabrik. 1978 wechselte er allerdings zu Kneissl und ging nach dessen Pleite weiter zu Blizzard. Auf dieser Marke gewann er 1983 ein fünftes Mal den Abfahrtsweltcup. Als letzter im Bund begann Atomic Ende der Sechzigerjahre im Rennsport von sich reden zu machen. Nachdem Alois Rohrmoser sich zunächst mit unbekannten Namen hatte bescheiden müssen, tat er mit der Olympiasiegerin Olga Pali einen ersten Glücksgriff. Vor allem aber nahm er das Nachwuchstalent Annemarie Pröll unter seine Fittiche. Alsbald konnte Rohrmoser in Inseraten seine Läuferin verkünden lassen: „Mit Atomic habe ich große Erfolge für Österreich errungen." Bis 1980 dominierte Pröll die Damenbewerbe und machte somit gleichzeitig Werbung für die Marke Atomic. Die Firma sponserte aber auch nach deren Abtritt immer wieder sehr erfolgreiche Läuferinnen: z . B . Rudi Nierlich oder Ulli Maier, beide tragisch verunglückt. In der Gegenwart sind Stefan Eberharter und Hermann Maier die zugkräftigsten Namen, mit denen sich jenes österreichische Unternehmen schmücken kann, das in den vergangenen Jahren am meisten in den alpinen Spitzensport investierte. Welche Vor- und Nachteile der Rennsport als Werbemittel mit sich brachte, wurde immer wieder diskutiert. Gegen die Annahme eines hohen Werbeeffektes scheint zu sprechen, dass die Konsumentinnen meist nicht wissen, welche Marke eine bestimmte Läuferin benützt. Auch glauben sie im Allgemeinen, dass Rennerfolge sie bei der Kaufentscheidung nicht beeinflussen. Jedoch ergab eine Erhebung von 1986 andererseits, dass der alpine Skisport eher mit Marken assoziiert wurde, als das bei Formel-1 oder Fußball der Fall war. Immerhin 60 % der Befragten erinnerten sich an eine Firmen- oder Produktwerbung im Zusammenhang mit dem internationalen Skirennsport. Auf die Markenbekanntheit, eine wesentliche Determinante beim Kauf, wirkte sich die Präsenz im Rennlauf somit günstig aus. 146 Um das begehrte Rennsportimage aufzubauen, brauchte man aber unbedingt einen langen Atem: Einzelne Erfolge waren zu wenig, sie mussten immer wieder und möglichst massiert erbracht werden. Im günstigsten Fall hatte man einen Seriensieger wie Franz Klammer unter Vertrag, der sich zusätzlich als markante Persönlichkeit für die mediale Inszenierung eignete. Letzteres war vor allem auf ausländischen Märkten von Gewicht, während es in heimischen Gefilden genügen mochte, dass der Sieger oder die Siegerin für das österreichische Nationalteam ins Rennen gegangen war.

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aus der größten Skifabrik der Welt

Egon Zimmermann auf dem Weg zur Goldmedaille 1964, Inserat von 1965

Wenn sich Zeitungen und Magazine der Skiindustrie annahmen, unterstrichen sie gerne die Beziehung zwischen sportlichen und unternehmerischen Erfolgen. Schließlich machte die Nähe zum Rennsport die Attraktivität der Branche aus, indem er ihr eine Aura von Dynamik verlieh. Die Medien liefen oft Gefahr, eine simple Kausalitätsbeziehung herzustellen - nach dem Muster: Triumphe von Pröll, folglich Aufstieg von Rohrmoser. Einerseits griff man damit zu kurz, denn zahlreiche Beispiele belegen, dass Siege im Spitzensport einem Unternehmen nur nützten, wenn sie zu einer effizienten Produktion, einer guten Produktgestaltung, einem geschickten Vertrieb, der richtigen Preispolitik, etc. hinzutraten. Andererseits ist die Neigung zur Rückführung des unternehmerischen auf den sportlichen Erfolg insofern aussagekräftig, als wir in ihr bereits einen Effekt des Rennsportengagements erkennen. Die Firmenställe boten einen attraktiven „Aufhänger" für die Medien. Diese halfen, indem sie ihren eigenen Vorlieben in der Inszenierung entsprachen, ein Image zu konstruieren, an dessen Bestehen die Firmen ein längerfristiges geschäftliches Interesse haben mussten. Man wird nicht fehlgehen in der Annahme, dass die volle Identifikation mit dem Rennsport, die Atomic über Jahrzehnte hinweg aufrecht erhielt, ein

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wichtiger Grund dafür ist, dass man das Unternehmen heute als österreichischen Gedächtnisort ansprechen kann - um so mehr als es neben Hermann Maier noch andere Superhelden unter Vertrag hat. Auch Anton Kästle und Franz Kneissl verschrieben sich in ihrer großen Zeit mit Haut und Haar dem Spitzensport. Als Kneissl 1980 in Konkurs ging, verließ die Firma jedoch die Arena des alpinen Spitzenskilaufs. Wenn aber das Unternehmen Kneissl trotz seiner geringen Marktanteile in der Gegenwart immer noch ein gewisses Profil als lieu de memoire aufweist, so dürfte sich das maßgeblich dem einstigen Rennsportengagement verdanken. Franz Kneissl verstand es, sich selbst und sein gelungenstes Produkt, den „White Star", ins Bild zu rücken. Das größte Medienspektakel, an dem er teilhatte, war ohne Zweifel der Ausschluss von Karl Schranz bei den Olympischen Spielen des Jahres 1972: „Wer Franz Kneissl sagte, dachte an Ski, an Schranz und an Sapporo", leitete die „Presse" 1994 ihren Nachruf auf den Fabrikanten ein.147 Die fragwürdige Disqualifikation von Schranz wegen Verletzung des Amateurstatus brachte die tief beleidigte Skination in Rage. Gegen den IOC-Präsidenten Avery Brundage erhob sich blinde Wut, sein „Opfer" aber wurde in Wien von hysterischen Menschenmassen empfangen. 148 Der Medienhype rund um den Skiläufer nahm ebenso groteske Ausmaße wie beklemmende Formen an, stellte aber auch eine unbezahlbare Werbung für die Firma Kneissl dar, wie nicht zuletzt deren Konkurrenten kritisierten. Die Beziehung zwischen der „Skination" und ihren Industriellen war stets intensiv, gestaltete sich aber nicht immer harmonisch. Indem die Firmen den alpinen Rennlauf unterstützten, manövrierten sich die Unternehmen und ihre patriarchalischen Eigentümer zwar in den Blickpunkt der Öffentlichkeit, ihr Eingreifen wurde aber dafür mit Argusaugen beobachtet. Es ging ja schließlich um die höhere Ehre Österreichs. Nicht selten warfen die Medien den Industriellen vor, dass sie ihr eigenes Interesse über das der Nation stellten. Schon anlässlich der Olympiade in Squaw Valley 1960 beklagte man die „geschäftliche Regie der Skifabrikanten". Sie würden sich in die Aufstellung der Läuferinnen einmischen und damit Unstimmigkeiten im Team erzeugen. 149 Man befürchtete sogar, dass sich der Skilauf wie der Motorsport in die Richtung von Markenwettkämpfen entwickeln würde.150 Wenngleich die Förderung des alpinen Spitzensportes stets durch den Werbeeffekt für Österreich und somit seine Umwegrentabilität gerechtfertigt wurde, war man empfindlich gegenüber der Entweihung des Dienstes am Vaterland durch den Kommerz. Ein volkswirtschaftliches „Wir" erschien legitim, einzelwirtschaftlicher Egoismus missfiel jedoch. Die Skifabrikanten sollten sich nicht zwischen die Nation und ihre Helden schieben. Diese, so erkannte man besorgt, bewerteten die Loyalität gegenüber ihrer Firma höher als ihre nationalen Verpflichtungen. Tatsächlich versuchten die Skierzeuger die Skiläuferinnen an ihre Firmenställe zu binden. Theoretisch war (und ist) der alpine Skirennlauf ein von Amateurinnen betriebener Sport, doch zwischen dieser Forderung, die FIS und Olympisches Komitee stellten, und der Notwendigkeit eines intensiven, bald ganzjährigen

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Trainings tat sich schon seit Mitte der Fünfzigerjahre eine immer größere Diskrepanz auf. Zur Wahrung der Fassade erhielten die „Skikanonen" bei der Firma, deren Marke sie fuhren, eine Anstellung. In ihrem Rahmen verrichteten sie offiziell eine normale Arbeit. Inbegriff des bedingungslos treuen Werksfahrers war Karl Schranz. Seine gesamte Karriere hindurch fuhr er Kneissl-Ski, beklagte sich nie über das Material und hielt sich seinem Chef und väterlichen Freund für alle Werbeaktivitäten stets zur Verfügung. Nur so konnte man aber auch mit dem „Herrn vom weißen Stern" auskommen. Kneissl zeigte sich z.B. menschlich schwer enttäuscht von Toni Sailer, der vor der Olympiade in Cortina für Slalom und Riesenslalom auf Kästle umgestiegen war. Außerdem ließ sich der Liebling der Skination generell nicht von Kneissl vereinnahmen, sondern machte sich als seine eigene Marke selbstständig. 151

Kneissl inmitten seiner Läufer - auch mit dem abtrünnigen Toni Sailer, dessen Autogramm als einziges fehlt

Während der Kufsteiner aber in Schranz immerhin einen Ausbund an Loyalität gefunden hatte, musste Konkurrent Alois Rohrmoser von seiner Paradefahrerin Annemarie Pröll mehr Unbotmäßigkeit hinnehmen. 1973 zog sie aus seiner Wagrainer Villa aus, in der er ihr eine eigene Wohnung eingerichtet hatte. Die Läuferin ehelichte ohne Wissen des Chefs Herbert Moser, einen Atomic-Verkaufsrepräsentanten, und zu allem Überfluss wollte sie schließlich zu Kästle wechseln. Der Skandal war perfekt, auch wenn der Konflikt mit Rohrmoser damit endete, dass Pröll ihre Kariere für Atomic fortsetzte. Der Sportjournalist Martin Maier fragte im „Kurier": „Was geht nur in dieser jungen Frau vor?" Sie habe sich bestürzend verändert. Sie rauche mehr denn je, sie heirate geheim, sie rase mit ihrem Auto durch die Ortschaften, kurz sie verkrafte offenbar ihre

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Karriere vom Bauernmädchen zum Weltstar nicht. 152 Der Vorwurf der Undankbarkeit war nicht nur in diesem Kommentar greifbar. 153 Der Aufstand gegen den Patriarchen verstörte, so wie sich die Figur Pröll insgesamt schlecht in den kategorialen Rahmen fügte, den man(n) für eine Frau vorgesehen hatte. 154 Mit einer Mischung aus Beunruhigung und Bewunderung wurde ihr wilder, unbeherrschter Ehrgeiz, ihr „männliches" Wettkampfverhalten bemerkt. Mit Erleichterung quittierten die Medien ihren Willen zu einem „normalen" Leben, der sich in ihrer Heirat trotz deren tadelnswerter Form auszudrücken schien. „Weil Herbert ein Mehlspeistiger ist, muss sie noch backen lernen. Plötzlich fängt sie auch an, Blumen zu mögen: Rosen aus dem eigenen Garten. Und beinahe wird sie penibel", beschrieb der Sportreporter Heinz Prüller die wundersame Verwandlung.155 Von nun an wurden die gewachsene Reife der Sportlerin und ihre größere Fraulichkeit betont. War die Haltung der Medien zum Star Pröll durchaus ambivalent, genoss die skilaufende Ehefrau MoserPröll schließlich ungeteilte Zustimmung. Dennoch flog ihr die Sympathie der Öffentlichkeit nie im selben Maß zu wie anderen Sportidolen. 156 Die Österreicherinnen nahm sie vielmehr durch ihre unübersehbaren und schwer zu übertreffenden Erfolge für sich ein: Sie gewann 63 Weltcuprennen, fünf Weltmeistertitel und die Abfahrtsgoldmedaille bei der Olympiade von Lake Placid 1980. Sechs Mal war sie außerdem die Gesamtsiegerin des Weltcups. Prölls eindrucksvolle Bilanz kollidierte mit einer Grundregel: Die Nation mochte sich klein, weiblich und unschuldig geben, 157 ihre (Ski-)Heroen waren hingegen männlich. 1 5 8 Darin glichen die alpinen Helden den Skifabrikanten, die sich als Väter ihres Erfolges zelebrierten. Einer patriarchalischen Ideologie entsprechend klagte Franz Kneissl in den frühen Sechzigerjahren seinen Konkurrenten Toni Arnsteiner, der ein Produkt als „Weltmeister"-Ski bewarb. Tatsächlich hatten die Österreicherinnen Marianne Jahn (Riesentorlauf, Slalom) und Christi Haas (Abfahrt) in Chamonix 1962 auf Blizzard drei Goldmedaillen errungen. Doch Kneissl fragte: Welcher gute Skiläufer würde sich bei der Auswahl eines Skis jemals darüber Gedanken machen, „ob diese oder jene Frau" mit einem bestimmten Produkt ein Rennen gewonnen hatte. Indes zählte nach Ansicht des Kufsteiners, der seine einstige Werbung mit der populären Läuferin Dagmar Rom offenbar schon verdrängt hatte, als „wesentliches Argument", welchen Ski Karl Schranz benutze. Das Ergebnis des Streits: Die Werbung mit Medaillen weiblicher Läuferinnen musste mit einem Hinweis auf das Geschlecht des Skiasses einhergehen. 159 Welche Werte repräsentieren die skilaufenden Idole? Ein Teil der Antwort lautet: Sie stellen den „intakten Helden in intakter Natur" dar. Bäuerliche Herkunft, bodenständige Umgangsformen und Sprache, Glanzleistungen in den Bergen ergaben eine Mischung, die sie zu konsensfähigen Nationalhelden machte, wie es sie in Österreich eben vor allem abseits der Politik gibt, die durch die umstrittene Vergangenheit belastet erscheint. 160 Die Bedeutung des Skihelden beschränkt sich jedoch nicht auf die Symbolisierung von unverdorbenem Land-

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l e b e n und Naturnähe. Er v e r w e i s t auch auf d i e industrielle M o d e r n e : D i e Verbundenheit mit der Gebirgslandschaft v o l l z i e h t sich als ihre U n t e r w e r f u n g durch d e n Rennfahrer. M i t H i l f e d e s „Tempoproduktes" 1 6 1 Ski rast er bergab. Der F o r t s c h r i t t s m y t h o s , d e s s e n Teil der Traum v o n t e c h n i s c h e r m ö g l i c h t e r G e s c h w i n d i g k e i t bildet, ist nicht g e s c h l e c h t s n e u t r a l . Er sieht v i e l m e h r e i n e patriarchalisch b e s t i m m t e E h e mit der Natur vor, d. h. a l s o die Herrschaft über sie: 1 6 2 D a s Produkt Ski ist daher männlich, der Skifabrikant s o w i e s o und der S k i h e l d vorzugsweise ebenfalls. D e r Rennsport liefert e i n e m e d i e n t a u g l i c h e Illustration j e n e r k o m p l e x e n D i c h o t o m i e n , für deren Verknüpfung A t o m i c , K n e i s s l , F i s c h e r und B l i z z a r d als S y m b o l e stehen: B o d e n s t ä n d i g k e i t und Fortschritt, nationales Pathos und internationale Orientierung. D e r Rennsport bringt der Skiindustrie z u d e m E m o t i o n und D r a m a t i k , i n d e m er sie d e m H e r o i s c h e n nahe rückt. D i e Produkte der Brettelfabrikanten, d e m Gebrauch der österreichischen A l l g e m e i n h e i t g e w i d met, w e r d e n durch die R e n n l ä u f e r i n n e n z u m Instrument nationaler S e l b s t b e s t ä tigung a u f g e w e r t e t . D i e s e K o m b i n a t i o n aus Volks- und Spitzensport ist e i n e g e s u n d e B a s i s fürs G e s c h ä f t w i e auch für d i e R o l l e als Erinnerungsort.

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Zu Zdarsky: Heinz Polednik, Das Glück im Schnee. 100 Jahre Skilauf in Österreich, WienMünchen 1991, 29-38. Ebd., 46. Franz Kneissl, Kneissl. Eine österreichische Skilegende. Eine Dokumentation 1861-1980, ο. Ο., o.J, 8 - 1 3 (auf 12 f. Abbildungen von Briefköpfen und Anzeigen aus der Zwischenkriegszeit). Ernst Swietly und Ernest Simharl, Die Leute von Fischer. Eine Zeitgeschichte Ski, Ried 1989, 8 f. u. 30. Polednik, Glück im Schnee, 110 f.; Kneissl, Skilegende, 22-26; Swietly und Simharl, Fischer, 10; Adolf Gneist, Die Entwicklung der österreichischen Skiindustrie und deren wichtigste Exportmärkte, Dissertation Hochschule für Welthandel Wien 1974, 112. Adolf Gneist, Die Entwicklung der österreichischen Skiindustrie und deren wichtigste Exportmärkte, Diss. Hochschule für Welthandel Wien 1974, 147 f. Ebd., 162f.; Polednik, Glück im Schnee, 115; Chronologie der Firmgeschichte: Gottfried Steinbacher, Schifabrik Atomic. Werk Altenmarkt, in: Ortschronik Altenmarkt im Pongau 3, Salzburg 1996, 100-102. Salzburger Nachrichten, 5 Dezember 1970, Sonderbeilage „Winter", 4; Trend 1971, Nr. 2,19; Produktionszahlen: Gneist, Skiindustrie, 112. Kneissl, Skilegende, 48-51; Tiroler Tageszeitung, 14. Dezember 1969; Oberösterreichische Nachrichten, 28. Jänner 1970. Trend 1971, Nr. 2, 19 f.; Trend 1975, Nr. 10, 92; Die Presse, 20. Februar 1981. Gneist, Skiindustrie, 162 u. 168. Die Presse, 24. Jänner 1973. Peter Saak, Entwicklung und Strukturuntersuchung des österreichischen Skiunternehmens Atomic, Diplomarbeit Wirtschaftsuni ν. Wien 1989, 54. Wochenpresse 1973, Nr. 47. Gneist, Skiindustrie, 248-250; Trend 1978, Nr. 12, 77. Profil 1977, Nr. 42, 32-34; Trend 1978, Nr. 12, 75-80; Die Presse, 28. September 1978. Erkalteter Stern, in: Trend 1980, Nr. 12, 106-113; Tiroler Tageszeitung, 30. Mai 1994; ein Abriss der Firmengeschichte in: Günther Schmitt, Die Krise der österreichischen Skiindustrie,

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Diplomarbeit Wirtschaftsuniv. Wien 1998, 59-64; Profil 2001, Nr. 44, 59; Salzburger Nachrichten, 3. September 2002, 4. September 2002 u. 26. November 2002. Roman Hermandinger, Marketingstrategien der österreichischen Skiindustrie in den Jahren 1985-1995 am Beispiel der Fa. Fischer Ges.m.b.H., Diplomarbeit Wirtschaftsuniv. Wien 1986, 51-54; zu FACC: Swietly und Simharl, Fischer, 104 f. Ausführlich zu den Problemen Anfang der 1990er-Jahre: Schmitt, Krise. Zum Atomic-Konkurs siehe weiter unten; über Blizzard: Schmitt, Krise, 65-71; vgl. auch: Standard, 10. April 2001. Zu Head: Schmitt, Krise, 45-48. Trend 2002, Nr. 5, 7 4 - 7 6 . Oberösterreichische Nachrichten, 20. Dezember 1980. Neues Österreich, 1. November 1955; Die Industrie 1966, Nr. 33, 10 f.; Die Wirtschaft 1967, Nr. 51/52; Top 500, in: Goldener Trend '90, 98. Pressemeldung des Fachverbandes für Holzindustrie, 18. Oktober 2001. Fachzeitschriftendienst der Bundeswirtschaftskammer 42, 22. Oktober 1970. Siehe ζ. B. die Assoziationen eines zum Thema Österreich Interviewten: „Berge Wien Sängerknaben Lippizaner kleiner Staat die Bewohner san net sehr selbstbewusst und wehleidig des fallt ma immer als erstes so spontan / und Donau fallt ma a ein"; Ruth Wodak u. a., Zur diskursiven Konstruktion nationaler Identität, Frankfurt/Main 1998, 409. Günter Schweiger, Österreichs Image in der Welt. Ein Vergleich mit Deutschland und der Schweiz, Wien 1992, 195-199. Ebd., 238 f. Georg Schmid, Österreich bauen. Konstruktion und Dekonstruktion eines Konzepts, in: Inventur 45/55. Österreich im ersten Jahrzehnt der Zweiten Republik, hg. von Wolfgang Kos und Georg Rigele, Wien 1996, 103-125, besonders 107-113. Swietly und Simharl, Fischer, 42. Wochenpresse 1973, Nr. 47. Wochenpresse 1971, Nr. 6, 5. Trend 1978, Nr. 12, 75. Volksblatt, 30. Oktober 1975. Die Presse, 13. Juni 1969. Die Presse, 13. März 1971 u. 27. April 1971. Abverkauf der europäischen Skiindustrie, in: Salzburger Nachrichten, 22. November 1969. Express, 17. Dezember 1970. Trend 1976, Nr. 3, 56. Die Presse, 9. November 1973. Die Presse, 15. September 1994; weitere Belege: Trend 1971, Nr. 2, 24; Kurier, 11. Oktober 1980; auch wirtschaftswissenschaftliche Diplomarbeiten/Dissertationen schlugen in diese Kerbe - siehe ζ. B. Schmitt, Krise; schon deutlich früher: Erwin Klement, Die volkswirtschaftliche Bedeutung der österreichischen Skiindustrie unter besonderer Berücksichtigung der Maßnahmen und Probleme der betrieblichen Zielbeeinflussungspolitik (Werbung), Diss. Hochschule für Welthandel Wien 1972. Tiroler Tageszeitung, 16. September 1994. Swietly und Simharl, Fischer, 40. Die Presse, 13. Jänner 1973. Profil 1980, Nr. 5, 36; Kurier, 24. Oktober 1980; Trend 1980, Nr. 12; Die Presse, 5. Dezember 1980; Tiroler Tageszeitung, 16. Jänner 1981. Eine Zusammenfassung der Ereignisse in: Susanne Habersatter, Romantisierung von Führung: Alois Rohrmoser, eine Führungspersönlichkeit im österreichischen Pressespiegel, Diplomarbeit Wirtschaftsuniv. Wien 1996, 34-41. Wirtschafts woche 1994, Nr. 41, 41. Wiener Zeitung, 4. Dezember 1980. Kurier, 4. Dezember 1980. Wirtschaftswoche (Frankfurt) 1981, Nr. 22.

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Wiener Zeitung, 4. Dezember 1980. News 1994, Nr. 37, 64. Wirtschaftswoche 1994, Nr. 41, 40. Wiener Zeitung, 16. November 1994. Siehe das Interview mit Amer-Chef Seppo Ahonen in: Profil 1994, Nr. 47, 56. Kurier, 19. Februar 1989. Die Presse, 14. April 1978. Kurier, 17. November 1990. Trend 1990, Nr. 1, 100. Zu der Thematik siehe: Habersatter, Romantisierung. Der Aufstieg und der Fall des Ski-Kaisers, in: Kurier, 18. September 1994, 4 f. Salzburger Nachrichten, 29. September 1994; Die letzte Schlacht des streitbaren Skikaisers, in: Oberösterreichische Nachrichten, 17. September 1994. Wirtschaftswoche 1994, Nr. 39, 32; siehe auch den Beitrag „Der Patriarch" im ORF-Inlandsreport vom 22. September 1994; News 1994, Nr. 38, 87. Standard, 8. Juli 2002, 14. Profil 1977, Nr. 3, 42. Trend 1982, Nr. 3, 24 u. 26. Internationale Wirtschaft 1969, Nr. 9; Industriekurier (Düsseldorf) 1969, Nr. 32. Kurier, 24. Mai 1980; Profil 1980, Nr. 14, 39 f. Profil 1980, Nr. 45, 46. Rohrmoser: Ebd., 46; Fischer: Trend 1982, Nr. 3, 24. Die Presse, 3. März 1989. Tiroler Tageszeitung, 19. Jänner 1981. Polednik, Glück im Schnee, 14-16. Kurt Gründler, Die Eroberung des Winters, 578-586, in: Die Eroberung der Landschaft. Semmering - Rax - Schneeberg. Katalog zur Niederösterreichischen Landesausstellung, Schloss Gloggnitz 1992 , hg. von Wolfgang Kos, Wien 1992, 578-586, hier 579. Polednik, Glück im Schnee, 49-56. Wolfgang Kos, Die Eroberung der Landschaft. Zu einem kulturhistorischen Ausstellungsprojekt, in: Eroberung der Landschaft, hg. von dems., 20-48. Swietly und Simharl, Fischer, 87. Die Presse, 13. Juni 1969; Skilauf - die „weiße Droge" Österreichs I, in: Die Presse, 26. Jänner 1978; Reinhard Bachleitner, Der alpine Skisport. Eine sozial-, wirtschafts- und ökowissenschaftliche Dokumentationsstudie, Innsbruck 1992, 11. Volksblatt, 18. Mai 1969. 1987 sind es 43%, 1990 48%, 1996 44% jeweils laut Erhebungen von Fessel-GfK - die Daten entnommen aus: Gilbert Norden, „Der Attersee-Schi um 9.000 Schilling verkauft sich gut - zum Schifahren wird er aber kaum verwendet". Empirische Daten und Analysen zum Sportartikelkonsum am Beispiel Österreich, in: Sport. Kult & Kommerz, hg. von Roman Horak und Otto Penz,. Wien 1992,157-184, hier 167; Bachleitner, Skisport, 14; Roland Bässler, Freizeit & Sport in Österreich. Eine gesellschaftspolitische und marktorientierte Trendanalyse zur Entwicklung des Freizeitsports, Wien 1997, 49. Norden, Attersee-Schi, 171 f. 1995 verfügen zwar 51% der Österreicherinnen über die nötige Ausrüstung zum Radfahren und 46% über das erforderliche Equipment zum Schwimmen (laut Bässler, Freizeit & Sport, 73). Letzteres wird sich aber in den meisten Fällen auf eine Badehose beschränken und das Rad ist nach wie vor oft ein Transportmittel, das nicht zwangsläufig seines sportiven Charakters wegen gekauft wird. Bachleitner, Skisport, 14. Angaben bezogen auf das Jahr 1990, siehe ebd., 17. Polednik, Glück im Schnee, 79 f. Siehe die Erzählung „Wintersport", in: Alois Brandstetter, Vom Schnee der vergangenen Jahre, Salzburg-Wien 1979, 36-43.

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Wolfgang Kos, Weiße Sterne und Turbostreifen oder: die Modewellen des österreichischen Skidesigns. Ein Exkurs, in: Johann Skocek und Wolfgang Weisgram, Wunderteam Österreich. Scheiberln, wedeln, glücklich sein, Wien 1996, 163-181, hier 163 f. 89 Zit. nach Polednik, Glück im Schnee, 48. 90 Walter Flaig, Aus der Skigeschichte Österreichs, in: Austria-Ski-Sport 4/1959, 11. 91 Reinhard Krammer, Die Turn- und Sportbewegung, in: Österreich 1918-1938. Geschichte der Ersten Republik, hg. von Erika Weinzierl und Kurt Skalnik, Graz-Wien-Köln 1983, 731-743; Hannes Strohmeier, Leibesübungen und Leibeserziehung im Prozess der Modernisierung, in: Beiträge zur historischen Sozialkunde 1983, Nr. 1, 3-11. 92 Wolfgang Kaschuba, Sportivität. Die Karriere eines neuen Leitwertes. Anmerkungen zur „Versportlichung" unserer Alltagskultur, in: Sportwissenschaft 19 (1989), 154-171. 93 Otmar Weiss und Manfred Russo, Image des Sportes, Wien 1987, 133. 94 Salzburger Nachrichten, Österreichs Wirtschaft im Bild, 24. Februar 1962. 95 Österreichs letzter Skikaiser, in: Kurier, 17. November 1990. 96 Kurier, 19. Februar 1989. 97 Salzburger Nachrichten, 5. Mai 1993, 3. 98 Trend 1990, Nr. 1, 100. 99 Ebd. 100 Inlandsreport, 22. September 1994. 101 Stichwort „Essen und Trinken", in: Breuss, Liebhart und Pribersky, Inszenierungen, 1 Π Ι 26; Susanne Breuss, Einverleibte Heimat. Österreichs kulinarische Gedächtnisorte, in: Heroen, Mythen, Identitäten. Die Slowakei und Österreich im Vergleich, hg. von Hannes Stekl und Elena Mannovä, Wien 2003, 351-372. 102 Vgl. Ernst Langthaler, Österreich vor Ort.Ein Weg in die kollektive Identität der Zweiten Republik, in: Gedächtnis - Erinnerung - Identitäten, hg. von Hannes Stekl, Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 2002, Nr. 1, 7 - 4 3 . 103 Ernst Bruckmüller, Österreichbewußtsein im Wandel: Identität und Selbstverständnis in den 90er Jahren, Wien 1994, 19. 104 Tiroler Tageszeitung, 25. Mai 1994. 105 Josef Metzger, Ski, felix Austria, Ski!, in: Das große Buch vom Ski, hg. von Bruno Morawetz, Hamburg 1981, 186-190, hier 187. 106 Trend 1975, Nr. 10, 80. 107 Trend 1982, Nr. 3, 24; Oberösterreichische Nachrichten, 14. Mai 1983. 108 Profil 1977, Nr. 3, 42 u. 43. 109 Swietly und Simharl, Fischer, 92. 110 Trend 1975, Nr. 10,76. "' Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, Frankfurt/Main 1990, 60-65. " 2 Wochenpresse 1980, Nr. 44. 113 Die Presse, 18. November 1972. 114 Kneissl, Skilegende, 233. 115 Die Reportage abgebildet, aber nicht datiert in: Ebd., 120 f. 116 Trend 1978, Nr. 11, 176. 117 Rosemarie Schwaiger, Störrischer Visionär, in: Profil 1999, Nr. 45, 87. 118 Zwischenüberschrift einer Presseaussendung der Firma Atomic, Februar 1991. 119 Austria-Ski-Sport 7/1958, 2 (Kneissl) u. 6/1962, 5 (Fischer). 120 Ernest Simharl, Skirevolution am EDV-Rechner, in: Die Presse, 6. Oktober 1973. 121 Kneissl, Skilegende, 31. 122 Austria-Ski-Sport, 5/1966. 123 Salzburger Nachrichten, 24. Februar 1962. 124 Kneissl, Skilegende, 75. 125 Austrian Standards, hg. von Jörg Krichbaum, Wien 1990, 118 f. 126 Trend 1975, Nr. 10, 79; Swietly und Simharl, Fischer, 94 u. 107. 127 Die Wirtschaft 1971, Nr. 6, 3. 128 Salzburger Nachrichten, 5. Mai 1993, 3.

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Vgl. Kos, Weiße Sterne, 178. Siehe das Interview mit Arnsteiner: Gangster und Terroristen, in: Cash-Flow 1991, Nr. 1. Kos, Weiße Sterne, 175-180. Modern Times, 22. Jänner 1999. Skocek und Weisgram, Wunderteam Österreich, 202. Rainer Gries, Volker Ilgen und Dirk Schindelbeck, Kursorische Überlegungen zu einer Werbegeschichte als Mentalitätsgeschichte, in: dies., „Ins Gehim der Masse kriechen!" Werbung und Mentalitätsgeschichte, Darmstadt 1995, 1-28, hier 21 f. Matthias Marschik, Vom Idealismus zur Identität. Der Beitrag des Sportes zum Nationalbewußtsein in Österreich (1945-1950), Wien 1999, 366. Österreich ist stolz auf seine Olympiasieger, in: Wiener Zeitung, 14. Februar 1956. Die Manifestation einer Großmacht, in: Die Presse, 8. November 1980. Kleine Zeitung, 9. August 1966. Bachleitner, Skisport, 141-146. Otto Lorenz, Made in Austria, in: Austria-Ski-Sport Heft 4, 1956/57, 13. Kurier, 14. Februar 1953, 3. Wochenpresse 1971, Nr. 6, 5. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21. November 1967. Austria-Ski 5/1981, 7 f. Kurier, 2. Februar 1971. Bachleitner, Skisport, 72-83. Die Presse, 26. Mai 1994. Skocek und Weisgram, Wunderteam Österreich, 203-210. Siehe den Artikel „Ski-Skandal in Squaw Valley", abgebildet in: Kneissl, Skilegende, 56. Kommentar „Gewinne" abgebildet in: Ebd., 58. Kneissl, Skilegende, 39 u. 41. Kurier, 4. November 1973. Die Presse, 31. Oktober 1973; Profil 1974, Nr. 4,48; zu der Affäre siehe auch: Heinz Prüller, Das Mädchen Pröll. Beste Skirennläuferin der Welt, Wien 1973, 199-203. Christiane Bloch, Heldinnen im Sport? Das Beispiel Moser-Pröll. Eine historisch phänomenologische Analyse, Diplomarbeit Univ. Wien 1998. Prüller, Mädchen Pröll, 196. Alois Tafertshofer, Forschungsbericht - Der Spitzensportler als Idol, in: Sportwissenschaften 12 (1982), 312, zit. nach: Bloch, Heldinnen, 152. Siegfried Mattl, Geschlecht und Volkscharakter. Austria engendered, in: ÖZG 7 (1996), 499515. Daher beklagten die Medien bei der Olympiade 1948 in St. Moritz, den Weltmeisterschaften 1950 in Aspen und 1966 in Portillo vor allem die ausbleibenden Erfolge der Männer. Siege der Damen erschienen keine ausreichende Kompensation. Marschik, Idealismus, 173 f.u. 226 f.; Kleine Zeitung, 9. August 1966. Neues Österreich, 3. Dezember 1962; Christian Sand, Heißer Sport auf eisigen Pisten, in: Ski-Welt 1970/71, Nr. 14, 16. Reinhard Johler, Warum haben Österreicher keinen Bedarf an Nationalhelden?, in: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde 1997, 185-222, hier 216. Kos, Weiße Sterne, 168. Vgl. Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung, Frankfurt/Main 1988,10.

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Austrian Airlines und Lauda Air Das nationale Projekt und die One-Man-Show Fluglinien sind Wahrzeichen der Modernität. Sie ermöglichten eine Beschleunigung des Reisens und des Warenaustausches. Sie verkörpern also ein wesentliches Prinzip kapitalistischer Gesellschaften. 1 Sie sind zugleich Symbole Urbanen Lebens: Das Netz, das sie spannen, verbindet Großstädte oder macht entlegene Regionen für den Tourismus verfügbar. Die Infrastruktur, die der Luftverkehr verlangt, ist außerdem ein Beispiel dafür, wie Städte ihr Umland in Anspruch nehmen. In diesem Fall annektieren sie landwirtschaftliche Flächen, auf denen die Flughäfen als Tore zur Welt oder schlicht als Stützpunkte für den sportlichen Zeitvertreib des modernen Menschen entstehen. 2 Will man die symbolische Bedeutung von Fluglinien diskutieren, kann man auch noch weiter ausgreifen: In kaum einer Darstellung des Flugwesens fehlt der Verweis auf das Fliegen als uralten Menschheitstraum. Tatsächlich kannten Kulturen aller Zeiten und Erdteile Mythen, in denen die Fähigkeit, sich in die Luft bzw. in den Himmel zu erheben, eine Rolle spielte. Keineswegs handelt es sich aber stets um Vorstellungen, die auf technische Einlösbarkeit drängen. 3 Nicht zufällig erlangte im Abendland der Mythos von Daedalus und Ikarus, vornehmlich in seiner Fassung durch den römischen Dichter Ovid, hohe Popularität, denn er führt bereits die Wendung des Traums vom Fliegen in ein Problem technischer Machbarkeit vor. Das Flugzeug ist ein Symbol der Herrschaft des Menschen über die Natur und somit von Hierarchien, die der Moderne innewohnen. Die Gründung einer österreichischen Luftfahrtgesellschaft stellte sich einerseits als wirtschaftspolitische Frage, andererseits als eine des nationalen Prestiges. Sie erhob sich nach dem Ersten Weltkrieg und ein weiteres Mal nach dem Zweiten. Die Flugtechnik war damals bereits ihren prekären Anfängen entwachsen, der von NS-Deutschland entfesselte Krieg hatte ihre (zerstörerische) Leistungskraft vorgeführt. Große US-Linien wie TWA, Eastern Airlines und PanAm demonstrierten die Machbarkeit der Zivilluftfahrt. Gegen Bedenken von Skeptikern setzten sich die Befürworter einer österreichischen Luftverkehrsgesellschaft durch. Die Anfangstage der Austrian Airlines fielen in die späten Fünfziger- und frühen Sechzigerjahre, als sich die Nation ihre „Wiedergeburt"

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durch technische Großleistungen vom Stahlwerk bis zum Staudamm zu bestätigen suchte. Seit damals ist allerdings nicht nur einige Zeit vergangen, sondern zudem jene ungetrübte Fortschrittsbegeisterung verschwunden, die auch in den Errungenschaften der Zivilluftfahrt eine geeignete Projektionsfläche fand. Wenn heute eine repräsentative Erhebung nach jenen Firmen fragt, die als „typisch österreichisch" gelten, so wird man dennoch erwarten, Austrian Airlines unter den meistgenannten Unternehmen zu finden. Betrachten wir also die Ergebnisse der 1998 durchgeführten Umfrage von Fessel-GfK, die unserem Forschungsprojekt zugrunde liegt: 1 % der Angesprochenen entsann sich des nationalen Carriers. Da es sich um einen ungestützten Wert handelt, mag man sagen: Immerhin. Andererseits fällt er neben markanten Häufungen wie den 18% Nennungen der VOEST oder den 10% von Julius Meinl sehr deutlich ab. Überraschend ist außerdem, dass die Lauda Air die seit Jahrzehnten eingeführte Marke Austrian Airlines überrunden konnte: Das junge Unternehmen wurde von 2% der Befragten für typisch gehalten. Angesichts der geringen Signifikanz von Nennungen im Bereich von ein oder zwei Prozent erscheint es geraten, zusätzlich die Resultate anderer, ähnlich orientierter Erhebungen heranzuziehen. 1987 konfrontierte das Wirtschaftsmagazin „Trend" 1.000 Österreicherinnen mit einer Liste von 50 Unternehmen, die man aus den heimischen Top 500 ausgewählt hatte. Die Austrian Airlines erschienen 69% der Auskunftspersonen als fortschrittlich, 59% als sympathisch (jeweils die Spitzenwerte) und immerhin 65 % als typisch österreichisch (damit hinter ORF, ÖBB, VOEST und Post an fünfter Stelle liegend). 4 Zehn Jahre später wurde die Erhebung auf die 500 umsatzstärksten Unternehmen in ihrer Gesamtheit bezogen. Der „Trend" wollte nun von den Österreicherinnen wissen, welchen Firmen sie hohes Ansehen zusprachen und welche sie als „wichtig für Österreich" erachteten. In beiden Fällen führten die Austrian Airlines (mit 66% und 72%) das Ranking an. Den zweiten Rang nahm jeweils die Lauda Air ein. 1987 hatte der „Trend" letztere Fluggesellschaft, die damals nur das Chartergeschäft betrieb, noch nicht in seiner Umfrage berücksichtigt. 1997 meinten aber 69 % der Österreicherinnen, dass die Lauda Air ein für das Land wichtiges Unternehmen sei - eine erstaunliche Entwicklung. 5 Bei Managerinnen erfreute sich die private Fluglinie sogar eines besonders positiven Images. Schon als der „Trend" 1990 durch Befragung von Führungskräften „Österreichs beste Unternehmen" kürte, zählte die Lauda Air zum Kreis jener Firmen, denen am häufigsten Eigenschaften wie innovativ, wachstumsorientiert und sympathisch zuerkannt wurden. 6 Auch 1997 stufte eine deutliche Mehrheit der Managerinnen (63%) die Lauda Air als „besonders wichtig für Österreich" ein. 59% belegten zwar die Austrian Airlines ebenfalls mit diesem Attribut. Der nationale Carrier wurde damit aber - anders als bei der gleichzeitig durchgeführten Erhebung unter Laien - auf die Plätze verwiesen.

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2002 schließlich eruierte das Wochenmagazin „Format" Österreichs bekannteste Marken. Im Unterschied zu den Untersuchungen des „Trend" und in Übereinstimmung mit jener von Fessel-GfK aus dem Jahre 1998 wurden keine Vorgaben gemacht. 3 % entsannen sich unter diesen Bedingungen der Austrian Airlines. Wiederum 3% nannten die Fluggesellschaft, als sie gefragt wurden: „Auf welche österreichische Marken sind Sie besonders stolz?" Lauda Air hingegen begegnet uns in keinem der beiden Fälle. Man könnte die Vermutung äußern: Nach dem erzwungenen Abgang von Niki Lauda und der vollständigen Einordnung „seiner" Lauda Air in den Konzern der Austrian Airlines hat diese als eigenständiges nationales Symbol an Kontur verloren. 7 Die Betrachtung verschiedener repräsentativer Erhebungen lässt sich dahingehend resümieren, dass die beiden wichtigsten österreichischen Fluggesellschaften immer wieder unter jenen heimischen Unternehmen aufscheinen, die sich durch ihren hohen Bekanntheitsgrad und ein positives Image als nationale Symbole eignen. Die Austrian Airlines, bei Fessel-GfK nach der Lauda Air gereiht, zeigten sich aber als beständiger als ihre Mitbewerberin, obwohl diese zeitweise dynamischer wirkte und ihre Ausstrahlungskraft in den Neunzigerjahren durch geschicktes Marketing einen Höhenflug erlebte. Für die Lauda Air liegt uns - anders als für die Austrian Airlines - eine genaue Aufschlüsselung der Umfrageresultate von Fessel-GfK vor. In den Unterlagen zeichnen sich einige Charakteristika des Gedächtnisortes ab: In Wien, aber auch in Kärnten kam die Lauda Air auf 4 % Nennungen. In Vorarlberg, Tirol und Salzburg wurde sie indes nicht als „typisch" erwähnt. Die Fluglinie ist somit kein westösterreichisches Symbol. Ein relevanter Faktor ist außerdem das Geschlecht: 3 % der Männer, aber nur 1 % der Frauen führten die Lauda Air an. Man darf getrost von einem Zusammenhang mit der charismatischen Figur ihres Gründers ausgehen: Andreas Nikolaus Lauda, meist liebevoll Niki gerufen, hatte durch seine Erfolge im eindeutig maskulin punzierten Motorsport internationale Popularität erworben, die er geschickt für den Aufbau seiner Fluglinie einsetzte. Auch die Altersstreuung ist auffällig: Bei den unter 20-Jährigen und den über 60-Jährigen spielte die Fluggesellschaft keine statistisch messbare Rolle. 4% der Personen zwischen 30 und 50 sahen hingegen die Lauda Air als typisch österreichisch an. Eine naheliegende Erklärung: Diese Altersgruppe erlebte die Höhen und Tiefen der Formel-1-Karriere von Niki Nazionale am intensivsten mit. Der dreifache Weltmeister ist enorm bekannt, jedoch keineswegs unumstritten. Seit Lauda in den Gesichtskreis der Öffentlichkeit trat, gilt als Grundregel, dass er begeistert oder abstößt - jedenfalls: Er polarisiert. Das macht den Sportler, „Seitenblicke"-Star und Unternehmer sowie die von ihm gegründete und geprägte Fluglinie zu einem spannungsreicheren „Gedächtnisort" als die Austrian Airlines. Der nationale Carrier wurde durch den Proporz und die große Koalition nach anfänglichen Querelen zu einer konsensfähigen Erinne-

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rungsfigur geformt, die eine wohltemperierte Modernität ä la autrichienne signalisiert.

Ein Abriss der Unternehmensgeschichten In den Zwanzigerjahren bildete sich ein neuer Typus des Verkehrsunternehmens heraus: die Luftfahrtgesellschaften, die mithilfe von Flugzeugen Fracht und Passagiere beförderten. Den ersten Liniendienst hatte zwar schon 1914 ein USamerikanischer Unternehmer für einige Monate betrieben, doch erst der Weltkrieg gab entscheidende Impulse. Die militärischen Anstrengungen führten zu großzügigen Investitionen in den noch jungen Flugzeugbau. Die technische Entwicklung machte bedeutende Forschritte. Außerdem wurden Produktionskapazitäten geschaffen, die auch in Friedenszeiten nach Auslastung verlangten. In rascher Folge entstanden in verschiedenen europäischen Ländern Flugunternehmen: Z.B. 1920 in den Niederlanden die KLM, die heute für sich in Anspruch nehmen darf, die älteste noch existierende Gesellschaft zu sein; in Frankreich und Deutschland wurden ebenfalls zahlreiche einschlägige Unternehmen ins Leben gerufen, die bald unter freundlicher Anteilnahme des Staates fusionierten, bis 1926 die Lufthansa und 1933 die Air France das Licht der Welt erblickten. 8 Die Gründung der „Österreichischen Luftverkehrs Aktiengesellschaft", kurz ÖLAG genannt, datiert von 1923. Das Kapital stellten einerseits die Österreichische Eisenbahn-Verkehrs-Anstalt, zu deren Unternehmungen die Lokomotivfabrik Floridsdorf und verschiedene Lokalbahnen gehörten, und andererseits die deutschen Junkerswerke, die sich durch Investitionen in den Linienflugverkehr Absatzmöglichkeiten sichern wollten. 9 Allerdings war die zivile Luftfahrt zunächst kaum profitabel. Das lag guten Teils an den geringen Transportkapazitäten. Die ÖLAG verwendete z.B. im ersten Betriebsjahr zwei von ihrem deutschen Miteigentümer zur Verfügung gestellte F 13. Dieser Typ bot gerade einmal zwei Piloten und vier Passagieren Platz. 10 Die von der Lufthansa ab 1932 und von der ÖLAG ab 1935 eingesetzte JU 52, vor allem aber die ebenfalls in den Dreißigerjahren vorgestellten USFabrikate Boeing 247 und die DC-3 von Douglas waren entscheidende Schritte in Richtung von rentablen Flugzeugen. Die europäischen Fluglinien blieben aber in der Zwischenkriegszeit abhängig von staatlicher Unterstützung. Das galt selbst für die dominierende Lufthansa, die in Nachfolge der „Junkers Luftverkehr" zu 49 % auch an der ÖLAG beteiligt war. Die österreichische Gesellschaft hatte 1926 eine ernste Krise durchlaufen, aus der sie nur der Einsatz von öffentlichen Geldmitteln in Form der „Flugkilometerbeihilfe" retten konnte. In der Folge nahm das Unternehmen einen Aufschwung. In Sitzplatzkilometern gemessen lag es 1935 innerhalb Europas auf Rang vier. In der Eigentümerstruktur vollzogen sich im Laufe des Jahrzehnts zwei wichtige Veränderungen: 1934 intensivierte zunächst der österreichische Staat durch Übernahme des Hälfteanteils

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der Eisenbahn-Verkehrs-Anstalt sein Engagement. Nach dem „Anschluss" 1938 wurde die ÖLAG zur Gänze von der Lufthansa übernommen. Der Zweite Weltkrieg brachte erneut technische Innovationen und massiven Kapitaleinsatz im Flugzeugbau, unterband aber zugleich in Europa für einige Jahre die Weiterentwicklung der zivilen Luftfahrt. In Österreich dauerte die Unterbrechung länger, denn die Alliierten verboten dem nunmehr besetzten Land jegliche einschlägige Tätigkeit. Zwar wurde Wien bald von ausländischen Gesellschaften angeflogen, auch gestattete man der Republik 1947 die Wiedererrichtung eines Amtes für Zivilluftfahrt, doch auf eine Zweitauflage der ÖLAG musste man vorläufig verzichten. Erst ab 1955 verfügte Österreich wieder über eine uneingeschränkte Lufthoheit auf seinem Gebiet. Die Gründung einer nationalen Fluggesellschaft zog sich allerdings noch eine Weile hin, da sich die beiden Koalitionsparteien SPÖ und ÖVP nicht über die Modalitäten einigen konnten. 1957 war es endlich soweit: Die Austrian Airlines wurden am 30. Oktober in den Räumlichkeiten der Creditanstalt am Wiener Schottenring aus der Taufe gehoben. Das Grundkapital verteilte sich folgendermaßen: Je 15% entfielen auf die skandinavische Fluggesellschaft SAS und den norwegischen Reeder Fred Olsen. 28% waren für Aktionäre mit sozialdemokratischer Schlagseite vorbehalten: die VOEST, das Verkehrsbüro, die Stadt Wien und andere. 42% verteilten sich auf eine der ÖVP nahestehende Gruppe, darunter auch - allerdings nicht federführend - Privatunternehmer. Die Republik firmierte zunächst nicht unter den Eigentümern, denn die Volkspartei trachtete, den Staat möglichst wenig zu involvieren. Als Folge dieser Zurückhaltung war die neue Fluglinie mit nur 60 Millionen Schilling Kapital ausgestattet eine lächerlich geringe Summe. Zum Vergleich: Die KLM verfügte damals über Eigenmittel von ca. 3 Milliarden Schilling." Die Anfänge gestalteten sich für die Austrian Airlines entsprechend schwierig: Ein Ankauf von Flugzeugen lag außer Reichweite. Die Gesellschaft musste vier Vickers Viscount von Fred Olsen mieten und gab allein dafür pro Monat fast drei Millionen Schilling aus. Schon 1958, im Jahr der Aufnahme des Flugbetriebs, brauchte das Unternehmen sein Kapital auf. 1959 übernahm der Bund die Haftung für einen Überbrückungskredit von 25 Millionen Schilling, um die Zahlungsunfähigkeit der Fluglinie abzuwenden. 1960 stellte das Finanzministerium abermals Geld zur Verfügung: diesmal 95 Millionen Schilling. 1962 beschloss der Nationalrat eine erste „Rekonstruktion" der Austrian Airlines: Sie erhielten nun ein Grundkapital von 150 Millionen und außerdem gestand der Staat dem Unternehmen einen Schuldenerlass zu. Damit hatte man für den nationalen Carrier bereits über eine halbe Milliarde Schilling ausgegeben. Bald stand jedoch der nächste Sanierungsversuch ins Haus: 1967 wurde das Kapital der Gesellschaft auf 290 Millionen erhöht, ohne dass diese Maßnahme zur Beseitigung der chronischen Unterkapitalisierung ausgereicht hätte. Eine Wirtschaftszeitschrift sprach von einem Finanzierungsbedarf im Bereich von 1,5 bis 2 Milliarden Schilling. 12 Es überrascht wenig, dass sich

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bald eine weitere Geldspritze als notwendig herausstellte. 1969 wurde das Kapital auf 390 Millionen aufgestockt. Die Republik, anfangs am Unternehmen nicht beteiligt, wandelte sich nach und nach zu seinem beherrschenden Eigentümer. Ein intensives Engagement des Staates im zivilen Luftverkehr entsprach aber durchaus der Situation eines stark regulierten Marktes, auf dem von einem freien Spiel der Kräfte ohnehin keine Rede sein konnte. Mitte der Vierzigerjahre hatten die USA als neue Hegemonialmacht eine Reihe von Initiativen gesetzt, die zur Festsetzung von wirtschaftlichen Spielregeln für die westliche Welt führten. Auch die zivile Luftfahrt wurde neuorganisiert. Die Chicagoer Konferenz von 1944 schuf ein System von bilateralen A b k o m m e n , deren Nutznießer nationale Fluggesellschaften waren, die mehrheitlich im Eigentum oder zumindest unter der effektiven Kontrolle des Vertragsstaates stehen mussten. 1 3 Beförderungsbewilligungen wurden nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit erteilt, das Sitzplatzangebot im Verhältnis 50:50 aufgeteilt. Da die Tarife staatlicher Genehmigung bedurften, war es schwer möglich, die Konkurrenz mit günstigen Preisen auszustechen. Die kartellartigen Vereinbarungen im Rahmen der IATA (International Air Transport Association) sahen sogar genaue Richtlinien für das Bordservice vor. Diese Ordnung des internationalen Luftverkehrs erlaubte es jedem Staat, seine Fluggesellschaft vor unliebsamer Konkurrenz zu schützen. Man verbaute sich andererseits Effizienzgewinne, die ein funktionierender Markt bringt. Die eigene Fluglinie musste man sich zuweilen einiges kosten lassen, wie nicht nur der österreichische Fall belegt. Der heimische Markt war als Basis des Verkehrsaufkommens, das eine österreichische Luftverkehrsgesellschaft tragen sollte, zunächst wenig ergiebig. Schon deshalb verlangte das Projekt einer Fluggesellschaft einen langen Atem. Die Durchsetzung des Flugzeugs als Massentransportmittel ist Indikator für ein Wohlstandsniveau, dem sich die Zweite Republik erst annähern musste. 1959 registrierte der Flughafen Wien gerade einmal 260.000 Passagiere, 21 % davon bezeichnenderweise aus den USA, wo sich die Zivilluftfahrt bereits gut etabliert hatte. Die Fluggäste österreichischer Herkunft folgten in der Statistik mit einem Anteil von 2 0 % erst an zweiter Stelle. 14 Die Austrian Airlines begannen 1958 mit bescheidenen 25.500 Fluggästen. Ausgehend von diesem sehr niedrigen Niveau entwickelten sich die Passagierzahlen aber durchaus eindrucksvoll. In der ersten Hälfte der Sechzigerjahre lagen die Wachstumsraten stets weit über 20%. Von 1964 auf 1965 konnte man gar eine Steigerung von 4 6 % verbuchen. 15 Ein Sprung in die jüngste Vergangenheit: 1998, vier Jahrzehnte nach Aufnahme des Betriebs, beförderten die Austrian Airlines über 4 Millionen Personen. 16 In den Wohlstandsgesellschaften ist die Flugreise längst nicht mehr ein schwer zugänglicher Luxus. Mittlerweile fliegen deutlich mehr Personen aus privaten Motiven als aus geschäftlichen Gründen. 17 Ein Schlaglicht auf diesen

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Wandel werfen auch Statistiken über die Urlaubsgewohnheiten der Österreicherinnen: 1969 wurden bloß rund 8% der Ferienreisen ins Ausland mit dem Flugzeug unternommen, 1999 waren es hingegen bereits 46%. Auch die absolute Zahl der Reisen, die über die Grenzen Österreichs hinausführten, wuchs in den vergangenen Jahrzehnten massiv: von einer Million 1969 auf 3,4 Millionen im Jahre 1999.18 Bis Ende der Sechzigerjahre waren die Austrian Airlines stets defizitär und rangen um ihre Existenz. Das lag zum einen an der ungünstigen Kombination aus den hohen Anlaufkosten einer Fluglinie und der viel zu geringen Kapitalausstattung. Zum anderen wies das Management gravierende Mängel auf. Der ersten Betriebsführung wurde ein planloses Agieren ohne betriebliche Kostenrechnung und klare organisatorische Strukturen vorgeworfen. Ein mit der Luftfahrt befasstes Ministerkomitee beschloss daher, die Verträge der beiden Vorstandsdirektoren nicht mehr zu erneuern. Ungeachtet mehrerer Wechsel an der Spitze des Unternehmens blieben zahlreiche Probleme bis Ende der Sechzigerjahre ungelöst: Die Bilanzierung erfolgte mit einer durchschnittlichen Verspätung von eineinhalb Jahren. Es fehlte an einem konsequenten Marketing. Die Kompetenzen waren innerhalb der Firma nicht klar abgegrenzt, Mitarbeiter beschrieben die interne Kommunikation als suboptimal. Ungünstig war auch der „Typensalat" bei den Flugzeugen. Die AUA verwendete in den Sechzigerjahren gleichzeitig britische Vickers Viscount, französische Caravellen, mit denen für das Unternehmen das Düsenzeitalter begann, und US-amerikanische Douglas DC-3 für den Inlandsdienst. Ein solches Potpourri verschiedener Modelle stand aber einer rationellen Wartung entgegen. In der Streckenplanung bewies man ebenfalls mehrfach keine glückliche Hand: Ein kräftiges Loch in die Bilanzen der vom Schuldendienst niedergedrückten AUA riss der 1963 aufgenommene Binnenverkehr, der auf Drängen der Bundesländer und Landeshauptstädte eingeführt wurde. Als Fehlschlag erwies sich außerdem der Einstieg ins Langstreckengeschäft, auf das man große Hoffnungen gesetzt hatte. Ab April 1969 flog die AUA nach New York. Die Nordatlantikroute war jedoch die am meisten umkämpfte Flugstrecke, auf der die neuen Großraumflugzeuge, allen voran die Boeing 747, der „Jumbojet", massiert zum Einsatz kamen. Damit verschärfte sich das Problem der Überkapazitäten, an dem die Luftverkehrsgesellschaften seit Einführung der Düsenflugzeuge Ende der Fünfzigerjahre litten. Ein Fallen der Tarife konnte nicht ausbleiben. 1969 wurden erneut die beiden Vorstandsdirektoren ausgetauscht. Das Gespann Anton Heschgl und Hugo Papousek lenkte die Austrian Airlines endlich auf einen erfolgreichen Kurs: Die Betriebsorganisation wurde verändert, mittel- und langfristige Planungskonzepte erstellt. Der Bereich des Marketing, den man bisher stiefmütterlich behandelt hatte, erhielt mehr Gewicht.' 9 Die Austrian Airlines verzeichneten also im Bereich des Managements eine deutliche Verwissenschaftlichung. Durch eine Reihe von Maßnahmen bemühte man sich um Einsparungen: Die Umflottung auf McDonnel-Douglas DC-9 brachte

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eine Typenbereinigung; binnen kurzem wurden außerdem 14% der Belegschaft abgebaut, die verlustträchtige Langstrecke nach New York und der defizitäre Inlands verkehr eingestellt. Das Verkehrskonzept der Regierung von 1968 hatte klargestellt, dass die Verkehrsträger einzelwirtschaftliche Rentabilität anstreben sollten. Diese Vorgabe wurde nun von den Austrian Airlines umgesetzt, wie sich an der lange diskutierten Frage des Inlandsdienstes zeigte. Die Fluglinie sah sich nicht mehr den infrastrukturellen Interessen der Bundesländer verpflichtet, sondern achtete auf das Wohl ihrer eigenen Bilanz. Diese Aufgabe wurde dem Management bedeutend erleichtert, als die sozialdemokratische Alleinregierung 1972 die Aufstockung des Gesellschaftskapitals auf 1 Milliarde Schilling beschloss. Während sich die ÖVP eher reserviert gegenüber staatlichen Geldspritzen gezeigt hatte, war die SPÖ stets dafür eingetreten, der AUA Mittel aus dem Budget zur Verfügung zu stellen. Die Geschichte der Fluglinie fügt sich in dieser Hinsicht in jene der verstaatlichten Industrie insgesamt. 20 Die Siebzigerjahre wurden ein gutes Jahrzehnt für die Austrian Airlines, die sich geschickt in einem regulierten Markt einrichteten: Die Gesellschaft flog Strecken, auf denen hohe Tarife gewährleistet waren, und konnte dadurch mit vergleichsweise geringer Auslastung Profite erwirtschaften. Freilich zeichnete sich am Ausgang des Jahrzehnts schon ab, dass man in Zukunft mit anderen Bedingungen würde rechnen müssen. Die Administration Carter gab 1978 mit dem Airline Deregulation Act den Wettbewerb auf dem US-Inlandsmarkt frei. Aggressive Newcomer lehrten nun altehrwürdigen Fluglinien das Fürchten. Manche, wie PanAm oder Eastern Airlines, mussten sogar den Konkurs anmelden. Schließlich gingen jedoch einige big player wie TWA gestärkt aus der Umstellungsphase hervor. In Europa begann die Liberalisierung gut zehn Jahre später: Auch hier öffnete sie neue Spielräume für kleine Linien. Gleichzeitig förderte die verschärfte Konkurrenz aber die Bildung von weltumspannenden Allianzen. Als Niki Lauda, der für sich die Fliegerei entdeckt und den Pilotenschein gemacht hatte, 1978/79 seinen ersten Versuch als Flugunternehmer wagte, traf er noch auf starre Strukturen, die es nicht leicht machten sich zu etablieren. 21 Der zweifache Formel-1-Weltmeister erwarb eine Bedarfsflugkonzession, die den Betrieb von Flugzeugen mit bis zu 44 Plätzen gestattete. Bald konnte das Unternehmen mit zwei gebrauchten Fokker 27 abheben. Es führte vor allem Charterflüge für Touropa Austria und den ÖAMTC durch. Lauda verfolgte laut eigener Darstellung die Absicht, in aller Harmlosigkeit unterhalb des Marktsegments der Austrian Airlines regionale Destinationen zu bedienen. Da sich die staatliche Airline damals auf Mittelstrecken konzentrierte, hoffte er, den Monopolisten nicht zu reizen. Allerdings kam er mit seinen Plänen der AUA trotzdem ins Gehege. So suchte er z.B. um Verkehrsrechte für die Strecke Wien - Klagenfurt an. Die Destination wurde aber bereits von den Austrian Air Services angeflogen. Mit der Schaffung dieses Tochterunternehmens im Jahre 1980 hatte sich die AUA nach längerer Abstinenz wieder dem Binnenverkehr

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zugewandt. Konkurrenz war ihr nicht willkommen, ob sie nun von Seiten der 1978 gegründeten Tyrolean Airways oder eben der Lauda Air kam. Die Austrian Airlines, im internationalen Maßstab selbst ein Zwerg, nützten ihre dominante Stellung in Österreich, um Neulingen das Leben zu erschweren. Die ökonomischen Bedingungen waren an der Wende zu den Achtzigerjahren außerdem nicht günstig für den Einstieg ins Fluggeschäft. Die Ölpreise stiegen, ebenso der Dollar und die Zinsen, insgesamt war die Wirtschaftslage schlecht, der Tourismus musste Einbußen hinnehmen. Trotzdem wollte Lauda schon 1979 hoch hinaus. Der Jungunternehmer, der gerade einmal zwei Propellerflugzeuge betrieb, zeichnete eine Option auf eine McDonnel-Douglas DC-10. Bald zeigte sich indes, dass er einer Transaktion dieser Dimension nicht gewachsen war. Er löste den Kaufvertrag und musste froh sein, finanziell halbwegs ungeschoren davonzukommen. Da seine Fluggesellschaft Verluste schrieb, reduzierte Lauda ihre Aktivität drastisch: Seine beiden Fokker verleaste er zunächst an die Egypt Air, später verkaufte er sie in Deutschland. Das Unternehmen existierte für einige Zeit nur auf kleinster Flamme. Lauda gab sich aber nicht geschlagen, sondern nahm 1984 einen zweiten Anlauf. Diesmal wollte er sich von vornherein nicht mit kleinen Maschinen abgeben. Er suchte um eine Erweiterung seiner Konzession an, um Flugzeuge der größten Gewichtsklasse betreiben zu dürfen. Das Verkehrsministerium verweigerte sich nicht dem Wunsch Laudas, der gerade zum dritten Mal den Weltmeistertitel in der Formel 1 errungen hatte. Ein Atout von Lauda bei seinem Relaunch war die Partnerschaft, die er mit Bassile Varvaressos, dem Chef des auf Griechenland spezialisierten Reisebüros ITAS, eingegangen war. Varvaressos wollte sich aus der Abhängigkeit von der AUA-Chartertochter AAT lösen, da die staatliche Fluglinie zugleich an Touropa, einem Konkurrenten von ITAS, beteiligt war. Lauda wiederum benötigte einen sicheren Abnehmer für seine Kapazitäten. Zunächst leaste er zwei Maschinen von der rumänischen Fluglinie TAROM, bald verfügte das hoffnungsfrohe Unternehmen aber über eigenes Fluggerät: Im Juli 1986 wurde die erste von zwei neuen Boeing 737 ausgeliefert. Um nicht allein auf das Chartergeschäft angewiesen zu sein, begann Lauda den Kampf um eine Linienkonzession. Die AUA bestritt gegenüber dem Verkehrsministerium heftig den „Bedarf", Lauda setzte sich trotzdem durch. Die 1987 erteilte Lizenz beschränkte sich aber auf bestimmte Gebiete wie z.B. Australien oder Hongkong, während Nordamerika und Europa dem staatlichen Carrier vorbehalten blieben. Erst 1990 erhielt Lauda eine uneingeschränkte Konzession und erreichte damit Bewegungsfreiheit auf dem Markt. Einer der wesentlichen Vorteile der Fluglinie bestand in einer günstigen Kostenstruktur, weil sie ihrem Personal deutlich schlechtere Bedingungen bot als z.B. die staatlichen Austrian Airlines. Doch Lauda gedachte nicht, sich eine Nische als Billigflieger zu suchen, sondern verfolgte das ehrgeizige Ziel, eine Premium-Marke zu kreieren. Sein Slogan lautete: „Service is our success". Mit

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dem gut kommunizierten Bemühen, in punkto Service die Konkurrenz zu übertreffen, gelang es der Lauda Air, sich im Bereich Tourismus, d.h. als „Ferienflieger", hohe Reputation zu erwerben. Die größte Stärke von Lauda Air bildete unzweifelhaft ihr Marketing, in vieler Hinsicht eng verbunden mit der Popularität des Formel-1-Stars, der es auch nach seinem Abtritt von der Rennbühne stets verstand, sich ins Rampenlicht zu stellen. Lauda war der charismatische Frontman des Unternehmens, ein Eindruck, der noch dadurch gesteigert wurde, dass er selbst Flugzeuge seiner Linie pilotierte. Das Verhältnis zwischen dem Image und der dahinterstehenden Substanz war nicht immer klar einsehbar, aber die grenzenlose Selbstsicherheit des Siegers Lauda verlieh seinen Ankündigungen große Überzeugungskraft. Als Lauda 1990 den Gang an die Wiener Börse unternahm, offerierte er Stammaktien und Partizipationsscheine einer Gesellschaft, über die der „Trend" schrieb: „Bislang erwirtschaftete sie keine Gewinne, demnächst wird sie keine Dividende auszahlen." Die Informationen, die Lauda Air den zukünftigen Aktionären gab, wurden als „eher dünn" beurteilt und der Ausgabepreis der Papiere war hoch angesetzt. Institutionelle Anleger hielten sich folglich zurück, Kleinanlegerlnnen zeichneten jedoch mit großer Begeisterung. Ein Banker spottete: „Da wird mehr das Kappl des Rennfahrers Lauda verkauft als die Anteile an seiner Fluglinie." Damit war das Kalkül des umstrittenen Börsengurus Michael Lielacher aufgegangen, der rechnete, ein breites Publikum anzusprechen. Für Lauda war der Börsengang ein voller Erfolg, für die Anlegerinnen verlief die weitere Entwicklung der Papiere jedoch enttäuschend. Sie verloren bald drastisch an Wert.22 Für Fluggesellschaften stellte sich die Lage zu Beginn der Neunzigerjahre allgemein schwierig dar: Der Golfkrieg ließ die Treibstoffpreise und Versicherungskosten in die Höhe steigen, während gleichzeitig die Passagierzahlen abnahmen. Die Austrian Airlines hatten seit 1971 stets Gewinn erwirtschaftet, jetzt aber schlitterte die Fluglinie, für die Verbindungen in den Nahen Osten ein wichtiges Standbein waren, in die Verlustzone. 1990 und 1991 wurde die Bilanz noch durch die Auflösung von Rücklagen gerettet, 1992 aber schrieb man rote Zahlen. In dieser Situation suchte die AUA, seit 1988 in drei Schritten teilprivatisiert, nach Kooperationsmöglichkeiten, zumal die Europäische Union seit 1987 in mehreren Etappen den Luftverkehrsmarkt freigab. Die Austrian Airlines überlegten eine Partnerschaft mit der Lufthansa, interessierten sich andererseits aber auch für das bald gescheiterte Projekt Alcazar, das eine Allianz mit Swissair, KLM und SAS vorsah. Lauda, dem die Lufthansa den Rücken stärkte, drohte der AUA für den letzteren Fall mit „Krieg in allen Regionen". 23 Die Lauda Air wurde von der Lufthansa in der Tat auf volle Konkurrenz mit den Austrian Airlines ausgerichtet. Die AUA verlor dadurch viel Geld, während die Defizite der Lauda Air von ihrem deutschen Teilhaber abgedeckt wurden, bis dieser - selbst durch finanzielle Schwierigkeiten geplagt - seinen verlustträchtigen Stellvertreterkrieg aufgab. Nun war es für die Lauda Air an der Zeit, sich mit den Austrian Airlines zu versöhnen. Wäh-

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rend die Lufthansa ihre Beteiligung verringerte, stieg die österreichische Nationallinie bei Lauda Air ein. Die Gesellschaft war zwar Spielball im Konkurrenzkampf zweier größerer Unternehmen, jedoch ein sehr eigenwilliger, den zu kontrollieren weder der Lufthansa noch den Austrian Airlines leicht fiel. Im Jahr 2000 spitzte sich die Lage von Laudas Fluglinie zu.24 Sie schrieb Verluste und der lang schwelende Streit über einen Kollektivvertrag für das fliegende Personal kulminierte in einer Streikdrohung. Die AUA wollte die Gesellschaft zur Gänze übernehmen und Lauda loswerden. Das AUA-Management und der ehemalige Rennfahrer steuerten daher auf einen finalen Konflikt zu. Die Position von Lauda verschlechterte sich dramatisch, als nach und nach das desaströse Ausmaß der Verluste des von ihm geführten Unternehmens ruchbar wurde. Die Wirtschaftsprüfungskanzlei Deloitte & Touche errechnete einen Abgang von einer Milliarde Schilling. Lauda bestritt diese Analyse. Rudolf Streicher, Präsident der ÖIAG, der Holding der verstaatlichten Industrie, beauftragte eine zweite Kanzlei, KMPG, die aber im Wesentlichen zu denselben Schlüssen kam. Lauda wurden Versäumnisse im Controlling und bei der Berichterstattung an den Aufsichtsrat als „grobe Pflichtverletzungen" angelastet. Insgesamt ergab die Finanzpolitik der Lauda Air ein unerfreuliches Bild: Das Unternehmen hatte sich auf Währungsspekulationen eingelassen, die schlecht ausgingen, und außerdem - bereits ins Trudeln geraten - die Bilanzen aufgebessert, indem es vorübergehende Buchgewinne durch den Verkauf von Flugzeugen lukrierte. Das anschließende Zurückleasen der Maschinen versprach allerdings beträchtliche Mehrkosten für die Zukunft. In dieser letzten Phase kumulierten sich die Probleme, die aus der ganz auf den Frontman Lauda zugeschnittenen Unternehmenskultur resultierten. Diese war einer Fluggesellschaft, die 1.200 Mitarbeiterinnen beschäftigte, nicht mehr angemessen. Obwohl längst nur mehr Teilhaber einer Aktiengesellschaft, agierte der Ex-Sportler mit der Machtvollkommenheit des Eigentümerunternehmers, der sich nicht in die Karten schauen lassen will. Die bestenfalls nachlässige Bilanzierung spielte er auf „ein paar Formalfehler" herunter. 25 Die hohe Risikobereitschaft Laudas hatte seiner Linie den Aufstieg gegen alle Hindernisse ermöglicht. Zu der ausgeprägten Tendenz, eine weitere Expansion gegenüber der Konsolidierung zu bevorzugen, fehlte nun aber ein wirksames Korrektiv. Die Gewohnheit, schnelle Entscheidungen zu treffen, vertrug sich schlecht mit der Notwendigkeit, bei komplexen Sachverhalten sorgfältig abzuwägen. Durch das Finanzdebakel in die Enge getrieben, verkündete Lauda unter großer Anteilnahme der Medien am 21. November 2000 seinen Rücktritt als Vorstand der von ihm gegründeten Fluglinie. Die Wege Laudas und „seiner" Lauda Air trennten sich endgültig. Zwar hielt er noch 30% an der Gesellschaft, doch verfügten die Austrian Airlines über eine Option auf das Aktienpaket. 2001 wurde die Lauda Air zu ihrer 99%igen Tochter. Bereits seit 1998 war die AUA Alleinbesitzerin der Tyrolean Airways, an der sie sich vier Jahre zuvor mit ca.

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43 % beteiligt hatte. Nach einer Phase des Konkurrenzkampfes fanden sich also seit Mitte der Neunzigerjahre die drei österreichischen Fluglinien unter dem Dach eines Konzerns zusammen. Doch auch die AUA selbst suchte Schutz in einem größeren Verbund. Die Austrian Airlines, die nach dem Einbruch in den frühen Neunzigerjahren durch ein Sparprogramm wieder Tritt gefasst hatten, schlossen sich zunächst der Qualiflyer-Gruppe rund um die Swissair an, mit der sie eine jahrzehntelange Kooperation verband. Die Schweizer Fluglinie verfolgte indes hochfliegende Expansionspläne (die für sie schließlich im finanziellen Zusammenbruch endeten) und versuchte hinter dem Rücken des AUA-Managements Anteile an der österreichischen Fluglinie zu erwerben. Unter anderem als Reaktion auf diesen Vertrauensbruch entschied sich die heimische Fluggesellschaft 1999, in die von der Lufthansa initiierte Star Alliance einzutreten. Sie wurde damit Mitglied im größten Fluglinienverbund der Welt, begab sich aber zugleich in Abhängigkeit der übermächtigen deutschen Lufthansa. Aus markentheoretischer Sicht sind die Allianzen trotz all ihrer Vorteile für die Konsumentinnen ein gefährliches Unterfangen, da sie die Unterschiede zwischen den beteiligten Gesellschaften verwischen. Was die Teilnahme von Austrian Airlines an der Star Alliance für die Marke und damit den nationalen Gedächtnisort bedeutet, wird man aber erst in weiterer Zukunft beurteilen können, ebenso die Frage, wie sich die Lauda Air als AUA-Konzernbestandteil behaupten wird.26 Die jüngste Wendung im ewigen Kampf Laudas mit den Austrian Airlines ist jedenfalls sein Wiedereinstieg ins Fluggeschäft: „Flyniki" heißt die neue Kreation, mit der Lauda versucht, auch seiner früheren Schöpfung Konkurrenz zu machen.

„Auch für Oesterreich ist Platz am Himmel ..,"27 - das Projekt einer nationalen Fluglinie Die Austrian Airlines sind Teil einer Geschichte, die man gut als „Österreichs Weg in die Welt" fassen konnte; einer der Begleitbände zur identitätsstiftenden ORF-Serie „Österreich II" behandelt jedenfalls in einem Kapitel dieses Titels die „schwierige Geburt der AUA" - neben Ausführungen unter anderem zur „Wiener Gruppe" und der Wiener Stadthalle, über Wasserkraftwerke und Seibersdorf, über einen Besuch von Julius Raab bei Eisenhower und einen bei Chruschtschow. Schon 1965 hatte sich das Buch „Flieg mit uns", verfasst von AUA-Pressesprecher Walter Norden, mit dem Versprechen präsentiert, seine Leserinnen über eines „der erregendsten und härtesten Kapitel in der Geschichte des österreichischen Wiederaufbaus" zu informieren. 28 Am Anfang war die österreichische Fluglinie nur ein Wunsch: Jener, im Konzert der „Kulturnationen" mitzuspielen, worunter man die hochindustrialisierte „Erste" Welt verstand. Dass die Besatzungsmächte der wiedererrichteten Republik lange Zeit jegliche Tätigkeit auf dem Gebiet des Luftverkehrs ver-

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sagten, wurde als Demütigung empfunden. Man sei „schlechter gestellt als ein Negerstamm in Innerafrika", empörte sich die „Wiener Zeitung" noch im April 1955. Mit Vehemenz hatten interessierte Kreise, vor allem der 1950 wiedergegründete Österreichische Aero-Club, die Gewährung der vollen Lufthoheit gefordert, jedoch die längste Zeit nur Teilerfolge erzielt: 1948 wurde der Modellflugsport freigegeben, 1949 das Segelfliegen. Später gingen die Flughäfen allmählich in österreichische Verwaltung über und 1954 gestattete der Alliierte Rat die Ausbildung von Motorpiloten und Fallschirmspringern. 2 9 Um das Bewusstsein von der Notwendigkeit des Fliegens in der Bevölkerung zu verankern und den Appellen an die Alliierten Nachdruck zu verleihen, fand am 12. April 1953 erstmals ein bundesweiter „Tag der Luftfahrt" statt. Die Presse entrüstete sich aus diesem Anlass über die noch immer geltenden Beschränkungen. Der „Kurier" kündigte für eine Ausstellung in Schönbrunn zwar die Vorführung von Motormodellen an, doch sollten diese an Schnüren gehalten werden und solcherart brav im Kreis fliegen - ein „Symbol unserer heutigen, mit der Würde eines modernen Staates nicht zu vereinbarenden Situation". 30 Das Österreich der Nachkriegszeit fand sich in einer bevorzugten Rolle wieder: als Opfer. Zunächst des Deutschen Reichs, das 1938 der Österreichischen Luftverkehrsgesellschaft (ÖLAG) ein Ende bereitet hatte, und nun der Besatzungsmächte.

GEBT UNS UNSERE

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Die Forderung nach einer eigenen Luftfahrt - inszeniert als Befreiung von den Ketten der Besatzung

1955 trat die Diskussion in eine neue Phase. Der Weg zur Gründung einer eigenen Fluglinie war prinzipiell frei. Jetzt drängte die Frage: Brauchen wir tat-

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sächlich eine Fluggesellschaft? Eine Reportage im ÖVP-eigenen Wochenblatt „Die Furche" antwortete mit der Gegenfrage: „Braucht der Mensch eine Armbanduhr? Er braucht sie nicht und er braucht sie doch. Es gibt heute kaum einen Menschen ohne eigene Uhr mehr - und kaum einen Staat ohne eigene Fluggesellschaft." 31 Über ein Pro und Kontra von ökonomischen Argumenten hinausgehend schien es um den Klassenerhalt in der Liga der „Kulturnationen" zu gehen. Der Abstieg, das Zurückfallen hinter den „kleinsten Negerstaat", 32 stand als Drohung im Raum. Andererseits formulierte man Aufstiegshoffnungen. Wenn „Das kleine Volksblatt" in einer Artikelserie das Ziel propagierte, der Fliegerei „in unserem Land eine stolze Zukunft zu sichern", so entsprach das der Forderung, unserem Land eine stolze Zukunft zu sichern. 33 Den Blick nach vorne ergänzte und bekräftigte der Verweis auf eine glorreiche Vergangenheit. Österreich sei einst in der vordersten Reihe der Luftfahrtnationen gestanden, betonte nicht nur das „Volksblatt". Gerne gedachte man z.B. der Schaffung einer öffentlichen Luftpostlinie Wien - Krakau - Lemberg - Proskurow im Jahre 1918. Es habe sich um die erste ihrer Art in der Welt gehandelt, lesen wir im Begleittext zu einer Sonderpostmarke, die den Eröffnungsflug der AUA feierte. Die Publikation begnügte sich aber nicht mit dem Anspruch einer Innovation bei der Postbeförderung: Die Verkehrsluftfahrt als solche sei durch die österreichische Pionierleistung geboren worden. Viel beschworen wurde auch das Gedächtnis „unserer" Helden der Flugtechnik: Etwa von Igo Etrich, der mit seiner „Taube" das erfolgreichste Schulflugzeug der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg entwickelt hatte. Etrich genießt bis heute eine gewisse Bekanntheit; hingegen dürfte der Konstrukteur Wilhelm Kress, dessen Andenken in der Nachkriegszeit sehr gepflegt wurde, nur eingefleischten Kennern der Materie bekannt sein. An der Wende zum 20. Jahrhundert konzipierte er ein Wasserflugzeug, das er auf einem Stausee erprobte. Das Fehlen eines ausreichend starken Motors verhinderte jedoch den Erfolg seiner Bemühungen. Bei einem von zahlreichen Versuchen ging das Flugzeug im Oktober 1901 unter. Kress überlebte, konnte aber für den Bau eines neuen Fluggeräts keine Finanzmittel mehr aufbringen. Dieser Geschichte lässt sich ohne große Mühe eine tragische Dimension verleihen: indem man erstens den Geldmangel als eigentliche Ursache der Niederlage von Kress hervorstreicht und zweitens seinem Scheitern den technischen Durchbruch gegenüberstellt, der nur eineinhalb Jahre später den Brüdern Wright gelang. 34 Kress eignet sich somit für die Aufnahme in das Pantheon glückloser Erfinderhelden, das im kulturellen Gedächtnis der österreichischen Nation eine wichtige Rolle spielt. Der reale Hintergrund des „österreichischen Erfinderschicksals", das manch findiger Tüftler aus dem Gebiet der Donaumonarchie erlitt, war deren schwache ökonomische Basis. Das Habsburgerreich bot aufgrund seines Rückstands in der industriellen Massenfertigung oft nicht die geeigneten Bedingungen, um Innovationen durchzusetzen, während ähnliche Ideen in fortgeschritteneren Staaten zum Erfolg führen konnten. Man mag in der nicht selten anzutreffenden Vorlie-

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be, gerade die Lebensgeschichten der gescheiterten Erfinder als die typisch österreichischen Biographien zu betrachten, die Nachwirkung dieser wirtschaftsgeschichtlichen Realität erkennen. Mit einer solchen Tendenz korrespondiert aber nicht zwangsläufig ein resignativer Umgang mit den technisch-ökonomischen Herausforderungen der jeweiligen Gegenwart. Das harte Schicksal eines Erfinders zu betonen, erhöht immerhin seinen Wert für das kollektive Gedächtnis, indem man ihn über das Gewöhnliche emporhebt. Er erscheint als Held, ein tragischer zwar, aber eben ein Held. In der Ersten Republik ebenso wie in der Zeit des Wiederaufbaus nach 1945 wurde die Identitätsstiftung durch das Erinnern an die Heroen der Technik mit einiger Intensität betrieben.35 Im Fall „unserer" Flugpioniere ließ sich das Gedenken an ihre Leistungen und Fehlschläge als Auftrag formulieren, das Projekt Austrian Airlines zu unterstützen. Walter Norden schreibt in seinem Buch über das vorläufige Ende der österreichischen Luftfahrt im Jahre 1938: „Es schien, daß dieses Werk [die Ö L A G ] , gleich den Leistungen der österreichischen Pioniere, der Forscher und Erfinder, vergeblich gewesen wäre." Aber es gibt längst wieder Grund zu Optimismus, denn: „Das Werk und der Geist aus den Anfangstagen der Fliegerei in Österreich [...] leben weiter in der neugegründeten Österreichischen Luftverkehrs-AG, den Austrian Airlines." 36 Wie wir im Rückblick wissen, setzte sich die Auffassung durch, die Austrian Airlines seien eine nationale Notwendigkeit. In den Fünfzigerjahren war die Frage jedoch Gegenstand eines heftigen Tauziehens zwischen den beiden regierenden Großparteien, die stark voneinander abweichende Vorstellungen darüber hatten, wie sich Österreich in die Verkehrsluftfahrt einschalten solle. Für die SPÖ stand fest, dass es der Staat übernehmen musste, eine heimische Fluggesellschaft ins Leben zu rufen. Karl Waldbrunner, als Minister für die verstaatlichte Industrie zuständig, von seinen privatwirtschaftlich orientierten Gegnern auch als „Verstaatlichungsminister" geschmäht, wirkte konsequent auf dieses Ziel hin. Er berief sich auf einen Ministerratsbeschluss von 1948, demzufolge die Beteiligung von Privatkapital an einer österreichischen Luftfahrtgesellschaft bereits einmal zur „Überfremdung" durch deutsches Kapital geführt habe. Eine Neuauflage der Ö L A G müsse deshalb vom Bund oder interessierten öffentlichen Gebietskörperschaften getragen werden. Die SPÖ argumentierte außerdem mit einiger Berechtigung, dass eine private Gesellschaft den Staat nur scheinbar billiger käme. Das Unternehmen würde bald um Subventionen, Steuerfreiheit, zinsenlose Kredite ansuchen, so dass sich die Republik erst recht finanziell engagieren müsste, ohne aber die Kontrolle über die Fluggesellschaft auszuüben.37 Die Ö V P hatte sich jedoch längst von dem 1948 unter Bundeskanzler Figl gefassten Beschluss distanziert. A l s Schreckgespenst stellte die ihr nahestehende Presse gerne die Warnung vor einer „fliegenden Bundesbahn" in den Raum und trat vehement für die Vorzüge der Privatinitiative ein. Der Aero-Club und

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die 1955 ins Leben gerufene „Studiengesellschaft für Verkehrsluftfahrt", beide Organisationen mit starker ÖVP-Beteiligung, beschäftigten sich mit den Aussichten einer Luftlinie auf privater Basis. Maßgebliche Kreise der Volkspartei rund um Julius Raab und die Wirtschaftskammer hielten aber das Vorhaben einer österreichischen Luftfahrtgesellschaft für nicht realisierbar, weil sie aus guten Gründen ihre Rentabilität bezweifelten. Sie favorisierten den Ausbau der für den Flugverkehr nötigen Infrastruktur und waren bereit, die Abwicklung des Verkehrs ausländischen Fluggesellschaften zu überlassen. 38 Von Raab wurde der Ausspruch kolportiert: „Baut's den Flugplatz und laßt's das Defizit den anderen." Ob authentisch oder nicht, er dürfte die Haltung des Kanzlers treffend charakterisieren. Der „Baumeister Österreichs", dem Gewerbe eher verbunden als der Industrie, kultivierte eine gewisse Skepsis gegenüber manch gefeierter Neuheit. So hielt er auch das Fernsehen für ein bloßes „Narrenkastl" von peripherem Interesse. 39 „Es ist in Österreich nicht leicht, gute Ideen durchzusetzen. Gegen sie wendet sich, kaum, daß sie aufgetaucht sind, alles, was engstirnig und rückständig ist", leitete die „Arbeiterzeitung" 1959 eine frontale Attacke auf die ÖVP ein.40 Nach Ansicht des Blattes hatte der Koalitionspartner mit seiner Parole „nix staatlich" einem zukunftweisenden Projekt geschadet. In der Tat nahm die SPÖ hinsichtlich des Vorhabens, eine österreichische Fluggesellschaft aufzubauen, eine klarere Position ein. Abseits von wirtschaftspolitischen Erwägungen drückte sich darin ein der Sozialdemokratie eigener Hang zum Fortschrittsoptimismus aus. Schließlich handelte es sich um eine Partei, deren Anhängerinnen seit jeher der selbstbewussten Überzeugung huldigten, mit ihnen marschiere die neue Zeit. Schon in der Zwischenkriegszeit hatte man sich daher für die Perspektiven einer Entwicklung des Flugzeugs zum Massenverkehrsmittel begeistert. 41 Die unterschiedlichen Auffassungen zum Thema Luftfahrt kulminierten Mitte der Fünfzigerjahre in einem „Proporzwettrennen", das im In- und Ausland als „Groteske" rezipiert wurde. Die der ÖVP zugerechnete „Studiengesellschaft" hielt im Jänner 1956 die konstituierende Generalversammlung der Air Austria AG ab; im März folgte die vom SP-dominierten Verkehrsministerium vorangetriebene Konkurrenzgründung „Austrian Airways". Es entstand eine Pattsituation: Verkehrsminister Waldbrunner erteilte der Air Austria keine Konzession. Im Gegenzug blockierte Finanzminister Karnitz die Aktienausgabe der als „Air Waldbrunner" titulierten „roten" Gesellschaft. Um die wechselseitige Blockade zu lösen, rief man nach den Wahlen des Jahres 1956 einen Sechserausschuss ins Leben, der schließlich eine Einigung erzielte. Aus Air Austria und Austrian Airways wurden die Austrian Airlines. Launig kommentierte ein ÖVP-Abgeordneter im Parlament das Ergebnis der Querelen: Man habe lange Zeit nicht gewusst, ob am Ende der Geburtswehen Zwillinge zur Welt kommen würden, doch glücklicherweise sei es letztlich doch nur ein Sohn geworden, der „mit dem Schrei AUA in die Welt gesetzt wurde". 42 Um jegliche

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Benachteiligung des einen oder des anderen Regierungspartners auszuschließen, erhielt das neue Unternehmen nicht einen Generaldirektor, sondern deren zwei: je einen aus den Reihen von SPÖ und ÖVP. Die Entstehungsgeschichte und die fortdauernden Probleme der Luftfahrtgesellschaft machten sie zu einem Symbol dafür, wie sich die beiden Regierungsparteien den Staat aufteilten. „Des Proporzes schönstes Wunderkind" höhnten die „Salzburger Nachrichten" und ließen zugleich keinen Zweifel daran, dass sie den ungeliebten Sprössling als Produkt der Hauptstadt erachteten: „Das Wiener große Lufttheater" betitelten sie ihre Auseinandersetzung mit den Missgeschicken der AUA.43 Wie bei anderen verstaatlichten Unternehmen gehörte der Parteienproporz zu den (negativen) Elementen, die den Gedächtnisort ausmachten. Vor allem bis Ende der Sechzigerjahre kamen die Austrian Airlines immer wieder wegen „krassesten Proporzes" ins Gerede. Als 1968 kurz vor Aufnahme des Transatlantikdienstes der Aufsichtsrat dem Vorstand das Vertrauen entzog, waren sich die Zeitungen einig - um nochmals die „Salzburger Nachrichten" zu zitieren: „Die Puppen an den Fäden der beiden Großparteien haben erneut ihr Spiel vollbracht und das ewige Lied vom Fluch der AUA um eine weitere Strophe bereichert." 44 Der neue Vorstand erwies sich aber als überraschend effizient, der Ruf des Unternehmens verbesserte sich deutlich. Der „Trend" attestierte der Fluggesellschaft 1975 die Wandlung vom „proporzverseuchten Pleitegeier" zum „gewinnsicheren Leistungsbetrieb". 45 Die AUA avancierte zu „Everybody's Darling", wie es Niki Lauda ausdrückte, für den der „geschützte, gehätschelte, geliebte Monopolist" ein großes Hindernis auf seinem eigenen Weg als Flugunternehmer darstellte. 46 Der Rennfahrer erkannte bald, dass es sich um eine Kraftprobe handelte: Der Mythos der „friendly Airline" AUA gegen seinen eigenen als „Niki nazionale".

Modernität und Patriotismus - Fluglinien und Österreichmythen Der Luftverkehr symbolisiert technologische Kompetenz und urbane Modernität. Das nützte die SPÖ in jenem Wahlkampf, der sie 1970 zur mandatsstärksten Partei machte. Auf einem Plakat z.B. entbot sich der Betrachterin das Heck einer Maschine der Austrian Airlines, dank der rotweißroten Bemalung des Leitwerks gut als solche erkennbar. Das Lemma des Emblems lautete: „SPÖ am Werk für ein modernes Österreich". Eine andere Darstellung aus der Wahlwerbung zeigte einen Düsenjet im Aufstieg, der im Himmel eine rotweißrote Spur zog. Daneben prangte die Losung: „SPÖ. modern, fortschrittlich, dynamisch." 47 Die SPÖ bemühte sich, für die Wählerinnen glaubwürdig eine Verbindung zwischen diesen Werten und dem österreichischen Kontext herzustellen. Die Problemstellung für die Austrian Airlines war durchaus ähnlich, denn auch sie sahen sich „am Werk für ein modernes Österreich". Als staatliche Fluglinie auf die Repräsentation ihres Landes festgelegt, musste sie versuchen, im

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Hinblick auf die in- und ausländischen Konsumentinnen Codes der Modernität überzeugend mit nationalen Stereotypen zu verknüpfen. Daraus resultierten die Kernbestandteile der Marke, die Uber Jahrzehnte konstant blieben. Schon die Wahl der Unternehmensbezeichnung, mit der sich die „Österreichische Luftverkehrs A G " an die Öffentlichkeit wandte, gab die Richtung an: Austrian Airlines. Die Verwendung des Englischen garantierte eine bessere Kommunizierbarkeit der Botschaft und suggerierte außerdem Weitläufigkeit; das Attribut „Austrian" stellte hingegen den nationalen Bezug klar. Seit einer Erneuerung ihres Erscheinungsbildes im Jahre 2003 tritt die Fluggesellschaft gar nur mehr als „Austrian" am Markt auf. Den Hinweis auf ihre Herkunft erfüllte seit jeher der Slogan „the friendly Airline" mit Leben. Sich selbst Freundlichkeit zuzuschreiben, war ein kluger Schachzug, da es sich um eine Qualität handelt, die in der Luftverkehrsbranche eine wesentliche Rolle spielt und zugleich ein Hauptelement jenes Images ist, das sich Österreich als Fremdenverkehrsland zugelegt hat. Die Österreicherinnen erfreuen sich international des Rufs, (gast)freundlich, angenehm und charmant zu sein. 48 Dieses Fremdbild, das die Tourismuswerbung mit großem Erfolg im Ausland vermittelt, wird aber auch von den Österreicherinnen selbst in hohem Maß angenommen. Unter den Autostereotypen stehen Eigenschaften wie lustig, gemütlich, hilfsbereit und höflich ganz vorne. 49

Die AUA als Symbol von Modernität im Dienste des SPÖ-Wahlkampfs 1970

Von Beginn an war das Attribut der Freundlichkeit in der Produktkommunikation von Austrian Airlines präsent, wenn auch nicht immer in der vom Unternehmen angestrebten Weise. Presseberichte verwendeten in den Fünfzigerjahren gerne die Paraphrase „friendly Airline", um mit Blick auf die Schwierigkeiten des

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Unternehmens Ironie zu transportieren. Das Markenstatement blieb aber jedenfalls bei den Konsumentinnen hängen, wie die Marktforschung später wiederholt feststellte. Aufschlussreich ist eine am Flughafen Wien durchgeführte Untersuchung jüngeren Datums, die unter deutschsprachigen Geschäftsreisenden das Image der Fluglinie erhob. Die Auskunftspersonen wurden mit Wort- und Bildreizen sowie Musikstücken konfrontiert und sollten diese Items einer oder mehreren von fünf zur Auswahl stehenden Fluglinien (Austrian Airlines, British Airways, Lufthansa, Lauda Air und Swissair) zuordnen. Auf ein Foto, das „persönliches Service" darstellte, reagierten 6 0 % der Befragten mit einer Zuschreibung an die Austrian Airlines. Alle anderen Carrier, vor allem aber die Lufthansa und British Airways, fielen dagegen deutlich ab. Auch bei den Wortreizen „gemütlich" und „da fühle ich mich willkommen" dachten die Befragten in erster Linie an die österreichische Fluglinie, 50 die seit 1998 sogar mit dem Anspruch auftritt, „the most friendly airline" zu sein. 51 Kurzum: Das zentrale Markenstatement der Austrian Airlines ist ein exzellentes Beispiel für die Erzielung eines „country-of-origin"-Effektes, d.h. die Übertragung von Imagebestandteilen des Herkunftslandes auf das Unternehmen. Die Entscheidung für die „Freundlichkeit" lässt sich freilich auch als Versuch interpretieren, einen möglichen technologiezentrierten Wettbewerb zu vermeiden, um stattdessen auf ein Terrain auszuweichen, auf dem man sich trittfester fühlte. Diese Strategie ist ein häufiges Muster der Selbstdarstellung Österreichs, zumal gegenüber dem Ausland. Es zeigte sich immer wieder in den Konzepten für die Weltausstellungen. Nur ein Beispiel: 1958, also ungefähr zu jener Zeit, als die Austrian Airlines „abhoben", präsentierte sich die Zweite Republik in Brüssel. Nicht durch „Atommeiler, Raketen und Überschallflugzeuge" wollte sie auf sich aufmerksam machen, sondern durch eine „verbindende, lebensbejahende Mentalität". 5 2 Ähnliche Überlegungen begleiteten die Austrian Airlines. Als sich die nationale Fluglinie noch im Stadium eines umkämpften Projektes befand, berichtete die „Wochenpresse" folgendes über die Auffassung der „Studiengesellschaft für Verkehrsluftfahrt": In den Reihen dieser Organisation mache sich niemand Illusionen, dass Österreich jemals mit den kapitalkräftigen Flugunternehmen des Auslands in punkto Material konkurrieren könne. Der letzte Fortschritt der Technik sei eben nur den reichen Staaten zugänglich. Welche Strategie bot sich also der heimischen Luftfahrt, um auf dem Markt zu reüssieren? Erstens würde sie die Schulung des Personals forcieren und dadurch eine hohe Betriebssicherheit und Pünktlichkeit erreichen, zweitens ein finanziell unaufwändiges, aber freundliches Service bieten. Stewards sollten den „sprichwörtlichen Charme des Österreichers" verströmen, Stewardessen im „schicken Stildirndl" das Auge erfreuen. 5 3 Als die nationale Fluglinie schließlich ihre ersten Gehversuche machte, jubelte die „Österreichische Neue Tageszeitung": „Das Service ist ausgezeichnet. Unsere Friendly Airline, die ,Freundliche Luftlinie', bietet mit österreichischen Stewardessen echt österreichische Gemütlichkeit und Wiener Scharm." Etwas weiter im Text heißt es

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noch: „Erfreulicherweise hat man bei unseren Stewardessen nicht das Gefühl des gewissen industrialisierten Keep Smiling, sondern sie sind mit Herz bei der Sache." 54 Die Gegenüberstellung von österreichischem Gemüt und kalter Businessorientiertheit findet sich auch in einem Zeitungsbericht über vier AUAHostessen, die Anfang 1968 einige Wochen bei einer US-Regionalfluglinie Dienst getan hatten. Die Leserinnen erfuhren, dass das Service bei der AUA viel besser sei. Von den amerikanischen Verhältnissen trenne die heimische Luftlinie vor allem, dass es keine österreichische Hostess gebe, „die nicht auch eine große Portion Idealismus und Liebe zu ihrem Beruf mitbringt". 55 Die Annahme einer dem heimischen Volkscharakter eigenen Liebenswürdigkeit spielt auch eine tragende Rolle bei der Ausgestaltung jenes sehr beliebten nationalen Mythos, der Österreich als Brücke begreift. 56 Als Alternative zu dieser völkerverbindenden Metapher hielt das kollektive Gedächtnis allerdings zugleich das Bild eines Bollwerks parat: gegen Awaren, Ungarn, Türken und schließlich gegen die Russen oder - abstrakt gesprochen - den Bolschewismus. Der „Kalte Krieg" legte über Jahrzehnte die Bedingungen fest, in deren Rahmen sich der doppelgesichtige Mythos von Österreich als Brücke und/ oder Bollwerk entfaltete. Durch die Festlegung auf eine „immerwährende Neutralität" sah man sich trotz einer festen Verankerung in der kapitalistischen Hemisphäre als Vermittler zwischen Ost und West besonders qualifiziert - eine Auffassung, die in der Ära Kreisky ihre Hochblüte erreichte. Es nimmt nicht wunder, dass die Erfüllung einer Brückenfunktion zwischen der kommunistischen und der US-dominierten Welt von Beginn an als eine der Hauptaufgaben und -chancen einer österreichischen Luftfahrtgesellschaft betrachtet wurde. Die Voraussetzungen, sich im Transfer zwischen den Blöcken zu etablieren, waren auch wirklich gegeben: Die Sowjetunion räumte Österreich nach Abschluss des Staatsvertrags als erstem westlichen Staat das Recht ein, Moskau anzufliegen. Die Möglichkeit einer Pioniertat ließ man freilich vorüberziehen, wie vielfach - und nicht nur von der kommunistischen „Volksstimme" 57 - beklagt wurde. Nach ihren mühsamen Anfängen verfügte die Gesellschaft jedoch bereits Mitte der Sechzigerjahre über das umfangreichste Streckennetz in der sowjetischen Machtsphäre. Sie flog als einzige alle osteuropäischen Hauptstädte an. Das Image eines Osteuropaspezialisten erhielten sich die Austrian Airlines bis in die Gegenwart. Dem österreichischen Selbstbewusstsein war die Idee einer Brücke zuträglich, konnte man sich dadurch ja in gewisser Weise als Mittelpunkt fühlen. Die Behauptung einer geradezu idealen Lage des Landes trieb in der Nachkriegszeit auch die Befürworter einer nationalen Fluggesellschaft an. Betrachtet man eine x-beliebige grafische Darstellung des Streckennetzes von Austrian Airlines, so ergibt sich in der Tat ein dem patriotischen Gemüt schmeichelnder Eindruck: Ausgehend von Wien überzieht ein Netz von Fäden Europa. „Unsere" Metropole liegt im Herzen des Kontinents. Eine solche Vorstellung von der Position Österreichs und seiner Kapitale hat bloß einen Fehler: die ethnozentrische Will-

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kür, die ihre Koordinaten diktiert. Dass eine Brücke zwischen den Machtblöcken zwangsläufig irgendwo an deren Rändern liegen musste, ignorierte man geflissentlich. Nur einige Kritiker des Projekts der eigenen Fluggesellschaft bemühten sich in den Fünfzigerjahren, die gute Stimmung zu verderben. Ein der Wirtschaftskammer nahestehendes Blatt sprach z . B . unsentimental von der „verkehrspolitisch peripheren Lage Österreichs". 5 8 Eine grafische Umsetzung der Verkehrsströme belegt die Diskrepanz zwischen dem Traum von der Brücke als Mittelpunkt und der kommerziellen Realität: Das Gros des Flugverkehrs ließ Wien links liegen. Die Zentren lagen anderswo, vor allem in London, aber auch in Paris und Frankfurt. 59 Fluglinien führen die Verbindung der Heimat mit der Fremde vor, vermitteln zwischen dem Nahen und dem Fernen. Das Image der Austrian Airlines umfasst daher beide Enden des Spektrums, die Gesellschaft legte aber stets den Akzent auf den Bezug zur Heimat. Man betrachte nur die Uniformierung der Stewardessen: Anfangs hatten sich die AUA-Hostessen zwar in blauen Kostümen gezeigt, doch ab 1963 wurde rot zur dominanten Farbe ihrer Kleidung und für die Schnitte orientierte man sich an Trachtenmode. So trug das weibliche Bordpersonal von 1974 bis 1980 des Sommers ein durch eine rote Jacke ergänztes rot-weiß-rot kariertes Kleid im Trachtenlook, während sie im Winter ein weinrotes Lodentrachtenkostüm mit Stickereien, eine Bluse mit Karomuster und einen roten Hubertusmantel mit weißem Kopftuch ausführten. Seither wurde zwar auf Kostümkombinationen ohne Lokalkolorit umgeschwenkt. Trotzdem blieb die Kleidung zumindest in ihrer Farbgebung patriotisch: rot und silbergrau (nicht weiß, aber doch fast!). 6 0 Wie stark die Austrian Airlines mit Heimat assoziiert werden, zeigt auch die bereits zitierte Erhebung unter Geschäftsleuten: Dem entsprechenden Wortreiz ordneten 55 % der Auskunftspersonen die Austrian Airlines zu, obwohl die Stichprobe nur zu etwas mehr als einem Drittel aus Österreicherinnen bestand. Eine separate Betrachtung der Resultate für die die aus Deutschland stammenden Befragten ergibt, dass für 5 9 % dem Wort Heimat die Lufthansa konnotierte. Der österreichische Carrier kam aber auf immerhin 3 0 % Nennungen! 61 Abseits einer Gleichsetzung von Heimat mit der Ebene des Nationalstaates manifestiert sich hier offenkundig ein Verständnis, das eher aufwerte wie Nähe, emotionale Wärme und Gemütlichkeit abhebt, also gut zu jenem Bild passt, das sich viele Bürgerinnen des Nachbarlandes vom Urlaubsziel Österreich machen. Die Verschiebung von tourismustauglichen Imagebestandteilen Österreichs auf die Austrian Airlines ließ sich im Rahmen der Studie an vielen Items, vom Donauwalzer bis hin zur Abbildung einer Tasse Kaffee, beobachten. Erheblich anders stellt sich in derselben Studie das Bild der Lauda Air dar: Für nur 13 % der Geschäftsleute konnotiert sie mit Heimat; überhaupt liegt sie bei vielen Sujets, die Österreich evozieren, weit hinter den Werten für die Austrian Airlines. Nur beim Kulinarischen, auch ein zentraler Bestandteil des Selbst- und Fremdbildes Österreichs, übertrifft sie die staatliche Fluglinie. 62

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Hierin spiegeln sich die Anstrengungen, die das Unternehmen des ehemaligen Rennfahrers gerade in diesem Bereich setzte. Das Catering stellte Attila Dogudan bei, der im Laufe der Zusammenarbeit mit der Fluglinie zum Großgastronomen avancierte. Es war Laudas ganzer Stolz, dass Dogudan genau wisse, was sich ein österreichischer Charter-Passagier „nach zwei Wochen Melanzani und Retsina in Zakynthos" wünsche: „Zum Beispiel einen G'spritzten, so kalt, daß das Glas anläuft, und ein eben aufgebackenes Wachauer Weckerl." 63 In punkto Bordmenü, das sogar anspruchsvolle Phäaken zufrieden stellen sollte, traf sich das Angebot des Unternehmens mit alten Stereotypen vom typisch Österreichischen. Auch die Absicht, die Konsumentinnen durch „das kleine bißchen Mehr an Herzlichkeit" 64 zu gewinnen, erinnert an die Austrian Airlines. Sie war jedoch andererseits Teil eines Anspruchs, den der Slogan „Service is our Success" schlagend formulierte. Die Ansage, den Erfolg zu wollen, trennte die Lauda Air vom harmlos „freundlichen" Dasein der AUA. Ihr Firmensymbol, der um 1982 kreierte rollschuhlaufende Engel, markierte ebenfalls klar den Abstand zum seriösen und etwas biederen staatlichen Carrier. Der Engel signalisierte: „Modern, flink, jung". Zu den essenziellen Bestandteilen einer Corporate Identity gehören natürlich die Unternehmensfarben: Die Entscheidung für die Farbkombination Rot-Weiß war zwar „naheliegend", wie Lauda selbst erklärte. Die Wahl wurde aber nicht ausschließlich in vaterländischer Perspektive getroffen, denn Rot war zugleich die „Urfarbe" von Lauda, der mit den roten Boliden von Ferrari seine beste Zeit im Formel-1Sport erlebt hatte und ein rotes Parmalat-Kapperl als unverwechselbares Markenzeichen trug. Eine Kopfbedeckung Laudas, nämlich sein Sturzhelm während der Zeit bei Brabham 1978, war es auch, die als erstes Objekt mit dem doppelten roten L verziert wurde, das bald auf den Leitwerken der Lauda-Maschinen prangte.65 Das Ego Laudas war das Kraftzentrum, um das sich der Carrier entwickelte. Auch die Kleidung der Flugbegleiterinnen folgte diesem Prinzip. Getreu dem Vorbild des stets leger gewandeten Chefs trug das Kabinenpersonal Jeans und das unvermeidliche rote Kappel. Diese Anti-Uniform sollte jugendliche Lockerheit darstellen - aber ohne jede Spur von Nachlässigkeit. Der Verzicht auf die üblichen Kostüme und Anzüge, auf uninspirierte formal dress, drückte jene von Lauda vorgelebte Sportlichkeit aus, die sich von überkommenen externen Zwängen befreit, um eine als Spaß kodierte Höchstleistung aus (vermeintlich) eigenem Antrieb zu erbringen. Reisen sollte ein Vergnügen sein für das Personal, das die einmalige Chance hatte, „an der Seite des Weltmeisters zu arbeiten und die ganze Welt kennenzulernen", 66 wie für die Passagiere, die von einer gutgelaunten, Unkonventionalität ausstrahlenden Besatzung betreut wurden. Da sich in dem markanten Dresscode der Lauda Air die Durchdringung der Fluglinie durch die Persönlichkeit ihres Gründers manifestierte, ist es kein Wunder, dass sofort nach dessen Abgang die neue Führung die Beseitigung der Kombination aus rotem Kapperl und Jeans anvisierte. 67 Die Spu-

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ren Laudas sollen wohl getilgt, die Marke aus der engen Abhängigkeit von dem Formel-1-Star gelöst werden. Ein augenfälliges Beispiel für die verschiedenen Unternehmenskulturen von Lauda Air und ihrem staatlichen Konkurrenten bietet die Namengebung der Flugzeuge. 1960 schafften die Austrian Airlines ihre ersten eigenen Maschinen, sechs Vickers Viscount, an und tauften sie nach berühmten Komponisten: Haydn, Schubert, Bruckner, Strauß, Mozart und Beethoven. Ein Jahr später wurde auch noch Brahms und Lehar diese Ehre zuteil. Die Flugzeuge sollten also die Kunde von Österreich als Land der Musik und der großen Tonkünstler in alle Welt (oder doch zumindest in verschiedene Staaten Europas) tragen. Ab 1963 statteten sich die Austrian Airlines mit Düsenflugzeugen des Typs Caravelle aus. Diese erhielten die Namen verschiedener Bundesländer; die VickersFlugzeuge bildeten ohnehin schon ein Pantheon gut abgehangener Heroen der Hochkultur. Ein drittes Muster der Namengebung wählte man für die Douglas DC-3, die im Inlandsdienst verkehren sollten: Sie hießen Edelweiß, Enzian und Erika. In den folgenden Jahrzehnten wurden die Maschinen stets nach Bundesländern, Städten, gelegentlich nach Regionen, Seen und Bergen wie Pinzgau, Neusiedlersee und Großglockner getauft. Erst als die Austrian Airlines Ende der Achtzigerjahre wieder in das Langstreckengeschäft einstiegen, rüsteten sie sich mit einigen Großraummaschinen des Typs Airbus aus, deren Namen auf die große, weite Welt jenseits der Grenzen verwiesen: New York, Tokyo, etc.68 Dem ostentativen Patriotismus der Austrian Airlines setzte die Lauda Air ein Spiel mit mythischen Figuren der westlichen Konsumkultur entgegen: Ihre ersten beiden Boeing 737 hießen Bob Marley und John Lennon. Spätere Anschaffungen erhielten Namen wie Marilyn Monroe, James Dean oder mit Blick auf Laudas Formel-1-Karriere Enzo Ferrari. Zwar integrierte man in das Pantheon auch Mythen österreichischen Ursprungs wie Johann Strauß oder Mozart, doch gerade letzterer war spätestens seit Falcos Hit „Amadeus" und dem gleichnamigen Film von Milos Forman Teil einer amerikanisierten Popkultur jenseits hochkultureller Attitüden. Die Businessclass firmierte bei Lauda Air übrigens unter der Bezeichnung „Amadeus Class". Bei den sieben für den Regionaldienst erworbenen Maschinen traten Österreichbezüge passenderweise in gehäufter Form auf, aber stets nach dem Prinzip der Austauschbarkeit von Namen österreichischer Herkunft mit jenen ausländischer Provenienz: Ob Herbert von Karajan oder Leonard Bernstein, das Kriterium für die Wahl bildete nicht die Affirmation nationalen Stolzes, sondern der Ruhm des Namenspatrons als Star internationalen Formats. Insgesamt zeichnete die Lauda Air ein selektiver Umgang mit ÖsterreichKlischees aus. Sie unterschied sich darin von den stets vaterländisch gesinnten Austrian Airlines. Eine der Einsichten, die der „Profil"-Kolumnist Reinhard Tramontana aus einem Vergleich der beiden Fluglinien bezog, betraf die Bordbücher, deren Lektüre die Passagiere unterhalten sollte: „eines [jenes der Lauda Air] ist kurzweilig, das andere [das der AUA] patriotisch". 69 Niki Lauda selbst

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vermied ein distanzloses Verhältnis zu seinem Heimatland, dessen Borniertheit und (angebliche) Rückständigkeit er zuweilen heftig kritisierte. Die Lauda Air profitierte zwar maßgeblich von seinem Status als ehemaliger Erfolgssportler, doch ließ sich der ehemalige Rennfahrer keineswegs in einen Streichelzoo pflegeleichter Nationalhelden einordnen. Er verkörperte als Medienfigur Werte einer hedonistischen (Post-)Moderne, die teils quer zu den Vorstellungen vom österreichischen Wesen lagen. Auch die Fluglinie setzte auf Internationalität und Modernität abseits des mit Österreich-Topoi versetzten Fortschrittsoptimismus, den die Austrian Airlines transportierten.

D i e Airline der Kulturnation

Niki Lauda - Identifikationsfigur eines Übergangs zur „Erlebnisgesellschaft" Um eine wesentliche Dimension der Erinnerungsfigur Niki Lauda angemessen interpretieren zu können, ist es hilfreich, das Konzept der „Erlebnisgesellschaft" heranzuziehen, das Gerhard Schulze Anfang der Neunzigerjahre vorstellte, um damit das Deutschland der Gegenwart zu analysieren. Dem Soziologen zufolge schlug sich der Durchbruch zu einer Gesellschaft mit breit verteiltem Wohlstand in einer tiefgreifenden Umwandlung der Lebensorientierungen nieder. In früheren Entwicklungsetappen hatte es die Knappheit vieler Güter

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und andere Faktoren der Unsicherheit den meisten Menschen nahegelegt, die Bewältigung dieser objektiv gegebenen Probleme als Hauptziele ihres Handelns zu verstehen. Heute können es sich indes so große Bevölkerungsteile wie noch nie und in einem höheren Maß als je zuvor leisten, nicht primär äußere Zwecke anzustreben, sondern das Erlangen befriedigender Erlebnisse zu privilegieren. Das Ziel der Handlung wird dadurch ins Subjekt selbst verlegt, das ein „schönes Leben", verstanden als Summe kurzweiliger Erlebnisse, sucht.70 Die Anwendbarkeit dieser Überlegungen auf Niki Lauda wird rasch deutlich, wenn man z.B. dessen Autobiographie „Das dritte Leben" analysiert. Die Motivierung von Handlungen folgt oft dem Muster „weil mir fad war [...]".71 Um den Gegenpol der angestrebten psychischen Zustände zu bezeichnen, verwendet Lauda häufig das Wort „Spaß". Sein Leben sei eine „durchgehende Reklame" für die Behauptung: „Du kannst nur dort gut sein, wo es dir Spaß macht. Der lächerliche Gymnasiast erwies sich als hervorragender Flugschüler, der nutzlose Mechanikerlehrling als technisches Genie' des Grand-PrixSports." 72 Den Gedanken des reinen Erlebens, losgelöst von außenorientierten Absichten, formuliert Lauda, wenn er hinsichtlich seiner Karriere in der Formel-1 betont: „Geld kann immer nur eine phantastische Begleitmusik, aber nie Motiv fürs Rennfahren sein. Kurz gesagt: Du mußt geil aufs Fahren sein, sonst hat es keinen Sinn."13 Lauda relativiert auch das Streben nach Ruhm, ein klassisches Beispiel für ein außenverankertes Handlungsziel, als Antrieb seiner Formel-1-Laufbahn. Über Siegerehrungen meint er abfällig: „Plötzlich gehörst du allen, und sie zupfen an dir rum, schlagen dir auf die Schultern, irgendwelche Weiber schnuddeln dich ab, und ein Mann mit Krawatte gibt dir einen Pokal, den du dir nicht einmal aufs Klo stellen wirst." 74 Schon früher gab er außerdem immer wieder zu verstehen, dass es ihm nicht primär um soziale Anerkennung im engeren familiären Umfeld gegangen sei, obwohl sein Vater und vor allem der Großvater den Einstieg des Sohnes bzw. Enkels in den Rennsport zu verhindern gesucht hatten. Auf die Frage, ob ein Sieg im Rennen für ihn eine Befriedigung gegenüber seinen Eltern bedeute, antwortete Lauda 1973: „Ich mache das nicht für oder gegen meine Eltern, ich mache das rein für mich. Ich will damit keinem etwas auswischen, ich will es machen und deswegen tue ich es." 75 Im Laufe der Saison 1979 stellte er aber fest, dass er fürs erste genug hatte, und erklärte daher, nicht mehr blöd im Kreis herumfahren zu wollen. Dieser Ausspruch des Champions, sein vielleicht berühmtester, wurde oft herangezogen, um den Formel-1-Sport als absurd anzuprangern. Lauda selbst verwahrt sich jedoch in seinem Buch „Das dritte Leben" gegen eine Interpretation, die ihm die Absicht der Kritik am Motorsport unterstellt: Ihm sei es nicht darum gegangen, eine allgemeingültige Einsicht zu formulieren, er habe nur seine momentanen Gefühle ausdrücken wollen. 76 Wenn Lauda seine Motivation als Rennfahrer und später als Unternehmer in erlebnisorientierten Termini beschreibt, so handelt es sich zweifellos um eine Inszenierung, die damit rechnet, ihr Publikum zu finden. Dinge um ihrer selbst

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willen zu tun, genießt nicht erst in der „Erlebnisgesellschaft" höheres Prestige, als sich vom schnöden Mammon oder der Hoffnung auf vergänglichen Ruhm bewegen zu lassen; auch die Rückführung der Karriere auf ein pubertäres Aufbegehren gegen die Familie bringt weder hohes Ansehen noch schmeichelt sie dem Ego. Da wir aber nicht an einem psychologischen Gutachten über Lauda arbeiten, bewegt uns weniger die Frage nach seinen „wirklichen" Motiven abseits des veröffentlichten Bildes, als vielmehr gerade letzteres unsere Aufmerksamkeit verlangt. Wichtig ist in unserem Zusammenhang nicht das tatsächliche Empfinden Laudas im Handlungsvollzug, sondern dass er schon in den Siebzigerjahren eine erlebnisorientierte und ichverankerte Interpretation seines Tuns vertrat. Während in der Gegenwart ein offensiv vertretener Narzissmus keine Neuigkeit mehr ist, war die Selbstverständlichkeit, mit der Lauda seinen Hedonismus zelebrierte, durchaus provokant in der Zeit seines Aufstiegs zur nationalen Berühmtheit. Niki Lauda beanspruchte für sich Authentizität, die bedingungslose Treue gegenüber seinem nach Stimulation hungrigen Selbst. Diese Form von Ehrlichkeit ließ sich gut mit Ruppigkeit bis hin zur Rücksichtslosigkeit vereinbaren. Der Champion erlaubte sich sogar Aussagen, mit denen er die nachhaltige Verstörung der Öffentlichkeit riskierte. Ein weiteres sehr bekanntes Zitat aus dem Munde des Spitzensportlers lautet: „Ich werde nicht bezahlt, um zu retten, sondern um zu fahren." So antwortete Lauda 1973 nach einem Rennen auf die Frage, warum er nicht geholfen hatte, seinen verunglückten Kollegen Roger Williams aus einem in Flammen stehenden Wrack zu bergen. Damit hatte er freilich eine Grenze überschritten. Sportler haben, so das gängige Leitbild, nicht nur ehrgeizig und leistungsbewusst zu sein, sie müssen auch das Prinzip der Fairness verkörpern. Als Lauda 1976 einen Unfall am Nürburgring nur deshalb überlebte, weil ihn andere Formel-1-Piloten aus seinem brennenden Ferrari zogen, erhielt das Statement zusätzliche Brisanz. Um Laudas Marktwert als Champion und seine Verwendbarkeit als österreichischer Nationalheld zu sichern, bemühte man sich daher, seine kaltschnäuzige Definition der Aufgaben des Formel-1-Fahrers als bloßes Missverständnis zu erklären. 77 Bei der Arbeit am Mythos Lauda gar nicht auf sie einzugehen, also auf gnädiges Vergessen zu bauen, war nach einiger Zeit aber womöglich noch klüger. Wer immer jedoch ein negatives Bild von Lauda zeichnen wollte, musste das Zitat nur aus der Schublade hervorziehen. Rund um den egozentrischen Star baute sich der Mythos des beinharten, dabei aber geradlinigen und ehrlichen Siegers auf. Parallel dazu begleitete Lauda stets ein Antimythos, der ihm die letzteren beiden Eigenschaften, charakteristisch für ein sportliches Image, rundweg absprach: Der Formel-1-Pilot und Flugunternehmer konnte als Paradebeispiel eines Mannes erscheinen, der es sich stets „richtete", fragwürdige Geschäftspraktiken und dubiose Freundschaften pflegte. Lauda lieferte auch für diese Stilisierung Ansatzpunkte zur Genüge: Dass der Spitzensportler für den Dienst im Bundesheer untauglich sein

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sollte, verwunderte die Öffentlichkeit; in einem Interview 1974 meinte er: „Mein Finanzamt steht in Hongkong". Die Steuerbehörde konnte sich dieser Auffassung nur bedingt anschließen und nahm sich einige Jahre später seines Falls intensiv an. Der Bauskandal um das Wiener Allgemeine Krankenhaus verursachte Lauda aufgrund seiner geschäftlichen Verbindungen zu einem der Angeklagten die Unannehmlichkeit, im Untersuchungsausschuss wiederholt aussagen zu müssen. 78 Mit Udo Proksch, Zentralfigur der Lucona-Affäre, verband ihn eine gute Freundschaft. Die Sicherheit seiner Fluglinie wurde in den Medien immer wieder angezweifelt, die Solidität ihrer Bilanzierung ebenso. Zur Zwiespältigkeit des Bildes von Lauda trug auch die Illusions- und Respektlosigkeit bei, die er gegenüber übergreifenden Mythen an den Tag legte. Die Nation und ihre Symbole interessierten ihn nicht besonders: „Ich bin gefahren wie die Sau, auf dem allerletzten Drücker, hab die WM mit einem halben Punkt gewonnen. Da ist mir die Hymne wirklich wurscht", erklärt er rückblickend den sichtbaren Mangel an Rührung, mit dem er seinen dritten Weltmeistertitel quittierte. 79 Dennoch avancierte Lauda zum Nationalhelden, nach einem bei Spitzensportlerinnen häufigen Muster. Unter den Landsleuten überwiegt der Wille zum Stolz trotz gelegentlicher Enttäuschungen, ausgelöst durch die Entdeckung, dass sich der (vorzugsweise männliche) Sportler weniger als bescheidener Kämpfer um die höhere Ehre Österreichs denn als individualistischer Star versteht. 80 Lauda mochte für die „Legende" Nation persönlich wenig übrig haben, das hinderte ihn aber nicht, seinen Status als österreichischer Heros nach Bedarf für sich einzusetzen. Die mit seinem dritten Weltmeistertitel einhergehende „Euphorie des ,Niki Nazionale'" betrachtet er selbst als ausschlaggebend für die Ende 1984 gewährte Konzessionserweiterung, die ihm den Betrieb von Großraumflugzeugen und damit den Neustart als Flugunternehmer erlaubte. Ob er heimische Politiker zu günstigen Entscheidungen bewegen wollte oder dem Flugzeughersteller Boeing einen „Lauda-Bonus" abzuringen gedachte, war für ihn jedoch derselbe Vorgang.8' Es handelte sich eingestandenermaßen um Manöver ohne jedes Sentiment, Kalkulationen mit dem Marktwert seiner „personality", seinem Nimbus als Champion, der im österreichischen Gebrauch eben eine patriotische Komponente enthielt. Wenn man Lauda als Symbolfigur einer an gesellschaftlicher Relevanz gewinnenden Erlebnisorientierung analysiert, so wird er in den weiteren Rahmen jenes Kulturkonflikts gestellt, den das Schlagwort der 68er-Generation bezeichnet. Gerhard Schulze schreibt von einer Phase des Übergangs, in der die politischen Bekenntnisse verdeckten, worum es eigentlich ging: Vorangetrieben durch ein verstärktes Streben nach Selbstverwirklichung und Stimulation formierte sich eine neue Milieustruktur. In Österreich hielten sich die revolutionären Umtriebe in Grenzen, doch auch hier schritt die kulturelle Anpassung der Gesellschaft an den Massenkonsum voran. Lauda schwang nie politische Parolen, die sich gegen das „Establishment" richteten. Überhaupt legte er seine Auftritte in der Öffentlichkeit nicht darauf aus, andere gegen etwas zu mobilisieren oder

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für eine Sache zu gewinnen. Missionarischer Eifer war ihm fremd. Seine Botschaft beschränkte sich darauf, dass ihm selbst Rennfahren Vergnügen bereite und der Rest im Wesentlichen egal sei. Indem er sich auf diese Weise zum eigenen Spaß als höchstem seiner Ziele bekannte, war er aber eine bemerkenswert moderne Figur. Er verkörperte natürlich nicht alle Facetten der neuen Erlebnisorientierung, sondern nur eine Variante: die Zentrierung auf Action und Unterhaltung. Diese provozierte nicht dadurch, dass sie bürgerlichen Lebensphilosophien ihre eigenen Thesen entgegenstellte, sondern weil sie das Terrain der Auseinandersetzung um universalistische Wahrheitsansprüche überhaupt nicht betrat. Sie verzichtete für die Motivierung von Handlungen auf jede Verbrämung mit politischen und ethischen Gründen, die über das eigene Selbst hinauswiesen und den Wunsch auf die Einordnung in die Gesellschaft als moralisch wertvolles Mitglied zu erkennen gaben. Die bürgerliche Welt, die ihre Rückzugsgefechte kämpfte, nahm an Laudas Lebensauffassung unvermeidlich Anstoß. Der Konflikt war zunächst familiärer Natur. Lauda entstammte dem Großbürgertum. Sein Urgroßvater war kurz vor Zusammenbruch der Monarchie in den Beamtenadel aufgestiegen, sein Großvater mehrte das Ansehen der Laudas als Großindustrieller, Präsident der Industriellenvereinigung und des Roten Kreuzes. Der Vater führte die Tradition fort, indem er als Generaldirektor der Neusiedler Papierfabrik fungierte. Die Familie erwartete von ihren Mitgliedern ein den bürgerlichen Normen entsprechendes Verhalten, Lauda zeigte sich indes schon in seinen frühen Jugendtagen widerspenstig. Wenig lerneifrig, verfehlte er sogar den minimalen schulischen Erfolg. Aus dem Gymnasium ausgetreten, versuchte er eine Lehre als Mechaniker, schloss sie aber nicht ab und begann stattdessen eine Abendschule. Die Erwartungen des Vaters erfüllte er schließlich zum Schein, indem er ihm ein gefälschtes Maturazeugnis vorlegte. Im April 1968, er war 19 Jahre alt, fuhr Lauda sein erstes Rennen. Bald machte er den Motorsport zu seinem Beruf. Getrieben von den Schulden, die er in einem wahren Finanzierungshasard anhäufte, suchte er den raschen Aufstieg in die Formel-1. Dort hoffte er genug zu verdienen, um seine Außenstände zu begleichen. Die Rechnung ging auf. Allgemein spottete seine Laufbahn dem von der Familie vertretenen Wertekanon: Der Verzicht auf Bildungspatente, die Weigerung, einen „ordentlichen" Beruf zu ergreifen, der eine hohes Maß an Planbarkeit des Lebens garantiert hätte. Niki Laudas Großvater soll die Ansicht vertreten haben: „Ein Lauda hat auf den Wirtschaftsseiten der Zeitung zu stehen, nicht im Sportteil." 82 In den Achtzigerjahren schlug der Enkel endlich diese Richtung ein. Auch in der neuen Rolle als Chef einer Fluglinie hielt sich seine „Verbürgerlichung" aber in Grenzen. Niki Lauda repräsentierte einen Unternehmertypus, der mit Industriellen vom Schlage der Manner oder Meinl nur die Forderung nach bedingungsloser Gefolgschaft gemein hatte. Er war ein charismatischer Unternehmer jüngeren wirtschaftsgeschichtlichen Zuschnitts. Das Bild vom „Patriarchen in

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Jeans" 83 ist irreführend, weil Lauda keine väterlichen Gefühle gegenüber seinen Mitarbeiterinnen zur Schau trug. Er pflegte nicht den traditionellen Diskurs sozialer Verantwortung, der Arbeit am gemeinsamen Werk. Die Fluglinie diente vor allem seiner Selbstverwirklichung, zu der andere beitragen durften gemäß jenen Maximen, denen Lauda in seiner Formel-1-Laufbahn gefolgt war: „Das Prinzip des Sports ist durchaus passend [fürs Geschäftsleben]. Die Aufgabe ist die gleiche: In weniger Zeit der Beste zu sein." Lauda berief sich nicht vordringlich auf ethische Argumente (Arbeitsplatz für viele Menschen, Dienst an der Gesellschaft), sondern er ästhetisierte die Unternehmensführung zur Geschmacksfrage: „Herr Lauda kauft eine DC-10, der Gedanke gefiel mir", erläutert er seine spontane (Fehl)Entscheidung aus dem Jahre 1979, ein Großraumflugzeug mit 300 Sitzplätzen zu bestellen. 84 Als Rennpilot hatte Lauda außerdem den kommerzialisierten Showsport kennen gelernt, dessen Produkt reine Inszenierung ist. Niki Nazionale erwies sich schon in Formel-1-Zeiten als Meister der Selbstvermarktung, und auch seine Fluglinie zeichnete sich durch aggressives Marketing aus. Die altbürgerliche Scheu vor marktschreierischem Verhalten, die diskrete Produktorientierung, die darauf setzt, dass Qualität sich von allein verkauft, waren seine Sache nicht.

Lauda als Charmeur - Monaco 1975

Laudas Aussagen über die Bedeutung des Elternhauses für eine Karriere, die im Motorsport ihre Grundlage hatte, sind ambivalent. 85 Einerseits unterstrich er

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stets, trotz seines familiären Backgrounds Rennfahrer geworden zu sein. Die Familie habe ihm Steine in den Weg gelegt, der Großvater sogar seinen Einfluss bei der Ersten Österreichischen Sparkasse geltend gemacht, um die Gewährung eines Kredits zu verhindern. Andererseits gab er selbst zu, dass ihm der offensichtliche Wohlstand seiner Familie auch gegen deren Willen genützt hatte, weil er seine Bonität in den Anfangstagen einer kostspieligen Motorsportkarriere drastisch erhöhte. Der finanzielle Seiltanz, der zu seinem Image als kühner Rechner einiges beitrug, stellt sich in diesem Licht weniger dramatisch dar. Die kompromisslose Entscheidung für eine Profession, die ihm vor allem eines, nämlich eine Kette spannender Erlebnisse, versprach, wurde durch die rigiden Vorstellungen des bürgerlichen Milieus behindert, durch den Reichtum der Familie zugleich begünstigt. Dringenden materiellen Sorgen enthoben zu sein erleichtert das erlebnisorientierte Handeln. Zudem bewegte sich Lauda, als Sohn aus gutem Haus mit den Regeln der besseren Gesellschaft vertraut, überaus gewandt in einflussreichen Kreisen. Das half ihm bei der Realisierung seiner ehrgeizigen Vorhaben, mit denen er den Ausbruch aus dem goldenen Käfig einer bürgerlichen Existenz versuchte. Schon an der Wende zum 20. Jahrhundert war die Klage über die flache Lebensperspektive in einer wohlorganisierten Welt der Geborgenheit verbreitet. Die Furcht vor der Verweichlichung ging um und erklärt einen Aspekt der Begeisterung für den Ersten Weltkrieg: Sprösslinge des Bürgertums, ans komfortable Leben der überzivilisierten Welt gewöhnt, würden die Chance erhalten, sich als echte Männer zu bewähren. Nikolaus Lauda brauchte kein vaterländisches Getue, keine nationalistischen Mythen und keinen Krieg für sein Männlichkeitsprojekt. Ihm genügte die Formel-1, in deren Rahmen er als moderner Gladiator sein Leben riskierte. Über seine Kindheit erzählt er gerne, er schien zum Dasein eines „Seicherl" verurteilt: „Ich glaube, daß mich erst meine Liebe zu den Autos von der Seicherl-Fahrbahn abbrachte." 86 Das Großbürgertum als soziale Spitzenformation einer bürgerlich geprägten Gesellschaft zeichnete sich durch Respekt vor hochkulturellen Inszenierungen aus, wie sie Oper, Konzertsaal oder Theater boten. Man verwendete außerdem ein als humanistisches Bildungsgut sanktioniertes Wissen zur Selbstverständigung und zur Abgrenzung von unteren Schichten. Lauda trat dieses Konzept lustvoll mit Füßen, wie sich z.B. anhand eines Fernsehauftrittes aus dem Jahre 1978 demonstrieren lässt.87 Der Champion war bei einer von der Schauspielerin Senta Berger moderierten Sendung eingeladen. Unter dem Titel „Ihr Lieblingsprogramm" sollten berühmte Zeitgenossen und ihre kulturellen Vorlieben präsentiert werden. Neben Nikolaus Lauda fand sich Bruno Kreisky als Gast im Studio ein. Damit waren zwei Symbolfiguren der Dekade versammelt. Beide repräsentierten gesellschaftliche Modernisierung: Lauda durch seine Lebensführung, Kreisky durch seine politischen Zielvorstellungen. Die bei den verband eine großbürgerliche Herkunft und damit ein bestimmter „Stallgeruch", der sie zu Leitfiguren prädestinierte. Beide genossen den Umgang mit

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den Medien, in denen sie ihre Sache selbstbewusst und eloquent vertraten. Beide verstanden es, durch den differenzierten Einsatz sprachlicher Codes ebenso Volksnähe zu signalisieren wie sich die Autorität des Gebildeten bzw. - im Falle Laudas - des Experten zu verleihen. Ihre Lebenshaltung hätte allerdings unterschiedlicher nicht sein können. Kreisky widmete sich über Jahrzehnte der Sozialdemokratie und erhob den Anspruch auf eine Veränderung der Gesellschaft. Lauda hatte sich dem Motorsport verschrieben und wollte abgesehen von Formel-1-Boliden und Flugzeugen wenig bewegen. Kreisky pflegte außerdem stets die kulturelle Praxis des Großbürgertums, sprach daher mit Senta Berger über den „Mann ohne Eigenschaften", Gershwin und die Dreigroschenoper, zitierte Shakespeare und Proust. In Niki Lauda hatte die Moderatorin hingegen eine harte Nuss zu knacken. Auf der Suche nach Laudas Interessen abseits des Rennsports durfte sie nicht auf dessen Kooperation rechnen - um eine signifikante Passage des Gesprächs zu zitieren: „Sag mal, Salzburg als Kunststadt [Lauda wohnte in der Nähe], interessierst du dich für Kunst, hast du Zeit dein Interesse auszudrücken?" Darauf der Formel-1-Pilot: „Zu den Zeiten der Festspielen habe ich meine eigenen Motorfestspiele, das heißt immer an den Sonntagen, da bin ich eh nicht da." Die Sendung zeigte einen Nikolaus Lauda, der nicht das geringste Interesse besaß, Hochkultur als Mittel der Distinktion einzusetzen. Dieser Verzicht erschien aber nicht als Unvermögen, da der Sprössling aus großbürgerlichem Milieu im Unterschied zu anderen Erfolgssportlerinnen, die aus „kleinen Verhältnissen" kamen, trotz aller Gleichgültigkeit gegenüber traditionellen Bildungsinhalten hinreichend mit kulturellem Kapital ausgestattet war. Das verlieh seiner Indifferenz gegenüber der so genannten Hochkultur den Charakter einer souveränen und dadurch provokanten Entscheidung. Für die Erinnerungsfigur Lauda ist es bezeichnend, wie sich an ihr die Geister entlang von Parteipräferenzen scheiden. Eine Erhebung des Instituts für empirische Sozialforschung ( I F E S ) widmete sich im Dezember 1998 „Österreichs Identität". Einer Stichprobe von 2.000 Personen wurden zehn Begriffe und Namen vorgelegt: Neben „Lipizzaner", „Wiener Schnitzel", „Salzburger Festspiele", „Neutralität" unter anderem auch „Niki Lauda". Auf einer Skala von eins bis fünf war zu beurteilen, inwieweit das jeweilige Stichwort Österreich verkörpere. Lauda und die Habsburger erhielten die niedrigsten Wertungen. Am prononciertesten vertraten die Sympathisantinnen der SPÖ, gefolgt von jenen der FPÖ, die Meinung, Niki Lauda repräsentiere Österreich. Die Anhängerinnen der ÖVP standen Lauda eher reserviert gegenüber. Sie wurden darin nur von den Grünen übertroffen. Dieselbe klare Trennung entsprechend der politischen Vorlieben zeigt noch eine weitere Frage des IFES-Institutes: „Worauf [aus der Liste von zehn Stichworten] können Sie am ehesten verzichten?" 41 % der Befragten entschieden sich für die Habsburger, 3 7 % für Niki Lauda. Während aber den Sozialdemokratinnen und den FPÖ-Wählerinnen die Habsburger am leichtesten verzichtbar erschienen, konnten die Parteigänger-

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Innen der ÖVP mit Niki Nazionale am wenigsten anfangen. Um diese Muster zu erklären, spielt Laudas eigene Positionierung im politischen Spektrum eine gewisse Rolle. Darüber hinausgehend bilden sich in den Daten der Erhebung vermutlich kulturelle Bruchlinien ab, die auf wesentliche Komponenten des Bildes von Lauda verweisen.

Niki Lauda und die „Insel der Seligen" - Collage einer Schülerin, 1970er-Jahre

Die Affinität von SPÖ-Wählerlnnen zu Lauda mag zum Teil darin begründet sein, dass dieser seit der Ära Kreisky gute Beziehungen zur sozialdemokratischen Elite pflegte. Einen markanten Punkt in diesem Verhältnis bildete das Jahr 1986: Lauda engagierte sich für den Präsidentschaftskandidaten Kurt Steyrer in einem Wahlkampf, der durch die Auseinandersetzung um die Kriegsvergangenheit Kurt Waldheims eine Emotionalisierung ungeahnten Ausmaßes erfuhr. Im kollektiven Gedächtnis dürfte der Formel-1-Champion aber schon deshalb mit der Sozialdemokratie assoziiert sein, weil sich sein Aufstieg zur Medienfigur, die eine erlebnisorientierte Modernität ausstrahlt, in einem Jahrzehnt vollzog, als die Sozialdemokratie über eine kulturelle Hegemonie verfügte und sich die Öffnung für neue Lebensmodelle auf ihre Fahnen heftete. Das Bild, das sich die Öffentlichkeit von Lauda macht, geht in seinen wesentlichen Zügen auf diese Zeit zurück. Spätere Entwicklungen seines Images sind nur Varianten desselben Inventars. Unter Glättung seiner Ecken und Kanten konnte man Lauda sogar in jenes österreichische Lebensgefühl der Siebzigerjahre einfügen, das sich im Mythos einer „Insel der Seligen" niederschlug. Auf der Collage einer 14jährigen Schülerin, gezeigt in der Ausstellung „1000 Jahre Österreich" 1976 im Künstlerhaus, sieht man die geographischen Umrisse des Landes. Rundherum ordnen sich Verweise auf die gefahrvolle Außenwelt an: Unter anderem Sta-

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cheldraht, Waffen und die eindeutige Vokabel „Tod" in fetten Lettern. Demgegenüber bietet sich Österreich selbst als Ort von Wohlstand und Frieden dar: schöne Landschaften, lachende Gesichter, das Wort „Walzer" und der Strauss Schani sowie - Niki Lauda Die Sympathien, die Lauda 1998 unter FPÖ-Anhängerinnen genoss, mag man vielleicht an den Ähnlichkeiten zwischen Jörg Haider und dem Formel-1Champion festmachen: Beide bauten auf ein Image, das Sportlichkeit, Jugend, Ehrgeiz, Härte sowie den Willen und die Fähigkeit zum Sieg inkorporierte. Die geringe Bereitschaft von Anhängerinnen der Grünen, Lauda als Teil österreichischer Identität zu sehen, ist erstens damit zu erklären, dass Bekanntheit, die sich auf Spitzenleistungen im Motorsport gründet, nicht dazu angetan sein dürfte, die Verfechterinnen eines größeren Umweltbewusstseins für sich zu gewinnen. Zweitens bot sich Lauda auch unter Absehung von ökologischen Fragen kaum als Identifikationsfigur für jenes Erlebnismilieu an, aus dem die Grünen ihre Anhängerschaft rekrutieren. Lauda steht - wie bereits erwähnt - primär für die ungetrübte Lust an Action und Unterhaltung. Es war nie seine Sache, sich mit den Problemen der Welt zu belasten. 88 Die Distanz von Wählerinnen der ÖVP zum Phänomen Niki Lauda ist vermutlich das Gegenstück zu seiner Akzeptanz unter den Parteigängerinnen der SPÖ. Wie sich die Erinnerungsfigur aus einer konservativen Sicht darstellen kann, führt uns ein 2001 erschienenes Buch des Journalisten Ernst Hofbauer vor.89 Das Werk basiert auf eingehender Recherche über Lauda und vor allem dessen Tätigkeit an der Spitze seiner Fluglinie. Auf fast 300 Seiten widmet es sich der Aufgabe, den Mythos des „österreichischen Volkshelden" zu zerstören. In der Ausführung seines Vorhabens changiert der Autor zwischen sorgfältig vorgetragener Argumentation und untergriffiger Polemik. 90 Manchmal schreibt er sich geradezu in Rage, betrachtet er doch Lauda als typischen Nutznießer der unseligen dreißig Jahre „sozialistischer" Dominanz. Aus seiner Sicht ergeben sich auch Parallelen zwischen dem Niedergang der Unternehmen in öffentlichem Eigentum und dem finanziellen Debakel der privaten Fluggesellschaft: Lauda habe seine Fluglinie so geführt, wie in den Siebzigerjahren die Betriebsräte den verstaatlichten VOEST-Alpine-Konzern dirigiert hätten.91 Die konstatierte Gleichartigkeit zwischen dem ehemaligen Formel-1-Star und den Belegschaftsvertretern überrascht insofern, als ersterem ein gewerkschaftsfeindlicher Ruf vorauseilte. Für Hofbauer sind die Lauda Air und die Verstaatlichte aber Gegenbilder zum selben Ideal: jenem eines unpolitischen, sachlichen Unternehmertums. Die von der sozialdemokratischen Ära verdorbene Wirtschaftsstruktur des Landes kann nur durch bürgerliche Privatinitiative, fest verankert in den Grundsätzen von Redlichkeit und Solidität, fernab der Mauschelei mit den Behörden, geheilt werden. Das Unternehmenskonzept der Lauda Air hingegen ist Hofbauer suspekt: Er prangert die „ohrenbetäubend nichtssagende Kommunikationspolitik" an, bezeichnet Marke, Erscheinungsbild und Bordverpflegung als nebensächliche, doch vom Zeitgeist bevorzugte „Sonderkriegs-

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Schauplätze". Als konservativer Moralist verteidigt Hofbauer die Werte, die ihm durch den „Subjektivismus der Postmoderne" bedroht scheinen. Dass die Österreicherinnen „den forschen und ruhelosen Piloten als begnadeten Macher bewundern", stellt sich ihm als grober Mangel an Reife dar. Die Auseinandersetzung mit Lauda ist somit ein Instrument von Gesellschaftskritik. Hofbauer pflegt den Gestus des Propheten, der das vom irregeleiteten Volk angebetete Götzenbild zerstört. Damit Lauda ein würdiges Ziel für eine solch wuchtige Attacke abgibt, wird seine Bedeutung als Symbolfigur ein ums andere Mal hervorgehoben. Indem Hofbauer gar die Behauptung aufstellt, Lauda sei das „österreichische Denkmal mit dem stabilsten Sockel", 92 lässt er durchblicken, dass sein Bildersturm ins Zentrum des Imaginären einer Nation weist, die er in Gefahr sieht, zur „Fit-und-Fun-Society" zu degenerieren.

Ein Autounfall und eine Flugzeugkatastrophe Niki Lauda war dreimal Weltmeister. Diese Erfolge allein hätten ein Siegerimage begründet. Der Reiz des Showsports Formel-1 besteht aber zum Gutteil in seinem hohen Risiko. Ein technisches Gebrechen oder ein Fahrfehler können leicht tödliche Folgen haben. Sich diesem Wagnis auszusetzen erhebt über die Durchschnittlichkeit der gewöhnlichen Sterblichen. Deshalb beruht ein wesentlicher Teil der Anziehungskraft Laudas darauf, wie er den verheerenden Unfall bewältigte, den er am 1. August 1976 am Nürburgring erlitt. Der Rennfahrer, der bis zu diesem Zeitpunkt auf dem Weg zu seinem zweiten Titel schien, trug schwere Verbrennungen davon. Tagelang war unklar, ob er überleben würde. Auf Messers Schneide stand damit auch die weitere Entwicklung eines Mythos: Würde Lauda als tragischer Held in Erinnerung bleiben, jung gestorben wie Jochen Rindt? Sollte er zur mitleiderregenden Figur verkommen, im wahrsten Sinn des Wortes aus der Bahn geworfen, oder - und das schien die unwahrscheinlichste Variante - könnte er es zu einem Lazarus der Formel-1 bringen? Übersetzt in die Wertmaßstäbe des Spitzensportes bedeutete Wiederauferstehung nicht einfach Überleben, sondern dass Lauda nach einer beinahe endgültigen Niederlage erneut Sieg um Sieg feiern musste. Lauda nahm die Herausforderung an und bestieg schon nach etwas über einem Monat Rekonvaleszenz wieder den Ferrari, um sich auf das Rennen von Monza vorzubereiten. Sein Rennstall begegnete dem Ansinnen mit Skepsis, Lauda ließ sich aber nicht beirren. Am 12. September nahm er am Großen Preis von Italien teil und errang den vierten Platz. Der Sportjournalist Heinz Prüller jubelte am Tag nach dem Rennen in der „Kronenzeitung": „Zuerst den Tod besiegt, dann die Verletzung, dann Ferrari, dann bis auf Peterson, Regazzoni, Laffite alle Gegner. Nicht nur der Rennsport, sondern der Sport überhaupt ist in der ganzen Welt durch Niki im Ansehen gestiegen - weil er zeigt, welche Männer er hervorbringt." 93 Ein häufiger Topos des Mythos ist der Abstieg des Helden in die Unterwelt, um danach gestärkt für die Erfüllung seiner Aufgaben in die Welt zurück-

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zukehren. 94 Auch Laudas Leidensweg in der Intensivstation des Mannheimer Krankenhauses weckte die Erwartung, es nun mit einem veränderten Champion zu tun zu haben: geläutert, gereift. Heinz Prüller war überzeugt: „Zweifellos wird ein ganz neuer Niki im Ferrari sitzen, ein Mann, den der furchtbare Unfall auch innerlich gewandelt hat: Nicht mehr der computerhafte, sondern ein zugänglicherer Pilot." 95 Lauda gab sich indes Mühe zu beweisen, dass er ganz der Alte sei. Auf die mediale Aufregung rund um den schockierenden Anblick, den sein vom Feuer devastiertes Antlitz bot, reagierte er mit demonstrativ cooler Schlagfertigkeit: „Ich lebe nicht von meinem Gesicht, sondern von meinem rechten Fuß." 96 Lauda war ein Held, wie er ganz dem Geschmack des Futurismus entsprochen hätte: verwegen und furchtlos, von einem optimistischen Verhältnis zur Technik getragen. Ihm selbst wurden die Qualitäten einer Maschine beigemessen: ein eiskalter Rechner, emotionslos, schnell, präzis und leistungsfähig. Zudem war Lauda sichtlich intelligent, und so beschrieb man ihn oft mit der Metapher des Computers - schon in den Siebzigerjahren, also zu einer Zeit, da sich der Nimbus dieses Apparats noch nicht durch seinen alltäglichen Gebrauch abgeschliffen hatte.

Laudas Unfall 1976 auf dem Nürburgring

Die Verlässlichkeit hochentwickelter Technik war auch eines jener Themen, mit dem Lauda konfrontiert wurde, als am 26. Mai 1991 die „Mozart", eine Boeing 767 seiner Fluglinie, in Thailand abstürzte. 223 Menschen starben, weil sich die Schubumkehr des linken Triebwerks, gedacht zur Unterstützung des Bremsvorgangs bei der Landung, während des Flugs eingeschaltet hatte. Die Herstellerfirma war davon ausgegangen, dass eine solche Fehlfunktion harmlos sei. Ihre Annahme basierte jedoch auf Tests bei niederen Geschwindigkeiten und

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Höhen, während die Untersuchungen nach dem Absturz erwiesen, dass unter den normalen Bedingungen eines Verkehrsflugs die ausgefahrene Schubumkehr die Boeing 767 augenblicklich manövrierunfähig machte. Die Umstände des zunächst rätselhaft scheinenden Unglücks und sein Ausmaß, aber auch die prominente Figur des ehemaligen Rennfahrers und nunmehrigen Airline-Chefs weckten ein großes Medieninteresse. Unter enormen Druck gesetzt, reagierte Lauda sehr professionell und orchestrierte eine perfekte Kommunikationspolitik, die verhinderte, dass die Reputation seiner Fluggesellschaft nachhaltigen Schaden nahm. Er betonte die Berechtigung seines bisherigen Vertrauens in jenen Stand der Technik, den die Flugzeuge der letzten Generation boten, reagierte aber auch auf die Erschütterung der Öffentlichkeit angesichts des unerhörten Ereignisses, das der Absturz einer als sicher geltenden Maschine darstellte. „Ich bin ein technischer Mensch [...] Ich mochte die Technik und die Technik stellte sich mir als gut zugängliches Terrain dar", beschreibt sich Lauda in seiner Autobiographie. Im Kontext der „Mozart"-Katastrophe galt es aber, vor allem den einschränkenden Nachsatz zu vermitteln: „Ich war nie Technik-hörig." 97 Die Zuversicht, die Lauda verkörperte, sollte sich als rational beweisen, fernab von blindem Vertrauen.

Niki Lauda, das Unfallopfer als Lazarus der Formel-1 (links); Der jüngste Anlauf zur unternehmerischen Auferstehung (rechts)

Von Beginn an betonte Lauda deshalb seinen Willen zur lückenlosen Aufklärung. Bereits wenige Stunden nach dem Absturz war er, begleitet von Journalisten, auf dem Weg nach Thailand, um sich selbst ein Bild von der Stätte des

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Unglücks zu verschaffen. Er stellte sich unermüdlich den Fragen der Medien, signalisierte dadurch, dass seine Fluglinie und er selbst nichts zu verbergen hatten. Mehr noch: Er besetzte die Position des kompromisslosen Kämpfers für die Wahrheit, der sich, koste es, was es wolle, durchsetzen würde: Gegen die lokalen Behörden, denen die anfänglichen Spekulationen über einen Terroranschlag Kopfzerbrechen bereiteten, und ebenso gegen den Flugzeugproduzenten Boeing, gegen dessen „technischen Hochmut" und kommerzielle Interessen. Der österreichische David Lauda gegen den US-Goliath Boeing, der kleine Airliner gegen den Multi war ein Inszenierungsangebot, das heimische Medien bereitwillig annahmen. Am Schluss stand der „Freispruch für Lauda", um den Titel einer Fernsehreportage zu zitieren, die der ORF-„Inlandsreport" sendete. Der etwas über zehn Minuten lange Beitrag machte sich ganz die Perspektive des Flugunternehmers zu eigen, der ausführlich zu Wort kam, und zwar als einziger abgesehen von Franz Kössler, der seine Rolle als Interviewer eher als Stichwortgeber anlegte. Er stellte Fragen im Stil von „Sie waren ja mit Ihrer Ungeduld, wenn man so sagen kann, den Amerikanern ein bisschen lästig". Der Vorspann hatte versprochen, Lauda zöge „Bilanz über die bisher größte Tragödie seines Lebens". 98 223 Menschen waren umgekommen, und doch schien es sich gelegentlich vor allem um das Drama Niki Laudas zu handeln. Die „Kronenzeitung" machte am Tag nach dem Absturz mit einem Foto auf, das den Unternehmer vor einem seiner Flugzeuge zeigte, und verkündete: „Ein schwerer Schlag für Niki Lauda und die gesamte österreichische Luftfahrt." 99 Die Abbildung am Titelblatt war zweifellos dem Mangel an reißerischem Fotomaterial unmittelbar nach dem Unglück geschuldet und weist trotzdem auf ein wesentliches Charakteristikum des Medienereignisses hin. Die Passagiere waren tot, man konnte nur Personen aus ihrer Umgebung befragen, um nach dem auch im Genre des Katastrophenfilms üblichen Muster besonders tragische Einzelschicksale zu rekonstruieren. Mindestens ebenso attraktiv war aber die Fokussierang auf jemanden, der lebte, sich den Medien jederzeit zugänglich zeigte, redegewandt und prominent war: Niki Lauda. Dieser betonte seine Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, erhielt aber nicht die undankbare Rolle des Verantwortlichen, die letztlich Boeing zufiel, sondern wurde selbst zum Opfer der Ereignisse stilisiert. Das begann mit seinem Lokalaugenschein am Unglücksort. Das deutsche Nachrichtenmagazin „Der Spiegel" meinte über den sichtlich erschöpften Lauda, er wirke „mit seiner schmutzverschmierten Kleidung und seinen von einem Rennunfall herrührenden Brandnarben am Kopf fast wie der einzige Überlebende des Unglücks". 100 Mit den Opfern identifiziert zu werden war aber eine günstige Ausgangsbasis, um glaubwürdig ihren Stellvertreter im Streit mit einem anonymen US-amerikanischen Konzern geben zu können. Diese Konstellation machte für die Lauda Air aus der Katastrophe einen Konflikt, in dem es etwas zu gewinnen gab (ein unbeschädigtes Image), und ihr Frontman bewies ein weiteres Mal, dass er es verstand, Chancen zu erkennen und zu nützen.

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Nicht totzukriegen und nach jeder Niederlage stärker als zuvor. Das ist es, was sich das Publikum von Lauda seit seinem Unfall am Nürburgring erwartet. Noch als Flugunternehmer bot er genügend Andockmöglichkeiten für Inszenierungen nach diesem Muster - so erst jüngst, als er nach bereits zweimaligem Scheitern im Fluggeschäft mit „Flyniki" unverdrossen einen dritten Versuch ankündigte. Niki Lauda verkörpert den Mythos des Siegers; er steht nicht für Gemütlichkeit, Bequemlichkeit und Sentimentalität, um nur einige Stereotypen über Österreich und besonders Wien zu nennen, die sich mit antimodernen Affekten verbinden. Er repräsentiert auch nicht die Kulturgroßmacht, die vor allem ein Erbe der Vergangenheit verwaltet. Lauda pflegt keine nostalgischen Gefühle. Er ist die Gegenwart der Technik und der Glaube an die Machbarkeit. Er verkörpert Selbstvertrauen und Zuversicht. Er steht für ein urbanes Lebensgefühl; losgelöst von Heimatseligkeit ist er dezidiert kein Naturbursch wie die Helden des Skisports. Ein beunruhigender Verdacht drängt sich auf: Ist Lauda nicht eigentlich der typische Deutsche, ein Vorläufer Michael Schumachers, irrtümlich in Österreich geboren? Konsequent, schnörkellos, präzis wie ein Uhrwerk, schnell, energisch. Oder das Paradebeispiel eines US-amerikanischen Geschäftsmanns? Beinhart, staats- und gewerkschaftsfeindlich, erfolgsorientiert, mit einem für hiesige Verhältnisse ungewöhnlich „freudigen Zugang zu Geld". Der Sportjournalist Johann Skocek formulierte mit sichtlicher Lust am Paradoxon: „Lauda paßt nicht nach Österreich, das macht ihn für das Land so unverzichtbar."101 Ausgehend von jenen Vorstellungen, die in der touristischen Vermarktung dominieren, denen aber auch im Selbstbild der Österreicherinnen ein Ehrenplatz zukommt, mag man diese These für zutreffend erachten. Vielleicht verweist Lauda, als Erinnerungsfigur verstanden, jedoch eher auf die Komplexität eines nationalen Symbolhaushaltes, der nicht die konsistente Ordnung logisch zueinander passender Elemente ist. Es wäre schließlich höchst merkwürdig, sollte eine moderne Industrienation, die ein beachtliches Wohlstandsniveau erreicht hat, allein über rückwärtsgewandte Identifikationsfiguren verfügen.

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Matthias Marschik, „Flieger grüß mir die Sonne ...". Eine kleine Kulturgeschichte der Luftfahrt, Wien 2000, 15. Gegen ein Symbol urbaner Verfügungsgewalt richtete sich wohl auch die Aktion einiger burgenländischer Bauern, die 1957 kurz vor einem Flugtag das Rollfeld des Flughafens Eisenstadt-Trausdorf umpflügten. Man wolle das alte Weideland auch wieder als solches benützen, berichtete eine Zeitung über die deklarierten Motive der Bauern, vermutete aber zugleich eine prinzipielle „tiefe Abneigung gegen die Fliegerei". Österreichische Neue Tageszeitung, 6. Oktober 1957. Marschik, Luftfahrt, 31. Hermann Herunter, Des Österreichers liebste Firmen, in: Goldener Trend 1987, 2 0 - 2 6 . Holger Rust, Image 1997, in: Goldener Trend 1997, 102-107. Dan Berger, Österreichs beste Unternehmen, in: Goldener Trend 1990, 4 8 - 5 1 . Reinhard Christi, Österreichs bekannteste Marken, in: Format 2002, Nr. 41, 8 0 - 8 3 .

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Wolfgang Behringer und Constance Ott-Koptschalijski, Der Traum vom Fliegen. Zwischen Mythos und Technik, Frankfurt/Main 1991, 4 2 8 - 4 3 0 . 9 Zur Geschichte von ÖLAG und AUA siehe: Peter Krause, OeLAG. Oesterreichische Luftverkehrs AG 1923-1938, Wien 1983; Heidemaria Halbmayer, Die Geschichte der Austrian Airlines, Diplomarbeit Univ. Wien 1993. 10 Christoph Asendorf, Super Constellation. Das Flugzeug als kulturelle Erfahrung, in: Chiffren des Alltags. Erkundungen zur Geschichte der industriellen Massenkultur, hg. von Wolfgang Ruppert, Marburg 1993, 188-214, hier 192; Krause, OeLAG, 68. " Internationale Wirtschaft 1958, Nr. 26. 12 Internationale Wirtschaft 1968, Nr. 49. 13 Susanne Lurger, Auswirkungen der europäischen Integration auf Österreichs öffentliche Unternehmen im speziellen auf die Austrian Airlines, Diplomarbeit Univ. Wien 1994. 14 Zivilluftfahrt in Österreich 1953-1959, = Beiträge zur österreichischen Statistik 56, Wien 1960, 17. 15 Reinhard Keimel, 40 Jahre Liniendienst, Wien 1998, 64. 16 Zivilluftfahrt in Österreich 1998, = Beiträge zur österreichischen Statistik 1.313, Wien 1999, 101. 17 Wolfgang König, Geschichte der Konsumgesellschaft, Stuttgart 2000, 151. 18 Urlaubsreisen der Österreicher 1999, CD-ROM, hg. von Statistik Austria. 19 Erhard Zemann, Konzept einer Marketingstrategie für Austrian Airlines Österreichische Luftverkehrs AG, Diplomarbeit Univ. Linz 1970. 20 Siehe die Texte über VOEST, Steyr-Daimler-Puch und OMV in diesem Band. 21 Peter Kalcher, Historische Betriebsanalyse der Lauda Air-Luftfahrt AG, Diplomarbeit Wirtschaftsuniv. Wien 1989; Nikolas Lauda (gemeinsam mit Herbert Völker), Das dritte Leben, Wien 1996; Ernst Hofbauer, Ich pfeif' auf Österreich. Tricky Nikis Heimniederlage, Wien 2001; Niki Lauda: Der Mann des Jahres, in: Trend 1989, Nr. 1. 22 Trend 1990, Nr. 7, 5 6 - 5 9 ; Profil 1990, Nr. 23, 42 f.; Hofbauer, Ich p f e i f auf Österreich, 193 f. 23 Der Standard, 22. April 1993. 24 News 2000, Nr. 32 u. 38; Format 2000, Nr. 32, 39, 43 u. 48; Profil 2000, Nr. 43; Trend 2000, Nr. 12; Presse, 15. u. 29. September 2000, 19. u. 27. Oktober 2000, 22. November 2000; Hofbauer, Ich p f e i f auf Österreich. 25 Format 2000, Nr. 43; Fehltritt eines Nationalhelden, in: Der Standard, 23. November 2000. 26 Martin Wolfgang Bauer, Die Marke Austrian Airlines, Diplomarbeit Wirtschaftsuniv. Wien 2001, 6 7 - 7 0 ; Klaus Grubelnik, Der zweite Anschluss. Deutschlands Griff nach Österreichs Wirtschaft, Wien 2000, 1 6 - 2 2 . 27 Titel einer Artikelserie: Das Kleine Volksblatt, 3., 5., 10., 12., 17. und 18. September 1958. 28 Hugo Portisch, Österreich II. Jahre des Aufbruchs. Jahre des Umbruchs, Wien 1996, 101-105; Klappentext zu: Walter Norden, Flieg mit uns. Reportage vom Werden und Wirken der österreichischen Luftverkehrsgesellschaft Austrian Airlines, Wien-München 1965. 29 Halbmayer, Austrian Airlines, 5 0 - 5 2 . 30 Wenn Österreich eine eigene Luftfahrt hätte, in: Kurier, 4. April 1953, 6; siehe auch: Walter Bock, Die publizistische Auseinandersetzung mit der Luftfahrt, untersucht von den Anfängen der Luftfahrt in Österreich bis zur wirtschaftlichen Notwendigkeit der Zivilluftfahrt heute, Phil. Diss. Univ. Wien 1985, 177. 31 Helmut Butterweck, Anschnallen zum Start in die Zukunft!, in: Die Furche, 1958, Nr. 30. 32 Wilfried Gredler, Abgeordneter der FPÖ: „Jeder kleinste Negerstaat hat heute bereits eine eigene Luftfahrtgesellschaft. Wenn Sie in Asien fliegen: Kambodscha-Airlines und Laotische Luftfahrtgesellschaft und ähnliches." Stenographische Protokolle des Nationalrates (Sten. Prot.), VIII. Gesetzgebungsperiode (GP), IV. Band, 4006. 33 Das Kleine Volksblatt, 3. September 1958. 34 Zwei Beispiele für diese narrative Konstruktion: Das Kleine Volksblatt, 3. September 1958; Norden, Flieg mit uns, 51. Letzterer behauptet übrigens: „Der Erfinder, bar jeder Mittel, starb bald darauf." Tatsächlich lebte Kress bis 1913, also immerhin weitere zwölf Jahre. Aber

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der rasche Tod des gramgebeugten Pechvogels passt eben besser zu der Geschichte, die erzählt werden soll. Hubert Weitensfelder, „Der Propeller ist ein Oestreicher." Patriotische Erfinder-Geschichten, in: Erfinder. Patente. Österreich, Ausstellung im Technischen Museum, Wien 2001,17-29, zu Kress: 44-48; Ernst Bruckmüller, Technische Innovation und österreichische Identität, in: Technik, Politik, Identität: Funktionalisierung von Technik für die Ausbildung regionaler, sozialer und nationaler Selbstbilder in Österreich, hg. von Klaus Plitzner, Stuttgart 1995, 201-213. Norden, Flieg mit uns, 55. Wiener Zeitung, 9. Juni 1955; Arbeiterzeitung, 3. Juli 1955. Zur Argumentation der „Skeptiker" siehe z.B.: Internationale Wirtschaft 1955, Nr. 34 u. 1958, Nr. 26. Karl Pisa, Julius Raab und die Medien, in: Julius Raab. Eine Biographie in Einzeldarstellungen, hg. von Alois Brusatti und Gottfried Heindl, Linz 1985, 336-346; ebendort siehe auch: Ferdinand Manndorff, Julius Raab und die Industriellen Vereinigung, 293-297. Arbeiterzeitung, 6. Februar 1959. Marschik, Luftfahrt, 106 f. Sten. Prot., VIII. GP, II. Band, 1566 (Sitzung vom 2. Dezember 1957). Salzburger Nachrichten, 25. Jänner 1959. Salzburger Nachrichten, 20. Dezember 1968. Trend 1975, Nr. 7. Lauda, Das dritte Leben, 45. Abgebildet in: Bruno Kreisky. Seine Zeit und mehr, Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien 240, Wien 1998, 223. Günter Schweiger, Österreichs Image in der Welt. Ein weltweiter Vergleich mit Deutschland und der Schweiz, Wien 1992, 294 f. Albert Reiterer, Nation und Nationalbewußtsein in Österreich. Ergebnisse einer empirischen Untersuchung, Wien 1988, 101 ff. Christian Bosch und Stefan Schiel, Bedeutung und Beurteilung der Marke Austrian Airlines, Diplomarbeit Wirtschaftsuniv. Wien 1999, 180, 192 u. 193. Zur Werbelinie 1998-2000 siehe: Bauer, Austrian Airlines, 119-124. Zur tourismusorientierten Selbstdarstellung Österreichs siehe: Gernot Heiss, Tourismus, in: Memoria Austriae I, hg. von Emil Brix, Ernst Bruckmüller und Hannes Stekl, Wien 2004; Ulrike Felber, Elke Krasny und Christian Rapp, smart export. Österreich auf den Weltausstellungen 1851-2000, Wien 2000, 145. Der Himmel ist nicht mehr verboten, in: Wochenpresse 1955, Nr. 28. Österreichische Neue Tageszeitung, 2. Juli 1958. Luftsieg mit Ausseerhut, in: Kurier, 2. März 1968, 19. Zu Brückenmythos und Neutralität siehe: Ernst Bruckmüller, Österreichbewußtsein im Wandel. Identität und Selbstverständnis in den 90er Jahren, Wien 1994, 132-136. Austrian Airlines fliegen die falsche Route, in: Volksstimme, 6. Juli 1958; Kommunistischer Sympathien unverdächtig, in: Der Volkswirt 1957, Nr. 41. Internationale Wirtschaft 1955, Nr. 34; siehe auch: ebd. 1958, Nr. 26. Austrian Airlines im europäischen Flugverkehr. Daten zur Luftverkehrspolitik, red. von Rupert Reischl, Wien 1982, 6. Halbmayer, Austrian Airlines, 143 f. u. 161; Email von Reinhard Keimel, 26. August 2004. Bosch und Schiel, Marke Austrian Airlines, 174 u. 233. Ebd., 173-201. Lauda, Das dritte Leben, 100. Zitat Lauda, in: Salzburger Nachrichten, 20. April 1989, Beilage „Wirtschaft im Bild", 30. Lauda, Das dritte Leben, 31, 46 u. 209-211. Salzburger Nachrichten, 20. April 1989, Beilage „Wirtschaft im Bild", 30. Der Standard, 28. März 2001.

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Eine Aufstellung über den Flugzeugpark von AUA und Lauda Air in: Keimel, 40 Jahre Liniendienst, 61-63. 69 Reinhard Tramontana, Ein tollkühner Mann in zwei fliegenden Kisten, in: Profil 1987, Nr. 41, 44. 70 Gerhard Schulze, Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt/Main 5 1995. 71 Lauda, Das dritte Leben, 7, 15, 27, 56, 63, 98 u. 204. 72 Ebd., 41. 73 Ebd., 58. 74 Ebd., 83. 75 Peter Lanz, Niki Lauda. Biographie, München 1983, 33. 76 Lauda, Das dritte Leben, 50 f. 77 Lanz, Niki Lauda, 61-65; Helmut Zwickl und Otto Burghart, Grand Prix 76. Niki Lauda: Man stirbt nur einmal, Wien 1976, 9 f. 78 Lanz, Niki Lauda, 189-196 79 Lauda, Das dritte Leben, 253; ein anderer Lauda-Ausspruch: „Die Rede von Nation und so, das sind Legenden." zitiert nach: Johann Skocek, Sportgrößen der Nation. Der Aufstieg des Österreichers vom Helden zum ewigen Verlierer, Bad Sauerbrunn 1994, 185. Siehe auch: Lanz, Niki Lauda, 196 f. 80 Zum Bild des Sportlers siehe: Christiane Eisenberg, Der Sportler, in: Der Mensch des 20. Jahrhunderts, hg. von Ute Frevert und Heinz-Gerhard Haupt, Frankfurt/Main-New York 1999, 87-112, bes. 103 f. 81 Lauda, Das dritte Leben, 69 (Konzession) u. 90 (Boeing). 82 Ebd., 19. 83 Hofbauer, Ich pfeif' auf Österreich, 116. 84 Lauda, Das dritte Leben, 51. 85 Niki Lauda, Der Papa wird's nicht richten, in: Mein Elternhaus. Ein österreichisches Familienalbum, hg. von Georg Markus, Wien-New York 1990, 81-88. 86 Lauda, Das dritte Leben, 13. 87 Ihr Lieblingsprogramm, 11. April 1978. Die verwendete Quelle war eine Tonbandaufnahme der Österreichischen Mediathek. 88 Lauda, Das dritte Leben, 176: Er sei der Typ Mensch, „der sich gern im Kollektiv bedeckt hält, wenn es um den Zustand der Welt geht, im großen oder im kleinen. Wenn ich denke, das geht mich nichts an, weil ich als einzelner nichts dafür oder dagegen tun kann, dann reicht mir das schon, es macht mir kein schlechtes Gewissen." 89 Hofbauer, Ich pfeif' auf Österreich. 90 Zwei Glanzstücke aus der Sammlung schmeichelhafter Metaphern und Vergleiche: „Wer wollte schon einer Schlammlawine [=Lauda] vorwerfen, daß sie sich ihren Weg sucht?" (S. 73); gleich zu Beginn wird dem ehemaligen Formel-1-Star bescheinigt, er verfüge über „ein Gefühl für unternehmerische Planung und betriebswirtschaftliche Zusammenhänge wie Boris Becker bei der Auswahl seiner Kurzzeit-Gefährtinnen". (S. 6) 91 Ebd., 123. 92 Ebd., 86. 93 Neue Kronenzeitung, 13. September 1976. 94 Joseph Campbell, Der Heros in tausend Gestalten, Frankfurt/Main 1999, 36 ff. 95 Ein neuer „Niki" kommt zurück, in: Neue Kronenzeitung, 12. September 1976. 96 Neue Kronenzeitung, 9. September 1976. 97 Lauda, Das dritte Leben, 174. 98 Freispruch für Lauda, in: ORF-Inlandsreport, 12. September 1991. 99 Neue Kronenzeitung, 27. Mai 1991. 100 Zitiert nach: Lauda, Das dritte Leben, 135. 101 Skocek, Sportgrößen, 185.

Andre

Pfoertner

VOEST Flaggschiff der verstaatlichten Industrie

„Das Bild ist wohl jedem Österreicher geläufig: die lange Reihe mächtiger Hochöfen, in denen am Rande von Linz Erz zu Eisen geschmolzen wird. Es ist dies ein Bild, das in gewisser Weise Teil der österreichischen Identität der ausklingenden Nachkriegszeit geworden ist, ähnlich dem Staatsvertrag, dem Neutralitätsgesetz, den Philharmonikern oder der Sozialpartnerschaft. Frägt man die Insassen dieser Republik nach Symbolen des wirtschaftlichen Aufstiegs ihres Staates, dann fällt ihnen unweigerlich jenes von Hermann Göring in Linz gegründete Werk ein [...] Wahrscheinlich ist es gar keine arge Übertreibung, wenn man behauptete, daß in den Hochöfen der Voest nicht nur Stahl, sondern auch österreichische Identität erschmolzen wird." 1 So lautete 1992 ein Ausschnitt aus der „Wirtschaftswoche", der offensichtlich den Nagel auf den Kopf traf, denn sechs Jahre später, in der Fessel-GfKUmfrage von 1998, nannten 18% der Österreicherinnen die VOEST als „typisch österreichisches" Unternehmen und erklärten sie damit zur wichtigsten Assoziation von Österreichs Wirtschaft überhaupt. Weshalb nimmt die VOEST eine derart dominante Stellung im kollektiven Gedächtnis der Österreicherinnen ein? Um dies herauszufinden, wollen wir am Beginn dem - nicht unwesentlichen - Beitrag nachgehen, den das Ausland zur Geschichte der österreichischen Eisen- und Stahlindustrie beigesteuert hat, denn erst durch die Abgrenzung vom Ausland, vom Nicht-Österreichischen, lassen sich die Kristallisationskerne ausmachen, um die sich die typischen „Österreich-Mythen" gebildet haben. Von diesen Mythen ist danach ausführlich die Rede. Dabei wird überprüft, inwiefern Eisen und Stahl als Produkte mit Österreich konnotiert sind und dies Rückwirkungen auf das Bild der VOEST als „typisch österreichisch" haben könnte. Im Anschluss daran werden die Erfolge des Unternehmens VOEST vom Wiederaufbau bis in die Neunzigerjahre und ihre Einwirkung auf das kollektive Gedächtnis beleuchtet. Das abschließende Kapitel schließlich beschäftigt sich mit der Einbettung der VOEST in die österreichische Politik und der Krise der Verstaatlichten in den 1980erJahren.

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Andre Pfoertner

Zur Geschichte der österreichischen Eisen- und Stahlindustrie im Kontext internationaler Wirtschaft Die Grundlage für die österreichische Eisen- und Stahlerzeugung bildeten lange Zeit die Eisenerzvorkommen im kärntnerischen und steirischen Raum. Doch spielte Österreich gerade an der Wende von der traditionellen zur modernen industriellen Eisen- und Stahlproduktion zunächst keine Rolle. England, das in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts am stärksten industrialisierte Land der Welt, wurde damals zur führenden Eisen- und Stahlgroßmacht. Auch unter den großen Erfindern des 18. und 19. Jahrhunderts, welche den Herstellungsprozess von Stahl revolutionierten, sind Österreicher kaum vertreten. Als in Österreich während des 19. Jahrhunderts endlich ein technologischer und auch organisatorischer Aufholprozess einsetzte, mussten Ausländer beigezogen werden. Ausländische Unternehmer gründeten dann auch die größten und wichtigsten österreichischen Eisen- und Stahlkonzerne „Österreichisch Alpine Montangesellschaft" (kurz: Alpine), Böhler und Schoeller-Bleckmann. Ihre Geschichte und jene der 1938 als Hermann-Göring-Werke gegründeten VOEST sollen hier kurz geschildert werden.

Die Österreichisch-Alpine

Montangesellschaft

(„Alpine")

Bis 1881 gab es in Österreich trotz gewisser Konzentrationstendenzen noch eine Vielzahl von kleinen Eisenerzbergbauen und Eisenwerken, die einander konkurrenzierten und aufgrund ihrer geringen Größe nicht die Kostendegression moderner Massenstahlerzeugung ausnutzen konnten. Erst der französische Ingenieur Paul-Eugene Bontoux, der nach langen Verhandlungen über 50 Eisenwerke in der Steiermark, Kärnten, Nieder- und Oberösterreich erworben hatte, fusionierte diese 1881 zu einem einzigen Unternehmen, der „Österreichisch-Alpine Montangesellschaft". Bis 1897 blieb ein Großteil des Aktienkapitals der Alpine im Besitz französischer Banken. Dann konnte der Großindustrielle Karl Wittgenstein zusammen mit seinen Geschäftspartnern 40 % bis 50 % des Aktienkapitals erwerben und einen dominierenden Einfluss auf das Unternehmen ausüben. Während des Ersten Weltkrieges unterstand es dem Kriegsministerium als militarisierter Betrieb; die Besitzverhältnisse blieben jedoch bis Kriegsende ziemlich unverändert. 2 Die Nachkriegszeit führte zu radikalen Umwälzungen: Nach einer kurzen Periode italienischer Mehrheitseigentümer war die Alpine von 1921 bis 1945 in deutschem Besitz. Über den deutschen Mutterkonzern, die Vereinigten Stahlwerke in Düsseldorf, hielt die von den USA ausgehende Rationalisierungsbewegung der 1920er-Jahre, welche sonst in Österreich eher schwach ausgeprägt war, Einzug in der Alpine, z.T. sogar finanziert mit amerikanischem Kapital. 3 Die aus den USA importierte Psychotechnik, einen tayloristisch orien-

VOEST - Flaggschiff der verstaatlichten Industrie

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tierten Zweig der angewandten Psychologie, baute der deutsche Karl Arnhold zu einer ausgeprägt pro-faschistischen Philosophie um, die auch in der Alpine Einzug hielt. Nachdem der deutsche Mutterkonzern auf Hitlers Kurs eingeschwenkt war, entwickelte sich die Alpine, die bereits seit 1921 die Heimwehren finanziell unterstützt hatte und sich betont deutschnational gab, ab 1933 zur nationalsozialistischen Hochburg in Österreich. 4

Böhler Die Brüder Albert und Emil Böhler aus Frankfurt am Main gründeten 1870 in Wien die offene Handelsgesellschaft Gebr. Böhler & Co., ein Geschäft zum ausschließlichen Vertrieb von steirischen Stahlsorten. Ab 1872 kauften sie dann mehrere Eisenproduktions- und Verarbeitungsbetriebe in Österreich (darunter 1894 das Hauptwerk Kapfenberg), errichteten aber auch im Deutschen Reich Produktionsbetriebe. Unter Führung einer Gruppe deutscher Banken (alle mit Sitz in Berlin) erfolgte am 17. Juni 1899 die Gründung der „Gebr. Böhler & Co. AG" mit dem Sitz in Berlin. Im Ersten Weltkrieg wurde v.a. die Produktion von Rüstungsgütern stark ausgeweitet. Bis zum Ende des Krieges wurden z.B. etwa 20 Mio. Gewehrläufe geschmiedet, in mindestens 20 Staaten waren Militärgewehre mit Böhlerläufen versehen. In den Zwanzigerjahren geriet Böhler wie die Alpine - in den Sog der deutschen Rationalisierungsbewegung. 5

Schoeller-Bleckmann Alexander Schoeller, geboren 1805 in Düren (Rheinland), gründete 1833 in Wien sein eigenes Großhandelsunternehmen. Neben dem Handel interessierte er sich für industrielle Beteiligungen. 1862 erwarb er das Walzwerk Ternitz, welches daraufhin beträchtlich erweitert wurde. Da für die neuen Edelstahle zunächst Deutschland am aufnahmefähigsten erschien, wurde im Jahre 1911 die „Schoellerstahl GesmbH" mit der Zentrale in Berlin und einer Filiale in Düsseldorf gegründet. Der Erste Weltkrieg brachte insofern eine Verschiebung in der Produktionsstruktur mit sich, als das Werk zum Rüstungsbetrieb wurde. 1920/21 wurde das Ternitzer Unternehmen unter der Leitung von Richard von Schoeller in die „Schoeller Stahlwerke AG" umgewandelt. Als ab 1922 ein deutlicher Absatzrückgang eintrat, fasste am 15. Jänner 1924 die Generalversammlung der Schoeller-Stahlwerke AG den Beschluss, sich mit der BleckmannStahlwerke AG zu vereinigen. 6 Johann Bleckmann, geboren in Ronsdorf bei Düsseldorf, war Inhaber einer Stahlwarenhandlung in Solingen. Als Lieferant der österreichischen Heeresverwaltung kaufte er 1862 in Mürzzuschlag ein Hammerwerk, modernisierte es und wandelte den Betrieb in eine Tiegelgussstahlhütte um, in der er Sen-

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Andre Pfoertner

sen- und Werkzeugstahl erzeugte, der als „Phönixstahl" Weltberühmtheit erlangte. Wie für die beiden anderen Edelstahlerzeuger Böhler und Schoeller war auch für Bleckmann das Deutsche Reich der wichtigste Absatzmarkt. Die Absatzkrise ab 1922 veranlasste die Bleckmann-Stahlwerke AG in einer außerordentlichen Generalversammlung am 15. Jänner 1924 die Auflösung der Gesellschaft zu beschließen und der Fusion mit den Schoeller-Werken in Ternitz zuzustimmen. 7 Ähnlich wie die gesamte Stahlindustrie konnte sich auch die SchoellerBleckmann AG in den Zwanzigerjahren dem Sog der deutschen Rationalisierungsbewegung nicht entziehen. 8

Die österreichische

Eisen- und Stahlindustrie

1938-1945

Mit dem „Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 wurde auch die bis dahin schon unter deutschem Einfluss stehende österreichische Eisen- und Stahlindustrie völlig umgestaltet. Die stark forcierte Rüstungsindustrie im „Dritten Reich" veranlasste seine Machthaber, die Stahlproduktion wesentlich zu steigern und zugleich die Abhängigkeit von hochwertigen ausländischen Erzen durch Verhüttung von eisenarmen und zum Teil stark sauren deutschen Erzen zu verringern. Da die deutsche Stahlindustrie dazu jedoch nicht bereit war und aus wirtschaftlichen Überlegungen nach wie vor die basischen ausländischen Erze mit hohem Eisengehalt bevorzugte, gründete Hermann Göring als Beauftragter für den Vierjahresplan am 23. Juli 1937 in Berlin die Reichswerke Hermann Göring AG mit dem Ziel, die eisenarmen deutschen Erze zu verhütten. In kürzester Zeit wurde 1937 unter der Leitung und mit Hilfe des amerikanischen Hüttentechnikers Hermann Brassert die Konzeption von drei integrierten Hüttenwerken in Salzgitter, Franken und Baden entworfen. Wenige Monate nach dem Baubeginn in Salzgitter erfolgte der „Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich, der Göring veranlasste, die Planungen für den süddeutschen Raum zu ändern und anstelle der Werke in Franken und Baden den Bau eines integrierten Hüttenwerkes in Linz zu favorisieren. 9 Nachdem im Mai 1938 in Linz die Reichs werke AG für Erzbergbau und Eisenhütten „Hermann Göring", Linz/Donau, als Tochtergesellschaft der Reichswerke Berlin gegründet und sofort mit dem Bau von Kraftwerk, Kokerei und Hochofenanlagen begonnen worden war, sicherten sich die Reichswerke Hermann Göring im März 1939 auch die Aktienmehrheit an der Alpine. Die Vereinigte Stahlwerke AG, die steirisches Erz bereits vor 1938 für die Hüttenindustrie im Ruhrgebiet importiert hatte, erwarb daraufhin - da nun der Alpine verlustig - die absolute Aktienmehrheit von Böhler (51,53%), um eine Übernahme auch dieses Betriebes durch die Reichswerke zu verhindern. Doch einerlei, ob Töchter der Reichswerke oder der Vereinigten Stahlwerke - in deutschem Besitz war nun mit Ausnahme Schoeller-Bleckmanns fast die gesamte österreichische Ei-

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VOEST - Flaggschiff der verstaatlichten Industrie

sen- und Stahlindustrie, deren kriegswichtiger Ausbau auch unter dem massiven Einsatz von Zwangsarbeit vorangetrieben wurde. 10 Es schien daher unmittelbar nach dem Krieg wohl zunächst wenig wahrscheinlich, dass sich gerade an einer dermaßen von Deutschen dominierten und durch Verbrechen an Zwangsarbeiterinnen belasteten Industrie ein neues österreichisches Selbstbewusstsein entzünden sollte. Dass die VOEST jedoch als eines der ersten österreichischen Unternehmen ab 1998 dieses dunkle Kapitel seiner Vergangenheit aufarbeiten ließ, hat ihr zweifellos großes öffentliches Interesse eingetragen."

Die österreichische

Eisen- und Stahlindustrie

1945-1955

Nachdem die österreichischen Eisen- und Stahlwerke während des Krieges für die deutsche Rüstung gearbeitet hatten und zum Teil schwer beschädigt worden waren, wurden sie alle 1946 per Gesetz verstaatlicht. 12 Dies bedeutete aber keineswegs, dass alles Nicht-Österreichische nun vollkommen verbannt gewesen wäre. Schließlich war da ja das deutsche Erbe; am augenfälligsten natürlich bei den Reichswerken in Linz, die auf Druck der Amerikaner im Juli 1945 mit Militärbefehl in „Vereinigte Eisen- und Stahlwerke von Österreich" umbenannt wurden, woraus sich nach mehreren Mutationen bis zum Herbst 1945 die „Vereinigte Österreichische Eisen- und Stahlwerke AG", kurz VOEST, herauszubilden begann. Die dortigen Anlagen stammten logischerweise zum überwiegenden Teil von deutschen Firmen und selbst das, was nun an amerikanischen Anlagen dazukommen sollte, war z.T. bereits vom Dritten Reich geplant gewesen. Der Rohstoff Kohle stammte noch von 1949 bis 1955 zu 90% aus dem Ruhrgebiet. Die Organisationsstruktur der neuen VOEST war jener der „Reichswerke Aktiengesellschaft Alpine Montanbetriebe Hermann Göring" sehr ähnlich. Und schließlich waren im Management der VOEST - im Gegensatz z.B. zur Alpine - noch längere Zeit „überproportional" viele deutsche Staatsbürger tätig, wie die Amerikaner tadelnd bemerkten. 13 Die Politik der Besatzungsmächte gegenüber der Eisen- und Stahlindustrie war unterschiedlich. In der sowjetischen Zone wurden alle Eisen- und Stahlwerke, die früher zum Reichs werke-Konzern oder zu Böhler gehört hatten, als „deutsches Eigentum" requiriert und der „Verwaltung sowjetischer Betriebe in Österreich" (=USIA) unterstellt. Bis zum Staatsvertrag von 1955 waren diese Betriebe jeder österreichischen Kontrolle entzogen, da die sowjetische Besatzungsmacht die Verstaatlichung von 1946 nicht anerkannte. Wesentlich besser erging es den Betrieben in den Westzonen, wo die Verstaatlichung von den Besatzungsmächten akzeptiert wurde. So übergab die amerikanische Militärregierung bereits am 16. Juli 1946 die VOEST an die österreichische Bundesregierung zur treuhändigen Verwaltung. Die drei Westmächte USA, Großbritannien und Frankreich verzichteten im April 1949 auf alle Ansprüche zugunsten der

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Republik Österreich. 14 Vor allem die USA hatten einen führenden Anteil an der Förderung der österreichischen Eisen- und Stahlindustrie. Erst durch die von den Amerikanern im Marshallplan zur Verfügung gestellten Gelder wurde in Österreich eine kontinuierliche Entwicklung in dieser Branche überhaupt möglich. Bereits zuvor hatten einige Betriebe, wie beispielsweise Böhler, VOEST und Elin, 1947 Kredite der amerikanischen Eximbank in Anspruch nehmen können. Am wichtigsten war die amerikanische Hilfe aber für die VOEST, denn insgesamt flössen dem Unternehmen in den Jahren 1948 bis 1951 rund 32 % der gesamten im Rahmen des ERP-Programms (European Recovery Programme zum Wiederaufbau der österreichischen Wirtschaft) bereitgestellten Mittel zu; damit wies die VOEST im Bereich des verstaatlichten Sektors den betragsmäßig höchsten Anteil eines Einzelunternehmens an der Marshallplanhilfe auf. Mit diesen Geldern wurden größtenteils Maschinen aus den USA beschafft. 15

Von 1955 bis zur

Gegenwart

Zwischen 1955 und 1968 spielte das Ausland in der österreichischen Eisenund Stahlindustrie hauptsächlich als Absatz- und Beschaffungsmarkt eine Rolle; hier aber besonders ausgeprägt. Kohle hatte ja seit dem Zerfall ÖsterreichUngarns immer aus dem Ausland eingeführt werden müssen. Wie erwähnt, kam sie für den Betrieb der VOEST in den Jahren 1949 bis 1955 zu ca. 90% aus Westdeutschland, danach wurde sie lange zu zwei Dritteln aus den USA geliefert, ab 1995 vor allem aus Tschechien und Polen. Zudem verarbeitete die VOEST bereits seit dem Jahr 1955 zunehmend Erz aus dem Ausland; zunächst aus Bayern, dann aus Schweden, der Sowjetunion und Brasilien. Ab 1963 war Brasilien sogar Hauptlieferant für Erze, später die Ukraine. Eine ähnliche Entwicklung war beim Heizöl zu beobachten: Während in den Jahren 1949 bis 1954 die VOEST 90% ihres Heizölbedarfs aus dem Inland deckte, ergab sich ab 1954 eine Verlagerung zu Auslandsbezügen (CSSR, DDR, Rumänien, Polen und Ungarn). 1 6 Gegen Ende der Sechzigerjahre wurden aufgrund des erhöhten Personalbedarfs einerseits sowie durch die erhöhte Personalfluktuation andererseits auch vermehrt Arbeitskräfte aus dem Ausland angeworben. 17 Zu dieser Zeit steuerte die österreichische Eisen- und Stahlindustrie aber bereits in eine Krise. 1968 wurde die amerikanische Beratungsfirma Booz, Allen & Hamilton um Rat gefragt, die daraufhin eine Reorganisation sowie die Fusion der verstaatlichten Stahlunternehmen und eine divisionale Gliederung des dadurch entstehenden Konzerns empfahl. Die vorgeschlagene Fusion stieß aber auf allen Seiten auf wenig Gegenliebe. Erst 1973 wurden nach zähen Verhandlungen VOEST und Alpine - unter Angliederung von Böhler und SchoellerBleckmann - fusioniert. 1975 folgte die Fusion von Böhler und SchoellerBleckmann zur VEW, die der VOEST-Alpine als Tochterunternehmen angegliedert war.18

VOEST - Flaggschiff der verstaatlichten Industrie

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Trotz Fusion blieben die Probleme, v.a. im Edelstahlbereich, nach 1975 bestehen. Aber erst 1985, als die Verluste der verstaatlichten Industrie höher waren als alle Dividendenzahlungen dieser Industrie seit 1946 zusammengenommen, konnten sich die Politiker zu drastischen Maßnahmen durchringen. Der Großteil des Verstaatlichtenkonzerns wurde in Branchenholdings aufgeteilt und 1990 unter „Austrian Industries AG" (AI) zusammengefasst, die aber bereits 1994 wieder in mehrere selbstständige Unternehmen bzw. Unternehmensgruppen aufgeteilt wurde. 19 Ohne auf Details einzugehen soll lediglich erwähnt werden, was mit den hier behandelten vier Traditionsunternehmen geschah: Die VOEST-ALPINE wurde aufgeteilt und wurde v.a. zur VOEST-ALPINE Stahl AG (VA Stahl) und zur VOEST-ALPINE Technologie AG (VA Tech). Die 1975 durch die Edelstahlfusion von Schoeller-Bleckmann-Stahlwerke AG und Gebrüder Böhler & Co AG so mühsam geschaffene VEW AG wurde wieder in die zwei ursprünglichen Unternehmen aufgespaltet, wobei SchoellerBleckmann zunächst in die Maschinen- und Anlagenbau-Holding (später: VA Tech), Böhler dagegen in die Stahl-Holding (später: VA Stahl) eingegliedert wurde. 1990 kam es zu Gesprächen zwischen der Böhler GesmbH Kapfenberg und „Uddeholm" aus Schweden über eine Kooperation, um mögliche Synergieeffekte zu nützen. Die VA Stahl AG übernahm den schwedischen Edelstahlproduzenten zu 100% und fusionierte ihn mit Böhler zur Böhler-Uddeholm AG, die 1992 selbstständig wurde. 20 Als letzter Schritt in der hier skizzierten Entwicklung folgte die Privatisierung der österreichischen Stahlindustrie. Als erstes Unternehmen ging die VA Tech-Gruppe im Mai 1994 an die Börse. Es folgte im Mai 1995 der Börsegang von Böhler-Uddeholm. Als letztes österreichisches Stahlunternehmen führte die VA Stahl AG im Oktober 1995 die Privatisierung durch. Bereits Mitte 1997 betrug das Staatseigentum an der österreichischen Stahlindustrie nur mehr 30 %.21 Wie aus diesem kurzen historischen Abriss ersichtlich wird, waren aus dem Ausland zugezogene Unternehmer sowie Wirtschaftsinteressen anderer Staaten nicht unwesentlich an der Entwicklung der österreichischen Eisen- und Stahlindustrie beteiligt. Zwar befand sich diese nach 1946 im Besitz der Republik Österreich, doch reicht dieser Umstand allein wohl nicht aus, um die Eisenund Stahlindustrie als „typisch österreichisch" zu klassifizieren. Woran liegt es also?

Die Rolle von Herkunft, Tradition und wirtschaftlicher Bedeutung von Eisen und Stahl 1992 haben in einer Umfrage etwa ein Viertel der Österreicherinnen Stolz auf die österreichische Stahl- und Metallverarbeitung bekundet. 22 Zudem preist die österreichische Bundeshymne Österreich ja als „Land der Hämmer". Es liegt

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Andre Pfoertner

also nahe zu vermuten, dass die Identifikation der Österreicherinnen mit der VOEST zu einem guten Teil mit der österreichischen Eisentradition zusammenhängt. Und diese ist in der Tat beachtlich: Die Eisenindustrie in Österreich reicht bis in vorchristliche Zeit zurück. Bereits die illyrischen Noriker sollen auf den Höhen bei Noreia im Tagbau Eisen gewonnen haben. Später war Eisen aus dem Königreich Noricum in der antiken Welt berühmt. 23 (Im Bezug auf das „Österreichbewusstsein" sei hier am Rande bemerkt, dass einige katholisch-konservative Historiker und Publizisten nach dem Zweiten Weltkrieg bei dem Versuch, Österreich aus seiner großgermanischen Geschichtsauffassung herauszulösen, gerade dieses Königreich Noricum zum Vorläufer der späteren Republik erklärten. 24 ) Der Abbau von Eisenerz - vor allem am steirischen Erzberg - machte Regionen in der Steiermark und in Kärnten nach den Wirren der Völkerwanderung auch im Hochmittelalter wieder bekannt. Viele regionale Eisenmythen konzentrieren sich denn auch auf Orte in der Steiermark sowie in Ober- und Niederösterreich, wo noch im 20. Jahrhundert Eisen und Stahl erzeugt und verarbeitet wurden. 25 Dabei kommt jenem Eisenerzvorkommen, welches das Erz lieferte, das in all diesen Orten verarbeitet wurde, eine Schlüsselrolle zu: dem Steirischen Erzberg, der mehr als ein Jahrtausend der „Eherne Brotlaib der Steiermark" war. Bereits im 16. Jahrhundert entstanden die ersten bekannten Lobsprüche und Bergreihen auf den Erzberg. Im 17. Jahrhundert war der Berg schon mythisch stark aufgeladen: Kein geringerer als Matthäus Merian fertigte 1649 einen Stich vom Städtchen Eisenerz mit dem Erzberg an - ein großes Kompliment für eine kleine Bergstadt; 1669 soll sich am Erzberg ein Marienwunder ereignet haben und auf das Jahr 1655 geht die Gründungssage des steirischen Erzberges zurück. Die Persistenz des Mythos Erzberg hatte dabei durchaus eine reale Grundlage insofern, als die wirtschaftliche Bedeutung des Eisenwesens über die Jahrhunderte hinweg anstieg. Im 19. Jahrhundert verband sich der Mythos um den Erzberg mit den Legenden um den volkstümlichen Erzherzog Johann quasi zu einem steirischen Nationalepos. 26 Erzherzog Johann erwarb nämlich selbst Radwerke, um mit persönlichem Beispiel bei den von ihm eingeleiteten Reformen voranzugehen, löste den alten, individuellen Stollenbau am Erzberg durch den Etagenbau ab, förderte den Umbau der Floßöfen in moderne Hochöfen sowie die Umstellung der Hammerwerke auf das 1784 erfundene Puddelverfahren, sicherte die Kohlenversorgung durch Ankauf von Staatswäldern und gründete die Berg- und Hüttenschule in Vordernberg.27 Selbst als neue technische Errungenschaften sich auszubreiten begannen, blieb der Erzberg weiterhin im Rampenlicht: Der erste österreichische naturwissenschaftliche Film wurde 1912 - fast wäre man versucht, zu sagen: „wie könnte es anders sein" - über den Erzberg gedreht. 1924 erschien als „Jahrbuch" dann „Der Steirische Erzberg und seine Umgebung. Ein Heimatbuch" (als Sonderheft der Zeitschrift „Deutsches Vaterland"). 1939 wurde ein Fahrten-

VOEST - Flaggschiff der verstaatlichten Industrie

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film mit dem Titel „Zum Eisernen Berg" gedreht. 1949 entstand auf Initiative der Bundesstaatlichen Hauptstelle für Lichtbild- und Bildungsfilm ein Unterrichtsfilm (F 1017) über den „Tagbau auf dem Steirischen Erzberg", der für die Haupt- und Untermittelschule gedacht war. Zur selben Zeit (1950) warb ein Plakat mit dem Titel „Der Erzberg ruft!" um Arbeiter. 28 Als in den Siebzigerjahren Stimmen laut wurden, die aus Rentabilitätsgründen eine Stilllegung des Erzabbaus am Erzberg forderten, konterten die Gegner mit einer Instrumentalisierung des Erzbergmythos zugunsten der Weiterführung des Abbaus mit Schlagzeilen wie „Hütet den Schicksalsberg!" 29 Seit 1968 gab es Erzbergführungen und seit 1988 zusätzlich die Möglichkeit der Besichtigung des ehemaligen Untertage-Bergbaus. 30 Doch nicht nur der Erzberg selbst - auch alle Ortschaften, die durch Eisenabbau, Eisenverarbeitung und Eisenhandel mit ihm in Verbindung standen, wurden zu Bestandteilen des österreichischen Eisenmythos, bzw. bildeten ihre eigenen, lokalen Eisenmythen aus. An erster Stelle sind natürlich Vordernberg und Innerberg (Eisenerz), die Ortschaften beiderseits des Erzberges selbst, zu nennen. Dort standen früher die Schmelzhütten, wo das Eisen aus dem Gestein herausgeschmolzen wurde. Beide Orte waren schon aufgrund ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit eng mit dem Erzberg verbunden. An zweiter Stelle sind dann jene Handelsplätze anzuführen, wo das in Vordernberg und Innerberg hergestellte Eisen umgeschlagen bzw. auch weiter verarbeitet wurde. Vordernberg lieferte Rauheisen nach Leoben, welches von dort über Judenburg auch auf der alten Straße im Murtal zu verschiedenen Hammerwerken gebracht wurde, die es dann weiterverarbeiteten. 31 Leoben hatte bereits 1314 das Privileg zum ausschließlichen Handel mit Vordernberger Eisen erhalten 32 und wurde zu der steirischen Bergstadt. Gleich neben Leoben liegt Donawitz, wo die erste urkundliche Erwähnung bereits 1529 einen Eisenhammer nachweist und später die Öfen der Alpine standen. 33 Nordöstlich von Leoben kommt man nach Kapfenberg. Auch dort reicht die Erzeugung und Verarbeitung von Eisen und Stahl bis ins frühe Mittelalter zurück. Auf dieser Tradition baute die Firma Böhler auf und führte sie fort. 34 Im Unterschied zu anderen Bereichen der österreichischen Wirtschaftsund Technikgeschichte erlangte die Geschichte des österreichischen Montanwesens eine immense Breitenwirkung, quantitativ ablesbar an der Zahl der Publikationen sowie der einschlägigen Museen und Sammlungen. Die über Jahrhunderte prägende Tradition von Bergbau und Eisenindustrie findet also bis in die Gegenwart in Forschung und Museumslandschaft einen großen Niederschlag. 35 Auch in den österreichischen Schulbüchern kommt man um die uralte Eisentradition nicht herum. In jedem Geographiebuch der Zweiten Republik konnte man unter den Kapiteln über die Steiermark mehr oder weniger detaillierte Informationen über die zweitausendjährige Erztradition Österreichs bekommen. Z.T. wurden sehr ausführlich die Erzgewinnung am Erzberg und die Stahler-

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zeugung bei der Alpine in Donawitz beschrieben. 36 Ein Bild des Erzberges fehlte seit dem Aufkommen der Abbildungen in keinem Geographietext über die Steiermark und bei den Wiederholungsfragen wurden die Schulkinder z.B. gefragt: „Welche Bodenschätze werden in der Steiermark abgebaut? [...] In welchen Teilen des Landes liegen die Industriegebiete?" 37 , „Stelle die Rohstoffgrundlagen der obersteirischen Industrie zusammen!" 38 oder „Suche den Erzberg im Atlas! Schreibe einige Orte und Flüsse in der Umgebung des Erzberges auf! [...] Wo wird in Österreich aus Eisenerz Eisen und Stahl erzeugt?" 39 Pathetisch wird im Abschnitt „Land der Hämmer" in einem Buch der Seydlitz-Geographiebuchreihe verkündet: „Eisen ist der wichtigste Rohstoff unserer Zeit." 40 - und gleich darauf stolz darauf hingewiesen, dass Österreich bedeutende Erzvorkommen besitzt. Im Unterschied zu Restösterreich bekamen die steirischen Kinder natürlich besonders viel von der Eisentradition ihres Bundeslandes zu hören, nicht nur im Geographie-, sondern auch im Geschichtsunterricht. Ein frühes derartiges Unterrichtswerk sind die „Geschichtsbilder aus der Heimat. Eine Einführung in den Geschichtsunterricht", dessen erste Auflage bereits 1950 erschien, und das immer wieder neu aufgelegt wurde. Es heißt dort: „Seit bald zweitausend Jahren gibt der Erzberg sein Erz her. Es kommt heute in die großen Hochöfen von Linz oder von Leoben-Donawitz, in denen das Eisen geschmolzen wird." 41 Und es wird die steirische Landeshymne zitiert, in deren dritter Strophe es heißt: „Wo durch Kohleglut und des Hammers Kraft - starker Hände Fleiß das Eisen zeugt." 42 Der Ergänzungsband „Steiermark in Gegenwart und Vergangenheit" zur Geschichtsbuchreihe „Zeiten, Völker und Kulturen" fragt noch detaillierter nach: „Ist dein Schulort eine Industriegemeinde? Welche Fabriken befinden sich dort? Sind in letzter Zeit neue Betriebe errichtet worden? Was erzeugen sie? [...] Hast du schon einmal den Erzberg [...] besucht? [...] Welche Bodenschätze haben in der Vergangenheit eine Rolle gespielt? [...] Suche jene Orte, wo Eisenerz und Silber abgebaut wurden, auf deiner Landkarte! Wie viele Wochenstunden betrug die Arbeitszeit eines Bergmanns in früheren Zeiten?" 43 Aufgrund der bisherigen Ausführungen kann also festgehalten werden, dass die österreichische Eisentradition einen wichtigen Baustein des wirtschaftlichkulturellen Erbes Österreichs darstellt. Es wäre daher auch nicht erstaunlich, wenn sich dies im kollektiven Gedächtnis niedergeschlagen haben sollte. Natürlich knüpfte auch die VOEST an diese Traditionen an, z.B. bei den Uniformen (Bergkittel). 44 Aber weshalb ist ausgerechnet die VOEST im kollektiven Gedächtnis österreichweit zum Haupterben der österreichischen Stahltradition geworden und nicht die Traditionsunternehmen Alpine, Böhler oder SchoellerBleckmann?

VOEST - Flaggschiff der verstaatlichten Industrie

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Der „Industriestolz Österreichs" - Erfolge der VOEST Der Wiederaußau (1945-ca.

1960)

Die ersten Jahre der VOEST können - pars pro toto - als Analogie zur Situation Österreichs angesehen werden: Wie große Teile Österreichs war am Ende des Zweiten Weltkrieges die Hütte Linz von schweren Zerstörungen betroffen. Es herrschte ein Mangel an Rohstoffen, Arbeitskräften und Dingen des täglichen Bedarfs. Und wie die politische Zukunft Gesamt-Österreichs unsicher war, so war die wirtschaftliche Zukunft der VOEST unsicher, unsicherer noch als die Zukunft der meisten anderen Betriebe: Denn die VOEST war - als ehemalige Reichswerke Hermann Göring, Hütte Linz - eindeutig deutsches Eigentum, sie hatte keine Tradition in der Ersten Republik, auf die man sich hätte berufen können wie Böhler, Schoeller-Bleckmann oder die Alpine. Die Siegermächte konnten daher theoretisch berechtigte Ansprüche auf die VOEST geltend machen. Hinzu kam, dass sowohl im Inland wie im Ausland wohlbegründete Argumente gegen eine Fortführung der Stahlproduktion am Standort Linz vorgebracht wurden. 45 Doch die Amerikaner, in deren Besatzungszone die VOEST lag, befürworteten den Betrieb zumindest eines Hochofens. Dies war entscheidend. Bereits bei der Erstellung und Umsetzung des Eisen- und Stahlplans 1947/48 war klar, dass die VOEST beim Wiederaufbau eine entscheidende Rolle spielen würde. Die Koks-, Rohstahl- und Blecherzeugung übertraf bereits in den Jahren 1949 und 1950 die höchste Kriegsproduktion. An Roheisen wurde beim Zwei-Ofenbetrieb nahezu soviel erzeugt wie früher mit vier Hochöfen. 46 Schon 1950 konnten die Österreicherinnen in der „Austria Wochenschau" vernehmen, dass „dieses verstaatlichte Unternehmen bereits zu einem der größten Aktivposten unserer Wirtschaft geworden" war.47 Stolz verkündete Bundespräsident Theodor Körner bei der Inbetriebnahme der neuen Breitbandstraße der VOEST 1953: „Österreichischer Geist und österreichische Arbeit haben aus Ruinen des Krieges eine Werkstatt des Friedens geschaffen, die der Selbstbehauptung des Staats und dem Wohlstand der Bevölkerung dient und ein Beweis der Lebensfähigkeit unseres Landes ist."48 Nicht einmal ein Jahr später konnte Verstaatlichtenminister Karl Waldbrunner mit der Inbetriebnahme des Kaltwalzwerkes der VOEST das Aufbauwerk des größten verstaatlichten Betriebes Österreichs für abgeschlossen erklären, was in der „Austria Wochenschau" als „Festtag für Linz und ganz Österreich" bezeichnet wurde. „Nun ist nicht bloß der österreichische Bedarf gedeckt, sondern es werden auch große Mengen für den Export bereitstehen. Die Zeit des Materialmangels für die österreichische Verarbeitungsindustrie ist vorbei", erklärte der Minister. 49 Im Jahresrückblick der „Wochenschau" wurde die Breitbandstraße, die in Linz Blech zu Gold machen sollte, als das technische Wunderwerk des Jahres 1953 gepriesen. 50 In der Tat überholten zwischen

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1953 und 1960 Eisen und Stahl das Holz, das bis dahin der wichtigste Ausfuhrartikel war, und entwickelten sich zum wichtigsten Exportprodukt Österreichs. 51 Immer mehr Zweige der österreichischen Wirtschaft wurden von der VOEST abhängig. Größere Mengen von Kokereigas wurden z.B. an die Chemie Linz AG verkauft. Zudem versorgte die VOEST bis Anfang der Siebzigerjahre die Stadt Linz mit ihrem Gas. 52 Das Kraftwerk der VOEST erzeugte Strom für den Verbund und war das größte kalorische Kraftwerk Österreichs. 53 Aus hochwertigen Produkten der Stahl- und Walzwerke fertigten die Montagewerkstätten des Stahlbaues Stahlhoch- und Stahlleichtbauten, Rohrleitungs- und Stahlwasserbauten sowie bis heute bekannte Brückenbauten und Seilbahnen. 54 Im Bereich Bühnentechnik waren es z.B. die Bühneneinrichtungen für die Wiener Staatsoper 1952 und das Salzburger Festspielhaus 1957. Bei der Errichtung der Donaukraftwerke Jochenstein, Ybbs-Persenbeug, Aschach, der Draukraftwerke Edling und Freistritz, der Innkraftwerke Schärding, Passau-Ingling und Kufstein, der Ennskraftwerke Rosenau und Garsten sowie des Kraftwerks Kaunertal wurde 1949-1958 ein erheblicher Anteil vom VOEST-Maschinenbau geleistet. 55

Erster Hochofenanstich am 14. Juni 1947

Die funktionelle Verflechtung der Eisen- und Stahlindustrie mit dem Rest der österreichischen Wirtschaft war so beachtlich, dass man 1962, rechnet man die der eisenerzeugenden Industrie nachgelagerten bzw. mit ihr organisch zusammenhängenden Industriezweige (Gießereien, Maschinen- und Stahlbau, Fahrzeugindustrie, eisen- und metallverarbeitende und Elektroindustrie) dazu, auf 31,5% aller Industriebeschäftigten in Österreich kam. 56 Bereits in den Sechzigerjahren wurde die Aufbauarbeit der Eisen- und Stahlindustrie und besonders eben der VOEST mythisch verklärt. 1965 z.B. zeigte

VOEST - Flaggschiff der verstaatlichten Industrie

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die Austria Wochenschau den Beitrag „Vor 10 Jahren: Großinvestitionen für Österreichs Stahlindustrie", in dem Minister Waldbrunner im Hinblick auf die Leistungen der Stahlindustrie pathetisch das „Ende des industriellen Aschenbrödel-Daseins Österreichs" proklamierte.57 In den österreichischen Geschichtsbüchern wurde im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau - wenn überhaupt ein Einzelunternehmen namentlich genannt wurde - die VOEST erwähnt, entweder direkt im Text58 oder indirekt, wie im Geschichtslehrbuch „Zeiten, Völker und Kulturen" von 1964: Unter dem Kapitel „Österreichs Wiederaufbau" war ein ziemlich allgemeiner Text über die Überwindung der Kriegsschäden und den wirtschaftlichen Aufschwung zu lesen, die Abbildungen zeigten jedoch unmissverständlich, was man mit Wiederaufbau assoziierte: Nach den Bildern „Hochofenstraße der VOEST" und „Stahlerzeugung in Donawitz" zeigte eine Graphik den Anstieg der Eisen- und Stahlproduktion von 1946 bis 1955.59 Die geschilderten Gründe haben dazu geführt, dass von der VOEST häufig in Korrelation zum Wiederaufbau gesprochen wurde und wird. Als die Eisenund Stahlindustrie ab 1985 in ihre schwerste Krise schlitterte, die schließlich zur Privatisierung führte (s.u.), wurde der bedeutende Beitrag zum Wiederaufbau als Argument für weitere Subventionen und die Beibehaltung der Verstaatlichung verwendet. So hieß es z.B. 1987 auf Transparenten einer Arbeiterdemonstration in Leoben: „Für den Wiederaufbau waren wir gut genug, was ist jetzt ...?"60 Und in der kommunistischen „Volksstimme" vom 17. Juni 1987 war zu lesen: „Ein Symbol für den Aufschwung: Vor 40 Jahren wurde der erste VOEST-Hochofen angeblasen. Der 14. Juni 1947 war nicht nur für Linz und die VOEST, sondern für die gesamte österreichische Grundstoffindustrie ein denkwürdiger Tag [...] Wir alten VOESTler können daher nicht verstehen, dass man heute mehr und mehr eine eigenständige österreichische Grundstoffindustrie in Frage stellt. Der erste Hochofen, den wir 1947 in Betrieb genommen haben, war für uns das Symbol für den wirtschaftlichen Aufschwung." Und selbst zum 50-jährigen Jubiläum 1995 betonte der damalige Minister Viktor Klima im Vorwort zum Jubiläumsband: „Es gibt kaum ein anderes Unternehmen, das einen derartigen Symbol-Charakter für die industrielle Entwicklung Österreichs in der Zweiten Republik hat wie die ehemalige VOEST, jetzt VA-Stahl. Dieses Unternehmen hat einen maßgeblichen Beitrag zum Wiederaufbau und zur Schaffung einer industriellen Basis in Österreich nach dem Krieg geleistet."61

Das

LD-Verfahren

1997 schrieb Manfred Prisching im Rückblick über die technikgläubige Nachkriegszeit: „Wohin man auch blickte: Überall sah man Belege für den technokratischen Erfolg, aus dessen Elementen sich auch ein Mythos Österreich zu-

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sammenbauen ließ. Die Großglocknerstraße wurde zur pionierhaften Tat, über das Kraftwerk Kaprun wurde in allen Klassenzimmern geredet, VOEST, Donawitz und LD-Verfahren galten als österreichische Beiträge zur modernen Welt, und die Europa-Brücke der Brenner-Autobahn kündete von der Zukunft." 62 Deutlich wird hier, womit man die VOEST neben dem Wiederaufbau noch in Verbindung brachte und bringt: Mit dem LD-Verfahren. Kein Ereignis in der kurzen Geschichte der VOEST hat das Image dieses Unternehmens so sehr geprägt und den weiteren Werdegang so sehr bestimmt. 63

Eröffnung des ersten LD-Stahlwerkes der Welt durch Bundespräsident Theodor Körner am 5. Jänner 1953

Worum ging es konkret? Am Anfang der Geschichte des LD-Verfahrens stand der Rohstoffmangel. Für die damals weltweit praktizierte Herstellung von Stahl in Siemens-Martin-Öfen (SM-Öfen) benötigte man - aus wirtschaftlichen, nicht aus technischen Gründen - zusätzlich zum Roheisen noch eine große Menge an Eisenschrott - Eisenschrott, den Österreich nicht besaß und teuer importieren musste. Deshalb hatten Ingenieure der VOEST den bereits 1856 von Henry Bessemer geäußerten Gedanken aufgegriffen, den Schrotteinsatz durch Aufblasen von reinem Sauerstoff auf das Roheisenbad zu reduzieren, und daraus ein industriell verwertbares Verfahren ausgearbeitet. Der Durchbruch war ihnen durch senkrechtes, zentrisches Aufblasen des Sauerstoffs aus einer einzigen Düse mit 6 bis 15 bar auf das Roheisenbad gelungen. Kaum ein halbes Jahr nach Beginn der Versuche, am 9. Dezember 1949, fasste die Firmenleitung den mutigen und zukunftweisenden Entschluss, eine Großanlage nach dem eben erst

VOEST - Flaggschiff der verstaatlichten Industrie

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erfundenen Verfahren zu errichten, das nach den Hauptwerken der VOEST in Linz und der Alpine in Donawitz bald Linz-Donawitz(LD)-Verfahren genannt wurde. Am 27. November 1952 wurde das erste LD-Blasstahlwerk der Welt in Linz in Betrieb genommen; die offizielle Eröffnung durch Bundespräsident Theodor Körner wurde am 5. Jänner 1953 vorgenommen. Im Frühjahr 1953 folgte das LD-Stahlwerk in Donawitz. 64 Mit der Erfindung des LD-Verfahrens erlangten die österreichischen Stahlerzeuger einen bedeutenden Vorsprung vor der internationalen Konkurrenz: Der LD-Stahl besaß größere Trennbruchsicherheit und ein besseres Korrosionsverhalten als der bis dahin dominierende SM-Stahl. Das Wichtigste aber war, dass das LD-Verfahren in der Produktionsleistung dem Siemens-Martin-Prozess weit überlegen war.65

Das erste Hochseeschiff der VOEST, die „Linzertor" (1959)

Trotz dieser eindeutigen Überlegenheit dauerte es einige Zeit, bis sich der LDStahl durchsetzen konnte. Dies lag vor allem daran, dass nationale Klassifikationsgesellschaften und Behörden in den einzelnen Ländern für Stahlbauwerke, an die hohe Anforderungen gestellt wurden (wie z.B. Hochseeschiffe, Druckrohrleitungen oder Brücken) zwingend die Verwendung von SM-Stahl vorschrieben und erst von der Güte des LD-Stahls überzeugt werden mussten. Die VOEST versuchte daher mit Werbung (u. a. der Herausgabe des Buches „Ein Jahr LDStahl") die öffentliche Meinung zugunsten des neuen Produkts zu beeinflussen. Die geringsten Widerstände gab es in Österreich selbst, wo bereits der österreichische Normenausschuss das LD-Verfahren dem SM- und Elektroverfahren gleichsetzte, dem bald die Zulassung der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) und ausländischer Bahnen folgte. Länger dauerte die vollständige Anerkennung der neuen Technologie im Schiffbau - sie wurde erst 1957 erreicht und führte

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Andre Pfoertner

zu einer der spektakulärsten Marketingaktionen der VOEST: Um die Eignung des LD-Stahles für den Schiffbau zu demonstrieren, wurde 1956 gemeinsam mit einer Bremer Reederei die „Ister Reederei GesmbH" gegründet. Der Stapellauf der „Linzertor", des ersten von dieser Reederei gebauten Hochseeschiffs, fand am 15. Dezember 1958 statt. Im selben Jahr war das LD-Verfahren auch auf der ersten Weltausstellung nach dem Zweiten Weltkrieg in Brüssel als elementarer Bestandteil des nationalen Erbes präsentiert worden - veranschaulicht durch eine vom Bildhauer Rudolf Hoflehner konzipierte Stahlplastik. 66 Mit der zunehmenden Durchsetzung der Verwendungsmöglichkeiten des LD-Stahls setzte auch das Interesse des Auslandes ein, ebenfalls LD-Stahl zu erzeugen. Kanada hatte 1954 den Anfang gemacht. Ab 1960 wurde die gesamte „Mehr"-Erzeugung des Weltrohrstahles fast ausschließlich durch LD-Stahl getragen. In zunehmendem Maße wurden SM-Anlagen stillgelegt und an deren Stelle LD-Werke errichtet. 67 Die weltweite Verbreitung des LD-Verfahrens führte in Österreich zu einem beispiellosen Imagegewinn der VOEST. Die VOEST selbst legte verständlicherweise besonderes Gewicht auf die LD-Werbung und hob das Verfahren als großartige Leistung österreichischer Techniker für die Welt hervor.68 Vizekanzler Bruno Pittermann pries Ende der Fünfzigerjahre das LD-Verfahren mit entsprechendem nationalen Pathos: „Das von österreichischen Wissenschaftlern und Ingenieuren geistig und technisch entwickelte Linz-Donawitz-Verfahren stellt der reichen Begabung des österreichischen Volkes neuerlich ein glänzendes Zeugnis aus. Niemand hätte uns gerechterweise einen Vorwurf machen dürfen, wenn wir nach dem Ausgang des Krieges angesichts der Zerstörungen in unserem Heimatland und unter dem Eindruck der Vier-Mächte-Besetzung an unserer Zukunft gezweifelt hätten. Darum erscheint heute die Entwicklung des LD-Verfahrens in dieser Zeit nicht allein als wissenschaftlich technische Großtat, sondern auch als ein achtenswerter Akt des Selbstvertrauens und des Glaubens an die Fähigkeit des österreichischen Volkes, die größten Schwierigkeiten zu überwinden. [...] Das LinzDonawitz-Verfahren hat dem Namen Österreichs und dem Ansehen der Republik Österreich in der Welt unschätzbare Dienste geleistet. Männer, einem kleinen 7-Millionen-Volk entstammend, haben der Stahlerzeugung in der Welt neue Bahnen gewiesen." 69 1961 wurde in der Serie „15 Jahre verstaatlichte Unternehmungen" eine Briefmarke „LD-Stahlwerk VOEST-Linz" herausgegeben. 70 Die österreichische Presse erging sich in immer neuen Elogen über diesen einzigartigen Beitrag Österreichs für die Welt mit Schlagzeilen wie „Siegeszug des LD-Verfahrens: 35% der Weltstahlerzeugung werden nach diesem in Österreich entwickelten Verfahren erzeugt"; „Stahlbosse der Welt machten der VOEST ihre Aufwartung. Amerikanisches Lob für unser LD-Verfahren"; „LD-Verfahren als Vorbild" oder „Österreich exportierte 100 LD-Stahlwerke". 71

V O E S T - Flaggschiff der verstaatlichten Industrie

in

Auch in der „Austria Wochenschau" wurde das LD-Verfahren mehrmals gewürdigt. 72 Als besonders anschaulich kann wohl der Beitrag „Die V O E S T baut Riesen-LD-Tiegel für Italien" von 1963 bezeichnet werden. Man sieht die so oft bemühten Bilder des VOEST-Geländes mit seinen rauchenden Schloten, die Werkshallen und Aufnahmen von glühendem Stahl. Dazu verkündet der Sprecher: „Das österreichische Blasstahlverfahren, das in Linz und Donawitz entwickelt wurde und deshalb LD-Verfahren genannt wird, revolutioniert die Stahlerzeugung der ganzen Welt [.··] Eine österreichische Erfindung wird zum Allgemeingut der Menschheit." 73 1970 fand die erste Fernsehwerbung der V O E S T mit 30-sekündigen Spots statt. Neben den Themen Wohlstand und Sicherheit für alle, Exporte, Investitionstätigkeit, Personalwerbung und Steuerleistung wurde auch hier die LD-Erzeugung besonders gewürdigt. 74

Hochofengruppe der V O E S T (1971)

Im selben Jahr betonte Generaldirektor Koller in einem Interview: „ A u f den Weltmärkten sind wir, die VOEST, leider oft nur das einzige bekannte österrei-

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Andre Pfoertner

chische Unternehmen. Das LD-Verfahren, das von uns entwickelt ist, und nur dieses hat uns und Österreich industrielle Weltgeltung eingebracht." 75 Tatsächlich rekurrierten auch ausländische Politiker und Industrielle im Bezug auf die Würdigung Österreichs als Industrieland oft auf das LD-Verfahren. So schmeichelte z.B. der Vorsitzende des japanischen Industriellenverbandes Keinadren, Eishiro Saito, Bundeskanzler Franz Vranitzky anlässlich eines Empfanges in Tokio mit den Worten: „Ohne Österreich wäre der Wiederaufbau unseres Landes nie gelungen. Ohne euer LD-Verfahren zur Stahlerzeugung hätte die Industrie unseres Landes nicht aufgebaut werden können." 76 Längst hatte das LD-Verfahren auch Einzug in die Schulbücher gehalten. So war z.B. in dem Buch „Wirtschaftsgeographie für Handelsakademien" 1975 zu lesen: „Der LD-Stahl, der 1952 zum ersten Mal in Linz hergestellt wurde, hat inzwischen seinen Siegeslauf um die Welt gehalten. Alle bedeutenden Stahlländer des Westens und Ostens (EG, USA, Japan, SU, VR China) verwenden heute das kostengünstige und zeitsparende in Linz und Donawitz entwickelte LD-Patent." 77 Und das Geschichtsbuch „Menschen und Völker im Wandel der Zeiten" nannte ab 1973 unter den Menschen, die zum kulturellen Ansehen des österreichischen Volkes beigetragen hätten, neben Politikern, Dichtern, Künstlern und Komponisten die Erfinder des LD-Verfahrens (T. Suess, H. Trenkler, H. Hauttmann und R. Rinesch). 78 Im Mai 1992 wurde mit einem Festakt im Linzer Stahlwerk der VOESTAlpine Stahl AG das 40. Bestandsjubiläum des LD-Verfahrens gefeiert, zu dem abermals eine Sonderbriefmarke herausgebracht wurde. 79 „Es ist die weltweit führende Stahlerzeugungstechnik, für die es wohl Verbesserungen und Optimierungen, aber keine grundsätzliche Nachfolgetechnologie gibt", rühmte Alexander Wrabetz, Generalsekretär der Verstaatlichten-Holding Austrian Industries (AI) anlässlich des LD-Jubiläums. 80 Abschließend bleibt festzuhalten: Das LD-Verfahren war die Basisinnovation der weiteren Entwicklung und der unmittelbare Anlass für die Errichtung der Abteilung VOEST-Industrie-Anlagenbau und das weltweite Engagement der VOEST, von dem nun die Rede sein soll.81

Internationale

Erfolge

Die VOEST war - bis zum Zusammenbruch der verstaatlichten Stahlindustrie 1985 und ihrer anschließenden Privatisierung - wohl der am stärksten international agierende Industriebetrieb Österreichs. Gemäß repräsentativer Umfragen war die VOEST im Ausland auch das bekannteste oder mindestens eines der bekanntesten österreichischen Unternehmen. 82 Wie war es zu dieser internationalen Karriere gekommen? Neben dem LDVerfahren hatten die Wiederaufbaukonjunktur und die günstige Weltmarktlage, welche dem Unternehmen Mitte der 1950er-Jahre eine expansive, ertragreiche

VOEST - Flaggschiff der verstaatlichten Industrie

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Entwicklung erlaubten, dazu beigetragen. 83 Die starke Exportorientierung der VOEST, die dadurch dringend benötigte Devisen ins Land brachte, machte sie bald zum Paradeunternehmen der verstaatlichten Industrie. So hieß es 1960 in einer Broschüre des Bundeskanzleramtes über die Exportleistungen der verstaatlichten Betriebe: „Den höchsten Beitrag zu diesem Erfolg haben wieder die Unternehmungen der Eisen- und Stahlindustrie geleistet, die durch den Export ihrer konjunkturbegünstigten Walzwarenerzeugnisse mit 6,2 Milliarden Schilling zu 75 % den Devisenerfolg des verstaatlichten Sektors bestritten haben." 84 Ähnliche Äußerungen finden sich in allen politischen Lagern. Auch die Kommunisten urteilten anerkennend, dass die Zuwachsrate der österreichischen Stahlproduktion nur von China und Japan übertroffen würde. 85 Da das LD-Verfahren weltweit für Aufsehen sorgte, bot sich der VOEST die Chance, diese Technologie auch international zu verkaufen. 1956 gelang es dem Unternehmen, auf dem Markt für Industrieanlagenbau Fuß zu fassen. Nachdem Indien 1947 ein selbstständiger Staat geworden war, wurde der Ausbau der dortigen Stahlindustrie forciert. Zusammen mit Krupp erhielt der österreichische Konzern den Auftrag zur Errichtung eines LD-Stahlwerkes für den Hüttenkomplex in Rourkela, 460 km südwestlich von Kalkutta. 86 Dies war der Beginn eines weltweiten Engagements. In den nächsten Jahrzehnten entwickelte sich der Industrieanlagenbau innerhalb der VOEST zu einem bedeutenden Standbein. Denn: Bald waren es nicht mehr nur LD-Stahlwerke, sondern es kamen auch vor- und nachgelagerte Anlagen hinzu. 1964 wurde der Chemieanlagenbau ins Programm aufgenommen, wobei man sich zunächst auf Anlagen für die Zellstoff- und Papierindustrie, die Düngemittelindustrie und die PetrochemieIndustrie spezialisierte. Mehr als 500 Industrieanlagen errichtete die VOEST in allen Erdteilen. Daneben baute die VOEST nach Einführung des VOESTSystembaus auch Nutz- und Wohngebäude in zahlreichen Ländern, u. a. in Afrika und Osteuropa, aber auch in hochindustrialisierten Staaten wie in der BRD, Frankreich, Italien und der Schweiz. 87 Die VOEST brachte Internationalität in die Presse-Schlagzeilen über die österreichische Wirtschaft: 88 „VOEST und Waagner-Biro bauen das Dach über Olympiastadion"; „Die VOEST im internationalen Wirtschaftsverkehr"; „Die VOEST sammelt Erfahrungen in Indien"; „Ein Stahlwerk für Brasilien"; „VöeST kauft sich in den USA ein. Bekannte Turbinenbaufirma wurde erworben."; „Die VoeST setzt auf Fernen Osten"; „VOEST plant Stahlwerk in Südafrika"; „Ein europäisches Projekt. Olefin-Anlage DDR-CSSR unter österreichischer Federführung"; „VOEST visiert 40-Md.-S-Projekt an. Untertunnelung des Suez-Kanals von Österreich dominiert?"; „VOEST-Pleuelstangen für Japan"; „Vöest verhandelt in Kuwait über Entwicklungsprojekte"; „Vöest kassiert 3,5 Milliarden für Großauftrag in Venezuela"; „Stahl-Koks-Vertrag mit der VOEST perfekt [...] Österreich-Polen: Milliarden rollen"; „VOEST leistete Pionierarbeit für neue Generation von Kernkraftwerken: „Schnelle Brüter" für BRD"; „BRDBrasilien: Nuklear-Geschäft läuft. VOEST-Ingenieur übernimmt technische

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Leitung der Nuclep - Erfolg für Know-how" und „Großer Fuß in der internationalen Tür"; „VOEST: Ein gesuchter Partner. Hohe DDR-Auszeichnung für Koller und Matthes"; „Die VOEST holte sich Großauftrag in Jordanien"; „VOEST kauft um 130 Mill. S Zanussi-Anteil"; „Arabische Jumbos im Austro-Hangar"; „600Millionen-Auftrag für VOEST-ALPINE. Bau einer Zellstoffabrik in Thailand". Den österreichischen Unternehmen, von denen viele bewusst auf eine internationale Expansion verzichteten, sobald sie eine starke Stellung im Inland erreicht hatten, wurde daher immer wieder die VOEST als nachahmenswertes Beispiel vorgehalten. 89 So stellte Bundeskanzler Bruno Kreisky 1978 selbstzufrieden fest, dass sich die VOEST-ALPINE mit jedem deutschen Konzern messen könne. 90 Berichte über die VOEST hatten oft ziemlich unbescheidene Titel und Zwischentitel. „Wir haben der koreanischen Stahlindustrie auf die Beine geholfen", war z.B. 1987 im Wirtschaftsmagazin „Trend" zu lesen.91 Den Ausländern wurde die VOEST seit den Fünfzigerjahren als industrielles Flaggschiff Österreichs vorgeführt. Sie diente der Republik sozusagen als „Visitenkarte". Und es gab jahrelang kaum einen Staatsbesuch in Österreich, bei dem nicht auch die VOEST auf dem Besuchsprogramm stand. Fernsehen, Rundfunk und Presse berichteten darüber.92 Für alle gilt wohl, was Bundespräsident Rudolf Kirchschläger beim Besuch des polnischen Staatspräsidenten Henryk Jablonski in der VOEST im April 1978 sagte: „Die VOEST-ALPINE ist allen Österreichern ans Herz gewachsen und wir sind stolz darauf, unsere ausländischen Gäste in dieses Unternehmen zu führen." 93 Die ständigen Meldungen über das internationale Engagement der VOEST sowie die zahlreichen ausländischen Staatsbesuche im VOEST-Werk Linz verfehlten ihre Wirkung auf die österreichische Bevölkerung nicht: Gemäß einer IMAS-Umfrage von 1978 waren drei Viertel der Österreicherinnen über 16 Jahre überzeugt, dass die VOEST-Alpine zum Ansehen Österreichs in aller Welt beitrage. Noch höher war der Prozentsatz bei einer kurz darauf durchgeführten Umfrage unter den VOEST-Mitarbeitern, von denen 89% ihrem Unternehmen ein hohes Ansehen im Ausland attestierten. 94 Und kein „VOESTler" hat dieses Gefühl internationaler Bedeutung wohl prägnanter formuliert als der ehemalige Pressesprecher der VOEST, Franz Summer, in seinem Rückblick von 1987: „[...] dieses Unternehmen, wie wir es kannten, war für Zehntausende mehr als nur ein Arbeitgeber. Viele von uns haben darin eine Herausforderung gesehen, dass wir als Österreicher - allen Schwierigkeiten zum Trotz - in einem weltweiten wirtschaftlichen Konkurrenzkampf ein beachteter industrieller Partner sind, der in Ost und West große Reputation für unser Land erarbeitet hatte." 95

Exkurs zur Österreich-Werbung:

Turbinen

Durch ihre internationalen Erfolge im Ausland warb die VOEST indirekt auch für Österreich und die Qualität der Waren „Made in Austria", wie VOEST-Ge-

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VOEST - Flaggschiff der verstaatlichten Industrie

neraldirektor Herbert Koller nicht müde wurde zu betonen. 96 Die Werbung der VOEST wies jedoch keine direkten Bezüge zu gängigen Österreich-Klischees auf; der Investitionsgüterproduzent VOEST verkaufte seine Produkte nicht als „typisch österreichisch". Eine Ausnahme bildete - neben den Seilbahnen - der Turbinenbau der VOEST. Dies hat seine Ursache darin, dass sich bei Turbinen gleich mehrere Österreichbezüge herstellen lassen: Erstens zur Eisen- und Stahltradition Österreichs; zweitens zum Wasserreichtum des Landes und drittens zum österreichischen Erfinder Viktor Kaplan, dem Konstrukteur der nach ihm benannten Turbine. Schon 1958 war bei der ersten Weltausstellung nach dem Zweiten Weltkrieg in Brüssel im Österreichpavillon eine Kaplanturbine ausgestellt worden, zu welcher der Entwurf des Ausstellungsteams anmerkte: „Die Darstellung der zivilisatorischen Grundelemente macht es erforderlich, einen Gegenstand zu wählen, der nicht nur höchsten optischen Eindruck vermittelt, sondern auch das technische Erfindertum sowie die wirtschaftliche Basis Österreichs symbolisiert (Erfindergeist + Wasserkraft + Stahl)." 97 Die VOEST griff in ihrer Turbinenwerbung immer wieder auf diese Möglichkeiten der Konnotation zurück. 98 In amerikanischen Fachmagazinen kommunizierte der Konzern seine Kompetenz im Turbinenbau u.a. durch assoziative Verknüpfungen mit Bergen, Donau, Tradition und Mozart. 99

Das wirtschaftliche

Engagement

der VOEST in

Österreich

Zwar war die VOEST - wie gerade dargestellt - stark auf den Weltmärkten präsent, doch standen ihre Tätigkeiten in Österreich dem internationalen Engagement kaum nach. Diverse Maschinen und Industrieanlagen in Österreich tragen die Handschrift der VOEST. Darunter befanden sich viele Kraftwerksbauten und -komponenten, etliche Anlagen und Tanks für die ÖMV in Schwechat, Zellstoffanlagen, Gesteinaufbereitungsanlagen und -maschinen, schließlich die Röhrenkomponenten für die Wiener U-Bahn-Linie U l ; weiters diverse Strommasten, Bohrtürme, Stahltreppen, Bootsstege etc.100 An Brücken wären nach der bereits genannten Europabrücke u.a. Großbrücken der Brenner-Autobahn zu erwähnen sowie die Salzachbrücke in Salzburg, die Donaubrücke Krems, die zweite Linzer Donaubrücke u.a. 101 Im Seilbahnbau nahm die VOEST in Österreich lange eine wichtige Stellung ein; bekannt wurden u.a. die Anlagen in den drei namhaften Tiroler Fremdenverkehrsorten Seefeld (1969), St. Anton (1972) und Ellmau (1972).102 Beim Seilbahnbau ließ sich auch das Tourismus-Land Österreich in die Werbung der VOEST einbeziehen, welche - wie erwähnt - ansonsten meist ohne direkte Österreich-Bezüge arbeitete. So war z.B. in einer VOEST-Anzeige zu lesen: „Hoch hinaus mit Voest-Alpine Seilbahnen: Wir haben die grandiose Schönheit der Bergwelt an zahlreichen Stellen in Österreich durch den Bau kühner Seilbahnen erschlossen. Für den Fremdenverkehr. Für alle."103

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Röhrenkomponenten und schalldämpfende Kunststoff-Eisenbahnschwellen der Wiener U-Bahn - ein Produkt der VOEST

Mit dem Einstieg in die Außenwandverkleidung von Gebäuden resp. in die Errichtung von ganzen Wohn- und Nutzbauten erschloss sich die VOEST auch in Österreich ein weiteres Betätigungsfeld, dem praktisch keine Grenzen gesetzt waren: Kirchen, militärische und Zivilschutzanlagen, Lehrwerkstätten, Krankenhäuser, Bürogebäude, Seilbahnstationen, Fabrikanlagen, Einfamilienhäuser, Messepavillons, Werkausbauten der VOEST-ALPINE, Hotels, Schulen und vieles mehr wurde von der VOEST in ganz Österreich errichtet, u.a. das Brucknerhaus und Design-Center in Linz sowie Donauturm, UNO-City, Haas-Haus-Fassade und Millenniums-Tower in Wien. 104

Die Wiener UNO-City - von der VOEST verkleidet

VOEST - Flaggschiff der verstaatlichten Industrie

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Das Unternehmen der Superlative Über die bisherigen Andeutungen hinaus sei hier explizit rekapituliert: Die VOEST war das Unternehmen der Superlative in Österreich. Das ist sicher einer der Gründe, weshalb die Österreicherinnen die VOEST in der Umfrage an erster Stelle der „typisch österreichischen" Unternehmen platzierten. In der Wiederaufbauzeit war die Eisen- und Stahlindustrie eine der am schnellsten expandierenden Branchen. Die VOEST wurde rasch zum umsatzstärksten Konzern Österreichs, zum größten Steuerzahler, zum größten Exporteur und damit zugleich zum größten Devisenbeschaffer. Schon in den Fünfzigerjahren war sie auch der größte Lehrherr in der österreichischen Wirtschaft. 105 An Belegschaftszahlen wurde sie Anfang der Siebzigerjahre lediglich noch von der Alpine übertroffen. Zusammen mit dem Wiederaufbaumythos, dem Erfolg des LD-Verfahrens und der Internationalität der VOEST ergab dies ein sagenhaftes Prestige. So ist es kein Wunder, dass bereits vor der Fusion der VOEST mit der Alpine im Jahr 1973 von der VOEST in der Presse fast nur in Superlativen gesprochen wurde mit Schlagzeilen wie „Die Superdividende der VOEST", „Der größte Steuerzahler", „Roheisenrekord der VOEST", „Modernster Rettungswagen", „Hunderte Millionen für den Umweltschutz" und „Gigant mit Seele". 106 Mit dem Zusammenschluss der VOEST AG mit der Alpine Montangesellschaft AG unter Angliederung von Böhler und Schöller-Bleckmann entstand dann 1973 eine Unternehmensgruppe, die vollends jegliche bis dahin in Österreich bekannte Unternehmensdimensionen sprengte. Mit seinen rund 77.000 Beschäftigten zählte der Konzern, gemessen an der Zahl der Beschäftigten, zum zehntgrößten Eisen- und Stahlkonzern der Welt und zum sechstgrößten in Europa. Umsatzbezogen stand die VOEST-ALPINE AG an 24. Stelle der Eisenund Stahlerzeuger in der Welt.107 Sie dominierte in Österreich die inländische Stahlproduktion (100% Anteile bei Eisenerz und Roheisen; 95% Anteile an Rohstahl, 93% Walzwaren) und stellte auch den bedeutendsten Produktionszweig der verstaatlichten Industrie dar.108 1984 war die VOEST mit 3.497 Lehrlingen größter industrieller Lehrherr Europas. Die „Kronenzeitung", welche die relative Bedeutung der VOEST-ALPINE für Österreich größer als jene von Volkswagen und Siemens in der BRD zusammen einschätzte, urteilte über die großen Stahlfusion von 1973: „Durch die Fusion „VOEST-ALPINE" wurde in Osterreich ein Unternehmen geschaffen, das unter den Stahlgiganten des EWGRaumes einen führenden Platz einnimmt. Ein Jahresumsatz von rund 30 Milliarden Schilling und rund 77.000 Beschäftigte sprechen eine deutliche Sprache dafür. [...] VOEST-ALPINE ist nicht nur ein führendes Stahlunternehmen, es zählt in Österreich auch zu den größten Erzeugern auf dem Sektor der Bauindustrie."109 Von der Fusion 1973 bis zum Kollaps 1985 wurden daher die Österreicherinnen von den Medien erst recht mit Superlativen betreffend den VOESTKonzern regelrecht bombardiert, wie folgende Schlagzeilen belegen: 110 „Grö-

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ßer und stärker"; „Konzern der 77.000 bezeugt Österreichs Lebensfähigkeit"; „Der „Gigant" aus Stahl"; „[...] größter Arbeitgeber in Österreich, dabei auch der größte Lehrherr in Österreich; „VOEST als größter Exporteur"; „Unser Industriestolz"; „Vöest schafft bis 1985 Tausende neue Arbeitsplätze" und „VOEST errichtete Superanlage". Nach dem Zusammenbruch der Verstaatlichten, bei dem die Schlagzeilen weniger schmeichelhaft waren, konnte die VOEST in den Neunzigerjahren wieder mit (positiven) Rekorden aufwarten. So kam sie im Oktober 1992 sogar ins „Guinness Buch der Rekorde" wegen der Errichtung des Großkraftwerkes „Tarbela Dam" in Pakistan mit dem größten Rohrleitungsabzweiger aller Zeiten (mehr als 13 Meter Durchmesser).

Linz und die VOEST Bereits im Jahre 1954 schrieb der Generaldirektor der VOEST, Walter Hitzinger, im Vorwort zum VOEST-Buch: „Linz an der Donau - hier kreuzen sich seit altersher die Straßen von Ost nach West, von Nord nach Süd, und der Strom bringt und nimmt gewaltige Lasten. Einst wanderte über diese Stadt als Umschlagplatz Eisen aus steirischen Erzen in den deutschen Norden und Osten, in die Niederlande, nach Kiew und Konstantinopel ebenso wie über den italienischen Süden nach dem nahen und fernen Osten. Heute ist Linz aus einem Handelsplatz selbst zur Industriestadt geworden. Als neues Wahrzeichen ragen die Hochöfen, die Essen und Gasometer in den Himmel und der Name der Vereinigten Österreichischen Eisen- und Stahlwerke, unserer VOEST, ist nicht mehr zu trennen von dem Namen der Stadt. Und wieder geht von hier aus Stahl und Eisen in alle Welt."111 Diese Worte bewahrheiteten sich nur zu gut - bis heute. Denn nachdem zunächst die Donau als Wasserweg 1938 für die Lösung der Standortfrage des Hüttenwerkes zugunsten von Linz bestimmend gewesen war, begann nach 1945 umgekehrt der Großkonzern die Stadt und den Strom in zunehmendem Maße nachhaltig zu dominieren. So bewegte sich z.B. der Anteil der VOEST am internationalen Donauverkehr in den Jahren 1950-1952 zwischen 91% und 97%. 112 Der Großraum Linz entfaltete sich rasch zu einem dichtbesiedelten Wirtschaftsgebiet, die räumliche Nähe zu der in Linz zentrierten Schwerindustrie bot günstige Standortvoraussetzungen für Zuliefer- und Weiterverarbeitungszweige. In und um Linz sammelten sich daher bald zahlreiche kleinere und mittlere Industriebetriebe, wobei eine Reihe von Betriebsgründungen in direktem oder zumindest engerem indirekten Zusammenhang zur VOEST standen.113 Die VOEST war so innerhalb kürzester Zeit zum wichtigsten Wirtschaftsfaktor für Linz und gerade auch für die benachbarten Gemeinden geworden, denn gemäß der Pendler-Statistik von 1986 wohnten 63,6% der VOEST-Beleg-

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schaft außerhalb von Linz.114 „Der Magnet VOEST wird noch stärker", lautete treffend eine Schlagzeile der Salzburger Nachrichten." 5 Die VOEST trug enorm zur Hebung des Ansehens und des Bekanntheitsgrades von Linz bei. So schrieben die „Salzburger Nachrichten" am 28. Februar 1975: „Die Stadt, deren Namen sich auf Provinz reimt, die Stadt an der Tramway, existiert nur mehr in der Erinnerung. Der Spott, der darin jahrzehntelang aufklang, trifft längst ins Leere, er prallt an den Hochöfen der VOEST, an den Anlagen der Chemie Linz, aber ebenso am Bruckner-Haus ab." Und die „Wochenpresse" meinte am 14. April 1976 gar: „Linzer müsste man sein: Just in Pohang, im äußersten Südosten Koreas, wird ,Austria' schon lange nicht mehr mit .Australia' verwechselt. Dafür sorgte die VOEST, die seit Jahren am Aufbau des größten integrierten Stahlwerks von Korea - einer der bedeutendsten Industriekomplexe auf dem asiatischen Festland überhaupt beteiligt ist. Geradezu beleidigt reagiert der junge Postmeister auf dem Werksgelände, wenn man auf eine Grußkarte .Austria, Europe' schreibt: ,Ich weiß, dass Austria in Europa ist. Und dass Linz in Austria ist. Aus Linz müsste man sein.' Schließlich ging man sogar soweit, „mit ein klein wenig Humor und ein bisschen mehr Stolz die geläufige Redensart ,Linz an der Donau' in ein ,Linz an der VOEST' umzuformen". 116 Der Assoziationsgrad von Linz und VOEST in der österreichischen Bevölkerung muss extrem hoch veranschlagt werden. Die Ursachen dafür sind vielfältig: Die enorme Bedeutung des Unternehmens für die österreichische Wirtschaft; die Politikerreden; die ständigen Staatsbesuche in der VOEST; die Pressemitteilungen über die VOEST, die implizit auch für Linz warben und manchmal Linz sogar explizit ins Spiel brachten, wie ζ. B. „VOEST: Qualität aus Linz" oder „Linz lebt mit der VOEST". Weiters wiesen alle Linz-, Oberösterreichund Österreich-Reiseführer auf den Konnex Linz und VOEST hin.117 Als Gegenstand von besonderem Interesse für das kollektive Gedächtnis seien zuletzt die Schulbücher für Geographie behandelt, da mit ihnen - im Unterschied z.B. zu Reiseführern - jeder Österreicher in der einen oder anderen Form in Berührung gekommen sein muss. Eine Analyse der im Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur lagernden Geographieschulbücher aus der Zeit von 1945 bis 1986 zeigt dabei das bekannte Bild: Stadt und Unternehmen verschmelzen. So lautet z.B. Aumayr, Höller und Piuks Arbeitsbuch „Österreich heute" von 1978 der Titel für Linz: „Linz. Stadt der VOEST". 118 Dass es kaum ein Geographieschulbuch der Zweiten Republik gibt, in dem die VOEST nicht namentlich erwähnt wurde, unterstreicht abermals den Superlativ-Charakter dieses Unternehmens. Als exemplarisch für alle sei lediglich folgender Linz-Text aus Ebners und Steiners „Lehrbuch der Wirtschaftsgeographie" zitiert: „Der Mammutbetrieb im Osten sind die „Vereinigten Österreichischen Eisen- und Stahlwerke" (VOEST) [...] dessen Werksbahnnetz länger ist als das Bahnnetz von Vorarlberg [...] An die 12.000 Menschen arbeiten in diesem größten österreichischen Industriebetrieb. In den letzten Jahren ist die

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VOEST sogar am Hochsee-Schiffsbau erfolgreich beteiligt (, Wiener Tor', Winzer Tor', ,Kremser Tor'). Das Unternehmen hat Weltruf und stellt mit seinen Erzeugnissen wertmäßig einen wesentlichen Teil der österreichischen Ausfuhr." 119 Bei der Lektüre dieser Texte scheint es plausibel, dass ein Unternehmen, das derart stark mit einer österreichischen Stadt verbunden ist, als „typisch österreichisch" angesehen wird.

VOEST und Politik - Die VOEST im Fadenkreuz der Interessen Im vorhergehenden Abschnitt wurden die wirtschaftlichen Aktivitäten und Erfolge der VOEST in Österreich und der Welt behandelt, als hätte es sich dabei um ein privates Unternehmen gehandelt. Tatsächlich aber war die VOEST, wie praktisch die gesamte Eisen- und Stahlindustrie, seit 1946 im Besitz des österreichischen Staates, was bedeutete, dass die Entscheidungsfreiheit des Managements politischen Restriktionen unterlag. Diese Tatsache schien freilich zunächst sekundär, da die ersten 25 Jahre der verstaatlichten Industrie - und besonders ihres Flaggschiffes VOEST - eine einzige Erfolgsgeschichte waren. Eisen und Stahl waren Basismaterialien für den Wiederaufbau. Die Wirtschaftswunderkonjunktur und der durch das LD-Verfahren erarbeitete technologische Vorsprung vor der ausländischen Konkurrenz führten dazu, dass Produktivität und Exportrate der VOEST jene der meisten österreichischen Privatunternehmen übertrafen. 120 Erst als die Eisen- und Stahlindustrie ab den Siebzigerjahren in die Krise geriet, wurde die Politisierung der VOEST zu einer existenzgefährdenden Bedrohung des Unternehmens und begann in zunehmendem Maße die österreichische Öffentlichkeit zu beschäftigen. Von den partei-, regional- und sozialpolitischen Interessen, in deren Schnittpunkt die VOEST lag, soll nun die Rede sein. Parteipolitisch-ideologische

Restriktionen

der VOEST

Obwohl 1946 die Verstaatlichung der Grundindustrie von allen Parteien getragen worden war, prallten nirgendwo die ideologischen Gegensätze der beiden Großparteien SPÖ und ÖVP so vehement aufeinander wie in der Frage des Staatseigentums an der Industrie. Die SPÖ, welche 125 Firmen verstaatlichen wollte, betrachtete das schließlich nur 71 Firmen umfassende Verstaatlichungsgesetz als wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer sozialistischen Gesellschaft und trachtete danach, den Einfluss der Verstaatlichten auszudehnen. Die ÖVP hingegen sah in der Verstaatlichung von 1946 lediglich eine Notlösung in einer Zeit der Besetzung des Landes durch fremde Mächte und der Kapitalarmut; das Gesetz sollte nach dem Übergang zu normalen Verhältnissen durch Privatisierung rückgängig gemacht werden. Diese ideologischen Gegensätze zwischen

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SPÖ und ÖVP lassen sich auch durch Umfrageergebnisse in der österreichischen Bevölkerung belegen: So zeigten - befragt nach den Präferenzen für den Arbeitgeber - in einer Umfrage von 1964 die Respondenten der ÖVP eine starke Vorliebe für den Privatbetrieb. Eine starke Präferenz für den verstaatlichten Betrieb als Arbeitgeber fand sich jedoch bei den befragten Sympathisanten von KPÖ und SPÖ. ÖVP- und FPÖ-Wähler glaubten zudem, dass die verstaatlichte Industrie eher teurer produzierte als die private, SPÖ und KPÖ-Wähler dachten genau umgekehrt. 12 ' Diese konträren politischen Standpunkte hemmten die ökonomischen Entwicklungsmöglichkeiten der verstaatlichten Industrie entscheidend: Seit der Wiederaufbauphase, während der die Verstaatlichte einen großen Teil der Marshallplan-Mittel erhalten hatte, litt sie an chronischem Kapitalmangel. Die SPÖ trat für eine Finanzierung der notwendigen Investitionen aus dem Staatsbudget ein. Aber für die ÖVP kam dies einer schleichenden Ausweitung des öffentlichen auf Kosten des privaten Sektors gleich und daher blockierte sie eine solche Lösung. Statt dessen schlug sie eine Finanzierung über den Kapitalmarkt vor. Dem konnte wiederum die SPÖ nicht zustimmen, da dies langfristig eine stille Privatisierung bedeutet hätte. So musste die Verstaatlichte nach 1952 bis zu 80% ihrer Expansion aus Eigenmitteln finanzieren. 122 Genau wie in der Finanzierungsfrage ergab sich auch in der Personalpolitik der Verstaatlichten eine lähmende Patt-Situation, bei der betriebswirtschaftliche Überlegungen auf der Strecke blieben: Da beide Parteien die Schlüsselpositionen mit ihren Parteigängern besetzen wollten, andererseits aber vermieden werden sollte, dass jede Neubesetzung eines Führungspostens zu einem Koalitionskrach eskalierte, kam man - zunächst informell - überein, die Top-Management-Posten gemäß dem Proporz, sprich: der politischen Stärke im Parlament, zu besetzen. Mit dem Kompetenzgesetz von 1956 wurde diese Vorgehensweise schließlich sogar gesetzlich festgeschrieben. Es entwickelte sich die Regel: „roter" Generaldirektor - „schwarzer" Aufsichtsratspräsident und umgekehrt. Wobei die Firmen gleichfalls in einer Art politischer Erbpacht zugeordnet waren: In der VOEST und bei Schoeller-Bleckmann war der Generaldirektor Inhaber eines SPÖ-Parteibuches, in der Alpine und bei Böhler standen ÖVP-Parteigänger an der Unternehmensspitze. Mit dem sog. „Krampus-Abkommen" zwischen den beiden Großparteien vom 5. Dezember 1968 wurde schließlich die bestehende Aufteilung der Aufsichtsrats- und Vorstandspositionen vollständig zementiert, d.h. sie sollte auch bei Veränderungen der parlamentarischen Mehrheiten erhalten bleiben, was in den Grundzügen bis 1986 der Fall war.123 Was explizit die Meinung der österreichischen Bevölkerung über die Parteienwirtschaft in der VOEST betrifft, so waren gemäß einer Umfrage des Linzer IMAS-Instituts von 1975 28% der Österreicherinnen (aber 50% der Linzerlnnen!) der Meinung, dass in der VOEST-Alpine zuviel Parteienwirtschaft herrsche. 124

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Von den VOEST-Mitarbeitern waren - gemäß einer Studie, die aus dem Juli 1978 stammt und auf einer repräsentativen Interview-Umfrage von rund 400 nach statistischen Zufallsprinzipien ausgesuchten Arbeitnehmern der VOEST beruhte - 33 % überzeugt, dass nur der vorwärts käme, der das richtige Parteibuch habe. 45 % glaubten auch, dass die Politik eine zu große Rolle im Unternehmen spiele und jeder Fünfte war der Meinung, man müsse politisch sehr vorsichtig sein. 125 Diese Ansicht wurde besonders in der bürgerlichen und unabhängigen Presse immer wieder geäußert (So lautete z.B. eine Schlagzeile des „Kurier" am 16. Juni 1977: „Voraussetzung für Karriere bei VOEST: Ein Parteibuch".) Da u.a. „Parteienproporz" noch zu Beginn der Neunzigerjahre eines der von den Österreicherinnen signifikant auf Österreich zugeordneten Worte war,126 könnte die lange Zeit der politischen Postenbesetzung bei der VOEST die Einstufung des Unternehmens als „typisch österreichisch" zusätzlich beeinflusst haben. Regionalpolitische

Restriktionen

der

VOEST

In den ersten Nachkriegsjahren war die VOEST ein rein oberösterreichisches Unternehmen: Ihre Betriebsstätten waren am Standort Linz konzentriert und der öffentliche Verwalter in Wien hatte de facto in Linz nichts zu sagen. Dies änderte sich jedoch im Laufe der Zeit: Einerseits verlangte der staatliche Eigentümer in Wien mehr Mitspracherecht, andererseits wuchs die VOEST durch ihre Fusion mit der Alpine 1973 und den Erwerb diverser Tochterfirmen dermaßen an, dass sie schließlich Betriebsstätten an 25 Standorten in fünf Bundesländern umfasste. Durch diese Entwicklung wurde der Konzern zwar im wahrsten Sinne des Wortes gesamtösterreichisch, geriet aber dabei als staatliches Unternehmen auch immer tiefer ins Kreuzfeuer divergierender regional- und lokalpolitischer Interessen, was die Möglichkeiten der Generaldirektion in Linz, die Konzernpolitik zu bestimmen, entscheidend beeinträchtigte.' 27 Von den Konflikten, in denen Regionalpatriotismus im Zusammenhang mit der VOEST medienwirksam instrumentalisiert wurde und die daher im kollektiven Gedächtnis haften geblieben sein könnten, seien die zwei Spannungsfelder „Oberösterreich versus Wien" und „Steiermark versus Linz" genannt.

Oberösterreich versus Wien Im Unterschied zu den drei anderen großen verstaatlichen Betrieben der Eisenund Stahlindustrie (Alpine, Böhler, Schoeller-Bleckmann), deren Zentralverwaltungen in Wien saßen, wurde die VOEST immer von Linz aus gesteuert. 128 Zusammen mit dem Stolz der Linzer und Oberösterreicher auf „ihre VOEST" entstand so eine aggressive Stimmung gegen den „Wiener Zentralismus", der

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in der Diskussion um die Fusionierung der verstaatlichten Eisen- und Stahlindustrie ihren Höhepunkt erreichte. War die VOEST-Führung schon über die ihr politisch aufgezwungene Fusion mit der wirtschaftlich kränkelnden Alpine alles andere als glücklich, so führte die Frage, wo die Leitung der fusionierten Stahlgesellschaft rechtlich und physisch ihren Sitz haben sollte, zur emotionalen Explosion in Oberösterreich: Für „die Wiener" in der regierenden SPÖ, insbesondere Bundeskanzler Bruno Kreisky und ÖGB-Präsident Anton Benya, sowie für die ÖIAG-Führung war es eine Selbstverständlichkeit, dass die Führung des zu bildenden Stahlkonzerns ihren Sitz in Wien haben müsse. Jeder andere Gedanke war für sie abwegig. Für Linz und für Oberösterreich war die VOEST jedoch zu einem Symbol geworden. Sie verlieh das Gefühl, dass man international bedeutend war und Linz „etwas aufweisen" könne. Dies wollte man sich in nicht nehmen lassen. Am 8. Juni 1972 war auf der Titelseite der „Oberösterreichischen Nachrichten" unter der fetten Schlagzeile „Zerreißt die VOEST nicht! Anschlag auf Oberösterreich" zu lesen: „Unter fadenscheinigen Vorwänden will man die VOEST-Leitung nach Wien verlegen und die Grundlage der bisherigen Erfolge zerstören. [...] Aber die Oberösterreicher werden sich gegen diesen Anschlag zu wehren wissen." 129 Die Zeitung enthielt auch einen Aufruf zu einer Unterschriftenaktion gegen die Verlagerung des VOEST-Sitzes nach Wien. Die regierende SPÖ in Wien versuchte zunächst, dies als reine ÖVP-Aktion abzutun, doch damit schätzte sie die Stimmungslage völlig falsch ein: Natürlich versuchte die ÖVP, die lokalpatriotische Entrüstung gegen die SPÖ-Regierung in Wien noch hochzuspielen, etwa wenn Ö Α AB-Gewerkschafter „Hände weg von der VOEST" und „Wir wollen nicht Kulis der Wiener sein!" auf ihre Transparente schrieben. 130 Aber auch die sozialistischen Spitzenfunktionäre Oberösterreichs, von Landeshauptmannstellvertreter Stefan Demuth und dem Linzer Bürgermeister Franz Hillinger abwärts, unterzeichneten den Aufruf der „Oberösterreichischen Nachrichten" und stellten sich damit demonstrativ gegen ihre Wiener Parteigenossen. Der Linzer Gemeinderat forderte in einer Resolution, dass der Sitz der VOEST samt Führungsspitze auch im Falle eines fusionierten Stahlkonzerns in Linz verbleiben müsse. 131 Bundeskanzler Kreisky musste nachgeben. Die Kompromisslösung sah vor, den juristischen Sitz der VOEST-Alpine nach Wien zu verlegen, die Leitung aber in Linz zu belassen. 132 Damit hatten die oberösterreichischen Regionalpatrioten zwar einen beachtlichen Erfolg errungen; der Verbleib der Generaldirektion in Linz bedeutete jedoch keineswegs, dass diese nun völlig unbeeinflusst von Wien ihre Entscheidungen treffen konnte. Da es sich bei der VOEST-Alpine um das größte und wichtigste verstaatlichte Unternehmen handelte, behielten sich Regierung und ÖIAG in Wien in wichtigen Entscheidungen (v.a. über die Standort- und Personalpolitik) das letzte Wort vor. Dies erschwerte nicht nur ein betriebswirtschaftliches Management des österreichischen Industriegiganten, sondern hielt auch die Spannungen zwischen

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Linz und Wien aufrecht. Noch jahrelang wurde die Aversion gegen Wien geschürt mit Artikeln, in denen Linz als „österreichische Industriehauptstadt" gepriesen, Wien aber als „Wien bei Grinzing" lächerlich gemacht wurde.133 Dies traf zwar besonders auf ÖVP-nahe Zeitungen zu, aber auch das sozialistische „Linzer Tagblatt" wetterte gegen den Wiener „Geist des Zentralismus", 134 womit der „Kampf gegen W i e n " durchaus als überparteiliches Phänomen bezeichnet werden kann. D i e von den Medien ausgeschlachteten Dauerquerelen zwischen der Linzer VOEST-Generaldirektion auf der einen und Regierung und Ö I A G in Wien auf der anderen Seite beeinflussten offenbar auch die Einschätzung der Österreicherinnen über die tatsächliche Führung des Konzerns: Gemäß einer I M A S - U m f r a g e von 1975 glaubte jeder dritte Österreicher, dass letzten Endes die Regierung und nicht das Management im Konzern Befehlsgewalt habe; in Linz stieg dieser Prozentsatz sogar auf 47% an.135

Steiermark versus Linz Der zweite Zusammenprall der Regional- und Lokalpatriotismen fand zwischen Oberösterreich und der Steiermark statt, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen: Wehrten sich die Linzer und Oberösterreicher gegen den „Wiener Zentralismus", so kämpften die Steirer nach der Stahl-Fusion von 1973 in zunehmendem Maße gegen einen als bedrohlich empfundenen „Linzer Zentralismus". Diese Aversion der Steirer gegen die V O E S T reichte jedoch - wie jene der „ V O E S T l e r " gegen Wien - weiter zurück: In der Steiermark, der „ehernen Mark", lagen die meisten Produktionsstätten der traditionellen österreichischen Stahlerzeuger, Alpine, Böhler und Schoeller-Bleckmann. Gab es vor 1973 zwischen der V O E S T und den Edelstahlerzeugern Böhler und Schoeller-Bleckmann kaum Berührungspunkte, so hatte sich zwischen V O E S T und Alpine bereits in der Nachkriegszeit ein gespanntes Verhältnis entwickelt: Die Alpine war vor dem Zweiten Weltkrieg unangefochten das größte österreichische Unternehmen und der Stolz der österreichischen Stahlerzeugung gewesen. Nach dem Krieg stützte sich die Alpine, die schon seit den Zwanzigerjahren über eine Reihe inländischer Handelsfirmen verfügte, stärker als die anderen drei verstaatlichten Stahlfirmen auf den Inlandsmarkt und überließ diesen die Bedienung des mühsameren und anspruchsvolleren Exportgeschäftes. Dass die V O E S T mit ihren Auslandserfolgen im Anlagenbau die Alpine aus dem Rampenlicht der Öffentlichkeit verdrängte, wurde von Alpine-Vertretern verächtlich kommentiert, wie ζ. B. vom langjährigen Alpine-Generaldirektor, Dr. Josef Oberegger, im Dezember 1965: „Andere mögen in der Welt die Türschnallen putzen, wir bleiben bei Erz und Eisen." 136 Der Streit darüber, zu welchem Preis die Linzer V O E S T von der Alpine ihr Eisenerz beziehen sollte, führte in den Sechzigerjahren zu den „Erzkriegen" der beiden Unternehmen. Das Ritual war gleichbleibend: Die VOEST, die -

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wie eingangs erwähnt - bereits in den Fünfzigerjahren auch Erz aus dem Ausland bezog, wies kühl darauf hin, dass sie als exportorientiertes Unternehmen auf eine wettbewerbsfähige Kostenstruktur zu achten hätte. Von steirischen Regionalpolitikern und den Alpine-Betriebsräten wurde im Gegenzug behauptet, der Versuch der VOEST, die Preise für das Eisenerz der Alpine zu drücken, stelle eine „Gefahr für den eisernen Brotlaib der Steiermark" dar und die gelte es abzuwehren. 137 Im Zuge der Bemühungen um eine Reorganisation der verstaatlichten Stahlindustrie am Ende der Sechzigerjahre verschärfte sich der Tonfall zwischen den beiden Stahlproduzenten. „Gegen die VOEST, die einen Messerstich auf das Herz der steirischen Schwerindustrie, auf das Alpine-Werk Donawitz, zielt, bildet sich eine Abwehrfront vom Konzernvorstand bis zum Hilfsarbeiter", schürte die Grazer „Kleine Zeitung" die Aversion der Steirer gegen die VOEST.138 Jegliches Engagement der VOEST in der Steiermark, wie z.B. der Erwerb der steirischen Firma Binder und Co., wurde von steirischen Politikern mit Verbitterung registriert. 139 Die AZ, VOEST-freundliches Organ der regierenden SPÖ, versuchte, die regionalpatriotischen Pamphlete gegen die VOEST mit dem Hinweis auf die gesamtösterreichischen Aktivitäten der VOEST zu entkräften. Unter dem Titel „Der VOEST-Konzern in der Steiermark" schrieb sie am 1. Juli 1972: „Die Vereinigten Österreichischen Eisen- und Stahlwerke AG (VOEST) sei ein ,oberösterreichisches' Unternehmen. Behaupten manche. Das stimmt nicht. Die VOEST ist ein österreichisches Unternehmen. Sie gehört der ÖIAG, der Dachgesellschaft für alle verstaatlichten Unternehmungen. Sicher, der Sitz der Konzernleitung ist in Linz [...] Aber: die VOEST hat auch Werke und Tochtergesellschaften in der Steiermark, in Niederösterreich, in Wien." Mit der von Bundeskanzler Kreisky und ÖGB-Präsident Benya durchgesetzten großen Stahlfusion, welche die Grazer „Kleine Zeitung" am 20. Jänner 1973 mit der Schlagzeile „VOEST schluckt Alpine" kommentierte, verschärften sich die Spannungen nur noch mehr. Grund dafür waren die völlig unterschiedlichen Unternehmenskulturen und -strukturen: Die VOEST in Linz bildete lokal im Wesentlichen eine betriebliche Einheit von Produktion, Verkaufsund Verwaltungsorganisation und dem Sitz der Unternehmensführung. Mehr als 80% der Unternehmensaktivitäten war in Linz konzentriert. Die Anlagen des Linzer Werkes waren damals international auf dem letzten Stand der Technik. Die Alpine hingegen war mit ihren Bergbaubetrieben, Werken und Verwaltungen auf 13 Standorte verstreut. Darunter befanden sich völlig veraltete Anlagen, die - wie in Kindberg und Donawitz - bereits Stahl für den Ersten Weltkrieg geliefert hatten.140 Es war daher klar, dass Rationalisierungsmaßnahmen im Zuge der Fusion vor allem auf Kosten der steirischen Betriebe gehen würden. Genau dies aber versuchten die lokalen Betriebsräte im Verein mit steirischen Regional- und Lokalpolitikern unter Berufung auf „steirische Interessen" zu verhindern.

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Zu dem alten Konflikt VOEST versus Alpine kam mit der großen Stahlfusion noch eine neue Reibungsfläche zwischen der Steiermark und Linz hinzu: Böhler und Schoeller-Bleckmann wurden Linz als Tochtergesellschaften unterstellt. Sofort forderte der steirische Landeshauptmann Niederl, dass in den Aufsichtsräten der Edelstahlfirmen auch Regionalvertreter der Steiermark vertreten sein müssten. 141 Die Emotionen kochten hoch. Der steirische AK-Vertreter Rupert Gmoser etwa meinte in der „Kleinen Zeitung" vom 4. August 1973: „Wer ein aufrechter Steirer ist, musste vor nicht allzu langer Zeit gegen die Fusion der Alpine mit der VOEST sein. Wem heute die Steiermark ein wirkliches Anliegen ist, der kämpft bis zum letzten Blutstropfen für einen Aufsichtsratssitz bei Böhler und Schoeller-Bleckmann." Doch VOEST-Generaldirektor Koller verweigerte die Entsendung von steirischen Regionalvertretern in die Edelstahlaufsichtsräte. Da auch im Edelstahlbereich Produktionsabstimmungen und Rationalisierungsmaßnahmen durchgesetzt werden mussten, bot sich noch jahrelang die Möglichkeit, in den Medien steirischen Regionalpatriotismus gegen die VOEST zu mobilisieren. Wirtschafts-

und sozialpolitische

Restriktionen

der VOEST

Hatte die verstaatlichte Eisen- und Stahlindustrie schon durch die Interessen der Parteien und der Regionen ein Handicap zu tragen, so legte ihr die staatliche Wirtschafts- und Sozialpolitik zusätzliche Verpflichtungen auf. Als Herzstück der Verstaatlichten war die Eisen- und Stahlindustrie einer der tragenden Pfeiler der Sozialpartnerschaft, jenes Systems des Interessenausgleichs zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, das von der österreichischen Bevölkerung noch zu Beginn der Neunzigerjahre als „typisch österreichisch" eingestuft wurde. 142 Tatsächlich schien die Verstaatlichte in der Boomphase des Wiederaufbaus die Bedürfnisse sowohl der Arbeitnehmer- wie der Arbeitgeberverbände befriedigen zu können: Arbeiter und Angestellte der Verstaatlichten erhielten einen sicheren Arbeitsplatz, Mitspracherechte und (speziell in der VOEST) mehr Sozialleistungen als in den meisten privaten Betrieben. Die privaten Verarbeitungsbetriebe bekamen von der verstaatlichten Eisen- und Stahlindustrie Eisenwaren unterhalb des Weltmarktpreises. Alle Interessenvertreter waren damit zufrieden gestellt. Aber seit der Stahlkrise der Siebzigerjahre und mit der Liberalisierung des österreichischen Marktes begann dieses System nach und nach zu zerbröckeln. Die „politischen Stahlpreise" Die Vertreter der Privatindustrie waren begreiflicherweise über die Verstaatlichung von 1946 alles andere als erfreut. Wenn es wirklich notwendig sein sollte, eine verstaatlichte Industrie zu besitzen, so argumentierten sie, sollte diese

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Industrie wirklich allen Österreicherinnen - also auch ihnen - zugute kommen. Keinesfalls tragbar wäre es, wenn die Privatindustrie mit ihren Steuergeldern sich einen staatlichen Konkurrenten heranzüchten würde. Um den sozialen Frieden zu sichern und auch der Privatindustrie Vorteile durch die Verstaatlichte zukommen zu lassen, kam man sozialpartnerschaftlich überein, die privaten Eisenverarbeiter mit Primärgütern zu Preisen unter den Weltmarktpreisen zu beliefern. In den Fünfzigerjahren lagen die Preise für Kohle und Stahl in Österreich dadurch um 10 bis 20% unter denen in Westdeutschland, den niedrigsten in der Montan-Union. Nach Schätzungen kostete dieser politische Preis die verstaatlichte Industrie 2,2 Milliarden Schilling bei Eisen und Stahl bzw. 6,2 Milliarden Schilling bei Kohle und chemischen Produkten. 143 Von staatlicher Seite wurden die künstlich niedrig gehaltenen Inlandspreise immer wieder als besondere Leistung der Verstaatlichten für den Wiederaufbau und die Gesamtwirtschaft hervorgehoben. 144 Dabei hatte weniger die exportorientierte VOEST als die vorrangig den Inlandsmarkt beliefernde Alpine diese indirekte Subventionierung der Privatindustrie zu tragen. In der Jubiläumsschrift „20 Jahre verstaatlichte Industrie" sprach Otto Gatscha gar von einem Verlust in der Höhe von 4,5 Milliarden Schilling für die Alpine allein in den Jahren 1950 bis I960. 145 Das „Duale Preissystem" der Verstaatlichten brach in den Siebzigerjahren infolge Österreichs Beitritt zur Montanunion zusammen, aber nicht ohne zuvor einen großen Medienrummel zu verursachen und der VOEST-Alpine noch größere Verluste einzubringen. 146 Der Montanvertrag verlangte die Aufhebung der Preisdiskriminierung. Doch statt ihre Inlandspreise auf Weltmarktniveau anzuheben wurde die VOEST-Alpine von der Paritätischen Kommission gezwungen, aus Rücksicht auf die heimischen Stahlverarbeiter ihre Auslandspreise auf Inlandsniveau abzusenken. Die auflagenstarke „Kronenzeitung" dazu: „Österreichs junger Stahlgigant VOEST-Alpine hat sich im letzten Jahr den zweifelhaften Ruf eingehandelt, der größte Diskonter Europas zu sein."147 Erst nach und nach wurde der VOEST eine Anhebung der Preise gestattet. VOEST - „Paradies der Arbeiter" Der Mythos von der VOEST als „Arbeiterparadies" setzt sich aus zwei miteinander zusammenhängenden Themenkomplexen zusammen: erstens den Arbeitsbedingungen (Löhne, Sozialleistungen und Arbeitsplatzsicherheit) und zweitens dem Einfluss und der Mitbestimmung der Arbeiter, vor allem des Betriebsrates. Die Arbeitsbedingungen bei der VOEST galten lange Zeit als ausgezeichnet. Gemäß der bereits mehrfach erwähnten IMAS-Umfrage von 1975 glaubte ein Großteil der Österreicherinnen, dass die VOEST besonders viele Sozialleistungen biete und dass die Arbeitsplätze dort sicherer seien als in anderen Großbetrieben, weil „der Staat es nicht zulassen würde, dass die VOEST-ALPINE in Schwierigkeiten gerät." 148 Die VOEST-Mitarbeiter selbst stimmten 1978 der

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Meinung, besonders gute Sozialleistungen zu genießen, zu 47%, und jener, einen sehr sicheren Arbeitsplatz zu haben, zu 71 % zu.149 Auch in einer Umfrage von 1983 hielten noch 55 % der befragten VOEST-Alpine-Angehörigen die Arbeitsbedingungen im Unternehmen für besser und nur 6 % für schlechter als in anderen Unternehmen. 150 In fast allen VOEST-Publikationen und wissenschaftlichen Arbeiten bis in die Achtzigerjahre wurden die guten Sozialleistungen und die Arbeitsplatzsicherheit bei der VOEST gelobt.151 Diese Meinung hielt sich noch, als bereits Studien verfasst wurden, die das Gegenteil behaupteten. 152 Für den Mythos von den hervorragenden Sozialleistungen und von der Arbeitsplatzsicherheit der VOEST können drei Kategorien von Gründen (ökonomische, politische und innerbetriebliche) ausgemacht werden. Ökonomische Gründe: In der Wiederaufbauzeit nach dem Zweiten Weltkrieg (1945-1960) waren die Sozialleistungen der VOEST sicherlich überdurchschnittlich hoch. Die ökonomischen Gründe dafür lagen einerseits darin, dass die VOEST ein Großbetrieb war, der aufgrund der Fixkostendegression viel bessere Möglichkeiten hatte, zusätzliche Sozialleistungen anzubieten als kleine und mittelständische Unternehmen, und andererseits darin, dass die VOEST in der Phase des Wiederaufbaus ein überdurchschnittliches Produktivitätswachstum verzeichnen konnte. 153 Politische Gründe: Die Arbeitsplatzsicherheit hatte, wie auch die 1975 befragten Österreicherinnen intuitiv richtig einschätzten, vorwiegend politische Gründe: Bei der Verstaatlichung 1946 hatten die Arbeiterschaft und die sozialistischen Abgeordneten vor allem die Massenarbeitslosigkeit der Dreißigerjahre im Auge, deren Wiederholung es zu verhindern gelte.154 Die VOEST hatte daher, wie die gesamte Verstaatlichte, nicht die Entscheidungsfreiheit, Arbeiter zu entlassen und unrentable Standorte stillzulegen. Solche betriebswirtschaftlichen Überlegungen riefen sofort eine Koalition aus Betriebsräten, Gewerkschaftern, Bundes-, Landes- und Regionalpolitikern auf den Plan, welche - wie oben am Fall Steiermark erwähnt - lange Zeit für das VOEST-Management ein unüberwindliches Hindernis darstellte. Während der Boomphase der Fünfzigerund Sechzigerjahre war diese Restriktion weniger ins Gewicht gefallen, aber während der Rezession der Siebzigerjahre konnte die Arbeitsplatzsicherungspolitik der Verstaatlichten nicht übersehen werden.155 Während die Stahlproduzenten in der BRD einen teilweisen Stillstand ihrer Anlagen und Freisetzung bzw. Kurzarbeit auf dem Personalsektor bevorzugten, verfolgte der VOESTAlpine-Konzern eine entgegengesetzte Politik. Um die Arbeitsplätze zu sichern und die Kapazitätsauslastung möglichst unverändert aufrecht zu erhalten, wurden auch Aufträge zu nicht kostendeckenden Preisen übernommen. 156 Neben der Arbeitsplatzsicherheit hatten aber auch die Sozialleistungen zusätzlich zu ihrer ökonomischen noch eine politische Dimension: Für die SPÖ, die politische Hauptstütze der Verstaatlichten, ging es darum, die Überlegenheit der Verstaatlichten gegenüber der Privatindustrie zu beweisen. Unter diesen Umständen wäre es ideologisch untragbar gewesen, wenn Arbeiter in der Privatindustrie

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bei den Sozialleistungen besser gestellt gewesen wären. Daher setzten sich SPÖMitglieder einerseits besonders für höhere Sozialleistungen der Verstaatlichten ein, andererseits schlachteten sie Erfolge bei den Sozialleistungen auch propagandistisch aus und trugen so auf zweifache Weise dazu bei, dass die Bevölkerung im Gedächtnis „VOEST" und „hohe Sozialleistungen" korrelierte. Innerbetriebliche Gründe: Für die Durchsetzung hoher Sozialleistungen und eines sicheren Arbeitsplatzes waren jedoch nicht nur das VOEST-Management sowie Politiker verantwortlich, sondern auch der Betriebsrat. Bei den VOEST-Betriebsratswahlen erreichten seit 1953 die sozialistischen Gewerkschafter bei den Arbeitern und bei den Angestellten die absolute Mehrheit. Damit wurde Betriebsratspolitik zum guten Teil auch SPÖ-Politik; doch eben nicht nur. Der VOEST-Betriebsrat entwickelte eine Eigendynamik und trug nicht nur zum Mythos der Sozialleistungen und Arbeitsplatzsicherheit bei, sondern er wurde selbst zu einem Mythos. Der VOEST-Betriebsrat Nach Ansicht einer IMAS-Studie glaubten die VOESTler 1978, dass vor allem zwei Kräfte das betriebliche Geschehen bestimmen könnten: Die Fraktion sozialistischer Gewerkschafter und der Betriebsrat. Die Macht der Werksdirektoren und ihrer Abteilungsleiter wurde hingegen deutlich geringer als die der SPGewerkschafter und des Betriebsrates eingeschätzt. 157 Trotz Respekt vor den Leistungen des Betriebsrates ist ein derart starker Einfluss eher ungewöhnlich. Er beruhte auf mehreren Faktoren: Der Größe des Unternehmens und der starken Konzentration am Standort Linz, der einheitlichen Willensbildung aufgrund der Dominanz der sozialistischen Gewerkschafter in beiden Körperschaften und der zentralen Bedeutung, welche der Betriebsrat in der Nachkriegszeit einnehmen konnte. Die Generaldirektoren der VOEST wechselten bis 1952 in relativ kurzen Abständen: Hans Malzacher (26.5.45-15.10.45), Karl Krebs (21.11.45-7.5.46), Friedrich Kuretschka (7.5.46-2.3.48), Heinrich Richter-Brohm ( 2 . 8 . 4 7 12.8.50), Walter Falkenbach (12.8.50-25.7.52). Durch diese starke Fluktuation des Managements avancierten die Betriebsratsvorsitzenden, allen voran Ludwig Pallestrong, regelmäßig zu Ansprechpartnern für die amerikanische Besatzungsmacht, Vertreter der Behörden sowie der Politiker in Stadt, Land und Bund. Ludwig Pallestrong erhielt aufgrund dieser Schlüsselstellung Jahrzehnte später den Titel „heimlicher Generaldirektor". 158 Wegen ihrer zahlenmäßigen und organisatorischen Stärke waren Mitglieder des VOEST-Betriebsrates schon seit dem Ende der Vierzigerjahre in verschiedenen Spitzenfunktionen der oberösterreichischen Gewerkschaftsbewegung und Selbstverwaltungskörperschaften, insbesondere der Arbeiterkammer, tätig. Seit den Fünfzigerjahren wirkten VOESTler in politischen Organisationen und übten öffentliche Mandate aus. Die Wahl von Walter Brauneis in den Nationalrat stellte 1956 einen Höhepunkt

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politischer Anerkennung der VOEST dar. Lediglich zwei Jahre später übernahm er im Nationalrat den Vorsitz im Ausschuss für verstaatlichte Betriebe. Bis zur Auflösung dieses Ausschusses 1994 (stattdessen wurde ein Industrieausschuss gebildet) blieb dort der Vorsitz in den Händen eines VOEST-Betriebsrates. Die politische und gewerkschaftliche Einflussnahme der Betriebsräte sowie die innerbetriebliche Sozialpolitik machten die VOEST-Gewerkschaftsbewegung zu einem weit über die eigenen Werkstore hinausgreifenden Faktor. Einen dominierenden Einfluss nahm sie in allen arbeits- und sozialrechtlichen Belangen, wie bei Reformen der ÖIAG, deren Tochter- und Enkelgesellschaften, ein. Franz Ruhaltinger erhielt in den Jahren seiner Tätigkeit als Abgeordneter zum Nationalrat wegen seiner konsequenten Haltung bei der Durchsetzung der Interessen der VOESTler den wenig schmeichelhaft gemeinten Titel „Betriebsratskaiser". 159 „Ohne Betriebsrat geht bei Österreichs Stahlkochern gar nichts", schrieb im Dezember 1979 das Magazin „Profil": „Alle wichtigen Entscheidungen, die in der Linzer Vorstandsetage fallen, werden seit jeher mit dem Betriebsratsflügel der VOEST-Hauptverwaltung vor-akkordiert, dort vorprogrammiert - manchmal bereits vorvollzogen." 160 Durch seine allseits bekannte Machtposition leistete somit auch der Betriebsrat einen wesentlichen Beitrag zum Mythos VOEST.

Der große Crash: Das Ende einer Ära Nun muss vom wirtschaftlichen Zusammenbruch der VOEST 1985/86 gesprochen werden, da dieser ein Mediengroßereignis bildete und zu einer Staatskrise von unerwartetem Ausmaß führte: Die durch den VOEST-Crash ausgelöste innenpolitische Schockwelle war so stark, dass zwischen November 1985 und November 1986 sowohl im Vorstand der VOEST-Alpine AG als auch in ihrer Eigentümergesellschaft ÖIAG und in der österreichischen Bundesregierung kein personeller Stein mehr auf dem anderen blieb und die österreichische Wirtschaftpolitik völlig in Richtung Privatisierung verändert wurde161 - zweifellos ein Ereignis, das als prägend für das kollektive Gedächtnis bezeichnet werden muss und zu der Frage führt: Wie erlebte die österreichische Öffentlichkeit diese Katastrophe? Die Mediensignale betreffend die VOEST waren seit der Fusion mit der Alpine 1973 zunehmend widersprüchlicher geworden: Einerseits hatte man weiter von spektakulären Auslands-Engagements gehört. Am österreichischen Nationalfeiertag 1975 war im ORF zur besten Sendezeit ein Film über die VOEST und ihre Erfolge gezeigt worden, wobei das Sendedatum die nationale Bedeutung noch unterstrich. 162 Andererseits hatten vor allem bürgerliche und unabhängige Blätter auch vermehrt Negativ-Schlagzeilen über die wirtschaftliche Lage des Konzerns gebracht, die durchaus hätten düster stimmen können. Tatsächlich bezahlte die VOEST seit 1974 keine Dividende mehr und der ge-

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samte ÖIAG-Konzern bilanzierte ab 1978 negativ. Die Katastrophe kam also nicht völlig aus heiterem Himmel. Aber selbst Fachleute hielten die Verluste angesichts der weltweiten Rezession noch für akzeptabel. Dass dabei die breite Öffentlichkeit nicht an einen wirtschaftlichen Kollaps des österreichischen Industriestolzes, jenes Unternehmens, das ihr am Nationalfeiertag im Fernsehen präsentiert wurde, glauben mochte, ist nur zu verständlich. Im Gegenteil schien dann 1984 die Talsohle sogar überwunden und die Presse beurteilte die wirtschaftlichen Aussichten der VOEST wieder optimistischer. VOEST-Generaldirektor Heribert Apfalter wurde als großer Krisenmanager gefeiert. Das Wirtschaftsmagazin „Trend" ernannte ihn Ende 1984 zum Mann des Jahres 163 und das ebenfalls 1984 erschienene Buch „Die VOEST Story" von Erwin H. Aglas pries Apfalter und die VOEST in den höchsten Tönen. Im Laufe des Sommers und Herbstes 1985 war dann in der Presse erstmals detaillierter von dubiosen Geschäftspraktiken, angeblichen Waffengeschäften und Riesenverlusten der VOEST-Handelstochter Intertrading die Rede, die zunächst jedoch nicht bestätigt wurden. In den ersten Novemberwochen verdichteten sich die Gerüchte und am 26. November 1985 platzte die Medien-Bombe: Der Rücktritt zunächst von Generaldirektor Apfalter und gleich darauf des gesamten Vorstandes wurde im Rundfunk offiziell bestätigt. Die VOEST-Alpine AG erwartete für 1985 einen Gesamtverlust von 5,7 Milliarden Schilling. Österreichs größtes und verstaatlichtes Unternehmen war zusammengebrochen. 164 Damit begann eine mediale Lawine bisher ungeahnten Ausmaßes die Österreicherinnen zu überrollen. Nie zuvor war so viel über Österreichs größtes Unternehmen geschrieben worden wie in den Folgejahren des November 1985. Zunächst waren die Schlagzeilen vor allem von Katastrophenstimmung geprägt: 165 „Linz: Angst über der Stadt"; „Zahlen die Kinder für die VOEST?"; „Die Ärmeren sollen büßen"; „VOEST als Hypothek für Österreich"; „VOESTDebakel verändert alles"; „5000 VOESTler bangen um ihre Arbeitsplätze"; „VOEST-Pleite: Steuerzahler müssen noch mehr blechen als befürchtet" sind nur einige Beispiele. Besonders emotional aufpeitschend waren u. a. die Artikel der auflagenstärksten Zeitung Österreichs, der „Neuen Kronen Zeitung", die deshalb von demonstrierenden Arbeitern der VOEST bezichtigt wurde, der Totengräber der VOEST zu sein.166 Eine sachliche Diskussion war kaum mehr möglich. Wütend wurden Sündenböcke gesucht. „Seit ein paar Wochen denkt bei VOEST niemand mehr an .Vereinigte Stahlwerke', sondern an eine Sammlung von Schimpfwörtern", urteilten die „Oberösterreichischen Nachrichten" am 12. Dezember 1985 in einem ganzseitigen Artikel. Politische Konsequenzen wurden gefordert. Gemäß einer Umfrage des IMAS-Meinungsforschungsinstituts aus dem Zeitraum vom 4. bis 12. Dezember 1985 überflügelte die oppositionelle ÖVP in der Gunst der Österreicherinnen erstmals seit längerem die Regierungspartei SPÖ.167 Dadurch beflügelt, verlangte die ÖVP wiederholt Neuwahlen, den Rücktritt des Verstaatlichtenministers Ferdinand Lacina und die Privatisierung der verstaatlichten

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Industrie, was sie mit dem Ergebnis einer telephonischen Umfrage untermauerte, wonach „mehr als drei Viertel aller Österreicher die Privatisierung" wollten. 168 Kommunisten und Linkssozialisten hielten dagegen. Die kommunistische „Volksstimme" beschwor die Gefahr des Ausverkaufs Österreichs und wetterte mit Schlagzeilen wie „VOEST-Alpine: Jetzt ruft die VP zum totalen Ausverkauf und „Die Pläne der Privatisierer müssen verhindert werden!" 169 gegen die Aufgabe der Verstaatlichten.

Großdemonstration auf dem Linzer Hauptplatz im Jänner 1986

Von der VOEST-Alpine selbst war seit dem Rücktritt des gesamten Vorstandes nur mehr ein Mann in der Öffentlichkeit präsent: Zentralbetriebsratsobmann Franz Ruhaltinger. Er warf sich im Parlament und im Fernsehen zunehmend für das Unternehmen in die Bresche. 170 Bereits vor Weihnachten hatte er für den 16. Jänner 1986 in Linz und Leoben Großdemonstrationen ausrufen lassen. Auch im Zusammenbruch blieb die VOEST Österreichs Unternehmen der Superlative: Der „größten Pleite der Verstaatlichten Industrie" folgte die „größte Demonstration im Bereich der Verstaatlichten" und die „größte Demonstration in Leoben seit den dreißiger Jahren". 171 Auf Flugblättern der Demonstranten war zu lesen „Für die Verstaatlichte - für die Gemeinwirtschaft." 172 In Linz trat Bundeskanzler Fred Sinowatz vor rund 25.000 Demonstranten und in Leoben Verstaatlichtenminister Lacina vor 10.000 aus der ganzen Obersteiermark Versammelten als Redner auf und versuchte die Lage zu beruhigen. 173 Gestärkt von diesem Rückenwind ließ „Betriebsratskaiser" Ruhaltinger noch einmal die Muskeln spielen: In schärfster Form reagierte er zwei Wochen später auf Pläne einer ausländischen Beteiligung am VOEST-Handelshaus Intertrading und verlangte den Rücktritt von ÖIAG-Generaldirektor Oskar Grünwald sowie die

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Abberufung des Vorsitzenden des ÖIAG-Aufsichtsrates Josef Staribacher.174 Doch mit dem Stern der VOEST war auch jener des VOEST-Betriebsrates im Sinken begriffen: In einer Sitzung des Bundesparteivorstandes der SPÖ in Wien stellten sich SPÖ-Vorsitzender Sinowatz und ÖGB-Präsident Benya voll hinter Minister Lacina und den Standpunkt, dass die Personalpolitik und die Reform der verstaatlichten Industrie nicht mehr von den Betriebsräten diktiert zu werden habe.175 Und daran hielt sich die Regierung dann auch: Der ehemalige Generaldirektor der Chemie Linz, Richard Kirchweger, der die VOEST seit dem 1. Dezember 1985 als interimistischer Generaldirektor leitete, musste wegen seiner Verstrickung in das Bayou-Abenteuer der VOEST und in dubiose Geschäfte der Chemie Linz-Handelsgesellschaft Merx bereits am 14. Februar 1986 zurücktreten, obwohl er der Favorit des Betriebsrates war.176 An seine Stelle trat als neuer Generaldirektor und Vorstandsvorsitzender der Chef von Mobil Oil-Deutschland, Herbert Christian Lewinsky. Seitdem kämpfte der Betriebsrat auf verlorenem Posten: Obwohl er im September 1986 allen gewerkschaftlichen Traditionen zum Trotz drastische Beschäftigten-Opfer anbot, um Kündigungen zu verhindern, beharrten VOEST-Vorstand und ÖIAG-Management auf einschneidendem Personalabbau. 177 Am 1. August 1987 ging Franz Ruhaltinger in Pension. Sein Nachfolger Erhard Koppler besaß längst nicht mehr den Einfluss, den Ruhaltinger zu seinen besten Zeiten gehabt hatte. Es gab keinen „Betriebsratskaiser" mehr wie früher. 178 Das VOEST-Debakel zog indessen immer weitere Kreise. „VOEST-Alpine und kein Ende des Schreckens" - so eine Schlagzeile in „Die Wirtschaft" vom 29. Juli 1986. Die österreichischen Exporte waren im ersten Halbjahr 1986 um 4,5 % gesunken, was das Wirtschaftsforschungsinstitut u. a. auf die VOESTKrise zurückführte. 179 Der „größten Pleite" und der „größten Demonstration" folgte die „größte Kündigungswelle der Nachkriegszeit", wie der „Kurier" am 3. September 1986 auf der Titelseite vermerkte. Die Einsparungs- und Umstellungsmaßnahmen der VOEST sahen 9.400 Kündigungen bis 1990 vor und trafen besonders den Linzer Großraum und die Obersteiermark. In einigen Kreisen der österreichischen Wirtschaft griff Katastrophenstimmung um sich. Die 7.000 österreichischen VOEST-Zulieferer begannen Investitionsvorhaben zu streichen. Nach einer vom VOEST-Vorstand in Auftrag gegebenen IMAS-Studie waren ca. 900.000 Österreicherinnen zumindest indirekt wirtschaftlich von der VOEST abhängig. 180 Fast zwangsläufig wurde die VOEST-Krise dadurch auch zum Polit-Sprengstoff. Die Spannungen begannen zuzunehmen; sowohl zwischen Regierung und Opposition wie innerhalb der rot-blauen Regierungskoalition und innerhalb der beiden Großparteien SPÖ und ÖVP. Bereits im Juni 1986 war Bundeskanzler Fred Sinowatz nach der Niederlage des SPÖ-Kandidaten Kurt Steyrer gegen den ÖVP-Kandidaten Kurt Waldheim bei den Präsidentschaftswahlen zugunsten seines Parteigenossen Franz Vranitzky zurückgetreten. Als Sinowatz Mitte März 1988, also nur ca. zwei Jahre später, auch seinen Rücktritt als SP-Vorsitzender bekannt gab, erklärte er sinngemäß in einem In-

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terview: Er habe sich von dem Desaster im Herbst 1985 politisch nie wieder erholt. 181 Der neue Bundeskanzler Vranitzky stand vor einem Riesenberg von Problemen: Einerseits würde das Nettodefizit des Bundes - wie sich später bestätigte - 1986 einen historischen Spitzenwert erreichen und der Koalitionspartner FPÖ drohte im August mit dem Ende der Koalition, wenn es nicht zu einer „echten VOEST-Lösung" käme. 182 Andererseits war für viele in der SPÖ die Verstaatlichte nach wie vor ein Symbol, an dem nicht gerüttelt werden durfte, und - wie in der Vergangenheit - versuchten die Betriebsräte im Verein mit Regional- und Lokalpolitikern jegliche drastische Maßnahme zu verhindern. Zu allem Überfluss fanden im Herbst auch noch Wahlen statt - zunächst Landtagswahlen in der besonders von der VOEST-Krise betroffenen Steiermark und anschließend Nationalratswahlen. Das zentrale Dilemma war, dass die Regierung alle direkt betroffenen Arbeitnehmer vergrämen musste, wenn sie in der VOEST etwas unternahm, aber dass sie alle indirekt betroffenen Steuerzahler vergrämen musste, sofern sie keine Aktivitäten setzte. 183 Bundeskanzler Vranitzky entschied sich mutig für das erstere und stellte sich entschieden hinter das rigorose Sanierungskonzept des VOEST-Managements - und damit auch gegen die eigenen Parteigenossen aus der Steiermark. „VOEST-Konzept wird zum Politsprengstoff," lautete die Schlagzeile im „Kurier" am 11. September 1986: „Streit in ÖGB, SPÖ und zwischen den Ländern". Doch Vranitzky hatte mit seiner Politik Erfolg. Bereits am 9. September 1986 billigten gemäß einer von der SPÖ in Auftrag gegebenen Studie 48 % der Österreicherinnen den vom Bundeskanzler eingeschlagenen Weg bei der VOEST-Sanierung, nur 28% hielten ihn für falsch. 184 Dementsprechend wurde die Nationalratswahl vom 23. November auch nicht zu einer vernichtenden Niederlage für die SPÖ. Sie verlor zwar 10 Sitze, konnte aber ihre relative Mehrheit behaupten. Bei der Schwere der Krise erscheint es verständlich, dass zu ihrer Bewältigung im Anschluss an die Wahlen eine große Koalition aus SPÖ und ÖVP gebildet wurde.

Vergangenheitsbewältigung

und Neuanfang:

1987-1995

Die Jahre nach der Bewältigung der Staatskrise durch die Bildung der großen Koalition zwischen SPÖ und ÖVP waren geprägt von der Bewältigung des VOEST-Debakels - einerseits in juristischer und psychischer Hinsicht, andererseits in wirtschaftlicher. Vor Gericht sollten ehemalige VOEST-Manager für die Milliarden-Pleite zur Verantwortung gezogen werden. Zuerst ging es um die Ölspekulationen der VOEST-Handelstochter Intertrading und den Ex-Intertrading-Chef Gernot Preschern, gegen den die Hauptverhandlung am 11. April 1988 begann. Doch zogen die Enthüllungen immer weitere Kreise, so dass die Staatsanwaltschaft auch gegen die ehemaligen VOEST-Vorstandsdirektoren Alfred Koch und Klaus Czempirek Strafantrag stellte.185 Neben den Intertrading-Prozessen entwickelte sich auch die Aufklärung der Waffengeschäfte

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der VOEST zu einer schier unendlichen Geschichte, bei der am Ende 1992 sogar Ex-Bundeskanzler Sinowatz, Ex-Innenminister Karl Blecha und Ex-Außenminister Leopold Gratz angeklagt wurden, weil sie die illegalen Waffenexporte der VOEST-Tochter Noricum geduldet hätten, um die vor der Pleite stehende VOEST zu retten.186 Das Interesse der Öffentlichkeit war dementsprechend groß, so dass die Medien voll waren mit Hintergrundinformationen zur VOEST-Pleite. Als 1987 das Buch „Das VOEST-Debakel" des ehemaligen VOEST-Pressesprechers Franz Summer erschien, stürzte sich die Presse geradezu darauf. Keine Zeitung, die auf sich hielt, versäumte, es zu rezensieren oder wenigstens einige Stellen daraus zu zitieren. 187 Die Tatsache, dass Ex-Betriebsratsobmann Franz Ruhaltinger dem Autor des Buches mit einer Klage wegen Rufschädigung drohte, erhöhte noch die Aufmerksamkeit der Medien. 188 Das ungeheure Interesse an Informationen über das Schicksal der VOEST zeigt, dass das VOEST-Debakel nicht nur ein juristisches und wirtschaftliches Problem war, sondern auch ein massenpsychologisches: Der Normalbürger wollte verstehen, wie es dazu gekommen war, dass jenes Unternehmen, dass er für den „Industriestolz Österreichs" gehalten hatte, scheinbar über Nacht hatte zusammenbrechen können. Und die große Anzahl der Betroffenen wollte natürlich erst recht wissen, wer dafür die Verantwortung trage und wie es nun weitergehen sollte. Zog sich die juristische Aufklärung bis in die Neunzigerjahre hin, so dauerte die betriebswirtschaftliche Sanierung des Konzerns nicht minder lange. Ein Strukturkonzept jagte das Nächste. Alte Konflikte, die - wie oben geschildert zwischen Regionen und zwischen Management und Betriebsräten schwelten, brachen erneut auf und wurden in der Öffentlichkeit ausgetragen. Die alte VOEST hörte auf zu existieren, was bei vielen wehmütige Emotionen hervorrief und in den Medien teilweise sehr melodramatisch geschildert wurde. So schrieb die „Kleine Zeitung": „Das Flaggschiff der österreichischen Industrie ist vor zwei Jahren untergegangen und konnte bisher nicht wieder flottgemacht werden [...] Die VOEST verliert derzeit [...] Tag für Tag 15 Mio. [...] jetzt wird die Notbremse gezogen. Der Konzern, dessen freier Fall nicht zu stoppen war, soll in die Luft gejagt werden." 189 Es wurde mit der Umwandlung in selbständige Produktions-GmbHs begonnen, die unter zwei verschiedenen Holdings arbeiten sollten. Nach etlichen weiteren Umstrukturierungen blieben - wie eingangs erwähnt - die zwei Hauptteile VOEST-Alpine Stahl AG (VA Stahl) und VOEST-Alpine Technologie AG (VA Tech) übrig. Mit der Fusion der VA-Stahl-Tochter Böhler mit dem schwedischen Stahlproduzenten Uddeholm füllten endlich wieder positive Superlative der Stahlindustrie die österreichischen Schlagzeilen. Die Nachfolgefirmen der alten VOEST entwickelten sich nach anfänglich einschneidenden Maßnahmen gut und gingen im Mai 1994 (VA Tech), im Mai 1995 (Böhler-Uddeholm) und im Oktober 1995 (VA Stahl) an die Börse. 190 Annähernd 20% der Mitarbeiter der VA Stahl beteiligten sich mit mehr als 10% an der Inlandstranche. Dabei

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wurde den Mitarbeitern beim Kauf von Aktien im Gegenwert bis zu maximal 100.000,- Schilling ein 10%-Rabatt gewährt. Zusätzlich erhielten alle österreichischen Privataktionäre den „rot-weiß-roten" Treuebonus von 5 % des Verkaufs/Zeichnungspreises bei einer Behaltedauer von mindestens zwei Jahren, wobei das „rot-weiß-rot" einmal mehr den nationalen Charakter unterstrich. 191 Am 23. und 24. Juni 1995 feierte die VA Stahl mit einem Tag der offenen Tür „50 Jahre VOEST" und warb dabei zugleich um potenzielle Aktionäre mit Blick auf den Börsengang im Oktober. Unter dem Motto „Erlebniswelt Stahl" wurden den 140.000 Besuchern in sechs Erlebniszelten die wichtigsten Stationen der fünf Jahrzehnte langen Geschichte der VOEST vorgestellt. Im Rahmen eines breiten Veranstaltungsprogramms (Werksbesichtigungen, Konzerte heimischer Sänger, wie Peter Kraus, Rainhard Fendrich, Georg Danzer u. a., Gewinnspiele, Sportveranstaltungen etc.) erhielt jeder Besucher die Möglichkeit, eines der umweltschonendsten und modernsten Stahlwerke der Welt kennen zu lernen. 192 Belobigt für ihre ausgezeichneten Investor Relations und mit österreichischen Börsenpreisen ausgestattet, konnten die Nachfolgefirmen der VOESTAlpine am Ende des 20. Jahrhunderts optimistisch in die Zukunft blicken. 193 Die Schrecken des Debakels von 1985 waren überwunden. Der positive Mythos von der alten VOEST als „Flaggschiff der österreichischen Industrie" und „Industriestolz Österreichs" lebt jedoch weiter und wird speziell bei der VA Stahl gepflegt. Nicht ohne Grund lautete die Homepage der VA Stahl www.voest.co.at (und nicht www.vastahl.co.at). Wie sagte schon der Landessekretär der Gewerkschaft Metall-Bergbau-Energie, Walter Schöpf, 1993 auf die Frage, ob eine Umbenennung der Austrian Industries (AI) in VOEST das angeschlagene Selbstwertgefühl der Mitarbeiter stärken würde: „Auf alle Fälle. Es gibt kaum einen, der sagt, ich bin bei der Stahl Linz AG beschäftigt. Die meisten sagen immer noch: Ich bin ein Voestler."194 Letzter Beweis für die Persistenz des Mythos VOEST: Im Februar 2001 sprachen sich die 4.500 Beschäftigten der VA Tech MCE dafür aus, wieder VOESTler zu werden und zwar soll der Name in „MCE VOEST" umgeändert werden. Auch 2001 waren also der Bekanntheitsgrad des Namens VOEST und die damit verbundene Faszination keineswegs abhanden gekommen; die jüngsten Erfolgsbilanzen in einzelnen Sparten lassen den Mythos wohl noch lange weiterleben.

Zusammenfassung Die ehemalige VOEST gilt gemäß der Umfrage von 1998 als das österreichischste Unternehmen - trotz seiner Gründung als Hermann-Göring-Werke und seiner Aufteilung in mehrere Nachfolgefirmen. Für diese Einstufung können nach den angestellten Untersuchungen folgende Gründe geltend gemacht werden:

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Erstens: Die lange österreichische Eisen- und Stahl-Tradition: Österreich ist seit über 2000 Jahren ein Land der Eisen- und Stahlerzeugung. An technischen und sozialen Funktionen ist dies daher historisch betrachtet der wohl reichste Basisbereich der österreichischen Volkswirtschaft. Zweitens: Die Erfolge der VOEST: Die VOEST leistete einen elementaren Beitrag zum Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg. Durch ihre Wichtigkeit für die österreichische Volkswirtschaft, ihre Größe und die breite Diversifikation ihrer Produkte wurde sie zum Unternehmen der Superlative in Österreich. Durch die Entwicklung des LD-Verfahrens und die internationalen Erfolge im Anlagenbau schließlich avancierte sie vollends zum „Industriestolz" der Österreicherinnen. Die zentrale wirtschaftliche Bedeutung für und die enge Verflechtung mit ihrem Standort Linz gaben ihr eine zusätzlich spezifisch österreichische Note. Drittens: Die Vernetzung mit der österreichischen Politik und den Sozialpartnern: Die VOEST war während der Nachkriegszeit eine der tragenden Säulen der Sozialpartnerschaft und der damit für Österreich spezifischen Form der Wirtschaftspolitik. Sie stand damit für die positiven Seiten, welche die Österreicherinnen diesem System attestierten, wie „sozialer Friede" und „Arbeitsplatzsicherheit"; andererseits stand sie auch für die in der Öffentlichkeit eher negativ gesehenen Aspekte, wie z.B.„ParteibuchWirtschaft". Die integrale Funktion der VOEST in der österreichischen Wirtschaft wurde auch 1985 deutlich: Mit dem Zusammenbruch dieses einen Unternehmens wurde nicht nur eine Staatskrise ausgelöst, sondern die gesamte österreichische Wirtschaftspolitik erfuhr eine radikale Kursänderung in Richtung „Privatisierung".

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stagnierenden Märkten unter besonderer Berücksichtigung des Marketingaspektes. Grundlagen sowie empirische Auseinandersetzung an Hand eines ausgewählten Unternehmens aus der Eisen- und Stahlbranche, Diplomarbeit Wirtschaftsuniv. Wien 1997, 110. Abel, VOEST, 113; vgl. auch Salzburger Nachrichten, Nr. 119,25. Mai 1971: „Gast-Ingenieure" in VOEST-Werken. Jeder 20. Arbeitnehmer ist ein Ausländer." Geschichte der VOEST 2, 107; Alexander Martinowsky, Analyse von Entwicklung und Lage der Vereinigten Edelstahl werke Aktiengesellschaft (VEW) unter besonderer Berücksichtigung unternehmensexterner Determinanten, Diplomarbeit Wirtschaftsuniv. Wien 1983, 9; Sturm, Voest-Alpine, 51 und 79; Dieter Stiefel, 50 Years State-Owned Industries in Austria 19461996 in: The Rise and Fall of State-Owned Enterprises in Western Countries, hg. von Pier Angelo Toninelli, Cambridge 2000, 237-252. Stiefel, 50 Years State-Owned Industries in Austria 1946-1996; Geschichte der VOEST 2,113. Sturm, Voest-Alpine, 104, 106, 108, 129. Käfer, Historische Entwicklung, 39 f.; Weißmann, Wettbewerbsstrategien, 81 ff. Ernst Bruckmüller, Nation Österreich. Kulturelles Bewußtsein und gesellschaftlich-politische Prozesse, Wien 2 1996, 73. Der steirische Stahl - der norische Stahl unserer Zeit, bearb. von Rudolf Vanik, Wien 1958, o. S.; Strakele, Die Österreichische Alpine Montan-Gesellschaft, 5. Der römische Dichter Ovid erwähnte das norische Eisen sogar in seinen Metamorphosen (64 fol. 17): „Durior et ferro, quod Noricus excoquit ignis." („Härter als Eisen, von norischem Feuer geschmolzen.") Werner Suppanz, Österreichische Geschichtsbilder. Historische Legitimationen in Ständestaat und Zweiter Republik, Köln-Weimar-Wien 1998, 139-141. Otmar Kleiner, Österreichs Eisen- und Stahlindustrie und ihre Außenhandelsverflechtungen, Diss. Hochschule für Welthandel Wien 1964, 75. Paul W. Roth, Der Erzberg, in: Technik, Politik, Identität: Funktionalisierung von Technik für die Ausbildung regionaler, sozialer und nationaler Selbstbilder in Österreich, hg. von Klaus Plitzner, Stuttgart 1995, 74 f., 78. Kleiner, Österreichs Eisen- und Stahlindustrie, 83. Roth, Erzberg, 79 f. Kleine Zeitung, Graz, Nr. 284, 8. Dezember 1974. Helmut Lackner, Identität durch Technik?, in: Technik, Politik, Identität, hg. von Klaus Plitzner, 179 f. Malzacher, Österreichs Eisen in Vergangenheit und Zukunft, Linz 1948, 18. Kleiner, Österreichs Eisen- und Stahlindustrie, 80. Käfer, Historische Entwicklung, 4. Böhler, Geschichte der Gebr. Böhler & Co. AG., 17, 46; Christian Pink, Kapfenberg und die Firma Böhler (VEW). Die wirtschaftliche und soziale Entwicklung von 1945 bis 1985, Diss. Univ. Graz 1988, 73. Helmut Lackner, Günther Luxbacher und Christian Hannesschläger, Technikgeschichte in Österreich, Oldenbourg 1996, 26-28. Walter Aumayr, Ernst Höller und Hans Piuk, Österreich heute. Arbeitsbuch für Geographie und Wirtschaftskunde für die 1. Klasse der Hauptschulen, 5. Auflage, Wien 1978, 91 ff.; Leopold Scheidl (Hrsg.), Seydlitz - Lehrbuch der Erdkunde, 4. Teil, 3. Auflage, Wien 1964, 69; Anton Ebner und Helmut Steiner, Lehrbuch der Wirtschaftsgeographie, 2. Teil, 9. Auflage, 171 ff.; Becker und Helmer, Österreich - Landschaft. Wirtschaft. Bevölkerung, 4. Auflage, 1963 (Erdkunde für Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalten, Teil IV), 93 ff.; Hans Klimpt und Hans Slanar, Erdkunde für die siebente Klasse der Mittelschule, Wien 1954,2. Auflage, 7. Teil, 77 ff.; Bernhard Albl, Wirtschaftsgeographie, Bd. VI des Unterrichtswerkes „Der Kaufmannsgehilfe", 5. Auflage, Bregenz 1958, 32 f. Z.B.: Leopold Scheidl (Hrsg.), Seydlitz - Lehrbuch der Erdkunde, 1. Teil, 3. Auflage, Wien 1961, 87. Leopold Scheidl (Hrsg.), Seydlitz - Lehrbuch der Erdkunde, 7. Teil, Wien 1965, 82. Bittermann, Wannerer, Födermayr und Krenn, Geographie und Wirtschaftskunde 1, Wien 1985, 79-81.

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Leopold Scheidl (Hrsg.), Seydlitz - Lehrbuch der Geographie und Wirtschaftskunde, 1. Teil, Ausgabe Niederösterreich und Burgenland, Wien 1967, 73. Ferdinand Tremel, Geschichtsbilder aus der Heimat. Eine Einführung in den Geschichtsunterricht, Wien 3 1966, 3. Ebd., 11. Werner Tscherne, Steiermark in Gegenwart und Vergangenheit. Zeiten, Völker und Kulturen. Länderteil zum Einführungsband für die 1. Klasse der Hauptschulen, Wien 1974. Pfaffenbichler, Betriebliche Sozialpolitik, 155. Tweraser, Marshall-Plan, 223,228; Irmgard Obermayer, Die Großbauprojekte der Vereinigten Österreichischen Eisen- und Stahlwerke Aktiengesellschaft im In- und Ausland zwischen 1945 1972, Diplomarbeit Hochschule für Welthandel Wien 1975, 41; Josef Heissenberger, Die Marketingentwicklung der Vereinigten Österreichischen Eisen- und Stahlwerke AG von 1945 bis 1972, Diss. Hochschule für Welthandel Wien 1975, 158. Das VOEST-BUCH, 8. Austria Wochenschau 32/50, Beitrag 2 (Großinvestitionen der Eisen- und Stahlindustrie). Austria Wochenschau 2/53, Beitrag 1 (Österreichische Wirtschaft baut auf). Austria Wochenschau 45/53, Beitrag 2 (Der Aufbau der VOEST abgeschlossen). Austria Wochenschau 1/54, Beitrag 5 (Rückblick auf 1953). Kleiner, Österreichs Eisen- und Stahlindustrie, 261. Heissenberger, Marketingentwicklung von 1945 bis 1972, 165. Wicht, LD-Verfahren, 248. Eisenhut, Entwicklung 1945 bis 1959, 241 f. Obermayer, Großbauprojekte 1945-1972,59. Kleiner, Österreichs Eisen- und Stahlindustrie, 257 f. Austria Wochenschau 13/65, Beitrag 8. Z.B. Franz Heilsberg und Friedrich Korger (Hrsg.), Lehrbuch der Geschichte für die Oberstufe der allgemeinbildenden höheren Schulen, 4. Bd. (Allgemeine Geschichte der Neuzeit von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart), 5. Auflage, Wien 1969, 193 oder Der Mensch im Wandel der Zeiten, III. Teil (Vom Ausbruch des Ersten Weltkrieges bis zur Gegenwart), 3. Auflage, 1973, 179. Franz Berger, Edith Loebenstein, Hermann Schnell und Klemens Zens (Hrsg.), Zeiten, Völker und Kulturen, 4. Bd. (Das Zeitalter der Weltpolitik und Technik), "1964, 196-198. Kurier, 17. Jänner 1986. Vorwort in: Abel, VOEST, 5. Manfred Prisching, Fortschrittsglaube und Zukunftsangst, in: Mentalitäten und wirtschaftliches Handeln in Österreich, hg. von Ernst Hanisch und Theo Faulhaber, Wien 1997, 147. Wicht, LD-Verfahren, 169, 331. Wicht, LD-Verfahren, 56,64; Erwin Schutzbier, Forschung und Entwicklung, Patente, Lizenzen der VOEST-AG, Diplomarbeit Hochschule für Welthandel Wien 1973, 54-71; Endres, Auslandsorganisation, 9. Käfer, Historische Entwicklung, 20. LD-Stahl für Indien, hg. von der Sektion IV des Bundeskanzleramtes, Wien Jänner 1960, 19; Franz Cavagno, Die Entwicklung der Werbung in den Vereinigten Österreichischen Eisenund Stahlwerken, Diplomarbeit Hochschule für Welthandel Wien 1973, 22; Wicht, LD-Verfahren, 132-134; Sturm, VOEST-Alpine, 40; Ulrike Felber, Technik und Industrie im nationalen Selbstbild in: Technik, Politik, Identität, hg. von Klaus Plitzner, 109. Wicht, LD-Verfahren, 160-163; Otto Gatscha, 20 Jahre verstaatlichte Industrie, Wien 1966, 8. Cavagno, Werbung, 48. Bruno Pittermann im Vorwort zu Herbert Trenkler, Ein Jahrzehnt LD-Verfahren (Schriftenreihe des Bundeskanzleramtes: Verstaatlichte Unternehmungen IV, Heft 2), Wien 21960, 3. Lackner, Identität durch Technik?, 185. Vgl. Wiener Zeitung, 12. Juni 1970; Kurier, 18. Jänner 1975; AZ, 25. Mai 1976; Salzburger Nachrichten, 29. Juni 1977.

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Z.B. Austria Wochenschau 39/55, Beitrag 3 (Neues Blasstahlwerk der VOEST); 14/58, Beitrag 2 (Rund ums VOEST-Gelände); 44/59, Beitrag 2 (Das zweite LD-Stahlwerk); 40/63, Beitrag 7 (Ein neuer Tiegelhubwagen der VOEST); 11/70, Beitrag 6 (Industrie und Forschung). Austria Wochenschau, 15/63, Beitrag 3. Cavagno, Werbung, 55. Wochenpresse, 4. Februar 1970. Liselotte Palme, „Dr. Bogdandy, oder wie ich lernte, KVA zu lieben" in: Profil, Nr. 42, 16. Oktober 1989, 29. Anton Ebner, Hans Lahoda und Helmut Steiner, Österreich (Wirtschaftsgeographie für Handelsakademien, 4. Teil), 2. Auflage, 1975, 94; vgl. ähnliche Texte in: Walter Aumayr, Ernst Höller und Hans Piuk, Österreich heute. Arbeitsbuch für Geographie und Wirtschaftskunde für die 1. Klasse der Hauptschulen, 5. Auflage, Wien 1978,77; Leopold Scheidl (Hrsg.), Seydlitz - Lehrbuch der Geographie und Wirtschaftskunde, 4. Teil, Wien 1968, 87; Anton Ebner und Helmut Steiner, Lehrbuch der Wirtschaftsgeographie, 2. Teil, 9. Auflage, 204. Alexander Novotny (Hrsg.), Menschen und Völker im Wandel der Zeiten. Österreichisches Lehrbuch für Geschichte und Sozialkunde für die 4. Klasse der Hauptschule und der allgemeinbildenden höheren Schulen, 3. Auflage, Wien 1976, 227 f. Der Standard, 19. Mai 1992. Die Presse, 18. Mai 1992. Wicht, LD-Verfahren, 169 und 331; Franz Summer, Das VOEST-Debakel, Wien 1987, 28. Z.B. Theo Faulhaber, Facetten zu Identität und Mentalität in: Mentalitäten und wirtschaftliches Handeln in Österreich, hg. von Ernst Hanisch und Theo Faulhaber, 301. Max Neuhofer, Zwischen Krise und Modernisierung. Soziale Dimensionen des Strukturwandels im Stahlsektor (unter besonderer Berücksichtigung des Stahlstandortes Linz), Diss. Univ. Linz 1996, 330. Bundeskanzleramt, Die Verstaatlichten Betriebe in Österreich, Wien 1960, 15. KPÖ, Verstaatlichung - Für Wen?, 16. LD-Stahl für Indien, 19; Hans Gmeiner (Red.), Bauten für die Welt. Eine Dokumentation der Ingenieurleistungen der VOEST, Linz 1995, 666 ff. Gmeiner (Red.), Bauten für die Welt, 111 f., 426 ff., 967 ff. AZ, 20. August 1969; AZ, 25. Oktober 1970; AZ, 25. Oktober 1970; Die Presse, 3. März 1971; Wiener Zeitung, 9. Mai 1971; Die Presse, 16. bzw. 25. November 1971 sowie 1. September 1972; Volksblatt, NÖ, 14. September 1973; Kurier, 2. Juli 1974; Neues Volksblatt, 20. November 1974; AZ, 27. März bzw. 10. April 1975; Kurier, 4. Oktober 1975; Tagblatt, Linz, 19. Mai 1976; Salzburger Nachrichten, 16. Dezember 1976; AZ, 7. Juni 1977; Neues Volksblatt, 28. Oktober 1978; Kurier, 28. Februar 1979; Die Presse, 27. April 1979; Oberösterreichisches Tagblatt, 24. August 1979. Z.B. Börsenkurier, Nr. 10/11, Okt./Nov. 1970; siehe auch: Die Presse, 17. November 1970. Tagblatt, Linz, 18. März 1978. Michael Schano, Fernost Handel: Wer mit Südkorea Geschäfte machen will, sollte starke Nerven haben, in: Trend 7/87, 170. Geschichte der VOEST 2, 101; Abel, VOEST, 315. Tagblatt, Linz, 28. April 1976. Zu den beiden Umfragen Salzburger Nachrichten und Oberösterreichische Nachrichten, 25. Oktober 1975 bzw. Neues Volksblatt, 5. Dezember 1978 Summer, VOEST-Debakel, 9. Die Presse, 19. Februar 1971; Neue Technik und Wirtschaft, Nr. 10, Oktober 1972; Die Presse, 18. Juli 1975. Felber, Technik und Industrie im nationalen Selbstbild, 109. Geschichteclub VOEST: Werbeprospekte: „VOEST-ALPINE Gießereitechnik präsentiert: Stahlguss für den Wasserturbinenbau." Andreas F. Reitmeier, Imagetransfer - Die Wirkung österreichtypischer Exportwerbung für Investitionsgüter, dargestellt am Beispiel von VOEST Alpine-Werkzeugmaschinen, Diss. Wirtschaftsuniversität Wien 1990, 85-86.

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Obermayer, Großbauprojekte 1945-1972, diverse Seiten; Die Presse, 13. Juni 1972; Trend, Nr. 9/75; AZ, 15. Juli 1972; Gmeiner (Red.), Bauten für die Welt, 113, 319 ff., 790 ff. Obermayer, Großbauprojekte 1945-1972,78-81. Ebd., 98 f.; Heissenberger, Marketingentwicklung von 1945 bis 1972, 83; Gmeiner (Red.), Bauten für die Welt, 835 ff. Geschichte-Club VOEST, ohne Quellenangabe. Obermayer, Großbauprojekte 1945-1972, 68, 84; AZ, 30. September 1973; Kronenzeitung, 18. September 1976. Rupert Zimmermann, Die betriebliche Sozialpolitik der Verstaatlichten Betriebe, Diss. Univ. Graz 1954, 147. Wochenpresse, 19. November 1970; Wochenpresse, 19. und 25. November bzw. 22. Dezember 1970 und 1. Oktober 1971; AZ, 12. Juli 1972; Oberösterreichische Nachrichten, 17. Juni 1972 (ganzseitig). Sturm, VOEST-Alpine, 79. Neuhofer, Zwischen Krise und Modernisierung, 344. Kronen-Zeitung, 30. August 1975. Wiener Zeitung, 20. März 1973; AZ, 20. März 1973; Kronenzeitung, 20. März 1973; Volksblatt, NÖ, 12. September 1973; Die Presse, 1. September 1977; Oberösterreichische Nachrichten, 6. November 1974 und 3. September 1977; Wiener Zeitung, 11. November 1978. Das VOEST-BUCH, Vorwort von Walter Hitzinger. Sperl, Einkauf der VOEST, 36. Neuhofer, Zwischen Krise und Modernisierung, 327. Geschichte der VOEST 2, 295 f. Salzburger Nachrichten, 24. März 1972. Freiheit, Nr. 47, 17. November 1972; Volksstimme, 14. April 1973. Wochenpresse vom 3. Mai 1972; Volksblatt vom 19. November 1979; Baedekers Allianz Reiseführer Österreich, 6. Auflage, 1991, 291; Julia Droste-Hennings, Oberösterreich, Köln 1998, 47, 66. Aumayr, Höller und Piuk, Österreich heute, 75. Ebner und Steiner, Lehrbuch der Wirtschaftsgeographie, 180. Stiefel, 50 Years State-Owned Industries in Austria 1946-1996. Sozialwissenschaftliche Studiengesellschaft, Bericht über Meinungsumfragen betreffend das Image der verstaatlichten Industrie, 31. Bericht, Juni 1964, 3, 11. Stiefel, 50 Years State-Owned Industries in Austria 1946-1996. Summer, VOEST-Debakel, 44 f.; Geschichte der VOEST 2, 111. Oberösterreichische Nachrichten, Nr. 248, 25. Oktober 1975; Kleine Zeitung, Graz, 27. Oktober 1975. Neues Volksblatt, 5. Dezember 1978; Oberösterreichisches Tagblatt, 5. Dezember 1978; Kronenzeitung, 5. Dezember 1978; Oberösterreichische Nachrichten, 5. Dezember 1978. Günter Martinek, Das Selbstbild der Österreicher, Wien 1990, 85. Summer, VOEST-Debakel, 91. Ebd., 34. Oberösterreichische Nachrichten, 8. Juni 1972. Die Presse, 14. Juni 1972. Kurier, 15. Juni 1972. Summer, VOEST-Debakel, 73 f. Neues Volksblatt, 17. Jänner 1976; siehe auch: Neues Volksblatt, 18. März 1975; Volksblatt NÖ, 30. März 1974; SO Tagespost, 30. März 1974; Oberösterreichische Nachrichten, 27. März 1974; Kleine Zeitung, Graz, 9. März 1976; Oberösterreichische Nachrichten, 14. April und 15. April 1976. Tagblatt, Linz, 12. Februar 1976. Neue Zeit, Graz, 25. September 1975. Summer, VOEST-Debakel, 30.

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Ebd., 38. Zitiert in: Wochenpresse, 4. November 1970. AZ, 10. November 1970; Salzburger Nachrichten, 3. Dezember 1970; Die Presse und AZ, 17. Dezember 1970; Die Presse, 19. Dezember 1970. Summer, VOEST-Debakel, 31,93. Kleine Zeitung (Graz), 21. und 26. Juli sowie 12. September 1973; AZ, 24. Juli 1973; Salzburger Nachrichten, 25. Juli 1973; Kronenzeitung, 26. Juli 1973. Martinek, Das Selbstbild der Österreicher, 85. Stiefel, 50 Years State-Owned Industries in Austria 1946-1996; Rudolf Anton Königsecker, Der Staat als Unternehmer. Die verstaatlichte Industrie im Spannungsfeld zwischen politischen und erwerbswirtschaftlichen Interessen. Die ÖIAG-Restrukturierung und ihre Konsequenzen für Organisation und Personal, Diplomarbeit Univ. Linz 1992, 25; Heissenberger, Marketingentwicklung von 1945 bis 1972, 208. Z.B. Bundeskanzleramt, Die Verstaatlichten Betriebe in Österreich, 11. Gatscha, 20 Jahre verstaatlichte Industrie, 11 f. Z.B. Kurier, 22. Mai und 21. September 1973; Volksstimme, 6. November 1973; AZ, 21. Februar und 6. November 1974; Oberösterreichische Nachrichten, 27. April 1974; Die Presse, 9. November 1974; ECCO, Nr. 44, 13. November 1974; vgl. Margit Scherb, Die negativen Auswirkungen des Internationalisierungsprozesses auf Kleinstaaten. Dargestellt am Beispiel der verstaatlichten österreichischen Eisen- und Stahlindustrie, Diss. Univ. Wien 1979, 126. Kronenzeitung, 9. November 1974. Tagblatt, Linz, 25. Oktober 1975; Kleine Zeitung, Graz, 27. Oktober 1975. Neues Volksblatt, 5. Dezember 1978; Oberösterreichisches Tagblatt, 5. Dezember 1978; Kronenzeitung, 5. Dezember 1978; siehe auch IFES-Umfrage von 1979 in: Profil, Nr. 3, 16. Jänner 1979: Robert Buchacher, „Kontakt verloren"; Oberösterreichisches Tagblatt, 16. Jänner 1979. Summer, VOEST-Debakel, 288. Ζ. B. in: Pfaffenbichler, Betriebliche Sozialpolitik; Margarete Huber, Die personalpolitischen Maßnahmen der österreischischen verstaatlichten Eisen- und Stahlindustrie aufgrund der Depression 1975, Diplomarbeit Wirtschaftsuniversität Wien 1977; Christel Schmid, Zusätzliche Sozialleistungen eines österreichischen Unternehmens, Diplomarbeit Hochschule für Welthandel Wien 1973. Königsecker, Der Staat als Unternehmer, 26. Geschichte der VOEST 2, 293; Gaisbauer, Entwicklungstendenzen, 95 f. Hollnbuchner, Hermann Göring Werke Linz, 76 f. Stiefel, 50 Years State-Owned Industries in Austria 1946-1996. Huber, Personalpolitische Maßnahmen, 47. Oberösterreichische Nachrichten, 5. Dezember 1978. Abel, VOEST, 76. Ebd., 120, 199,313. Profil, Nr. 51/52, 17. Dezember 1979, 48. Summer, VOEST-Debakel, 356. Neues Volksblatt, 25. Oktober 1975. Siehe dazu: Trend, 1/85, 24. Summer, VOEST-Debakel, 333, 341, 356. Wochenpresse, 10. Dezember 1985, 19; Kurier, 12. Dezember 1985; Neue Kronen Zeitung, 14. Dezember 1985; Die Presse, 19. Dezember 1985; Kurier, 20. Dezember 1985; Neues Volksblatt, 21. Dezember 1985; Neue Kronen Zeitung, 23. Dezember 1985. AZ, 17. und 18. Jänner 1986. Neue Kronen Zeitung, 21. Dezember 1985; Neues Volksblatt, 21. Dezember 1985; Kärntner Tageszeitung, 22. Dezember 1985. Neues Volksblatt, 23. Jänner 1986; Süddeutsche Zeitung, 16. Jänner 1986. Volksstimme, 10. bzw.ll. Dezember 1985.

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Summer, VOEST-Debakel, 357. Kurier, 29. August 1987; Die Presse, 17. Jänner 1986; Kleine Zeitung, 17. Jänner 1986. Abel, VOEST, 164. Summer, VOEST-Debakel, 368. Neues Volksblatt, 1. Februar 1986. Summer, VOEST-Debakel, 372. Kurier, 14. Februar 1986. Kurier, 20. September 1986. Kurier, 3. April 1987; Hermann Herunter, Der Schatten eines Bonzen in: Trend 6/87, 53 ff. Volksstimme, 22. Oktober 1986. Tiroler Tageszeitung, AZ, Neues Volksblatt, 5. September 1986. Die Presse, 9. April 1988. Reinhard Christi, Sozialpartnerschaft und Beschäftigungspolitik in Österreich. Eine Untersuchung vor dem Hintergrund der beschäftigungspolitischen Diskussion in der Bundesrepublik, Frankfurt am Main u.a. 1990, 118; Neues Volksblatt, 27. August 1986. Peter Michael Lingens, Respekt für Vranitzky in: Profil, Nr. 37, 8. September 1986, 10. AZ bzw. Neue Kronen Zeitung, 12. September 1986. Siehe z.B. Kurier, 10. November 1987; Kurier, 12. März 1988; Wiener Zeitung, 12. April 1988. Kurier, 30. Jänner 1992. Neue Kronen Zeitung, 22. August 1987 und 2. Oktober 1987; Die ganze Woche, 10. September 1987; Kurier, 18. September 1987; Die Presse, 16. September 1987; mehrteilige Reihe Neues Volksblatt, ab Nr. 220, 23. September 1987; Peter Muzik, Das Voesterreich-Debakel, in: Trend 10/87, 88-93. Neue AZ, 17. September 1987. Kleine Zeitung, 30. September 1987. Geschichte der VOEST 2, 116 f. Käfer, Historische Entwicklung, 39 f. Sigrid Scheichl, Die Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen im Umfeld von Privatisierungen und Börsengängen dargestellt am Beispiel der VOEST-APINE STAHL AG (1994-1996), Diplomarbeit Univ. Salzburg 1998, 187-189. Ebd., 94 f. Oberösterreichische Nachrichten, 2. Oktober 1993.

Andre Pfoertner Die Steyr-Daimler-Puch AG (SDPAG) Der Traum vom österreichischen Automobil

„Steyr - das ist schon bisher die Beziehung des Österreichers zu Amerika gewesen: die alte, wunderschöne Stadt in Oberösterreich, das ist im allgemeinen Bewusstsein das deutschösterreichische Detroit und die Automobilfabrik, die ins österreichische Maß übersetzte Ford-Fabrik, wobei man nicht nur merkt, wie viel kleiner dieses Österreich ist, sondern wie viel solider und geschmackvoller die österreichischen Arbeiter und Angestellten arbeiten. Schon bisher war die Steyrer Automobilfabrik gewissermaßen der industrielle Stolz Österreichs: auch wir haben das laufende Band, auch bei uns bringt man es zustande mit dem industriellen Fortschritt in der großen Welt zu gehen!" So schrieb die Arbeiterzeitung (AZ) am 26. September 1929. Die SteyrWerke scheinen schon damals das kollektive Gedächtnis der Österreicher geprägt zu haben. Auch noch rund 70 Jahre später nach einem „typisch österreichischen" Unternehmen befragt, nannten 14% der Österreicherinnen die SteyrDaimler-Puch AG und hoben das Unternehmen dadurch auf den zweiten Platz der Liste aller genannten Unternehmen; lediglich die VOEST erhielt mehr Stimmen. Steht im Bezug auf die Bedeutung der SDPAG für die Österreicherinnen die Zeit still? Was macht die langlebige, nationale Faszination von Steyr-Daimler-Puch aus? Dazu sollen im Folgenden einige Überlegungen in vier Teilen angestellt werden. In einem ersten Teil wird kurz die Geschichte der Steyr-Daimler-Puch AG geschildert unter besonderer Berücksichtigung des ausländischen Einflusses. Dies geschieht vor allem, um eine schiefe, Österreich-zentrierte Sicht zu vermeiden, welche den Mythos vom „typisch österreichischen" Unternehmen zementieren würde, anstatt ihn zu analysieren. In den folgenden Teilen werden mögliche Gründe vorgestellt, die dazu beigetragen haben könnten, die SDPAG zu einem österreichischen „Gedächtnisort" zu machen, und zwar mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung. Zuerst wird überprüft, inwiefern SteyrDaimler-Puch bereits vor 1945 ein österreichischer Mythos war, der danach eventuell einfach perpetuiert wurde. Dann wird der Frage nachgegangen, welchen Einfluss die Produkte der SDPAG nach 1945 auf das kollektive Gedächtnis der Österreicherinnen gehabt haben könnten. Das abschließende Kapitel

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Andre Pfoertner

beschäftigt sich schließlich mit der Verzahnung der Steyr-Daimler-Puch AG mit der Politik.

Zur Geschichte der Steyr-Daimler-Puch AG im Kontext internationaler Wirtschaftsinteressen Die Steyr-Werke

bis 1935

Als Stammhaus der SDPAG werden meistens die Steyr-Werke bezeichnet, waren sie doch das größte und von der Gründung her älteste Unternehmen. Der Begründer der Steyr-Werke, Josef Werndl, wurde am 26. Februar 1831 in Steyr als Sohn des Waffenschmieds Leopold Werndl geboren. Nach Beendigung seiner Lehrzeit als Büchsenmacher in Wien-Währing lernte er während seiner Militärdienstzeit 1849 die Methoden der Massenproduktion an modernen, aus Amerika eingeführten Maschinen für die Gewehrfabrikation kennen. Nach einer USA-Reise 1852, auf der er die neuen Werkzeugmaschinen in ihrem Erzeugungsland kennenlernte, übernahm er nach dem Tode des Vaters 1855 den elterlichen Betrieb und baute ihn zur größten Waffenschmiede Österreichs aus. Am 16. April 1864 gründete Werndl die Handelsgesellschaft „Josef u. Franz Werndl & Comp., Waffenfabrik u. Sägemühle in Oberletten". Die Erfahrung der österreichischen Niederlage bei Königgrätz 1866 veranlasste die Heeresleitungen aller Staaten zur raschesten Einführung von Hinterladergewehren, was dem Werk einen Auftragsboom bescherte und einen Ausbau notwendig machte. Das dafür erforderliche Kapital brachte eine am 1. August 1869 unter Patronanz der „Österreichischen Bodencreditanstalt" durchgeführte Umwandlung des Unternehmens in die „Österreichische Waffenfabriks-Gesellschaft" mit dem Sitz in Wien. Die Waffenlieferungen dieser Firma erstreckten sich bald auf den ganzen Erdball. Während des Ersten Weltkriegs war die „Österreichische Waffenfabriks-Gesellschaft" eine der wichtigsten Waffenfabriken der damaligen Mittelmächte. 1 Mit dem Ende des Krieges stand das Unternehmen vor dem Nichts. Das im Friedensvertrag von St. Germain ausgesprochene Verbot der Herstellung von Kriegswaffen legte das Werk praktisch still. Angesichts dieser zu raschem Handeln zwingenden Lage wurde der bereits Jahre 1916 (zur Zeit der Aufnahme der Erzeugung von Flugmotoren für die k.k. Heeresverwaltung) gefasste Entschluss der Errichtung einer Automobilfabrik umgesetzt. Seit 1920 wurden in Steyr Automobile - allerdings zunächst mit konservativen Produktionsmethoden hergestellt. Damals verhalf das erste „Waffenauto" Typ II zur Etablierung in dieser Branche. 2 Doch es wurde rasch klar, dass man sich bei der Fabrikation in Anbetracht der gewaltigen Dimensionen der Werksanlagen - erst 1914 war ein neuer Fabrik-

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bau mit einer Bodenfläche von 240.000 m2 errichtet worden - für eine großzügige Serienproduktion nach amerikanischem Muster entscheiden musste. Zu diesem Zweck schickte man in den Jahren 1923/24 eine Gruppe von Ingenieuren nach Übersee, um das Fließsystem bei Ford zu studieren. Wieder einmal suchte man sich Anregungen in den USA. Bis 1926 hatten die Steyr-Ingenieure genügend Know-how gesammelt, um die Fließfertigung im Werk zu implementieren. Bei den Kommunisten und Linkssozialisten erntete Steyr wegen seiner „Amerikanisierung" des Betriebes heftige Kritik. 3 1926 erfolgte die Umbenennung der „Österreichischen Waffenfabriks-Gesellschaft" in „Steyr-Werke AG". 4

Austro-Daimler Gottlieb Wilhelm Daimler (1834-1900), ein gebürtiger Württemberger, erlernte zunächst das Büchsenmacherhandwerk und absolvierte dann ein Studium an der Polytechnischen Schule in Stuttgart. Aus seiner 1882 geschaffenen Versuchswerkstätte und einer 1887 gegründeten Fabrik in Cannstatt entstand am 28. November 1890 die Daimler-Motoren-Gesellschaft, welche bis etwa 1895 schwerpunktmäßig Motoren produzierte. Bereits 1890 wurde in Wien unter der Leitung von Josef E. Bierenz ein Büro eröffnete, das die Vertretung der Cannstatter Daimler-Erzeugnisse übernahm. Um eine eigene Fabrikation in Österreich zu etablieren, kam es zu Verhandlungen mit Eduard Fischer, dem Besitzer einer seit 1866 bestehenden, angesehenen Maschinenfabrik in Wiener Neustadt, die Bierenz für den Bau von Motoren und Motorfahrzeugen geeignet erschien. Am 24. Juni 1902 wurde das Unternehmen in die „Österreichische DaimlerMotoren-Gesellschaft" umgebildet. Zur Kapitalbeschaffung wurde diese dann unter der Patronanz des Wiener Bankvereins am 7. Oktober 1910 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Im Ersten Weltkrieg arbeitete das Unternehmen vor allem für die Rüstung, u.a. durch die Produktion von Flugmotoren und Spezialzügen für schwere Geschütze. Mit Ende des Weltkrieges und den Bestimmungen von St. Germain fiel - wie bei den Steyr-Werken - mit einem Schlag die ganze Rüstungsfertigung aus, mit der sich „Austro Daimler" in den letzten viereinhalb Jahren fast ausschließlich beschäftigt hatte. Man stellte wieder auf Personenwagenbau um, jedoch nicht auf kleine, leichte Wagen zu einem möglichst niedrigen Preis, sondern anknüpfend an die Austro-Daimler-Tradition auf teure und schwere Luxusautomobile. 5

Puch Johann Puch, geboren am 27. Juni 1862 in Sakuschak [Sakosak] bei Pettau [Ptuj] in der Untersteiermark, ein gelernter Schlosser, spezialisierte sich zunächst auf die Reparatur der damals gerade aus England importierten Hoch- und Niederräder. 1889 machte er sich als Fahrradreparateur selbstständig und ging schließ-

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lieh dazu über, selbst Fahrräder zu produzieren. Sein „Styria-Rad" wurde zu einem Erfolg in ganz Europa. Wegen des erhöhten Kapitalbedarfs wurde das Unternehmen am 28. September 1899 in eine Aktiengesellschaft, die „Johann Puch-Erste steiermärkische Fahrrad-Fabriks-AG" in Graz, umgewandelt. 1903 wurde zusätzlich die Fabrikation von einspurigen Motorrädern mit einzylindrigem Motor ins Produktionsprogramm aufgenommen und 1906 begann man mit der Erzeugung von Automobilen - nachdem Puch bereits 1900 sein erstes Automobil gebaut hatte. Im Jahre 1914 erzeugten die Puch-Werke neben Fahrrädern und Motorrädern noch Sport- und Luxuswagen, Droschken, Omnibusse, Liefer- und Lastfahrzeuge, Kranken- und Rettungswagen, Feuerwehrautos und die verschiedenartigsten Spezialfahrzeuge. In den Nachkriegsjahren nahmen die Puch-Werke die Erzeugung ihrer Fahrräder und ab 1924 den Bau ihrer Motorräder wieder auf. Bedingt durch missliche wirtschaftliche Verhältnisse und gemeinsame Bankinteressen wurde die „Puch-Werke AG" am 31. Mai 1928 mit der erwähnten „Österreichischen-Daimler-Motoren-Aktiengesellschaft" und der „Österreichischen Flugzeugfabrik AG" fusioniert und am 28. Dezember 1928 unter dem neuen Namen „Austro-Daimler-Puch-Werke AG" in das Handelsregister eingetragen. Durch die Fusion wurde in Graz die Automobilherstellung praktisch aufgelassen und dafür die Produktion von Fahr- und Motorrädern ausgebaut. Mit dem Zusammenbruch der „Bodencreditanstalt" (jener Bank, mit der Steyr eng liiert war) kamen sowohl „Austro-Daimler-Puch" als auch die „Steyr-Werke AG" unter die finanzielle Leitung desselben Bankhauses, der Creditanstalt (CA), woraus sich eine Arbeitsgemeinschaft entwickelte, die am 10. Mai 1935 schließlich zur Fusion führte. Die Steyr-Daimler-Puch AG (SDPAG) war entstanden. 6

Die SDPAG seit

1935

Durch die Fusion mit den Steyr-Werken übersiedelte der bereits 1933 stillgelegte Maschinenpark von „Austro-Daimler" in Wiener Neustadt nach Steyr. Nach dem Anschluss an das Deutsche Reich wurden im Sommer 1938 die im Besitz der CA befindlichen Aktien durch die „Reichswerke Hermann Göring" übernommen und die Produktionsstätte Wiener Neustadt reaktiviert, wo nun 19381945 u.a. Flugzeugmotoren erzeugt wurden. Durch die Rüstungsaufträge und durch den großen Markt des Deutschen Reiches verbesserte sich die wirtschaftliche Situation der Werke; sogar während des Zweiten Weltkrieges konnten zahlreiche Sozialleistungen eingeführt bzw. ausgebaut werden. Für eine verbesserte Ausbildung der Jugend wurde eine Lehrlingswerkstätte errichtet. 7 Die Investitionen aus der Zeit des Dritten Reiches statteten die SDPAG gut für die Nachkriegszeit aus. In den Jahren 1942/43 entstand am südlichen Rand von Graz auf einem Areal von 500.000 m2 das heutige Werk Thondorf mit eigenem Bahnanschluss, wodurch die Puch-Werke bis weit in die 1950er-Jahre zu den mo-

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dernsten Zweirad-Produktionsstätten Europas zählten. 8 Der Nachkriegserfolg der Puch-Werke beruhte also keineswegs nur auf den österreichischen Wiederaufbau-Leistungen, sondern die Grundlage dafür war schon zuvor in der Zeit des Dritten Reiches gelegt worden. Bei Kriegsende wurden das Hauptwerk Steyr, das Wälzlagerwerk, das Werk Graz, das „Nibelungenwerk St. Valentin", die „Kromag AG" in Hirtenberg und die Wiener Betriebe zunächst russisch besetzt. Im Zuge der definitiven Zoneneinteilung fielen das Hauptwerk und das Wälzlagerwerk mit 1. September 1945 unter amerikanische, das Werk Graz unter englische Besatzung. 9 Die ersten Nachkriegserzeugnisse waren einfache Gebrauchsgegenstände, wie Kochtöpfe, Feuerzeuge u.a.m. Für eine Wiederaufnahme der Automobilproduktion war Steyr-Daimler-Puch auf die Unterstützung der Besatzungsmächte angewiesen. Bereits 1946 konnte dank amerikanischer Aufträge mit der Fertigung von Lastkraftwagen begonnen werden. 10 Da Personenkraftwagen in dieser Zeit als entbehrlicher Luxus angesehen wurden und es wichtiger war, dem Transportwesen durch die Erzeugung von Lastkraftwagen bzw. der Landwirtschaft durch die Produktion von Traktoren zu helfen, traf man die folgenschwere Entscheidung, die traditionelle Personenwagenfertigung nicht wieder aufzunehmen, sondern in Steyr v. a. Lastkraftwagen und später Traktoren zu erzeugen, während sich das Werk Graz weiterhin der Zweirad-Fertigung widmen sollte." Ursprünglich war die Waffenproduktion untersagt, aber bereits im Jahr 1950 wurde mit Genehmigung des US-Hochkommissars General Mark Clark auch die Produktion von Jagd- und Sportwaffen wieder aufgenommen. 12 Bei Puch in Graz war inzwischen bereits 1946 die Serienerzeugung von Motorrädern angelaufen. Als sich die wirtschaftlichen Verhältnisse im damaligen Nachkriegsösterreich 1948 zu normalisieren begannen, entschied man sich, das Pkw-Programm der Turiner Fiat-Werke als Generalimporteur für das gesamte Bundesgebiet zu vertreiben. Ab diesem Zeitpunkt wurden Fiat-Automobile in den Steyr-Werken fertig zusammengebaut. 13 Der Traum vom selbstgefertigten Automobil lebte jedoch fort und 1955 lagen bei Steyr-Daimler-Puch Konstruktionspläne und Prototyp eines eigenen Kleinwagens vor. Für diese Kleinwagenproduktion hatte man in Graz-Thondorf bereits rund 100 Mio. Schilling investiert; es wären aber noch rund weitere 50 Mio. für eine eigene Karosseriefertigung aufzubringen gewesen. Da die Steyr-Daimler-Puch AG ohnehin im Rahmen des Assembling-Vertrages Fahrzeugteile von Fiat importierte, wurde die gesamte Rohkarosserie des Fiat 500-Kleinwagens übernommen. 14 Aus dieser Tatsache resultierte auch die etwas umständliche vollständige Bezeichnung des neuen Wagens: „Steyr-Puch 500, Modell Fiat", der ab 1957 verkauft wurde. Ein großer Pkw-Erzeuger wurde die SDPAG dadurch jedoch nicht: Bei der Karosserie war man weiter auf Fiat angewiesen. Zudem konnte auch der Puch 500 nicht in wirklich großen Serien erzeugt werden, da ein mit Fiat abgeschlossener Vertrag den Export behinderte. 15 Die vom Konzern geplanten Stückzahlen von 15.000

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Puch-Fahrzeugen pro Jahr wurden nie erreicht. 16 Die Produktion des Puch-500Modells lief 1973 aus und auch jene des Nachfolgemodells Puch 126 wurde wegen der geringen Nachfrage bereits 1975 eingestellt. 17 Die Assoziation der SDPAG mit Fiat war gemäß einer Umfrage im Jahre 1988 immer noch enorm hoch. Bereits 1970 hatten manche Österreicherinnen ein Abhängigkeitsverhältnis der SDPAG von Fiat angenommen. 18 Während also die Pkw-Modelle fast ausschließlich für den österreichischen Markt hergestellt wurden, wurden seit 1959 der „Haflinger", ein allradgetriebener Kleintransporter, und sein Nachfolger, der „Pinzgauer", zu ausgesprochenen Exportschlagern. 19 Ab den Siebzigerjahren gerieten u.a. im Zusammenhang mit dem verschärften Konkurrenzdruck durch die EG-Assoziation Österreichs die einzelnen zivilen Sparten des Steyr-Daimler-Puch-Konzerns (v. a. die Lkw-Produktion) in die Krise. Um die Verluste aus dem zivilen Sektor auszugleichen, wurde die Rüstungsproduktion forciert. Als jedoch Bundeskanzler Bruno Kreisky 1980 aus Rücksicht auf den linken Flügel der SPÖ einen zuvor bereits genehmigten Export von 150 Kürassier-Panzern nach Chile (im Wert von rund 2 Mrd. Schilling) verhinderte, ging mit diesem politisch bedingten Auslieferungsverbot der internationale Ruf des Unternehmens als zuverlässiger Lieferant von Kettenfahrzeugen verloren. Durch den Ausfall der Panzerlieferungen fehlten dem Unternehmen nunmehr nicht nur die Umsätze, sondern auch die Gewinne, aus denen die Umstrukturierung der verlustbringenden Sparten großteils finanziert werden sollte. Demnach war eine wirtschaftliche Führung der SDPAG ohne das lukrative Militärgeschäft nicht mehr möglich. Die tatsächliche Krisenlage schlug schließlich ab 1982 nach außen durch. Von diesem Zeitpunkt an bilanzierte der Konzern insgesamt negativ. 20 Es begann ein stückweises Abstoßen der verschiedensten Produktionssparten: 1987 wurde der seit langem defizitäre Zweiradsektor mitsamt dem Markennamen „Puch" an die italienische Piaggio-Gruppe verkauft. 1988 folgte die Übernahme des Gusswerkes II durch die deutsche St. Leon Roth GmbH und des Wälzlagers durch die schwedische Firma SKF. 1989 wurde schließlich der zuvor ausgegliederte Lkw-Bereich zu 80% an die deutsche MAN-Nutzfahrzeuge AG, München, und 1990 der Teilbereich Bus zu 75% an den schwedischen Automobilkonzern Volvo veräußert. 1996 wurde auch die Traktorfabrikation in St. Valentin an den amerikanischen CASE-Konzern verkauft. Als im Jänner 1998 die Creditanstalt ihr Aktienpaket an die kanadische Firma „Magna International Inc." abgab, hatte der Konzern SDPAG einen neuen Mehrheitseigentümer. Nach dem vorherigen Verkauf diverser Teilsparten an ausländische Multis war damit auch der Rest des Unternehmens in einem ausländischen Konzern aufgegangen, an dessen Spitze der Austro-Kanadier Frank Stronach stand. 21 Weshalb also sollte man die SDPAG als „typisch österreichisches" Unternehmen bezeichnen? Dazu sollen im Folgenden einige Überlegungen angestellt werden.

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Steyr-Daimler-Puch - Mythen aus der Zeit vor 1945 Im Unterschied zu jenen österreichischen Großunternehmen, die erst nach 1938 entstanden (z.B. VOEST und OMV), konnte die Steyr-Daimler-Puch AG 1945 bereits auf eine lange Vorgeschichte zurückblicken und stellte wohl schon in der Ersten Republik einen österreichischen „Gedächtnisort" dar. Die Vorkriegsmythen um Steyr-Daimler-Puch können im Rahmen dieses Beitrags zwar nicht umfassend aufgerollt werden, jedoch ist eine kurze Behandlung unter dem Gesichtspunkt des Weiterwirkens dieser Vorkriegsmythen in der Zweiten Republik unerlässlich. Grundsätzlich sollen folgende drei Themenkreise unterschieden werden, die in den Steyr-Werken zu einem Mythenkomplex verschmelzen: Der Mythos „Eisenstadt Steyr", der Mythos „Josef Werndl" und der Mythos „Steyr-Automobile". Am Ende dieses Abschnitts über die Steyr-Daimler-Puch-Vorkriegsmythen wird in einem Exkurs noch auf den „Mythos Puch" und seine Stellung im Gesamtmythos Steyr-Daimler-Puch eingegangen.

Der Mythos „Eisenstadt

Steyr"

Die Stadt Steyr in Oberösterreich war bereits im Mittelalter - bedingt durch ihre geographische Lage - ein Zentrum des Eisenhandels. Unter diesen günstigen Bedingungen konzentrierten sich die Steyrer Handwerker schon früh auf die Eisenverarbeitung und entwickelten darin innerhalb kurzer Zeit beachtliche Fähigkeiten. Ab dem 15. Jahrhundert vollzog sich eine immer stärkere Arbeitsteilung; aus den Schmieden wurden Klingenschmiede, Messerer, Schlosser, Schleifer etc. 22 So bildet die Geschichte der Stadt Steyr einen wesentlichen Bestandteil des österreichischen Eisenmythos (siehe auch im Beitrag über die VOEST). Bereits Ende des 16. Jahrhunderts versuchte die Stadt, auch Feuerwaffen zu erzeugen. Im 17. Jahrhundert entstanden dann längs des Steyr-Flusses große Bohrhämmer, Bohrmühlen und Armaturschmieden, in denen Gewehrläufe hergestellt wurden. 1786 kaufte der Staat diese Werkstätten an. Die in Steyr ansässigen Meister des Kleineisengewerbes nahmen nach und nach die Erzeugung und Lieferung von Gewehrbestandteilen für die staatliche Gewehrfabrik auf. Einer dieser Waffenteilerzeuger war ab 1821 Leopold Werndl, der Vater des Firmengründers Josef Werndl. Werndls „Österreichische Waffenfabriks-Gesellschaft" ging also organisch aus der Eisentradition der Stadt Steyr hervor. In der Folge verschmolzen Stadt und Konzern zu einer Einheit: Der Konzern trug zu Ruhm und Bekanntheitsgrad der Stadt bei.23 Lange arbeitete beinahe jeder dritte Einwohner von Steyr in den Steyr-Werken. Der Industrieriese bestimmte das öffentliche und politische Leben - als größter Grundbesitzer, als größter Steuerzahler und als bestimmende Kraft der Stadt-Politik, denn traditionellerweise entstammte der Bürgermeister der Stadt dem Steyr-Kon-

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zern.24 „Steyr? Das ist doch jene Stadt, in der die Steyr-Werke sind?" war eine gängige Assoziation. 25 Der Eisenmythos der Stadt ging auf das Unternehmen über und das Unternehmen perpetuierte ihn mit dem Namen der Stadt. So wird in den Schilderungen der Unternehmensgeschichte der SDPAG fast immer mit der Tradition der Eisenstadt Steyr begonnen. 26 Umgekehrt geht die Stadtgeschichte, wie sie z.B. in Reiseführern geschildert wird, ebenso nahtlos in die Unternehmensgeschichte über.27 Von besonderem Interesse für das kollektive Gedächtnis sind die Schulbücher für Geographie, da mit ihnen - im Unterschied zu Unternehmensgeschichten oder selbst Reiseführern - sehr viele Österreicherinnen in der einen oder anderen Form in Berührung gekommen sein müssen. Eine Analyse der im Wissenschaftsministerium lagernden Geographieschulbücher aus der Zeit von 1945 bis 1986 zeigt dabei das bekannte Bild: Stadt- und Unternehmensgeschichte verschmelzen wie z.B. in den bekannten Seydlitz-Geographiebüchern: „Die alte Eisenstadt Steyr war lange Zeit der wichtigste Industrieort Oberösterreichs. Heute erzeugen die großen Steyrwerke Traktoren, Last- und Personenkraftwagen sowie Kugellager [...]" 28 Ähnliche Darstellungen finden sich in großer Zahl, natürlich in der gesamten Seydlitz-Reihe, 29 aber auch in anderen Werken.30 Unterschiede bestehen nur in Nuancen. So wird ζ. B. in den Arbeitsblättern für Erdkunde von Adalbert Schwarz 1972 zusätzlich daraufhingewiesen, dass Eisen und Stahl und die daraus verfertigten Waren (Rund-, Stablager, Motoren und Kraftfahrzeuge) eine hervorragende Rolle in der österreichischen Ausfuhr spielen und als Wiederholungsaufgabe wird verlangt, zwei große Fahrzeugfabriken zu nennen. 31 In der Seydlitz-Ausgabe für Oberösterreich und Salzburg von 1967 soll man als Arbeitsaufgabe über die Lage und wirtschaftliche Bedeutung von Steyr sprechen. 32 Nicht selten schwingt auch gewisser nationaler Stolz mit; so heißt es bei Becker und Helmer 1963: „Die Erzeugnisse der Steyr-Daimler-Puch AG haben Weltruf." 33 Und Bittermann und Wannerer stellen 1981 fest, dass SteyrTraktoren in allen Kontinenten laufen und von österreichischer Qualitätsarbeit zeugen. 34 Alles in allem aber sind die Texte in den österreichischen Geographiebüchern einander sehr ähnlich: Fast überall wird sowohl von der Eisentradition Steyrs als auch von der Fabrikation der Steyr-Werke gesprochen. Diese Einbettung des Unternehmens in einen regionalen Kontext wird sicherlich dazu beigetragen haben, den Steyr-Werken einen festen Platz im geographischen Gedächtnis der Österreicherinnen zu sichern und sie dadurch im kollektiven Gedächtnis als „typisch österreichisch" zu qualifizieren. Der Mythos „Josef

Werndl"

Der zweite Mythos, der die Steyr-Werke umgibt, handelt vom Firmengründer Josef Werndl. In der Person Werndls besitzen die Steyr-Werke - als weiterer

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Unterschied zu vielen anderen industriellen Großbetrieben Österreichs - eine stark apotheotisierte Gründergestalt. Die Mythisierung Josef Werndls beruht u. a. darauf, dass er einerseits alte Traditionen (die Waffenerzeugung) fortführte, aber zugleich als revolutionärer Neuerer, als Unternehmer im Sinne Schumpeters, auftrat und ein Unternehmen schuf, das zu seiner Zeit seinesgleichen suchte. So verkündete der Geschäftsbericht der „Österreichischen Waffenfabriks-Gesellschaft AG" von 1870 stolz: „Die uns gehörigen Fabriken sind das bedeutendste Waffen-Etablissement der Welt." 35 Zusätzlich zur nationalen Bedeutung seiner wirtschaftlich-technischen Leistungen galt Werndl auch als sozialer Unternehmer. Speziell erwähnt seien hier die Errichtung von Wohnhäusern für Mitarbeiter, eines Arbeiter-Invaliden- und Unterstützungsfonds, eines Konsum- und eines Vorschussvereins, ferner einer Ausspeisung für Arbeiter und Angestellte sowie eines Pensionsfonds für Beamte.36 Dies alles brachte Werndl die Bezeichnung „Vater der Arbeiter" ein. Die Mythisierung Werndls begann bereits zu seinen Lebzeiten. Im In- und Ausland wurde er für seine Verdienste um die Waffenproduktion mit Orden und Ehrungen überhäuft: Komtur des österreichischen Franz-Joseph-Ordens, Ritter des österreichischen Ordens der Eisernen Krone III. Klasse für seine Verdienste um den Hinterlader, Besitzer des Goldenen Verdienstkreuzes mit der Krone, Komtur des königlich sächsischen Albrechtsordens, Offizier der französischen Ehrenlegion, Offizier des italienischen Kronenordens, Kommandeur des Ordens der Rumänischen Krone, Offizier des griechischen Erlöserordens, Kommandeur des portugiesischen Christus-Ordens und Großoffizier des kaiserlich persischen Löwen- und Sonnenordens - um nur die wichtigsten zu nennen. Als Inhaber des österreichischen Ordens der Eisernen Krone III. Klasse wäre Werndl sogar berechtigt gewesen, um Erhebung in den Adelsstand anzusuchen, doch verzichtete er darauf. Nach seinem Tod wurden seine beiden Töchter nobilitiert und konnten damit den Titel „Geborene von Werndl" in Anspruch nehmen. Am 30. August 1880 wurde ihm die Ehrenbürgerwürde der Stadt Steyr verliehen. Als Andenken ließ Josef Graf Lamberg in Werndls Todesjahr 1889 durch den Bildhauer Tilgner eine Bronze-Büste anfertigen, die später den Konferenzsaal der Steyr-Daimler-Puch A.G. zierte. An Werndls Geburts- und Sterbehaus wurden Gedenktafeln angebracht. 1892 stifteten seine beiden Töchter dem Vater zu Ehren in der Stadtpfarrkirche Steyr ein Fenster. Ein eigener Werndlmarsch wurde komponiert. 37 Fünf Jahre nach Werndls Tod, am 10. November 1894, errichteten die Steyrer Bürger auf der Promenade das „Werndldenkmal". Es stellt Josef Werndl in Lebensgröße auf einem fast doppelt so hohen Postament aus geschliffenem Mauthausener Granit dar, in Alltagskleidung, in der Linken zwei Gewehre haltend und mit der Rechten auf die ihn grüßenden Arbeiter weisend.38 Nach Werndl wurde im Wehrgraben in Steyr die Werndlgasse benannt; weiters heißt die Josefgasse im Stadtteil Eysnfeld nach ihm, die Leopoldgasse

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nach seinem Vater, die Anna- und Karolinengasse nach seinen Töchtern und die Ludwiggasse nach seinem Bruder. Aber nicht nur in Steyr, auch in Linz und im 21. Bezirk in Wien wurden ebenfalls noch in der Monarchie Gassen nach Werndl benannt. 39

Werndl-Denkmal in Steyr, Viktor Tilgner (1894)

Der Mythos überdauerte alle Stürme der Zeit. In allen Steyr-Daimler-PuchUnternehmensgeschichten und Oberösterreich-Reiseführern begegnet man ihm. In den Geographie-Schulbüchern kommt Werndl zwar aus Platzgründen namentlich oft nicht vor. In der Oberöstereich-Beilage des Standard-Geschichtsbuches „Zeiten, Völker und Kulturen" dagegen wird z.B. Werndl als „Vater der Arbeiter" eingehend gewürdigt. 40 Und im Konzern selbst war der Werndl-Mythos bis in die jüngste Zeit lebendig: Als die Steyr-Daimler-Puch AG in der Krise steckte, seufzten ehemalige Arbeiterführer: „Ein Werndl gehört her!" 41 Und nach Dutzler war es noch 1998 durchaus möglich, dass einem ein im Steyr-Daimler-Puch-Konzern beschäftigter Arbeiter auf die Frage nach seinem Arbeitgeber antwortete: Ich bin ein „Werndler". 42 Ein Unternehmen mit einem derart starken österreichischen Gründermythos ist wohl schwer als „nicht-österreichisch" vorstellbar.

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Der Mythos „ Steyr-Automobile " Nach dem Beginn der Automobilproduktion entwickelten sich die Steyr-Werke bald zum größten Automobilproduzenten Österreichs. Die elegante Linie der Steyr-Automobile mit ihren Spitzkühlern, die das charakteristische Firmenzeichen der Waffenfabrik trugen, wurden im Straßenbild Österreichs bald außerordentlich populär; so fuhren ζ. B. die Wiener Taxifahrer den „Steyr Typ 30". Zusammen mit Erzeugnissen von Austro-Daimler waren die Steyr-Automobile Repräsentanten Österreichs bei internationalen Automobilausstellungen, z.B. bei der „Olympia Show" in London vom 9. bis 17. Oktober 1925, wo sie von der englischen Presse ausführlich gepriesen wurden. Steyr-Lkw brillierten bei internationalen Tourenfahrten. 43 So war es kein Wunder, dass die Österreicherinnen ihren Wunsch nach einem erschwinglichen Kleinwagens ebenfalls in erster Linie an die Steyr-Werke richteten. Der erste Versuch, den die Steyr-Werke in diese Richtung unternahmen, war 1932 der in Kooperation mit Opel entstandene 1,2 Liter-Kleinwagen Opel-Steyr, der im Volksmund sofort die Bezeichnung „Stoppel" erhielt. Der wirtschaftliche Erfolg blieb durch die Langzeitfolgen der Weltwirtschaftskrise jedoch aus.44 Dem Mythos von Österreich als großer Automobilnation tat dies jedoch im eigenen Land keinen Abbruch. Am 10. Februar 1935 schrieb Georg Henel in der „Neuen Freien Presse": „Österreich besitzt seit Entstehen des Automobilismus eine qualitativ sehr leistungsfähige Automobilindustrie. Die österreichische Automobilindustrie ist kein Kunstprodukt; sie hat ihre natürlichen organischen Grundlagen in der hochentwickelten inländischen Eisen-, Stahl-, Metallund Motorenindustrie, in den altbewährten Wagen- und Karosseriebetrieben, in der technischen Erfindungsgabe und Geschicklichkeit der österreichischen Ingenieure und Arbeiter, in dem ausgezeichneten Geschmack, in der Linienführung und Ausstattung." 1936 brachte Steyr-Daimler-Puch den bereits seit Frühjahr 1935 in Erprobung gestandenen Typ 50 heraus. Dieser als „Steyr Baby" bezeichnete und in verstärkter Form und verbesserter Bauart als Typ 55 bekannte Wagen erwies sich als eine weit vorausschauende Kleinwagen-Konstruktion. Das „Steyr-Baby" wurde vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg mythisch verklärt, als der Wunsch nach einem österreichischen Kleinwagen wieder erklang. 45

Exkurs: Der Mythos „Puch" Bisher war nur von den Vorkriegsmythen der Steyr-Werke die Rede. Dies hat seine Ursache darin, dass der Mythos der Steyr-Werke im Rahmen des Gesamtkonzerns nach der Fusion eine dominierende Stellung erlangte. Mögliche Gründe dafür sind:

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- Größe und Alter: Die Steyr-Werke waren innerhalb des Steyr-DaimlerPuch-Konzerns sowohl das größte wie das älteste der drei Unternehmen, weshalb die Bezeichnung Steyr-Werke manchmal sehr diffus auch für den Gesamtkonzern gebraucht wurde. - Regionale Verbundenheit: Weder die Puch-Werke und Graz noch AustroDaimler und Wiener Neustadt verschmolzen so zu einer Einheit wie Steyr und die Steyr-Werke, wie ja schon der Name andeutet. - Gründermythos: Mit Josef Werndl verfügten die Steyr-Werke auch über den stärksten Gründermythos der drei Unternehmen. -Automobilproduktion: Nachdem die Puch-Werke in Graz 1923 die Produktion von Automobilen eingestellt hatten 46 und der Fuhrpark von AustroDaimler 1933 von Wiener Neustadt nach Steyr übersiedelt war, waren die SteyrWerke der einzige Automobilproduzent innerhalb des Konzerns. Da Autos die prestigeträchtigsten Produkte waren, erhöhte dies logischerweise wiederum das Ansehen der Steyr-Werke. Zu diesen Gründen, welche für die Dominanz des Steyr-Mythos innerhalb des Gesamt-Konzerns sprechen, kommen weiters die Hindernisse, welche einer Aufwertung der anderen Unternehmen im kollektiven Gedächtnis im Weg lagen. Dies trifft vor allem auf Austro-Daimler zu: Trotz hervorragender Produkte war die Assoziation mit dem ursprünglichen Mutterkonzern im Deutschen Reich der Entstehung eines eigenständigen nationalen Mythos wohl eher hinderlich. Hinzu kam, dass durch die Stilllegung der Wiener Neustädter Produktion von Austro-Daimler die Tradition des Unternehmens abbrach und in den Steyr-Werken aufging.

Johann Puch mit Gattin in einem Puch-Automobil, Typ D, Baujahr 1909

Mit Puch verhält es sich da etwas anders: Da sich die Puch-Werke autochthon in Österreich entwickelt hatten und sich auch innerhalb des Gesamtkonzerns ihre eigene Firmenkultur bewahrten, eigneten sie sich durchaus zur Bildung eines Österreich-Mythos. Zwar erlangte Johann Puch nicht dieselbe Berühmtheit wie Josef Werndl und die Einstellung der Automobilproduktion 1923 dürf-

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te der Verankerung des Namens Puch im kollektiven Gedächtnis ebenfalls nicht förderlich gewesen sein. Aber dafür waren die Puch-Werke in der Zwischenkriegszeit auf dem Zweiradsektor absolut dominierend: Puch stellte 1937 49% aller in Österreich angemeldeten Motorräder her. Puchs Anteil an den aus inländischer Produktion stammenden Motorrädern betrug unglaubliche 98 %.47 Bedenkt man weiter, dass Österreich Ende der Zwanzigerjahre das einzige Land der Welt war, in dem es mehr Motorräder als Autos gab,48 kann man ungefähr die Bedeutung ermessen, welche der Marke Puch für das kollektive Gedächtnis zukam. Es bleibt festzuhalten: Von den Vorkriegsmythen der SDPAG, die in der Zweiten Republik perpetuiert werden, sind jene der Steyr-Werke (Eisenstadt Stadt Steyr, Gründer Josef Werndl, Steyr als Auto-Mekka) die wichtigsten. Die Puch-Werke bewahrten sich jedoch durch ihre Dominanz auf dem Zweiradsektor auch vor der Wiederaufnahme der Automobilfertigung 1957 einen Platz im Bewusstsein der Österreicherinnen.

Die Produkte der Steyr-Daimler-Puch AG und ihre Bedeutung für das kollektive Gedächtnis 1945-1998 „Österreich zu Beginn der Fünfzigerjahre. Die Fahrzeuge eines Konzerns beherrschen das Verkehrsbild: Da ist einmal das Steyr Waffenrad, das manchmal schon ein Hilfsmotor unterstützt. Schneller geht es mit den Puch-Motorrädern aller Baujahre. Vereinzelt erblickt man Autos, viele alte Steyr, manchmal auch schon neue Steyr-Fiat. Für den Wiederaufbau rollen Steyr-Lkw und auf den Feldern hört man Steyr-Diesel-Traktore. Kurzum, die Produkte eines Konzerns, der Steyr-Daimler-Puch AG, sind allgegenwärtig." 49 Dieser Text aus dem Jubiläumsheft „40 Jahre Puch" beschreibt anschaulich, wodurch dem Durchschnitts-Österreicher die SDPAG bekannt war und wodurch sie sich ins kollektive Gedächtnis eingrub: durch ihre Fahrzeuge. Deshalb soll nun die Rede sein von den einzelnen Fahrzeuggruppen der SDPAG in der Zweiten Republik und ihrem potenziellen Einfluss auf die Einordnung von Steyr-Daimler-Puch als „typisch österreichisch".

Puch-Zweiräder

und der Traum von der Freiheit in den

Fünfzigerjahren

Jene Produkte der SDPAG, die unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg das Denken des Normalbürgers am meisten beschäftigt haben dürften, sind die Zweiräder von Puch und dabei wiederum die Motorräder im Besonderen. In der frühen Nachkriegszeit diente das Motorrad aufgrund des Mankos an Pkws als Beförderungsmittel des „kleinen Mannes". 50 Die frühe Zweite Republik war ein „Land der Krafträder", wie ein Artikel der Zeitung „Neues Österreich" 1950

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sinnigerweise lautete. 51 Auf 56 Einwohner kam 1950 ein Motorrad. Damit war Österreich nach Schweden das Land mit der höchsten Motorraddichte der Welt.52 Helmut Qualtinger sang damals vom „Wülden auf seiner Maschin'", er „waaß net, wo er hinfahrt, dafür is er schneller durt." 53 Und wenn hier gesagt wird, Österreich sei ein Land der Krafträder gewesen, dann heißt dies auch: Es war das Land von Puch! Die Puch-Werke hatten ja schon vor 1945 den Zweiradsektor dominiert und konnten diese Stellung nach dem Krieg sogar noch ausbauen. 1960 stammten rund 75% aller in Österreich angemeldeten Motorräder und Motorroller von Puch. Bei den im Inland produzierten, gemeldeten Motorrädern war der Prozentsatz mit 92% noch höher.54

Die ersten Nachkriegs-Motorräder der Werke Graz der Steyr-Daimler-Puch A. G. Puch-Moped, Typ MS 50 - Puch-Motorroller, Typ R 125 - Puch-Motorrad, Typ Μ 125

Puch-Motorräder waren - da ein eigenes Automobil für das Gros der Bevölkerung lange unerschwinglich war - für den Durchschnittsösterreicher die Erfüllung seines Wunsches nach Mobilität. Die Nachfrage schien demgemäß unersättlich. Die Erzeugnisse der Puch-Werke waren auf Monate hinaus ausverkauft. Noch zehn Jahre nach Kriegsende (!) empörten sich die Österreicherinnen über die langen Wartefristen für Puch-Motorräder und -roller.55 Unter diesen Umständen behandelte man die begehrten Puch-Maschinen, sofern man das Glück hatte, stolzer Eigentümer zu sein, mit Liebe und Hingabe - fast wie ein Familienmitglied; wunderschön überzeichnet dargestellt in Rolf Wimmers Artikel „Abschied von der Geliebten" in der AZ vom 4. Oktober 1951. Der Autor, der sich gezwungen sieht, seine Vorkriegsmaschine, eine Puch 250, zu verkaufen, führt darin ein letztes Zwiegespräch mit ihr: „Viele Jahre warst du meine treue Freundin, meine Geliebte [...] Du warst strahlend schön, als wir uns kennenlernten, und unabhängig in deiner Lebenslust und jugendlichen Kraft. Wie war ich stolz auf dich! [... Bald saß auf deinem Soziussitz, es war noch vor dem Krieg, ein weibliches Wesen. Diese Dritte in unserem Bunde, sie wurde meine Frau - und nach dem Krieg waren wir gar vier. Dem kleinen Mädchen, das zuletzt dazugekommen war, bist du ja besonders ans Herz gewachsen [...] Aber so kam langsam dein Unheil. Das Mädchen wuchs. Nun kann es wirklich nicht mehr vorn auf der Wanne sitzen, und auf deinem Sozius, da hat auch nur eine Platz. Damit reifte der Entschluss, wir

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müssten an deiner Stelle eine Beiwagenmaschine anschaffen. Bitte, sage nicht: Ist das der Dank für meine Treue, dass ich dich nie im Stich ließ, dass ich dich immer heimbrachte, tags und nachts, bei Schneetreiben oder klebrigheißen Asphaltstraßen [...] bitte schweig, es bricht mir ohnehin fast das Herz!" Soweit Rolf Wimmer 1951. Ab 1952 stellte Puch neben Motorrädern auch Motorroller her, deren Bedeutung für die Mobilität der Österreicherinnen Walter Prskawetz in seinem sehr persönlichen Rückblick von 1985 beschreibt: „Ich wurde zum Rollerfan. Mein ,Puch' hatte die Produktionsnummer 56. Niemals werde ich den Tag vergessen, an dem ich zum erstenmal im Sattel saß und vom Auslieferungslager heimwärts geigelte. Niemals werde ich unseren ersten Ausflug auf die Höhenstraße vergessen, wie meine Frau und ich zum erstenmal auf der Nase lagen. Die Welt hatte auf einmal andere Dimensionen [...] So wurde ich mobil und mit mir Tausende, die, vom Sternzeichen des Motors geleitet, in diesen Fünfzigerjahren ein eigenes Fahrzeug nicht nur als Symbol der persönlichen Freiheit, sondern auch als einen Beweis für eine Art wiedererwachsenden Wohlstand betrachteten." 56

Hochzeitsfahrt mit einem Puch-Motorroller A n f a n g der 1950er-Jahre

Puch-Zweiräder dominierten den Alltag der Österreicherinnen in den Fünfzigerjahren. So waren z.B. auch die ersten Einsatzfahrzeuge der Pannenhilfe des ÖAMTC Motorräder: Puch 250 mit einem eigens konstruierten, bis an den Rand mit Werkzeug und Ersatzteilen vollgestopften Beiwagen. 57 Aber nicht nur wegen ihrer Auffälligkeit im Alltag, sondern auch wegen ihrer internationalen Erfolge mögen sich die Puch-Motorräder den Österreichern

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eingeprägt haben. Schließlich waren Puch-Zweiräder schon Exportschlager, bevor sie überhaupt in Österreich auf dem Markt waren. 58 Da war z.B. die legendäre 250TF, die ab 1948 gebaut wurde; sie erregte bei ihrer Vorstellung großes Aufsehen wegen ihrer richtungweisenden Konstruktion und war die Sensation auf der Genfer Automobilausstellung 1949, wo sie das Prädikat „Schönstes Motorrad der Welt" erhielt. Im August 1951 wurden mit der 250TFS, der Sportversion der 250TF, auf einer Rennstrecke bei Paris zehn (!) neue Weltrekorde aufgestellt. 59 Die Zeitungen aller Couleur lobten daher die Leistungen der Puch-Werke. Besonders taten sich dabei die Kommunisten hervor, um zu beweisen, dass Österreich keine amerikanische Hilfe nötig habe. Am 18. Jänner 1953 schrieb die „Österreichische Volksstimme" z.B., dass auch nach den strengsten internationalen Maßstäben die Erzeugnisse der heimischen Motorradindustrie - vor allem der Marke Puch - unbedingt zur Spitzenklasse zählten. Im Jahr 1954 wurde bei Puch der Gipfelpunkt der stückmäßigen Motorradproduktion mit rund 39.000 Einheiten erreicht. Wenige Jahre später, nach einem rapiden Abfall, war die Motorradproduktion praktisch tot, weil der Trend sich zum Auto hinwendete. 60 Der sinkenden Nachfrage nach Motorrädern begegneten die Puch-Werke ab 1954 mit der Produktion von Mopeds, die ein echter Exportschlager wurden und in der zweiten Hälfte der Siebzigerjahre eine Blüte erreichten. (So war Puch z.B. auf dem wichtigen US-Markt führend.) Die Produktion von Fahrrädern spielte die ganze Zeit über weiter eine wichtige Rolle.61 Den quantitativen Höhepunkt erreichte sie sogar erst in den 1970er-Jahren, als jährlich bis zu 400.000 Fahrräder hergestellt wurden. Die Werbung in Österreich trug dabei durchaus patriotische Züge. So wurde 1968 folgendermaßen ein Konnex zwischen Österreich und den Puchrädern hergestellt: „Österreich ist ein kleines Land, ein ,Mini-Country', und wahrscheinlich trägt auch dies zu seiner Beliebtheit bei samt seinen Mini-Mädchen, seiner Mini-Mode und den Puch-Mini-Fahrrädern." 62 Doch dann ging der Absatz dramatisch zurück. Nachdem die Puch-Werke von 1899 bis 1987 Fahrräder, von 1901 bis 1974 Motorräder, von 1952 bis 1967 Motorroller und von 1954 bis 1987 Mopeds hergestellt hatten, wurde die Zweirad-Sparte des Steyr-Daimler-Puch-Konzerns 1987 an die italienische PiaggioGruppe verkauft und damit das Puchwerk in Graz zu einem reinen Automobilwerk. (Der Markenname „Puch" wurde allerdings von Piaggio miterworben, so dass es nach wie vor Puch-Fahrräder gab.) 63 Ernst Trost 1987 im Rückblick: „Steyr und Puch, das sind Namen, die so lange mit Erfolg und Qualität verbunden waren [...] Als ich ein Rad kaufte, wählte ich selbstverständlich eines von Puch. Und ich denke zurück an die großen Motorradrennen der Nachkriegszeit. Wir freuten uns jedes Mal, wenn Puch gewann." 64 Trotz aller Zweirad-Nostalgie muss freilich bedacht werden, dass durch die Wiederaufnahme der Automobilproduktion bei Puch im Jahre 1957 der PuchAutomythos den Puch-Zweiradmythos zu überstrahlen begonnen hatte. Der

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Betrieb präsentierte sich von da an immer stärker in erster Linie als „Autobauer" und wurde (z.B. in den Schulbüchern) auch so dargestellt. Dennoch bleibt festzuhalten, dass Puch als Motorradproduzent gerade bei jenen, welche die 1950er-Jahre aktiv miterlebten, sicherlich als „Gedächtnisort" von Bedeutung ist.

Der Mythos vom österreichischen

Automobil

Aus der ganzen Palette von Produkten, die Steyr-Daimler-Puch im Laufe der Zeit erzeugt hat, ist das Automobil mit Sicherheit jenes, das den Stolz und die Phantasie - nicht nur der Österreicherinnen - am meisten beflügelt hat. Und da Österreich ja mit den Steyr-Automobilen bereits vor dem Krieg eine eigene Pkw-Produktion besessen hatte, scheint es nur verständlich, dass sich nach 1945 die Hoffnungen diesbezüglich abermals auf die SDPAG richteten. Als erste Partei versuchten die Kommunisten und Linkssozialisten die bewussten und unbewussten Träume der Österreicherinnen von einer nationalen Autoproduktion in der Nachkriegszeit für ihre Zwecke zu nutzen. Geschickt spielten sie auf die lange Tradition der österreichischen Automobilproduktion an und verknüpften damit die Behauptung, der Grund für das Fehlen einer österreichischen Pkw-Erzeugung in der Nachkriegszeit sei die Teilnahme am Marshallplan. Schlagzeilen wie „Krauland plant Liquidierung der Autoindustrie", „Ford greift nach den Steyr-Werken", „Autoindustrie soll liquidiert werden" und „Liquidierung der Autoindustrie [...] Marshallplan verbietet Herstellung von Personenautos in Österreich" 65 geben davon beredtes Zeugnis. Ein Kausalzusammenhang zwischen Marshallplan und Aufgabe resp. Nicht-Wiederaufnahme einer österreichischen Pkw-Erzeugung wurde zwar sowohl vom SPÖOrgan „Arbeiter-Zeitung" (AZ) wie von bürgerlichen und unabhängigen Zeitungen umgehend dementiert. 66 Aber mit der provozierenden Frage „Warum keine Steyr-Autos?" 67 dürften die Kommunisten durchaus eine empfindliche Stelle im Volksbewusstsein getroffen haben. Das Assembling von Fiat-Modellen bei Steyr geriet in dieser aufgeheizten Stimmung zunehmend ins Kreuzfeuer der Kritik.68 Man wartete gespannt auf eine mögliche Wiederaufnahme der Automobilproduktion bei Steyr, doch die hartnäckigen Gerüchte mussten zur allgemeinen Enttäuschung immer wieder dementiert werden. Die Printmedien schienen sehnlich eine nationale Pkw-Erzeugung bei Steyr herbeireden zu wollen. „Wo bleibt der österreichische Personenwagen?" dürfte sich nicht nur die kommunistische Zeitung „Der Abend" gefragt haben.69 Durch die ständigen Spekulationen wurden die Erwartungen der Bevölkerung zusätzlich angeheizt. Als die Wiener Firma Perl ab Mitte 1951 ihren „Perl-Champion 250" herausbrachte, wurde dieser zweisitzige, offene Wagen, welcher zu 70 % ein österreichisches Fabrikat war, bereits vor seinem Verkauf von den Medien begeistert

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als „Österreichischer Volkswagen" gefeiert. 70 Dieses Presseecho zeigt deutlich, wie groß der Wunsch nach einem derartigen Produkt österreichischer Provenienz war. Doch die in den „Perl-Champion 250" gesetzten Erwartungen erfüllten sich nicht. Als möglicher Grund könnte angeführt werden, dass der offene Zweisitzer nicht den Wünschen der Mehrheit der Bevölkerung entsprach. (Nach einer Umfrage der Zeitung „Die Presse" wünschten sich 83 % ihrer Leser einen viersitzigen Innenlenker mit Schiebedach.) 71 Aber auch die Marke mag eine Rolle gespielt haben: Die Firma Perl hatte bei weitem nicht so einen prominenten Namen wie die SDPAG, auf die sich nach wie vor die Erwartungen einer österreichischen Pkw-Produktion fokussierten. Die Frage „Warum keine österreichischen Autos?" 72 mit Anspielung auf die Kapazität der Steyr-Werke schwebte daher auch nach Verkaufsbeginn des „Perl-Champion 250" weiter im Raum. Die abermalige Ankündigung und Dementierung einer Steyr-Pkw-Produktion im Jahr 1952 gehörte da schon fast zur Normalität. 73 Mit Argusaugen wurde von den Medien jede Aktivität von Steyr beobachtet. Dabei wurde schon der Fiat 1900 als erster Personenwagen der Nachkriegszeit mit einem österreichischen Motor gefeiert. 74 Es blieb der Steyr 2000 allerdings das einzige Fiat-Modell mit einem Steyr-Motor. Ansonsten wurden weiter die originalen Turiner Fabrikate in Steyr assembliert. 75 Die Kommunisten konnten weiter gegen Handelsliberalisierung und ausländische Autokonzerne vom Leder ziehen und an den österreichischen Patriotismus appellieren. Unter „Warum erzeugt Steyr keine Pkw?" schrieb am 20. August 1954 die „Österreichische Zeitung": „Die bekannten Steyr-Personenkraftwagenwerke sind zum Montagebetrieb des Fiat-Konzerns geworden [...] Und der österreichische Arbeiter muß zusehen, wie fremde Erzeugnisse das Land überfluten, er darf, wenn es gut geht, wie in Steyr noch fremde Pkws zusammenbauen." Unter „Ein SteyrKleinauto?" versuchte „Die Presse" am 9. März 1955 noch einmal Hoffnung zu machen mit der Meldung, dass Steyr an der Entwicklung eines Kleinwagens arbeite, dämpfte aber zugleich etwaige Erwartungen mit dem Hinweis, dass dieser Prototyp infolge der hohen Investitionskosten und der scharfen Konkurrenz nur für Erkenntnisse im Motorradbau verwendet würde. Obwohl die dauernden Pressemeldungen über eine Pkw-Produktion bei Steyr-Daimler-Puch sich bis 1955 nicht bewahrheiteten, hatten sie doch auch einen wahren Kern: Im Konzern gab es Leute, welche die Aufnahme einer PkwErzeugung befürworteten. So setzte sich v.a. Ing. Wilhelm Rösche, seit 1941 technischer Direktor des neu erbauten Werkes Thondorf, bereits seit 1950 für den Bau eines kleinen Pkw als Kaufobjekt für die Motorrad-Auf- und Aussteiger ein. Dabei waren freilich große Widerstände zu überwinden: Zuerst musste die Konzernleitung überzeugt werden, dass sich eine Pkw-Erzeugung angesichts der Rohstoff- und Kapitalknappheit überhaupt rechne. Und zweitens wollte Rösche ja, dass der Bau des geplanten Kleinwagens in der Fertigungsstätte GrazThondorf und nicht am Traditionsstandort Steyr, auf den die gesamte Öffentlichkeit in erster Linie blickte, erfolgen sollte. Und tatsächlich wurde 1954 im

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Vorstand des Konzerns der Beschluss gefasst, den Bau des Kleinwagens in Graz in Angriff zu nehmen. Ab 1955 wurden die ersten Testversuche mit einem Steyr 4-Takt-Boxermotor unternommen. 76

Das österreichische Traumauto der 1950er-Jahre: Der Steyr-Puch 500

Zwar wurde bei Puch versucht, diese Bemühungen geheim zu halten, aber im Sommer 1955 bekam die Presse Wind davon. Die österreichische Zeitschrift „Motorroller" veröffentlichte bereits im Mai 1955 ein stark retuschiertes Foto des Puch-Prototyps. 77 „Puch baut ein Auto", meldete am 25. August der „Wiener Kurier"; „Puch will Kleinwagen bauen", schrieb am selben Tag „Das kleine Volksblatt" und berichtete weiters, dass dieses Auto weit mehr Platz biete als die bisher bekannten Kleinwagentypen und dass es billiger sein sollte. Die AutoPhantasie der Österreicherinnen hatte neue Nahrung und die Presse versuchte gierig, neue Details zu erhäschen. Am 22. September 1955 druckte „Bild-Telegraf" ein Foto des in geheimen Testfahrten erprobten Modells ab. Noch bevor es überhaupt in Serienproduktion gegangen war, eilte ihm bereits ein sagenhafter Ruf voraus: Die Presse jeder politischen Richtung schrieb im Herbst 1955 nur mehr vom „Puch-Volkswagen". 78 Die Erwartungen strebten dem Siedepunkt entgegen. Als es dann erst zwei Jahre (!) später - im Herbst 1957 - endlich so weit war, brach ein Sturm der Begeisterung in der Presse los. Keine Zeitung oder Zeitschrift, die auf sich hielt, kam an dem kleinen Viersitzer aus Graz vorbei. Die Fachzeitschrift „Motorrad" sprach vom „sagenhaften Puch-Kleinwagen" und erging sich 1958 in immer neuen Lobeshymnen: Der Motor sei „unglaublich elastisch", „unwahrscheinlich drehfreudig", die Federung sei „von den Konstrukteuren ideal gelöst". 79 Die „Südost-Tagespost" aus Graz pries den

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Puch 500 am 20. Oktober 1957 als „Ein Meisterwerk aus Thondorf." In der Wochenschau verkündete der Reporter stolz „den österreichischen Beitrag zur Entwicklung eines leistungsfähigen Kleinwagens". 80 Die Bewährung des neuen Steyr-Daimler-Puch-Kleinwagens im Alltag wurde von allen Zeitungen ganz besonders hervorgehoben. Es ging dabei v.a. um die Verwendung des Wagens in den Berggebieten des Landes. Dabei trat ein weiterer Österreich-Bezug des Puch 500 in den Vordergrund: Er war nicht nur im Inland vom österreichischen Traditionsbetrieb Steyr-Daimler-Puch erzeugt und auf die Wünsche der Österreicherinnen zugeschnitten (billig, geschlossen, viersitzig), sondern er, die „Gemse", der „Bergsteiger", war auch der österreichischen Berglandschaft angepasst. Trotz der italienischen Karosserie galt er dadurch sofort als das österreichische Auto schlechthin! ÖAMTC und ARBO legten sich den Puch 500 als Pannendienstfahrzeuge zu. Für die Post wurde eine Sonderausführung Puch 500 Combi entwickelt. 81 In den Medien erschienen immer neue Erfolgsmeldungen; so fuhr etwa das Kärntner Ehepaar Gretl und Erwin Holzmann vom 6. Jänner bis 6. Mai 1958 mit dem Puch 500 quer durch Afrika, von Kairo bis Kapstadt. 82 Nach rund 10.000 verkauften Exemplaren des Puch 500 wurden 1959 Nachfolge-Modelle präsentiert: Der Puch 500 D (D=Dach), dessen auffälligstes Merkmal ein festes Dach anstelle des durchgehenden Faltverdecks war, sowie der Puch 500 DL (DL=Dach-Luxus), der sich zusätzlich zum festen Dach und den Extras der D-Serie noch durch einen stärkeren Motor auszeichnete. Der Puch 500 DH (DH=Dach-Haflinger) besaß denselben Motor wie das 1959 vorgestellte Allradfahrzeug Haflinger. Die Motorleistung wurde bei den Nachfolgemodellen laufend von den 16 PS des Puch 500 bis auf 40 PS gesteigert. Ab Sommer 1962 gab es das Modell Puch 650 Τ (T=Thondorf), welchem ab Frühjahr 1963 der Puch 650 TR (TR=Thondorf-Rallye) folgte. Gerade um den 650 TR bildeten sich Mythen und Legenden und er sollte sich Jahrzehnte später zum begehrtesten Modell der Steyr-Puch-Produktion entwickeln. 83 Mit diesem Auto wurden Aufsehen erregende Sporterfolge möglich gemacht. So gelang es z.B. 1966 den Rallye-Europameister-Titel zu erlangen. 84 Namentlich die Sporterfolge dürfen für das kollektive Gedächtnis nicht unterschätzt werden, denn der Motorsport erlebte in Österreich Mitte der 1960erJahre einen Höhepunkt. „Wir waren wieder wer", heißt es im Rückblick „40 Jahre Puch 500" der Reihe „Austro Classic", „in diesem Umfeld entstanden neue Zeitschriften wie die Auto Revue, neue Rennstrecken, oder die ersten österreichischen Sportauspuffhersteller". 85 Die gesamte Werbung wurde nun mehr auf das Sportmodell abgestimmt. Auch die Gendarmerie erhielt Steyr-Puch- Fahrzeuge. 86 Von 1957 bis 1969 wurden die Steyr-Puch-Kleinwagen durch ihre moderate Preisgestaltung tatsächlich zu „Volkswagen der Österreicher", für den so bekannte österreichische Persönlichkeiten wie Helmut Qualtinger Werbung machten. Der Puch 500 war an der unteren Grenze von 20.000.- Schilling angesiedelt. Er kostete am Ende seiner Produktionszeit, also 17 Jahre später (!),

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mit vielen technischen und ausstattungsmäßigen Änderungen und auch Verbesserungen versehen, um 9.100 - Schilling mehr als zu Beginn. 87 Mehr oder weniger parallel zur Entwicklung des Steyr-Puch Kleinwagens hatte sich eine Konstruktionsgruppe unter Dipl.-Ing. Erich Ledwinka mit der Konstruktion eines geländegängigen, allradgetriebenen Kleinwagens beschäftigt. Dieser sollte v.a. für die Anforderungen des österreichischen Bundesheeres ausgelegt sein. Als Antriebseinheit wurde der auf 643 cm 3 vergrößerte Zweizylinder-Boxermotor des Kleinwagens gewählt, wie er dann auch z.B. im SteyrPuch 650 Τ verwendet wurde. 88 Mit gemeinsamen Wurzeln und baugleichem Motor zum Puch 500 wurde dann von 1959 bis 1974 das erste Geländefahrzeug mit dem österreichischen Namen „Haflinger" erzeugt, wobei ein Großteil der 16.647 Fahrzeuge an das österreichische Heer und die Schweizer Armee geliefert wurde. An Privatpersonen wurden in Österreich nur insgesamt 2.917 Exemplare verkauft, wobei sich der Haflinger z.B. bei der Jägerschaft großer Beliebtheit erfreute. Der als „Austro-Jeep", „Bergkraxler" etc. bezeichnete Haflinger begründete die moderne Allrad-Tradition des Hauses Steyr-DaimlerPuch. 89 Aufgrund der zahlreichen Ausstattungsvarianten war aber die Produktion derart aufwändig, dass die Wirtschaftlichkeit nicht in den Griff zu bekommen war. Als größerer Nachfolger, der ebenfalls auf den Namen einer österreichischen Pferderasse getauft wurde, stellte man am 17. Mai 1971 den „Pinzgauer" der Presse vor. Die ersten Großkunden waren wiederum die Schweizer Armee und das österreichische Bundesheer. Auch im Einsatz der österreichischen UNOTruppen, v.a. auf den Golan-Höhen, war der Pinzgauer dabei. 90

Haflinger als Stolz österreichischer Militärtechnik: Die englische Königin bei ihrem Österreich-Besuch 1969

Nach Auslaufen des Steyr-Puch-Kleinwagens, Modell Fiat, in der Mitte der 1970er-Jahre blieb - trotz aller Erfolge im Allradsektor - „der Steyr-Traum

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vom Personenauto" 91 lebendig - sowohl in der Bevölkerung wie im Konzern. (So äußerte z.B. noch im April 1991 der Chef der Steyr-Daimler-Puch-Fahrzeugtechnik GesmbH den Wunsch, endlich wieder ein Automobil und nicht nur Komponenten zu erzeugen.) 92 Die Stimmung in der Bevölkerung fasste das Magazin „Profil" im August 1977 folgendermaßen zusammen: „Überall auf der Welt gibt es erfolgreiche Automobil-Manager österreichischer Nationalität - nur nicht in Österreich. Das Land der Kraftfahrt-Pioniere Siegfried Marcus, Ferdinand Porsche und Hans Ledwinka hat unablässig Männer wie Ernst Fiala (VW-Vorstand), Rodolfo Hruska (Technik-Chef bei Alfa Romeo) oder Ferdinand Piech (Audi/NSU-Vorstand) exportiert, die anderen Nationen zu Auto-Hits verhalfen. [...] Vor dem Zweiten Weltkrieg hatte die einst als Waffenfabrik gegründete Autofirma Steyr in Steyr, verschmolzen mit den angesehenen Firmen Puch und Austro-Daimler, in kleiner Stückzahl Limousinen gebaut, deren Qualität die Fachwelt rühmte [...] Warum Österreichs Autoproduktion nach 1945 nicht wieder in Schwung kam, blieb unerklärlich [...] Viele Österreicher haben [...] niemals aufgehört, sich zu grämen, dass die Heimat des Renn-Champions Niki Lauda im Automobilbau seit Jahrzehnten keine Rolle mehr spielt." 93 Um dem als Missstand empfundenen Fehlen einer eigenen Pkw-Produktion abzuhelfen, propagierte Bundeskanzler Bruno Kreisky 1976/77 das Projekt der Erzeugung eines „Austro-Porsche". Dieses Vorhaben hatte zwar primär nichts mit Steyr-Daimler-Puch zu tun, da Kreisky seinen Austro-Pkw ja mit Hilfe von Porsche verwirklichen wollte. Aber durch das große Presseecho auf das Projekt „Austro-Porsche", das Aufrollen der Geschichte des Autolandes Österreich und die von der Regierung veranstalteten Enqueten um das Thema „Soll Österreich Automobile bauen?" lenkten die Aufmerksamkeit fast zwangsläufig auch auf den heimischen Autoproduzenten Steyr-Daimler-Puch. 94 Vor allem als das Phantomprojekt „Austro-Porsche" nicht realisiert wurde, konzentrierten sich die Hoffnungen wieder auf die SDPAG. Diese ging in der Folge Kooperationen mit mehreren bekannten ausländischen Autofabrikanten ein, um wieder Pkws in Österreich zu produzieren. Diese Kooperationen wurden in der Presse ζ. T. mit nationalem Pathos emporstilisiert. So lautete ζ. Β. die Schlagzeile der „Kronenzeitung" am 1. Juli 1978 „Steyr-Daimler-Puch und die Noblen" gemeint waren Nobelmarken Mercedes, Lancia und BMW. Die aus den Kooperationsverträgen hervorgehenden Wagen wurden dann in der Presse mit dem Zusatz „Austro-" bedacht, um ihre nationale Bedeutung zu unterstreichen. Im Folgenden sei eingegangen auf: Puch / Mercedes G, Austro-Diesel Ml sowie auf weitere „Austro-mobile" (Austro-Chrysler, Austro-Mercedes, Austro-Audi). Puch / Mercedes G Als erstes der diversen Kooperationsprojekte von Steyr-Daimler-Puch muss vom Puch G gesprochen werden, da es zeitlich den meisten anderen voranging. Dazu

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kam die nicht zu unterschätzende Tatsache, dass dies ein Wagen war, der - zumindest in Österreich, der Schweiz und in den damaligen Ostblockstaaten noch unter dem Markennamen Puch lief. (In den anderen Ländern wurde er als Mercedes G vertrieben.) Auf der im Jahre 1973 geschlossenen Grundsatzvereinbarung zur Kooperation zwischen SDPAG und der Daimler-Benz AG beruhte der Beschluss, gemeinsam einen Geländewagen zu entwickeln und zu fertigen. Zu diesem Zweck wurde 1977 die GFG (Geländefahrzeug Gesellschaft) mit Sitz in Graz ins Leben gerufen, an der beide Firmen zu je 50% beteiligt waren. Im Februar 1979 wurde der „Austro-Mercedes" der Öffentlichkeit vorgestellt und zwar ausgerechnet in der Wiener Hofburg, im Beisein fast der gesamten Bundesregierung. Die Präsentation glich einem Staatsakt. Und nichts traf die Stimmung so gut wie der Satz, mit dem Bundeskanzler Bruno Kreisky seiner Freude über den neuen Geländewagen Ausdruck verlieh: „Wieder ein .richtiges Automobil', das von Steyr-Daimler-Puch erzeugt wird." 95 Die Tageszeitung „Die Presse" jubelte unter dem Titel „Die glückliche Ehe mit Mercedes. Autos aus Österreich rollen in die weite Welt": „Österreich hat sein eigenes Automobil, ganz wie es die Regierung schon lange wünscht. Nicht reinrassig zwar, weil andere dabei mitmischen, doch diese ,anderen' gereichen dem hiesigen 50%-Teilhaber Steyr-Daimler-Puch durchaus zur Ehre." 96 1982 wurde der Puch G zum meistverkauften österreichischen Geländewagen in der 300.000.- Schilling-Preisklasse. Am 27. Februar 1987 lief der 50.000ste G vom Band in Anwesenheit von Vertretern der Bundesregierung und des Landes Steiermark sowie von Vorstandsmitgliedern von Steyr-Daimler-Puch und Daimler-Benz. 97 Bei internationalen Wettbewerben, wie z.B. der Rallye Paris-Dakar, feierten Puch und Mercedes G Erfolge. Stolz konnte Herfried Teschl, Sprecher der Steyr Fahrzeugtechnik SFT im April 1993 verkünden: „Der Mercedes-Puch G ist anerkanntermaßen der beste Geländewagen der Welt!"98 Austro-Diesel M l Wie zwei Jahre zuvor mit Daimler-Benz gründete Steyr-Daimler-Puch im Dezember 1978 mit BMW die „BMW-Steyr-Motorenbau GesmbH", an der beide Unternehmen zu je 50% beteiligt waren. Geplant war, dort ab 1982 jährlich 100.000 neu entwickelte Pkw-Dieselmotoren zu produzieren. Der projektierte Motor baute - als Antwort auf den Erdölschock und die hohen Benzinpreise von 1974 - auf einer österreichischen Entwicklung von Prof. Hans List auf und wurde in den Medien bald als „Austro-Diesel" gepriesen. Stolz verkündete der „Kurier" am 30. Juni 1978: „Ab 1982 mischt Österreich in der Autoweit kräftig und unübersehbar mit." Und in „Berichte und Informationen" meinte Herbert Kraus: „Der österreichische Diesel wird noch von sich reden machen." 99 Besonderen Wirbel im Medienwald verursachte die Standort-Bestimmung des Diesel-Motorenwerks, da die Produktionsstätte nicht von Anfang an festlag. Graz, Wien und Steyr bewarben sich mit attraktiven Subventionsangeboten.

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Delegationen der Bundesländer Steiermark, Wien und Oberösterreich buhlten bei Bundeskanzler Kreisky um die Unterstützung ihres Standorts. 100 Die Entscheidung fiel schließlich zugunsten von Steyr. Am 21. Juni 1979 machten Bundeskanzler Kreisky und Landeshauptmann Josef Ratzenböck den ersten Spatenstich zur Einleitung der Bauarbeiten. Das bis dahin „größte inländische Industriebauwerk seit dem Zweiten Weltkrieg" wurde als „Jahrhundertbauwerk" gepriesen. 101 Alles schien glatt zu laufen. Noch im Juli 1981 versicherte Vorstandsmitglied Summerauer den termingerechten Produktionsbeginn im Mai 1982. Doch was so euphorisch begonnen hatte, entwickelte sich zu einer scheinbar endlosen Geschichte der Misserfolge. Der Ml-Dieselmotor erlangte nicht termingerecht Serienreife und die Benzinpreise sanken.102 BMW verlor das Interesse an dem Projekt. Zudem legte der Gesellschaftsvertrag fest, dass bei Verzögerung der Entwicklung der jeweils verantwortliche Teil die Kosten zu tragen habe. Da damit Riesenkosten auf Steyr-Daimler-Puch zugekommen wären, trat der Vorstand die Flucht nach vorne an: Knapp drei Jahre nach der Grundsteinlegung verkaufte Steyr-Daimler-Puch seine Anteile am gemeinsamen Dieselmotorenwerk an BMW. Im Gegenzug blieben der Verkaufserlös und die Entwicklungsergebnisse des Ml in Österreich. Da der Verkauf zudem noch ohne vorherige Konsultation des Bundeskanzlers geschah, der sich intensiv für dieses Projekt eingesetzt hatte, war auch der politische Eklat perfekt. Ein verstimmter Kreisky ließ über die Medien verkünden, dass er künftig nicht mehr so viel Zeit für die Steyr-Unternehmensführung haben werde. 103 Einige Tage später flog Kreisky nach München, um u.a. direkt mit BMW zu verhandeln; er konnte etwas beruhigter zurückfliegen, als er erfuhr, dass BMW durchaus weiter an der Entwicklung des Ml interessiert sei und bei Steyr-Daimler-Puch trotz der Trennung weiter an dem Diesel gearbeitet werde.104 Als der Ml-Diesel seit Herbst 1986 endlich serienreif war, stand SteyrDaimler-Puch jedoch vor einem unerwarteten Verkaufsproblem: Das technisch hochstehende Produkt ließ sich nicht absetzen. Nicht ohne Zynismus schrieb die „Wochenpresse" im Mai 1987 unter „Genialer Ladenhüter": „Mit Milliardenaufwand entwickelte der zur CA gehörende Steyr-Konzern nach seiner gescheiterten Ehe mit BMW einen unbestritten revolutionären Pkw-Motor. Einziges Manko: Das Aggregat ist (noch) unverkäuflich." 105 Erst sieben Jahre später (!) fand sich mit Daewoo endlich ein Lizenznehmer für den M l . Nach der damaligen Vereinbarung hätte Daewoo - abhängig von der Anzahl tatsächlich gefertigter Motoren - bis zu 500 Mio. Schilling an Steyr gezahlt. Mit hörbarem Stolz verkündete Steyr-Daimler-Puch-Generaldirektor Streicher deshalb immer wieder: „Abgesehen vom LD-Verfahren der VOEST ist das der größte Lizenzvertrag der Zweiten Republik." 106 1995 konnte eine weitere Lizenz an die russische GAZ vergeben werden, was der „Kurier" mit der patriotischen Schlagzeile „Austro-Diesel für Russland" würdigte. 107 Doch wiederum folgte der Begeisterung die Ernüchterung. Der Ml-Dieselmotor erfüllte die Erwartungen der Ko-

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reaner nicht, wie 1996 bekannt wurde. Die groß angekündigten 500 Mio. Schilling blieben aus.108 Doch bleibt der „Austro-Diesel" nicht nur ein Stück österreichischer Technikgeschichte, sondern auch österreichischer Mentalitätsgeschichte: Als Teil des Traums vom österreichischen Pkw. Weitere „Austro-Mobile" Neben dem Puch / Mercedes G und dem M l kam es in den 1990er-Jahren noch zu zahlreichen weiteren Kooperationen von Steyr-Daimler-Puch mit ausländischen Automobilkonzernen, deren Presseecho weiter den Traum vom österreichischen Automobil erkennen lässt. Bereits 1989 verhandelte Chrysler-Chef Lee Iacocca persönlich über die Produktion von Großraum-Pkws in erheblicher Stückzahl - dicke Schlagzeile der „Kronenzeitung": „Milliardenprojekt Austro-Chrysler". 109 Anfang 1990 war in noch größeren Lettern in der „Neuen AZ" zu lesen: „Jetzt kommt der AustroChrysler" 110 Hintergrund dieser Meldungen: Chrysler schloss mit der SteyrDaimler-Puch Fahrzeugtechnik GesmbH einen Partnerschaftsvertrag zur Gründung eines gemeinsamen 4,3-Milliarden-Schilling-Automobilwerkes „Eurostar" auf dem Traditionsgelände des Puch Konzerns Graz-Thondorf ab, wo u.a. das Chrysler-Modell „Voyager" gebaut werden sollte. 1 " Gemäß eines Urteils des „Standard" erwarb sich Graz - trotz der gewürdigten großen Vergangenheit von Puch 500, Haflinger, Pinzgauer und Puch G - den Ruf als „Automobilhauptstadt Österreichs" erst durch diesen „Austro-Chrysler". 112 Als Mercedes Benz 1995 beschloss, ab 1996 die Allradantriebs-Versionen der Ε-Klasse bei der Steyr-Daimler-Puch-Fahrzeugtechnik in Graz fertigen zu lassen, ging wegen des „Austro-Mercedes" ein ähnlicher Aufruhr durch die Medienwelt wie zuvor beim „Austro-Chrysler". Michael Hann vom „Standard" sah in diesem Projekt die späte Erfüllung der Autoträume von Kanzler Kreisky.113 Und schließlich erhielten auch noch die von Audi bei Puch in Graz Ende 1995 in Auftrag gegebenen Sportwagen TT Coupe und TTS Roadster den Zunamen „Austro-Audi". 114 Zusammenfassend zeigt dieser Abschnitt über den Traum vom österreichischen Auto deutlich die Korrelation dieses Traumes mit der Bedeutung der SDPAG für das kollektive Gedächtnis: Einerseits war der Steyr-Daimler-PuchKonzern zweifellos der größte österreichische Fahrzeughersteller und brannte sich durch Pionierleistungen wie den Puch 500 in das Gedächtnis der Österreicherinnen ein. Andererseits wurde der Konzern dadurch aber auch zur Projektionsfläche von österreichischen automobilistischen Wünschen und Sehnsüchten, weshalb seine Bedeutung für das kollektive Gedächtnis wohl sogar noch höher liegt, als dies allein aufgrund der objektiven Leistungen des Konzerns der Fall wäre.

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Die Nutzfahrzeuge von Steyr-Daimler-Puch

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(Lkw, Traktoren, Busse)

Die Nutzfahrzeuge der SDPAG haben nie ein derart großes Medieninteresse gefunden wie die Motorräder und später die Autos des Konzerns. Als spezifische Investitionsgüter waren sie ja für den Normalverbraucher auch nicht so interessant. Da aber auch sie natürlich vor allem durch ihre Präsenz auf Österreichs Straßen zum Bekanntheitsgrad des Konzerns beigetragen haben, seien sie hier in sehr stark gekürzter Form erwähnt. Lastkraftwagen Die ersten Lkw waren bei Steyr schon 1922 gebaut worden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die serienmäßige Produktion von Lastkraftwagen bereits 1946 wieder aufgenommen, die vorerst allerdings noch mit einem Benzinmotor ausgerüstet waren. 1948 folgte dann der erste Diesel-Lkw. Aus diesen frühen Modellen wurde ein Nutzfahrzeug-Programm im Baukasten-System entwickelt, das es gestattete, eine weitgespannte Modellreihe von Lastkraftwagen und Traktoren (s.u.) anzubieten, die Einzelteile aber trotzdem in rationeller Großserienfertigung herzustellen. Dadurch entwickelte sich die SDPAG zu einem namhaften Lkw-Produzenten, der in Österreich die Marktführerschaft innehatte. Daran änderte auch 1989 der Verkauf der Steyr Nutzfahrzeug AG (SNF AG) an MAN nichts. Weiter wurden in Steyr Lkw erzeugt - auch unter der Marke „Steyr", da MAN eine konsequente „Zwei-Marken-Strategie" verfolgte. Bei den mittelschweren Lkw etwa kam die dominante Stellung 1992 mit 46,6 %-Marktanteil zum Ausdruck. Das bedeutete, dass jeder zweite in Österreich zugelassene mittelschwere Lkw von der SNF AG produziert wurde.115 In die Schlagzeilen war die Sparte Lkw zuvor vor allem wegen z.T. abenteuerlicher Auslandsinvestitionen geraten. So wurde 1972 die Steyr-Hellas Industrie AG gegründet unter der Prämisse, dass durch eine Importsperre der gesamte griechische Markt für Steyr-Daimler-Puch-Produkte geschützt würde; überdies verpflichtete sich die griechische Regierung zur Abnahme von ca. 3.000 Lkw und 6.000 Traktoren pro Jahr, worauf in Thessaloniki ein Assemblingwerk errichtet wurde. Nach dem EG-Beitritt Griechenlands brach für Steyr-DaimlerPuch der geschützte Markt jedoch weg. 1976 wurde die Steyr-Nigeria Ltd. gegründet, um im nigerianischen Bauchi buchstäblich auf der grünen Wiese ein Lkw-Werk aus dem Boden zu stampfen, das im Juli 1979 eröffnet werden konnte. Mit dem Verfall der Preise für Erdöl, aus dessen Export Nigeria 97% aller Deviseneriöse erzielte, wurde auch dieses Projekt ein Verlustgeschäft. Zuletzt sei noch der im Dezember 1983 mit der VR China fixierte Lizenzvertrag erwähnt, auf den Steyr-Daimler-Puch größte Hoffnungen setzte. Im Rahmen des Vertrages war die Lieferung von in Steyr produzierten und zerlegten Lkw vorgesehen, die in China zusammengebaut werden sollten. Nachdem im Jahr 1984/85 alle Vertragspunkte plangemäß realisiert und 1.100 Lkw geliefert

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werden konnten, verfügte China eine Importdrosselung, welche auch dieses Geschäft abwürgte. 116 Besser ging es in den USA. In nur knapp 14 Monaten entwickelten die Steyr-Ingenieure eine völlig neue Militär-Lkw-Reihe. Die USArmee prüfte die austro-amerikanischen Lkw ein ganzes Jahr lang, ehe diese im Oktober 1991 den Zuschlag erhielten. Dies wurde in der SDPAG euphorisch unter dem Titel „Steyr erobert Amerika" gefeiert und stellte einen riesigen Imageerfolg dar." 7 Traktoren Der Grundstein für die österreichische Traktorenfertigung war 1917 in den damaligen Daimler-Werken in Wiener Neustadt mit der Herstellung des sog. „Daimler-Pferdes" gelegt worden. Die Puch-Werke in Graz waren 1919 mit dem „Puch-Excelsior-Motorpflug" in die Landmaschinenproduktion eingestiegen. 118 Der erste im Bereich Steyr entwickelte Traktor stammte aus dem Jahr 1928, doch spielte diese Produktgruppe vor dem Zweiten Weltkrieg nur eine untergeordnete Rolle. Dies änderte sich nach 1945 radikal: 1947 setzte die Nachkriegsfertigung von Traktoren ein. Der Typ „180", der auch 40 Jahre später noch auf Österreichs Fluren zu finden war, wurde im Baukastensystem mit dem ersten Steyr-Diesel-Lkw gefertigt. Bald war die Traktorenerzeugung der wesentlichste Produktionszweig des Hauptwerkes Steyr. Um auch den verschiedenen Betriebsgrößen und Einsatzverhältnissen im Export gerecht zu werden, wurde ein umfangreiches Programm mit Traktoren von 15 bis 68 PS eingeführt. Ergänzt wurde dieses Angebot durch das „Steyr-Agrar-System", ein System von Traktor-Zusatzgeräten, das Steyr gemeinsam mit verschiedenen Erzeugerfirmen landwirtschaftlicher Geräte aufbaute und ständig weiterentwickelte. Steyr-Daimler-Puch erzeugte für dieses Programm selbst Mähbalken, Seilwinden, Riemenscheiben und Gelenkwellen sowie Frontlager und seit 1963 den legendären Ladewagen „Hamster"; weiters Fördergeräte, wie Heugreifer, Dungbahn-Anlagen und Gebläse aller Art.119 Zum hundertjährigen Jubiläum der Steyr-Werke wurde 1964 der Steyr-Allrad-Traktor geboren. Die Siebzigerjahre waren durch Verbesserungen auf dem Gebiet der Wirtschaftlichkeit und des Komforts gekennzeichnet, was u.a. die Entwicklung der Serie „80" mit integrierten Kabinen, sparsamen Motoren und zentralem Allradantrieb nach sich zog. Seit den frühen Achtzigerjahren hatte die Sparte Traktoren zunehmend mit Absatzschwierigkeiten zu kämpfen. 120 Trotz sinkender Marktanteile war Steyr als Traktorenhersteller in Österreich noch Anfang der Neunzigerjahre mit 30% Marktführer. Insgesamt wurden seit Beginn der Serienfertigung im Jahr 1947 bis 1992 450.000 Traktoren erzeugt, wovon 260.000 im Inland abgesetzt werden konnten. 80% dieser motorisierten Ackergäule waren 1993 noch im Einsatz, d.h. die österreichische Landwirtschaft wurde von Steyr-Produkten dominiert.121 Und das während der gesamten Nachkriegszeit. So erhielten Steyr-Trak-

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toren damals auch bei den Wahlen zum „Traktor des Jahres" in der Abonnement-Zeitschrift „Der fortschrittliche Landwirt" häufig den ersten Platz.

Der erste Nachkriegs-Generation von Nutzfahrzeugen der Steyr-Daimler-Puch A. G. Steyr-Diesel-Omnibus, Typ 380a - Steyr-Diesel-Traktor, Typ 180 Steyr-Benzin-Lastkraftwagen, Typ 370

Am bedeutendsten für das kollektive Gedächtnis dürfte die Traktorfertigung jedoch in der unmittelbaren Nachkriegszeit gewesen sein. Damals war nicht nur noch ein weit größerer Teil der österreichischen Bevölkerung in der Landwirtschaft beschäftigt, sondern die Landwirtschaft war damals auch bereit zu investieren, da sie ihre Produkte nach dem Krieg reißend absetzen konnte. 122 Wie stark die Zunahme von Traktoren war, zeigt ein Vergleich zwischen 1937 und 1950: Traktoren und Zugmaschinen, deren Zahl in Österreich vor dem Krieg lediglich 234 betrug, waren 1950 bereits zu 14.000 Stück vorhanden. Das bedeutete eine Steigerung gegenüber 1937 von 6.250%! Wenn man bedenkt, dass Steyr in Österreich Marktführer war, kann man die damalige Bedeutung der Steyr-Traktoren für die Landwirtschaft ermessen. 123 Steyr-Traktoren waren die bevorzugten Ausstellungsstücke bei den frühen Wiener Automobilschauen. (Die Puch-Werke stellten Motorräder aus.)124 Und Steyr-Traktoren waren von Beginn an auch vielgepriesene Exportschlager. Steyr wurde zu einem der größten Traktorenproduzenten Europas. Bereits 1948 erwartete man schon Lieferaufträge für die nordischen Staaten, Südafrika, die

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Türkei und Südamerika. 125 So verkündete z.B. der Sprecher der „Austria Wochenschau" 1967 stolz: „Durch diese Entwicklung eines neuartigen Traktors des Steyr 70, eines modernen Universalgerätes, hat dieses Industrieunternehmen Österreichs seine Leistungsfähigkeit bewiesen. Die neuen Traktoren [...] tragen dazu bei, dass dieser wichtige Betrieb im internationalen Konkurrenzkampf seinen Platz behaupten kann." 126 Noch 1981 stand in dem Geographie-Arbeitsbuch „Geographie und Wirtschaftskunde" ein Symbol für die Produktionstätigkeit der Steyr-Werke: Der Traktor. 127 Busse Neben Lkw und Traktoren erzeugte die SDPAG auch Busse, die ebenfalls in der unmittelbaren Nachkriegszeit ein besonders starkes Presseecho fanden. So z.B. beschrieben Zeitungen jeder Couleur im Oktober 1948 die „romantische Versuchsfahrt" des neuen Diesel-Autobustyps von Steyr zum Großglockner. 128 Nach diesen Anfängen der Nachkriegsproduktion prägten Steyr-Busse in Österreich lange den öffentlichen Verkehr entscheidend mit. Post und ÖBB benützten Steyr-Busse ebenso wie die Verkehrsbetriebe der österreichischen Großstädte Wien, Linz und Graz. In Wien fuhr - als besonderer Werbeerfolg für die SDPAG - der erste „Hundertwasserbus". 129

Steyr-Daimler-Puch und die Politik Was hat Steyr-Daimler-Puch mit der Politik zu tun? Bereits in der bisherigen Betrachtung spielte die Politik eine Rolle, z.B. bei den Diskussionen über eine Wiederaufnahme der Pkw-Produktion. Doch was bislang über die Beziehungen von Steyr-Daimler-Puch zur Politik gesagt wurde, hätte jedes Privatunternehmen treffen können. Und die SDPAG, deren Aktien nach der Notierung an der Wiener Börse im Jänner 1963 auch an der Frankfurter und Münchner Börse eingeführt worden waren, legte stets großen Wert darauf, sich als das größte Privatunternehmen Österreichs zu bezeichnen, wie z.B. in ihrer Festschrift zum hundertjährigen Bestehen 1964, und in anderen vom Unternehmen herausgegebenen Darstellungen. 130 Der Terminus „größtes Privatunternehmen Österreichs" wurde denn auch in diversen wissenschaftlichen Arbeiten bemüht und dadurch quasi zu einer Standardcharakterisierung für Steyr-Daimler-Puch. 131 Tatsächlich aber hatte die ehemalige SDPAG mehr mit einem verstaatlichten Unternehmen gemein, als diese Bezeichnung vermuten lässt, und zwar: Erstens den Staat als Mehrheitseigentümer und - daraus folgend - zweitens die Besetzung von Schlüsselpositionen des Unternehmens mit Managern der verstaatlichten Industrie, drittens den Staat als Nachfrager nach Steyr-Daimler-Puch-Produkten zur Arbeitsplatzsicherung resp. aus Autarkiebestrebungen

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im Militärbereich und schließlich viertens ähnliche Probleme wie die verstaatlichte Industrie (nach Boom in der Wiederaufbauzeit eine Krise in den 1980erJahren). Die Gründe für die derart starke Vernetzung der SDPAG mit der österreichischen Politik - welche natürlich ein weiteres Argument darstellt, um das Unternehmen als „typisch österreichisch" zu bezeichnen - liegen weit zurück. Die SDPAG (resp. vor deren Gründung 1935 die Steyr-Werke) war stets eines der bedeutendsten Industrieunternehmen Österreichs. So war die SDPAG 1937 - gemessen an der Anzahl der Beschäftigten - das zweitgrößte österreichische Unternehmen. 132 Sowohl aus beschäftigungspolitischen Gründen als auch wegen der Produkte, die für die Landesverteidigung wichtig waren, erweckte der Konzern seit jeher das Interesse der Politiker. Als nach dem Zweiten Weltkrieg die Grundindustrie verstaatlicht wurde, verlangte der sozialistische Entwurf auch die Einbeziehung der gesamten Fahrzeugindustrie, allen voran der SDPAG. 1 3 3 Dies wurde zwar durch die Weigerung der ÖVP verhindert, doch dafür verstaatlichte man den Bankensektor. Da sich der Mehrheitsanteil der Steyr-DaimlerPuch-Aktien im Besitz der nunmehr verstaatlichten Creditanstalt (CA) befand, gehörte Steyr-Daimler-Puch von da an zu jenen Betrieben, welche als „indirekt verstaatlichte Unternehmungen" bezeichnet worden sind. Dabei sah die politische Einflussnahme folgendermaßen aus: Aufsichtsratsvorsitzender der SDPAG war der jeweilige CA-Generaldirektor, der letztlich wieder vom Bundeskanzler bestellt wurde. 134 Eine zusätzliche Politisierung erfuhr der Konzern dadurch, dass die wichtigsten Betriebsräte der SDPAG sowohl Mitglieder des Aufsichtsrates des Konzerns als auch des Nationalrates (bzw. auf kommunaler Ebene auch des Gemeinde- und Stadtrats) waren. 135 Demzufolge war die SDPAG trotz des Status eines Privatunternehmens - ähnlich wie die verstaatlichten Unternehmen an übergeordnete sozialpolitische Verpflichtungen sowie an die Erfüllung eines gemeinwirtschaftlichen Auftrages gebunden und damit einer strengen Parteienkontrolle unterworfen, die durch die proporzmäßige Aufteilung von wesentlichen Stellen vorgenommen wurde. 136 Der Bevölkerung war die Eingliederung der SDPAG in die staatliche Wirtschaftspolitik diffus bewusst. So glaubte - trotz der ständigen Beteuerungen, es handle sich um das „größte Privatunternehmen Österreichs" - gemäß Umfragen aus den 1970er- und 1980erJahren ein Drittel der österreichischen Bevölkerung, dass die SDPAG ein staatliches Unternehmen sei. 137 Die staatliche Wirtschaftspolitik in Österreich aber war - vereinfacht ausgedrückt - lange durch folgende Prinzipien geprägt: Eigenversorgung vor internationaler Konkurrenzfähigkeit; Schutzzoll vor freier Marktwirtschaft; Vollbeschäftigung vor Wirtschaftlichkeit; Dividenden und Rücklagezinsen vor gezielten Reinvestitionen und Wachstum. 138 In dieses System wurde von Anfang an auch die SDPAG eingegliedert. Gleich nach dem Zweiten Weltkrieg profitierte der Konzern z . B . davon, dass ein Importverbot für Motorräder bis zu 350 ccm - d.h. in den Hubraumklassen, die Puch produzierte - erlassen wurde. Die

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Puch-Werke konnten dadurch ihre Motorräder bis in die 1950er-Jahre praktisch konkurrenzlos absetzen. 139 In noch stärkere Abhängigkeit vom Staat kam die SDPAG durch den Erwerb der Aktienmajorität der „Österreichischen Saurerwerke AG", WienSimmering, im Frühjahr 1959, wo der Konzern neben schweren Lkw und Omnibussen auch Schützenpanzer für das österreichische Bundesheer fertigte. 140 Damit begann der Staat - über das Bundesheer - neben seiner Position als größter Aktionär auch als Kunde der SDPAG eine immer größere Rolle zu spielen. Die Politiker forcierten aus arbeitsmarkt- und autarkiepolitischen Gründen die Vernunftehe zwischen Steyr-Daimler-Puch und dem österreichischen Bundesheer. So erzeugte Steyr-Daimler-Puch das beim Heer gebräuchliche Einheitsgewehr StG 77. Im Bereich der Militärfahrzeuge nahm das Bundesheer bis 1985 etwa 4.000 Stück „Pinzgauer", 1.200 Puch G und tausende Lkw ab, so dass Steyr etwa 90% des Fahrzeugparks des Bundesheeres stellte. In der Austria-Wochenschau, in der 1967 Steyr-Lastwagen für das Bundesheer zu sehen waren, hieß es: „In der Wiener Fasangartenkaserne werden 133 Lastkraftwagen, die soeben von den Steyr-Daimler-Puch-Werken fertiggestellt wurden, dem Bundesheer übergeben. Verteidigungsminister Dr. Prader wies in seiner Rede auf die Notwendigkeit der Modernisierung gerade bei der Heeresmotorisierung hin und betonte die gute Zusammenarbeit mit der österreichischen Fahrzeugindustrie, woraus auch Auslandsaufträge erwuchsen." 141 Im Hinblick auf das kollektiven Gedächtnis ist die Belieferung des Bundesheeres natürlich von immenser Wichtigkeit, denn sie bedeutet nichts weniger als dass sehr viele Österreicher im nationalen Kontext des Militärdienstes mit Steyr-Daimler-Puch-Produkten in Berührung kamen. Wirtschaftlich barg die Ausweitung des militärischen Sektors bei Steyr-Daimler-Puch allerdings beträchtliche Risken, denn um rentabel zu produzieren, genügten die Lieferungen an das österreichische Bundesheer allein nicht, sondern Waffen mussten auch in großem Stile ausgeführt werden. Durch die Exporterfolge expandierte bei Steyr-Daimler-Puch die Produktion von Kriegsgeräten. Doch als im österreichischen Nationalrat als Reaktion auf die so genannte Munitionsaffäre - aus den Heeresbeständen waren Waffen und Munition an den damals mit dem Libanon kriegführenden Staat Syrien geliefert worden - das Bundesgesetz vom 18. Oktober 1977 über die Ein-, Aus- und Durchfuhr von Kriegsmaterial beschlossen wurde, begannen die Probleme. Waffen durften, diesem Gesetz zufolge, insbesondere an jene Staaten nicht mehr geliefert werden, die in einen bewaffneten Konflikt verwickelt waren oder wo sich ein solcher ankündigte, und/oder wo schwere und wiederholte Menschenrechtsverletzungen begangen wurden. Nun wirkte sich aus, dass Steyr vor allem an Dritte-Welt-Länder lieferte. 142 Unter massivem Druck der sensibilisierten Öffentlichkeit kam es zum Widerruf einer bereits erteilten Exportgenehmigung für Panzerlieferungen nach Chile. Es war dies eine Entscheidung, die bei einem geplanten Auftragsvolu-

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men von rund 2,1 Mrd. Schilling einen dementsprechenden „Negativposten" in der Bilanz der SDPAG verursachte. Die gefertigten Panzer mussten zur Gänze abgeschrieben werden, die Folge waren „Cash-Verluste" in der Höhe von 1,5 Mrd. Schilling. In den Jahren 1983 und 1984 wurden lediglich 27 Panzer in den südamerikanischen Raum verkauft. Mit dem vormals größten Markt für SteyrDaimler-Puch-Waffen konnten keine Geschäfte über Kriegsmaterialien mehr abgeschlossen werden. Das Auslands-Image der SDPAG als zuverlässiger Waffenexporteur war zerstört. 143 Die österreichische Bundesregierung versuchte, da sie diese Katastrophe j a herbeigeführt hatte, den Konzern durch eine Unzahl von Staatsaufträgen und -eingriffen über Wasser zu halten. So wurde das Bundesheer 1983/84 genötigt, der SDPAG 48 Jagdpanzer abzunehmen, für die es zunächst überhaupt keine Verwendung hatte und sie deshalb bei dem Unternehmen auf Halde stehen ließ. 144 Ende 1985 wurde ein Vertrag über die Lieferung von 1.000 neuen MittelklasseLkw an das Bundesheer unterzeichnet. Die SDPAG erhielt diesen Auftrag, obwohl nicht sie, sondern der deutsche MAN-Konzern Bestbieter war, was wiederum die politische Bevorzugung von Steyr-Daimler-Puch zeigte. 145 Durch die Politisierung der Panzergeschäfte trat die SDPAG als Lkw-, Traktoren· und Zweiradproduzent in der Öffentlichkeit zurück und wurde - zusätzlich zu den finanziellen Problemen - als „Panzermacher" auch noch zum Feindbild der alternativen Szene: Ab 1983 erwarben Mitglieder der Initiative „SteyrAktionäre für Umrüstung" jeweils eine Steyr-Daimler-Puch-Aktie mit dem einzigen Ziel, bei den jährlichen Hauptversammlungen Vorstand und Aufsichtsrat mit teils unangenehmen, teils humoristischen Fragen zu ärgern. Die Anwesenheit von mit Jeans und T-Shirt („Schwerter zu Pflugscharen") bekleideten Kleinaktionären - darunter auch die Wiener Touristenattraktion „Waluliso" mit Leintuch, Stab und Apfel - zwischen seriös dreinblickenden Anteilseignern im Nadelstreif verfehlte ihre Medienwirkung nicht. 146 Doch waren die Proteste der Rüstungsgegner bei weitem nicht die einzigen Negativschlagzeilen über Steyr-Daimler-Puch. Der verheerenden Finanzlage des Konzerns folgten die Entlassungen 147 und das Feilschen um staatliche Unterstützung. 148 Eine Bereinigung der angespannten wirtschaftlichen Situation der SDPAG war letztendlich nur mehr mit Finanzhilfe des Staates möglich. Um das Unternehmen sanieren zu können, waren Zuschussleistungen in Milliardenhöhe erforderlich - sowohl für die Abdeckung der enormen Abwertungsverluste für die auf Halde stehenden Panzer als auch für die Finanzierung eines Forschungs- und Entwicklungsprogramms sowie eines Sonderinvestitionsprogramms. Um ein drastisches Sparprogramm durchzuführen, wurde auch das Management ausgewechselt: Generaldirektor Malzacher musste am 30. Juni 1986 seinen Sessel räumen. Statt ihm kam aus der verstaatlichten Industrie Rudolf Streicher. Er hatte sich bereits um die Sanierung der verstaatlichten Austria Metall AG (AMAG) verdient gemacht und wurde (außer für Steyr-DaimlerPuch) für drei weitere Top-Positionen in der verstaatlichten Industrie (VOEST,

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CA oder weiterhin AM AG) gehandelt. 149 Nach nur acht Wochen verließ Streicher jedoch die SDPAG schon wieder, um Verstaatlichtenminister zu werden, was die enge Verzahnung von Steyr-Daimler-Puch und der österreichischen Politik unterstreicht. Unter seinem Nachfolger Otto Voisard wurde der Konzern mehrfach redimensioniert und reorganisiert, wobei nicht mehr lukrative Bereiche abgestoßen wurden. Da die Käufer dieser Steyr-Daimler-Puch-Teilbereiche stets ausländische Multis waren, führte jeder Verkauf zu einer lebhaften Mediendiskussion über den Ausverkauf Österreichs. Den Beginn machte - wie erwähnt - die Sparte Zweirad. Als die Verkaufsabsichten publik wurden, wurden eine Bürgerinitiative „Rettet das Puch-Zweiradwerk" gegründet und Briefe an den Bundeskanzler geschrieben. Mit einem Puch-Gipfel versuchte der steirische Landeshauptmann Josef Krainer, das „industrielle Wahrzeichen" von Graz zu retten. 150 Die Kommunisten behaupteten gar, es bestehe kein Grund, den Betrieb aus wirtschaftlichen Gründen zu schließen. In Wirklichkeit gehe es darum, wieder einen österreichischen Betrieb ans Ausland zu verscherbeln - eine Parallele zum angeblichen Verzicht auf eine eigene Pkw-Produktion nach dem Zweiten Weltkrieg zugunsten westlicher Autokonzerne. 151 Schlagzeilen der kommunistischen Tageszeitung „Volksstimme" lauteten u.a.: „Puch muss österreichisch bleiben!" (20. Dezember 1986) und „Ein österreichisches Traditionsprodukt soll einfach abgeschafft werden" (18. Februar 1987). Als alle Rettungsversuche nichts fruchteten, forderte die Bürgerinitiative „Rettet das Puch-Zweiradwerk" die Belegschaft der SDPAG, die Grazer, steirischen und österreichischen Arbeitnehmer auf, ihre Gehaltskonten beim Eigentümer der SDPAG, der CA, aufzulösen, und appellierte an die Unternehmer, ihre Geschäftskonten und Kreditgeschäfte bei der CA sistieren zu lassen.152 Auch auf bürgerlicher Seite wurde der Verkauf der Puch-Zweiradwerke als nationale Katastrophe empfunden. Nur sah man darin keine Verschwörung der internationalen Konzerne, sondern die Folgen sozialistischer Misswirtschaft. Exemplarisch sei hier der Kommentar von Hans Rauscher aus dem „Kurier" zitiert: „Der Verkauf der Zweiradproduktion von Puch an eine italienische FiatTochter scheint eine Tragödie zu sein, die über den bloßen Verlust von Arbeitsplätzen hinausgeht. Was da mitverkauft wird, ist nämlich eine brandneue, von österreichischem Ingenieurgeist entwickelte Umwelttechnologie [...] Das aber ist ein Paradebeispiel für die Strukturprobleme, an denen Österreichs traditionelle Industrie und da wieder die verstaatlichte oder indirekt verstaatlichte wie Steyr-Daimler-Puch leiden [...] Warum wurde da nicht früher etwas geändert? Erraten, wegen des , Vorrangs der Arbeitsplatzsicherung', dekretiert von Kanzler Kreisky, exekutiert von Finanzminister Androsch, applaudiert von Landeshauptmann Krainer. So entsteht eine österreichische Industrie-Tragödie." 153 Heftige Parlamentsdebatten über die SDPAG und ihren Finanzbedarf sorgten für zusätzliche Aufregung. So behauptete der freiheitliche Abgeordnete

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Holger Bauer, die SDPAG benötige noch im selben Jahr 15 Milliarden Schilling an staatlichen Zuschüssen und der grüne Abgeordnete Peter Pilz warf dem Konzern „frisierte Bilanzen" vor. Daraufhin klagte die SDPAG beide Abgeordnete wegen Verleumdung und Rufmord. 154 Die finanziellen Probleme aber blieben und sorgten weiter für Schlagzeilen. Und der Staat setzte seine Unterstützung fort: Für den Bau eines LkwAssemblingwerkes in China und die Lieferung von Ersatzteilen sollte SteyrDaimler-Puch einen mit nur 5 % verzinsten Exportkredit erhalten. Die Differenz zum geltenden Marktzinssatz wollte die Regierung aus dem Staatshaushalt decken. 155 Als Steyr-Daimler-Puch einen lärmarmen Lkw entwickelte hatte, erließ Verkehrsminister und Ex-Steyr-Generaldirektor Rudolf Streicher ein Nachtfahrverbot für Lkw über 7,5 t Gesamtgewicht und gab die Förderung von Umrüstung resp. Anschaffung lärmarmer Lkw aus Mitteln der Ökomaut bekannt. Da Steyr-Daimler-Puch der einzige Nutzfahrzeuganbieter war, der zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Nachtfahrverbotes am 1. Dezember 1989 entsprechend leise Lkw anbieten konnte, verschaffte der Minister dem Konzern dadurch einen wichtigen Vorsprung vor der Konkurrenz. 156 Trotz aller Förderungen begann sich abzuzeichnen, dass auch die Sparte Lkw - immerhin die Hauptaktivität des Hauptwerkes Steyr - verkauft würde. Nachdem gegen die Stilllegung des Werkes Letten (1987) und den Verkauf des Gusswerkes II und des Wälzlagers (1988) in den Medien verhältnismäßig wenig protestiert worden war, kochten beim Gedanken eines Verkaufs der Traditionssparte Lkw an ausländische Konzerne die nationalen Gefühle wieder hoch. Otto Treml, KPÖ-Gemeinderat in Steyr, warnte bereits im Herbst 1987: „Die Verteidigung des Steyrer Hauptwerkes ist aber mehr als die Verteidigung von Arbeitsplätzen. Es geht um die Unabhängigkeit und den Bestand der österreichischen Fahrzeugindustrie, um einen Betrieb, der durch die Qualitätsarbeit seiner Arbeiter, Angestellten und Techniker in der ganzen Welt bekannt wurde und damit auch den Namen unserer Stadt mit Weltruf belegte." 157 Die Sparte Lkw ging - wie erwähnt - 1989 an den deutschen MAN-Konzern, die Sparte Omnibus ein Jahr später an Volvo. 1992 zeigte sich nochmals die Verflechtung von Steyr-Daimler-Puch mit der österreichischen Politik: Nach dem Tod von Generaldirektor Voisard wurde Verkehrsminister Streicher von neuem Generaldirektor der SDPAG. Zuvor war er im Präsidentschaftswahlkampf dem ÖVP-Kandidaten Thomas Klestil unterlegen und als künftiger Chef von ÖMV und VA Stahl AG gehandelt worden. 158 Über den Lizenzvertrag um den Ml-Dieselmotor 1994 ergaben sich enge Kontakte zum koreanischen Autohersteiler Daewoo, die 1995 zu konkreten Plänen der CA führten, ihr gesamtes 65 %-Aktienpaket an Steyr-Daimler-Puch zu verkaufen, was einen Riesenwirbel in den österreichischen Medien auslöste. 159 Zwei besonders markante Zitate: „Steyr-Werke: 131 Jahre unter rotweißroter Flagge [...] Mit dem Verkauf von Teilen des Steyr-Daimler-Puch-Konzerns an den koreanischen Autohersteiler Daewoo endet ein Kapitel heimischer Wirt-

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schaftsgeschichte, das vor 131 Jahren mit der Waffenfabrik Werndl in der alten Eisenstadt Steyr begann." 160 „Der Ausverkauf der österreichischen Industrie schreitet hurtig voran. Am Donnerstag unterzeichnete die CA eine Absichtserklärung, in der sie sich verpflichtete, 65% einer vorher abgeschlankten Steyr-Daimler-Puch AG an den koreanischen Autohersteller Daewoo abzutreten. Damit geht ein weiteres traditionsreiches heimisches Industrieunternehmen mehrheitlich in ausländischen Besitz über. Den gleichen Weg haben vorher schon die Steyr Nutzfahrzeuge und ÖAF angetreten, die von der deutschen MAN geschluckt wurden [...] Grundsätzlich ist gegen die Internationalisierung der heimischen Industrie nichts einzuwenden. Wenn Österreicher nicht in der Lage sind, diese Betriebe ordentlich zu führen, dann müssen eben Ausländer in die Bresche springen, die das sehr wohl können. Langfristig ist diese Entwicklung aber gefährlich, weil in der Regel mit den Schaltzentralen auch die Forschungskompetenz ins Ausland abwandert. Was bleibt, sind verlängerte Werkbänke, über die nach Belieben disponiert werden kann. Die bisherige Alternative der Österreicher, dann eben zum Volk der Kellner und Dienstmädchen, der Sänger, Tänzer und Geiger - kurzum: zu einem einzigen großen Musikantenstadl - zu werden, ist auch nicht mehr so vielversprechend, seit die Touristen entferntere Regionen der Erde entdeckt haben und um Österreich zunehmend einen Umweg machen." 161 Doch die Ausverkaufspanik kam zu früh. Der Handel der CA mit Daewoo kam nicht zustande und wurde 1996 definitiv abgeblasen. 162 Der Verkauf von Steyr an den Magna-Konzern des Austro-Kanadiers Frank Stronach kam 1998 dagegen eher überraschend. Sogar Steyr-Daimler-Puch-Generaldirektor Streicher erfuhr erst spät davon. 163 Der Aufsichtsratspräsident der CA und Vorstandsvorsitzende der Bank-Austria, Gerhard Randa, betonte in der Stellungnahme zum Übernahmeangebot der Magna die österreichische Lösung. In einer Presseaussendung vom 10. Jänner hieß es: „Mit Magna wurde für die SDPAG ein strategischer Partner gefunden, der sich in hohem Maße dem Standort Österreich verpflichtet fühlt. So sei auch das bisherige starke Österreich-Engagement von Frank Stronach ausschlaggebend für den Verkauf an Magna gewesen."164 Da Magna-Chef Frank Stronach ein aus dem steirischen Weiz nach Kanada ausgewanderter Österreicher ist, mit der Umbenennung von Steyr-DaimlerPuch in „Magna Steyr-Daimler-Puch" auch den Traditionsnamen „Steyr" weiter benützt, kräftig in Österreich investiert und damit Arbeitsplätze sichert, wurde der Verkauf an Magna in der Presse wesentlich positiver kommentiert als der gescheiterte an den koreanischen Autohersteller Daewoo. Durch die Person von Stronach behielt der Konzern noch ein gewisses österreichisches Flair. Und ein Historiker wie Roman Sandgruber erkennt sogar Parallelen zwischen Stronach und dem legendären Firmengründer Josef Werndl: „Werndl und Stronach konnten einander nicht begegnen und sind doch aufeinander getroffen. Die Philosophie der Gründer, wenn auch ziemlich genau 100 Jahre getrennt, ist sich sehr

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ähnlich. Ein skeptischer Steyrer Arbeiter soll nach der spektakulären Aktienübernahme gemeint haben, Josef Werndl werde sich im Grab umdrehen. Vielleicht, aber nicht aus Verzweiflung, sondern womöglich erleichtert, weil mit Frank Stronach wieder jemand in seinem Werk an den Schalthebeln sitzt, der ihm wesensverwandt ist."165 Der Österreich-Mythos Steyr-Daimler-Puch hat also mit Frank Stronach gute Überlebenschancen.

Zusammenfassung Die ehemalige Steyr-Daimler-Puch AG gilt gemäß der Fessel-GfK-Umfrage von 1998 nach der VOEST als das österreichischste Unternehmen - trotz vieler ausländischer Beteiligungen und letztlich dem stückweisen Verkauf an ausländische Multis. Für diese Einstufung können nach den vorliegenden Untersuchungen folgende Gründe geltend gemacht werden: 1. Die lange österreichische Tradition des Konzerns: Dabei muss besonders die enge Beziehung zur oberösterreichischen Stadt Steyr hervorgehoben werden. Durch die Verschmelzung von Stadt- und Unternehmensgeschichte wurden die Steyr-Werke für jedermann deutlich sichtbar in die österreichische Tradition der Eisenverabeitung gestellt. (In dieser Art lernten die Österreicherinnen Steyr schon in den Geographie-Schulbüchern kennen.) Mit Josef Werndl verfügten die Steyr-Werke über die wahrscheinlich am stärksten mythisierte Unternehmergestalt Österreichs überhaupt. Und schließlich waren die Autos von Steyr und die Zweiräder von Puch schon in der Ersten Republik dominierende Produkte, vermittelten also nach dem Zweiten Weltkrieg ein Stück Kontinuität (Puch-Zweiräder) oder wurden mythisch verklärt (Steyrs Autoproduktion). 2. Die Fahrzeuge von Steyr-Daimler-Puch: Sie prägten das österreichische Straßenbild lange Zeit entscheidend mit. Nach 1945 verkörperten für den Normalverbraucher zunächst Puch-Zweiräder das Symbol von Mobilität. Diese wurden dann in der Gunst der Bevölkerung von den ebenfalls von Steyr-Daimler-Puch hergestellten Kleinwagen abgelöst, die sich bis Ende der 1960er-Jahre großer Beliebtheit erfreuten. Obwohl die Kleinwagen-Produktion Mitte der Siebzigerjahre auslief, blieb Steyr-Daimler-Puch als größter österreichischer Fahrzeugproduzent sowohl wegen der Steyr-Automobile der Vorkriegszeit als auch wegen des Puch 500 der Hoffnungsträger für all jene, die von einer österreichischen Pkw-Produktion träumten, was in seiner Bedeutung für den „Gedächtnisort" Steyr-Daimler-Puch nicht unterschätzt werden sollte. Auf dem Investitionsgütersektor trugen Lkw, Traktoren und Landmaschinen sowie Busse zur weiteren Bekanntheit von Steyr-Daimler-Puch bei. 3. Die Vernetzung mit der österreichischen Politik: Die SDPAG war (über die CA) sowohl mehrheitlich im Besitz des Staates als auch ein wichtiger Lieferant des Bundesheeres, was ihr zusätzlich nationale Bedeutung verlieh. Als der Konzern - u. a. wegen der politischen Entscheidung des Panzerexportverbotes

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nach Chile - in die roten Zahlen geriet, musste der Staat die Sanierung übernehmen. Die daran anschließenden heftigen Debatten über den „Ausverkauf einzelner Sparten der SDPAG dürften zusätzlich dazu beigetragen haben, der Bevölkerung bewusst zu machen, dass es sich hier um einen Traditionsbetrieb handelte - um ein „typisch österreichisches" Unternehmen eben.

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ÖMV/OMV „Unser Erdöl muss österreichisch bleiben" „,Ich denke, jetzt haben wir's bald geschafft, Peggy!', sagt der Held. Breites Siegerlächeln von Mundwinkel zu Mundwinkel und fast über die ganze Breitbildwand ... Der große Augenblick ist da - ! Eine dunkle Fontäne schießt in den Himmel von Texas, besprengt mit Naturgewalt (Naturgewalt ist immer gut) die Gesichter des Filmvolkes, Trompeten schmettern. Jetzt sind wir Millionäre!', jubelt der Held mit angemessener Ergriffenheit. Irgendjemand steckt mit gekonnter Bewegung einen Eisenstöpsel auf das Loch in der Erde. Es ist alles so einfach. Jetzt brauchen nur noch die großen Tankwagen zu kommen, um das flüssige Gold der Tiefe, das Erdöl, wegzuschaffen. Filmheld und -heldin sitzen in bequemen Fauteuils des rasch errichteten Schlosses und beobachten vom Balkon, wie eine gute Erdfee das Gemisch von Kohlenwasserstoffen in die Höhe bläst. Möge sie einen langen Atem haben und das Bankkonto unseres Ölprinzen bereichern, für und für. Und wenn sie nicht gestorben sind, Erdfee, Ölprinz und Ölprinzessin, dann leben sie noch heute ... Ende.,Der Ausgang ist hinten', sagt der Kinobilleteur. Benommen von soviel Glück in Vistavision erheben sich die Kinobesucher. ,Schön war's', sagt eine kleine, rundliche Frau im Hinausgehen ... Der Ehemann nickt gewichtig. ,Ja, und die ganzen technischen Details. Jetzt kann man sich auch vorstellen, wie es auf unseren Ölfeldern da in Niederösterreich zugeht.' ,Stimmt!', sagt die Frau, ,wir haben ja auch Ölfelder.' Und ihr angeregtes geistiges Auge sieht viele Bohrtürme. Nicht in Texas, sondern bei Neusiedl und Gänserndorf, wo ihre Schwester wohnt, und bei jedem Turm einen strahlenden Helden ...'" So filmisch märchenhaft beginnt die populärwissenschaftliche, mit Unterstützung der ÖMV 1961 herausgegebene Broschüre „Männer im Ölfeld" von Viktor Mihel. Der Autor greift in geschickter Weise ein Sammelsurium von Klischees auf, die sich um den Begriff „Erdöl" ranken, um sie dann zu entzaubern. Doch haben sich die Österreicherinnen überhaupt je so romantische Vorstellungen von der ÖMV gemacht, wie Viktor Mihel suggeriert? Was macht die ÖMV zu einem österreichischen Gedächtnisort? Denn immerhin stellt sich nicht nur das (seit 1995 OMV genannte) Unternehmen selbst in seiner Festschrift von 1995 als betont „österreichisches Unternehmen" (Untertitel) vor, sondern

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auch in der Fessel-GfK-Umfrage von 1998 wurde die ÖMV, wenngleich nicht mit sensationellen, aber doch mit vergleichsweise respektablen 5 % als „typisch österreichisches Unternehmen" genannt. Wie kommt eine solche Meinung zustande? Dazu sollen im Folgenden einige Überlegungen angestellt werden. Zunächst wird ausländische Einfluss auf die österreichische Erdölwirtschaft geschildert. Dies geschieht aus zwei Gründen: Erstens sind nur aus der Geschichte des anfänglich starken Auslandseinflusses auf die österreichische Erdölwirtschaft spätere Abgrenzungsbestrebungen (unter Betonung des österreichischen Charakters der ÖMV) verständlich. Zweitens entstünde durch Vernachlässigung des Auslandseinflusses eine schiefe, Österreich-zentrierte Sicht, welche den Mythos vom „typisch österreichischen" Unternehmen perpetuieren würde, anstatt ihn kritisch zu hinterfragen. Nach einleitenden Informationen zur Geschichte der Mineralölförderung in Österreich werden daher mögliche Gründe vorgestellt, die dazu beigetragen haben könnten, die ÖMV zu einem österreichischen Gedächtnisort zu machen, und zwar mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung. Zudem wird überprüft, inwiefern Erdöl als Produkt mit Österreich konnotiert ist und dies Rückwirkungen auf das Bild der ÖMV als „typisch österreichisch" haben könnte. Weiters wird der Frage nachgegangen, welchen Einfluss die aus der Verstaatlichung resultierende Einbettung der ÖMV in die österreichische Innenpolitik auf das kollektive Gedächtnis der Österreicherinnen gehabt haben könnte. Das abschließende Kapitel beschäftigt sich schließlich mit Leistung, Werbung und Öffentlichkeitsarbeit des Unternehmens selbst.

Arbeit im Sondenbehandlungstrupp (1950er-Jahre)

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Andre Pfoertner

Zur Geschichte der ÖMV AG im Kontext internationaler Wirtschaftsinteressen Die österreichische Mineralölwirtschaft

vor 1945

Zur Zeit der österreichisch-ungarischen Monarchie gab es keine Erdölförderung auf dem Gebiet des heutigen Österreich, sondern nur im entfernten Galizien. Mit dem Zerfall der Monarchie 1918/19 blieben daher auf dem Territorium der Republik Österreich lediglich einige Raffinerien (Kagran, Floridsdorf, Vösendorf, Korneuburg und Drösing) zurück. 2 Einige davon wurden in den Zwanzigerjahren von der amerikanischen Socony-Vacuum Oil Company und der britisch-holländischen Shell Petroleum Company AG erworben, die auf dem österreichischen Mineralölmarkt führend waren. Es war dann auch die Vacuum Oil Company, in deren Auftrag 1925 und 1926 mit systematischen Vorarbeiten für eine geologische Aufschließung des Wiener Beckens begonnen wurde. Diese Untersuchungen wurden jedoch aufgrund neuer Rohölkaufkontrakte mit den Russen bald wieder eingestellt. 3 Die ersten Erdölbohrungen in Österreich wurden 1929 mit Hilfe französischen Kapitals von der Steinberg-Naphta GesmbH des polnischen Ölindustriellen Thomas von Laszcz vorgenommen. Kurz darauf hatten auch mit Schweizer Kapital Tiefbohrungen im Gebiet der Gemeinde Windisch-Baumgarten bei Zistersdorf eingesetzt, wo man 1930 fündig wurde. Am 22. August 1934 ging dann die Bohrung „Gösting 2" der mit Schweizer Kapital gegründeten Erdölproduktionsgesellschaft (EPG) als erste wirtschaftliche Ölsonde in Produktion. Im Jahr 1935 kam der kanadische Industrielle Richard van Sickle nach Österreich und gründete ein Tiefbohrunternehmen. Die wichtigste Neugründung war jedoch die Rohölgewinnungs AG (RAG), welche am 15. Oktober 1935 von der Socony-Vacuum Oil Company und der Shell Petroleum Company AG ins Leben gerufen wurde. 4 1938 verfügten folgende Firmen über Erdölproduktionen im nördlichen Wiener Becken: EPG (schweizerisch), Gewerkschaft Raky-Danubia (schweizerisch), RAG (britisch-holländisch/amerikanisch), Steinberg-Naphta (französisch). Die anderen Gesellschaften, wie z.B. Britol (van Sickle), European Gas and Electric Co (Eurogasco) oder Terrol Erdölförderungs GesmbH, hatten wohl Freischurfbesitz, waren jedoch in der Exploration noch nicht zum Erfolg gekommen. In dieser wirtschaftlichen Konstellation marschierte am 12. März 1938 die Deutsche Wehrmacht in Österreich ein.5 Der Anschluss Österreichs an das Dritte Reich im März 1938 schuf eine völlig neue Situation in der österreichischen Erdölwirtschaft. Am 31. August wurde das Bitumengesetz erlassen, das die Aufsuchung von Bitumen in festem, flüssigem und gasförmigem Zustand allein dem Staat zugestand. Viele der bisher in Österreich tätigen Erdölgesellschaften verkauften daher einen wesentli-

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chen Anteil ihrer Freischürfe an deutsche Firmen. Weitere hoch prospektive Flächen, insbesondere im Wiener Becken, wurden von den neuen Machthabern ebenfalls deutschen Firmen zur Bearbeitung übergeben. Diese übernahmen nun auch die meisten Raffinerien. Aus strategischen Gründen wurden die Verarbeitungskapazität erhöht sowie neue Raffinerien und Tanklager gebaut. 6

Bohrung „Gösting II", die erste wirtschaftliche Ölsonde auf österreichischem Boden (1934)

Die Tätigkeit dieser vielen deutschen Betriebe führte zu einem ungeahnten Aufschwung der österreichischen Erdölindustrie, denn mit ihnen kamen natürlich weiteres Geld und vor allem weitere Technik zum Einsatz. Der ungeheure Treibstoffverbrauch der deutschen Kriegsgeräte wurde zu einem maßgeblichen Teil aus den Feldern Niederösterreichs gedeckt. Insgesamt waren zwischen 1938 und 1945 zwei österreichische, 14 deutsche und fünf Firmen anderer Länder mit der Ausbeutung der niederösterreichischen Erdölfelder beteiligt. 7 Ab Mitte 1944, als die Produktionsstätten für synthetischen Kraftstoff im „Altreich" schon aufs Schwerste getroffen waren und nicht mehr produzieren konnten, konzentrierten sich die Anstrengungen der Westalliierten auf die Zerstörung der erdölverarbeitenden Industrie in Österreich. Bis Mitte April 1945 hatte die Sowjetarmee das österreichische Erdölgebiet von Aderklaa bis Mühlberg erobert. 8 Sowjetische

Mineralölverwaltung

(SMV)

1945-1955

Die ersten Aktivitäten der Sowjets auf dem Erdölgebiet konzentrierten sich auf die Demontage der technischen Einrichtungen - als Kriegsbeute - und deren

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Abtransport nach dem Osten. Doch nach einigen Monaten gelangte die russische Verwaltung zur Überzeugung, dass es sinnvoller sei, die Demontage einzustellen und die Erdölförderung wieder aufzunehmen. Zu diesem Zweck ließen sie amerikanische Bohranlagen über Sibirien in das österreichische Ölgebiet kommen und nahmen den Wiederaufbau in Angriff. 9 Gesellschaftsrechtlich bestand eine sehr verworrene Situation. Nach dem März 1938, besonders aber seit Kriegsbeginn, waren im Zusammenhang mit dem deutschen Rüstungs- und Autarkieprogramm neue, in deutschem Eigentum stehende Unternehmungen mit Sitz in der „Ostmark" gegründet und Zweigniederlassungen deutscher Firmen errichtet worden. Außerdem war bei den vor 1938 in Österreich tätigen Unternehmen vielfach unter Druck das Eigentum aus ausländischen in deutsche Hände übergegangen. Von diesen Gesellschaften wurde das gesamte deutsche Eigentum von den Sowjets beansprucht und um diese Industrie auch legal unter ihre Kontrolle zu bringen, schlugen sie die Errichtung einer bilateralen, österreichisch-sowjetischen Gesellschaft „Sanaphta" vor. Als die österreichische Regierung - u.a. auf Druck der Westmächte, die britische, amerikanische und französische Firmeninteressen verteidigten - das sowjetische Angebot ablehnte, gründete die Sowjetunion im Oktober 1945 im Alleingang die SMV, die alle 1945 in deutschem Besitz stehenden Gesellschaften umfasste und der Hauptverwaltung für sowjetisches Eigentum in Moskau unterstellt wurde. 10 Mit Armee-Dekret Nr. 17 vom 5. Juli 1946 wurde dann offiziell das gesamte bei Kriegsende vorhanden gewesene deutsche Eigentum in der sowjetischen Besatzungszone zum Eigentum der Sowjetunion erklärt. Der Versuch der österreichischen Regierung, dem Vorgehen der UdSSR durch Verstaatlichung u.a. auch der Erdölindustrie zu begegnen, war zwar juristisch wirksam - da die Westmächte das Verstaatlichungsgesetz anerkannten - , blieb aber de facto für das unter sowjetischer Besatzung stehende Ostösterreich ohne Bedeutung. Die SMV, die keine Gesellschaft nach dem österreichischen Handelsrecht war, stellte zusammen mit der USIA (Uprawlenje Sowjetskim Imuschestwom w Awstrij = Verwaltung des sowjetischen Vermögens in Österreich) und der Donaudampfschifffahrtgesellschaft (DDSG) einen eigenen Staat im Staate dar. Sämtliche Führungspositionen der S M V wurden mit Sowjetbürgern besetzt; die zweite Führungsebene nahmen meist KPÖ-Österreicher ein, die Personalpolitik lag in den Händen der K P Ö . " Der sowjetischen Mineralölverwaltung gelang u.a. im Jahr 1949 die Entdeckung einer Erdöllagerstätte Matzen im Raum zwischen Zistersdorf und der Donau, die sich in der Folge als das bisher ergiebigste Ölvorkommen von Westund Mitteleuropa erwies. Im Jahr 1955 wurden aus diesem Feld 7 8 % der gesamten Erdölförderung Österreichs gewonnen. 12 Die österreichische Erdölwirtschaft stellte sich zwischen 1945 und 1955 folgendermaßen dar: In der Aufsuchung und/oder Förderung waren tätig: In der sowjetischen Besatzungszone (v.a. in Niederösterreich): SMV, RAG und Van

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Sickle, in den westlichen Besatzungszonen (v.a. in Oberösterreich): RAG. Die in der sowjetischen Besatzungszone liegenden, im Besitz der Alliierten befindlichen Betriebe der Firmen RAG und Van Sickle mussten das von ihnen geförderte Öl in den sowjetisch verwalteten Raffinerien verarbeiten lassen.13 Im Vertrieb von Mineralölprodukten (Handel, Tankstellen) waren in der sowjetischen Besatzungszone tätig: OROP (= Zusammenfassung aller ehemals deutschen Vertriebseinrichtungen), in den westlichen Besatzungszonen: Shell, Mobil Oil, Montan Union, BP, Gasolin, Martha, Steaua Romana und Redeventza, die 1945 das „Evidenzbüro der österreichischen Mineralölfirmen" („Pool") errichteten. Dabei ging die Verteilung so vor sich, dass die SMV nur die OROP bzw. über das Handelsministerium den Pool belieferte, der wiederum die 3.000 Verkaufsstellen in den Besatzungszonen der Westmächte versorgte.' 4

ÖMVnach

1956

Nach Abschluss des Staatsvertrages wurden am 13. August 1955 die unter sowjetischer Verwaltung stehenden SMV-Betriebe in österreichische Hand übergeben. Im Gegenzug hatte sich Österreich verpflichtet, während zehn Jahren an die Sowjetunion jährlich 1 Mio. Tonnen Rohöl als Ablöselieferungen zu leisten.15 Die ehemaligen SMV-Betriebe wurden bereits am 10. Februar 1956 zu einer einzigen österreichischen Erdölgesellschaft verschmolzen. Als aufzunehmende Gesellschaft wurde die Südostdeutsche Ferngas AG gewählt. Der Firmenwortlaut wurde in Österreichische Mineralölverwaltung AG (ÖMV AG) abgeändert.16 Somit ist die ÖMV juristisch gesehen Nachfolgerin der 1943 errichteten Südostdeutschen Ferngas AG, historisch betrachtet verdankt sie ihren Ursprung der SMV, deren Objekte und Rechte sie übernahm und deren Betriebe sie weiterführte. 17 Als Erbin der SMV war die ÖMV auch noch kein gesamtösterreichisch operierendes Unternehmen, da ihr eine eigene Verteilerorganisation fehlte und ihre Erdölförderung sich auf Ostösterreich beschränkte. Im Dezember 1957 wurden zudem die Anteilsrechte an der Raffinerie Lobau und an der Zistersdorf-Lobau-Ölleitung an die anglo-amerikanischen Vorbesitzer zurückgegeben und die RAG erhielt als Entschädigung für die verstaatlichten Freischürfe in Niederösterreich neue Schurfkonzessionen in Oberösterreich. 18 Die Lage der österreichischen Mineralölwirtschaft sah also um 1960 folgendermaßen aus: In der Aufsuchung und Förderung waren tätig in Ostösterreich (v. a. in Niederösterreich) ÖMV, RAG und Van Sickle, in Westösterreich (v. a. in Oberösterreich) RAGM; im Vertrieb von Mineralölprodukten (Handel, Tankstellen) in Ostösterreich: ÖROP (Handelsgesellschaft für österreichische Rohölprodukte), in Westösterreich Shell, Mobil Oil, Montan Union, BP, Gasolin, Martha, Steaua Romana und Redeventza. Durch den Erwerb der Vertriebsgesellschaften Martha und ÖROP sicherte sich die ÖMV 1965 den Zutritt zum Endverbrauchermarkt mit einem integrier-

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ten Vertriebsnetz, jedoch ohne dass dies für den Kunden zunächst erkennbar wurde: ÖMV war keine Vertriebsmarke. Die Martha, welche einen im Jahre 1955 mit der deutschen Aral abgeschlossenen Lizenzvertrag einbrachte, betrieb (bis 1990!) Tankstellen unter dem deutschen Markennamen Aral. Der Firmenwortlaut der ÖROP wurde am 24. April 1968 - durch einen Lizenzvertrag mit der französischen Gruppe Elf-Erap-Union - in Elan Mineralölvertrieb AG geändert. Grund für diese Namensänderung war, dass es der Geschäftsleitung trotz verschiedenster Aktivitäten, wie z.B. Verbesserung und Verschönerung im Tankstellenbereich, nicht gelungen war, Assoziationen zwischen der ehemals sowjetischen OROP und der nunmehrigen österreichischen ÖROP zur Gänze auszuschalten. Durch die Namensänderung und die Firmenfarben rot-weiß sollte das Image verbessert werden. 19 Mit der Übernahme des gesamten Vertriebes wuchs die ÖMV seit 1965 über ihr Zentrum Ostösterreich hinaus und wurde langsam ein gesamtösterreichisch agierendes Unternehmen. 20 Doch wirkte die Verankerung in Ostösterreich im kollektiven Gedächtnis der Österreicherinnen noch lange nach. 1983 konnten gemäß einer Studie in Westösterreich nur die wenigsten mit dem Begriff ÖMV etwas anfangen, während das Unternehmen in Ostösterreich schon sehr bekannt war.21 Gleichzeitig mit der Expansion in Österreich begann die ÖMV auch über die Staatsgrenzen hinauszuwachsen und ein Multi zu werden. Am Anfang der internationalen Aktivitäten standen die Beschaffungsmärkte. Das von der ÖMV in Österreich geförderte Rohöl genügte schon seit 1961 nicht mehr. Die volle Auslastung der seit 1960 in Betrieb stehenden neuen Raffinerie der ÖMV in Schwechat war langfristig nur mit Importrohölen zu sichern. 22 Zu diesem Zweck sollte eine Erdölpipeline von Triest nach Wien gelegt werden. Zur Realisierung dieses Projekts wurde die Adria-Wien-Pipelineges.m.b.H. errichtet. Beteiligt an dieser Gesellschaft waren die ÖMV mit 51% und die internationalen Gesellschaften (Shell, Mobil, Esso, BP, Agip und die Compagnie Fransaise des Petroles) mit zusammen 49%. 23 Die 1967 abgeschlossenen Adria-Wien-Pipeline-Verträge stellten die Grundlage für eine Zusammenarbeit der ÖMV mit den internationalen Erdölgesellschaften dar. Am 28. August 1970 traf dann das erste Rohöl aus Triest über die neue Leitung in Schwechat ein. Im Jahre 1968 kam ein Vertrag zwischen der ÖMV und dem sowjetischen Außenhandelsunternehmen Sojusnefteexport (es wurde später von der Vertragspartnerin Sojusgasexport abgelöst) zustande, der die langfristige Lieferung von sowjetischem Erdgas nach Österreich vorsah. 24 Die Inbetriebnahme der TAG 1 (Trans-Austria-Gasleitung) legte 1974 den Grundstein für den Gas-Transit. Durch diese Pipeline konnten damals bis zu 10 Mrd. m 3 sowjetisches Erdgas nach Italien geliefert werden. Zur Deckung des steigenden Gasbedarfs wurde von der ÖMV im Rahmen eines Konsortiums mit Ruhrgas und Gaz de France im Jahr 1975 zusätzlich ein Vertrag über den Import von Iran-Gas abgeschlossen. 25

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Auch im Industrieanlagenbau wurde die ÖMV verstärkt international tätig: So beteiligte sich die Bau und Montage-Abteilung des Unternehmens neben den österreichischen Aktivitäten (Bau der TAG) z.B. an Arbeiten in Raffinerien in Hamburg (Shell), Düsseldorf (Esso), Karlsruhe (Dea) sowie in der DDR. Ab 1985, als US-Firmen auf Weisung der Reagan-Administration ihr Engagement in Libyen einstellen mussten, engagierte sich die ÖMV dort durch die Gründung der ÖMV Libya in den Bereichen Exploration und Produktion. Im Jahr 1987 schließlich erwarb die ÖMV mit der Deutschen Marathon GmbH eine Raffinerie, die außerhalb von Österreich (in Burghausen/Bayern) liegt. 26 Als die verstaatlichte Industrie Mitte der Achtzigerjahre in die Krise geriet, beschloss die Regierung, nur mehr die Stahlunternehmen VOEST und VEW mit öffentlichen Zuschüssen zu sanieren. Weitere Mittel sollte die Österreichische Industrieholding AG (ÖIAG) durch Eigenleistungen, wie Partnersuche oder Gang an die Börse, selbst aufbringen. Dies betraf v.a. die ÖMV AG, der als einem der erfolgreichsten verstaatlichten Unternehmen gute Chancen für eine Aktienemission eingeräumt wurden. 27 1987 wechselten die ersten 15% des Aktienkapitals von der Republik Österreich zum Publikum, ca. weitere 10% folgten im Herbst 1989. 1994 erwarb bei einem dritten Privatisierungsschritt die IPIC (International Petroleum Investment Company) aus Abu Dhabi als neuer strategischer Partner ca. 20% der ÖMV Aktien. 28 In einem vierten Schritt reduzierte die ÖIAG 1996 ihren ÖMV-Anteil auf ca. 35%, der Streubesitz wuchs auf ca. 45%. Mit dem Ende der Allein- resp. Mehrheitseigentümerschaft der Republik Österreich an der ÖMV fiel ein weiterer potenzieller Grund weg, um die ÖMV als „typisch österreichisch" zu bezeichnen. Sie wurde - um erfolgreich zu bleiben - den international operierenden Öl-Multis immer ähnlicher. 1995 wurde der Name der Gesellschaft aus Rücksicht auf die internationale Ausrichtung von ÖMV in OMV geändert, da in den international dominierenden Verkehrs- und Wirtschafts sprachen der Umlaut „ö" nicht existiert. 29 Auch auf dem Beschaffungssektor für Rohöl spielte Österreich zunehmend eine untergeordnete Rolle: 1990 hat die ÖMV erstmals mehr ÖMV-Öl im Ausland als in Österreich gefördert. 30 Und selbst im Vertrieb griff die ÖMV immer weiter über Österreich hinaus: So wurde im Herbst 1998 das BP-Tankstellennetz in der Tschechischen Republik, der Slowakei und in Ungarn erworben. Im Dezember 1999 schließlich wurde das ÖMV-Tankstellennetz auf Bulgarien und Rumänien ausgeweitet.

Der Mythos um das österreichische Erdöl Die nationale Aura der ÖMV - woher stammt sie? Ein erster Erklärungsversuch bestünde in der Hypothese, dass die Ursache nicht primär beim Unternehmen, sondern beim Produkt zu suchen ist. In der Tat erfüllt Erdöl einige Grundvoraussetzungen, um ins kollektive Gedächtnis der Österreicherinnen eingegangen zu sein:

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Erstens: Autochthonie. Es stammt aus dem Boden des Landes. Diese Tatsache verleiht ihm etwas spezifisch dem Land Verbundenes. Wie durch alle natürlichen Reichtümer erhält jedes Land durch seine Bodenschätze ein ganz spezielles Gepräge und wird von anderen abgehoben. Die Betonung der Nationalität des Erdöls wäre unter diesem Aspekt eine Betonung des Unterschiedes zu anderen Nationen, die kein eigenes Erdöl besitzen. Zweitens: Industrielle Bedeutung. Im 20. Jahrhundert löste Erdöl die Kohle als wichtigsten Energieträger und Rohstoff der industriellen Entwicklung ab. Kurz nach dem Ersten Weltkrieg formulierte der ehemalige amerikanische Präsident Wilson den seither in diesem Kontext vielzitierten Satz: „Die Weltgeltung einer Nation wird von ihren Ölschätzen abhängen." 31 In diesem Zusammenhang wäre die Betonung der Nationalität des Erdöls eine Betonung der eigenen Wichtigkeit im Kreis der industrialisierten Nationen der Welt, resp. ein Zeichen des Stolzes darauf. Drittens: Historische Bedeutung. Erdöl hat auch eine Beziehung zu jenem historischen Ereignis, das gemäß der Umfrage aus dem Jahre 1998 von den Österreicherinnen als wichtig für die nationale Identität genannt wurde: dem Staatsvertrag von 1955. Mit diesem gab die UdSSR der Republik Österreich gegen eine Ablösesumme die Verfügungsgewalt über die von ihr 1945 als Deutsches Eigentum beschlagnahmten Erdölförder-, Erdölverarbeitungs- und Erdölhandelsbetriebe zurück. Diesbezüglich wäre die Betonung der Nationalität des Erdöls ein Rekurs auf einen gemeinsam geführten, nationalen Kampf um diesen wichtigen Rohstoff. Diese drei Punkte sind in der Realität meist unentwirrbar miteinander verflochten: Sowohl das Autochthonie-Argument wie die Betonung der industriellen Bedeutung des Erdöls wurden in der Diskussion um die Staatsvertragsverhandlungen verwendet. Eines ist den drei genannten Punkten jedoch gemein: Es geht primär um den Rohstoff Erdöl, nicht um ein bestimmtes Unternehmen und nicht um die österreichische Innenpolitik nach 1955. Da der Mythos um das österreichische Erdöl ein wichtiger Teil des Gedächtnisortes ÖMV ist und diesem in der Entstehung zeitlich vorangeht, soll nun von seiner Enwicklung im Unabhängigkeitsstreben gegen die Sowjetunion und von seinem (unpolitischen) Fortleben in der Zweiten Republik die Rede sein. Die Instrumentalisierung dieses Mythos durch die Politik wird dagegen in einem späteren Abschnitt dargestellt.

Die Entstehung des Mythos vom österreichischen Erdöl

1945-1955

Am 3. Mai 1956 schrieb die kommunistische Zeitung „Der Abend" im Rückblick auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg giftig: „Bald taucht das verlogene Schlagwort von ,unserem Erdöl' auf, das vorher nie uns gehört hatte, das nie von Österreich beansprucht wurde, solange es unbestritten der Standard und der Shell gehörte." 32

ÖMV/OMV - „Unser Erdöl muss österreichisch bleiben"

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Tatsächlich waren die Zeitungen jeder politischen Ausrichtung zwischen 1945 und 1955 voll mit dem Thema „Erdöl" und der dabei zunehmend verwendete Terminus „unser Erdöl" zeugt davon, dass sich eine qualitativ neue, kollektive Beziehung zu diesem Rohstoff entwickelte - sei es, dass die Journalisten hier als Mythenschöpfer voranschritten oder dass sie lediglich auf die Grundstimmung der Bevölkerung reagierten. Der reale Grund, weshalb Erdöl für die Österreicherinnen im Vergleich zur Vorkriegszeit einen unvergleichlich höheren Stellenwert einnahm, war die bedeutende Förderungssteigerung, welcher in der unmittelbaren Nachkriegszeit eine extreme Knappheit an Mineralölprodukten gegenüberstand. Die gestiegene Produktion konnte die wachsende Nachfrage nicht befriedigen, da die SMV das Öl in erster Linie für die Sowjetunion förderte und verarbeitete. Dass Österreich, damals als ölreichstes Land Westeuropas bezeichnet, an Treibstoff- und Heizölmangel litt - eine Situation, die einer unfreiwilligen Komik nicht entbehrte - war natürlich von höchster politischer Brisanz. Dieses Problem verband alle Österreicherinnen zu einer Schicksalsgemeinschaft und brachte auch die Westösterreicherinnen, die sonst kaum unter der sowjetischen Besetzung im Osten zu leiden hatte, gegen die Russen auf. Insofern trifft die Bezeichnung „unser Erdöl" die Situation nicht schlecht: Es war ein gesamtösterreichisches Problem - und die Entrüstung über die sowjetische Erdölpolitik und ihre Vollstrecker SMV und OROP war gesamtösterreichisch, wie der Presse zu entnehmen ist.

Demontage der Sowjetsterne in Betrieben und Anlagen der SMV (1955)

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Schlagzeilen unabhängiger und ÖVP-naher Blätter etwa lauteten: „Unser Erdöl ist österreichisches Volksgut", „Sowjetische Öldiktatur in Österreich erpresst und schädigt systematisch. Die Zuteilungen für die österreichische Wirtschaft werden bei jeder Gelegenheit weiter gekürzt", „Bei Erdölüberfluss im eigenen Lande muss Österreich Öl einführen. Bundesbahnen und Ε-Werke müssen sich wegen Erdöl-Misswirtschaft der Russen wieder auf Kohlenfeuerung umstellen", „Die guten Schurfgebiete nur für die Russen", „Österreich - Europas größter Erdölproduzent. Aber es muss sein Öl trotzdem teuer bezahlen", „Raubbau an österreichischem Erdöl", „OROP will Einfuhr von billigerem Auslandsbenzin verhindern", „Mineralölpreise der Sowjets in Österreich überhöht", „Der Preiswucher der OROP", „Zistersdorf an dritter Stelle der europäischen Ölproduktion: Kein Tropfen Erdöl fließt für Österreich", „Österreichs teures Öl aus eigenem Boden. Die Hintergründe der sowjetischen Erdölpolitik - Nach dem Raubbau nun die Preisschraube". 33 Die Artikel berichteten u.a., wie viele Tonnen Erdöl die Russen aus Österreich exportierten, 34 und berechneten, um wie viel mehr Herr und Frau Österreicher für das OROP-Benzin im Vergleich zum überseeischen bezahlen mussten, 35 wobei immer wieder die Frage gestellt wurde: „Wie lange soll Österreichs Öl noch für fremde Mächte fließen?" 36 Die historische Pionierrolle Österreichs als Erdölland, welches nun nach der deutschen Besetzung zum zweiten Mal um die Früchte seiner Arbeit gebracht würde, wurde herausgestrichen. 37 Zugleich mit der Entrüstung über die russische Aneignung wurden auch Hoffnungen geweckt, die sich erfüllen sollten, sobald das Erdöl erst wieder in österreichischem Besitz wäre. So schrieb das „Kleine Volksblatt" am 6. Dezember 1950: „Um wie vieles besser stünde es um Österreich, wenn ihm zum Beispiel die 30 Mio. Dollar Jahreserträge seiner Erdölgebiete zukämen." Die Wiener Tageszeitung versprach am 1. November 1950 „jedem Österreicher 500 Schilling mehr", wenn das Erdöl an Österreich zurückgegeben werde und der Landeshauptmann von Salzburg wurde mit der Behauptung zitiert, „daß Österreich selbst auf die ERP-Hilfe hätte verzichten können, wenn es die Einkünfte aus den Erdölvorkommen von Zistersdorf und Hunderten von den Sowjets kontrollierten Betrieben zur Verfügung gehabt hätte." 38 Die SPÖ-nahe Presse stand der bürgerlichen in der patriotischen Überhöhung des Erdöls und der Empörung über die sowjetische Erdölpolitik in nichts nach. U. a. sprangen folgende Schlagzeilen der Arbeiter-Zeitung (AZ) ins Auge: „Die Preistreiberei der OROP mit dem österreichischen Erdöl", „Österreich Europas größtes Erdölland. Der Handelsminister über wirtschaftliche Probleme", „Österreich darf kein billiges Benzin einführen. Weil es die Russen nicht erlauben", „Vor neuen Entlassungen im Ölgebiet. Die österreichischen Arbeiter sind die Opfer des russischen Raubbaues", „Die OROP liefert zuwenig Heizöl nach Westösterreich", „Österreich muss um sein eigenes Erdöl bitten", „Wie die Russen unsere Ölfelder ausbeuten. Seit 1945 siebzehn Millionen Tonnen gefördert". 39

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Vom Inhalt her gleichen die Berichte über Erdöl in der AZ denen in den bürgerlichen und unabhängigen Zeitungen in seltener Eintracht. Auch hier wurde den Lesern andauernd vorgerechnet, um wie viel teurer das OROP-Benzin als das ausländische sei und dass die Sowjets Raubbau betrieben. 40 Der ARBO rief zu Protestkundgebungen aller Kraftfahrer gegen die OROP-Preistreiberei auf. 41 Und auch die SPÖ weckte Erwartungen für den Fall der Rückgabe der Erdölfelder: Am 12. November 1952 erklärte der SPÖ-Abgeordnete Weikhart in der Nationalratssitzung: „Wenn wir selbst Herren unserer eigenen Wirtschaft wären, dann könnte manche Erleichterung für die Arbeitnehmer in diesem Land erreicht werden." Am 30. November 1952 schrieb die AZ: „Hätte Österreich selbst die Verfügung über seine Ölquellen, dann könnte ein Großteil der drückenden Steuern herabgesetzt oder sogar ganz abgeschafft werden." Als innenpolitischen Gegner griff die SPÖ in Bezug auf das Erdöl immer wieder die Kommunisten an, weil sie dem Ölraub der sowjetischen Genossen tatenlos zusähen.42 Die kommunistischen Blätter waren über die Hochstilisierung des Erdöls zur nationalen Frage alles andere als erfreut, da sie ja mit einem Angriff auf die sowjetische Erdölpolitik einherging. Da das Erdöl aber nun einmal in aller Munde war, widmeten auch die kommunistischen Zeitungen dem „Schatz in unserer Erde" 43 eine beachtliche Anzahl von Artikeln, um die Sowjetunion von den Vorwürfen reinzuwaschen und die patriotische Stimmung zugunsten des Erdöls für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Schuld an den hohen Benzinpreisen hätten die USA-Monopole; die sowjetische Verwaltung der Erdölfelder würde diese ihrem gierigen Zugriff entziehen und dem österreichischen Volk sichern. 44 Es war dies eine Behauptung, der wohl außer überzeugten Moskau-Anhängern niemand Glauben schenkte. Da das Thema „Erdöl" zur nationalen Chefsache geworden war, spielte es auch in den Verhandlungen über einen österreichischen Staatsvertrag eine bedeutende Rolle. Nach Vizekanzler Adolf Schärf lag der große Erfolg der österreichischen Delegation in Moskau 1955 gerade darin, nicht nur das Versprechen zu erhalten, den Staatsvertrag zu unterfertigen, sondern auch die Erdölanlagen und die DDSG an Österreich zu übertragen. 45 Tatsächlich sahen noch Art. 22 §§ 1 und 2 des Österreichischen Staatsvertrages von 1955 vor, der Sowjetunion 60% aller Schurfkonzessionen, fünf Raffinerien, etliche Verteilergesellschaften für Mineralölprodukte, Öllager und Rohrleitungen zu übertragen. Erst durch eine Regelung wurde der vorliegende, von Experten ausgearbeitete Staatsvertragsentwurf dahingehend abgeändert bzw. ergänzt, dass nunmehr das gesamte von der Sowjetunion beanspruchte Erdölvermögen gegen eine Lieferung von 1 Mio. Tonnen jährlich auf zehn Jahre von der Sowjetunion wieder an die Republik Österreich zurückübertragen wurde. Dies wurde im Annex II zum Staatsvertrag festgelegt. 46 Besonders die sozialistischen Mitglieder der Verhandlungsdelegation hatten sich für die vollständige Rückgabe des Erdöls eingesetzt. So hatte Schärf am 27. März 1955 betont: „Wir sind aber davon überzeugt, daß Österreich nicht

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nur politisch unabhängig sein muss, sondern auch wirtschaftlich. Die Garantie einer politischen Unabhängigkeit könnte nur zu bald ausgehöhlt werden, wenn ein übermächtiges Ausland im Inland wirtschaftliche Kräfte gewinnt, wie wir dies 1938 erlebt haben." 47 Von Schärf stammte konsequenterweise auch der Vorschlag, die Erdölfelder auch nach der Übergabe nicht mehr aus österreichischem Besitz veräußern zu wollen, was zur positiven Einstellung der sowjetischen Verhandler beitrug. 48 Nach Bruno Kreisky war „nichts österreichischer als das Erdöl aus Österreichs Boden" 49 - ein Rückgriff auf das klassische Autochthonie-Argument. Später meinte Kreisky: „Ich begann mich sehr früh mit dem Erdöl zu beschäftigen, da für mich klar war, dass wir, wollten wir jemals wieder Herr im eigenen Hause sein, auf das Öl nicht verzichten konnten [...]"5° Das besondere Engagement der Sozialisten für das Erdöl während der Staatsvertragsverhandlungen findet sein Spiegelbild in der Presse von 1955. Denn obwohl ja zwischen 1945 und 1955 in der bürgerlichen und unabhängigen Presse das Erdöl nicht weniger zum nationalen Mythos emporstilisiert worden war als in den SPÖ-Blättern, legten diese auch bei ihren Berichten über die Staatsvertragsverhandlungen das Hauptgewicht gerade auf die Rückgabe des Deutschen Eigentums, während die ÖVP sich in Bezug auf einen künftigen Staatsvertrag eher auf die jugoslawischen Forderungen und die Bestimmungen, welche die Landwirtschaft betrafen, zu konzentrieren schien.51 Mit dem Jubel über den österreichischen Staatsvertrag kam der Jubel über die Rückgabe des österreichischen Erdöls, der in der Presse das ganze Jahr 1955 über anhielt. Schlagzeilen wie die folgenden sprechen für sich: „Wieder österreichisches Erdöl", „Zistersdorf - eine Schicksalsfrage. Aus Adolf Schärfs neuestem Werk Österreichs Erinnerung 1945-1955"', „Vom Bohrturm weht die Rotweißrote Fahne", „Erdgas - bedeutendes Aktivum Österreichs", „Unser Öl hochbegehrt", „Heuer mehr Erdöl als je zuvor. Österreich als Produzent im freien Europa an erster Stelle", „Flüssige Schätze in Österreichs Tiefen". 52

Fortdauer

des (unpolitischen)

Mythos vom österreichischen

Erdöl

Die Medienpräsenz des Erdöls brach 1956 keineswegs abrupt ab. Im Gegenteil: Die innenpolitischen Debatten über das Erdöl hielten das Interesse auch an unpolitischen Artikeln über Erdöl/Erdgas weiter wach. Einige nicht primär politische Schlagzeilen über Erdöl aus dem Jahr 1956: „Unser Erdöl", „Österreichs größter Reichtum ... Die Bohrtürme von Zistersdorf - Wahrzeichen des , Schwarzen Goldes' in Österreichs Erde", „Das Erdöl - die Goldgrube unserer Zukunft", „Erdgas - Helfer für Industrie und Wirtschaft. Reichhaltige Vorkommen in Österreich - Wien könnte kalorisch 80 Jahre lang mit Gas versorgt werden". 53 Am Nationalfeiertag 1956 betonte der Sprecher der „Austria-Wochenschau", Österreich sei nicht nur reich an Holz und Arbeitskraft, an Erzen und gutem

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Willen, an Wasserkräften und Schönheit, sondern auch an Erdöl und Klugheit. 54 Ebenfalls im Jahre 1956 erschien der Roman „Männer und Erdöl" von Othmar Franz Lang, der auch andere Ereignisse der österreichischen Nachkriegszeit mythisch verklärte (u.a. im Roman „Die Männer von Kaprun"). Das Buch erzählt die Geschichte des österreichischen Erdöls, eingebettet in die Biographien einiger Österreicher aus dem Erdölgebiet, u. a. des Ingenieurs Kurt Pacher, der diese Region als sein Gebiet betrachtet. In diesen biographischen Teilen lässt der Autor nochmals die Gefühle der Österreicherinnen und ihre kollektive Verbundenheit mit ihrem Erdöl während der sowjetischen Besatzung Revue passieren, etwa wenn er Pachers Frau klagen lässt: „Die Russen können doch nicht einfach weitersuchen und etwas für sich beanspruchen, was doch eigentlich uns gehört". 55 Der eigentliche „Held" des Romans ist - neben den handelnden Figuren - zweifellos das Erdöl, dessen Verbundenheit mit Österreich der Autor dem Leser durch bruchstückhafte Sequenzen aus der Geschichte im Verlauf des Romans nach und nach enthüllt. So erfahren wir, dass die UdSSR die Ölfelder von Zistersdorf als deutsches Eigentum gemäß dem Potsdamer Abkommen beanspruchte, und „zwar so gründlich, dass der Name Zistersdorf nicht einmal in österreichischen Schulbüchern aufscheinen oder im Schulunterricht genannt werden durfte". 56 Dann wird uns der Österreicher Siegfried Marcus als der Erfinder des Benzinautos vorgestellt. Der Jubel über den Staatsvertrag mit Kirchenglocken und Bruckners Te Deum wird genauso geschildert 57 wie die Hoffnungen, welche an das Erdöl geknüpft wurden: „Österreich stand mit seiner Produktion [...] an dritter Stelle nach Russland und Rumänien in Europa. [...] Wenn man aber von den absoluten Zahlen abgeht und die Erdölproduktion mit der Einwohnerzahl des jeweiligen Staates vergleicht, und die Produktion auf den einzelnen Menschen pro Jahr berechnet, so steht Österreich mit 0,5 Tonnen pro Einwohner und Jahr an erster Stelle in Europa, da Rumänien und die Sowjetunion pro Einwohner und Jahr nur 0,3 Tonnen fördern. Das allein zeigt, wie sich das Erdöl, gehörte es uns, auf den Wohlstand jedes einzelnen auswirken könnte." 58 Einen ähnlichen Roman veröffentlichte vier Jahre später - 1960 - der damalige stellvertretende Chefredakteur der „Salzburger Nachrichten", Hans Thür. Auch in seinem „PI wird fündig. Bohrtürme in Oberösterreich" geht es um die Geschichte mutiger und hoffnungsvoller österreichischer Ölsucher, die ebenfalls auf „echten Tatsachen und Erlebnissen" beruht, wie uns der Umschlagtext versichert. Zwar handelt „PI wird fündig" von Ölbohrungen in Oberösterreich und setzt im Unterschied zu Langs „Männer und Erdöl" erst 1945 ein; doch das Hauptszenario ist ein ähnliches: Die Hauptfiguren, österreichische Ölmänner, ärgern sich über die sowjetischen Besatzer in Niederösterreich, wie folgende Szene zeigt: „[...] es war schlimm im niederösterreichischen Erdölgebiet. Überall Stacheldraht, Maschinengewehre und sowjetische Posten. Die Männer kamen sich

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vor wie in einem sibirischen Straflager und waren darüber hinaus keinen Tag vor der Zwangsverschickung sicher. Aber Jancik drückte noch etwas anderes: ,Diese Moskowiter gehen mit den Sonden um, dass man weinen könnte. Nur fördern, fördern, fördern; von Pflege keine Rede. Sie werden sehen, in einigen Jahren sind unsere schönsten Felder ausgeblutet.' ,Die suchen sich schon wieder neue', warf Schlager ein. ,Sie haben uns ja alle Untersuchungsergebnisse abgenommen. Österreich ist nach Rumänien der größte Erdölproduzent Europas geworden.' ,Und was haben wir davon?', bellte Jancik. ,Unser Öl fließt nach Osten.'" 59 Schließlich gelingt es den Hauptpersonen, unter abenteuerlichen Bedingungen ein Bohrgerät aus der sowjetischen Zone nach Oberösterreich zu schmuggeln, wo sie nach anfänglichen Problemen tatsächlich fündig werden. Der Roman endet mit den Worten: „So werden sie weiterbohren, immer weiter. Denn alles schreit nach Öl. Öl für Maschinen; Öl für Motoren, Öl für Medikamente; Öl, um Kessel zu heizen; Öl, um Kunststoffe zu erzeugen; Öl, um Straßen zu bauen. Denn ohne Öl stünde unsere Welt still." 60 Soweit Hans Thür. Nirgendwo kommt aber die Betonung der Bedeutung des österreichischen Erdöls so losgelöst von der Politik (und lange auch von der ÖMV) vor wie in den Schulbüchern. Eine Analyse ausgewählter Schulbücher aus dem Zeitraum 1945-1986 zeigt Folgendes: In den Lehrbüchern für Geschichte und Staatsbürgerkunde spielt das Erdöl keine große Rolle; nur gelegentlich kommt es bloß in einigen Zeilen im Zusammenhang mit sowjetischer Besetzung und Staatsvertrag vor.61 Dagegen sind die Lehrbücher für Geographie (und Wirtschaftskunde) schon seit dem Beginn der Zweiten Republik wahre Fundgruben zum Thema „Erdöl". Von einer vollständigen Verbannung des Erdöls aus den Schulbüchern wegen der sowjetischen Besatzung, wie Othmar Franz Lang in seinem zitierten Roman „Männer und Erdöl" behauptet, kann nicht gesprochen werden. So hieß es beispielsweise in Bernhard Albls Wirtschaftsgeographie von 1952: „Da die Eisenbahn nahezu ein Drittel der Kohle verschlingt, liegt der Gedanke nahe, unsere Wasserkräfte und auch ,unser eigenes' Erdöl besser auszunützen [...] Dies entspricht einer Jahresförderung von 1,2 Millionen t, womit der Eigenbedarf zur Gänze gedeckt werden könnte und ein Exportüberschuß von 800.000 t noch offen stünde. Mit diesem Exportüberschuß könnte fast die ganze Kohleneinfuhr bezahlt werden f...]"62 Und in Klimpt/Slanars Erdkunde von 1954 war zu lesen: „Das Erdöl von Zistersdorf ist hauptsächlich an Aufwölbungen bestimmter Schichten [...] gebunden [...] Der überwiegende Teil der Förderanlagen wird als ,deutsches Eigentum' von der USIA (Verwaltung sowjetischer Industrien in Österreich) betrieben." 63 Nach dem Staatsvertrag nimmt das Erdöl dann sogar eine dominante Stellung in den Informationen über die Bodenschätze ein. Zwar sind die Abschnitte über Eisenerz oft länger, doch es wird nicht wie das Erdöl als der „wichtigste Bodenschatz" bezeichnet. 64 Auch die Abbildungen sprechen eine deutliche Spra-

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che: Bald nach dem Auftauchen von Fotos in den Geographiebüchern gehören Bilder von Erdöltürmen zur Standard-Ausstattung. Die Motive sind dabei immer ähnlich: Erdölfeld Zistersdorf, 65 Erdölgebiet bei Neusiedl/Zaya, 66 Fördertürme und Pumpanlagen eines Erdölreviers im Marchfeld, Erdölgebiet Aderklaa im Marchfeld. 67 Dazu gesellt sich fallweise auch eine Abbildung der Raffinerie Schwechat. Bis zur 4. Auflage von 1958 war das Bild „Erdölfeld Zistersd o r f in Anton Ebners und Helmut Steiners Lehrbuch der Wirtschaftsgeographie sogar das Titelbild für das Bundesland Niederösterreich (in späteren Auflagen wurde es durch ein Bild der Wachau mit Ruine Aggstein ersetzt). Mit Wiederholungsfragen wie „Fasse zusammen, was du über Erdöl und Erdgas weißt!" 68 , „Suche nach der Bergbaukarte im Atlas Erdölfelder in Österreich" 69 und „Was geschieht auf den Bildern (Bohrfeld bei Zistersdorf/Erdöl-Pumpstation)?" 70 wird versucht, das Wissen über das österreichische Erdöl schon früh im Gedächtnis der Österreicherinnen zu verankern. Aber: Hier fällt auch auf, dass es primär um das Erdöl als Bodenschatz geht. Das Unternehmen, die ÖMV, und seine Leistungen sind dagegen für die Schulbuchautoren primär keine Bilder, die es im kollektiven Gedächtnis zu verankern galt. In den ersten zehn Jahren ihres Bestehens (1955-1965) wird die ÖMV in den Schulbüchern namentlich so gut wie nie genannt, man liest nur vom Erdöl. Dagegen wird ein anderes Großunternehmen, die VÖEST, in jedem (!) der untersuchten Geographiebücher der Zweiten Republik angeführt. Etwa ab ca. 1965 setzten die ersten Erwähnungen der ÖMV z.B. in den von Leopold Scheidl herausgegebenen bekannten Seydlitz-Geographiebüchern ein. Aber noch 1970 sucht man in Josef Berghofers und Franz Glavanits' Geographie-Arbeitsbuch „Mein Vaterland Österreich" die ÖMV vergeblich. Als größte Industriebetriebe wurden darin aufgezählt: VOEST, Alpine Montangesellschaft, Österreichische Stickstoffwerke, Vereinigte Metallwerke Ranshofen-Berndorf, BöhlerWerke und Schoeller-Bleckmann. 71 Und das, obwohl die ÖMV umsatzmäßig bereits drittgrößter Konzern (nach VOEST und Alpine Montangesellschaft) war.72 Zusammenfassend kann man festhalten, dass die Schulbücher zwar einen wichtigen Beitrag zum Bekanntheitsgrad und zur Österreich-Einschätzung der ÖMV geleistet haben, dass aber das Erdöl der ÖMV als „Gedächtnisort" zeitlich vorangeht und sich die Erinnerungsfigur ÖMV (zumindest in den Schulbüchern) aus seiner Beziehung zum Erdöl herleitet.

Mythos und Anti-Mythos eines verstaatlichten Unternehmens im Schnittpunkt politischer Interessen Die ÖMV war die längste Zeit ihrer Existenz ein verstaatlichtes Unternehmen. Gleich bei ihrer Entstehung 1955 begann daher ihre Verflechtung mit der österreichischen Politik, was in wechselnder Form bis 1998, dem Zeitpunkt der

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Umfrage, fortdauerte. Die Verstaatlichten-Vergangenheit der ÖMV hat sicherlich dazu beigetragen, das Unternehmen im kollektiven Gedächtnis mit Österreich zu konnotieren; egal, ob die Befragten dabei eher positive Aspekte der verstaatlichten Industrie (nationale Unabhängigkeit, Arbeitsplatzsicherung, Sozialpartnerschaft) oder eher negative (Proporz, Bürokratie, Postenschacher) im Auge hatten. Daher seien unterschieden: Erstens die ÖMV als Symbol politisch-wirtschaftlicher Unabhängigkeit und seine Politisierung; zweitens die Vernetzung der ÖMV mit der Politik und daraus resultierende Negativ-Images der ÖMV als verstaatlichter Betrieb (Monopol, Parteibuchwirtschaft, Schwerfälligkeit), welche den Gegnern der Verstaatlichung als typische Laster der Verstaatlichten galten, gerade deshalb aber auch als „typisch österreichisch" bezeichnet wurden, da so etwas im Ausland (angeblich) nicht möglich sei.

Die ÖMV als Symbol politisch-wirtschaftlicher seine Politisierung

Unabhängigkeit

und

Mit dem Staatsvertrag und dem Abzug der alliierten Besatzungstruppen war eigentlich der einstige Grund der nationalen Propaganda zugunsten der Erdölindustrie weggefallen. Das ehemals sowjetische Unternehmen SMV war nun unter dem neuen Namen ÖMV zu 100% in österreichischer Hand. Doch nachdem der nationale Erdölmythos von allen Parteien (außer der KPÖ) so erfolgreich gegen die Russen und indirekt - da die Russen ihre Ansprüche aus dem „Deutschen Eigentum" herleiteten - gegen die Deutschen mobilisiert worden war, ergab sich nach 1955 eine neue Konstellation, welche die Linksparteien SPÖ und KPÖ veranlasste, abermals eine Welle der Propaganda um das nationale Interesse an der Erdölindustrie zu starten. Die KPÖ bewegte sich bei der Beschwörung der Gefährdung der Unabhängigkeit Österreichs durch ausländische Öl-Kapitalisten in gewohnten Argumentationsmustern. Dass die Regierungspartei SPÖ, die kurz zuvor noch gegen die sowjetische Erdölpolitik polemisiert hatte, ebenfalls auf diese Propaganda-Linie einschwenkte, war allerdings neu. Der Hauptgrund für das Umschwenken der SPÖ war wohl die echte Überzeugung von den Vorteilen einer Rohölgewinnung und -Verarbeitung in öffentlichem Besitz. 73 Genau diese öffentliche Wirtschaft sah die SPÖ - wohl nicht zu Unrecht nach 1955 gerade im Erdölsektor von zwei Seiten bedroht: Einerseits durch die ausländischen Erdölkonzerne, welche auf die in den Wiener Memoranden vereinbarte Entschädigung pochten und durch ihre Konkurrenz die Gewinne der verstaatlichten Erdölindustrie zu schmälern drohten. Andererseits von der Regierungspartei ÖVP, die ein Anwachsen der verstaatlichten Industrie verhindern und durch Privatisierungsschritte an der ÖMV ein Exempel statuieren wollte. Die ÖMV bot sich dafür deshalb an, weil sie erst in den Besitz der Republik Österreich gelangte, als die Alliierten abgezogen waren. Das noch 1946/47 auch

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für die ÖVP stichhaltige Argument, Betriebe durch Verstaatlichung dem Zugriff der Alliierten zu entziehen, war somit hinfällig. Auch war im Ersten Verstaatlichungsgesetz von 1946 die ÖMV - da damals noch nicht existent nicht unter den zu verstaatlichenden Firmen aufgelistet. Diese juristische Grauzone konnte dazu benutzt werden, um die von der SPÖ erhobene Forderung nach Einhaltung des Verstaatlichungsgesetzes zu unterlaufen. Da die SPÖ natürlich die gesamte österreichische Erdölindustrie verstaatlicht sehen wollte, wurde (gemeinsam mit der KPÖ) in den nun folgenden innenpolitischen Auseinandersetzungen mit der ÖVP der nationale Charakter der ÖMV herausgestrichen, die ÖVP hingegen angeprangert, sie wolle dieses nationale Gut den ausländischen Kapitalisten opfern. Dabei eskalierten die ideologischen Spannungen zwischen den Regierungsparteien 1955 langsam, aber stetig: Im Sommer waren es noch hauptsächlich kommunistische Zeitungen, die vor der Auslieferung der Erdölbetriebe an die westlichen Ölkonzerne warnten und forderten: „Unser Öl muß österreichisch bleiben!" 74 Aber schon im Herbst schlugen die sozialistischen Blätter eine ähnlich Richtung ein. Da meinte z.B. im Oktober die AZ, die internationalen Erdölkonzerne führten einen unschönen Konkurrenzkampf gegen die OROP.75 Mit bemerkenswerter Häufigkeit betonten bald sowohl die sozialistische wie die kommunistische Presse, dass das Erdöl österreichisch bleiben müsse und an der Verstaatlichung nicht gerüttelt werden dürfe. Daraufhin wurden auch im bürgerlichen Lager die Töne schärfer. So wurde ζ. B. SPÖ-Minister Karl Waldbrunner direkt angegriffen und ihm Schlamperei beim Benzinpreis vorgeworfen. 76 Im Februar 1956 war dann schon absehbar, dass das Erdöl zum Wahlkampfthema der auf den 13. Mai angesetzten Nationalratswahlen werden würde, wie Hugo Portisch im „Neuen Kurier" bemerkte. 77 Und so war es auch. Zuerst war explizit in der links-orientierten Presse das Schlagwort von den „Erdölwahlen" 78 mit auffallender Häufigkeit zu lesen. Die bürgerliche Presse blieb nichts schuldig. „Ölwahlen? Einverstanden!" titelte am 13. März das „Kleine Volksblatt" der ÖVP. Es wurde einer der heftigsten Wahlkämpfe der Zweiten Republik. Die SPÖ (und ζ. T. die KPÖ) suggerierten, dass Entstaatlichung der Erdölindustrie gleichbedeutend sei mit dem Verlust für Österreich und rekurrierten auf den nationalen Erdölmythos von 1945 bis 1955:79 Politische Unabhängigkeit könne nur durch wirtschaftliche Unabhängigkeit garantiert werden und nachdem man die Russen so erfolgreich aus der heimischen Erdölindustrie vertrieben hatte, sollte man sie nun nicht leichtfertig den amerikanischen Ölkonzernen in die Hände spielen. An Aktionen, die besonders plakativ das Erdöl in den Mittelpunkt stellten, wären u.a. zu nennen: Das Aufstellen von Modellbohrtürmen in den Straßen von Wien80 und ein „Ölklau"-Plakat, mit dem suggeriert werden sollte, dass die Volkspartei wertvolles Volkseigentum dem ausländischen Großkapital in den Rachen werfen wolle. Zum Thema „Unser Erdöl" gab die SPÖ eine von Karl Ausch verfasste Broschüre heraus, die diese Vorwürfe belegen sollte. Die Publikation schloss mit der Feststellung, die öster-

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reichische Volkspartei habe sich „zum Vorkämpfer aller jener gemacht, [...] die eine blühende, zukunftsreiche Produktion verkrüppelt und schließlich zerstört sehen möchten, nur um sie zu entstaatlichen und reprivatisieren zu können; die nicht davor zurückschrecken, Österreichs größten Naturreichtum ausländischen Monopolkapitalisten in die Hände zu spielen." 81 Der damalige SPÖ-Staatssekretär Kreisky betonte in Wahlkampfreden: Nie wieder ausländische Herrschaft über Österreichs Wirtschaft! Das Erdöl müsse dem Volk gehören. 82 In diesem Punkt war er sich mit der KPÖ einig, welche dasselbe forderte 83 und riet: „Wählt links, schützt unser Erdöl!" 84 Die ÖVP konterte mit der Behauptung, dass die verstaatlichte Industrie den Wiederaufbau der Industrie im südlichen Niederösterreich boykottiere, stellte die Idee der Gemeinwirtschaft als kollektivistische Bedrohung dar und versuchte die Person des SPÖ-Ministers Karl Waldbrunner zu diskreditieren. Doch auch sie musste sich des patriotischen Erdöl-Vokabulars aus der Besatzungszeit bedienen, um den enorm zugkräftigen Vorwurf der Preisgabe von Volksvermögen abzuwehren. Am 18. März betonte ÖVP-Bundeskanzler Julius Raab in einer Rundfunkansprache, dass das Erdöl auf jeden Fall im Besitz des österreichischen Volkes bleiben werde.85 Am 17. April war in den bürgerlichen Zeitungen die Schlagzeile zu lesen: „Bundeskanzler Ing. Raab: Kein Tropfen Erdöl wird .verschachert'." 8 6 Und um die patriotischen Gefühle im Zusammenhang mit Erdöl für die eigene Sache zu nutzen, erklärte sich die ÖVP zur einzigen Partei, die dafür sorge, dass das Erdöl dem ganzen Volk und nicht nur den Kassen des SPÖ-Ministers Waldbrunner zugute komme. 87 Ein überwiegender Einfluss des Bundes auf die Mineralölverwaltung sollte durch einen mindestens 51 %-Anteil am Aktienkapital gesichert und damit ein „Ausverkauf" verhindert werden. Einen bestimmten Anteil an der Gesellschaft sollten auch die Bundesländer erwerben können, auf deren Boden Öl gefördert werde - sprich: vor allem das ÖVP-dominierte Bundesland Niederösterreich. 88 Zusätzlich sollten sich die Österreicherinnen direkt mit so genannten „Volksaktien" an der ÖMV beteiligen können. Die „Erdölwahlen" vom 13. Mai 1956 brachten der ÖVP einen großen Wahlerfolg, was sie in ihrer Haltung stärkte und bis 1962 zu einer großen Reprivatisierungskampagne führte. 89 Daraus resultierte eine Verhärtung der ideologischen Fronten. Dabei stellte bis zur Übergabe der beiden Vertriebsgesellschaften für Mineralölprodukte Martha und OROP vom (ÖVP-dominierten) Finanzministerium an die ÖMV 1965 das Erdöl einen neuralgischen Punkt dar. Der nächste Konflikt entstand um die 1954 neu gegründete, ÖVP-dominierte Niederösterreichische Gasgesellschaft (NIOGAS), die bereits im Wahlkampf von den Linksparteien heftig angegriffen worden war.90 Der Hintergrund für diese Attacken war folgender: Die ÖMV bekam, obwohl staatliches Unternehmen, vom ÖVP-dominierten Handelsministerium lange keine neue Schurfkonzession. Als Konkurrent und Bewerber für die Konzessionsverleihung trat schließlich eben die ÖVP-dominierte NIOGAS auf und erhielt prompt statt der

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ÖMV die begehrten Konzessionen im Gasfeld Zwerndorf. Den von der SPÖ erhobenen Vorwurf, dass es sich dabei um einen Bruch des Verstaatlichungsgesetzes handle, konterte die ÖVP geschickt mit der juristischen Spitzfindigkeit, dass im Verstaatlichungsgesetz nur vom Erdöl, nicht aber vom Erdgas die Rede sei.91 Doch besaß die NIOGAS - im Unterschied zur ÖMV - gar nicht das geeignete Bohrgerät. Sie wandte sich daraufhin an die westdeutsche Bohrfirma Dellmann. 700 Erdölarbeiter der ÖMV besetzten daraufhin in Oberweiden einen Bahnhof, um die Entladung der Waggons zu verhindern, auf denen sich eine Bohranlage der Firma Dellmann für die NIOGAS befand. 92 Das Auftreten einer ausländischen Firma gab den Linksparteien SPÖ und KPÖ nun erst recht die Möglichkeit, ihre Aktionen zugunsten der verstaatlichten ÖMV im Hinblick auf die nationale Unabhängigkeit zu rechtfertigen. Das SPÖ-Organ „Der österreichische Erdölarbeiter" lobte die patriotische Haltung der Erdölarbeiter. 93 Und die KPÖ interpretierte noch 1980 den Einsatz in Oberweiden als erfolgreiche Aktion gegen das ausländische Kapital. 94

Der Erdölkrieg: Die ÖMV-Belegschaft verhindert am 19. Juni 1956 die Entladung der Bohranlage der westdeutschen Firma Dellmann

Der Konflikt wurde schließlich durch einen Kompromiss beigelegt. Die ÖMV verzichtete auf die Erdgasabgabe an die Letztverbraucher und trat nur als Zulieferer an die NIOGAS auf. Die NIOGAS trat dafür ihre Schürfrechte an die ÖMV ab. 95 Die Spannungen zwischen der („roten") ÖMV und der („schwarzen") NIOGAS aber blieben latent bestehen und konnten jederzeit wieder akut werden. Ein weiterer Zankapfel zwischen den Regierungsparteien war auch die Frage der Beteiligung ausländischen Kapitals an der ÖMV. Diese Forderung wurde

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von der SPÖ unter Berufung auf die Zwischenkriegszeit 96 und unter Betonung des nationalen Charakters der verstaatlichten Industrie immer wieder mit Vehemenz zurückgewiesen. 97 SPÖ-Vizekanzler Bruno Pittermann betonte, die Sozialisten seien der Auffassung, dass die Mitbeteiligung einer ausländischen Macht an wirtschaftlichen Grundstoffen bereits eine Verletzung der Neutralität darstelle. 98 Für die SPÖ schien klar, dass die Ö V P lieber mit ausländischen Kapitalisten zusammenarbeitete anstatt mit ihrem Koalitionspartner und warf ihr konsequenterweise Verrat an österreichischen Interessen und damit an den österreichischen Arbeitern vor.99 Unterstützt wurde die SPÖ in diesem Punkt wiederum von der K P Ö , die ebenfalls gegen den Einfluss ausländischer Erdölfirmen in der österreichischen Erdölwirtschaft wetterte.100 U.a. bezeichnete die K P Ö Oberösterreich, wo die R A G Öl förderte, als Ölkolonie amerikanischer Konzerne, um die es schlimmer stehe als um Saudi-Arabien. 101 Allerdings beschuldigte die K P Ö die SPÖ als Regierungspartei in gleichem Maße für die Auslieferung Österreichs an das amerikanische Ölkapital verantwortlich zu sein wie die ÖVP. 102 In ihrer Broschüre „Verstaatlichung - Für Wen?" von 1961 fasste die K P Ö diese Kritik an der österreichischen Erdölpolitik griffig zusammen.103 Das gemeinsame Ziel der Erhaltung der verstaatlichten Erdölindustrie führte aber - trotz heftiger gegenseitiger Kritik - meist zu gemeinsamen Aktionen der beiden Linksparteien So hatten sozialistische und gewerkschaftliche Kreise bereits 1955 gemeinsam mit der K P Ö Schutzzölle gefordert, 104 um die verstaatlichte Ö M V vor ausländischer Konkurrenz zu schützen und die Arbeitsplätze zu sichern. Erst nach dem sozialistischen Wahlerfolg vom 10. Mai 1959 beschloss der Ministerrat dann am 29. September 1959, bis Ende Mai 1960 auf Heizöl einen Einfuhrzoll in der Höhe von S 70,- pro Tonne einzuheben. Dass dies nicht früher geschehen sei, wurde der Ö V P als Verrat an der österreichischen Wirtschaft angekreidet.105 Einige Jahre später wiederholte sich der Konflikt in Bezug auf Benzinzölle. 106 Ein weiterer Streitpunkt war die Errichtung der Raffinerie Schwechat. W i e bereits bei der Diskussion über die Beteiligung von Auslandskapital lehnte die SPÖ eine ausländische Beteiligung strikt ab. Es dürfe sich nur um eine „österreichische" Raffinerie handeln, bei der ausländische Gesellschaften und damit ausländisches Kapital keinen Einfluss hätten. Zudem müssten die Arbeitsplätze auf jeden Fall gesichert bleiben. Die SPÖ argumentierte also zumeist nicht mit wirtschaftlichen, sondern mit politischen Argumenten; doch kann auch der Ö V P der Vorwurf nicht erspart werden, die Wirtschaftlichkeit der Ö M V aufgrund politischer Interessen vernachlässigt zu haben (z.B. sollten Reinerträge der Ö M V zur Steuersenkung und Milchpreisstützung dienen usw.).107 Zusätzliche Brisanz erfuhr der Bau der Raffinerie Schwechat dadurch, dass auch die anspruchsberechtigten westlichen Ölkonzerne aus dem Wiener Memorandum Interesse an der Raffinerie bekundeten. Dies ließ in der SPÖ die Stimmung gegen die Ölmultis hochkochen.108

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Mitte der Sechzigerjahre eskalierte der nächste Erdölkonflikt: Die ÖMV war bei ihrer Gründung 1955 ein reiner Erdölförder- und Erdölverarbeitungsbetrieb. Eine eigene Vertriebsorganisation - und damit Kontakt zum Endverbraucher - besaß sie nicht. Sie verkaufte Erdölprodukte entweder an ausländische, in Österreich tätige Ölmultis (wie BP, Esso, Shell etc.) oder an die ebenfalls staatlichen Verteilerorganisationen Martha Erdöl GesmbH und ÖROP, die beide aber vom ÖVP-dominierten Finanzministerium verwaltet wurden. Dadurch musste die ÖMV auf einen wesentlichen Teil der Wertschöpfungskette verzichten. 109 Eine Fusion der beiden Verteilergesellschaften Martha und ÖROP mit der ÖMV zu einem voll integrierten Erdölunternehmen lag daher aus betriebswirtschaftlicher Sicht auf der Hand und wurde außer von der SPÖ auch von ÖVP-Fachleuten wie ÖMV-Generaldirektor Dr. Hoynigg gefordert. Politisch hingegen hätte eine solche Fusion eine Niederlage für die ÖVP bedeutet: Real durch den Wechsel von Martha und ÖROP vom Zuständigkeitsbereich des (schwarzen) Finanzministers in denjenigen des (roten) Vizekanzlers, ideologisch durch die Stärkung der verstaatlichten Industrie. 110 Um nicht als Verlierer dazustehen, unterbreitete die ÖVP deshalb mehrere Vorschläge zur Teilprivatisierung von Martha und ÖROP, z.B. 26% der Martha-ÖROP-Aktien an die ÖMV, 26% an ausländische Unternehmen und 48% stimmrechtslose Aktien an Privatunternehmen. Später war die ÖVP auch bereit, die stimmrechtslosen Aktien als Kleinaktien an die Betriebsangehörigen zu veräußern, um dadurch der SPÖ den patriotischen Wind aus den Segel zu nehmen.111 All diese Vorschläge fanden aber nicht die Zustimmung des Koalitionspartners SPÖ. Im Gegenteil: Aufgrund der bloßen Möglichkeit einer ausländischen Beteiligung konnte die SPÖ erneut - wie schon so oft - den Vorwurf der „Verschacherung an das Ausland" und der Vernachlässigung nationaler Interessen gegen die ÖVP ausspielen. Die SPÖ-Propaganda in der Betriebs-Rundschau wetterte denn auch, es sei verständlich, dass die demonstrierenden Arbeitnehmer dieses Ansinnen des Finanzministers als Zumutung auffassen und ihren Unmut nicht unterdrükken würden.112 Die Stimmung spitzte sich zu. Am 25. November 1964 demonstrierten Arbeiter und Angestellte vor dem Finanzamt für den Zusammenschluss der beiden Vertriebsfirmen Martha und ÖROP mit der ÖMV.113 Am Dienstag, dem 12. Jänner 1965, fanden zwischen 7 und 8 Uhr in allen ÖMV-Betrieben Vollversammlungen statt, wo die Beschäftigten über den Stand der Dinge informiert wurden. Bei diesen Versammlungen wurden auch in jedem Betrieb Streikkomitees gewählt. Am 18. Jänner 1965 fand eine gemeinsame Betriebsrätekonferenz der Betriebsräte von ÖMV, ÖROP und Martha statt. 114 Schließlich wurde der Konflikt durch einen Kompromiss beigelegt: Mit dem Bundesgesetz vom 30. Juni 1965 wurden Martha und ÖROP der ÖMV angegliedert. Die gesamten Anteilsrechte des Bundes an der Martha und 74% der ÖROP-Aktien zu einem Kaufpreis von 200 Millionen Schilling wurden dabei an die ÖMV übertragen. Die restlichen 26% der ÖROP-Aktien wurden -

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als Überrest des ÖVP-Vorschlags - als stimmrechtslose Namensaktien mit einer garantierten Dividende von 6,5 % an österreichische Staatsbürger verkauft.115

Protestaktion der ÖMV-Belegschaft am 25. November 1964

Die weiteren politischen Konflikte bewegten sich in ähnlichen Bahnen. Als z.B. Ende der Sechzigerjahre im Bereich der Petrochemie eine Kooperation zwischen der ÖMV und den ÖSW (Österreichische Stickstoffwerke) auf der einen und der deutschen BASF auf der anderen Seite eingeleitet wurde, sahen die Linksparteien wieder einmal die Unabhängigkeit Österreichs bedroht. Mit Schlagzeilen wie „Petrochemie in Gefahr!" und „ÖMV unter westdeutscher Kuratel?" machten die KPÖ-Zeitungen Front gegen diese Zusammenarbeit. 116 Es müsse „auf jeden Fall ein Weg gefunden werden, der eine österreichische und nicht eine westdeutsche oder amerikanische Lösung" bringe.117 Auch die SPÖ-nahe Presse war besorgt: „ÖMV an die BASF-Kandare?" fragte provozierend die AZ am 19. September 1970. Als die ÖIAG in einem Brief an die BASF bestätigen wollte, dass der Vertrag zwischen BASF und ÖSW auch für die ÖMV verbindlich sei, d.h. dass die ÖMV in Zukunft im Bereich der Petrochemie mit der BASF und nicht mit der Konkurrenz (z.B. Hoechst) zusammenarbeiten werde, erhob sich ein Sturm der Entrüstung: ÖMV-Vorstand und ÖMV-Aufsichtsrat intervenierten mit breiter Unterstützung von Belegschaft und Gewerkschaft bei der ÖIAG gegen die Versendung dieses Briefes. In einem Schreiben an den ÖIAG-Vorstand wurden seitens der Chemiegewerkschaft sogar gewerkschaftliche Maßnahmen angedroht, falls es nicht gelingen sollte, die Unabhängigkeit der ÖMV zu sichern." 8 Die Versendung des ominösen Briefes konnte verhindert werden. Auch die damalige ÖMV-Leitung stellte sich hinter das Konzept des verstaatlichten Unternehmens. In einem Vortrag vor der Arbeitsgemeinschaft für

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Gemeinwirtschaft im November 1971 erklärte Generaldirektor Ludwig Bauer, nur ein staatlicher Konzern habe sich selbstständig auf dem österreichischen Mineralölmarkt behaupten können. Jedes andere österreichische Erdöl-Unternehmen wäre bereits in Abhängigkeit von ausländischen Konzernen geraten oder aufgekauft worden, wie die AZ Bauer zitierte.119 Noch bis in die Achtzigerjahre vertraten die Linksparteien die Ansicht, „der Kampf um die Erhaltung des österreichischen Erdöls sei ein Teil des Kampfes um die Unabhängigkeit Österreichs", wie die KPÖ in ihrer 1980 erschienenen Broschüre „Unser Erdöl" behauptete. 120 Doch die Zeichen der Zeit standen gegen eine verstaatlichte ÖMV. 1986 schlitterten die verstaatlichten Stahlkonzerne in eine schwere Konjunkturkrise. Um diese schwer defizitären Betriebe zu sanieren, wurde erwogen, weitere Mittel u.a. durch die (Teil-)Privatisierung der ÖMV zu bekommen, welche sich mittlerweile zum gewinnbringendsten Konzern der gesamten Verstaatlichten entwickelt hatte. Die Entscheidung darüber fiel im Rahmen des Koalitionsabkommens Anfang 1987. Die Verstaatlichten-Holding ÖIAG wurde von der Bundesregierung dazu ermächtigt, bis zu 49 % des ÖMV-Aktienkapitals zu verkaufen. Am 17. Juni 1987 beschloss der Aufsichtsrat der ÖIAG, in einer ersten Tranche bis zu 25 % der ÖMV AG an der Wiener Börse und an internationalen Finanzplätzen zu platzieren. 121 Dies ist eine gewisse Ironie der Geschichte; einerseits, weil jenes Unternehmen, um dessen Verstaatlichung die Linksparteien am meisten gekämpft hatten, nun als erstes privatisiert werden sollte und andererseits, weil die Privatisierung ausgerechnet unter einem SPÖ-Bundeskanzler eingeleitet wurde. Auf jeden Fall ließ die Privatisierung ein letztes Mal die nationalen Gefühle in der Presse aufwallen. Die KPÖ sprach sich selbstverständlich dagegen aus und blieb ihrer Linie treu, wobei sogar der Umweltschutz als neues Argument für die Beibehaltung der Verstaatlichung angeführt wurde.122 Einige Schlagzeilen aus der „Volksstimme" gegen die Privatisierung der ÖMV: „Streicher will die ÖMV an der Börse verscherbeln!", „Gehört die Zukunft der ÖMV oder den Multis?", „Die Auslieferung", „ÖMV-Ausverkauf?", „Jetzt wird ein Viertel der ÖMV verscherbelt", „ÖMV auf dem Markt: Der große Ausverkauf per Aktie beginnt." 123 Die Regierungspartei SPÖ tat sich argumentativ mit der Privatisierung am schwersten. Konnte die KPÖ als Oppositionspartei bei ihrer ablehnenden Haltung bleiben, war sie selbst nach jahrzehntelangem Kampf gegen die ÖVP für eine verstaatlichte Erdölindustrie nun aus rein ökonomischen Gründen und gegen ihre innerste Überzeugung gezwungen, die Privatisierung zu befürworten. Nochmals spielte sie die nationale Karte: Um nicht alles ganz aufzugeben, wofür sie bisher gekämpft hatte und um nicht gegenüber der ÖVP als Verlierer dazustehen, präsentierte sie sich als die Partei, welche immer für eine österreichische Erdölindustrie eingestanden war und diesen österreichischen Charakter der ÖMV auch in der Phase der Privatisierung sichern werde mit Versprechungen wie, dass die Mehrheit der ÖMV-Aktien im Eigentum der ÖIAG bleiben

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und der Rest an Stammaktionäre selbstverständlich „österreichischen Ursprungs" verkauft würde.124 Die offizielle Zeichnungsfrist für die erste Tranche ÖMV-Aktien war für den Zeitraum vom 16. bis zum 25. November 1987 anberaumt worden. Wohl zu Recht bezeichnete der „Kurier" den 16. November 1987 als Datum „für Österreich von beinahe historischem Wert",' 25 wurden doch erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik Aktien eines verstaatlichten Unternehmens der Öffentlichkeit angeboten. Um die gewünschte möglichst hohe Beteiligung von österreichischen Kleinaktionären zu erzielen, veranstaltete die ÖIAG eine der größten Verkaufskampagnen, die in Österreich bis dahin stattgefunden hatten. In einem 30 Millionen Schilling teuren Werbefeldzug wurden die ÖMV-Aktien in Zeitungen, Rundfunk und TV angepriesen. 126 Neben aktuellen Daten und Zukunftsaussichten wurde in Presseartikeln auch die Unternehmensgeschichte der ÖMV kurz aufgerollt. 127 Dies alles hat sich sicherlich positiv auf den Bekanntheitsgrad der ÖMV ausgewirkt. So interessierten sich laut Umfragen Anfang September 1987 bereits 700.000 (!) Österreicherinnen für ÖMV-Aktien. 128 Wie großen Anteil die Österreicherinnen dann tatsächlich am Börsengang der ÖMV nahmen, zeigt die Tatsache, dass die Nachfrage nach ÖMV-Aktien im Inland größer als erwartet war und die Zeichnungsfrist bereits am dritten Tag geschlossen wurde.129 Als „Sternstunde der österreichischen Wirtschaftspolitik" bezeichnete ÖVP-Obmann Vizekanzler Alois Mock Anfang Dezember die ÖMV-Privatisierung. 130 Da der Republik, bzw. der ÖIAG, nach dem ersten Privatisierungsschritt noch eine sichere und beruhigende Mehrheit von 85 % verblieb (das Emissionsvolumen war noch in letzter Minute auf 15% reduziert worden), hatte sich die SPÖ damit verhältnismäßig leicht getan. Doch es war absehbar, dass weitere Verkäufe von ÖMV-Aktien über die magischen Marken von 75, 67 und 50% Republikeigentum hinaus - vor allem aufgrund des von der SPÖ selbst einst hochstilisierten, nationalen Erdölmythos - mit größeren Widerständen verbunden sein würden. Die ÖVP hingegen drängte auf den Verkauf weiterer Tranchen von ÖMV-Aktien. 131 Der „Kurier" forderte am 19. Juni 1989 ultimativ: „ÖMV: Rückzug des Staates fällig". Am 27. Juni 1989 gab der ÖIAG-Aufsichtsrat dann den Startschuss für den Verkauf von weiteren 10% des Grundkapitals der ÖMV.132 Doch die SPÖ schreckte vor dem zurück, was sie früher stets als „Ausverkauf" gebrandmarkt hatte. ÖMV-Mitarbeiter und SPÖ-Nationalratsabgeordneter Kurt Eder äußerte im Parlament die Befürchtung, dass sich ausländische multinationale Ölkonzerne durch den en-bloc-Erwerb ganzer Aktienpakete verstärkte Mitsprache sichern könnten, wenn nicht gesetzliche Beschränkungen beim Aktienkauf verabschiedet würden. Weiters hielt es Eder für volkswirtschaftlich falsch, weitere 10% der ÖMV-Anteile zu verkaufen. Wenn aber schon weiterprivatisiert werde, dann nur mit österreichischem Kapital. Die Aktien hätten im Inland zu verbleiben und sollten möglichst breit gestreut sein. Der Aktienerwerb sollte auf zehn Aktien pro Käufer beschränkt werden.133 Noch

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Ende Juli 1989 lehnte SPÖ-Verstaatlichtenminister Streicher einen Verkauf von ÖMV-Aktien über die magische Marke von 25 % strikt ab, was Verstimmung beim Koalitionspartner ÖVP hervorrief. 134 Mit dem Verkauf der zweiten Tranche der ÖMV-Aktien im September 1989 fiel der Anteil der Öl AG dann aber auf 72%. Nachdem in der SPÖ zunehmend die Einsicht an Boden gewonnen hatte, dass aufgrund der leeren Kassen auch ein „Totalverkauf der ÖMV" nötig sein könnte - so SPÖ-Verstaatlichtenminister Viktor Klima im Mai 1993 - gab sie die Blockade weiterer Teilverkäufe auf und begann statt dessen eine fieberhafte Suche nach potenziellen inländischen Käufern, um dadurch wenigstens die Kontrolle über die ÖMV in Österreich zu behalten. 135 Das Schlagwort von der „österreichischen Lösung" erlebte eine Hochblüte. Der erste konkrete Plan für eine inländische Aktienmehrheit stammte vom Verstaatlichtenminister Klima, selbst ehemaliger ÖMV-Finanzvorstand und strikter Verteidiger einer österreichischen Mehrheit. Klima hatte diesen Plan noch in seiner ÖMV-Zeit geboren: Er sah eine Übernahme der ÖMV durch die Elektrizitäts-Verbundgesellschaft vor. Diese hätte in einem ersten Schritt bereits 1992 26 % der ÖMV erwerben und eine Option auf die Mehrheit bekommen sollen. Durch die Verschmelzung des Strommonopolisten mit der ÖMV wäre ein neuer, im Mehrheitseigentum des Staates stehender Energieriese entstanden, was die Zustimmung all jener fand, die einen Ausverkauf der heimischen Industrie befürchteten. So kommentierten z.B. die „Salzburger Nachrichten": „Somit erscheint die Zusammenführung der ÖMV mit der Verbundgesellschaft, deren Mehrheit im Eigentum des Staates steht und zumindest bisher nicht Gegenstand von Verkaufsüberlegungen ist, eine akzeptable Lösung. Der Verkauf der ÖMV an eine ausländische Gesellschaft und insbesondere an eine internationale Ölfirma ist hingegen strikte abzulehnen." 136 Für Christian S. Ortner manifestierte sich in der Diskussion über den Verkauf von ÖMV-Anteilen im Juli 1992 die Angst vor einem Ausverkauf der Verstaatlichten und einem möglichen, damit verbundenen österreichischen Identitätsverlust. 137 Doch der Erwerb der ÖMV durch den Verbund (was ja keine echte Privatisierung dargestellt hätte, da der Verbund seinerseits wieder im Mehrheitseigentum des Staates stand) stieß auf zunehmenden Widerstand des Koalitionspartners ÖVP. Die Industriellenvereinigung hatte bereits im Juli 1992 gegen diese Fusion protestiert und eine vollständige und echte Privatisierung der ÖMV gefordert. 138 Um nicht - wie schon so oft - von der SPÖ der Verschacherung von Volksvermögen an das Ausland bezichtigt zu werden, betonte der damalige ÖVP-Wirtschaftsminister Wolfgang Schüssel: „Ich bin für einen mehrheitlichen Verbleib in österreichischer Hand, aber an der Börse. Die heimische Energiewirtschaft sollte dabei lediglich ein strategisches Aktienpaket (25,1%) übernehmen." 139 Die Verhandlungen über die Fusion von ÖMV und Verbund liefen sich denn auch 1993 fest.

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Mittlerweile war die Idee aufgetaucht, den Mineralölvertrieb und die Raffinerie zu verselbstständigen und getrennt zu privatisieren. Doch da fürchtete der ÖMV-Betriebsrat eine Zerschlagung der ÖMV und drohte mit Streik. Der Zentralbetriebsrats-Obmann der ÖMV, Peter Braun, unterstrich, dass die Verselbstständigung einzelner Teile der Anfang vom Ende der ÖMV sei. Im Bezug auf die Eigentümerschaft spielte auch er die nationale Karte und meinte, er sehe diese Frage „als Österreicher": „Wollen wir die Kompetenz für ein wichtiges Energieunternehmen oder nicht? Wenn man auf die Energiepolitik Einfluß nehmen will, sind 51 % Staatseigentum das Mindeste." Mit dem Verkauf von 21 % an ausländische Interessenten, und zwar an Ölförderländer und nicht an Ölkonzerne, habe er sich „zähneknirschend abgefunden". Aber die Sperrminorität sollte die ÖIAG behalten und für die restlichen 26% sollte man Inlandspartner für einen „österreichischen Energiekonzern" bzw. Mischformen mit institutionellen Investoren suchen. Unterstützung erhielt der Betriebsrat von Verstaatlichtenminister Klima, der Verselbstständigungspläne kategorisch ablehnte, und von breiten Kreisen der SPÖ.140 Die Medien förderten - wie ÖMV-Aufsichtsratspräsident Oskar Grünwald missmutig in einem Interview konstatierte 141 - indirekt durch die Verwendung des Begriffs „Zerschlagung" statt „Verselbstständigung" in der Öffentlichkeit die Meinung, dass hier ein nationales Symbol demontiert werden sollte, was zur Ablehnung der Verselbstständigungspläne beitrug. Inzwischen versuchte Verstaatlichtenminister Klima weiter seine Vision von einem großen österreichischen Energiekonzern zu verwirklichen. 142 Nach der Absage der Fusion Verbund-ÖMV sollten als letzte Möglichkeit einer „österreichischen Lösung" die Landesgasgesellschaften ein 25 %-Aktienpaket an der ÖMV erwerben und dadurch gemeinsam mit der ÖIAG eine „österreichische Mehrheit" von 51% am Konzern bewahren. 143 Doch auch diese Lösung kam nicht zu Stande - vor allem aufgrund politischer Differenzen. Statt dessen erwarb umgekehrt die ÖMV die Mehrheit an der Oberösterreichischen Ferngas gegen ein Angebot der deutschen Ruhrgastochter Nordbayrische Ferngas, was nochmals zu einer kurzen Blüte des Begriffes „österreichische Lösung" im Zusammenhang mit der ÖMV führte. 144 Danach wurde es diesbezüglich ruhiger. Unter gleichzeitiger Hereinnahme der IPIC (Abu Dhabi) als strategischer Partner mit einem Anteil von 19,6% an der ÖMV ab 1994 und einer schrittweisen Erhöhung des Streubesitzes auf 45,5 % reduzierte die ÖIAG bis 1998 ihren Anteil auf 35%. Die Unabhängigkeitssicherung durch Staatsbesitz an der ÖMV, Ursache so vieler leidenschaftlicher patriotischer Kämpfe, gehörte damit der Vergangenheit an. Das politische

Negativ-Image

der ÖMV

Zu den politisch bedingten Österreich-Mythen der ÖMV gehört neben dem von den Linksparteien SPÖ und KPÖ getragenen (Positiv-) Mythos der Unab-

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hängigkeitssicherung durch eine verstaatlichte Erdölindustrie auch das Negativ-Image eines verstaatlichten Betriebes mit all seinen Klischees, wie Überbürokratisierung, Schwerfälligkeit, Misswirtschaft und fachliche Inkompetenz politisch besetzter Angestellter (Proporz, Parteibuch Wirtschaft). Da Österreich unter den westlichen Industrieländern lange Zeit einen der höchsten Staatsanteile an der Industrie hatte, liegt es nahe anzunehmen, dass nicht nur die (wirklichen und vermeintlichen) Vorteile der Verstaatlichten, sondern auch ihre (wirklichen und vermeintlichen) Nachteile als „typisch österreichisch" angesehen werden. Tatsächlich hatte die ÖMV lange mit dem Negativ-Image eines verstaatlichten Unternehmens zu kämpfen. Nach einer umfangreichen Studie, die 1983 über die ÖMV gemacht worden war, assoziierten viele Bürger ad hoc die Eigenschaften „verstaatlicht", „Monopol" („die können machen, was sie wollen, man muss es akzeptieren"), „verwaltet" und „verbeamtet", also einen total verkrusteten Apparat. 145 Im Folgenden sollen nun schlaglichtartig einige Ereignisse behandelt werden, welche in die Negativ-Kategorien „Monopol/Misswirtschaft" und „Parteibuchwirtschaft" passen und für das kollektive Gedächtnis von Bedeutung sein könnten, da sie ein relativ großes Presseecho fanden. Wahrscheinlich kommt jeder Staatsbetrieb in westlichen Demokratien früher oder später in den Verdacht, Misswirtschaft zu betreiben, Steuergelder zu verschleudern und Monopolstellungen auszunutzen - zumindest bei jenen, die prinzipiell gegen Staatsbetriebe sind. Die ÖMV bildet da keine Ausnahme; die Liste derartiger im Laufe der Zeit in den Medien erhobener Vorwürfe ist lang. Hier einige besonders markante Beispiele: 1969 brachte die auflagenstarke „Kronenzeitung" den Vorwurf, die ÖMV würde durch den Einfluss der Politiker im Aufsichtsrat wirtschaftlich zugrunde gerichtet. 146 1986 schrieb das „Neue Volksblatt" unter der Rubrik: „ÖMV zahlt 10 Millionen an Wiener SPÖ-Anwalt!" Dabei ging es um eine von außen grotesk anmutende Klärung einer Rechtsfrage zwischen der ÖMV und dem Handelsministerium unter Zuziehung eines Wiener Rechtsanwaltes. 147 1989 wurde der ÖMV vorgeworfen, nach dem Verlust des Monopols am Ofenheizölmarkt dieses mit Hilfe von staatlichen Umweltschutzbestimmungen quasi über die Hintertür wieder erlangen zu wollen.148 1990 empörten sich Vorarlberger Ölkunden über das ÖMV-Monopol. 149 Und 1992 war der „Kronenzeitung" die Klage des Avanti-Eigentümers Hannes Nouza gegen das ÖMVMonopol einen fast ganzseitigen Artikel wert.150 Im selben Jahr parodierte der „Kurier" in einer Glosse „Mit Vollpension" den damaligen ÖMV-Slogan „Österreicher mit Verantwortung" in besonders bösartiger Weise als „Österreicher mit Verwaltung". 151 Im Jahr 1993, als der ÖMV-Vorstand nach der Ankündigung eines ausgeglichenen Ergebnisses im Juli im September von einem Verlust von insgesamt 2 Milliarden Schilling ausging, hagelte es mit Schlagzeilen wie „Öl ins Feuer gegossen" 152 oder „Feuer auf dem Dach"153 besonders viele Vorwürfe der Miss-

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Wirtschaft. Unter dem Titel „Das letzte Paradies" kritisierte der „Standard" am 13. September 1993 die hohen Löhne, Gehälter und Sozialleistungen der ÖMV, „an die andere Arbeitnehmer gar nicht mehr denken." Und der „Kurier" stellte einen Tag später mit „Millionen für Tennis, Raileye-Fahrer und Sänger" indigniert fest, dass sich die Ö M V trotz hoher Verluste das alljährliche Sponsoring prominenter Sportler einen zweistelligen Millionen-Betrag kosten lasse.154 Eine neue Umdeutung des ÖMV-Slogans „Österreicher mit Verantwortung" nahm der „Trend" im November 1993 vor. Unter „Österreicher mit Verwandtschaft" kritisierte er die Übernahme einer der größten Tankstellen Wiens durch einen Vetter des ÖMV-Generaldirektors Richard Schenz.155 Auch die Beteiligung der Ö M V an den Landesgasgesellschaften, welche von den einen als „österreichische Lösung" gepriesen wurde, wurde von anderen als Versuch gewertet, sich die Gasmonopolstellung in Österreich zu sichern; so sah es ζ. B. die Wirtschaftswoche unter „ M o n o p o l y " und zitierte ein ÖMV-Vorstandsmitglied: „ W i r lassen uns doch unser Monopol nicht kaputtmachen."156 Nirgendwo war die Presse jedoch so rasch mit dem Monopolvorwurf zur Stelle wie in der Frage des Benzinpreises. Da diese heikle Angelegenheit die Österreicherinnen finanziell direkt traf, dürften solche Vorwürfe auch breiteste Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit gefunden und die kollektive Vorstellung vom Monopolisten Ö M V gefestigt haben. Schlagzeilen wie „Schwere Vorwürf e gegen die Ö M V : Warum Benzin unverschämt teuer ist", „Streit über den Benzinpreis eskaliert. Ö M V A G weist Vorwürfe zurück", „ N o b l e Piraten", „Autofahrer finanzieren ÖMV-Rekordgewinn" 1 5 7 sprechen eine deutliche Sprache. Dass die Ö M V sich angeblich an den Autofahrern schadlos halte,158 musste jeden Autofahrer bewegen. Und die Beteuerungen von Generaldirektor Schenz 1997, dass es keine Monopolstellung der Raffinerie Schwechat gebe, sondern 4 0 % des an österreichischen Tankstellen verkauften Benzins aus dem Ausland kämen, 159 zeigten, dass auch die Ö M V selbst sich ihres negativen MonopolImages bewusst wurde und dieses zu verbessern suchte. Eng mit dem Vorwurf der Misswirtschaft war in der Presse der Vorwurf der Parteibuchwirtschaft verbunden. Oft wurde ein kausaler Zusammenhang angenommen, doch manchmal empörte man sich auch einfach nur über die politische Stellenbesetzung an sich, weil Leute „ohne das richtige Parteibuch" chancenlos seien. Tatsache ist, dass in der gesamten verstaatlichten Industrie lange Zeit sowohl Aufsichtsräte als auch Vorstände im politischen Proporz besetzt wurden. 160 Die Ö M V stach dabei eigentlich nicht aus dem Rest der Verstaatlichten heraus. Auch die Berufung der ehemaligen ÖVP-nahen Finanzchefin der Ö M V , Maria Schaumayer, zum Gouverneur der österreichischen Nationalbank galt der Presse noch nicht als skandalös. Als „Polit-Kaderschmiede" ins Gerede kam die Ö M V erst durch eine Konstellation, welche ihre Gegner die „rote Clique" Klima-Ruttenstorfer-Hall nannten. Tatsächlich hatten - wie der „Trend" 1997 bemerkte - noch nie zuvor so viele ehemalige Mitarbeiter eines Unternehmens einen Arbeitsplatz in der Spitzenpolitik gefunden. 161 Diese Be-

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gebenheit ist besonders deshalb interessant, weil sie sich ab Mitte der 1990erJahre, also unmittelbar vor der eingangs zitierten Österreich-Umfrage abspielte und deshalb die Einordnung der ÖMV als „typisch österreichisches" Unternehmen nicht unwesentlich beeinflusst haben könnte - v.a. natürlich die Tatsache, dass der 1998 amtierende Bundeskanzler, Viktor Klima, ehemaliger ÖMV-Finanzvorstand war. Dabei ging es um folgende Personen, die alle Mitglieder der SPÖ waren: Viktor Klima (bei der ÖMV 1969-1992), Wolfgang Ruttenstorfer (bei der ÖMV 1976-1997 und seit 1. Jänner 2000), Marc Hall (bei der ÖMV 1989-1991 und seit 1995), Caspar Einem (bei der ÖMV 19911994), Kurt Eder (bei der ÖMV seit 1962), Werner Kummerer (bei der ÖMV seit 1976). Weniger die Nationalratsabgeordneten Eder und Kummerer als die Gruppe um den Minister und späteren Bundeskanzler Viktor Klima stand im Kreuzfeuer der Kritik. Bereits die Ernennung Klimas zum Finanzvorstand der ÖMV am 1. Juli 1990 kommentierten viele Medien mit Ausdrücken wie „parteipolitischer Proporz reinsten Wassers", 162 „sozialistisches Vorstandsticket" 163 und „Stellenwert des Parteibuches". 164 Am 3. April 1992 trat Klima dann das Amt des Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr an. Als seinen Sekretär brachte er Marc Hall - in der ÖMV-Planungsabteilung unter Caspar Einem - mit ins Verstaatlichtenministerium. Bereits nach knapp zwei Jahren kursierten gemäß der Tageszeitung „Die Presse" Gerüchte, Klima würde wieder in die ÖMV zurückgehen. 165 Als dies nicht geschah, mutmaßte man, Klimas Nachfolger als Finanzvorstand der ÖMV, Wolfgang Ruttenstorfer, würde mit der Unterstützung Klimas und seines Staatssekretärs Hall am Stuhl von ÖMV-Generaldirektor Schenz sägen.166 Anfang 1995 ging Marc Hall dann mit Unterstützung von Kurt Eder wieder in die ÖMV zurück und wurde Leiter des ÖMVGasbereichs. Dafür wechselte der bisherige Inhaber dieser Funktion, Caspar Einem, ab 29. November 1994 als Staatssekretär ins Bundeskanzleramt. Die Presse witterte Parteibuchwirtschaft. „Hall und Freunde" lautete ein zweiseitiger Artikel in der Wirtschaftswoche. „Die ÖMV ist weiterhin ein Selbstbedienungsladen für rote Parteifunktionäre" wurde Betriebsrat Hugo Jandl in der „Presse" zitiert. Diese Meinung verstummte nicht. Das Magazin „profil" unterstellte 1995 Minister Klima trotz Dementi seitens des Ministeriums die Intervention zugunsten seiner persönlichen Wunschkandidatin für den Vorstand, der Ex-Arbeiterkämmerin Wilhelmine Goldmann. 167 Die politische Postenbesetzung in der ÖMV erzürnte jedenfalls nach Presseberichten sogar den ÖMV-Mitinhaber, das Emirat Abu Dhabi.168 Doch das ÖMV-Regierungskarussell drehte sich weiter. ÖMV-Finanzvorstand Wolfgang Ruttenstorfer wechselte am 28. Jänner 1997 als Staatssekretär ins Bundesministerium für Finanzen, kehrte jedoch am 1. Jänner 2000 wieder in den ÖMV-Vorstand zurück. Seine Nachfolge als Finanzvorstand sollte 1997 der bereits Anfang 1995 aus der Politik in die ÖMV zurückgekehrte Marc Hall antreten, was selbst der Boulevard-Zeitung „Täglich Alles" einen Artikel wert war169 und die FPÖ noch 1998 bei den Parlaments-

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diskussionen über die Maßnahmen zur Verhinderung des Postenschachers zu entsprechenden Angriffen auf Bundeskanzler Klima veranlasste. 170 Ob die erwähnten Vorwürfe berechtigt waren oder nicht, sei dahingestellt. Tatsache ist, dass die ÖMV wegen enger Verflechtung mit der SPÖ häufig in den Medien präsent war und dadurch wohl auch im kollektiven Gedächtnis Konnotationen der ÖMV mit der SPÖ hervorgerufen hat.

Die Leistungen des Unternehmens Um die Frage nach der „Austrizität" der OMV vollständig zu behandeln, muss man nach Behandlung von Erdöl und Politik auch einen Blick auf die Leistungen des Unternehmens selbst werfen und die Frage stellen, inwiefern das Unternehmen selbst zum öffentlichen Eindruck beigetragen hat, dass es typisch österreichisch sei. Dabei können grob zwei Perioden unterschieden werden: Eine erste von 1955 bis in die Achtzigerjahre. Hier standen die Leistungen des Unternehmens im Schatten von Erdöl und Politik. Dies ist plausibel, wenn man die Rolle versteht, welche das Erdöl in der österreichischen Nachkriegsgeschichte gespielt hat, und bedenkt, dass die ÖMV ein verstaatlichtes Unternehmen, also von politischer Beeinflussung und Abhängigkeit nicht frei war. In einer zweiten Phase ab den 1980er-Jahren begann die ÖMV jedoch langsam, eine gezielte Markenpolitik zu verfolgen und verstärkt Werbung zu betreiben. Dadurch und durch ihre Expansionspolitik sowohl über die geographischen Grenzen hinaus wie in neue Produktgruppen hinein trat sie allmählich aus dem Schatten von Erdöl und Politik hinaus. Die Leistungen

der ÖMV von 1955 bis ca. 1980

Die ÖMV spielte seit ihrem Entstehen 1955 eine wichtige Rolle in der österreichischen Wirtschaft. In den Fünfziger- und Sechzigerjahren trug sie einen Großteil der Ablöselieferungen an die Sowjetunion, die ihr zunächst überhaupt nicht und später nicht zu den vollen Selbstkosten vergütet wurden. 171 Weiters subventionierte sie - nach dem politischen Streit von 1956 - durch die großzügige Lieferung von Erdgas zum Vorzugspreis von 14 Groschen (statt 28 wie an die Gemeinde Wien) an die niederösterreichische NIOGAS die niederösterreichische Wirtschaft. 172 Seit dem Beginn einer Erdölförderung in Österreich bis einschließlich 1977 förderte die ÖMV-AG insgesamt 71,27 Mio. Tonnen Rohöl und hatte damit einen Anteil von 86,65% an den in Österreich gewonnenen Gesamterdölmengen. 1 7 3 Aus dem Öl stellte die ÖMV diverse wirtschaftlich wichtige Produkte wie Benzin, Dieselöl, Gasöl, leichtes und schweres Maschinenöl, Paraffin, Schmierfette, Heizöl, Asphalt etc. her. Durch die Sicherung der Energieversorgung und die Produktion der genannten Mineralölprodukte trug die ÖMV entscheidend zur günstigen Entwicklung der österreichischen Außen-

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handelsbilanz bei und stimulierte das Wirtschaftswachstum im Land.174 (Die ÖMV deckte 1971 mit ihrer Eigenproduktion etwa 20% des Gesamtenergieverbrauches Österreichs.) Ein Vergleich mit anderen europäischen Staaten zeigte, dass durch die starke Position der ÖMV Österreich lange eine Oase der stabilen Preise auf dem Mineralölsektor war.175 Gerade während der Erdölkrisen der Siebzigerjahre war Österreich durch die Tätigkeit der ÖMV „von den internationalen Benzinfirmen weniger abhängig als manch großes Land", wie der Sprecher der „Austria Wochenschau" 1974 stolz verkündete. 176 Diverse Betriebe hingen von den Rohstofflieferungen der ÖMV ab. So war z.B. u.a. das Werk der VOEST-Alpine in der Steiermark Abnehmer von ÖMV-Erdgas. 177 Die Investitionen der ÖMV lieferten der österreichischen Wirtschaft wichtige Impulse und trugen zum Florieren vieler weiterer Industriezweige bei.178 Auch die Medien waren davon voll des Lobes. So lautete etwa eine Schlagzeile der „Wiener Tageszeitung" vom 19. Dezember 1969: „Rekordinvestitionen der ÖMV. Wieder einer der größten Auftraggeber der Wirtschaft".

Eröffnung der neuen Raffinerie Schwechat am 27. Juni 1961 mit Bundespräsident Adolf Schärf und Kardinal Franz König

Besonders publikumswirksam (und daher für das kollektive Gedächtnis aller Wahrscheinlichkeit nach relevant) waren die Großprojekte der ÖMV. Hervorzuheben ist z.B. die Errichtung der Raffinerie Schwechat, wodurch die ÖMV ihre beherrschende Stellung bei Erdölverarbeitung in Österreich erlangte. 179 Die Bedeutung dieser Anlage wurde durch die Teilnahme hochrangiger Regierungsvertreter bei der Grundsteinlegung 1958 unterstrichen. 180 Die von der ÖMV damals investierten 3 Mrd. Schilling verhalfen den Zulieferfirmen zu Beschäfti-

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gungszuwachs und wirtschaftlichem Aufschwung. 181 Österreichische Lieferanten erhielten bei dem Bauvorhaben den Vorzug. Dadurch wurde ein großer Knowhow-Schub auf vielen Gebieten ausgelöst, den Firmen, wie z.B. die VOESTAlpine im Anlagenbau, im Export zu vermarkten konnten. Die Raffinerie Schwechat wurde zu einem Symbol für Modernität und auch von Politikern immer wieder aufgesucht (z.B. 1970 von Bundeskanzler Klaus).182 Weiters wären noch der Bau der Adria-Wien-Pipeline 183 oder der Trans-Austria-Gasleitung zu erwähnen: Da dabei mehr als zwei Drittel der Aufträge im Inland vergeben wurden, kam auch dieser Investitionstätigkeit große volkswirtschaftliche Bedeutung zu.184 Durch das Erdgas-Abkommen der ÖMV-AG mit der ehemaligen Sowjetunion wurde es speziell der VÖEST in Linz ermöglicht, größere Mengen Rohre an die Sowjetunion zu exportieren. 185 Mit der frühen wirtschaftlichen Öffnung zum damaligen Ostblock wurde Österreich Bahnbrecher im europäischen Erdgasverbund. Die ÖMV übernahm eine Mittlerfunktion bei der Erdgasweiterleitung nach der BRD, Italien und Slowenien (Gas-Transit). Erdgas wurde dadurch zum langjährigen Gewinnbringer. 186 Schließlich beteiligte sich die ÖMV auch an anderen Industrieunternehmen, so z.B. 1972 zusammen mit den Österreichischen Stickstoffwerken zu je 50% an der Petrochemie Schwechat. 187 Der Umsatz im Jahre 1971 betrug etwa 7,7 Mrd. Schilling, womit die ÖMV hinter der VÖEST und der Alpine in der Liste der größten Industrieunternehmen Österreichs bereits an dritter Stelle rangierte. 188 Aber: Die Leistungen der ÖMV waren Leistungen, deren Prestige vor allem dem Staat zugute kam, der sie auch entsprechend herausstrich. Die ÖMV selbst trat dabei lediglich als Staatsbetrieb in Erscheinung. Bis 1974 hatte sie keine eigene Werbeabteilung und betrieb keine gezielte Markenpolitik. 189 Eine eigene Produktwerbung war zunächst auch kaum nötig, da die ÖMV auf vielen Gebieten monopolistisch auftreten konnte und bis 1965 nicht einmal eine eigene Vertriebsorganisation besaß, also keinen Kontakt zum Endverbraucher hatte. Das einzige, was nach 1955 erforderlich wurde, war eine gewisse ImageWerbung, um den Ruf des „Russenbetriebs" abzustreifen, doch konzentrierte man sich dabei - zusammen mit anderen staatlichen Stellen - vor allem auf Informationen über das österreichische Erdöl. Unter dem Titel „Erdöl und Erdgas in Österreich" veranstaltete z.B. das Österreichische Wirtschaftsmuseum ab 11. Jänner 1959 im „Kaiserpavillon" in Hietzing eine Schau mit freiem Eintritt, welche die Technologie und die wirtschaftliche Bedeutung der österreichischen Erdölproduktion vor Augen führen sollte. Diese Ausstellung diente hauptsächlich zur Information von Laien, insbesondere der Schulkinder. 190 Diese Sonderschau wurde auch in den Medien gebührend gewürdigt, u.a. in der „Austria Wochenschau", wo der Reporter sie mit den Worten kommentierte, sie „zeige alles, was mit unserem Erdöl zusammenhängt, im Modell". 191

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Am 9. November 1959 führte die ÖMV-AG im Wiener Künstlerhaus-Kino den Film „Öl aus unserer Erde" vor, in dem Wissenswertes über Erdöl gezeigt wurde. Dieser Film lief auch im Beiprogramm zu einigen abendfüllenden Filmen.192 Weiters wurde die ÖMV in Gesamtausstellungen zur verstaatlichten Industrie gewürdigt, so z.B. im Mai 1961 in der Ausstellung „15 Jahre verstaatlichte Industrie" in der Wiener Sezession.193 Die ÖMV selbst baute ab 1964 in der Wiener Taborstraße die größte Erdölausstellung der Welt auf. Die Eröffnung wurde u.a. in der „Wochenschau" dokumentiert, wobei wiederum ein starker Konnex zwischen Erdöl und Österreich aufgebaut wurde; so zeigten die Wochenschau-Bilder u.a. die Aufschrift „Mineralölverwaltung", Karten von Österreich mit den Erdöllagerstätten sowie auf einer Karte deutlich lesbar die Aufschrift „Erdöl in Österreich".194 Nach den Aussagen von Harry Tomek, Abteilungsleiter im Rahmen der Hauptabteilung „Kommunikation" in der OMV und viele Jahre Vorsitzender des Redaktionskomitees für die firmeneigene Mitarbeiter- und Kundenzeitschrift, war das Erdölmuseum eines der besten Werbemittel, welches das Unternehmen je gehabt hat.195 Ansonsten trat die ÖMV - wie gesagt - wenig durch eigene Werbung in Erscheinung. In ihrer Selbstdarstellung charakterisierte sie sich aber stets als Unternehmen „im Dienste Österreichs".196 Die Leistungen

der ÖMV ab ca. 1980

Im Zusammenhang mit dem Ölpreisschock von 1973 konnte die ÖMV ihren Status als führender Dividendenzahler der Staatsindustrie weiter ausbauen und entwickelte sich dann sogar zum umsatzstärksten Konzern Österreichs.197 Während fast die gesamte verstaatlichte Industrie (v. a. die einst so prestigeträchtige Stahlindustrie) in einer tiefen Krise steckte, aus der sie ohne finanzielle Hilfe des Eigentümers nicht herauskam, war der frühere „Russenbetrieb" zum neuen Flaggschiff der Verstaatlichten geworden. Am 24. Juni 1987 kommentierte dies das „Neue Volksblatt" folgendermaßen: „ÖMV ölt das Staatsbudget. Die Benzinpreise bleiben stabil: Es tut wohl, einmal bei einem Staatsunternehmen zu sein, dessen Bilanz nicht negativ, sondern höchst positiv ist." Die gute Performance des Unternehmens führte - wie erwähnt - dazu, dass die ÖMV 1987 in Wien, Frankfurt und München an die Börse ging. 1991 wurde die Aktie an der SEAQ (Stock Exchange Automated Quotations)-International in London eingeführt. Als erstes österreichisches Unternehmen gehörte die ÖMV damit zu den rund 400 international führenden Gesellschaften, deren Aktien zu festen Kursen an diesem international bedeutenden Börsenmarkt gehandelt werden.198 Nicht zuletzt aufgrund der lange Zeit höchsten ATX-Gewichtung aller österreichischen Unternehmen (zwischen ca. 16 und 24%) spiegelte die Kursentwicklung der ÖMV-Aktie langfristig die Performance des ATX wider. ÖMV wurde zur meistgehandelten Aktie an der Wiener Börse.199

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Waren früher die Auslandsaktivitäten der Verstaatlichten primär mit dem Namen der Stahlindustrie (VÖEST, Edelstahlunternehmen) verbunden gewesen, entfaltete die ÖMV ab den 1980er-Jahren eine immer größere Dimensionen annehmende Auslandsaktivität. Schlagzeilen wie die folgenden stehen für sich: „ÖMV geht in die britische Nordsee", 200 „ÖMV kauft bayrische Raffinerie", 201 „Österreicher im Nordseeöl. ÖMV steht vor großem Deal", 202 „ÖMV kauft sich in Frankreich ein", 203 „ÖMV auf riskantem Sahara-Kurs", 204 „ÖMV trifft in Pakistan ins Schwarze". 205 Dass die ÖMV Betriebe des früheren Flaggschiffs VÖEST aufkaufen wollte, zeigte ebenfalls, dass innerhalb der Verstaatlichten jetzt die ÖMV das Paradeunternehmen war.206 Auch bei der Öffentlichkeitsarbeit und der Markenpolitik bewegte sich die ÖMV mit großen Schritten vorwärts. So entschloss man sich 1982, aus dem anonymen Massenprodukt Heizöl Leicht ein ÖMV-Markenprodukt, das „Heizöl leicht Schwechat 2000", zu entwickeln. Kern der Strategie war es, den Vorteil des Rohöls aus dem Standort Matzen zu nutzen, „Heizöl Leicht Schwechat 2000" auf einen technologisch überdurchschnittlichen Standard zu heben und dies massiv auf dem Markt zu bewerben. Das bisherige Qualitätssiegel wurde durch ein „Raffineriezertifikat" ersetzt. Außerdem wurde durch Beratung und kostenlose Qualitätsüberprüfung dem Kunden ein Instrument angeboten, mit dem dieser im Bedarfsfall seine Ware auch als ÖMV-Produkt identifizieren konnte. Gleichzeitig wurden typengeprüfte „Heizpakete" definiert, die in spezieller Abstimmung der Komponenten ein höchstmögliches Maß an Betriebssicherheit und Energieausnutzung sowie an Umweltschonung durch den herabgesetzten Schwefelgehalt boten.207 1986 lancierte die ÖMV in den Medien den Slogan, ÖMV bedeute „Österreicher mit Verantwortung", um die Österreicherinnen von der Assoziation von „V" mit „Verwaltung" abzubringen. 208 Dieser Slogan wurde so populär, dass er selbst 14 Jahre später noch zitiert wurde. In Kritiken, Polemiken etc. wurde er mannigfach abgewandelt, wobei das „V" neben Verwaltung und Verantwortung auch als Vollpension und Verwandtschaft interpretiert wurde. Aber das „Ö" stand immer für „Österreich(er)", wodurch der Österreich-Bezug immer gegeben war. Die Börsengänge 1987 und 1989 führten zu mehreren TV-Spots der ÖMV, welche bis heute mit wechselnden Schwerpunkten („Tankstellen" zu Beginn der Neunzigerjahre, „Schmieröle" 1994 bis 1996 etc.) einen wichtigen Bestandteil der ÖMV-Werbung bilden.209 Die Öffentlichkeitsarbeit wurde in diesem Zusammenhang immer besser und die ÖMV erhielt in den 1990er-Jahren viel Lob für ihre gute Public und Investor Relations. 210 Ab 1990 wurde ein spezielles Verschleißschutz-Additiv entwickelt, das als neuer Markenartikel zuerst in den unverbleiten Kraftstoffen an ÖMV-Tankstellen angeboten wurde. Es wurde unter dem Namen „ÖMV 3" intensiv beworben. Ab 1993 war Österreich dadurch das erste Land Europas, in dem ausschließlich bleifreie Kraftstoffe angeboten wurden. Um auch ältere

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Kraftfahrzeuge damit betreiben zu können, wurde das Additiv entsprechend verbessert und als „ÖMV 3 plus" im April 1993 am Markt eingeführt. Innerhalb weniger Jahre gelang es somit, in Österreich früher als in anderen Ländern aus dem „Blei-Zeitalter" auszusteigen. 211 In ihrem Jubiläumsband von 1995 präsentierte sich die ÖMV als betont „österreichisches Unternehmen" (Untertitel), vermied es aber, genauer auf die Politisierung des Erdöls zwischen den Regierungsparteien einzugehen. Der Band gibt sich zwar patriotisch, aber diffus, um alle politischen Lager ansprechen zu können.

Das neue Tankstellendesign der OMV ab 1990

Zu einer abermaligen medialen Kampagne wurde die Umbenennung von „ÖMV AG" in „OMV AG". Durch vier Radiospots sollte die gesellschaftliche Rolle der ÖMV verdeutlicht werden: OMV stehe für „Offen für mehr Verantwortung" - nicht nur lokal, sondern auch global.212 Am Ende der Betrachtungen über Werbung und Öffentlichkeitsarbeit der ÖMV soll das besondere Augenmerk den Tankstellen gelten. Tankstellen gelten in der Branche quasi als Visitenkarte der Mineralölgesellschaften. Die ÖMV besaß ja - wie geschildert - lange keine eigene Vertriebsorganisation. Nach der Übernahme der Vertriebsgesellschaften Martha (mit einem Lizenzvertrag mit Aral) und ÖROP 1965 war die Marke ÖROP - Signet im Dreieck - 1968 in die Marke Elan (mit weißer Schrift in einem roten Punkt) umbenannt worden, um durch ein neues Image die Erinnerung an das „Russenbenzin" auszulöschen und als betont österreichische Benzinmarke (Nationalfarben!) einen größeren Marktanteil zu gewinnen. 213 Doch ÖMV-Tankstellen gab es nach wie vor nicht. 1986 wurden die Vertriebtöchter Martha Erdöl GesmbH und Elan AG zur ÖMV HandelsAG fusioniert. Damals betrieb diese Gesellschaft 994 Tankstellen, davon 457 unter der Marke Aral und 537 unter der Marke Elan.

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Durch die Privatisierung des Unternehmens sowie durch die vorhersehbare Öffnung der Ostmärkte Ende der 1980er-Jahre sah die Unternehmensführung dann endlich den Zeitpunkt für gekommen, um eine eigene Vertriebsmarke für den Auftritt im In- und Ausland zu schaffen. Die Vertriebsmarke ÖMV wurde eingeführt. 214 1989 hatten Aral und ÖMV Einverständnis darüber erzielt, den Lizenzvertrag per 30. September 1990 zu beenden. Eine Zweimarken-Strategie sollte zunächst beibehalten werden, allerdings mit der neuen Marke ÖMV. Dabei sollte die Elan als Bedienungstankstelle und die ÖMV als Selbstbedienungstankstelle am Markt identifiziert werden. Die erste ÖMV-Tankstelle wurde am 26. Juni 1990 in Wien-Auhof eröffnet. 215 Vor den Augen der Öffentlichkeit, meist bei laufendem Betrieb, entstanden bis Ende September 1990 im Durchschnitt vier ÖMV-Tankstellen täglich. Nach der Etablierung der Diskontmarke „Stroh" wurden nach und nach überwiegend die Elan-Tankstellen geschlossen. Obwohl sich das ursprüngliche Tankstellennetz der ÖMV-Gruppe in Österreich verminderte, wuchs die Anzahl der ÖMV-Stationen durch Umrüstungen des Elan-Netzes sowie nach Übernahme des 70%-Anteils an der Total Austria GesmbH (1995) weiter an.216 So bot sich dem Tankstellen-Kunden während praktisch der gesamten Neunzigerjahre das Bild einer ständigen Zunahme an ÖMV-Tankstellen mit dem entsprechenden Werbeeffekt. Hunderte Tankstellen an frequentierten Standorten wurden ideale Imageträger für das gesamte Unternehmen. Hunderttausende Kontakte täglich und der unmittelbare Kontakt mit der ÖMV an den Tankstellen wurden der Garant für höchste Bekanntheit des Firmennamens.

Zusammenfassung Obwohl das Ausland in der Geschichte der österreichischen Mineralölindustrie eine nicht unbedeutende Rolle spielt, gilt der heimische Ölkonzern ÖMV als „typisch österreichisch". Für diese Einstufung können gemäß den angestellten Untersuchungen folgende Gründe geltend gemacht werden: 1. Erdöl ist ein autochthoner, wirtschaftlich bedeutender Rohstoff, um dessen Wiedererlangung die Österreicherinnen mit den russischen Besatzern in zähen Verhandlungen gerungen haben. Erdöl ist also ein Symbol sowohl der eigenen Bedeutung als Industriestaat wie des kollektiven Kampfes gegen die Sowjets. Seine Geschichte verzahnt sich hier mit jener des Staatsvertrages, der für viele Österreicherinnen das wichtigste historische Ereignis der Nachkriegszeit darstellt. Die industrielle Bedeutung des eigenen Erdöls wurde den Österreicherinnen bereits in der Schule bewusst gemacht. 2. Die ÖMV war die längste Zeit ihrer Existenz im Besitz der Republik Österreich. Sie war jedoch nicht nur irgendein verstaatlichter Betrieb, sondern jenes Unternehmen, um dessen Verbleib im Staatsbesitz, resp. um dessen Privatisierung heftigte Auseinandersetzungen enstanden und bereits seit der Unter-

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n e h m e n s g r ü n d u n g 1 9 5 5 ein politischer K a m p f z w i s c h e n den bürgerlichen und Arbeiter-Parteien tobte. D i e Linksparteien stilisierten dabei - t e i l w e i s e in A n a l o g i e z u m K a m p f g e g e n die S o w j e t s - d i e verstaatlichte Ö M V z u m S y m b o l nationaler U n a b h ä n g i g k e i t empor. In den 1990er- Jahren war die Ö M V j e n e s U n t e r n e h m e n , d e m zahlreiche Spitzenpolitiker, darunter der d a m a l i g e B u n d e s kanzler Viktor Klima, entstammten. 3. D i e Ö M V rief sich den Österreicherinnen z u n e h m e n d durch ihre wirts c h a f t l i c h e L e i s t u n g in Erinnerung. S i e war in den Achtzigerjahren der g e w i n n bringendste Staatsbetrieb und g i n g deshalb unter D u r c h f ü h r u n g einer r i e s i g e n W e r b e k a m p a g n e 1987 an d i e B ö r s e . U n g e f ä h r zur selben Zeit wurde e i n e g e z i e l t e Markenpolitik forciert und ab 1 9 9 0 d i e Aral- und Elan-Tankstellen der ÖMV-Vertriebstöchter in Ö M V - T a n k s t e l l e n u m g e w a n d e l t . D i e s e prägen nun w e i t h i n das Straßenbild und rufen den P a s s a n t e n das U n t e r n e h m e n in Erinnerung; und das „Ö" i m N a m e n erinnert sie daran, dass es sich hierbei u m e i n ö s t e r r e i c h i s c h e s U n t e r n e h m e n handelt - auch w e n n es seit 1 9 9 5 durch ein „O" ersetzt wurde.

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Ebd., 82. Anmerkung des Verfassers: Diese Behauptung hält einer Analyse der Schulbücher der frühen Fünfzigerjahre nicht stand (s.u.). Ebd., 217. Ebd., 214. Hans Thür, PI wird fündig. Bohrtürme in Oberösterreich, 1960, 48. Ebd., 159. Z.B. in Franz Stidl, Arthur Müssei und Ewald Scheiber, Staatsbürgerkunde, 1955 bis zur 13. Auflage 1962 (ab der 17. Auflage 1968 nicht mehr, da Geschichtsteil stark gekürzt) und Alexander Novotny (Hrsg.), Menschen und Völker im Wandel der Zeiten, 3. Auflage 1976, Eisenstadt-Graz-Wien, 210-212. Bernhard Albl, Wirtschaftsgeographie, Bd. VI des Unterrichtswerkes „Der Kaufmannsgehilfe", 1. Auflage, Bregenz 1952. Hans Klimpt und Hans Slanar, Erdkunde für die siebente Klasse der Mittelschule, Wien 1954, 2. Auflage, 7. Teil, 74. Anton Ebner und Helmut Steiner, Lehrbuch der Wirtschaftsgeographie, 2. Teil, 6. Auflage, 1965, 100 und 4. Auflage, 1958, 103; Adalbert Schwarz (Hrsg.), Arbeitsblätter für Erdkunde, Heft 14: Österreich, 7. Auflage, Eisenstadt 1972, 124; Leopold Scheidl (Hrsg.), Seydlitz Lehrbuch der Erdkunde, 7. Teil, Wien 1965,94; Leopold Scheidl (Hrsg.), Seydlitz - Lehrbuch der Geographie und Wirtschaftskunde, 1. Teil, Ausgabe Niederösterreich und Burgenland, Wien 1967,72; Leopold Scheidl (Hrsg.), Seydlitz - Lehrbuch der Geographie und Wirtschaftskunde, 4. Teil, Wien 1968, 34. Anton Ebner und Helmut Steiner, Lehrbuch der Wirtschaftsgeographie, 2. Teil, 4. Auflage, 1958; Adalbert Schwarz (Hrsg.), Arbeitsblätter für Erdkunde, Heft 14: Österreich, 7. Auflage, Eisenstadt 1972, 126; Bobik und Ullmann, Arbeitsbuch für Wirtschaftsgeographie (für Berufsschulen der Bereiche Handel und Verkehr im Unterrichtsgegenstand Wirtschaftsgeographie), Wien 1979, 75; Hans Bittermann und Josef Wannerer, Geographie und Wirtschaftskunde, Wien 1981,7. Leopold Scheidl (Hrsg.), Seydlitz - Lehrbuch der Erdkunde, 1. Teil, 3. Auflage, Wien 1961, 23; Leopold Scheidl (Hrsg.), Seydlitz - Lehrbuch der Geographie und Wirtschaftskunde, 1. Teil, Ausgabe Niederösterreich und Burgenland, Wien 1967, 73; Leopold Scheidl (Hrsg.), Seydlitz - Lehrbuch der Geographie und Wirtschaftskunde, 4. Teil, Wien 1968, 83. Leopold Scheidl (Hrsg.), Seydlitz - Lehrbuch der Erdkunde, 7. Teil, Wien 1965, 94. Leopold Scheidl (Hrsg.), Seydlitz - Lehrbuch der Geographie und Wirtschaftskunde, 1. Teil, Ausgabe Niederösterreich und Burgenland, Wien 1967, 28; Josef Berghofer und Franz Glavanits, Mein Vaterland Österreich, Wien 1970, 79. Leopold Scheidl (Hrsg.), Seydlitz - Lehrbuch der Geographie und Wirtschaftskunde, 4. Teil, Wien 1968, 83; Berghofer und Glavanits, Mein Vaterland Österreich, 45; Bittermann und Wannerer, Geographie und Wirtschaftskunde, Arbeitsteil, 10. Bobik und Ullmann, Arbeitsbuch für Wirtschaftsgeographie, 75. Berghofer und Glavanits, Mein Vaterland Österreich, 48. Zimmermann, Techno-ökonomische Betrachtung, 20. Robert Stöger, Die Verstaatlichungsdiskussion in der SPÖ 1945-1970, Diss. Univ. Wien 1988, 152-154. Der Abend, 16. Juli 1955. AZ, 12. Oktober 1955. Wiener Tageszeitung, 8. November 1955. Neuer Kurier, 11. Februar 1956. Als Schlagzeile z.B. in: AZ, 3. März 1956; Weltpresse, 8. März 1956; Österreichische Volksstimme, 23. März 1956. Z.B. explizit bei der kommunistischen Zeitung Wahrheit (Graz), 9. September 1955. AZ, 10. April 1956. Stöger, Verstaatlichungsdiskussion, 152-154. AZ, 4. und 22. März 1956. Österreichische Volksstimme, 22. Jänner 1956 und 24. März 1956.

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Andr£ Pfoertner

Zimmermann, Techno-ökonomische Betrachtung, 20; Der österreichische Erdölarbeiter, Nr. 20, 26. November 1959, 5. Oskoui, Erdöl und Erdgas in Österreich, 10. Weltjournal 18/58, Beitrag 5; Der österreichische Erdölarbeiter, Nr. 8, 8. Mai 1958, 1. Feichtinger und Spörker, ÖMV-OMV, 109. Austria Wochenschau 5/70, Beitrag 7. Z.B. Austria Wochenschau 29/67, Beitrag 2. Zimmermann, Techno-ökonomische Betrachtung, 22. Oskoui, Erdöl und Erdgas in Österreich, 89. Feichtinger und Spörker, ÖMV-OMV, 197. Zimmermann, Techno-ökonomische Betrachtung, 29; Franz Mathis, Big Business in Österreich I. Österreichische Großunternehmen in Kurzdarstellungen, Wien 1987, 315. Angaben in Konzernumsätzen; vgl. Zimmermann, Techno-ökonomische Betrachtung, 20. Auskunft von Herrn Dkfm. Harry Tomek, 31. Oktober 2000. Der österreichische Erdölarbeiter, Nr. 2, 22. Jänner 1959, 4. Austria Wochenschau 5/59, Beitrag 2. Der österreichische Erdölarbeiter, Nr. 20, 26. November 1959, 5. Harald R. Hampel, Fünfzehn Jahre verstaatlichte Unternehmungen, Wien 1961, 18. Austria Wochenschau 11/64, Beitrag 3. Auskunft von Herrn Dkfm. Harry Tomek, 31. Oktober 2000. Z.B. Die Presse, 29. Mai 1970. Feichtinger und Spörker, ÖMV-OMV, 2 und 176. Pirker, Die OMV AG, 38. Unternehmens-Analyse, März 1996, 5; OMV, Juli 1997, 33; Die Industrie, 14. Juni 1989; Pirker, Die OMV AG, 36-37. AZ, 12. Dezember 1986. Kurier, 24. Juni 1987. Der Standard, 13. März 1990. Neue AZ, 28. März 1990. Kurier, 19. Oktober 1994. Der Standard, 29. Dezember 1994. Oberösterreichische Nachrichten, 4. Oktober 1986; Neues Volksblatt, 4. Oktober 1986. Pirker, Die OMV AG, 56. Auskunft von Herrn Dkfm. Harry Tomek, 31. Oktober 2000; s. z.B. Profil, 6. Oktober 1986. Auskunft von Herrn Dkfm. Harry Tomek, 28. Jänner 2001. Sigrid Scheichl, Die Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen im Umfeld von Privatisierungen und Börsengängen dargestellt am Beispiel der VOEST-APINE STAHL AG (1994-1996), Diplomarbeit Univ. Salzburg 1998, 94-100; Kurier, 14. August 1993. Pirker, Die OMV AG, 63; Feichtinger und Spörker, ÖMV-OMV, 201; Kurier, 1. Februar 1992. Pirker, Die OMV AG, 62. Steyr-AKTUELL, 2/1968, 34. Feichtinger und Spörker, ÖMV-OMV, 260; Der Standard, 18. Jänner; Neue AZ, 7. Februar 1990; Kurier, 7. Februar 1990. Pirker, Die OMV AG, 45; Unternehmens-Analyse, März 1996, 37. Zu dieser Entwicklung Pirker, Die OMV AG, 46 f.

Autoren und Herausgeber Emil BRIX, Dr. phil., Botschafter, Leiter der Kulturpolitischen Sektion des Bundesministeriums für auswärtige Angelegenheiten, Stv. Vorsitzender des Instituts für den Donauraum, Generalsekretär der Österreichischen Forschungsgemeinschaft. Veröffentlichungen zur österreichischen und europäischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts mit den Schwerpunkten Minderheitenfragen, Kulturgeschichte, politische Theorie und Mitteleuropa. Ernst BRUCKMÜLLER, Univ.-Prof. am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien. Leiter des Instituts für Österreichkunde sowie des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Geschichte des ländlichen Raumes, k.M. der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Forschungen zur Sozialgeschichte Österreichs, zur Nationsbildung sowie zur Erinnerungskultur. Oliver KÜHSCHELM, Mag. Dr. phil., Forschungen zum Bürgertum in der Habsburgermonarchie (Kleinstadtbürgertum und Kommunalpolitik, großbürgerliche Unternehmerfamilien), über Exil und Emigration in den La-Plata-Staaten, insbesondere Uruguay (1938-45); Beschäftigung mit der Kulturgeschichte des Konsums - Mitarbeit an einem Ausstellungsprojekt des WienMuseums über Essen, Trinken, Einkaufen in den Nachkriegsjahrzehnten (1945-1980). Andre PFOERTNER, Dr. phil., Studium der allgemeinen Geschichte des Mittelalters und der Neuzeit, der Volkswirtschaftslehre und Soziologie an den Universitäten Basel und Wien; Dissertation „Amerikanisierung der Betriebswirtschaftslehre im deutschsprachigen Raum" an der Universität Wien; Mitarbeit an einem biographischen Nachschlagewerk zur deutschen Notenbankgeschichte der Deutschen Bundesbank in Frankfurt; zur Zeit wissenschaftlicher Sachbearbeiter in der Abteilung „Anlagefonds" der Eidgenössischen Bankenkommission in Bern. Hannes STEKL, Univ.-Prof. i. R. am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien. Forschungsschwerpunkte: Geschichte des Adels, gesellschaftliche Randgruppen, Bürgertum der Habsburgermonarchie, Kleinstädte im 19. und 20. Jh., Erinnerungskultur.

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Oldenbourg Memoria Austriae Eine Buchreihe, herausgegeben von Emil Brix, Ernst Bruckmüller und Hannes Stekl zur Reihe Was macht die Österreicher zu Österreichern? Gesellschaften haben Gedächtnisse, sie formen über Generationen Bilder von Orten und Figuren der Geschichte und tragen sie mit sich. Die »Memoria Austriae« untersuchen die Relevanz von »Gedächtnisorten« Österreichs. Sie sind eine Geschichte »kulturellen Gedächtnisses« im Sinn von Maurice Halbwachs, Jan und Aleida Assmann, Pierre Nora. Insgesamt erscheinen drei Bände. Ähnliche Untersuchungen existieren für Deutschland, Frankreich, Italien, Dänemark.

Memoria Austriae I Menschen - Mythen - Zeiten 2004. 584 S., gb. € 29,80 ISBN 3-486-56838-8 (D) ISBN 3-7028-0409-9 (A)

Memoria Austriae II Orte - Bauten - Regionen 2005. 380 S., gb. € 29,80 ISBN 3-486-57755-7 (D) ISBN 3-7028-0418-8 (A)

Memoria Austriae III Unternehmer - Firmen - Produkte 2005. 395 S„ gb. € 29,80 ISBN 3-486-57756-5 (D) ISBN 3-7028-0419-6 (A)

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